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German Pages 400 Year 2010
Schriften zum Prozessrecht Band 215
Schöffengericht und Trial by Jury Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Entstehung, gegenwärtigen Praxis und möglichen Zukunft zweier Modelle der Laienbeteiligung an Strafverfahren in Europa
Von Norman Lieber
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
NORMAN LIEBER
Schöffengericht und Trial by Jury
Schriften zum Prozessrecht Band 215
Schöffengericht und Trial by Jury Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Entstehung, gegenwärtigen Praxis und möglichen Zukunft zweier Modelle der Laienbeteiligung an Strafverfahren in Europa
Von Norman Lieber
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristenfakultät der Universität Leipzig hat diese Arbeit im Wintersemester 2007/2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-12850-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit hat die Juristenfakultät der Universität Leipzig im Wintersemester 2007/2008 als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde das Manuskript überarbeitet und hinsichtlich der Rechtsprechung und Literatur teilweise auf den Stand von August 2009 gebracht. An erster Stelle möchte ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Kahlo für die Betreuung dieser Arbeit herzlich danken. Während ihrer Erstellung stand er mir mit Anregungen, Ermutigung und konstruktiver Kritik in fachlicher sowie menschlicher Hinsicht stets zur Seite. Weiterhin schulde ich ihm Dank für die Erstellung des Erstgutachtens sowie für die Mühe und Zeit, welche er der Durchsicht dieser Arbeit widmete. Nicht zuletzt unterstützte er auch die Aufnahme dieser Dissertation in die Reihe „Schriften zum Prozessrecht“ des Duncker & Humblot Verlags. Herrn Prof. Dr. Klesczewski und Herrn Prof. Dr. Zopfs schulde ich großen Dank für die zügige Erstellung des Zweit- und Drittgutachtens. Beiden habe ich außerdem vielfältige Anregungen zu verdanken, die in die Überarbeitung des Manuskripts mit eingeflossen sind. Abschließend möchte ich mich besonders bei meinen Eltern bedanken. Sie haben mir die Ausbildung erst ermöglicht, die mit dieser Arbeit ihren vorläufigen Abschluss findet. Während der Erstellung dieser Arbeit durfte ich zudem von den reichen eigenen Erfahrungen meiner Mutter mit dem Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten profitieren. Auf die Unterstützung und den Zuspruch meiner Eltern konnte und kann ich mich in jeder Lebenslage verlassen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Leipzig, im Oktober 2009
Norman Lieber
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
1. Teil
1
Die Geschichte der Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit in England und Deutschland A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 32
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
2. Teil
2
Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung in England und Deutschland nach geltendem Recht
193
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
3. Teil
3
Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
289
A. Historische Parallelen und Divergenzen zwischen der Entwicklung der Laienbeteiligung in England und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 B. Vergleichende Analyse des Rechtes der Laienbeteiligung in England und Deutschland 302 C. Folgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
1. Teil
1
Die Geschichte der Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit in England und Deutschland A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
32
Frühe Formen der Konfliktverarbeitung in Streitfällen bei Kelten, Römern und Angelsachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Das Erbe der Kelten und Römer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
2. Die angelsächsische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
a) Rechtsprechung und Verwaltung in den angelsächsischen Königreichen . .
34
b) Das angelsächsische Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
aa) Das Verfahren der Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
bb) Der Ausgang des Verfahrens und die verhängten Sanktionen . . . . . . .
37
c) Die angelsächsischen Wurzeln der Jury – ein rechtshistorischer Mythos?
II.
31
37
3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
Die Herausbildung der Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
1. Die normannische Eroberung und ihre Wirkung auf das Strafverfahren . . . . .
41
a) Zentralisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
b) Fortbestehen überlieferter Verfahrensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
c) Die Entwicklung rationaler Verfahren als Vorgänger der Jury im 11. und 12. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
aa) Die Herausbildung neuer Formen der Entscheidungsfindung . . . . . . .
43
bb) Die Regelungen der Magna Charta vom 15. Juni 1215 . . . . . . . . . . .
45
cc) Der Niedergang der traditionellen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
2. Die Entstehung der Prozessjury (Trial Jury) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
a) Das Verbot von Gottesurteilen und die ersten Verfahren vor einer Prozessjury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
b) Rahmenbedingungen und kausale Faktoren für die Herausbildung der Prozessjury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
aa) Berufung auf Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
bb) Legitimation von Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
cc) Leistungsfähigkeit der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
Inhaltsverzeichnis
12
dd) Politische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
3. Die Entwicklung der Jury zu einer richtenden Institution im 14. und 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
III.
a) Das Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
b) Sanktionsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
c) Die Transformation der Jury zu einer richtenden Institution . . . . . . . . . . .
56
aa) Trennung von Anklage- und Prozessjury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
bb) Der Weg von der self-informing-Jury zur non-self-informing-Jury . . .
59
cc) Auswirkungen auf die Rolle der Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
Die Jury vom Anfang des 16. bis zum späten 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . .
62
1. Veränderungen in Verfahren und Gerichtsverfassung und ihre Auswirkungen auf die Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
a) Neuordnung der Gerichtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
b) Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
c) Das Auftreten von Zeugen vor Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
d) Die Stärkung der Rechtsstellung der Richter im Verfahren . . . . . . . . . . . .
65
e) Konsequenzen für die Position der Geschworenen im Verfahren . . . . . . .
66
2. Die Missachtung von Gesetzen durch Geschworene . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
3. Die Jury und die politischen Auseinandersetzungen der frühen Neuzeit . . . .
69
a) Kontrollmöglichkeiten des Staates – judicial coercion . . . . . . . . . . . . . . . .
69
b) Zusammensetzung der Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
4. Der Streit über die Rolle der Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
a) Das Konzept von der Jury als law finder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
aa) Die Sichtweise der Leveller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
bb) Die Quäker und die Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
b) Die Forderung nach non-coercion als die Antwort auf Repressionen gegen die Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
IV.
aa) Widerstand gegen die judicial coercion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
bb) Bushell’s Case – der Sieg der non-coercion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
5. Zusammenfassung der Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . . . . .
80
Die Geschworenengerichte im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
1. Das Phänomen der pious perjury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
a) Der prozessuale Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
aa) Abschaffung der coercion und Unabhängigkeit der Richter . . . . . . . .
82
bb) Anwälte und adversary trial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
cc) Auswahl der Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
b) Motivationen und prozessuale Mechanismen der pious perjury . . . . . . . .
86
c) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
Inhaltsverzeichnis
13
2. Die Jury in politischen Strafverfahren, seditious libel – Der Streit um die Rolle der Jury geht weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
a) Der Hintergrund des Streits um seditious libel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
b) Fox’s Libel Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
3. Widerstand gegen die Urteilspraxis der Jury in rechtstheoretischen Werken des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.
95
Die Jury wird reformiert – Veränderungen im 19. Jahrhundert und 20. Jahrhundert
95
1. Kritik am Ermessensspielraum von Juries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
2. Reformen des Strafverfahrens und des Sanktionenrechts im 19. Jahrhundert
97
a) Die Einschränkung der Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
b) Veränderungen der Stellung des Angeklagten im Verfahren . . . . . . . . . . . .
98
c) Das geänderte Verhältnis zwischen Richter und Jury . . . . . . . . . . . . . . . .
99
d) Das Ergebnis der Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
3. Die Entwicklung der sachlichen Zuständigkeit von Juries . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Das Ermessen der Geschworenen im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5. Entwicklungen im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Ausweitung der personellen Basis der Juries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Beschränkung des trial by jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Mitigation im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 d) Abschied von Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I.
Die Frühgeschichte der Laienbeteiligung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Der germanische Rechtsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Verfahrensformen im Frankenreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Das Grafengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Das Königsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
II.
Laienbeteiligung im mittelalterlichen Deutschen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Die Beteiligung von Laien an der frühmittelalterlichen Gerichtsbarkeit . . . . 115 a) Die Rechtsbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Gerichte auf dem Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Die Gerichtsbarkeit der Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 aa) Eine neue Art des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Auswirkungen auf die Rechtsstellung der an der Entscheidung beteiligten Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Kirchengerichte und kanonisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Inhaltsverzeichnis
14
2. Der Rückgang der Laienbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Die Auswirkungen der Einführung des Inquisitionsverfahrens . . . . . . . . . 121 aa) Die Einführung des Inquisitionsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Das Verfahren vor Inquisitionsgerichten und die Rolle von Laien . . . 123 b) Die Wirkungen der Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Professionalisierung der Richterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Laienbeteiligung an den Reichsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 cc) Laienbeteiligung im Strafprozess nach der „Peinlichen Gerichtsordnung Karls V.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 dd) Die Anpassung des Strafverfahrens an das rezipierte Recht und deren Konsequenzen für die Laien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 III.
Das vorübergehende Ende der Laienbeteiligung und die Gerichtsbarkeit des Absolutismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Die Gerichtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Die Ideologie des Absolutismus und ihr Einfluss auf die Gerichte . . . . . . . . 134 3. Reste von Laienbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
IV.
Die Auseinandersetzung um die Geschworenengerichte vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Anfänge und Grundlagen im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 a) Die Philosophie der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Schwurgerichte in Montesquieus staatsrechtlichen Vorstellungen . . . . 137 bb) Der Ruf nach Laienbeteiligung in der deutschen Aufklärung – Justus Möser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Tradition und neue Aspekte der Kritik an professionellen Richtern . . . . . 140 2. Die ersten Geschworenengerichte in Deutschland in den linksrheinischen Gebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Schwurgerichte in den französisch besetzten Gebieten . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Das Gutachten der Rheinischen Immediat-Justiz-Kommission und die weitere Entwicklung im preußischen Rheinland und den übrigen rheinischen Gebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Die Auseinandersetzungen um die Laienbeteiligung bis 1848 . . . . . . . . . . . . 144 a) Feuerbachs Gedanken zu Geschworenengerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Leue und die Lehre von der omnipotence du jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 c) Der Gedanke der Laienbeteiligung bei Hegel und seinen strafrechtlichen Schülern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 d) Die auf den Strafprozess bezogenen Forderungen des politischen Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 e) Schwurgerichte im rechtswissenschaftlichen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Inhaltsverzeichnis
15
4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 V.
Die deutschen Schwurgerichte – Laienbeteiligung zwischen Paulskirchenversammlung und Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Die Schwurgerichte nach der Revolution von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Die Paulskirchenverfassung von 1849 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Schwurgerichte in den einzelnen deutschen Staaten ab 1849 . . . . . . . . . . . 160 2. Veränderungen in den Diskussionen der Frage nach der Laienbeteiligung . . . 163 a) Kritik an den Geschworenengerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Die Schöffengerichte als alternative Form der Laienbeteiligung . . . . . . . . 164 c) Historische Rechtsschule und Begriffsjurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3. Die Laienbeteiligung im Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Die Beratungen zu den Reichsjustizgesetzen und ihre Ergebnisse für die Frage der Laienbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Die Laienbeteiligung in den Reichsjustizgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Weitere Entwicklung und Reformdiskussion im Kaiserreich . . . . . . . . . . . 171 aa) Wachsende Kritik an den Schwurgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Reformansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Entwicklungen in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Reformversuche zwischen 1918 und 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Die Abschaffung der Schwurgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
VI.
Laienbeteiligung im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
VII. Die Rechtsentwicklung in den beiden deutschen Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Laien in der Strafrechtspflege der Bundesrepublik Deutschland (BRD) . . . . 180 2. Laienbeteiligung im Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Theoretische Grundlagen und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Die Laienbeteiligung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 I.
Frühzeit bis zum Beginn des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
II.
Mittelalter und Absolutismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Der Abschied vom irrationalen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Laienbeteiligung und Absolutismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
III.
Das 18. und 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
IV.
Neuzeitliche Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Inhaltsverzeichnis
16
2. Teil
2
Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung in England und Deutschland nach geltendem Recht
193
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I.
Gesetzliche Grundlagen des trial by jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte und Verankerung in der Rechtstradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Einfachgesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Die Jury im System der Gerichtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
II.
Eignungskriterien für den Dienst als Geschworener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Ausschließungstatbestände – Ineligibility und Disqualification . . . . . . . . . . . 199 3. Freistellungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
III.
Die Auswahl der Geschworenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Ladung der Geschworenen (summoning jurors) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Aufstellung der Jury (empanelling) und Vereidigung der Juroren (swearing-in) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Die Ablehnung einzelner Geschworener (challenging jurors) . . . . . . . . . . . . 204 a) Ablehnung aus sachlichen Gründen (challenge for cause) . . . . . . . . . . . . . 204 b) Die aufschiebende Ablehnung einzelner Geschworener durch die Anklage (crown’s right to stand by) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Die aufschiebende Ablehnung einzelner Geschworener durch den Richter (judge’s right to stand by) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4. Überprüfung potentieller Juroren (jury vetting) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 5. Kritik am Auswahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Defizite bei der zufälligen Auswahl der Geschworenen . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Kontrolle der Eignungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Jury vetting und crown’s right to stand by . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
IV.
Die Jury in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Die Gerichtsbesetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Vergütung sowie Ausgleich für Ausgaben und Verdienstausfall . . . . . . . . . . . 215 3. Ausscheiden einzelner Geschworener während des laufenden Verfahrens (discharge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 4. Die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Geschworenen . . . . . . . . . . . . 216 a) Die Unterscheidung zwischen Recht (law) und Tatsachen (fact) . . . . . . . . 217 b) Die Aufgaben des Richters (trial judge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Inhaltsverzeichnis
17
aa) Entscheidung zur Zulässigkeit von Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . 218 bb) Befragung von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 cc) Beendigung des Verfahrens durch den Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 dd) Die Zusammenfassung und Belehrung durch den Richter (summing up) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Die Rolle und die Gestaltungsmöglichkeiten der Jury . . . . . . . . . . . . . . . 224 5. Bewertung der Rolle der Jury in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 V.
Die Beratung der Jury und die Urteilsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Die Isolation der Jury während der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Fragen der Jury an den Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Die Vertraulichkeit der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 4. Verlauf und Inhalt der Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 5. Richterlicher Druck auf die Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
VI.
Das Schuldurteil der Jury (verdict) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Die Verkündung des Schuldurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Der Inhalt des Schuldurteils und sein apodiktischer Charakter . . . . . . . . . . . 234 3. Konkurrierende Tatbestände im Schuldurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4. Schuldurteile für Alternativdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 5. Mehrheitsentscheidungen (majority verdicts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Das Verfahren bei einer Mehrheitsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Kritik an der Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 242 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
VII. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Übersicht über die Rechtsmittel gegen Urteile des Crown Court . . . . . . . . . 245 2. Die Zusammensetzung der Jury als Grund für ein Rechtsmittel . . . . . . . . . . . 245 3. Das Verbot des Doppelverfahrens (double jeopardy rule) . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Die Zurückhaltung der Rechtsmittelgerichte gegenüber Entscheidungen der Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 VIII. Reformansätze und die mögliche Zukunft der Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Alternativen zum trial by jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Neue Gesetzgebung und Gesetzgebungsinitiativen zu Verfahren ohne Jury . . 250 B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 I.
Die Stellung der Laien im System der deutschen Gerichtsverfassung . . . . . . . . . 252 1. Zur Einführung: Die Mitwirkung von Laien als Schöffen . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Die Verfassung der Schöffengerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Inhaltsverzeichnis
18
a) Laienrichter am Amtsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Laienrichter am Landgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Gleichstellung von Berufs- und Laienrichtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 II.
Die Heranziehung zum Schöffenamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Eignungskriterien für das Schöffenamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Unfähigkeit zur Bekleidung des Schöffenamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Ungeeignetheit zur Bekleidung des Schöffenamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Befreiungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Das Verfahren bei der Schöffenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Aufstellung der Vorschlagsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Öffentliche Auslegung der Vorschlagsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 c) Die Wahl der Schöffen durch den Schöffenwahlausschuss . . . . . . . . . . . . 263 d) Die Zuweisung zu einzelnen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 4. Ausschlussgründe und Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit . . . . . 266
III.
Rechtsstellung und Praxis der Schöffen im gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . 266 1. Die Pflicht zur Wahrnehmung des Schöffenamtes und ihre Ausgestaltung . . 267 a) Dienstpflicht und Dauer der Amtszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 b) Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzungen der Dienstpflicht . . . . . . . . . . . 268 2. Aufgaben der Schöffen und Möglichkeiten der Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . 268 a) Beteiligung im Vorfeld der Hauptverhandlung – Das Recht auf Vorinformation und Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Mitwirkungspflichtige Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 c) Das Fragerecht der Schöffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3. Die Schöffen in der Urteilsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) Die Urteilsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) Entscheidungsquoren und Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Die schriftliche Absetzung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 I.
Verfassungsrecht und rechtshistorische Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
II.
Die Stellung der Laien im System der Gerichtsverfassung – prägende Merkmale des separativen und des kollegialen Modells der Laienbeteiligung . . . . . . . . . . . 286
III.
Amtszeit und Arbeitsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
3
Inhaltsverzeichnis
19
3. Teil
4
Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
289
A. Historische Parallelen und Divergenzen zwischen der Entwicklung der Laienbeteiligung in England und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 I.
Entscheidende Ursachen der Entstehung unterschiedlicher Modelle von Laienbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
II.
Zur Geschichte der gegenseitigen Rezeption von englischem und deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Die Bedeutung des englischen Rechts als Motiv in der Debatte um die Laienbeteiligung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2. Einflüsse des deutschen Rechts auf England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 3. Gescheiterte Rezeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 a) Bestrebungen zur Einführung des römischen Rechts in England . . . . . . . . 296 b) Ursachen für die Erfolglosigkeit des Geschworenengerichts in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
B. Vergleichende Analyse des Rechtes der Laienbeteiligung in England und Deutschland 302 I.
Laienbeteiligung als demokratisches Element der Rechtsprechung . . . . . . . . . . 304 1. Legitimation der Strafrechtsprechung durch Laienbeteiligung . . . . . . . . . . . . 305 a) Die Auswahl der Laienrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 aa) Allgemeine Voraussetzungen und Ausschlusstatbestände . . . . . . . . . . 306 bb) Ausschluss für einzelne Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 cc) Das Verfahren bei der Auswahl im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . 310 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Die Einlösung des Legitimationsversprechens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 aa) Generelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 bb) Legitimierung des Urteils gegenüber dem Angeklagten . . . . . . . . . . . 317 cc) Legitimierung des Urteils gegenüber der Rechtsgemeinschaft . . . . . . 319 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 2. Verwirklichung demokratischer Werte im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 324 a) Kontrolle durch Ausdehnung der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 b) Partizipation des Volkes an der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 c) Transparenz und Verständlichkeit von Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 3. Prävention einer Entfremdung von Recht und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 329 a) Bewertung der Stellung der Laienbeteiligung in der Gesellschaft . . . . . . . 329 b) Popularisierung der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Inhaltsverzeichnis
20
c) Durchbrechung des Gegensatzes zwischen Bürgergesellschaft und „Juristenkaste“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 d) Beeinflussung von Gesetzgebung durch Laien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 II.
Die Frage nach dem Beitrag von Laienrichtern zur Verbesserung der Qualität der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. Mitwirkungsmöglichkeiten im gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Vorinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 aa) Schulungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 bb) Aktenkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 b) Beteiligung während der Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 aa) Das Verhältnis zwischen Berufs- und Laienrichtern de lege lata . . . . . 340 bb) Möglichkeiten aktiver und passiver Partizipation für Laienrichter . . . 341 cc) Der Umgang mit unverwertbarem Beweismaterial . . . . . . . . . . . . . . . 343 c) Die Rolle der Laienrichter bei der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 2. Einfluss der Laien auf den Ausgang eines Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . 345 a) Der Schutz vor staatlicher Willkür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 b) Inhaltliche Beiträge von Laien zur Urteilsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Realitätskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 bb) Routine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 cc) Gewährleistung einer unideologischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 351 dd) Die Eignung von Laien zur Entscheidung strafrechtlicher Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 c) Laienspezifische Fehlerquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 aa) Externe Fehlerquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 bb) Interne Fehlerquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 d) Methodische Argumente – das „kooperative Modell“ und das „separative Modell“ der Laienbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 3. Eigenständige, rechtsbildende Funktion der Jury – jury equity . . . . . . . . . . . . 359 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
C. Folgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis a. A. Abl.EG Abschn. AC All ER Anm. applic. no. Art. Aufl. BGBl. BGH BGHSt BRD BT-Drucks BVerfG BVerfGE BVerfGG BZRG bzw. CA CLP CPS Cr App R CrimLF CrimLR DDR d. h. Dougl. DRiG DRiZ dt. Durn & E DVBl. Edw. EGGVG
andere Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Abschnitt Law Reports: Appeal Cases All England Law Reports Anmerkung Application Number Artikel Auflage Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundesrepublik Deutschland Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz (Sartorius I Nr. 40) Bundeszentralregistergesetz (Schönfelder Nr. 92) beziehungsweise Court of Appeal Current Legal Problems Crown Prosecution Service Criminal Appeal Reports Criminal Law Forum Criminal Law Review Deutsche Demokratische Republik das heißt Douglas Deutsches Richtergesetz (Schönfelder Nr. 97) Deutsche Richterzeitung deutsch Durnford & East’s Term Reports, King’s Bench Deutsches Verwaltungsblatt Edwards Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (Schönfelder Nr. 95a)
22 EGMR EHRLR EHRR Einl. EmmingerVO EMRK engl. EuGRZ EurVerf Fn. FS GA GBl. DDR gem. Geo. GG ggf. GRC griech. Gr.Sen. GS GVG HL ICLQ i. d. F. Int.J.Soc.L. i. V. m. J.Comp.Leg. JCSB JGG JR JuS JVEG
JW JZ
Abkürzungsverzeichnis Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Human Rights Law Review European Human Rights Reports Einleitung Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege (RGBl. I 1924 S. 15 ff.) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Sartorius III Nr. 130) englisch Europäische Grundrechte Zeitschrift Europäische Verfassung Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik gemäß Georg Grundgesetz (Sartorius I Nr. 1) gegebenenfalls Europäische Grundrechtecharta griechisch Großer Senat Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz (Schönfelder Nr. 95) House of Lords International & Comparative Law Quarterly in der Fassung International Journal of the Sociology of Law in Verbindung mit Journal of Comparative Legislation and International Law Jury Central Summoning Bureau Jugendgerichtsgesetz (Schönfelder Nr. 89) Juristische Rundschau Juristische Schulung Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung ehrenamtlicher Richterinnen, ehrenamtlicher Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), zuletzt geändert durch Artikel 19 des Gesetzes vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3416) Juristische Wochenschrift Juristen Zeitung
Abkürzungsverzeichnis KB KG krit. KritV lat. LCP LJ LQR LS MDR MLR Mt. m. w. N. NJW NSDAP NStZ OLAF OLG PGO PL QB R RG RGBl. RGSt RiStBV Rn. RohR
Röm. RStPO S. Sartorius I SBZ Schönfelder SED SI SK
23
Law Reports: King’s Bench Division Kammergericht kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft lateinisch Law and Contemporary Problems Lord Justice Law Quarterly Review Legal Studies Monatsschrift für deutsches Recht Modern Law Review Das Evangelium nach Matthäus mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands Neue Zeitschrift für Strafrecht Office Européen le la Lutte Anti-fraude (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung) Oberlandesgericht Peinliche Gerichtsordnung Public Law Law Reports: Queen’s Bench Division Rex/Regina Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Randnummer Richter ohne Robe; Zeitschrift des Bundesverbandes Ehrenamtlicher Richterinnen und Richter/Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen (DVS) Brief des Paulus an die Römer Reichsstrafprozessordnung Seite Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik, Loseblattsammlung begründet von C. Sartorius Sowjetische Besatzungszone Deutsche Gesetze, Loseblattsammlung des Zivil-, Straf- und Verfahrensrechtes, begründet von Heinrich Schönfelder Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Statutory Instruments Systematischer Kommentar
24 Sp. Ssp. StGB StPÄG StPO StraFo StV ThürOLG u. a. U. PA. L. REV ÜpG
VereinhG
vgl. Vict. v. u. Z. wistra WLR WRV z. B. ZNR ZRG GA ZRG KA ZRP ZStW ZZP
Abkürzungsverzeichnis Spalte Sachsenspiegel Strafgesetzbuch (Schönfelder Nr. 85) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19.12.1964 (BGBl. I S. 1067), BGBl. III 312–6 Strafprozessordnung (Schönfelder Nr. 90) Strafverteidiger Forum Strafverteidiger Thüringisches Oberlandesgericht und andere University of Pennsylvania Law Review Gesetz zur Überprüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter (Überprüfungsgesetz) vom 24.07.1992, BGBl. I S. 1386 Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.09.1950 (BGBl S. 455) BGBl. III 300–6 vergleiche Victoria vor unserer Zeitrechnung Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Weekly Law Reports Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Kanonistische Abteilung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
Einleitung Einleitung Das Thema der Arbeit begegnete mir zum ersten Mal vor mehreren Jahren während eines Praktikums in London. Damals hatte ich Gelegenheit zu einem Gespräch mit einem englischen Strafverteidiger. Er fragte, ob es in Deutschland auch Geschworenengerichte wie in England gäbe. Die verneinende Antwort erstaunte ihn und provozierte die Frage, warum in Deutschland die Angeklagten der Willkür von Berufsrichtern ausgesetzt würden. Der Hinweis, dass auch in Deutschland Laien in Form von Schöffen an der Strafgerichtsbarkeit mitwirken würden, konnte die Bedenken nicht ausräumen. Nur im Geschworenengericht könnten doch die Laien selbstständig entscheiden, während sie sonst unter dem bestimmenden Einfluss des Berufsrichters stünden. Die selbstständige Entscheidung durch die Geschworenen würde gesunden Menschenverstand in die Rechtsprechung bringen. Der Berufsrichter dagegen sei in routinebedingten Vorurteilen gefangen. Für ihn würden Polizisten immer die Wahrheit sagen und der Angeklagte sei nur: „der typische Mann, am typischen Platz“. Trotz dieses Lobes der Jury konnte ich selbst aus meiner Vorstellung nicht das Bild eines eloquenten Verteidigers verdrängen, der die unerfahrenen Geschworenen rhetorisch „über den Tisch zieht“ und dadurch die Erforschung der Wahrheit im Strafprozess ad absurdum führt. Dieses Gespräch beleuchtet beispielhaft den Hintergrund, vor dem diese Arbeit entstanden ist. Es offenbart neben einem Defizit an gegenseitiger Kenntnis des jeweils anderen Rechtes ein fehlendes Verständnis für den Sinn und Nutzen fremder Rechtsinstitute. Das mangelnde Verständnis speist sich aus einer prinzipiellen Skepsis gegenüber fremden Lösungen für rechtliche Probleme und anderen verfahrensrechtlichen Denkansätzen als den vertrauten und vermeintlich bewährten eigenen. Diese Befunde stimmen besonders nachdenklich angesichts eines Europas, in dem Rechtskulturen nicht mehr länger in „splendid isolation“ nebeneinander stehen sondern durch gemeinsame Interessen und die Berufung auf gemeinsame Grundsätze aneinander gebunden sind. Innerhalb der Europäischen Union haben seit Jahren eine zunehmende Kooperation und ein Bemühen um Vereinheitlichung von Rechtsstandards dazu geführt, dass sich das Strafverfahrensrecht von einer rein nationalen Perspektive gelöst hat und auch in einer europäischen Dimension gedacht wird. Auch im Strafverfahrensrecht stehen in Europa die Zeichen auf Kooperation und Konvergenz.1 Mit der Einführung des europäischen Haftbefehls auf der Grundlage eines Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates hat die Fortentwicklung der 1 Jung, CrimLR 1993, 237 (238). – Allgemein zu Rechtsangleichungen auf dem Gebiet des Strafrechts: Jung/Schroth, GA 1983, 241 (244 ff.).
Einleitung
26
unionsinternen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafrechtes eine neue Qualität erreicht.2 Darüber hinaus wurde auf Gemeinschaftsebene mit der europäischen Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF eine Stelle zur Bekämpfung von Straftaten gegen finanzielle Interessen der Union und sonstige Gemeinschaftsinteressen geschaffen und damit ein Weg eröffnet, der möglicherweise langfristig zu einem europäischen materiellen Strafrecht und einer entsprechenden Strafverfolgung führt.3 Ferner ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dabei, gemeinsame europäische Standards für Beschuldigtenrechte im Strafverfahren zu erarbeiten und erweist sich damit als Katalysator der Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Strafverfahrens in Europa.4 Eine weiterführende Zusammenarbeit und ein sinnvolles aufeinander zu Bewegen der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen können jedoch nur stattfinden, wenn Kenntnisse über und Verständnis für das fremde Recht existieren. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann rational und sachbezogen über die Vor- und Nachteile der nationalen Regeln diskutiert und nach gemeinsamen Standards oder nach Möglichkeiten einer Rechtsangleichung gesucht werden. Entsprechend diesen Überlegungen versteht sich die vorliegende Arbeit als ein Beitrag zum gegenseitigen Kennenlernen und Verstehen zweier unterschiedlicher europäischer Rechtskulturen hinsichtlich der Beteiligung von Laien in Strafverfahren. Sie geht von dem Grundgedanken aus, dass ein Begreifen der Ungleichartigkeit zweier Rechtssysteme helfen kann zu ergründen, warum diese voneinander abweichen, und ihre Stärken und Schwächen würdigen zu lernen. In Europa kommt Laienbeteiligung in Strafverfahren in einer Fülle von Formen vor. Modelle, in denen Laien gemeinsam mit Berufsrichtern strafrechtliche Sachverhalte entscheiden, existieren beispielsweise in Frankreich, Schweden und der Schweiz.5 Daneben gibt es Konzepte von Laienbeteiligung, die auf Berufsrichter ganz verzichten und Laien allein entscheiden lassen. Beispiele dafür finden sich in der Schweiz mit den „vollamtlichen Laienrichtern“, die allein in gleicher Weise wie Berufsrichter Recht sprechen6 und in England mit den Justices of the Peace, die an den Magistrates’ Courts eigenständig über Strafsachen entscheiden7. Andere Länder haben sich für Geschworenengerichte entschieden. So blickt bei2
Siehe den Rahmenbeschluss des Europäischen Rates 2002/584/JI; vgl. auch die zu dem im August 2004 in Kraft getretenen deutschen Gesetz über den Europäischen Haftbefehl (BGBl. 2004 I, Nr. 38 S. 1748) ergangene Entscheidung des BVerfG: BVerfG, NJW 2005, 2289; Arndt, Europarecht, S. 31. 3 Vgl. Abl.EG 1999 Nr. L 136, S. 20; Abl.EG 1999 Nr. L 136, S. 1; Kuhl/Spitzer, EuR, 671 (678 f.); Haus, EuZW 2000, 745 (750); Arndt, Europarecht, S. 53. 4 Esser, S. 880; Hatchard/Huber/Vogler, Comparative Criminal Procedure, S. 1; Jung, JuS 2000, 417 (422); Gaede, Fairness, S. 920 ff. 5 Machura, Fairneß und Legitimität, S. 48; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 170. 6 Jescheck, Laienrichtertum in der Strafrechtspflege, S. 244, 249; Machura, Fairneß und Legitimität, S. 48. 7 Machura, Fairneß und Legitimität, S. 49. – Weitere Einzelheiten zu den Magistrates’ Courts ebd., S. 59; Elliott/Quinn, English Legal System; S. 207 ff.
Einleitung
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spielsweise Belgien auf eine lange Tradition der Rechtsprechung durch Geschworene zurück.8 Neu eingeführt wurden Geschworenengerichte in Russland durch die neue russische Verfassung von 1993 und in Spanien im Jahre 1995.9 Die Option des Geschworenengerichtes existiert außerdem in den meisten Nationen, deren Rechtstradition auf das common law zurückgeht.10 Aus dem Formenreichtum der Laienbeteiligung greift die vorliegende Arbeit mit dem deutschen Modell der Beteiligung von Laien als Schöffen gemeinsam mit Berufsrichtern und dem englischen Geschworenengericht zwei Konzeptionen heraus. Die Ursache für die Auswahl gerade dieser beiden Modelle von Laieneinbeziehung ist die Dichotomie ihres Ausgangspunktes in Bezug auf den Modus der Einbeziehung von Laien in die Entscheidungsfindung. Das Modell des deutschen Schöffengerichts beruht auf der Idee, Laien und Juristen kollegial urteilen zu lassen („kooperatives Modell“), während in England eine getrennte Entscheidungsfindung von Berufsrichtern und Laien („separatives Modell“) vorgesehen ist. Die Gemeinsamkeit der beiden Konzepte besteht darin, dass sie sowohl Laien als auch Berufsrichter in den Prozess der Entscheidung von Strafsachen einbinden. Dabei treten die Laien und Berufsrichter in eine Beziehung zueinander. Im Rahmen dieser Arbeit ist die Frage von besonderem Interesse, welcher Bedeutung dieser Beziehung für die Entscheidung strafrechtlicher Sachverhalte zukommt. Aus diesem Grund werden hier Modelle, die eine Entscheidung durch Laien allein vorsehen, nicht mit einbezogen. Über die Förderung und Vertiefung der Kenntnis englischen Rechts hinaus behandelt diese Arbeit die grundsätzliche Frage nach dem Sinn und Nutzen einer Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege. Dabei wird die Diskussion dieser Frage Erkenntnisse aufzugreifen haben, die bei der Untersuchung des deutschen und des englischen Modells der Laienbeteiligung gewonnen worden sind. In der vorliegenden Arbeit wird demnach die Laienbeteiligung im Strafverfahren konkret anhand ihrer Ausgestaltung in den beiden betrachteten Rechtsordnungen behandelt. Die diesbezügliche Analyse erforscht, inwieweit die jeweilige Ausprägung von Laienbeteiligung bestimmte, vorgegebene Parameter erfüllen kann. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, wie Laienbeteiligung unter den Bedingungen des modernen Strafverfahrens gestaltet wird und welches Rollenverständnis zeitgemäßer Laienbeteiligung zugrunde liegen kann. Es ist danach zu fragen, was Laienbeteiligung in der heutigen Strafgerichtsbarkeit leisten kann. Weitergehend richtet sich das Erkenntnisinteresse dieser Fragestellung auf die Möglichkeiten des Austausches und gegenseitigen Lernens zwischen dem englischen und deutschen Recht im Bezug auf die Beteiligung von Laien an Strafverfahren. Nachdem die 8 Jung, FS LG Saarbrücken, S. 326; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 170; Traest, Jury in Belgium, S. 27 ff. 9 Eingehend dazu: Thaman, Catalyst, S. 394 ff.; Thaman, LCP 1999, 233 (238 ff.). – Einzelheiten zur russischen Jury in: Nemytina, Trial by Jury, S. 365 ff. 10 Glendon/Gordon/Carozza, Legal Traditions, S. 250. – Eine Übersicht über Laienbeteiligung im Commonwealth in: Vidmar, CrimLF 13 (2002), 385 ff.
Einleitung
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in England und Deutschland verwendeten Modelle der Laienbeteiligung einen grundsätzlichen Unterschied im Ansatz verkörpern, der sich so auch im gesamteuropäischen Maßstab wieder findet, ergibt sich am Ende der Arbeit die Gelegenheit, die Möglichkeit gegenseitigen Lernens auch im europäischen Maßstab anzusprechen. Die Bearbeitung der beiden Grundthemen dieser Arbeit – der Förderung gegenseitigen Verstehens zwischen englischem und deutschem Recht und der Diskussion der Rolle von Laien im heutigen Strafverfahren – erfolgt in drei Schritten. Die Arbeit als Ganze ist demgemäß in drei thematische Hauptteile aufgegliedert. Zu Anfang der Arbeit richtet sich der Blick in die Vergangenheit und verfolgt die historische Entwicklung der Heranziehung von Laien in Strafverfahren in England und Deutschland bis in die Gegenwart. Ausgangspunkt dafür ist die Überlegung, dass Recht nie völlig neu entsteht, und Rechtsinstitute, die vermeintlich neu geschaffen werden, stets ihre Grundlage in Traditionen finden und auf den Fundamenten bereits bestehenden Rechts aufbauen. Das Verständnis von Recht setzt infolge dessen auch die Kenntnis seiner Entstehung voraus. Erst die Einbeziehung von Gesichtspunkten der historischen und ideengeschichtlichen Entwicklung ermöglicht es, die Materie des geltenden Rechts angemessen zu begreifen. Dies gilt umso mehr bei Fragen, welche die rechtliche Einkleidung des Strafverfahrens betreffen, denn „mehr noch als das materielle Strafrecht tragen die rechtlichen Formen des Strafprozesses die Spuren seiner Geschichte“11. Das Augenmerk konzentriert sich hier auf die Frage, entlang welcher Linien sich die Beteiligung von Laien in Deutschland und England entwickelte, bis sie ihre heutige Ausprägung erreichte. Der erste Hauptteil dient im Wesentlichen der Untersuchung von drei Fragestellungen. Es soll darin geklärt werden, welche politischen, gesellschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Mechanismen sich als prägend für den Evolutionsprozess der Laienbeteiligung erwiesen. Ferner ist zu untersuchen, welche ideengeschichtlichen Denkmodelle bei der Entstehung des Instituts der Laienbeteiligung, seiner Weiterentwicklung und systematischen Definition mitgewirkt haben. Schließlich soll den Veränderungen nachgegangen werden, welche die Rollendefinition von Laien im Lauf ihrer Entwicklung erfuhr. Im Anschluss an die historische Übersicht folgt eine Darstellung der wesentlichen Bestimmungen des geltenden Rechtes der Laienbeteiligung im Strafverfahren in Länderberichten zu England und Deutschland. Die Betrachtung bewegt sich entlang eines gedanklichen Leitfadens, der von der Art der Einbindung von Laien als grundsätzlichem Unterschied in der Beteiligungsform des deutschen und des englischen Systems gebildet wird. Die Auseinandersetzung mit dem Recht der Laienbeteiligung dient dazu, die Aufmerksamkeit auf zentrale Punkte bei der Umsetzung des Gedankens von der Einbeziehung juristischer Laien in den Prozess der Urteilsfindung in Strafverfahren zu lenken. Es sollen damit die Fragen beantwortet werden, welche Bedeutung der Beteiligung von Laien im heutigen englischen und 11
Grünhut, FS v. Weber, S. 343.
Einleitung
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deutschen Strafverfahren zukommt und welche Entwicklungstendenzen sich daraus für künftige Entwicklungen ablesen lassen. Im dritten – rechtsvergleichenden – Hauptteil dieser Arbeit werden die in den beiden vorangegangenen Teilen gefundenen Ergebnisse analytisch verarbeitet und vergleichend gegenübergestellt. In diesem Teil werden somit die beiden ersten Teile thematisch zusammengeführt, und es wird auf den dort gewonnenen Grundlagen aufgebaut. Analog zu den vorher behandelten Themengebieten erstreckt sich der Vergleich auf die Bereiche der historischen Rechtsentwicklung und der derzeit geltenden Normen. Dieser Teil verfolgt das Ziel, aus der Zusammenfügung bisher erreichter Erkenntnisse Schlussfolgerungen zu ziehen, die über den reinen Vergleich hinausweisen und selbst einen Erkenntnisfortschritt hinsichtlich der Rolle von Laien in Strafverfahren bedeuten. Entsprechend diesen Vorgaben werden im dritten Hauptteil zunächst die historische und ideengeschichtliche Entwicklung der Laienbeteiligung im englischen und deutschen Strafverfahren gegenübergestellt und verglichen. Dies ermöglicht eine Bewertung der Gründe für die Verankerung der jeweiligen Konzeptionen von Laienbeteiligung innerhalb ihres Rechtssystems. Ferner wird die Gegenüberstellung zeigen, wann sich das deutsche und das englische Recht in der Vergangenheit überschnitten, gegenseitig beeinflussten und voneinander lernten. Diese retrospektive Betrachtung ist darauf gerichtet, Einsichten zu gewinnen, die eine Prognose zu künftigem gegenseitigen Lernen und denkbaren Rechtsangleichungen ermöglichen sollen. Anschließend wird das geltende Recht bezüglich der Laienbeteiligung verglichen. Zunächst geht es dabei um eine wertende Einordnung des geltenden Verfahrensrechts. Dies geschieht unter bewusster Inkaufnahme der Gefahr, dass eine Abwägung von Vor- und Nachteilen ein verzerrtes Bild ergeben kann, wenn sie anhand von Maßstäben aus einem fremden System vorgenommen wird. Daher bemüht sich das rechtsvergleichende Kaptitel um ein objektives Bezugssystem. Denn der Sinn und Zweck des Rechtsvergleiches ist es nicht, die englische oder die deutsche Form der Einbindung von Laien in die strafprozessuale Entscheidungsfindung als vermeintlich bessere herauszustellen. Im Mittelpunkt des Vergleichs des geltenden Rechts steht dabei die Frage, was Laienbeteiligung heute bewirken kann. Zum Zweck des Rechtsvergleichs lässt sich diese Frage vorläufig mit zwei Hypothesen beantworten: „Laienbeteiligung ist ein demokratisches Element in der Rechtsprechung“ und „Laien tragen zur Verbesserung der Qualität der Rechtsprechung bei“. Diese Antworten stehen einerseits für eine theoretische und eine praxisorientierte Begründung von Laienbeteiligung. Andererseits umfassen sie diejenigen Argumente, die traditionell bei der Auseinandersetzung um Laienbeteiligung vorgebracht werden. Sie bilden das gedankliche Koordinatensystem innerhalb dessen die Laienbeteiligung in England und Deutschland bewertet werden soll. Die Bewertung soll einerseits die Verifizierung oder Falsifizierung der hypothetisch gegebenen Antworten möglich machen. Die Fähigkeit der beiden be-
30
Einleitung
trachteten Rechtsordnungen, die beiden hypothetischen Antworten mit Inhalt zu füllen, dient andererseits aber auch als Maßstab dafür, inwieweit die in Deutschland und England jeweils praktizierte Einbindung von Laien in Strafverfahren als tragfähige Basis für die Beibehaltung der Laienbeteiligung im 21. Jahrhundert zu dienen geeignet ist. Am Schluss dieser Arbeit sollen Folgerungen aus den gefundenen Erkenntnissen im Hinblick auf ein mögliches künftiges Verständnis der Rolle von Laien im Strafverfahren gezogen werden. Darüber hinaus wird ein Ausblick auf die Frage nach einer möglichen künftigen institutionellen Beschaffenheit der Laienbeteiligung sowie denkbaren Entwicklungen der Formen von Entscheidungsfindung im Strafverfahren mit Laienbeteiligung im europäischen Maßstab eröffnet.
1. Teil
1
Die Geschichte der Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit in England und Deutschland 1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit Die historische Betrachtung der Teilhabe von Laien in Strafverfahren verfolgt das Ziel, den Weg des Gedankens von einer Laienbeteiligung an der Rechtsprechung in Strafsachen und ihrer konkreten Ausgestaltung durch die Geschichte der deutschen und der englischen Gerichtsverfassung nachzuzeichnen. Im Mittelpunkt dieses ersten Teils der vorliegenden Arbeit steht demnach die Frage, wie die Herausbildung der unterschiedlichen Verfahrensmodelle in England und in Deutschland verlief. In zeitlicher Hinsicht setzen die Darstellungen bereits zu einer Zeit an, in der von einem Strafverfahren im heutigen Sinne nicht gesprochen werden konnte. Dies erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass die Täter als Unrechtsfolge keine Strafe im heutigen Sinne traf. Von einer Strafe, wie wir sie heute kennen, kann vielmehr erst seit ungefähr der Mitte des 12. Jahrhunderts gesprochen werden, als ein tief greifender geistiger Wandel in ganz Europa dazu führte, dass aus einer Sanktionierung der Tat eine Bestrafung des Täters wurde.1 Gleichwohl ist es im Rahmen dieser Arbeit unverzichtbar, auch frühe Formen des gesellschaftlichen Umgangs mit Delinquenz einzubeziehen, weil erst die Kenntnis dieser Mechanismen der Analyse der späteren Entwicklung eine gesicherte Basis verleiht. Innerhalb der chronologisch strukturierten Beschreibung der verschiedenen Entwicklungsphasen der Laienbeteiligung wird vertiefend darauf einzugehen sein, welche Faktoren, Mechanismen und Einflüsse bei der Entstehung, Weiterentwicklung und systematischen Definition der heutigen Rechtsinstitute der Geschworenengerichte und der Schöffengerichte wirkten und welche sich letztlich als entscheidend erwiesen. Weitergehend beschäftigt sich dieser Teil mit den ideengeschichtlichen Linien und rechtsphilosophischen Konzepten, die hinter dem Institut des Laien als Urteilsfinder im Strafverfahren im Verlauf der Geschichte zutage traten. Die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung verfolgt drei zentrale Anliegen. Sie soll es zum einen ermöglichen, eventuelle Kontinuitäten in der Entwicklung der Laienbeteiligung auch über rechtshistorische Bruchlinien hinweg zu verfolgen bzw. das Auftauchen neuer Ideen zu erkennen. Zum zweiten sollen die Gründe für Weichenstellungen in der Rechtsgeschichte, die Veränderungen in der Entwicklung verursachten, freigelegt und analysiert werden. Besonderes Augen1
Vgl. Achter, Strafe, S. 111.
32
1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
merk gilt sowohl den Veränderungen in der Gerichtsverfassung und des prozessualen Regelwerkes, in das die Laienbeteiligung jeweils eingebettet war, als auch den Wechselwirkungen dieses Vorganges mit dem gesellschaftlichen und politischen Wandel im Verlauf der Geschichte. Drittens soll der historische Abriss auch die Fundamente für die Darstellung des geltenden Rechts im zweiten Teil der Arbeit legen und ist insofern Ausgangspunkt für die im vergleichenden Teil vorzunehmende Gesamtschau der geschichtlichen Entwicklung.
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
Gemäß dem Thema der vorliegenden Arbeit ist die hier zu betrachtende historische Entwicklung der Laienbeteiligung in England und Wales identisch mit der Entstehung, Entfaltung und dem weiteren Schicksal des trial by jury, der Entscheidung eines strafrechtlichen Sachverhalts durch zwölf Personen ohne Beteiligung eines rechtsgelehrten Richters. Der Abriss der Historie der Jury schließt notwendigerweise auch ihre Grundlagen und Genese mit ein. Der vorliegende Abschnitt beginnt demgemäß mit einer Darstellung der Zeit, bevor die Jury die rechtshistorische Bühne betrat. Daran anschließend rückt das Werden der Jury als einer Einrichtung zur eigenständigen Beurteilung von Schuld und Unschuld im Strafverfahren in den Mittelpunkt. In dem Maße, wie dieses Kapitel der Entwicklung der Jury durch die Jahrhunderte folgt, wird gezeigt werden, wie gesellschaftliche Veränderungen, politische Auseinandersetzungen und die Ideen englischer Rechtsdenker auf das Profil der Jury einwirkten und ihre Rolle im Strafverfahren beeinflussten. Schließlich sollen Veränderungen in der jüngsten Zeit dargestellt werden.
I. Frühe Formen der Konfliktverarbeitung in Streitfällen bei Kelten, Römern und Angelsachsen Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich mit den Anfängen von Verfahren zur Verfolgung von Straftaten in England und versucht dabei, Prinzipien zu erforschen, durch die das frühzeitliche Gerichtsverfahren geprägt war. Zugleich sollen Traditionen herausgearbeitet werden, welche über das Potential verfügten, für die spätere Herausbildung der Jury Bedeutung zu gewinnen. Chronologisch beginnt dieses Kaptitel bei den Kelten und Römern, sein inhaltlicher Schwerpunkt liegt jedoch in der Zeit der Blüte der angelsächsischen Herrschaft von ca. 800 bis 1066. Diese Gewichtung ergibt sich aus der Quellenlage zu dieser Zeit sowie dem Umstand, dass insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert die Wiege der Geschworenengerichte in der angelsächsischen Zeit gesehen wurde.
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
33
1. Das Erbe der Kelten und Römer Identifizierbare Spuren der keltischen Rechtspflege sind in der gegenwärtigen Zeit nicht mehr vorhanden, so dass über die Rechtskultur der Kelten nichts Profundes auszusagen ist.2 Das gleiche gilt für das römische Recht, das seit der endgültigen Eroberung Englands durch Claudius im Jahr 43 unserer Zeitrechnung das Leben der Bewohner Englands bestimmte. Nach dem Rückzug der Römer aus Britannien ab dem Jahr 430 geriet das römische Recht in Vergessenheit, so dass davon auszugehen ist, dass es keinen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Rechtsformen in England gehabt hat.3 Ungeachtet des Verschwindens konkreter rechtlicher Formen hinterließen sowohl Kelten als auch Römer den späteren Generationen ein Erbe. Die Hinterlassenschaft aus keltischer Zeit bestand in der Tradition, Streitigkeiten in Versammlungen, die periodisch zusammen traten, zu besprechen und einer Lösung zuzuführen.4 Als bedeutendstes Erbe der römischen Besatzung erwies sich die christliche Religion und Kirche. Die Nachfolger der Römer, die Angelsachsen, konnten sich beim Aufbau von Verwaltung und Rechtspflege auf die klerikalen Strukturen stützen, weil die Geistlichen insbesondere in der für die Herausbildung von Herrschaftsstrukturen wichtigen Kunst des Lesens und Schreibens ausgebildet waren.5
2. Die angelsächsische Zeit Als Einführung in die rechtliche Welt der Angelsachsen dient am Anfang dieses Kapitels eine Erläuterung der Strukturen von Rechtsprechung und Verwaltung. Danach werden die Ziele und Verfahrensweisen des angelsächsischen Gerichtsverfahrens besonders hinsichtlich der Art und Weise der Entscheidungsfindung und der verhängten Sanktionen in den Blick genommen werden. Schließlich sollen anhand der Frage, ob es sich bei der Berufung auf angelsächsische Wurzeln der Jury um eine begründete These oder einen rechtshistorischen Mythos handelt, konkret Entwicklungslinien erforscht werden, die eventuell die Entscheidungsfindung angelsächsischer Prägung mit dem späteren trial by jury verbinden.
2 Die überlieferten Kenntnisse von den Sitten und Gebräuchen der keltischen Bewohner Englands sind nur fragmentarisch. Zudem stammen sie auf Grund der mündlichen Tradition der Kelten meist nicht von ihnen selbst, sondern von römischen Autoren, die über die Bewohner der Provinz Britannien berichteten (z. B. Julius Cäsar der von 55 bis 54 v. u. Z. Feldzüge nach Britannien unternahm); vgl. Blair, Anglo-Saxon Age, S. 10; Turner, Angevin England, S. 45. 3 Baker, Legal History, S. 2; Curzon, Legal History, S. 3. 4 Baker, Legal History, S. 4. 5 Maurer, Geschichte Englands, S. 14.
1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
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a) Rechtsprechung und Verwaltung in den angelsächsischen Königreichen Der Abzug der Römer wurde von einer Einwanderungsbewegung germanischer Stämme begleitet, welche die keltische Urbevölkerung unterwarfen bzw. verdrängten.6 Die ursprünglich verschiedenen Völkern entstammenden Eroberer verschmolzen letztlich miteinander zum Volk der Angelsachsen, die mehrere Königreiche gründeten.7 Eine einheitliche Zentralgewalt entstand in England jedoch erst ab dem 9. bzw. 10. Jahrhundert, als König Alfred der Große (959–975) unter dem Druck dänischer Angriffe aus den territorial eng begrenzten angelsächsischen Königreichen ein einheitliches Reich formte.8 Die endgültige Einigung erfolgte schließlich im Jahre 1017, als der Däne Knut zum König von ganz England gekrönt wurde.9 Auf diese Weise hatte das England des 11. Jahrhunderts in weiten Teilen diejenigen geographischen Grenzen erreicht, welche wir auch heute vorfinden.10 In dem Maße, wie sich die Zentralgewalt festigte, wurde ein Verwaltungssystem organisiert, dessen Organe Versammlungen der Bewohner eines bestimmten Gebietes waren, die regelmäßig zur Beratung aktueller Fragen der Verwaltung und der Rechtsprechung zusammen kamen. Die Ursprünge dieser Versammlungen reichten sowohl bezüglich ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit als auch des Ortes ihrer Durchführung bis in die prähistorische Zeit zurück.11 Die Versammlungen hatten unter anderem die Funktion von Gerichtshöfen, weil die Bereiche der Rechtsprechung und der Verwaltung nach damaligem Verständnis nicht getrennt waren. Der im Folgenden skizzierte Verwaltungsaufbau kann somit auch als eine Beschreibung der Gerichtsverfassung gesehen werden12. Die unterste Verwaltungsebene bildeten die tithings. Idealtypisch bestanden diese aus zehn freien Männern, die zehn Familien repräsentierten. In Wirklichkeit waren die tithings wahrscheinlich identisch mit einem Dorf. Aus zehn tithings setzten sich die so genannten hundreds bzw. wapentakes13 als nächst größere Einheiten zusammen. Große Städte wie beispielsweise London bildeten eigene Verwaltungseinheiten, genannt borough, die in ihrer Bedeutung den hundreds vergleichbar waren. Innerhalb der hundreds oder boroughs entschieden wiederum Versammlungen unter dem Vorsitz eines hundredman oder thegn über lokale An6
Curzon, Legal History, S. 3 f. Diese Völker waren die Angeln, Sachsen und Jüten; vgl. Curzon, Legal History, S. 3 f. – Die erwähnten Königreiche trugen die Namen Kent, Wessex, Essex, Sussex, Northumbria, Mercia und East Anglia; vgl. Curzon, Legal History, S. 4. 8 Curzon, Legal History, S. 5. 9 Curzon, Legal History, S. 5; Maurer, Geschichte Englands, S. 19. 10 Baker, Legal History, S. 7. 11 Baker, Legal History, S. 4. 12 Die folgenden Angaben sind der Darstellung in: Baker, Legal History, S. 7 ff. sowie Curzon, Legal History, S. 7 ff. entnommen. Sie entsprechen einem Stand, den die Entwicklung erst ab dem 10. Jahrhundert erreichte. 13 Die Bezeichnung wapentake war in den von Dänen besiedelten Landesteilen, in denen ein danelaw genanntes Partikularrecht galt, gebräuchlich. 7
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
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gelegenheiten. Die größten territorialen Untergliederungen des angelsächsischen Reiches waren die shires. Diese unterstanden einem so genannten earldorman bzw. earl, der auch die zweimal jährlich stattfindenden Versammlungen des shire, den scir gemot oder shire moot leitete. An der Spitze der Verwaltung stand der König. Seine hervorgehobene Position wird besonders daran deutlich, dass er in den shires durch einen von ihm eingesetzten Grafschaftsvogt (scir gerefa oder sheriff) direkt Einfluss auf das Geschehen innerhalb der Grafschaft nehmen konnte. Beim politischen Tagesgeschäft wurde der König vom königlichen Rat, dem witan oder witenagemot, unterstützt.14 Der Rat fungierte auch als das oberste Gericht des Landes.
b) Das angelsächsische Gerichtsverfahren Bereits in der Anfangszeit der angelsächsischen Reiche (ab Ende des 5. Jahrhunderts) konnten Streitfälle in Versammlungen der freien Männer vorgebracht und geschlichtet werden. Derartige Versammlungen gab es in allen tithings, hundreds und shires. Den Vorsitz bei diesen Treffen führte ein Adliger oder angesehener Einwohner, genannt doomsman, reeve oder shire-man, welcher jedoch bei der Entscheidung keine Stimme hatte.15 Bei einer Entscheidung stimmten ursprünglich alle freien Männer ab. Später wurde die Aufgabe, eine Entscheidung zu treffen, auf ein Gremium von Urteilsfindern übertragen, das stellvertretend für die Gemeinschaft stand. Die Angehörigen dieser Körperschaft (thanes) waren angesehene Männer, die das Vertrauen der Gemeinschaftsmitglieder genossen und denen daher die Wahrung des Rechtes anvertraut wurde.16 Mit wachsender Akkumulation von Macht beim König, etwa ab der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert, wurden die Verfahren zur Streitschlichtung zunehmend zentralisiert, indem der König die Verfolgung bestimmter Taten für sich selbst in Anspruch nahm. Dies war zum einen von dem Wunsch motiviert, den inneren Frieden zu wahren. Einen weiteren Antrieb dürfte der Umstand gebildet haben, dass der König einen Teil des Wergeldes für sich reklamieren konnte.17 Ermöglicht wurde diese Zentralisierung durch die machtvolle Position, die der König im Verlauf der, durch Abwehrkämpfe gegen äußere Feinde erzwungenen, Einigung Englands errungen hatte. Gegen Ende der angelsächsischen Zeit wurde bereits ein großer Teil der Streitschlichtung im Namen des Königs vorgenommen und den Vorsitz bei den Gerichtstagen führten königliche Beamte.18 Eine grundsätzliche Veränderung im Verfahren brachte diese Entwicklung jedoch nicht. 14 15 16 17 18
Das angelsächsische Wort für König lautete cyning; vgl. Curzon, Legal History, S. 8. Forsyth, Trial by Jury, S. 76; Baker, Legal History, S. 4 f. Forsyth, Trial by Jury, S. 7, 56, 76; Baker, Legal History, S. 9. In diesem Sinne: Baker, Legal History, S. 11. Forsyth, Trial by Jury, S. 50.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
aa) Das Verfahren der Entscheidungsfindung Die Regeln, welche den Ablauf des Verfahrens bestimmten, waren nicht festgeschrieben. Richtschnur waren die sich ständig verändernden und von Gegend zu Gegend unterschiedlichen Sitten und Gebräuche. Mit der Zeit verfestigten sich die Rechtsbräuche in den einzelnen Gebieten zu verschiedenen Partikularrechten.19 Die Partikularrechte wurden folk-right oder folcriht genannt. Für einen im Osten Englands gelegenen Teil des angelsächsischen Reiches, der hauptsächlich von eingewanderten Dänen bewohnt war, galt ein besonderes, danelaw genanntes, Recht. Angestrebt wurde stets die Schlichtung des Streites in der Form einer Einigung der streitenden Parteien, mithin die friedliche Bewältigung von Konflikten durch Vermeidung von Selbsthilfe im Wege der Fehde bzw. Blutrache.20 Konnte keine einvernehmliche Lösung gefunden werden, so beschlossen die freien Männer der Gemeinschaft als Urteilsfinder, auf welche Weise sich die beschuldigte Partei von dem gegen sie erhobenen Vorwurf reinigen sollte. Die Tätigkeit der Gerichtsversammlung endete folglich mit der Entscheidung über die Art des zu führenden Beweises. Die Sache selbst wurde durch dieses Beweisurteil nicht entschieden. Bei diesem nicht auf rationaler Sachverhaltserforschung basierenden Verfahren stand der Beweis in Form des Reinigungseides oder des Gottesurteils bzw. Ordals nicht am Anfang des Prozesses sondern an dessen Ende.21 Die Entscheidung einer Streitigkeit durch einen Beweis bezog ihren inneren Sinn durch den starken religiösen Bezug der verwendeten Beweise. Sowohl beim Reinigungseid, als auch beim Ordal war Gott quasi selbst präsent.22 Sein Einfluss konnte selbstverständlich keiner Beweiswürdigung unterliegen. Folglich war die oben angesprochene Zentralisierung nicht gleichbedeutend mit dem Entstehen einer Strafe nach heutigem Verständnis, da sich die Basis, aufgrund derer die Unrechtsfolge verhängt wurde, nicht änderte.23 Für den Reinigungseid genügte es, wenn der Beschuldigte mit Unterstützung durch Eidhelfer (compurgnators) schwor, dass er die in Rede stehende Tat nicht begangen habe.24 Gelang es nicht, die vorher festgelegte Anzahl compurgnators beizubringen, oder war der Weg des Reinigungseides grundsätzlich verschlossen, so entschied ein Ordal über Schuld oder Unschuld.25 Angelsächsische Gottesurteile wurden als Feuer- oder Wasserordal durchgeführt. Bei ersterem musste ein Stück glühendes Eisen angefasst werden. Die Hand wurde anschließend verbun19
Baker, Legal History, S. 3, 27. Vgl. Baker, Legal History, S. 4 f. 21 Baker, Legal History, S. 4. 22 So Pollock/Maitland, History II, S. 600. 23 Achter, Strafe, S. 17. 24 Pollock/Maitland, History II, S. 600. 25 Reinigungseide wurden nicht angewendet, wenn der Beschuldigte auf frischer Tat betroffen wurde, oder der Beschuldigte als Meineidiger bekannt war; vgl. Curzon, Legal History, S. 13; Forsyth, Trial by Jury, S. 66. 20
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
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den und ein paar Tage später untersucht. War die Wunde vereitert, wurde dies als Entscheidung zuungunsten des Betreffenden gewertet. Das Wasserordal bestand darin, dass der Beschuldigte gebunden in Wasser geworfen wurde. Sank er unter, bedeutete dies, dass das reine Wasser ihn als Unschuldigen angenommen hatte, woraufhin er schnellstmöglich wieder aus dem Wasser gezogen wurde.26 Obwohl das Ordal heidnischen Ursprungs war, spielten bei seiner Durchführung christliche Riten eine wichtige Rolle. Insbesondere bedurfte es der Teilnahme eines Geistlichen, um einem Ordal zur Gültigkeit zu verhelfen.27
bb) Der Ausgang des Verfahrens und die verhängten Sanktionen Die Irrationalität der verwendeten Beweise scheint auf den ersten Blick eine externe Einflussnahme auf den Verfahrensausgang unmöglich gemacht zu haben. Einige Autoren wie Baker sowie Pollock und Maitland vermuten jedoch, dass die Urteilsfinder den Ausgang des Verfahrens beeinflussen konnten.28 Dies geschah einesteils durch die Festlegung der Beweisart. Es war leichter, einen Reinigungseid zu schwören, als sich einem Ordal zu unterziehen. Zudem konnte auch die Durchführung des Beweises manipuliert werden, indem beispielsweise das Eisen nicht erhitzt wurde. Die lokale Gemeinschaft, deren Wille sich in den Versammlungen manifestieren konnte, hatte so die Möglichkeit, die „Bestrafung“ von Missetätern zu steuern. Der Begriff der „Bestrafung“ darf hier freilich nicht in dem Sinne verstanden werden, der ihm nach heutiger Auffassung gegeben wird. Die meisten Delikte wurden durch eine materielle Kompensation sanktioniert, die dem materiellen Ausgleich des erlittenen Schadens zu dienen bestimmt war. Selbst die Tötung eines Menschen konnte durch die Zahlung des so genannten Wergeldes (wergild oder man-bot), dessen Höhe sich nach dem sozialen Status des Getöteten richtete, gesühnt werden.29 Die Todesstrafe oder die Strafe der Ausstoßung aus der Gemeinschaft waren selten und standen im Zusammenhang mit sakralen Delikten oder solchen Vergehen, welche die Gemeinschaft selbst schädigten.
c) Die angelsächsischen Wurzeln der Jury – ein rechtshistorischer Mythos? Über lange Zeit wurden direkte Verbindungslinien von der angelsächsischen Zeit zur Jury gezogen.30 Die Frage ist jedoch, welche angelsächsischen Einrich26
Vgl. Baker, Legal History, S. 5; Forsyth, Trial by Jury, S. 67. Plucknett, Concise History, S. 111; Hostettler, Jury Old and New, S. 19. 28 Pollock/Maitland, History II, S. 603; Baker, Legal History, S. 6. 29 Griffiths, Early English Law, S. 32 ff.; Forsyth, Trial by Jury, S. 48. 30 Vgl. z. B. Blackstone, Commentaries IV, Rn. 414. – Zur politischen Motivation dieses Ansatzes siehe: Green, Verdict, S. 381; Plucknett, Concise History, S. 105. 27
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
tungen als Wurzeln der Jury in Frage kommen. Die Tradition der Jury könnte sich zunächst auf die Urteilsfinder zurückverfolgen lassen. Diese Annahme gründet sich auf ein im Jahre 997 durch König Ethelred erlassenes Gesetz, in dem die Rede davon ist, dass sich in jedem wapentake 12 Urteilsfinder (thanes) unter dem Vorsitz eines Adligen oder besonders angesehenen Einwohners (reeve) in bestimmten Abständen versammeln sollten, um über Störungen des Friedens zu beraten.31 Diese Einrichtung hatte ihre Wurzeln wahrscheinlich in ähnlichen skandinavischen Bräuchen.32 Es ist jedoch anzunehmen, dass sie nur für die von Dänen bewohnten Landesteile eingesetzt war und daher keine umfassende Anwendung fand.33 Außerdem legten die Urteilsfinder zwar die Art des Beweises fest, sie trafen jedoch keine Entscheidung in der Sache. Bei einem Verfahren, in dem die Entscheidung in der Sache dem verwendeten Beweis bereits immanent war, bestand kein Bedarf für ein Organ zur Würdigung des Beweises, wie die Jury eines ist. Mit Blick auf die Eidhelfer bzw. compurgnators als mögliche Vorgänger der Jury ist festzuhalten, dass die eigentliche Rolle der Eidhelfer die von Leumundszeugen war, weil sie nur die Wahrheit des vom Beschuldigten geleisteten Eides beschworen. Durch ihren Eid brachten die Eidhelfer daher nur zum Ausdruck, dass sie dem Beschuldigten keinen Meineid zutrauten.34 Mithin mussten sie auch keine Kenntnisse von dem tatsächlich umstrittenen Sachverhalt haben. Darüber hinaus war die Mitwirkung einer vorher bestimmten Anzahl von Eidhelfern zwar für die Gültigkeit des Reinigungseides ausschlaggebend, jedoch trafen die Eidhelfer als Charakterzeugen keine Entscheidung in der Sache.35 Als Zeugen einer Partei waren sie außerdem keine neutrale Instanz, sondern einseitig festgelegt. Die Eidhelfer bzw. compurgnators kommen folglich nicht als Vorgänger der Jury in Betracht. Mit dem System der so genannten frithborh, bzw. frankpledge kommt noch eine weitere Institution des Rechtes im Reich der Angelsachsen als Vorgänger der Jury in Betracht. Die Essenz der Einrichtung der frithborh oder auch frankpledge war die an die Mitglieder einer örtlichen Gemeinschaft gerichtete Erwartung, dass sie 31 Hostettler, Jury Old and New, S. 17; Forsyth, Trial by Jury, S. 46; Plucknett, Concise History, S. 105. 32 Forsyth, Trial by Jury, S. 46; Plucknett, Concise History, S. 106. 33 In den von Dänen bewohnten Landesteilen galt, wie bereits vermerkt wurde, das danelaw als Partikularrecht; vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 18; Pollock/Maitland, History I, S. 142. 34 Forsyth, Trial by Jury, S. 62; Eine direkte Verbindung zwischen Eidhelfern und Geschworenengericht sieht: Mayer, Geschworenengericht und Inquisitionsprozeß, S. 287. 35 Im Bezug auf die Eidhelfer bzw. compurgnators wurde diese Vermutung u. a. daran festgemacht, dass ihre Anzahl normalerweise 12 Personen betrug; vgl. Maurer, Freipflege, S. 38, 51; Forsyth, Trial by Jury, S. 69. – Die Anzahl variierte jedoch nach der Art des Vorwurfes, dem Rang des Anklägers sowie danach, ob der Beschuldigte in der Vergangenheit bereits falsch geschworen hatte; vgl. Pollock/Maitland, History II, S. 601; Forsyth, Trial by Jury, S. 63; Mayer, Geschworenengericht und Inquisitionsprozeß, S. 130 f.
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
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gegenseitig für ihr Wohlverhalten einstanden. Das schloss die Pflicht ein, einen Mitgenossen, der ein Verbrechen begangen hatte, festzunehmen und einer gerechten Beurteilung seiner Tat zuzuführen.36 Auf diese Weise konnten innerhalb einer frankpledge-Gemeinschaft Verbrechen aufgeklärt und der Friede wieder hergestellt werden. Angesichts fehlender Strukturen zur Strafverfolgung war das Funktionieren des Zusammenlebens davon abhängig, dass solche kleinteiligen Mechanismen zur Verfolgung von Übeltätern und zur Aufrechterhaltung des Friedens bestanden. Einzelne Mitglieder der frankpledge-Gruppe wurden überdies verpflichtet, als Gerichtszeugen aufzutreten. Die Gerichtszeugen waren Männer aus der nachbarlichen Gemeinschaft, die bei einem Gerichtstag unter Eid Zeugnis darüber ablegen mussten, ob beispielsweise ein bestimmtes Geschäft getätigt worden war oder ein Grundstück einer bestimmten Person gehörte.37 Weil zu keinem Zeitpunkt eine echte Sachentscheidung von den Mitgliedern einer frankpledge-Gemeinschaft gefordert wurde, kann keine Verbindung zwischen frankpledge und Jury festgestellt werden38. Nach diesen Erörterungen ist festzuhalten, dass die Angelsachsen keine Geschworenenjuries kannten39. Gleichwohl ist es möglich, Gedanken im angelsächsischen Verfahren zu identifizieren, die der weiteren Entwicklung hin zur Prozessjury als Grundlage dienten. Was von den angelsächsischen Institutionen blieb, war der Gedanke, zur Beilegung von Streitfällen Menschen aus der unmittelbaren Umgebung des Versammlungsortes heranzuziehen. Aufgrund ihrer Nähe zum Geschehen konnten diese Personen ihre Kenntnisse regionaler Besonderheiten und ihre gesellschaftliche Stellung bei der Konfliktlösung einbringen. Damit ist die eigentliche Traditionslinie zwischen Eidhelfern, Urteilsfindern und dem System der frithborh oder frankpledge auf der einen und der Jury auf der anderen Seite nicht in einer Kontinuität der Verfahren, sondern in einem Fortbestehen traditioneller Konzepte zu sehen. Obwohl sich die angelsächsische Jury in der Tat als ein rechtshistorischer Mythos darstellt, erweist sich die Beteiligung der örtlichen Gemeinschaft an der Strafverfolgung als prägende Tradition angelsächsischer Rechtspflege, die später auch die englische Jury beeinflusste.
3. Zusammenfassung Den frühen Formen der Entscheidungsfindung war gemeinsam, dass keine auf Erforschung der materiellen Wahrheit gerichtete Sachverhaltsaufklärung betrieben wurde, sondern sich die Entscheidung des Gerichts auf die Festlegung der Art 36
Maurer, Freipflege, S. 16, 22; Forsyth, Trial by Jury, S. 51. Baker, Legal History, S. 86. 38 Anders noch: Devlin, Trial by Jury, S. 9. 39 Forsyth, Trial by Jury, S. 3; Turner, Angevin England, S. 35; Anderer Meinung war beispielsweise noch im 19. Jahrhundert Blackstone, der annahm, dass die Angelsachsen die Jury gekannt hätten. 37
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
des zu führenden Beweises beschränkte. Der Ausgang des Verfahrens war mit dem Ausgang des Beweises identisch, wodurch eine Entscheidung in der Sache überflüssig wurde. Innerhalb des Gerichtes selbst wurde zwischen einem Leiter der Gerichtsversammlung und denjenigen, welche die Art des Beweises bestimmten, unterschieden. Das Gericht war aus Laien zusammengesetzt, die grundsätzlich der näheren Umgebung des Gerichtsortes entstammten. Somit waren alle Verfahrensbeteiligten Nachbarn. Das gemeinsame soziale Umfeld ermöglichte es den Urteilsfindern, eigenes Wissen mit in ihr Beweisurteil einfließen zu lassen und auf diesem Wege auf den Ausgang des Beweisurteils selbst einzuwirken.
II. Die Herausbildung der Jury Das folgende Kapitel umfasst inhaltlich den Zeitraum von der normannischen Eroberung Englands im Jahr 1066 bis zum Ende des 14. Jahrhunderts. Seinen Schwerpunkt bildet die Entstehung des trial by jury unter der Herrschaft der Könige aus der angevinischen Dynastie40. Die normannische Eroberung bedeutete zwar keine entscheidende Wende in der englischen Rechtsgeschichte, gleichwohl hatte sie Folgen für das Recht in England. Diese sollen hier zuerst beschrieben werden. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht nachfolgend jedoch die Analyse der Herausbildung des trial by jury als historischer Prozess und als Ergebnis von Entwicklungen im rechtlichen Kontext. Die Kernfragen zielen dabei auf die Wurzeln der Jury und die Motive für ihre Entstehung. Dabei soll unter anderem die Frage untersucht werden, warum es die starke Zentralgewalt in England zuließ, dass die Entscheidung über Schuld und Unschuld in die Hände von Personen überging, die der direkten Kontrolle durch die Krone nicht unterlagen. Zudem sind die Gründe dafür aufzuklären, dass das neue Verfahren von den Verfahrensbeteiligten und von der Richterschaft angenommen wurde. Mit einer Charakterisierung des neu entstandenen Verfahrens und seiner Weiterentwicklung im 14. und 15. Jahrhundert schließt das Kapitel.
40 Der Name dieser Dynastie ist abgeleitet von dem französischen Adjektiv angevin, welches „von Anjou“ bedeutet und das Stammland des Geschlechts bezeichnet. Dieses Königshaus ist auch unter dem Beinamen Plantagenet bekannt, der sich von der lateinischen Bezeichnung seines Symbols, eines Ginsterzweiges (lat. planta genista) ableitet. Der Begründer der Dynastie war der englische König Henry II., dessen Krönung am 19.12.1154 als ihre Geburtsstunde gilt. Die Könige dieser Dynastie regierten in England bis zum Ende des 14. Jahrhunderts; vgl. Berg, Anjou-Plantagenets, S. 7 f, 29.
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
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1. Die normannische Eroberung und ihre Wirkung auf das Strafverfahren Die Unterwerfung Englands durch Wilhelm, Herzog der Normandie, im Jahre 1066 war trotz der damit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen im Grunde genommen eine Thronfolge.41 Wilhelm der Eroberer legte Wert darauf, dass er den englischen Thron als der rechtmäßige Erbe König Eduard des Bekenners eingenommen hatte.42 Dieser Umstand erwies sich als entscheidend für eine Kontinuität in vielen Bereichen. Dazu gehörten auch die überlieferten Verfahren der Entscheidungsfindung und die Organisation der Gerichte. Aufbauend auf den traditionellen Rechtsbräuchen entwickelten sich jedoch auch sukzessive neue Formen zur rationalen Aufklärung von Sachverhalten. Die Erscheinungen sowohl der Kontinuität als auch der Neuerungen gilt es im nächsten Schritt zu untersuchen.
a) Zentralisierung des Rechts Die Normannen ließen die hergebrachten Rechte weiter Bevölkerungsteile zunächst unangetastet, um die Befriedung des eroberten Landes zu erreichen.43 Das weitgehend gefestigte und effektive System der Verwaltung und Rechtsprechung in den shires und hundreds erwies sich als solide Basis für die normannische Herrschaft.44 Ferner wurde von den Normannen die bereits seitens der Angelsachsen betriebene Verlagerung der Zuständigkeiten für die Durchführung der Verfahren zur Streitschlichtung von den lokalen Versammlungen hin zu königlichen Gerichten fortgesetzt.45 Dieser Prozess war von dem Interesse der Krone an der Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens durch Errichtung eines Gewaltmonopols und an finanziellen Vorteilen durch die Erhebung von Gebühren und die Beteiligung an Bußgeldern motiviert.46 Die Politik der Monopolisierung der Rechtsprechung führte zu einer Vereinheitlichung des Rechts. In der Konsequenz erwuchs daraus das common law, das allen Freien den Zugang zum Recht ermöglichte.47 41
Glendon/Gordon/Carozza, Legal Traditions, S. 153; ausführlich ferner dazu: Maurer, Geschichte Englands, S. 22. 42 Forsyth, Trial by Jury, S. 79; Stenton, Anglo-Saxon England, S. 561. 43 Eine Verlautbarung (proclamation) Wilhelms des Eroberers aus dem Jahre 1070 beinhaltete diese Aussage; vgl. dazu etwa Forsyth, Trial by Jury, S. 80; Kyriazis-Gouvelis, Magna Carta, S. 14. 44 Blair, Anglo-Saxon Age, S. 59; Baker, Legal History, S. 14. 45 Vgl. Baker, Legal History, S. 9 ff. 46 Baker, Legal History, S. 17. 47 Vgl. Maurer, Geschichte Englands, S. 30. – Entscheidend für den Erfolg der Zentralisierung waren die Vorzüge des Verfahrens vor Königsgerichten für die Beteiligten. Dazu zählten die in den Gerichten verkörperte königliche Autorität, welche die Durchsetzung der erlangten Rechtspositionen garantierte, und die juristisch geschulten Bediensteten des Königs, die befähigt waren, Gerichtsverfahren mit Effizienz durchzuführen; vgl. Plucknett, Edward I, S. 66; Baker, Legal History, S. 17.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
Die Zentrale der königlichen Justiz war die curia regis, die Versammlung der Berater und wichtigen Höflinge des Königs.48 Anfangs folgte die curia dem König bei seinen Reisen durch das Land. Der Umfang der Aufgaben der curia ließ diese Methode jedoch mit der Zeit unpraktisch werden. Daher wurde es in der Mitte des 13. Jahrhunderts üblich, dass mit Justizangelegenheiten befasste Teile der curia regis permanent in Westminster blieben.49 Mit der örtlichen Festlegung ging eine Professionalisierung der curia regis einher.50 Ungefähr ab 1200 widmeten die Richter am Königsgericht ihre gesamte Zeit der Rechtsprechung.51 Nachteilig wirkte sich die Konzentration der Rechtspflege bei der curia dadurch aus, dass dieses Gericht für die meisten Einwohner räumlich schwer erreichbar war. Um den Zugang zur königlichen Justiz im gesamten Land zu ermöglichen und so der königlichen Macht flächendeckend Geltung zu verschaffen, entsandte die Krone Richter in die einzelnen Landesteile. Diese Richter sprachen Recht im Namen des Königs und wurden itinerant judges bzw. justices in eyre genannt.52
b) Fortbestehen überlieferter Verfahrensformen Trotz der zunehmend dominierenden Stellung der königlichen Richter verlor das bestehende System der lokalen Versammlungen nicht seine Daseinsberechtigung. Allerdings führte in Gerichtsverhandlungen nunmehr einer der königlichen justices in eyre den Vorsitz im Namen des Königs und sowohl ihre Organisation als auch ihre Durchführung lagen in den Händen eines königlichen Beamten (sheriff).53 Die alten Institutionen wurden folglich mit dem neuen Personal fortgeführt. 48 Curzon, Legal History, S. 17; Baker, Legal History, S. 20; Der Vorgänger der curia regis war der witenagemot der Angelsachsen. 49 Es handelte sich dabei um die für Steuern und den königlichen Schatz zuständige Abteilung, genannt Exchequer. Aus dieser ging später sowohl das Schatzamt als auch der Court of Exchequer als eigenständiges Gericht hervor. Dem Exchequer folgte in den 90er Jahren des 12. Jahrhunderts auch die als King’s Bench bekannte Justizabteilung der curia regis, aus der sich die beiden wichtigsten common law-Gerichte entwickeln sollten. Die endgültige Teilung der curia erfolgte während der Regierungszeit von Henry III. (1216–1276). Vgl. zum vorstehenden: Curzon, Legal History, S. 28. 50 Inwieweit darunter eine Besetzung dieses Gremiums mit ausgebildeten Juristen zu verstehen ist, ist noch unklar und bedarf weiterer Forschungen. Es gilt jedenfalls als sicher, dass sich die Angehörigen der curia seit dem genannten Zeitpunkt hauptamtlich mit Rechtsprechung befassten. 51 Baker, Legal History, S. 22; Forsyth, Trial by Jury, S. 81; Turner, Angevin England, S. 74 ff. 52 Dt. „Wanderrichter“; Das Wort eyre (Anhörung) wurde später generell zum Synonym für die Gerichtsverhandlungen dieser Richter; vgl. Baker, Legal History, S. 19; Curzon, Legal History, S. 172. – Eine genauere Ausgestaltung erfuhren diese Einrichtungen 1176 durch die Assize of Northhampton, die das Königreich in sechs Kreise (circuits) aufteilte, denen jeweils drei itinerant judges zugewiesen waren; vgl. Curzon, Legal History, S. 23; Forsyth, Trial by Jury, S. 83; Pollock/Maitland, History I, S. 156. 53 Vgl. Baker, Legal History, S. 26.
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Währenddessen blieb das Verfahren selbst unangetastet.54 Die Rolle des Gerichtes beschränkte sich weiterhin darauf, die Art des Beweises – beispielsweise im Hinblick auf die Anzahl der Eidhelfer – festzulegen, dessen Ergebnis gleichbedeutend mit dem Ausgang des Verfahrens war. Darüber hinaus unterschieden sich die gerichtlichen Verfahren, wenngleich meist nur in Details, von Region zu Region. Universal war einzig die Entscheidungsfindung durch Ordal oder Reinigungseid. Als Neuerung führten die Normannen als Möglichkeit der Streitentscheidung den gerichtlichen Zweikampf (trial by battle) ein.55 Bei dem trial by battle traten der Kläger und der von ihm Beschuldigte in einem Zweikampf gegeneinander an. Gemeinhin wurde davon ausgegangen, dass bei dieser besonderen Form des Zweikampfes nicht der physisch Stärkere obsiegen würde, sondern der Kämpfer für die gerechte Sache, auf dessen Seite Gott intervenierte. Der trial by battle war daher nichts anderes als ein bilaterales Ordal.56
c) Die Entwicklung rationaler Verfahren als Vorgänger der Jury im 11. und 12. Jahrhundert In den ersten beiden Jahrhunderten der normannischen Herrschaft ist die Herausbildung und Normierung neuer Formen der Entscheidungsfindung in England zu konstatieren. In denselben Zeitraum fällt auch die Unterzeichnung der Magna Charta, die mitunter als das Gründungsdokument der Prozessjury angesehen wird. Diese Vermutung gilt es hier zu überprüfen. Im Anschluss daran wird der Niedergang des Reinigungseides, des Gottesurteils sowie des trial by battle als Beweise im Strafverfahren zu untersuchen sein.
aa) Die Herausbildung neuer Formen der Entscheidungsfindung Die normannischen bzw. angevinischen Könige führten die angelsächsische Tradition der Einbeziehung der Nachbarn bzw. der lokalen Gemeinschaft in die Rechtsprechung weiter und nutzten sie bewusst zur Ausübung ihrer Herrschaft. Die Praxis, ausgewählte Repräsentanten einer lokalen Gemeinschaft als Informationsquellen zu nutzen, wurde von den Normannen beispielsweise anlässlich der Bestandsaufnahme des Grundbesitzes für das Doomsday Book angewandt.57 Im Laufe der Zeit wurden Verfahren zur Informationsgewinnung aus der örtlichen Gemeinschaft in Form königlicher Rechtserlasse festgeschrieben. Nach der Bezeichnung für diese Erlasse wurden auch die durch sie geregelten Prozedu-
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Forsyth, Trial by Jury, S. 82; Plucknett, Edward I, S. 69. Sawyer, Roman Britain, S. 254; Forsyth, Trial by Jury, S. 81. Pollock/Maitland, History II, S. 600. Vgl. Maurer, Geschichte Englands, S. 30; Pollock/Maitland, History I, S. 143.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
ren „Assizen“58 genannt. Bei den Assizen spielten die althergebrachten irrationalen Beweisformen keine Rolle mehr. Der Wahrspruch Gottes wurde durch die auf eigenen Wahrnehmungen beruhenden Aussagen von Mitbürgern (testimonium) ersetzt. Die für das hier behandelte Thema bedeutendsten Assizen waren die Petty Assizes, die Magna Assiza sowie die Assize of Clarendon. Unter dem Oberbegriff Petty Assizes waren vier verschiedene Verfahren zusammengefasst.59 Ihnen war gemeinsam, dass der Kläger ein Gerichtsverfahren anstrengen konnte, indem er einen königlichen Erlass (writ)60 erlangte. Inhalt eines writ war der als Frage formulierte Antrag des Klägers. Diese Frage wurde bei der Gerichtsverhandlung an eine aus Nachbarn zusammengesetzte Körperschaft gestellt, welche mit ihrer Antwort den Streit entschied. Eine weitere Einrichtung, Magna Assiza genannt, gelangte zur Anwendung, wenn eine behauptete rechtswidrige Entziehung von Land in Rede stand. Bei diesem Verfahren wurde ein Gremium aus zwölf Rittern (knights) gebildet. Die knights mussten aus derselben Gegend stammen, in der das umstrittene Grundstück gelegen war. Bei der Verhandlung sagten die Ritter unter Eid über ihre Kenntnisse von den Rechten der Kontrahenten an dem Grundstück aus.61 Die Auseinandersetzung war dann endgültig entschieden, wenn die Aussagen von 12 Rittern für die eine oder andere Seite übereinstimmten. Bis dies erreicht war, konnten immer wieder neue Ritter hinzugezogen werden.62 Ein ähnlicher Modus der Erforschung von Sachverhalten lässt sich bei der Assize of Clarendon Heinrichs II. aus dem Jahre 1166 feststellen. Die Assize of Clarendon war Teil einer Kampagne der Zentralgewalt gegen Kriminalität. In ihr wurde vorgeschrieben, dass sich in jedem hundred bzw. borough an den Gerichtstagen der justices in eyre zwölf angesehene Männer (twelve good and true men) versammeln sollten, um unter Eid über Verbrechen, die in der letzten Zeit began58 Das Wort assize wird in der alten englischen Rechtssprache in vielfältiger Bedeutung verwendet. Es bezeichnet a) die Sitzung eines Gerichtes oder Rates, b) den Beschluss eines solchen Gremiums respektive eine königliche Rechtssatzung, c) das Verfahren, welches von einem derartigen Beschluss etabliert wurde, d) das Gericht, das über Fälle nach der genannten Prozedur entschied bzw. später nur noch das Geschworenengericht (Court of Assize), e) Zeit und Ort der Abhaltung eines derartigen Gerichtes; vgl. Curzon, Legal History, S. 25; Dietl/Lorenz, Dictionary of Legal, Commercial and Political Terms. 59 Im Einzelnen handelte es sich um die: assize mort d’ancestor (für die Durchsetzung von Ansprüchen gegen die Erben eines Verstorbenen), assize novel disseisin (für Streitigkeiten über Besitz- und Eigentumsrechte an Land), assize of darrein presentment (bei Streitigkeiten über die Besetzung kirchlicher Pfründen) und die assize utrum (für die Entscheidung, ob umstrittenes Land als Almosen der Kirche zustand oder ob es sich um ein weltliches Lehen handelte); vgl. Pollock/Maitland, History I, S. 144 ff.; Plucknett, Concise History, S. 109. 60 Die deutsche Übersetzung von writ lautet „Anweisung“; vgl. Dietl/Lorenz, Dictionary of Legal, Commercial and Political Terms. 61 Vgl. Forsyth, Trial by Jury, S. 101 ff. 62 Forsyth, Trial by Jury, S. 105 f.
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gen worden waren, zu berichten.63 Dieses Gremium der zwölf Männer wurde Jury of Presentment oder Grand Jury genannt und war vorrangig ein Ermittlungsorgan. Die Jury benannte Verdächtige, die sich im Hinblick auf den erhobenen Vorwurf einem Ordal vor Gericht unterziehen mussten. Sie kann daher auch als Anklagejury bezeichnet werden.64 Eine richtende Funktion hatte die Jury of Presentment deshalb nicht inne.65 Ihre Mitglieder besaßen dennoch im Rahmen ihrer Ermittlungstätigkeit offenbar einen Ermessensspielraum. Anlass zu dieser Vermutung gibt der Umstand, dass mitunter die Jury of Presentment zuvor genannte Verdächtige mit der Begründung nicht an ein Gericht überstellte, das Vergehen sei nicht schwerwiegend oder der Beschuldigte sei unbescholten.66 Die beschriebene Methode, angesehene Einheimische zu Aufgaben heranzuziehen, die polizeilichen Ermittlungsaufgaben nahe standen, weist Parallelen zu dem bei der frankpledge angewandten Verfahren und dem von König Ethelred im Jahr 997 eingesetzten Gremium von Urteilsfindern auf.67 Auch wenn zwischen diesen Instituten keine ununterbrochene Kontinuität auszumachen ist, so ist die Fortführung der Tradition hier offensichtlich, Personen aus dem Umfeld wegen ihrer Vertrautheit mit den lokalen Gegebenheiten in die Entscheidung über Streitfälle mit einzubeziehen.
bb) Die Regelungen der Magna Charta vom 15. Juni 1215 Die vom 15. Juni des Jahres 1215 datierende Magna Charta ist oft als Gründungsdokument der Prozessjury angesehen worden.68 Würde diese Vermutung zutreffen, dann wäre die Jury durch positive rechtliche Regelung in einem der wichtigsten Dokumente der englischen Verfassungsgeschichte entstanden. Ein solcher Schluss hätte Folgen sowohl für die Bewertung der Entstehungsgeschichte der Jury als auch für ihre Stellung im Gefüge des englischen Rechts. In Artikel 39 der Magna Charta findet sich die Formulierung, dass „kein freier Mann verhaftet, gefangen gehalten, enteignet, geächtet, verbannt oder auf irgendeine Art zugrundegerichtet (werden soll), (…) es sei aufgrund eines gesetzlichen Urteilsspruchs durch seinesgleichen oder auf Grund des Landesrechts“69. Obwohl 63 Curzon, Legal History, S. 210; Pollock/Maitland, History I, S. 152; Baker, Legal History, S. 576. 64 Hostettler, Jury Old and New, S. 18; Groot, Criminal Jury, S. 20. 65 So auch: Mittermaier, Strafverfahren I, S. 294. 66 Groot, Criminal Jury, S. 5 f.; Hostettler, Jury Old and New, S. 18. 67 Vgl. oben 1. Teil A. I. 2. c): Die angelsächsischen Wurzeln der Jury – ein rechtshistorischer Mythos? 68 Kyriazis-Gouvelis, Magna Carta, S. 37 m. w. N.; Forsyth, Trial by Jury, S. 91 f. 69 Zit. nach, Magna Carta, S. 37 [39]; „Ne corpus liberi hominis capiatur. vel imprisonetur. aut dissaisietur. aut utlagetur. aut exuletur. aut aliquo modo destuatur (…) nisi per legale iudicium parium suorum vel per legem terre“ vgl. Kyriazis-Gouvelis, Magna Carta, S. 24 [39].
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
sich diese Bestimmung prima facie auch auf ein Verfahren vor einem Geschworenengericht beziehen könnte, wird bei genauerer Prüfung klar, dass der Spruch eines Geschworenengerichtes nicht gemeint sein kann. Der lateinische Originaltext der Charta spricht nämlich von dem judicium parium suorum70, also dem Urteil (judgement)71 der Genossen. Texte, die sich auf den Spruch von Geschworenen beziehen, nennen diesen jedoch stets veredictum, also „Wahrspruch“.72 Darüber hinaus finden sich ähnliche Ausdrücke wie „judicium parium suorum“ auch bereits in früheren Texten, wo sie ohne jeden Bezug zur Jury verwendet werden.73 Gegen einen Zusammenhang von Magna Charta und Jury spricht auch die Natur dieses Dokumentes als Vertrag zwischen dem König und den wichtigen Feudalherren des Landes. Die in der Magna Charta erwähnten Freiheiten waren Zugeständnisse, welche die Feudalherren dem König abgetrotzt hatten, um ihre Stellung gegenüber der Krone zu stärken. Die Wendung „judicium parium suorum“ muss folglich in diesem Kontext interpretiert werden. Sie bezieht sich sehr wahrscheinlich auf Streitigkeiten zwischen Lehnsherrn und Vasallen.74 Diese sollten künftig nicht vom Lehnsherrn, als formal übergeordneter Stelle, entschieden werden, sondern durch die Mitvasallen. Aufgrund dieser Umstände kann es als erwiesen gelten, dass die Prozessjury nicht von der Magna Charta ins Leben gerufen wurde.
cc) Der Niedergang der traditionellen Verfahren Parallel zu dem Aufkommen neuer Verfahren zur Sachverhaltsaufklärung erlebten die traditionellen Beweisverfahren einen Niedergang. Der Reinigungseid wurde durch die Assize of Clarendon 1166 bis auf wenige Ausnahmen abgeschafft, da erkannt worden war, dass Verbrechern durch die hergebrachten Beweisformen der Weg in die Freiheit zu sehr vereinfacht wurde.75 Der gerichtliche Zweikampf (trial by battle) büßte gleichermaßen an Bedeutung ein. Er stand nämlich nur zur Verfügung, wenn die Anklage auf der Initiative einer Privatperson beruhte. Verfahren in Strafsachen wurden allerdings immer häufiger im Namen des Königs ge70
Zit. nach: Kyriazis-Gouvelis, Magna Carta, S. 15 [29]. Vgl. Kyriazis-Gouvelis, Magna Carta, S. 51. 72 Engl. verdict; vgl. Baker, Legal History, S. 86. 73 Forsyth, Trial by Jury, S. 92. 74 So bereits: Mittermaier, Mündlichkeit, S. 361; ders, Strafverfahren I, S. 298; Forsyth, Trial by Jury, S. 94 f.; Die Formulierung liberi homini(s) scheint auf den ersten Blick darauf hinzudeuten, dass eine Geltung der Charta über den Kreis der Barone hinaus beabsichtigt war. Als freier Mensch im damaligen England galt jedoch insbesondere der Landbesitzer, so dass die übergroße Mehrheit der Engländer nicht in den Genuss des in Kapitel 39 der Magna Charta garantierten Rechtes gelangen konnte; vgl. Kyriazis-Gouvelis, Magna Carta, S. 38; Darbyshire, 1991 CrimLR, 740, 74. 75 Meineid war eines der häufigsten Delikte in der Zeit des Reinigungseides; vgl. Forsyth, Trial by Jury, S. 69; Hostettler, Jury Old and New, S. 19. 71
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führt.76 Die Basis des gerichtlichen Zweikampfes wurde ferner dadurch geschmälert, dass er für Frauen, Kinder und kranke Menschen nicht möglich war. Die meisten Strafverfahren wurden aufgrund dessen durch Gottesurteile entschieden.77 Trotzdem wurden auch die Gottesurteile zunehmend negativ beurteilt. Die Unzufriedenheit bezog sich hierbei vor allem auf die fehlende rationale Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse der Ordale. Dazu gesellte sich das theologische Problem der Möglichkeit von Befragungen Gottes zum Zwecke der Entscheidungsfindung.78 Überdies gewann die Erkenntnis Raum, dass der Beweis in Form von Gottesurteilen Straftätern die Vermeidung einer Strafe zu sehr erleichterte.79
2. Die Entstehung der Prozessjury (Trial Jury) Bisher wurde festgestellt, dass sich neue Verfahrensformen zu etablieren begannen und das Verfahren mit den traditionellen Beweisen einen Niedergang erlebte. Es stellt sich nunmehr die Frage, wie die endgültige Ablösung des traditionellen Verfahrens vor sich ging. Ausgehend von dieser Problemstellung behandelt der folgende Abschnitt die Entstehung von Juries in dem Sinne, wie das Wort noch heute gebraucht wird, nämlich solchen, die eine Entscheidung in der Sache selbst trafen (Prozessjury bzw. Trial Jury). Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, welches die kausalen Faktoren und Rahmenbedingungen der institutionellen Geburt der Prozessjury gewesen sind.
a) Das Verbot von Gottesurteilen und die ersten Verfahren vor einer Prozessjury Im Jahre 1215 kam es zu einer akuten Krise des konventionellen Verfahrens. In jenem Jahr wurde durch das IV. Lateranische Konzil die Mitwirkung von Klerikern bei Gottesurteilen verboten.80 Dies stand nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Befürchtung des katholischen Klerus, dass durch eine weitere Mitwirkung von kirchlichen Würdenträgern bei Gottesurteilen die Verfolgung von Ketzern erschwert würde. Von der offiziellen Lehrmeinung als Ketzerei und Häresie bezeichnete Ansichten waren nämlich auch im Klerus selbst vertreten. Das Verbot der Teilnahme an Gottesurteilen führte innerhalb kurzer Zeit zum Zusammenbruch der 76 Der König stand nicht zum Kampf zur Verfügung; vgl. Carter, Legal Institutions, S. 212; Curzon, Legal History, S. 214. 77 Plucknett, Concise History, S. 114. 78 Ausführlich dazu: Baker, Legal History, S. 5 f.; Jerouschek, ZStW 104 (1992), 328 (336 f.). 79 Jerouschek, ZStW 104 (1992), 328 (334 f.); Tatsächlich war in den Verfahren mit Gottesurteilen zuletzt der Anteil der Freisprüche überraschend hoch gewesen; vgl. Baker, Legal History, S. 6. 80 Plucknett, Edward I, S. 72; Baker, Legal History, S. 87, 579; Groot, Criminal Jury, S. 3.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
tradierten Verfahrensformen, denn Ordale waren die am meisten verwendete Beweisform. Ohne Mitwirkung eines Geistlichen konnten sie gleichwohl keine Gültigkeit beanspruchen. Somit existierte über Nacht kein Verfahren mehr für die Aburteilung von Beschuldigten. Die Gefängnisse füllten sich daher mit Verdächtigen, die auf ihren Prozess warteten. Die Probleme des englischen Staates wurden zusätzlich durch politische Wirren vertieft, als kurz nach Bekanntwerden des Konzilsbeschlusses König Johann im Oktober 1216 verstarb und nur einen minderjährigen Erben hinterließ.81 Der erste Versuch zur Lösung dieses unhaltbaren Zustandes wurde im Jahre 1219 unternommen. Damals wurden die justices in eyre vom königlichen Rat angewiesen, die Angeklagten nach eigenem Ermessen auf Grund des gegen sie bestehenden Verdachtes zu behandeln.82 Einige Angeklagte erhielten daraufhin die Gelegenheit zur Reinigung von den gegen sie erhobenen Vorwürfen durch Eid, während die schweren Fälle einstweilen im Gefängnis blieben.83 Da auf den königlichen Erlass des Jahres 1219 kein weiterer mehr folgte, blieb es den Richtern überlassen, eine Möglichkeit zur Bewältigung des Problems zu finden. Die Lösung bestand darin, dass die justices in eyre zunächst die Entscheidung über die Schuldfrage denselben Geschworenen, die über die Erhebung der Anklage entschieden hatten, zur Beantwortung vorlegte und deren Entscheidung zur Grundlage ihres Urteils machten.84 Das Verbot von Gottesurteilen führte folglich dazu, dass die Jury of Presentment im Ergebnis zu einer Prozessjury (Trial Jury) wurde, die in einem Strafverfahren unabhängig über die Frage der Schuld des Angeklagten entschied. Die ersten Verfahren in dieser Art wurden um 1220 durchgeführt. Bis zum Jahr 1229 hatte sich diese Form der Entscheidungsfindung allgemein durchgesetzt.85
b) Rahmenbedingungen und kausale Faktoren für die Herausbildung der Prozessjury Die nachfolgenden Betrachtungen haben die Aufgabe, die Entstehung der Prozessjury in Beziehung zu den bei ihrer Herausbildung Anfang des 13. Jahrhunderts herrschenden Bedingungen zu setzen und kausale Faktoren ihrer Herausbildung darzustellen. Um der Komplexität dieses Vorgangs gerecht zu werden, soll die Annäherung unter vier unterschiedlichen Gesichtspunkten erfolgen. Dabei handelt es sich um die Fragen, ob die Herausbildung der Prozessjury auf einer Berufung auf Traditionen beruhte, ob die Problematik der Legitimation von Urteilen eine Rolle 81
Plucknett, Edward I, S. 73. Plucknett, Edward I, S. 74; Baker, Legal History, S. 579. 83 Baker, Legal History, S. 579; Hostettler, Jury Old and New, S. 22; Groot, Criminal Jury, S. 11. 84 So beispielsweise: Mittermaier, Strafverfahren I, S. 297. 85 Hostettler, Jury Old and New, S. 23; Groot, Criminal Jury, S. 18, 35. 82
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spielte und inwiefern Erwägungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Strafverfolgung bzw. politische Erwägungen maßgeblich waren.
aa) Berufung auf Traditionen Es wurde bereits belegt, dass schon im 12. Jahrhundert die Tradition der Beteiligung einer Körperschaft von Repräsentanten aus dem jeweiligen Gerichtsbezirk an der Entscheidungsfindung in Form einer Jury üblich und normativ ausgestaltet war.86 In dem System der Assizen wurden Repräsentanten der Einwohner eines bestimmten Gebietes Fragen von meist administrativer Natur zur Beantwortung vorgelegt. In Strafverfahren konnten die Richter mit der Anklagejury der Assize of Clarendon (Jury of Presentment bzw. Grand Jury) auf eine Körperschaft zurückgreifen, die vorher dem Gericht bei der Prüfung des Verdachtes nützlich gewesen war. Der gedankliche Schritt, denjenigen, die über die Zulässigkeit der Anklage entschieden hatten, ebenfalls die Klärung der Schuldfrage anzuvertrauen, ist gut nachvollziehbar.87 Dieses Vorgehen wirkt vor allem auch deswegen folgerichtig, weil die Mitglieder der Grand Jury in der Regel am meisten über die Umstände des in Rede stehenden Falles Bescheid wussten. Eine weitere Traditionslinie könnte auf die Gottesurteile verweisen. Möglicherweise hatte deren Spiritualität eine dauerhafte Ausstrahlung auf das Gerichtsverfahren88. Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen einem Urteil durch Ordal und einem Urteil durch eine Jury bestand darin, dass für beide keine Entscheidungsgründe erforderlich waren. Der Stimme Gottes, die aus dem Ordal sprach, und dem veredictum der Geschworenen war das Fehlen einer Begründung gemeinsam.89 Dieser Gesichtspunkt könnte auch darauf hindeuten, dass die Jury, genau wie die Ordale, stärker auf Konfliktlösung als auf Erforschung der Wahrheit gerichtet war.90 Die genannten Ähnlichkeiten sollten gleichwohl nicht dazu verleiten, zwischen Ordalen und Jury eine direkte Verbindung anzunehmen. Angesichts der Argumente aus der theologischen Auseinandersetzung, die letztlich die Abschaffung der Ordale zur Folge hatte, erscheint nämlich nicht nachvollziehbar, warum 86
Vgl. dazu oben 1. Teil A. II. 1. c) aa): Die Herausbildung neuer Formen der Entscheidungsfindung; Green, Verdict, S. 4 ff. – Es existierte wahrscheinlich kein formalisiertes Verfahren für die Auswahl der Geschworenen. Es ist allerdings nahe liegend, dass es sich bei ihnen, genau wie bei der Jury of Presentment, um angesehene Personen (good and true men) handelte. Zu dieser Annahme veranlasst der Umstand, dass die Trial Jury aus der Jury of Presentment hervorging. Es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht die Angehörigen beider Gremien anfangs nach denselben Kriterien ausgewählt worden sein sollen. 87 Baker, Legal History, S. 579. 88 Devlin, Trial by Jury, S. 13; Plucknett, Edward I, S. 74 f.; Pollock/Maitland, History II, S. 627; Krit. Groot, Criminal Jury, S. 19 f. 89 So wie die Ergebnisse eines Ordals, waren auch die Verdikte einer Jury bis 1907 nicht revisibel; vgl. Plucknett, Edward I, S. 76; Hostettler, Jury Old and New, S. 22. 90 Hostettler, Jury Old and New, S. 22.
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nach dem Verbot klerikaler Beteiligung an Ordalen gerade eine Entscheidung durch kirchliche Laien an die Stelle der Erforschung des göttlichen Willens treten sollte.91 Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die Prozessjury eine Fortentwicklung und Erweiterung des bestehenden Systems der Assizen und der Grand Jury darstellt. Weiterhin scheinen gedankliche Anleihen bei den Gottesurteilen möglich. Folglich war die Prozessjury, wie sie im 13. Jahrhundert entstand, fest im Gefüge seit langer Zeit in England bestehender Rechtstraditionen verwurzelt. Sie bezog sich in ihrer Herausbildung sowohl institutionell, nämlich durch Einbeziehung der Grand Jury, als auch in ideeller Hinsicht, nämlich durch Anleihen bei den Gottesurteilen, auf englische Rechtstraditionen.
bb) Legitimation von Urteilen Problematisch an der Einführung der Jury als Organ zur verbindlichen Entscheidung in Strafsachen war die Frage nach der Legitimation ihrer Urteile. Die Akzeptanz der Entscheidungen der Prozessjuries war insbesondere deshalb nicht selbstverständlich, weil die Prozessjury nicht durch gesetzliche Normierung entstanden war. Das hatte zur Folge, dass die Jury noch lange Zeit als provisorische Einrichtung empfunden wurde. Die mit diesem Umstand verbundenen Schwierigkeiten wurden durch eine formale Unterwerfungserklärung des Beschuldigten unter das Urteil der Jury gelöst. Am Anfang einer Verhandlung stand demgemäß obligatorisch die Frage, ob sich der Angeklagte dem Urteil seiner Genossen in einer Jury unterwerfen wolle (put himself upon the country).92 Ein Verfahren vor einer Jury war nur möglich, wenn der Angeklagte dieser formalen Unterwerfungserklärung zustimmte. Tat er dies nicht, konnte gegen ihn kein Verfahren durchgeführt werden. Das Verfahren vor einer Jury blieb mithin technisch betrachtet freiwillig.93 Das Gericht erzwang jedoch das Einverständnis regelmäßig dadurch, dass es den Angeklagten vor die Wahl zwischen Geschworenenprozess und Gefangenschaft unter erschwerten Bedingungen stellte.94
91
Jerouschek, ZStW 104 (1992), 328 (336 f.); Baker, Legal History, S. 5 f. Vgl. Pollock/Maitland, History II, S. 650. 93 Carter, Legal Institutions, S. 212; Devlin, Trial by Jury, S. 10; Cairns, Advocacy and Criminal Trial, S. 15. 94 Das Statute of Westminster bestimmte 1275 ausdrücklich, dass die Haft schwer und hart, prison forte et dure, sein sollte; vgl. Curzon, Legal History, S. 29; Green, Retrospective, S. 362. – Das Wort prison wurde später als peine (dt. Schmerz) gelesen und der Angeklagte infolge dessen oft solange gefoltert, bis er daran starb; vgl. Baker, Legal History, S. 580. – Erst ab 1772 wurde die peine forte et dure bei die meisten Vergehen abgeschafft. Die Weigerung zu plädieren, wurde von diesem Zeitpunkt an als Schuldbekenntnis gewertet. Als unschuldig galt der Angeklagte in demselben Fall erst ab 1827; vgl. Beattie, Crime and Courts, S. 337 f. 92
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Auf einer zweiten gedanklichen Ebene ist in Betracht zu ziehen, dass das einzelne Urteil auch in den Augen der Rechtsuchenden einer Legitimierung bedurfte. Vorher hatte durch das Ordal eine überirdische Autorität entschieden. Die Legitimität dieser Instanz unterlag keinem Zweifel. Nach dem Wegfall dieser Möglichkeit hätten die königlichen Richter die Frage über Schuld oder Unschuld selbst treffen können. Stattdessen übergaben die Richter dieses Amt an die Geschworenen und entgingen auf diese Weise der Last der Verantwortung für unpopuläre oder sogar falsche Entscheidungen. Außerdem ist anzunehmen, dass die Geschworenen als Einheimische eine größere Akzeptanz erwarten konnten als ein von fern angereister Richter.95 Die Übertragung der Entscheidung über Schuld oder Unschuld auf die Geschworenen legitimierte folglich die Urteile der Gerichte und bedeutete für die Richter zugleich eine Entlastung.96
cc) Leistungsfähigkeit der Strafverfolgung Allen Bereichen, in denen eine Jury im 12. Jahrhundert herangezogen wurde, war die Unmöglichkeit eines Appells an die Entscheidung der göttlichen Autorität gemeinsam, denn „Gott konnte nicht veranlasst werden, Verdächtige zu benennen oder Schafe zu zählen“97. In diesem Satz klingt an, dass bereits die Vorgänger der Prozessjury geschaffen wurden, um Steitigkeiten und Problemen mit Delinquenz innerhalb der Gesellschaft auf einer rationalen Ebene wirksam zu begegnen. Daraus könnte die Annahme abgeleitet werden, die Einführung der Jury in Strafsachen sei auch von dem Streben geleitet gewesen, die Verfolgung von Straftaten effektiv zu gestalten. Nimmt man diese Hypothese als Ausgangspunkt, stellt sich gleichwohl die Frage, warum gerade die Entscheidung eines Gremiums aus Angehörigen der örtlichen Gemeinschaft als tauglich angesehen wurde, eine den Bedürfnissen angepasste Strafverfolgung sicherzustellen. Anders formuliert könnte man auch fragen, was die frühen Jurys befähigte, in den ihnen vorgelegten Fällen eine adäquate Entscheidung zu treffen. Eine denkbare Antwort bietet die Überlegung, dass sich eine Gemeinschaft durch ihre Vertreter in den Juries von denjenigen, welche eine Bedrohung für den Frieden darstellten, selbst befreien würde. Ein Blick auf die Verurteilungen unmittelbar nach Einführung der Prozessjury bestätigt diese Annahme, denn der überwiegende Teil der Angeklagten wurde verurteilt.98 Neben diesen Aspekt der Selbstreinigung der Gesellschaft tritt eine Erwägung, die auf der Ebene der Erforschung von strafrechtlich relevanten Sachverhalten und 95 Baker, Legal History, S. 90; Pollock/Maitland, History II, S. 627; Turner, Angevin England, S. 66. 96 Baker, Oxford History, S. 352; Green, Verdict, S. 113, 137; Stephen, History I, S. 573 f. 97 „God could not be asked to produce suspects or count sheep.“ zit. nach Baker, Legal History, S. 86. 98 Groot, Criminal Jury, S. 21.
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der Verfolgung möglicher Täter angesiedelt ist. In einer Gesellschaft ohne Polizei oder andere staatliche Institutionen zur Kriminalitätsbekämpfung lag die Notwendigkeit der Mitwirkung von Personen, die durch ihre Nähe zum Geschehen sachkundig waren, auf der Hand. Als Ortsansässige hatten die Juroren im Vorfeld der eigentlichen Verhandlung die Möglichkeit, sich über den Leumund des Angeklagten sowie über die Einzelheiten der Tat zu informieren.99
dd) Politische Erwägungen Im Kontext der politischen Erwägungen bei der Einrichtung der Prozessjury ergibt sich das Problem, warum es die englischen Könige gestatteten, dass die Entscheidung über Schuld und Unschuld eines Angeklagten einem Gremium anvertraut wurde, das anders als die königlichen Richter nicht unter der Kontrolle der Krone stand. Eine Erklärungsmöglichkeit dafür könnte sein, dass auch Ordale keine unmittelbaren Gelegenheiten zum Eingreifen in das Verfahren geboten hatten und folglich gar keine Position vorhanden war, die an die Juries hätte verloren gehen können. Es ist weiterhin fraglich, ob es den, in der obigen Fragestellung vorausgesetzten, Gegensatz zwischen Krone und Jury zur Zeit der Einführung der Prozessjury überhaupt gab. Eine Rechtfertigung für die Unterstellung solcher antagonistischen Positionen ist, dass Juries ab dem 18. Jahrhundert weithin als Garant der Freiheit und Waffe im Kampf gegen die Obrigkeit gepriesen wurden. Was für das 18. Jahrhundert zutraf, muss jedoch nicht notwendig auch für das 13. Jahrhundert richtig gewesen sein. Gegen konträre Interessenlagen zwischen Krone und Jury spricht als erstes die Zusammensetzung der frühen Juries. Geeignet für das Geschworenenamt war nur, wer Landbesitz mit einem Ertrag von mindestens 40 shilling besaß.100 Daher waren die Geschworenenbänke von der gesellschaftlichen Elite dominiert.101 Die Angehörigen der Oberschicht wünschten besonders die Wahrung des Friedens in ihrer Nachbarschaft, weil nur auf diesem Weg ihre Eigentumsinteressen gesichert werden konnten.102 Zwischen König und den als Juroren dienenden, landbesitzenden Schichten bestand somit weitgehende Kongruenz der Interessen. Schon aufgrund dessen war es für die königliche Administration tolerabel, den Schuldspruch einem 99
Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 64. Der Betrag von 40 shilling wurde 1285 durch das Statute of Westminster festgesetzt und im Jahre 1293 auf 100 shilling angehoben; vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 23. 101 Vgl. Green, Retrospective, S. 364 f., der davon ausgeht, dass mindestens 25 % der Angehörigen der Juries dem Landadel (gentry) oder der Freibauernschaft (yeomanry) entstammten. Die Landbesitzer verfügten im Gegensatz zur Masse der Bevölkerung auch über genügend Freizeit und Mittel, um an den Gerichtssitzungen, für die keine Entschädigungen gezahlt wurden, teilzunehmen; vgl. Baker, Oxford History, S. 353. 102 Lawson, Lawless Juries, S. 157. 100
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solchen Laiengremium zu überlassen. Überdies waren die Juries für die Krone mangels einer anderen Möglichkeit zu wirksamer Verbrechensbekämpfung gewissermaßen das kleinere Übel. Die Alternative hätte darin bestanden, die Strafverfolgung den jeweiligen Feudalherren anzuvertrauen. Diese Option war für die Krone deswegen unattraktiv, weil ein Machtzuwachs der Feudalherren auf dem Gebiet der Jurisdiktion das Streben der Zentralgewalt nach Monopolisierung der Strafverfolgung konterkariert hätte. Die Juries standen folglich nicht im Gegensatz zur Zentralgewalt, sondern wurden von ihr für die Monopolisierung der Rechtspflege zur Schaffung des Systems der common law-Gerichte benutzt. Die später als „Palladium der Freiheit“ gepriesenen Juries hatten folglich ursprünglich der Strafverfolgung und Machterhaltung der im Sinne der Obrigkeit gedient. Die ersten Juries waren keine Bastionen der Freiheit, sondern Instrumente unnachgiebiger und effizienter Machtausübung im Sinne der Krone.103
3. Die Entwicklung der Jury zu einer richtenden Institution im 14. und 15. Jahrhundert Im 14. und 15. Jahrhundert entwickelte sich die Trial Jury freilich weiter. Im Folgenden ist daher zu zeigen, welches äußere Erscheinungsbild die Juries aufwiesen und wie Ablauf und Inhalt der Verfahren ausgestaltet waren, insbesondere wie die Geschworenen strafbares Verhalten sanktionierten. In den beiden Jahrhunderten nach ihrer Entstehung entwickelte sich die Trial Jury hinsichtlich ihrer Rolle im Verfahren weiter. Dieser Vorgang kann als Transformationsprozess hin zu einer richtenden Institution begriffen werden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wodurch diese Entwicklung angeschoben wurde und welchen Niederschlag sie im gerichtlichen Verfahren fand.
a) Das Gerichtsverfahren An einem einzigen Gerichtstag wurde regelmäßig eine große Anzahl von Fällen verhandelt.104 Dadurch war die Dauer eines einzelnen Prozesses auf wenige Minuten begrenzt.105 Zeugen wurden grundsätzlich nicht gehört, weil von den Angehörigen der Juries erwartet wurde, dass sie selbst über den verhandelten Fall Bescheid wussten. Vermutlich wurde dadurch die Abhandlung eines Prozesses in so kurzer Zeit erst ermöglicht. 103 Pollock/Maitland, History I, S. 143; Baker, Legal History, S. 86; Turner, Angevin England, S. 62. 104 Beattie, Crime and Courts, S. 396. 105 Vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen: Baker, Legal History, S. 582.
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Die eigentliche Verhandlung trug summarischen Charakter. Im Unterschied zur heutigen Praxis war es durchaus üblich, dass die Geschworenen den Angeklagten direkt befragten.106 Beistand durch einen Verteidiger war dem Angeklagten nicht gestattet. Das Urteil wurde nicht sofort gesprochen, an ein Verfahren schloss sich das nächste unmittelbar an. Es war üblich, eine Vielzahl von Verhandlungen an einem einzigen Tag durchzuführen107. Die Geschworenen zogen sich erst am Ende des Gerichtstages zurück und berieten über die Fälle, die sie in dessen Verlauf gehört hatten.108 Zur Beratung verließen die Juroren den Gerichtssaal nicht, sondern zogen sich nur in eine Ecke zurück. Die Entscheidungsfindung war geprägt durch die knapp bemessene Zeit. Die eigentliche Beratung dauerte in den meisten Fällen nicht mehr als vier bis fünf Minuten.109 Eine gründliche Diskussion der Beweise in dieser kurzen Zeit ist nur schwer vorstellbar. Ihre Entscheidung (verdict) teilten die Geschworenen nach der Beratung dem Gericht mit, welches daraufhin das Strafmaß festlegte. Die Entscheidung der Juroren umfasste nur die Tatsachen des vor ihnen ausgebreiteten Falles. Ihre Aufgabe bestand darin, die Wahrheit bezüglich eines strafbaren Geschehens auszusprechen.110 Dabei stützten sie sich auf eigene Kenntnisse von den Tatumständen, die sie sich bereits vor der Verhandlung angeeignet hatten. Diese Abgrenzung zur Rolle eines Richters bestand schon in der Frühzeit der Juries.111 Eine exakt definierte Festlegung dieses Bereiches existierte freilich nicht. Unklar ist ferner, ob der Richter die Geschworenen bereits in der Anfangszeit der Prozessjury über das anzuwendende Recht instruierte. Dass seinerzeit eine derartige Instruktion, die später als charge bezeichnet wurde112, üblich war, ist jedoch unwahrscheinlich. Dagegen spricht zum einen, dass die Geschworenen dem Richter gegenüber einen erheblichen Informationsvorsprung hatten. Folglich kam eine Motivation des Richters, den Geschworenen seine eigene Sicht auf die Tatumstände nahezulegen, nicht in Betracht. Zum anderen wurden keine Zeugen gehört, so dass es unnötig war, zur Zulässigkeit von Beweisen Stellung zu nehmen. Schließlich ist davon auszugehen, dass das materielle Strafrecht in jener Zeit noch so einfach strukturiert war, dass es auch in dieser Hinsicht keiner Erläuterungen bedurfte. 106
Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 319. Beattie, Crime and Courts, S. 396. 108 Beattie, Crime and Courts, S. 395; Green, Verdict, S. 134, 139; Etwa ab dem 18. Jahrhundert änderte sich dieser Brauch dahingehend, dass die Geschworenen jeden einzelnen Fall, unmittelbar nachdem sie ihn gehört hatten, entschieden. Seit 1738 wurde das veränderte System offiziell am zentralen Kriminalgericht, dem Old Bailey in London, angewandt; vgl. Beattie, Crime and Courts, S. 396; Langbein, English Criminal Trial Jury, S. 27 f. 109 Beattie, Crime and Courts, S. 397. 110 „Veritatem dicere“; vgl. Pollock/Maitland, History II, S. 629. 111 Pollock/Maitland, History II, S. 629. 112 Eine Belehrung durch den Richter in Gestalt einer charge lässt sich erst ab dem Anfang des 16. Jahrhunderts nachweisen. – Vgl. dazu nachstehend 1. Teil A. III. 1. d): Die Stärkung der Rechtsstellung der Richter im Verfahren. 107
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Von den ersten Juries wurde nicht verlangt, ihre Entscheidungen einstimmig zu treffen, obgleich Einstimmigkeit wohl schon immer angestrebt wurde.113 Etwa ab der Mitte des 14. Jahrhunderts lehnten die Gerichte es ab, Schuldsprüche von Juries zu akzeptieren, die nicht einstimmig ergangen waren.114 Diese Entwicklung lässt sich mit dem Umstand erklären, dass bloße Mehrheitsentscheidungen im Hinblick auf ihren Wahrheitsgehalt für zweifelfhaft angesehen wurden115. Das Einstimmigkeitserfordernis steigerte zwar möglicherweise die Akzeptanz der so gefundenen Entscheidungen der Jury, sie führte jedoch auch dazu, dass Juroren mit abweichenden Ansichten massivem Druck ausgesetzt wurden. Aufgrund eines Gesetzes wurden die Geschworenen so lange eingeschlossen und ohne Nahrung gelassen, bis sie eine übereinstimmende Meinung gebildet hatten.116
b) Sanktionsverhalten Neuere Forschungen haben ergeben, dass Juries im 14. und 15. Jahrhundert einen hohen Anteil von Angeklagten, denen mit dem Tode bedrohte Delikte zur Last gelegt wurden, freisprachen.117 Möglich wurde ein derartiges Vorgehen, weil die von außerhalb anreisenden königlichen Richter sich in den örtlichen Gegebenheiten nicht in dem Maße auskannten, wie die einheimischen Juroren. Zudem verfügten die Richter, wenn keine Zeugen gehört wurden, auch im Prozess selbst nicht über unabhängige Quellen zur Tatsachenfeststellung. Der hohe Anteil an Freisprüchen veranlasst zu der Frage, welche Faktoren das Sanktionsverhalten von Juries beeinflussten. Eine Motivation war die vorherrschende Ansicht über den Zweck des Strafens, der seinerzeit vorrangig in der Prävention durch Abschreckung bestand.118 Dabei erfolgte die Bestrafung von Missetätern eher selektiv als absolut.119 Zudem wurde dem menschlichen Leben auch im Mittelalter Wertschätzung zuteil. In den Augen vieler erschien daher eine Verurteilung zum Tode beispielsweise für einen Diebstahl ungerechtfertigt.120 Viele Juroren zögerten mit einem Schuldspruch, der einen 113
Hostettler, Jury Old and New, S. 27; Levy, Palladium of Justice, S. 46 – Bereits C. J. A. Mittermaier weist in: Mittermaier, Strafverfahren I, S. 300 darauf hin, dass sich das Erfordernis der Einstimmigkeit nicht als Folge eines bestimmten Gesetzes nachweisen lasse. 114 Pollock/Maitland, History II, S. 625; Levy, Palladium of Justice, S. 46, nennt als konkretes Datum das Jahr 1367, in dem ein Gericht erstmals entschieden haben soll, keine Mehrheitsentscheidung anzunehmen. 115 Mittermaier, Strafverfahren I, S. 301. 116 Hostettler, Jury Old and New, S. 27. 117 Hostettler, Jury Old and New, S. 27; Green, Verdict, S. 22, 34, 52. 118 Lawson, Lawless Juries, S. 157; Beattie, Crime and Courts, S. 421. 119 Dies bedeutete beispielsweise, dass für Männer eine Verurteilung wahrscheinlicher war als für Frauen. Die Verurteilung war desgleichen wahrscheinlicher bei Mehrfachtätern und bei Schwerverbrechern und die Toleranzgrenze sank bei Ansteigen der Kriminalität und umgekehrt; vgl. Lawson, Lawless Juries, S. 157. 120 Green, Retrospective, S. 380.
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Mitbürger dem Galgen überantwortet hätte, wenn Aussicht auf Wiedereingliederung des Betreffenden in die Gemeinschaft bestand.121 In diesem Brauch, in bestimmten Fällen Milde walten zu lassen, kann gleichfalls die Fortsetzung des Gedankens aus dem angelsächsischen Verfahren gesehen werden, dass die durch eine Straftat hervorgerufene Friedensstörung am besten im Wege eines Ausgleiches beseitigt werden könne.122 Insoweit verliehen die Geschworenen allgemein geteilten Gerechtigkeitsvorstellungen Ausdruck. Interessant dabei ist, dass die Geschworenen durch dieses Vorgehen gegen ihre Pflicht, die Wahrheit kundzutun, verstießen. Dieses Verhalten weist bereits auf eine bedeutende Frage im Zusammenhang mit der Rolle der Jury hin, die im Laufe der historischen Entwicklung noch an Bedeutung gewinnen wird. Dementsprechend wird diese Problematik im Verlauf dieser Untersuchung noch eingehend thematisiert werden123. Es kann weiterhin davon ausgegangen werden, dass gesellschaftliche Obliegenheiten und persönliche Sympathien nicht außerhalb der Gerichtsstätte blieben und das Urteil daher beeinflussten. Die Juroren lebten in der Mitte derjenigen, über deren Schicksal sie entscheiden sollten. Dies setzte sie einer Vielzahl von Einflüssen aus und verhalf ihnen zu Kenntnissen, aufgrund derer sie ihren Entscheidungen eine breite Basis zu geben vermochten. Es gab Fälle, in denen die lokale Gemeinschaft in einem informellen und dem Gerichtstag vorgeschalteten Prozess der Information zu dem Schluss kam, dass der Angeklagte keine Gefahr für das Gemeinwesen darstellte bzw. aus anderen Gründen keine Strafe verdiene. Auch in solchen Fällen wurde oft Gnade geübt und gegen die Beweislage freigesprochen.124 Die Neigung der Juroren zur Gnade sollte folglich nicht nur als ein Mittel angesehen werden, das Verbrechern den Weg in die Freiheit eröffnete. Vielmehr barg das Verhalten der Geschworenen den Vorteil, dass dadurch Spannungen durch Schlichtung aufgefangen und unbillige Härten im Einzelfall verhindert wurden.125
c) Die Transformation der Jury zu einer richtenden Institution Von den Geschworenen in der Frühzeit der Jury wurde erwartet, dass sie die Umstände des Falles entweder als Augenzeugen kannten oder sich darüber vor dem Gerichtstag selbst informierten.126 Ungeachtet dessen wurden die Juroren nie als bloße Zeugen angesehen. Zu keiner Zeit wurde in Frage gestellt, dass den Geschworenen das Fällen des Schuldspruches oblag. Die Unterscheidung zwischen 121
Green, Retrospective, S. 380. Hostettler, Jury Old and New, S. 31; Green, Verdict, S. 35, 61. 123 Vgl. dazu nachstehend 1. Teil A. III. 2.: Die Missachtung von Gesetzen durch Geschworene; 1. Teil A. IV. 1.: Das Phänomen der pious perjury; sowie 1. Teil A. V. 5. c): Mitigation im 20. Jahrhundert. 124 Green, Retrospective, S. 373. 125 Green, Verdict, S. 105. 126 Pollock/Maitland, History II, S. 627 f. 122
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
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testimonium, der Aussage des Zeugen, und veredictum, dem Wahrspruch der Geschworenen, blieb stets erhalten.127 Außerdem spricht auch die Tatsache, dass sich die Juroren außerhalb des Gerichtes Informationen von anderen Personen beschaffen konnten, dafür, dass die Geschworenen stets als etwas anderes als Zeugen wahrgenommen wurden.128 Es bleibt gleichwohl die Tatsache, dass die Juroren aufgrund eigener, außerforensischer Anschauung entschieden. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass die Jury des 13. Jahrhunderts mehr Beweismittel, denn richtendes Gremium war. Ihr Wahrspruch wurde wie zuvor der Ausgang eines Ordals als Beweis betrachtet.129 Im 14. und 15. Jahrhundert vollzogen sich zwei maßgebliche Veränderungen der Institution der Jury. Zum einen trennte sich in dieser Zeit die Anklage- von der Prozessjury. Zum zweiten verschwand der Typ der Jury, die ihre Kenntnisse von dem verhandelten Fall aus einem informellen Prozess der Selbstinformation vor der Hauptverhandlung schöpfte und wurde durch eine Jury ersetzt, welche die Einzelheiten des zu entscheidenden Falles erst in der Hauptverhandlung erfuhr. Es ist daher zu untersuchen, welche Ergebnisse diese beiden Entwicklungen auf die Rechtsstellung der Jury im Strafverfahren hatten.
aa) Trennung von Anklage- und Prozessjury Der Umstand, dass die ersten Prozessjuries aus der Anklagejury (Grand Jury) hervorgegangen waren, hatte zur Konsequenz, dass anfangs der Schuldspruch über die Angeklagten von denselben Männern gefällt wurde, die vorher auch schon über die Zulassung der Anklage entschieden hatten.130 Der Angeklagte war dadurch dem Urteil derjenigen ausgesetzt, die vorher schon beschlossen hatten, dass gegen ihn ein starker Verdacht bestehe. Es ist wenig erstaunlich, dass bereits im 13. Jahrhundert einige Angeklagte eine Gebühr dafür bezahlten, von einer aus anderen Personen zusammengesetzten, so genannten good jury, gerichtet zu werden.131 Am Ende des 13. Jahrhunderts entstand durch die Regulierung dieses Verfahrens eine Prozessjury, die von der Grand Jury getrennt war. Sie wurde auch Petty Jury genannt. Die Petty Jury bestand aus zwölf Männern und war ausschließlich für die Bewertung der Schuld des Angeklagten in der Hauptverhandlung zuständig.132 Endgültig erfolgte die Trennung von Petty Jury und Grand Jury erst 1352. Von diesem Zeitpunkt an hatte der Ange-
127
Pollock/Maitland, History II, S. 622. Hostettler, Jury Old and New, S. 23; History I, S. 317. 129 Baker, Legal History, S. 88 f.; Pollock/Maitland, History II, S. 628. 130 Baker, Legal History, S. 579. 131 Baker, Legal History, S. 579. 132 Green, Retrospective, S. 365; Die Anzahl von 12 Personen wurde wahrscheinlich im 14. Jahrhundert festgesetzt; vgl. Manchester, Modern Legal History S. 91. 128
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
klagte das Recht, Geschworene abzulehnen, die vorher am Spruch der Grand Jury mitgewirkt hatten.133 Die Grand Jury blieb bis zu ihrer Abschaffung im Jahre 1933 diejenige Instanz, welche über die Zulassung von Klagen entschied. Wenn man bedenkt, dass im deutschen Prozess dasselbe Gericht über die Zulassung der Anklage entscheidet, das für die Hauptverhandlung und die instanzabschließende Sachentscheidung zuständig ist (vgl. § 199 StPO)134 ist diese frühzeitige Unterscheidung zwischen einem Spruchkörper, der über die Zulassung der Anklage entscheidet (Grand Jury) und einer sachentscheidenden Prozessjury (Petty Jury) aus rechtsvergleichendrechtshistorischer Perspektive besonders interessant. Die Bedeutung der Grand Jury war am größten als es zur Ermittlung von Straftaten noch keine anderen Stellen, wie eine Polizei, gab. Ab dem 19. Jahrhundert wurden die Entscheidungen der Grand Jury angesichts verbesserter Ermittlungsmethoden immer mehr zur bloßen Formalität.135 Nach Abschaffung der Grand Jury trat an ihre Stelle die sogenannte committal procedure136. Dieses Verfahren, das vor einem Berufsrichter stattfindet, dient hauptsächlich der Vorbereitung der Hauptverhandlung. Das Gericht kann schon in diesem Stadium Beweise erheben. Ferner kann es beschließen, gegen den Beschuldigten das Verfahren nicht weiter zu führen. Allerdings trifft das Gericht keine förmliche Entscheidung über die Zulassung der Anklage. Die Entscheidung, das Verfahren nicht weiter zu betreiben, entfaltet daher keine begrenzte Rechtskraft. Bemerkenswert bleibt gleichwohl, dass nach englischem Recht das für die Sachentscheidung zuständige Organ, nämlich die Jury, an den Vorgängen vor der Hauptverhandlung nicht beteiligt ist und somit ihre Überzeugung tatsächlich unmittelbar aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung schöpfen kann. Nach common law hatte der Angeklagte das Recht, vor der Hauptverhandlung drei Mal zwölf Geschworene ohne Angabe von Gründen abzulehnen und so vom Verfahren auszuschließen.137 Das Fehlen von Aufzeichnungen über Ablehnungen in den Gerichtsprotokollen ab Ende des 14. Jahrhunderts deutet jedoch darauf hin, dass von dem Ablehnungsrecht ab diesem Zeitpunkt nur noch selten Gebrauch gemacht wurde, obwohl es prinzipiell bestehen blieb.138 Die Ablehnung von Ge133 Carter, Legal Institutions, S. 217; Williams, Proof of Guilt, S. 5; Hostettler, Jury Old and New, S. 26. 134 Vgl. zusammenfassend zur heutigen Rechtslage in Deutschland: Roxin, Strafverfahrensrecht, § 40 Rn. 1 ff. m. w. N. 135 Manchester, Modern Legal History, S. 93; Beattie, Crime and Courts, S. 319. 136 Insgesammt zur committal procedure: Sprack, Practical Approach, 12.07 ff. 137 In einer anderen Quelle ist die Rede von 35 möglichen Ablehnungen. Es wurde auch ein Fall überliefert, in dem 60 Geschworene abgelehnt wurden; vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 26. 138 Angesichts der Unmöglichkeit genügend potentielle Juroren vor einer Verhandlung zusammenzurufen ist dies auch einleuchtend, denn ein Angeklagter hätte durch konsequente jury challenge seinen Prozess erheblich verzögern können; vgl. dazu: Green, Verdict, S. 134; siehe zur teilweisen Abschaffung der challenge im vorigen Jahrhundert: nachstehend 1. Teil A. V. 5. d): Abschied von Traditionen.
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schworenen war nur solange verbreitet, wie noch Überschneidungen zwischen Anklage- und Prozessjury vorkamen.139 Der abnehmende Gebrauch des Rechts zur Ablehnung von Juroren (jury challenge) ist somit ein Indikator für die Bewegung der Geschworenen weg von der Zeugenrolle und hin zu der Position von Urteilsfindern.
bb) Der Weg von der self-informing-Jury zur non-self-informing-Jury140 Juries, die ihre Entscheidungen entweder aufgrund eigener Kenntnisse der Geschworenen über die Angeklagten oder eines Prozesses der außergerichtlichen Informationsgewinnung trafen (self-informing-Jurys), waren besonders im 13. Jahrhundert üblich. Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des self-informing war eine statische Bevölkerung mit engen gegenseitigen Bindungen und low-levelcrime, bei dem Gelegenheitsverbrechen dominierten.141 Die Geschworenen waren Bewohner desjenigen hundred, in dem die zu verhandelnden Verbrechen begangen worden waren, und kamen daher aus der unmittelbaren Nachbarschaft.142 Aufgrund ihrer räumlichen Nähe wussten die Juroren über die Verhältnisse in ihrer Umgebung und das Verhalten ihrer Mitbürger Bescheid oder waren durch ihren gesellschaftlichen Status in die Lage versetzt, sich entsprechende Kenntnisse verschaffen zu können.143 Kriege und Pestkatastrophen zerrissen zwischen dem Anfang des 14. und dem Ende des 15. Jahrhunderts das Geflecht aus kleinen sozialen Einheiten und steigerten die Mobilität der Bevölkerung.144 Dies erschwerte es, Geschworene zu finden, die über die Verhältnisse ihrer Umgebung gut genug Bescheid wussten, um in den Gerichtsverfahren eigene Kenntnisse zur Geltung zu bringen. Mit dem Auseinanderbrechen des gesellschaftlichen Gefüges entstanden ferner soziale Spannungen, welche die Gruppe der berufsmäßigen Verbrecher anwachsen ließen. Da diese heimatlos und folglich am Ort ihrer Verbrechen unbekannt waren, konnte ihr Gefährdungspotential nur schlecht eingeschätzt werden. Neben der demographischen Neuordnung waren auch Richter und Obrigkeit mit der Zeit immer weniger bereit, Manipulationen oder die Kontingenz von Schuldurteilen hinzunehmen, die durch die Selbstinformation ermöglicht wurden. Einen weiteren Impuls gab die Trennung von Grand Jury und Petty Jury, welche die Geschworenen vom gerichtlichen Vorverfahren ausschloss und ihnen damit eine 139
Vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 26. Diese Terminologie ist angelehnt an: Green, Retrospective, S. 367 ff. 141 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 64; Green Verdict, S. 113. 142 Baker, Oxford History, S. 351. 143 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 64. 144 Carter, Legal Institutions, S. 218; Williams, Proof of Guilt, S. 5; Hostettler, Jury Old and New, S. 41. – zu Krieg und Pest als Katalysatoren der Rechtsentwicklung im 14. Jahrhundert: Musson/Ormond, Evolution, S. 3. 140
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
wichtige Informationsquelle versperrte. Im Laufe der Zeit nahm aufgrund dieser Ursachen die Anzahl der Juries, deren Mitglieder die Umstände der angeklagten Tat selbst kannten, stetig ab. Allmählich wurde es zur Regel, dass die Juroren erst in der Hauptverhandlung durch Zeugen über den Fall informiert wurden.145 Unter der Regierung von Edward III. (1327–1377) war bereits als Regel anerkannt, dass neben den Juroren auch Zeugen an dem Verfahren teilnahmen.146 Die Möglichkeiten für die Geschworenen, sich unabhängig selbst zu informieren, wurden immer weiter eingeschränkt. Aus dem Jahr 1410 ist z. B. bekannt, dass die Mitglieder der Jury, nachdem sie vereidigt worden waren, keine anderen Beweise als diejenigen, die während der Verhandlung angeboten worden waren, anhören, geschweige denn zum Gegenstand des Verdiktes machen durften.147 Juries, die nicht mehr aufgrund eigener Anschauungen urteilten, werden folgerichtig non-self-informing-Jurys genannt.
cc) Auswirkungen auf die Rolle der Jury Durch die Trennung von Anklage- und Prozessjury gewann die Jury Konturen als eine eigenständige Institution. Die anfangs, aufgrund der personalen Vermischung mit der als Ermittlungsorgan tätigen Grand Jury, bestehende Anbindung der Prozessjury an das Vorverfahren und damit an polizeiliche Aufgaben wurde gelöst. Indem sich die Trial Jury durch diesen Schritt von einem Teil ihrer Wurzeln entfernte, wurde der Platz freigemacht für die Wahrnehmung der Jury als ein Organ mit einem eigenen Aufgabenbereich. Der zweite Schritt zur Wandlung der Rolle der Jury war die Transformation der self-informing-Jury zur non-self-informing-Jury.148 Wie gezeigt war die einzige Gemeinsamkeit der Geschworenen mit Zeugen die außerhalb des Gerichtes erlangte Faktenkenntnis, welche die Juroren in den forensischen Prozess einbrachten.149 Als die Geschworenen in der Ära des non-self-informing erst im Gericht mit den Details des Falles bekannt gemacht wurden und aufgrund dessen entschieden, entfiel diese Gemeinsamkeit mit Zeugen. Die Geschworenen wurden auf diese Weise zu Prüfern von Beweisen und Zeugenaussagen, die in der Gerichtsverhandlung präsentiert wurden. Die Jury hatte sich somit bis zum Ende des 15. Jahrhunderts weit von ihrem Ausgangspunkt als Beweismittel entfernt und war zu einer richtenden Institution 145
Forsyth, Trial by Jury, S. 130 f. Dieser Schluss lässt sich aus einem Dokument ziehen, in dem festgestellt wird, dass ein Zeuge nicht aufgrund einer Verwandtschaft mit einer Partei aus dem Verfahren auszuschließen war, da er als Zeuge nicht am Ausspruch des verdict beteiligt ist; vgl. Forsyth, Trial by Jury, S. 128. 147 Forsyth, Trial by Jury, S. 131. 148 In diesem Sinne: Green, Retrospective, S. 367. 149 Vgl. oben 1. Teil A. II. 3. c): Die Transformation der Jury zu einer richtenden Institution. 146
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geworden, der im Verfahren die selbständige Entscheidung über die Tatfrage anvertraut war.150
4. Zusammenfassung Das vorstehende Kapitel spannte den Bogen von einer Zeit, in der das Strafverfahren von irrationalen Beweisen entschieden wurde, bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, als Juries aufgrund von Zeugenaussagen über die Schuld von Angeklagten befanden. Ein wichtiger Markstein auf diesem Weg war der Beschluss des IV. Lateranischen Konzils zur Abschaffung der geistlichen Beteiligung an Gottesurteilen.151 Rückblickend erweist sich dieser Schritt jedoch nur als der sprichwörtliche Tropfen, welcher das Fass zum Überlaufen brachte. Immerhin hatten schon im 12. und 13. Jahrhundert Eid, Ordal und Zweikampf an Akzeptanz verloren. Zudem standen seit dem 12. Jahrhundert in bestimmten Fällen Formen der Streitschlichtung zur Verfügung, die sich rationaler und investigativer Methoden bedienten. Die Erfahrungen, die mit diesen neuen Vorgehensweisen gewonnen worden waren, erwiesen sich bei der Entstehung der ersten Geschworenengerichte als wichtige Grundlage. Durch die Wurzeln in den Assizen, die auf der Idee der Beteiligung von Einheimischen basierten, war die Prozessjury somit auch mit der Tradition angelsächsischer Rechtsfindung verbunden. Die Untersuchung der Entstehung der Prozessjury hat gezeigt, dass sich die Prozessjury aus der Jury of Presentment entwickelte, mit der sie anfangs sogar personenidentisch war. Im Grunde wurde folglich nur der Anwendungsbereich von bereits vorhandenen Institutionen ausgedehnt. Demnach war mit der Prozessjury in ihrer Gestalt zu Anfang des 13. Jahrhunderts etwas grundsätzlich Neues nicht entstanden. Weitere Komponenten der Entscheidung, die Beantwortung der Schuldfrage in die Hände einer Jury zu legen, waren die Notwendigkeit der Legitimierung der Urteile und die Leistungsfähigkeit der Strafverfolgung. Nicht zuletzt war die Entscheidungsfindung durch Juries für die Krone Englands auch politisch vorteilhaft, weil dadurch die Macht adliger Magnaten geschwächt wurde. Die Verbindung der Jury mit weit zurückreichenden Wurzeln war nicht nur entscheidend für ihre Entstehung, sie formte auch die Realität des Verfahrens vor einer Jury. Dies zeigte sich vor allem in der Anwendung von Gnade, die das Sanktionsverhalten der Jury prägte und als Fortsetzung des Ausgleichsgedankens aus dem angelsächsischen Verfahren angesehen werden kann. Die Jury erwies sich jedoch nicht als eine in Althergebrachtem verhaftete Institution. Vielmehr war sie fähig, eine Hinwendung zu einer richtenden Körperschaft zu vollziehen. Die 150
Shapiro, Religion and the Law, S. 186; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 64. Einzelheiten zum IV. Lateranischen Konzil in: Hirte, Papst Innozenz III., S. 33 ff. m. w. N. 151
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Überwindung der Personalunion zwischen Anklagejury und Prozessjury und der Wandel der self-informing-Jury zur non-self-informing-Jury waren die entscheidenden Weichenstellungen bei diesem Vorgang, der etwa am Ende des 15. Jahrhunderts abgeschlossen war.
III. Die Jury vom Anfang des 16. bis zum späten 17. Jahrhundert Nachdem am Ende des 15. Jahrhunderts die Transformation der Jury zu einem richtenden Organ als abgeschlossen gelten konnte, ist Gegenstand der Untersuchung auf den nächsten Seiten die Jury in der Zeit des Überganges vom Mittelalter zur Neuzeit, d. h. vom Anfang des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. In dieser Zeit trat die Frage nach der Stellung der Jury innerhalb eines Strafverfahrens auf die Tagesordnung. Im Zentrum stand dabei die Reichweite der Entscheidungsbefugnisse von Geschworenen. Problematisch war, inwieweit sich die Geschworenen den Weisungen des Richters ganz unterordnen sollten. Ferner ging es um die Frage, ob die Entscheidung der Jury hinsichtlich der Tatsachen des Falles eigenständig war. Schließlich bestanden Meinungsverschiedenheiten darüber, ob Geschworene zugleich Richter über das Recht sein und entscheiden sollten, ob sie ein bestimmtes Gesetz für gültig hielten. Diese Fragen wurden aufgeworfen, während sich die politische Landschaft Englands im Umbruch befand. Nachdem 1485 durch die Machtübernahme Heinrichs VII. Tudor (1457–1509) der, als Rosenkriege in die Geschichte eingegangene, Bürgerkieg beendet worden war, strebten die Herrscher aus dem Hause Tudor, die von 1485 bis 1603 regierten, eine absolutistische Regierungsform in England an. Diese Politik wurde nach dem Ende der Tudordynastie durch die Könige aus dem Hause Stuart von 1603 bis 1649 noch verstärkt fortgesetzt. Die erheblichen Widerstände in England gegen die absolutistischen Bestrebungen gipfelten in einem von 1642 bis 1649 andauernden Bürgerkrieg, in dem auch die erheblichen konfessionellen Gegensätze der englischen Gesellschaft zwischen Anglikanern, Puritanern und Katholiken ausgetragen wurden. An die vorläufige Niederlage der royalistischen Partei und die Hinrichtung König Karls I. 1649 schloss sich in den Jahren 1653 bis 1658 die Zeit des sogeannten Commonwealth an, in der Oliver Cromwell (1599–1658) als Lordprotektor eine autokratische Herrschaft errichtete. Auf Cromwells Tod folgte von 1660 bis 1688 eine Periode der Restauration der Stuart-Herrschaft, in der auch die absolutistische Politik fortgeführt wurde. Das folgende Kapitel versucht daher darzustellen, wie sich vor dem Hintergrund dieser politischen Umbrüche die Jury weiterentwickelte und das Profil einer neuzeitlichen Institution annahm. Dabei werden zunächst die Veränderungen berücksichtigt, die sich hinsichtlich des Verfahrens an den Geschworenengerichten vollzogen, und auf ihre Konsequenzen für die Jury untersucht. Im darauf folgenden Schritt geht es um das Phänomen des Freispruches für Schuldige (nullification) bzw. der Verurteilung wegen eines minder schweren Delikts durch eine Jury (miti-
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gation). Der letzte Teil dieses Kapitels unternimmt es, sich dem Streit um die Rolle der Jury zu nähern, indem die rechtspolitischen, philosophischen und verfahrensrechtlichen Aspekte dieser Frage untersucht werden.
1. Veränderungen in Verfahren und Gerichtsverfassung und ihre Auswirkungen auf die Jury Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts existierten hinsichtlich des Ablaufes von Strafverfahren keine allgemein verbindlichen gesetzlichen Regeln. Der Gang der Hauptverhandlung war nicht formalisiert, sondern an den Gegebenheiten des Einzelfalles orientiert.152 Gleichwohl können Veränderungen im Verfahren festgestellt werden. Diese sollen in diesem Abschnitt hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Position der Jury im Strafverfahren analysiert werden. An erster Stelle gehörte zu den Neuerungen der Wandel auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung. Weiterhin betrafen die Änderungen einen Zuwachs der Aktivitäten im Vorverfahren und das Auftreten von Zeugen vor Gericht. Eine Untersuchung der Bedeutung der Richter im Vergleich zur Jury rundet schließlich die Darstellung ab.
a) Neuordnung der Gerichtsverfassung Zwei Gerichtszweige teilten sich seit dem 15. Jahrhundert die Zuständigkeit für die Strafgerichtsbarkeit in England: die Assizegerichte und die Quarter Sessions der Justices of the Peace.153 Beiden war gemeinsam, dass die Schuldfrage von Juries entschieden wurde. Die Richterbank in den Assizegerichten war mit königlichen Richtern besetzt, die entweder von den königlichen Gerichten King’s Bench und Common Pleas in Westminster stammten oder direkt vom König ernannt worden waren.154 Die sach152
Green, Verdict, S. 130; Baker, Legal History, S. 581. Mit dem Ende des 14. Jahrhunderts war das Regime der Rechtsprechung durch die itinerant judges bzw. justices in eyre zugunsten eines veränderten Gerichtsaufbaus abgeschafft worden, nachdem die Rechtsprechung durch die justices in eyre zunehmend unpopulär geworden war. Letztmalig wurde das alte Verfahren während der Regierungszeit von König Richard II. (1377–1399) durchgeführt; vgl. Curzon, Legal History, S. 173. – Den Überbau der neuen Gerichtsverfassung bildeten die königlichen Gerichte der King’s Bench und Common Pleas zu Westminster. Trotz entsprechender fortwährender Bemühungen der Krone war es noch immer nicht gelungen, die Jurisdiktion vollkommen in den Händen der königlichen Common Law Courts zu vereinen. Neben diesen existierten noch zwei weitere Hauptzweige der Gerichtsbarkeit, die Ecclesiastical Courts, welche Recht in Kirchenangelegenheiten sprachen, und die Customary Courts, die eine Art Patrimonialgerichte auf lokaler Ebene waren; vgl. Musson/Ormond, Evolution, S. 1, 8. 154 Musson/Ormond, Evolution, S. 1. 153
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liche Zuständigkeit der Assizegerichte umfasste schwere Vergehen (felonies).155 Richter bei den Quarter Sessions, genannt Justices of the Peace, waren juristische Laien, die sich aus der Oberschicht des jeweiligen Gerichtsbezirkes rekrutierten und im Auftrag des Königs richterlich tätig wurden.156 Vor den Quarter Sessions wurden Strafverfahren bei minderschweren Delikten durchgeführt.157
b) Vorverfahren Ab ungefähr der Mitte des 16. Jahrhunderts oblagen die Aufklärung des Sachverhaltes, die Vernehmung des Verdächtigen, das Sammeln von Beweisen und die Vorbereitung der Gerichtsverfahren den Justices of the Peace, die dabei im Auftrage der Krone handelten.158 Der Judge of the Peace entschied zudem gegebenenfalls über eine vorübergehende Freilassung des Verdächtigen auf Kaution (bail) und die Überstellung an das zuständige Gericht.159 Die Ursache für diesen Übergang der Verantwortlichkeit für das Vorverfahren in die Hände eines Amtsträgers ist in der Abnahme der Verbreitung von self-informing-Juries zu erblicken.160 Solange es erwünscht und möglich war, dass sich die Juroren vor der Verhandlung selbst informierten, bestand keine praktische Notwendigkeit für staatliche Aktivität. Wurden die entscheidungsrelevanten Tatsachen jedoch nicht mehr von den Geschworenen selbst beigesteuert, entstand die Notwendigkeit, diese Tatsachen anderweitig zu ermitteln. Aus dem Verschwinden der self-informing-Jury ergab sich folgerichtig der Bedarf einer intensiveren Sachverhaltsaufklärung im Vorfeld, denn die mangelnde Kenntnis von Einzelheiten des Falles auf Seiten der Geschworenen erforderte eine Kompensation.
c) Das Auftreten von Zeugen vor Gericht An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert fand mit dem Terminus evidence ein neuer Begriff Eingang in die englische Rechtssprache. Die Bezeichnung evi155
Als Assizen wurden die Verfahren vor den so genannten Circuit Commissions of Gaol Delivery und Circuit Commissions of Assize genannt; vgl. Musson/Ormond, Evolution, S. 1; Baker, Legal History, S. 25. 156 Einzelheiten zu den Justices of the Peace in: Langbein, English Criminal Trial Jury, S. 20 f. 157 Der Name Quarter Session rührt daher, dass Gerichtstage dieser Einrichtung vierteljährlich gehalten wurden; vgl. Baker, Legal History, S. 30. 158 Green, Law-Finding Traditions, S. 44; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 332. 159 Eingehend dazu: Schröder, Englische Geschichte, S. 22; Baker, Legal History, S. 29 f. – Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür waren durch die Marian Bail Statutes in den 50er Jahren des 16. Jahrhunderts geschaffen worden; vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 37. 160 Vgl. oben 1. Teil A. II. 3. b) bb): Der Weg von der self-informing-Jury zur non-self-informing-Jury.
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dence wurde für „Beweis“ oder „Zeugenaussage“ verwendet.161 Das Aufkommen von Zeugen und Zeugenaussagen stand, genau wie die Intensivierung des Vorverfahrens, in Verbindung mit dem Verschwinden der self-informing-Jury.162 Diese Veränderungen waren so bedeutsam, dass ab 1563 die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, die Anwesenheit vor Zeugen beim Verfahren von Amts wegen zu erzwingen.163 Auf die staatliche Hilfe konnte freilich nur die Anklage bauen. Nur ihr garantierte der englische Staat die Anwesenheit der geladenen Zeugen.164 Entlastungszeugen wurden in Verfahren wegen schwerwiegender Delikte (felonies) erst ab 1632 zugelassen.165 Gleichwohl konnte der Angeklagte ihr Kommen zu diesem Zeitpunkt noch nicht erzwingen, und sie wurden auch nicht vereidigt.166 Die Zeugen der Verteidigung durften erst ab 1702 vereidigt werden.167
d) Die Stärkung der Rechtsstellung der Richter im Verfahren Die englische Richterschaft ist traditionell ein sehr selbstbewusster Stand. Das steht in Zusammenhang mit der wichtigen Rolle der Juristen bei der Formulierung der Prinzipien des common law und dem hohen gesellschaftlichen Ansehen eines Richters. Ferner war die Rechtswissenschaft in England nicht universitär geprägt, sondern durch eigene Ausbildungsstätten des Juristenstandes organisiert.168 Angesichts dieses ausgeprägten Standesbewusstseins der Richter verwundert es nicht, dass sie als eigenständige Kraft in der englischen Rechtspolitik agierten und nach Einflussmöglichkeiten auf den Ablauf und den Ausgang der Gerichtsverfahren strebten. Eine Voraussetzung für das Vertreten einer eigenständigen Position in einem Strafverfahren durch den Richter war die Verbesserung seiner Informationslage durch Ermittlungen im Vorfeld sowie das Auftreten von Zeugen im Gerichtssaal. 161
Hostettler, Jury Old and New, S. 41. Vgl. oben 1. Teil A. II. 3. c) bb): Der Weg von der self-informing-Jury zur non-self-informing-Jury. 163 Hostettler, Jury Old and New, S. 41; Beattie, Crime and Courts, S. 348. 164 Vgl. Baker, Legal History, S. 583. 165 Hostettler, Jury Old and New, S. 42. 166 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 56; Carter, Legal Institutions, S. 219; Hostettler, Jury Old and New, S. 41 – Eine mögliche Erklärung für die Ablehnung der Vereidigung wird neuerdings in der sakralen Konnotation des Eides gesehen, deretwegen eine beeidete Aussage wahr sein musste. Dieses System wäre mit der Möglichkeit widersprechender eidlicher Aussagen überfordert gewesen; vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 42. 167 Beattie, Crime and Courts, S. 350; Hostettler, Jury Old and New, S. 43. 168 Die Ausbildung von Juristen wird erst seit jüngerer Zeit an Universitäten durchgeführt. Trotzdem spielen die Inns of Court als traditionelle Juristenschulen immer noch eine bedeutende Rolle. – ausführlich zur Geschichte und Gegenwart der englischen Juristenausbildung: Schulte-Nover, Strafrichter, S. 33 ff. 162
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Dadurch wurde der Richter in die Lage versetzt, den Ablauf des Verfahrens zu kontrollieren.169 Während der Verhandlung konnte der Richter jederzeit Fragen an den Angeklagten richten, um gegebenenfalls dessen Version der Ereignisse zu hinterfragen und sich weitere Informationen zu beschaffen.170 Am Ende einer Verhandlung machte der Richter den Geschworenen in einem Kommentar zur Verhandlung (charge) klar, welches Urteil er von ihnen erwartete.171 Die charge enthielt die Meinung der Richters zu den zu entscheidenden Tatsachen. So erhielt der Richter die Chance, den Geschworenen seine eigenen Wertungen und Absichten nahe zu bringen und derart auf das Schuldurteil zugunsten wie zuungunsten des Angeklagten einzuwirken.172 Die Gelegenheiten der Einflussnahme endeten indessen nicht mit der Entscheidung der Geschworenen. Hatte der Richter das Gefühl, die Jury habe zu Unrecht auf schuldig erkannt, so konnte er den Angeklagten der königlichen Gnade empfehlen.173 Sprachen die Geschworenen den Angeklagten gegen die Überzeugung des Gerichtes frei, so versuchten die Richter meist, die Jury zur Änderung ihres Schuldurteils zu bewegen. Es kam beispielsweise vor, dass der Richter den Spruch der Geschworenen ablehnte und sie direkt mit seiner Ansicht konfrontierte, um sie zu einer erneuten Beratung und Änderung ihrer Entscheidung zu veranlassen.174 Die höchste Steigerung richterlicher Einflussnahme war die Drohung mit Strafe oder die Verhängung von Geldbußen für den Fall der Weigerung, ein unbequemes Schuldurteil rückgängig zu machen.175
e) Konsequenzen für die Position der Geschworenen im Verfahren Der gewachsene Einfluss der Richter hatte im Hinblick auf die Jury die Wirkung einer Verschiebung der Machtbalance zwischen Richtern und Geschworenen. Evident ist, dass die einzelnen Juroren der Zeit bis zum Ende des 17. Jahrhunderts immer mehr reale Einflussmöglichkeiten auf den Verlauf des Verfahrens verloren. Weil sich die Gelegenheit zur Selbstinformation immer weniger ergab, kam der Jury ein vermindertes Gewicht beim Zusammentragen der Beweise zu. Gleichzeitig wuchs die Abhängigkeit von den durch die Anklage präsentierten Be169
Green, Verdict, S. 144. Beattie, Crime and Courts, S. 343; Green, Verdict, S. 110. 171 Beattie, Crime and Courts, S. 415; Green, Verdict, S. 110, 139; Heute ist es üblich, dass der Richter routinemäßig die Beweise zusammenfasst und eine Rechtsbelehrung vornimmt; vgl. unten 2. Teil A. VI. 4. b) dd): Die Zusammenfassung und Belehrung durch den Richter (summing up). 172 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 322; Baker, Oxford History, S. 369; Green, Verdict, S. 139. 173 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 60, 324 f.; Baker, Oxford History, S. 368. 174 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 326; Green, Verdict, S. 140. 175 Baker, Oxford History, S. 368, 373. 170
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weisen.176 Darüber hinaus waren die Geschworenen Manipulationsversuchen ausgesetzt, die von der Auswahl der präsentierten Beweise, über die Zusammenfassung des Richters in der charge bis zu offenem Zwang reichten. Als Folge dieser Entwicklungen sah sich die Jury als Ganzes zunehmend in eine passive Beobachterrolle gedrängt, während die Richter den Verfahrensablauf aktiv gestalten konnten.177 Es ist in dem untersuchten Zeitraum jedoch auch eine zweite Entwicklungslinie zu konstatieren. Die Entziehung der Möglichkeit zur Selbstinformation, die Zeugenvernehmungen und die Sammlung von Beweisen im Vorverfahren schnitten die Jury endgültig von den mittelalterlichen Wurzeln ihrer Stellung als Beweismittel ab. Damit schärfte sich das Profil der Jury als derjenigen Instanz, welche über den Wahrheitsgehalt von Beweisen urteilte und anhand ihrer so gebildeten Meinung über die Schuld des Angeklagten entschied.178
2. Die Missachtung von Gesetzen durch Geschworene Seit dem Beginn des Bestehens der Jury konnte beobachtet werden, dass Geschworene Verbrecher freisprachen, wenn sie der Ansicht waren, dass eine Verurteilung aus bestimmten Gründen nicht opportun sei.179 Obwohl die Geschworenen ab dem 16. Jahrhundert nicht mehr die alleinigen Träger des Wissens um die Tatumstände und die Person des Angeklagten waren, führten sie diese Praxis weiterhin fort. Ihnen boten sich dafür zwei Wege: ein Freispruch oder ein so genanntes partial verdict. Ein Freispruch trotz überzeugender Beweise für die Schuld hatte faktisch die Wirkung, dass das entsprechende Strafgesetz durch die Jury aufgehoben wurde. Dieses Verhalten ist daher als nullification bekannt. Unter einem partial verdict verstand man dagegen einen Schuldspruch, welcher die ursprüngliche Anklage nur teilweise umsetzte.180 Der Angeklagte wurde dabei wegen eines, verglichen mit der angeklagten Tat, minder schweren Delikts für schuldig befunden. Auf diese Weise erreichten die Geschworenen die Verhängung der für die leichtere Straftat vorgesehenen milderen Strafe. Nach dem englischen Begriff für Milderung wird diese Erscheinung daher mitigation genannt. Ein Beispiel für die Missachtung des Gesetzes war das Verhalten von Juries bei Anklagen wegen Tötungsdelikten. Personen, die wegen eines Tötungsdelikts angeklagt waren, wurden häufig freigesprochen, wenn die Tötung fahrlässig begangen 176
Green, Verdict, S. 144. Powell, Gaol Delivery, S. 115. 178 Hostettler, Jury Old and New, S. 50. 179 Vgl. oben 1. Teil A. II. 3. a): Das Gerichtsverfahren. 180 Beattie, Crime and Courts, S. 406; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 58; Baker, Legal History, S. 591. 177
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
worden war. Dies geschah, obwohl dem common law eine Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit fremd war.181 Ein weiteres Beispiel für die Verhinderung des Vollzuges eines Strafgesetzes bietet ein Gesetz aus dem Jahre 1650, das für Ehebruch die Todesstrafe androhte.182 In einem Zeitraum von zehn Jahren wurde nur eine einzige Person von einer Jury aufgrund dieses Gesetzes für schuldig befunden.183 Entscheidungen von Geschworenen gegen gesetzliche Definitionen von schuldhaftem Verhalten ließen sich auch in Strafverfahren beobachten, die einen politischen Hintergrund hatten. Beispielsweise wurde im Jahre 1649 John Lilburne, einer der Wortführer der Opposition gegen das Regime Oliver Cromwells, von einer Jury in einem Prozess wegen Hochverrats gegen die Beweislage freigesprochen.184 Zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1670, weigerte sich eine Londoner Jury die Angeklagten Quäker William Penn und William Mead auf der Grundlage des Conventicles Act von 1664 zu verurteilen, obwohl beide zugegeben hatten, dass sie öffentlich gepredigt hatten, was unter dem Conventicles Act ein strafbares Verhalten war.185 Schließlich erkannte 1688 eine Jury sieben Bischöfe der anglikanischen Kirche für nichtschuldig in einem Verfahren wegen Veröffentlichung eines Schriftstückes von aufrührerischem Charakter (seditious libel)186. Das Ziel dieses Verfahrens war es gewesen, die antikatholische Bewegung in England einzuschüchtern.187 Die ab dem 15. Jahrhundert erfolgte Trennung der Geschworenen von ihren Wurzeln in der lokalen Gemeinschaft gibt Anlass zu der Frage, ob sich auch die Motivation für Freisprüche trotz erwiesener Schuld verändert hatte. Die genannten Beispiele deuten darauf hin, dass mitigation und nullification vor dem Hintergrund zweier unterschiedlicher Motivationslagen vorkamen.188 Eine wichtige Rolle bei Fällen von Alltagskriminalität spielte der Gedanke, Milde walten zu lassen. Damit bestätigt sich eine bereits im Mittelalter feststellbare Tradition. In Fällen mit politischen Implikationen trat hingegen mit politischen Ansichten und Emotionen ein neuartiger Beweggrund zutage.
181
Green führt dies auf den Widerstand der Juries gegen die Verhängung der Todesstrafe gegenüber solchen Angeklagten zurück, die in angelsächsischer Zeit nur eine kompensatorische Strafe zahlen mussten; vgl. Green, Verdict, S. 31. 182 Hostettler, Jury Old and New, S. 43; Green, Verdict, S. 280. 183 Dieses Ergebnis bezieht sich nur auf Urteile von Juries am Quarter Sessions-Gericht in der Grafschaft Middlesex. Es wird jedoch von ähnlichen Zahlen aus anderen Teilen Englands gestützt; vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 57. 184 Aus den Aufzeichnungen über diesen Fall geht nicht klar hervor, ob es sich wirklich um einen Fall von nullification handelte oder ob die Geschworenen prozessuale Hindernisse sahen, die einer Verurteilung im Wege standen; vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 60. 185 Hostettler, Jury Old and New, S. 69; Harman/Griffith, Justice Deserted, S. 11. 186 Vgl. unten 1. Teil A. IV. 2.: Die Jury in politischen Strafverfahren, seditious libel – Der Streit um die Rolle der Jury geht weiter. 187 Hostettler, Jury Old and New, S. 76. 188 Mit demselben Ergebnis: Green, Verdict, S. 263 f.
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3. Die Jury und die politischen Auseinandersetzungen der frühen Neuzeit Kontrolle über die Jury bedeutete Kontrolle über das Strafverfahren. Weil Einflussnahme auf den Ausgang strafrechtlicher Verfahren sowohl für eine Intensivierung der Verfolgung von Verbrechen als auch für die Ausschaltung politischer Gegner vorteilhaft war, waren Juries Versuchen ausgesetzt, sie in politischen Auseinandersetzungen zu instrumentalisieren. Der folgende Abschnitt befasst sich mit dem Instrumentarium, dessen sich die Protagonisten der unterschiedlichen politischen Standpunkte bedienten, um ihren Zielen zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei wird besonders auf die Praxis der Ausübung von Druck auf Geschworene eingegangen werden. Die Darstellung wird vervollständigt durch eine Beschreibung der personellen Zusammensetzung des Organs Jury. Auch an diesem Beispiel wird deutlich werden, wie politische Interessengruppen Einfluss auf die Juries zu nehmen versuchten.
a) Kontrollmöglichkeiten des Staates – judicial coercion Die Tudor- und Stuartkönige strebten danach, ihren absoluten Machtanspruch durch die Übernahme kontinentaler, vom römischen Recht geprägter Rechtsinstitute auf Kosten des common law zu festigen. In Strafverfahren wurde daher der Gebrauch von Folter189 eingeführt. Ferner wurden Gerichte, wie die offiziell 1487 errichtete Star Chamber, etabliert, in denen nach kontinentaleuropäischen Rechtsstandards entschieden wurde.190 Dadurch sollten die Juries ersetzt oder wenigstens kontrolliert werden. Diese Bemühungen hatten jedoch keinen dauernden Erfolg. Sowohl der offiziell sanktionierte Gebrauch von Folter als auch die Star Chamber wurden 1641 abgeschafft.191 Trotz des Scheiterns der Etablierung des römischen Rechts drängte die Führungsschicht Englands weiter nach Kontrolle der Juries. Für den englischen Staat waren Abweichungen der Jury vom Wortlaut des Gesetzes nur tolerabel, wenn 189
Die Folter bewegte sich in England weitgehend im rechtsfreien Raum. Vom common law war sie nicht anerkannt und wurde daher von Gerichten häufig für illegal erklärt. Von der Star Chamber, die in ihrer Rechtsprechung nicht an common law-Regeln gebunden war, wurde Folter jedoch häufig eingesetzt, obwohl eine gesetzliche Grundlage dafür nicht ersichtlich ist. Es muss daher angenommen werden, dass die Legitimation des Einsatzes von Folter von der Autorität des Monarchen abgeleitet war und die prozessuale Durchführung willkürlich erfolgte. Der überwiegende Teil der Strafprozesse, in denen Verdächtige gefoltert wurden, betraf Staatsverbrechen. Ungefähr ein Viertel der dokumentierten Folterungen umfasste jedoch auch Delikte wie Mord, Raub oder Pferdediebstahl. Vgl. zum vorstehenden: Heath, Torture, S. 110 ff.; Hostettler, Jury Old and New, S. 39 f. 190 Hostettler, Jury Old and New, S. 39 – ausführlich zur Star Chamber: Graf, Auswirkungen, S. 200 ff. m. w. N. 191 Hostettler, Jury Old and New, S. 40; Curzon, Legal History, S. 40.
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sie innerhalb enger und staatlicherseits jederzeit kontrollierbarer Grenzen vorkamen.192 Dies gründete sich bereits in der Neigung absolutistischer Regenten zur Aufsicht über alle Lebensbereiche ihrer Untertanen. Die Verbreitung von mitigation und nullification konterkarierte sowohl das Streben nach effektiver Strafverfolgung als auch das Bedürfnis, in Verfahren mit politischem Hintergrund einen Ausgang im Sinne der Staatsraison zu sichern. Seit den 50er Jahren des 16. Jahrhunderts wurden daher Geschworene, die sich nicht konform zur Meinung der jeweiligen Richterbank verhielten, zur Bestrafung an die Star Chamber überstellt.193 Druck auf Geschworene wurde auch während des 17. Jahrhunderts systematisch ausgeübt. Ein Beispiel für diese Praxis war das Vorgehen gegen eine Jury im Jahre 1670 in dem Verfahren gegen William Penn und William Mead194. Dort wurden die Geschworenen, da sie ungeachtet der Drohungen durch die anwesenden Richter ihren Freispruch aufrechterhielten, mit Geldstrafen belegt.195 Eine Darstellung der staatlichen Versuche der Einflussnahme wäre unvollständig ohne Hinweis auf den Unterschied zwischen der Behandlung der oben erwähnten Fälle, bei denen staatlicherseits ein Interesse am Ausgang vorhanden war, und der Masse von Alltagsfällen. In den zuerst genannten Fällen wurde von der Richterbank und der Regierung die Linie verfolgt, eigenständige Entscheidungen der Jury in politisch brisanten Fällen nicht zu dulden. Anders war die Situation in Fällen von Alltagskriminalität, die naturgemäß einen überwiegenden Teil der Spruchpraxis umfasste. Weil bei diesen Routinefällen keine politischen Implikationen im Raum standen, war Raum für ein pragmatisches Vorgehen, um die Effektivität der Rechtsprechung zu sichern. Zu diesem Zweck wirkten Richter und Geschworene auf der Basis gegenseitigen Entgegenkommens zusammen.196 Den Kern dieser stillschweigenden Übereinkunft bildete das Zugeständnis an die Geschworenen, in beschränktem Umfang Milde walten lassen zu können. Im Gegenzug gewährleisteten die Geschworenen einen ansonsten reibungslosen Ablauf der Gerichtsverhandlungen. Zur Durchsetzung seines Interesses an einer Verurteilung im Einzelfall stand dem Staat ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung. Eine Art der Einflussnahme war die Besetzung der Geschworenenbank mit „zuverlässigen“ Personen. Auf diese Erscheinung wird weiter unten noch einzugehen sein.197 Die Regeln des gerichtlichen Verfahrens waren zudem so gestaltet, dass die Präsentation der Beweismittel in einer Art und Weise erfolgte, die einseitig zuungunsten des Ange192
Green, Verdict, S. 154. Green, Verdict, S. 141; Curzon, Legal History, S. 179 ff.; Graf, Auswirkungen, S. 200 ff. m. w. N.; Hostettler, Jury Old and New, S. 41, 50; Cockburn, History of English Assizes, S. 123. 194 Vgl. oben 1. Teil A. III. 2.: Die Missachtung von Gesetzen durch Geschworene. 195 Vgl. für Details: Green, Verdict, S. 221 ff.; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 323. 196 Green, Verdict, S. 130. 197 Vgl. bereits vorstehend: 1. Teil A. III. 2. b): Zusammensetzung der Jury. 193
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
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klagten wirkte.198 Häufig wies ein Richter auch die Geschworenen an, ein special verdict abzugeben.199 Damit wurde die umfassende Schuldfrage auf eine eindeutig zu beantwortende Teilfrage reduziert und der Jury so die Möglichkeit einer Würdigung aller Tatumstände abgeschnitten.200 Die schärfste Waffe in der Hand der Richter war die Verhängung von Geldstrafen oder die Inhaftierung renitenter Juroren. Nach Abschaffung der Star Chamber wurden diese Maßnahmen vom Vorsitzenden Richter selbst getroffen. Auf diese Weise war es oft möglich, Geschworene einzuschüchtern und ihr Schuldurteil zu beeinflussen. Die richterliche Einwirkung auf Geschworene durch Drohungen, Einschüchterung und Zwang wurde bekannt unter dem Begriff judicial coercion. Die Richter agierten bei der Kontrolle von Geschworenen einerseits eigenständig, andererseits jedoch auch als Instrumente der Regierung. Ermöglicht wurde dies durch die im absolutistisch regierten England des 16. bis 17. Jahrhunderts praktizierte staatliche Oberaufsicht über die Richter.201 Ihr Amt übten die Richter nur nach dem Belieben des Königs202 und unter der Voraussetzung guten Betragens203 aus.
b) Zusammensetzung der Jury Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war Voraussetzung für den Dienst in einer Jury in ländlichen Gebieten ein jährliches Einkommen von 40 shilling aus Landbesitz.204 Juries bestanden daher mehrheitlich aus Freisassen205 und Handwerkern.206 Der Dienst als Geschworener wurde oftmals als Belastung angesehen, weil er Zeit und damit Geld kostete.207 Folglich wurde versucht, einer Aufforderung zum Dienst zu entgehen. Das führte dazu, dass sich der Zensus de facto nach unten verschob und auch weniger wohlhabende Schichten in der Jury dienten. Dadurch verschlechterte sich die Qualität der Juries, weil ärmere Juroren empfänglich für Bestechungen waren und ihre eigene Unbescholtenheit bezweifelt werden konnte208. Die Beschaffenheit zeitgenössischer Juries war der Anlass für die resignierte Feststellung des Angelo in Shakespeares Measure for Measure: 198
Green, Verdict, S. 132 f. Zur Frage der Entstehungsgeschichte des special verdict: Pollock/Maitland, History II, S. 630. 200 Vgl. Pollock/Maitland, History II, S. 630; Langbein, English Criminal Trial Jury, S. 38. 201 Rawlings, Crime and Power, S. 175. 202 Lat. „durante beneplacito nostro“; vgl. Curzon, Legal History, S. 209 f. 203 Lat. „quamdiu se bene gesserint“; vgl. Curzon, Legal History, S. 210; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 80. 204 Hostettler, Jury Old and New, S. 43. 205 Kleinbauer; engl. yeoman. 206 Hostettler, Jury Old and New, S. 43; Cockburn, Twelve Silly Men, S. 161. 207 Hostettler, Jury Old and New, S. 43; Plucknett, Concise History, S. 131. 208 Hostettler, Jury Old and New, S. 43. 199
1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
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„Ich leugne nicht, im Schwurgericht, Das abstimmt über des Gefangnen Leben, Mag unter zwölf Geschwor’nen ein Dieb Sein, zwei, und schuldiger als den sie strafen. Justiz packt das, was die Justiz erfährt. Was tut’s Dem Recht, dass Diebe Diebe richten?“209
Um diesen Zuständen entgegenzuwirken, wurde Mitte der 80er Jahre des 16. Jahrhunderts der Zensus für das Geschworenenamt auf vier Pfund jährlicher Einkünfte angehoben.210 Von diesem Zeitpunkt an bestanden Juries überwiegend aus Großbauern, niederem Adel und wohlhabenden Handwerkern.211 Dieser Umstand hatte die Folge, dass es sich bei der Jury in der hier betrachteten Zeit um ein Gremium handelte, das aus der Perspektive der meisten Einwohner Englands als Instrument der herrschenden Klasse betrachtet wurde212. Neben dem Zensus wurde die Zusammensetzung der Jury durch Bestrebungen beeinflusst, politisch zuverlässige Geschworene auszuwählen. Diese Praxis erhielt die bildhafte Bezeichnung jury packing. Forschungen beispielsweise von Cockburn haben gezeigt, dass im 17. Jahrhundert besonders solche Geschworenen sorgfältig ausgewählt wurden, die über Verfahren mit politischem Hintergrund zu entscheiden hatten.213 Der Schlüssel zur Besetzung der Jury war das Amt des sheriff. Er zeichnete für die Aufstellung der Geschworenenlisten verantwortlich.214 Je nach der Partei, die den sheriff in ihrer Hand hatte, gestaltete sich die politische Färbung der Jury. Auf dem Land beispielsweise war traditionell die königstreue Partei sehr einflussreich. Dagegen stellte in London die bürgerliche Partei der Whigs den sheriff. Aus diesem Grund versuchte die Krone häufig, Verfahren gegen politische Gegner in Gebiete außerhalb Londons zu verlegen.215
4. Der Streit über die Rolle der Jury Nachdem die Jury mit dem Ende des self-informing ihre traditionelle Rolle als Beweisfinder verlassen hatte und über Schuld und Unschuld anhand von in der Hauptverhandlung präsentierten Beweisen entschied, entzündete sich insbesondere im 17. Jahrhundert die Diskussion über die konkrete Ausgestaltung bzw. die Grenzen dieser Rolle. Die zentrale Frage dabei war, ob die Geschworenen an gesetzliche Vorgaben bezüglich der Entscheidung über die Schuldfrage gebunden 209
Shakespeare, Maß für Maß, II 1. 18 ff. Baker, Oxford History, S. 353; Green, Verdict, S. 132; Hostettler, Jury Old and New, S. 43. 211 Hostettler, Jury Old and New, S. 44; Lawson, Lawless Juries, S. 133. 212 Hostettler, Jury Old and New, S. 44; Lawson, Lawless Juries, S. 137. 213 Hostettler, Jury Old and New, S. 75; Cockburn, History of English Assizes, S. 115; Green, Verdict, S. 106. 214 Hostettler, Jury Old and New, S. 74; Bentley, English Criminal Justice, S. 90. 215 Hostettler, Jury Old and New, S. 74. 210
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waren und demzufolge nur zu Richtern über Tatsachen berufen waren oder ob Geschworene frei entscheiden konnten, was im Einzelfall Recht war. In diesem Zusammenhang soll zunächst der theoretische und philosophische Hintergrund der Frage nach der Rolle der Jury umrissen werden. Anschließend wird thematisiert, wie in der Auseinandersetzung um die judicial coercion die Rolle der Jury definiert wurde.
a) Das Konzept von der Jury als law finder Religiöse Umwälzungen im Gefolge der unter der Herrschaft Heinrichs VIII. vollzogenen offiziellen Abkehr von der katholischen Kirche hatten das Heranwachsen einer Generation puritanischer Nonkonformisten im 17. Jahrhundert zur Folge, die ihre Freiheit der Religionsausübung durch den Absolutismus gefährdet sahen.216 Zwei dieser der puritanischen Strömung zuzuordnenden religiösen Bewegungen, die der Leveller und die der Quäker, eröffneten, angestoßen durch politische Repressionen, eine neues Kapitel im Diskurs über die Rolle der Jury. Etwa seit der Mitte des 17. Jahrhunderts entstand als Gegenentwurf zu den Bestrebungen, den Einfluss der Jury zu begrenzen, die Theorie von der Jury als law finder. Dieses Konzept verstand die Erkenntnis des Rechtes in gleicher Weise wie die Feststellung der fallbezogenen Tatsachen als Aufgabe der Geschworenen.217
aa) Die Sichtweise der Leveller Die Leveller waren eine Gruppe radikaler Reformer, die in der Zeit der englischen Revolution entstanden war und radikale soziale und politische Veränderungen anstrebte. Sie waren keine homogene Partei, sondern eine Sammlungsbewegung von Personen, die ähnliche Ideen verfolgten. Sie bestanden aus Soldaten der Revolutionsarmee Oliver Cromwells und einigen Zivilisten, die sich während der 40er Jahre des 17. Jahrhunderts ideologisch immer weiter von den Zielen der Führungsspitze der englischen Revolution entfernt hatten.218 Gemeinsam war den Levellern die Forderung nach sozialen und politischen Reformen, wie dem allgemeinen Wahlrecht, Meinungsfreiheit und einer Umgestaltung des Rechtssystems. Diese Ziele ließen die Leveller schließlich als eine Gefahr für das Regime Cromwells erscheinen. Das führte letztendlich zur Zerstörung der Levellerbewegung219.
216
Curzon, Legal History, S. 38; Schröder, Englische Geschichte, S. 29. Green, Verdict, S. 153. 218 Green, Verdict, S. 153. 219 Im Mai 1649 kam es zu einem lokal begrenzten Aufstand der Leveller in Burton, der von Truppen Cromwells unterdrückt wurde. Im Herbst desselben Jahres waren die Leveller als Bewegung nicht mehr handlungsfähig; vgl. Green, Verdict, S. 153. 217
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Die Leveller hatten eine eigene Sicht auf die Rollenverteilung von Jury und Richter und entwickelten eine neuartige Konzeption bezüglich der Rolle der Jury. Die Jury wurde von den Levellern und ihren Anhängern als ein historisch gewachsenes Repräsentativorgan der Bevölkerung verstanden. Der Ursprung der Jury wurde in die angelsächsische Gesellschaft gelegt, in der angeblich die Juries selbst Richter gewesen seien. Dieses ursprüngliche Rechtssystem sei durch die Normannen nach der Eroberung zerstört worden. Die Leveller kritisierten zudem den Gebrauch komplizierter juristischer Terminologie als Hindernis für die Verständlichkeit und Zugänglichkeit des Rechtes.220 Die Jury wurde als ein Mittel betrachtet, den Juristenstand zu zwingen, die Gesetze in eine Form zu bringen, die Laien verständlich war, um so der Entfremdung zwischen Juristen und Nichtjuristen entgegenzuwirken.221 Den Richtern war im Gerichtsverfahren nach dem Verständnis der Leveller zwar die Aufsicht über das Gesetz anvertraut, jedoch lehnten sie das Richterrecht ab222. Die Aufgabe der Richter bestünde vielmehr darin, das geltende Recht zu erklären und den Verfahrensablauf zu leiten. Einer der Führer der Leveller Bewegung, John Lilburne (1614–1657), charakterisierte 1648 die Jury als „Gott den Allmächtigen“ und den Richter als „Geistlicher oder Priester, welcher das Urteil und den Richterspruch des Allmächtigen aussprechen und verkünden soll“223. Nach Ansicht Lilburnes sollten die Richter auf die Jury keinen Einfluss haben224. Die Leveller argumentierten, die Geschworenen hätten das Recht und die Pflicht, ein Gesetz auf seinen Einklang mit der Gerechtigkeit hin zu überprüfen und jeden Angeklagten freizusprechen, wenn sie zu dem Ergebnis gelangten, das Gesetz wäre ungültig.225 Ferner sollten die Geschworenen den Angeklagten dann freisprechen, wenn nach ihrer Überzeugung die gesetzlich vorgeschriebene Strafe in ihren Augen zu hart wäre. Die Grundlage der Prüfung von Gesetzen durch die Geschworenen sollte das „wahre Recht“ sein. Es stellt sich daher die Frage, was die Leveller unter dem wahren Recht verstanden. Die Sichtweise der Leveller auf das Recht war von der Überzeugung geprägt, dass in der angelsächsischen Zeit, die sie in mythischer Verklärung sahen, alle Menschen frei gewesen seien und nach dem „wahren“ Recht (true law) gelebt hätten.226 Green meint, die Leveller hätten diesen Naturzustand des Rechts mit dem Zustand des Rechts assoziiert, wie er nach der Bibel gelten solle.227 Die norman220
Green, Verdict, S. 165. Hostettler, Jury Old and New, S. 60. 222 Hostettler, Jury Old and New, S. 60. 223 Lilburne, A Plea and Protest; zit. nach: Green, Verdict, S. 169. 224 Engl. „the Judges ought to be mere ciphers“; vgl. Green, Verdict, S. 170. 225 Green, Verdict, S. 159 f. 226 Green, Verdict, S. 163; Vann, 19 Journal of the History of Ideas (1958), 259 (269); Pocock, Ancient Constitution, S. 125 f. 227 Green, Verdict, S. 164, Fn. 34. 221
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nische Eroberung habe diesen „wahren Grundgehalt“ (true substance) des Rechts verfälscht. Daher forderten die Leveller eine Reform der rechtlichen Verfahren und Institutionen dahingehend, dass dieser wahre Grundgehalt des Rechtes wieder zutage treten solle. Was genau das „wahre“ Recht sei, definierten sie somit einerseits historisch als das Recht, welches nach ihrer Auffassung im angelsächsischen Reich gegolten hatte. Daneben erscheint in der Leveller Ideologie auch die Berufung auf ein Recht, das durch die Natur bestimmt sei und vernunftmäßig erkannt werden könne. In vielen Schriften der Leveller wiederholt sich das Motiv, dass Rechtsfindung nach Vernunft (reason) und Billigkeit (equity) Vorrang gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes haben sollte228. Nach der Sichtweise der Leveller erforderte jeder Einzelfall, also jede Erkenntnis der Umstände einer Straftat, wie sie von einer Jury durch Wahrnehmung der Hauptverhandlung erkannt wurden, seine eigene und einzigartige Bewertung im Schuldurteil der Geschworenen. Der Inhalt dieses Ausspruches sollte durch das Gewissen der Geschworenen bestimmt sein.229 Ein weiterer Aspekt der Leveller-Ideologie war ein Rechtsverständnis, das viele andere Puritaner teilten. Es prägte beispielsweise eine Schrift aus der Feder von John Jones. Jones sah das Recht des Volkes zur Interpretation des Rechts in einer Linie mit der Interpretation der heiligen Schrift, die er als Grundlage allen Rechts betrachtete230. In diesem Zusammenhang ist auch die Kritik der Leveller an der Vereinnahmung des Rechts durch den Juristenstand zu verstehen. Das Recht sollte genau wie das in der Bibel niedergelegte göttliche Gebot für jedermann zugänglich und verständlich sein.231
bb) Die Quäker und die Jury Die Religionsgemeinschaft der Quäker war während der Restauration der StuartHerrschaft (1660–1688) intensiven Repressionen im Zuge einer allgemeinen Kampagne zur Durchsetzung des Anglikanismus von staatlicher Seite ausgesetzt.232 228
Overton, Commoner’s Complaint, S. 380 (6); Overton, Appeale, S. 161; „when there is certaine appearance or grounded suspition, that the Letter of the Law shall be improved against the equitie of it (…) then the Commander going against its equity, gives liberty to the Commanded to refuse obedience to the Letter“, vgl. Lilburne, Birth-Right, S. 260 (2) – weiter zum Verständnis der Leveller zur Billigkeit (equity): Davies, Levellers and Christianity, S. 227 ff. 229 Engl. verdict according to conscience; Green, Verdict, S. 167. 230 Green, Verdict, S. 159; Ein weiteres Beispiel für die Verbindung, welche die Leveller zwischen materiellem Recht und der Bibel sahen, war ihre Ablehnung der Todesstrafe für einfachen Diebstahl. Diese begründeten sie damit, dass eine solche Strafe der biblischen Überlieferung widerspräche; vgl. Green, Verdict, S. 159. 231 Green, Verdict, S. 165. 232 Die Quäker waren als Glaubensgemeinschaft in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden. Sie definierten sich zunächst weniger über ihren Glauben als über ihre ablehnende Haltung gegenüber der anglikanischen Staatskirche und den Puritanern. Ihre oppositionelle
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Im Jahre 1664 begann eine Flut von Prozessen gegen Quäker wegen Taten, die unter dem Conventicles Act von 1664, der religiöse Zusammenkünfte außerhalb der anglikanischen Kirche verbot, strafbar waren. Diese Prozesse lösten erstmals seit der publizistischen Tätigkeit der Leveller wieder eine intensive öffentliche Auseinandersetzung über die Rolle der Jury aus. In zahlreichen Streitschriften wandten sich die Quäker an potentielle Geschworene und forderten von ihnen, den Conventicles Act „gesetzmäßig“ (lawfully) anzuwenden. Dieser Appell bezog sich auf die Präambel des Conventicles Act, nach der es die Absicht des Parlaments gewesen war, mit dem Gesetz Zusammenkünfte mit aufwieglerischem (seditious) Charakter zu verbieten. Der eigentliche Gesetzeswortlaut wiederholte die qualifizierende Anforderung des aufwieglerischen Charakters des Treffens aus der Präambel jedoch nicht. Daher wurden die Geschworenen von den Richtern stets dahingehend belehrt, dass ein aufwieglerischer Charakter nicht bewiesen werden müsse, sondern bereits das Versammeln strafbar sei.233 Die Quäker sprachen sich dagegen aus, eine bestimmte Interpretation des Conventicles Act durch den Richter zu akzeptieren, sondern drängten die Juroren, stattdessen den wahren Inhalt des Gesetzes zu finden. Mit dieser Argumentation bewegten sich die Quäker innerhalb eines Verständnisses, das den Geschworenen zwar zubilligte, selbständig Gesetze zu interpretieren, nicht jedoch das Recht losgelöst von positiven Normen zu finden.234 Während die Quäker die Forderung Lilburnes wiederholten, keinen Angeklagten aufgrund eines nichtigen Gesetzes zu verurteilen, nahmen sie jedoch implizit die Gültigkeit des fraglichen Gesetzes als gegeben an und beschränkten sich auf die Frage nach der wahren Bedeutung des Gesetzes.235 Mit ihrer Akzeptanz der Prinzipien des common law vertraten die Quäker folglich eine weniger radikale Position als die Leveller. Gemeinsam war beiden Standpunkten nur der Appell an das Gewissen der Geschworenen sowie die Forderung nach Unabhängigkeit von der Richterbank. Die Quäker betonten ferner stets die Aufgabe der Geschworen als absolute und einzige Richter über die Tatsachen eines Falles.236 Eine weitergehende Ansicht als die übrigen Quäker vertrat William Smith in seiner im Herbst 1664 erschienenen Schrift „Some Clear Truths“, in welcher er Geschworene dazu aufforderte, eine Anklage auf ihre Übereinstimmung mit dem Recht zu prüfen237. Das Recht sollte nach Smith einzig und allein auf Gnade, Haltung machte die Quäker lange Zeit zum Gegenstand auch politischer Verfolgung. Die Verfolgung der Quäker begann 1662 mit dem Quaker Act und erreichte ihren Höhepunkt mit dem Conventicles Act von 1664; vgl. Green, Verdict, S. 130; Hostettler, Jury Old and New, S. 68. 233 Green, Verdict, S. 202 f.; Hostettler, Jury Old and New, S. 68. 234 Green, Verdict, S. 206. 235 Green, Verdict, S. 207 f. 236 Green, Verdict, S. 207; Smith, Another Cry, S. 19. 237 „Whether the Prisoner stands upon his Tryal according to Law, that is, whether it be properly and truly Law, that he is tryed by.“; vgl. Smith, Some Clear Truths, S. 11.
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Gerechtigkeit und Billigkeit238 gegründet sein. Er argumentierte ferner, dass ein Gesetz, welches nicht mit diesem Rechtsverständnis vereinbar sei, als nichtig betrachtet werden müsse239. Mit dieser Auffassung griff er Ideen auf, die bereits von den Levellern geäußert worden waren. Innerhalb des Schrifttums der Quäker blieb Smith mit seinen Ansichten jedoch allein.
b) Die Forderung nach non-coercion als die Antwort auf Repressionen gegen die Jury Die auf freie Entscheidungen der Geschworenen gerichteten Ideen der Leveller und Quäker bewirkten einen wachsenden Widerstand gegen richterliche Zwangsmaßnahmen. Gegen die richterlichen Zwangsmaßnahmen (judicial coercion) wurde die Forderung nach non-coercion (Nichtverhängung von Zwangsmaßnahmen) erhoben. Zu untersuchen sind daher zunächst die Formen des Widerstandes gegen judicial coercion und die Bedingungen, welche diesen Widerstand ermöglichten. In einem zweiten Schritt wird mit dem Bushell’s Case ein wichtiger Markstein auf dem Wege der Abschaffung der judicial coercion besprochen. Von den Ergebnissen des Bushell’s Case ausgehend wird schließlich erörtert, ob und inwieweit am Ende des 17. Jahrhunderts die Forderung nach non-coercion den Sieg davongetragen hatte.
aa) Widerstand gegen die judicial coercion Indem der Richter durch judicial coercion versuchte, auf eine bereits gefällte Entscheidung über Schuld oder Unschuld Einfluss zu nehmen, höhlte er den Kern der Aufgaben der Geschworenen aus und stellte die Rolle der Jury insgesamt in Frage.240 Das Ende der Praxis richterlicher Einflussnahme war somit für die Jury eine Überlebensfrage. Das Drängen des Staates nach Kontrolle der Strafverfahren aktivierte Gegenkräfte. Ein wichtiges Moment dabei war die Lebenskraft der tief im Volk verwurzelten Idee von der lokalen Gemeinschaft als einem Schutz gegen zu große Macht der Zentralregierung.241 Auf dieser Grundlage konnte sich ungefähr ab der Mitte des 17. Jahrhunderts im Gefolge der insgesamt wachsenden politischen Unzufriedenheit eine Opposition gegen den Machtzuwachs der Richterbank und die Politik 238
Engl. „mercy, justice and equity“; vgl. Smith, Some Clear Truths, S. 7, 12. „Such an interpretation makes the Law to be no Law, because it will not unite with the Body of the Law“; vgl. Smith, Some Clear Truths, S. 12. 240 Lawson, Lawless Juries, S. 157; Green, Verdict, S. 154. 241 Rawlings, Crime and Power, S. 175. 239
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der Einschüchterung von Geschworenen bilden.242 Widerstand regte sich auch in den Reihen der Richter. Sie waren einerseits durchaus bereit, ihre eigene Bedeutung auf Kosten der Jury auszubauen. Andererseits betrachteten sie die Versuche der Zentralregierung, die gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu bringen, kritisch, weil dadurch auch ihre eigene Position in Gefahr geriet.243 Viele Richter waren mithin bereit, sich gegen die vom Staat ausgeübte Oberaufsicht über die Richterschaft zur Wehr zu setzen. In diesem Bestreben sahen einige Richter in der Jury einen möglichen Verbündeten. Gegen die Ausbreitung der judicial coercion wirkten ferner organisatorische Probleme bei der flächendeckenden Strafverfolgung. Der Staatsapparat war schon aus finanziellen Gründen noch nicht in der Lage, so zu agieren, dass er auf die Unterstützung kommunaler Eliten verzichten konnte.244 Die Jury als Verbindungsglied zwischen Staat und lokaler Gemeinschaft hatte also noch nicht ausgedient. Abgesehen von den genannten Faktoren wurde ein großer Teil des Widerstandes gegen Zwangsmaßnahmen von den Geschworenen selbst geleistet. Die Fähigkeit zu solchem Handeln setzte indessen voraus, dass in einer Jury ein von der Ansicht des Richters abweichender Wille überhaupt entstehen und artikuliert werden konnte. Dies wurde möglich in der Folge einer strukturellen Aufwertung der Jury durch die Änderungen beim Geschworenenzensus und in der inneren Organisation. Wegen der angehobenen Vermögensgrenze stand nur ein verhältnismäßig kleiner Kreis potentieller Geschworener zur Verfügung. Diese schmale personelle Basis wirkte sich dahingehend aus, dass wiederholter Dienst die Regel war. Ein einzelner Geschworener, der öfter zum Dienst herangezogen wurde, konnte dadurch mehr forensische Erfahrung gewinnen. Außerdem bewirkte die Beschränkung des Dienstes auf die wohlhabenden Schichten, dass die Juroren insgesamt ein hohes Bildungsniveau aufwiesen.245 Die gewachsene Vertrautheit mit dem Gerichtsverfahren, die bessere Bildung und mutmaßlich auch der Wohlstand und ihr Ansehen machten diese Juroren weniger anfällig für Beeinflussungen oder Einschüchterungsversuche. Eine Verbesserung ihrer internen Organisation erfuhr die Jury durch die Regulierung des Amtes des foreman.246 Der foreman wurde aus dem Kreis der Geschworenen für die Leitung der Beratungen und zur Verkündung des Schuldurteils bestimmt. Für gewöhnlich diente er häufiger in dieser Eigenschaft. Angeleitet durch einen erfahrenen foreman steigerte sich die Fähigkeit der Geschworenen zur Bildung einer eigenständigen Sichtweise. Eine Jury des späten 17. Jahrhunderts war auf diese Weise strukturell besser in der Lage, einer Einflussnahme entgegenzutreten als ihre Vorgänger zweihundert Jahre zuvor.247 242
Schröder, Englische Geschichte, S. 28. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 192. 244 Rawlings, Crime and Power, S. 175. 245 Cockburn, Twelve Silly Men, S. 180 f. 246 Dt. „Obmann“; Cockburn, Twelve Silly Men, S. 181; Green, Retrospective, S. 378; Beattie, Crime and Courts, S. 398. 247 Cockburn, Twelve Silly Men, S. 181. 243
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Erste Erfolge des Widerstandes gegen die judicial coercion manifestierten sich im Bereich der Justiz zunächst in einer Reihe von Reformen, die dem König noch vor Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 1642 abgerungen wurden248. Die Reformbestrebungen beinhalteten auch Versuche einer parlamentarischen Kontrolle der Richterschaft durch Entlassung und Bestrafung von Richtern, die in den Augen des Parlaments gesetzwidrige Urteile gefällt hatten249. Ein Gesetzesvorschlag, der richterlichen Zwang gegen Juroren verboten hätte, wurde jedoch vom Parlament nicht verabschiedet.250
bb) Bushell’s Case – der Sieg der non-coercion Der Durchbruch im Kampf gegen die judicial coercion erfolgte im Jahre 1670. Die Geschworenen, welche die Quäker Penn und Mead freigesprochen hatten251 und dafür inhaftiert und zur Zahlung eines Bußgeldes verurteilt worden waren, setzten sich gegen diese Behandlung erfolgreich auf dem Klageweg zur Wehr. Der Richter in dem Rechtsmittelverfahren Chief Justice Vaughan erklärte die Verhängung des Bußgeldes für illegal.252 Mit diesem Urteil wurde klargestellt, dass jegliche Bestrafung oder Bedrohung von Geschworenen für ihr Schuldurteil ungesetzlich war.253 Den Kern der Argumentation bildete die Aussage, dass bei Fehlentscheidungen in Zivilsachen die dort eingesetzten Juroren keiner Strafe ausgesetzt seien, a fortiori müsse dies auch in Strafverfahren gelten.254 Ferner stellte Vaughan fest, dass nullification durch Geschworene praktisch nie erkennbar sei, denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Juroren Kenntnisse hätten, welche über die im Gericht dargebrachten Beweise hinausgingen.255 Justice Vaughan zufolge bestand die Aufgabe der Jury darin, ein Schuldurteil zu finden, indem sie das Recht, wie es vom Richter erklärt worden war, auf die Umstände des vorliegenden Falles anwendete.256 Vaughan unterschied zwischen zwei Arten von Fehlverhalten der Geschworenen. Die erste Gruppe bezeichnete er als Verwaltungshandeln (ministerial). Diese Art des Fehlverhaltens umfasste beispielsweise die Weigerung, Beweise anzuhören oder einen Schuldausspruch abzugeben. Für solches Verhalten konnte den Geschwo248 Dazu rechnen die Abschaffung der Folter und der Star Chamber auf Druck des so genannten Langen Parlaments im Jahre 1641. 249 Im Dezember 1667 wurde Lord Chief Justice Kelyng, einer der Protagonisten der judicial coercion, vor dem Parlament angeklagt. Dieses Verfahren blieb für ihn jedoch ohne Folgen; vgl. Green, Verdict, S. 213; Hostettler, Jury Old and New, S. 68 f. 250 Hostettler, Jury Old and New, S. 69; Green, Verdict, S. 220. 251 Vgl. oben 1. Teil A. III. 2.: Die Missachtung des Gesetzes durch Geschworene. 252 Für Details siehe: Green, Verdict, S. 221 ff.; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 323. 253 Vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 71. 254 Green, Verdict, S. 248. 255 Hostettler, Jury Old and New, S. 71; Holdsworth, History I, S. 346. 256 Hostettler, Jury Old and New, S. 71.
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renen eine Strafe auferlegt werden. Für das Schuldurteil dagegen, das Vaughan als richterlichen Akt bezeichnete, war keine Bestrafung möglich. Mit dieser Unterscheidung wurde eine Art „Juryprivileg“ geschaffen, das an das Richterprivileg des § 839 II BGB erinnert. In dieser Vorschrift wird ebenso ein haftungsfreier Bereich, nämlich Pflichtverletzungen bei einem Urteil, von einem anderen Bereich unterschieden, in dem der Richter für Pflichtverletzungen haftet. Indem Vaughan mit bereits entschiedenen Präzedenzfällen argumentierte, bewegte er sich auf dem Boden des common law. Eine Aussage über die Zulässigkeit von nullification bzw. mitigation enthielt das Urteil im Bushell’s Case nicht. Damit bezog es nicht Stellung zu der Frage, ob die Rolle der Geschworenen als law finder oder als fact finder zu begreifen sei.257 Ein Ergebnis für den theoretischen Diskurs über die Rolle der Jury brachte Bushell’s Case somit nicht. Für die gerichtliche Praxis war jedoch von enormer Wichtigkeit, dass das Prinzip der non-coercion erstmals von einer hohen juristischen Autorität anerkannt wurde. Wegen der Bindungswirkung dieses Präzedenzfalles bestand zudem Aussicht, dass das Prinzip der non-coercion in der Zukunft angewendet werden würde.258 Obgleich noch immer kein Schlussstrich unter das Kapitel der Einschüchterung von Geschworenen durch Richter gezogen war, kam die judicial coercion jedoch immer mehr außer Gebrauch, bis sie schließlich verschwand.259
5. Zusammenfassung der Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert Die englische Jury des 16. und 17. Jahrhunderts war zwei gegensätzlich verlaufenden Entwicklungen ausgesetzt. Auf einer Seite gab es eine Minderung der Einflussmöglichkeiten auf das Verfahren, während auf der anderen Seite eine Sicherung der Rolle als Richter über die tatsächliche Seite einer Straftat eintrat. Der Einflussverlust wurde hervorgerufen durch Veränderungen im Verfahren, welche die Jury von eigenen Informationsquellen abschnitt und von staatlich beschafften Informationen abhängig machte. Außerdem war ein Ziel der staatlichen Politik die Kontrolle der Jury. Es wurde gezeigt, dass dieser politische Gestaltungswille maßgeblich zur Einschränkung der Macht der Jury beitrug. Die Versuche zur Einflussnahme gipfelten seitens der Richter in konkreter Bedrohung von Geschworenen mit den Werkzeugen der judicial coercion. Wenn diese Bemühungen schließlich fehlschlugen, so hatte dies verschiedene Ursachen. Dazu zählen die Lebenskraft des common law, die strukturelle Aufwertung der Jury und nicht zuletzt auch ein Widerstand gegen eine Ausweitung des absoluten monarchischen Prinzips. Infolgedessen war der Ansatz, die Geschworenen durch judicial coercion auf eine bestimmte Linie zu zwingen, am Ende des 17. Jahrhunderts mit der 257 258 259
Green, Verdict, S. 248 f.; Hostettler, Jury Old and New, S. 71. Green, Verdict, S. 200. Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 323; Green, Verdict, S. 274.
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Etablierung des Prinzips der non-coercion durch das Urteil in Bushell’s Case gescheitert. Diese Vorgänge wurden begleitet von einer theoretischen Debatte über die Rolle der Jury, in deren Verlauf sich eine Sicht auf die Jury entwickelte, die in der Jury ein Organ erblickte, das berufen war, das im Einzelfall geltende Recht zu finden. Diese radikale Sichtweise konnte sich gleichwohl nicht durchsetzen. Innerhalb dieser Debatte wurde jedoch auch der Gedanke formuliert, die Geschworenen seien alleinige Richter über die Tatsachen eines Falles. Dieses Motiv wiederholt sich auch in dem Urteil von Justice Vaughan in Bushell’s Case. Die Etablierung dieser Position setzte einen vorläufigen Endpunkt unter den Streit über die Verteilung der Zuständigkeit zwischen Richter und Jury.
IV. Die Geschworenengerichte im 18. Jahrhundert Das 18. Jahrhundert wird mitunter diejenige Zeit genannt, in der sich die Jury auf dem Höhepunkt ihres Einflusses befand.260 In dieser Zeit wurde der weit überwiegende Teil der Strafverfahren durch Geschworene entschieden. Außerdem konnten die Geschworenen weitgehend frei von richterlichem Zwang entscheiden. Das nachstehende Kapitel soll den tatsächlichen Umfang des Einflusses der Jury prüfen und die Weiterentwicklung der Jury nachzeichnen. Den ersten Problemkreis innerhalb dieses Themas bildet die Fortsetzung der bereits bekannten Praxis der Missachtung von Gesetzen durch Geschworene. Danach wird der Fortgang des Streits über die Verteilung der Zuständigkeit von Richter und Jury behandelt. Der Schwerpunkt innerhalb dieses Abschnittes liegt dabei in der Betrachtung der Auseinandersetzung um die Rolle der Jury bei der Bewertung der Strafbarkeit des Verfassens politischer Streitschriften. Am Ende dieses Kapitels soll ein kurzer Abriss der Debatte um die Reform des Strafverfahrens im 19. Jahrhundert stehen, insoweit es dabei um die Rolle der Jury ging.
1. Das Phänomen der pious perjury Es wurde bereits erwähnt, dass die Angewohnheit der Geschworenen, die Verhängung der gesetzlich vorgeschriebenen Strafe unter Umständen eigenmächtig zu verhindern, in der neuzeitlichen Literatur als nullification bzw. mitigation bekannt ist. Der englische Rechtswissenschaftler Blackstone erfand im 18. Jahrhundert für dasselbe Phänomen die Bezeichnung pious perjury.261 Diesbezüglich stellt sich die Frage, warum gerade in jener Zeit eine eigene Bezeichnung für eine be260
Hostettler, Jury Old and New, S. 82. Dt. „frommer Meineid“; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 58; Baker, Legal History, S. 591. 261
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reits bekannte Erscheinung gefunden wurde. Ferner sind die Motivation und die prozessualen Mechanismen, welche die pious perjury ermöglichten, zu untersuchen. Am Anfang des folgenden Kapitels sollen jedoch zunächst die Umstände beleuchtet werden, die den prozessualen Rahmen von Strafverfahren im 18. Jahrhundert determinierten.
a) Der prozessuale Rahmen Nachfolgend werden drei Faktoren behandelt, die das englische Strafverfahren im 18. Jahrhundert prägten. Dies war die gewandelte Position der Richter, die Herausbildung des adversatorischen Verfahrens durch die Verbreitung von Anwälten vor Gericht und die Beeinflussung der Zusammensetzung der Jury durch externe Kräfte. Diese Größen sollen nunmehr insbesondere unter dem Gesichtspunkt ihres Einflusses auf die Urteilspraxis der Geschworenen untersucht werden.
aa) Abschaffung der coercion und Unabhängigkeit der Richter Die Kritik an der Parteilichkeit der Richter löste in England am Beginn des 18. Jahrhunderts Aktivitäten aus, die darauf abzielten, die richterliche Willkür einzuschränken und den Einfluss des Staates auf die Richterschaft zu begrenzen.262 Möglich wurden diese Schritte nach der, als Glorious Revolution bekannt gewordenen, Thronbesteigung Wilhelms von Oranien, die 1688 den Beginn der konstitutionellen Monarchie auf englischem Boden markierte.263 Die Befugnisse des englischen Parlaments, des House of Commons, wurden erheblich erweitert, so dass die Regierungsgewalt des Königs künftig durch das Parlament legitimiert und zugleich begrenzt wurde. Die Umwandlung in eine konstitutionelle Monarchie erfuhr ihre normative Ausformung 1689 durch die Bill of Rights und den Act of Settlement von 1701264. Die Bill of Rights verbot den Richtern unter anderem, unverhältnismäßige Bußgelder oder grausame Strafen zu verhängen.265 Der Act of Settlement enthielt Grundsätze, welche die Richter der direkten Kontrolle durch die Obrigkeit weitgehend entzogen und so die Unabhängigkeit der Richter sicherten.266 Die Regierung verlor somit weitgehend die Gelegenheit, durch die Richter auf das gerichtliche Verfahren und damit die Jury einzuwirken. 262
Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 78 ff. Schröder, Englische Geschichte, S. 32. 264 Auf der Grundlage des Act of Settlement erfolgte 1715 die Thronbesteigung des ersten Hannoveraner Königs Georg I; vgl. Schröder, Englische Geschichte, S. 33. 265 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 80. 266 Im Act of Settlement wurde zwar daran fest gehalten, dass ein Verbleiben eines Richters im Amt von seinem guten Betragen abhängig war (quamdiu se bene gesserint), seine Absetzung sollte in Zukunft jedoch nur aufgrund eines Parlamentsbeschlusses möglich sein. Für das Gehalt eines Richters wurde festgelegt, dass es aus einem unabhängigen Fonds, dem so genannten 263
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Seitdem in Bushell’s Case Zwang gegenüber Geschworenen verboten worden war, nahm der Druck auf die Juries von Seiten der Richterbank ab. Gleichwohl war auch im 18. Jahrhundert eine Fortsetzung der Praxis der Einflussnahme auf die Geschworenen zu beobachten. Zum Beispiel konnte der Richter die Geschworenen in eine bestimmte Richtung lenken, wenn er in seinem Kommentar zur Verhandlung (charge) eine Würdigung der vorgelegten Beweise vornahm.267 Dokumentiert sind auch Fälle, in denen der Richter ein Schuldurteil ablehnte, der seiner Ansicht widersprach.268 Eine zusätzliche Gelegenheit zur Beeinflussung von Geschworenen ergab sich durch eine Weiterentwicklung des Beweisrechtes. Die Entwicklung des Beweisrechtes war stark auf die Bedürfnisse des trial by jury abgestimmt, so dass es auch als das „Kind des Jurysystems“269 bezeichnet werden kann. Als erste Beweisregel wurde die hearsay rule etabliert, die Aussagen aufgrund von Hörensagen ausschloss.270 Der Unwillen, Aussagen vom Hörensagen zu akzeptieren, gründete sich wahrscheinlich in dem schlechten Ruf, der solchen Beweisen seit der Stuart-Zeit anhing, in der Aussagen vom Hörensagen besonders in politisch motivierten Strafverfahren oftmals zu Verurteilungen geführt hatten. Diskutiert wurden weiterhin Probleme des Beweisrechtes im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit der Aussagen von Komplizen sowie naher Verwandter, ohne dass jedoch ein verbindliches Regelwerk entwickelt worden wäre.271 Die Beweisregeln waren vornehmlich dazu bestimmt, dem Richter Kontrolle über die Informationen für die Geschworenen zu geben.272 Durch dieselben Regeln wurden jedoch zugleich irreführende oder unsichere Beweise herausgefiltert, die dem Angeklagten zum Nachteil gereichen konnten.273 Trotz der grundsätzlichen Weiterentwicklung des Beweisrechts kam es nicht dazu, dass ein verbindliches Regelwerk entwickelt worden wäre.274 Die bisher dargestellten Kontrollmöglichkeiten der Jury durch den Richter belegen eine Zunahme an Handlungsspielraum der Geschworenen. Trotzdem vermögen sie nicht ausreichend die Erscheinung der pious perjury zu erklären, denn sie consolidated fund zu zahlen sei; vgl. Curzon, Legal History, S. 210; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 80; Glendon/Gordon/Carozza, Legal Traditions, S. 163; Romberg, Richter ihrer Majestät, S. 220. 267 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 322. 268 Wenn der Richter eine Entscheidung der Geschworenen ablehnte, hatte dies zur Folge, dass sich die Geschworenen erneut zur Beratung zurückziehen mussten. Obwohl es prinzipiell möglich war, dass sie ihre ursprüngliche Ansicht aufrechterhielten, entsprachen sie doch oft dem Wunsch des Richters, der in dessen Ablehnung zum Ausdruck gekommen war, und trafen eine entsprechende Entscheidung; vgl. Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 328. 269 Engl. „child of the jury system“; vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 13. 270 Vgl. Beattie, Crime and Courts, S. 364. 271 Ausführlich dazu: Beattie, Crime and Courts, S. 366 f. 272 Hostettler, Jury Old and New, S. 83. 273 Hostettler, Jury Old and New, S. 83; Beattie, Crime and Courts, S. 363; Langbein, English Criminal Trial Jury, S. 33. 274 Beattie, Crime and Courts, S. 366 f.
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zeigen, dass die Jury immer noch vom Richter beeinflusst wurde. Es existieren jedoch Belege dafür, dass die Geschworenen mitunter vom Richter selbst angewiesen wurden, den Angeklagten freizusprechen oder ein partial verdict auszusprechen, um die Todesstrafe zu verhindern.275 Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass Juries in jedem Fall vom Richter zuungunsten des Angeklagten gelenkt worden wären. Gesetze wurden außerdem von den Richtern zunehmend eng ausgelegt, was nicht selten zum Scheitern von materiell fundierten Anklagen führte.276 Schließlich kam eine Begnadigung oftmals auf Empfehlung durch den Tatrichter zustande, nachdem ein Angeklagter von der Jury schuldig gesprochen worden war.277 Auf diese Weise zeigt sich die Praxis der pious perjury des 18. Jahrhunderts als Resultat einer Zusammenarbeit von Richtern und Geschworenen.
bb) Anwälte und adversary trial Seit den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts traten immer öfter Anwälte zugunsten des Angeklagten im Strafprozess auf.278 Auf Seiten der Anklage waren Anwälte bereits seit längerem üblich. Hinsichtlich der Angeklagten war dessen ungeachtet bis dahin davon ausgegangen worden, dass ihnen der Richter als Helfer zur Verfügung stünde und zudem eine Verteidigung gegen die Krone nicht legitim sei.279 Die Konfrontation des unvorbereiteten und nicht anwaltlich beratenen Angeklagten mit den Fragen des Gerichts (unprepared response) wurde als der beste Weg angesehen, die Wahrheit zu Tage treten zu lassen.280 Es leuchtet ein, dass dies für den normalerweise weder juristisch noch rhetorisch geschulten Angeklagten erhebliche Nachteile mit sich brachte. Wahrscheinlich sensibilisiert durch die Erfahrungen der letzten Jahre der Stuart Monarchie, waren die Richter daher oftmals bereit, dem Angeklagten einen Verteidiger zu erlauben. Die Reichweite der Unterstützung, welche der Verteidiger seinem Mandanten geben konnte, war gleichwohl von der Einstellung des Richters abhängig, weil es keinen gesetzlichen Rahmen für die Verteidigung gab.281 275
Beattie, Crime and Courts, S. 425; Green, Verdict, S. 278. Hostettler, Jury Old and New, S. 99. 277 Beattie, Crime and Courts, S. 430 f.; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 60. Ein Gnadengesuch konnte jeder Verurteilte an den König richten; vgl. Baker, Legal History, S. 584; Radzinowicz, History of Criminal Law I; S. 110 ff. 278 Beattie, Crime and Courts, S. 356; Hostettler, Jury Old and New, S. 43; Green, Verdict, S. 270. 279 Eingehend zu diesen Argumenten: Green, Verdict, S. 35 f.; Carter, Legal Institutions, S. 219; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 83, Cairns, Advocacy and Criminal Trial, S. 26. 280 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 62; Hostettler, Jury Old and New, S. 43. 281 Beispielsweise konnte der Richter die Möglichkeiten des Verteidigers, Zeugen der Anklage ins Kreuzverhör zu vernehmen, beliebig verkürzen oder erweitern; vgl. Beattie, Crime and Courts, S. 359. 276
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Die Etablierung von Anwälten hatte Folgen sowohl für die Geschworenen als auch für die Natur des strafrechtlichen Verfahrens als Ganzes. Für das Strafverfahren bewirkte das Vorhandensein von zwei anwaltlich vertretenen Parteien die Entwicklung der das englische Verfahren kennzeichnenden adversatorischen Methode aus Verhör und Kreuzverhör mit dem Richter als Schiedsrichter zwischen den Parteien.282 Für die Geschworenen erschloss sich durch die Teilnahme von Anwälten eine zusätzliche Informationsquelle. Sie erhielten auf diese Weise Gelegenheit, verschiedene Sichtweisen auf den zu entscheidenden Fall kennen zu lernen. Die Juroren waren in der Folge somit weniger von den Ausführungen des Richters abhängig.283
cc) Auswahl der Jury Von der Mitwirkung in einer Jury waren im 18. Jahrhundert noch weite Teile der englischen Bevölkerung ausgeschlossen. Frauen, Katholiken und Personen mit Landbesitz, der einen jährlichen Ertrag von weniger als zehn Pfund erbrachte, konnten nicht Geschworene werden.284 Infolge dessen blieb die gesellschaftliche Basis der Jury schmal. Zahlen, welche für die Grafschaften Staffordshire und Northamptonshire bezogen auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ermittelt wurden, zeigen, dass nur ungefähr 1 % der Gesamtbevölkerung als Geschworene in Frage kam.285 In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts erfüllten von den in Staffordshire angeklagten Personen nur 2 % die Voraussetzungen des Geschworenenamtes, während es bei den Klägern in Strafverfahren 21 % waren.286 Diese Angaben zeigen deutlich, dass es sich bei der Jury des 18. Jahrhunderts um eine Institution handelte, die in weiten Teilen die obere Spitze der Gesellschaft repräsentierte. Diese Gesellschaftsschicht hatte deswegen ein besonderes Interesse an der Durchsetzung des Strafrechts, um dadurch ihr Eigentum gegen Diebstahl und andere Eigentumsdelikte zu sichern.287 Umso erstaunlicher ist das Zögern der Geschworenen, Angeklagte zum Tod zu verurteilen. Einen Erklärungsansatz dafür liefert Hay. Er sieht den Hauptgrund für das Ansteigen der Zahl der Freisprüche im 18. Jahrhundert in einem wenigstens stillschweigenden Einverständnis der Richter mit der Praxis der Freisprüche.288 Diese Betrachtungsweise vermag jedoch die Einrichtung der so genannten Special Juries am Ende
282 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 342 f.; Hostettler, Jury Old and New, S. 88; Gaede, Fairness, S. 347. 283 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 331. 284 Langbein, English Criminal Trial Jury, S. 24 f.; Hostettler, Jury Old and New, S. 103; Hay, Class Composition, S. 309 f. 285 Hostettler, Jury Old and New, S. 84; Hay, Class Composition, S. 321. 286 Hay, Class Composition, S. 350 f. 287 Hay, Class Composition, S. 352. 288 Handler, Limits of Discretion, S. 162 f.
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des 17. Jahrhunderts nicht zu begründen.289 Special Juries wurden von der Krone meist bei Verfahren wegen Vergehen gegen den Staat eingesetzt, wenn das Interesse an einer Verurteilung besonders groß war. Die Special Juries bestanden aus handverlesenen Juroren, die sozial meist besser gestellt waren als gewöhnliche Geschworene und die für ihre Dienste bezahlt wurden.290 Bereits dieses Einkommen, das nur durch entsprechendes Wohlverhalten gesichert werden konnte, garantierte Verurteilungen nach Wunsch der Krone. Die Existenz einer Einrichtung wie der Special Jury weist folglich darauf hin, dass letztlich die Geschworenen den Ausschlag für den Ausgang eines Verfahrens gaben. Die Motivation der Juroren, von einer Verurteilung Abstand zu nehmen, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen.
b) Motivationen und prozessuale Mechanismen der pious perjury Im 18. Jahrhundert gab es in England ungefähr dreihundert Delikte, deren Begehung mit der Todesstrafe sanktioniert wurde.291 Diese Anzahl bedeutete gegenüber der Menge der am Ausgang des 17. Jahrhunderts vorhandenen Kapitalverbrechen eine erhebliche Steigerung. Andererseits wurde am Ende des 17. Jahrhunderts von zehn Angeklagten noch jeder vierte hingerichtet, im 18. Jahrhundert war es nur noch einer von zehn.292 Andere Quellen sprechen von 15–20 % tatsächlich Hingerichteten.293 Auffällig ist an diesen Zahlen die Korrelation zwischen einer inflationären Schaffung von Kapitaldelikten bei gleichzeitiger Abnahme des Anteils der tatsächlich zum Tode verurteilten und anschließend hingerichteten Angeklagten. Der Umstand, dass im 18. Jahrhundert die Missachtung von Gesetzen durch Geschworene derart weit verbreitet war, erklärt, warum mit dem Begriff pious perjury ein eigener Terminus dafür geprägt worden ist. Der Anstieg von Freisprüchen und partial verdicts ist Anlass, sich an dieser Stelle nochmals mit den Motiven der Juroren für ihr Verhalten auseinanderzusetzen. Es liegt nahe, die Einbeziehung von 289 Gesetzlich geregelt wurde die Auswahl der Geschworenen für diese Jury durch ein Gesetz aus dem Jahr 1730; vgl. 3 Geo. 2. Chapter 25. – Abgeschafft wurden die Special Juries durch den Juries Act von 1949; vgl. 12 & 13 Geo. 6. Chapter 27; Hostettler, Jury Old and New, S. 97; Lewis/Hughman, Just how Just?, S. 81. 290 Hostettler, Jury Old and New, S. 97; Cornish, The Jury, S. 131 f. 291 Diese erstaunlich große Zahl kann zustande, weil die entsprechenden Straftatbestände i. d. R. sehr eng gefasst waren; vgl. Rawlings, Crime and Power, S. 40; Cairns, Advocacy and Criminal Trial, S. 98. – Meist wurden auch keine Tatbestände neu normiert, sondern für bestimmte Handlungen wurde die Möglichkeit einer Milderung durch das Institut des so genannten benefit of clergy abgeschafft; vgl. Green, Verdict, S. 275. – Ausführlich zum Inhalt und zur Geschichte des benefit of clergy, siehe: Plucknett, Concise History, S. 414 ff.; zur Härte und Grausamkeit von Strafen im 17. und 18. Jahrhundert auch die Beobachtungen Michel Foucaults in seiner berühmten und wissenschaftlich wirkungsmächtigen Untersuchung „Überwachen und Strafen“ insbesondere ebd., S. 44 ff. 292 Rawlings, Crime and Power, S. 39. 293 Green, Verdict, S. 279.
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als Bagatelldelikte empfundenen Taten in den Kreis der mit dem Tode bedrohten Verbrechen als kausal für den Anstieg der Freisprüche und partial verdicts anzusehen. Bei genauerer Betrachtung der Spruchpraxis der Juries lassen sich zwei Motivationskomplexe erkennen. Der erste Ansatzpunkt ist eine Analyse der Verteilung von Freisprüchen und Verurteilungen bei verschiedenen Delikten. So wurde bei Personen, die des Taschendiebstahls beschuldigt waren, die Todesstrafe oft umgangen.294 Bei Verbrechen wie etwa Straßenraub hingegen, die als bedrohlich empfunden wurden, war statistisch betrachtet die Bereitschaft zur Milde weniger ausgeprägt.295 Die Neigung der Geschworenen, einen Angeklagten gegen das Gesetz freizusprechen, war demnach von der Tat und der darauf bezogenen Strafdrohung abhängig. Diese Erklärung wird gestützt von einer deutlichen Abnahme der Freisprüche gnadenhalber, seitdem mit der Gefängnisstrafe und der Deportation am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts Alternativen zur Todesstrafe verfügbar wurden.296 Zusammen legen diese Beobachtungen den Schluss nahe, eine Motivation für pious perjury in dem Verhältnis zwischen dem Bedrohungspotential des in Frage stehenden Verbrechens und den drohenden strafrechtlichen Konsequenzen zu suchen.297 Eine weitere Perspektive auf die Motivation von Juries eröffnen Berichte von Fällen, in denen ein Angeklagter, der schuldig plädiert hatte, vom Richter zur Rücknahme dieses Geständnis gedrängt wurde.298 Hatte ein Angeklagter nämlich „schuldig“ plädiert, war der Weg zu einer Entscheidung durch die Jury und damit zur Gnade versperrt und die Todesstrafe oft unvermeidlich. Diese Praxis verfolgte offenbar das Ziel, den Angeklagten als Person und seine Motive für die Tat näher in Augenschein zu nehmen.299 Die Geschworenen wurden dadurch in die Lage versetzt, den Tatvorsatz, das Verhalten des Täters und seine Persönlichkeit gegen die vom Gesetz vorgeschriebene Sanktion abzuwägen.300 Strafverfahren wurden folglich mitunter nicht zur Klärung der Schuldfrage geführt. Für die Geschworenen spielten vielmehr die Persönlichkeit und der Charakter des Angeklagten eine entscheidende Rolle. Die Jurymitglieder fanden ihre Sprüche durch eine Art Gesamtbetrachtung des Falles und weniger ausschließlich durch Betrachtung der vorgelegten Beweise für die Schuld. Die aufgezählten Belege weisen darauf hin, dass zur Milderung im Einzelfall sowohl allgemeine Erwägungen über die Notwendigkeit der Todesstrafe für be294
Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 59. Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 59. 296 Green, Verdict, S. 276; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 58; Beattie, Crime and Courts, S. 333. 297 Green, Verdict, S. 346; Beattie, Crime and Courts, S. 429. 298 Beattie, Crime and Courts, S. 336. 299 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 59; Green, Verdict, S. 343. 300 Green, Verdict, S. 343. 295
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stimmte Verbrechen als auch persönliche Eigenschaften des Täters führten. Die pious perjury erweist sich somit als motiviert durch eigene Vorstellungen der Geschworenen von Gerechtigkeit.
c) Resümee Die Untersuchung der Umstände der pious perjury hat ergeben, dass diese Erscheinung ihrem Umfang nach eine erhebliche Steigerung der Anzahl der Freisprüche durch Milde gegenüber der Spruchpraxis der Gerichte in vorhergehenden Jahrhunderten darstellte. Abgesehen von der Zunahme ihrer Verbreitung war die pious perjury auch eine Fortsetzung der Tradition der selektiven Bestrafung von Verbrechern als Spiegel eigener Wertungen von Juroren. Die gewachsene Bedeutung des Umfanges der Ausübung eines Ermessensspielraumes durch Geschworene wurde ausgelöst durch die überproportionale Androhung der Todesstrafe durch neue Gesetze. Möglich wurde sie durch die Freiheit der Geschworenen von richterlichem Zwang und durch die verbesserte Position des Angeklagten aufgrund seiner anwaltlichen Vertretung. Es würde jedoch die Gründe für das Ausmaß der Milderungspraxis nicht zureichend erfassen, wenn diese ausschließlich auf die Geschworenen reduziert würden. Die Verhängung von milderen Strafen war vielmehr Ausdruck eines breiten gesellschaftlichen Konsenses gegen die Verhängung der Todesstrafe in Bagatellfällen, der nicht nur die Geschworenen, sondern auch Richter und oft selbst Ankläger mit einbezog.301 Es scheint sogar möglich, dass die Ausübung von Milde selbst vom Parlament bei Verabschiedung der drakonischen Strafgesetze einkalkuliert worden war.302 Der Grund dafür könnte in Überlegungen in Richtung einer Generalprävention durch Abschreckung gelegen haben. Der Nutzen der rigiden Gesetze hätte dann nicht unbedingt in ihrer Durchsetzung, sondern in ihrer abschreckenden Wirkung gelegen. Die Ausübung von Milde, die ohne Zweifel ein bedeutender Teil im Bild der Jury des 18. Jahrhunderts ist, kann somit nicht losgelöst von gesellschaftlichen Zusammenhängen gesehen werden. Die Jury war vielmehr das Sprachrohr, durch das die Ansichten der englischen Gesellschaft artikuliert wurden.
301 302
Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 59. Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 304; Beattie, Crime and Courts, S. 421.
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2. Die Jury in politischen Strafverfahren, seditious libel303 – Der Streit um die Rolle der Jury geht weiter Die gegensätzlichen Positionen zu der Frage nach der Rolle der Jury fanden im 18. Jahrhundert in der Auseinandersetzung mit dem Delikt der seditious libel einen neuen Kristallisationspunkt. Die Relevanz der vor diesem Hintergrund ausgefochtenen Auseinandersetzung über die Rolle der Jury gilt es im Folgenden aufzuklären. Dabei sollen die Hintergründe des Streits genauso wie seine Beendigung durch den Fox’s Libel Act ausgeleuchtet werden.
a) Der Hintergrund des Streits um seditious libel Im 18. Jahrhundert wurden Verfasser von regierungskritischen Schriften verfolgt und wegen des Vergehens der seditious libel belangt. Das common law-Delikt seditious libel umfasste die vorsätzliche Veröffentlichung eines Schriftstückes von aufrührerischem Charakter, das geeignet war, den Ruf der Regierung zu schädigen.304 Das Tatbestandsmerkmal des aufrührerischen Charakters war so offen und unbestimmt gefasst, dass es möglich war, so gut wie jeden Kommentar über die Regierung als rufschädigend zu werten und den Autor in der Folge wegen seditious libel zur Verantwortung zu ziehen. Die Strafverfolgung auf Grund von seditious libel wurde damit zu einem der wichtigsten Mittel der Regierung zur Kontrolle der Presse und der Öffentlichkeit.305 In der Gerichtspraxis zeigte sich, dass viele Geschworene mit den kritischen Autoren sympathisierten. Sie weigerten sich, dem Schriftstück einen aufrührerischen bzw. rufschädigenden Charakter zuzuerkennen und sprachen den Angeklagten frei. Um dem zu begegnen, wiesen Richter oftmals die Jury an, nur über den, der angeklagten Tat zugrunde liegenden, Sachverhalt zu entscheiden.306 Diese besondere Form des Schuldurteils wurde als special verdict bezeichnet. Im Gegensatz zum normalerweise üblichen general verdict, welches sich auf den gesamten Tatbestand bezog, entschied die Jury in einem special verdict nur über Fragen, die ihr vom Richter gestellt wurden. Diese Vorgehensweise beließ dem Richter die Beurteilung der rechtlichen Relevanz des durch die Jury festgestellten Sachverhaltes.307 Übertragen auf seditious libel bedeutete dies, dass der Jury ausschließlich die Beantwortung der Frage oblag, ob die in Frage stehende Schrift vom Angeklag303 Dt. etwa: „Verfassen von Schmähschriften mit aufrührerischem Charakter“; vgl. Dietl/Lorenz, Dictionary of Legal, Commercial and Political Terms. 304 Green, Verdict, S. 319; Hostettler, Jury Old and New, S. 88. 305 Green, Verdict, S. 340. 306 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 329. 307 Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 329; Manchester, Modern Legal History, S. 89; Williams, Proof of Guilt, S. 264 f.
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ten stammte bzw. veröffentlicht worden war. Durch die Anweisung, ein special verdict zu fällen, konnte der Richter somit die normativen Tatbestandsmerkmale „aufrührerisch“ und „zur Schädigung des Rufes der Regierung geeignet“ aus dem normalerweise von der Jury zu entscheidenden Gesamtkontext herauslösen. Dadurch wurde der Jury die Möglichkeit genommen, auf die Verurteilung Einfluss zu nehmen, weil die Eigenschaft des Angeklagten als Verfasser oftmals feststand. Die sich daraus ergebenden Konflikte brachten die Frage nach der Aufgabenverteilung zwischen Jury und Richter wieder auf die Tagesordnung, denn gegen die Praxis, den Einfluss der Jury durch ein special verdict zu beschneiden, regte sich Widerstand.308 Dieser hatte seine Ursprünge sowohl in rechtlichen Gründen als auch in solchen, die der politischen Sphäre zuzuordnen sind. Zunächst bedeutete die Übertragung der Entscheidung über das Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen auf den Richter, dass der Ausgang des Verfahrens weitgehend vom Richter abhängig wurde und nicht mehr vom Urteil durch eine Jury. Die Konflikte des 17. Jahrhunderts hatten der Jury eine Reputation als Bollwerk der Freiheit gegen staatliche Willkür verschafft. Ein Angriff auf die Jury wurde daher als Angriff gegen die in der Glorious Revolution von 1688 errungenen Freiheiten angesehen und folglich energisch bekämpft.309 Die politische Brisanz der seditious libel-Fälle gründete ferner in ihrem Zusammenhang mit der Presse- und Meinungsfreiheit.310 Für die Regierung war es wichtig, kritische Schriften zu unterdrücken. Im Gegensatz dazu stand das Interesse der Regierungskritiker, solche Schriften frei publizieren zu können. Die Verengung der faktischen Entscheidungsmöglichkeit der Jury im Fall von seditious libel bedrohte außerdem die Möglichkeit der Ausübung von Milde durch die Jury in Alltagsfällen. Oben ist bereits darauf hingewiesen worden, dass der Tatvorsatz einen zentralen Bestandteil der Beurteilung des Täters durch die Geschworenen bildete. Mit derselben Argumentation wie bei seditious libel könnte auch die Bewertung dieses Elementes des Tatbestandes den Richtern übertragen werden. Der Milderung von Strafgesetzen auf ihrer Rechtsfolgenseite hätte dadurch die Grundlage entzogen werden können. Inhaltlich war die Auseinandersetzung um seditious libel trotz äußerlicher Ähnlichkeiten keine bloße Wiederholung des law finder- bzw. fact finder-Streits. Die Neuerung bestand darin, dass einzelne normative Tatbestandsmerkmale dem Bereich des law zugeordnet wurden, womit sie zum Zuständigkeitsbereich des Richters gehörten. Die seditious libel-Debatte umfasste mithin den Versuch einer Einschränkung des fact finding innerhalb des Beurteilungshorizontes der Jury. Im Kern ging es daher nicht mehr um die Möglichkeit, gegen geltendes Recht freizu308 309 310
Beattie, Crime and Courts, S. 408. Baker, Legal History, S. 580; Green, Verdict, S. 268. Green, Law-Finding Traditions, S. 69.
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sprechen. In Frage gestellt wurde vielmehr die Entscheidungskompetenz der Jury über das Vorliegen des Tatbestandes.
b) Fox’s Libel Act Ein gesetzgeberischer Schlussstrich unter den seditious libel-Streit wurde schließlich 1792 vom Parlament durch den Fox’s Libel Act311 gezogen. Durch dieses Gesetz wurde die Entscheidung über den Charakter des veröffentlichten Schriftstückes wieder der Jury zugewiesen.312 Der Fox’s Libel Act verbot grundsätzlich die Anweisung eines special verdict und normierte, dass die Jury ein verdict über das gesamte Tatgeschehen abgeben solle313. Zugleich beendete er den Angriff auf den Entscheidungsspielraum der Jury, indem er das Recht auf ein general verdict durch die Jury über den gesamten Tatbestand normierte. Die Tendenzen der Einschränkung des fact finding wurden zurückgewiesen und damit hinsichtlich der Rolle der Jury der Status Quo befestigt. Zur selben Zeit stellte der Fox’s Libel Act jedoch klar, dass die Geschworenen bei ihrer Entscheidung das geltende Recht anzuwenden hatten, wie es ihnen vom Richter erklärt worden war.314 An keiner Stelle gesteht der Fox’s Libel Act der Jury das Recht zu, bei ihrer Entscheidung Gesetze zu ignorieren und neues Recht zu schaffen.315 Die Jury blieb somit weiter darauf beschränkt, die Fakten zu finden, während das Recht Domäne der Richter blieb. Man kann sich allerdings fragen, warum anstelle des Fox’s Libel Act nicht eine Lösung gefunden wurde, welche die Jurys entmachtet hätte. Somit stellt sich die Frage, welche Faktoren den Ausschlag für die letztlich gefundene Regelung gaben. Zum ersten ist der Druck durch die Verfechter von Presse- und Meinungsfreiheit als ein wichtiger Faktor in Rechnung zu stellen.316 Es scheint weiterhin, als hätte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass auf die Mitarbeit der Jury bei der Rechtsprechung nicht verzichtet werden konnte.317 Von breiten Schichten der englischen Bevölkerung wurde das Recht auf ein Urteil durch Mitbürger inzwischen als historische und unabänderliche Tatsache betrachtet. Die Entmachtung der Jury wäre folglich aus Sicht der Regierung ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen gewesen.318 Dieses Risiko wirkte möglicherweise insbesondere deswegen nicht abschreckend, weil unter normalen Umständen die Zusammenarbeit zwischen der 311
Vgl. 32 Geo. III Chapter 60 (1792). Devlin, The Judge, S. 126; Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 329. 313 Devlin, The Judge, S. 126; engl. „upon the whole matter at issue“; zit. nach: Green, Verdict, S. 330; Manchester, Modern Legal History, S. 88. 314 Manchester, Modern Legal History, S. 89. 315 Green, Verdict, S. 331. 316 Green, Law-Finding Traditions, S. 69. 317 Green, Verdict, S. 350. 318 Green, Verdict, S. 350. 312
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in den Richtern verkörperten Staatsautorität und den Geschworenen reibungslos funktionierte. Diese Zusammenarbeit gründete gerade auf der Anerkennung eines Entscheidungsspielraumes der Jury in Routinefällen.319 Den Geschworenen dieses Privileg in politischen Fällen zu entziehen, hätte für die Regierung ein Glaubwürdigkeitsproblem bedeutet, weil ein Unterschied zwischen unpolitischen und politischen Fällen hinsichtlich des Rechtes der Jury zur Milde nicht begründbar war. Dieselben Richter, die Milde bei Diebstahl oder Totschlag tolerierten oder gar förderten, hätten nicht erklären können, wieso dies bei seditious libel nicht gelten sollte. Der Beschluss des Parlaments zugunsten eines umfassenden Rechtes der Jury zur Entscheidung erweist sich somit als Produkt aus politischen Erwägungen und dem Zwang zur Kohärenz bei der Verteilung der Rollen von Richter und Jury.320 Er macht deutlich, dass die Idee der Jury in England so stark verankert war, dass sie politische Entscheidungen beeinflussen konnte.
3. Widerstand gegen die Urteilspraxis der Jury in rechtstheoretischen Werken des 18. Jahrhunderts Im Jahr 1776 wurde Cesare Beccarias Buch „Von den Verbrechen und von den Strafen“ erstmals in England veröffentlicht. In dieser Schrift wandte sich der Autor gegen die grausame Strafpraxis auf dem europäischen Kontinent. Sein Plädoyer für moderate Strafen verband Beccaria mit der Forderung nach Rechtssicherheit321. Die Gewissheit der Strafe als Folge einer strafbaren Handlung hielt er für die wirksamste denkbare Abschreckung322. Dieses Programm Beccarias, das eine Konterkarierung des Prinzips der Sicherheit des Strafeintritts durch selektive Ausübung von Milde ablehnte, stand im krassen Gegensatz zur englischen Praxis, wo die Jury mit der pious perjury die Gewissheit des Strafeintritts gerade verhinderte. Die Ideen Beccarias und die dadurch ausgelöste Diskussion um strafrechtliche Reformen in Europa323 beeinflussten auch den theoretischen Diskurs in England, indem sie eine Debatte über die Reichweite der Macht der Jury, Milde walten zu lassen, auslöste. Die darin geäußerten Gedanken sollten maßgeblich die weitere Entwicklung im 19. Jahrhundert beeinflussen und prägen das Bild der Jury in England bis heute. Die erste der hier betrachteten Schriften ist der vierte Band des Epoche machenden Werkes von William Blackstones „Commentaries on the Laws of England“, 319
Green, Law-Finding Traditions, S. 71. Green, Verdict, S. 349. 321 Beccaria, Verbrechen und Strafen, S. 64 f.; vgl. zur zeitlichen Einordnung der Reformbemühungen: Foucault, Überwachen und Strafen, S. 95 ff. 322 Beccaria, Verbrechen und Strafen, S. 64. 323 Vgl. nur: Naucke in der Einführung zu: Beccaria, Verbrechen und Strafen, S. XIII ff. 320
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der den Titel „Of Public Wrongs“ trägt und 1769 erschien.324 Blackstone stimmte mit Beccaria darin überein, dass das System der Strafen reformiert werden und zugleich die rechtliche Unsicherheit in der konkreten Gestalt des Entscheidungsspielraumes der Juries beendet werden müsse325. Desgleichen äußerte Blackstone jedoch Verständnis für die Rolle der Jury als Institut zur Gewährung von Milde gegenüber zu strengen Gesetzen. Von Blackstones Standpunkt aus gesehen, kam darin ein den Juries innewohnendes Gefühl für die natürliche Gerechtigkeit zum Ausdruck326. Eine aufschlussreiche Perspektive auf Blackstones Sicht auf die Jury eröffnet eine Untersuchung des sprachlichen Ausdrucks pious perjury. Er ist eine paradoxe Kombination des Adjektivs fromm (pious) mit dem Delikt des Meineides (perjury). Der sakrale Hintergrund des Tatbestandes des Meineides327 lässt es eigentlich als ausgeschlossen erscheinen, gerade dieses Delikt als fromm zu bezeichnen. Daher stellt sich die Frage, ob es außer der einprägsamen Alliteration des englischen Ausdruckes inhaltliche Gründe für die Wahl des Ausdrucks pious perjury gab und was Blackstone mit der Zusammenfügung dieser beiden Gegensätze ausdrücken wollte. Eine mögliche Erklärung besteht darin, in dem Wort fromm (pious) eine Berufung auf eine göttliche Gerechtigkeit zu sehen. Die fromme Motivation des Meineides könnte dabei als eine Art Rechtfertigung für die im falschen Schwören enthaltene Beleidigung der Autorität Gottes gesehen werden. Mit dem Bezug auf die göttliche Gerechtigkeit hatten immerhin bereits die Leveller und die Quäker ihre Theorie von der Entscheidungsfreiheit der Juroren untermauert. Die pious perjury erreichte indes nicht die Radikalität der Forderungen der law finder-Theorie der Leveller, weil der Jury bei der pious perjury der Freiraum zu einer eigenständigen Entscheidung über die Gültigkeit eines Gesetzes fehlte.328 Insoweit lassen sich eher Parallelen zu der von den Quäkern vertretenen Ansicht finden. Es wird daher wiederum deutlich, dass Blackstone die Tradition der Anwendung von gesellschaftlichen Wertungen durch Geschworene anerkannte. In diesem Sinne akzeptierte Blackstone die Praxis der Milde durch die Jury, für die er selbst den Ausdruck pious perjury erfunden hatte, als unverzichtbar, solange keine durchgreifende Reform der Strafen erfolgte.329 In Bezug auf Verfahren mit politischem Hintergrund ging Blackstone sogar noch einem Schritt weiter, indem er die Unantastbarkeit der Freiheit der Jury als Sicherungsinstrument gegen obrigkeitliche Willkür forderte. Gegenüber dem Staat 324 Die Commentaries on the Laws of England von Blackstone gelten als das Werk, welches erstmalig eine Systematisierung des common law versuchte; vgl. Baker, Legal History, S. 219 f. 325 Blackstone, Commentaries IV, Rn. 17 f., 239. 326 Green, Verdict, S. 295. 327 Vgl. Müller, Falsche Zeugenaussage und Beteiligungslehre, S. 16 ff. m. w. N. 328 Green, Verdict, S. 380. 329 Green, Verdict, S. 296; Es handelt sich also um eine Art prozessuale Lösung für die Probleme eines zu strengen und teilweise grausamen materiellen Strafrechts.
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beschrieb Blackstone die Jury als „Schutzwehr der Freiheit“330. Gegenüber dieser Aufgabe erachtete er die möglichen Defizite der Jury als bloße Unbequemlichkeiten. „Of Public Wrongs“ war somit zwar in vielen Gedanken durch Beccarias Ideen beeinflusst, zur gleichen Zeit dokumentiert Blackstones Schrift jedoch eine spezifisch englische Sichtweise. Für Blackstone war die Jury eine Schutzwehr (palladium) sowohl gegen unmenschliche Strafen als auch gegen die Tyrannei von Herrschenden. Zur Erfüllung dieser Aufgabe forderte Blackstone, dass den Geschworenen ein Rest Ungebundenheit gegen das Gesetz bleiben sollte331. Das zweite der hier zu analysierenden Werke trägt den Titel „Observations on a Late Publication, intituled Thoughts on Executive Justice“ und wurde im Jahre 1796 von Samuel Romilly verfasst, dessen Gesamtwerk noch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts reichte. Anlass der Veröffentlichung war eine Schrift von Martin Maden, der für ein System aus abschreckenden Strafen kombiniert mit einer Abschaffung der mitigation plädiert hatte332. Romilly wandte sich zwar entschieden gegen die harten und grausamen Strafen, die Maden befürwortet hatte, er sympathisierte jedoch mit Madens Sicht auf die Rolle der Jury, deren selektive Gewährung von Milde er für schädlich hielt333. Trotzdem stimmte auch Romilly mit Blackstone darin überein, dass Milde angesichts des seinerzeit geltenden materiellen Strafrechts unvermeidlich war. Er charakterisierte das Verhalten der Geschworenen als „Meineid zur Verhinderung eines Mordes“334. Romilly folgte der Linie Blackstones auch im Hinblick auf die Rolle der Jury in Fällen mit politischem Hintergrund. Dies zeigte sich anhand einer weiteren Schrift aus Romillys Feder, in der er zu der Frage der Rolle der Jury in Fällen von seditious libel Stellung bezog. Romilly nannte das Gesetz zur seditious libel tyrannisch, fügte aber hinzu, dass trotzdem seiner Meinung nach solange nichts davon zu fürchten sei, wie die Jury in der Lage sei, die Härte dieses Gesetzes durch Milde abzumildern. Blackstone und Romilly standen der milden Spruchpraxis der Juries kritisch gegenüber. So wie viele andere englische Reformer forderten sie jedoch nicht deren radikale Eindämmung. Eher sahen sie die Milde als notwendiges Korrektiv für die Härte des geltenden Rechts an.335 Des Weiteren erachteten die beiden hier besprochenen Autoren die Jury als einen wichtigen Schutz gegen obrigkeitliche bzw. richterliche Willkür.336 Diese Aufgabe beinhaltete notwendig das Zugeständnis einer Befugnis, Gesetze unter Umständen nicht anzuwenden. Die Ambivalenz 330 „That the liberties of England cannot but subsist so long as this palladium remains sacred and inviolate“; vgl. Blackstone, Commentaries IV, Rn. 350. 331 Blackstone, Commentaries IV, Rn. 239, 349 f. 332 Maden, Executive Justice, S. 9 f., 135 ff. 333 „Undoubtedly, to render laws respected and efficacious, they must be strictly executed.“; vgl. Romilly, Observations, S. 87. 334 Engl. „a perjury which was the means of preventing murder“; vgl. Romilly, Observations, S. 89. 335 Eine ausführliche Darstellung der Reformdiskussion in: Green, Verdict, S. 296 ff. 336 Green, Verdict, S. 291.
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aus der Anerkennung der Notwendigkeit von Rechtssicherheit durch Bindung der Juries an Gesetze und der impliziten Anerkennung ihrer Befugnis, in Extremfällen einer höheren Gerechtigkeit zu folgen, kann als das Erbe der wissenschaftlichen Debatte des 18. Jahrhunderts in England angesehen werden.
4. Zusammenfassung Betrachtet man das Ausmaß, das die Freisprüche gegen die Beweise und gegen geltendes Recht im 18. Jahrhundert angenommen hatten, dann erweist sich die Wahrheit der Aussage vom 18. Jahrhundert als dem Höhepunkt der Macht der Jury. Relativiert wird dies jedoch durch die Feststellung, dass die Geschworenen nur deshalb zu der Ausübung von Ermessen in dem beschriebenen Umfang in der Lage waren, weil dahingehend ein gesellschaftlicher Konsens bestand. Außerordentlich wichtig war der Anteil der Jury an politischen Entwicklungen. Anhand der Auseinandersetzung um seditious libel ist deutlich geworden, dass die Jury als Institution zur Bewahrung bürgerlicher Freiheiten begriffen werden konnte. In dieser Eigenschaft war sie in der Lage, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Die Voraussetzung sowohl für die Gewähr von Milde in Alltagsfällen als auch die Schutzfunktion gegen politische Verfolgungen war die Anerkennung eines Rechtes der Jury auf Ignorierung bestehender Gesetze. Dieser Punkt wurde von den englischen Reformern des 18. Jahrhunderts angegriffen. Sie forderten eine Einschränkung des Ermessensspielraumes der Jury. In demselben Atemzug wollten sie den Geschworenen gewissermaßen für Notfälle, einen Rest Freiraum zur Missachtung von Gesetzen zubilligen. Der Fox’s Libel Act ist eine anschauliche Umsetzung dieser merkwürdig inkonsequenten Haltung. Er forderte die Geschworenen auf, sich nach dem Gesetz zu richten, und beließ ihnen gleichzeitig Selbstständigkeit bei der Umsetzung dieser Forderung. Lord Mansfield brachte diese Situation auf den Punkt, indem er bemerkte, der Richter könne den Geschworenen zwar zeigen, wie das Recht richtig anzuwenden sei, es läge jedoch bei den Geschworenen, es trotzdem falsch zu machen337.
V. Die Jury wird reformiert – Veränderungen im 19. Jahrhundert und 20. Jahrhundert Das 19. Jahrhundert gilt als Zeit tief greifender Reformen auf dem Gebiet des Rechts in England. Die Reformaktivität wurde auch im letzten Jahrhundert fortgesetzt. Es ist daher nunmehr zu untersuchen, inwiefern diese Aussagen auch für die englischen Geschworenengerichte gelten. Zunächst sollen zu diesem Zweck 337
R v Dean of St. Asaph, (1784) 4 Dougl. 73, 173.
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mögliche Faktoren aufgezeigt werden, die geeignet waren, Reformen in Gang zu setzen. Aus der Vielzahl der Reformen werden anschließend diejenigen mit den schwerwiegendsten Folgen für die Tätigkeit der Geschworenen herausgegriffen und im Hinblick darauf untersucht.
1. Kritik am Ermessensspielraum von Juries Das 18. Jahrhundert hatte keine endgültige Definition der Entscheidungskompetenz der Juries gebracht. Der Ermessenspielraum der Jury, der in der Praxis der Milde zum Ausdruck kam, war weiterhin ein wichtiger Aspekt des Strafverfahrens geblieben. Schon im ausgehenden 18. Jahrhundert hatte es freilich nicht an Stimmen der Kritik bezüglich dieses Zustandes gefehlt. Im 19. Jahrhundert wurde diese Kritik immer heftiger. Anstoß erregte es beispielsweise, dass das System der jury mitigation allein darauf ausgerichtet war, den Vollzug der exzessiv angedrohten Todesstrafe zu verhindern und daher Wahrheit nur als eine Art Nebenprodukt des Strafverfahrens hervorbrachte.338 Die Kehrseite der milden Behandlung der meisten Angeklagten war die Versagung von Milde in Fällen, bei denen der schlechte Ruf des Angeklagten oder der Verdacht einer Verwicklung in andere Verbrechen gegenüber der eigentlichen Tat im Vordergrund standen.339 Die Praxis der selektiven Freisprüche der Jury wurde zunehmend als Ursache für eine Rechtsunsicherheit angesehen, die es zu bekämpfen galt. Dieser Paradigmenwechsel vollzog sich im Einklang mit einer Verschiebung der politisch einflussreichen Gesellschaftsschichten. Noch im 18. Jahrhundert hatte die Klasse der Adligen und der Besitzer großer Landgüter, das politische Geschehen dominiert. Diese wurde im 19. Jahrhundert von der bürgerlichen Partei der Whigs abgelöst. Die Aristokratie hatte sich zum Schutz ihrer Interessen auf Abschreckung durch Verschärfung des materiellen Strafrechts verlassen.340 Sie sah in dem Ermessen der Geschworenen, das durch die exzessive Androhung der Todesstrafe hervorgerufen worden war, eine Stärke des Rechtssystems, denn durch die selektive Spruchpraxis wurde die weite Verbreitung der Drohung mit der höchsten Strafe erst möglich. Die aus weitläufigem Immobilienbesitz bestehenden Eigentumsinteressen des Adels wurden durch die im Ermessen der Jury immanente Rechtsunsicherheit nicht berührt, weil sie zu ihrem Erhalt nicht zwingend die Sicherheit des Rechtsverkehrs brauchten.341 Im Zentrum der Interessen der bürgerlichen Handel- und Gewerbetreibenden stand dagegen die Sicherheit des Rechts, weil sie ihre Einkünfte in weiten Teilen aus geschäftlicher Tätigkeit bezogen, die 338 339 340 341
Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 334. Cairns, Advocacy and Criminal Trial, S. 61. Cornish, Criminal Justice and Punishment, S. 19; Hostettler, Jury Old and New, S. 110. Hostettler, Jury Old and New, S. 110.
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einen feststehenden rechtlichen Rahmen zur Bedingung hatte.342 Die bürgerlichen Whigs verfolgten aus diesem Grund eine Politik der Eindämmung des Entscheidungsspielraumes der Jury zugunsten des unbedingten Vollzuges von Strafgesetzen.343 Gleichwohl ist zu beachten, dass die Forderungen der englischen Reformer nie die völlige Entmachtung der Jury umfassten.344 Insoweit markierten die Positionen Blackstones und Romillys eine Grenze, über die sich niemand hinausbewegte. Die konstitutionelle Rolle der Jury als Bollwerk gegen Tyrannei fand weiterhin Zustimmung.345
2. Reformen des Strafverfahrens und des Sanktionenrechts im 19. Jahrhundert Das soeben beschriebene Umdenken fiel zeitlich mit einer Novellierung des Sanktionenrechts sowie einer Umgestaltung des Strafverfahrens in Richtung einer stärkeren Formalisierung zusammen. Die Reformen des Strafverfahrensrechts bewirkten dabei die Transformation des bis dahin weitgehend formlosen und flexiblen gerichtlichen Verfahrens zu einem strukturierten und professionalisierten Strafprozess.346 Diese neue Welt des Strafverfahrens war gekennzeichnet durch die Anerkennung von Rechten des Angeklagten und einer Neudefinition des Verhältnisses zwischen Richter und Jury.
a) Die Einschränkung der Todesstrafe Zwischen 1830 und 1840 schaffte das Parlament die Todesstrafe für die meisten der weniger schwerwiegenden Delikte ab und reduzierte so die mit dem Tod bedrohten Taten von 200 im Jahre 1826 auf vier im Jahre 1861.347 Durch diese Gesetzgebung wurde im Sinne der Ideen Beccarias die Betonung nicht länger auf die Härte der angedrohten Sanktion sondern auf die Sicherheit ihres Eintritts gelegt. An die Stelle des Grundsatzes einer größtmöglichen Abschreckung traten
342
Cornish, Criminal Justice and Punishment, S. 19; Hostettler, Jury Old and New, S. 111. Cornish, Criminal Justice and Punishment, S. 19. 344 Manchester, Modern Legal History, S. 95. 345 Die Furcht vor staatlichen Repressionen wuchs beispielsweise vor dem Hintergrund der Konsolidierung der Herrschaft des königlichen Hauses Hannover während der Regierungszeit von Georg III. (1760–1820); vgl. Green, Verdict, S. 268; Beattie, Crime and Courts, S. 354. 346 Green, Verdict, S. 363. 347 Zu Einzelheiten: Green, Law-Finding Traditions, S. 72; Cornish, Criminal Justice and Punishment, S. 14 ff.; Radzinowicz, History of Criminal Law I, S. 733 f.; Hostettler, Jury Old and New, S. 114. 343
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somit die Maximen der Verhältnismäßigkeit der Strafen und der Rechtssicherheit.348 Mit der Abschaffung des drakonischen Strafsystems entfiel ein wichtiger Faktor der jury mitigation, weil die Geschworenen grundsätzlich die Notwendigkeit einer Strafe anerkannten und bisher nur durch deren Schwere zurückgehalten worden waren, die Strafgesetze strikt anzuwenden.349 Die Todesstrafe wurde gerade für diejenigen Straftaten abgeschafft, hinsichtlich derer die Geschworenen besonders zu Freisprüchen geneigt hatten.350 Für schwere Straftaten waren Juries auch schon früher bereit gewesen, die Todesstrafe zu akzeptieren.
b) Veränderungen der Stellung des Angeklagten im Verfahren Hinsichtlich der Stellung des Angeklagten im Verfahren wurden im 19. Jahrhundert mehrere Verbesserungen vorgenommen. Beispielsweise hatten seit 1836 alle Angeklagten uneingeschränkten Zugang zu anwaltlicher Vertretung bei Gericht351 und konnten das gegen sie vorhandene Belastungsmaterial einsehen352. Ab 1867 wurden der Verteidigung der Angeklagten von staatlicher Seite dieselben Möglichkeiten zur Beschaffung von Beweisen eingeräumt, wie schon seit langem der Anklage.353 Von 1898 an durften auch die Angeklagten selbst ihre Aussage vor Gericht mit einem Eid bekräftigen.354 Für die Frage der Entwicklung der Jury ist von den hier aufgezählten Veränderungen das Recht auf anwaltliche Vertretung am bedeutendsten. Da dem englischen Recht ein verbindliches, gesetzlich normiertes Verfahrensrecht fremd war, wurden feste Verfahrensregeln durch Präzedenzfälle aufgestellt. Weil sich in deren Komplexität nur ausgebildete Juristen auskennen konnten, war die Teilnahme von Anwälten auf allen Seiten Voraussetzung für die Anwendung und Weiterentwicklung der Präzedenzen.
348
Cairns, Advocacy and Criminal Trial, S. 93; Green, Verdict, S. 357; Beccaria, Verbrechen und Strafen, S. 45, 64, 104. 349 Hostettler, Jury Old and New, S. 114. 350 Green, Verdict, S. 363; Hostettler, Jury Old and New, S. 114. 351 Vgl. Prisoner’s Counsel Act 1836; Poland, Criminal Law and Procedure, S. 50; Cornish, The Jury, S. 79; Hostettler, Politics of Criminal Law, S. 45. 352 Trials for Felonies Act, 1837 (6 & 6 Will. 4 Chapter 144); vgl. Cairns, Advocacy and Criminal Trial, S. 67; Poland, Criminal Law and Procedure, S. 51. 353 Cornish, Criminal Justice and Punishment, S. 57; Criminal Law Amendment Act 1867, 30 & 31 Vict. Chapter 35, Section 3; vgl. Baker, Legal History, S. 583; Es handelte sich dabei z. B. um die Erzwingung der Anwesenheit von Zeugen. 354 Vgl. Criminal Evidence Act 1898 (61 & 62 Vict. Chapter 36); Baker, Legal History, S. 583.
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c) Das geänderte Verhältnis zwischen Richter und Jury Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts hatten die Richter wesentliche Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich des Ausgangs eines Verfahrens eingebüßt. Nach Bushell’s Case konnten sie die Sprüche der Jury weder erzwingen noch seit Fox’s Libel Act ein special verdict anordnen. Gegenüber der zu Anfang des 19. Jahrhunderts üblichen Praxis scheint sich zudem die Einstellung zu dem üblichen Inhalt des an die Geschworenen gerichteten richterlichen Kommentars zur Verhandlung (charge) gewandelt zu haben.355 Bisher hatte der Richter ausführlich Stellung sowohl zu rechtlichen Problemen als auch zu tatsächlichen Fragen bezogen. Nunmehr setzte sich die Überzeugung durch, dass die Aufgabe des Richters auf Kommentare zum Recht begrenzt bleiben sollte.356 Die verstärkte Betonung rechtlicher Kommentare als Inhalt der charge, war ein erster Schritt auf dem Weg zu einem veränderten Modus richterlicher Kontrolle der Jury. Die Richter gaben somit die vordergründige Korrektur von Entscheidungen der Jury auf. Stattdessen wurde im Wege richterlicher Rechtsfindung ein präventives Instrumentarium der Jurykontrolle entwickelt, welches schon vor der eigentlichen Entscheidungsfindung der Jury wirksam wurde.357 Eine wichtige Stellung nahmen dabei insbesondere Präzisierungen des Beweisrechtes ein, welche Beweise zurückhalten sollten, die Vorurteile bei den Juroren wecken konnten.358 Außerdem wurde 1865 die Art und Weise der Fragestellung an Zeugen, die bis dahin im Ermessen des jeweiligen Richters gestanden hatte, einheitlich geregelt.359 Diese Veränderungen nahmen der richterlichen Einflussnahme ihre Offensichtlichkeit und bildeten auf diese Weise ein psychologisches Moment, das Widerstand hervorrufen konnte. Des Weiteren sind sie aber auch Ausdruck einer klaren Abgrenzung der Aufgabenbereiche von Richter und Jury.
d) Das Ergebnis der Reformen Im Ergebnis der Reformen des 19. Jahrhunderts entfiel zum einen wegen der drastischen Verringerung der Anzahl der Kapitaldelikte die Notwendigkeit zur mitigation. Zum anderen bewirkten die Reformen eine insgesamt stärkere Einbindung der Jury in das gerichtliche Verfahren als dies jemals vorher der Fall gewesen war. Die Grenzen, die dabei gezogen wurden, bedeuteten zwar eine Schwächung des in der jury mitigation zum Ausdruck kommenden Ermessens der Jury. Sie machten die Jury jedoch gleichzeitig zu einem integralen Bestandteil des Strafverfahrens und beendeten so Versuche, die Macht der Jury zu brechen. Das endgültige Aus für 355 356 357 358 359
Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 322. Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 322 f. Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 330. Langbein, Adversary Criminal Trial, S. 330. Vgl. 28 & 29 Vict. Chapter 18; Vogel, Schwurgericht, S. 28.
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die jury mitigation kam zwar auch im 19. Jahrhundert nicht, zumal niemals ein explizites Verbot ausgesprochen wurde. Gleichwohl bewirkte die Reformbewegung eine Stärkung des Respekts der Jury vor dem Buchstaben des Gesetzes.360
3. Die Entwicklung der sachlichen Zuständigkeit von Juries Am Beginn des 19. Jahrhunderts waren die meisten Straftaten indictable offences, die vor einem Geschworenengericht entweder bei den Assizen oder den Quarter Sessions verhandelt wurden.361 Minder schwere Straftaten (non-indictable offences), deren Anteil an der Kriminalität aufgrund der strengen Strafen nur gering war, wurden von einem Friedensrichter (Justice of the Peace) ohne Beteiligung einer Jury in einem summarischen Verfahren (summary trial) entschieden. Durch den Summary Jurisdiction Act 1848 erfolgte eine Neuregelung des summarischen Verfahrens, und die Gerichte der Petty Sessions wurden als regulärer Gerichtsstand für dieses Verfahren neu gebildet.362 Anschließend wurden durch den Criminal Justice Act von 1855 weite Teile des Strafverfahrensrechts neu normiert und die sachliche Zuständigkeit des Friedensrichters enorm ausgeweitet.363 Die Neuerung bestand in der Schaffung einer neuen Kategorie für die Einordnung von Delikten hinsichtlich des sachlich zuständigen Gerichts. Bei bestimmten Delikten, für welche grundsätzlich die Zuständigkeit der Schwurgerichte gegeben war, wurde für den Angeklagten zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, für ein summarisches Verfahren ohne Jury bei den Petty Sessions-Gerichten zu optieren.364 Mit der Schaffung dieser Wahlmöglichkeit wurde eine Entlastung der seinerzeit wegen des Anstieges der Zahl von Strafverfahren im Zusammenhang mit der Schaffung einer Polizei stark überlasteten Geschworenengerichte angestrebt.365 Diese Gesetzgebung erwies sich als sehr effektiv. Die Anzahl der Personen, die von einer Jury verurteilt wurden, fiel von 29.359 im Jahr 1854 auf 19.437 zwei Jahre später.366 Eine weitere Ausweitung der Möglichkeit, ein Verfahren vor den Petty SessionsGerichten anstelle eines Schwurgerichtsverfahrens zu wählen, ergab sich durch den Summary Jurisdiction Act, 1879. In den fünf Jahren nach 1879 nahm der An360
Green, Verdict, S. 356, 362. Jackson, MLR 1937, 132. 362 Jackson, MLR 1937, 132 (133); Thomas, Allocation, S. 68. 363 Vgl. 18 & 19 Vict. Chapter 126; Auld, Review, Chapter 5 Rn. 123. 364 Die Gesetzgebung war insgesamt wenig an systematischen Erwägungen orientiert. Das verursachte ein Durcheinander von verschiedenen Formen hybrider Delikte. Durch den Magistrates’ Courts Act 1980 wurde dieses Geflecht erstmals geordnet und die heute geltende Dreiteilung in indictable offences, offences triable either way und summary offences geschaffen; vgl. Magistrates’ Courts Act 1980, Section 17 und Schedule 1; Auld, Review, Chapter 5 Rn. 127. – Einzelheiten der heutigen Rechtslage: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 128–132. 365 Vogel, Schwurgericht, S. 28; Die Bildung einer regulären Polizei erfolgte in England zwischen 1829 und 1856; vgl. Cornish/Clark, Law and Society, S. 21. 366 Jackson, MLR 1937, 132 (136). 361
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
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teil der Strafverfahren vor einer Jury jährlich um 7 % ab, während der Anteil der summarischen Verfahren um 23 % zunahm.367 Mit Übertragung der sachlichen Zuständigkeit für einen wachsenden Anteil der Strafverfahren auf andere Gerichte begann eine Verschiebung der Gewichtung zuungunsten des trial by jury, die bis heute anhält. Als wichtiger Grund dafür wurde bereits im 19. Jahrhundert das Argument der großen finanziellen Kosten ins Feld geführt.368 Zudem hatte sich England in dieser Zeit in eine industrialisierte Gesellschaft gewandelt. Diese Veränderung hatte das Entstehen neuer Konflikte und ein Anwachsen der Kriminalität insgesamt zur Folge. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, einfachere und schnellere Verfahren zu schaffen, als sie die Geschworenengerichte erlaubten.369 Es ist zudem auffällig, dass die Übertragung von Zuständigkeit auf die Petty Sessions viele Delikte mit politischem Charakter betraf.370 Die Einschränkung der Zuständigkeit der Juries kann folglich auch als Mittel zur Verhinderung unbequemer Urteile gesehen werden.
4. Das Ermessen der Geschworenen im 19. Jahrhundert Die Tradition der mitigation wurde von den Geschworenen trotz des oben beschriebenen Rückgangs auch im 19. Jahrhundert nicht völlig aufgegeben. Ein Beispiel dafür war das Verhalten von Juries in Fällen der Tötung von Säuglingen durch ihre Mütter unmittelbar nach der Geburt. Nach geltendem Recht war solches Verhalten als Mord mit dem Tod zu bestrafen. Die Geschworenen umgingen einen derartiges Schuldurteil jedoch häufig und sprachen stattdessen ein partial verdict, das die Betreffende wegen der Verdeckung einer Geburt schuldig sprach.371 Für dieses Delikt drohte nicht die Todesstrafe. Ein von der Tradition abweichendes Verhalten zeigten die Geschworenen jedoch in Verfahren mit politischem Hintergrund. Derartige Verfahren waren im 19. Jahrhundert wesentlich durch die industrielle Revolution und die damit verknüpfte Entstehung der sozialen Frage geprägt.372 Im Zusammenhang mit Streiks und Demonstrationen für eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse, die von Arbeitern geführt wurden, kam es zu zahlreichen Strafverfahren. Es zeigte sich in diesen Fällen, dass die Geschworenen oftmals sehr bereitwillig auf die Schuld der Angeklagten erkannten.373 Dieses Verhalten ist im Zusammenhang mit dem sozi367 Die ungleichmäßige Zunahme liegt darin begründet, dass wegen des Bevölkerungswachstums und der steigenden Effizienz polizeilicher Ermittlungen die Anzahl der Strafverfahren insgesamt wuchs; vgl. Jackson, MLR 1937, 132 (136). 368 Hostettler, Jury Old and New, S. 120. 369 Hostettler, Jury Old and New, S. 120; Cornish, The Jury, S. 22. 370 Devlin, Trial by Jury, S. 146. 371 Hostettler, Jury Old and New, S. 121. 372 Devlin, Trial by Jury, S. 150. 373 Vgl. für Beispiele: Williams, Proof of Guilt, S. 258 f.; Devlin, Trial by Jury, S. 150 f.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
alen Querschnitt zu sehen, der in Juries präsent war. Die Juries des 19. Jahrhunderts bestanden weiterhin aus Männern der Mittelklasse. Sichergestellt wurde dies durch ein Gesetz aus dem Jahr 1825, das über 100 Jahre die soziale Zusammensetzung der Juries bestimmte.374 Danach waren zum Dienst in einer Jury Männer zwischen 21 und 60 Jahren geeignet, die ein Wohnhaus mit jährlichen Erträgen von mindestens 20 Pfund oder Land mit jährlichen Erträgen von mindestens 10 Pfund ihr Eigen nannten.375 Die häufigen Verurteilungen im 19. Jahrhundert kontrastieren mit der Position, welche die Geschworenen noch in den politischen Verfahren des ausgehenden 18. Jahrhunderts gezeigt hatten. Die Geschworenen waren folglich ursprünglich zwar bereit gewesen, für bürgerliche Freiheiten einzutreten, sie erwiesen sich jedoch als beherrscht von den Interessen ihrer eigenen Klasse, sobald ihre eigene politische Macht und Eigentumsinteressen berührt waren.376
5. Entwicklungen im 20. Jahrhundert Es bleiben die wesentlichen Veränderungen des trial by jury im vergangenen Jahrhundert zu untersuchen. Dabei geht es sowohl um die Auswirkungen der Reformschritte auf das Verfahren als auch um die Frage, inwieweit dadurch das Erscheinungsbild des trial by jury insgesamt verändert wurde.
a) Ausweitung der personellen Basis der Juries Im vergangenen Jahrhundert wurde der Zugang zum Geschworenenamt breiten Kreisen der Bevölkerung geöffnet und dadurch die personelle Basis der Jury verbreitert. Der erste Schritt auf diesem Weg war die gesetzliche Herstellung der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, durch die 1919 erstmals auch Frauen in einer Trial Jury Geschworene werden konnten.377 Gleichwohl blieb die tatsächliche Zahl weiblicher Geschworener zunächst niedrig, weil noch die Zensusbedingungen von 1825 galten, die das Geschworenenamt für Hauseigentümer reservierten, und es wenig weibliche Hauseigentümer gab.378 Seit 1949 wurde Geschworenen ein finanzieller Ausgleich für Verluste, die sie 374
Juries Act, 1825. Hostettler, Jury Old and New, S. 111. 376 Freeman, CLP 1981, 65 (91); Devlin, Trial by Jury, S. 151. 377 Vgl. 9 & 10 Geo. 5 Chapter 71; Vogel, Schwurgericht, S. 28; Vor 1919 konnten Frauen in einer besonderen, Jury of Matrons genannten, Jury als Geschworene tätig werden. Die Jury of Matrons bestand nur aus Frauen. Diese Jury wurde zusammengerufen, wenn eine zum Tod verurteilte Angeklagte behauptete, sie wäre schwanger. Eine Schwangerschaft bewirkte eine Verschiebung und oft auch eine Aufhebung der Todesstrafe; vgl. Poland, Criminal Law and Procedure, S. 52 f.; Langbein, English Criminal Trial Jury, S. 28 f. 378 Hostettler, Jury Old and New, S. 126. 375
A. Die Geschichte des trial by jury in England und Wales
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durch den Dienst als Juror erlitten hatten, gewährt. Dies war wichtig, weil zuvor finanzielle Härten potentielle Geschworene vom Dienst abgehalten hatten. Die endgültige Beseitigung aller Zensusbarrieren erfolgte erst 1979 durch den Juries Act, der das Wählerregister zur Grundlage für die Geschworenenlisten machte und somit den Dienst als Geschworener auf die ganze englische Gesellschaft ausdehnte.379 Der Gedanke, der hinter diesen Veränderungen stand, wurde 1965 in dem Bericht des Morris Committee380 formuliert. Die Mitglieder dieses Gremiums erachteten es als der Idee der Jury immanent, dass sie aus Geschworenen bestünde, die einen Querschnitt der Gesellschaft repräsentierten.381 Dieser, angesichts der Geschichte der Jury überraschende Gedanke, kann als Ausdruck eines neuzeitlichen Verständnisses der mittelalterlichen Unterwerfungserklärung unter das Urteil des Landes (put himself upon the country) bzw. des judicium parium suorum der Magna Charta verstanden werden. Unter den modernen Bedingungen eines demokratischen Staates können diese überlieferten Formeln nur durch die Teilnahme des gesamten Volkes ausgefüllt werden. Die Aufhebung der Zugangsschranken bedeutete mithin eine Demokratisierung der Jury.
b) Beschränkung des trial by jury Während des gesamten 20. Jahrhunderts wurde der Bereich derjenigen Delikte vergrößert, für die entweder ausschließlich Einzelrichter sachlich zuständig waren (summary offences) oder bei denen der Angeklagte zwischen einem Verfahren vor einer Jury oder einem Einzelrichter wählen konnte (offences triable either way)382. Die Klassifizierung eines Delikts als offence triable either way hat praktisch die Folge, dass sich die Zahl der Verfahren wegen dieses Delikts, die vor einem Geschworenengericht verhandelt werden, drastisch reduziert. Von den Verfahren bei offences triable either way werden nach einer Erhebung aus dem Jahr 2000 nur 13 % von einer Jury entschieden.383 Damit hat sich in knapp 200 Jahren das Bild der englischen Strafgerichtsbarkeit erheblich gewandelt. Wurden am Anfang des 19. Jahrhunderts noch so gut wie alle Strafverfahren von Geschworenengerichten durchgeführt, so betrug am Ende des 20. Jahrhunderts dieser Anteil nur noch etwa 1 % aller Strafprozesse384. Für die379
Hostettler, Jury Old and New, S. 126. Das Morris Committee war gebildet worden, um Vorschläge zur Veränderung des Strafrechts zu machen. Seine Anregungen führten letztlich auch zum Juries Act 1979; vgl. Hostettler, Jury Old and New, S. 126. 381 Hostettler, Jury Old and New, S. 126. 382 Vgl. zu Einzelheiten: Hostettler, Jury Old and New, S. 127. 383 Hostettler, Jury Old and New, S. 128. 384 White, Structure and Organisation, S. 13; Die absolute Zahl liegt mit rund 30.000 Fällen indessen noch hoch; vgl. Elliott/Quinn, English Legal System, S. 178. 380
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
sen Rückgang gibt es mehrere Ursachen: die Notwendigkeit zur Beschränkung der Kosten von Strafverfolgung385, die Forderung, die Dauer von Verfahren zu kürzen, und das Bedürfnis nach flexiblen Geschäftsverteilungsplänen386. Es hatte sich gezeigt, dass die summarischen Verfahren diesen Ansprüchen besser genügten als der trial by jury.
c) Mitigation im 20. Jahrhundert Auch für das vergangene Jahrhundert lassen sich Beispiele von Fällen finden, in denen Geschworene geltendes Recht ignorierten und nach eigenem Ermessen urteilten. Weit verbreitet war derartiges Verhalten in Verfahren gegen Fahrzeugführer, die durch gefährliches Verhalten im Straßenverkehr den Tod eines anderen Menschen verursacht hatten. Bis 1956 wurde derartiges Verhalten stets als manslaughter387angeklagt.388 Die Geschworenen weigerten sich häufig, die Angeklagten wegen einer derart schweren Straftat zu verurteilen. Dies trug mit dazu bei, den Gesetzgeber zum Handeln zu veranlassen. Daher wurde 1956 der Straftatbestand causing death by dangerous driving geschaffen.389 In den Jahren 2000 und 2001 wurde von Fällen berichtet, in denen Personen, die wegen des Besitzes von Cannabis angeklagt waren, freigesprochen wurden. Die Betreffenden hatten sich damit verteidigt, dass ihnen Cannabis helfen würde, die Symptome von Multipler Sklerose zu bekämpfen.390 Neben diesen Beispielen, die sich auf bestimmte Delikte bezogen, gab es auch spektakuläre Einzelfälle, in denen Angeklagte freigesprochen wurden, obwohl sie das strafbare Verhalten mitunter sogar öffentlich eingestanden hatten. In einem dieser Fälle wurden vier Frauen freigesprochen, die ein Kampfflugzeug der British Aerospace Werke beschädigt hatten, um gegen den Verkauf derartiger Flugzeuge ins Ausland zu protestieren.391 Ein weiterer interessanter Fall war der Prozess gegen Clive Ponting, einen im Verteidigungsministerium angestellten Staatsbediensteten, der Geheimdokumente an einen Parlamentsabgeordneten weitergegeben hatte. Er verteidigte sich mit dem Hinweis darauf, dass sein Verhalten erlaubt war, 385
Thomas, Allocation, S. 69; Hostettler, Jury Old and New, S. 131. Devlin, Trial by Jury, S. 275. 387 Der Tatbestand manslaughter umfasst im englischen Recht sowohl die fahrlässige Verursachung des Todes eines Menschen als auch die vorsätzliche Tötung eines Menschen. Eine vorsätzliche Tötung wird jedoch nur dann als manslaughter bewertet, wenn das zum Mord qualifizierende Merkmal der böswilligen Absicht (malice aforethought) fehlt. Dies ist beispielsweise dann gegeben, wenn der Täter vom Opfer provoziert wurde; vgl. Shears/Stephenson, James’ Introduction, S. 117; Das englische Delikt manslaughter darf folglich nicht mit dem deutschen Tatbestand des Totschlages (§ 212 StGB) gleichgesetzt werden. 388 Freeman, CLP 1981, 65, 92 389 Freeman, CLP 1981, 65, 92. 390 Darbyshire/Maughan/Stewart, Jury Research, S. 86. 391 Hostettler, Jury Old and New, S. 134. 386
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weil es im Interesse des Staates gelegen habe. Der Richter entschied zwar, dass eine Entscheidung darüber nicht im Kompetenzbereich der Geschworenen läge. Entgegen dieser Anweisung wurde Ponting freigesprochen.392 Das Verhalten von Geschworenen ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil sich darin ein seit mehreren Jahrhunderten zu beobachtendes Grundmuster manifestiert. Danach können zwei Gelegenheiten unterschieden werden, bei denen Gesetze durch Ermessensausübung umgangen werden. Zum einen handelt es sich dabei um bestimmte Tatbestände, für die den Geschworenen eine Bestrafung generell nicht angemessen erscheint. Zum zweiten wird nach Ermessen in solchen Fällen entschieden, wo ein konkretes Verhalten als nicht strafwürdig erscheint. Diese Fälle weisen oftmals eine politische Färbung auf. An diesen Beispielen wird deutlich, warum heute die Jury als Schutz vor staatlicher Unterdrückung oft für ebenso wichtig gehalten wird, wie in der Vergangenheit.393
d) Abschied von Traditionen Eine Abkehr von einer bedeutenden alten Tradition fand bereits 1907 statt. In diesem Jahr wurde als Reaktion auf mehrere skandalöse Verurteilungen, ein Rechtsmittelgericht für Strafsachen (Court of Criminal Appeal) geschaffen.394 Damit wurde das Prinzip der Unantastbarkeit des Schuldurteils einer Jury, das sie noch mit dem Ordal verbunden hatte, aufgegeben. Für den Angeklagten eröffnete sich damit die Möglichkeit, gegen Schuldsprüche von Juries Rechtsmittel einzulegen, und seine Verurteilung umfassend überprüfen zu lassen395. Eine allmähliche Erosion erfuhr im 20. Jahrhundert auch das Recht des Angeklagten, Geschworene ohne Angabe von Gründen abzulehnen (peremptory challenge)396. Der erste Schritt auf diesem Weg erfolgte 1925, als die Anzahl der erlaubten Ablehnungen von Geschworenen von zuvor fünfundzwanzig auf zwölf reduziert wurde.397 Diese Zahl wurde 1949 auf sieben verringert und schließlich 1977 auf drei festgesetzt.398 Noch vor dieser Gesetzesänderung fand in London ein Strafverfahren statt, bei dem siebzehn farbige Angeklagte beteiligt waren. Die Verteidigung forderte für dieses Verfahren die Besetzung der Jury mit mindesten sechs farbigen Juroren. Als dies verweigert wurde, schöpften die Verteidiger ihr Ablehnungsrecht fast vollständig aus und lehnten insgesamt 103 Ge392
Hostettler, Jury Old and New, S. 134. Hostettler, Jury Old and New, S. 134. 394 Vgl. 7 Edw. 7 Chapter 23; Vogel, Schwurgericht, S. 28; Hostettler, Politics of Criminal Law, S. 164; Cornish/Clark, Law and Society, S. 619. 395 Zu Einzelheiten des Umfanges der Prüfung im Rechtsmittelverfahren, vgl. unten 2. Teil A. VII. 1.: Übersicht über die Rechtsmittel gegen Urteile des Crown Court. 396 Vgl. oben 1. Teil A. II. 3. c). aa): Trennung von Anklage- und Prozessjury. 397 Hostettler, Jury Old and New, S. 129. 398 Lloyd-Bostock/Thomas, LCP 1999, 55 ff. 393
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
schworene ab.399 Dieser und ähnliche Fälle führten schließlich 1989 dazu, dass das Recht der peremptory challenge durch den Criminal Justice Act 1988 ersatzlos gestrichen wurde, da die Regierung besorgt war, das Recht könne missbraucht werden.400 Eine weitere Abkehr von einem Grundprinzip des trial by jury war die Einführung der Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen (majority verdicts) durch den Criminal Justice Act 1967401. Die Einführung von Mehrheitsentscheidungen wurde mit der Notwendigkeit begründet, eine Blockade von Juryentscheidungen durch eingeschüchterte oder bedrohte Geschworene zu verhindern.402 Außerdem sollten durch Mehrheitsentscheidungen extreme Standpunkte einzelner Juroren neutralisiert werden.403
6. Zusammenfassung Hinsichtlich des Ablaufes der Strafverfahren ist in den beiden oben besprochenen Jahrhunderten hauptsächlich eine Konsolidierung und Rationalisierung traditioneller Strukturen festzustellen. Die Herausbildung der wesentlichen Formen des modernen schwurgerichtlichen Verfahrens war etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschlossen.404 Zu einem anderen Ergebnis gelangt man allerdings bei einer Erweiterung des Betrachtungswinkels auf das Erscheinungsbild des trial by jury insgesamt. Verschiedene Reformaktivitäten, die mitunter sowohl durch das 19. als auch durch das 20. Jahrhundert hindurch verfolgt wurden, veränderten die Stellung der Geschworenengerichte in der Gerichtsverfassung besonders mit Blick auf ihre sachliche Zuständigkeit. Die dadurch bewirkte drastische Verringerung des relativen Anteils der Verfahren vor Geschworenengerichten am Gesamtaufkommen der Strafverfahren macht die Veränderung der Jury besonders plastisch. Die Jury war im Mittelalter als Mittel zur schnellen und effektiven Erledigung von Strafverfahren etabliert worden. Nachdem sie diese Rolle während eines langen Zeitraums beibehalten hatte, galten nunmehr die summarischen Verfahren an den Magistrates’ Courts als die effektivste und schnellste Methode der Durchführung von Prozessen. Daher wurden Steigerung der Effektivität und Schnelligkeit von Strafverfolgung und
399
Hostettler, Jury Old and New, S. 129. Ingman, English Legal Process, S. 213; vgl. Section 118 (1) Criminal Justice Act 1988; Vertiefend zu den Gründen für die Abschaffung der peremptory challenge siehe: Gorbert, CrimLR 1989, 528 (530 ff.); Vennard/Riley, CrimLR 1988, 731 ff. 401 Ingman, English Legal Process, S. 218; Sprack, Emmins, S. 311; Blackstone’s, D 17.12. 402 Denning, What next in the Law?, S. 60 f.; Sanders/Young, Criminal Justice, S. 567. 403 Weitergehend dazu vgl. unten 2. Teil A. VI. 5. b): Kritik an der Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen. 404 Vogel, Schwurgericht, S. 29. 400
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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Beschneidung des Bereiches der Zuständigkeit der Jury zu Synonymen. Es wurden auch Maßnahmen zur Effizienzsteigerung der Geschworenengerichte selbst ergriffen. Diese gingen jedoch, wie die Abschaffung der peremptory challenge und die Einführung von Mehrheitsentscheidungen, meist zu Lasten der Rechte des Angeklagten. Weitere Reformen brachten eine Liberalisierung der Zugangsvoraussetzungen zum Geschworenenamt. Dadurch wurde eine Öffnung der Jury für alle Gesellschaftsschichten erreicht und die Jury auf diese Weise zu einem demokratischen Institut gemacht. Die Tradition der Ermessensausübung seitens der Geschworenen wurde durch die Forderung nach mehr Rechtssicherheit sowie der Abschaffung der Todesstrafe für viele Delikte besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark eingeschränkt. Es ist jedoch ein, wenngleich marginales, Fortbestehen des Ermessensgebrauches zugunsten von Angeklagten bis in die heutige Zeit zu konstatieren.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
Die Besonderheit der Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland besteht in der Vielfalt der in dieser Hinsicht verfolgten Konzeptionen. Dies macht es auf den ersten Blick nicht leicht, Entwicklungslinien zu erkennen, die bruchlos auf die Schöffengerichte im modernen Sinn zulaufen. Demzufolge besteht die Aufgabe der Untersuchung zunächst darin, die unterschiedlichen Traditionen von Laienbeteiligung innerhalb der deutschen Rechtsgeschichte zu ordnen und ihrer Ausbildung zu folgen. Der Gang der Darstellung setzt, wie schon im vorangegangenen Abschnitt, in der Frühgeschichte der Laienbeteiligung an. Anschließend werden mittelalterliche Formen von Laienbeteiligung betrachtet. Auf das Mittelalter folgte eine Zeit, die fast frei von Laienbeteiligung war. Auch ihr ist ein Kapitel gewidmet. Die Vielgestaltigkeit der Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland wird im daran anschließenden Kapitel besonders deutlich, das sich mit den Versuchen zur Einführung von Geschworenengerichten in Deutschland beschäftigt. Die Beschreibung der Geschichte der deutschen Laienbeteiligung schließt mit dem Gang der Entwicklung im letzten Jahrhundert.
I. Die Frühgeschichte der Laienbeteiligung in Deutschland Der Beginn der Betrachtung der Entwicklung der Laienbeteiligung im germanischen Rechtsgang findet seinen Sinn bereits darin, dass die Ursprünge verschiedener Begriffe der Rechtssprache im Zusammenhang mit der Laienbeteiligung zeitlich bis dorthin zurückreichen. Das Wort Schöffe beispielsweise entstammt dem althochdeutschen skeffino bzw. dem mittelhochdeutschen scheffe(ne), schepfe(ne)
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
oder dem altniederfränkischen skepeno.405 Das Wort gehört wohl zu „schaffen“, „schöpfen“ und könnte auch „der Anordnende“ bedeuten. Die morphologischen und semantischen Einzelheiten sind jedoch unklar. Einen zusätzlichen Aspekt des Sinnes, den germanischen Rechtsgang als Ausgangspunkt der Untersuchung zu wählen, bildet der Umstand, dass die Berufung auf das so genannte „gute alte Recht“ germanischer Tradition eines der Argumentationsmuster in der Diskussion um Schwurgerichte in Deutschland im 19. Jahrhundert bildete.406 Für die Bewertung der im 19. Jahrhundert dazu vertretenen Ansichten – auf die später noch zurückzukommen sein wird – ist ein Überblick über die historische Wirklichkeit notwendig. Im Anschluss an die Betrachtung des germanischen Rechts soll die weitere Entwicklung der Laienbeteiligung im Frankenreich untersucht werden. Dass diese, vom 6. bis zum 9. Jahrhundert reichende, Zeitspanne von prägender Bedeutung gewesen sein muss, zeigt allein der Umstand, dass die Stämme der Worte Richter und Schöffe auf das 8. Jahrhundert zurückgehen407. Die Untersuchung verfolgt das Ziel nachzuzeichnen, welche Entwicklung die Gerichtsverfassung in jener Zeit nahm und wie sich die germanische Tradition der Einbindung des Volkes in die Gerichtsbarkeit fortsetzte.
1. Der germanische Rechtsgang Das germanische Strafverfahren wurde von Privatinitiative bestimmt. Außer bei Delikten, welche die Interessen der Gemeinschaft konkret betrafen408, war die Strafverfolgung Sache des Verletzten bzw. dessen Sippe.409 Aufgrund dieser Zuordnung des Strafrechtes zur privaten Sphäre waren Rache und Fehde weit verbreitet.410 Um eine Streitigkeit ohne Rückgriff auf die Mittel der Selbsthilfe zu lösen, bestand die Möglichkeit der Anrufung des Thing.411 Das Thing war die Versammlung aller freien Männer eines bestimmten Gebietes.412 Den Vorsitz über das Thing 405
Vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 822; HRG IV, Sp. 1463 (Art. Schöffen, Schöffengericht). 406 Wesel, Geschichte, Rn. 176; Kroeschell spricht davon, das Bild des germanischen Rechtes sei in einen Ideologieverdacht geraten; vgl. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 50. 407 Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 764, 822. 408 Delikte, welche die Interessen der Gemeinschaft berührten waren beispielsweise Verrat, Feigheit vor dem Feind und religiöse Delikte; vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 181; Wesel bezieht sich auf die „Germania“ des Tacitus Kapitel 12. 1. 409 Schmidt, Einführung, § 27. 410 Einzelheiten zu Rache und Fehde als tragenden Säulen der germanischen Rechtsordnung: Schmidt, Einführung, § 27. 411 Schmidt, Einführung, § 27. 412 Es wurde zwischen dem echten Thing, welches zu festgelegten Zeiten an der traditionellen Gerichtsstätte abgehalten wurde, und dem gebotenen Thing, welches nur bei Bedarf zusammentrat, unterschieden; vgl. Amira, Grundriss, S. 252; Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 28.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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führte ein dafür bestimmtes Mitglied der Thinggemeinde. Der Vorsitzende repräsentierte die Gerichtsgewalt, überwachte den ordnungsgemäßen Gang des Verfahrens und erfragte das Urteil von den Anwesenden ohne selbst an dessen Findung beteiligt zu sein.413 Er war entweder zu diesem Zweck gewählt worden oder es handelte sich um den König bzw. das Oberhaupt des Stammes.414 An der fehlenden direkten Möglichkeit der Einflussnahme auf das Urteil wird deutlich, dass der Vorsitzende nur die prozessuale Versammlungsleitung innehatte und der Prozess ansonsten von den beteiligten Parteien beeinflusst wurde.415 Jeder der Thinggenossen durfte einen Urteilsvorschlag abgeben, der durch die Zustimmung der übrigen zum Urteil wurde.416 Das Verfahren hatte Ausgleichs- und nicht Straffunktion.417 Sein Ziel war es, den Parteien eine Beendigung ihres Streits zu ermöglichen und auf diese Weise den Frieden wieder herzustellen.418 Oftmals bestand daher das Urteil aus einem Vergleich, der die Einigung der beiden streitenden Parteien besiegelte.419 Konnte eine Einigung nicht herbeigeführt werden, wurde durch ein Urteil festgelegt, wie sich der Beschuldigte von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf reinigen, d. h. befreien konnte. Die Urteilsfindung war kein auf materielle Wahrheit gerichteter rationaler Erkenntnisprozess, sondern ein streng formales, rituelles Verfahren der Streitschlichtung, bei welchem dem feierlichen Sprechen einer Formel oder der Vornahme einer Symbolhandlung in Gegenwart der versammelten Gerichtsgemeinde rechtliche Kraft zukam.420 Die Befreiung von dem Vorwurf erfolgte aufgrund dieser Voraussetzungen ähnlich wie auch in England in der angelsächsischen Zeit entweder durch einen Eid, der von der Anschuldigung reinigen sollte, oder durch Unterwerfung unter ein Gottesurteil.421 Diese fungierten als Beweismittel, die keiner Würdigung bedurften, sondern trugen die Antwort auf die Frage nach der Schuld oder Nichtschuld des Beschuldigten bereits in sich.422 Der Ausgang des Beweises 413 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 24; Küper, Richteridee, S. 108; Liekefett, Ehrenamtliche Richter, S. 3; Schorn, Laienrichter, S. 1; Weitere Einzelheiten zum Thing bei: Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 196 ff.; Amira, Grundriss, S. 252 ff. 414 Rogge, Gerichtswesen, S. 46; Kern, Geschichte, S. 1. 415 HRG I, Sp. 1553 (Art. Gerichtsverfahren). 416 Liekefett, Ehrenamtliche Richter, S. 3. 417 Weiterführend zur Herausbildung des öffentlichen Strafrechts: Achter, Strafe, S. 111; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 24 ff.; Peters, Strafprozess, § 11; vgl. zum aktuellen Forschungsstand zur Entstehung des Schuldstrafrechts: Stübinger, Schuld, S. 312. 418 Schmidt, Einführung, § 29. 419 Schmidt, Einführung, § 27, Weitzel, Dinggenossenschaft II, S. 802; Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 13 f. 420 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 30; Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 272; Küper, Richteridee, S. 107. 421 Schmidt, Einführung, § 29; ausführlich zu Art, Wesen und Ursprung der Gottesurteile: Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 147 f.; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 23 f; zu den Paralellen in der englischen Geschichte vgl. insbesondere oben 1. Teil A. I. 2. b): Das angelsächsische Gerichtsverfahren. 422 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 30; Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 14.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
entsprach damit dem Ausgang des Verfahrens. Die Befragung von Zeugen war unbekannt, einzig zur Bezeugung nachbarlicher Verhältnisse wurde das Zeugnis von Nachbarn eingeholt.423 Der Sinn der Beteiligung der versammelten Thinggemeinde am Verfahren bestand darin, die gesamte Gemeinschaft als Garanten für die gefundene Lösung des Streits in Anspruch zu nehmen424. Nur durch Konsens konnte der durch eine Straftat gestörte Frieden wieder hergestellt werden. Insoweit war tatsächlich das ganze Volk für die Bewahrung des Rechts in einem weiteren Sinne zuständig. Bei rein formaler Subsumtion dieser Art von Rechtspflege unter den dieser Arbeit zugrunde liegenden Begriff der Laien könnte man annehmen, dass die germanische Rechtspflege vollständig durch Laien bestimmt wurde. Angesichts des Fehlens einer professionellen Richterschaft als Vergleichsgruppe ist dieser Schluss jedoch wenig ergiebig.
2. Verfahrensformen im Frankenreich Mit dem Frankenreich bildete sich ab dem 6. Jahrhundert zum ersten Mal innerhalb des hier betrachteten Territoriums eine staatliche Struktur.425 Der fränkische Staatsverband strebte danach, Ordnung in die nach der Völkerwanderung entstandenen Verwerfungen zu bringen.426 Daraus ergab sich die Notwendigkeit, das Zusammenleben auch hinsichtlich der Streitschlichtungsverfahren auf eine neue bzw. erweiterte Basis zu stellen. Die Grundlage bildete die Erkenntnis, dass die Konfliktlösung durch Selbsthilfe den Frieden in Gefahr brachte und daher den Interessen der erstarkten Zentralgewalt zuwiderlief.427 Die Einsicht begann sich durchzusetzen, dass es nicht gleichgültig sei, ob begangene Straftaten verfolgt würden oder nicht.428 Daher wurden zur Verhinderung von Fehden Fehdeverbote in Form von Rechtsfrieden ausgesprochen.429 Die Parteien wurden auf diese Weise gezwungen, eine unabhängige Instanz zur Klärung des Streites anzurufen.430 Neben das althergebrachte, auf Konsens gegründete Parteiverfahren
423
Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 29 f. Wesel, Geschichte, Rn. 195; Weitzel, Dinggenossenschaft I, 77 ff., 89 f., 543–548; zur Fortwirkung dieses Gedankens: Ignor, Geschichte, S. 58. 425 Wesel, Geschichte, Rn. 186; ausführlich zur Entstehung des Frankenreiches: Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 272 ff.; Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 59 f. 426 Köstlin, Geschichte, S. 79; zur Völkerwanderung weiterführend: Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 53 ff. 427 Benz, Laienrichter, S. 16. 428 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 30 erblickt darin bereits sichtbare Ansätze einer öffentlichen Strafverfolgung; ebenso: Schmidt, Einführung, § 30; Weitzel, ZRG GA 111 (1994), 66 (137). 429 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 168 f.; HRG I, Sp. 1084 f. (Art. Fehde). 430 Benz, Laienrichter, S. 16. 424
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trat damit ein autoritativ eingeleitetes Verfahren zur Durchsetzung des Rechtsfriedens.431 Die Gerichtsverfassung erhielt ihr Gepräge durch das Nebeneinander verschiedener Gerichtsformen.432 Es gab in den einzelnen Grafschaften noch die alten Thinggerichte, die auf die Volksversammlungen zurückgingen. Daneben etablierten sich eine Gerichtsbarkeit des Königs sowie weitere selbstständige Gerichtsbarkeiten.433 Diese unterschiedlichen Gerichte sollen im Folgenden kurz beschrieben werden und dabei auf die Art und Weise, wie Laien dort in die Entscheidungsfindung eingebunden waren, untersucht werden.
a) Das Grafengericht Wichtige Streitigkeiten wurden vor dem Gericht des Grafen verhandelt. Die Grafschaft bildete ein zentrales Element der fränkischen Staatsordnung. An ihrer Spitze stand der Graf (grafio), ein vom König eingesetzter Beamter.434 Das Grafengericht war wohl aus dem germanischen Thing hervorgegangen. Genau wie dort wurden drei Aufgabenbereiche unterschieden, die zwischen Richter, Urteilsfindern und der Gerichtsgemeinde als drei Gruppen von Mitwirkenden bei der Gerichtsverhandlung aufgeteilt waren. Der Richter (iudex bzw. thungius) war Leiter der Gerichtsversammlung.435 Seine Kompetenz bestand nur darin, das Verfahren zu leiten.436 Am eigentlichen Rechtsspruch wirkte er nicht mit, er erfragte ihn nur.437 Im Unterschied zum germanischen Brauch wirkte nicht mehr die ganze Gemeinde an dem Rechtsspruch mit. Dieses Privileg wurde auf einen kleinen Kreis von meist sieben angesehenen Gemeindemitgliedern beschränkt, von denen die Lösung des Rechtsstreites erfragt wurde. Nach dieser Funktion werden sie daher als Urteilsfinder bezeichnet.438 Zu diesem Amt wurden solche Personen ausgewählt, die als besonders erfahren und weise galten und über Kenntnisse der Rechtstraditionen verfügten. Diese Unterscheidung zwischen dem Amt des Richters als Leiter der Versammlung und denjenigen, die das Urteil sprachen, ver-
431
Weitzel, ZRG GA 111 (1994), 66 (138); Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 29. Wesel, Geschichte, Rn. 195; Der Gerichtsaufbau war horizontal statt vertikal gegliedert und von einer Vielgestaltigkeit, die hier nicht Gegenstand der Darstellung sein kann. 433 Dazu zählten u. a. die grundherrliche Gerichtsbarkeit sowie die Gerichtsbarkeit der Kirche; vgl. Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 142 ff., Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 123 ff. 434 Wesel, Geschichte, Rn. 187. 435 Kern, Geschichte, S. 4. 436 Kern, Geschichte, S. 4; Benz, Laienrichter, S. 17; Trusen, ZRG KA 105 (1988), 168 (172). 437 Schmidt, Einführung, § 30; Kern, Geschichte, S. 4. 438 Benz, Laienrichter, S. 17 und passim; Dahm, Deutsches Recht, S. 69. 432
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
weist zurück auf das germanische Verfahren.439 Die Urteilsfinder wurden zunächst rachinburgi bzw. rachinburgi sedentes genannt.440 Nach mehreren von Karl dem Großen zwischen 770 und 780 durchgeführten Reformen der Gerichtsverfassung kam die Bezeichnung rachinburgi außer Gebrauch und wurde durch den Namen scabini ersetzt.441 Scabinus ist die latinisierte Form des altniederfränkischen skepeno beziehungsweise althochdeutschen skeffino und kann daher mit „Schöffe“ übersetzt werden.442 Die rachinburgi wurden für jede Gerichtsversammlung neu aus der Mitte der Gerichtsgemeinde gewählt oder vom Richter bestimmt.443 Im Unterschied zu den rachinburgi waren die scabini auf Lebenszeit bestellt und konnten nur bei Verletzung ihrer Amtspflichten entlassen werden.444 Die Schöffen (scabini) richteten folglich bereits kraft ihrer Amtspflicht gegenüber dem Gerichtsherrn und waren nicht mehr der Gerichtsgemeinde gegenüber verpflichtet. Die für einen Streit gefundene Lösung musste von der Gerichtsgemeinde, auch Gerichtsumstand genannt, durch das so genannte vollbort bestätigt und damit garantiert werden445. Darin ist jedoch wahrscheinlich weniger eine echte Möglichkeit zur Beeinflussung des Rechtsspruches zu erblicken als vielmehr ein rein formales Geschehen, in dem sich der Gedanke fortsetzt, dass das gefundene Ergebnis von allen Angehörigen der Gemeinschaft getragen werden sollte und so auch tatsächlich den Frieden wieder herstellen konnte.446 Die Entscheidung des Rechtsstreits wurde immer noch nach den überlieferten Methoden getroffen. Wahrnehmungszeugen waren weiterhin unbekannt und Reinigungseid bzw. Gottesurteil besiegelten den Ausgang des Gerichtsverfahrens.447 Mit den Gerichten des alten germanischen Rechtsganges verband die fränkischen Gerichte somit der Glaube, dass durch die Einhaltung bestimmter Formalien die materielle Wahrheit ergründet werden könne.448
439
Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 40. Der genaue etymologische Ursprung des Namens ist umstritten. Die am weitesten verbreitete Auffassung führt den Ursprung auf ragin (Rat, Beschluss, beratende Versammlung) zurück; vgl. für eine ausführliche Darstellung des Standes der Forschung: Weitzel, Dinggenossenschaft II, S. 803 f. 441 Sohm, Fränkische Gerichtsverfassung, S. 377; Kern, Geschichte, S. 6; Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 141; zum Inhalt der Reformen im Einzelnen: Benz, Laienrichter, S. 18 m. w. N. 442 Vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 822; weiterführend zu den Hintergründen des Namenswechsels: Weitzel, Dinggenossenschaft II, S. 800 ff. 443 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 141; Wesel, Geschichte, Rn. 93; Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 34. 444 Grube, Richter ohne Robe, S. 37; Fehr, Rechtsgeschichte, S. 49. 445 Sohm, Fränkische Gerichtsverfassung, S. 373; Dahm, Deutsches Recht, S. 69; Zweifel daran äußert: Wesel, Geschichte Rn. 195. 446 Weitzel, ZRG GA 111 (1994), 66 (143 f.). 447 Schmidt, Einführung, § 30. 448 Fehr, Rechtsgeschichte, S. 59; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 24. 440
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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b) Das Königsgericht Mit den gräflichen Gerichten konkurrierte die Gerichtsbarkeit des im Lande umherreisenden Königs. Das Königsgericht konnte grundsätzlich in allen Fragen angerufen werden, für die auch das Grafengericht zuständig war.449 Zudem unterfielen seiner Zuständigkeit Rechtssachen von Personen höheren Standes sowie wichtige Strafsachen, bei denen Ächtung und Verbannung als Strafen verhängt werden konnten.450 Gleichfalls konnte der König jede noch nicht erledigte Sache vor sein Gericht ziehen (jus evocandi) oder durch seinen Spruch Urteile anderer Gerichte des Reiches abändern (privilegium acclamationis)451. Besonders in diesen Rechten zeigt sich die hervorgehobene Stellung des Königs als oberster Richter im Reich und damit das Fehlen jeglicher Gewaltenteilung, weil der Staat als Einheit begriffen wurde.452 Die Leitung der Verhandlung und damit das Richteramt wurden vom König selbst wahrgenommen.453 Da der König aber auch selbst den Rechtsspruch verkünden konnte, war er zur gleichen Zeit auch Urteilsfinder, obwohl in der Regel neben dem König auch Mitglieder des Hofstaates als Beisitzer beziehungsweise Urteilsfinder herangezogen wurden.454 In der Person des Königs wurden folglich zwei Funktionen, die im alten Recht strikt getrennt waren, zusammengeführt. Die königliche Autorität manifestierte sich damit nach außen sichtbar als ungeteilt und festigte somit die Machtposition des Königs. Der deutlichste Nachklang, den das alte Volksgericht beim Königsgericht hatte, ist die Tatsache, dass es auch bei letzterem einen Umstand wie beim Thing gab. Der Umstand bestand aus den bei Hof Anwesenden und möglicherweise auch Teilen des Heeres.455 Eine wirkliche Funktion erfüllte der Umstand jedoch nicht mehr. Beim Königsgericht wurde der Beweis mit denselben Mitteln wie im Grafengericht geführt. In einigen Quellen ist dennoch die Rede davon, dass neben diesem Verfahren bereits die Anhörung von Zeugen möglich war.456 Bei diesem inquisitio 449
Brunner/Schwerin, Grundzüge, S. 83. Benz, Laienrichter, S. 19. 451 Das privilegium acclamationis galt nur für bestimmte Personengruppen; vgl. Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 146. 452 Wesel, Geschichte, Rn. 195; Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 172. 453 Kern, Geschichte, S. 4; Unter der Herrschaft der Karolinger wurde der König in den meisten Fällen vom Pfalzgrafen vertreten, so dass teilweise von einem Pfalzgrafengericht als Abspaltung vom Königsgericht gesprochen wird; vgl. Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 145. 454 Benz, Laienrichter, S. 19; Amira, Grundriss, S. 260. 455 Benz, Laienrichter, S. 20; Grube, Richter ohne Robe, S. 38. 456 Brunner/Schwerin, Grundzüge, S. 81; Weitzel, ZRG GA 111 (1994), 66 (101 f.); Eberhard Schmidt führt diese Entwicklung hinsichtlich ihrer geistesgeschichtlichen Ursachen auf das damals stattfindende Platzgreifen der Erkenntnis zurück, dass es nicht vom Zufall abhängen dürfe, ob eine Friedenstörung geahndet würde. Er verweist damit auf eine Verbindung zwischen der Rationalisierung des Verfahrens und den Anfängen eines amtlichen Einschreitens gegen Straftaten. Vgl. Schmidt, Einführung, § 32. 450
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
genannten Verfahren, wurde eine Anzahl von Angehörigen einer Gemeinde ausgewählt und nach einem eidlichen Wahrheitsversprechen über Verbrechen befragt, hinsichtlich derer keine private Klage vorlag.457 Der auf diese Weise als Täter genannte konnte sich wiederum auf die übliche Art, also durch Ordal oder Eid, von dem Vorwurf reinigen.458 Trotz ihres rationalen Ansatzes blieb die inquisitio damit im traditionellen, irrationalen Verfahren verhaftet. Ebenso wie die ungeachtet ihrer Inhaltslosigkeit fortgesetzte Beteiligung des Umstandes illustriert dies die Zählebigkeit bestehender Einrichtungen. Somit war auch das fränkische Königsgericht dem germanischen Rechtsgang verpflichtet.
3. Zusammenfassung Der germanische Rechtsgang und das Strafverfahren im Frankenreich waren durch viele Gemeinsamkeiten verbunden. Als ein Beispiel dafür ist das Festhalten an formalen Beweismitteln wie dem Gottesurteil und dem Reinigungseid unter Mithilfe von Eidhelfern zu nennen. Eine weitere Übereinstimmung war die Trennung der Ämter des Richters und des Urteilsfinders mit einer schwachen Stellung des Richters, der auf die Versammlungsleitung und die Verkündung des Rechtsspruches beschränkt blieb. Dieser letzte Aspekt ist freilich eher formaler Natur, weil das Urteil in dem bisher dargestellten Verfahren inhaltlich weniger auf einer Entscheidung der richtenden Person beruhte, sondern aufgrund der Besonderheiten des Beweisrechts gefunden bzw. ausgesprochen wurde. Der Urteilsvorschlag bzw. das Urteil selbst oblag den Urteilsfindern. Dies war möglich, weil das Recht der Frühzeit bis zum Mittelalter keine abstrakten Strukturen kannte, sondern stets auf Einzelfälle bezogen war. Eine Rechtssetzung, die allgemeine Regeln aufstellte, gab es grundsätzlich nicht. Recht wurde nicht gemacht, sondern bezeugt.459 Während in der germanischen Zeit oftmals Gerichtsgemeinde und Urteilsfinder identisch waren, existierte bei den Franken nur noch ein kleiner Kreis von Urteilsfindern. Diese Veränderung bedeutete eine Stärkung der herrschaftlichen Gewalt auf Kosten des Volkes und damit das Ende der Rechtsprechung durch die Gerichtsgemeinde selbst.460 Das Amt des Urteilsfinders war gebunden an das Ansehen, die gesellschaftliche Position sowie an Kenntnisse des Betreffenden hinsichtlich des geltenden Partikular- bzw. Gewohnheitsrechts. Laien waren diese Urteilsfinder somit nur insoweit, dass sie ihr Amt nicht hauptamtlich ausübten.
457 Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 53 ff.; Schmidt, Einführung, § 32; Brunner/Schwerin, Grundzüge, S. 81; Fehr, Rechtsgeschichte, S. 51. 458 Brunner/Schwerin, Grundzüge, S. 81; a. A. Weitzel, ZRG GA 111 (1994), 66 (102). 459 Ebel/Thielmann, Rechtsgeschichte, S. 13. 460 Fehr, Rechtsgeschichte, S. 49.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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II. Laienbeteiligung im mittelalterlichen Deutschen Reich461 Die Darstellung der Laienbeteiligung im mittelalterlichen deutschen Reich umfasst knapp 600 Jahre, beginnend mit dem 11. Jahrhundert bis zum 16. Jahrhundert. Am Beginn dieser Epoche war die Beteiligung von Laien an der Gerichtsbarkeit noch weit verbreitet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Darstellung der Ausgestaltung dieser Praxis am Anfang dieses Kapitels. Anschließend wird das allmähliche Verschwinden der Laien aus den Entscheidungspositionen bei den Gerichten untersucht. Hierbei geht es um die Frage, warum die Laienbeteiligung abnahm und in welchem Zusammenhang dieser Prozess mit der Rezeption und der Einführung des Inquisitionsverfahrens als maßgeblichen Rechtsentwicklungen jener Zeit steht.
1. Die Beteiligung von Laien an der frühmittelalterlichen Gerichtsbarkeit Die Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Deutschen Reiches war gekennzeichnet durch Uneinheitlichkeit und Zersplitterung, die den Zerfall der Zentralgewalt in viele lokale Machtzentren widerspiegelte.462 Auch aufgrund einer starken Differenzierung der Gesellschaft in unterschiedliche Stände wurde eine Vielzahl von Gerichten benötigt. Die Zuständigkeit mittelalterlicher Gerichte ergab sich mehr aus der Standeszugehörigkeit der Beteiligten als aus dem Gegenstand des Verfahrens.463 Dieser Besonderheit trägt der nachstehende Abschnitt Rechnung, indem er die verschiedenen Gerichtsbarkeiten getrennt voneinander behandelt und auf die Rolle, welche Laien dabei spielten, untersucht.
a) Die Rechtsbücher Zwischen 1220 und 1276 entstanden die Rechtsbücher des Sachsen-, Schwaben-, und Deutschenspiegels als private Aufzeichnungen des Rechts bestimmter Gebiete.464 Obwohl ihnen keine unmittelbare Gesetzeskraft zukam, wurden sie 461 Der Beginn der Geschichte des Deutschen Reiches fällt zusammen mit der Dreiteilung des Frankenreiches im Jahr 843 durch den Vertrag von Verdun und der anschließenden Verlagerung der Kaiserwürde in den östlichen der drei Landesteile; vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 202. 462 Schwerin/Thieme, Grundzüge, S. 129; zu den einzelnen Gerichten: Kern, Geschichte, S. 7. 463 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 374; Wesel, Geschichte, Rn. 241. 464 Benz, Laienrichter, S. 21; Wesel, Geschichte, Rn. 219; Die Rechtsbücher entstanden zwar durch Privatinitiative, aber auf Grundlage der überlieferten alten Rechtstraditionen. Im Einzelnen entstanden: der Sachsenspiegel (1220–1235), der Deutschenspiegel (1274/75) und der Schwabenspiegel (1275/76); vgl. Dahm, Deutsches Recht, S. 71.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
praktisch wie Gesetze verwendet. Daher besitzen sie Aussagekraft als Quelle für die Art der Laienbeteiligung im frühen Mittelalter. Die Rechtsbücher waren noch den alten, formalen Beweismitteln des Eides und des Gottesurteils verpflichtet.465 Beispielsweise erwähnt der zwischen 1220 und 1235 entstandene Sachsenspiegel ein so genanntes wazzerorteile466 und legt fest, auf welche Weise mittels Gottesurteil eine Befreiung vom Vorwurf des Diebstahls oder des Raubes möglich ist467. In allen drei Büchern fehlen zudem Belege, die auf eine Veränderung in der Besetzung der Gerichte hindeuten würden. So ist davon auszugehen, dass Richter und Urteilsfinder weiter getrennt waren und der Richter sich nicht in die Urteilsfindung einmischen durfte.468 Als Urteilsfinder werden in den Rechtsbüchern die Schöffen genannt. Die Fähigkeit, dieses Amt auszuüben, zählte zu den wichtigsten Standesrechten.469 Sie knüpfte sich an einen Landbesitz von mindestens drei Hufen und die Zugehörigkeit zu einem alten freien Geschlecht.470 Nach dem Sachsenspiegel war die Herkunft sogar das entscheidende Kriterium, denn nach diesem Buch war das Schöffenamt erblich471. Die Anzahl der Schöffen betrug nach dem Schwabenspiegel zwölf Männer, die nach Mehrheit entschieden.472
b) Gerichte auf dem Land Die Strafgerichtsbarkeit im ländlichen Raum wurde von den so genannten Zentoder Go-Gerichten wahrgenommen.473 Ihre Jurisdiktion erstreckte sich auf Straftaten von niedrig geborenen Freien und Unfreien gleichermaßen, nicht jedoch über die Taten von Adligen.474 Bezüglich ihrer Besetzung wurzelten die Zent- und Go-Gerichte in alten Traditionen. Urteilsfinder und Richter waren getrennt. Das Urteil wurde von Schöffen gefunden.475 Schöffbar, also geeignet zum Schöffenamt, war jedoch nicht mehr 465
Schmidt, Einführung, § 65; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 58. Vgl. Ssp, Buch 3 Art. XXI 2; zit. nach: Ebel, Sachsenspiegel. 467 „Si (die Verdächtigen – N. L.) haben abir drierlei kore: Daz heize isen zu tragene adir in einen wallenden kessel zu grifene biz zu dem ellenbogen, adir deme kemphen sich zu werende.“ (zit. nach: Ebel, Sachsenspiegel); vgl. Ssp, Buch 1 Art. XXXIX. 468 Benz, Laienrichter, S. 22 ff. 469 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 301; Grube, Richter ohne Robe, S. 39. 470 Das Kriterium des Landbesitzes findet sich in gleicher Weise im englischen Recht in jener Zeit; vgl. oben 1. Teil A. III. 2. a) dd): Politische Erwägungen. 471 Kern, Geschichte, S. 9 f. 472 Schwabenspiegel, Landrecht II, Art. 172. 473 Der Name Zent-Gerichte wurde hauptsächlich in Süddeutschland verwendet. Go-Gericht ist abgeleitet von go (Gau); vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 221.S 474 Kern, Geschichte, S. 13. 475 Benz, Laienrichter, S. 26; Zur erforderlichen Anzahl der Schöffen finden sich keine genauen Angaben. 466
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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unbedingt jeder Freie. Zunehmend war es erforderlich, dem Adel anzugehören oder über ein gewisses eigenes Vermögen zu verfügen.476 Der Gerichtsumstand verschwand seit dem 13. Jahrhundert vollständig, nachdem seine Rolle, das Urteil durch das vollbort zu bestätigen, im Lauf der Zeit zur reinen Formalie geworden war.477 Ab 1232478 wurden die Zent- und Go-Gerichte zunehmend dem Einfluss des jeweiligen Landesherrn unterworfen und dadurch von ihrem örtlichen Bezug losgelöst479. Von nun an wurden die Gerichte auf dem Land mit Beamten des Landesherrn besetzt, bei deren Ernennung die örtliche Gemeinschaft kein Mitspracherecht mehr hatte.480 Neben jenen Gerichten, in denen Laien noch eine wichtige Rolle spielten, bildete sich ein landesherrliches Hofgericht.481 Dieses Gericht stand in der Tradition der fränkischen Königsgerichte. Besetzt war es mit Räten des Landesherrn.482 Wie schon beim Königsgericht hatte das Volk hier keinen Einfluss.
c) Die Gerichtsbarkeit der Städte Die Städte, welche in der karolingischen Zeit noch keine Rolle gespielt hatten, entwickelten sich seit dem 12. Jahrhundert zu Trägern der Kultur und verfügten mitunter auch über eine eigene Gerichtsbarkeit.483 Innerhalb der Mauern der Städte entstand somit eine eigene Rechtskultur, die Veränderungen auch im Bereich des Strafverfahrens mit sich brachte und daher im Folgenden näher untersucht werden soll.
aa) Eine neue Art des Strafverfahrens Eine grundlegende Neuerung in der städtischen Rechtsentwicklung lag in einer Zurückdrängung der alten Beweisformen. In zahlreichen Stadtrechten wurde auf die Bedrohung des friedlichen Zusammenlebens durch zunehmende Kriminali476
Darin tritt der Gedanke zutage, nur ein gleich oder höher gestellter Richter sei berechtigt, über eine Person zu urteilen; vgl. Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 382; Kern, Geschichte, S. 13. 477 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 375. 478 Dieses Datum steht vermutlich in Zusammenhang mit dem Statut zugunsten der Fürsten von 1231, in dem den Fürsten von Kaiser Friedrich II. u. a. die Hochgerichtsbarkeit uneingeschränkt garantiert wurde; vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 206. 479 Benz, Laienrichter, S. 26. 480 Kern, Geschichte, S. 13. 481 Dieses Gericht war erstinstanzlich zuständig für Streitfälle des Adels und für die übrigen die zweite Instanz; vgl. Kühn, Jenaer Stadtgericht, S. 25; Kern, Geschichte, S. 12. 482 Kern, Geschichte, S. 13. 483 Wesel, Geschichte, Rn. 211; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 52 f.; Nehlsen-von Stryk, ZRG GA 117 (2000), 1 (8 f.).
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
tät damit reagiert, dass bestimmten Personengruppen die Möglichkeit einer Entlastung durch Eid erschwert oder entzogen wurde. Diese Vorgehensweise machte es erforderlich, gleichzeitig ein Instrumentarium der Beweisführung als Ersatz für Eid und Ordal zu schaffen.484 Um dieser Forderung zu entsprechen, wurde auf Erfahrungszeugen oder ein, unter Umständen erfoltertes, Geständnis des Beschuldigten gesetzt.485 Diese Form der Sachverhaltsaufklärung hatte den Vorteil größerer Wirksamkeit und entsprach damit dem Bedürfnis der Stadtbevölkerung nach innerem Frieden als Voraussetzung für ein Zusammenleben. Die Notwendigkeit, Frieden durch Strafverfolgung aufrecht zu erhalten und ein Geschehen möglichst wirkungsvoll aufklären zu können, brachte eine weitere Neuerung. Die Einleitung eines Strafverfahrens beruhte nicht mehr allein auf Privatinitiative: entweder wurde der Verletzte zur Klage gezwungen (wie etwa im Hamburger Stadtrecht) oder das Gericht schritt von Amts wegen selbst ein, wenn es aufgrund eigenen Wissens oder durch Hörensagen jemand als Missetäter zu erkennen glaubte.486 Der Befund, in den Städten habe sich ein veränderter Modus des Strafverfahrens entwickelt, fordert die Frage nach Ursachen dieser Entwicklung heraus. Einen gemeinsamen Grund finden die Neuerungen in der mangelnden Eignung des traditionellen Verfahrens zur Lösung der Probleme, die mit der für das Mittelalter neuen Erscheinung städtischen Lebens verbunden waren. Die neue Gemeinschaft der Stadtbürger war im besonderen Maß auf die Erhaltung des Friedens innerhalb ihrer Maueren angewiesen und musste daher Mechanismen zum Schutz gegen Eingriffe von außen und für den Zusammenhalt im Inneren entwickeln. Einerseits bedurften Handel und Gewerbe als Erwerbsgrundlage der Städter der Erhaltung des Friedens in besonderem Maße. Andererseits barg das gedrängte Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum ein erhöhtes Konfliktpotential, zumal ihr Wohlstand die Städte auch attraktiv für Kriminelle und Friedensstörer machte. Eine Entlastung von Verdächtigen durch einen Reinigungseid kam in den Städten deswegen nicht in Frage, weil eine überschaubare Nachbarschaft, in der die Nachbarn gegenseitig füreinander durch Leistung eines Reinigungseides einstehen konnten, nicht mehr vorhanden war. Das soziale Gefüge in den Städten stellte sich im Gegensatz zu den von engen verwandtschaftlichen Bindungen dominierten Gemeinschaften auf dem Land als vergleichsweise inhomogen und anonym dar. Zudem wurden immer häufiger Verbrechen durch nicht sesshafte, so genannte 484
Köstlin, Geschichte, S. 183; Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 391. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 207; siehe auch die ähnliche Regelung im Sachsenspiegel, oben 1. Teil B. II. 1. a): Die Rechtsbücher – Ungeachtet der Entwicklung neuer Beweisformen, hielten sich die überlieferten Beweise auch in den Städten noch geraume Zeit parallel zu den neuen. Grund dafür war nicht unbedingt Konservatismus, sondern das mittelalterliche Statusdenken, welches die Möglichkeit zu eidlicher Reinigung als Statusrecht des Freien betrachtete und die bedingungslose Unterwerfung von Leib und Leben unter die Autorität eines Gerichts ablehnte; vgl. Nehlsen-von Stryk, ZRG GA 117 (2000), 1 (36 f.). 486 Fehr, Rechtsgeschichte, S. 166. 485
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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„landschädliche Leute“ verübt.487 Um die eigenen Bürger zu schützen und die privilegierte Stellung des Stadtbürgers selbstbewußt hervorzuheben, befreiten zahlreiche Städte ihre Bürger zudem von dem Zwang, sich im Falle gerichtlicher Auseinandersetzungen einem riskanten Gottesurteil oder Zweikampf unterwerfen zu müssen.488
bb) Auswirkungen auf die Rechtsstellung der an der Entscheidung beteiligten Institutionen Das neue Prozessmodell führte zu Veränderungen in den Aufgaben der Gerichtspersonen, namentlich der Schöffen. Außer zur Urteilsfindung wurden sie nunmehr auch vor der eigentlichen Gerichtsverhandlung – beispielsweise bei einer Folterung zur Erlangung eines Geständnisses – eingesetzt.489 Falls der Beschuldigte sich später im öffentlichen Verfahren weigerte, sein unter der Folter gemachtes Geständnis zu wiederholen, konnte der im Vorverfahren anwesende Schöffe als Zeuge gehört werden.490 Träger der städtischen Gerichtsbarkeit war der Rat oder ein mit Ratsmitgliedern besetztes Schöffengremium.491 Den Vorsitz führte der so genannte „Vogt“ oder „Schultheiß“. Er war ein Beamter des Landesherrn oder ein vom Rat gewählter Richter als Ausdruck der Selbständigkeit der betreffenden Stadt.492 Der Richter nahm selbst an den Beratungen des Schöffengremiums teil und hatte ein Stimmrecht bei der mehrheitlich getroffenen Entscheidung.493 Die Trennung zwischen Urteilsfinder und Richter war folglich aufgehoben. Schöffe konnte nur ein Bürger der betreffenden Stadt werden. Er wurde vom Rat oder den übrigen Schöffen meist auf Lebenszeit gewählt.494 Mitunter wurde das Schöffenamt in den angesehenen Familien der Stadt sogar erblich.495 Die Rechtsprechung war somit auf die Honoratioren der Stadt ausgerichtet, von einer umfassenden Volksbeteiligung konnte keine Rede mehr sein. Über die Rechtskenntnisse der Schöffen lassen sich nur Vermutungen anstellen. Als Patrizier verfügten sie wahrscheinlich über einen gewissen Bildungsstand und aufgrund der im Laufe ihrer Tätigkeit gewonnenen Erfahrungen auch über Kenntnisse des lokalen Gewohn487
Schwerin/Thieme, Grundzüge, S. 222 f.; Wesel, Geschichte, Rn. 236. Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 52; Nehlsen-von Stryk, ZRG GA 117 (2000), 1 (9). 489 Benz, Laienrichter, S. 27. 490 Als Belege dafür können verschiedene Schöffensatzungen aus dem 14. Jahrhundert gelten; vgl. Schmidt, Einführung, § 81. 491 Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 62 f.; Kern, Geschichte, S. 13. 492 Kühn, Jenaer Stadtgericht, S. 18. 493 Kühn, Jenaer Stadtgericht, S. 30; Benz, Laienrichter, S. 27; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 74. 494 Kern, Geschichte, S. 13. 495 Liekefett, Ehrenamtliche Richter, S. 4. 488
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
heitsrechts.496 Von spezialisierten Rechtskenntnissen kann aber schon allein deswegen nicht ausgegangen werden, da es sich nur um ein Ehrenamt handelte.497
d) Kirchengerichte und kanonisches Recht Ungefähr seit dem 9. Jahrhundert ist eine kontinuierliche Vergrößerung des Jurisdiktionsbereiches der Kirche zu konstatieren498. Die kirchlichen Gerichte dehnten ihre Zuständigkeit schließlich über Delikte mit lediglich religiösem Bezug hinaus, so dass neben allen Geistlichen teilweise auch Nichtgeistliche der kirchlichen Strafgewalt untergeordnet waren.499 Die Rechtsprechung der kirchlichen Gerichte beruhte auf den Normen des kanonischen Rechts. Darauf aufbauend bildete sich bei den Kirchengerichten ebenso wie in den Städten eine neue Form des Prozesses heraus, die schließlich das traditionelle Verfahren verdrängen sollte. Der neue Prozesstyp war schriftlich. Er wurde von Amt wegen durchgeführt und war von irrationalen Elementen befreit.500 Innerhalb der klerikalen Gerichtsbarkeit existierte bereits ein Instanzenzug. Der Papst war die oberste Instanz für alle Kirchengerichte. Zudem konnte er in jedem Verfahren selbst als Richter auftreten, weil er als höchste irdische Rechtsautorität grundsätzlich allzuständig war.501 Die zweite Instanz waren die bischöflichen Sendgerichte.502 Sie waren mit dem Bischof als Richter sowie meist zwei Beisitzern besetzt, die jedoch keine Stimme bei der Urteilsfindung hatten.503 Die assesores genannten Beisitzer waren gleichfalls Geistliche bzw. unter Umständen auch Juristen.504 Unterste Instanz waren die Gerichte der Archidiakone, die in jeder Diözese, Abtei und Prälatur bestanden.505 Die vorstehend geschilderten Beobachtungen führen zu dem Schluss, dass in der Gerichtsbarkeit der Kirche eine Beteiligung des Volkes nicht stattfand, obwohl 496
Linkenheil, Laienrichter, S. 24. Linkenheil, Laienrichter, S. 27. 498 Kern, Geschichte, S. 12; vgl. zu den Anfängen kirchlicher Gerichtsbarkeit: Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 124 ff. 499 Köstlin, Geschichte, S. 50 f.; Bruns, Inquisitionsprozess, S. 15; Im Einzelnen beanspruchte die Kirche Jurisdiktion unter anderem über Sittlichkeitsdelikte, Ehebruch, Meineid, Zauberei und Wucher; vgl. Benz, Laienrichter, S. 35. 500 Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 23; Bruns, Inquisitionsprozess, S. 16; Jerouschek, ZStW 104 (1992), 328 (334, 341 ff.); ausführlich zu den Wurzeln des kirchenrechtlichen Inquisitionsverfahrens: Hirte, Papst Innozenz III., S. 165 f. m. w. N. 501 Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 9. 502 Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 27; „Send“ ist abgeleitet von „Synode“, also „Versammlung“; vgl. Wesel Geschichte, Rn. 221. 503 Flade, Inquisitionsverfahren, S. 96. 504 Flade, Inquisitionsverfahren, S. 65; Kern, Geschichte, S. 21. 505 Archidiakone entstammten der Schicht der hohen kirchlichen Würdenträger; vgl. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 21. 497
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die Bischöfe und Archidiakone im Allgemeinen keine juristische Ausbildung genossen hatten und daher vom rechtlichen Standpunkt aus Laien waren. Seit Anfang des 13. Jahrhunderts übertrugen die geistlichen Würdenträger die Ausübung ihres Richteramtes jedoch in wachsendem Umfang studierten Kanonisten. Mit diesen erschien zum ersten Mal der Typ des juristisch gelehrten Richters in deutschen Gerichten.506
2. Der Rückgang der Laienbeteiligung Im vorhergehenden Abschnitt wurden bereits die Abkehr von alt hergebrachten Formen der Entscheidungsfindung und die damit in Verbindung stehende Besetzung des Richteramtes mit ausgebildeten Juristen angedeutet. Beide Phänomene waren die Vorzeichen eines allgemeinen Rückganges der Laienbeteiligung ab dem 13. Jahrhundert. Die Beschreibung und Analyse dieses Phänomens ist Gegenstand der folgenden Untersuchungen. Methodisch knüpft die Darstellung an Entwicklungen an, die sich bereits durch ihre zeitliche Parallelität mit dem Rückgang der Laienbeteiligung als Erklärungsmuster anbieten. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Entstehung des Inquisitionsverfahrens und die Rezeption des römischen Rechts. Jeder dieser Bereiche soll auf seinen Zusammenhang mit dem Rückgang der Laienbeteiligung hin untersucht werden, um so die hinter dieser Erscheinung wirkenden geistigen Kräfte aufzudecken.
a) Die Auswirkungen der Einführung des Inquisitionsverfahrens Soweit es somit zunächst darum geht, das Inquisitionsverfahren als einen Faktor im Prozess der Abnahme der Laienbeteiligung an Strafverfahren zu untersuchen, soll im Folgenden den Wurzeln des Inquisitionsverfahrens nachgegangen werden und anschließend das neuartige Verfahren im Hinblick auf die Laienbeteiligung betrachtet werden.
aa) Die Einführung des Inquisitionsverfahrens Die Möglichkeit, sich durch Reinigungseid von einem Vorwurf zu lösen, wurde weder den Bedürfnissen bei der Verfolgung der Kriminalität gerecht, noch entsprach es der seit der Renaissance an Einfluss gewinnenden rationalen Denkweise, die Wert auf eine materiell richtige Entscheidung legte.507 Eine weitere traditio506
Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 22; Trusen, Gottesurteile und Inquisitionsprozess, S. 236. 507 Jerouschek, ZStW 104 (1992), 328 (336); Bruns, Inquisitionsprozess, S. 11.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
nelle Art des Beweises verlor an Bedeutung, nachdem im Jahre 1215 das IV. Lateranische Konzil508 gegen Gottesurteile Stellung bezogen hatte, indem es Geistlichen die Teilnahme untersagte, und Friedrich II. dieses Beweismittel in den Konstitutionen von Melfi 1231 verboten hatte.509 Die Beweisführung erfolgte nunmehr durch Zeugen oder aufgrund von Geständnissen, die meist durch Folter erlangt wurden.510 Neben den Beweismitteln erschien auch die Ausrichtung des bisher angewandten germanischen Prozesses auf Versöhnung der Parteien und auf Bußen dem sich entwickelnden System der peinlichen Strafen nicht mehr zeitgemäß.511 Das peinliche Strafrecht war nicht dem Ausgleich zwischen Täter und Opfer zu dienen bestimmt, sondern zielte auf obrigkeitlich kontrollierte Friedenswahrung.512 Demgemäß versuchte die Obrigkeit, auch das Strafverfahren zur Verwirklichung ihres Anspruches auf Gewährleistung des Friedens zu kontrollieren. Dies war ein Grund für die Einführung des Amtsermittlungsgrundsatzes, weil die Privatinitiative des alten Verfahrens zu geringe Einflussmöglichkeiten bot. Auch die Entwicklung des Beweisrechts kann in dieser Hinsicht als Schwerpunktverlagerung hin zu einer Vorrangigkeit des Verfolgungs- und Strafinteresses der Obrigkeit beschrieben werden.513 Einige Ursachen für die Einführung des Inquisitionsverfahrens lagen folglich in den Unzulänglichkeiten des überlieferten Verfahrens. Der Rechtsgang germanischer Prägung war insgesamt nicht mehr der Zeit angepasst. Das Inquisitionsverfahren wurde aber auch durch externe Einflüsse befördert. Sein Aufkommen war eng mit der Rezeption des römischen Rechts verbunden. Zwar ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt, ob diese Verbindung entscheidend war oder ob die Wurzeln des Inquisitionsverfahrens überwiegend in einheimischen, deutschen Einflüssen lagen514. Jedoch wird heute überwiegend angenommen, dass sich das Inquisitionsverfahren durch die oben dargestellte, veränderte Praxis in den städtischen und kirchlichen Gerichten herausbildete515. Als Vorbild könnten insbesondere die inquisitorisch durchgeführten Ketzerverfolgungen der Kirche gedient ha-
508 Einzelheiten zum IV. Lateranischen Konzil in: Hirte, Papst Innozenz III., S. 33 ff. m. w. N. 509 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 387; Schwerin/Thieme, Grundzüge, S, 218; Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 207. 510 Schmidt, Einführung, § 65; Das erfolterte Geständnis rückte in der Folgezeit immer stärker in den Mittelpunkt des Verfahrens, es wurde „Königin der Beweismittel“ (regina probationum) genannt; vgl. Heitsch, Beweis und Verurteilung, S. 8 f. 511 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 390; Schmidt, Einführung, § 71. 512 Schmidt, Einführung, § 71; Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 69. 513 Nehlsen-von Stryk, ZRG GA 117 (2000), 1 (37). 514 In diesem Sinne noch: Schmidt, Einführung, §§ 70, 76. 515 Unter Berufung auf neuere Forschungsergebnisse: Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 243; Wesel, Geschichte, Rn. 237; Jerouschek, ZStW 104 (1992), 328 (347); Ignor, Geschichte, S. 47.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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ben.516 Auch der Zeitfaktor spricht für eine Beeinflussung durch römisches Recht. Im Verfahren vor den Kirchengerichten hatte dieses Recht schon ab dem 13. Jahrhundert gegolten und könnte daher durchaus bei der Lösung von Schwierigkeiten mit dem einheimischen Recht Pate gestanden haben.517 Die Rezeption und die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens überschnitten sich außerdem ab dem 15. Jahrhundert. Spätestens ab diesem Zeitpunkt stand das gerichtliche Verfahren direkt unter dem Einfluss des neuen Rechtes.
bb) Das Verfahren vor Inquisitionsgerichten und die Rolle von Laien Kennzeichnend für das spätmittelalterliche Inquisitionsverfahren waren seine weitgehende Formlosigkeit und eine Zweiteilung des Verfahrens.518 Den ersten Teil bildete die Untersuchung (inquisitio), welche den Kern des Prozesses ausmachte. Diese fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und beinhaltete die eigentliche Ermittlungsarbeit.519 Das Verfahren endete im zweiten Teil mit der Verhandlung vor dem „endlichen Gerichtstag“ und der Urteilsverkündung.520 Die Verlagerung des Verfahrensschwerpunktes auf das Vorverfahren bedeutete, dass sich nicht mehr der gesamte Prozess der Entscheidungsfindung öffentlich und mündlich vor dem Gericht und der Gerichtsgemeinde abspielte. Nach diesen hergebrachten Formen wurde nur noch der endliche Gerichtstag durchgeführt. Obwohl aus Anlass des endlichen Gerichtstages der Richter nach minutiös festgelegten Ritualen immer noch von den Schöffen das Urteil erfragte, wurde in diesem Verfahrensstadium lediglich ein bereits feststehendes Urteil öffentlich verkündet. Insoweit war der endliche Gerichtstag nur noch ein leeres Schauspiel für die Öffentlichkeit, eine „Komödie des Rechts“521. Seine Existenz dokumentiert dennoch, wie einflussreich die Vorstellungen, die das alte Verfahren bestimmt hatten, weiterhin waren. Der Glaube, dass nur öffentlich Verkündetes Verbindlichkeit beanspruchen könne, war immer noch präsent. Heimlichkeit war gleichbedeutend mit Unrecht. Recht entstand erst, wenn es öffentlich ausgesprochen wurde.522 Die ideologisch, theoretische Bedeutung der Schöffen könnte im Zusammenhang mit dem Fortleben dieser Öffentlichkeitstradition gesehen werden. Indem 516 Ausführlich dazu: Flade, Inquisitionsverfahren, S. 19 ff.; Trusen, Strafprozess und Rezeption, S. 45 ff. 517 So etwa: Jerouschek, ZStW 104 (1992), 328 (347). 518 Schmidt, Einführung, § 84; Aufgrund der Formlosigkeit, kann auch noch nicht von einem Inquisitionsprozess gesprochen werden, da ein Prozess bestimmte Verfahrensregeln voraussetzt, die auch den Halsgerichtsordnungen des 15. Jahrhunderts ganz überwiegend noch fehlten. 519 Bruns, Inquisitionsprozess, S. 12; Schmidt, Einführung, § 79. 520 Schild, Rechtstag, S. 119 ff.; Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 118. 521 Schmidt, Einführung, § 81; Trusen, Strafprozess und Rezeption, S. 83; Bruns, Inquisitionsprozess, S. 14; weiterführend: Schild, Rechtstag, S. 124, 126, 130. 522 Schild, Rechtstag, S. 137; Kleinheyer, Tradition und Reform, S. 19.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
die Schöffen auf die Frage des Richters nach dem Urteil antworteten, verhalfen sie dem Urteil an das rechtliche Tageslicht und versahen damit die Aufgabe, die sich noch heute in ihrem Namen spiegelt523. Obwohl es fraglich ist, ob für die Öffentlich-Machung des Urteils die Mitwirkung der Laien unverzichtbar war oder ob diese Aufgabe nicht auch der Richter selbst hätte wahrnehmen können, spricht jedoch einiges dafür, dass die Laien hier in der Tat nicht ersetzbar waren. Trotz vieler Unterschiede erinnert das Verfahren noch an die Zeit, als beim Thing die ganze Gemeinschaft am Urteilen partizipierte. Die Schöffen wären somit der letzte, symbolische, aber gleichwohl wichtige Überrest der Dinggenossenschaft, in deren sichtbarer Teilhabe am Urteil sich die Übereinstimmung zwischen Recht und Gemeinschaft ausdrückte. In praktischer Hinsicht lassen sich drei Aufgabenkreise bestimmen, in denen Schöffen im Inquisitionsverfahren des Mittelalters tätig waren. Im Vorverfahren waren Schöffen bei der Folterung mit anwesend, um gegebenenfalls ein später widerrufenes Geständnis des Angeklagten bezeugen zu können.524 Das Urteil fällten Richter und Schöffen gemeinsam aufgrund der ihnen vorliegenden Akten.525 Schließlich fiel den Schöffen beim endlichen Gerichtstag die Rolle der Verkünder des Rechtsspruches zu. Die bisher gefundenen Ergebnisse erwecken auf den ersten Blick den Eindruck, trotz verschiedener Veränderungen habe die Einführung des Inquisitionsverfahrens keine Konsequenzen für das Ausmaß der Beteiligung von Laien gehabt. Es scheint im Gegenteil so gewesen zu sein, dass mit der Einbindung in das Vorverfahren sogar eine Ausweitung des Aufgabenbereiches der Laien zu verzeichnen war. Dennoch fand eine schrittweise Verdrängung der Laien aus den beschriebenen Verfahrensstellungen statt. Dieser Prozess stand zum einen im Kontext der Zurückdrängung der Gottesurteile und des Reinigungseides. Unter den neuen Bedingungen wurden keine Beweisurteile mehr gefällt, sondern die Beurteilung der Strafbarkeit wurde auf das Gericht übertragen. Die Schöffen mussten nunmehr selbst eine Entscheidung treffen, ein Geschäft, das ihnen fremd war und das sie häufig überforderte.526 Hier konnte der häufig rechtsgelehrte Richter als Berater weiterhelfen, indem er für neue Probleme Lösungen aus dem rezipierten Recht anbot. Des Weiteren kann der Rückgang der Laienbeteiligung mit dem zunehmenden Gewicht, das dem Richter im Inquisitionsverfahren zukam, in Verbindung gebracht werden.527 Im Inquisitionsverfahren waren Richter, Ankläger und Verteidiger in einer Person vereinigt. 523 Schild, Rechtstag, S. 137; Das Wort Schöffe hat dieselbe Wurzel wie „schaffen“ oder „schöpfen“; vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 822; HRG IV, Sp. 1463 (Art. Schöffen, Schöffengericht). 524 Bruns, Inquisitionsprozess, S. 12. 525 Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 117; Kern, Geschichte, S. 22. 526 Trusen, Strafprozess und Rezeption, S. 66. 527 Fehr, Rechtsgeschichte, S. 173.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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Das Amt des Richters stand für die Geltendmachung des öffentlichen Strafanspruches. In diesem neuartigen Gefüge war für das Amt des Schöffen, das traditionell von Laien ausgeübt worden war, immer weniger Bedarf. Das Fazit muss demnach wie folgt lauten: Obwohl das Inquisitionsverfahren in Bezug auf seinen institutionellen Rahmen nicht laienfeindlich war, so wies er doch Besonderheiten auf, welche die Beteiligung von Laien erschwerten. Diese Beobachtung gilt es, im Auge zu behalten.
b) Die Wirkungen der Rezeption Bereits seit dem 13. Jahrhundert waren über das kanonische Recht römischrechtliche Ideen nach Deutschland gekommen. Ab dem 15. Jahrhundert, dessen zweite Hälfte als die Hauptphase der Rezeption angesehen wird, trat an die Stelle der partikularistischen deutschen Volksrechte das aus dem römischen Recht entstandene „gemeine Recht“ (jus commune).528 Gegenstand der Rezeption waren die Lehren der italienischen Rechtswissenschaft, die auf römischen Überlieferungen aufbaute und sie weiterentwickelt hatte.529 Infolge seines, durch seine Herkunft aus den norditalienischen Universitäten begründeten, wissenschaftlichen Hintergrundes war das rezipierte Recht dogmatischer und abstrakter als das bisher geltende Recht. Das rezipierte Recht beruhte auf einer rationalen Denkweise. Ihm wurde die Aufgabe zugeschrieben, der Herstellung materieller Gerechtigkeit zu dienen.530 Parallel zur Rezeption erfolgten Anpassungen des Strafverfahrens an das rezipierte Recht und die Herausbildung eines juristisch ausgebildeten Richterstandes. 528 Wesel, Geschichte, Rn. 239; Kern, Geschichte, S. 18; weiterführend und ausführlich zur Rolle von Laien im römischen Recht: Benz, Laienrichter, S. 33 ff. 529 Wesel, Geschichte, Rn. 216; Fehr, Rechtsgeschichte; 179 ff. – Die Ursachen, die zur Rezeption führten, sind bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Kontroverse. Oft wird darauf verwiesen, dass das römische Recht mit seiner hoch entwickelten Rechtstechnik dem einheimischen Recht überlegen gewesen sei und so dem Bedürfnis nach Rationalität mehr entsprochen hätte als das einheimische Recht; vgl. Schmidt, Einführung, § 86; Dahm, Deutsches Recht, S. 101 f.; Liekefett, Ehrenamtliche Richter, S. 5. – Erwogen wird auch, dass wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend waren. Denn das römische Recht passte sehr gut zu der frühkapitalistischen, einfachen Warenproduktion, die infolge einer Stabilisierung der politischen Verhältnisse im 15. Jahrhundert zunahm; vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 239; a. A. HRG IV Sp. 981 (Art. Rezeption). – Daneben wird ein Motiv in der Beseitigung der Missstände des Inquisitionsverfahrens erblickt; vgl. Trusen, Strafprozess und Rezeption, S. 89; Schmidt, Einführung, § 85. – Schließlich sei auch das wachsende Machtbewusstsein der Fürsten für die Verbreitung des römischen Rechtes verantwortlich, weil dieses Recht den Fürsten über die Gesetze stellte. Dies kommt so schon in der, auf den römischen Juristen Ulpian (170–223) zurückgehenden Formulierung, „princeps legibus solutus est“ („der Fürst ist an die Gesetze nicht gebunden“) zum Ausdruck; zit. nach Wesel, Geschichte, Rn. 243; weiterführend: Meder, Rechtsgeschichte, S. 81. 530 Ausführlich: Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 270 ff.; Schmidt, Einführung, § 92; Wesel, Geschichte, Rn. 239.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
Diese beiden Erscheinungen machen den Kern der folgenden Untersuchung aus. Sie befasst sich mit der Frage nach den Folgen der Rezeption für die Laien an den deutschen Strafgerichten.
aa) Professionalisierung der Richterschaft Der gelehrte Jurist als professioneller Rechtsanwender war zur gleichen Zeit Produkt und Träger der Rezeption.531 Ohne Gelehrte, die in der Anwendung des neuen Rechts geübt waren, hätte es sich nicht so weit verbreiten können. Ohne Juristen ist daher die Rezeption nur schwer vorstellbar.532 Der Berufsstand des gelehrten Juristen formte sich, weil es eines fundierten Wissens und der Fähigkeit zu wissenschaftlicher Denkweise bedurfte, um das neue Recht anwenden zu können.533 Innerhalb der Rechtspflege gewannen die Juristen immer mehr Einfluss.534 Die juristisch nicht gebildeten Richter begannen den Rat ihrer akademisch geschulten Kollegen zu suchen. Dadurch trat der Jurist zwar nicht direkt an die Stelle des Volksrichters, er bestimmte aber die Entscheidung eines Verfahrens inhaltlich.535 Erst später wurde daraus die Konsequenz gezogen, den Laienrichter völlig durch den Juristen zu ersetzten. Ein weiterer Grund für die Umwandlung der Richterschaft in einen professionalisierten Berufsstand waren die zentrifugalen Kräfte, die das Deutsche Reich zu einem Geflecht aus lokalen Machtzentren werden ließen. Die durch den Kaiser verkörperte Zentralgewalt war nicht in der Lage, die auf den Ausbau ihrer eigenen Machtstellung bedachten Reichsfürsten unter ihre Hegemonie zu zwingen.536 Den Landesfürsten und auch den Städten gelang es daher insbesondere seit dem 13. Jahrhundert, eine eigenständige Position zu gewinnen.537 Die Gewährung 531
Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 86. HRG IV, Sp. 981 (Art. Rezeption, privatrechtlich) – Die ersten deutschen Juristen waren Männer, die Recht an den italienischen Universitäten studiert hatten. Die ersten deutschen Universitäten, an denen das Recht studiert werden konnte, entstanden 1348 in Prag, 1365 in Wien, 1386 in Heidelberg und 1388 in Köln; vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 216; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 86. 533 Das Wort Jurist geht darauf zurück, dass etwa seit 1200 rechtsgelehrte Männer die Berufsbezeichnung jurista führten. Dies war ein neues Wort im Unterschied zu dem im römischen Reich üblichen iuris consultus oder iuris peritus; vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 216. 534 Dahm, Deutsches Recht, S. 93. 535 Dahm, Deutsches Recht, S. 94. 536 Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 51. 537 Kern, Geschichte, S. 12; Ein Grund für diesen Zustand war die Eigenart des deutschen Lehnsrechtes, nach dem ein Vasall nur immer dem jeweils höheren Lehnsherrn gegenüber verpflichtet war. Dies verhinderte den Durchgriff des Kaisers als der Spitze der Lehnspyramide auf deren untere Stufen. Aufgrund der Jahrhunderte langen Auseinandersetzungen mit dem Papst um Kaiserkrönung, Investitur und die Vorherrschaft in Italien war der Kaiser nie stark genug, diese Verhältnisse zu ändern. In Folge dessen blieb Deutschland eine Wahlmonarchie, in der 532
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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von Rechtsprivilegien für die Städte förderte überdies die Entwicklung der städtischen Gerichtsbarkeit. Auch die Landesfürsten erlangten in weiten Teilen die Kontrolle der Gerichtsbarkeit. Ein Beispiel für den Machtverlust der kaiserlichen Autorität im Bereich der Jurisdiktion war das Statut zugunsten der Fürsten von 1231, in dem Kaiser Friedrich II. den Fürsten u. a. die Hochgerichtsbarkeit uneingeschränkt garantierte.538 Die erstarkte Position der Landesfürsten gegenüber der kaiserlichen Zentralmacht förderte die Verdrängung der Laienrichter.539 Die Landesherren strebten danach, Einfluss auf die Strafgerichte zu nehmen. Sie hatten erkannt, dass die Beeinflussung der Strafrechtspflege als Instrument zur Stabilisierung und zum Ausbau von Macht geeignet war.540 Dieses Streben wurde realisiert durch den Anspruch des Landesherrn, selbst oberster Richter zu sein und die Judikative zu kontrollieren.541 Kontrolle der Justiz ließ sich beispielsweise dann verwirklichen, wenn Personen das Richteramt versahen, die aufgrund ihres Dienstverhältnisses mit dem Landesherrn in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Landesherrn standen. Ferner bedurfte der Landesherr ausgebildeter Juristen, um sicherzustellen, dass Recht nicht nach alten Überlieferungen oder Billigkeitserwägungen, sondern nach seinen Gesetzen gesprochen wurde. Unter diesen Prämissen lag es nahe, Laien aus der Rechtspflege zu verdrängen.542 In den Diensten des Landesherrn stehende, rechtsgelehrte Richter gewährleisteten den Einfluss des Fürsten auf die Rechtsprechung und verhalfen ihm so zu größerer Macht. Auch in den Städten kam es zu einer Verdrängung der Laien aus der Gerichtsbarkeit. Die Juristen hatten zunächst nur in der städtischen Verwaltung als Stadtadvokat oder Syndikus lediglich Verwaltungsaufgaben wahrgenommen. Bei Strafverfahren hatten sie höchstens eine beratende Funktion dahingehend, dass sie bei der Lösung von Rechtsfragen halfen.543 Im Spätmittelalter bzw. ab dem Beginn der frühen Neuzeit wurden die Stadtjuristen schließlich selbst Richter.544
bb) Laienbeteiligung an den Reichsgerichten Ein Faktor, der besonders nachhaltig die Verbreitung des rezipierten Rechtes förderte, war seine Anwendung durch die Reichsgerichte.545 Anhand dieser Gedas Königs- bzw. Kaisertum eher einen geistigen Bezugspunkt als ein reales Machtzentrum bildete; vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 215; Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 172 ff.; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 51 f. 538 Wesel, Geschichte, Rn. 206; Dawson, Lay Judges, S. 95. 539 Benz, Laienrichter, S. 38. 540 Schmidt, Einführung, § 169, Kern, Geschichte, S. 22. 541 Kern, Geschichte, S. 15. 542 Kern, Geschichte, S. 22. 543 Trusen, Strafprozess und Rezeption, S. 54; Dahm, Deutsches Recht, S. 93. 544 Kern, Geschichte, S. 23. 545 Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 88.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
richte lässt sich daher gut die Wirkung der Rezeption auf die Beteiligung von Laien veranschaulichen. Im Mittelpunkt der Analyse soll das „Reichskammergericht“ stehen, dessen Gründung im Jahre 1495 auf dem Reichstag zu Worms beschlossen wurde546. Seine unmittelbaren Vorgänger waren das kaiserliche Hofgericht, die curia regis, und das, 1442 von Kaiser Friedrich III. eingerichtete „Kammergericht“.547 Beide Gerichte führten angesichts der weitgehenden Autonomie der Gerichtsbarkeiten der Landesherren ein Schattendasein.548 Das Reichskammergericht war in Strafsachen als einzige Instanz zuständig für Landfriedensbruch und Klagen gegen unmittelbare Reichsangehörige sowie vorbehaltlich eines entsprechenden Verbotes, genannt privilegium de non appellando, für Berufungen in Verfahren gegen mittelbare Reichsangehörige.549 Die adeligen Reichskammerrichter galten als Repräsentanten des Kaisers und wurden als solche vom Kaiser ernannt.550 Die tägliche Arbeit wurde von einer unterschiedlichen Anzahl von Beisitzern, den „Assessoren“ erledigt.551 Das Urteil fanden Reichskammerrichter und Beisitzer gemeinsam, bei Stimmengleichheit der Beisitzer gab die Stimme des Richters den Ausschlag.552 Die eine Hälfte der Assessoren entstammte dem Adel und wurde von den Ständen und Städten des Reichs vorgeschlagen.553 Von der anderen Hälfte heißt es, dass sie Doktoren sein mussten, also wahrscheinlich juristisch ausgebildet waren.554 Die Beschäftigung von Juristen am Reichskammergericht entsprach durchaus der Tradition, zumal bereits für die Besetzung des Kammergerichtes auf Rechtsgelehrte zurückgegriffen worden war.555 Am Reichskammergericht setzte sich das rezipierte Recht als Entscheidungsgrundlage durch.556 Aus diesem Grunde mussten mit der Zeit alle Beisitzer über Rechtskenntnisse verfügen.557
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Dahm, Deutsches Recht, S. 103; Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 255. Kern, Geschichte, S. 16. 548 Seit dem 13. Jahrhundert gestärkt durch die Privilegien de non appellando und de non evocando, welche einen Zugriff des Königs beziehungsweise des Kaisers verhinderten; vgl. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 397; Wesel, Geschichte, Rn. 206. 549 Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 91; Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 256. 550 Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 162; Kern, Geschichte, S. 28; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 88. 551 Ursprünglich gab es am Reichskammergericht 16 Assessorenstellen, später erhöhte sich ihre Anzahl auf 41; vgl. Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 89. 552 Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 162. 553 Dahm, Deutsches Recht, S. 103. 554 Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 89. 555 Conrad, Rechtsgeschichte I, S. 379. 556 Dahm, Deutsches Recht, S. 103; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 89; In § 3 der Reichskammergerichtsordnung von 1495 (Schwur der Richter) kommt der Sieg des rezipierten Rechtes dadurch zum Ausdruck, dass das gemeine (rezipierte) Recht vor den Partikularrechten genannt wird; vgl. Wesel, Geschichte, Rn 239; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 93. 557 Benz, Laienrichter, S. 40. 547
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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Als konkurrierendes Reichsgericht bestand seit 1498 der „Reichshofrat“, der neben dem Reichskammergericht in Strafsachen zuständig war.558 Angehörige des Reichshofrates mussten dem Adel entstammen oder als Gelehrte über eine gute Herkunft sowie Vermögen verfügen.559 Das Element der Laien war folglich in der Spruchpraxis der Reichsgerichte nie besonders stark gewesen und verschwand im Zuge der Rezeption.
cc) Laienbeteiligung im Strafprozess nach der „Peinlichen Gerichtsordnung Karls V.“ Die Constitutio Criminalis Carolina, die „Peinliche Gerichtsordnung Karls V.“, war Teil einer Reihe von Halsgerichtsordnungen, die im 15. und 16. Jahrhundert entstanden.560 In ihr tritt das vom Geist der Rezeption hervorgerufene Bedürfnis zu Tage, prozessuale Formen zu schaffen, die der Wahrheit und Gerechtigkeit Geltung verschaffen sollten.561 Das Ergebnis dieser Bemühungen war die 1532 auf dem Reichstag zu Regensburg verkündete Constitutio Criminalis Carolina. Das neue Gesetzeswerk war maßgeblich von dem neuen rezipierten Recht beeinflusst und bedeutete in der Konsequenz den endgültigen Sieg des Inquisitionsverfahrens über das Parteiverfahren.562 Letzteres war zwar noch ausdrücklich vorgesehen, brachte aber für den Kläger derartige Risiken mit sich, dass es schließlich ganz außer Gebrauch kam.563 Das Verfahren nach der Carolina war schriftlich und mittelbar. Die eigentliche Verhandlung zur Ermittlung des Sachverhalts war geheim, einzig die Verkündung des Urteils erfolgte auf dem endlichen Gerichtstag noch öffentlich.564 Normalerweise bestand das Gericht aus einem Richter und mehreren Beisitzern (Schöffen), deren Zahl, abhängig von der Art der zu erwartenden Strafe, 558 Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 258; Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 168; Die Verteilung der Kompetenz war unklar. Überschneidungen in der Zuständigkeit wurden meist dadurch gelöst, dass dasjenige Gericht zuständig war, welches sich zuerst mit einer Sache befasste; vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 242. 559 Benz, Laienrichter, S. 41. 560 Kleinheyer, Tradition und Reform, S. 14 ff. 561 Schmidt, Einführung, § 107; Das gewohnheitsrechtlich entwickelte Inquisitionsverfahren war zu Beginn seiner Entwicklung weitgehend regel- und formlos. Besonders in dem nicht öffentlichen Vorverfahren waren der richterlichen Willkür die Tore weit geöffnet; vgl. dazu Schmidt, Einführung, §§ 79 ff.; Köstlin, Geschichte, S. 192; Bruns, Inquisitionsprozess, S. 14. 562 Wesel, Geschichte, Rn. 258; Liekefett, Ehrenamtliche Richter, S. 7. 563 Schmidt, Einführung, § 108; Trusen, Strafprozess und Rezeption, S. 117; mit teilweise anderen Ergebnissen: Bruns, Inquisitionsprozess, S. 23 ff. 564 Benz, Laienrichter, S. 42; Wesel, Geschichte, Rn. 258; vgl. Art. 78, 81 ff. PGO „entlichen rechttag“.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
zwischen vier und sieben betrug.565 Der Richter musste nicht unbedingt rechtsgelehrt sein, jedoch nahm die Zahl der im Recht ausgebildeten Richter mit der Zeit zu.566 Der Richter wurde von der Obrigkeit meist auf Lebenszeit eingesetzt und besoldet oder war der jeweilige Patrimonialherr.567 Die Carolina ging grundsätzlich davon aus, dass an der Urteilsfindung auch nicht rechtsgelehrte Männer aus dem Volk teilhaben sollten. Das zeigt sich an ihren Regelungen bezüglich der Schöffen. Diese mussten fromme, ehrbare, verständige und erfahrene Personen sein. Über die Wahl der Schöffen finden sich keine sicheren Angaben. Es ist anzunehmen, dass sie von der Obrigkeit auf Lebenszeit ernannt wurden.568 Es finden sich jedoch auch Hinweise darauf, dass das Amt eines Schöffen an den Besitz eines bestimmten Gutes geknüpft und dadurch erblich war.569 Die traditionelle Zweiteilung zwischen Urteilsfinder und Richter blieb der Form nach gewahrt. Auf dem endlichen Gerichtstag, den die Carolina beibehielt, traten Richter und Schöffen getrennt voneinander in Erscheinung.570 Die tatsächliche Aufgabenverteilung hatte sich jedoch wesentlich verändert. Ein erstes Indiz für diesen Umstand liefern die Eide, welche Richter bzw. Schöffen schwören mussten. In beiden Eidesformeln werden „richten“ und „urteilen“ als Tätigkeiten sowohl der Schöffen als auch der Richter genannt. Der einzige Unterschied besteht in der Reihenfolge beider Verben. Im Schwur der Richter (Art. 3 PGO) wird „richten“, im Schwur der Schöffen, (Art. 4 PGO) „urteilen“ an erster Stelle genannt.571 Die Verschmelzung von Urteilsfindern und Richter wird ferner an Art. 81 PGO deutlich, der davon ausgeht, dass der Richter neben der Leitung des Verfahrens das Urteil zusammen mit den Schöffen fällen sollte.572 Die Carolina kannte folglich die Unterscheidung zwischen Richtern und Urteilsfindern nur noch in der Form, aber nicht mehr in der Sache und markierte damit den Übergang zum neuzeitlichen Kollegialgericht.573
565 Gemäß Art. 84 PGO war die maximale Zahl von sieben oder acht Schöffen zur Verhängung einer Todesstrafe oder lebenslanger Einsperrung erforderlich. Wurde nur eine Leibesstrafe verhängt, genügten nach Art. 196 PGO vier Schöffen. War der Täter flüchtig, so gegenügten gem. § 206 PGO zwei Schöffen, um die vorläufige Beschlagnahme des Vermögens des Flüchtigen anzuordnen. Zur peinlichen Befragung mussten gem. Art. 46 PGO bzw. Art. 91 PGO zwei Schöffen aus dem Schöffengremium hinzugezogen werden; vgl. ferner Kern, FS Sauer, S. 71. 566 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 69 Rn. 9; Kern, Geschichte, S. 35. 567 Kern, Geschichte, S. 35. 568 Kern, Geschichte, S. 36. 569 Kleinheyer, Tradition und Reform, S. 19. 570 Kern, Geschichte, S. 35. 571 Kern, Geschichte, S. 35 f. 572 Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 102; Die einfache Mehrheit war entscheidend; vgl. Benz, Laienrichter, S. 42; Kern, Geschichte, S. 35; Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 117. 573 Küper, Richteridee, S. 108; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 102.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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dd) Die Anpassung des Strafverfahrens an das rezipierte Recht und deren Konsequenzen für die Laien Das rezipierte Recht war durch seine Neuartigkeit nicht mehr Allgemeingut. Seine Komplexität und sein Abstraktionsgrad erschwerten die Rechtsanwendung für juristische Laien.574 Häufig kam es aus diesem Grund zu Klagen über mangelnde Rechtskenntnisse bei den Gerichten.575 Zu einem gewissen Grad kann daher sogar behauptet werden, die weite Verbreitung der Laien hätte hemmenden Einfluss auf die Entwicklung neuer prozessualer Formen gehabt.576 Der Fortschritt des Strafverfahrens unter dem Eindruck des rezipierten Rechtes war jedoch nicht aufzuhalten. Daher wurden zum Ausgleich fehlender Rechtskenntnisse Anpassungen des Strafverfahrens vorgenommen und die Institute der Aktenversendung sowie der kollegialen Rechtsfindung kreiert. Die Einrichtung der Aktenversendung selbst war bereits seit dem 13. Jahrhundert vereinzelt in Gebrauch. Damals waren Fragen an italienische Rechtsfakultäten versandt worden.577 Die Carolina begünstigte die Aktenversendung besonders. An mehr als fünfzig Stellen wird auf diese Möglichkeit verwiesen und in Art. 219 PGO wird sie ausdrücklich betont.578 Durch die Aktenversendung sollte den Laienrichtern die Möglichkeit eröffnet werden, sich in schwierigen Fällen Rechtsrat einzuholen, um ihre mangelnden Rechtskenntnisse auszugleichen. In zweifelhaften Fällen war das zuständige Gericht sogar gehalten, die Akten des Verfahrens an einen Oberhof bzw. eine juristische Fakultät zu senden. Die Entscheidung war für das versendende Gericht bindend, so dass es effektiv nur noch das Vorverfahren mit dem Sammeln von Beweisen kontrollierte.579 Die Bindungswirkung hatte zur Folge, dass die Schöffen in eine bloße Statistenrolle gedrängt wurden. Sie sanken zu bloßen Gerichtszeugen herab580 und wurden mit der Zeit auch hierfür als entbehrlich angesehen581. Überdies waren die Laienschöffen der Verschriftlichung des Verfahrens nicht gewachsen, weil der Aktenprozess zwingend die Fähigkeit des Lesens und Schreibens voraussetzte und diese Künste in erster Linie der gelehrte Mann beherrschte.582 Obwohl sie eigentlich geschaffen worden war, um den Laien eine weitere Teilnahme an der Rechtspflege zu ermöglichen, war die Aktenversendung daher ein bedeutender Faktor bei der Verdrängung der Laien. Die Anpassungen des Gerichtsverfahrens, selbst wenn sie als Unterstützung für die Laienschöffen konzipiert waren, brachten somit als Resultat eine Schwä574 575 576 577 578 579 580 581 582
Benz, Laienrichter, S. 38. Schmidt, Einführung, § 117. Trusen, Gottesurteile und Inquisitionsprozess, S. 246. Kern, Geschichte, S. 36. Schmidt, Einführung, § 118; Kern, Geschichte, S. 36. Kern, Geschichte, S. 37. Ausführlich dazu: Kern, FS Sauer, S. 71 ff. Benz, Laienrichter, S. 43; Kern, Geschichte, S. 40. Benz, Laienrichter, S. 38, Kern, Geschichte, S. 22; Schmidt, Einführung, § 118.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
chung der Laienbeteiligung. Denselben Effekt hatte auch das Beweisrecht der Carolina. Das Gericht war durch dieses Recht an Beweisregeln gebunden.583 Der Beweis nach der Carolina war ein Formalbeweis, der im Ergebnis weder auslegungsfähig noch ob seiner Eindeutigkeit auslegungsbedürftig war.584 Die Tätigkeit des Gerichts erschöpfte sich demgemäß in der Aufgabe, den durch das Beweisergebnis feststehenden Sachverhalt unter die strafrechtlichen Normen zu subsumieren. Diese Normen waren jedoch nicht mehr gewohnheitsrechtlich bestimmt, sondern entsprachen dem rezipiertem Recht. Dies wiederum wurde nur von Juristen verstanden. Falls daher nicht nach Versendung der Akten ein Oberhof entschied, war es erforderlich, dass auch an den niederen Gerichten Juristen und eben keine Laien beschäftigt waren. Weil die Laienbeisitzer dem Wissensvorsprung der Juristenrichter nichts entgegenzusetzen hatten, mussten sie diesen das Feld jedoch bald ganz überlassen.585
3. Zusammenfassung Mit der Durchsetzung des Inquisitionsverfahrens als neuem Verfahrenstyp in Deutschland waren grundsätzliche Veränderungen in der Strafgerichtsbarkeit verbunden. Aus dem Privatstrafrecht wurde das öffentliche Strafrecht mit dem System der peinlichen Strafen, und Zivilrecht und Strafrecht trennten sich endgültig.586 Das Inquisitionsverfahren gewann am Beginn des 16. Jahrhundert die Oberhand über das bisherige Verfahren, nachdem beide seit dem 13. Jahrhundert nebeneinander existiert hatten. Die Hinwendung zu den Inquisitionsgerichten an sich brachte hinsichtlich der Beteiligung von Laien an den Verfahren noch keine Veränderung mit sich, da auch bei diesem neuen Verfahren potentielle Aufgabenbereiche für Laien fortbestanden. Trotzdem lässt sich eine Verbindung vom Aufkommen des Inquisitionsverfahrens zur Abnahme der Laienbeteiligung herstellen. Die mit dem Inquisitionsverfahren in engem Zusammenhang stehende Suche nach Alternativen zum überkommenen Beweisrecht erzeugte Unsicherheit darüber, wie im Einzelfall in tatsächlicher Hinsicht zu entscheiden sei.587 Ihre Unerfahrenheit ließ Laien daraufhin Rat bei Rechtsgelehrten suchen. In dem Maße, wie sich der Einfluss dieser juristischen Berater ausweitete, begann ein Abschmelzen des Umfanges der Laienbeteiligung, das in der Folge zu ihrem fast vollständigen Verschwinden führte. 583
Nach den Beweisregeln setzte eine Verurteilung ein Geständnis oder eine Aussage durch zwei oder drei glaubwürdige Wahrnehmungszeugen voraus. Ein reiner Indizienbeweis war unzulässig; vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, § 69 Rn. 7; Ignor, Geschichte, S. 62. 584 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 69 Rn. 7; zum formalen Charakter des Geständnisses: Trusen, Strafprozess und Rezeption, S. 81; Ekardt, Jura 1998, 121 (124). 585 Kern, Geschichte, S. 22. 586 Wesel, Geschichte, Rn. 236. 587 Trusen, Strafprozess und Rezeption, S. 54 f.; Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 73 f.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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Neben die tatsächliche Unsicherheit trat in Folge der Rezeption eine Unsicherheit im Bezug auf das Recht. Die Strategien zur Überwindung der rechtlichen Unsicherheit, wie Kollegialität und Aktenversendung, bewirkten ein Anwachsen praktischer Eingriffsmöglichkeiten für Juristen und damit den allmählichen Übergang der Verfahrensherrschaft in ihre Hände. Je stärker sich daher das rechtliche Umfeld in Richtung des rezipierten Rechtes wandelte, desto weniger Raum zu selbstständigen Entscheidungen blieb den Laienschöffen. Zur Vermeidung von Fehlern waren sie ständig gehalten, Juristen um Rat anzugehen, bis sie keine wirkliche Funktion mehr hatten. Es hat sich weiterhin gezeigt, dass die Reduzierung des Ausmaßes der Laienbeteiligung im machtpolitischen Interesse der Landesfürsten lag. Deren Kontrollbedürfnis entsprach die Beschäftigung abhängiger Richter, von denen Kenntnis der landesherrlichen Gesetze erwartet werden konnte, weit mehr als Rechtsprechung durch Laien. Im Ergebnis des obigen Abschnittes lassen sich demzufolge die Ursachen, welche zum Rückgang der Laienbeteiligung am Ende des Mittelalters beitrugen, unter den Oberbegriffen der Einführung des Inquisitionsverfahrens, der Rezeption und politischer Implikationen zusammenfassen.
III. Das vorübergehende Ende der Laienbeteiligung und die Gerichtsbarkeit des Absolutismus Der folgende Abschnitt untersucht die Laienbeteiligung an deutschen Gerichten vom 17. bis zum 18. Jahrhundert. Der zu verzeichnende Rückgang der Laienbeteiligung an der Gerichtsbarkeit führte in dieser Zeit zu einem fast vollständigen Erlöschen der Laienbeteiligung. Folglich ist eine Darstellung der Gerichtsverfassung des 17. und 18. Jahrhunderts eine Dokumentation einer Rechtsprechung ohne Laien. In der gebotenen Kürze sollen trotzdem sowohl die Gerichtsverfassung als auch ihre Verbindungen mit dem politischen Umfeld des Absolutismus erläutert werden, um die Gründe für die genannte Entwicklung aufzudecken und deren Bedeutung für die Idee der Laienbeteiligung zu dokumentieren. Ferner geht es darum, eventuell existierende Reste von Laienbeteiligung aufzuzeigen.
1. Die Gerichtsverfassung Im 17. und 18. Jahrhundert verdrängten beamtete, rechtsgelehrte Richter die Laien nahezu vollständig aus den Gerichten. Dies war kein unvermittelter Wandel, sondern ein Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckte und in den verschiedenen Territorien des Reiches unterschiedlich lange dauerte. Der Weg zur Ablösung der Laien führte über den Schritt der Schöffengerichte nach dem Muster
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
der Carolina, bei denen Laien und Juristen gemeinsam entschieden.588 Der Endpunkt dieser Entwicklung war ein Zustand, in dem Recht durch einen von der übrigen Bevölkerung abgehobenen und von der Obrigkeit abhängigen Juristenstand gesprochen wurde. Um sicherzustellen, dass sich der Wille des Fürsten in den Urteilen stets wieder fand, waren an den Gerichten fast ausschließlich landesherrlich bestellte und jederzeit absetzbare Berufsjuristen beschäftigt.589 Das Studium der Rechte sicherte die Kenntnis und damit die Anwendung des geltenden Rechtes durch die Richter. Wirtschaftliche Abhängigkeit und Disziplinarmaßnahmen garantierten die direkte Einflussnahme auf die Rechtsprechung durch den Landesherrn.590 In welchem Umfang die Gerichtsverfassung zum Spielball der Politik geworden war, zeigt sich exemplarisch am Schicksal der Aktenversendung. Sie wurde im 18. Jahrhundert von vielen Landesfürsten verboten.591 Ein derartiges Verbot erfolgte nur in denjenigen Territorien nicht, in denen der Monarch direkte Kontrolle über die juristischen Fakultäten ausüben konnte.592 Das lässt sich mit der Absicht erklären, nur noch solche Spruchkörper in der Rechtspflege zuzulassen, die von dem Landesherrn kontrolliert werden konnten. Das Verbot der Aktenversendung zielte demnach auf eine Stärkung der fürstlichen Autorität in Rechtssachen. Dieser Schluss wird auch dadurch gestützt, dass sich in den Gebieten, in denen die Aktenversendung fortbestand, besonders viele Vorschriften über das Verhältnis des Landesherrn zu den Spruchkollegien finden.593
2. Die Ideologie des Absolutismus und ihr Einfluss auf die Gerichte Der Satz „regis voluntas suprema lex est“594, nach dem der Wille des Königs das höchste Gebot sei, umschreibt programmatisch das Zeitalter des Absolutismus. Er macht zugleich deutlich, warum es in jener Zeit keine unabhängigen Richter geben konnte. Dort, wo nur ein Wille als oberste Richtschnur anerkannt wird, bleibt kein Raum für eine irgendwie geartete Kontrolle desselben. Hatten die Gerichte vorher noch die Möglichkeit, über Akte der Regierung zu entscheiden, gab es nun keine Kontrolle der Regierungsmaßnahmen des Monarchen durch Gerichte mehr.595 Nach antikem römischen Verständnis, welches mit der Rezeption in Deutschland zur Geltung gelangt war, war der Herrscher selbst nicht an das Ge588
Kern, Geschichte, S. 22. Kern, Geschichte, S. 40; Ekardt, Jura 1998, 121 (125). 590 Spona, Laienbeteiligung, S. 5; Ehrig, DRiZ 1969, 345 ff.; Ekardt, Jura 1998, 121 (125). 591 Kern, Geschichte, S. 38; Beispielsweise erfolgte das Verbot für Brandenburg-Preußen durch Zirkularverordnung vom 20.06.1746; vgl. Cornelssen, Aktenversendung, S. 25, 104. 592 Vgl. für Kursachsen: Lück, Spruchtätigkeit, S. 231. 593 Lück, Spruchtätigkeit, S. 231. 594 Zit. nach Kern, Geschichte, S. 41. 595 Dies galt insbesondere für das Reichskammergericht; vgl. Kern, Geschichte, S. 39; ausführlich zur Rolle des Richters im absoluten Staat auch: Küper, Richteridee, S. 60 f. 589
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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setz gebunden und konnte nach seinem Belieben Gesetze erlassen, die der Ausdruck seines Willens waren. Der schriftliche und geheime Inquisitionsprozess, in dem Anklage-, Verteidiger- und Richterfunktion in einer Person vereinigt waren, war symptomatisch für die absolute Macht über die Untertanen.596 Der unbeschränkte Herrschaftsanspruch des Fürsten hatte somit direkten Einfluss auf die Gerichtspraxis und die Besetzung der Gerichte. Symbolisch für die Abgehobenheit der Rechtsprechung stand der reine Aktenprozess, in welchem entschieden wurde, ohne dass die Richter einen der Beteiligten je zu Gesicht bekamen. Es galt die Regel „quod non est in actis, non est in mundo“597 als scharfer Kontrast zu dem Öffentlichkeitsdenken des alten Rechts. Oberster Richter war der Herrscher als Inhaber der höchsten Gewalt. Dies äußerte sich konkret beispielsweise in dem Recht, persönlich über Todesurteile oder Begnadigungen entscheiden zu können.598 Häufig schaltete sich auch der Landesfürst selbst in Prozesse ein und übte die vielfach beschriebene „Kabinettsjustiz“599.
3. Reste von Laienbeteiligung Die Folge der beschriebenen Instrumentalisierung der Rechtsprechung war, dass sie am Anfang des 19. Jahrhunderts von einer dem Volk entrückten „Juristenkaste“ ausgeübt wurde600. Die Rechtspflege geschah, getreu den Grundsätzen des Absolutismus, nicht mehr „durch das Volk“, sondern „für das Volk“601. Eine Beteiligung von Laien fand kaum noch statt. Die Laienrichter waren in Deutschland ab dem 17. und 18. Jahrhundert fast vollkommen verschwunden.602 Allerdings existierten noch Reste von Laienbeteiligung. Als ein Beleg hierfür kann der endliche Rechtstag angesehen werden, der sich teilweise noch bis in das 18. Jahrhundert hinein nachweisen lässt. Obwohl diese Einrichtung nur noch eine inhaltslose Zeremonie war, wurde sie beibehalten, um die Rechtstreue und die Rechtsüberzeugung der Bevölkerung zu stärken.603 Diese Zwecksetzung kommt beispielsweise in Art. 123 der Gerichtsordnung Bambergensis zum Ausdruck, wo
596 Wesel, Geschichte, Rn. 259; Bruns, Inquisitionsprozess, S. 1; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 35. 597 „Was es nicht in den Akten gibt, gibt es nicht auf der Welt“; vgl. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte III, S. 46. 598 Kern, Geschichte, S. 40. 599 Allgemein zur Kabinettsjustiz etwa: Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 46; Wesel, Geschichte, Rn. 259; vgl. zu einzelnen Beispielen: Benz, Laienrichter, S. 44. 600 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 36. 601 Kern, Geschichte, S. 40. 602 Benz, Laienrichter, S. 44; Kern, Geschichte, S. 40. 603 Schild, Rechtstag, S. 124 ff.; Jung, FS LG Saarbrücken, S. 320.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
es über den endlichen Gerichtstag heißt, er sei „umb des gemeynen volcks und alter gewonheyt willen“604 geschaffen worden. In einigen partikularen Gerichtsverfassungen des 18. Jahrhunderts lassen sich Laien ferner als „Gerichtsbeisitzer“ oder „Gerichtszeugen“ feststellen605. Diese Personen besaßen jedoch kein Stimmrecht bei der Entscheidungsfindung, sondern hatten lediglich einen Beobachterstatus.606 Auch wenn sie noch das Sitzungsprotokoll mit unterschreiben mussten, waren sie für die Entscheidungsfindung selbst ohne Belang.607 Von einer aktiven Einbindung von Laien konnte daher keine Rede mehr sein. Die Rechtsprechung lag ausschließlich in den Händen von obrigkeitlich gelenkten, rechtsgelehrten Richtern.
4. Zusammenfassung Als Quintessenz dieses Kapitels lässt sich eine enge Verbindung zwischen dem Absolutismus in den deutschen Ländern und dem vorübergehenden Ende der Laienbeteiligung festhalten. Dem Anspruch der absoluten Monarchien auf Kontrolle der Rechtsprechung und Ausdehnung des Einflusses fürstlicher Gewalt in alle Lebensbereiche entsprachen Kollegien aus abhängigen Berufsjuristen am besten. Dort, wo es noch Reste von Laienbeteiligung gab, wurde sie ohne einen inneren Gehalt und nur aus traditionellen Gründen bzw. zur äußerlichen Legitimation der Rechtsprechung aufrechterhalten.
IV. Die Auseinandersetzung um die Geschworenengerichte vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Im 18. und 19. Jahrhundert rückte die Frage nach Laienbeteiligung im Strafverfahren mit der Forderung nach Einführung von Schwurgerichten in den Mittelpunkt der rechtspolitischen Diskussion608. Im Folgenden soll daher versucht werden, die vielfältigen Motive, Traditionen und Argumente der diesbezüglichen Auseinandersetzung herauszuarbeiten und zu benennen. Anliegen der folgenden Betrachtung ist es demnach, die Hauptlinien der Auseinandersetzung über die Frage der Schwurgerichte im Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachzuzeichnen. Dabei soll der Blick zunächst auf die geistesgeschichtlichen Wurzeln der Forderung nach Einführung von Laienbeteiligung gelenkt werden. Anschließend werden die linksrheinischen Schwurgerichte als erste moderne 604
Zit. nach: Jung, FS LG Saarbrücken, S. 320. Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 35 f.; vgl. zu Einzelheiten der partikularen Gerichtsverfassungen: Ignor, Geschichte, S. 129 ff. 606 Kern, FS Sauer, S. 82 f.; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 36. 607 Kern, FS Sauer, S. 82. 608 Vgl. auch umfassend zur Rechtsdiskussion im Vormärz: Senk, Rechtsdenken, S. 255 ff. 605
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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Ausprägung der Laienbeteiligung in Deutschland näher untersucht. Mit einer Analyse der Debatte um die Frage der Laien an Strafgerichten im Vormärz schließt dieses Kapitel.
1. Anfänge und Grundlagen im 18. Jahrhundert Die Auseinandersetzung um die Frage der Laienbeteiligung am Strafverfahren, wie sie im 19. Jahrhundert geführt wurde, kann nicht losgelöst von ihren Wurzeln in den ideengeschichtlichen Strömungen des 18. Jahrhunderts gesehen werden. Das Thema der folgenden Abschnitte ist daher das Freilegen der Wurzeln, welche der Gedanke der Laienbeteiligung im 18. Jahrhundert hatte.
a) Die Philosophie der Aufklärung Die von den Denkern der Aufklärung entwickelten Ideen waren das geistig prägende Element der Gerichtsverfassungen des 19. Jahrhunderts.609 Am Beispiel der Überlegungen Montesquieus und Justus Mösers soll an dieser Stelle untersucht werden, welche Impulse die Gedankenwelt der Aufklärer für die Laienbeteiligung im Strafrecht brachte. Unter den Philosophen der Aufklärung ist Montesquieu für das hier behandelte Thema von besonderer Bedeutung, da er für die Diskussion um eine Beteiligung von Laien an der Urteilsfindung auf dem europäischen Kontinent entscheidende Anstöße gab. Der Osnabrücker Jurist Justus Möser wird hier vor allem deswegen an hervorgehobener Position berücksichtigt, weil er sich in seinem Werk explizit auf das englische Recht bezog.
aa) Schwurgerichte in Montesquieus staatsrechtlichen Vorstellungen Montesquieu (1689–1755) formulierte im sechsten Kapitel seines Mitte des 18. Jahrhunderts erschienenen Werkes „Vom Geist der Gesetze“ seine Idee von einer Dreiteilung staatlicher Gewalt610. Er gilt damit als der geistige Schöpfer des Prinzips der Gewaltenteilung. Bekanntlich beschrieb der französische Philosoph neben der gesetzgebenden und der ausführenden eine dritte Gewalt, der die Rechtsprechung anvertraut sein sollte. Die von Montesquieu entworfene Ausgestaltung dieser dritten Gewalt sah aus Laien gebildete Spruchkörper vor, deren Besetzung wechseln sollte. Die Laiengre609
Kern, Geschichte, S. 49. Weiterführend zum dem von Montesquieu in diesem Werk entworfenen umfassenden Staats- und Gesellschaftsmodell: Cassirer, Philosophie der Aufklärung, S. 219 ff.; Falk, Montesquieu, S. 50 ff. – eingehend zur Lehre von der Gewaltenteilung: Imboden, Gewaltentrennung, S. 7 ff. 610
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
mien sollten an die Stelle eines professionellen Richterstandes treten, in welchem die richterliche Gewalt gewissermaßen verkörpert wäre. Eine Verkörperung richterlicher Gewalt, worunter eine Institutionalisierung zu verstehen ist, sah Montesquieu als schädlich an. Die Bildung von Laiengerichten sollte die Rechtsprechung folglich unabhängig und unparteiisch machen. Die Judikative sollte im Unterschied zu den beiden anderen Gewalten nämlich „in gewisser Weise Null“ – „en quelque façon nulle“611, sein. Montesquieu schrieb: „Die richterliche Befugnis darf nicht einem unabsetzbaren Senat verliehen werden, vielmehr muss sie von Personen ausgeübt werden, die nach einer vom Gesetz vorgeschriebenen Weise zu gewissen Zeiten im Jahr aus dem Volkskörper ausgesucht werden. Sie sollen ein Tribunal bilden, das nur solange besteht, wie die Notwendigkeit es verlangt“612. Montesquieu war zu dieser Sichtweise maßgeblich durch das Vorbild der englischen Geschworenenjury gelangt.613 Dies zeigt sich an einigen verfahrensrechtlichen Besonderheiten, die sowohl bei Montesquieu als auch im damaligen englischen Strafverfahrensrecht zu finden sind. Beispielsweise sollte der Angeklagte nach Montesquieus Vorstellungen seine Richter „bei schweren Anklagen“ selbst auswählen können oder wenigstens das Recht haben, einige abzulehnen614. Dies erinnert an das Recht des Angeklagten zur jury challenge, wie es schon oben beschrieben wurde615. Es sollte ferner sichergestellt werden, dass die Geschworenen Standesgenossen des Angeklagten seien616. Hier zeigt sich eine Parallele zur dem judicium parium suorum, wie es in der Magna Charta, die seinerzeit als Grundlage der Jury galt, erwähnt war617. Montesquieu lenkte damit die Aufmerksamkeit des Kontinents auf das englische Strafverfahren. In einem Punkt missverstand Montesquieu jedoch das englische Beispiel.618 Er forderte, dass den Laien nur die Feststellungen in Bezug auf Tatsachen anvertraut würden, weil sie nicht juristisch ausgebildet seien. Die Aufgabe des Richters sollte anschließend darin bestehen, die gesetzlich festgelegte Strafe festzusetzen. Ein Missbrauch dieser Befugnis sollte dadurch ausgeschlossen werden, dass „die Urteile (…) nie mehr als ein genauer Gesetzestext sind.“619. Diese Formulierungen machen deutlich, dass Montesquieu ein Verhalten, wie es
611
Vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 267; Küper, Richteridee, S. 47. Montesquieu, Geist der Gesetze, Buch XI, Kap 6 S. 218. 613 In diesem Sinne: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 40; Küper, Richteridee, S. 171; Kern, Geschichte, S. 50; Cramer, Schwurgericht, S. 4. 614 Montesquieu, Geist der Gesetze, Buch XI, Kap 6 S. 219. 615 Vgl. oben 1. Teil A. II. 3. c) aa): Trennung von Anklage- und Prozessjury. 616 Montesquieu, Geist der Gesetze, Buch XI, Kap 6 S. 219. 617 Zur Magna Charta siehe oben 1. Teil A. II. 1. c) bb): Die Regelungen der Magna Charta vom 15. Juni 1215. 618 Cramer, Schwurgericht, S. 4. 619 Montesquieu, Geist der Gesetze, Buch XI, Kap 6 S. 219; Cramer, Schwurgericht, S. 5; Brandt, Entstehung des Code Pénal, S. 17. 612
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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seinerzeit in England mit der pious perjury verbreitet war620, nicht gebilligt hätte. Für ihn waren Geschworenengerichte keine Rechtsfinder, sondern eine Institution, welche die Rechtsprechung von der Bindung an einen bestimmten Stand lösen und so vor Missbrauch bewahren sollte.
bb) Der Ruf nach Laienbeteiligung in der deutschen Aufklärung – Justus Möser Justus Möser (1720–1794) stellte in seinen zwischen 1774 und 1786 veröffentlichten „Patriotischen Phantasien“ die Frage: „Ist es billig, dass Gelehrte die Criminalurtheile sprechen?“621. Mösers Antwort darauf erscheint bereits im ersten Satz. Sie fällt negativ aus, denn Möser meinte „daß die Gelehrsamkeit wirklich einen Mann eher unfähig als fähig zum Urtheilsfinder mache“622. So wie schon Montesquieu orientierte sich auch Möser an dem englischen Vorbild623. An den französischen Gelehrten erinnert es auch, wenn Möser eine Verbindung zwischen Freiheit und der Rechtsprechung durch Laien zieht. Möser sah die Rechtsgelehrten als Diener der Obrigkeit unter deren Rechtsprechung „nothwendig alle Liebe zur Freiheit“ erstickt624. Einen neuen Akzent setzte der Osnabrücker Jurist durch die Feststellung, dass Gelehrte eine andere soziale Erfahrungswelt als diejenigen hätten, welche als Angeklagte vor ihnen erschienen.625 Gleichermaßen neu ist das Problem der Verständlichkeit von Rechtsnormen. Für Möser war es wichtig, dass der Angeklagte und sein Richter denselben Verständnishorizont besäßen. Dies sollte sicherstellen, dass der Angeklagte die Norm, aufgrund derer seine Verurteilung erfolgen würde, auch verstehen könnte: „Denn was kann unbilliger und grausamer seyn, als einen Menschen zu verdammen ohne versichert zu sein, daß er das Gesetz, dessen Übertretung ihm zur Last gelegt wird, begriffen und verstanden habe… ?“626. Ein Jurist ist nach Mösers Einschätzung für eine solche Aufgabe ungeeignet, weil „seine Sinne zu geschärft, zu fein und über den gemeinen Begriff zu sehr erhaben“627 seien. Stattdessen empfahl Möser Laien als Richter, weil ihr Verständnis der Ge-
620
Vgl. oben 1. Teil A. IV. 1.: Das Phänomen der pious perjury. Möser, Patriotische Phantasien I, S. 339–345. 622 Möser, Patriotische Phantasien I, S. 340. 623 Möser, Patriotische Phantasien I, S. 340. 624 Möser, Patriotische Phantasien I, S. 343. 625 „Ein garstige Unordnung, eine Injurie, eine Schlägerei, eine Grobheit wird ihm [dem Gelehrten (N. L.)] tausendmal ekelhafter und abscheulicher vorkommen, als sie einem geringen Mann, der mit dem Viehe aufgewachsen ist, vorkommt; und dies muß nothwendig einen solchen Einfluß auf sein Urtheil haben, daß es schwerlich unpartheyisch seyn kann.“ Vgl. Möser, Patriotische Phantasien I, S. 341 f. 626 Möser, Patriotische Phantasien I, S. 340. 627 Möser, Patriotische Phantasien I, S. 341. 621
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
setze dem des Angeklagten nahe komme und so auf dessen Verständnismöglichkeit schließen lasse628.
b) Tradition und neue Aspekte der Kritik an professionellen Richtern Mit ihrer Haltung zum Stand des professionellen Richters bewegte sich die Aufklärung auf dem Boden einer langen Tradition der Kritik am Juristenstand im Allgemeinen. Bereits seit es in Deutschland einen Stand gelehrter Juristen gab, stand die öffentliche Meinung ihnen kritisch gegenüber. Von Martin Luther (1483–1546) beispielsweise ist überliefert, dass er Juristen für „böse Christen“ hielt oder sie die „Feinde Christi“ nannte.629 In der „Reformation Friedrichs III.“ von 1442 wird den Juristen sogar die Fähigkeit, das Recht zu erkennen, abgesprochen, und stattdessen eine Rechtsprechung durch Laien befürwortet.630 Nach der Ansicht Eberhard Schmidts reflektieren diese Aussagen größtenteils die Missgunst ehemaliger Eliten, die von den Juristen aus ihren Ämtern verdrängt worden waren. Anlass für die Kritik waren aber auch die durch eine mangelhafte Ausbildung verursachten, stellenweise ungenügenden professionellen Fähigkeiten von Juristen.631 Die Kritik der Aufklärung an den professionellen Richtern brachte eine neue Facette zum Vorschein. Sie setzte die professionellen Richter mit einer abhängigen und unfreien Justiz gleich und verband Rechtsprechung durch Laien mit dem Begriff der Freiheit. Die Gleichsetzung der professionellen Richter mit einer Justiz der Unterdrückung gründete sich auf die Stellung der Richter als Erfüllungsgehilfen der absolutistischen Politik der Landesherren.632 Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts rückte damit der Kontrast zwischen Geschworenengerichten als „Palladium der Freiheit“ und den professionellen Richtern als Instrumenten des unfrei machenden Staates in das Zentrum der Kritik an den Juristen. Die Aufklärung plädierte für einen Paradigmenwechsel in der Beziehung zwischen Bürger und Staat, durch den der Bürger vom Objekt staatlichen Handelns zum selbst bestimmten Subjekt wurde.633 Es war diesem Geist immanent, die Monopolisierung der Rechtspflege durch einen vom Volk abgehobenen beamteten Juristenstand zurück628
„Die deutlichste Probe aber, daß ein Verbrecher das Gesetz verstanden habe, oder doch verstehen könne und solle, ist unstreitig diese, wann sieben oder zwölf ungelehrte Männer ihn danach verurtheilen und durch eben dieses Urtheil zu erkennen geben, wie der allgemeine Begriff des übertretenen Gesetzes gewesen und wie jeder mit bloßer gesunder Vernunft begabte Mensch solches ausgeleget habe.“ Vgl. Möser, Patriotische Phantasien I, S. 340 f. 629 Zit. nach: Schmidt, Einführung, § 120. 630 „Den Doctoren ist das Recht härter als den Laien verschlossen und kann jr keiner ein Schlüssel darzu finden (…). Aber der Ley behelt doch den Schlüssel zum Rechten bey ime, das man zu zimlicher Zeit das Recht herfürbringen mag. Auss disen ursachen kan mann die Gelerten in keinem Rechten mer leiden.“ Zit. nach Schmidt, Einführung, § 120. 631 Schmidt, Einführung, § 120. 632 Vgl. oben 1. Teil B. II. 2. b) aa): Professionalisierung der Richterschaft. 633 Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 45.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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zuweisen und für eine Teilhabe des gesamten Volkes an der Rechtsprechung einzutreten. Das Misstrauen gegen Juristen war in Jahrhunderten gewachsen. Den Juristen fehlte am Ende des 18. Jahrhunderts das Prestige. Ihnen wurden gerechte Entscheidungen nicht mehr zugetraut.634
2. Die ersten Geschworenengerichte in Deutschland in den linksrheinischen Gebieten Nach der französischen Revolution von 1789 wurden im Jahr 1791 in Frankreich Geschworenengerichte nach dem Vorbild des englischen Gerichtssystems mit einer Anklage- und einer Urteilsjury geschaffen.635 Im Unterschied zu den englischen Geschworenen, die ein verdict über die gesamte umstrittene Angelegenheit abgaben636, wurde den französischen Juroren ein komplizierter Fragenkatalog zur Beantwortung vorgelegt, anhand dessen sie die tatsächlichen Umstände eines Falles zu beurteilen hatten.637 In ihrer französischen Form wurden die Schwurgerichte infolge der napoleonischen Eroberungen auch auf deutschem Territorium eingeführt. Der folgende Abschnitt dokumentiert die Art des Verfahrens, das in den französisch besetzten Gebieten galt. Weitergehend wird das weitere Schicksal der Schwurgerichte beschrieben und ihr Erbe untersucht.
a) Schwurgerichte in den französisch besetzten Gebieten In den Friedensverträgen von Basel (1795), Campo Formio (1797) und Lunéville (1801) waren die Gebiete links des Rheins an Frankreich abgetreten worden.638 Um die neuen Provinzen möglichst fest an das Mutterland zu binden, 634 So bemerkte Beseler noch in seinem 1843 erschienen Werk „Volksrecht und Juristenrecht“ über Juristengerichte: „Es ist schon eine beachtungswerthe Thatsache, dass sich gegen sie (die ausschließlich mit Juristen besetzten Gerichte – N. L.) in Deutschland eine allgemeine Mißstimmung verbreitet hat“. – Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, S. 253; ähnlich auch: Liepmann, Reform, S. 177. 635 Vgl. Art. 9 der Französischen Verfassung vom 03.09.1791 und das Gesetz vom 16. – 29.09.1791; siehe dazu: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 43; Schmitz, Schwur- und Schöffengerichte, S. 167 f.; einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen gibt auch Mittermaier, Strafverfahren I, S. 302. – Obwohl sich die Geschworenengerichte in den Turbulenzen der französischen Revolution in ein politisches Kampfinstrument der jeweiligen Machthaber verwandelt hatten und unter napoleonischer Herrschaft an Bedeutung verloren, überlebten sie in Frankreich als Rechtsinstitut; vgl. Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 2; Schmidt, Einführung, § 285; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 49. 636 Vgl. dazu oben 1. Teil A. IV. 2. b): Fox’s Libel Act. 637 Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 14; Cramer, Schwurgericht, S. 35 f., 85 ff. 638 Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte III, S. 113; Volk, JuS 1991, 281; Wadle, Französisches Recht, S. 26.
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etablierte Napoleon in ihnen die Verwaltungsstrukturen und das Recht der alten französischen Departements.639 Auch in den übrigen deutschen Gebieten, die in der Folgezeit unter den direkten Einfluss Napoleons kamen, wurden Gesetze nach französischem Muster erlassen. Beispielsweise schrieb die Verfassung des Königreiches Westfalen von 1807 Schwurgerichte für peinliche Verfahren vor.640 In den links-rheinischen Provinzen galt seit 1809 die französische Strafprozessordnung (Code d’instruction criminelle).641 Es wurden daher Geschworenengerichte gebildet, die aus fünf Berufsrichtern und zwölf Geschworenen zusammengesetzt und bei den Appellationsgerichtshöfen angesiedelt waren.642 Das Auswahlverfahren stellte hohe Anforderungen an das Vermögen und den Bildungsstand der Geschworenen.643 Dadurch war sichergestellt, dass mit Angehörigen des Großbürgertums nur Angehörige derjenigen Bevölkerungsschicht an der Rechtsprechung beteiligt waren, auf die sich Napoleons Herrschaft im Wesentlichen stützte. Nach der endgültigen Niederlage Frankreichs fiel der größte Teil der Rheinprovinzen an Preußen, kleinere Teile gingen an das Königreich Bayern und an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt.644 Diese Länder standen nunmehr vor dem Problem, dass in ihren neuen Ländereien ein neuartiges Recht galt, dem, wie sich zeigen sollte, die Sympathien weiter Bevölkerungsteile gehörten.
b) Das Gutachten der Rheinischen Immediat-Justiz-Kommission und die weitere Entwicklung im preußischen Rheinland und den übrigen rheinischen Gebieten Das Königreich Preußen stand, trotz der in den Jahren nach 1805 durchgeführten Reformen645, in der ersten Reihe der Verfechter der Restauration der vorrevolutionären Ordnung. Besonders der konservative Justizminister v. Kircheisen drängte auf eine schnelle Einführung des Allgemeinen Landrechtes in den Rheinprovinzen. Dies hätte auch die Abschaffung der Geschworenengerichte zur Folge gehabt.646 Zur Vorbereitung der dafür notwendigen Maßnahmen wurde im Juli 1815 der Münsteraner Oberlandesgerichtspräsident Sethe zu einer Studienreise in die linksrheinischen Gebiete entsandt.647 Nachdem im Ergebnis dieser Reise und 639
Volk, JuS 1991, 281 (282). Wendt, Bestimmungen, S. 38. 641 Becker, JuS 1985, 338 (339). 642 Becker, JuS 1985, 338 (339). 643 Vgl. Art. 382 ff. Code d’instruction criminelle, zit. nach: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 49; zu Einzelheiten siehe: Gneist, Geschworenengerichte, S. 118 f.; Blasius, FS Rosenberg, S. 151 f. 644 Volk, JuS 1991, 281 (282). 645 Vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 268. 646 Liekefett, Ehrenamtliche Richter, S. 10; Becker, JuS 1985, 338 (340). 647 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 63; Becker, JuS 1985, 338 (340). 640
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auch in liberaleren Kreisen der Berliner Regierung Zweifel an der Möglichkeit der Übertragbarkeit des Allgemeinen Landrechtes auf das Rheinland aufgetaucht waren, wurde durch königliche Kabinettsorder vom 20. Juni 1816 die Rheinische Immediat-Justiz-Kommission zur genaueren Prüfung der Einzelheiten der Rechtsübertragung ins Leben gerufen, an deren Spitze Sethe stand.648 Bis 1818 legte die Kommission, der außer ihrem Vorsitzenden Sethe vier weitere Mitglieder angehörten, sechs Hauptgutachten vor. Darin wurde unter anderem die Beibehaltung der Geschworenengerichte empfohlen.649 Das Votum der Kommissionsmitglieder vermied es, die politischen Aspekte der Problematik zu thematisieren.650 In Anbetracht der Repressionen, mit denen in jener Zeit Allem begegnet wurde, was nur entfernt liberal wirkte, ist diese Haltung verständlich. Im Kern wandte sich die Kommission ausdrücklich gegen die Ansicht, Geschworenengerichte gehörten nicht in eine Monarchie651. Ferner sprach die Kommission sich gegen die Forderung aus, die Geschworenengerichte als „Geburt der französischen Revolution“652 zu verwerfen. Der Bericht betonte dagegen die Qualität der Geschworenengerichte aus juristischer Sicht. Es wurde festgestellt, dass sich im Lauf der Untersuchung alle Beteiligten von entschiedenen Gegnern der Schwurgerichte zu deren Befürwortern gewandelt hätten.653 Ferner drückte die Kommission die Überzeugung aus, dass Laienrichter in vielen Fällen besser als Berufsrichter zur Entscheidung der Tatfrage befähigt seien.654 Als Gründe dafür wurden unter anderem angeführt, dass eine aus der gesamten Bevölkerung gebildete Jury besser in der Lage sei, „die Verhältnisse des gewöhnlichen Lebens (…) zu würdigen“655 als rechtsgelehrte Beamte, dass Geschworene als Richter mehr Vertrauen genießen würden und dass Juristen durch Routine Fehler machten656. Die Gutachter vertraten weiterhin den Standpunkt, dass die Entscheidung faktischer Fragen auf „historischer Überzeugung“ beruhe, die nicht aufgrund von Regeln, sondern nur durch eigene Anschauung gewonnen werden könne.657 Zur Gewinnung einer solchen Anschauung sei keine juristische Ausbildung erforderlich, weil „der gemeine Verstand vollkommen die erforderliche Fähigkeit besitze, um über die Schuld und Nichtschuld zu erkennen“658. 648
Volk, JuS 1991, 281 (284). Vgl. zu Einzelheiten: Becker, JuS 1985, 338 (341). 650 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 15; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 65 ff. 651 „Nach unserer Meinung eignet sich die Jury entweder eben so sehr oder ebenso wenig für die Monarchie, als für jede andere Regierungsform.“; vgl. Landsberg, Gutachten, S. 198. 652 Landsberg, Gutachten, S. 198 ff. 653 Landsberg, Gutachten, S. 202. 654 Landsberg, Gutachten, S. 172 ff. 655 Landsberg, Gutachten, S. 120. 656 Landsberg, Gutachten, S. 120. 657 Landsberg, Gutachten, S. 123; Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 243. 658 Landsberg, Gutachten, S. 175. 649
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
Die Verfasser der Gutachten erklärten, zur Annäherung an die tatsächlichen Umstände eines historischen Geschehens seien gesetzliche Beweisregeln hinderlich659. Sie meinten jedoch, im Falle der Abschaffung der Beweisregeln bedürfe es eines Korrektivs. Zu diesem Zweck sprachen sie sich für eine strenge Trennung zwischen Tat und Rechtsfrage aus, so wie sie vom Code d’instruction criminelle vorgeschrieben wurde660. Durch diese Trennung sollte eine gegenseitige Kontrolle zwischen Richter und Geschworenen ermöglicht werden. Im Hinblick auf das seinerzeit antiliberale politische Klima in Preußen ist es überraschend, dass die Regierung im Ergebnis der Meinung der Immediatkommission folgte. Zunächst wurden mit Kabinettsorder vom 19. September 1818 die rheinischen Schwurgerichte bestätigt und nur der Aufbau der Gerichte den Verhältnissen in Altpreußen angepasst.661 Der politische Streit in Preußen setzte sich noch eine Weile fort. Die Rheinischen Provinzialstände leisteten allen Versuchen Berlins, die Schwurgerichte abzuschaffen, erfolgreich Widerstand.662 Mit der Ernennung Savignys zum Minister für Gesetzgebung im Jahre 1842 erreichte die Geltung des französischen Rechtes im Rheinland schließlich eine gewisse Endgültigkeit.663 In denjenigen rheinischen Landen, die nicht preußisch wurden, also in Rheinhessen und Rheinbayern, verlief die Entwicklung ähnlich zugunsten der Schwurgerichte.664 Sie blieben überall bestehen. Begünstigt wurde dies sicherlich auch durch das besondere politische Klima des süddeutschen Frühkonstitutionalismus.
3. Die Auseinandersetzungen um die Laienbeteiligung bis 1848 In der Zeit zwischen dem Wiener Kongress (1814–1815) und dem Revolutionsjahr 1848 wurden die politischen Spannungen unter der Oberfläche von monarchischer Restaurationspolitik und Biedermeier nur unvollkommen verdeckt. Dies zeigte sich nicht nur in periodisch wiederkehrenden Bekundungen revolutionären Geistes wie dem Wartburgfest (1817) oder dem Hambacher Fest (1832), sondern auch in der Auseinandersetzung um die Frage der Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege. Die Versuche der liberalen Politiker, ihre Ideen auch in die politische Wirklichkeit umzusetzen, waren im politischen Klima des Vormärz zum Scheitern verur659
Landsberg, Gutachten, S. 137. Landsberg, Gutachten, S. 174. 661 Becker, JuS 1985, 338, 341. 662 Becker, JuS 1985, 338, 341; Wadle, Französisches Recht, S. 38. 663 Der in Gestalt der „Rheinischen Strafprozeß-Ordnung“ weiter geltende Code d’instruction criminelle wurde tatsächlich erst durch die 1879 in Kraft getretene RStPO abgelöst; vgl. dazu: Becker, JuS 1985, 338, 342. 664 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 69; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 17. 660
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teilt.665 Aus diesem Grund wurde die Diskussion theoretisch geführt. Dabei lassen sich eine rechtsphilosophische, eine politische und eine juristische Ebene wenigstens idealbegrifflich unterscheiden. Auf die im Rahmen dieser Diskussion vorgetragenen Argumente soll nunmehr im Einzelnen näher eingegangen werden.
a) Feuerbachs Gedanken zu Geschworenengerichten Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775–1833) veröffentlichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Gedanken über Geschworenengerichte in mehreren Werken und prägte damit den wissenschaftlichen Diskurs über die Laienbeteiligung im Deutschland des 19. Jahrhunderts wesentlich. In seinem 1813 erschienenen Buch „Betrachtungen über das Geschwornen Gericht“ vertrat Feuerbach die These, dass die Schuldfrage im Strafverfahren einer „der Willkür des Machthabers im Staate so viel wie möglich unzugänglichen Behörde übertragen“666 werden müsse, um zu verhindern, dass „der Arm der Gerechtigkeit zur Ausübung des Unrechts“667 missbraucht werden könne. Davon ausgehend stellte er die Frage, wie eine solche Behörde beschaffen sein sollte. Anschließend erörterte er den Wert der Geschworenengerichte im Hinblick auf diese Frage. Dabei unterschied Feuerbach einen politischen und einen juristischen Teilaspekt der Problematik der Geschworenengerichte.668 In politischer Hinsicht untersuchte der bayrische Jurist das Institut des Geschworenengerichtes „als Theil der Staatsverfassung eines Volkes und als Mittel, die Freiheit der Nation gegen die Eigenmacht Weniger zu sichern“669. Feuerbach kam zu dem Schluss, dass sich Geschworenengerichte ihrer Natur nach in demokratische Staaten und konstitutionelle Monarchien einfügen würden.670 Dagegen liege in einem absoluten bzw. aufgeklärt absoluten Staat das Institut der Jury „nicht nur nicht im Geist der Verfassung (…), sondern (widerspreche) dem Geiste dieser Verfassung“671. Für die Zustände in einem aufgeklärt absoluten Staat672 sieht 665 Für eine Übersicht der entsprechenden Initiativen in einigen deutschen Parlamenten siehe: Liekefett, Ehrenamtliche Richter, S. 15. 666 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 6. 667 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 6. 668 „Bei der Untersuchung über die Vorzüge und Nachtheile der Jury muss man zwei Gesichtspunkte wohl voneinander sondern, den rein – politischen und den strafrechtlichen.“. Vgl. Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 47. 669 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 47. 670 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 56 f, 60. 671 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 64 f. Wenn der Monarch beschließen würde, „Willkür zu üben (…) so gewährt auch die Jury keinen Schutz, weil diese Mauer niedersinkt, sobald er will, dass sie falle“; vgl. Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 67. – Dieses Urteil begründet Feuerbach damit, dass im absoluten Staat Freiheit vollkommen in den Händen des Regenten liege, so dass Geschworenengerichte letztlich nutzlos seien. 672 Vgl. Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 55; Feuerbach spricht von einer „ungeteilten, wenngleich konstitutionellen Monarchie“; vgl. Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 64.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
Feuerbach ein auf Lebenszeit ernanntes und vom Regenten unabhängiges Richtergremium als die beste Alternative673. Auch aus juristischer Perspektive gelangte Feuerbach zu einem für die Geschworenengerichte ungünstigem Ergebnis. Hier analysierte er die Geschworenengerichte nach „ihrem Verhältnisse zu den Zwecken der strafenden Gewalt, als Organ der Geltendmachung der bestehenden Criminalgesetze“674. Die Kritik Feuerbachs entzündete sich vor allem an der besonderen französischen Variante der Schwurgerichte. Er wies nach, dass eine Trennung rechtlicher von tatsächlichen Fragen, wie sie dort erfolgte, nicht durchführbar sei. Nach Feuerbach war die Tatfrage „nothwendig aus zwei Elementen, aus historischen und juridischen“675 zusammengesetzt. Dieser Zusammenhang setzt nach Feuerbachs Ansicht voraus, dass Richter eine juristische Ausbildung besäßen, „da nur ein durch scharfe Rechtsbegriffe geleiteter Verstand den Faden richtig aufzufassen und festzuhalten vermag“676. Damit verbunden war Feuerbachs kritische Haltung zu der Frage, ob Geschworene überhaupt in der Lage seien, Rechtsfragen sachgemäß zu beurteilen, denn „sie haben kein anderes Gesetz als ihr Gewissen, keinen anderen Richter als ihr Bewusstsein“677. Feuerbachs Position stand damit im Gegensatz zu derjenigen der Immediat Justizkommission. Er schrieb „der gemeine Verstand urtheilt bloß nach Gefühlen und dunklen Vorstellungen, der wissenschaftliche nach Begriffen und bestimmt gedachten Grundsätzen“678. Bedenkt man, dass Feuerbach maßgeblich von den positivistischen Ideen Montesquieus beeinflusst war und ebenso wie dieser die absolute Abhängigkeit des Richters vom Gesetz postulierte, überrascht die kritische Einstellung zu Laien als Richter zunächst wenig.679 Wie oben gezeigt, hinderte seine positivistische Überzeugung den französischen Philosophen keineswegs, sich für Laienbeteiligung auszusprechen. Und so zählte sich auch Feuerbach trotz dieser Ablehnung selbst „eigentlich nicht zu den Gegnern, sondern zu den Freunden des Geschwornen Gerichts“680. Diese ambivalente Haltung steht im Zusammenhang mit Feuerbachs Ansichten zum Beweisrecht. Feuerbach war der Meinung, dass Richter, die 673
Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 76; Diese Ansicht begründet er damit, dass solche Richter stets unter öffentlicher Beobachtung stünden, so dass „sie mit keinem Verrat an der Gerechtigkeit sich beflecken können, ohne über sich selbst das Urteil der öffentlichen Verachtung auszusprechen.“. Vgl. Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 79. 674 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 47. 675 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 177. 676 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 186. 677 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 33; Eine ähnliche Begründung findet sich auch in: Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit II, S. 418. 678 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 140. 679 Vgl. ausführlich zur Rolle Feuerbachs als Repräsentant der aufklärerischen Richtervorstellung und dem Verhältnis seiner Ansichten zu den Ideen Montesquieus: Küper, Richteridee, S. 74 ff.; eingehend zur Beeinflussung von Feuerbachs Verständnis von Recht durch die Philosophie Kants: Naucke, Zwangstheorie, S. 71 ff. 680 L. Feuerbach, Leben und Wirken, S. 197.
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sowohl die Schuld des Angeklagten als auch das Strafmaß festlegen könnten, immer durch Beweisregeln gebunden sein müssten. Sonst hätten sie eine so umfassende Strafgewalt, dass solche Gerichte „ihrer Einrichtung nach (…) willkürliche Blutgerichte“681 seien. Feuerbach wandte sich gegen die seinerzeit geltenden positiven Beweisregeln der Carolina682 und forderte Beweisregeln, die den Richter jedenfalls insoweit binden sollten, dass sie ihm vorschrieben, worauf er seine Überzeugung nicht stützen durfte683. Für den Fall jedoch, dass sämtliche Beweisregeln abgeschafft würden, bliebe als das kleinere Übel nur noch die Alternative, den Richtern eine Jury an die Seite zu stellen, welche die Macht der Richter kontrollieren könnte684.
b) Leue und die Lehre von der omnipotence du jury Ein, im Unterschied zu Feuerbach, uneingeschränkter Befürworter der Schwurgerichte war Friedrich Gottfried Leue (1801–1872). Für ihn waren die Geschworenen im Unterschied zu den Berufsrichtern nicht an das Gesetz gebunden, sondern standen über ihm. Indem die Geschworenen das positive Recht auf seine Vereinbarkeit mit dem im Volke wurzelnden Gerechtigkeitsempfinden prüften, sollten sie der Gerechtigkeit Geltung verschaffen.685 Nach Leues Verständnis waren die Geschworenen „über die Tatfrage und das Gesetz hinausgestellt“686. Leue meinte, einen Gegensatz zwischen den positiven Gesetzen und dem Recht zu erkennen, das im Volk verwurzelt war. Daraus leitete er die Befugnis für die Laienrichter ab, einen Angeklagten contra legem freizusprechen.687 Leue war maßgeblich beeinflusst von der der französischen Lehre von der omnipotence du jury688. Diese Lehre war in Frankreich als Reaktion auf ein grausames materielles Strafrecht entstanden689. Die Protagonisten der omnipotence du jury 681
Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit II, S. 417. Vgl. oben 1. Teil B. II. 2. b) dd): Die Anpassung des Strafverfahrens an das rezipierte Recht und deren Konsequenzen für die Laien. 683 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 132. – Nach dieser „negativen Beweistheorie“ sollte gesetzlich ein bestimmtes Maß an Beweismitteln als Mindestvoraussetzung für einen Schuldspruch normiert und im Übrigen auf die richterliche Überzeugung abgestellt werden; vgl. Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 132 ff.; Ekardt, Jura 1998, 121 (124); Irmisch, Feuerbachs Grundanschauungen, S. 69 ff. 684 Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit II, S. 418. 685 Leue, Schöffengericht, S. 148 f. 686 Leue, Schöffengericht, S. 149. 687 Dagegen sah Leue eine Grenze dahingehend gezogen, dass er keine Verurteilung gegen die Buchstaben des Gesetzes zulassen wollte. Die Laien durften nach seinem Verständnis daher nur zugunsten des Angeklagten wirken. Das Vorbild dafür sah Leue in der englischen jury equity; vgl. Leue, Schöffengericht, S. 154. 688 Böttges, Laienbeteiligung, S. 24; Schmitz, Schwur- und Schöffengerichte, S. 176. 689 Schmidt, Einführung, § 247; vgl. weiter zu Einzelheiten: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 47 f.; Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 111 ff. 682
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
betrachteten die Geschworenen als Repräsentanten des souveränen Volkes. In der Verbindung mit dem Konzept der Volkssouveränität wurde daraus abgeleitet, dass die Geschworenen zugleich Richter und Gesetzgeber und in diesem Amt nur ihrem Gewissen verpflichtet seien. Auffällig ist die Nähe dieser Auffassungen zu den Ideen der Leveller im 17. Jahrhundert und zu der Praxis der pious perjury im 18. Jahrhundert. Besonders das Konzept der Gewissensbindung der Geschworenen ruft Erinnerungen an das Programm der Leveller690 wach. Im Unterschied zu dem weit verbreiteten Auftreten der pious perjury blieben Leues diesbezügliche Gedanken jedoch in Deutschland eine Randerscheinung.
c) Der Gedanke der Laienbeteiligung bei Hegel und seinen strafrechtlichen Schülern Sehr viel einflussreicher und für lange Zeit wirkungsmächtig waren demgegenüber die Ideen Georg Friedrich Wilhelm Hegels (1770–1831), die später von seinen strafrechtlichen Schülern weitergetragen und fortentwickelt wurden. Ausgehend von seiner eindrucksvollen Theorie über das Wesen von Verbrechen und Strafe691 entwickelte Hegel in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ von 1820/21 die These von der Unterscheidbarkeit zweier Seiten in der Praxis der Rechtsprechung. Die eine Seite dieses Vorganges sei die „Erkenntnis des Falles nach seiner unmittelbaren Einzelnheit“ und seine Qualifizierung als Verbrechen, die andere Seite sei die „Subsumtion des erkannten Geschehens unter das Gesetz“.692 Die Erkenntnis der Einzelheiten des Falles ist nach Hegel nur ein empirischer Prozess und damit eine Erkenntnis, die jedem gebildeten Menschen möglich sei693. Der tiefere Grund für die Notwendigkeit der Heranziehung von Laien für diese Aufgabe liegt für Hegel in dem „Recht des Selbstbewusstseins“694, das er aus dem Grundsatz der Anerkennung der Freiheit des Menschen als Individuum ableitete.695 Zwar ist die Wahrung des Selbstbewusstseins Hegel zufolge im Hinblick auf die Tätigkeit des Subsumierens unter das Gesetz unproblematisch, da hier das Gesetz bekannt sei und sich der Prozess des Subsumierens in einer öffentlichen Haupverhandlung vollziehe. Daher könne diese Tätigkeit auch solchen Personen anvertraut werden, die nicht den Stand des Angeklagten teilen würden. Anders verhalte es sich hingegen mit der „Erkenntnis des Falles nach seiner unmittelbaren Einzelnheit“, weil hier „jedes Recht in dem Zutrauen zu der Sub690
Vgl. dazu oben 1. Teil A. III. 4. a) aa): Die Sichtweise der Leveller. Vgl. weitergehend dazu: Klesczewski, Rolle der Strafe, S. 26 ff.; Zabel, Schuldtypisierung, S. 32 ff. 692 Hegel, Grundlinien, § 225. 693 Hegel, Grundlinien, § 227; Insofern bewegte sich Hegel argumentativ auf derselben Ebene wie die Mitglieder der Immediat Justizkommission, die es unproblematisch fanden, die faktische Entscheidung in die Hände von Laien zu legen. 694 Hegel, Grundlinien, § 228. 695 Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 104. 691
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jektivität des Entscheidenden seine Befriedigung“ 696 finden würde. Hinsichtlich dieses Aspekts der Entscheidungsfindung kann aus Hegels Sicht das Selbstbewusstsein somit nur dann bestehen, wenn der Beschuldigte in denjenigen, welche über seinen Fall entschieden, seine Standesgenossen wieder fände697. Rechtsgelehrte Richter würden dem Angeklagten nämlich fremd gegenüberstehen. Das zur Legitimation des Richterspruchs notwendige Vertrauen in die Gleichheit zwischen Angeklagtem und Richter kann nach Hegel nur durch Geschworenengerichte hergestellt werden.698 Hegels Schüler Eduard Gans (1797–1839) griff in seinem 1830 erschienenen Aufsatz „Die Richter als Geschworene“ die Gedanken Hegels auf. Gans ging davon aus, dass die Wiederherstellung des Verbrechers als sittliches Wesen der Strafe nur durch dessen Mitwirkung möglich werde. Folglich könne der Beweis im Strafverfahren nur durch ein Geständnis erbracht werden699. Falls der Verbrecher zu solch einer Mitwirkung nicht bereit sei, könnten Gans zufolge an seiner Stelle die Geschworenen für ihn sprechen. Die Geschworenen repräsentieren laut Gans „das Bekenntnis des Angeschuldigten: sie sind sein Gewissen, nur in objektiver Gestalt, und befreit von der subjektiven Zufälligkeit des Bekennens, ihr Ausspruch ist nicht bloß ein Richterspruch, sondern er ist das Geständnis des Angeklagten selbst“700. Während für Hegel das Element des Vertrauens die Geschworenengerichte legitimierte, war es bei Gans die Eignung der Geschworenen als Repräsentanten des Gewissens des Angeklagten701. Auch für Gans war die Teilung in Schuld und Straffrage selbstverständlich. Ebenso wie ein Geständnis des Angeklagten konnte sich auch das Schuldurteil der Geschworenen nur auf Tatsachen beziehen und schloss ihre rechtliche Würdigung aus.702 Nach 1840 trat auch Reinhold Köstlin (1819–1894) mit Argumenten aus Hegels Philosophie für Schwurgerichte ein.703 Für ihn war das Schwurgericht die höchste Entwicklungsstufe einer dialektischen Entwicklung aus der Idee des Volksgerichtes und des aus Juristen bestehenden Gerichtes.704 Nach Köstlins Meinung spricht für den Grad der Entwicklung beim Geschworenengericht bereits die Spezialisierung, aufgrund derer dort die Tatfrage und die Frage der „abstrakten Gesetzlich696
Hegel, Grundlinien, § 228. Hegel, Grundlinien, § 228. 698 Vgl. weiterführend zum Gedanken des Zutrauens in den Gang der Rechtspflege: Schild, Strafrichter, S. 79 f. 699 Gans, Richter als Geschworene, S. 73 f.; Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 105. 700 Gans, Richter als Geschworene, S. 75 f. 701 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 252; Gans, Richter als Geschworene, S. 76; Die Bedeutung des Geständnisses betont auch Abegg. Er sieht die Geschworenen jedoch nicht als Repräsentanten des Angeklagten. Für Abegg ist der Wert der Jury nur politisch und relativ, seiner Meinung nach habe die Jury keinen absoluten Wert „als Grund der Gerechtigkeit und als Nothwendigkeit“ für den Strafprozess; vgl. Abegg, Beiträge, S. 193. 702 Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 106. 703 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 253; Küper, Richteridee, S. 215 f. 704 Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 106. 697
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
keit“ von jeweils anderen Organen entschieden werden.705 Im Gegensatz zu Hegel bestritt Köstlin in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Eignung von Juristen zur Beantwortung der Tatfrage. Denn nach seiner Meinung entfremde die wissenschaftliche Ausbildung der Juristen sie von den Problemen des alltäglichen Lebens.706 Nach Köstlin verlangt das Recht des freien Selbstbewusstseins stets die Feststellung der Schuld des Angeklagten, ohne dass jedoch der Staat die Schuld des Angeklagten durch seine Beamten untersuchen lassen würde.707 Daraus folgt bei Köstlin, dass ein Schuldspruch nur durch den Angeklagten selbst oder seine Genossen in Gestalt von Geschworenen erfolgen könne.
d) Die auf den Strafprozess bezogenen Forderungen des politischen Liberalismus Den von Hegel und seinen strafrechtlichen Schülern aus den grundlegenden Bestimmungen von Verbrechen und Strafen entwickelten Vorstellungen über die Laienbeteiligung an der Strafrechtsprechung kamen die zur selben Zeit, nämlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aufkommenden strafrechtspolitischen Forderungen des politischen Liberalismus sehr nahe. Ein auffälliges Kennzeichen dieser Forderungen ist das Ausmaß der Fixierung auf strafprozessuale Fragen, wie es in dem Ausspruch des liberalen Vordenkers und Juristen Carl Theodor Welcker (1790–1869) zum Ausdruck kommt, demzufolge „es im ganzen Rechtsgebiete, vielleicht im ganzen politischen Gebiete nichts Wichtigeres als den Strafprozess“708 gebe. Innerhalb der liberalen Vorstellungen vom Strafprozess nahm die Forderung nach der Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege in der Form von Schwurgerichten eine zentrale Position ein. Die Verbindung zwischen dem Liberalismus und der Forderung nach Schwurgerichten lässt sich bis zu den Ideen Montesquieus709 zurückverfolgen und wurde in dieser Form nicht zuletzt auch von Feuerbach postuliert710. Schwurgerichte galten den Liberalen deshalb als die ideale Form der Gerichtsbarkeit für eine konstitutionelle Monarchie, weil sie für eine unabhängige Rechtsprechung im Zusammenhang mit einer Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus standen. Aus dieser Verbindung zwischen dem Konstitutionalismus als dem Ziel aller fortschrittlichen Kräfte in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts711 und dem Schwurgericht 705
Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 106. Vgl. dazu: Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 107. 707 Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 107. 708 Zit. nach: Blasius, FS Rosenberg, S. 149. 709 Vgl. dazu oben 1. Teil B. IV. 1. a) aa): Schwurgerichte in Montesquieus staatsrechtlichen Vorstellungen. 710 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 56 f., 60. 711 Schon das liberal gesinnte rheinische Bürgertum hatte sich gegenüber dem damals als reaktionär geltenden Preußen solidarisiert; vgl. Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 67; Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 25; Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 267. 706
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erwuchs nach 1819 die Stilisierung des Schwurgerichtes zu einem „Glaubensartikel der liberalen Partei“712, wie Schwinge es ausdrückte. Neben dem Konnex zwischen Schwurgerichten und Konstitutionalismus fand der Ruf nach Schwurgerichten eine weitere Ursache in dem Misstrauen der Liberalen gegenüber dem gemeinrechtlichen Strafprozess im Allgemeinen und in der Ablehnung abhängiger Berufsjuristen im Besonderen. Der gemeinrechtliche Strafprozess stand in den Augen der Liberalen für die alte Ordnung, in der sie von der Teilhabe an der Macht ausgeschlossen waren. Desweiteren darf nicht übersehen werden, dass sich in der Ablegnung des gemeinrechtlichen Strafprozesses auch die Idee der nationalen Vereinigung Deutschlands als eine Hauptforderung des Liberalismus jener Zeit widerspiegelt. Der gemeinrechtliche Strafprozess mit seinem Anwendungsvorrang des Partikularrechts konnte den Befürwortern der Nationalstaatsidee nur als unbrauchbar im Sinne dieser Idee erscheinen, weswegen seine Ablehnung geradezu auf der Hand lag. Die Forderungen nach einer Verfahrensreform umfassten vor allem die Einführung einer Staatsanwaltschaft, die Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Hauptverfahrens, die richterliche Unabhängigkeit sowie die Laienbeteiligung an der Strafrechtsprechung.713 Das Schwurgericht erschien den liberalen Kräften als Garant für die Erfüllung all dieser Forderungen.714 In der Kritik an den beamteten Juristen mischten sich die seit dem Mittelalter bestehende Antipathie gegenüber Juristen715 mit der Kritik der Aufklärung an der Rechtsprechung durch Beamte und dem Eindruck, Beamtengerichte seien Instrumente der Unterdrückung. Dieser neue Aspekt der Kritik an Juristen war durch eine Reihe spektakulärer Prozesse gegen bekannte Persönlichkeiten der liberalen Bewegung wie Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), die Gebrüder Welcker oder Friedrich List (1789–1846) im Zuge der Demagogenverfolgungen nach den Karlsbader Beschlüssen entstanden.716 Besonders zum Nachteil der Beamtengerichte wirkte der direkte Vergleich, den der Blick über den Rhein ermöglichte. Die Freisprüche durch Landauer Geschworene im Prozess gegen Teilnehmer am Hambacher Fest oder das Verfahren gegen Verbündete Louis Napoleons nach dem gescheiterten Straßburger Aufstand von 1836 brachten in den Augen der Liberalen den Beweis für die Tauglichkeit der Geschworenengerichte als „(Schutzwehr) der durch Criminalklagen leicht bedrohten bürgerlichen Freiheit“717. 712
Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 43. Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 71; Kühne, Reichsverfassung der Paulskirche, S. 359 f. 714 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 72. 715 Ekardt, Jura 1998, 121 (126). 716 Die Karlsbader Beschlüsse datieren vom 20. September 1819. Als Höhepunkt der so genannten Demagogenverfolgungen gelten die Jahre zwischen 1819 und 1840; vgl. dazu: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 74; Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 46 ff. 717 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 74; Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 49; Das Zitat stammt von Mittermaier und ist entnommen aus: Blasius, Bürgerliche Gesellschaft, S. 117. 713
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Ein weiteres bedeutsames Motiv für den Wunsch nach Laienbeteiligung war das Bestreben des liberalen Bürgertums nach Sicherung der individuellen Freiheit als „Existenzgrundlage des Bürgertums“718 durch Partizipation an der Rechtsprechung.719 Ein Bestandteil dieser Freiheit war das Recht auf freie Meinungsäußerung durch Pressefreiheit. Die Liberalen postulierten die Zuständigkeit der Schwurgerichte insbesondere für die sogenannten „Pressdelikte“, d. h. alle Delikte im Zusammenhang mit der Herstellung von Druckerzeugnissen.720 Die programmatische Forderung lautete: „Keine Pressfreiheit ohne Schwurgerichte!“721. Die Verhinderung der politischen Kriminalisierung von Angehörigen des Bürgertums war mithin ein Kernpunkt der Forderung nach Schwurgerichten.722 Neben das Postulat der Meinungsfreiheit trat das Interesse des Bürgertums an einer Rechtsprechung im Sinne seiner ökonomischen Interessen, weil der zunehmende politische Einfluss des Bürgertums auf seiner gewachsenen wirtschaftlichen Potenz ruhte.723 Diese Annahme wird durch einen Blick auf die rheinischen 718
Haber, ZStW 91 (1979), 590 (609). Die liberale Bewegung in Deutschland strebte nach möglichst weitgehender Freiheit vom Staat und nach Beteiligung an der Macht in einer konstitutionellen Monarchie; vgl. dazu: Pöggeler/Inhoff, JA 1998, 511; Kern, Geschichte, S. 57; Böttges, Laienbeteiligung, S. 21. 720 In der Praxis kamen aufgrund ihres Bildungshintergrundes ausschließlich Angehörige des Bürgertums für Pressevergehen in Frage. Die Forderung nach Schwurgerichten für solche Vergehen war also durchaus an den eigenen Interessen des Bürgertums orientiert; vgl. Haber, ZStW 91 (1979), 590 (603 f.). 721 Auszug aus einer Rede des Abgeordneten v. Liebenstein vor der zweiten Kammer der Ständeversammlung des Großherzogtums Baden am 20.7.1819; zit. nach Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 72; gegen Schwurgerichte bei Pressedelikten allerdings: Oppen, Geschworne und Richter, S. 113 ff., der meinte: „Es wäre ein Widerspruch, Verführer durch Verführte richten zu lassen“ (S. 116) – Die Bedeutung der Pressefreiheit im 19. Jahrhundert hängt mit der Entwicklung der Presse zu einem Massenmedium zusammen. Dazu kam es nicht zuletzt aufgrund technischer Neuerungen: 1812 wurde die Schnellpresse erfunden, 1845 folgte die Rotationsmaschine und 1884 die Linotype-Setzmaschine. Somit konnten Zeitungen in hohen Auflagenstärken preisgünstig produziert werden; vgl. Stöber, Pressegeschichte, S. 114 ff. Dazu kam, dass das Interesse der Bevölkerung an Informationen aus Politik und Gesellschaft insgesamt anstieg; vgl. Stöber, Pressegeschichte, S. 166 ff. – Die Eignung der Presse zum Transport politischer Inhalte rief entsprechende staatliche Bestrebungen hervor, die Presse zu kontrollieren. Zwar garantierte Art. 18 der Deutschen Bundesakte, die am 8. Juni 1815 während des Wiener Kongresses verabschiedet worden war, die grundsätzliche Pressefreiheit. Doch schon 1819 erfolgte im Rahmen der Karlsbader Beschlüsse eine Wiedereinführung der Zensur. Sämtliche Schriften bis zu einem Umfang von 20 Bögen waren vorzensurpflichtig; vgl. weiterführend: Stöber, Pressegeschichte, S. 129 ff. 722 Herzog, Krise, S. 24; genauer dazu mit speziellem Blick auf die Deutschen und Hallischen Jahrbücher: Senk; Rechtsdenken, S. 485 ff. 723 Blasius, Bürgerliche Gesellschaft, S. 115; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 87; Ein Beispiel für den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Macht und politischem Einfluss waren die Rheinlande. Diese Gebiete waren am Beginn des 19. Jahrhunderts im Gegensatz zu dem besonders in seinen östlichen Landesteilen noch stark agrarisch orientierten Altpreußen bereits von gewerblichen Strukturen und industriellem Beginn geprägt. Die wirtschaftliche Macht war einer der Faktoren, die zur Beibehaltung der Schwurgerichte im Rheinland beigetragen hatten; vgl. Blasius, Bürgerliche Gesellschaft, S. 14, 115. 719
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Schwurgerichte gestützt. Einen Anhaltspunkt liefert die Tatsache, dass die Begeisterung für die Schwurgerichte im Rheinland auch dann noch ungebrochen anhielt, als ihnen 1821 die Zuständigkeit für politische Vergehen genommen wurde.724 Der Jurisdiktionsschwerpunkt der rheinischen Geschworenengerichte lag in der Folgezeit auf Eigentumsdelikten. Freisprüche waren bei dieser Deliktskategorie tatsächlich bemerkenswert selten.725 Unter Einbeziehung des Umstandes, dass die Geschworenenbank im Rheinland aufgrund des Zensus zum überwiegenden Teil aus den wohlhabenden Schichten der Bürgerschaft zusammengesetzt war, präsentierten sich die rheinischen Geschworenengerichte als Instrumente zur Sicherung des bürgerlichen Wohlstands.726 Die Forderung der Liberalen nach Schwurgerichten muss folglich auch unter diesem Gesichtspunkt gesehen werden. Diese Forderungen fanden Eingang in die Beratungen über die Einführung von Geschworenengerichten in deutschen Ständeversammlungen vor 1848.727 Insbesondere die Ständeversammlungen Badens, Bayerns und Hessens waren Orte, an denen die liberalen Schwurgerichtsanhänger immer wieder den Ruf nach Schwurgerichten laut werden ließen.728 Letztlich erwies sich jedoch der Widerstand der konservativen Kräfte als zu stark, so dass alle eingebrachten Anträge auf Einführung von Schwurgerichten erfolglos blieben.
e) Schwurgerichte im rechtswissenschaftlichen Diskurs Die Forderung, das inquisitorische Strafverfahren durch ein grundlegend reformiertes Strafverfahren abzulösen, stand nicht nur bei liberalen Politikern auf der Tagesordnung. Auch Rechtswissenschaftler diskutierten über dieses Ziel.729 Kernpunkte der geforderten Reformen waren auch hier die Schaffung einer unabhängigen Anklagebehörde, die Trennung von Justiz und Verwaltung sowie ein öffentliches und mündliches Verfahren vor unabhängigen Richtern.730 Den Schwur724 Kern, Geschichte, S. 65; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 84 ff.; Blasius, FS Rosenberg, S. 157. 725 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 87; Statistische Angaben dazu in: Blasius, Bürgerliche Gesellschaft, S. 124. 726 Blasius, Bürgerliche Gesellschaft, S. 117 f.; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 84 ff. – Volksbeteiligung im Sinne des Liberalismus, meinte jedoch keinesfalls die Einbeziehung aller Volksschichten. Dies zeigt beispielsweise die ablehnende Haltung rheinischer Juristen gegenüber preußischen Vorschlägen zur Veränderung des Zensus zur Besetzung der Geschworenenbank; vgl. Blasius, Bürgerliche Gesellschaft, S. 118. 727 Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 1. 728 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 72 ff.; Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 254 ff. 729 Vgl. etwa: Ekardt, Jura 1998, 121 (123 ff.); siehe auch zum Zusammenhang des Prozesses der Reformierung des Strafverfahrens mit der Rechtsstellung des Beschuldigten: Kahlo, KritV 1997, 183 (189 ff.) m. w. N. 730 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 53 f.; Ekardt, Jura 1998, 121 (124); Volk, JuS 1991, 281 (284).
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
gerichten als Teil der Reformvorhaben begegneten indessen weite Teile der damaligen deutschen Richter mit Zurückhaltung.731 Für Savigny beispielsweise war klar: „Wissenschaftlich vorgehende, unparteiische Richter verbürgen mehr als Geschworene, dass gerechte Urteile gefällt werden.“732. Maßgeblichen Einfluss auf die juristische Debatte hatte die Frage des Beweisrechtes. Nach Abschaffung der Folter733 waren die Möglichkeiten der Überzeugungsbildung anhand des fortbestehenden starren Beweisrechtes begrenzt.734 So notierte beispielsweise Georg Beseler (1809–1888) im Jahr 1843, dass „im Criminalprozeß (…) mit seiner Untersuchungsmaxime, die nur zu Willkührlichkeiten führt, (…) seit der Abschaffung der Folter der Schlußstein des ganzen Gebäudes“ fehle735. Von der Gerichtspraxis wurden um 1800 als Ausweg aus diesem Dilemma in großem Umfang Lügen- bzw. Ungehorsamsstrafen angewendet, um von dem Angeklagten ein Geständnis zu erhalten.736 Nach der Abschaffung dieser Strafen kam es zu einem unerwünscht hohen Anteil an Freisprüchen. Daraus ergab sich die Notwendigkeit der Suche nach neuen Lösungen.737 Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen entstand die Forderung nach freier Beweiswürdigung. Einer freien Beweiswürdigung im heutigen Sinne stand jedoch entgegen, dass es seinerzeit als ein hohes Risiko angesehen wurde, Berufsrichter von jeglicher gesetzlicher Regel zu befreien.738 Für die Lösung dieses Problems empfahl beispielsweise Abegg die Beibehaltung einer gesetzlichen Beweistheorie, denn „es ist kein Zweifel, dass gewissenhafte und einsichtsvolle Geschworene bei ihrer Erwägung der Natur der Beweismittel, (…) von denselben Grundsätzen ausgehen werden und sollen, welche auch den Richter leiten, der einer vorgeschriebenen, auf rationalen und empirischen Bestimmungen ruhenden Beweistheorie folgt.“739. Feuerbach befürwortete dagegen, negative Beweisregeln einzuführen740. Diesem Vorschlag wurde vor allem seine Widersprüchlichkeit entgegengehalten, da er einerseits auf das Ermessen 731 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 78; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 23. 732 Ekardt, Jura 1998, 121 (126). 733 In Preußen war die Folter endgültig 1754 und in Österreich 1776 abgeschafft worden; vgl. Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 27; Ignor, Geschichte, S. 166. 734 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 28; Ignor, Geschichte, S. 252; Rogall, Beweismittel, S. 88. 735 Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, S. 355 f. 736 Ekardt, Jura 1998, 121 (125); Ignor, Geschichte, S. 252 f. 737 Ignor, Geschichte, S. 253; Rogall, Beweismittel, S. 94. 738 Schmidt, Einführung, § 291; Liekefett, Ehrenamtliche Richter, S. 10; Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit II, S. 417; Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 79; Abegg, Beiträge, S. 130, 161 f., 191. 739 Abegg, Beiträge, S. 145; gegen eine gesetzliche Beweistheorie argumentierte beispielsweise von Oppen, der es schon 1835 für „ziemlich anerkannt“ hielt, „daß jede legislative Bemühung in Bezug auf eine objective Beweistheorie fruchtlos (sei), und es eine Selbsttäuschung des Gesetzgebers sey, welche sich schmeicheln, das subjective Ermessen der Richter durch gesetzliche Beweisregeln glücklich verbannt zu haben“ Oppen, Geschworne und Richter, S. 60 ff. 740 Vgl. oben 1. Teil B. IV. 3. a): Feuerbachs Gedanken zu Geschworenengerichten.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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des Richters abstellte und damit den formalen Beweis in Frage stellte, andererseits aber gleichwohl an einem Formalismus festhalte.741 Zudem bereiteten die negativen Beweisregeln Probleme bei der Handhabung von Indizienbeweisen. Es setzte sich folglich die Überzeugung durch, dass eine gesetzliche Beweisregelung für das mündliche Verfahren nicht praktikabel sei. Dieses Ergebnis steht in einem auffälligen Gegensatz zu der Entwicklung in England, wo bereits im 18. Jahrhundert eine Vielzahl von Beweisregeln entwickelt worden waren742, welche im 19. Jahrhundert noch weiter ausgearbeitet wurden743. In Deutschland wurde dagegen eine freie Beweiswürdigung als Alternative zu gesetzlichen Beweisregelungen angesehen. Was blieb, war die Sorge um die berufsrichterliche Willkür. Der einzige Ausweg schien darin zu liegen, die Würdigung der Beweise einem Kollegium aus Geschworenen, das über die aus den Beweisen zu gewinnenden Tatsachen entschied, anzuvertrauen.744 In dem somit hergestellten Junktim zwischen freier Beweiswürdigung und Geschworenengerichten lässt sich beispielhaft auch das gestiegene Selbstbewußtsein des Bürgertums in jener Zeit ablesen, das sich, vertreten durch seine Standesgenossen auf der Geschworenenbank, die Entscheidung über die Schuldfrage in einem Strafverfahren zutraute. Dass die freie Beweiswürdigung in jener Zeit, wie Wilfried Küper es ausdrückte, „geradezu als eine Funktion des Geschworenengerichts“745 betrachtet wurde, sollte für die weitere Entwicklung große Bedeutung haben.746 Großes Gewicht in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Schwurgerichte hatten die Arbeiten des bayrischen Strafrechtlers Carl Joseph Anton Mittermaier (1787–1867). Mittermaier erwarb sich vor allem durch seine rechtsvergleichenden Arbeiten große Verdienste, in denen er sich eingehend mit dem englischen und dem französischen Geschworenengericht auseinandersetzte. Den Schwurgerichten gegenüber war Mittermaier zunächst eher kritisch eingestellt. Er unterschied, darin in der Tradition Feuerbachs stehend, zwischen den Geschworenen als politische Einrichtung und als Rechtsinstitut, wobei er bei dem zuletzt genannten Gesichtspunkt zwischen dem Schwurgericht als „Mittel, um am sichersten die Wahrheit der die Schuld des Angeklagten begründenden Tatsachen“ zu ermitteln sowie „die beste Anwendung der Strafgesetze auf eine der Verschuldung passende Weise“ zu sichern, differenzierte747. Hinsichtlich der Geschworenen als Rechtsinstitut machte Mittermaier auf die Schwierigkeit einer Trennung 741
Ekardt, Jura 1998, 121, (124). Vgl. oben 1. Teil A. IV. 1. a) aa): Abschaffung der coercion und Unabhängigkeit der Richter. 743 Vgl. oben 1. Teil A. V. 2. c): Das geänderte Verhältnis zwischen Richter und Jury. 744 Senk, Rechtsdenken, S. 487; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 29; Ekardt, Jura 1998, 121 (124); Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 83 m. w. N. 745 Küper, Richteridee, S. 217. 746 Ekardt, Jura 1998, 121 (125). 747 So ausdrücklich in: Mittermaier, Strafverfahren I, S. 319; sinngemäß auch in: Mittermaier, Mündlichkeit, S. 363. 742
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
zwischen Tat und Rechtsfrage aufmerksam, weil „bei manchen Verbrechen die Thatfragen, worüber die Geschworenen entscheiden sollen, nothwendig Rechtspunkte enthalten oder in einem gewissen gesetzlichen Sinne entschieden werden müssen“748. In diesem Zusammenhang kam er auch zu dem Ergebnis, dass die Ausgestaltung des materiellen Strafrechts, genauer „das Daseyn eines (…) einfachen und klaren Strafgesetzbuches“749 eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg des Geschworenengerichtes sei. Daraus zog Mittermaier den Schluss, dass die Schwurgerichte als Rechtsinstitut in verschiedenen Ländern unterschiedlich zu bewerten seinen. Schließlich kritisierte Mittermaier die Lehre von der intime conviction als zu unbestimmt und unklar.750 Mit Bezug auf die Geschworenengerichte als politische Institute, sah Mittermaier als zentrales Argument der Anhänger der Schwurgerichte die angeblich gegenüber den Berufsrichtern größere Unabhängigkeit der Geschworenen vom Staat an. Dieses Argument bewertete Mittermaier als schwerwiegend, er gelangte jedoch zu der Einschätzung, dass der Beweis für die größere Unabhängigkeit der Geschworenen nicht geführt sei.751 Bei seiner Untersuchung der Geschworenengerichte als Mittel, um die gerechte Anwendung der Strafe zu begründen, setzte sich Mittermaier unter anderem mit der Frage auseinander, ob es ein Vorzug der Geschworenengerichte sei, dass sie Angeklagte gegen geltendes Recht freisprechen würden, wenn „die innere Stimme der Billigkeit keine Strafe gestattet“752. Mittermaier erblickte jedoch darin keinen Vorteil, er sah darin im Gegenteil „vielfach Nachtheile für die bürgerliche Ordnung“753. Er betonte, dass es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers sei, Straftatbestände so auszugestalten, dass den Richtern ein weiterer Spielraum zur Berücksichtigung mildernder Umstände eingeräumt würde, so dass es nicht zu unbilligen Urteilen kommen könne.754 Wenn dies geschehen sei, wären Berufsrichter genauso in der Lage, den Umständen des Falles angemessene Urteile zu sprechen. Eine Wende in der Haltung der deutschen Rechtswissenschaft zur Schwurgerichtsfrage trat auf dem zweiten Germanistentag755 im Jahr 1847 in Lübeck ein. Zu dem Umschwung trug Mittermaier maßgeblich bei. Hatte er vorher, wie geschildert, noch gegen Schwurgerichte Stellung bezogen, so erlebte die Versammlung in Lübeck seine „öffentliche Wandlung von Saulus zum Paulus in der 748
Mittermaier, Strafverfahren I, S. 326. Mittermaier, Mündlichkeit, S. 382. 750 Mittermaier, Mündlichkeit, S. 367. 751 Mittermaier, Mündlichkeit, S. 374. 752 Mittermaier, Mündlichkeit, S. 377. 753 Mittermaier, Strafverfahren I, S. 323. 754 Mittermaier, Mündlichkeit, S. 378; Mittermaier, Strafverfahren I, S. 322 f. 755 Die Germanistentage waren Vorläufer der späteren Juristentage und bezweckten die Förderung des deutschen Rechts sowie der deutschen Sprache und Geschichte durch das persönliche Zusammentreffen der damit befassten Wissenschaftler; vgl. Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 146; Pöggeler/Inhoff, JA 1998, 511 (513); Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 263. 749
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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Schwurgerichtsfrage“756. Mittermaier ging von der Prämisse der Mündlichkeit des Strafverfahrens aus und war zu der Überzeugung gelangt, in einer mündlichen Verhandlung sei eine gesetzliche Beweistheorie nicht durchführbar, weil der Schuldspruch letztlich „weniger auf einer strengen Deduktion einzelner (…) Gründe“, sondern auf dem „Totaleindruck des Richters“757 beruhen würde. In Mittermaiers „Lehre vom Totaleindruck“ setzte sich die französische Lehre von der intime conviction fort, wie sie in Art. 342 III Code d’instruction criminelle ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden hatte. Der Inhalt dieser Lehre war, dass die Geschworenen an keine Beweisregeln gebunden seien, sondern nur ihrer inneren Überzeugung folgen sollten.758 Mit dieser Ansicht stand Mittermaier in der Tradition der Rheinischen Immediat-Justiz-Kommission, die bereits in ihrem Bericht von 1818 eine freie Überzeugungsbildung gefordert und darauf hingewiesen hatte, dass sich die Überzeugung durch eine Vielzahl subjektiver Eindrücke bilde. Mittermaier sprach sich für Schwurgerichte auch deshalb aus, weil er meinte, dass das Volk einer auf der individuellen Überzeugung eines beamteten Richters beruhenden Entscheidung nicht trauen würde.759 Insofern spielte also auch für ihn das Argument des Vertrauens, das schon von Hegel und seinen strafrechtlichen Schülern betont worden war760, eine wichtige Rolle. Indem Mittermaier von der Mündlichkeit des Verfahrens ausging, fügte er der gedanklichen Verbindung zwischen freier Beweiswürdigung und Geschworenengerichten, die schon Feuerbach und die Immediat Justizkommission hergestellt hatten, ein drittes Element hinzu. So konnte er das Geschworenengericht als den Schlussstein einer Reform des Strafprozesses darstellen. Damit überzeugte er die Mehrheit der auf dem Germanistentag Anwesenden. Ein Problem, das in der wissenschaftlichen Debatte des Vormärz von wenigen Ausnahmen761 abgesehen fast gänzlich ausgespart blieb, war die Frage, wie die angestrebten Geschworenengerichte verfasst sein sollten. Die Auseinandersetzung wurde auch in der wissenschaftlichen Literatur nur auf der prinzipiellen Ebene, der Beteiligung des Volkes an der Strafrechtspflege, geführt.762 Zwar befassten sich viele Schriften mit den Vor- und Nachteilen des englischen und des französischen Schwurgerichtssystems als Vorbilder für eine mögliche deutsche Lösung, 756
Volk, JuS 1991, 281 (285). C. J. A. Mittermaier auf dem Lübecker Germanistentag, zit. nach: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 83. 758 Vgl. Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 88; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 43; Kern, Geschichte S. 52 f. 759 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 83. 760 Vgl. dazu oben 1. Teil B. IV. 3. c): Der Gedanke der Laienbeteiligung bei Hegel und seinen strafrechtlichen Schülern. 761 Zur Frage einer Schwurgerichtsverfassung äußerten sich beispielsweise: Otto von Oppen in: Oppen, Geschworne und Richter, S. 96 f. mit detaillierten Vorschlägen für die Wahl und Eignungskriterien für Geschworene; Mittermaier in: Mittermaier, Mündlichkeit, S. 383 ff.; Mittermaier, Strafverfahren I, S. 306 ff. 762 Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 157. 757
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
eine dezidierte Auseinandersetzung mit einer möglichen Schwurgerichtsverfassung für Deutschland fand jedoch nicht statt.763 So beklagte beispielsweise Mittermaier noch 1845: „Diejenigen, welche über das Geschworenengericht sich erklärten, haben häufig über das wesentlich verschiedene Detail der Durchführung der Jury in England und Frankreich und darüber, was ihnen am zweckmäßigsten erscheint, nur ungenügend sich erklärt“764.
4. Zusammenfassung Die Darstellung der Auseinandersetzung um die Laienbeteiligung vor 1848 hat erbracht, dass die politische, die juristische und die philosophische Dimension der Diskussionsführung untrennbar miteinander verknüpft waren. Diese Verknüpfung trat bereits bei Feuerbach zutage, der das Geschworenengericht aus politischer und auch aus juristischer Sicht betrachtete. Eine Trennung der drei unterschiedlichen Ebenen der Geschworenenfrage war schon allein deswegen ausgeschlossen, weil viele Juristen als politische Mandatsträger für die Einführung von Schwurgerichten in den Ständeversammlungen engagiert waren.765 Das Eintreten für eine bestimmte Verfahrensart stand im Vormärz für eine bestimmte staatsrechtliche Position.766 Hinzu kam eine Verbindung politischer Motive mit philosophischen Denkmodellen. Die deutschen geistesgeschichtlichen Traditionen leisteten so einen wesentlichen Beitrag dafür, die Konzeption der Geschworenengerichte mit der Idee der Gerechtigkeit zu verbinden.767 Die philosophische Betrachtung leitete die Notwendigkeit der Jury aus der Natur von Verbrechen und Strafe ab und ermöglichte durch dieses an höheren Gesichtspunkten orientierte Argumentationsmuster eine Begründung für die Geschworenengerichte jenseits politischer Lagerkämpfe und fachjuristischer Bedenken. Legislatorische Argumente gewannen vor dem Hintergrund der damaligen Bildungswelt durch Regress auf philosophische Denkmodelle offenbar besondere Überzeugungskraft. Trotz der Dreidimensionalität der Debatte ergibt eine wertende Betrachtung eine Dominanz des politischen Moments in der Auseinandersetzung. Dies wird daran deutlich, dass die Forderungen im Bezug auf die Laienbeteiligung unscharf blieben und sich auf die pauschale Forderung nach Schwurgerichten beschränkten, ohne dass ihre genaue Ausformung diskutiert worden wäre768. Auf politischem 763
Liepmann, Reform, S. 163; Liekefett, Ehrenamtliche Richter, S. 17; Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 136. 764 Mittermaier, Mündlichkeit, S. 363. 765 Herzog, Palladium, S. 348. 766 Jung, FS LG Saarbrücken, S. 319. 767 So auch: Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 253 f.; Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 105. 768 Böttges, Laienbeteiligung, S. 20.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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Weg wurde letztlich auch die Einführung der Schwurgerichte erzwungen.769 Mit diesem Entwicklungsschritt befasst sich das anschließende Kapitel.
V. Die deutschen Schwurgerichte – Laienbeteiligung zwischen Paulskirchenversammlung und Weimarer Republik Das Jahr 1848 markierte für Deutschland den Beginn der neuzeitlichen Ära der Laienbeteiligung im Strafverfahren. Es soll nunmehr nachgezeichnet werden, wie sich diese Entwicklung und die damit verbundene Suche nach einem geeigneten Modus für die praktische Ausgestaltung der Laienmitwirkung vollzog. Das Augenmerk bei der Darstellung gilt erstens der Frage nach der konkreten Ausformung der Laienbeteiligung in den deutschen Partikularstaaten nach 1848, im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Parallel dazu sollen die Mechanismen untersucht werden, die Veränderungen im geltenden Recht bewirkten. Dabei geht es vor allem darum zu zeigen, welche Rolle das Bürgertum als prominenter Träger der Forderung nach Laienbeteiligung im Anschluss an die Umsetzung dieser Forderung bei der weiteren Gestaltung der Laienrechtsprechung spielte. Ferner gilt es, den theoretischen Diskurs hinsichtlich der Wiederholung bzw. Neuentstehung von Argumentationsmustern zu analysieren.
1. Die Schwurgerichte nach der Revolution von 1848 Nachdem im März 1848 der Funke der Februarrevolution aus Frankreich nach Deutschland übergesprungen war, erschütterte eine revolutionäre Bewegung die deutschen Staaten.770 Die Regimes des Vormärz konnten ihre repressive Politik gegenüber den liberalen Kräften nicht mehr aufrechterhalten und wurden zu Konzessionen gezwungen. Als vorläufiges Ergebnis der Märzaufstände trat am 18. Mai 1848 in der Paulskirche zu Frankfurt am Main die deutsche Nationalversammlung zusammen. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit den Beschlüssen der Nationalversammlung im Hinblick auf die Frage der Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege und mit der Umsetzung dieser Beschlüsse in das Recht der deutschen Staaten nach 1848.
a) Die Paulskirchenverfassung von 1849 In Artikel 143 III der Paulskirchenverfassung ist zu lesen, dass über Pressevergehen, „welche von Amt wegen verfolgt werden, (…) durch Schwurgerichte ge769
Böttges, Laienbeteiligung, S. 21; Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 6. Vgl. zu Einzelheiten: Pöggeler/Inhoff, JA 1998, 511 (514 ff.); Wesel, Geschichte, Rn. 274; Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte III, S. 141 f. 770
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
urteilt“ wird. In Artikel 179 II desselben Dokumentes heißt es, dass „Schwurgerichte (…) jedenfalls in schweren Strafsachen und bei allen politischen Vergehen urteilen“771 sollten. Damit war für ganz Deutschland der Kampf um die Schwurgerichte politisch entschieden. Die Liberalen hatten sich mit ihrer Forderung durchgesetzt. Der äußere Grund dafür lag in dem Umstand, dass in der Frankfurter Nationalversammlung die liberalen Befürworter des Schwurgerichtes die Mehrheit hatten.772 Ein entscheidender inhaltlicher Faktor für die Durchsetzung der Schwurgerichtsidee waren die positiven Erfahrungen, die jenseits des Rheins mit den Schwurgerichten gemacht worden waren.773 Geschworenengerichte waren überdies durch einschlägige Forschungen über ihren Ursprung zu einem vaterländischen Institut geworden.774 Weiterhin waren die Schwurgerichte seit dem Lübecker Germanistentag auch von der Rechtswissenschaft anerkannt.775 Es verwundert daher nicht, dass sich für die oben zitierten Artikel eine Mehrheit fand.
b) Schwurgerichte in den einzelnen deutschen Staaten ab 1849776 Die Schwurgerichte gehörten zu denjenigen Errungenschaften der Paulskirchenverfassung, die das Scheitern dieses Gesetzeswerkes überlebten. Bald nach Annahme der Paulskirchenverfassung wurden in fast allen deutschen Staaten Schwurgerichte eingerichtet. Die Einführung erfolgte beispielsweise 1848 in Kurhessen und Bayern, 1849 in ganz Preußen und Württemberg, 1850 in Österreich und 1851 in Baden. Ausnahmen bildeten nur Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Altenburg, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe und Lübeck.777 In diesen Territorien wurde noch am alten Inquisitionsprozess festgehalten.778 In Übereinstimmung mit der Paulskirchenverfassung und unter dem Druck der öffentlichen Meinung wurde die Laienbeteiligung in der Form des Schwurgerichts verwirklicht. 771 Kühne, Reichsverfassung der Paulskirche, S. 364; zit. nach: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 90; Die genannten Artikel wurden schon am 27.12.1848 als Bestandteile der Grundrechte des deutschen Volkes veröffentlicht und später in die Paulskirchenverfassung vom 28.03.1849 aufgenommen. 772 Wesel, Geschichte, Rn. 274. 773 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 267. 774 Volk, JuS 1991, 281 (285); Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 265; Einen Überblick über die einschlägigen Forschungen gibt: Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 38 ff., 92 ff. 775 Zur personellen Kontinuität zwischen Germanistentagen und Frankfurter Versammlung vgl.: Pöggeler/Inhoff, JA 1998, 511 (514). 776 Eine Übersicht über die Formulierungen bezüglich der Einführung von Schwurgerichten in den einzelnen deutschen Staaten in: Wendt, Bestimmungen, S. 40; Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 20 ff. 777 Vgl. Schmidt, Einführung, § 293; Wendt, Bestimmungen, S. 40; Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 268. 778 Vgl. Schmitz, Schwur- und Schöffengerichte, S. 177.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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In ihrer konkreten Ausgestaltung waren diese Gerichte, entgegen dem Votum einflussreicher Wissenschaftler wie Gneist und Mittermaier, die das englische Modell bevorzugten779, eng an das aus den Rheinprovinzen bekannte französische Verfahren angelehnt.780 Ein Grund hierfür war, dass wegen des oben beschriebenen Primats politischer Erwägungen über den wissenschaftlichen Diskurs und der großen Eile, mit der die Vorgaben der Verfassung erfüllt werden sollten, kein durchdachtes Konzept für die Errichtung von Schwurgerichten vorhanden war.781 Das französische Geschworenengericht hatte den Vorteil, dass es sich bereits in der Praxis bewährt hatte. Darüber hinaus war es gerade das Schwurgericht in seiner rheinischen Form, das unter dem Bürgertum Begeisterung hervorgerufen hatte. Diese Form fand auch die Fürsprache rheinischer Juristen, die in der Diskussion um die Verfahrensreform eine wichtige Rolle spielten, weil mit den Universitäten Bonn, Heidelberg und Freiburg bedeutende Hochschulen auf linksrheinischem Gebiet und damit im Einflussbereich des französischen Rechts lagen.782 Zu der Einführung des französischen Schwurgerichtsmodells gab es folglich unter den gegebenen Umständen keine echte Alternative. Die neu entstandenen Schwurgerichte waren mit zwölf Geschworenen zur Beantwortung der Tatfrage und drei bis fünf Berufsrichtern für die rechtliche Würdigung besetzt.783 In die Zuständigkeit dieser Gerichte fielen schwere Verbrechen sowie die Delikte im Zusammenhang mit der Verbreitung von Druckerzeugnissen.784 Anknüpfend an das rheinische Recht wurden von den meisten deutschen Staaten die Eignungsvoraussetzungen für das Geschworenenamt an einen Vermögens- und Bildungszensus geknüpft. So wie das Parlament die Repräsentation des Bürgertums im politischen Bereich gewährleistete, sollten die Geschworenen die Vertreter der Bürger bei Gericht sein.785 Die Art und Ausgestaltung der diesbezüglichen Regeln war in den einzelnen Landesrechten unterschiedlich. Meist jedoch blieb der Großteil des Volkes von der Rechtsprechung ausgeschlossen.786 779
Kern, Geschichte, S. 75. Benz, Laienrichter, S. 50; Kern, Geschichte, S. 75; Ebert, Jura 1996, 242 (244); Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 273. 781 Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 158; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 91 f. 782 Schwinge, Kampf um die Schwurgerichte, S. 129 ff.; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 92; Ebert, Jura 1996, 242 (244). 783 Wesel, Geschichte, Rn. 291; Kleinfeller, Stellung des Schwurgerichtsvorsitzenden, S. 148; Die Besetzung mit fünf Richtern hatte schon in den linksrheinischen Gebieten bestanden und wurde von Bayern, Preußen und den meisten anderen deutschen Staaten übernommen. In Württemberg, Kurhessen und Braunschweig wurde die Richterbank aus drei Berufsrichtern gebildet; vgl. Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 277. 784 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 31; eingehend: Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 284 ff. m. w. N. 785 Herzog, Krise, S. 24. 786 Ausführlich zu den Anforderungen an die Geschworenen: Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 32 m. w. N.; Kleinfeller, Stellung des Schwurgerichtsvorsitzenden, S. 149.; Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 62 ff.; für Preußen: Collin, ZNR 2001, 195 (196). 780
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
Diejenigen Kreise des Bürgertums, die sich von einem Zensus eine bessere Wahrung ihrer Rechte versprachen, hatten sich folglich durchgesetzt. Die Geschworenenlisten wurden anhand einer von den Gemeinderäten aufgestellten Urliste vom Regierungspräsidenten aufgestellt.787 Im Prozess wurde der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten das Recht zugebilligt, einen Teil der Geschworenen abzulehnen.788 Für einen Schuldspruch wurde zumeist eine qualifizierte Mehrheit gefordert.789 Das gerichtliche Verfahren wurde von dem Präsidenten bzw. Vorsitzenden des Schwurgerichtes dominiert. Zu seinen Einflussmöglichkeiten zählten die Durchführung der Beweisaufnahme und das Recht auf einen Schlussvortrag (Resumé).790 Gerade die Bedeutung des Schlussvortrages war erheblich, weil der Vorsitzende gemäß den gesetzlichen Regelungen der meisten deutschen Länder den Geschworenen auch die für den Fall einschlägigen Gesetze erläutern sollte.791 Die herausgehobene Stellung des Vorsitzenden zeigte sich schließlich auch daran, dass er für die Aufstellung des Fragenkataloges verantwortlich war, nach dem sich die Geschworenen bei ihrer Entscheidungsfindung richten sollten. Mit Hilfe dieser Fragen sollte eine Trennung der rechtlichen von den tatsächlichen Problemen eines Falles bewerkstelligt werden. Die Trennung von rechtlichen und tatsächlichen Fragen wurde aus dem französischen Recht übernommen, obwohl schon Feuerbach ihre praktische Undurchführbarkeit nachgewiesen hatte.792 Mit dem Fragenkatalog wurden sowohl die gesetzlichen Merkmale des Verbrechens als auch die tatsächlichen Umstände seiner Verübung abgefragt. Um den Geschworenen diese Tätigkeit zu erleichtern bzw. zu ermöglichen, gingen die nach 1848 erlassenen Gesetze davon aus, dass eine Frage nach dem Vorliegen von normativen Tatbestandsmerkmalen in eine Frage nach tatsächlichen Verhältnissen umgedeutet werden solle. Diese Forderung sollte praktisch dadurch umgesetzt werden, dass Rechtsbegriffe durch gleichbedeutende Ausdrücke ersetzt wurden, für deren Verständnis keine Rechtskenntnisse nötig waren.793 Für eine weitere Vereinfachung der Fragestellung konnte das Gericht nach seinem Ermessen Eventualbzw. Alternativfragen stellen.794
787 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 274, Gneist, Geschworenengerichte, S. 190 ff.; Schmitz, Schwur- und Schöffengerichte, S. 180. 788 Kern, Geschichte, S. 75. 789 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 277; Kern, Geschichte, S. 76; Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 70 f. 790 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 277; Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 68. 791 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 278. 792 Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 167 ff. 793 Vgl. § 101 der preußischen Verordnung vom 03.01.1849; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 34. 794 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 34; Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 69.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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2. Veränderungen in den Diskussionen der Frage nach der Laienbeteiligung Schon bald nach der Einführung der Geschworenengerichte begann eine Diskussion, die sich kritisch mit der neuen Institution auseinandersetzte. Mit welchen Argumenten die Kritik im Einzelnen vorgetragen wurde und welche Konsequenzen sich daraus ergaben, soll im nachfolgenden Abschnitt erörtert werden.
a) Kritik an den Geschworenengerichten Die Kritik an den Schwurgerichten beruhte zu einem beträchtlichen Teil auf Mängeln bei ihrer rechtlichen Ausgestaltung. In vielen Ländern waren die Schwurgerichte überstürzt und ohne gesetzliche Einbettung in eine ausbalancierte Gesamtkonzeption aus Strafverfahrensrecht und einer entsprechenden Gerichtsverfassung eingeführt worden.795 Weiterhin wurde moniert, dass die Entscheidungen der Jurys ohne Angabe von Gründen erfolgten und daher die Revisibilität eingeschränkt sei bzw. Rechtsirrtümer verdeckt würden.796 Kritisiert wurde außerdem, dass an der Trennung von Tat- und Rechtsfrage trotz der Erkenntnis ihrer praktischen Undurchführbarkeit festgehalten wurde, weil den Geschworenen die Entscheidung von Rechtsfragen nicht zugetraut werde.797 Damit in Verbindung stand eine ablehnende Haltung gegenüber der Art und Weise der Fragestellung an die Geschworenen. Den Geschworenen wurde oftmals neben der Hauptfrage nach dem „schuldig“ oder „nicht schuldig“ eine verwirrende Vielzahl von Alternativund Eventualfragen gestellt. Dies hatte eine weitere Verkomplizierung der Aufgabe für die Geschworenen zur Folge und führte unter anderem dazu, dass mitunter Fragen widersprüchlich beantwortet wurden798. Einwände gegen die Geschworenengerichte wurden auch von politischen Parteien jedweder Couleur vorgebracht. Diejenigen, welche im revolutionären Überschwang der Jahre 1848 und 1849 bereits von einem Volksgericht geträumt hatten, bemängelten, dass die Geschworenen meist der Oberschicht entstammten.799 In diesem Zusammenhang wurde auch der Umstand beanstandet, dass die Auswahl der Geschworenen in der Hand von Regierungsbeamten lag, denen keine unabhängige Auswahl zugetraut wurde.800 Besonders heftige Kritik an den Schwur-
795 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 32; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 94 f. 796 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 40. 797 Ebert, Jura 1996, 242 (244); Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 34; Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 279. 798 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 34; Schwarze, Schwurgericht, S. 32 ff. 799 Collin, ZNR 2001, 195 (205 f.); Gneist, Geschworenengerichte, S. 151. 800 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 32.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
gerichten kam aus dem konservativen Lager.801 Die Schwurgerichte wurden immer noch als revolutionäre Einrichtungen begriffen und als solche von konservativen Kreisen bekämpft. Das führte beispielsweise 1852 zur Abschaffung der Schwurgerichte in Österreich.802 Die konservative Sicht auf die Schwurgerichte wurde dadurch bestätigt, dass es mitunter aufgrund von als übermäßig hart empfundenen Strafandrohungen bei einzelnen Delikten zu juristisch fragwürdigen Freisprüchen kam. Diese entstammten jedoch wohl weniger einer Überzeugung von der Unschuld des Angeklagten als vielmehr der Abneigung, für eine bestimmte schwere Strafe verantwortlich zu sein.803 Solches Verhalten der Geschworenen war besonders in der Zeit der politischen Verfolgung linksliberaler und demokratischer Politiker zu beobachten.804
b) Die Schöffengerichte als alternative Form der Laienbeteiligung Trotz der heftigen Kritik an den Schwurgerichten wurde nur selten eine vollständige Aufgabe der Laienbeteiligung an sich gefordert805. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist demzufolge ein Paradigmenwechsel in der Behandlung der Laienbeteiligung zu konstatieren. An die Stelle der Diskussion über das „Ob“ der Mitwirkung von Laien bei der Strafrechtspflege trat die Auseinandersetzung über das „Wie“. Die Anhänger der Schwurgerichte suchten die Lösung für dieses Problem in einer engeren Anlehnung an das englische Strafverfahren, wie es auch schon Gneist und Mittermaier gefordert hatten.806 Die Schwächen der Schwurgerichte sollten beispielsweise dadurch behoben werden, dass die Trennung von Tat- und Rechtsfrage abgeschafft wurde. Ein weiterer Vorschlag ging dahin, den Geschworenen einen juristischen Berater mit in das Beratungszimmer zu geben807. Die Gegner der Schwurgerichte favorisierten dagegen ein einheitliches Kollegialgericht aus Laien und Berufsrichtern, das schon seit Anfang des 19. Jahr-
801 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 286; leicht differenzierend: Collin, ZNR 2001, 195 (218 f.). 802 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 33. 803 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 32. 804 Insoweit erfüllten die Schwurgerichte also tatsächlich ihre Funktion als Schutz bürgerlicher Freiheit; vgl. zu einigen Beispielen: Kühne, Reichsverfassung der Paulskirche, S. 364; Collin, ZNR 2001, 195 (199 ff.). 805 Vgl. die Übersicht in: Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 88 ff. 806 Vgl. dazu schon oben 1. Teil B. IV. 3. e): Schwurgerichte im rechtswissenschaftlichen Diskurs und 1. Teil B. V. 1. b): Schwurgerichte in den einzelnen deutschen Staaten ab 1849; außerdem Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 77 ff.; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 35. 807 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 35; Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 82.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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hunderts unter der Bezeichnung „Schöffengericht“ bekannt war.808 Für ein derartiges Modell sprach sich beispielsweise Georg Beseler (1809–1888) in seinem Werk „Volksrecht und Juristenrecht“ aus.809 Beseler bezeichnete Schöffengerichte jedoch nur bei Zivilgerichten als notwendig, bei Strafgerichten hielt er sie nur für zweckmäßig.810 Beselers Hauptanliegen war demnach nicht die Ersetzung der Schwurgerichte durch Schöffengerichte, sondern die Durchsetzung seiner Idee vom Volksrecht in der Rechtsprechung.811 Der führende Kopf unter den Protagonisten des Schöffengerichtes war der sächsische Generalstaatsanwalt Friedrich Oskar Schwarze (1816–1886). Schwarze stand grundsätzlich einer Mitwirkung von Laien an Strafverfahren positiv gegenüber, denn das Juristenrecht bedürfe der „Läuterung und Sichtung durch das unmittelbar aus dem frischen Leben (…) herantretende bürgerliche Element“812, die es vor „Erstarrung und unpraktischer Einseitigkeit“813 bewahren solle. Das zentrale Argument in Schwarzes Beweisführung gegen die Schwurgerichte war die praktische Undurchführbarkeit der Trennung von Tat- und Rechtsfrage durch Fragestellung an die Geschworenen.814 Eine Verbesserung dieses Systems durch Anpassung an das englische Recht lehnte Schwarze ab, weil das englische Modell nur unter den besonderen englischen Verhältnissen funktionsfähig sei.815 Schwarze berief sich ferner darauf, dass die Kontrollfunktion, die den Geschworenen zugeschrieben werde, aufgrund der Unabhängigkeit der Berufsrichter unnötig sei. In dem von ihm vorgeschlagenen, kollegial besetzten Gericht erblickte Schwarze eine Möglichkeit, um die von ihm gewünschte Kombination aus den Vorzügen der Laienbeteiligung mit juristischem Fachwissen zu erreichen.816 Damit griff Schwarze den bereits von Beseler genutzten Topos der Synthese zwischen Volksrecht und Juristenrecht wieder auf. Strategisch geschickt wurde zudem das „urdeutsche“ Amt des Schöffen in das neue Gerichtsmodell integriert. Abgesehen von der tatsächlich vorhandenen Ähnlichkeit der Aufgabenbereiche der Schöffen nach altem wie nach 808 Landau schreibt die Entwicklung der Konzeption des Schöffengerichts dem preußischen Regierungsrat Grävell zu, der 1819 ein derartiges Gericht in einer Gegenschrift zu dem Gutachten der Immediat Justizkommission empfohlen hatte; vgl. Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 291. 809 „Das Schwurgericht, wenn auch dem reinen Juristengericht vorzuziehen, steht doch dem Schöffenthume nach, und da wir in Deutschland noch zu wählen haben, so ist für die Einführung des letzteren zu stimmen“. Vgl. Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, S. 280, mit einer ausführlichen Begründung auf den vorhergehenden Seiten. 810 Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, S. 250. 811 So auch: Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 292. 812 Schwarze, Schwurgericht, S. 128. 813 Schwarze, Schwurgericht, S. 111. 814 Schwarze bezeichnet die Fragestellung als „Grundfehler“, gegen den „eine Remedur unmöglich“ sei; vgl. Schwarze, Schwurgericht, S. 133. 815 Unter den besonderen englischen Verhältnissen verstand Schwarze das seiner Meinung nach wenig entwickelte englische Recht; vgl. Schwarze, Schwurgericht, S. 70 ff.; dagegen z. B.: Weidlich, Strafprozessreform, S. 417. 816 Schwarze, Schwurgericht, S. 165.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
neuem Recht ist es durchaus denkbar, dass gerade die Wahl der Bezeichnung für die Laienrichter diesem Amt historische Legitimation verleihen sollte. Die Idee des Schöffengerichtes fand in den deutschen Ländern rasch weite Verbreitung. Seit 1850 gab es Schöffengerichte in Hannover, 1857 wurden sie in Oldenburg eingeführt sowie später beispielsweise in Württemberg (1868) und Baden (1864).817 Die Zuständigkeit dieser Gerichte war auf die Kleinkriminalität, d. h. auf Übertretungen die heutzutage meist als Ordnungswidrigkeiten nicht dem Strafrecht unterliegen, beschränkt.818 Ein Schöffengericht nach den Vorstellungen Schwarzes war auch in der 1868 verabschiedeten revidierten sächsischen Strafprozessordnung für die mittlere Kriminalität vorgesehen. Die sächsischen Schöffengerichte waren mit drei Berufsrichtern und vier Schöffen besetzt.819 Bei der Urteilsberatung entschieden Richter und Schöffen gemeinsam. Die Schöffen hatten allerdings bei der Frage der Strafzumessung kein Mitspracherecht.820 Mit der Etablierung von Schöffengerichten als einer Alternative zu den Schwurgerichten verlief die Frontlinie, die vorher zwischen Gegnern und Befürwortern der Schwurgerichte bestanden hatte, nunmehr zwischen den Anhängern der Schöffengerichte und den Freunden der Schwurgerichte.
c) Historische Rechtsschule und Begriffsjurisprudenz Ein Gegenentwurf zu Beselers Volksrecht und damit eine Ablehnung der Laienbeteiligung wurde von den Vertretern der historischen Rechtsschule und Begriffsjurisprudenz formuliert. Der führende Vertreter der historische Rechtsschule Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) führte die Entstehung und Fortbildung des Rechts auf Kräfte zurück, die nicht mit der Vernunft allein zu ergründen seien, sondern im Stillen wirkten. Savigny schrieb, dass das Recht „erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt wird, überall also durch stillwirkende Kräfte, nicht durch Willkühr eines Gesetzgebers“821. Diese Kräfte lassen sich umschreiben als das Bewusstsein der durch natürliche Momente zu einer Einheit verbundenen Nation822. Das Recht sollte also das Produkt der nationalen und kulturellen Entwicklung eines Volkes und ständig in einem Prozess dynamischer Veränderung begriffen sein.823 Mit diesem Ansatz, stand Savigny ganz in der romantischen Tradition seiner Zeit mit ih817
Liekefett, Die ehrenamtlichen Richter, S. 18; Kempe, Bestrebungen, S. 7. Schmitz, Schwur- und Schöffengerichte, S. 182 f. 819 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 297. 820 Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 297; Liepmann, Erfahrungen, S. 43. 821 Vgl. Savigny, Beruf, S. 13 f. 822 Meder Rechtsgeschichte, S. 277; weiterführend zu Savignys Verständnis der Entscheidungs- und Regelfindung und unter Einbeziehung seines Verhältnisses zu Kants Philosophie: Meder, Urteilen, S. 43 ff. 823 So: Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 451. 818
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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rem Hang zum Mystischen und Irrationalen. Auch die Wiederentdeckung des nationalen Gedankens als eines der geistigen Ergebnisse der Befreiungskriege lässt sich hier erkennen. Obgleich Savigny Sitte und Volksglaube als Quellen des Rechts anführte, gestand er dem Volk als Ganzem nicht die Fähigkeit der Erzeugung von Recht zu.824 Für Savigny entstand das Recht in einem dreistufigen Entwicklungsgang „erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz“.825 Sitte und Volksglaube sollten dabei nur die Grundlage bilden, aus der die Jurisprudenz das Recht mit Hilfe ihrer wissenschaftlichen Methoden gewissermaßen herauspräparieren sollte. Eine Mitwirkung des Volkes an diesem Prozess war für Savigny unnötig, da die Juristen als Interpreten von Sitte und Volksglaube und damit als deren Repräsentanten auftraten. Den Gesetzgeber erachtete Savigny für unfähig zur Erzeugung von Recht. Aus seiner Sicht waren die Kodifikationen, insbesondere das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, misslungen. Savigny ging von einer realen Existenz der Rechtsbegriffe aus. Aufgabe der Juristen sollte es sein, diese für Savigny objektiv vorhandenen und als unwandelbar verstandenen Begriffe zu erkennen und zu analysieren.826 Der nach Savigny bedeutendste Vertreter der historischen Rechtsschule und dessen Nachfolger auf seinem Lehrstuhl war Georg Friedrich Puchta (1798–1846). Puchta entwickelte für die „stillwirkenden Kräfte“, aus denen Savigny zufolge das Recht erzeugt wird, den Begriff des „Volksgeistes“827. Die Juristen betrachtete Puchta als die einzig legitimen Repräsentanten des sogenannten „Volksgeistes“ und ging damit den bereits von Savigny beschrittenen Weg einer Monopolisierung des Rechts bei den Juristen weiter.828 Für ihn war der wissenschaftlich geschulte Jurist das „Organ des Volkes“ bei der Rechtserzeugung.829 Dies ergab sich aus der Lehre Puchtas, nach der einzelne Rechtsätze von einer übergeordneten „Rechtsidee“ in mehreren Schritten deduzierbar seien sollten830. Dem gelehrten Juristen eignete nach Puchta die Fähigkeit, innerhalb dieses Systems von Rechtssätzen aus Ableitungen das Recht zu finden. Auf diese Weise wurde Recht zu einem reinen Produkt der Begriffslogik und folglich für einen Nichtjuristen weitgehend unverständlich, so dass eine Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung sowohl in Form der Schwur- als auch der Schöffengerichte nach dieser Lehre ausgeschlossen war. 824 Wesel, Geschichte, Rn. 281; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 452; zum Begriff des Volkes bei Savigny vgl.: Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 392 f.; weiterführend zu Savigny und zur zeitgenössischen Auseinandersetzung mit seinen Ideen: Senk, Rechtsdenken, S. 361 ff. und 377 ff. 825 Haferkamp, Puchta, S. 169. 826 Hattenhauer, Thibaut und Savigny, S. 47. 827 Vgl. weitergehend zum Inhalt dieses Begriffes: Bohnert, Rechtslehre Puchtas, S. 43 ff.; sowie insbesondere zu dessen Begriffs- und Ideengeschichte: Hattenhauer, Thibaut und Savigny, S. 91 m. w. N. 828 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 399. 829 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 458. 830 Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 460.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
3. Die Laienbeteiligung im Kaiserreich Am 1. Oktober 1879 traten die Reichsjustizgesetze in Kraft. Damit wurden erstmals einheitliche Regeln für das Strafverfahren in ganz Deutschland geschaffen.831 Mit dem, am 27. Januar 1877 verabschiedeten, neuen Gerichtsverfassungsgesetz (GVG 1877)832 und der Reichsstrafprozessordnung (RStPO) vom 1. Februar 1877 wurde die Laienbeteiligung in der Strafrechtspflege umfassend geregelt. Der nachfolgende Abschnitt stellt zunächst den wesentlichen Inhalt der Beratungen zu diesen Gesetzen dar, um so zu zeigen, wie der Prozess der Gesetzgebung von der Auseinandersetzung um die Ausgestaltung der Laienbeteiligung geprägt war. Anschließend werden exemplarisch einzelne Regelungen des Rechtes der Laienbeteiligung besprochen. Schließlich folgt eine Darstellung der weiteren Reformdiskussion.
a) Die Beratungen zu den Reichsjustizgesetzen und ihre Ergebnisse für die Frage der Laienbeteiligung Die ersten Entwürfe für das GVG (1877) sahen eine Abschaffung der Schwurgerichte zugunsten von Schöffengerichten und ausschließlich mit Berufsrichtern besetzten Strafkammern vor.833 Dieses Vorhaben konnte sich jedoch im liberal dominierten Reichstag nicht durchsetzen. Zu frisch war noch die Erinnerung an den Kampf um die Schwurgerichte. Die Liberalen waren nicht bereit, ihr „Palladium der bürgerlichen Freiheit“ aufzugeben. Zwischen den Kreisen, die das Schöffengericht bevorzugten, und den Befürwortern des Schwurgerichts wurde daher ein Kompromiss gefunden, in dem beide Formen der Laienbeteiligung nebeneinander standen.834 Die Zuständigkeit der Schwurgerichte wurde infolge dieses Kompromisses auf die schwersten Verbrechen eingeengt.835 Wie weit von der ursprünglichen Konzeption der Paulskirchenverfassung bereits abgewichen worden war, lässt sich exemplarisch an der Behandlung der Pressevergehen erkennen. Bis zur dritten Lesung des späteren GVG waren diese Delikte noch den Schwurgerichten zugewiesen gewesen. Nachdem der Bundesrat eine solche Regelung jedoch abgelehnt hatte, wurde schließlich in § 6 EGGVG (1877) denjenigen Ländern, die noch die Zuständigkeit von Schwurgerichten für Pressevergehen kannten, gestattet, diese beizu831
Schmidt, Einführung, § 299; Sellert, JuS 1977, 781 (785). RGBl. 1877, S. 41. 833 Kern, Geschichte, S. 88; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 40; Grube, Richter ohne Robe, S. 58; Hegen, Entwicklung der Schwurgerichte, S. 97. 834 Kühne, Reichsverfassung der Paulskirche, S. 365; Schmitz, Schwur- und Schöffengerichte, S. 185 – eingehend zu den Beratungen über die Reichsjustizgesetze: Ebert, Jura 1996, 242 (245). 835 Vgl. § 80 GVG (1877); näheres siehe: Kern, Geschichte, S. 108 f. 832
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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behalten.836 Im übrigen Reichsgebiet waren somit Pressevergehen von der Zuständigkeit der Schwurgerichte ausgenommen. Der Kompromisscharakter des GVG (1877) wird weiter dadurch unterstrichen, dass es mit rein berufsrichterlich besetzten Strafkammern neben den Schwurgerichten und den Schöffengerichten eine dritte Form der erstinstanzlichen Gerichte beinhaltete. Die Strafkammern waren für die mittelschwere Kriminalität zuständig und bestanden aus fünf Berufsrichtern.837 Diese Kammern waren außerdem zuständig für die Entscheidung über Berufungen gegen Urteile der Schöffengerichte. Für Hoch- und Landesverrat war das, ebenfalls mit Berufsrichtern besetzte, Reichsgericht zuständig.838 Damit war ein bedeutender Teil der Strafgerichtsbarkeit als Ganzes der Rechtsprechung mit Laienbeteiligung entzogen. Diese Beobachtung legt zusammen mit dem oben Gesagten den Schluss nahe, dass der Kompromiss, auf dem die Reichsjustizgesetze beruhten, deutlich zuungunsten der Befürworter einer Laienbeteiligung ausgefallen war.839
b) Die Laienbeteiligung in den Reichsjustizgesetzen Bei der Auswahl der Geschworenen beziehungsweise der Schöffen bestand keinerlei Zensus.840 Die Befähigung zum Amt des Laienrichters, wobei zwischen Schöffen und Geschworenen kein Unterschied gemacht wurde, besaß grundsätzlich jeder männliche deutsche Staatsbürger über 30 Jahre. Unfähig zur Amtsausübung waren beispielsweise solche Personen, denen durch Gerichtsurteil die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden waren.841 Als Untauglichkeitsgrund galt insbesondere eine Unvereinbarkeit der beruflichen Stellung, z. B. als Beamter, mit dem Amt eines Laienrichters.842 Die Geschworenengerichte wurden unter der Bezeichnung „Schwurgerichte“ eingeführt. Sie waren mit drei Berufsrichtern (dem Gericht im Sinne der RStPO) und zwölf Geschworenen (der Geschworenenbank) besetzt und tagten periodisch 836
Hahn, Materialien I, S. 1479; Kühne, Reichsverfassung der Paulskirche, S. 366; Ebert, Jura 1996, 242 (246). 837 Vgl. § 77 GVG (1877); für die Zuständigkeit der Strafkammern: §§ 73 ff. GVG (1877). 838 Vgl. § 136 GVG (1877); Das Reichsgericht wurde am 01.10.1879, dem Tag, an dem die Reichsjustizgesetze in Kraft traten, errichtet. Der Dienstsitz des Reichsgerichts war Leipzig. Es bestand bis zum endgültigen Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945; vgl. weiterführend zur Geschichte des Reichsgerichts: Kern/Schmidt-Recla, Reichsgericht. 839 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 105. 840 Vgl. § 85 GVG (1877); Für den durch die Teilnahme an den Verfahren entstehenden Verdienstausfall wurden keinerlei Entschädigungen gezahlt. Da eine Ablehnung des Amtes wegen finanzieller Überlastung möglich war, wirkte dies wie ein faktischer Zensus; vgl. Kern, Geschichte, S. 111; Benz, Laienrichter, S. 54; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 44; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 100. 841 Vgl. § 33 GVG (1877). 842 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 101.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
vier Mal im Jahr.843 Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung waren berechtigt, vor der Hauptverhandlung so viele der geladenen potentiellen Geschworenen ohne Angabe von Gründen abzulehnen, bis die Mindestzahl von zwölf Geschworenen übrig blieb.844 Die Trennung von Tat- und Rechtsfrage war aufgehoben worden, so dass die Geschworenen über die Schuld des Angeklagten sowie über das Vorhandensein von mildernden Umständen entschieden.845 Der Strafausspruch, sowie Entscheidungen über prozessuale Fragen oblagen ausschließlich den Berufsrichtern.846 Obgleich die Trennung von Tat- und Rechtsfrage beseitigt worden war, behielt die RStPO den Fragenkatalog als Entscheidungsleitlinie für die Geschworenen bei. Die Fragen wurden nach der Beweisaufnahme vom Vorsitzenden formuliert und öffentlich vorgetragen.847 Nach den anschließenden Plädoyers zur Schuldfrage erteilte der Vorsitzende den Geschworenen eine Rechtsbelehrung. Die Belehrung sollte rein akademisch sein: ohne Bezugnahme auf den vorliegenden Fall und ohne würdigend auf die Beweise einzugehen.848 Die Geschworenen zogen sich anschließend unter der Leitung eines aus ihren Reihen gewählten Obmannes zur Beratung zurück, um über die Fragen abzustimmen. Für Entscheidungen, die für den Angeklagten nachteilig waren, war eine Stimmenmehrheit von Zweidritteln nötig, für die Verneinung mildernder Umstände genügte dagegen eine einfache Mehrheit.849 Die Schöffengerichte waren an den Amtsgerichten angesiedelt und bestanden aus einem Berufsrichter und zwei Schöffen.850 Die Zuständigkeit dieser Gerichte entsprach in etwa der des heutigen Amtsrichters851, der seinerzeit in Strafsachen noch nicht als erkennendes Gericht zuständig war. Die Schöffen waren den Berufsrichtern bei der Art der Amtsausübung und der Abstimmung über die Schuldfrage gleichgestellt. Während der Verhandlung hatten die Schöffen das Recht, Fragen an Zeugen und Sachverständige zu richten und beim Vorsit843 Vgl. §§ 81; 82 GVG (1877); §§ 278 ff. RStPO; Kleinfeller, Stellung des Schwurgerichtsvorsitzenden, S. 155. 844 Sog. peremptorisches Ablehnungsrecht; vgl. § 282 ff. RStPO; Vor der Hauptverhandlung wurden 30 Geschworene geladen, die Auslosung konnte stattfinden, wenn mindestens 24 erschienen waren; vgl. § 280 RStPO. 845 Vgl. § 81 GVG (1877); §§ 293 ff. RStPO; Schäfer, Beiträge, S. 268; Benz, Laienrichter, S. 55; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 103. 846 Benz, Laienrichter, S. 55; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 103. 847 Vgl. §§ 290 ff. RStPO; ausführlich zur Fragestellung: Rittler, Feststellung, Wahrspruch und Urteil, S. 490 ff.; Schäfer, Beiträge, S. 290 ff.; Kleinfeller, Stellung des Schwurgerichtsvorsitzenden, S. 174 f.; Besonders bei komplizierten Strafsachen, wie etwa bei Wirtschaftskriminalität, war der Fragebogen oft sehr umfangreich und schwer zu formulieren, so dass er mitunter ein „juristisches Kunstwerk“ genannt wurde; vgl. Hartung, ZStW 82 (1970), 601 (605). 848 Vgl. § 300 RStPO; Hartung, ZStW 82 (1970), 601 (606); Kleinfeller, Stellung des Schwurgerichtsvorsitzenden, S. 177 ff. 849 Vgl. §§ 307; 297 II RStPO. 850 Vgl. § 26 GVG (1877); zu Einzelheiten siehe: Benz, Laienrichter, S. 53 f. 851 Zur Zuständigkeit vgl. § 27 GVG (1877).
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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zenden Fragen an den Angeklagten anzuregen.852 Die Entscheidungen, welche im Laufe der Hauptverhandlung zu fällen waren und in keiner Beziehung zum Urteil standen, trafen Richter und Schöffen gemeinsam.853 Die außerhalb der Hauptverhandlung zu treffenden Entscheidungen oblagen hingegen dem Richter allein.854 Zur Bejahung der Schuldfrage war eine Mehrheit von Zweidritteln notwendig.855
c) Weitere Entwicklung und Reformdiskussion im Kaiserreich Während der Beratungen zur Verabschiedung des GVG (1877) hatte der damalige preußische Justizminister Leonhardt den Abgeordneten des Reichstages prophezeit, dass „das Institut der Jury dem Abend seines Lebens entgegengeht und dass in der Morgendämmerung die Schöffengerichtsverfassung liegt“856. Seit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze bestand die Gelegenheit zu einem direkten Vergleich zwischen den beiden Modellen der Laienbeteiligung. Die nächsten beiden Absätze beschäftigen sich mit der Frage, ob die Aussage Leonhardts zutreffend war und wie sich das Ergebnis des Vergleiches zwischen Schöffen- und Geschworenengerichten resümieren lässt.
aa) Wachsende Kritik an den Schwurgerichten Foren der Auseinandersetzung, welcher Form der Laienbeteiligung der Vorzug zu geben sei, waren insbesondere die Juristentage der Jahre 1886 und 1892. Es bestand zwar unter den Juristen Einigkeit darüber, dass das Nebeneinander von Schwur- und Schöffengerichten reformbedürftig war, jedoch fand sich keine Mehrheit für eine Beschränkung auf Schwurgerichte oder auf Schöffengerichte.857 Die Sympathien der meisten deutschen Rechtswissenschaftler gehörten inzwischen den Schöffengerichten858, so dass Liepmann, einer der Befürworter von Schwurgerichten, 1908 feststellte: „Wer heute als Berufsjurist für die Beibehaltung der Schwurgerichte kämpft, wird in weiten Kreisen seiner Fachgenossen als Outsider und unpraktischer „Ideologe“ betrachtet“859. Die Institution der Schwurgerichte wurde insbesondere aufgrund folgender Bedenken kritisiert: Wegen des peremptorischen Ablehnungsrechtes würden der Be852 853 854 855 856 857 858 859
Vgl. §§ 239 II, 240 II RStPO. Vgl. §§ 26, 30 I GVG (1877). Vgl. §§ 30 II GVG (1877). Vgl. § 262 I RStPO. Zit. nach: Schwoerer, Reform, S. 88. Vgl. Kempe, Bestrebungen, S. 57 f; Grube, Richter ohne Robe, S. 60. Gegen Schöffengerichte argumentiert z. B.: Liepmann, Reform, S. 190 ff. Liepmann, Erfahrungen, S. 35.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
setzung der Geschworenenbank sachfremde Erwägungen zugrunde liegen860. Weiterhin könne wegen der Trennung von Schuld- und Straffrage die individuelle Schuld des Täters bei der Strafzumessung nicht angemessen berücksichtigt werden, weil der Spruch der Geschworenen keine Rückschlüsse auf ihre Gründe zulasse. Durch die fehlende Begründung des Schuldurteils der Geschworenen werde auch die Überprüfung im Wege der Revision erschwert.861 Aufgrund des Mangels an Überprüfungsmöglichkeiten von Sprüchen der Geschworenengerichte war es nach Ansicht ihrer Kritiker besonders schwerwiegend, dass die Geschworenen den komplexen Rechtsproblemen bei der Beantwortung der Schuldfrage nicht gewachsen seien.862 Im Zusammenhang mit der fehlenden fachjuristischen Anleitung und Beaufsichtigung der Geschworenen in der Beratung führe dies häufig zu ungerechtfertigten Freisprüchen aufgrund von politischen Neigungen oder fehlender Sensibilität für Unrecht.863 Schließlich wurde auf den immensen organisatorischen und finanziellen Aufwand zur Durchführung einer Schwurgerichtsverhandlung hingewiesen. Diese Argumentation zeigt eine Rückkehr zur „rein juristischen Betrachtung“ der Problematik der Laienbeteiligung in der Tradition des feuerbachschen Gedankens von der Unterscheidbarkeit einer politischen und einer juristischen Seite der Laienfrage.864 Die Bedeutung offen politisch motivierter Argumente im Diskurs war zurückgegangen, wenngleich frühere politische Begründungen als juristische Argumente weiter verwendet wurden. Dies geschah beispielsweise mit dem Topos der Gefahr von Fehlurteilen durch Geschworene. Diese Kontinuität in den Kritikpunkten, trotz Verbesserungen, wie der Aufhebung der Trennung zwischen rechtlicher und faktischer Entscheidung, ist ein weiteres Kennzeichen der Diskussion um die Laienbeteiligung im Kaiserreich.
bb) Reformansätze Erste Bemühungen um eine Reform wurden am bereits Ende des 19. Jahrhunderts in die Wege geleitet, als die Reichsregierung jeweils 1885 und 1894 Gesetzentwürfe vorlegte, welche eine Herabsetzung der Geschworenenzahl auf sieben Personen vorsahen.865 Diese Entwürfe scheiterten jedoch. 860
Liepmann, Reform, S. 194 ff.; Kahl, Schwur- oder Schöffengerichte?, S. 11. Kahl, Schwur- oder Schöffengerichte?, S. 23 ff.; Die fehlende Begründung schloss eine Sachrüge weitgehend aus. Weil auch die Rechtsbelehrung durch den Vorsitzenden nicht revisibel war, hatte praktisch nur eine Verfahrensrüge Aussicht auf Erfolg; vgl. Kern, Geschichte, S. 128; Kempe, Bestrebungen, S. 19; Kleinfeller, Stellung des Schwurgerichtsvorsitzenden, S. 183 f. 862 Hoegel, Geschworene oder Schöffen, S. 58. 863 Hoegel, Geschworene oder Schöffen, S. 50 f. 864 Vgl. dazu oben 1. Teil B. IV. 3. a): Feuerbachs Gedanken zu Geschworenengerichten; ferner: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 108 f. 865 Schwoerer, Reform, S. 81; Grube, Richter ohne Robe, S. 60; Kern, Geschichte, S. 128. 861
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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Ab 1902 wurde an einer umfassenden Reform der Gerichtsverfassung gearbeitet. Die zu diesem Zweck einberufene Kommission aus Sachverständigen bekannte sich in ihrem 1905 veröffentlichten Gutachten grundsätzlich zur Laienbeteiligung.866 Es wurde betont, wie fruchtbar der Gedankenaustausch zwischen Laien und Juristen in einem kollektiven Gremium sei und wie hemmend sich eine Trennung auswirke.867 Die Laienbeteiligung sollte daher künftig auf Schöffengerichte beschränkt sein und nicht mehr in der Form von Geschworenengerichten stattfinden.868 Aus diesen Gründen empfahl die Kommission eine Umwandlung der Schwurgerichte und Strafkammern in Schöffengerichte, wobei die bisherigen Schwurgerichte als große Schöffengerichte mit drei Richtern und sechs Geschworenen ausgestaltet werden sollten.869 Das Gutachten löste heftige Reaktionen und Sympathiekundgebungen für die Schwurgerichte aus.870 Die Anziehungskraft der Schwurgerichte war noch zu stark, als dass der überwiegende Teil der Bevölkerung bereit gewesen wäre, auf sie zu verzichten. Dem öffentlichen Druck gab die Reichsregierung nach und traf gegen den juristischen Meinungsstand die politische Entscheidung, die Schwurgerichte beizubehalten. Der im Jahre 1908 vorgelegte Entwurf zur Reform des GVG (1877) sah folglich weiterhin Schwurgerichte vor.871
4. Entwicklungen in der Weimarer Republik Nachdem der Erste Weltkrieg und die politischen Wirren in der Zeit der Gründung der Weimarer Republik die Bemühungen um eine Reform des Rechts der Laienbeteiligung zum Stillstand gebracht hatten, lebten sie nach 1920 wieder auf. Das nachfolgende Kapitel stellt zunächst diese Reformdiskussion dar und untersucht danach die durch die so genannte Emminger Verordnung (Lex Emminger) bewirkte Abschaffung der Schwurgerichte. Dabei steht im Mittelpunkt die Frage nach den Reaktionen, welche dieser gravierende Eingriff nach sich zog und den Rückschlüssen, die sich daraus für den damaligen Zustand der Laienbeteiligung ziehen lassen.
866 „Die Kommission war einhellig der Meinung, daß die Mitwirkung der Laien an der Strafrechtspflege in hohem Grade nützlich sei und daß angesichts der allgemeinen im Volk herrschenden Rechtsüberzeugung die Mitwirkung nicht entbehrt werden kann.“ zit. nach: Katte, Fachgerichte, S. 625. 867 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 42. 868 Kahl, Schwur- oder Schöffengerichte?, S. 8. 869 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 42. 870 Kahl, Schwur- oder Schöffengerichte?, S. 10; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 42. 871 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 43; dieser Entwurf trat jedoch nie in Kraft; vgl. Schmidt, Einführung, § 339.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
a) Reformversuche zwischen 1918 und 1924 Im Jahr 1920 stellte das Reichsjustizministerium Entwürfe zur Novellierung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung vor, die an den Schwurgerichten in ihrer überkommenen Form festhielten.872 Diesen Entwürfen zufolge sollte neben die Schwurgerichte eine durchgehende Schöffengerichtsverfassung treten, bei der auch Berufungsgerichte als Schöffengerichte gestaltet werden sollten. Nachdem dieser Entwurf im Reichsrat keine Zustimmung gefunden hatte, wurde 1922 ein weiterer Entwurf zur Reform der Strafprozessordnung vorgelegt, der eine direkte Wahl und damit eine demokratische Legitimation der Laienrichter vorsah.873 Da auch dieser Entwurf nicht umgesetzt wurde, blieb die einzige substantielle Veränderung im Recht der Laienbeteiligung, die seit 1922 geltende Zulassung von Frauen für das Amt eines Laienrichters.874 Der Frauenanteil in einem Geschworenengremium durfte jedoch eine bestimmte Quote nicht überschreiten, so dass die Verwirklichung der Gleichberechtigung hier nur ansatzweise erfolgte.875 Gleichwohl war die Anerkennung von Frauen als Schöffen bzw. Geschworene in Verbindung mit der noch im Kaiserreich erfolgten Einführung der Zahlung von Tagegeldern für die Ausübung des Geschworenen- und des Schöffenamtes876 ein bedeutsamer Schritt hin zur Öffnung dieser Ämter für das ganze Volk. Im Zentrum lebhafter Kritik stand während der Zeit der Weimarer Republik die Praxis der Auswahl der Geschworenen und der Schöffen. Die dadurch hervorgerufene einseitige Besetzung der Geschworenenbänke und Strafkammern forderte wiederholt den Vorwurf heraus, die Gerichte stünden für eine Klassenjustiz.877 Der Anteil von Arbeitern betrug von 1927 bis 1932 im Schnitt nie mehr als 26 % der Laienrichter.878 Entsprechend gering war auch das Vertrauen der Arbeiter in die Unparteilichkeit der mit Laien besetzten Gerichte. Die Ursache für die Einseitigkeit der Besetzung lag im Wahlverfahren, das dem Amtsrichter als Vorsitzenden des Wahlausschusses viel Entscheidungsspielraum gab und den Schwurgerichten bereits in der Kaiserzeit den Ruf eines „männlichen Honoratiorengremiums“ eingebracht hatte.879 872
Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 45; Hartung, ZStW 82 (1970), 601 (602). 873 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 47. 874 Vgl. das Gesetz über die Heranziehung der Frauen zum Schöffen und Geschworenenamt vom 25. April 1922 (RGBl. I 1922 S. 465); obwohl dies vom Gleichheitsgrundsatz der Weimarer Reichsverfassung (Art. 109 II WRV) vorgeschrieben war, regte sich gerade dagegen sehr heftiger Widerstand; vgl. dazu: Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 46 f.; Benz, Laienrichter, S. 57; Kern, Geschichte, S. 156. 875 Benz, Laienrichter, S. 57. 876 Die Einführung von Tagegeldern erfolgte durch eine Verordnung vom 2. August 1913 (RGBl. 1912 S. 618) auf der Grundlage eines Gesetzes vom 29. Juli 1913 (RGBl. 1913, S. 617). 877 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 51; Herzog, Krise, S. 24. 878 Vgl. Rüping, JR 1976, 269 (270). 879 Näher dazu: Vormbaum, Lex Emminger, S. 132, 147; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 52, Kempe, Bestrebungen, S. 21 f.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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b) Die Abschaffung der Schwurgerichte Das Krisenjahr 1923 hatte für die Weimarer Republik enorme finanzielle Belastungen mit sich gebracht. Zudem waren die politischen Verhältnisse derart kompliziert, dass sich die Regierung gezwungen sah, teilweise auf dem Verordnungswege weit reichende Entscheidungen zu treffen. Derartige Verordnungen fanden ihre Grundlage in Ermächtigungsgesetzen, die der Reichstag beschloss. Auf der Grundlage eines solchen, am 8. Dezember 1923 vom Reichtag verabschiedeten, Ermächtigungsgesetzes880 erließ Reichsjustizminister Erich Emminger am 4. Januar 1924 die „Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege“881, durch welche die Ausgestaltung der Laienbeteiligung in Deutschland grundlegend verändert wurde. Durch diese Verordnung, die in der Folge auch unter der Bezeichnung Lex Emminger bekannt werden sollte, wurde zunächst für den Zeitraum vom 15. Januar bis zum 31. März 1924 die Laienbeteiligung an deutschen Gerichten vollständig suspendiert. Diese Maßnahme wurde mit der finanziellen Notlage des Reiches begründet, die einschneidende Maßnahmen erfordere, um einen drohenden Zusammenbruch des Justizsystems abzuwenden.882 Dasselbe Argument wurde bemüht, um die über den 31. März 1924 hinaus geltende Abschaffung der Schwurgerichte zu rechtfertigen. Die Bezeichnung Schwurgericht wurde zwar beibehalten, an seine Stelle trat jedoch ein Spruchkörper, der nach dem Prinzip eines Schöffengerichts arbeitete. In diesem Gericht urteilten drei Berufsrichter gemeinsam mit sechs Geschworenen und berieten kollegial über Schuld- und Straffrage883, wie es schon die Kommission von 1905 gefordert hatte. Eine weitere Neuerung war die Ausweitung der Beteiligung von Schöffen auf die bisher ausschließlich mit Berufsrichtern besetzten Strafkammern, die in Berufungsverfahren gegen Urteile des Amtsgerichtes entschieden.884 Dieser Ausdehnung der Zuständigkeit der Schöffen an den Landgerichten stand jedoch eine starke Beschneidung des Zuständigkeitsbereiches von Laien an den Amtsgerichten gegenüber. Durch die EmingerVO wurde nämlich erstmals eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Amtsrichters als erkennendem Einzelrichter in Strafsachen (Strafrichter) begründet.885 Er entschied künftig gem. § 7 EmmingerVO bei Übertretungen sowie gem. § 8 EmmingerVO bei Privatklagedelikten, Vergehen mit einer Strafdrohung von weniger als 6 Monaten und auf Antrag der Staatsanwaltschaft auch bei Vergehen mit einer Strafdro880
RGBl. I 1923 S. 1179. RGBl. I 1924 S. 15 ff. 882 Rüping/Jerouschek, Grundriß, S. 89; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 48. 883 Vgl. § 12 EmmingerVO. 884 Als Kleine Strafkammern (ein Berufsrichter und zwei Schöffen) entschieden diese Spruchkörper über Berufungen gegen Urteile des Amtsrichters und als große Strafkammern (drei Berufsrichter und zwei Schöffen) über Berufungen gegen Urteile des Schöffengerichts; vgl. § 11 EmmingerVO. 885 LR-Siolek, § 24 GVG Rn. 1. 881
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
hung von weniger als einem Jahr allein. Weil spiegelbildlich dazu eine Eingrenzung der Zuständigkeit der Schöffengerichte an den Amtsgerichten erfolgte, wurde der überwiegende Teil der Alltagskriminalität nunmehr ohne Laienbeteiligung abgeurteilt.886 Nachdem um die Geschworenengerichte so erbittert gerungen worden war, mutet es als eine besondere Ironie der Geschichte an, dass ihre Abschaffung auf dem Verordnungswege ohne Widerstand gelang. Dies insbesondere deshalb, weil sich das Kostenargument leicht als Scheinbegründung identifizieren lässt887. Äußerlich wurde zwar der Stand der juristischen Diskussion in geltendes Recht umgesetzt, intern spielten jedoch handfeste politische Motive eine gewichtige Rolle. Hartung nennt als einen Beweggrund für die Reform die, aufgrund der sozialen Probleme der Nachkriegs- und Inflationszeit entstandene, Massenkriminalität, für deren Bekämpfung schnellere, effektivere Verfahren geschaffen werden mussten.888 Dies ist nicht von der Hand zu weisen. Eine mindestens ebenso wichtige Rolle dürfte jedoch die Tendenz gespielt haben, die Schwurgerichte mit liberalem bzw. politisch links stehendem Gedankengut zu identifizieren, die nach jahrzehntelanger ideologisch aufgeladener Diskussion weit verbreitet war.889 Nachdem die Zulassungskriterien für das Geschworenenamt liberalisiert worden waren, verstärkte sich diese Tendenz. Links stehende Parteien knüpften nämlich an die Verbreiterung der Basis des Geschworenenamtes die Hoffnung, die Geschworenenbank würde ihre bürgerliche Ausrichtung ablegen.890 Dies weckte bei der konservativen Reichsregierung die Befürchtung, die Schwurgerichte könnten von diesen Parteien und Gruppierungen als politisches Kampfinstrument missbraucht werden. Die dadurch hervorgerufene zusätzliche politische Relevanz der Geschworenengerichte verstärkte mit Sicherheit den Entschluss, die lange gehegten Pläne zur Beseitigung dieser Einrichtung in die Tat umzusetzen. Besonders in Anbetracht der Art und Weise und der Tiefe des Einschnittes in die Gerichtsverfassung blieb die Kritik sehr verhalten und die Reaktion war überwiegend positiv.891 Zum einen kann dies damit erklärt werden, dass die politische Lage durch die Währungsreform und den Abbruch des passiven Widerstandes gegen die französische Besetzung des Rheinlands sehr kompliziert war892. Das schnelle Verschwinden kritischer Stimmen aus den Schlagzeilen ist daher angesichts immer 886
Vgl. Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 49. Vormbaum, Lex Emminger, S. 141; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 115; Herzog, Palladium, S. 344. 888 Hartung, ZStW 82 (1970), 601 (603). 889 Vormbaum, Lex Emminger, S. 142 ff.; anders: Schmitz, Schwur- und Schöffengerichte, S. 185, welche die „Frage nach einer sinnvollen Ausgestaltung des Laienelements an der deutschen Rechtspflege“ als zentral ansieht. 890 Vormbaum, Lex Emminger, S. 147; Hadding, Schwurgerichte in Deutschland, S. 71, 73 ff. 891 Ausführlich: Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 50; Kern, Geschichte, S. 163; Vormbaum, Lex Emminger, S. 59 ff. 892 Hartung, ZStW 82 (1970), 601 (603). 887
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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neuer Meldungen nicht verwunderlich. An der fast vollständigen Abwesenheit von negativen Reaktionen auf die Emminger Verordnung lässt sich jedoch auch ablesen, in welchem Maß die Schwurgerichte an Rückhalt verloren hatten, nachdem sie zunächst als „Palladium der bürgerlichen Freiheit“ so viel Unterstützung erfahren hatten. Insbesondere das Argument einer notwendigen Kontrolle der Berufsrichterschaft durch die Geschworenen hatte viel Gewicht verloren, weil die Berufsrichter seit 1850 in Herkunft und Selbstverständnis zu einem Teil der bürgerlichen Gesellschaft geworden waren.893 Ferner war das Geschworenengericht offenbar nie zu einem integralen Bestandteil der Rechtskultur geworden.894 Letztlich fehlte den Geschworenengerichten auch die politische Lobby, da sie von den Parteien des rechten Spektrums wegen ihrer Entstehungsgeschichte als revolutionär wahrgenommen wurden und den linken Kräften wegen ihrer personellen Zusammensetzung als reaktionär galten. Die Tatsache, dass die Schwurgerichte juristisch umstritten waren, bot ihren Gegnern zudem eine gute Argumentationsbasis.895 Schließlich bot sich das allgemein gelobte Modell der Schöffengerichte als Alternative für diejenigen an, welche auf eine Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege nicht verzichten mochten. Mit der Reform der Gerichtsverfassung durch die Lex Emminger begann der „Siegeszug des Schöffengerichts“896 in Deutschland.
5. Zusammenfassung Mit der Einführung der Schwurgerichte nach 1848 war eine Hauptforderung des politischen Liberalismus erfüllt worden. Dem politischen Rausch folgte jedoch ein „juristischer Katzenjammer“897. Obwohl sie insbesondere von der liberalen Bewegung zunächst begrüßt worden waren, wurden die Schwurgerichte im gerichtlichen Alltag nie besonders geliebt. Als Gründe dafür konnten hier Mängel in den dogmatischen Vorarbeiten und die daraus folgenden Defizite bei der praktischen Arbeit der Schwurgerichte ausgemacht werden. Zu der wachsenden Unbeliebtheit der Schwurgerichte trug auch der direkte Vergleich mit den Schöffengerichten als einem weithin gepriesenen Modell der Laienbeteiligung bei. Angesichts dessen kann es nicht verwundern, dass die Schwurgerichte in der Weimarer Republik schließlich abgeschafft wurden. Übrig blieben Schöffengerichte als einzige Form der Laienbeteiligung. Dieser Befund macht jedoch auch klar, dass sich die Beteiligung juristischer Laien an der Strafrechtspflege nach den Diskussionen des 19. Jahrhunderts fest etabliert hatte.
893 So: Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S.303; zustimmend: Schmitz, Schwurund Schöffengerichte, S. 185. 894 Vormbaum, Lex Emminger, S. 146. 895 Vormbaum, Lex Emminger, S. 146. 896 Jescheck, Laienrichtertum in der Strafrechtspflege, S. 235. 897 So Liepmann, Reform, S. 163.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
VI. Laienbeteiligung im Dritten Reich Der völkischen Ideologie der Nationalsozialisten stand der Gedanke einer umfassenden Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung grundsätzlich nahe.898 Zwar lehnten die Nationalsozialisten die Laienbeteiligung als demokratisches Element der Rechtsprechung ab, dagegen sollten die Schöffen das unverbildete „gesunde Volksempfinden“ als „wichtigste Erkenntnisquelle des Rechts“899 in die Gerichte tragen. Insoweit wurde die Strafrechtspflege als Angelegenheit aller Volksgenossen betrachtet. In der Zusammenarbeit zwischen Berufsrichtern und Laien, wie sie an den Schöffengerichten praktiziert wurde, erblickte man die Möglichkeit des Ausgleichs zwischen der formalrechtlichen Denkweise des Juristen und dem ursprünglichen Rechtsgefühl des Volkes.900 Der Unterschied zwischen dieser Auffassung und der im 19. Jahrhundert von Beseler verfochtenen Synthese von Volksrecht und Juristenrecht bestand in der ideologischen Relevanz des nationalsozialistischen Volksrechtsbegriffes. Die bisher an den Begriff des Volksrechts angebundene volkstümliche und volksverbundene Konnotation wurde im Dritten Reich auf nationalsozialistische Inhalte reduziert.901 An die Stelle des bisherigen Laienrichters sollte daher der „Volksrichter“ als ein Richter eigener Art treten, der nationalsozialistische Wertvorstellungen in die Rechtsprechung bringen sollte. Die traditionell liberale Bedeutung des Laienrichtertums sollte auf diese Weise beseitigt und den Zielen des totalitären Staates nutzbar gemacht werden. Nach der Vorstellung der Nationalsozialisten konnte nicht jeder das Idealbild des Volksrichters erfüllen. Laut einer Verordnung vom 13. November 1933 wurden „Nichtarier“ und „volksfeindliche Personen“ vom Amt des Laienrichters ausgeschlossen.902 Das gleiche galt für Frauen, weil „das gesunde Gefühl“ angeblich einen Mann auf dem Richterstuhl erforderte.903 Der ideologischen Grundausrichtung folgte die Praxis des Umganges mit der Laienbeteiligung unter der Herrschaft der NSDAP. Die Nationalsozialisten behielten die äußere Form der Gerichtsverfassung zunächst bei. Änderungen ergaben sich nur insoweit, als Laien erstmals den höchsten Gerichten angehörten. Laienrichter waren in dem „Besonderen Strafsenat des Reichsgerichts“904 und am 1934
898 Rothenberger, Richter, S. 42; Wagner, Umgestaltung, S. 226; Freisler, Recht und Rechtsdenken, S. 12 ff.; Eine abweichende, wenngleich isolierte Ansicht wurde von Zimmerl vertreten, der betonte, im völkischen Staat bestehe kein Gegensatz zwischen Staatsbürger und Regierung, so dass Laienbeteiligung keinen Sinn mehr habe. Außerdem stehe Laienbeteiligung im Gegensatz zu wichtigen Prinzipien des Nationalsozialismus; vgl. Zimmerl, Sachverständige Laienrichter, S. 6 ff., 20 f. 899 Rothenberger, Richter, S. 42; Kempe, Bestrebungen, S. 84. 900 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 55. 901 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 54. 902 Vgl. Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 57. 903 Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 59. 904 Wagner, Umgestaltung, S. 270.
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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errichteten „Volksgerichtshof“ 905 tätig. Der Volksgerichtshof war erstinstanzlich für politische Strafsachen, insbesondere wegen Hoch- und Landesverrats, zuständig. Er war besetzt mit zwei Berufsrichtern und drei Volksrichtern, die auf Vorschlag des Reichsministers der Justiz unmittelbar von Hitler ernannt worden.906 Parallel zu dieser Ausweitung der Laienbeteiligung wurde von staatlicher Seite die Auswahl der übrigen Laienrichter streng überwacht, um politisch unliebsame Personen am Zugang zum Schöffenamt zu hindern.907 Erreicht wurde dies durch Besetzung der Schöffenwahlausschüsse mit Parteigenossen.908 Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fand die Laienbeteiligung ein abruptes Ende. Sie wurde vollständig aus der Strafrechtspflege verbannt. Der Weg dafür wurde durch die am 1. September 1939 ergangene „Verfügung über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege“ geebnet, durch welche die Befugnisse des Reichsjustizministeriums erheblich erweitert und die Mitwirkung der Laien beseitigt wurde.909 Die erstinstanzlichen Strafgerichte wurden auf die Strafkammer und den Einzelrichter reduziert, wobei dem Strafrichter wachsendes Gewicht zukam.910 Es spricht vieles dafür, dass jenseits kriegsbedingter Maßnahmen mit diesem Vorgehen die endgültige Abschaffung der Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege in die Wege geleitet werden sollte. Ungeachtet der erwähnten grundsätzlichen Kompatibilität der Laienbeteiligung mit dem Gedanken einer völkischen Rechtsprechung, konnte in dem totalitären Führerstaat, der eine Gewaltenteilung ablehnte, langfristig kein Modell der Gerichtsbarkeit weiter bestehen, das als Sinnbild liberalen und demokratischen Gedankengutes galt.911 Zudem sahen die Nationalsozialisten das Volksgewissen als Quelle des Rechts nicht in der Überzeugung einzelner Angehöriger des Volkes oder selbst seiner Mehrheit verkörpert, sondern in der nationalsozialistischen Partei und deren Führer.912 Von diesem Standpunkt aus, war es letztlich folgerichtig, das Volk zugunsten einer im Sinne des Führers urteilenden, auf die Linie der nationalsozialistischen Ideologie gebrachten Berufsrichterschaft von der Rechtsprechung auszuschließen.
905 Vgl. Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24.04.1934 (RGBl. 1934 I, S. 341). 906 Benz, Laienrichter, S. 58; Wagner, Umgestaltung, S. 244. 907 Benz, Laienrichter, S. 58; Kern, Geschichte, S. 205. 908 Zum Auswahlverfahren im nationalsozialistischen Deutschland: Wagner, Umgestaltung, S. 228; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 59. 909 RGBl. 1939 I, S. 1658 § 13; Benz, Laienrichter, S. 59; Kern, Geschichte, S. 226; Wagner, Umgestaltung, S. 228. 910 Benz, Laienrichter, S. 59; Kern, Geschichte, S. 234; Wagner, Umgestaltung, S. 252; Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 59. 911 Kempe, Bestrebungen, S. 84; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 122. 912 Kempe, Bestrebungen, S. 84.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
VII. Die Rechtsentwicklung in den beiden deutschen Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Nach dem Zweiten Weltkrieg teilte sich die Entwicklung des Rechtes in Deutschland. Folglich soll auch das Recht der Laienbeteiligung in beiden Staaten getrennt betrachtet werden. Dem im Westteil geltenden Recht wird dabei nur ein kursorischer Überblick gewidmet, weil Einzelheiten im anschließenden zweiten Teil dieser Arbeit hinreichend besprochen werden.
1. Laien in der Strafrechtspflege der Bundesrepublik Deutschland (BRD) Die Gerichtsorganisation in der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte an die Traditionen aus der Weimarer Republik an. Dies wurde bereits 1945 durch ein Gesetz des alliierten Kontrollrates vorbereitet.913 Im Jahr 1946 wurden die inzwischen geschaffenen Länder ermächtigt, Laien wieder an der Strafrechtspflege zu beteiligen.914 Die Bedeutung, die der Wiedereinführung der Laienbeteiligung beigemessen wurde, lässt sich daran ablesen, dass die Beteiligung von Laien oftmals in den jeweiligen Landesverfassungen festgeschrieben wurde.915 Die Heranziehung der Laien zur Rechtsprechung erfolgte meist in Form von Schöffengerichten. Eine Ausnahme bildete nur Bayern, das vorübergehend wieder ein Schwurgericht einführte.916 Die Rechtseinheit auf dem Gebiet der neu gegründeten Bundesrepublik wurde 1950 wieder hergestellt. Die Beteiligung der Laien orientierte sich an dem Stand, der nach der Emminger Verordnung erreicht worden war. Eine bedeutende Veränderung war die Ausdehnung der Zuständigkeit der mit drei Richtern und zwei Schöffen besetzten großen Strafkammern auf erstinstanzliche Verfahren.917 913 Das Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 30. Oktober 1945 über die Umgestaltung des Gerichtswesens ordnete die Wiederherstellung der Amtsgerichte, der Landgerichte und der Oberlandesgerichte an. Das Reichsgericht wurde in dieser Aufzählung nicht genannt und blieb daher geschlossen; vgl. Benz, Laienrichter, S. 59; Kern, Geschichte, S. 288. 914 Benz, Laienrichter, S. 53 f.; Böttges, Laienbeteiligung; S. 62; Kern, Geschichte, S. 228. 915 Würtemberg-Baden (1946) Art. 88 S. 1; Würtemberg-Hohenzollern (1947) Art. 61 S. 1; Sachsen-Anhalt (1947) Art. 63 I; Thüringen (1947) Art. 46 I; Mark Brandenburg (1947) Art. 39 S. 1; Mecklenburg (1947) Art. 63 I; Sachsen (1947) Art. 63 I; Bayern (1946) Art. 88 S. 1; Rheinland-Pfalz (1947) Art. 123 I; Bremen (1947) Art. 135 II; Nordrhein-Westfalen (1950) Art. 72 II; Berlin (1950) Art. 63 II; Niedersachsen (1950) Art. 39 II; Hamburg (1952) Art. 62 S. 2; vgl. Rüping, JR 1976, 269 (271); Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der verfassungsrechtliche Rang dieser Bestimmungen durch den fast überall enthaltenen Verweis auf die allgemeinen Gesetze für die genauere Ausgestaltung hinsichtlich Art, Umfang und Verfahren erheblich gemindert wurde; vgl. Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 124. 916 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 124; Kern, Geschichte, S. 228 f. 917 Vgl. § 76 GVG i. d. F. v. Art. I Nr. 38 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege des Strafverfahrens und des Kostenrechtes vom 12.09.1950 (BGBl. 1950 I, S. 455).
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
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Weitere wesentliche Neuerungen brachte das „Erste Gesetz zur Strafverfahrensreform“ von 1974, das die Laienbeteiligung im Strafverfahren bis heute prägt.918 Neben der Verlängerung der Amtszeit der Schöffen von zwei auf vier Jahre griff dieses Gesetz auch entscheidend in die Schwurgerichtsorganisation ein. Die Schwurgerichte wurden von einem besonderen Spruchkörper zu einer ständigen Fachkammer des Landgerichts. Die Anzahl der Schöffen neben den drei Berufsrichtern wurde von sechs auf zwei Schöffen reduziert. Als Gründe für diese Umgestaltung wurde die Notwendigkeit der Vereinfachung und Beschleunigung der Qualität der Rechtsprechung angeführt.919 Diesem Ziel sollte insbesondere die Herabsetzung der Zahl der Laienrichter dienen. Wegen der Unabhängigkeit der Berufsrichter unter den Bedingungen eines Rechtsstaates sei eine Majorisierung der Richter durch die Laien bedingende Kontrolle nicht mehr zeitgemäß.920 Stattdessen komme es auf eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Laien und Juristen an, die durch eine Verminderung der Anzahl der Schöffen am besten zu erreichen sei.
2. Laienbeteiligung im Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Die Art und Weise, wie Laien in der DDR an der Strafrechtspflege beteiligt waren, nimmt innerhalb der bisher besprochenen Laienbeteiligungsmodelle eine Sonderrolle ein. Im Folgenden soll untersucht werden, wie Laien im Einzelnen an der Strafrechtspflege beteiligt waren und wie diese Formen in das ideologischtheoretische Koordinatensystem der DDR eingebunden waren. Die Darstellung bleibt jedoch mit Rücksicht auf das Thema dieser Arbeit auf die Mitwirkung der Schöffen begrenzt. Andere Formen der Laienmitwirkung werden folglich entweder nur kurz angesprochen (wie etwa der „Volksrichter“) oder ganz ausgeklammert921.
a) Theoretische Grundlagen und Entwicklung Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der DDR die Entscheidung getroffen, die Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege umfassend auszubauen. Der ideologische Unterbau dieser Konzeption war die Auffassung, dass die Gesamtheit der 918 BGBl. 1974 I, S. 3393 ff.; siehe dazu: Kern, Geschichte, S. 302 ff; Jescheck, Laienrichtertum in der Strafrechtspflege, S. 229 ff. 919 BT-DruckS. 7/551, S. 53; Werner, GA 1974, 14 (22 ff.). 920 BT-DruckS. 7/551, S. 53 f. 921 Dazu zählen die Beteiligung von Kollektiven; vgl. ausführlich dazu: Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 52 ff. – oder von Schiedskommissionen in Wohngebieten; vgl. die Darstellung in: Herzog, Rechtspflege, S. 51–68.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
Werktätigen in die Lösung der staatlichen und gesellschaftlichen Aufgaben eingebunden werden sollte. Entsprechend der Forderung Lenins, dass „die Bürger (…) in ihrer Gesamtheit am Gerichtswesen und an der Verwaltung des Landes teilnehmen“922 sollten, gehörte dazu auch die Mitwirkung an der Rechtspflege. Die Einbeziehung des Volkes in die Rechtspflege fußte letztlich auf dem Ideal von der Interessengleichheit zwischen Staat und Individuum als finalem Entwicklungsschritt auf dem Weg zum Kommunismus.923 Zugleich jedoch war die Beteiligung an der Rechtspflege ein „Hebel, um das sozialistische Bewusstsein des Bürgers zu entwickeln (und) die sozialistische Moral und Ethik zum Leitfaden des Denkens und Handelns der Menschen zu machen“924. Neben diese theoretischen Gründe traten praktisch staatstragende Effekte, wie die Bedarfsdeckung der Justiz aus den Reihen der Laien und die Formung eines politisch auf die Linie der SED eingeschworenen Volksrichters. Indem die Schöffen als Kontrollorgane der Berufsrichter genutzt wurden, sollte die Errichtung einer gelenkten Rechtsprechung im Sinne der Partei ermöglicht werden.925 Schöffen wurden in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) seit der Wiederaufnahme der Gerichtstätigkeit an der Rechtsprechung beteiligt. Wie in den übrigen Besatzungszonen wurde dabei an die Gerichtsverfassung aus der Weimarer Republik angeknüpft. In der SBZ wurde jedoch bei der Auswahl der Laienrichter darauf geachtet, dass es sich um Personen handelte, die sich „beim Aufbau der antifaschistisch-demokratischen Ordnung bewährt hatten“926. Im Jahr 1952 wurden das GVG927 und die StPO928 neu gefasst und in diesem Zusammenhang auch die Normen mit Bezug zur Laienbeteiligung geändert. Schöffen waren danach in allen erstinstanzlichen Verfahren vor den Kreis- und Bezirksgerichten vorgesehen.929 Verfahren vor dem Einzelrichter waren nicht mehr Bestandteil der Gerichtsverfassung. Im Gegenzug wurde die Beteiligung von Laien an Berufungsverfahren gestrichen.930 Die Kammern und Senate der erstinstanzlichen Gerichte waren mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen besetzt931 und entsprachen somit dem Modell der kleinen Strafkammern. Die Laienbeteiligung in der DDR erlebte ihre Blütezeit in den 60er Jahren, als mit dem „Rechtspflegeerlass“ von 1963932 die Einbeziehung von Kollektiven in 922
Lenin, Referat, S. 122. Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 6. 924 Zit. nach: Herzog, Rechtspflege, S. 199 f. 925 Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 250 f. 926 Görner, Schöffen und Volksgericht, S. 43. 927 GBl. DDR 1952, S. 983. 928 GBl. DDR 1952, S. 996. 929 Vgl. §§ 26 I; 43 I; 51 I GVG (DDR – 1952); Ziel dieser Regelung war, die „volle und uneingeschränkte Mitwirkung der Werktätigen bei der Rechtsprechung“ zu sichern; vgl. Görner, Schöffen und Volksgericht, S. 51. 930 Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 6. 931 Vgl. §§ 26 I; 51 I GVG (DDR – 1952). 932 Vgl. Rechtspflegeerlass vom 4. April 1963, GBl. DDR 1963 I, S. 4 ff. 923
B. Die Geschichte der Laienbeteiligung in Deutschland
183
die Heranziehung von Laien zur Strafrechtspflege erheblich ausgeweitet wurde933. Dieser Prozess wurde 1974 teilweise wieder eingeschränkt, nachdem die Kriminalität angestiegen war und dadurch die bis dahin praktizierte umfassende Laienmitwirkung an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen war.934 Die infolgedessen notwendig gewordene Erhöhung der Effektivität der Strafverfolgung wurde im Wesentlichen durch eine Reduzierung des zuvor betriebenen Ausmaßes des Laieneinsatzes in einigen Verfahren erzielt935. Die Laienbeteiligung nach dem Modell der DDR endete schließlich mit dem „Sechsten Strafrechtsänderungsgesetz“ vom 29. Juni 1990.936
b) Die Laienbeteiligung im Einzelnen Unmittelbar nach dem Ende des Krieges wurden Laien in den Ämtern des Volksrichters und Volksstaatsanwalts als eine Notlösung aufgrund des Mangels an politisch unbelasteten Juristen eingesetzt. Die Volksrichter und Volksstaatsanwälte sollten sich die erforderlichen Kenntnisse im Selbststudium aneigneten.937 Nachdem eine zeitlang versucht worden war, die Volksrichter durch eine verbesserte Ausbildung dauerhaft neben den juristisch ausgebildeten Richtern zu etablieren, wurde ab 1952 wieder generell ein Hochschulabschluss für die Befähigung zum Richteramt vorausgesetzt.938 Die Schöffen in der DDR wurden direkt gewählt.939 Die Aufstellung der Wahllisten lag in den Händen der „Nationalen Front der DDR“, wodurch sichergestellt war, dass die Kandidaten über ein „vorbildliches sozialistisches Bewusstsein“940 verfügten. Die in das Schöffenamt gewählten Personen wurden regelmäßig sowohl fachlich als auch ideologisch geschult.941 Im Sinne der oben beschriebenen theoretischen Grundlagen der Laienbeteiligung hatten die Schöffen aber auch 933 Auf der Grundlage des Rechtspflegeerlasses wurden sowohl das Strafverfahrensrecht (durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung strafrechtlicher und verfahrensrechtlicher Bestimmungen, GBl. DDR 1963 I, S. 65) als auch das GVG (GBl. DDR 1963 I, S. 45) und auch das Gesetz über die Staatsanwaltschaft der DDR (GBl. DDR 1963 I, S. 57) entsprechend geändert; vgl. Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 52. 934 Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 61 m. w. N. 935 Zu Einzelheiten vgl.: Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 62 ff. 936 GBl. DDR 1990 I, S. 526 ff. 937 Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 71 ff. 938 Der Auslöser der Abkehr vom Konzept des Volksrichters bzw. Volksstaatsanwaltes war die politische Unzuverlässigkeit der Laien, die im Zuge der Anfang der 50er Jahre einsetzenden Stalinisierung immer spürbarer wurde. Die Einführung eines Hochschulabschlusses ist somit als Mittel zur Ideologisierung und Auslese systemtreuer Richterpersönlichkeiten zu begreifen; vgl. Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 102 ff. 939 Vgl. zu Einzelheiten: Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 126 ff.; Pellert, Schöffen in der DDR, S. 193 f. 940 Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 147. 941 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 129; Pellert, Schöffen in der DDR, S. 196; Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 176 ff.
184
1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
selbst einen erzieherischen Auftrag. Sie sollten als Multiplikatoren rechtserzieherisch und rechtspropagandistisch in der Gesellschaft wirken.942 Dieser Auftrag war auch mit verantwortlich für das breite Spektrum der Mitwirkung, das den Schöffen möglich war. Die Schöffen verfügten über dieselben Rechte wie die Berufsrichter.943 Insoweit war der grundsätzliche Rahmen dem in der Bundesrepublik ähnlich. Die Mitwirkungsrechte gingen im Einzelnen jedoch weit über das hinaus, was den Schöffen nach bundesdeutschem Recht zustand. Schöffen wurden bereits im Vorfeld der Verhandlung in das gerichtliche Verfahren einbezogen, indem sie die Verfahrensakten einsehen und sich unter der Anleitung des Richters mit der einschlägigen Literatur befassten.944 Die Schöffen im Osten Deutschlands waren auch an der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beteiligt.945 Während der Hauptverhandlung waren die Schöffen dem Richter gleichgestellt, und sie wirkten gemäß § 245 I StPO (DDR) auch bei der Absetzung des Urteils mit. Außerhalb des gerichtlichen Verfahrens waren die Schöffen überdies bei der Kontrolle von Bewährungsauflagen beteiligt.946
3. Zusammenfassung Eine zusammenfassende Betrachtung der Rechtsentwicklung in den beiden deutschen Staaten fällt schwer. Wie dargestellt, hatten sich zwei völlig unterschiedliche Systeme der Laienbeteiligung herausgebildet. Hinsichtlich der Schöffengerichtsverfassung lässt sich als gemeinsame Tendenz jedoch eine Tendenz zur Verringerung der numerischen Anzahl der Schöffen feststellen. In der BRD wurde dies durch die Verringerung der Schöffen bei den Schwurgerichten auf zwei im Jahr 1974 und in der DDR durch die Beschränkung der Schöffenzahl auf dieselbe Anzahl erreicht. Obwohl diese Veränderungen mit unterschiedlichen Begründungen eingeführt worden sind, deuten sie doch beide in Richtung einer beabsichtigten Effektivitätssteigerung der Rechtsprechung.
C. Zusammenfassung C. Zusammenfassung
Die wesentlichen Entwicklungslinien in England und Deutschland sollen nunmehr zum Abschluss des ersten Teils dieser Arbeit jeweils für längere epochenübergreifende Zeitabschnitte zusammenfassend nebeneinander gestellt werden. Eine anlaytische Auseinandersetzung mit dem dabei zusammengetragenen Material bleibt dem dritten Teil der Arbeit vorbehalten. 942 943 944 945 946
Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 109. Vgl. § 5 III GVG (DDR); Art. 96 III Verf. – DDR. Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 129; Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 152 ff. Vgl. §§ 52; 188 III StPO (DDR). Vgl. §§ 342 StPO (DDR); Mathes, Volksrichter Schöffen Kollektive, S. 163 f.
C. Zusammenfassung
185
Der Auswahl der einzelnen Betrachtungszeiträume liegt hier die Absicht zugrunde, sowohl zeitlich als auch inhaltlich zusammengehörende Ereignisse gegenüberzustellen. Daher wurde der geschichtliche Ablauf bewusst in längere zeitliche Abschnitte geteilt, deren Grenzen mitunter fließend sein können.
I. Frühzeit bis zum Beginn des Mittelalters Die frühen Formen der Entscheidungsfindung waren sowohl in Deutschland als auch in England dadurch geprägt, dass Konfliktlösung und Rechtsfindung gemeinschaftlich erfolgte.947 Die Beteiligung der Gemeinschaft wurde durch den Umstand begünstigt, dass die Beweismittel formaler Natur waren und keiner Würdigung bedurften. Ein weiteres Charakteristikum der Verfahren war die Trennung der Ämter von Richter und Urteilsfinder. Die Stellung des Richters war schwach. Sie beschränkte sich auf die Leitung der Gerichtsversammlung und die Verkündung des Rechtsspruches. Der Urteilsvorschlag bzw. das Urteil selbst oblag den Urteilsfindern. Das Gericht war aus Laien zusammengesetzt, die grundsätzlich der näheren Umgebung des Gerichtsortes entstammten. Alle Verfahrensbeteiligten waren somit Nachbarn. Das gemeinsame soziale Umfeld ermöglichte es den Urteilsfindern, eigenes Wissen in ihr Beweisurteil einfließen zu lassen und auf diesem Wege auf den Ausgang des Verfahrens selbst einzuwirken. Mit der Ausbildung protostaatlicher948 und staatlicher Strukturen verlor diese Art der Rechtsprechung an Bedeutung. Verantwortlich dafür war die Erkenntnis, dass die Wahrung des Friedens als unverzichtbare Voraussetzung für das Zusammenleben von den Gerichtsversammlungen nicht länger ausreichend garantiert werden konnte. Zudem entwickelten die herrschenden Schichten eigene finanzielle und machtpolitische Interessen an einer Zentralisierung und Monopolisierung der Rechtsprechung. Diese Weiterentwicklung war allerdings zunächst nicht gleichbedeutend mit der Aufgabe der überlieferten formalen Beweismittel wie dem Gottesurteil und dem Reinigungseid mit Eidhelfern. Die Zentralisierung und Monopolisierung manifestierte sich im fränkischen Reich949 in einer Verkleinerung des Kreises der Urteilsfinder und der Ernennung des Richters durch den König selbst oder einen seiner Vertreter. Diese Veränderung bedeutete eine Stärkung der herrschaftlichen Gewalt auf Kosten der Rechtsprechung durch die Gerichtsgemeinde selbst.950 947
Küper, Richteridee, S. 83; Kern, Geschichte, S. 1; siehe dazu auch oben 1. Teil A. I.: Frühe Formen der Konfliktverarbeitung in Streitfällen bei Kelten, Römern und Angelsachsen und 1. Teil B. I.: Die Frühgeschichte der Laienbeteiligung in Deutschland. 948 Protostaaten sind solche Staaten, die bereits über eine etablierte Herrschafts- und Führungsschicht (daher werden diese Staaten auch als „kephale“ Gesellschaften, von griech.: kephalos – Haupt bezeichnet) verfügten; vgl weitergehend: Wesel, Geschichte, S. 55 ff. 949 Siehe dazu oben 1. Teil B. I. 2.: Verfahrensformen im Frankenreich. 950 Fehr, Rechtsgeschichte, S. 49.
186
1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
Für England lässt sich eine vergleichbare Entwicklung bereits in den angelsächsischen Reichen nachweisen.951 Im Anschluss an die normannische Landnahme wurde hier die Rechtsprechung noch energischer in die Herrschaftsmechanismen eingebunden.952 Im normannischen England nahmen die königlichen Gerichte, an denen durch die justices in eyre Recht gesprochen wurde, allmählich die zentrale Stellung im Justizwesen ein und verdrängten die Jurisdiktion der lokalen Gerichte. Die Herausbildung zentraler herrschaftlicher Strukturen und einer komplexer werdenden Lebenswelt hatte zur Folge, dass in die überlieferte formale und ritualisierte Streitschlichtung Elemente Einzug hielten, die auf die Ermittlung materieller Wahrheit zielten. Diese Verfahren wurden im Frankenreich inquisitio genannt. Ihnen entsprachen die normannischen Assize Verfahren.953 Dabei wurde eine Anzahl von Angehörigen einer Gemeinde ausgewählt und nach einem eidlichen Wahrheitsversprechen über Verbrechen befragt, die sich in der Nachbarschaft ereignet hatten.954
II. Mittelalter und Absolutismus Mit dem Beginn des Mittelalters erhielt die Laienbeteiligung an der Justiz neue Impulse, deren Auswirkungen auf das strafgerichtliche Verfahren bis in die Zeit des Absolutismus reichten. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, die beiden Zeitalter hier im Zusammenhang zu behandeln. Außerdem vollzog sich in den beiden hier thematisierten Zeitabschnitten die Trennung der deutschen von der englischen Form der Laienbeteiligung. Den Einzelheiten dieser Entwicklung gilt daher die besondere Aufmerksamkeit.
1. Der Abschied vom irrationalen Verfahren Im 12. und 13. Jahrhundert wurden Eid, Ordal und Zweikampf zunehmend kritisch beurteilt und als unzulänglich angesehen. In dieser Zeit wurde in England und Deutschland mit alternativen Formen der rationalen Entscheidungsfindung und Sachverhaltsbeurteilung experimentiert. In diesen Kontext gehören die inquisitio955 und assize956 – Verfahren. Im Zuge der Bemühungen um Ablösung der 951
Siehe dazu oben 1. Teil A. I. 2. b): Das angelsächsische Gerichtsverfahren. Vgl. oben 1. Teil A. I. 2. b): Die normannische Eroberung und ihre Wirkung auf das Strafverfahren. 953 Grünhut, J.Comp.Leg. 1938, 165 (166). 954 Plöger, Mitwirkungspflichten, S. 53 ff.; Schmidt, Einführung, § 32; Pollock/Maitland, History I, S. 140; Baker, Legal History, S. 86. 955 Dazu schon oben 1. Teil B. I. 2. b): Das Königsgericht. 956 Vgl. vorstehend 1. Teil A. II. 1. c) aa): Die Herausbildung neuer Formen der Entscheidungsfindung. 952
C. Zusammenfassung
187
irrationalen Formen des Strafverfahrens kam es schließlich ab dem 13. Jahrhundert dazu, dass in Deutschland wie auch im Rest des europäischen Festlandes und in England unterschiedliche Wege in der Laienbeteiligung eingeschlagen wurden. Ein Ereignis mit weit reichender Bedeutung für diesen Prozess war der Beschluss des IV. Lateranischen Konzils zur Abschaffung der geistlichen Beteiligung an Gottesurteilen.957 Der Konzilsbeschluss war nicht der alleinige Auslöser für den Wandel. Er steht vielmehr sinnbildlich für die Suche nach einem effektiven Verfahren zur Wahrheitsfindung und Friedenswahrung. Zugleich ist er Ausdruck für das Streben der weltlichen Obrigkeit nach Kontrolle über die Rechtsprechung. Am Ende der Phase des Experimentierens hatten sich in England Gerichte etabliert, in denen eine Jury aus zwölf Personen über Schuld und Unschuld urteilte, während diese Aufgabe in Deutschland nach mehreren Zwischenschritten letztlich von professionellen, rechtsgelehrten Richtern übernommen wurde. Angesichts dieser unterschiedlichen Entwicklungen ist danach zu fragen, welche Faktoren für diese gegensätzliche Weichenstellung in einer bisher ähnlich verlaufenden Entwicklung verantwortlich gemacht werden können. Eine treibende Kraft war das Ringen mit der Schwierigkeit des Aufbaus einer funktionierenden Strafrechtspflege unter den Bedingungen des Mittelalters. In England musste dieses Problem in einem Staat gelöst werden, der weitgehend zentralisiert war. Das Streben der Zentralgewalt nach Kontrolle über das Strafverfahren wurde durch das Fehlen eines Beamtenapparates, der zwischen der Zentralgewalt und dem Volk hätte „vermitteln“ können, gehemmt. Dadurch entstand eine administrative Lücke. Die Einsetzung lokaler Repräsentanten wie der Geschworenen stellte die zur Schließung dieser Lücke notwendige Verbindung zwischen der Zentralregierung und dem Geschehen vor Ort her.958 Die Jury war folglich ursprünglich ein Herrschaftsinstrument. In Deutschland war die Ausgangssituation anders beschaffen. Durch die Schwäche der Zentralgewalt in Gestalt des deutschen Kaisers und damit korrespondierend die starke Position lokaler Autorität waren die Wege von der Machtzentrale zu den Ereignissen vor Ort sehr kurz. Das erleichterte den Aufbau von Strukturen der Strafverfolgung, welche direkt an die lokale Obrigkeit angebunden waren. Exemplarisch sichtbar wird dies an der führenden Rolle der Städte bei der Einführung der Inquisitionsgerichte959. Das Modell des Inquisitionsverfahrens mit seiner unbedingten Suche nach Wahrheit bedeutete einen nachdrücklicheren Bruch mit traditionellen Verfahrensformen als der trial by jury. Dieser blieb in stärkerem Maße den Ideen der Konfliktlösung und Friedensstiftung verpflichtet. Der trial by jury erweist sich in diesem Sinne als das stärker in Traditionen verhaftete und damit weniger fort957 Einzelheiten zum IV. Lateranischen Konzil in: Hirte, Papst Innozenz III., S. 33 ff. m. w. N. 958 Levy, Palladium of Justice, S. 52. 959 Siehe vorstehend 1. Teil B. II. 1. c): Die Gerichtsbarkeit der Städte.
188
1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
schrittliche Modell. Die Orientierung an den Ideen der Konfliktlösung und Friedensstiftung tritt vor allem in der Anwendung von Gnade als Fortsetzung des Ausgleichsgedankens aus dem angelsächsischen Verfahren im Sanktionsverhalten der Jury zutage. Diese Ausrichtung bot Personen mit Einfluss und hohem Ansehen in der Gemeinschaft Vorteile. Das Inquisitionsverfahren dagegen war aufgrund seiner Orientierung an der materiellen Wahrheit ein Verfahren, das grundsätzlich den angesehenen Bürger nach denselben Maßstäben wie den Landstreicher beurteilte. Der Gedanke liegt nahe, in der Privilegierung einflussreicher Bürger durch den trial by jury den Preis zu sehen, den die englische Krone für die Unterstützung der entsprechenden Schichten zahlen musste. Der Rückgriff auf die Mitarbeit von Laien als Verbindungsglied zwischen Zentralregierung und lokaler Gemeinschaft hatte für die englische Krone den Vorteil, dass er Gelegenheit zur Umgehung und Ausschaltung der Macht adliger Magnaten bot. In Deutschland dagegen entsprach dem machtpolitischen Interesse der Landesfürsten eher eine Reduzierung des Umfangs der Laienbeteiligung. Aufgrund der – im Unterschied zu England – fehlenden Notwendigkeit der Schließung administrativer Lücken überwog das obrigkeitliche Kontrollbedürfnis. Diesem Streben entsprach die Beschäftigung abhängiger Richter, von denen außerdem Kenntnis der landesherrlichen Gesetze erwartet werden konnte, weit mehr als Rechtsprechung durch Laien. Ein Blick auf die Fortentwicklung des Rechtes in England und Deutschland rundet das Bild ab. In Deutschland war die Rezeption für die weitere Rechtsentwicklung prägend. Obwohl die Einführung von Inquisitionsgerichten an sich noch keine Veränderung hinsichtlich der Beteiligung von Laien an den Verfahren brachte960, verschwand sie jedoch schließlich ganz mit dem Siegeszug des römischen Rechts. Das ausdifferenzierte römische Recht mit seiner komplexen Begriffswelt schloss Laien aus der gerichtlichen Praxis aus. Selbst die Strategien zur Überwindung der rechtlichen Unsicherheit wie Kollegialität und Aktenversendung bewirkten letztlich ein Anwachsen praktischer Eingriffsmöglichkeiten für Juristen. In dem Maß, wie die Gerichte nach dem rezipierten Recht urteilten, verschwand daher der Raum zu selbstständigen Entscheidungen, bis die Laienschöffen keine praktische Funktion mehr besaßen. Dem römischen Recht blieb in England ein Durchbruch aus verschiedenen Gründen versagt.961 Stattdessen wurde aus der self-informing Jury, deren Angehörige als Erben der Assize – Verfahren noch Zeugnis über eigene Wahrnehmungen ablegten, die non-self-informing Jury als Prozessjury962. Damit hatte der trial by jury seine Adaptionsfähigkeit bewiesen und war zu einem effektiven Instrument der Entscheidungsfindung geworden. 960
Vgl. oben 1. Teil B. II. 3.: Zusammenfassung. Mehr dazu sogleich unter: 3. Teil A. II. 3. a): Bestrebungen zur Einführung des römischen Rechts in England. 962 Siehe auch oben 1. Teil II. 3. c) bb): Der Weg von der self-informing-Jury zur non-selfinforming-Jury. 961
C. Zusammenfassung
189
2. Laienbeteiligung und Absolutismus In Deutschland existierte in der Zeit des Absolutismus eine Laienbeteiligung praktisch nicht. Reste von Laienbeteiligung wurden nur als inhaltslose Hüllen, ohne Einfluss auf die Rechtsprechung, aufrechterhalten. Dem absoluten Anspruch der Landesherren dienten Kollegien aus abhängigen Berufsjuristen am besten.963 In der Zeit der Tudor- und Stuartherrscher verfolgte die englische Krone Ambitionen, die mit denjenigen der absoluten Herrscher in Deutschland vergleichbar waren. Der auf die Errichtung einer absoluten Herrschaft gerichtete Ehrgeiz rief jedoch den Widerstand derjenigen Eliten auf den Plan, welche die Rekrutierungsbasis der Jury bildeten. Die Interessengegensätze vertieften sich so weit, dass der Zusammenhang zwischen Herrschern und Beherrschten auseinander brach. Daraus resultierte eine Umkehrung der Vorzeichen, unter denen sich einst die Jury herausgebildet hatte. Juries gelten seitdem nicht mehr, wie im Mittelalter, als Instrumente der Herrschaft, sondern als Garanten bürgerlicher Freiheit. Die Analyse der Rolle der Jury in den Strafverfahren mit politischem Hintergrund in jener Zeit hat gezeigt, dass aus der Jury ein ernstzunehmender politischer Akteur geworden war. Was äußerlich als Fortsetzung der Tradition der Ausübung von Ermessen erscheint, war in Wahrheit die Instrumentalisierung der Geschworenen als Gegengewicht zu dem Kontrollbedürfnis der Obrigkeit. Auch in Bezug auf England lässt sich demzufolge nachweisen, dass zwischen einer absoluten Monarchie und der Entscheidungsfindung durch Laien prinzipiell unvereinbare Interessengegensätze bestanden. Wie wichtig der Krone der Einfluss auf die Strafverfahren war, zeigen die Versuche zur Einrichtung der Star Chamber als alternativem Gericht und die Bedrohung von Geschworenen mit den Werkzeugen der judicial coercion964. Anders als in Deutschland war diesem Bemühen jedoch kein Erfolg beschieden. Am Ende der absolutistischen Periode der englischen Geschichte waren die Anstrengungen, den Geschworenen durch judicial coercion eine bestimmte Entscheidung aufzuzwingen, mit der Etablierung des Prinzips der non-coercion durch das Urteil in Bushell’s Case gescheitert965.
III. Das 18. und 19. Jahrhundert In das 18. Jahrhundert fällt die Zeit des Höhepunktes der Macht und des Einflusses der Jury in England. Der weit überwiegende Teil aller Strafverfahren fand vor einem Jury – Kollegium statt. Gedeckt durch gesellschaftlichen Konsens konn963 Vgl. vorstehend 1. Teil B. III. 2.: Die Ideologie des Absolutismus und ihr Einfluss auf die Gerichte. 964 Siehe dazu oben 1. Teil A. III. 3. a): Kontrollmöglichkeiten des Staates – judicial coercion. 965 Siehe vorstehend 1. Teil A. III. 4. b) bb): Bushell’s Case – der Sieg der non-coercion.
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1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
ten die Geschworenen dabei in so weitem Umfang ein vom Buchstaben des Gesetzes losgelöstes Ermessen ausüben, dass die mitigation in dieser Zeit schon als fester Bestandteil der Rechtsordnung angesehen werden kann. Die Juries setzen auch die Tradition der Anteilnahme an politischen Entwicklungen fort. Wie die Auseinandersetzung um seditious libel966 zeigt, begriff sich die Jury auch als Institution zur Bewahrung bürgerlicher Freiheiten wie es in Blackstones Metapher von der Jury als „Schutzwehr der Freiheit“967 zum Ausdruck kommt. Die Identifizierung der Jury mit freiheitlichem Gedankengut führte zur Einführung von Schwurgerichten in der Folge der französischen Revolution und bildete daher letztlich auch den Nährboden dafür, dass in Deutschland der Ruf nach Laienbeteiligung in Strafverfahren in der Form von Geschworenengerichten laut wurde. Ebenso dringend war der Wunsch nach einer Reform des Inquisitionsprozesses. Diese Forderungen wurden in Deutschland besonders vom liberalen Bürgertum verfochten und im Verlauf des 19. Jahrhunderts schrittweise verwirklicht. Insoweit ist eine Orientierung am englischen Vorbild erkennbar. In Bezug auf die konkrete Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens ist dies jedoch nicht zutreffend. Dabei wurden eigene Wege beschritten, die den entsprechenden französischen Regelungen nahe standen.968 Die ersten Schritte zur Laienbeteiligung auf deutschem Boden waren tastend und beschränkt auf die pauschale Forderung nach Schwurgerichten, ohne dass ihre genaue Ausformung diskutiert worden wäre. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Modell der Schöffengerichte ein eigenständiges Konzept der Laienbeteiligung entwickelt969. In England war etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Herausbildung der wesentlichen Formen des modernen schwurgerichtlichen Verfahrens abgeschlossen. Während in Deutschland die Einbeziehung von Laien im 19. Jahrhundert eine Blüte erlebte, zeichnete sich in England in dieser Zeit eine Trendwende ab. Obwohl die konstitutionelle Rolle der Jury als Bollwerk bürgerlicher Freiheit weiterhin Zustimmung fand, wurde ihr Ermessensspielraum eingeschränkt. Für die Jury begann damit ihr Weg vom Zentrum der Strafgerichtsbarkeit hin zu deren Peripherie. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Forderung nach Einschränkung des Ermessensspielraumes der Jury durch die englischen Rechtsreformer des 18. Jahrhunderts970. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es dadurch zu einer verminderten Ausübung der mitigation und einer Begrenzung des Jurisdiktionsbereiches der englischen Geschworenengerichte.
966
Vgl. oben 1. Teil A. IV. 2.: Die Jury in politischen Strafverfahren, seditious libel – Der Streit um die Rolle der Jury geht weiter. 967 „That the liberties of England cannot but subsist so long as this palladium remains sacred and inviolate“ vgl. Blackstone, Commentaries IV, Rn. 350. 968 Siehe oben 1. Teil B. V. 1.: Die Schwurgerichte nach der Revolution von 1848. 969 Vgl. dazu oben 1. Teil B. V. 2. b): Die Schöffengerichte als alternative Form der Laienbeteiligung. 970 Siehe dazu oben 1. Teil A. V. 1.: Kritik am Ermessensspielraum von Juries.
C. Zusammenfassung
191
IV. Neuzeitliche Entwicklungen Im letzten Jahrhundert waren bezüglich der Laienbeteiligung an Strafverfahren in England und Deutschland parallele Entwicklungen auszumachen. Diese lassen sich unter den Schlagworten „Demokratisierung der Laienbeteiligung“, „Zurückdrängung des Umfangs der Beteiligung von Laien“ sowie „Rationalisierung der Strafverfahren“ zusammenfassen. Verschiedene Reformen brachten eine Liberalisierung der Zugangsvoraussetzungen zum Amt des Laienrichters und öffneten es allmählich für alle Gesellschaftsschichten. Unterschiede gab es nur hinsichtlich der Geschwindigkeit der Veränderungen. In Deutschland bestand bereits im GVG von 1877 keinerlei Zensus mehr.971 Die endgültige Beseitigung aller Zensusbarrieren erfolgte in England erst mehr als 100 Jahre später durch den Juries Act von 1979. Dieses Gesetz machte das Wählerregister zur Grundlage für die Geschworenenlisten und dehnte so den Dienst als Geschworener auf die ganze Gesellschaft aus.972 Die Gleichberechtigung der Geschlechter bei Zulassung für das Amt eines Laienrichters gilt in Deutschland seit 1922.973 In England konnten Frauen erstmals 1919 in einer Trial Jury Geschworene werden.974 Insgesamt bewegten sich somit die Laienrichter aus der elitären Nische des männlichen Bildungsbürgertums weg und in die Mitte der Gesellschaft. Die dadurch bewirkte Veränderung in ihrer Sozialstruktur trug entscheidend mit dazu bei, dass Laienbeteiligung heute als demokratisches Element in der Rechtsprechung verstanden werden kann. Reformaktivitäten veränderten die Stellung der mit Laien besetzten Gerichte in der Gerichtsverfassung besonders hinsichtlich des Umfanges ihrer sachlichen Zuständigkeit. In England bewirkte dies eine drastische Verringerung des Anteils der Verfahren vor Geschworenengerichten am Gesamtaufkommen der Strafverfahren und marginalisierte den trial by jury zugunsten des summarischen Verfahrens vor dem Magistrates’ Court975. Die Zurückdrängung des Laienelements manifestierte sich in Deutschland durch die Abschaffung der Schwurgerichte 1924, die als einzige Form der Laienbeteiligung die Schöffengerichte übrig ließ976. Mit der Zurückdrängung des Umfanges der Laienbeteiligung eng verbunden ist der Gedanke einer Rationalisierung der Strafverfahren.977 Die vielfach erhobene Forderung nach Steigerung der Effektivität von Strafverfolgung soll oftmals durch 971
Vgl. § 85 GVG (1877). Hostettler, Jury Old and New, S. 126. 973 Vgl. das Gesetz über die Heranziehung der Frauen zum Schöffen und Geschworenenamt vom 25. April 1922 (RGBl. I 1922 S. 465). 974 Vgl. 9 & 10 Geo. 5 Chapter 71; Vogel, Schwurgericht, S. 28. 975 Eingehend dazu oben 1. Teil A. V. 5. b): Beschränkung des trial by jury. 976 Vgl. oben 1. Teil B. V. 4. b): Die Abschaffung der Schwurgerichte. 977 Cornish, The Jury, S. 275. 972
192
1. Teil: Laienbeteiligung an der Strafgerichtsbarkeit
eine Beschneidung des Bereiches der Zuständigkeit der Laien erfüllt werden. In England gilt heute der summary trial am Magistrates’ Court als die effektivste und schnellste Methode der Durchführung von erstinstanzlichen Strafprozessen. Auch zur Effizienzsteigerung der Geschworenengerichte selbst wurden Regelungen eingeführt. In Deutschland war die vermeintliche Ineffektivität der Schwurgerichte eine der offiziell verwendeten Begründungen für ihre Abschaffung.978
978
Siehe dazu oben 1. Teil B. V. 4. b): Die Abschaffung der Schwurgerichte.
2. Teil
2
Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung in England und Deutschland nach geltendem Recht 2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung Der nun folgende zweite Teil der Arbeit ist der Darstellung des Ablaufes von Strafverfahren unter Beteiligung von Laien als Schöffen bzw. als Juroren in England und Deutschland gewidmet. Daraus ergibt sich auch für diesen Teil eine Zweiteilung in einen Abschnitt für das englische und einen Abschnitt für das deutsche Recht. Gemeinsam ist beiden Abschnitten neben der Darstellung des jeweils geltenden Rechts die Untersuchung der in den betrachteten Rechtsordnungen im Zusammenhang mit der Beteiligung von Laien auftauchenden Probleme und deren Lösungsansätze. Schwerpunktmäßig geht es dabei um die Frage, wie sich der Unterschied zwischen dem in Deutschland praktizierten kooperativen, d. h. auf Zusammenarbeit von Laien und Berufsrichtern ausgerichteten Modell der Laienbeteiligung und dem in England vorherrschenden separativen, also auf getrennter Entscheidung von Laien und Berufsrichtern basierenden, Modell auf die verfahrensrechtliche Einkleidung der Laienbeteiligung auswirkt. In diesem Teil sollen darüber hinausgehend allgemeine Anforderungen an die moderne Laienbeteiligung und grundlegende Prinzipien herausgearbeitet werden, die geeignet sind, im dritten Teil der Arbeit wesentliche Indikatoren für einen Rechtsvergleich zu bilden.
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
Das nachstehende Kapitel behandelt die rechtlichen Formen des englischen Strafprozessrechtes in Bezug auf die Beteiligung von Laien als Geschworenen in Strafverfahren.1 Für diese Darstellung empfiehlt sich ein breiter Ansatz, um nicht nur die Grundlage für den weiter unten vorzunehmenden Rechtsvergleich zu legen, sondern gleichzeitig einen Überblick über den rechtlichen Rahmen der Institution der englischen Geschworenenjury zu geben. Zudem geht es darum, deren Funktion im Verlauf eines Strafverfahrens zu umreißen. Darüber hinaus ist das System der Kriminaljustiz in England und Wales in seiner Struktur und Organisation derart komplex, dass eine isolierte Betrachtung des Rechtes der Jury nicht 1 Vgl. für eine Übersicht zum anderweitigen Einsatz von Juries im heutigen England und Wales: Mackay of Clashfern, Halsbury’s, § 418 f.
194
2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
sinnvoll wäre. Daher sind Bezüge zu allgemeinen Aspekten des Strafverfahrens notwendig.2 Insoweit hier und im Folgenden von englischem Recht gesprochen wird, bezieht sich dieser Terminus auf das Recht, welches in England und Wales gilt. Großbritannien als politische Einheit auf den britischen Inseln besitzt kein einheitliches Rechtssystem.3 Ziele der Darstellung sind die Dokumentation des geltenden Rechts und die Beschreibung der Funktionsweise der Jury als Organ zur eigenständigen Entscheidung in Strafsachen. Dabei wird besonderer Wert auf die Aufteilung der Funktionen von Richter und Geschworenen sowie auf das Regelwerk für die eigentliche Entscheidungsfindung gelegt. Das englische Recht trifft viele Regelungen aus dem Blickwinkel des durch sie bestimmten Verfahrens. Die folgenden Ausführungen lehnen sich daher an die chronologische Abfolge eines Strafverfahrens an. Am Anfang dieses Kapitels stehen aus diesem Grund, nach einer Einführung zu den gesetzlichen Grundlagen des trial by jury, Erläuterungen zur Auswahl der Geschworenen. Daran anschließend geht es um die Aufgaben und die Rolle der Geschworenen in der Hauptverhandlung, wobei insbesondere die Aufgabenteilung mit dem Richter im Mittelpunkt steht. Die nächsten Schwerpunkte sind dem Vorgang der Urteilsfindung und dem Inhalt der Entscheidung der Geschworenen über Schuld oder Unschuld des Angeklagten, im Folgenden verdict oder „Schuldurteil“ genannt4, gewidmet. Nach diesen Ausführungen werden die Rechtsmittel, die gegen einen Spruch der Jury zur Verfügung stehen, erläutert. Abschließend befasst sich ein Abschnitt mit aktuellen Vorschlägen zur Reform und der möglichen Zukunft der Jury.
I. Gesetzliche Grundlagen des trial by jury Um das Verfahren vor einer Jury angemessen zu verstehen, bedarf es zunächst der Erläuterungen des Normengefüges des englischen Rechts. Ausgehend von der Wertigkeit der einzelnen Normgruppen beginnt die Beschreibung mit dem verfassungsrechtlichen Rahmen, um anschließend die einfachgesetzlichen Grundlagen 2
Eine umfassende Darstellung des gesamten englischen Strafprozesses ist gleichwohl nicht angestrebt. Einen aktuellen Überblick über den englischen Strafprozess in deutscher Sprache unter besonderer Betonung der Rolle des Richters gibt: Schulte-Nover, Strafrichter, S. 190 ff. 3 Vgl. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 198. – Obwohl viele englische Gesetze auch in Schottland gelten, ist die Basis des schottischen Rechtes eine Mischung aus civil law, welches dieselben Wurzeln wie das kontinentale Recht hat, und dem common law. Dieses Phänomen ist das Ergebnis der Annäherung Schottlands an den Kontinent im 14. und 15. Jahrhundert, um die englische Expansion nach Norden einzudämmen. Nach der Union mit England ab 1707 war Schottland wieder verstärkt dem Einfluss des common law ausgesetzt; vgl. Glendon/ Gordon/Carozza, Legal Traditions, S. 168. 4 Die Entscheidung für den Terminus „Schuldurteil“ erfolgte bewusst, um Überschneidungen mit dem deutschen Begriff des „Schuldspruch“ zu vermeiden.
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
195
der Jury zu erörtern. Das Kapitel endet mit einer Bestimmung des Standortes der Jury innerhalb der englischen Strafgerichtsbarkeit.
1. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte und Verankerung in der Rechtstradition England besitzt bekanntlich keine Verfassung im Sinne eines einheitlichen, schriftlich niedergelegten Verfassungsdokumentes.5 Das Konzept verfassungsrechtlicher Garantien oder eines verfassungsmäßig gesicherten Rechtes ist der englischen Rechtstradition grundsätzlich fremd und kommt daher auch für den trial by jury nicht in Betracht.6 Wie jedoch bereits die zu Beginn dieser Arbeit vorgenommene historische Betrachtung gezeigt hat, nimmt das Recht auf ein Strafverfahren vor einem Geschworenengericht in England eine herausgehobene Stellung ein. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die grundlegenden Dokumente der Petition of Rights (1628) und der Bill of Rights (1689) die Jury als das gegebene Mittel zur Urteilsfindung beschrieben.7 Diese besondere Situation verhindert jedoch nicht, dass theoretisch eine Veränderung des bezüglich der Jury in England und Wales geltenden Rechts für das Parlament grundsätzlich möglich wäre. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass das Parlament als Gesetzgeber über umfassende Souveränität hinsichtlich der Veränderung und Neuschaffung von Recht verfügt und daher keine Institution und kein Rechtssatz vor der Veränderung mit einfacher Parlamentsmehrheit sicher ist.8 Dass der trial by jury auch praktisch zur Disposition steht, wird daran deutlich, dass immer wieder bestimmte Delikte bzw. Deliktsgruppen von der Zuweisung zum trial by jury ausgenommen oder wieder hinzugefügt wurden. Eine inhaltliche Neudefinition des trial by jury ist mithin jederzeit durchführbar. Anders ist die Situation jedoch in Bezug auf eine etwaige grundsätzliche Abschaffung des trial by jury zu beurteilen. Das englische Parlament behandelt überlieferte Rechtsinstitute traditionell mit viel Respekt, weshalb sich die englische Rechtsordnung trotz fehlender Verfassung durch ein vergleichbares Maß an Stabilität auszeichnet, wie Länder mit schriftlich fixierter Verfassung. Der trial by jury nimmt sowohl innerhalb der englischen Rechtstradition als auch im nationalen Bewusstsein einen sehr hohen Stellenwert ein. Die Ausführungen zu seiner Ge5
Elliott/Quinn, English Legal System, S. 1 f. Auld, Review, Chapter 5 Rn. 7; Darbyshire, 1991 CrimLR, 740 (743); Gerding, Trial by Jury, S. 10 m. w. N. – Eine abweichende Ansicht wird von Lord Devlin vertreten, der dem Recht auf einen trial by jury aufgrund seiner langen Tradition den Status eines verfassungsmäßigen Rechtes zuschreibt; vgl. Devlin, The Judge, S. 126. 7 Grube, Richter ohne Robe, S. 158. 8 Vgl. zum Konzept der so genannten parliamentary sovereignty: Shears/Stephenson, James’ Introduction, S. 7, 107; Elliott/Quinn, English Legal System, S. 2; Schulte-Nover, Strafrichter, S. 184 f. 6
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
schichte haben gezeigt, dass der trial by jury geradezu identitätsstiftend für das englische Recht ist. Diese Überlegungen führen somit zu dem Ergebnis, dass der trial by jury in England in einer Weise gesichert ist, die einer verfassungsmäßigen Garantie kontinentaleuropäischer Tradition sehr nahe steht.
2. Einfachgesetzliche Grundlagen Die Rechtsmaterie zur Regelung des Verfahrens vor den Geschworenengerichten wird derzeit in weiten Teilen durch den Juries Act von 1974 und seine Ergänzungen bestimmt.9 Bedeutende Veränderungen jüngeren Datums ergaben sich durch den Criminal Justice Act 2003 vor allem in Bezug auf die Auswahl und Zusammensetzung der Jury. Das Recht der Jury ist durch diese Normen zum überwiegenden Teil durch Gesetzesrecht (statute law) bestimmt. Nun fehlt in England und Wales eine systematische Kodifikation des Strafprozessrechtes bzw. des Gerichtsverfassungsrechts. Dementsprechend ist das Recht der Jury anhand verschiedener Einzelgesetze, die aufeinander aufbauen und einander ergänzen bzw. aufheben, zu bestimmen.10 Weiterhin kennzeichnet englische Gesetzestexte ein detailreicher und kasuistischer Stil. Das ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass der englische Gesetzgeber danach strebt, Lücken im Gesetz möglichst zu vermeiden, weil die Gerichte dazu neigen, das statute law eng auszulegen.11 Dies steht im Übrigen im Zusammenhang mit den Besonderheiten der angelsächsischen rechtswissenschaftlichen Methodik, die Sachverhalte eher durch eine möglichst erschöpfende Darstellung als durch das Aufstellen allgemeiner Prinzipien regelt und insoweit durch induktives Vorgehen Recht setzt. Der neben dem Gesetzesrecht verbleibende Raum wird durch common lawMaximen ausgefüllt, die immer noch einen nicht unwesentlichen Bereich determinieren.12 Das common law besteht aus einem Gefüge von Präzedenzfällen (case law), das sich durch gerichtliche Einzelfallentscheidungen entwickelt hat. Innerhalb dieses Systems gilt die Doktrin der stare decisis, nach der Entscheidungen eines Gerichts für alle untergeordneten Gerichte und im Hinblick auf zukünftige Entscheidungen auch für das Gericht selbst verbindlich sind. Aufbauend auf diesem Konzept hat sich ein komplexes kasuistisches Geflecht ausgebildet, welches das Fundament des englischen Rechtes bildet.
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Ingman, English Legal Process, S. 209; Mackay of Clashfern, Halsbury’s, § 401. Der Umfang der Rechtsmaterie zeigt sich daran, dass nach einer neueren Zählung in England und Wales über 207 Gesetze mit strafrechtlichem Bezug existieren; vgl. Auld, Review, Chapter 9 Rn. 272. 11 Shears/Stephenson, James’ Introduction, S. 8. 12 Smith, Evidence, S. 183; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1152, der darauf hinweist, dass beispielsweise die Definition des Mordes auf eine common law Formulierung zurückgeht. 10
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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Zusätzlich zu den beiden Regelungsbereichen des statute law und des common law sind Richtlinien (Codes of Practice bzw. Practice Directions) für das Verhalten einzelner Verfahrensbeteiligter von Bedeutung. Diese Normen rangieren zwar als untergesetzliche Regelungsinstrumente unterhalb des statute law bzw. des common law, aufgrund der Bindungswirkung für ihre Adressaten haben die Codes of Practice bzw. Practice Directions dennoch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für das Strafverfahren und erinnern in dieser Hinsicht an die RiStBV in Deutschland.
3. Die Jury im System der Gerichtsverfassung Strafgerichte, in denen eine Jury über die Schuldfrage befindet, existieren in England und Wales nur am Crown Court. Dort ist die Beteiligung einer Jury auf erstinstanzliche Verfahren beschränkt. Bei dem Crown Court handelt es sich formal um ein einziges Gericht, das an jedem Ort in England und Wales Gerichtsverhandlungen abhalten kann. Zurzeit existieren achtzig Zweigstellen, so genannte Crown Court Centres, die auf sechs Regionen (circuits) verteilt sind13. Der Zuständigkeitsbereich des Crown Court lässt sich wegen der fehlenden Systematik der Delikte im englischen Recht nur schwer abstrakt bestimmen, denn die Zuweisung eines Delikts zu einem bestimmten Gericht erfolgt anhand seiner Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie von Delikten. Das englische Strafrecht kennt drei Deliktskategorien: die summary offences, die offences triable on indictment only und die offences triable either way. Die beiden letztgenannten Kategorien werden unter dem Oberbegriff indictable offences zusammengefasst. Diese Bezeichnung ist abgeleitet von indictment, d. h. förmliche Anklageschrift, die Voraussetzung für ein Verfahren vor dem Crown Court ist. Daraus ergibt sich, dass der Crown Court nur für indictable offences grundsätzlich sachlich zuständig sein kann. Die offences triable on indictment only sind besonders schwerwiegende Straftaten wie Mord (murder), Totschlag (manslaughter), Vergewaltigung (rape) oder Erpressung (blackmail), die ausschließlich dem trial by jury im Crown Court zugewiesen sind. Die offences triable either way sind als mittelschwere Delikte grundsätzlich dem Magistrates’ Court zugewiesen. Sie werden jedoch unter bestimmten Vorraussetzungen an den Crown Court zur Verhandlung überstellt.14 Eine Überstellung zum Crown Court ist in zwei Konstellationen möglich. Wenn der Richter am Magistrates’ Court zu der Überzeugung gelangt, dass es erforderlich sei, den Fall dem höheren Gericht zu überstellen und der Angeklagte dem zustimmt, wird der Fall am Crown Court weiter verhandelt. Die 13
Vgl. Supreme Court Act 1981, Section 46 (1); White, Structure and Organisation, S. 12. Die Überstellung vom Magistrates’ Court zum Crown Court erfolgt in einem besonderen Verfahren (committal). Für Einzelheiten zu diesem Verfahren: Pritchard, Guidebook, S. 612.; Schulte-Nover, Strafrichter, S. 218 ff. – Insgesamt zum heute geltenden Recht: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 128–132. 14
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
zweite Möglichkeit der Überstellung besteht darin, dass der Angeklagte selbst für ein Verfahren vor dem Crown Court optiert. Einer Entscheidung des Richters am Magistrates’ Court bedarf es in diesem Fall nicht. Die Begrenzung der Zuständigkeit des Crown Court auf die schwerwiegenden Delikte sorgt dafür, dass nur in rund 2 % aller Strafsachen prinzipiell eine Verhandlung mit Beteiligung einer Jury möglich ist.15 Praktisch reduziert sich dieser Anteil sogar noch weiter, da rund 58 % aller Angeklagten vor dem Crown Court schuldig plädieren (plead guilty) und daher kein Prozess vor einer Jury durchgeführt wird.16 Vor einer Jury wird daher nur etwa 1 % des Gesamtaufkommens aller Strafprozesse in England verhandelt.17 Angesichts dieser geringen Anzahl verwundert es auf den ersten Blick, welchen großen Stellenwert der trial by jury auch heute noch im englischen Rechtsbewusstsein einnimmt. Neben einer traditionellen Verbundenheit, die sich aus der historischen Entwicklung speist, kann der Stellenwert den der trial by jury auch heute noch genießt, jedoch auch damit erklärt werden, dass es sich bei den vor einer Jury verhandelten Verbrechen um die schwerwiegendsten Straftaten handelt, die auch medial die größte Aufmerksamkeit erfahren.
II. Eignungskriterien für den Dienst als Geschworener18 Um die Bedeutung der Laienbeteiligung im aktuellen englischen Strafprozess beurteilen zu können, ist weiterhin zu untersuchen, wie breit die Basis in der Bevölkerung ist, aus welcher die Geschorenen ausgewählt werden können. Zu diesem Zweck werden zunächst die Eignungskriterien für den Dienst in einer Jury erläutert. Es geht darum zu beschreiben, an welche allgemeinen Voraussetzungen das Gesetz die Fähigkeit, das Amt eines Geschworenen auszuüben, knüpft und welche Tatbestände vom Dienst in einer Jury ausschließen. Aus verschiedenen Gründen ist es denkbar, dass ein grundsätzlich geeigneter Kandidat nicht als Geschworener dienen will oder kann. Die damit verbundene Frage nach Möglichkeiten zur Befreiung von der Dienstpflicht ist je nach ihrer Ausgestaltung auch geeignet, den Zuschnitt des Reservoirs potentieller Geschworener zu verändern. Daher ist auch diesem Problem ein Teil der Darstellung gewidmet.
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Ingman, English Legal Process, S. 213. Judicial Statistics 2004, S. 90. 17 White, Structure and Organisation, S. 13; Elliott/Quinn, English Legal System, S. 178. 18 Vgl. Juries Act 1974, Section 1, ersetzt durch Criminal Justice Act 2003, Section 321 i. V. m. Schedule 33 (1), (2). 16
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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1. Allgemeine Voraussetzungen Die Eignungsvoraussetzungen für den Zugang zum Geschworenenamt wurden 2003 durch den Criminal Justice Act grundsätzlich novelliert. Seitdem ist jede Person zum Dienst in einer Jury geeignet, die zwischen 18 und 70 Jahren alt und als Wähler registriert ist. Der Grund für die zuletzt genannte Einschränkung ist praktischer Natur, da in England und Wales neben dem Wählerverzeichnis keine andere zentrale Registratur der Einwohner existiert. Weiterhin muss der oder die Betreffende seit dem dreizehnten Lebensjahr für mindestens fünf Jahre einen Wohnsitz im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, den Kanalinseln oder der Isle of Man gehabt haben. Personen mit körperlichen Behinderungen (disabled persons) dürfen grundsätzlich nicht vom Dienst in einer Jury ausgeschlossen werden. Von diesem Prinzip darf nur dann abgewichen werden, wenn zur Überzeugung des Richters feststeht, dass der Grad der Behinderung, beispielsweise Blindheit oder Taubheit, den betreffenden Juror daran hindert, effektiv in der Jury mitzuwirken.19
2. Ausschließungstatbestände – Ineligibility und Disqualification Personen können entweder aufgrund von „Unfähigkeit zum Amt eines Geschworenen“ (ineligibility) oder wegen „Untauglichkeit“ (disqualification) vom Dienst in einer Jury ausgeschlossen sein. Durch den Criminal Justice Act von 2003 wurden mit Ausnahme von mental disorder alle vorher geltenden Kategorien der ineligibility beseitigt.20 Als unfähig, das Amt des Geschworenen auszuüben, gelten daher nur noch Personen mit einer Geistesstörung (mental disorder). Dazu zählen solche Personen, die an Geisteskrankheit (mental illness), psychischen Störungen (psychopathic disorder) oder geistiger Behinderung (mental handicap) leiden oder gelitten haben und sich aufgrund dessen entweder einer stationären Behandlung oder regelmäßig einer Behandlung durch einen niedergelassenen Arzt (medical practitioner) unterziehen.21 Die Anwesenheit einer amtsunfähigen Person in der Jury berührt jedoch nicht die Rechtmäßigkeit einer Verurteilung22.
19 Vgl. Juries Act 1974, Section 9B; ergänzt durch den Criminal Justice and Public Order Act 1994 Section 168 (3) i. V. m. Schedule 11; für das dabei angewendete Verfahren vgl. unten 2. Teil A. IV. 3.: Ausscheiden einzelner Geschworener während des laufenden Verfahrens (discharge). 20 Vgl. zum alten Recht: Sprack, Emmins, S. 252. 21 Vgl. Juries Act 1974, Section 1 i. V. m. Schedule 1, Part 1; ersetzt durch Criminal Justice Act 2003, Section 321 i. V. m. Schedule 33 (1), (15). 22 Vgl. Juries Act 1974, Section 18 (1) (b); eingehend dazu unten 2. Teil A. VII. 2.: Die Zusammensetzung der Jury als Grund für ein Rechtsmittel.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
Grundsätzlich sind all jene Personen untauglich zum Dienst in einer Jury (disqualified), die unter Auflagen vorläufig aus der aufgrund eines Strafverfahrens verhängten Haft entlassen sind.23 Weiterhin ist jede Person untauglich, die im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, den Kanalinseln oder der Isle of Man zu einem Freiheitsentzug24 von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde. Untauglich sind gleichermaßen alle, die im Vereinigten Königreich, den Kanalinseln oder der Isle of Man in den letzten zehn Jahren eine Freiheitsstrafe verbüßen mussten oder zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurden. Schließlich sind auch all diejenigen Personen untauglich, welche in den letzten zehn Jahren einer Maßnahme in Bezug auf eine Abhängigkeit von Drogen bzw. Alkohol unterworfen waren.25 Die Anwesenheit einer untauglichen Person in der Jury hat ebenso wie die Anwesenheit einer amtsunfähigen Person keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit einer Verurteilung.26 Es ist jedoch strafbar, vorsätzlich als disqualifizierte Person in einer Jury Dienst zu leisten.27
3. Freistellungstatbestände Grundsätzlich besteht eine Pflicht zum Dienst als Geschworener. Das Nichterscheinen an dem durch Ladung zum Dienst bestimmten Tag kann daher mit einem Bußgeld geahndet werden.28 Ausnahmen von der Pflicht zum Dienst bestehen nur für diejenigen, welche, wie oben beschrieben, als Geschworene untauglich sind oder vom Dienst befreit wurden. Zuständige Behörde für einen Antrag auf Befreiung vom Dienst in einer Jury ist eine zentrale Behörde, genannt Jury Central Summoning Bureau (JCSB).29
23
Der entsprechende englische Fachterminus lautet to be on bail. Der Oberbegriff „Freiheitsentziehung“ bezeichnet hier verschiedene Formen, die im englischen Gesetzestext genannt sind. Dabei handelt es sich im Einzelnen um: imprisonment (Gefängnisstrafe), detention (Freiheitsentzug aufgrund vorläufiger Festnahme), custody (Untersuchungshaft), detention during her Majesty’s pleasure (einzige mögliche Freiheitsstrafe für Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren die wegen Mordes verurteilt wurden), detention during the pleasure of the Secretary of State [wie das Vorstehende, jedoch für Nordirland, vgl. Criminal Justice (Children) (Northern Ireland) Order 1998, Article 45(1)]. 25 Vgl. Juries Act 1974, Section 1 i. V. m. Schedule 1, Part 2; ergänzt durch Criminal Justice Act 2003, Section 321 i. V. m. Schedule 33 (1), (15). – Für England und Wales handelt es sich bei diesen Maßnahmen um eine Community Order nach Criminal Justice Act 2003, Section 117; eine Community Rehabilitation Order, eine Community Punishment Order; eine Community Punishment and Rehabilitation Order; eine Drug Treatment and Testing Order bzw. eine Abstinence Order oder eine vergleichbare Maßnahme nach schottischem Recht, dem Recht von Nord Irland, der Isle of Man oder der Kanalinseln. 26 Vgl. Juries Act 1974, Section 18 (1) (b); eingehend dazu unten 2. Teil A. VII. 2.: Die Zusammensetzung der Jury als Grund für ein Rechtsmittel. 27 Vgl. Juries Act 1974, Section 20. 28 Elliott/Quinn, English Legal System, S. 184; Mackay of Clashfern, Halsbury’s, § 417. 29 Gibson/Cavadino, Criminal Justice Process, S. 122. 24
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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Einen Anspruch auf Befreiung vom Dienst (excusal as of right) als Juror hat jede Person, die in den letzten zwei Jahren in einer Jury gedient hat, zum Dienst in einer Jury erschienen ist oder durch Gerichtsbeschluss vom Dienst befreit ist.30 Berufssoldaten sind dann zu befreien, wenn ihr Vorgesetzter bestätigt, dass der Zeitaufwand für die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung ihre Dienstausübung negativ beeinflussen würde.31 Weiterhin kann eine Person nach dem Ermessen des JCSB vom Dienst in einer Jury entschuldigt werden (discretionary excusal), wenn diese Person einen guten Grund (good reason) dafür vorbringt.32 Die Art der Ermessensausübung ist in einer Richtlinie des Lord Chancellor geregelt.33 Diese Richtlinie ist Ausdruck der Erkenntnis, dass der Dienst in einer Jury für den Einzelnen unter Umständen eine große persönliche oder berufliche Härte bedeuten kann. Sie bestimmt, Anträge auf Befreiung vom Dienst seien grundsätzlich wohlwollend zu prüfen. Als Gründe werden beispielsweise Krankheit, gebuchte Urlaubsreisen, Pflege von Familienangehörigen oder berufliche Verpflichtungen akzeptiert. Gleichermaßen werden Anträge auf Befreiung vom Dienst wegen mangelhaftem Verständnis der englischen Sprache oder wegen religiöser Überzeugungen in der Regel positiv beschieden.34 Gegen Entscheidungen des JCSB steht der Rechtsweg offen. Neben der Befreiung, die endgültigen Charakter hat, ist es möglich, eine zum Dienst in einer Jury geladene Person für eine bestimmte Zeit vom Erscheinen zum Dienst zurückzustellen (discretionary deferral). Voraussetzung dafür ist wiederum das Vorliegen eines guten Grundes, das vom JCSB nach Ermessen beurteilt wird.35 Eine Zurückstellung wird wegen ihrer zeitlichen Begrenzung vorrangig vor einer Befreiung gewährt.
4. Zusammenfassung Durch die Reform der Eignungskriterien durch den Criminal Justice Act 2003 ist eine umfassende Beteiligung am Dienst als Geschworene für alle Bevölkerungsgruppen und -schichten grundsätzlich gewährleistet. Die großzügige Handhabung 30
Vgl. Juries Act 1974, Section 8. Ingman, English Legal Process, S. 211; vgl. außerdem: Juries Act 1974, Section 9 (2A), ergänzt durch Criminal Justice Act 2003, Section 321 i. V. m. Schedule 33 (5). 32 Vgl. Juries Act 1974, Section 9 (2). 33 Vgl. Practise Direction (Criminal Proceedings: Consolidation), Part IV, [2002] 1 WLR, 2870 (2900); Rechtsgrundlage dafür ist der Juries Act 1974, Section 9AA, ergänzt durch den Criminal Justice Act 2003, Section 321 i. V. m. Schedule 33 (12). 34 Vgl. Ingman, English Legal Process, S. 211. 35 Vgl. Juries Act 1974, Section 9A, ergänzt durch den Criminal Justice Act 1988, Section 120, Criminal Justice Act 2003, Section 321 i. V. m. Schedule 33 (1), (7)-(11) und den Courts Act 2003, Section 109 (1) i. V. m. Schedule 8 (172). Die Ermessensausübung ist in derselben Richtlinie des Lord Chancellor geregelt, die auch bei einem Antrag auf Befreiung vom Dienst gilt. 31
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
der Möglichkeiten zur Befreiung vom Dienst, wie sie die Richtlinie des Lord Chancellor regelt, birgt jedoch die Gefahr, dass insbesondere beruflich stark beanspruchte Schichten der Bevölkerung in Juries unterproportional vertreten sind.
III. Die Auswahl der Geschworenen In der Vergangenheit war die Jury häufig der Kritik ausgesetzt, ihre Angehörigen seien hauptsächlich „männlich, mittleren Alters, von mittlerer Bildung und entstammten der Mittelschicht“36. Diese Einschätzung bemängelte, dass die englischen Juries nicht für das Gros der Bevölkerung repräsentativ gewesen seien. Heutzutage besteht das selbst formulierte Ziel des Auswahlverfahrens darin, eine repräsentative Jury zu kreieren. Der folgende Abschnitt befasst sich zuerst mit dem Thema, wie das Verfahren zur Auswahl der Geschworenen diesen Gedanken verfolgt und wie nahe es seinem Ideal kommt. Im Anschluss daran soll sodann die Frage nach der Anfälligkeit des Auswahlverfahrens für Manipulationen erörtert werden.
1. Ladung der Geschworenen (summoning jurors) Der erste Schritt bei der Auswahl der Geschworenen ist die Zusammenstellung der Geschworenenlisten (panels) anhand des Wählerregisters.37 Seit dem Ende des Jahres 2000 werden die Geschworenenlisten weitgehend automatisiert durch das Jury Central Summoning Bureau (JCSB) erstellt.38 Auf der Grundlage einer Schätzung des Bedarfs an Geschworenen, die von den einzelnen Crown Court Zentren angestellt und an das JCSB weitergeleitet wird, generieren Computer anhand einer elektronischen Kopie des Wählerverzeichnisses eines Bezirkes nach dem Zufallsprinzip Geschworenenlisten (panels). Auf einer Geschworenenliste (panel) finden sich somit die Namen all derer, die an einem gegebenen Tag zu einem bestimmten Crown Court Zentrum als potentielle Juroren geladen sind. Die panels enthalten Namen und Adressen der aufgelisteten Personen und werden veröffentlicht. So können sowohl Anklage als auch Verteidigung im Vorfeld Informationen über die potentiellen Juroren einholen.39 Ausgehend von den Geschworenenlisten werden Ladungen (summons) an die dort aufgelisteten Personen versandt. Die Ladungen beinhalten ein Jury Service Guide genanntes Merkblatt, das von der englischen Regierung herausgegeben 36 Engl. „male, middle-aged, middle-minded and middle-class“ zit. nach Devlin, Trial by Jury, S. 20. 37 Ingman, English Legal Process, S. 212. 38 Das JCSB ist auch zuständig für Anträge auf Befreiung vom Dienst in einer Jury bzw. für Anträge auf Zurückstellung. Es hat seinen Sitz in Blackfriars Crown Court Centre in London. 39 Vgl. Juries Act 1974, Section 5 (2).
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
203
wird, und das kurz die Rechte und Pflichten der Geschworenen sowie den Ablauf des Verfahrens erklärt. Ferner enthält die Ladung die Daten, an denen sich der oder die Geladene in einem bestimmten Crown Court Zentrum zum Dienst einzufinden hat. Die Daten umfassen zurzeit gewöhnlich einen Zeitraum von zwei Wochen, in denen sich der oder die Betreffende zur Verfügung des Gerichts halten muss. Die zwei Wochen entsprechen der geforderten Dauer des Dienstes40.
2. Aufstellung der Jury (empanelling) und Vereidigung der Juroren (swearing-in) Aus denjenigen, deren Namen das panel eines bestimmten Tages umfasst, müssen die Juries für die einzelnen Verfahren zusammengestellt werden. Das dafür angewandte Verfahren ist außerordentlich pragmatisch. Ein Bediensteter des Gerichts ruft von den geladenen Personen, die sich am Gericht im Warteraum der Geschworenen aufhalten, fünfzehn bis zwanzig von ihm zufällig ausgewählte Namen auf.41 Die aufgerufenen Personen bilden nunmehr die so genannte jury in waiting. Aus ihrem Kreis wird letztlich die eigentliche Jury ausgelost. Dies geschieht direkt vor der jeweiligen Gerichtsverhandlung öffentlich und insbesondere in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten.42 Bei der Auslosung werden vom Protokollführer (clerk) Karten mit den Namen der Geladenen gemischt und die zwölf obersten der Reihe nach vorgelesen.43 Diejenigen der Genannten, die nicht abgelehnt44 oder zum Warten aufgefordert45 werden, betreten danach den Bereich der Jury (jury box) und werden individuell vereidigt46. Dieser Prolog zur eigentlichen Verhandlung endet mit der Verlesung der Anklageschrift (indictment) zur Kenntnisnahme für die Juroren durch den Gerichts40
Auld, Review, Chapter 5 Rn. 221. Grove, Juryman’s Tale, S. 29 f.; vgl. die Beschreibung im Jury Service Guide, S. 4. 42 Die übrig gebliebenen potentiellen Geschworenen verlassen üblicherweise das Gericht wieder und stehen während ihrer zweiwöchigen Dienstzeit am folgenden Tag wieder als Geschworene zur Verfügung. Diese Art und Weise des Vorgehens, insbesondere die Öffentlichkeit der Auslosung, beruht auf einer langen Tradition und lässt sich bereits für das 19. Jahrhundert nachweisen, vgl. Mittermaier, Strafverfahren I, S. 308 f. 43 Sprack, Emmins, S. 255; Blackstone’s, D 12.7. 44 Vgl. unten 2. Teil A. III. 3.: Ablehnung einzelner Geschworener (challenging jurors). 45 Vgl. unten 2. Teil A. III. 3. b): Die aufschiebende Ablehnung einzelner Geschworener durch die Anklage (crown’s right to stand by). 46 Es ist ungesetzlich, die Geschworenen den Eid gemeinsam sprechen zu lassen; vgl. Juries Act 1974, Section 11 (3). Der Wortlaut des Eides (oath) ist: „I swear by Almighty God that I will faithfully try the defendant and give a true verdict according to the evidence.“ Es ist auch möglich, anstelle des Eides eine feierliche Versicherung (solemn affirmation) abzugeben, welche die religiöse Beteuerung vermeidet und deren Wortlaut ist: „I do solemnly, sincerely and truly declare and affirm that I will faithfully try the defendant and give a true verdict according to the evidence“; vgl. Practise Direction (Criminal Proceedings: Consolidation), Part IV, [2002] 1 WLR, 2870 (2900). 41
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
diener. Verlesen werden jedoch nur diejenigen Anklagepunkte (counts), bezüglich derer sich der Angeklagte für „nicht schuldig“ erklärt hat.47
3. Die Ablehnung einzelner Geschworener (challenging jurors) Die folgende Darstellung bewegt sich, bezogen auf den Zeitablauf des Verfahrens, etwas vor den soeben erreichten Punkt der Vereidigung zurück und setzt nach der Auslosung der Juroren an. Mit der Auslosung endet der von Amts wegen durchgeführte und aus überwiegend mechanischen Schritten bestehende Abschnitt des Auswahlverfahrens. Es beginnt danach ein parteidominierter Abschnitt, in dem der Angeklagte, die Anklagevertretung oder der Richter einzelne Juroren von der Teilnahme am Verfahren ausschließen können.
a) Ablehnung aus sachlichen Gründen (challenge for cause) Seit der Abschaffung der peremptory challenge 198948 können Angeklagte Juroren nur noch unter Angabe von Gründen ablehnen (challenge for cause). Der Vertretung der Anklage (prosecution)49 steht dasselbe Recht zu.50 Möglich ist auch eine Selbstablehnung durch einen potentiellen Juror, indem er oder sie sich selbst als nicht qualifiziert bezeichnet.51 Die Anzahl der Ablehnungen durch die Verfahrensbeteiligten ist nicht begrenzt.52 Die Ablehnung muss unmittelbar, nachdem der Name des betreffenden möglichen Jurors aufgerufen wurde, erklärt werden. Eine challenge nach der Vereidigung ist nicht mehr zulässig.53 Für gewöhnlich wird die Ablehnung dadurch angezeigt, dass nach der Nennung des Namens das Wort challenge gesprochen wird. Die Beweislast hinsichtlich der behaupteten Voreingenommenheit trifft die Partei, welche sich darauf beruft. In der Regel findet dazu eine Anhörung statt. Diese kann unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt werden. Dabei können der 47
Sprack, Emmins, S. 255. Vgl. oben 1. Teil A. V. 5. d): Abschied von Traditionen. 49 Die Anklagevertretung in Strafsachen wird in England von einer Crown Prosecution Service (CPS) genannten Behörde übernommen. Im Unterschied zur deutschen Staatsanwaltschaft ist der CPS jedoch nicht Herr des Ermittlungsverfahrens. Diese Rolle wird in England von der Polizei wahrgenommen. Dem CPS obliegt nur die Entscheidung, ob aufgrund der von der Polizei gesammelten Beweise Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt wird; vgl. dazu: Sprack, Practical Approach, 3.05 ff. 50 Gibson/Cavadino, Criminal Justice Process, S. 122. 51 Blackstone’s, D 12.11. 52 Sprack, Emmins, S. 258. 53 Die entsprechende Norm, Juries Act 1974, Section 12 (3), ist jedoch als Sollvorschrift formuliert, so dass es im Ermessen des Richters liegt, eine challenge auch nach der Eidesleistung zuzulassen. 48
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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betroffene potentielle Juror und Zeugen befragt werden. Wird dem Antrag auf Ablehnung stattgegeben, verlässt der Abgelehnte den Gerichtsaal und steht für andere Verfahren weiter zur Verfügung. Eine challenge for cause gemäß Section 12 (4), Juries Act 1974 ist bei solchen Geschworenen gerechtfertigt, welche die Eignungskriterien für den Jurydienst nicht erfüllen. Darüber hinaus kann eine Ablehnung dann erfolgen, wenn ein potentieller Geschworener zu der Vermutung Anlass gibt, er wäre voreingenommen (challenge propter affectum). Insoweit lässt sich durchaus eine Parallele zu § 24 I StPO erkennen, der die Ablehnung eines Richters und i. V. m. § 31 I StPO auch eines Schöffen wegen Besorgnis der Befangenheit ermöglicht, weil eine derartige Ablehnung gem § 24 II StPO veraussetzt, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Zu der Frage, wann ein Geschworener voreingenommen ist, gibt es eine umfangreiche Kasuistik. Deren wichtigste Kriterien bestehen darin, dass niemand Juror sein soll, der zuvor Feindseligkeit gegenüber einer Partei hat erkennen lassen, einen Wunsch bezüglich des Verfahrensausganges geäußert hat sowie mit einer Partei verwandt ist oder sich in einem Dienstverhältnis zu ihr befindet.54 In der Mitte des vorigen Jahrhunderts waren eine Zeit lang Bestrebungen zu beobachten, die Gründe für eine Ablehnung auszuweiten. Vor ihrer Vereidigung sahen sich die Geschworenen daher Fragen nach ihrer politischen Einstellung, ihrer beruflichen Tätigkeit oder Verwandten, die in der Armee dienten, ausgesetzt. Diese Strömung konnte sich jedoch nicht durchsetzen, weil in England die Ansicht vorherrscht, bereits durch die strenge Zufälligkeit der Auswahl sei die Unparteilichkeit der Jury am besten gewährleistet.55 Mittelweile existiert eine Richtlinie (Practise Direction) des Lord Chief Justice, welche die Gründe beschreibt, die eine Ablehnung aus sachlichen Gründen rechtfertigen können und außerdem bestimmt, welche Umstände eine sachlich begründete Ablehnung nicht tragen.56 Danach sollen mögliche Juroren nicht aufgrund ihrer Rasse, politischer Anschauungen, Religion oder ihrer beruflichen Stellung vom Dienst in einer Jury ausgeschlossen werden. Das größte praktische Hindernis der challenge for cause ist nicht allein der Umstand, dass die den Antrag stellende Partei die Beweislast für die Ungeeignetheit des abgelehnten Jurors trägt. Eine viel schwieriger zu nehmende Hürde ist die Aufgabe, bereits bei der Stellung des Antrags prima facie Beweise anzuführen, welche für eine Ungeeignetheit sprechen.57 Dies bedeutet, dass anders als bei54
Blackstone’s, D 12.11. Sprack, Emmins, S. 257; McCabe, Jury Research; S. 31; Hans/Vidmar, Judging the Jury, 48 f.; Grube, Richter ohne Robe, S. 215. 56 Vgl. Practise Direction, [1973] 1 All ER, 240. 57 Sanders/Young, Criminal Justice, S. 563; Sprack, Emmins, S. 259; Blackstone’s, D 12.12; R v Chandler [1964] 2 QB, 322 (338). 55
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
spielsweise im US-amerikanischen Recht, eine intensive Befragung des möglichen Jurors „ins Blaue hinein“ unzulässig ist.58 Beweise für eine Voreingenommenheit müssten deshalb schon im Vorfeld der Verhandlung beschafft werden. Dies ist wegen der in den Geschworenenlisten veröffentlichten Personalangaben der Juroren zwar prinzipiell möglich, in der Praxis jedoch mit großem Aufwand verbunden. Daher ist die Ablehnung eines Geschworenen aus sachlichen Gründen selten.59
b) Die aufschiebende Ablehnung einzelner Geschworener durch die Anklage (crown’s right to stand by) Neben dem Recht auf Ablehnung von Juroren unter Angabe von Gründen kann die Vertretung der Anklage (prosecution) Juroren in den Wartestand versetzen, indem sie die Betreffenden auffordert, vorläufig nicht auf der Bank der Jury Platz zu nehmen, sondern sich weiter zur Verfügung zu halten. Dieses Institut wird in Anlehnung an die Aufforderung, sich zur Verfügung zu halten, crown’s right to stand by genannt. Es steht ausschließlich der Anklage zu.60 Technisch handelt es sich bei der Aufforderung, sich zur Verfügung zu halten, um eine challenge for cause, deren Gründe vorläufig noch nicht genannt werden sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt näher untersucht werden sollen.61 Eine Offenlegung dieser Gründe würde dann erforderlich, wenn kein potentieller Geschworener mehr zur Verfügung stünde. Träte dieser Fall ein, müsste die Anklage entweder einen der zum Warten Aufgeforderten als Juror akzeptieren oder Gründe nennen, warum er vom Verfahren ausgeschlossen bleiben solle. Praktisch relevant ist dieses Szenario jedoch nicht, weil regelmäßig eine ausreichende Anzahl von Kandidaten für die Jury vorhanden ist. Folglich kommt das Recht zur aufschiebenden Ablehnung einem Recht zur Ablehnung ohne Angabe von Gründen (peremptory challenge) gleich.62 Die Ausübung des Rechts zur aufschiebenden Ablehnung wird durch eine Richtlinie (Guidelines on the Exercise of the Crown’s Right to Stand by) des Generalstaatsanwalts (Attorney General) geregelt und dadurch in seiner Bedeutung stark reduziert.63 Gemäß dieser Richtlinie soll das Recht zur aufschiebenden Ablehnung nämlich sparsam und nur unter außergewöhnlichen Umständen ausgeübt werden.
58
Darbyshire, English Legal System, S. 57; ausführlich zum amerikanischen Recht: Grube, Richter ohne Robe, S. 213 ff. 59 Pattenden, Judicial Discretion, S. 156. 60 R v Chandler [1964] 2 QB, 322 (337); Blackstone’s, D 12.13. 61 Ingman, English Legal Process, S. 213; dieser Umstand war auch Anlass für die hier gewählte Übersetzung als „aufschiebende Ablehnung“. 62 Ingman, English Legal Process, S. 213; Sprack, Emmins, S. 258; Blackstone’s, D 12.13. 63 Practise Note, [1988] 3 All ER, 1086 ff.; Sprack, Emmins, S. 258.
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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Ein derartiger Umstand soll dann gegeben sein, wenn eine Überprüfung des potentiellen Jurors ergeben hat, dass er oder sie dringend verdächtig ist, ein Sicherheitsrisiko darzustellen, für unangemessene Einflüsse empfänglich zu sein oder von sachfremden Erwägungen bei der Entscheidungsfindung geleitet zu werden. In diesem Fall bedarf die Ausübung des Rechtes zur Versetzung in den Wartestand jedoch der persönlichen Genehmigung des Attorney General. Weiterhin darf ein potentieller Geschworener dann in den Wartestand versetzt werden, wenn er offensichtlich ungeeignet (manifestly unsuitable) ist64 und die Verteidigung zustimmt. Die Richtlinie stellt zudem klar, dass die Ausübung des Rechtes zur Versetzung in den Wartestand nicht dazu genutzt werden soll, die Zusammensetzung einer Jury in einer Weise zu beeinflussen, die der Anklage einen unfairen taktischen Vorteil gegenüber der Verteidigung verschaffen würde.65
c) Die aufschiebende Ablehnung einzelner Geschworener durch den Richter (judge’s right to stand by) Der Richter verfügt über ein komplementäres Recht, einen potentiellen Juror durch Versetzung in den Wartestand vom Verfahren auszuschließen.66 Dieses kann er dann ausüben, wenn bis zum Augenblick der Eidesleistung eines Jurors dessen Ungeeignetheit offenbar wird.67 Umstritten ist dagegen, ob der Richter gleichfalls bei Problemen allgemeiner Natur intervenieren soll, um beispielsweise eine ausgewogene Zusammensetzung der Jury zu erzwingen. Anlass zu dieser Diskussion gaben Fälle von Angeklagten aus ethnischen Minderheiten, die eine Anwesenheit von Angehörigen ihrer Volksgruppe in der Jury durchsetzen wollten.68 Vor der Abschaffung der Ablehnung ohne Angabe von Gründen (peremptory challenge)69 konnte die Verteidigung oft eine ethnisch ausbalancierte Jury aus eigener Kraft ermöglichen. Versuche aus der Richterschaft, durch Ausübung des Rechtes zur aufschiebenden Ablehnung die Zusammensetzung der Jury im Sinne eines ethnischen Gleichgewichts zu beeinflussen, sind durch den Court of Appeal bisher stets zurückgewiesen worden.70 Trotz eines entsprechenden Vorschlags
64
Als Beispiel führt die Richtlinie einen Analphabeten an. Practise Note, [1988] 3 All ER, 1086. 66 Blackstone’s, D 12.14. m. w. N. 67 Die Ausübung des Rechtes auf aufschiebende Ablehnung durch den Richter ist beispielsweise dann denkbar, wenn es sich herausstellt, dass der Betreffende nicht ausreichend lesen kann; vgl. Sprack, Emmins, S. 259 f. 68 Sprack, Emmins, S. 260. 69 Vgl. dazu oben 1. Teil A. V. 5. d): Abschied von Traditionen. 70 R v Ford, [1989] QB, 868; R v Smith, [2003] 1 WLR, 2229, CA; Sprack, Emmins, S. 260; Blackstone’s, D 12.14. 65
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
der Royal Commission on Criminal Justice von 1991 unter dem Vorsitz von Lord Runciman71, sind bis heute noch keine Anzeichen sichtbar, die auf eine Initiative des Gesetzgebers zur Sicherstellung ethnischer Balance durch den Richter hindeuten würden.72
4. Überprüfung potentieller Juroren (jury vetting) Die Überprüfung des Hintergrundes potentieller Juroren (jury vetting) im Hinblick auf eine Ablehnung aus sachlichen Gründen wurde bereits oben mit dem Hinweis auf das Erfordernis der Beschaffung von Beweisen für eine Voreingenommenheit im Vorfeld der Verhandlung thematisiert. Praktisch wird die Überprüfung durch die Regelung im Juries Act 1974, Section 5 (2) ermöglicht. Sie gestattet den Verfahrensbeteiligten, Einsicht in die Jurylisten zu nehmen. In England und Wales existiert kein Gesetz, welches das jury vetting ausdrücklich verbietet.73 Das jury vetting wird deshalb überwiegend als legal beurteilt, obwohl eine Befugnisnorm fehlt, die eine rechtliche Grundlage für die Überprüfungen schaffen und gleichzeitig deren Ausmaß bestimmen würde. Die Überprüfung der möglichen Juroren bedarf darüber hinaus keiner vorherigen richterlichen Genehmigung.74 Die Ausforschung der potentiellen Juroren in England und Wales bewegt sich damit allerdings in einer rechtlichen Grauzone. Das jury vetting genießt darüber hinaus einen „schlechten Ruf“, weil es insbesondere von staatlichen Stellen angewandt und daher oft mit obrigkeitlicher Schnüffelei und Einmischung gleichgesetzt wird. Die Überprüfung erfolgt anhand der polizeilichen Strafregister (police criminal records) der Betreffenden. Unter Umständen werden auch geheimdienstliche Erkenntnisse mit einbezogen. Grundsätzlich soll nach der für das Verhalten staatlicher Stellen bei der Überprüfung von Juroren maßgeblichen Richtlinie (Guidelines on the Exercise of the Crown’s Right to Stand by75) des Generalstaatsanwalts (Attorney General) auch die Befragung von Freunden, Nachbarn und Familienangehörigen zulässig sein, wenn die Überprüfung der Polizeiakten zu einem entsprechenden Verdacht Anlass gegeben hat. Das jury vetting hat daher mitunter erhebliche Eingriffe in die Privatsphäre potentieller Juroren zur Folge. Diese Eingriffe bewegen sich weitgehend im rechtlichen Niemandsland. Daher sind gegen das jury vetting rechtsstaatliche Bedenken angebracht.76
71
Runciman, Royal Commission, Rn. 62 ff. Sprack, Emmins, S. 261. 73 Sprack, Emmins, S. 261. 74 Ingman, English Legal Process, S. 216. 75 Vgl. Practise Note, [1988] 3 All ER, 1086 ff. 76 Eingehend zu den Problemen in rechtsstaatlicher Hinsicht: unten 2. Teil A. III. 5. c): Jury vetting und crown’s right to stand by. 72
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Abgesehen davon scheint das jury vetting auch dem in England und Wales geltenden Prinzip zu widersprechen, dass eine Jury aus zwölf zufällig aus einer geeigneten Liste zusammengestellten Personen bestehen muss, um ihre Unparteilichkeit zu sichern.77 Die Notwendigkeit einer zufälligen Auswahl der Juroren betont im Grundsatz auch die Richtlinie Guidelines on the Exercise of the Crown’s Right to Stand by. Als Ausnahmen von diesem allgemeinen Grundsatz nennt die Richtlinie zwei Fälle, in denen die üblichen Schutzmechanismen gegen die Teilnahme ungeeigneter Juroren nicht ausreichen würden und jury vetting daher angebracht sein solle. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen Fragen der nationalen Sicherheit berührt sind oder Terrorismusverdacht im Raum steht.
5. Kritik am Auswahlverfahren Das derzeit in England und Wales praktizierte Auswahlverfahren ist verschiedenen Einwänden ausgesetzt. Die hierbei angesprochenen Themenfelder betreffen vor allem Probleme in den Bereichen der zufälligen Auswahl der Geschworenen, der Überprüfung der verbliebenen Eignungskriterien sowie rechtsstaatliche Standards. Diesen Gegenständen sind die folgenden Absätze gewidmet.
a) Defizite bei der zufälligen Auswahl der Geschworenen Der bekannte englische Jurist Lord Denning78 hat einmal den Zweck der Zufallsauswahl der Geschworenen folgendermaßen zusammengefasst: „Wir glauben, dass zwölf zufällig ausgewählte Personen wahrscheinlich einen Querschnitt der Bevölkerung als Ganzes bilden und auf diese Weise eine Jury erzeugen, die hinreichend repräsentativ für die Breite der Gesellschaft ist“79. Der Ansatz, durch zufällige Auswahl alle Bevölkerungsgruppen entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung an der Jury zu beteiligen, erscheint zunächst überzeugend.80 Bei genauerem Hinsehen offenbart er jedoch strukturelle Schwächen bei seiner praktischen Durchführung. 77
Ingman, English Legal Process, S. 215. Alfred Thompson, Baron Denning (1899–1999) war einer der bedeutendsten englischen Juristen des vergangenen Jahrhunderts. Er diente nicht zuletzt 20 Jahre lang (1962–1982) als Master of the Rolls [Vorsitzender Richter der Zivilkammer (civil division) des zweithöchsten englischen Gerichts des Court of Appeal] und prägte in dieser Eigenschaft wesentlich die Weiterentwicklung des common law im 20. Jahrhundert; vgl. auch Denning, Family Story, S. 159 ff. 79 Vgl. Crown Court at Sheffield, ex parte Brownlow [1979] CrimLR 272: „We believe that twelve persons selected at random are likely to be a cross-section of the people as a whole so as to produce a jury which is reasonably representative of the wider community“; Brooks, 21 Journal of Applied Philosophy (2004), 197 (203). 80 Grundsätzlich instruktiv zum Auswahlverfahren nach dem Zufallsprinzip, wenngleich speziell für die Auswahl von Schöffen: Allgaier, MDR 1985, 462 (463). 78
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
An erster Stelle erweist sich das Wählerregister als eine ungenügende Basis für die Zusammenstellung der Geschworenenlisten.81 Das Wählerregister reagiert nur schleppend auf Veränderungen bei den in einem Wahlbezirk lebenden Personen und ist daher oft nicht aktuell. Davon abgesehen waren, wie eine Untersuchung des Innenministeriums (Home Office) im Jahre 1999 ergab, ungefähr 8 % aller zum Dienst in einer Jury geeigneten Personen gar nicht im Wählerverzeichnis eingeschrieben. Zu der Gruppe der nicht Registrierten gehören dieser Untersuchung zufolge beispielsweise 21 % der 20- bis 24-jährigen sowie ein unverhältnismäßig hoher Anteil von Personen aus ethnischen Minderheiten.82 Aufgrund seiner Unvollständigkeit ist das Wählerregister mithin nicht repräsentativ. Andere Untersuchungen haben außerdem bestätigt, dass Männer in Juries überrepräsentiert sind.83 Dasselbe gilt für die Altersgruppen zwischen 35 und 65 Jahren. Dagegen entspricht der große Anteil der Arbeiter aus Dienstleistungs- und Handwerksberufen an den Juroren nicht ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Ein weiteres Problem des Auswahlverfahrens sind rassistische Vorurteile innerhalb von Juries. Die Auswahl nach dem Zufallsprinzip ergibt ein recht genaues Abbild der Bevölkerungsstruktur eines Gerichtsbezirkes. Daher ist es möglich, dass ein Angeklagter, dessen ethnische Herkunft sich nicht in diese Struktur einfügt, mit einer Jury konfrontiert ist, die ihm gegenüber aus rassistischen Gründen voreingenommen ist. Es ist inzwischen empirisch belegt, dass die ethnische Zusammenfügung einer Jury durchaus Auswirkungen auf das Urteil haben kann84. Handlungsbedarf scheint gleichermaßen vor dem Hintergrund einer steigenden Anzahl rassistisch motivierter Delikte gegeben zu sein. Ein Verfahren vor einem unabhängigen, unparteilichen Tribunal wird darüber hinaus auch von Art. 6 EMRK verlangt. Ferner ist es rechtsgeschichtlich nicht ohne Präzedenz, bei der Zusammensetzung der Jury die Herkunft des Angeklagten zu beachten.85 Als ein möglicher Weg zur Generierung einer ethnisch ausgewogenen Jury ist bereits oben die teilweise geforderte Ausweitung des richterlichen Rechts zur aufschiebenden Ablehnung einzelner Geschworener (judge’s right to stand by) erwähnt worden. Diese Alternative würde die Gefahr der Manipulierbarkeit durch 81 Lord Auld (geb. 19.06.1937, Richter am Court of Appeal und Autor eines Reports zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit der englischen Strafgerichte) empfahl aus diesem Grund in seinem Report, dass das Wählerregister nicht mehr als die alleinige Auswahlgrundlage herangezogen werden, sondern auch andere öffentliche Verzeichnisse benutzt werden sollten; vgl. Auld, Review, Chapter 5 Rn. 24. – Die Regierung ist dieser Empfehlung jedoch nicht gefolgt. 82 Sanders/Young, Criminal Justice, S. 564; Airs/Shaw, Excusal and Deferral, S. 2. 83 Baldwin/McConville, Jury Trials, S. 97; Zander/Henderson, Crown Court Study, S. 234. 84 Auld, Review, Chapter 5 Rn. 56; Robertshaw/Cox/van Hoen, 20 Int.J.Soc.L. (1992), 271 (282 f.); Darbyshire/Maughan/Stewart, Jury Research, S. 16 m. w. N. 85 Bis 1870 konnten Angehörige von Minderheiten und Ausländer verlangen, von einer Jury abgeurteilt zu werden, die zur Hälfte aus Landesfremden bestand. Diese Einrichtung wurde jury de mediate linguae genannt; vgl. Darbyshire/Maughan/Stewart, Jury Research, S. 18; Bentley, English Criminal Justice, S. 90.
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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die Parteien des Rechtsstreits zwar senken, jedoch beantwortet auch sie nicht die Frage nach den Kriterien, die einer faireren Auswahl zugrunde liegen sollten. Es bleibt somit abzuwarten, ob der englische Gesetzgeber in dieser Richtung aktiv wird.86
b) Kontrolle der Eignungskriterien Damit die Teilnahme ungeeigneter Geschworener an einem Verfahren verhindert wird, bedarf es der Kontrolle der gesetzlich vorgeschriebenen Eignungskriterien. In England und Wales gibt es keine systematische Kontrolle. Vielmehr wird auf die Verantwortung der geladenen Personen und der Parteien des Verfahrens abgestellt. An das Verantwortungsgefühl der potentiellen Geschworenen appelliert ein Merkblatt, das der Ladung zum Jurydienst beiliegt und über die Merkmale der Untauglichkeit bzw. Unfähigkeit informiert. Der künftige Juror wird außerdem an seine Pflicht erinnert, das Gericht zu informieren, wenn er zum Dienst untauglich oder unfähig ist. Eine Garantie, dass dieser Pflicht immer genügt wird, ist damit freilich nicht gegeben. Die Regeln zur Ablehnung von einzelnen Geschworenen durch die Parteien erweisen sich gleichfalls als wenig effektiv, um ungeeignete Juroren vom Dienst fernzuhalten. Aufgrund der wenigen in den Geschworenenlisten enthaltenen Personalangaben würde es beträchtlichen Aufwand erfordern, einer möglichen Disqualifikation einzelner Juroren nachzuspüren. Obwohl jede Partei eines Strafverfahrens das Recht hat, die Listen der potentiellen Geschworenen einzusehen, läuft dieses Recht daher weitgehend leer.87 Selbst für die Anklage, der theoretisch die Ressourcen des Staatsapparates zur Verfügung stehen, lohnt eine eingehende Prüfung selten. Die Verteidigung dagegen verfügt schon aus finanziellen Gründen regelmäßig noch nicht einmal über die Möglichkeit einer Überprüfung der Geschworenenlisten auf unqualifizierte Kandidaten. Diese Schwierigkeiten geben zu der Vermutung Anlass, dass viele unqualifizierte Juroren in Juries Dienst tun.88 Bei aller Kritik darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Rückgriff auf private Initiativen zur Aufdeckung einer eventuell fehlenden Qualifikation aufgrund der spezifischen Verhältnisse in England und Wales derzeit alternativlos ist. Das Wählerregister beinhaltet abgesehen vom Alter keine Informationen über eine möglicherweise fehlende Qualifikation der möglichen künftigen Geschworenen. Es existiert außerdem noch kein anderes zentrales Register, das dem Staat eine gründliche Überprüfung ermöglichen würde. Diese Umstände lassen den Gedanken nicht abwegig erscheinen, dass ein Teil der Zu86 87 88
Vorschläge zur Lösung der Problematik in: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 59 ff. Spencer, Machinery of Justice, S. 387. Blackstone’s, D 12.11; Spencer, Machinery of Justice, S. 387; Sprack, Emmins, S. 254.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
rückhaltung der höheren englischen Gerichte bei der Aufhebung von Sprüchen einer fehlerhaft besetzten Jury auf die Erkenntnis innerhalb der Richterschaft zurückzuführen ist, dass dem Problem der Eignungsüberprüfbarkeit von Geschworenen nur schwer beizukommen ist.89
c) Jury vetting und crown’s right to stand by Die aus rechtsstaatlicher Sicht brisantesten Probleme des Auswahlverfahrens der Geschworenen sind das jury vetting90 und crown’s right to stand by. Das Recht auf Ablehnung einzelner Geschworener durch die Anklage (crown’s right to stand by) ist die signifikanteste Durchbrechung des Zufallsprinzips bei der Auswahl der Geschworenen. Bereits für sich genommen widerspricht dieses Recht dem Prinzip der Waffengleichheit zwischen den Parteien des Strafprozesses, weil es nur der Anklage zusteht.91 Die Möglichkeit des jury vetting steht im Gegensatz dazu zwar theoretisch beiden Parteien offen, praktisch ist es jedoch nur für die Anklagevertretung möglich, weil nur sie auf die Mithilfe und die Ressourcen staatlicher Organe zurückgreifen kann. Die Verteidigung hat regelmäßig nicht die Mittel, den Hintergrund aller auf dem panel genannten Personen überprüfen zu lassen.92 Ein weiterer problematischer Punkt in diesem Kontext ist der Umstand, dass die Anklage nicht verpflichtet ist, der Verteidigung den etwaigen Verdacht der Voreingenommenheit eines Jurors gegen den Angeklagten mitzuteilen.93 Das eigentliche Ungleichgewicht zuungunsten des Angeklagten wird durch die Kombination von crown’s right to stand by und jury vetting erzeugt.94 Das Recht zur aufschiebenden Ablehnung ist dabei das Werkzeug der Anklage, ihre beim jury vetting erhaltenen Untersuchungsergebnisse praktisch zu verwerten. Dabei summieren sich der fehlende Zwang zur Offenlegung der Ablehnungsgründe bei der Ausübung des right to stand by und die Heimlichkeit, die dem jury vetting inne89
Die Anforderungen für Aufhebung eines verdict wegen behaupteter disqualification eines mitwirkenden Jurors sind sehr streng. Eingehend dazu unten 2. Teil A. VII. 2.: Die Zusammensetzung der Jury als Grund für ein Rechtsmittel. 90 Vgl. bereits oben 2. Teil A. III. 4.: Überprüfung potentieller Juroren (jury vetting). 91 Bis 1989 stand dem crown’s right to stand by korrespondierend das Recht des Angeklagten gegenüber, bis zu drei Geschworene ohne Angabe von Gründen abzulehnen (peremptory challenge). Trotz Kritik an dem Ungleichgewicht, das durch die Abschaffung der peremptory challenge geschaffen wurde, zeigen statistische Untersuchungen, dass ihre Abschaffung keinen messbaren Einfluss auf den Anteil der Freisprüche hatte; vgl. Doran, Trial by Jury, S. 389. Dieses an sich beruhigende Ergebnis darf gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ungerechtigkeiten im Einzelfall, die es letztlich zu vermeiden gilt, in statistischen Untersuchungen typischerweise in der Masse der Zahlen untergehen. 92 Sprack, Emmins, S. 261; Blackstone’s, D 12.16. 93 Sanders/Young, Criminal Justice, S. 562. 94 Darbyshire, English Legal System, S. 57.
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wohnt, zu einer Gelegenheit für die Anklage, die Jury in ihrem Sinne zu manipulieren. Auch die Richtlinien des Attorney General sind wenig geeignet, Transparenz auf diesem Gebiet herzustellen, solange die Ablehnungsgründe und das vetting selbst geheim bleiben. Ein weiterer Grund zu rechtsstaatlichen Bedenken liegt darin, dass die Richtlinien des Attorney General keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage (statutory basis) enthalten und eine richterliche Kontrolle der Überprüfung der Geschworenen nicht möglich ist. Das gesamte Verfahren des jury vetting bewegt sich somit quasi im rechtsfreien Raum. Aus diesen Gründen war das jury vetting Gegenstand einer Reihe von Entscheidungen des Court of Appeal. Während in R v Crown Court at Sheffield (ex parte Brownlow)95 das jury vetting in einem obiter dictum noch als ungesetzlich (unconstitutional) bezeichnet wurde, sah der Court of Appeal in R v Mason96 das jury vetting als notwendiges Instrument zum Ausschluss ungeeigneter Personen an. Schließlich wurde 1990 in R v McCann and others entschieden, dass jury vetting nach den in den Guidelines on the Exercise of the Crown’s Right to Stand by des Attorney General niedergelegten Prinzipen rechtmäßig sei.97
6. Zusammenfassung Die gewonnenen Ergebnisse führen zu dem Schluss, dass nach englischem Verständnis die zufällige Auswahl der am besten geeignete Weg ist, um sicherzustellen, dass die Jury einen Querschnitt der Gesellschaft repräsentiert.98 Es wird zudem herausgestellt, dass durch das Zufallsprinzip eine möglichst unparteiische Jury gebildet werden soll. Der Auswahlprozess ist wesentlich gekennzeichnet durch weitgehende Anwendung des Zufallsprinzips und staatliche Zurückhaltung bei der Kontrolle der Eignungskriterien, mittels eines weitgehend mechanisierten Auswahlverfahrens. Es ist jedoch auch gezeigt worden, dass das Prinzip der zufälligen Auswahl, wie es in England und Wales praktiziert wird, nicht in jedem Fall eine repräsentative Jury gewährleistet. Selbst wenn die Jury in der heutigen Zeit nicht mehr vornehm95 R v Crown Court at Sheffield (ex parte Brownlow) [1980] 2 All ER, 444, CA; in dieser Entscheidung wurde darauf abgestellt, dass jury vetting einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre ohne gesetzliche Grundlage darstellte. 96 R v Crown Court at Sheffield (ex parte Brownlow) [1980] 3 All ER, 777, CA; in der Entscheidung R v Mason stellte Lawton LJ fest, dass die Polizei als zuständige Stelle zur Durchführung von jury vetting sich damit im Rahmen ihren gewöhnlichen Pflichten bewege, weil es eine strafbare Handlung sei, vorsätzlich als untaugliche Person in einer Jury zu dienen. 97 Spencer, Machinery of Justice, S. 389; R v McCann and others 92 Cr App R, 239, CA. 98 Das Ausmaß des Vertrauens in das Prinzip der zufälligen Auswahl wird besonders anhand der Rechtsprechung zur Beeinflussung der Zusammensetzung der Jury durch den Richter deutlich; vgl. Sanders/Young, Criminal Justice, S. 564; Auld, Review, Chapter 5 Rn.51 f.; a. A. R v Ford [1989] QB; 868; Ingman, English Legal Process, S. 223.
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lich aus männlichen Durchschnittsbürgern besteht und damit dem Ideal der Repräsentativität nahe kommt, stellt sie doch keinen genauen Querschnitt durch die englische Gesellschaft dar. Die Erkenntnis dieser Situation ist letztlich der Anlass für unterschiedliche Instrumente der individuellen Selektion, welche das Zufallsprinzip durchbrechen und eine individuelle Auswahl der Juroren ermöglichen sollen.99 Auf diese Weise werden einerseits Schwächen der zufälligen Auswahl behoben, die Steuerungsinstrumente bergen andererseits jedoch selbst Probleme. Von diesen steht an erster Stelle die Gefahr der Manipulierbarkeit von Juries, die durch das crown’s right to stand by der Anklagevertretung besonders in Verbindung mit der Möglichkeit des jury vetting eröffnet wird.
IV. Die Jury in der Hauptverhandlung In englischen Beschreibungen des Strafprozesses vor einer Jury findet sich oft die Anmerkung, es sei unpräzise, von einem trial by jury zu sprechen, stattdessen käme die Bezeichnung trial by judge and jury der tatsächlichen Natur des Verfahrens näher100. Der nachstehende Abschnitt unternimmt es, der inhaltlichen Substanz dieser Aussage nachzugehen. In der Hauptverhandlung wird die Jury als urteilendes Organ mit dem zu entscheidenden Sachverhalt konfrontiert. Die Art und Weise der Wahrnehmung des Verfahrensablaufs und die mögliche Gelegenheit zur aktiven Gestaltung sind prägend für das später zu fällende Urteil. Damit gewinnen diese Faktoren entscheidende Bedeutung für die Bewertung der Jury insgesamt. Die im nächsten Abschnitt vorzunehmende Analyse der Aufgabe, welche von der Jury in der Hauptverhandlung wahrgenommen wird, verfolgt das Ziel, die Grundlagen für eine solche Bewertung zu legen. Den Ausführungen zu diesem Thema sind Bemerkungen zu formalen Rahmenbedingungen wie der Gerichtsbesetzung, der Regeln zum finanziellen Ausgleich und der Möglichkeit des Ausscheidens einzelner Geschworener während eines laufenden Verfahrens vorangestellt.
1. Die Gerichtsbesetzung Die Besetzung des Crown Court in erstinstanzlichen Verfahren besteht immer aus einem Berufsrichter als Einzelrichter (trial judge) und einer zwölfköpfigen Jury. Die Richter am Crown Court sind in die vier Ränge High Court Judge, 99 Dazu zählen die challenge for cause und das Recht der aufschiebenden Ablehnung einzelner Geschworener durch den Richter (judge’s right to stand by) bzw. durch die Anklagevertretung (crown’s right to stand by). 100 Doran, Trial by Jury, S. 390, Sanders/Young, Criminal Justice, S. 552; Auld, Review, Chapter 5 Rn. 4.
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Circuit Judge, District Judge und Recorder aufgeteilt.101 Jeder dieser Gruppen ist eine bestimmte Gruppe von Delikten zugeordnet. Entsprechend erfolgt die Zuweisung der Verfahren. Die Verteilung der Geschäfte richtet sich nach der Schwierigkeit des Falles und der Schwere des Tatvorwurfes.102 Die Anzahl der Geschworenen ist traditionell feststehend. Ob die Zahl „12“ uralte sakrale Motive oder, wie Lord Devlin meint, schlicht die „Abneigung der Engländer gegenüber dem Dezimalsystem“103 widerspiegelt, wird wohl nie vollständig geklärt werden.104 Es ist nicht erforderlich, dass während des gesamten Verfahrens die Anzahl der Geschworenen konstant bei zwölf bleibt.105 Die Mindestanzahl der Geschworenen beträgt neun.106 Zur Absicherung gegen eine Unterschreitung dieser Untergrenze wird erwogen, in besonders langwierigen Verfahren Ersatzgeschworene nach dem Ermessen des Richters beizuziehen, die den Platz ausscheidender Geschworener einnehmen könnten.107 Die gesetzliche Möglichkeit hierfür ist jedoch noch nicht geschaffen worden.
2. Vergütung sowie Ausgleich für Ausgaben und Verdienstausfall Der Dienst eines Geschworenen wird nicht vergütet. Es besteht jedoch ein Anspruch auf Ausgleich der Reisekosten, der Ausgaben für Verpflegung sowie des Verdienstausfalls. Der Ausgleich erfolgt gleichwohl nicht zwangsläufig in voller Höhe und ist daher oft zu gering, um den Ausfall des Verdiensts zu kompensieren.108 Die Beträge werden vom Lord Chancellor festgesetzt. Die finanziellen Mittel werden aus Steuermitteln bereitgestellt.109
101 Vgl. Practise Direction (Crown Court Business: Classification), 1 WLR (1987), 1671 (1673 f.). 102 Schulte-Nover, Strafrichter, S. 200; Die High Court Judges als die höchstrangigen unter den genannten Richtern leiten die Verfahren bei den schwerwiegendsten Delikten, die Circuit Judges führen den Vorsitz bei mittelschweren Strafsachen und die District Judge sowie die nur zeitweise als Richter tätigen Recorder verhandeln die leichtesten Delikte; vgl. Elliott/Quinn, English Legal System, S. 119. 103 „English abhorrence of the decimal system“ vgl. Devlin, Trial by Jury, S. 8. 104 Auld in: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 17 hält die Anzahl für nicht rational erklärbar. Grube in: Grube, Richter ohne Robe, S. 206 erkennt jedoch eine sakrale Bedeutung in der Zahl zwölf; vgl. zu einigen Erklärungsversuchen Devlin, Trial by Jury, S. 8 f.; Grube, Richter ohne Robe, S. 203 ff. 105 Zum Ausscheiden von Geschworenen während des Verfahrens sogleich unter: 2. Teil A. IV. 3.: Ausscheiden einzelner Geschworener während des laufenden Verfahrens. 106 Vgl. Juries Act 1974, Section 16 (1). 107 Auld, Review, Chapter 5 Rn. 18 ff; Darbyshire/Maughan/Stewart, Jury Research, S. 40. 108 Einzelheiten und Verbesserungsvorschläge in Auld, Review, Chapter 5 Rn. 226. 109 Vgl. Juries Act 1974, Section 19 (1); Sprack, Emmins, S. 254; Mackay of Clashfern, Halsbury’s, § 451.
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3. Ausscheiden einzelner Geschworener während des laufenden Verfahrens (discharge) Während eines laufenden Verfahrens können einzelne Juroren aufgrund einer Entbindung von der Dienstpflicht (discharge) ausscheiden. Solange die Anzahl der Juroren nicht unter neun sinkt, stellt dies grundsätzlich kein Hindernis für die Fortsetzung des Verfahrens dar.110 Als Anlass für eine discharge kommen eine Reihe unterschiedlicher Gründe in Frage. Gesetzlich normiert ist in Juries Act 1974, Section 16 nur die Krankheit eines Jurors als Grund für eine Entbindung von der Pflicht zum Dienst in einer Jury. Gemäß den Regeln des common law ist die Entlassung eines Jurors auch dann erlaubt, wenn eine „offensichtliche Notwendigkeit“ (evident necessity) dafür besteht.111 Die Beurteilung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, steht im Ermessen des Richters. Seine Entscheidung bedarf nicht der Zustimmung der Prozessbeteiligten.112 Diese Möglichkeit wird in der Praxis dann bedeutsam, wenn sich die Ungeeignetheit eines Geschworenen erst nach dessen Vereidigung zeigt, da eine challenge for cause durch die Parteien dann nicht mehr zulässig ist. Aufgrund der inhaltlichen Nähe der discharge zur challenge for cause lässt sich generalisierend sagen, dass dieselben Gründe, die auch zu einer Befreiung bzw. Zurückstellung im Vorfeld Anlass gegeben hätten, geeignet sind, eine Entlassung des Jurors zu rechtfertigen.113 Ferner kann ein Juror dann entlassen werden, wenn er durch ein Fehlverhalten auffällt, das Anlass zu der Besorgnis der Befangenheit gibt.114
4. Die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Geschworenen Der Charakter des englischen Strafverfahrens als adversatorisches Verfahren115 weist die aktive, das Verfahren gestaltende Rolle der Anklage und der Verteidigung zu. Richter und Geschworene nehmen demgegenüber überwiegend eine neutral beobachtende Funktion war. Nachstehend geht es darum zu erörtern, wie innerhalb der vom adversatorischen Verfahren vorgegebenen Grenzen die Aufgaben von Richter und Geschworenen verteilt sind.
110
Vgl. Juries Act 1974, Section 16 (1). R v Hamberry [1977] QB, 924; Blackstone’s, D 12.19. 112 Die Überprüfung der richterlichen Entscheidung obliegt dem Court of Appeal, der sie jedoch nur dann aufhebt, wenn sie offensichtlich willkürlich war oder zu einem Rechtsverstoß führte; vgl. Sprack, Emmins, S. 266; Ingman, English Legal Process, S. 217; R v Richardson [1979] 3 All ER, 247, CA. 113 Sprack, Emmins, S. 266; Ingman, English Legal Process, S. 217. 114 R v Gough [1993] AC, 646; R v Sawyer [1980] 71 Cr App R, 283. 115 Weiterführend dazu, auch unter Berücksichtigung der sich aus diesem speziellen Charakter ergebenden Konsequenzen für das englische Verständnis des Fairnessgebots von Art. 6 EMRK: Gaede, Fairness, S. 344 ff. 111
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a) Die Unterscheidung zwischen Recht (law) und Tatsachen (fact) Die grundsätzliche Trennlinie zwischen den Aufgabenbereichen des Richters und der Jury verläuft an der Grenze zwischen Fragen des Rechts (law) und Tatsachenfragen (fact).116 Im englischen Strafprozess werden grundsätzlich alle Rechtsfragen vom Richter entschieden, während alle Fragen zu Tatsachen Domäne der Jury sind.117 Aus diesem Grundsatz folgt, dass die Interpretation des Wortlauts von Gesetzen dem Richter obliegt. Die Subsumtion des entsprechenden Lebenssachverhalts unter den abstrakten Rechtsbegriff ist dagegen Aufgabe der Jury. Weicht daher der normative Inhalt eines Begriffes, wie er in einem Gesetz gebraucht wird, von seiner allgemeinsprachlichen Bedeutung ab, so muss der Richter der Jury diese abweichende Bedeutung erklären.118 Die Juroren müssen die diesbezügliche Begriffsbestimmung durch den Richter als gegeben hinnehmen. Die Auslegung von Schriftstücken ist im Gegensatz zur Deutung von Gesetzen im Prinzip eine Angelegenheit für die Jury, es sei denn, die fraglichen Dokumente weisen einen rechtsähnlichen Charakter auf. Der Wortlaut solcher Schriftstücke, wie beispielsweise Verträge oder Satzungen, wird vom Richter interpretiert, der seine Sichtweise der Jury unterbreitet.119
b) Die Aufgaben des Richters (trial judge) Im adversatorischen Verfahren des englischen Strafprozesses bleibt der Richter (trial judge) weitgehend neutral beobachtend und ist auf die Rolle eines Schiedsrichters (umpire) beschränkt.120 Er überwacht den Ablauf der Verhandlung und achtet darauf, dass die Regeln des materiellen Rechts, des Verfahrens- sowie des Beweisrechts eingehalten werden. Eine wirklich eigenständige Aufgabe fällt ihm erst nach einem Schuldeingeständnis des Angeklagten (guilty plea) oder nachdem der Angeklagte von der Jury schuldig gesprochen wurde (guilty verdict) zu. Dann 116
Vgl. zur historischen Herausbildung dieser Unterscheidung: oben 1. Teil A. III. 4.: Der Streit über die Rolle der Jury. 117 Smith, Evidence, S. 184; May/Powles, Criminal Evidence, Rn. 16–02; Diese Regel bezieht sich jedoch nur auf das englische Recht, das Recht anderer Länder wird als Tatsachenfrage behandelt, die von der Jury nach der Beweislage zu entscheiden ist. – In Deutschland ist die Lage ähnlich. Wie sich aus § 3 StGB ergibt, dürfen deutsche Gerichte nur deutsches Strafrecht anwenden. Auf der Ebene des Tatbestandes und damit an einer Stelle, die sich gut mit der Kategorie der Tatsachenfragen (fact) nach englischem Recht vergleichen lässt, kann allerdings auch in Deutschland ausländisches Recht inzident zur Anwendung gelangen. Dies gilt insbesondere bei zivil- oder verwaltungsrechtlichen Fragen; vgl. Schönke/Schröder-Eser, Vor. §§ 3–7 Rn. 22 f.; weiterführend: Liebelt, GA 1994, 22 ff. 118 Vgl. Brutus v Cozens (1973) AC, 854. 119 May/Powles, Criminal Evidence, Rn. 16–03. 120 Sanders/Young, Criminal Justice, S. 579; zum Einfluss dieses Leitbildes auf die Stellung des Richters aus Sicht der EMRK: Gaede, Fairness, S. 347.
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legt der Richter allein das Strafmaß (sentence) fest.121 Dessen ungeachtet verfügt der Richter auch während der Hauptverhandlung über wichtige Befugnisse, die auf den nächsten Seiten behandelt werden sollen.
aa) Entscheidung zur Zulässigkeit von Beweismitteln Die Entscheidung, ob ein bestimmtes Beweismittel als zulässig in die Hauptverhandlung eingeführt werden darf, wird vom Richter getroffen. Dies gilt selbst dann, wenn vor der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Beweises noch tatsächliche Feststellungen notwendig sind. Diese Feststellungen werden in einer voir dire oder trial-within-a-trial genannten Prozedur, welche die Hauptverhandlung unterbricht, vom Richter getroffen.122 Hierin manifestiert sich eine Ausnahme zu der oben erläuterten allgemeinen Regel der Aufgabenverteilung, nach der Tatsachenentscheidungen der Jury vorbehalten sein sollten. Die Jury verlässt während des voir dire den Gerichtssaal. Dies geschieht, um eine Beeinflussung der Geschworenen durch die Erörterung des möglicherweise unzulässigen Beweismaterials zu verhindern.123 In dem Bestreben, die Geschworenen nicht mit Beweismaterial zu konfrontieren, das geeignet ist, Vorurteile hervorzurufen, ist auch der Grund dafür zu erblicken, dass hier der Richter ausnahmsweise zur Entscheidung über tatsächliche Voraussetzungen berufen ist. Auf der Grundlage der im voir dire festgestellten Tatsachen entscheidet der Richter schließlich durch Beschluss über die Zulässigkeit des Beweismittels. Entscheidet sich der Richter für die Zulässigkeit, ist es der Jury trotzdem unbenommen, dieses Beweismittel unter Umständen nicht zu akzeptieren, weil sie beispielsweise den Zeugen für unglaubwürdig hält.124 Eine Anweisung des Richters an die Geschworenen, zugelassene Beweismittel nicht mehr zu hinterfragen, d. h. eine vorweggenommene Beweiswürdigung durch den Richter, ist rechtswidrig.125
bb) Befragung von Zeugen Der Richter kann jederzeit sowohl die Zeugen der Verteidigung als auch die Zeugen der Anklage befragen.126 In Anbetracht seiner Rolle als Schiedsrichter ist der Richter allerdings gehalten, dieses Recht sehr zurückhaltend wahrzunehmen. 121
Gibson/Cavadino, Criminal Justice Process, S. 120. May/Powles, Criminal Evidence, Rn. 16–07; Smith, Evidence, S. 184; Sprack, Emmins, S. 280. 123 Vgl. Police and Criminal Evidence Act 1984, Section 76, 78; vgl. zu weiteren Einzelheiten des voir dire: Sprack, Emmins, S.280 f.; May/Powles, Criminal Evidence, Rn. 16–08. 124 May/Powles, Criminal Evidence, Rn. 16–24. 125 R v Beckford (1992) 94 Cr App R, 43. 126 May/Powles, Criminal Evidence, Rn. 16–09. 122
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Beispielsweise sollte der Richter unter keinen Umständen von sich aus in die Befragung eines Zeugen durch einen Prozessvertreter der Parteien eingreifen.127
cc) Beendigung des Verfahrens durch den Richter Der Richter verfügt über weit reichende Befugnisse, das Verfahren ganz oder teilweise durch eine autonome Ermessensentscheidung zu beenden, ohne dass es zu einer Entscheidung der Jury in der Sache kommt. Allen diesen Befugnissen ist jedoch gemeinsam, dass sie dem Richter nur zugunsten des Angeklagten offen stehen. Unter keinen Umständen kann er den Geschworenen anheim stellen, den Angeklagten schuldig zu sprechen (guilty verdict).128 Die Befugnisse des Richters zur Beendigung des Verfahrens umfassen alternativ die Entbindung (discharge) der Jury von der Pflicht zu einer Entscheidung und die Anweisung an die Jury, ein auf „unschuldig“ lautendes Schuldurteil (directed acquittal) abzugeben. Die discharge kann beliebig viele Punkte der Anklage umfassen und auch die gesamte Anklage einschließen. Sie entbindet die Jury als Gruppe von der Pflicht zur Entscheidung über diese Anklagepunkte. Ein Schuldurteil über diese Punkte ist dann nicht mehr notwendig. Während die Entbindung von der Pflicht zur Entscheidung über einzelne Anklagepunkte die Verhandlung als solche selbstverständlich nicht beendet, hat eine discharge der Jury bezüglich der Anklage als Ganzes die Folge, dass die gesamte Jury entlassen wird und die Hauptverhandlung endet.129 Diesbezüglich sind drei Fälle zu unterscheiden. Erstens kann eine Jury dann von einer Entscheidung entbunden werden, wenn sie sich trotz der Möglichkeit einer Mehrheitsentscheidung nicht auf ein verdict einigen kann und trotz Einhaltung der entsprechenden Formalien keine Aussicht auf eine Einigung der Geschworenen besteht.130 Der zweite Anlass für die Entlassung der gesamten Jury kann die versehentliche Präsentation von unzulässigem, für den Angeklagten
127
May/Powles, Criminal Evidence, Rn. 16–09. Sanders/Young, Criminal Justice, S. 571; DPP v Stonehouse [1978] AC, 55. 129 Blackstone’s, D 12.20. 130 Sog. hung jury; vgl. Sprack, Emmins, S. 313; Ingman, English Legal Process, S. 220; Der Richter ordnet nach der Entlassung der Jury ein neues Verfahren vor einer neuen Jury an. Die Prozedur der discharge und Anordnung eines neuen Verfahrens kann theoretisch unendlich oft wiederholt werden, da die Entlassung einer Jury ohne verdict nicht einem Freispruch (acquittal) gleichkommt und folglich kein Strafklageverbrauch eintritt; vgl. zur Problematik einer möglichen Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem: Sanders/Young, Criminal Justice, S. 570; Maher, LS 1983, 146 (154 f.). – In der Praxis werden jedoch nur zwei Juries ohne verdict entlassen. Bietet die Anklage zu Beginn einer möglichen dritten Gerichtsverhandlung keine neuen Beweise an, wird der Richter die Jury anweisen, den Angeklagten freizusprechen. In R v Henworth (2001) 2 Cr App R, 47 wurde diese Praxis einer Bewertung unterzogen. Es wurde festgestellt, dass es nicht erstrebenswert sei, ihr Gesetzesrang zukommen zu lassen. Es seien Fälle denkbar, in denen auch die Durchführung eines dritten Verfahrens geboten sei; vgl. Blackstone’s, D 17.32. 128
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nachteiligem Beweismaterial sein. Es wird angenommen, dass es für die Geschworenen sehr schwierig sei, einmal vernommene Beweise im Falle ihrer Unzulässigkeit vollständig aus ihrem Gedächtnis zu verbannen, weshalb es meist besser sei, den Prozess vor einer neuen Jury wieder aufzurollen.131 Auch hier ist eine Entlassung der Jury allerdings nicht zwingend, sondern eine Ermessensentscheidung des Richters.132 Zum Dritten kann die Jury auch dann entlassen werden, wenn zwar nur ein Teil der Geschworenen sich in einer Weise verhält, die den Verdacht einer Voreingenommenheit begründet aber mit dieser Situation nicht anders als durch discharge der gesamten Jury umgegangen werden kann.133 Im Gegensatz zu Fällen der Entbindung der Jury von der Pflicht zur Entscheidung endet das Verfahren im Falle einer Anweisung des Richters an die Jury zum Freispruch (directed acquittal) mit einem verdict. Der Unterschied zum gewöhnlichen Ablauf besteht hier darin, dass die Jury bei ihrer Entscheidungsfindung nicht frei, sondern an die Anweisung des Richters gebunden ist, so dass das verdict nur pro forma ergeht. Zu einem directed acquittal kommt es, wenn die Anklage zwar Beweise zur Überführung des Angeklagten anbietet, der Richter nach ihrer Präsentation jedoch feststellt, dass die Beweise nicht zu einer Verurteilung ausreichen (no case to answer). Der Richter kann einen Freispruch aus eigener Initiative oder nach einem entsprechenden Antrag der Verteidigung auf Freispruch aus Mangel an Beweisen (submission of no case to answer) anordnen.134 Nach den Regeln des common law hat die Anklage es dann verfehlt, ausreichende Beweise zu präsentieren, wenn diese nicht ausreichen würden, eine angemessen belehrte Jury zu veranlassen, den Angeklagten schuldig zu sprechen.135 Der Richter beschließt über das Vorhandensein ausreichender Beweise für eine Verurteilung üblicherweise nach Beratung mit den Vertretern der Verteidigung und der Anklage ohne Beteiligung der Jury. Entscheidet der Richter, den Antrag submission of no case to answer zuzulassen, wird er diese Entscheidung der Jury kurz erklären. Daraufhin weist er die Juroren an, einen Obmann (foreman) zu bestimmen, der anschließend formal auf Anweisung des Richters ein Schuldurteil mit dem Inhalt „nicht schuldig“ (not guilty verdict) ausspricht. Die Übertragung der Einschätzung, ob die Anklage es versäumt oder verfehlt hat, ausreichende Beweise zu präsentieren, in das Ermessen des Richters gibt An131
R v Weaver [1968] 1 QB R, 353. Gegen eine Entlassung der Jury würde es beispielsweise sprechen, wenn die Verteidigung selbst Anlass für die Einführung des unzulässigen, den Angeklagten belastenden Beweises war oder die nachteiligen Effekte der Präsentation des Beweises durch den Richter mittels entsprechender Anweisungen an die Jury gemindert werden könnten; vgl. R v Weaver [1968] 1 QB R, 353; Sprack, Emmins, S. 267; Blackstone’s, D 12.21. 133 Sprack, Emmins, S. 267; Blackstone’s, D 12.22 f. 134 Wird kein Antrag gestellt, obwohl seine materiellen Voraussetzungen gegeben sind, ist der Richter nicht von Amts wegen zum Eingreifen verpflichtet; vgl. R v Juett [1981] CrimLR, 113). Der Antrag submission of no case to answer wird normalerweise nach dem Beweisvortrag der Anklage gestellt; vgl. Sprack, Emmins, S. 284. 135 R v Galbraith [1981] 1 WLR, 1039 (1042). 132
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lass zu der Frage, ob damit nicht dem Richter eine Tatsachenentscheidung übertragen und somit die normale Abgrenzung der Aufgaben bezüglich der Jury außer Acht gelassen wird. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass der Richter nicht die vorgetragenen Beweise in der Art bewertet, wie eine Jury dies tun würde. Seine Kompetenz reicht nur so weit festzustellen, dass entweder gar kein verwertbarer Beweis erbracht wurde oder dass die gegen den Angeklagten vorgebrachten Punkte auch bei strengster Wertung (taken at its highest) nicht für eine Verurteilung ausreichen würden.136 Nur im letzteren Fall ist somit überhaupt eine Wertung des Richters gefordert. Diese Wertung ist jedoch keine Entscheidung über Tatsachen, sondern vielmehr eine Subsumtion unter einen als gegeben angenommenen Sachverhalt. Insoweit kann folgerichtig nicht davon gesprochen werden, dass der Richter an die Stelle der Jury treten würde.
dd) Die Zusammenfassung und Belehrung durch den Richter (summing up) Am Ende der Gerichtsverhandlung steht die Zusammenfassung und Belehrung durch den Richter (summing up). Im summing up unterrichtet der Richter die Jury über das einschlägige Recht und gibt den Juroren Hilfestellung bei ihrer Aufgabe, über das Vorliegen der Tatsachen zu entscheiden.137 Dabei muss er darauf achten, dass er Besonderheiten bei der Verwendung von umgangssprachlich gebrauchten Begriffen in rechtlichen Zusammenhängen in einer für Laien nachvollziehbaren Art und Weise erklärt. Dem summing up wird allgemein eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Es spricht vieles dafür, dass der Einfluss des summing up signifikant ist.138 Der Grund dafür ist zum einen, dass das summing up die letzte Stellungnahme ist, welche die Geschworenen vor ihrer Entscheidung hören. Ferner besitzt der Richter bereits aufgrund seines Amtes eine größere Autorität als die Prozessparteien. Schließlich wirkt der Richter während des gesamten Verfahrens als neutrale Instanz. Dieser Eindruck wirkt fort, wenn der Richter bei seiner Zusammenfassung die vor136 Vgl. R v Galbraith [1981] 1 WLR, 1039 (1042); Die beschriebene Situation weckt Assoziationen zu der Entscheidung über die Nichteröffung des Hauptverfahrens gem. § 204 I StPO. Zwar erfolgt der Beschluss über die Nichteröffnung im Unterschied zu England vor einer Beweisaufnahme, allerdings beruht der Nichteröffnungsbeschluss auf ganz ähnlichen Erwägungen wie die hier dargestellte Anordnung eines Freispruchs. Allerdings bewirkt ein Beschluss nach § 204 I StPO wegen § 211 StPO keinen umfassenden Strafklageverbrauch, wie dies in England nach einem vom Richter angeordneten Freispruch der Fall ist.- Vgl. weiter zu den Gründen für einen Beschluss, das Verfahren nicht zu eröffnen, den Überblick bei: MeyerGoßner, § 204 Rn. 2 f. 137 Sprack, Emmins, S. 291; Jackson/Doran, 60 MLR (1997), 759 (771). 138 Sanders/Young, Criminal Justice, S. 575; Knittel, Das englische Schwurgericht, S. 106; Williams, Proof of Guilt, S. 307 bezeichnet den Beitrag des summing up sogar als entscheidend für das Funktionieren des englischen Strafprozesses.
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gebrachten Argumente ins Verhältnis zueinander setzt und Streitpunkte aufzeigt.139 Seiner Sichtweise wird folglich in der Regel von den Juroren großes Vertrauen entgegengebracht. Daraus folgt, dass dem Richter mit dem summing up ein machtvolles Instrument zur Beeinflussung der Jury in die Hand gegeben ist.140 Der genaue Inhalt des summing up ist nicht legal definiert. Die wichtigsten Punkte, auf die meist eingegangen wird, sollen deswegen nunmehr dargelegt werden. Zu Beginn des summing up wird der Richter den Juroren auseinandersetzen, worin die Rollenverteilung zwischen ihm und der Jury besteht.141 Die Erklärung der Funktionsverteilung ist keine bloße Formalie. Ihre Unterlassung kann zur Aufhebung des verdict führen.142 Weiterhin macht der Richter die Geschworenen auf die geltenden Beweisstandards aufmerksam. Die Juroren werden dahingehend instruiert, dass es Sache der Anklage ist, die Schuld des Angeklagten in einer Weise zu belegen, die jeden vernünftigen Zweifel ausschließt (beyond reasonable doubt standard), während der Angeklagte keinerlei Beweislast trägt.143 In rechtlicher Hinsicht ist es die Aufgabe des Richters, die Tatbestände der angeklagten Taten zu beschreiben und auf diejenigen Punkte aufmerksam zu machen, die für eine Verurteilung bewiesen werden müssen.144 Bei der Belehrung über das geltende Recht bewegt sich der Richter in einem Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit, komplizierte rechtliche Strukturen in möglichst einfacher und für Laien verständlicher Sprache zu erklären145, und dem Erfordernis, das Recht unverfälscht und vollständig wiederzugeben146. Der Richter ist bei seiner Rechtsbelehrung nicht auf die Tatsachengrundlage beschränkt, auf welche sich die An139
Sprack, Emmins, S. 292; Schulte-Nover, Strafrichter, S. 264. Williams, Proof of Guilt, S. 326; Schulte-Nover, Strafrichter, S. 265. 141 Vgl. oben 2. Teil A. IV. 4. a): Die Unterscheidung zwischen Recht (law) und Tatsachen (fact). 142 R v Wootton [1990] CrimLR, 201. 143 Sprack, Emmins, S. 292; Blackstone’s, D 16.11; Griew, CrimLR, 1989, 768, 769; R v McVey [1988] CrimLR, 127. 144 Sprack, Emmins, S. 292; kritisch dazu: Steyn, PL 1999, 51 (60 f.). 145 Bei Sprack, Emmins, S. 292, findet sich ein Beispiel für eine Rechtsbelehrung in dem fiktiven Fall einer Anklage wegen Diebstahls eines Regenschirms des A gegen Smith, die hier der Anschaulichkeit wegen wiedergegeben werden soll. Der Richter: „Verehrte Angehörige der Jury, Sie alle wissen, was Stehlen bedeutet. Es bedeutet, das Eigentum eines anderen unredlich mit dem Wissen, dass die fragliche Sache einem selbst nicht gehört, und mit der Absicht, sie selbst zu behalten, an sich zu nehmen. Heute haben Sie von A gehört, dass er um 13 Uhr seinen Regenschirm am Kleiderständer zurückließ. Als er um 14 Uhr zurückkam und sich den Schirm wieder nehmen wollte, war dieser verschwunden, und A sah ihn erst auf der Polizeiwache wieder. Diesem Ablauf der Ereignisse wurde von der Verteidigung nicht widersprochen. Daher wird es Ihnen sicherlich keine Schwierigkeiten bereiten – obwohl Sie auch hier in ihrer Entscheidung frei sind – festzustellen, dass der Schirm gestohlen wurde. Die Frage lautet nun: Hat Smith es getan?“ 146 Eine Rechtsbelehrung muss alle Tatbestandsmerkmale des fraglichen Delikts beinhalten; vgl. R v McVey [1988] CrimLR, 127; Griew, CrimLR 1989, 768 (769 f.); Blackstone’s, D 16.13. 140
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klage anfänglich bei ihrer Darstellung des Falles gestützt hatte. Erscheint es nach der Beweisaufnahme möglich, dass ein angeklagtes Delikt auf eine andere als die zunächst behauptete Art begangen worden ist, kann der Richter seine Ausführungen auf die neuen Tatsachen aufbauen.147 Es ist dem Richter gleichermaßen gestattet, mögliche entlastende Momente hervorzuheben, die noch keine Erwähnung gefunden hatten, solange sich diese auf einer soliden Beweisbasis bewegen.148 Abhängig vom präsentierten Beweismaterial kann es auch notwendig sein, der Jury einige Punkte zu verdeutlichen, für die der allgemeine Hinweis auf die Beweislastverteilung nicht ausreicht.149 Weitere Probleme können sich ergeben, wenn mehrere Verfahren miteinander verbunden sind. Der Richter muss in diesem Fall dafür Sorge tragen, dass die Geschworenen den Überblick behalten.150 Unterläuft dem Richters während des summing up ein Fehler bei der Darstellung des Rechts, ist der Prozessvertreter der Anklage (counsel for prosecution) verpflichtet, ihn auf diesen Fehler aufmerksam zu machen.151 Dem Vertreter der Verteidigung obliegt es dagegen nicht, Rechtsirrtümer des Richters zu rügen. Ob der Verteidiger dies tut, richtet sich nach seiner Beurteilung der im Interesse seines Mandanten besten Vorgehensweise.152 Ein weiterer Teil des summing up ist der Problematik der Beweise vorbehalten. An dieser Stelle erinnert der Richter die Geschworenen an die vorgetragenen Beweise und kommentiert diese.153 Die Kommentierung der Beweise ist ein sen147 R v Japes [1994] CrimLR, 605; Sprack, Emmins, S. 296 – Diese prozessuale Situation gleicht derjenigen, in der nach deutschem Strafverfahrensrecht der § 265 I StPO zur Anwendung gelangt, weil es in beiden Fällen um eine Neubewertung des angeklagten Sachverhalts (im deutschen Recht prozessuale Tat genannt) geht und nicht um die Einbeziehung anderer Sachverhalte in die Hauptverhandlung wie bei einer Nachtragsanklage (§ 266 StPO). Der Unterschied zur deutschen Rechtslage besteht allerdings darin, dass das englische Recht keine positiv rechtliche Norm kennt, die den Richter zu einem Hinweis verpflichtet. 148 Blackstone’s, D 16.14; Doran, CrimLR 1991, 878 (879 ff.). 149 Für den Fall, dass sich der Angeklagte beispielsweise auf Notwehr (self defence) beruft, sollte der Richter beispielsweise die Geschworenen darauf hinweisen, dass die Anklage ohne vernünftigen Zweifel nachweisen muss, der Angeklagte habe nicht in Selbstverteidigung gehandelt; vgl. Sprack, Emmins, S. 292. 150 Sprack, Emmins, S. 293. 151 Sprack, Emmins, S. 294; Blackstone’s, D 16.19; vgl. R v Donoghue (1988) CrimLR, 60. 152 Doran, CrimLR 1991, 878 (881); Sprack, Emmins, S. 294; vgl. R v Edwards (1983) 77 Cr App R, 5 – Im Unterschied zum deutschen Recht, wo der Verteidiger als Organ der Rechtspflege verstanden wird – vgl. § 1 BRAO; in diesem Sinne auch: BGHSt 12, 369; eingehend zum Meinungsstand in Deutschland, Roxin, Strafverfahrensrecht, § 19 Rn. 2 – trifft ihn nach englischem Verständnis keine Pflicht sich als Diener der Gerechtigkeit (minister of justice) zu verstehen. Beispielsweise ist es zulässig, mit der Rüge eines Verfahrensfehlers bis zum letzen möglichen Zeitpunkt zu warten (anders in Deutschland, vgl. § 238 II StPO), selbst wenn dies nur geschieht, um die Heilung des Fehlers zu erschweren; vgl. R v Nelson (1977) 65 Cr App R 119. Der Verteidiger ist insoweit einzig den Interessen seines Mandanten verpflichtet. Die Freiheit des Verteidigers ist gleichwohl dadurch begrenzt, dass er das Gericht nicht bewusst irreführen oder lügen darf; vgl. Sprack, Practical Approach, 18.08 f. 153 Blackstone’s, D 16.16; Sprack, Emmins, S. 293.
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sibler Bereich. Die Geschworenen sind hier nicht an die Ausführungen des Richters gebunden, weil es um Entscheidungen zu Tatsachen geht. Dessen ungeachtet kann der Richter durch die Art seiner Darstellung der Beweislage indirekt die Meinungsbildung der Jury stark beeinflussen. Es ist daher richterliche Zurückhaltung geboten. Zur gleichen Zeit ist es gerade in komplizierten Fällen unabdingbar, die vorgetragenen Beweise wertend zu ordnen. Das englische Recht überlässt es dem Ermessen des Richters und damit seiner Entscheidung, in welchem Ausmaß er die faktische Seite des Falles präsentiert. Die Bandbreite des zulässigen richterlichen Verhaltens wird von den Rechtsmittelgerichten großzügig gehandhabt.154 Einige Richter begnügen sich mit einer Wiedergabe der Fakten und behalten jedwede Wertung für sich, während andere zumindest indirekt ihre Meinung kundtun. Ein festes Regelwerk als Rahmen für den zulässigen Grad der richterlichen Kommentierung existiert nicht. In R v Charles155 wurde darauf hingewiesen, dass der Richter durchaus gehalten ist, die Streitpunkte des Falles zu analysieren und sich zu den vorgetragenen Beweisen in Beziehung zu setzen, solange er es der Jury überlässt, eine Entscheidung zu fällen. Es bleibt dennoch mit Blick auf das oben beschriebene Gewicht der richterlichen Zusammenfassung eine offene Frage, ob den Juroren durch diesen Standard des summing up tatsächlich noch genügend Freiraum für eigene Schlussfolgerungen bleibt. Der Schluss der richterlichen Zusammenfassung ist der Erklärung formaler Fragen vorbehalten. Der Richter wird hier die Juroren auffordern, einen Obmann (foreman) zu bestimmen, der als ihr Sprecher dient und später das verdict verkünden wird.156 Abschließend weist der Richter die Juroren an, sich zur Beratung zurückzuziehen und zu versuchen, zu einem einstimmigen Schuldurteil zu gelangen.157
c) Die Rolle und die Gestaltungsmöglichkeiten der Jury Während der Hauptverhandlung ist die Jury zumeist passiver, neutraler Beobachter. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, dem Prozessgeschehen zu folgen und sich so auf die Entscheidung der Tatsachenfragen vorzubereiten. Die Geschworenen haben nur zwei bedeutende Möglichkeiten, im Verfahren aktiv zu werden. Sie besitzen das Recht, jederzeit Fragen zu stellen und das Recht, die Verhandlung abzubrechen (jury stopping the case). Zur Fragestellung an einen Zeugen oder an den Richter selbst sind die Geschworenen jederzeit berechtigt. Die Fragestellung erfolgt jedoch nicht direkt, 154
Sanders/Young, Criminal Justice, S. 571 f.; Pattenden, Judicial Discretion, S. 180. R v Charles (1979) 68 Cr App R, 334, 341. 156 Sprack, Emmins, S. 294; vgl. zu Einzelheiten des Auswahlverfahrens: Berlins/Dyer, Law Machine, S. 126. 157 Blackstone’s, D 16.17. 155
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sondern indem die Frage in schriftlicher Form an den Richter übergeben wird. Der Richter beantwortet sie daraufhin selbst oder richtet sie an den Zeugen.158 Weiterhin kann die Jury zu jedem Zeitpunkt nach Abschluss der Beweisaufnahme für die Anklage erklären, dass sie die Beendigung des Verfahrens wünscht (jury stopping the case). Dies hat für den Angeklagten die Wirkung eines Freispruches.159 Weil dieses Recht den Juroren zumeist nicht bewusst ist, gehört es zu den Aufgaben des Richters sie nach seinem Ermessen darauf aufmerksam zu machen.
5. Bewertung der Rolle der Jury in der Hauptverhandlung Die Beschreibung eines Strafverfahrens als trial by judge and jury ist nach dem bis hierher Dargestellten für die Hauptverhandlung nicht im Sinne einer auf wechselseitigen Beiträgen aufbauenden Beziehung zu verstehen. Das Ungleichgewicht in den Gestaltungsspielräumen wird exemplarisch bereits anhand des Umfanges der Darlegungen zu den Aufgaben von Richter und Jury in der Hauptverhandlung deutlich. Der Richter ist für die Geschworenen der Mittler in Fragen der Kommunikation und bezüglich rechtlicher Fragen. Das Ausmaß, in dem er den Gestaltungsmöglichkeiten der Jury Freiraum gibt, ist aufgrund des Fehlens entsprechender positiver Normierungen und der diesbezüglichen Zurückhaltung der Rechtsmittelgerichte weitgehend von der Einstellung des Richters und seinen Entscheidungen abhängig. Der Richter kann somit das Wirken der Jury nach außen steuern. Abgesehen davon ist ihm mit dem summing up auch ein Mittel zur Beeinflussung der juryinternen Meinungsbildung in die Hand gegeben. In der Phase der Hauptverhandlung befindet sich die Initiative mithin einseitig bei dem Richter. Die Jury spielt eine untergeordnete Rolle.
V. Die Beratung der Jury und die Urteilsfindung Während der Beratung zur Findung des Schuldurteils und seiner anschließenden Verkündung tritt die Jury aus ihrer überwiegend passiv-neutralen Rolle heraus und rückt in das Zentrum des prozessualen Geschehens. Der nachstehende Abschnitt wird daher über die formalen Umstände der Beratung informieren und ihren inhaltlichen Ablauf bewerten. Mithin werden zunächst die Regeln erläutert, welche den Beratungsprozess der Jury rechtlich bestimmen und ihm seine charakteristische Form geben. Außerdem geht es um die Darlegung des Prinzips der Geheimhaltung der Vorgänge im Beratungszimmer. Schließlich wird der Versuch un158 Pattenden, Judicial Discretion, S. 170; Die Umständlichkeit dieses Vorgehens hat sehr wahrscheinlich zur Folge, dass das Recht zur Fragestellung nur selten ausgeübt wird; vgl. Zander/Henderson, Crown Court Study, S. 213; Jackson, Judges and Juries, S. 410. 159 Sprack, Emmins, S.291; Mackay of Clashfern, Halsbury’s, § 441; R v Kemp (1995) 1 Cr App R, 151.
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ternommen, die Abläufe und Mechanismen der Beratung über das Schuldurteil zu beleuchten.
1. Die Isolation der Jury während der Beratung Nach dem Ende des summing up bzw. der Hauptverhandlung führt ein Gerichtsdiener (court usher) die Geschworenen in ihr Beratungszimmer und nimmt selbst davor Platz.160 Schon die Verwendung des Terminus retirement161 für die Beratung der Jury legt nahe, dass die Juroren während der Urteilsfindung möglichst isoliert und unbehelligt von äußeren Einflüssen bleiben sollen. Die Beachtung dreier Maximen soll sicherstellen, dass die Jury möglichst keinen Einwirkungen von außen ausgesetzt ist.162 Erstens sollen sich die Geschworenen während der gesamten Beratungszeit unter der Aufsicht des Gerichtsdieners befinden, weswegen der Gerichtsdiener seinen Platz vor dem Beratungszimmer hat. Er selbst darf das Zimmer der Jury nur auf Anweisung des Richters betreten. Zweitens darf die Jury ihr Beratungszimmer nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis des Richters verlassen. Der am weitesten verbreitete Grund zum Verlassen des Zimmers ist die Aufforderung des Richters an die Jury zur Rückkehr in den Gerichtssaal zwecks Klärung einer nachträglich entstandenen Frage.163 Außerdem kann der Richter nach seinem Ermessen den Geschworenen eine Nacht-Pause erlauben, wenn diese sich trotz fortgeschrittener Stunde nicht auf ein Schuldurteil einigen können. Ein derartiges Vorgehen ist jedoch nur in besonders schwierigen und komplexen Fällen zulässig. Die dritte Regel ergibt sich als Folge der zweiten. Sie bestimmt, dass sich die Geschworenen solange nicht trennen dürfen, bis sie sich auf ein Schuldurteil geeinigt haben. Bis 1994 waren die Juroren aufgrund dieser Regel gezwungen, eine eventuelle nächtliche Beratungspause in einem Hotel zu verbringen. Nach heute geltendem Recht kann der Richter den Juroren nach entsprechender Belehrung erlauben, für die Nacht nach Hause zu gehen.164 160 Der Gerichtsdiener wird zuvor darauf vereidigt, dass er andere Personen daran hindern wird, mit den Juroren zu sprechen und auch selbst nicht versucht, eigenmächtig mit ihnen zu kommunizieren. Nach seiner Vereidigung wird der Gerichtsdiener als jury bailiff bezeichnet; vgl. Sprack, Emmins, S. 300; Blackstone’s, D 17.2. 161 Dt. Zurückgezogenheit. 162 Ein verdict, das unter Verletzung dieser Regeln zustande kam, kann aufgehoben werden. Vgl. dazu und zum folgenden: Sprack, Emmins, S. 300 f.; Blackstone’s, D 17.1 ff. 163 Vgl. unten 2. Teil A. V. 2.: Fragen der Jury an den Richter. 164 Vgl. Juries Act 1974, Section 13, erweitert durch Criminal Justice and Public Order Act, 1994, Section 43; Der Richter wird die Juroren in diesem Fall darüber belehren, dass sie den Fall unter keinen Umständen mit Dritten besprechen dürfen; vgl. R v Oliver (1996) 2 Cr App R, 514; Blackstone’s, D 17.13.
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2. Fragen der Jury an den Richter Eine Durchbrechung des Prinzips der strengen Isolation ist das Recht der Jury, dem Richter jederzeit Fragen zu rechtlichen Problemen stellen zu dürfen. Die Geschworenen können den Richter auch bitten, sie an bestimmte Teile der Beweisaufnahme zu erinnern.165 Der Richter muss jederzeit bereit sein, den Juroren Fragen zu allen rechtlichen oder tatsächlichen Unsicherheiten zu beantworten.166 Die Jury übermittelt in der Regel ihre Frage als schriftliche Notiz über den Gerichtsdiener an den Richter. Daraufhin ruft der Richter den Angeklagten mit seinen Rechtsbeiständen und die Vertretung der Anklage zurück in den Gerichtssaal, liest die Frage laut vor und erörtert mit den Verfahrensbeteiligten die Art und Weise des Umgangs mit der Frage.167 Anschließend wird die Jury in den Gerichtssaal gebeten und ihr die Antwort mitgeteilt. Die Grenze der zulässigen Fragen verläuft dort, wo eine Antwort die Präsentation neuer Beweise erfordern würde. Die Geschworenen dürfen jedoch beispielsweise darum bitten, dass ihnen Augenscheinsobjekte für Beratungszwecke zur Verfügung gestellt werden.168 Im Interesse des Prinzips der Offenheit und Unparteilichkeit hat jedwede Kommunikation zwischen Richter und Geschworenen öffentlich zu erfolgen.169 Beabsichtigt die Jury oder ein einzelner Juror, an den Richter eine Frage zu richten, ist diese Frage im Gerichtssaal in Anwesenheit der gesamten Jury und aller Verfahrensbeteiligten zu stellen und zu beantworten.170 Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur zulässig, wenn die Frage an den Richter einen Sachverhalt betrifft, der mit dem Verfahren in keinerlei Verbindung steht.171 Die Einhaltung dieser Regeln soll von vornherein jeglichen Verdacht einer Konspiration ausschließen und gleichzeitig sicherstellen, dass den Geschworenen jede mögliche Hilfe bei der Entscheidung zuteil wird.172 Eine Verletzung des Prinzips der Öffentlichkeit der Kommunikation zwischen Jury und Richter stellt einen Grund für eine Aufhebung des Schuldurteils im Rechtsmittelverfahren dar.173 165
Sprack, Emmins, S. 302. Ingman, English Legal Process, S. 222. 167 Blackstone’s, D 17.6; R v Gorman [1987] 1 WLR, 545. 168 R v Ellis [1991] 95 Cr App R, 52; R v Devichand [1991] CrimLR, 446; Sprack, Emmins, S. 302; Blackstone’s, D 17.5. 169 Ingman, English Legal Process, S. 222. 170 Einzelheiten dazu wurden vom Court of Appeal in der Entscheidung R v Gorman [1987] 2 All ER, 435, CA festgelegt. 171 Sprack, Emmins, S. 303; Ohne Beteiligung der Prozessparteien können nur solche Fragen geklärt werden, die allein administrativer Natur sind (z. B. Übermittlung von Nachrichten an Verwandte); vgl. R v Gorman [1987] 1 WLR, 545. 172 Wenn der wörtliche Vortrag der Anfrage ein vertrauliches Detail (z. B. die vorläufige Stimmverteilung) enthüllen würde, so wird der Richter den Inhalt der Frage zusammenfassen und die sensiblen Informationen auslassen; vgl. R v Gorman [1987] 1 WLR, 545. 173 R v Woods (1988) 87 Cr App R, 60, CA; R v Simpson Coachworks Ltd. [1992] CrimLR, 666, CA; R v Obellim [1992] 1 Cr App R, 355, CA. 166
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
3. Die Vertraulichkeit der Beratung Es entspricht lange geübter Tradition, dass die Beratungen der Jury geheim sind und auch später vertraulich bleiben. Für die Geheimhaltung werden zwei Gründe angeführt. Es muss gewährleistet sein, dass die Juroren freimütig ihre Meinungen austauschen können, ohne Repressionen fürchten zu müssen. Ferner dient die Geheimhaltung der Herstellung von Rechtsfrieden.174 Das Prinzip der Vertraulichkeit hat jedoch auch negative Folgen. Zum einen blockiert es Forschungen zu den Vorgängen während der Beratung175 und zum zweiten erschwert es die Einlegung und Begündung von Rechtsmitteln, die Fehler im Beratungsprozess rügen. Das Spannungsfeld zwischen der Geheimhaltung der Vorgänge im Beratungszimmer und der Notwendigkeit, dem Anspruch auf rechtliches Gehör durch Rechtsmittel Geltung zu verschaffen, wird von ineinander greifenden gesetzlichen Normen176 und common law-Regeln determiniert. Seit über 200 Jahren gilt nach den Grundsätzen des common law die Regel, dass der Beschwerdeführer (appellant) im Rechtsmittelverfahren (appeal) grundsätzlich nicht mit Beweisen gehört wird, die eine Verletzung der Vertraulichkeit der Beratungen der Jury darstellen würden.177 Im Laufe der Zeit wurden zu dieser Regel jedoch eine Reihe von Ausnahmen entwickelt. Auf einen Nenner gebracht umfasst die umfangreiche Kasuistik solche Fälle, in denen sich das Rechtsmittel auf die Behauptung stützt, die Beratungen der Jury seien von außerhalb beeinflusst worden, ohne dass die Erforschung dieses Sachverhalts ein Eindringen in den Bereich der Vertraulichkeit der Beratung selbst erfordern würde.178 Daraus ergibt sich, dass ein Rechtsmittel, das sich auf eine Unregelmäßigkeit während der Beratung beruft, grundsätzlich zulässig ist, wenn sich diese Tatsache durch Umstände verifizieren lässt, die außerhalb des geschlossenen Beratungsraumes eintraten, weil somit die Klausur des Beratungsraumes unberührt bleibt.179 Heutzutage erlauben die Ausnahmen zur Vertraulichkeit nach den Regeln des common law eine so weitgehende Überprüfung von Fehlern bei Beratungen, dass sie die Standards von Art. 6 I EMRK erfüllen.180
174 Durch die Geheimhaltung wird die Möglichkeit von Angriffen gegen das Schuldurteil von vornherein eingeschränkt. Es soll sichergestellt werden, dass das Ergebnis einer Beratung endgültig ist und das Verfahren abschließt, vgl. Ingman, English Legal Process, S. 229; Sprack, Emmins, S. 263. 175 Vgl. eingehend dazu unten 2. Teil A. V. 4.: Verlauf und Inhalt der Beratung. 176 Vgl. für das deutsche Recht: §§ 45 I 2; 43 DRiG. 177 In dem Fall Vaise v Delaval (1785) 1 Durn & E, 11, lehnte es Richter Lord Mansfield ab, eidesstattliche Erklärungen zu akzeptieren, dass die Geschworenen zu ihrem Schuldurteil durch das Werfen einer Münze gelangt seien; vgl. Blackstone’s, D 17.7. 178 Ingman, English Legal Process, S. 230 f. 179 R v Box [1964] 1 QB, 430; Blackstone’s, D 17.7. 180 Gregory v United Kingdom, 25 EHRR, (1997) 577.
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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Die Regeln des common law zur Vertraulichkeit werden durch den Contempt of Court Act 1981 verschärft. Gemäß Contempt of Court Act 1981, Section 8 stellt es eine Missachtung des Gerichts dar, sich Informationen irgendwelcher Art bezüglich der Beratungen einer Jury zu verschaffen oder solche zu enthüllen.181 Der Hauptzweck von Section 8 ist es offenbar, unter anderem Zeitungsinterviews von Juroren nach dem Abschluss von Verfahren zu verhindern. Diese Regelung sollte eine Lücke im common law schließen, die im Zusammenhang mit dem Verfahren Attorney General v New Statesman182 offenkundig geworden war. Gemäß den Regeln des common law ist es nicht als Missachtung des Gerichts (contempt of court) verfolgbar, das Beratungsgeheimnis zu verletzen, solange dabei nicht die Endgültigkeit des Urteils in Frage gestellt wird.183 Angesichts der in dem Fall Attorney General v New Statesman gemachten Erfahrungen war Contempt of Court Act 1981, Section 8 bewusst weit gefasst worden. Beispielsweise stellt es nach dieser Norm auch eine Missachtung des Gerichts dar, Details über die Beratungen der Jury im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens öffentlich zu machen.184 Dadurch wurden die vom common law entwickelten Ausnahmen zum Vertraulichkeitsgrundsatz in Frage gestellt. Infolge dessen ergab sich Klärungsbedarf bezüglich des Verhältnisses zwischen den Regeln des common law und Contempt of Court Act 1981, Section 8. In R v Young stellte der Court of Appeal fest, dass auch Richter durch Contempt of Court Act 1981, Section 8 gebunden seien und es im Lichte dieser Regelung dem Rechtsmittelgericht nicht erlaubt sei, die bisher nach dem common law geltenden Ausnahmen weiterhin anzuwenden.185 Diese Sichtweise wurde vor kurzem in einem Urteil des House of Lords nicht aufrecht erhalten. Das oberste englische Gericht stellte klar, dass bei der Aufklärung von Fehlern der Jury im Rechtsmittelverfahren die common law-Regeln Vorrang genießen, weil sich Contempt of Court Act 1981, Section 8 nur auf eine Missachtung des Gerichts beziehe und das Gericht selbst daher nicht Adressat dieser Norm sein könne.186 181
Vgl. Contempt of Court Act 1981, Section 8 (1), 19. In diesem Verfahren aus dem Jahr 1979 gegen die Zeitung New Statesman ging es um ein in dieser Zeitschrift erschienenes Interview mit einer Person, die in einer Jury gedient hatte und darin Details aus der Beratung preisgab. Unter anderem berichtete der anonym gebliebene Juror, dass die Geschworenen von Anfang an entschlossen gewesen seien, den damaligen Angeklagten freizusprechen. Das Verfahren gegen die Zeitung endete mit einem Freispruch. Nach dem damals geltenden Recht zum Contempt of Court war es nämlich nicht strafbar, Details aus einer Beratung zu publizieren, die nicht geeignet waren, die Endgültigkeit des Schuldurteils in Frage zu stellen. – Vgl. Attorney General v New Statesman [1980] 1 All ER, 644, DC; Ingman, English Legal Process, S. 232. 183 Sprack, Emmins, S. 304. 184 Ingman, English Legal Process, S. 232. 185 R v Young [1995] QB, 324, CA. 186 R v Mirza [2004] 2 WLR, 201, HL; kritisch zur formaljuristischen Argumentation in dieser Entscheidung und für eine Neufassung von Contempt of Court Act 1981, Section 8: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 98. 182
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
4. Verlauf und Inhalt der Beratung Es gibt keinerlei Normen, die den Verlauf und Inhalt der Beratung der Jury reglementieren.187 Eine gewisse Struktur ist einzig dadurch vorgegeben, dass die Jury sich mit dem Obmann (foreman) selbst einen Diskussionsleiter gibt.188 Nach welchen Gesichtspunkten sich der Verlauf der Beratung richtet, ist daher weitgehend ungeklärt und auch einer empirischen Erfassung deswegen nicht zugänglich, weil die Vorgänge im Beratungszimmer der Geheimhaltung unterliegen189. Forschungen zum Verhalten der Geschworenen während der Beratung werden deswegen durch die Beobachtung sogenannter shadow juries durchgeführt, die aus Personen bestehen, welche als Zuschauer das Verfahren verfolgen und anschließend eine Beratung simulieren. Die Untersuchung des Geschehens in den shadow juries ergab, dass für den Ablauf der Urteilsfindung die Überzeugungsbildung der einzelnen Geschworenen während der Verhandlung und die Beratung über das Schuldurteil als interaktiver Prozess gleichermaßen ausschlaggebend sind.190 Der einzelne Juror neigt dazu, aus den Informationen, die ihm im Verlauf des Verfahrens nahe gebracht wurden, den Tathergang in der Struktur einer Erzählung zu rekonstruieren.191 Am Anfang der Beratung ist die Jury typischerweise in Gruppen mit unterschiedlichen Meinungen („Erzählungen“) zu bestimmten Fragen gespalten.192 Die anschließende Diskussion mit dem Ziel der Bildung einer gemeinsamen Überzeugung orientiert sich wahrscheinlich ebenso am Aufbau einer Erzählung, wie bereits der einzelne Geschworene die Präsentation der Beweise im Verfahren erlebt hat.193 Der Unterschied zur individuellen Überzeugungsbildung besteht darin, dass die Geschworenen beim Zusammentragen der Beweise ihre Erinnerungen er187
Grove, Juryman’s Tale, S. 177. Der Richter fordert die Juroren spätestens beim summing up dazu auf, einen Obmann zu bestimmen; vgl. Sprack, Emmins, S. 294; vgl. zu Einzelheiten des Auswahlverfahrens: Berlins/ Dyer, Law Machine, S. 126. 189 Nach Contempt of Court Act 1981, Section 8 ist es eine als Vergehen verfolgbare Missachtung des Gerichts, sich Informationen irgendwelcher Art bezüglich der Beratungen einer Jury zu verschaffen oder solche zu enthüllen. 190 Weiterführende theorethisch-philosophische Betrachtungen zu dem Phänomen des Erinnerns als und durch Erzählen in Bieri, Handwerk, S. 153 ff., 298 ff. und 381 ff. 191 Jackson, Judges and Juries, S. 411; Dieses von den Verhaltensforschern (behavioural scientists) Hastie, Penrod und Pennington entwickelte sogenannte cognitive story model wird in England zur Zeit als dasjenige betrachtet, welches die kognitiven Prozesse bei Geschworenen am realistischsten wiedergibt; vgl. Hastie/Penrod/Pennington, Inside the Jury, S. 22 f. 192 Angesichts der Tatsache, dass die Geschworenen zuvor den Fall in der Regel nicht miteinander besprochen haben, mag dies seltsam erscheinen. Wie Vidmar und Hans meinen, ist diese Gruppenbildung auf die unterbewusste menschliche Fähigkeit, mit anderen Menschen stillschweigende Allianzen zu bilden, zurückzuführen; vgl. Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 99 f. 193 Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 104. 188
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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gänzen können.194 Wegen dieser Möglichkeit gegenseitiger Ergänzung ist die Jury als Kollektiv deutlich besser als der einzelne Geschworene in der Lage, sich an Details aus der Verhandlung zu erinnern und Instruktionen des Richters zu verstehen.195 Außerdem wirkt die Größe der Jury gegen das Durchdringen von Vorurteilen.196 Die Beobachtung simulierter Juries hat außerdem gezeigt, dass nur eine kleine Gruppe von ungefähr drei Geschworenen die Hälfte der Diskussion bestreitet, während zwei bis vier Geschworene gar nicht an dem Gespräch partizipieren.197 Sobald sich in einer Frage eine mehrheitliche Überzeugung in einer bestimmten Richtung entwickelt, neigen die übrigen Geschworenen dazu, sich der Meinung der Mehrheit anzuschließen.198
5. Richterlicher Druck auf die Jury Im englischen Strafverfahrensrecht gilt, wie bereits erwähnt wurde, die Maxime, dass eine Jury im Prozess der Entscheidungsfindung frei von jeglichen äußerlichen Einflüssen wie Gewalt, Drohungen, Einschüchterung oder Bestechung bleiben muss.199 Das Problem der rechtswidrigen Beeinflussung der Jury stellt sich aber auch immer wieder im Kontext des Verhältnisses zwischen Jury und Richter. Setzt der Richter die Jury unzulässigem Druck (undue pressure) aus, kann die Verurteilung im Rechtsmittelverfahren (appeal) aufgehoben werden.200 Die Frage nach einer unzulässigen Einflussnahme des Richters stellt sich insbesondere hinsichtlich der Anweisungen des Richters an die Jury in Bezug auf die Dauer der Beratung sowie im Hinblick darauf, dass die Juroren überhaupt zu einer Einigung gelangen. Die englischen Rechtsmittelgerichte reagieren in diesem Bereich sehr sensibel auf Formen der Aufforderung des Richters an die Jury, sich zu einigen. Dadurch würden die Geschworenen in dem Prozess des sorgfältigen Abwägens aller Gründe gestört und zu einer übereilten Entscheidung gedrängt.201 Die Freiheit
194
Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 112. Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 120; Jury in Criminal Trials, S. 6. 196 Arce, Evidence Evaluation, S. 575; Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 50; Bei diesem Argument bleibt jedoch die Frage offen, inwieweit sich gerade kollektive Vorurteile negativ auswirken können. 197 Arce, Evidence Evaluation, S. 567. 198 Hastie/Penrod/Pennington, Inside the Jury, S. 205 ff; Arce, Evidence Evaluation, S. 572. 199 Ingman, English Legal Process, S. 220. 200 Ingman, English Legal Process, S. 220. 201 Solange der Richter dadurch keinen Druck auf die Geschworenen ausübt, ist es unproblematisch, wenn er sie beispielsweise auffordert, eine Einigung auch auf der Basis gegenseitigen Nachgebens zu erzielen; vgl. Blackstone’s, D 17.33; R v Modeste [1983] CrimLR, 746. – Zu der Form, in der eine derartige Belehrung geschehen soll, vgl. R v Watson [1988] QB, 690. 195
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
der Jury von jeglichem äußeren Einfluss wird jedoch nicht zuletzt auch aufgrund historischer Erfahrungen als derart wichtig betrachtet, dass selbst die Anwendung subtilen Drucks zur Aufhebung des entsprechenden Schuldurteils führte.202 Aus diesem Grund wird eine Jury, die sich nicht einigen kann, in den meisten Fällen ohne verdict entlassen (discharged).203
6. Zusammenfassung Die formalen Bedingungen des Beratungsverlaufes der Jury offenbaren eine Spannung zwischen der Notwendigkeit der Geheimhaltung von Juryberatungen im Interesse des Rechtsfriedens und dem Gedanken der Herstellung individueller Gerechtigkeit durch die Möglichkeit, Unregelmäßigkeiten der Beratung zum Gegenstand eines Rechtsmittels zu machen. Die dargelegten Tatsachen führen zu dem Schluss, dass dieser Konflikt im englischen Recht weitgehend zu Gunsten der Geheimhaltung der Beratung entschieden ist. Die Bewertung des inhaltlichen Ablaufes ist wesentlich durch fehlende Forschungsmöglichkeiten behindert. Davon abgesehen erscheint es angesichts der Vielfalt der möglichen personellen Besetzungen einer Jury schwierig, allgemein gültige Aussagen zum Beratungsablauf zu treffen. Es soll hier dennoch festgehalten werden, dass der Prozess der Meinungsbildung offenbar nach demselben Muster wie der Aufbau einer Erzählung204 verläuft. Auf diese Weise korrespondiert er mit der Art und Weise, nach der in einer englischen Hauptverhandlung der Verfahrensstoff durch Anklage und Verteidigung aufbereitet wird. Die Darstellung des Verfahrensstoffes im Prozess ist folglich der kognitiven Struktur eines Durchschnittsjurors angepasst.
VI. Das Schuldurteil der Jury (verdict) Vier Komplexe von Problemen stehen im Mittelpunkt des folgenden Abschnittes. Zunächst werden die Verkündung und der Inhalt des Schuldurteils thematisiert. Danach geben verschiedene rechtliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Inhalt des Schuldurteils Anlass zur Beschäftigung mit den dazugehörigen Lösungen des englischen Rechtes im Hinblick auf die besonderen Herausforderungen durch die Beteiligung von Laien. Darauf folgt eine Darstellung des Problems der fehlenden Begründung von Entscheidungen der Jury im Licht des Fairnessgrundsatzes des Art. 6 I EMRK. Abschließend widmet sich eine Passage 202 In R v Boyes [1991] CrimLR, 717 machte der Richter die Geschworenen darauf aufmerksam, dass es zu einem erneuten Verfahren kommen müsse, wenn sie sich nicht einigen könnten. 203 Sprack, Emmins, S. 313 f. 204 Vgl. auch weiterführend: Bieri, Handwerk, S. 153 ff., 298 ff. und 381 ff.
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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dem Thema der seit einiger Zeit möglichen Mehrheitsentscheidungen und der Kritik daran.
1. Die Verkündung des Schuldurteils Die Verkündung des Schuldurteils (verdict) erfolgt öffentlich und in Gegenwart des Angeklagten.205 Ist es den Geschworenen gelungen, ein verdict zu finden, verständigen sie den Richter und kehren in den Gerichtssaal zurück. Dort fragt der Protokollführer (clerk) den Obmann der Jury förmlich, ob es den Geschworenen gelungen ist, eine Entscheidung zu finden. Nachdem der Obmann diese Frage bejaht hat, wird das verdict zu jedem einzelnen Anklagepunkt (count) verkündet, indem der Obmann auf entsprechende Fragen des Protokollführers mit „schuldig“ (guilty) oder „nicht schuldig“ (not guilty) antwortet. Auf diese Weise entspricht ein Schuldurteil je einem Anklagepunkt (count). War die Entscheidung der Jury nicht einstimmig und wurde der Angeklagte für schuldig befunden, nennt der foreman außerdem das Stimmverhältnis.206 Das Einverständnis der übrigen Angehörigen der Jury wird vorausgesetzt, solange sie nicht unmittelbar nach der Antwort des Obmannes Widerspruch äußern. Sollten die Juroren erkennen, dass ihr verdict missverstanden wurde, und teilen sie dies dem Richter mit, so kann er eine Veränderung zulassen.207 Grundsätzlich darf der Richter ein Schuldurteil weder ablehnen, noch die Geschworenen nach ihren Gründen befragen.208 Ausnahmen von dieser Regel sind nur denkbar, wenn das Schuldurteil evident rechtswidrig ist. Das ist dann der Fall, wenn es sich um ein den Angeklagten schuldig sprechendes Schuldurteil bezüglich eines Delikts handelt, das weder so angeklagt wurde, noch ein Alternativdelikt nach Criminal Law Act 1967, Section 6 darstellt.209 Ist ein Schuldurteil nicht eindeutig, so muss es der Richter gleichermaßen nicht akzeptieren. Er wird stattdessen die Geschworenen auffordern, diese Ungenauigkeit zu berichtigen. Schließlich wird der Richter auch kein Schuldurteil zu einem Anklagepunkt annehmen, das einem anderen Schuldurteil derselben Jury zu einem anderen Anklagepunkt (count) desselben Falles widerspricht. 205
Blackstone’s, D 17.8. Vgl. Sprack, Emmins, S. 312; Ingman, English Legal Process, S. 219; Blackstone’s, D 17.15. Für weitere Einzelheiten der bei Mehrheitsentscheidungen angewandten Vorgehensweise, vgl. unten 2. Teil A. VI. 5. a): Das Verfahren bei einer Mehrheitsentscheidung. 207 Ob der Richter eine Veränderung zulässt, steht in seinem Ermessen. Bei Ausübung dieses Ermessenes hat der Richter den zeitlichen Abstand zwischen dem ersten verdict und dem Wunsch der Jury, dieses zu verändern, den Grund für das Missverständnis zu beachten sowie auf einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Angeklagten und denjenigen der Strafverfolgung zu achten; vgl. Blackstone’s, D 17.9. 208 Blackstone’s, D 17.10; R v Lester (1940) 27 Cr App R, 8; R v Larkin [1943] KB, 174. 209 Blackstone’s, D 17.10; Sprack, Emmins, S. 315; ausführlich zur Problematik der Alternativdelikte sogleich bei 2. Teil A. VI. 4.: Schuldurteile für Alternativdelikte. 206
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
Nachdem der Obmann das verdict verkündet hat, werden die Geschworenen entlassen (discharged).210
2. Der Inhalt des Schuldurteils und sein apodiktischer Charakter Die Entscheidung der Jury umfasst alle tatsächlichen Fragen. Dazu zählen der als Ergebnis der Beweisaufnahme erwiesene Sachverhalt, Schlüsse, die daraus gezogen werden können, und die Glaubwürdigkeit von Zeugen.211 Der Instruktion des Richters folgend entscheiden die Geschworenen zudem über die Anwendung von Rechtsbegriffen auf den ihnen vorliegenden Sachverhalt. Die Bereiche des Rechts (law) und der Tatsachen (fact), die während des Verfahrens getrennt waren, werden folglich in der Beratung vermischt, wenn die Jury das Recht, über welches sie der Richter belehrt hatte, anwendet. Das Schuldurteil hebt die eigentliche Teilung der Zuständigkeiten in Rechtsfragen und Tatsachenfragen schließlich auf und führt sie endgültig zusammen.212 Ein Freispruch bedeutet so stets die Unschuld des Angeklagten in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht. Dies folgt auch daraus, dass beim Plädieren auf „schuldig“ oder „nicht schuldig“ ebenfalls keine Unterscheidung zwischen Tatsachen und Recht getroffen wird. Der Spruch der Jury lautet stets nur auf „schuldig“ (guilty) oder „nicht schuldig“ (not guilty), eine Begründung wird nicht mitgeteilt. Die Geschworenen können den Angeklagten in einzelnen Anklagepunkten „schuldig“ (guilty) und in anderen „nicht schuldig“ (not guilty) befinden.213 Genauso möglich ist es, den Angeklagten nur bezüglich einiger, der in einem bestimmten Anklagepunkt spezifizierten Einzelheiten der Tat, „schuldig“ zu sprechen.214 Soweit ersichtlich herrscht in der einschlägigen englischen Literatur Konsens darüber, dass von einer Jury in der heutigen Form tatsächlich nicht erwartet werden kann, dass sie selbständig Gründe für ihre Entscheidungen formuliert.215 Angesichts der Komplexität der häufig zu behandelnden Rechtsmaterie und der praktischen Schwierigkeit, bei der Anzahl von zwölf Juroren in angemessener Zeit Urteilsgründe zu formulieren, kann dem nur zugestimmt werden. Vorschläge zur Abschwächung des darin liegenden Problems, wie etwa, dass den Geschwore210 Wurde der Angeklagte in wenigstens einem Anklagepunkt schuldig gesprochen, muss eine Entscheidung über das Strafmaß getroffen werden. Dieses Verfahren (sentencing procedure) obliegt allein dem Richter. Normalerweise wird dafür die Verhandlung vertagt, um dem Richter Gelegenheit zu geben, sich mit dem Strafmaß zu beschäftigen; vgl. zu Einzelheiten: Elliott/ Quinn, English Legal System, S. 357 ff.; Thomas, Sentencing, S. 478. 211 Blackstone’s, F 1.18; May/Powles, Criminal Evidence, 16–24. 212 Devlin, The Judge, S. 119. 213 Blackstone’s, D 17.8. 214 Beispielsweise wäre es möglich, einen Angeklagten für schuldig zu befinden, nur einige der angeblich gestohlenen Sachen selbst weggenommen zu haben; vgl. Sprack, Emmins, S. 305; Blackstone’s, D 17.8. 215 Bloom-Cooper, EHRLR 2001, 1 (11).
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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nen ein konkreter Fragenkatalog zur Beantwortung in die Beratung mitgegeben oder ein Jurist an der Beratung beteiligt werden sollte, haben sich daher auch nicht durchsetzen können.216 Mit dem Umstand, dass die Entscheidung der Geschworenen nicht begründet wird, und es auch nicht üblich ist, die Geschworenen dahingehend zu befragen, auf welcher Basis sie ihre Entscheidung getroffen haben217, sind allerdings Probleme im Hinblick auf die Vereinbarkeit dieser Praxis mit den Prinzipien der EMRK verbunden. Der EGMR stellte in Van de Hurk v The Netherlands nämlich grundsätzlich fest, dass Art. 6 I EMRK das erkennende Gericht verpflichtet, Gründe für sein Urteil anzugeben.218 Sofern eine Jury ihre Entscheidung überhaupt nicht begründet, ist es denkbar, dass darin eine Verletzung des Fairnessgrundsatzes des Art. 6 I EMRK liegt. Die besseren Argumente sprechen jedoch dafür, dass die heutige Praxis des unbegründeten Schuldurteils nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstößt.219 Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Tatsache, dass der genaue Inhalt dieses Grundsatzes in der Konvention nicht umfassend bestimmt wird. Die Frage, ob eine Verletzung des Fairnessgebotes vorliegt, wird vielmehr durch eine Gesamtbetrachtung des Verfahrens als ganzem im Einzelfall geprüft.220 In der Tat weist beispielsweise die Argumentation des EGMR in Condron v UK darauf hin, dass in der fehlenden Begründung der englischen Jury keine Verletzung des Fairnessgebotes gesehen wird.221 Besonders wichtig ist dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Überprüfbarkeit der Entscheidung durch ein höheres Gericht.222 Für England gilt, dass der Court of Appeal durchaus über die Möglichkeit verfügt, Entscheidungen von Juries aufzuheben, wenn er zu der Überzeugung gelangt, sie widersprächen der Beweislage. Der Umfang dieser Prüfungsmöglichkeit ist jedoch durch die Geheimhaltungsregeln eingeschränkt.223 Es kann daher mit guten Gründen bezweifelt 216
Vgl. Bloom-Cooper, EHRLR 2001, 1 (11); Auld, Review, Chapter 5 Rn. 97. Die einzige anerkannte Ausnahme zu diesem Prinzip besteht, wenn der Angeklagte alternativ wegen Mordes (murder) oder Totschlags (manslaughter) angeklagt war. Spricht die Jury den Angeklagten wegen Totschlags schuldig, ist es für die Bestimmung des Strafmaßes von ausschlaggebender Bedeutung, warum sich die Geschworenen für diese Alternative entschieden haben. Daher befragt der Richter in diesem Fall die Geschworenen normalerweise nach ihren Gründen. Es besteht gleichwohl für die Geschworenen keine Pflicht zur Antwort; vgl. Blackstone’s, D 17.11. 218 Van de Hurk v The Netherlands, 18 EHRR (1994), 481 § 61. 219 In diesem Sinne auch: Bloom-Cooper, EHRLR 2001, 1 (12); Auld, Review, Chapter 5 Rn. 92; vgl. auch Gaede, Fairness, S. 305 m. w. N., der die Frage nach dem Erfordernis von Begründungen bei Urteilssprüchen einer Jury als offen bezeichnet. 220 Nielsen v Denmark, 11 EHRR, (1989) 175 § 52; Ruiz Torija v Spain, (1995) 19 EHRR, 553 § 29; Hiro Balani v Spain, (1995) 19 EHRR, 566 § 27; LR-Gollwitzer, Art. 6 MRK Rn. 74. 221 Condron v UK, 31 EHRR [2000] 1 § 46, § 57; Auld, Review, Chapter 5 Rn. 95. 222 Hadjianastassiou v Greece, 16 EHRR (1992) 219, § 33. 223 Vgl. oben 2. Teil A. V. 3.: Die Vertraulichkeit der Beratung. 217
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
werden, dass das englische Recht hier eine ausreichende Überprüfungsmöglichkeit bereithält. Bezieht man jedoch im Rahmen der Gesamtbetrachtung des Verfahrens auch das summing up mit ein, ergibt sich eine andere Sichtweise. Durch die Rechtsbelehrung wird den Geschworenen vom Richter ein Rahmen für ihre Entscheidung gesetzt. Eine solche Vorgehensweise wurde vom EGMR bereits für den Fall eines Fragenkataloges für konventionskonform erklärt.224 Unter der Voraussetzung, dass sich die Geschworenen an die im summing up vorgegebenen Maßstäbe halten, kann das summing up also durchaus als ein adäquater Ausgleich für die fehlende Begründung des Spruches der Geschworenen angesehen werden. Bedenken gegenüber der Heranziehung des summing up als eine Art Begründungsersatz könnten sich aus dem Umstand ergeben, dass das summing up insofern mit einer Urteilsbegründung nicht vergleichbar sei, als dem Richter wie oben erläutert in seiner Gestaltung ein weites Ermessen eingeräumt wird. Dem lässt sich allerdings entgegenhalten, dass ein weites richterliches Ermessen (judicial discretion), das sich in einem großen Gestaltungsspielraum des Richters äußert und dessen Grenzen oftmals nicht positiv gesetzlich festgeschrieben sind, geradezu ein prägender Bestandteil des common law ist, ohne dass dies zu grundsätzlichen Zweifeln an der Rechststaatslichkeit englischer Strafverfahren führt. Ist dem so, dann rechtfertigt auch das richterliche Ermessen bei der Gestaltung des summing up keine andere Bewertung. Ein weiterer Einwand gegen den Wert des summing up als Äquivalent zu einer Urteilsbegründung ist die Überlegung, dass ein summing up allenfalls hypothetische Ausführungen zu dem Beweiswert eines Beweismittels enthalten kann, so dass ihm nicht entnommen werden kann, auf welcher Grundlage die Geschworenen ihre Überzeugung gewonnen haben. Eine denkbare Garantie gegen zufällige Entscheidungen könnte möglicherweise in der Einstimmigkeit der Entscheidung der Juroren liegen. Einstimmigkeit würde zwar die Grundlagen der Überzeugungsbildung auch nicht offenbaren. Sie würde jedoch sicherstellen, dass die jeweils gewonnene Überzeugung als so einleuchtend empfunden wird, dass sie von allen Geschworenen geteilt wird und dadurch dem verdict eine größere Überzeugungskraft verleihen. Obwohl gerade das zuletzt genannte Argument von der fehlenden Offenlegung der Gründe für die Überzeugungsbildung sehr schwer wiegt, ist den Vertretern der Ansicht, die in der fehlenden Begründung der Entscheidungen durch Juries Art. 6 I EMRK nicht als verletzt ansehen, beizupflichten. Maßgeblich dafür ist letztlich der Umstand, dass Rechtsfehler bei der Zusammenfassung durch den Richter in weitem Umfang der Überprüfung im Rechtsmittelverfahren zugänglich sind.225 224 Saric v Denmark, applic. no. 31913/96; Brooks, 21 Journal of Applied Philosophy (2004), 197 (205); Auld, Review, Chapter 5 Rn. 95; Jackson, 68 MLR (2005), 737 (759). 225 Vgl. oben 2. Teil A. IV. 4. b) dd): Die Zusammenfassung und Belehrung durch den Richter (summing up).
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Demgegenüber tritt die fehlende Mitteilung der Gründe für die Überzeugungsbildung im Rahmen der nach dem EuGH vorzunehmenden Gesamtbetrachung in den Hintergrund, weil immerhin auch die vom Richter vorgenommene hypothetische Beweiswürdigung auf Fehler überprüft werden kann und deswegen auch dieser Punkt letztlich einer, wenn auch eingeschränkten, Überprüfung offensteht.
3. Konkurrierende Tatbestände im Schuldurteil Angeklagte Taten, die in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, weil sie sich gegenseitig ausschließen oder in einem Stufenverhältnis zueinander stehen, sind eine potentielle Fehlerquelle im Schuldurteil. Die englische Rechtsprechung hat daher ein Regelwerk entwickelt, um den damit verbundenen rechtlichen Unsicherheiten vorzubeugen. Das schwerwiegendste Problem sind Anklagepunkte, die alternativ zueinander stehen und sich gegenseitig ausschließen (counts in the alternative)226, so dass eine Verurteilung nur bezüglich einer Alternative möglich ist. Wurde der Angeklagte von der Jury hinsichtlich der einen Alternative ausdrücklich freigesprochen und in Bezug auf die andere für schuldig befunden, so hat das Rechtsmittelgericht keine Möglichkeit, den Angeklagten aufgrund der ursprünglich freigesprochenen Alternative zu verurteilen, wenn das Schuldurteil zu der anderen Alternative fehlerhaft war und daher aufgehoben werden musste.227 Das hat die Folge, dass der Angeklagte trotz möglicherweise erwiesener Schuld freigesprochen werden müsste. Um dies zu verhindern, wird die Jury bei alternativen und einander ausschließenden Anklagepunkten zunächst gefragt, ob sie den Angeklagten in Bezug auf eine der beiden Alternativen für schuldig hält. Ist die Antwort „ja“ wird die Jury gebeten, die fragliche Alternative zu benennen. Daraufhin entbindet der Richter die Jury von der Aufgabe, ihre Entscheidung hinsichtlich der anderen Alternative bekannt zu geben und umgeht so die Notwendigkeit eines ausdrücklichen Freispruches für das zweite Delikt.228 Die Sprüche der Jury zu Anklagepunkten, die zwar alternativ sind, sich aber gegenseitig nicht ausschließen, weil sie beispielsweise in einem Stufenverhält226 Diese Problematik erinnert an ein Rechtsinstitut, das im deutschen Recht unter dem Begriff der Exklusivität diskutiert wird. Exklusivität wird im deutschen Recht angenommen, wenn sich zwei Strafnormen tatbestandlich ausschließen; vgl. weitergehend: Maurach/Gössel/ Zipf, Strafrecht AT II, § 55 Rn. 11 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 31. Abschn. Fn. 13; krit. Puppe, JR 1984, 229 ff. 227 Blackstone’s, D 17.8; Sprack, Emmins, S. 305; vgl. R v Melvin and Eden [1953] 1 QB, 481; Dieses Ergebnis kommt zustande, weil im englischen Recht das Verbot des Doppelverfahrens (double jeopardy) gilt, das es der Anklage unmöglich macht, einen Freispruch mit einem Rechtsmittel anzugreifen; vgl. Ward/Davies, Criminal Justice Act 2003, S. 240 f.; Elliott/ Quinn, English Legal System, S. 463. 228 Sprack, Emmins, S. 305; vgl. oben 2. Teil A. IV. 4. b) cc): Beendigung des Verfahrens durch den Richter.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
nis zueinander stehen, werden nacheinander abgefragt.229 Der Punkt, welcher das schwerwiegendere Delikt berührt, wird zuerst beantwortet.
4. Schuldurteile für Alternativdelikte Die Juroren haben das Recht, den Angeklagten „nicht schuldig im Sinne der Anklage“ (not guilty as charged) zu sprechen, und ihn anstelle dessen wegen einer anderen, geringeren Straftat (Alternativdelikt) schuldig zu befinden. Nach den Regeln des common law war dies immer dann möglich, wenn die normative Beschreibung der einen Straftat, eine andere notwendigerweise mit umfasste. Heute ist das common law in weiten Teilen nicht mehr relevant, weil die Schuldurteile für Alternativdelikte weitgehend durch Gesetzesrecht geregelt sind.230 Die allgemeine Vorschrift zu Schuldurteilen für alternative Delikte ist Criminal Law Act 1967, Section 6 (3). Danach können die Geschworenen einen Angeklagten dann wegen einer geringeren als der angeklagten Tat schuldig sprechen, wenn das angeklagte Tun oder Unterlassen explizit oder implizit auch den Tatbestand eines anderen Delikts erfüllt.231 Ein Anklagepunkt (count) umfasst dann explizit den Tatbestand eines anderen Delikts, wenn nach Weglassung einiger behaupteter Tatumstände, die einen Schuldspruch wegen eines bestimmten Delikts gerechtfertigt hätten, die übrigen Tatumstände ausreichen, eine Verurteilung für ein anderes Delikt zu rechtfertigen.232 Die Frage, ob ein Anklagepunkt bezüglich des einen Delikts ein anderes Delikt implizit umfasst, wird von den englischen Gerichten mit zwei Tests überprüft. Nach dem sogenannten necessary step test liegt eine implizite Umfassung dann vor, wenn die Begehung einer nicht angeklagten Tat nach geltendem Recht 229
Blackstone’s, D 17.8. Blackstone’s, D 17.18. 231 Criminal Law Act 1967, Section 6 (3); Diese Rechtsfigur weckt Assoziationen zu dem deutschen Institut der Gesetzeseinheit (unechte Konkurrenz). Nach einer Definition des BGH liegt Gesetzeseinheit dann vor, „wenn der Unrechtsgehalt einer Handlung durch einen von mehreren dem Wortlaut nach anwendbaren Straftatbeständen erschöpfend erfaßt wird“; vgl. BGHSt 46, 24 (25). Auch nach deutschem Recht können Tatbestände, die zunächst im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängt wurden, wieder Bedeutung gewinnen, wenn beispielsweise im Falle des Rücktritts vom Versuch ein zunächst verdrängter Tatbestand wieder auflebt; vgl. Haft, AT, S. 275. – Hier wird zugleich beispielhaft deutlich, dass das englische Recht Probleme, die in Deutschland materiell rechtlich gelöst werden, von einem prozessualen Standpunkt aus betrachtet. 232 Sprack, Emmins, S. 306; R v Lillis [1972] 2 QB, 236; Beispielsweise würde nach englischem Recht der Tatbestand des Einbruchsdiebstahls (burglary) explizit den Tatbestand des Diebstahls (theft) beinhalten, wenn sich aus der Beweisaufnahme ergäbe, dass der Täter zwar das Haus erlaubter Weise betreten hatte, er jedoch die abhanden gekommene Sache nicht behalten durfte. 230
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ein notwendiger Schritt (necessary step) zur Begehung der zweiten, ursprünglich angeklagten Tat war.233 Die Anwendung dieses Tests hatte zur Folge, dass Taten dann nicht als implizit enthalten angesehen werden konnten, wenn es rechtlich irgendwie möglich war, die zweite Tat ohne Begehung der ersten zu verwirklichen, selbst wenn dies fernliegend war.234 Aus diesem Grunde wurde der necessary step test vom House of Lords als zu eng angesehen und daher durch einen anderen Test ersetzt. Nunmehr muss die erste, ursprünglich nicht angeklagte Tat nicht mehr zwangsläufig einen notwendigen Schritt (necessary step) zur Begehung der zweiten darstellen. Vielmehr soll es ausreichen, wenn die erste Tat bei normalem Geschehensverlauf (in the normal course of events) einen Schritt zur Begehung der zweiten Tat bedeutet.235 Bei der Entscheidung, ob ein Delikt ein anderes implizit umfasst, darf das Gericht eine Wertung nur auf rechtlicher und nicht auf tatsächlicher Grundlage vornehmen.236 Die allgemeine Bestimmung des Criminal Law Act 1967, Section 6 (3) wird ergänzt durch spezielle Regelungen desselben Gesetzes sowie des Road Traffic Offenders Act 1988. Diese Normen legen mögliche Alternativdelikte fest.237 Anstatt wegen Mordes (murder) als angeklagter Tat darf der Angeklagte danach nur wegen bestimmter Alternativdelikte schuldig gesprochen werden.238 Weiterhin kann anstelle der vollendeten Tat (completed offence) wegen Versuchs (attempt)239 und anstelle von Täterschaft wegen Teilnahme an einer Tat verurteilt werden240. Alternativdelikte zu Straßenverkehrsdelikten definiert Road Traffic Offenders Act 1988, Section 24.
233 Eine Anklage wegen Raubes (robbery) enthält danach auch eine Anklage wegen Diebstahls (theft); vgl. Sprack, Emmins, S. 306. 234 Es ist nach englischem Recht beispielsweise möglich, eine Körperverletzung (bodily harm) ohne einen strafbaren Angriff (assault) zu begehen, z. B. indem in einem Raum voller Menschen absichtlich Panik erzeugt wird, damit sich die Opfer beim Versuch, den Raum zu verlassen, selbst verletzen; vgl. Sprack, Emmins, S. 307; R v Springfield (1969) 53 Cr App R, 608. 235 Lord Roskill in: Metropolitan Police Commissioner v Wilson [1984] AC, 242. 236 Beispielsweise ist eine Sachbeschädigung (criminal damage) durch Zerstörung einer Fensterscheibe möglicherweise ein tatsächlich notwendiger Schritt zur Begehung eines Einbruchsdiebstahls (burglary). Rechtlich existiert jedoch keine Verbindung zwischen den Tatbeständen der Sachbeschädigung (criminal damage) und des Einbruchsdiebstahls (burglary). Folglich kann der Angeklagte nicht wegen Sachbeschädigung als impliziter Alternativtat zu Einbruchsdiebstahl schuldig gesprochen werden. Meist werden aus diesem Grund in derartigen Fällen beide möglichen Delikte getrennt angeklagt; vgl. Sprack, Emmins, S. 308. 237 Eine ausführliche Darstellung der Einzelheiten zu den Vorschriften findet sich in: Blackstone’s, D 17.22 ff. 238 Dies sind Totschlag (manslaugther), schwere vorsätzliche Körperverletzung (grievous bodily harm with intent to do so), versuchter Mord (attempt to commit murder) sowie der Versuch einer anderen Straftat (attempt to commit any other offence); vgl. Criminal Law Act 1967, Section 6 (2). 239 Vgl. Criminal Law Act 1967, Section 6 (4). 240 Vgl. Criminal Law Act 1967, Section 4 (2).
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
Die Geschworenen werden als juristische Laien nicht selbst die Option einer alternativen Verurteilung erkennen. Es ist daher die Aufgabe des Richters, sie im summing up darauf aufmerksam zu machen. Es steht gleichwohl im Ermessen des Richters, die Möglichkeit eines alternativen Schuldurteils nicht zu erwähnen, wenn er überzeugt ist, dass dies ein Risiko für den Angeklagten bedeuten könnte.241 Es ist beispielsweise nicht ratsam, eine Alternative im summing up zum ersten Mal einzuführen.242 Die Prozessbeteiligten werden daher vom Richter in der Regel vorab darüber informiert, dass er eine Alternative vorzuschlagen gedenkt, um dies in ihren Schlussplädoyers zu berücksichtigen.
5. Mehrheitsentscheidungen (majority verdicts) Mehrheitsentscheidungen (majority verdicts) wurden erstmals 1967 durch den Criminal Justice Act 1967 in England und Wales ermöglicht.243 Die derzeit geltenden Normen sind in Juries Act 1974, Section 7 zu finden. Im Folgenden sollen die wichtigsten Eckpunkte dieser Regeln dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen werden.
a) Das Verfahren bei einer Mehrheitsentscheidung Eine Mehrheitsentscheidung ist zulässig, wenn von einer zwölf- oder elfköpfigen Jury nicht weniger als zehn Juroren zustimmen oder bei einem Gremium von zehn Juroren mindestens neun der Entscheidung zustimmen.244 Ein Rest der jahrhunderte lang geübten Zurückhaltung gegenüber Mehrheitsentscheidungen ist noch daran sichtbar, dass eine Reihe von Regeln als Sicherung gegen Leichtfertigkeit und Übereilung bei Mehrheitsentscheidungen existiert. Angesichts der Begründungslosigkeit245 der Schuldurteile erscheint diese Zurückhaltung auch berechtigt. Aufgrund seines apodiktischen Charakters wohnt dem verdict die Gefahr inne, dass es ergeht, ohne dass alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gründe abgewogen wurden, weil diese Gründe nicht offen gelegt werden müssen. Wenn alle Geschworenen überzeugt werden müssen, damit ein verdict ergehen kann, ist die Gefahr der Übereilung zwar nicht ausgeschlossen aber wenigstens geringer.246 Darüber hinaus spricht der Umstand, dass eine Entscheidung von allen 241 Metropolitan Police Commissioner v Wilson [1984] AC, 242; Sprack, Emmins, S. 309; Blackstone’s, D 17.30. 242 R v Hazell [1985] CrimLR, 513. 243 Ingman, English Legal Process, S. 218; Sprack, Emmins, S. 311; Blackstone’s, D 17.12. 244 Vgl. Juries Act 1974, Section 17 (1) (a)-(b). 245 Siehe dazu oben 2. Teil A. VI. 2.: Der Inhalt des Schuldurteils und sein apodiktischer Charakter. 246 Die Situation, dass ein einzelner Geschworener mit einer abweichenden Meinung seine zunächst zu einem Schuldspruch entschlossenen Mitgeschworenen davon überzeugt, dass
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Entscheidern getragen wird, dafür, dass gegen diese Entscheidung keine plausiblen Gründe sprechen. Insoweit kann die Einstimmigkeit auch als eine Art Ersatz für eine Begründung angesehen werden. Bereits im summing up hält der Richter die Juroren dazu an, eine einstimmige Entscheidung zu fällen. Weiterhin müssen der Jury mindestens zwei Stunden und zehn Minuten zur Entscheidung zugebilligt werden.247 Dieser Zeitraum kann noch erweitert werden, wenn der Richter dies in Anbetracht der Schwierigkeit der Entscheidung für angemessen hält.248 Ist es den Juroren nach der minimalen Beratungszeit von zwei Stunden und zehn Minuten nicht gelungen, ein einstimmiges verdict zu finden, so werden sie zu einem zweiten Beratungszyklus in das Beratungszimmer zurückgeschickt. Auch diesmal besteht das Ziel darin, Einstimmigkeit anzustreben.249 Üblicherweise erklärt der Richter den Geschworenen zu diesem Zeitpunkt jedoch die Regeln, nach denen Mehrheitsentscheidungen möglich sind. Er sollte jedoch keine präzise Zeit nennen, nach deren Ablauf er eine derartige Entscheidung zu akzeptieren bereit wäre.250 Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zum Schutz vor Übereilung ist statistisch daran nachweisbar, dass der weit überwiegende Teil der Beratungen der Jury mit einer einstimmigen Entscheidung endet, obwohl es auf den ersten Blick einfacher und unproblematischer erscheint, eine Mehrheitsentscheidung herbeizuführen.251 Kehrt die Jury nach dem zweiten Beratungszyklus in den Gerichtssaal zurück, fragt der Schriftführer den Obmann (foreman) der Jury, ob ein Schuldurteil mit der erforderlichen Mehrheit gefunden wurde. Ist die Antwort positiv, wird der Obmann aufgefordert, die Entscheidung über „schuldig“ oder „nicht schuldig“ zu verkünden. Nur im ersteren Fall wird der foreman anschließend nach dem Stimmverhältnis gefragt.252 wenigstens Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestehen, weshalb dieser schließlich freigesprochen wird, greift Reginald Rose in dem klassischen amerikanischen Theaterstück zur Jury: „Twelve Angry Men“ auf. 247 Vgl. Juries Act 1974, Section 17 (4); Durch die Practise Direction (Crime: Majority verdict) [1970] 1 WLR, 916 wurde die Zwei-Stunden-Grenze leicht auf zwei Stunden und zehn Minuten ausgedehnt. Die zusätzlichen zehn Minuten sind z. B. für den Weg ins Beratungszimmer vorgesehen, um sicherzustellen, dass tatsächlich zwei Stunden beraten wird. 248 Blackstone’s, D 17.13. 249 Vgl. Practise Direction (Criminal Proceedings: Consolidation), Part IV, [2002] 1 WLR, 2870 (2903 f.); Obwohl die Richter gehalten sind, dieser Richtlinie zu folgen, kommt ihr keine Gesetzeskraft zu. Daher hat ihre Nichtbefolgung nicht notwendigerweise die Fehlerhaftigkeit des so erzielten verdict zur Folge; vgl. Ingman, English Legal Process, S. 220. 250 Blackstone’s, D 17.16. 251 Im Jahre 2004 erfolgten 23 % aller Verurteilungen durch eine Jury aufgrund von Mehrheitsentscheidungen; vgl. Judicial Statistics 2004, S. 90. 252 Dieses umständliche Verfahren wird verwendet, damit einem Freispruch nicht der Makel anhaftet, er sei mit Gegenstimmen erzielt worden; vgl. Sprack, Emmins, S. 312; Ingman, English Legal Process, S. 219; Blackstone’s, D 17.15.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
Obwohl der Wortlaut von Juries Act 1974, Section 17 (3) etwas anderes nahe zu legen scheint253, ist es nicht erforderlich, die Anzahl der Zustimmungen und Ablehnungen explizit zu nennen. Es reicht aus, entweder die Zahl der Zustimmungen oder der Ablehnungen bekannt zu geben.254 Der Inhalt von Juries Act 1974, Section 17 (3) ist zwingendes Recht, dessen Nichtbeachtung zur Aufhebung der Verurteilung führen kann.255 Allerdings ist das Schuldurteil nicht mit einem Makel behaftet, wenn die Unterlassung der Nennung des Zahlenverhältnisses unmittelbar korrigiert wird.256
b) Kritik an der Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen Die Einführung von Mehrheitsentscheidungen 1967257 wurde maßgeblich damit begründet, dass eine „Blockade“ von Juryentscheidungen durch eingeschüchterte oder bedrohte Geschworene verhindert und extreme Standpunkte einzelner Juroren neutralisiert werden müssten. Diese Argumentation wurde und wird immer noch in der einschlägigen englischen Literatur kritisiert. Gegen die erste These wird vorgebracht, dass Bestechung und Einschüchterung einzelner Juroren zwar vorkämen, der tatsächliche Anteil dieser Fälle am gesamten Aufkommen der Verfahren jedoch sehr gering sei. In der Tat konnte der seinerzeit amtierende Innenminister James Callaghan bei einer Anhörung während des damaligen Gesetzgebungsfahrens nur drei Fälle nennen, in denen Anzeigen wegen Einschüchterungsversuchen aufgenommen wurden. In keinem dieser Fälle wurde Anklage gegen den Störer erhoben.258 Aufgrund dessen erscheint das Argument plausibel, es sei unverhältnismäßig, die Ansicht eines Sechstels der Geschworenen für irrelevant zu erklären.259 Außerdem wird angeführt, das angenommene Erfordernis der Neutralisierung widerspreche der Aussage des Gesetzgebers, das Prinzip der zufälligen Auswahl gewährleiste die optimale Zusammensetzung der Jury.260 Darüber hinaus wird bezweifelt, dass es mit dem Standard des Schuldnachweises jenseits jedes vernünftigen Zweifels (beyond reasonable doubt standard) vereinbar sei, die fehlende
253 „The Crown Court shall not accept a verdict of guilty by virtue of subsection (1) above [Juries Act 1974, Section 17 (1)] unless the foreman of the jury has stated in open court the number of jurors who respectively agreed to and dissented from the verdict.“ 254 R v Pigg [1983] 1 All ER, 56. 255 Ingman, English Legal Process, S. 218; R v Gilbert (1978) 66 Cr App R, 237; R v Trickett [1991] CrimLR, 59. 256 R v Maloney [1996] 1 Cr App R, 303, CA. 257 Vgl. oben 1. Teil A. V. 5. d): Abschied von Traditionen. 258 Brooks, 21 Journal of Applied Philosophy (2004), 197 (202); Hostettler, Jury Old and New, S. 130. 259 Vgl. Sanders/Young, Criminal Justice, S. 568. 260 So etwa: Sanders/Young, Criminal Justice, S. 569.
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Überzeugung eines Sechstels der Geschworenen von der Schuld des Angeklagten zu ignorieren.261 Weitere kritische Stimmen heben hervor, dass sich bei Mehrheitsentscheidungen die Prioritäten bei der Urteilsberatung ändern würden. In diesem Fall würde der Prozess der Diskussion und Bewertung der Beweise dann beendet, wenn die erforderliche Mehrheit erreicht sei. Das Verfahren bei Mehrheitsentscheidungen sei folglich weniger an der Sache selbst orientiert und damit formalistischer als eine Beratung, die konstruktiv eine gemeinsame Lösung anstrebt.262 Schon Mittermaier hat die Beobachtung angestellt, dass die Bestimmung über die Stimmenmehrheit damit zusammenhängt: „ob der Gesetzgeber mehr von der vorherrschenden Rücksicht ausgeht, die bürgerliche Gesellschaft durch Begünstigung des Eintretens vieler Verurtheilungen zu schützen, oder ob er der Unschuld mehr Bürgschaften geben will.263“ Ausgehend von dieser These ist die Kritik, die sich an der Frage der Mehrheitsentscheidungen entzündet, besonders mit Blick auf den beyond reasonable doubt standard durchaus nachvollziehbar. Zwar ist auch das Interesse berechtigt, durch die Zulassung von Mehrheitsentscheidungen eine Blockade der Jury durch einzelne Juroren zu verhindern. Dies kann jedoch im Ergebnis die Abkehr von der Einstimmigkeit nicht ausreichend begründen. Zum einen fehlt ein empirischer Nachweis, dass derartige Blockaden überhaupt in signifikanter Zahl vorkommen. Letztlich überzeugend ist jedoch ein Argument, das im Zusammenhang mit der apodiktischen Natur des Schuldurteils steht. Die Einstimmigkeit der Schuldsprüche wäre nämlich auch im Hinblick auf die oben im Zusammenhang mit der fehlenden Begründung geäußerten Kritik264 wünschenswert. Zwar ist das Diktum Mittermaiers, demzufolge „nur die Willkür entscheidet und das öffentliche Vertrauen leidet“ „wo das Gesetz einmal mit der Mehrheit sich begnügt“265 sicherlich übertrieben. Wie vorstehend bereits dargelegt, kann allerdings Einstimmigkeit der Entscheidung den Nachteil der fehlenden Begründung der Schuldurteile teilweise korrigieren, weil Einstimmigkeit zu eingehender Reflexion zwingt und Übereilung verhindert266. Durch die Aufgabe der Einstimmigkeit wurde den englischen Geschorenengerichten somit ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Qualität und Überzeugungskraft ihrer Entscheidungen genommen. Angesichts dieses Befundes ist es nur ein geringer Trost, dass die Geschworenen offenbar überwiegend den Auftrag zur Einigung ernst nehmen, wie anhand der 261
Freeman, CLP 1981, 65 (69); Maher, Verdict, S. 52; Doran, Trial by Jury, S. 396; Jury in Criminal Trials, S. 28. 262 Darbyshire/Maughan/Stewart, Jury Research, S. 30; vgl. zum eigenen Standpunkt in dieser Frage sogleich bei 2. Teil A. VI. 6.: Zusammenfassung. 263 Mittermaier, Mündlichkeit, S. 398. 264 Vgl. 2. Teil A. VI. 2.: Der Inhalt des Schuldurteils und sein apodiktischer Charakter. 265 Beide Zitate aus: Mittermaier, Mündlichkeit, S. 399. 266 Vgl. 2. Teil A. VI. 2.: Der Inhalt des Schuldurteils und sein apodiktischer Charakter.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
relativ geringen Zahl der Schuldurteile nach Mehrheitsentscheidungen deutlich wird.
6. Zusammenfassung Anhand der mit dem Inhalt des Schuldurteils verbundenen Probleme der konkurrierenden Tatbestände und der Alternativdelikte konnte exemplarisch gezeigt werden, wie die Rechtsprechung in England mit der Tatsache umgeht, dass komplexe rechtliche Sachverhalte für Laien schwierig nachzuvollziehen sind. Eine tragende Rolle kommt dabei wieder dem Richter zu, der die Geschworenen entsprechend einweisen muss. Am Beispiel der einander ausschließenden, konkurrierenden Tatbestände wurde ferner deutlich, dass das Verfahren auch insgesamt darauf abgestimmt ist, rechtliche Verständnisschwierigkeiten von vornherein abzufangen. Trotz aller dieser Sicherungsmechanismen bleibt jedoch gerade das Gebiet des Inhalts des Schuldurteils problematisch. Dies trifft insbesondere auf die fehlende Begründung zu. Dies ist zwar, wie dargelegt, mit dem Fairnessgebot des Art. 6 EMRK vereinbar. Im Zusammenhang mit der fehlenden Darlegung der Gründe für die Überzeugungsbildung, verbleiben gleichwohl Zweifel, denen jedoch durch Wiedereinführung des Prinzips der Einstimmigkeit begegnet werden könnte. Dass von diesem Prinzip durch Einführung von Mehrheitsentscheidungen abgewichen wurde, ist deswegen und auch mit Blick auf die sich daraus ergebenden Defizite im beyond reasonable doubt standard als schwerwiegendes Defiztit des Schuldurteils als negativ zu bewerten.
VII. Rechtsmittel Die Behandlung des Verfahrens vor Geschworenengerichten wäre unvollständig ohne eine Darstellung der Möglichkeiten, Rechtsmittel267 gegen die Entscheidungen jener Gerichte geltend zu machen. Nach einer kursorischen Übersicht über die Rechtsmittel gegen ein Urteil des Crown Court wird in diesem Abschnitt auf das Verbot des Doppelverfahrens nach einem Freispruch und die jüngsten Veränderungen dieses besonderen englischen Prinzips eingegangen.
267 In der englischen Rechtsterminologie steht der Begriff appeal allgemein für Maßnahmen zur Anfechtung gerichtlicher Entscheidungen. Unterschiede im Gegenstand der erneuten Beurteilung bereits entschiedener Sachverhalte, wie sie im deutschen Recht durch die unterschiedlichen Institute der Berufung und der Revision zum Ausdruck kommen, sind im englischen Recht zwar bekannt, kommen jedoch nicht durch terminologische Differenzierungen zum Ausdruck. Aus diesem Grund wurde als Übersetzung für appeal der deutsche Oberbegriff „Rechtsmittel“ gewählt.
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1. Übersicht über die Rechtsmittel gegen Urteile des Crown Court Für ein Rechtsmittel (appeal) gegen eine erstinstanzliche Verurteilung durch den Crown Court steht der Rechtsweg zum Court of Appeal, Criminal Division offen.268 Das Rechtsmittelgericht kann dem Rechtsmittel entweder stattgeben (allow the appeal), es ablehnen (dismiss the appeal) oder ein neues Verfahren vor dem Crown Court anordnen.269 Gegenstand des Rechtsmittels zum Court of Appeal kann das Strafmaß (severity of the sentence), das Schuldurteil der Jury oder auch ein Rechtsfehler während des Verfahrens sein.270 Voraussetzung für die Möglichkeit, die Entscheidung der höheren Instanz herbeizuführen, ist die Zulassung (leave) des Rechtmittels durch den judex a quo oder den Court of Appeal. Am Court of Appeal findet kein neues Verfahren statt, sondern nur eine Überprüfung des ursprünglichen Urteils. Neue Beweismittel können gleichwohl dann zugelassen werden, wenn das Rechtsmittelgericht dies im Interesse der Gerechtigkeit für nützlich oder angebracht hält.271 Gegen die Entscheidung des Court of Appeal können sowohl die Anklage als auch die Verteidigung Rechtsmittel zum House of Lords einlegen.
2. Die Zusammensetzung der Jury als Grund für ein Rechtsmittel Die Zusammensetzung der Jury kann nur in außergewöhnlichen Fällen der Grund für ein erfolgreiches Rechtsmittel sein, weil die gesetzlichen Anforderungen dafür schwer zu erfüllen sind. Das Ausmaß, in dem die Verteidigung ein Schuldurteil einer Jury wegen deren Zusammensetzung angreifen kann, wird von Juries Act 1974, Section 18 geregelt. Diese Norm benennt ausdrücklich einige Fälle der fehlerhaften Zusammensetzung einer Jury als nicht ausreichend für ein erfolgreiches Rechtsmittel. Dies verhindert häufig die Aufhebung eines Schuldurteils, wenn das Rechtsmittel auf eine behauptete Unfähigkeit oder Untauglichkeit eines beteiligten Jurors gestützt wird.272 Die Härte dieser Regelung wird dadurch gemildert, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, eine Aufhebung des Schuldurteils sei selbst in den von Juries Act 1974, Section 18 genannten Fäl268 Pattenden, Criminal Appeals, S. 491; Eine dritte Möglichkeit, gegen ein Urteil vorzugehen, besteht darin, es der Criminal Cases Review Commission vorzulegen. Diese Behörde hat jedoch keine eigene Entscheidungskompetenz, sondern kann den Fall nur zur endgültigen Entscheidung an den Court of Appeal weiterleiten. Aus diesem Grund handelt es sich bei der Vorlagemöglichkeit auch um kein echtes Rechtsmittel; vgl. Elliott/Quinn, English Legal System, S. 460. 269 Elliott/Quinn, English Legal System, S. 463, Pattenden, Criminal Appeals, S. 491. 270 Vgl. Pritchard, Guidebook, S. 615. 271 Vgl. Criminal Appeal Act 1968, Section 23 (1) „if they think it necessary or expedient in the interests of justice“. 272 Vgl. Juries Act 1974, Section 18 (1).
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
len möglich, wenn neben der fehlerhaften Zusammensetzung der Jury besondere Umstände dafür sprechen, dass im Einzelfall das Schuldurteil unsicher ist.273 Weitere Voraussetzung für die Aufhebung eines Schuldurteils aufgrund einer Unregelmäßigkeit bei der Auswahl der Geschworenen ist eine erfolglose Rüge dieser Unregelmäßigkeit bereits im Verfahren.274 Das common law, welches in nicht von Juries Act 1974, Section 18 erfassten Fällen eingreift, legt einem Rechtsmittel gegen die Zusammensetzung der Jury ähnlich hohe Hindernisse in den Weg.275 Beruft sich die Verteidigung beispielsweise auf die Voreingenommenheit eines Geschworenen, so muss sie darlegen, dass der betreffende Geschworene bereits vor der Gerichtsverhandlung entschlossen war, für ein bestimmtes verdict zu votieren.276
3. Das Verbot des Doppelverfahrens (double jeopardy rule) Die Möglichkeiten der Anklage, gegen einen Freispruch vorzugehen, sind eng begrenzt. Traditionell gilt im englischen Recht das Verbot des Doppelverfahrens (double jeopardy)277, das es grundsätzlich unmöglich macht, einen Freispruch mit einem Rechtsmittel anzugreifen.278 Mittlerweile hat dieses Prinzip jedoch eine Reihe von Durchbrechungen in Form von Ausnahmeregelungen erfahren. Grundsätzlich gilt, dass die Anklage jeden Rechtsfehler zum Gegenstand eines Rechtsmittels machen kann.279 Dieses Rechtsmittel dient dann jedoch nur der Überprüfung des rechtlichen Inhalts der entsprechenden Gerichtsentscheidung und berührt den Freispruch nicht.280 Darüber hinaus kann die Anklage auch das Strafmaß mit einem Rechtsmittel zu Lasten des Angeklagten angreifen.281 273
In R v Chapman and Lauday deutete der Court of Appeal obiter dictum an, ein Schuldurteil könne beispielsweise dann als unsicher aufgehoben werden, wenn es bei der Abstimmung über die Schuldfrage entscheidend auf die Stimme des disqualifizierten Jurors angekommen sei; R v Chapman and Lauday (1976) 63 Cr App R, 75); vgl. auch: Sprack, Emmins, S. 265; Blackstone’s, D 12.17. 274 Vgl. Juries Act 1974, Section 18 (2). 275 Juries Act 1974, Section 18 (1) ist beispielsweise dann nicht einschlägig, wenn ein einzelner Geschworener zwar grundsätzlich problemlos Mitglied einer Jury sein kann, aber eigentlich im Einzelfall beispielsweise wegen Voreingenommenheit ausgeschlossen gewesen wäre; vgl. Blackstone’s, D 12.17. 276 Vgl. R v Pennington (1985) Cr App R, 217; R v Box [1964] 1 QB, 430; Blackstone’s, D 12.17. 277 Eingehend dazu: Ward/Davies, Criminal Justice Act 2003, S. 240 f. 278 Elliott/Quinn, English Legal System, S. 463. 279 Vgl. Criminal Justice Act 1972, Section 36. 280 Der Angeklagte wird in der Verhandlung vor dem Rechtsmittelgericht zwar juristisch vertreten, seine Identität wird jedoch anonymisiert behandelt; vgl. Elliott/Quinn, English Legal System, S. 464. 281 Vgl. Criminal Justice Act 1988, Section 36 und Schedule 3; Pritchard, Guidebook, S. 615; Elliott/Quinn, English Legal System, S. 464.
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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Ein Freispruch durch die Geschworenen kann dann aufgehoben werden, wenn während des Verfahrens ein Geschworener, Zeuge oder potentieller Zeuge behindert oder eingeschüchtert wurde.282 Dies gilt jedoch nur, wenn zuvor eine Person wegen dieser Tat rechtskräftig verurteilt wurde.283 Die jüngste Ausnahme von der double jeopardy rule geht auf den Criminal Justice Act 2003 zurück. Nunmehr ist es der Anklage möglich, gegen Freisprüche Rechtsmittel einzulegen, wenn sich die Freisprüche auf eine der besonders schwerwiegenden Straftaten bezogen, die in Criminal Justice Act 2003, Schedule 5 enumerativ aufgezählt sind284.
4. Die Zurückhaltung der Rechtsmittelgerichte gegenüber Entscheidungen der Jury Die Rechtsmittelgerichte, insbesondere der Court of Appeal, sind grundsätzlich zurückhaltend gegenüber der Aufhebung von jury verdicts oder der Anordnung neuer Verfahren. Es scheint die Überzeugung vorzuherrschen, dass Entscheidungen von Geschworenen eine gewisse Aura der Unantastbarkeit umgibt oder dass durch häufige Kritik an Entscheidungen der Jury das Vertrauen der Öffentlichkeit in das System der Geschworenengerichte untergraben werden könnte.285 Der Respekt gegenüber den Entscheidungen der Jury erstreckt sich, wie bereits oben herausgestellt, auch auf Verfahrenschritte, die, wie die Auswahl der Geschworenen, mit dem eigentlichen Schuldurteil nur mittelbar verbunden sind. Das zentrale Problem bleibt in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Jury ihre Entscheidungen nicht begründen muss. In Verbindung mit den strikten Regeln zur Geheimhaltung der Vorgänge im Beratungszimmer der Geschworenen liegen die Gründe des Schuldurteils fast völlig im Dunkeln.286 Ein weiteres Problemfeld offenbart sich, wenn es bei einem Rechtsmittelverfahren darum geht, ob die ursprüngliche Entscheidung der Jury aufgrund von neu aufgetauchten Beweisen aufzuheben ist. Der Court of Appeal lässt es in diesem Fall nicht zur Anordnung einer neuen Verhandlung ausreichen, wenn unter Heranziehung der neuen Beweise eine Jury zu einem Freispruch gelangt wäre. Viel282
Vgl. Criminal Procedure and Investigations Act 1996, Section 54. Vgl. Criminal Justice and Public Order Act 1994, Section 51. 284 Dabei handelt es sich um verschiedene Tötungsdelikte, schwerwiegende Sexualdelikte und Delikte im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln sowie Kriegsverbrechen und terroristische Straftaten; vgl. Criminal Justice Act 2003, Section 75–97 i. V. m. Schedule 5; weitere Einzelheiten des neuen Rechts finden sich in: Ward/Davies, Criminal Justice Act 2003, S. 242 ff. 285 Elliott/Quinn, English Legal System, S. 475; „an aura of sanctity“; vgl. Zander, Matter of Justice, S. 201. 286 Vgl. oben 2. Teil A. VI. 2): Der Inhalt des Schuldurteils und sein apodiktischer Charakter. 283
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
mehr verlangt der Court of Appeal, dass er selbst Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat.287 Angesichts der Rechtsprechung des House of Lords in dem Fall R v Pendleton erscheint es jedoch wahrscheinlich, dass der Court of Appeal seine Position in der Zukunft verändern wird.288 In R v Pendleton wurde die Rechtsprechung des Court of Appeal zwar nicht ausdrücklich aufgehoben, das House of Lords deutete jedoch an, dass es die Richtigkeit des Standpunkts des Court of Appeal bezweifelt.
5. Zusammenfassung Im Rechtsmittelverfahren zeigt sich ein Rest der – auf die Wurzeln der Jury im Gottesurteil zurückgehenden – historisch gewachsenen Unantastbarkeit des Schuldurteils der Jury. Dies erscheint im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit problematisch. Sowohl das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Verfolgung von Straftätern als auch das rechtliche Interesse von zu unrecht Verurteilten nach Rehabilitation treten auf diese Weise in den Hintergrund. Diese Kritik ist schwerwiegend. Es ist dabei jedoch zu bedenken, dass die genannten Mängel nicht in der Institution der Jury selbst liegen, sondern in dem Recht, welches ihre Tätigkeit regelt. Daher wird durch die Kritik am Rechtsmittelverfahren auch nicht das Verfahren vor Geschworenengerichten grundsätzlich in Frage gestellt. Durch die neuere Gesetzgebung – besonders zum Verbot des Doppelverfahrens – scheint sich zudem die Materie der Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Jury in eine Richtung zu bewegen, die auf eine künftig stärkere Betonung der Einzelfallgerechtigkeit schließen lässt.
VIII. Reformansätze und die mögliche Zukunft der Jury Mit Blick auf die Entwicklung des englischen Verfahrensrechts für Geschworenengerichte in jüngerer Zeit wäre es übertrieben, von bevorstehenden umfassenden Umwälzungen zu sprechen. Dennoch lohnt ein Blick auf die neuere Gesetzgebung, weil sie als der Beginn eines Weges zur weiteren Verringerung des Einflusses des trial by jury gesehen werden könnte.
287 Stafford v DPP [1973] 3 All ER, 762; Die Weigerung des Court of Appeal, die neuen Beweise durch Anordnung einer Wiederholung der Hauptverhandlung von einer Jury beurteilen zu lassen, könnte als eine faktische Beschneidung des Rechts auf den trial by jury angesehen werden; vgl. Devlin, The Judge, S. 171. Mithin führt die im Ansatz vom Respekt vor der Institution der Jury getragene Einstellung des Court of Appeal im Ergebnis zur Herabsetzung der Rolle eben dieser Institution. 288 R v Pendleton [2002] All ER, 524, (462); Elliott/Quinn, English Legal System, S. 462 f.
A. Trial by jury – Das englische Geschworenengericht
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1. Alternativen zum trial by jury Derzeit wird eine Reihe von Möglichkeiten diskutiert, den Anspruch auf ein Verfahren vor einem Geschworenengericht zu modifizieren289. Dazu zählen unter anderem das Recht, für ein Verfahren vor einem Einzelrichter zu optieren, und der Ansatz, komplexe Betrugsfälle der Kompetenz der Jury zu entziehen290. Eine Alternative zum trial by jury wäre ein Verfahren vor einem Einzelrichter. Dagegen wird jedoch zumeist angeführt, dass damit die Gefahr von Fehlentscheidungen aufgrund von Verengungen und Beschränkungen in der Perspektive eines Einzelrichters verbunden wäre. Die deutsche Auffassung von richterlicher Tätigkeit verbindet diese grundsätzlich mit dem Begriff der Vorurteilslosigkeit. Nach englischem Verständnis ist dies nicht zwangsläufig so. Mit Misstrauen begegnet man in England insbesondere dem relativ einheitlichen sozialen Hintergrund der englischen Richterschaft, die immer noch weitgehend der Oberschicht entstammt.291 Es wird daher grundsätzlich als nicht wünschenswert angesehen, die schwerwiegenden Fälle, die der Jury vorbehalten sind, dem Einzelrichter zur Entscheidung anzuvertrauen. Die Ersetzung der Jury durch ein Gremium von Berufsrichtern, wie sie bereits in Rechtsmittelverfahren im High Court, im Court of Appeal sowie im House of Lords entscheiden, wird weitgehend als zu kostspielig und als Überstrapazierung der schmalen personellen Basis der Richterschaft abgelehnt.292 Neben diesem formalen Aspekt gilt das gegen Entscheidungen durch Einzelrichter bestehende Misstrauen auch für Kollegialgerichte aus Berufsrichtern, weil es am sozialen Hintergrund der Richterschaft anknüft, an dem sich bei Kollegialgerichten nichts ändert. Als denkbar wird schließlich die Möglichkeit eines kombinierten Gremiums aus einem professionellen Richter und Laien erwogen.293 Rechtsmittel (appeal) gegen Urteile des Magistrates’ Court werden vom Crown Court bereits heute von solch einem Gremium, bestehend aus einem Crown Court Richter und zwei bis vier Friedensrichtern (Justices of the Peace), entschieden.294 Entsprechende Gesetzesinitiativen sind jedoch bisher stets gescheitert. 289
Vgl. ausführlich zu diesem Themengebiet: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 109–208. Ausführlich dazu sogleich unter 2. Teil A. VII. 2.: Neue Gesetzgebung und Gesetzgebungsinitiativen zu Verfahren ohne Jury. 291 Elliott/Quinn, English Legal System, S. 199 – In Deutschland, wo insbesondere das 18. und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts von tiefem Misstrauen gegen Berufsrichter geprägt waren, änderte sich dieser Zustand etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Seitdem sind Berufsrichter in Deutschland in ihrer Herkunft und ihrem Selbstverständnis zu einem Teil der bürgerlichen Gesellschaft geworden. Vgl. Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 303; zustimmend: Schmitz, Schwur- und Schöffengerichte, S. 185. 292 Ingman, English Legal Process, S. 244; Elliott/Quinn, English Legal System, S. 199. 293 Denning, What next in the Law?, S. 72 f.; Williams, Proof of Guilt, S. 299; Vorschlag von Lord Auld in: Auld, Review, Chapter 7 Rn. 21 und Chapter 11 Rn. 58. 294 Vgl. Supreme Court Act 1981, Section 8 (1c) i. V.m 74 (1). 290
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
2. Neue Gesetzgebung und Gesetzgebungsinitiativen zu Verfahren ohne Jury Die tatsächliche oder vorgebliche Anfälligkeit der Juroren gegenüber äußeren Einflüssen und Einschüchterungsversuchen führte 1973 zur Einführung des Modells der sogenannten Diplock Trials295 in Nordirland durch den Northern Ireland Emergency Provisions Act296. Bei diesem besonderen gerichtlichen Verfahren werden alle Angeklagten, die einer Tat beschuldigt werden, welche in Zusammenhang mit Terrorismus steht, von einem Einzelrichter ohne Jury abgeurteilt.297 Der Anteil von Fällen, die als Diplock Trials verhandelt werden, ist gering. Die jährliche Anzahl fiel von etwa 1000 Mitte der 70er Jahre auf etwa 400 in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts.298 Am 1. August 2005 gab das britische Nordirland Ministerium bekannt, dass die Regelungen zu den Diplock – Gerichten im Zuge des Friedensprozesses auslaufen würden. Die Schwierigkeit für Geschworene, der komplexen Struktur und Dauer von Betrugsverfahren folgen zu können, gibt bereits seit längerem Anlass zu Überlegungen, in solchen Fällen die Beteiligung der Jury abzuschaffen oder wenigstens deren Nachteile zu minimieren. Im Jahre 1986 schlug eine Kommission (Committee on Fraud Trials) unter dem Vorsitz von Lord Roskill vor, in komplizierten Betrugsverfahren die Jury abzuschaffen und durch ein Tribunal aus einem Richter und zwei Laien mit wirtschaftlicher Erfahrung zu ersetzen.299 Dieser Vorschlag wurde jedoch von der damaligen Regierung abgelehnt und stattdessen das Verfahrensrecht in einer Weise verändert, die es den Juroren erleichtern sollte, dem Prozess zu folgen.300 295 Die Bedeutung der Diplock Trials für wissenschaftliche Untersuchungen liegt darin, dass sie die Möglichkeit eröffnen, die Funktionsweise eines Gerichtsverfahrens ohne Jury in einem Rechtssystem, das auf die Verwendung einer Jury ausgerichtet ist, zu evaluieren; vgl. Sanders/Young, Criminal Justice, S. 604; Jackson/Doran, 60 MLR (1997), 759 ff.; Doran/Jackson, CrimLR 1997, 155 ff. 296 Vgl. Northern Ireland Emergency Provisions Act 1973, Section 2 (1); Der Name des Verfahrens verweist auf den Vorsitzenden der Kommission, die seinerzeit die Einführung dieses Verfahrensmodells empfahl; vgl. Jackson/Doran, Judge without Jury, S. 18; Die derzeit geltende Rechtsgrundlage der so genannten Diplock Courts ist geregelt im Northern Ireland Emergency Provisions Act 1991, Section 10. 297 Sanders/Young, Criminal Justice, S. 604. 298 Jackson/Doran, Judge without Jury, S. 19. 299 Roskill, Fraud Trials Report, S. 146; Steyn, PL 1999, 51 (59) – Auffällig ist die Parallele dieser Regelung zu den – freilich in der Zivilgerichtsbarkeit tätigen – Kammern für Handelssachen (KfH) an den deutschen Landgerichten; vgl. §§ 93–114 GVG. Diese Kammern sind mit einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei ehrenamtlichen Richtern (Handelsrichter) besetzt (§ 105 GVG). Die Handelsrichter sind Kaufleute, Vorstände oder Geschäftsführer einer juristischen Person. Ähnlich wie dies für England erwogen wird, sind die ehrenamtlichen Richter an den KfH somit durch ihre Sachkunde besonders qualifiziert. Sie sollen für eine kaufmännisch-wirtschaftliche Beurteilung des Rechtsstreits sorgen und den Richter insoweit beraten; vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht § 23 Rn. 30. 300 In einem besonders schweren oder komplexen Fall des Betruges kann seither der Richter eine vorbereitende Anhörung (preparatory hearing) anordnen, anlässlich derer Fragen der Zu-
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
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Die Anregung der Roskill-Kommission wurde durch Lord Auld in dem von ihm verfassten Review of the Criminal Courts of England and Wales aus dem Jahre 2001 wieder aufgegriffen.301 Darin findet sich erneut der Vorschlag, die Jury durch ein Dreiergremium, bestehend aus einem Richter und zwei Laien mit wirtschaftlichen Fachkenntnissen, zu ersetzen. Auch dieser Gedanke wurde jedoch nicht umgesetzt, obgleich im Jahre 2003 anlässlich der Gesetzgebung zum Criminal Justice Act 2003 Schritte in die Richtung eines Verfahrens ohne Jury unternommen wurden.302 Der Criminal Justice Act 2003, Section 43 sieht vor, dass komplexe Betrugsverfahren von einem Richter allein, d. h. ohne Jury entschieden werden sollen. Ein Verfahren vor dem Einzelrichter sollte gem. Criminal Justice Act 2003, Section 44 auch dann möglich sein, wenn die Gefahr besteht, dass die Geschworenen bedroht oder anderweitig von außen beeinflusst werden. Während der parlamentarischen Beratungen zur Criminal Justice Bill 2003 stellte sich jedoch heraus, dass die Sections 43–50 des geplanten Gesetzes nicht die Zustimmung des House of Lords finden würden. Um das Gesetzesvorhaben zu retten, stimmte die Regierung schließlich zu, die umstrittenen Teile des Gesetzes nur nach einer gemeinsamen, zustimmenden Entschließung beider Kammern des Parlaments in Kraft zu setzen.303 Im Herbst 2005 versuchte die Regierung, das Parlament zu einer derartigen Entscheidung zu bewegen. Trotz der Mehrheit der Labour Regierung in beiden Kammern gelang es jedoch nicht, eine entsprechende Mehrheit zu sichern.304 Im März 2006 nahm die Regierung daher von ihren diesbezüglichen Plänen Abstand. Es bleibt daher höchst unwahrscheinlich, dass eine derartige Entschließung jemals verabschiedet werden wird.305 Die Gesetzeslage hat folglich de facto keine Veränderung erfahren und der trial by jury im Crown Court bleibt unangetastet.
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
Nach der Darstellung der Laienbeteiligung im englischen Recht ist es nunmehr erforderlich, dieser die Rechtslage der deutschen Gerichtsverfassung und des deutschen Prozessrechts gegenüber zu stellen. Dabei sollen Kernfragen der Laienlässigkeit von Beweisen entschieden und die Präsentation der Beweise vorbereitet werden können; vgl. Criminal Justice Act 1987, Section 7 (1); ergänzt durch Criminal Justice Act 2003, Sections 45 (4), 310 (1), 331 und Schedule 36 (52), (53). 301 Vgl. Auld, Review, Chapter 5 Rn. 206; Doran, Trial by Jury, S. 385. 302 Criminal Justice Act 2003, Sections 43–50; eingehend zum neuen Recht: Keogh, Criminal Justice Act, S. 53 ff.; Ward/Davies, Criminal Justice Act 2003, S. 73 ff. 303 Vgl. zu Einzelheiten: Keogh, Criminal Justice Act, S. 52 f. 304 Vgl. die entsprechende Meldung der Zeitschrift Law Society vom 14. März 2006 unter dem Titel „Government climb down over abolishing juries in fraud trials“ bei: http://www. lawsociety.org.uk/newsandevents/pressreleases/view=newsarticle.law?NEWS ID =272331. 305 Ingman, English Legal Process, S. 224.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
beteiligung im deutschen Strafrecht betrachtet werden. Neben der Erläuterung der Stellung der Laien in der Gerichtsverfassung und des Auswahlverfahrens konzentrieren sich die Ausführungen auf solche Punkte, die im dritten Teil der Arbeit Gegenstand der rechtsvergleichenden Betrachtung und Analyse sein werden. Insbesondere betrifft dies die Frage nach dem Verhältnis zwischen Laien und Juristen in den kollegial urteilenden Spruchkörpern an den deutschen Gerichten. Die Darstellung beginnt mit einem Kapitel über die Stellung der Laien in der deutschen Gerichtsverfassung. Ein zweiter Themenschwerpunkt ist die Art und Weise der Rekrutierung und Auswahl von Laien für das Schöffenamt. Der Abschnitt endet mit einer Beschreibung und Untersuchung der Rolle von Laien im Umfeld der eigentlichen Hauptverhandlung.
I. Die Stellung der Laien im System der deutschen Gerichtsverfassung Das folgende Kapitel befasst sich mit der grundsätzlichen Einordnung der Laienrichter für Strafsachen in das derzeitige System der deutschen Gerichtsverfassung. Nach einer begrifflichen Einführung widmet sich die Darstellung insbesondere dem Themenkreis der Mitwirkung von Laienrichtern an den Gerichten in Deutschland. Dabei soll es zunächst darum gehen, an welchen Gerichten Laien eingesetzt werden und wie die entsprechenden Spruchkörper gestaltet sind. Daran anschließend soll die Frage besprochen werden, welche Stellung Laienrichter grundsätzlich neben den Berufsrichtern einnehmen.
1. Zur Einführung: Die Mitwirkung von Laien als Schöffen Die Bezeichnung der an deutschen Strafgerichten als ehrenamtliche Richter tätigen Laien lautet „Schöffe“.306 Nach ihrem Einsatzgebiet können Schöffen für Strafverfahren gegen Erwachsene und solche für Jugendsachen, sogenannte Jugendschöffen, die nach einem eigenen Verfahren ausgewählt werden307, unterschieden werden. Im Übrigen wird bezüglich der Schöffen für Strafverfahren gegen Erwachsene und der Jugendschöffen wie folgt differenziert. Die Hauptschöffen nehmen regulär an den Sitzungen der Spruchkörper teil.308 Fällt ein Hauptschöffe für ein oder mehrere Sitzungstage aus, wird auf die „Hilfsschöffen“ zurückgegriffen. Sie nehmen dann den Platz des Hauptschöffen ein.309 306
Schmidt-Räntsch, § 45a Rn. 2; vgl. § 45a DRiG. Vgl. § 35 JGG. 308 Vgl. § 45 II GVG. 309 Ein Wegfall kann sich insbesondere wegen einer Streichung von der Hauptschöffenliste (z. B. aufgrund von Unfähigkeit gem. §§ 52, 49 II GVG) oder wegen Entbindung bezüglich einer einzelnen Sitzung (z. B. aufgrund von Krankheit gem. § 54 I GVG) ergeben. Denkbar ist 307
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
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Für ein konkretes Verfahren können schließlich auf Anordnung des Vorsitzenden „Ergänzungsschöffen“ hinzugezogen werden. Aufgabe der Ergänzungsschöffen ist es, ein Scheitern des Verfahrens durch Wegfall eines Hauptschöffen während des Verfahrens zu verhindern.310 Daher kommen Ergänzungsschöffen insbesondere bei umfangreichen Verfahren zum Einsatz. Die Ergänzungsschöffen wohnen der gesamten Verhandlung mit Ausnahme der Beratung am Ende bei.311
2. Die Verfassung der Schöffengerichtsbarkeit Mit Laien besetzte Spruchkörper existieren in der deutschen Strafgerichtsbarkeit an den beiden unteren Gerichten des Instanzenzuges, dem Amtsgericht und dem Landgericht. Beim Oberlandesgericht sowie dem Bundesgerichtshof sind Laien an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt.
a) Laienrichter am Amtsgericht Am Amtsgericht sind Laienrichter in den Spruchkörpern des Schöffengerichts und des erweiterten Schöffengerichts tätig. Das Schöffengericht entscheidet in Fällen, die sich gem. § 28 I GVG aus einer negativen Abgrenzung ergeben. Danach ist das Schöffengericht erstinstanzlich dann zuständig, wenn die Zuständigkeit des Amtsgerichts gem. § 24 I Nr. 1–3 GVG allgemein gegeben ist und darüber hinaus der Strafrichter nach § 25 GVG nicht zuständig ist. Vereinfachend kann daher zusammengefasst werden, dass die am Amtsgericht tätigen Schöffen in der Regel bei Verfahren wegen Vergehen mit einer Straferwartung von zwei bis vier Jahren und wegen Verbrechen mit einer Straferwartung von bis zu vier Jahren entscheiden.312 Das Schöffengericht besteht aus einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei Schöffen.313 Für besonders umfangreiche Verfahren kann an den Amtsgerichten ein erweitertes Schöffengericht gebildet werden, indem nach § 29 II GVG zum Schöffengericht ein zweiter Berufsrichter hinzugezogen wird. Die Anzahl der Laienrichter bleibt gleich. Das erweiterte Schöffengericht ist gegenüber dem Schöffengericht kein Gericht höherer Ordnung, denn die sachliche Zuständigkeit und Strafgewalt beider Spruchkörper sind kongruent. Die Notwendigkeit der Mitauch zusätzlicher Bedarf an Schöffen wegen organisatorischer Umstrukturierungen, wie der Bildung neuer Spruchkörper (§ 46 GVG) oder dem Erfordernis außerordentlicher Sitzungen (§ 47 GVG). 310 Haller/Conzen, Strafverfahren, Rn. 324. 311 BGH, NJW 2001, 3062 m. w. N.; Nach englischem Recht ist eine vergleichbare Einrichtung noch nicht vorgesehen. Lord Auld schlägt in seinem Review of the Criminal Courts daher vor, bei umfangreichen Verfahren eine bestimmte Anzahl von Ersatzjuroren mit heranzuziehen; vgl. Auld, Review, Chapter 5 Rn. 20. 312 Vgl. Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 40. 313 Vgl. § 29 I 1 GVG.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
wirkung eines zweiten Berufsrichters kann sich aus der Anzahl der Angeklagten, der Anzahl der Straftaten und der vorzulegenden Beweismittel ergeben.314
b) Laienrichter am Landgericht Bei Verfahren auf der Ebene des Landgerichts wirken Laienrichter sowohl bei erstinstanzlichen Verfahren (große Strafkammern) als auch bei Verfahren in der zweiten Instanz (kleine Strafkammern) mit. Grundsätzlich sind in den entsprechenden Spruchkörpern des Landgerichts (Strafkammern) zwei Schöffen vertreten. In erstinstanzlichen Verfahren entscheiden in der großen Strafkammer zwei Schöffen zusammen mit drei Berufsrichtern.315 Dieser Spruchkörper ist gem. § 74 I 1 GVG dann zuständig, wenn keine Zuständigkeit des Amtsgerichts oder des Oberlandesgerichts gegeben ist. Der Strafkammer steht die Strafgewalt in der gesamten Breite zu, über die das deutsche Strafrecht verfügt. Erscheint die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters nicht erforderlich und tagt die große Strafkammer nicht als Schwurgericht, beschließt sie gem. § 76 II GVG bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt ist. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass eine Besetzung mit zwei Berufsrichtern die Regel sein soll.316 Die Entscheidung über die Mitwirkung des dritten Berufsrichters richtet sich analog zu der Frage nach der Beiziehung eines zweiten Berufsrichters zum erweiterten Schöffengericht nach dem Umfang der Sache. Zusätzlich wird am Landgericht aber auch die rechtliche Schwierigkeit der Sache mit in die Entscheidung einbezogen.317 Besondere große Strafkammern318 mit gesetzlich festgelegten Zuständigkeitsbereichen sehen die §§ 74 II und 74a bis 74c GVG vor. Für deren Besetzung gilt das soeben Dargestellte. Die größte Bedeutung unter diesen besonderen Kammern hat das Schwurgericht. Die gesetzliche Bezeichnung verweist auf den historischen Ursprung dieses Spruchkörpers als eines Gerichts mit einer stärker vom Laienelement geprägten Besetzung.319 Das Schwurgericht ist zuständig, wenn eine der Katalogtaten des § 74 II GVG angeklagt ist. 314
KK-Kissel, § 29 GVG, Rn. 11; Meyer-Goßner, § 29 GVG Rn. 5; vgl. auch RiStBV 113 IV. Vgl. § 76 I 1 HS. 1 GVG. 316 BGHSt 44, 328; Meyer-Goßner, § 76 GVG Rn. 3. 317 Bezüglich der Entscheidung über die Mitwirkung des dritten Richters steht dem Gericht zwar kein Ermessen, aber ein weiter Beurteilungsspielraum zu; vgl. BGHSt 44, 328 (331); BGH, StV 2004, 250; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 41. 318 Die Bezeichnungen dieser Kammern lauten im Einzelnen: Schwurgericht § 74 II GVG; Staatsschutzstrafkammer § 74a GVG; Jugendkammer § 74b GVG; Wirtschaftsstrafkammer § 74c GVG. 319 Das frühere Schwurgericht war mit drei Berufs- und sechs Laienrichtern besetzt und schon immer mit den schwersten Formen der Kriminalität befasst gewesen. Es war 1924 aus dem klassischen, auf der Trennung von Schuld- und Straffrage beruhenden und aus zwölf Geschworenen und drei Berufsrichtern bestehenden Schwurgericht entstanden und wurde 1974 315
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
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Als Gericht der zweiten Instanz entscheiden am Landgericht in den kleinen Strafkammern zwei Schöffen gemeinsam mit einem Berufsrichter über Berufungen gegen Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts.320 Handelt es sich um eine Berufung gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichts, so schreibt § 76 III 1 GVG zwingend vor, dass ein zweiter Berufsrichter hinzugezogen wird, damit das Gericht in zweiter Instanz nicht personell schwächer besetzt ist als in der ersten Instanz.321
3. Gleichstellung von Berufs- und Laienrichtern Die Schöffen als ehrenamtliche Richter sind ihren juristisch geschulten Kollegen grundsätzlich gleichgestellt. Dieses Prinzip kommt bereits dadurch zum Ausdruck, dass die Laienrichter von dem Richterbegriff der Art. 92 ff. des Grundgesetzes erfasst werden.322 Daraus folgt, dass für sie im Grundsatz dieselbe Garantie der Unabhängigkeit, insbesondere die verfassungsmäßige Garantie der sachlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 I GG, und die Verpflichtung zur Neutralität wie für Berufsrichter gelten.323 Das bedeutet, dass Schöffen von allen Weisungen bezüglich ihrer Entscheidungstätigkeit frei sind. Dagegen gilt die spezifische Gewährleistung des Art. 97 II GG hinsichtlich der persönlichen Unabhängigkeit nicht für die Laienrichter.324 Der Grund dafür liegt in der prinzipiell begrenzten Dienstzeit der Laienrichter im Unterschied zu der dauerhaften Amtsstellung der hauptamtlichen Richter. Letztere sind im Unterschied zu den Laienrichtern in ihrer beruflichen Existenz vom Richteramt abhängig und bedürfen daher in besonderem Maß des Schutzes vor Amtsenthebung und Versetzung an ein anderes Gericht gegen ihren Willen.325 Trotzdem wird auch den Laienrichtern durch Art. 33 V GG ein Mindestmaß an persönlicher Unabhängigkeit gewährt.326 Diese Norm findet insoweit auch Anwendung auf Laienrichter. Der Grundsatz persönlicher Unabhängigkeit gehört zu den in dieser Norm erwähnten „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“. Der Umfang dieses Schutzes ist gleichwohl grundsätzlich geringer als der von Art. 97 II GG garantierte. Die Laienrichter sind jedoch auch davor geabgeschafft; vgl. dazu bereits vorstehend 1. Teil B. VII. 1.: Laien in der Strafrechtspflege der Bundesrepublik Deutschland (BRD); sowie eingehend: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 116; LR-Siolek, § 74 GVG Rn. 7; Grube, Richter ohne Robe, S. 253. – Das heutige Schwurgericht unterscheidet sich von der großen Strafkammer nur noch durch seine Bezeichnung und die gesetzlich beschriebene Zuständigkeit. 320 Vgl. §§ 74 III; 76 I 1 HS. 2 GVG. 321 Meyer-Goßner, § 76 GVG Rn. 6. 322 Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 92 Rn. 51. 323 LR-Böttcher, Vor § 1 Rn. 11; Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 97 Rn. 45. 324 LR-Böttcher, Vor § 1 Rn. 11. 325 BVerfGE 3, 331 (348); Classen, Bonner Grundgesetz, Art. 97 Rn. 45; Dreier/SchulzeFielitz, Art. 97 Rn. 51. 326 BVerfGE 26, 186 (198 f.); BVerfGE 87, 68 (85); Jarass/Pieroth, Art. 97 Rn. 10; Dreier/ Schulze-Fielitz, Art. 97 Rn. 56.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
schützt, vor Ablauf ihrer Amtszeit gegen ihren Willen aus ihrem Amt abberufen zu werden. Eine solche Maßnahme kann allenfalls kraft richterlicher Entscheidung nach Maßgabe des Gesetzes getroffen werden.327 Auch das Gerichtsverfassungsgesetz und das Deutsche Richtergesetz sind dem Grundsatz der Gleichberechtigung verpflichtet. Dies bestätigt sich an mehreren Stellen der gesetzlichen Regelung. Wie sich aus § 30 I GVG ergibt, nehmen die Schöffen an der Hauptverhandlung mit denselben Befugnissen wie die Berufsrichter teil. Die Mitwirkung der Schöffen erstreckt sich auf alle in der Hauptverhandlung ergehenden oder zugleich mit dem Urteil zu treffenden Entscheidungen.328 Explizit auf die richterliche Unabhängigkeit bezieht sich § 45 I 1 DRiG. Diese Norm betont nochmals die Gleichsetzung der Unabhängigkeit von ehrenamtlichen Richtern und Berufsrichtern. Einen weiteren Beleg der rechtlichen Gleichheit von Schöffen und Berufsrichtern liefert der Umstand, dass sich der Wortlaut des Eides für Berufsrichter mit demjenigen des Eides für Laienrichter deckt.329 Die Betrachtung des geltenden Rechts hat gezeigt, dass vom deutschen Recht die Schöffen in ihrem Arbeitsbereich der Hauptverhandlung den Berufsrichtern im Grundsatz gleichgestellt werden. Insoweit kann von einem einheitlichen Richterbild gesprochen werden, das sowohl Berufs- als auch Laienrichter umfasst. Die grundsätzliche Regelung eines Zustandes impliziert jedoch immer auch das Vor327
BVerfGE 26, 186 (198 f.); BVerfGE 87, 68 (85); Jarass/Pieroth, Art. 97 Rn. 10; Dreier/ Schulze-Fielitz, Art. 97 Rn. 57; Die Abberufung ehrenamtlicher Richter ist wie bei Berufsrichtern nur aufgrund richterlicher Entscheidung möglich; vgl § 44 II DRiG. Für Schöffen gelten die § 52 III GVG und § 77 III 2 GVG. Diese Normen knüpfen für eine Streichung von der Schöffenliste jedoch nur an den formalen Gesichtspunkt der Teilnahme an mehr als 24 Sitzungstagen innerhalb eines Geschäftsjahres an. – Eine weitergehende Möglichkeit zur nachträglichen Abberufung eröffnet § 10 i. V. m. § 9 I ÜpG. Danach können ehrenamtliche Richter abberufen werden, wenn bekannt wird, dass sie gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben oder früher Mitarbeiter beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR waren; vgl. eingehend zu diesen Regelungen: Schmidt-Räntsch, Anh. § 44. 328 Meyer-Goßner, § 30 GVG Rn. 1. 329 Vgl. § 38 I, II DRiG für Berufsrichter und § 45 III DRiG für Laienrichter; Der Eid für Berufsrichter hat folgenden Wortlaut: „Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe.“ Der Eid kann ohne die Worte „so wahr mir Gott helfe“ geleistet werden. Der Eid der Schöffen unterscheidet sich im Wortlaut nur dadurch dass das Wort „Richteramt“ durch „Pflichten eines ehrenamtlichen Richters“ und das Wort auszuüben durch „erfüllen“ ersetzt ist. – Beim Vergleich mit dem englischen Eid [siehe zum Wortlaut oben 2. Teil A. III. 2.: Aufstellung der Jury (empanelling) und Vereidigung der Juroren (swearing-in)] fällt auf, dass dort kein Bezug zu „Gesetzen“ hergestellt wird. In England verweist der Eid nur auf die Beweise (evidence) als Richtschnur für die Geschworenen. Schon in diesem Punkt wird der unterschiedliche Zuschnitt der Aufgabenbereiche von Schöffen und von Geschworenen deutlich. Die Geschworenen urteilen über Tatsachen, anhand von Beweisen. Das Gesetz bleibt den Richtern vorbehalten. Währenddessen sollen die Schöffen wie ein Richter auch die Gesetze im Blick behalten.
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
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handensein von Ausnahmen. Diese können sich in anderen Rechtsnormen finden oder in einer mangelhaften praktischen Umsetzung des gesetzlichen Ideals. Auf diese Problematik und die Grenzen laienrichterlicher Mitwirkung in der Hauptverhandlung wird weiter unten noch einzugehen sein.330
II. Die Heranziehung zum Schöffenamt Das deutsche Recht formuliert eine Reihe von Eignungskriterien, die vorliegen müssen, damit eine Person das Amt des Laienrichters ausüben kann. Zu Beginn des folgenden Kaptitels werden diese Anforderungen erläutert. Daran anschließend werden die Möglichkeiten der zum Schöffenamt geeigneten Personen erörtert, sich von diesem Amt befreien zu lassen. Die Schöffen werden in ihr Amt gewählt. Mit den Einzelheiten des dabei angewendeten Verfahrens befasst sich der dritte Teil dieses Kapitels. Das Kapitel endet mit einer Darstellung der Gründe, die zu einem Ausschluss der Laienrichter oder einer Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit führen können.
1. Eignungskriterien für das Schöffenamt Das Amt eines Schöffen darf gem. § 31 S. 2 GVG nur von Deutschen im Sinne von Art. 116 GG ausgeübt werden.331 Sonstige Eigenschaften wie etwa besondere intellektuelle Fähigkeiten werden nicht vorausgesetzt.332 Es können jedoch bestimmte Gründe vorliegen, welche die Unfähigkeit einer Person zur Bekleidung des Schöffenamtes zur Folge haben. Nach der Darstellung dieser Gründe soll kurz auf die Umstände eingegangen werden, welche die Ungeeignetheit zum Schöffenamt nach sich ziehen.
a) Unfähigkeit zur Bekleidung des Schöffenamts Als unfähig zur Bekleidung des Schöffenamts bezeichnet § 32 Nr. 2 GVG alle Personen, gegen die ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, das den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung eines öffentlichen Amtes (§§ 45–45b StGB) zur Folge haben kann. Eine entsprechende Verurteilung oder eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von über sechs Monaten macht die betreffende Person gem. 330 Vgl. unten 2. Teil B. III.: Rechtsstellung und Praxis der Schöffen im gerichtlichen Verfahren. 331 Die Beteiligung eines ausländischen Schöffen macht somit die Besetzung des Gerichts fehlerhaft. Wegen § 338 Nr. 1 StPO wird vermutet, dass auf das Urteil auch auf diesem Verstoß beruht. Folglich wäre das entsprechende Urteil revisibel; vgl. LR-Siolek, § 31 GVG Rn. 6. 332 Über § 77 I GVG gelten diese Tatbestände auch für Schöffen an den Landgerichten; Ausführlich zu denkbaren Kriterien der Auswahl; vgl. Lieber, Handbuch, Rn. 54.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
§ 32 Nr. 1 GVG unfähig zum Amt des Schöffen. Die Unfähigkeit einer Person zur Ausübung des Schöffenamts hat das Gericht von Amts wegen zu beachten.333 Die Besetzung des Gerichts mit einem nach § 32 GVG unfähigen Schöffen ist ein Verstoß, der als absoluter Revisionsgrund gem. § 338 Nr. 1 StPO zur Aufhebung des Urteils führt, an dem der Betreffende mitgewirkt hatte.334
b) Ungeeignetheit zur Bekleidung des Schöffenamts Darüber hinaus nennen die §§ 33 und 34 GVG eine Reihe von Gründen, die eine Person für den Dienst als Schöffe ungeeignet erscheinen lassen. Beide Normen sind Ordnungsvorschriften. Sie nehmen auf Mängel Bezug, die als nicht schwerwiegend bewertet sind und deren Verletzung folglich die korrekte Besetzung des Gerichts nicht tangiert.335 Gleichwohl enthalten die §§ 33 und 34 GVG ein von Amts wegen zu beachtendes Verbot, ungeeignete Personen zum Schöffenamt heranzuziehen und stehen damit bereits der Aufnahme des Betreffenden in die Schöffenliste entgegen bzw. führen zur Streichung seines Namens.336 In § 33 GVG werden Gründe aufgezählt, die in den persönlichen Eigenschaften des zu Berufenden liegen. So sieht das Gerichtsverfassungsgesetz eine Mindestaltersgrenze von 25 Jahren vor. Dies soll sicherstellen, dass die zum Schöffenamt herangezogenen Bürger über ein gewisses Maß an Lebenserfahrung verfügen.337 Die Altersobergrenze liegt derzeit wie in England bei 70 Jahren. Ein weiteres Kriterium für die Bestellung von Schöffen ist die Residenzpflicht gem. § 33 Nr. 3 GVG. Diese Norm legt fest, dass nur solche Personen als Laienrichter berufen werden sollen, die mindestens ein Jahr in dem betreffenden Gerichtsbezirk wohnhaft waren. Der § 34 I Nr. 1–6 GVG bezeichnet Personen, die aufgrund ihrer amtlichen Stellung oder beruflichen Tätigkeit als Schöffen ungeeignet sind. Dazu zählen Regierungsangehörige, politische Beamte, der Bundespräsident sowie Personen die in einer Religionsgemeinschaft ein Amt bekleiden. Zum Schöffenamt sind ferner gem. § 34 I Nr. 4 GVG Berufsrichter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare nicht geeignet. Aus dem Umstand, dass nicht umfassend alle Personen, welche die Befähigung zum Richteramt erlangt haben, für ungeeignet erklärt werden, 333
BGH, NStZ 1994, 139; Meyer-Goßner, § 32 GVG Rn. 1. Vgl. BGHSt 35, 28; Meyer-Goßner, § 32 GVG Rn. 6. 335 Die Mitwirkung eines nach §§ 33; 34 GVG ungeeigneten Schöffen begründet daher keine Anfechtbarkeit des Urteils; vgl. BGHSt 30, 255 (257) – in diesem Fall waren in die Vorschlagslisten für die Schöffen einer Wahlperiode nur Personen aufgenommen, deren Familienname mit den Buchstaben L bis R begann; BGH, GA 1961, 206; Meyer-Goßner, § 33 GVG Rn. 7; § 34 GVG Rn. 16; LR-Siolek, § 33 GVG Rn. 1; § 34 GVG Rn. 1. 336 Meyer-Goßner, § 33 GVG Rn. 1, § 34 GVG Rn. 1. 337 Vgl. § 33 Nr. 1 GVG; Die Mindestaltersgrenze wurde erst 1974 von 30 auf 25 Jahre gesenkt; vgl. Benz, Laienrichter, S. 67. 334
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
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kann geschlossen werden, dass Schöffen durchaus über juristische Qualifikationen verfügen dürfen.338 Schließlich begrenzt § 34 I Nr. 7 GVG die Dauer der Amtszeit als Laienrichter auf acht Jahre. Nach dem Ablauf zweier Amtszeiten soll folglich kein Schöffe ein drittes Mal gewählt werden. Dadurch soll eine breitere Mitwirkung der Bevölkerung gewährleistet und ein Erstarren in Routine verhindert werden.339
2. Befreiungstatbestände Die Ausübung des Schöffenamtes ist eine staatsbürgerliche Pflicht.340 Demgemäß kommt eine Befreiung von dieser Verpflichtung nur ausnahmsweise in Betracht. Die Gründe, welche zur Ablehnung einer Berufung zum Schöffenamt berechtigen können, sind in § 35 GVG abschließend aufgezählt.341 In der Regel wird die Möglichkeit zur Geltendmachung eines Befreiungstatbestandes schon bei der Aufstellung der Schöffenlisten berücksichtigt, um unnötige Arbeit in einem späteren Stadium des Verfahrens zu sparen.342 Im Übrigen muss der betreffende Schöffe einen zur Befreiung vom Schöffenamt berechtigenden Grund innerhalb einer Woche nach Kenntnis von seiner Einberufung geltend machen.343 Zur Ablehnung ist beispielsweise berechtigt, wer einem Organ der Legislative wie dem Bundestag oder dem Parlament eines Bundeslandes angehört. Ferner kann die Berufung zum Laienrichter von Personen abgelehnt werden, die in einem Heilberuf tätig sind oder geltend machen können, dass die Berufung eine große persönliche Härte bedeuten würde. Der Tatbestand der großen persönlichen Härte bezieht sich nur auf familiäre und altersbedingte Gründe sowie auf eine besondere persönliche oder wirtschaftliche Gefährdung. Nicht erfasst werden dagegen moralische oder religiöse Bedenken gegenüber dem Dienst als Schöffe.344 Neben der Variante der vollständigen Befreiung vom Schöffenamt kann sich ein Schöffe unter Angabe eines der in § 54 I GVG genannten Gründe von der Dienstpflicht an einzelnen Sitzungstagen entbinden lassen. Im Sinne des § 54 I GVG 338
Rennig, Entscheidungsfindung, S. 93. BT-DruckS. VII/551, S. 99; Benz, Laienrichter, S. 69 f. 340 Vgl. Kissel/Mayer, § 35 Rn. 1. 341 BGHSt 9, 203 (206); Meyer-Goßner, § 35 GVG Rn. 1. 342 Benz, Laienrichter, S. 71; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 137. 343 Vgl. § 53 I GVG. 344 Meyer-Goßner, § 35 GVG Rn. 1; KG, JR 1966, 188; Kissel/Mayer, § 35 Rn. 11; Wacke, NJW 1995, 1199 f.; Insbesondere im neuen Testament finden sich Belege, die sich gegen eine richtende Tätigkeit auszusprechen scheinen und daher Anlass zu religiösen Bedenken geben könnten. Beispielhaft seien genannt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ Vgl. Mt. 7.1 (Bergpredigt). „Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest.“ Vgl. Röm. 2.1. 339
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
zählen als solche Gründe unabwendbare, die Dienstpflicht hindernde Umstände345 oder die Unzumutbarkeit der Erfüllung der Dienstpflicht346.
3. Das Verfahren bei der Schöffenwahl Die Schöffenwahl an sich besteht aus einem zunächst dreistufigen Verfahren. Daran anschließend wird in einem vierten Schritt die Zuweisung der jeweils für ein bestimmtes Strafverfahren benötigten Schöffen vorgenommen. Die Wahl findet alle vier Jahre statt.347 Im folgenden Abschnitt wird das Vorgehen bei der Auswahl der Laienrichter gemäß dem vorgegebenen Verfahrensablauf abgehandelt. Demzufolge wird zunächst die Aufstellung der Vorschlagsliste besprochen. Daraufhin werden die Mechanismen zur Kontrolle und Berichtigung der Vorschlagsliste erläutert. Nach einer Beschreibung der Schöffenwahl und der Analyse der damit zusammenhängenden Probleme folgt als letzter Punkt die Darstellung des Zuweisungsverfahrens zu den einzelnen Strafsachen.
a) Aufstellung der Vorschlagsliste In einem vierjährigen Turnus wird von den Gemeinden eine einheitliche Schöffenvorschlagsliste für das Amts- und das Landgericht als Grundlage für die Wahl der Schöffen erstellt.348 Die Aufstellung der Liste geschieht durch Wahl mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl der Gemeindevertretung.349 Diese Regelung geht auf das VereinhG von 1950 zurück. In der Begründung zum Entwurf dieses Gesetzes hieß es, dass die so getroffene Vorauswahl sicherstellen solle, dass „ungebührlich großer und unnützer Aufwand an Verwaltungsarbeit gespart und dahingehend gewirkt (wird), dass für das Schöffenamt be-
345
Unanwendbare, die Dienstpflicht hindernde, Umstände sind beispielsweise Krankheit, hoheitliche Freiheitsbeschränkungen aller Art sowie andere öffentlich rechtliche Pflichten. BGH, NJW 1977, 433; Kissel/Mayer, § 54 Rn. 3; Rennig, Entscheidungsfindung, S. 136. 346 Die Erfüllung der Dienstpflicht gilt z. B. dann als unzumutbar, wenn durch die Teilnahme an der Sitzung die Versorgung eines Kleinkindes gefährdet wäre oder eine längere Urlaubsreise abgesagt werden müsste; vgl. zu Unzumutbarkeitskriterien: BGH, StV 1983, 11; OLG Karlsruhe, NStZ 1981, 272; Kissel/Mayer, § 54 Rn. 3; Rennig, Entscheidungsfindung, S. 136 f. 347 Die für die Wahl der Schöffen für das Amtsgericht geltenden Vorschriften finden gem. § 77 I GVG auch für die Wahl der Landgerichts-Schöffen Anwendung. Soweit durch § 77 II-V GVG Abweichungen vorgeschrieben sind, werden sie im Folgenden gesondert berücksichtigt. 348 Vgl. § 36 I GVG. 349 KK-Hannich, § 36 GVG Rn. 6; LR-Siolek, § 36 GVG Rn. 2; vgl. im Unterschied dazu die Situation in England, wo die Namen der künftigen Geschworenen dem Wählerregister entnommen werden; siehe vorstehend 2. Teil A. III. 1.: Ladung der Geschworenen (summoning jurors).
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
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sonders geeignete Bürger an der Rechtsprechung teilnehmen“350. Die Bevölkerungsgruppe, aus der die Schöffen letztlich gewählt werden, wird somit bereits von vornherein eingegrenzt. Sie umfasst folglich nicht, wie nach früher geltendem Recht, alle potentiell geeigneten Personen, sondern nur eine Auswahl aus diesem Kreis. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Vorschlagsliste wird vom Gesetz lediglich bestimmt, dass sie einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung entsprechen soll.351 Die Form der Soll-Vorschrift wurde bewusst gewählt, damit eine Verletzung dieser Norm keinen Einfluss auf die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts hat.352 Eine genauere Beschreibung der Kriterien für die Aufstellung der Vorschlagsliste blieb der Rechtsprechung vorbehalten. Eine Aufnahme von Personen in die Vorschlagsliste kann beispielsweise auf der Grundlage von Selbstbewerbungen oder von Vorschlägen der im Gemeinderat vertretenen Parteien erfolgen.353 Vorschläge werden mitunter auch von Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, Sportvereinen, Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgeberverbänden, Bürgervereinen, Krankenkassen oder Gewerkschaften eingeholt.354 Teilweise wird auch öffentlich in Tageszeitungen oder im Internet nach Kandidaten für das Schöffenamt gesucht.355 Die Jugendschöffen dagegen werden gem. § 35 I 1 JGG vom Jugendhilfeausschuss vorgeschlagen. Die einschlägige Rechtsprechung hat wiederholt betont, dass die Aufstellung der Liste nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 36 ff. GVG als eine echte Wahl gestaltet ist. Es genügt daher nicht, die Vorschlagsliste nach zufälligen oder formalen Kriterien wie beispielsweise nach der alphabetischen Reihenfolge der Namen oder nach Straßenzügen zu besetzen.356 Praktisch gestaltet sich indessen die Gewinnung einer ausreichenden Anzahl von Vorschlägen häufig schwierig. Dies gilt besonders in städtischen Ballungsräumen. Dort trifft ein großer Bedarf an Schöffen auf ein geringes soziales Engagement infolge großstädtischer Anonymität. Aufgrund dessen leiden viele Großstädte unter einer chronisch niedrigen Anzahl von freiwilligen Meldungen für das Schöffenamt. Es wird daher teilweise 350
Zit. nach: LR-Siolek, § 36 GVG Rn. 1. Vgl. § 36 II 1 GVG. 352 LR-Hanack, § 338 StPO Rn 30; Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur dann in Frage, wenn das Verfahren der Gemeindevertretung willkürlich und sachfremd war; so beispielsweise für den Fall einer nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Anzahl von Personen auf den Vorschlagslisten: BGHSt 22, 122 (123); zur Vorauswahl durch politische Parteien: BGHSt 38, 47 (51); Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 138; KK-Hannich, § 36 GVG Rn. 8. 353 BGHSt 12, 197; vgl. für ein Negativbeispiel für die Auswahl von Schöffen durch politische Parteien, jedoch die Beteiligung von Parteien grundsätzlich billigend: BGHSt 38, 47 (50); Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 120 ff.; Brusten, Wie wird man Schöffe?, S. 78. 354 Brusten, Wie wird man Schöffe?, S. 81. 355 Spona, Laienbeteiligung, S. 87. 356 In diesem Sinne: BGHSt 30, 255 (256); Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 120. 351
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
auf automatisierte Verfahren zurückgegriffen, um Personen für die Vorschlagsliste zu finden, selbst wenn diese Praxis von den Gerichten immer wieder als rechtswidrig beanstandet wird.357 Verletzt die Gemeindevertretung die soeben genannten Anforderungen, so hat das in der Regel jedoch nicht die Urteilsaufhebung im Rechtsmittelverfahren wegen fehlerhafter Gerichtsbesetzung zur Konsequenz. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Fehler im Auswahlverfahren vielmehr solange ohne Bedeutung für die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts, wie die Fehler in dem Bereich liegen, der nicht der Einflusssphäre der Gerichte zuzuordnen ist.358 Dies trifft auf die Aufstellung der Vorschlagsliste zu, da sie von der Gemeinde aufgestellt wird. Eine Urteilsaufhebung kommt nur dann in Betracht, wenn das Verfahren der Gemeinde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben völlig unverständlich, willkürlich und sachfremd war.359
b) Öffentliche Auslegung der Vorschlagsliste Nach der Annahme durch den Gemeinderat wird die Vorschlagsliste zu Kontroll- und Berichtigungszwecken eine Woche lang zur Einsichtnahme für die Öffentlichkeit ausgelegt.360 Ergeben sich während der Auslegung Einsprüche aufgrund eines Verstoßes gegen §§ 31 S. 2 bzw. 32 bis 34 GVG gegenüber einzelnen vorgeschlagenen Personen oder macht ein nach § 35 GVG Ablehnungsberechtigter von seinem Recht nach § 53 GVG Gebrauch, so wird die Vorschlagsliste entsprechend korrigiert.361 Die Korrektur übernimmt der Schöffenwahlausschuss, an den nach Ablauf der Einspruchsfrist die Vorschlagsliste vom Gemeindevorsteher übersandt wird.362 Der Schöffenwahlausschuss ist für die eigentliche Wahl der Schöffen aufgrund der einheitlichen Vorschlagsliste des Bezirkes zuständig. Bevor es dazu kommt, prüft der Vorsitzende des Schöffenwahlausschusses, ein Richter am Amtsgericht, ob die ihm zugegangenen Listen ordnungsgemäß ausgelegt wurden (§ 36 III GVG) und den Anforderungen des § 36 II 2 GVG entsprechen. Darüber hinaus holt er von Amts wegen eine Auskunft beim Bundeszentralregister ein, um Hinderungsgründe nach §§ 31 S. 2 oder 32 bis 34 GVG feststellen zu können.363 Eine weitergehende Prüfpflicht, etwa bezüglich der Zusammensetzung der Vorschlagsliste entsprechend 357
Vgl. Spona, Laienbeteiligung, S. 88. BGHSt, 22, 122 (123); BGHSt 33, 290 (291 ff.); BGHSt, 26, 206 (210 f.). 359 In diesem Sinne: BGHSt 33, 290 (294); BGH, NStZ 1992, 92 (93). 360 Vgl. § 36 III GVG; Die Dauer der Offenlegung muss jedoch nicht unbedingt sieben Werktage umfassen, die Vorschlagsliste sollte aber an fünf Werktagen eingesehen werden können; vgl. Meyer-Goßner, § 36 GVG Rn. 3; Brusten, Wie wird man Schöffe?, S. 78. 361 Vgl. § 41 GVG; Meyer-Goßner, § 38 GVG Rn. 2. 362 Vgl. § 38 I GVG. 363 Vgl. § 41 I Nr. 1 BZRG; KK-Hannich, § 39 GVG Rn. 2. 358
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den Kriterien des § 36 II 1 GVG, besteht nicht.364 Soweit Einsprüche nach § 37 GVG eingelegt wurden, hat der Richter den Sachverhalt so aufzuklären, dass der Ausschuss über den Einspruch entscheiden kann. Aus den berichtigten Vorschlagslisten stellt der Richter schließlich eine einheitliche Vorschlagsliste für den Amtsgerichtsbezirk zusammen.365
c) Die Wahl der Schöffen durch den Schöffenwahlausschuss Dem Schöffenwahlausschuss gehören neben einem Richter am Amtsgericht als Vorsitzendem ein Verwaltungsbeamter sowie zehn gewählte Vertrauenspersonen an.366 Letztere werden von der Vertretung des Verwaltungsbezirkes, der dem jeweiligen Amtsgerichtsbezirk entspricht, gewählt.367 Die Hauptschöffen werden getrennt für die Strafkammern und die Schöffengerichte gewählt.368 Die Hilfsschöffen für die Schöffengerichte werden vom Ausschuss jedes Amtsgerichts gewählt. Die Wahl der Hilfsschöffen für die Strafkammern eines Landgerichts erfolgt gem. § 77 II 2 GVG durch den Ausschuss desjenigen Amtsgerichtes, in dessen Bezirk das betreffende Landgericht seinen Sitz hat. Die erforderliche Mehrheit beträgt zwei Drittel der Stimmen im Wahlausschuss.369 Die gewählten Schöffen werden in Haupt- bzw. Hilfsschöffenlisten zusammengefasst, die nach Gerichten getrennt sind.370 Analog zur Wahl der Kandidaten für das Schöffenamt stellt auch hinsichtlich der eigentlichen Schöffenwahl das Gerichtsverfassungsgesetz nur das allgemeine Postulat der angemessenen Berücksichtigung aller Bevölkerungsteile auf.371 Daher wurden auch die Leitlinien für die Wahl der Schöffen von der Rechtsprechung entwickelt. Für den Vorgang der Schöffenwahl betont die Rechtsprechung genau 364
BGH, NStZ 1986, 210; Meyer-Goßner, § 39 GVG Rn. 1; KK-Hannich, § 39 GVG Rn. 2. Vgl. § 39 S. 1 GVG. 366 Vgl. § 40 II GVG; Bei der Wahl der Jugendschöffen tritt an die Stelle des Amtsrichters der Jugendrichter (§ 35 JGG). Der Verwaltungsbeamte hat außer der Teilnahme an der eigentlichen Wahlhandlung keine weiteren Aufgaben; vgl. Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 127. 367 Bei dieser Vertretung wird es sich in der Regel um den Kreistag oder, bei einer kreisfreien Stadt, um das Stadtparlament handeln. Den Fall der Inkongruenz von Amtsgerichts- und Verwaltungsbezirk regelt § 40 III 2 GVG; vgl. dazu und zum wählbaren Personenkreis: Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 130 ff. – Fehler in dem Verfahren zur Wahl des Schöffenwahlausschusses führen nur in besonders schwerwiegenden Fällen zu einer erfolgreichen Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 StPO; vgl. zu solchen Fällen: BGHSt 29, 283 (287); BGHSt 34, 121 (122); BGH, NStZ-RR (B) 2001, 265; LR-Siolek, § 40 GVG Rn. 11 ff.; Kissel/Mayer, § 36 Rn. 14. 368 Vgl. § 42 I Nr. 1 GVG; § 77 I, II 1 GVG; zu weiteren Einzelheiten vgl.: LR-Siolek, § 42 GVG Rn. 5; KK-Hannich, § 42 GVG Rn. 2; Spona, Laienbeteiligung, S. 90. 369 Vgl. § 42 I GVG. 370 Vgl. § 44 und § 77 II 6 GVG. 371 Vgl. § 42 II GVG. 365
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
wie für die Aufstellung der Vorschlagsliste das Erfordernis der bruchlosen Fortführung der Legitimationskette durch eine echte Wahl. Die praktische Umsetzung dieser Forderung ist jedoch schwierig. Besonders in städtischen Ballungsräumen ist die einheitliche Vorschlagsliste des Bezirks derart umfangreich, dass eine individuelle Auswahl der künftigen Laienrichter durch die Mitglieder des Schöffenwahlausschusses nicht realistisch ist. Vor diesem Hintergrund gab es in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in großstädtischen Wahlausschüssen Versuche, die Wahl durch Losverfahren zu ersetzen. Dabei wurden Kandidaten ausgelost, die anschließend ohne weitere Aussprache bestätigt wurden. Für eine solche Selektion nach dem Zufallsprinzip spricht die Schwierigkeit, eine Wahl im Sinne eines bewussten Prozesses der Willens- und Entscheidungsbildung angesichts weitgehend anonymer Kandidaten durchzuführen. So erscheint ein bewusstes Abwägen persönlicher Merkmale angesichts von Vorschlagslisten, die zweitausend und mehr Bewerber umfassen, nicht praktikabel. Eine Wahl aufgrund einer derartigen Liste ist nur scheinbar eine Wahl. In Wirklichkeit wird die Auswahl vom Zufall dominiert372, weil letztlich alle Kandidaten auf der berichtigten Vorschlagsliste für die Mitglieder des Ausschusses gleichermaßen wählbar sind.373 Davon abgesehen kann auch eine Auswahl nach dem Zufallsprinzip dem Erfordernis einer angemessenen Berücksichtigung aller Bevölkerungsteile gem. § 42 II GVG Rechnung tragen.374 Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlautes übernahm der Bundesgerichtshof diese Argumente jedoch nicht.375 Mehrere Revisionsverfahren, in denen die Besetzung von Gerichten mit gelosten Schöffen gerügt wurde, hatten daher Erfolg. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass eine Auslosung nicht mit dem in § 42 I GVG vorgeschrieben Verfahren vereinbar sei.376 Ferner betonte er, dass die ehrenamtlichen Richter einer demokratischen Legitimation bedürften. Eine solche sei nur dann sichergestellt, wenn die Schöffen aus einer wirklichen Wahl hervorgingen. Nur in diesem Fall sei die notwendige Kette der demokratischen Legitimation nicht durchbrochen.377 372
Jasper, MDR 1985, 110 (111); Allgaier, MDR 1985, 462. Jasper, MDR 1985, 110 (111). 374 Dies setzt natürlich eine Vorschlagsliste voraus, die alle Bevölkerungsteile angemessen berücksichtigt; vgl. LG Frankfurt a. M., NJW 1985, 155; Allgaier, MDR 1985, 462 (463); Katholnigg, JR 1985, 81 (82); a. A. BGH, NStZ 1985, 82 (83); Danckert, StV 1983, 411 (412). 375 BGHSt, 33, 126; LR-Siolek, § 42 GVG Rn. 2; Schätzler, NStZ 1985, 82 (84); a. A. Knauth, DRiZ 1984, 474 (475). 376 Vgl. dazu die in der allgemeinen Publizistik unter dem Stichwort „Frankfurter Schöffenroulette“ bekannte Grundsatzentscheidung: BGHSt 33, 41 (Bestimmung der Schöffen und Hilfsschöffen im Wege des Losverfahrens) m. Anm. Jasper, MDR 1985 110 ff.; BGHSt 35, 190; BVerfG, NStZ 1985, 82; Lilie, FS Rieß, S. 307; KK-Hannich, § 42 GVG Rn. 1. 377 Zu den Motiven des Gesetzgebers vgl.: BT-Drucks.VII/551, S. 100; Schätzler, NStZ 1985, 82 (83); vgl. zur Frage des Legitimationszusammenhanges: BVerfGE 47, 253 (275). – Eine abweichende Ansicht vertritt Knauth, DRiZ 1984, 474 (476). Knauth ist der Meinung, ein durch Wahlen vermittelter Legitimationszusammenhang beziehe sich nicht auf den Vollzug eines Gesetzes, welches Aufgaben zuweist. 373
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Ein Blick in die einschlägige Judikatur der letzten Zeit enthüllt gleichwohl ein pragmatischeres, weniger striktes Verständnis vom Inhalt des Wahlbegriffs, als die obige Argumentation des BGH nahe legt. Beispielsweise soll es nicht dem § 42 I GVG widersprechen, wenn im Vorfeld der eigentlichen Wahl die Namen ausgelost werden, solange über jeden einzelnen Kandidaten eine Aussprache bzw. gegebenenfalls eine Abstimmung erfolgen kann.378 Ferner müssen am Ende des Vorganges die Ausschussmitglieder erklären, das so erzielte Ergebnis könne aufrechterhalten werden. Daraus ergibt sich, dass die Willensbildung des Wahlausschusses nicht für jeden einzelnen Kandidaten erfolgen muss. Es soll vielmehr ausreichend sein, wenn sich der Wille auf eine Gesamtheit von Personen bezieht.379 Bei diesem Verfahren erscheint die Frage berechtigt, ob damit nicht wiederum der Zufall das bestimmende Merkmal des Selektionsvorganges ist und die eigentliche Entscheidung durch das Los getroffen wurde.380 In gleicher Weise soll es dem Wahlbegriff des § 42 I GVG auch entsprechen, wenn die zu wählenden Kandidaten anhand formaler Kriterien bestimmbar sind. Dies soll dann der Fall sein, wenn der Wahlausschuss sich darauf einigt, die Bewerber anhand abstrakter Kriterien auszuzählen. Ein Beispiel dafür ist die Festlegung, jeden dritten oder vierten Kandidaten auf der Vorschlagsliste zu wählen.381 Für diese Art des Vorgehens ist zwar nicht der Zufall prägend, weil die letztlich zu Wählenden wenigstens vorher bestimmbar sind. Ob deshalb auch eine wirkliche Meinungsbildung als Grundlage einer Wahl stattgefunden hat, darf jedoch bezweifelt werden.382 Diese beiden erlaubten Verfahren führen zu einer Erosion des Postulats der echten Wahl, weil sie dort eine Wahl vorspiegeln, wo in Wirklichkeit keine stattfindet. Zwischen der Forderung nach einer demokratischen Legitimation der Schöffen durch eine echte Wahl und der Wirklichkeit besteht folglich ein Unterschied.
d) Die Zuweisung zu einzelnen Verfahren Die Zuweisung der Schöffen zu konkreten Sitzungstagen erfolgt auf der Grundlage der Schöffenlisten jeweils für ein Jahr im Voraus durch Auslosung am Anfang des jeweiligen Geschäftsjahres.383 Am Amtsgericht wird gem. § 45 III GVG 378 So die Anschlussentscheidung zu BGHSt 33, 41 ff. (Frankfurter Schöffenroulette): BGHSt 33, 261 („Frankfurter Nachholwahl“); Darin wurden die Namen der zu wählenden Personen zunächst ausgelost und ausgerufen. Wurden gegen einen Namen keine Einwände erhoben, so wurde die vorgeschlagene Person als gewählt protokolliert. Wenn aber Einwände geltend gemacht wurden, so fand eine Abstimmung statt. – Vgl. auch: LR-Siolek, § 42 GVG Rn. 2; Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 150; Kissel, NStZ 1985, 490. 379 Rennig, Entscheidungsfindung, S. 123. 380 In diesem Sinne: Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 150. 381 BGH, JR 1986, 388 (389); Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 142. 382 Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 153; Klausa, Ehrenamtliche Richter, S. 45. 383 Vgl. §§ 45; 77 III 1 GVG; Gemäß §§ 43 II; 77 GVG soll ein einzelner Schöffe nicht für den Dienst an mehr als 12 ordentlichen Sitzungstagen vorgesehen werden. Eingehend zum Verfahren der Auslosung: LR-Siolek, § 45 GVG Rn. 7 ff.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
die Auslosung durch den Richter am Amtsgericht vorgenommen. Beim Landgericht tritt an dessen Stelle gem. § 77 III 1 GVG der Präsident des Landgerichts. In diesem letzten Schritt verlässt das Gerichtsverfassungsgesetz somit den bis dahin beschrittenen Weg der Legitimation durch Wahl und folgt dem Zufallsprinzip.384
4. Ausschlussgründe und Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit Gem. § 31 I StPO gelten dieselben Vorschriften, welche für den Ausschluss und die Ablehnung von Berufsrichtern gelten, auch für Schöffen. Ein Schöffe ist danach von Gesetzes wegen von der Teilnahme am Verfahren ausgeschlossen, wenn er durch die Tat selbst verletzt ist (§ 22 Nr. 1 StPO), mit dem Verletzten oder dem Beschuldigten familiär verbunden ist (§ 22 Nr. 2, 3 StPO) oder bereits früher an der Sache beteiligt war (§§ 22 Nr. 4, 5; 23 StPO).385 Liegt ein Ausschlussgrund vor, ist der betreffende Schöffe unmittelbar kraft Gesetzes ausgeschlossen.386 Ein Ausschluss kann aber auch durch Antrag nach § 24 I StPO erreicht werden.387 Liegt ein Anlass vor, der geeignet erscheint, die Unparteilichkeit eines Schöffen in Zweifel zu ziehen, so kann der Betreffende gem. §§ 24 II; 31 StPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Befangenheitsgründe decken sich mit denjenigen, die für Berufsrichter gelten.388 Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt einen entsprechenden Antrag eines Verfahrensbeteiligten voraus.
III. Rechtsstellung und Praxis der Schöffen im gerichtlichen Verfahren Die Rolle der Schöffen im gerichtlichen Verfahren ergibt sich zum einen aus den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und zum anderen aus deren praktischer Umsetzung. Von diesem Grundsatz ausgehend beschäftigt sich das folgende Kapitel mit den Rechten und Pflichten der Schöffen in der Hauptverhandlung sowie in der Urteilsberatung. Die Aufmerksamkeit gilt dabei insbesondere der Frage, inwieweit Schöffen und Berufsrichter in den einzelnen Verfahrensabschnitten gleichberechtigt und auch tatsächlich gleichgewichtig agieren oder nicht. 384
Allgaier, MDR 1985, 462 (463). Vgl. zusammenfassend: Roxin, Strafverfahrensrecht, § 9 Rn. 2 ff. 386 Der § 31 I StPO ist von Amts wegen zu beachten; vgl. Meyer-Goßner, § 31 StPO Rn. 1; RGSt 25, 415. 387 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 9 Rn. 1. 388 Für den Fall der Lektüre eines Presseartikels, der von der Täterschaft des Angeklagten ausging: BGHSt 22, 289 (295); allgemein: Meyer-Goßner, § 31 StPO Rn. 2. 385
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Die Darstellung gliedert sich dabei in vier Schwerpunkte. Bevor auf die Möglichkeiten der Mitwirkung für die Schöffen in der Hauptverhandlung eingegangen wird, soll als erstes allgemein die Pflicht zur Wahrnehmung des Schöffenamtes und ihre Ausgestaltung abgehandelt werden. Die Mitwirkung der Schöffen bildet daraufhin den nächsten Schwerpunkt. Zum Schluss soll die Frage erörtert werden, welche Zweifel an dem gesetzlichen Konzept der Gleichberechtigung von Berufsrichtern und Schöffen sich aus den angestellten Betrachtungen ergeben.
1. Die Pflicht zur Wahrnehmung des Schöffenamtes und ihre Ausgestaltung Im ersten der nachstehenden beiden Abschnitte werden die Dienstpflicht und die Dauer der Amtszeit der Schöffen skizziert. Die Aufstellung von Normen, die eine Verpflichtung begründen, macht in der Praxis wenig Sinn, wenn nicht zugleich die Möglichkeit geschaffen wird, etwaige Verstöße zu ahnden. Daher soll anschließend auch auf Sanktionsmöglichkeiten bei Pflichtverstößen eingegangen werden.
a) Dienstpflicht und Dauer der Amtszeit Ist eine Person zum Schöffen gewählt, so ist sie verpflichtet, ihr Amt anzutreten, sofern eine Befreiung nicht in Frage kommt.389 Die Amtszeit eines Schöffen umfasst vier gerichtliche Geschäftsjahre.390 Die Gesamtdauer der Amtszeit als Laienrichter ist durch § 34 I Nr. 7 GVG auf zwei Wahlperioden, d. h. auf acht Jahre begrenzt.391 Nach der Vorschrift des § 45 II 3 GVG soll ein Schöffe in einem Geschäftsjahr zu maximal zwölf Sitzungstagen herangezogen werden. Daneben existieren Vorschriften, welche die Arbeitsbelastung der einzelnen Schöffen unter einem bestimmten Niveau zu halten bestimmt sind.392 Daher kann ein Schöffe, der in der vorhergehenden Amtsperiode vierzig Sitzungstage absolviert hatte, eine Befreiung vom Schöffenamt gem. § 35 Nr. 2 GVG beantragen oder nach Teilnahme an vierundzwanzig Sitzungstagen eines Geschäftsjahres seine Streichung von der Schöffenliste erwirken.393
389 Die Pflicht zur Amtsübernahme ergibt sich e contrario aus § 35 GVG und ist in §§ 56 I 1; 77 IV 2 GVG vorausgesetzt; vgl. dazu BGHSt 9, 203 (206); Kissel/Mayer, § 31 Rn. 6, § 56 Rn. 3 ff.; Rennig, Entscheidungsfindung, S. 93. 390 Vgl. § 42 I GVG. 391 Dadurch soll eine breitere Mitwirkung der Bevölkerung zu gewährleisten und ein Erstarren in Routine zu verhindern sein; siehe dazu: BT-Drucks.VII/551, S. 99; Benz, Laienrichter, S. 69 f. 392 Kissel/Mayer, § 45 Rn. 1; § 52 Rn. 8. 393 Vgl. § 52 II 1 Nr. 2 GVG.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
b) Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzungen der Dienstpflicht Obwohl die Schöffen für Zeitversäumnis und Reisekosten eine Aufwandsentschädigung erhalten394, wird das Amt eines Schöffen oft als Belastung empfunden und erfreut sich keiner großen Beliebtheit.395 Um trotzdem eine ordnungsgemäße Wahrnehmung des Schöffenamtes zu gewährleisten, sieht das Gerichtsverfassungsgesetz mit der Norm des § 56 I GVG die Möglichkeit der Verhängung eines Ordnungsgeldes vor. Ein Ordnungsgeld kann nach dieser Vorschrift für zwei verschiedene Arten des Fehlverhaltens verhängt werden. Der § 56 I 1, 1. Hs. GVG bezieht sich auf die Anwesenheits- und Teilnahmepflicht der Schöffen an den ihnen zugewiesenen Verhandlungstagen.396 Weitergehende Obliegenheitsverstöße der Schöffen sanktioniert § 56 I 1, 2. Hs. GVG. Einen Obliegenheitsverstoß im Sinne dieser Vorschrift begeht beispielsweise ein Schöffe, der die Verhandlung nur teilnahmslos an sich vorbeiziehen lässt bzw. schläft, sowie ein Schöffe, der sich weigert, den Schöffeneid (§ 45 III DRiG) abzulegen oder abzustimmen (§ 195 GVG).397 Der § 56 I 1, 2. Hs. GVG ist ob seiner generalklauselartigen Weite auch potentiell geeignet, Schöffen beispielsweise bei der Fragestellung zu bremsen. Daher ist diese Norm mit Blick auf mögliche Repressionen durchaus ambivalent einzuschätzen.398 Kritisch betrachtet werden kann in diesem Zusammenhang auch, dass die Entscheidung über die Verhängung eines Bußgeldes gem. § 56 II 1 GVG vom Richter allein getroffen wird. Dies schafft ein Übergewicht des Berufsrichters gegenüber den Laienrichtern, indem dem Berufsrichter ein Recht gegen die Schöffen gewährt wird.399 Dadurch wird die von § 30 GVG grundsätzlich garantierte Gleichstellung aller Richter einschränkt.
2. Aufgaben der Schöffen und Möglichkeiten der Mitwirkung Die Mitwirkung der Laienrichter am Strafverfahren ist auf die Beteiligung an der Hauptverhandlung einschließlich der Beratung und Abstimmung über das Urteil begrenzt.400 Dieser gegenüber den Berufsrichtern eingeschränkte Tätigkeitsbereich folgt aus der, den Laienrichtern durch den Gesetzgeber zugewiesenen, Funktion der Urteilsfindung und Kontrolle und ist auch notwendig.401 Eine Mitwir394 Einzelheiten dazu in: Rennig, Entscheidungsfindung, S. 129 ff.; Lieber, Schöffenamt, S. 16 passim; Die Entschädigung der Schöffen bestimmt sich nach §§ 15–18 JVEG. 395 Benz, Laienrichter, S. 73. 396 Ausführlich zu diesen Norm: Rennig, Entscheidungsfindung, S. 141 f. 397 Siehe dazu: Benz, Laienrichter, S. 74. 398 In diesem Sinne: Benz, Laienrichter, S. 74; Kühne, DRiZ 1975, 390 (396); Schorn, Laienrichter, S. 50. 399 Kühne, DRiZ 1975, 390 (394); Rüping, JR 1976, 269 (272). 400 Gem. § 243 I 1 StPO beginnt die Hauptverhandlung in Deutschland mit dem Aufruf zur Sache und endet mit der auf die Beratung folgenden Urteilsverkündung (§ 260 I StPO). 401 Spona, Laienbeteiligung, S. 99; Benz, Laienrichter, S. 75.
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kung der Schöffen außerhalb der Hauptverhandlung würde zu einer Überlastung der Schöffen führen, weil sie oft neben ihrem Amt noch beruflich gebunden sind. Außerdem fehlen den Laien in der Regel die juristischen Kenntnisse, um die zur Vorbereitung der Hauptverhandlung notwendigen Entscheidungen wie beispielsweise hinsichtlich einer Ladung von Zeugen zu treffen.402 Die Beschränkung auf die Hauptverhandlung ist der Grund dafür, warum die Schöffen erst während dieses Verfahrenabschnittes mit der zu behandelnden Sache in Berührung kommen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Laien nicht schon vor der Hauptverhandlung Einblick in die Verfahrensakten erhalten sollten, um sich, genau wie die Berufsrichter, auf die Verhandlung vorzubereiten. Diesem Problem ist der erste Schwerpunkt dieses Abschnitts gewidmet. Mit der Problematik der Mitwirkungsbegrenzung eng verbunden ist die Frage nach den mitwirkungspflichtigen Entscheidungen. Dies bildet den zweiten Schwerpunkt des nachfolgenden Abschnitts. Schließlich soll noch auf die Möglichkeiten der Schöffen zur aktiven Gestaltung der Hauptverhandlung durch das Fragerecht eingegangen werden.
a) Beteiligung im Vorfeld der Hauptverhandlung – Das Recht auf Vorinformation und Akteneinsicht Üblicherweise unterrichtet der Vorsitzende vor Beginn einer Sitzung die Schöffen über die zur Verhandlung anstehenden Sachen und die voraussichtliche Dauer der Sitzung.403 Eine detailliertere Information über das Delikt und den Täter, bzw. eine Einsichtnahme in die vorliegenden Akten erfolgt nicht, obwohl kein positiv normiertes zwingendes Verbot der Akteneinsicht durch die Schöffen im deutschen Strafprozessrecht existiert.404 In der Frage des Aktenstudiums werden die Schöffen anders behandelt als die Berufsrichter, die regelmäßig vor der Hauptverhandlung die Akten durcharbeiten.405 Diese Ungleichbehandlung wird insbesondere von der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur als fürsorgliche Bevormundung und Degradierung der ehrenamtlichen Richter kritisiert.406 Die Verfechter dieser Sichtweise führen als 402
Spona, Laienbeteiligung, S. 99. Benz, Laienrichter, S. 77; Machura, Interaction, S. 456 f. 404 Vgl. BGH, GA 1960, 314 f.; Zwar verbietet Nr. 126 III RiStBV grundsätzlich, den Schöffen die Anklageschrift zugänglich zu machen, unter Zugrundelegung von Art. 97 GG und §§ 25; 26 DRiG handelt es sich bei den RiStBV jedoch nur um Hinweise, deren Berücksichtigung dem Richter überlassen bleibt; vgl. Einführung zu den RiStBV. 405 RGSt 40, 155 (156 f.); RG, GA 62, 154 (155); BGHSt 21, 285; Kemmer, Befangenheit, S. 86 ff., 91 ff., 103 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 4; LR-Siolek, § 30 GVG Rn. 4; Lilie, FS Rieß, S. 309. 406 Schreiber, FS Welzel, S. 941 ff.; Rieß, JR 1987, 389 ff.; Imberger-Bayer, JR 1999, 299 ff.; Hillenkamp, FS Kaiser, S. 1444 ff.; LR-Siolek, § 30 GVG Rn. 4 ff.; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 148 ff.; Zwiehoff, Einfluss, S. 43. 403
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Begründung ihrer Ansicht das Gleichstellungsgebot des § 30 I GVG an. Ferner argumentieren sie, dass Vorinformationen über den Prozessstoff den Schöffen in komplexen und schwierigen Verfahren das Verständnis der Vorgänge in der Hauptverhandlung erleichtern würden.407 Diese würden die Laienrichter in die Lage versetzen, ihre Rolle als gleichberechtigte Richter aktiver zu gestalten, indem sie beispielsweise gezielter Fragen stellen könnten.408 Zudem sei es nur billig, wenn der „Gleichheit in der Entscheidungsverantwortung“409 bei der Bewertung der Schuldfrage eine „Gleichheit im Entscheidungswissen“410 gegenüberstehe. Die Frage nach einem Aktenstudium durch die Schöffen vor der Hauptverhandlung wird von der Rechtsprechung ablehnend beantwortet. Jegliche Kenntnisnahme des Akteninhalts durch Schöffen soll grundsätzlich dazu führen, dass ein Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 24 II StPO begründet ist. Erlangt ein Schöffe vor der Hauptverhandlung Kenntnis vom Akteninhalt, so soll dies einen relativen Revisionsgrund wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der Hauptverhandlung darstellen. Daraus folgt die Möglichkeit der Revisibilität über § 338 Nr. 3 StPO.411 Zur Begründung ihrer Ansicht stellt die Judikatur die Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit in den Mittelpunkt der Argumentation.412 Den Schöffen wird eine mangelnde Kritikfähigkeit gegenüber dem Akteninhalt unterstellt. Außerdem wird eine Tendenz zur Vermischung des Inhalts der Akten mit dem Inhalt der Hauptverhandlung durch die Laienrichter besorgt.413 Es wird befürchtet, die ehrenamtlichen Richter würden sich auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft ein falsches Bild des Angeklagten machen und dadurch in ihrem Urteil präjudiziert.414 Ein Recht zum Aktenstudium für den Vorsitzenden und die beisitzenden Berufsrichter sei demgegenüber aus ihren Pflichten vor und während der Hauptverhandlung abzuleiten. Beispielsweise müsse der Vorsitzende Richter die Hauptverhandlung vorbereiten, um anschließend die Verhandlung effektiv leiten zu können.415 Gegen das Argument der inadäquaten Beeinflussung durch das Aktenstudium spricht, dass die Schöffen auch im Verlauf der Hauptverhandlung verschiedenen Einflüssen ausgesetzt sind. Auch dadurch könnten die Unvoreingenommenheit 407
Schreiber, FS Welzel, S. 953; Schorn, Laienrichter, S. 8; Benz, Laienrichter, S. 78. Benz, Laienrichter, S. 78. 409 Hillenkamp, FS Kaiser, S. 1457. 410 Hillenkamp, FS Kaiser, S. 1443. 411 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 148. 412 RGSt 69, 120 (122); BGHSt 5, 261; BGHSt 13, 73. 413 RGSt 69, 120 (124); Rennig, Entscheidungsfindung, S. 176, 213. 414 Benz, Laienrichter, S. 78. 415 Vgl. § 238 StPO; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 147; Benz, Laienrichter, S. 79 – a. A. Roxin, Strafverfahrensrecht, § 40 Rn. 3, der davon ausgeht, das Gericht würde sich aufgrund seiner Befassung mit den Akten im Zwischenverfahren (§§ 199–211 StPO) voreingenommen in die Hauptverhandlung begeben und der deswegen für die Einführung eines Eröffnungsgerichts eintritt. 408
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der Schöffen negativ beeinflusst und das Prinzip der Öffentlichkeit und Mündlichkeit konterkariert werden. An prominenter Stelle sind hier unverwertbare Beweismittel, die in die Hauptverhandlung eingebracht werden, zu nennen. Nach einer entsprechenden Rechtsbelehrung durch den Berufsrichter wird von den Schöffen erwartet, dass sie in gleicher Weise wie ihre juristisch geschulten Kollegen dazu im Stande sind, ihre Überzeugung ausschließlich auf der Basis dessen zu bilden, was ihnen in der Schlussberatung als verwertbares Beweismaterial unterbreitet wird.416 Ferner werden Vorhalte aus den Akten während der Hauptverhandlung gebilligt. Mit Blick auf § 244 II StPO können solche Vorhalte zur Aufklärung von Widersprüchen sogar geboten sein.417 Darüber hinaus wird den Schöffen von der Rechtsprechung auch ohne weiteres zugetraut, dass sie externe Einflüsse, wie die Berichterstattung in den Medien, vom Inhalt der Hauptverhandlung zu trennen vermögen.418 Dasselbe Maß an Abstraktionsfähigkeit wird den Schöffen auch bei Verhandlungen über Berufungen sowie bei einer Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht abverlangt.419 Im ersten Fall geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Schöffen weder durch den Vortrag des Berichterstatters über das vorherige Verfahren noch durch die in § 324 I 2 StPO vorgesehene Verlesung des erstinstanzlichen Urteils unzulässig beeinflusst würden. Bezüglich der Verhandlung über eine zurückverwiesene Sache ist vom Bundesgerichtshof entschieden worden, dass es unschädlich sei, wenn dabei ein Schöffe mitwirke, der bereits an der aufgehobenen Entscheidung beteiligt war.420 In einigen seiner letzten Entscheidungen betont der Bundesgerichtshof wieder stärker die nach § 30 I GVG gebotene Gleichstellung von Laien- und Berufsrichtern. So erachtet er beispielsweise die Überlassung von Tonbandprotokollen als
416 Siehe: BGHSt 42 191 (193 f.) – für Geständnisse der Angeklagten aufgrund einer Absprache zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft. 417 BGHSt 1, 337 (339); BGHSt 3, 199 (201); BGHSt 14, 310 (311); BGHSt 17, 351 (353); BGH, StV 1989, 423; Hillenkamp, FS Kaiser, S. 1453 f. 418 In diesem Sinne argumentieren: BGHSt 22, 289 (294); BGHSt 43, 36 (40); BGHSt 43, 360 (365 f.); Einer Untersuchung von Rennig zufolge gibt es tatsächlich keine signifikanten Belege für eine Beeinflussung der Ansicht der Schöffen durch die öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung; vgl. Rennig, Entscheidungsfindung, S. 574; a. A. Benz, Laienrichter, S. 152 ff. 419 BGH, GA 1976, 368; BGH, MDR 1955, 121; Spona, Laienbeteiligung, S. 109; Hillenkamp, FS Kaiser, S. 1452; Volk, FS Dünnebier, S. 383. 420 So: BGH, NJW 1967, 2217; Dasselbe gilt für die Mitwirkung eines Berufsrichters, der bereits an der ursprünglichen Entscheidung beteiligt war, wenn er einem „anderen Spruchkörper“ i. S.v. § 354 II StPO zugewiesen ist, der nach Zurückverweisung nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständig ist; vgl. zur Verfassungsmäßigkeit: BVerfG, DRiZ 1968, S. 141; weiterführend: Meyer-Goßner, § 354 Rn. 39 m. w. N. – Bis zum Inkrafttreten des StPÄG im Jahre 1964 war es in das Ermessen des Revisionsgerichts gestellt, ob es die Sache an denselben Spruchkörper oder an eine andere Abteilung oder Kammer desselben Gerichts verwies; vgl. LR-Meyer, 22. Aufl., § 354 Anm. 2 II. a.; Für die erneute Entscheidung nach Wiederaufnahme eines Strafverfahrens ist gem. § 367 I 1 StPO i. V. m. § 140a GVG sogar ein anderes Gericht zuständig.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
Hilfsmittel zum besseren Verständnis der Beweisaufnahme über abgehörte Telefongespräche in der Hauptverhandlung für zulässig.421 Er hebt hervor, dass der Ausschluss jeglicher Akteneinsicht die Gefahr in sich trage, die Schöffen besonders in unübersichtlichen und komplizierten Verfahren zu bloßen Statisten zu degradieren.422 Demnach ist es bereits heute mit der Ansicht der Rechtsprechung vereinbar, den Schöffen die Anklageschrift ohne das Ergebnis der Ermittlungen auszuhändigen.423 In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes scheint sich folglich in Anlehnung an die oben dargestellte Kritik ein Rechtsprechungswandel anzudeuten. Ein solcher ist allerdings bisher noch nicht eingetreten.424 Insgesamt ist festzustellen, dass der Standpunkt der Rechtsprechung in sich widersprüchlich ist. Er wird offenbar von pragmatischen Überlegungen getragen. Die Fälle, in denen eine Konfrontation der Schöffen mit möglicherweise präjudizierendem Material hingenommen wird, haben eine Gemeinsamkeit. Sie sind während der Verhandlung nur schwer vermeidbar. Im Vorfeld der Verhandlung sollen Laien dagegen vom Aktenstudium ausgeschlossen werden können, ohne dass dadurch der Fortgang der Verhandlung wesentlich gehemmt würde. Daher wird an dieser Stelle dem Prinzip der Öffentlichkeit und Mündlichkeit Priorität zugestanden. Für die Schöffen hat diese Haltung die Konsequenz, dass sie mit einem Kenntnisdefizit in die Hauptverhandlung gehen. Das kann zur Folge haben, dass Laien- und Berufsrichter die Verhandlung unterschiedlich erleben. Damit einher geht die Gefahr von Missverständnissen zwischen den Angehörigen des Gerichts, insbesondere in der anschließenden Urteilsberatung.425
b) Mitwirkungspflichtige Entscheidungen Nach dem in § 30 I GVG festgeschriebenen Grundsatz der Gleichberechtigung wirken die Schöffen bei der Urteilsfällung, sowie allen das Urteil ergänzenden oder mit seinem Erlass zu verbindenden Beschlüssen ohne Einschränkung mit.426 Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung getroffen werden, sind grundsätzlich gem. § 30 II GVG dem Richter am Amtsgericht bzw. gem. § 76 I 2 GVG den Berufsrichtern der Strafkammer allein oder gem. § 76 III 2 GVG dem Vorsitzenden Richter der Strafkammer zugewiesen. Laienrichter wir421 Dazu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: BGH, NStZ 1997, 506 f.; zustimmend: BGHSt 43, 360 (380 f.). 422 BGHSt 43, 360 (380 f.); Wache, Befangenheit, S. 108, 111; Machura, Fairneß und Legitimität, S. 37 f.; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 152. 423 In diesem Sinne: Spona, Laienbeteiligung, S. 110; Katholnigg, wistra 1982, 91 (95). 424 Vgl. Rieß, JR 1987, 389 (391); LR-Siolek, § 30 GVG Rn. 6 f.; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 151. 425 Damaška, 121 U. PA. L. REV, 506 (545); Einzelheiten zur Urteilsberatung siehe sogleich 2. Teil B. III. 3. a): Die Urteilsberatung. 426 Vgl. §§ 268a; 268b; 456c StPO; BGHSt 43, 36; OLG Köln, NJW 1998, 2989 (2990); KKHannich, § 30 GVG Rn. 1.
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ken daran nicht mit. Dies gilt jedoch nur, wenn diese Entscheidungen auch tatsächlich außerhalb der Hauptverhandlung ergehen. Werden sie in der Hauptverhandlung getroffen, erstreckt sich das Recht zur Mitwirkung der Schöffen auch auf alle Beschlüsse, selbst wenn die Entscheidung in keinerlei Beziehung zum Urteil steht.427 Die Mitwirkungsbefugnis ist den Schöffen nur in gesetzlich normierten Ausnahmefällen entzogen. In diesen Fällen entscheidet der Vorsitzende Richter allein.428 Umstritten ist die Frage, ob Schöffen auch bei Entscheidungen mitwirken müssen, die nach Eröffnung der Hauptverhandlung aber während einer Unterbrechung derselben zu treffen sind. Besonders intensiv wird ist dies hinsichtlich der Mitwirkung von Schöffen bei Haftentscheidungen und bei der Verfahrenseinstellung wegen Auftretens eines Verfahrenshindernisses nach Eröffnung des Hauptverfahrens diskutiert. Zur der ersten Frage, der Mitwirkung der Schöffen an Haftentscheidungen während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung, hat im Jahre 1997 der Bundesgerichtshof entschieden, dass zwischen Beginn und Ende einer vor dem Oberlandesgericht als erstinstanzlichem Strafgericht429 durchgeführten Hauptverhandlung eine Entscheidung über einen Haftbefehl stets nur in der für die Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung von 5 Berufsrichtern zu treffen sei.430 Die Frage, ob dieser Grundsatz auch für die Schöffengerichte und Strafkammern gelten solle, wurde vom Bundesgerichtshof offen gelassen. In der Folge haben sich die Obergerichte überwiegend gegen die Übertragbarkeit dieser Grundsätze ausgesprochen und die Lösung favorisiert, die Schöffen an Haftentscheidungen generell nie zu beteiligen.431 Diese Entscheidung wurde von der Erkenntnis angestoßen, dass es vom Antragsverhalten der Verfahrensbeteiligten abhängt, ob sich ein Gericht innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung mit der Frage der Haft befasst. Der BGH argumentiert, dass dies dem, in der Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG) wurzelnden, Gebot hinreichender Vorausbestimmbarkeit des Richters widersprechen würde.432 Zur Begründung der Entscheidung, Schöffen nicht an Haftentscheidungen zu beteiligen, wird seitens der Obergerichte darauf abgestellt, dass solche Entscheidungen nicht zum Kernbereich des 427 Damit sind Entscheidungen gemeint, die nach folgenden Normen ergehen: §§ 51 I 2; 70 I 2; 77 I; 270 I; 228 II 1; 230 II; 231a III 1; 231b; 231c; 232; 238 II StPO; §§ 171; 171a; 172; 173 II; 174; 178 GVG; vgl. dazu auch: OLG Köln, NJW 1998, 2989 (2990); KK-Hannich, § 30 GVG Rn. 1; LR-Siolek, § 30 GVG Rn. 1. 428 Dies ist der Fall bei Entscheidungen nach: §§ 27 II; 31 II 1; 141 IV; 238 ff. StPO; § 176 ff. GVG; Vgl. KK-Hannich, § 30 GVG Rn. 1; LR-Siolek, § 30 GVG Rn. 3. 429 Das Oberlandesgericht ist bei den in § 120 GVG aufgezählten Straftaten als erstinstanzliches Strafgericht zuständig. 430 Vgl. BGHSt 43, 91. 431 Vgl. OLG Hamburg, NJW 1998, 2988; zustimmend: BVerfG, NJW 1998, 2962; ferner: ThürOLG, StV 1999, 101; a. A. OLG Köln, NJW 1998, 2989. 432 BGHSt 43, 91; zustimmend: BVerfG, NJW 1998, 2962; OLG Hamburg, NJW 1998, 2988 f. – vgl. auch grundlegend: BVerfGE 82, 286 (296); BVerfGE 17, 294 (298).
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
für Laien vorgesehenen Aufgabenfeldes innerhalb der Rechtsprechung zählen würden.433 Weiterhin wird auf das gerade bei Haftentscheidungen bedeutsame Beschleunigungsgebot zugunsten des Angeklagten verwiesen und geltend gemacht, die Inanspruchnahme der Laienrichter müsse aufgrund ihrer eingeschränkten Verfügbarkeit begrenzt werden.434 In der zweiten Frage, ob ein Einstellungsbeschluss bei Auftreten eines Verfahrenshindernisses nach Eröffnung des Hauptverfahrens ohne Schöffen möglich ist, besteht ein ähnlicher Konflikt. Grundsätzlich gilt, dass ein Einstellungsbeschluss nach § 206a I StPO ergeht, wenn eine Hauptverhandlung nicht stattfindet.435 Er ergeht dann regelmäßig in der Besetzung, die für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgesehen ist, d. h. ohne Schöffen. Tritt das Verfahrenshindernis während der laufenden Hauptverhandlung auf oder kann über sein Vorliegen nur aufgrund einer Hauptverhandlung entschieden werden, so ist ein Einstellungsurteil nach § 260 III StPO zu fassen.436 In diesem Fall wären die Schöffen zu beteiligen. Problematisch ist hier allein der Fall, ob während einer Unterbrechung nach Eröffnung der Hauptverhandlung eine Einstellung nach § 206a I StPO oder nach § 260 III StPO erfolgen muss.437 Überwiegend wird dazu die Meinung vertreten, dass eine Einstellung durch Beschluss nach § 206a StPO nicht zulässig sei.438 Dem ist zuzustimmen, weil es nach der Gegenauffassung konsequenterweise auch möglich wäre, gezielt einen Beschluss über Unterbrechung der Hauptverhandlung gem. § 228 I 1 Alt. 2 StPO herbeizuführen, um eine Anwendung von § 206a StPO zu ermöglichen.439 Auch hier tut sich mithin das Problem der Manipulierbarkeit der Gerichtsbesetzung auf, was angesichts der Bedeutung der Garantie des Art. 101 I 2 GG bedenklich ist. Sowohl der Prozesssituation der Haftentscheidung als auch der Einstellung wegen Auftretens eines Verfahrenshindernisses nach Eröffnung des Hauptverfahrens ist damit eine Unsicherheit über die jeweils gesetzlich vorgeschriebene Besetzung des Gerichts gemeinsam, durch die eine Möglichkeit der Manipulation der Gerichtsbesetzung eröffnet wird. Dem BGH ist insoweit beizupflichten, als dies mit
433
OLG Hamburg, NJW 1998, 2988 (2989). Vgl. OLG Hamburg, NJW 1998, 2988 (2989); BVerfG, NJW 1998, 2962 (in dem Nichtannahmebeschluss zur vorstehenden Entscheidung des OLG Hamburg); LR-Siolek, § 30 GVG Rn. 23; dagegen argumentiert: Zwiehoff, Einfluss, S. 44. 435 LR-Rieß, § 206a StPO Rn. 5. 436 SK-StPO/Paeffgen, § 206a StPO Rn. 5; LR-Rieß, § 206a StPO Rn. 5. 437 Dieses Problem ist noch nicht höchstrichterlich geklärt. – Vgl. ausführlich zum Meinungsstand: SK-StPO/Paeffgen, § 206a StPO Rn. 5 ff. 438 In diesem Sinne: KG, NJW 1993, 673 (674 f.); Meyer-Goßner, § 206a Rn. 1; LR-Rieß, § 206a StPO Rn. 5a; a. A. LG Berlin, NStZ 1993, 298; SK-StPO/Paeffgen, § 206a StPO Rn. 25, der darauf hinweist, dass eine Wiedereröffnung der Hauptverhandlung für ein Urteil nach § 260 III StPO für den Angeklagten mit großen Belastungen verbunden sein kann. 439 Vgl. LR-Rieß, § 206a StPO Rn. 5a; krit. zur Normüberdehnung durch Auslegung in diesem Fall: Bertram, NJW 1998, 2934. 434
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der Garantie des gesetzlichen Richters nicht vereinbar ist.440 Der Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob in den genannten Situationen Laien zu beteiligen sind, muss jedoch entgegen der von der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Ansicht, die in § 30 I GVG zum Ausdruck kommende grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers für eine Gleichberechtigung von Berufs- und Laienrichtern während der Hauptverhandlung bilden. Der Ausschluss von Schöffen von einer Beteiligung an Entscheidungen während einer Hauptverhandlung würde daher den Angeklagten seinem gesetzlichen Richter gerade entziehen.441 Unter dieser Prämisse, besteht der einzig gangbare Weg darin, die Schöffen, nachdem die Hauptverhandlung einmal eröffnet wurde, generell immer an Entscheidungen zu beteiligen. Die andere Alternative, nämlich die Anknüpfung an die Frage, ob die Hauptverhandlung gerade im Gang oder unterbrochen ist, steht, wie bereits dargelegt, nicht im Einklang mit der Garantie von Art. 101 I 2 GG. Die gegen eine generelle Beteiligung vorgebrachten Bedenken hinsichtlich der Arbeitsüberlastung der Schöffen bzw. der Eilbedürftigkeit von Haftentscheidungen müssen gegenüber der rechtsgrundsätzlichen Entscheidung für eine Gleichberechtigung auf der einen und der notwendigen Vorherbestimmbarkeit des Richters auf der anderen Seite zurücktreten, zumal die damit verbundenen Probleme sich durch die Verbesserung der Organisation gerichtsinterner Verfahrensabläufe lösen lassen würden. Da in dringenden Fällen auch der Vorsitzende gem. § 126 II 4 StPO über die Fortdauer der Haft vorab entscheiden kann, vermag auch das Argument notwendiger Beschleunigung in Haftsachen kein anderes Ergebnis zu begründen.442
c) Das Fragerecht der Schöffen Während der Hauptverhandlung haben die Schöffen genau wie ihre juristisch ausgebildeten Kollegen grundsätzlich ein direktes Fragerecht an den Angeklagten, die Zeugen und die Sachverständigen.443 Die Schöffen stellen ihre Fragen ohne Vermittlung durch den Vorsitzenden unmittelbar.444 Die Bitte um Erteilung des Wortes ist nur ein formelles Erfordernis. Das Fragerecht kann allerdings un440 So auch: LR-Siolek, § 30 GVG Rn. 17 – Eine vergleichende Betrachtung mit der englischen Rechtslage ergibt Folgendes: In den prozessualen Situationen, die den oben diskutierten ähneln, nämlich Entscheidungen über Haftsachen (custody) (vgl. Sprack, Practical Approach, 20.02) und über einen Antrag der Verteidigung auf Freispruch aus Mangel an Beweisen (submission of no case to answer) [vgl. zu Einzelheiten 2. Teil A. IV. 4. b) cc): Beendigung des Verfahrens durch den Richter] sind die Laien in England nicht beteiligt. Die jeweils zu treffenden Entscheidungen gelten nämlich als Rechtsfragen und sind demzufolge vom Richter zu treffen. 441 So ausdrücklich auch OLG Köln, NJW 1998, 2989 (2990); SK-StPO/Paeffgen, § 126 StPO Rn. 7. 442 Mit demselben Argument auch: OLG Köln, NJW 1998, 2989 (2990). 443 Vgl. § 240 II 1 StPO. 444 Meyer-Goßner, § 240 Rn. 9; Benz, Laienrichter, S. 81; Linkenkeil, Laienbeteiligung, S. 145.
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ter bestimmten Umständen eingeschränkt werden. Stellt ein Schöffe eine ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Frage, so hat der Vorsitzende das Recht, diese Frage zurückzuweisen.445 Als Ausnahme zu dem Grundsatz des direkten Fragerechts ist das Recht, Zeugen unter 16 Jahren zu befragen, gem. § 241a I StPO dem Vorsitzenden vorbehalten.446 Die Schöffen und die anderen Berufsrichter haben insoweit nur ein mittelbares Fragerecht. Lediglich in Ausnahmefällen unter der Voraussetzung des § 241a II 2 StPO kann der Vorsitzende seinen Beisitzern unmittelbare Fragen gestatten. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Schöffen ihr Fragerecht nur selten nutzen. Schon aus einem Bericht vom Anfang des 20. Jahrhunderts ist zu erfahren, dass Schöffen ihr Fragerecht selten ausübten und ihnen dieses Recht oftmals von den Berufsrichtern faktisch auch nicht zugestanden wurde.447 Eine von Rennig am Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts durchgeführte Befragung erbrachte, dass nach Aussage von Berufsrichtern in nur rund 43 % der Hauptverhandlungen wenigstens eine Frage von Schöffen gestellt wurde.448 Von den befragten Laienrichtern gaben rund 33 % an, in jeder Verhandlung wenigstens einmal eine Frage zu stellen.449 Als eine Ursache für die geringe Aktivität der Schöffen kommt die zentrale Position des Vorsitzenden in Betracht, wegen der auch die beisitzenden Berufsrichter selten eine Frage stellen.450 Der Verzicht auf Fragen lässt sich außerdem sowohl mit Desinteresse, Unsicherheit und mangelndem Verständnis als auch mit einer guten Verhandlungsführung durch den Vorsitzenden erklären.451 Die Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten weist darauf hin, dass die seltene Ausübung des Fragerechtes durch Schöffen nicht unbedingt mit ihrer Eigenschaft als juristische Laien zusammenhängt. Unter den Prämissen, dass das Fragerecht eine unverzichtbare Voraussetzung für die Bildung einer eigenen Meinung ist452 und auch die Schöffen gem. § 244 II StPO zur Wahrheitserforschung verpflichtet sind, ist jedoch die geringe Neigung der Schöffen zur Fragestellung ein negativer Faktor im Modell des Schöffengerichts.
445
Vgl. § 241 II StPO; Die Zurückweisung ist bei der Befragung durch einen der beisitzenden Berufsrichter ausgeschlossen, weil § 241 II StPO auf das in § 240 I StPO geregelte Fragerecht der Berufsrichter keinen Bezug nimmt. Das Zurückweisungsrecht betrifft jedoch nur einzelne Fragen, niemals das Fragerecht insgesamt. Einzelheiten dazu bei: Benz, Laienrichter, S. 78 f.; Meyer-Goßner, § 240 Rn. 8 f. 446 Der Grund für diese Ausnahme liegt darin, dass der Vorsitzende im Allgemeinen die größte Gewähr dafür bietet, dass bei der Befragung Rücksicht auf die kindliche Psyche genommen wird und der Zeuge schonend behandelt wird; in diesem Sinne: KK-Tolksdorf, § 241a StPO, Rn. 2. 447 Anonymus, Erlebnisse, S. 279. 448 Rennig, Entscheidungsfindung, S. 530. 449 Rennig, Entscheidungsfindung, S. 529. 450 Spona, Laienbeteiligung, S. 101. 451 Rennig, Entscheidungsfindung, S. 529. 452 LR-Gollwitzer, § 240 StPO Rn. 9; Spona, Laienbeteiligung, S. 100.
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
277
3. Die Schöffen in der Urteilsberatung Im folgenden Abschnitt soll erörtert werden, inwieweit es den Schöffen möglich ist, eine gleichberechtigte Rolle neben den Berufsrichtern in der Urteilsberatung zu spielen. Es geht dabei um die Frage, ob sich die Schöffen in der Urteilsberatung mit ihren Ansichten gegenüber den Berufsrichtern behaupten können. Ein weiterer Aspekt des Einflusses der Laienrichter auf die Urteilsfindung ist das Mehrheitsverhältnis zwischen Laien- und Berufsrichtern in den Spruchkörpern. Daher soll in einem zweiten Absatz ein Überblick über die Entscheidungsquoren in den einzelnen Spruchkörpern gegeben und der Modus der Abstimmung betrachtet werden. Der Abschnitt schließt mit einer Darstellung der im Zusammenhang mit der schriftlichen Absetzung des Urteils auftretenden Probleme.
a) Die Urteilsberatung Die Beratung zur Urteilsfindung ist eine gemeinsame Erörterung der Tat- und Rechtsfragen durch die als Gericht an einem Verfahren beteiligten Richter. Bezüglich Inhalt und Hergang der Beratung sowie der Abstimmung sind die Teilnehmer gem. §§ 45 I 2; 43 DRiG zur Verschwiegenheit verpflichtet. Durch das Beratungsgeheimnis wird die Offenheit der Diskussion geschützt, da auf diese Weise kein Berufsrichter oder Schöffe fürchten muss, seine Ansichten würden nach der Beratung an das Licht der Öffentlichkeit gebracht.453 Weiterhin dient das Beratungsgeheimnis dem Rechtsfrieden und der Wahrung der Autorität des Gerichts.454 Das Ziel der Beratung ist es, zu einer einheitlichen Überzeugung hinsichtlich der Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu gelangen. Die Beratungsleitung obliegt gem. § 194 GVG dem Vorsitzenden. Dieser hat sich um eine sachliche Auseinandersetzung zu bemühen.455
453
Schmidt-Räntsch, JZ 1958, 329 ff. In diesem Sinne: Spendel, ZStW 65 (1953), 403 ff; Kissel/Mayer, § 193 Rn. 4; Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass abweichende Meinungen innerhalb eines Gerichts nicht mitgeteilt werden, findet sich in § 30 II S. 1 BVerfGG, der es den Richtern am Bundesverfassungsgericht ermöglicht, ihre in der Beratung vertretene Meinung gegebenenfalls in einem Sondervotum offen niederzulegen. In Folge dieser erst 1970 erfolgten Veränderung des BVerfGG wurde zunächst eine Schwächung der Autorität des höchsten Gerichts befürchtet. Dass dies nicht eingetreten ist, wird unter anderem damit begründet, dass die Offenlegung nur deutlich mache, dass die gerichtliche Entscheidung zwar für den zu entscheidenden Fall das letzte Wort spreche, aber nicht für die dahinter stehende Auslegung der Verfassung. In diesem Sinne: Geiger, FS Hirsch, S. 461; zustimmend: Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 51; Insgesamt ist jedoch das Institut des Sondervotums immer noch umstritten. Vgl. m. w. N. zum Streitstand: Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht, Rn. 51; Lechner/Zuck, § 30 Rn. 11. 455 Benz, Laienrichter, S. 83. 454
278
2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
Vielfach wird angenommen, dass die Laien- gegenüber den Berufsrichtern unterlegen seien. Dies wird damit begründet, dass zwischen beiden Gruppen ein Autoritätsgefälle herrsche, wie es zwischen Laien und Fachleuten typisch sei.456 In einem Erlebnisbericht eines Schöffen vom Anfang des letzten Jahrhunderts wird diesbezüglich beklagt: „daß der Schöffe durch die Autorität des Amtsrichters zu sehr, (…), beeinflußt wird und umgekehrt der Berufsrichter, (…) in der Regel dazu neigt, in dem Schöffen nur einen Strohmann zu erblicken“457. Neben den fehlenden Fachkenntnissen kann ein Unterlegenheitsgefühl der Schöffen auch durch einen unterschiedlichen Informationsstand bezüglich der Sachlage des Falles hervorgerufen werden458. Zwar haben in der Regel alle Richter der mündlichen Verhandlung beigewohnt, die Berufsrichter konnten sich jedoch schon vor der Hauptverhandlung durch Aktenstudium gedanklich näher mit dem Fall befassen.459 Die schon erwähnte empirische Untersuchung von Rennig zeigt in der Tat, dass sich Laien in der Beratung meist passiv verhalten und oft selbst nach direkter Aufforderung nicht zu aktiver Beteiligung zu bewegen sind.460 Einer von Klausa durchgeführten Befragung von Berufsrichtern zur Beteiligung von Laien in der Justiz zufolge geht die Passivität der Schöffen so weit, dass nur die Hälfte der Befragten den Laien überhaupt einen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens zugestand.461 Angenommen, die These von der Unterlegenheit der Laien gegenüber den Berufsrichtern würde zutreffen, dann könnten die Mehrheitsverhältnisse zumindest in den Schöffengerichten am Amtsgericht und den kleinen Strafkammern an den Landgerichten ein Korrektiv dazu darstellen. Diese Annahme liegt deswegen nahe, weil die Gruppenpsychologie von der These ausgeht, dass die Minderheit dazu neigt, ihre Ansicht der Mehrheitsmeinung anzupassen.462 Die Minderheit hat diese Tendenz insbesondere deshalb, weil psychologisch der Mehrheitsstandpunkt das Prestige der Wahrheit und Richtigkeit besitzt.463 Davon abweichend sind jedoch auch Minderheiten unter bestimmten Umständen in der Lage, die Mehrheit in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Minderheit gegenüber der Mehrheit einen Autoritätsvorsprung hat, wie dies zwischen Laien und Berufsrichtern der Fall ist.464 Ferner kommt eine Übernahme 456 Anonymus, Erlebnisse, S. 267; Spona, Laienbeteiligung, S. 119 f.; Zwiehoff, Einfluss, S. 37 f.; Arce, Evidence Evaluation, S. 573. 457 Anonymus, Erlebnisse, S. 267. 458 Spona, Laienbeteiligung, S. 119; Kemmer, Befangenheit, S. 168, 213; Damaška, 121 U. PA. L. REV, 505 (545). 459 Vgl. dazu bereits oben 2. Teil B. III. 2. a): Beteiligung im Vorfeld der Hauptverhandlung – Das Recht auf Vorinformation und Akteneinsicht. 460 Rennig, Entscheidungsfindung, S. 567 ff. 461 Klausa, Ehrenamtliche Richter, S. 76; zustimmend: Kühne, Laienkompetenz gegen Expertenkompetenz, S. 181. 462 Spona, Laienbeteiligung, S.123. 463 Moscovici, Sozialer Wandel, S. 21; Spona, Laienbeteiligung, S.123. 464 Spona, Laienbeteiligung, S.124; Rennig, Entscheidungsfindung, S. 570.
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
279
der Minderheitsmeinung eher in Betracht, wenn die Minderheit auf ihrem Standpunkt beharrt. Dadurch schafft die Minderheit einen Gegensatz zu dem sozialen Konsens über die Richtigkeit der Mehrheitsmeinung und erweckt so den Anschein eigener Sicherheit und Überzeugtheit.465 Es ist unschwer vorstellbar, dass der Berufsrichter auch vor dem Hintergrund seiner Ausbildung und Erfahrung die Schöffen durch sein selbstbewusstes Auftreten oftmals von seinem Standpunkt überzeugen kann. Unter den besonderen Bedingungen in den kollegial besetzten Laiengerichten verhilft somit auch ihre zahlenmäßige Überlegenheit den Laien an den Schöffengerichten nicht zu einer Gleichgewichtigkeit mit den Berufsrichtern. An den Strafkammern sind die Laien gegenüber den Juristen stets entweder in der Minderheit oder zahlenmäßig gleichstark. In diesen Spruchkörper können die Schöffen daher ohnehin kein zahlenmäßiges Übergewicht zur Geltung bringen. Die soeben vorgenommenen pessimistischen Beobachtungen zur Rolle der Schöffen in der Urteilsberatung lassen bisher den Umstand außer Betracht, dass den Beteiligten an der Urteilsberatung immerhin eine große Verantwortung als Richter gemeinsam ist. Es ist anzunehmen, dass das Bewusstsein einer gemeinsamen und schwerwiegenden Verantwortung geeignet ist, eine Atmosphäre gegenseitiger Achtung zu schaffen, die von dem Bemühen geprägt ist, den zu beurteilenden Fall einer gerechten Lösung zuzuführen. Der Umstand, dass dies in den bisher als Beleg genannten Untersuchungen keine Beachtung findet, ist damit erklärbar, dass sich ein gemeinsames Bewusstsein empirisch schwierig nachweisen lässt. Es sind jedoch Indizien erkennbar, die auf dessen Vorhandensein hinweisen. So hat beispielsweise ein von Rennig vorgenommener Vergleich der Einstellung von Berufsrichtern, Schöffen und der übrigen Bevölkerung zum Delikt des Ladendiebstahls erbracht, dass Schöffen und Berufsrichter einen ähnlichen Standpunkt dazu einnehmen, der von dem in der Bevölkerungsmehrheit abweicht.466 Diese Angleichung des Standpunkts lässt sich dahingehend deuten, dass zwischen Laienund Berufsrichtern ein gemeinsames Verständnis besteht, das auch für die Urteilsberatung prägend sein kann. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass dies nicht der Fall ist und der pessimistische Blick auf die Rolle der Laien zutrifft, bedeutet dies nicht von vornherein, dass die Laienmitwirkung bei der Beratung verzichtbar wäre. Eine qualitativ und quantitativ vergleichbare Mitwirkung aller Beratungsteilnehmer ist nämlich nicht in jedem Fall ein Kriterium für die Qualität eines Meinungsbildungsprozesses. Dies gilt insbesondere dann, wenn am Ende einer Beratung ein Ergebnis stehen soll, das einer Abstimmung bedarf, wie dies bei Urteilsberatun465
Spona, Laienbeteiligung, S.124. Spona, Laienbeteiligung, S. 118; Rennig, Entscheidungsfindung, S. 519 ff. stellt fest, dass Laienrichter ebenso wie Berufsjuristen, Ladendiebstähle für weniger problematisch halten als die übrige Bevölkerung und für eine differenzierte Reaktion darauf eintreten. – Eingehend zur Frage der Notwendigkeit einer strafrechtlicher Sanktionierung des Ladendiebstahls: Albrecht/ Hassemer/Voß, Rechtsgüterschutz, S. 55 ff. 466
280
2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
gen der Fall ist. Ausgehend von diesem Ansatz kann die Anwesenheit von Schöffen auch dann positive Wirkungen entfalten, wenn die Schöffen sich tatsächlich überwiegend zurückhalten würden. Schon aufgrund der bloßen Präsenz der Laienrichter werden nämlich die Berufsrichter gezwungen, sich zur Sache detailliert zu äußern und ihre Gedanken zur Beweiswürdigung und zu rechtlichen Problemen mündlich zu formulieren. Dabei müssen sie darauf achten, dass sich der Blickwinkel der Laien auf das Problem von ihrem eigenen unterscheidet, denn hinsichtlich juristischer Probleme ist das Blickfeld des Laien begrenzt – es wird sich in der Regel mehr auf die allgemeine Lebenserfahrung beziehen. Diesen Umstand müssen die Berufsrichter in ihre Argumentation mit einfließen lassen. Zudem müssen juristische Denkmuster, die für die beisitzenden Berufsrichter ohne weiteres verständlich sind, für die Schöffen in eine allgemein verständliche Gedankenführung übersetzt werden. Auf diese Weise durchläuft die Argumentation der Juristen einen kognitiven Filter, der ein Hinterfragen und Überprüfen der eigenen, juristisch geprägten Ansicht bewirken kann.467 Eine wichtige Rolle können die Schöffen auch in der Frage der Strafzumessung spielen.468 Diese ist für viele Schöffen auch die zentrale Frage im Strafprozess.469 Zwar ist aufgrund der Komplexität und Variabilität der möglichen Sanktionen auch bei der Strafzumessung zu erwarten, dass der Berufsrichter hier eine dominierende Position behält.470 Ein erheblicher Teil der Schöffen erlebt Entscheidungen, die von Berufsrichtern als rechtlich zwingend empfunden werden, als Widerspruch zum persönlichen Rechtsempfinden.471 In der von Klausa angestellten Befragung von Berufsrichtern finden sich Belege dafür, dass Laien sich häufig auf die menschliche Seite eines Falles konzentrieren würden472. Dies wurde von den befragten Berufsrichtern als Vorteil empfunden. Die Bilanz der soeben angestellten Überlegungen ergibt zwei Stärken der kollegialen Beratung. Zum einen ermöglicht es die notwendige Übersetzung der juristischen Argumentation in eine für Laien verständliche Sprache, die eigene Gedankenführung auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfen. Ferner können bei der Strafzumessung die Laien eigene Wertungen anbringen. Ideal gedacht kann auf diese Weise auf der Basis der gemeinsamen Verantwortung für ein gerechtes Urteil
467
In diesem Sinne auch: Benz, Laienrichter, S. 84. Gegen eine Beteiligung von Laien an der Strafzumessung: Anonymus, Erlebnisse, S. 289; Hier zeigt sich ein grundsätzlicher Unterschied zum englischen Strafverfahren, wo das Verfahren der Strafzumessung (sentencing procedure) allein dem Richter obliegt; vgl. zu Einzelheiten: Elliott/Quinn, English Legal System, S. 357 ff.; Thomas, Sentencing, S. 478; siehe eingehend dazu unten 3. Teil B. II. 1. c): Die Rolle der Laienrichter bei der Strafzumessung. 469 Benz, Laienrichter, S. 106; Klausa, Ehrenamtliche Richter, S. 65; so auch im Erfahrungsbericht einer Schöffin: Pfaffenberger-Hoffmann, S. 47. 470 So beispielsweise: Benz, Laienrichter, S. 96; Klausa, Ehrenamtliche Richter, S. 65. 471 Rennig, Entscheidungsfindung, S. 504 ff.; Anonymus, Erlebnisse, S. 272. 472 Klausa, Ehrenamtliche Richter, S. 63. 468
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
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im Sinne der identischen Verpflichtung aus dem Eid „der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen“ ein Ergebnis auf der Basis gleichberechtigter Beratung erzielt werden. Wenigstens aber können die Schöffen ein (passives) Korrektiv für den Standpunkt der Berufsrichter sein.473
b) Entscheidungsquoren und Abstimmung Am Ende der Entscheidungsberatung steht die Abstimmung über das Urteil, das die Tat in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bewertet.474 Die Gleichstellung der Laien- mit den Berufsrichtern kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Schöffen gem. § 30 I GVG bei allen Entscheidungen des Gerichts dasselbe Stimmrecht wie die Berufsrichter haben. Sowohl Berufsrichter als auch Schöffen sind durch § 195 GVG zur Abstimmung verpflichtet. Die Normierung dieser Pflicht soll verhindern, dass sich ein Richter aus Ärger über eine Niederlage in einer Abstimmung der weiteren Zusammenarbeit verweigert.475 Einstimmigkeit muss bei der Abstimmung nicht hergestellt werden.476 Diese Regelung hat zur Folge, dass der Urteilsverfasser möglicherweise ein Urteil begründen muss, welches er für falsch erachtet.477 Im Einzelfall kann dies problematisch sein. Dieses Problem betrifft jedoch alle Kollegialgerichte. Formal ist der Ablauf der Stimmabgabe in § 197 GVG normiert. Interessant ist, dass die Schöffen stets vor den Berufsrichtern votieren.478 Der Gesetzgeber wollte durch diese Festlegung offenbar der Möglichkeit einer Beeinflussung des Stimmverhaltens der Laien durch ihre juristisch geschulten Kollegen vorbeugen.479 Es ist jedoch fraglich, ob diese Regelung zum Zeitpunkt der Abstimmung noch einen praktischen Nutzen hat. Zu einer Beeinflussung der Laienrichter kann es nämlich, wie oben geschildert, bereits während der Beratung kommen. Dort liegt der Schwerpunkt der Kommunikation zwischen Berufs- und Laienrichtern. Demgegenüber wiegt die Hürde, sich bei einer Abstimmung gegebenenfalls gegen den Vorredner aussprechen zu müssen, weniger schwer. Es ist außerdem wenig plausibel anzunehmen, dass eine Entscheidung erst bei der Abstimmung getroffen wird. Daher ist die Regelung des § 197 S. 2 GVG von eher geringem Nutzen.
473 Vgl. auch: Benz, Laienrichter, S. 108; Schorn, Laienrichter, S. 3; Böttges, Laienbeteiligung, S. 105. 474 Meyer-Goßner, § 264 StPO Rn. 9 f. 475 RGSt 59, 84; Seibert, MDR 1957, 597; Benz, Laienrichter, S. 85. 476 Vgl. § 263 StPO. 477 In derartigen Fällen kann es gerechtfertigt sein, das Stimmverhältnis im Urteil mit anzugeben; vgl. Meyer-Goßner/App, Urteile in Strafsachen, Rn. 629; Benz, Laienrichter, S. 85; eingehend dazu auch sogleich 2. Teil III. 3. c): Die schriftliche Absetzung des Urteils. 478 Vgl. § 197 S. 2 GVG. 479 Benz, Laienrichter, S. 85.
282
2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
Hinsichtlich der zur Beschlussfassung notwendigen Stimmenanzahl gilt im Grundsatz § 196 I GVG, nach dem Entscheidungen mit der absoluten Mehrheit der Stimmen getroffen werden. Entscheidungen, die für den Angeklagten nachteilig sind, erfordern jedoch gem. § 263 I StPO eine Zweidrittelmehrheit. Für das Schöffengericht und die kleinen Strafkammern an den Landgerichten, folgt aus dieser Regelung ein großer Einfluss der Laien. Wegen der Besetzung dieser Gerichte mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen wird sowohl die absolute als auch die Zweidrittelmehrheit von den Schöffen repräsentiert. Die Schöffen können demgemäß in jeder Lage des Verfahrens gegen die Meinung des Berufsrichters entscheiden. Anders ist die Lage beim erweiterten Schöffengericht und den großen Strafkammern. Dort kommt es aufgrund der gleichen Anzahl von Berufs- und Laienrichtern bei allen Entscheidungen nach § 196 I GVG im Fall der Stimmengleichheit auf den Stichentscheid des Vorsitzenden an.480 Daher können die Schöffen einen Freispruch des Angeklagten durch die Berufsrichter nicht verhindern. Demgegenüber besitzen die Schöffen eine Sperrminorität zugunsten des Angeklagten bei den für den Angeklagten nachteiligen Entscheidungen nach § 263 I StPO, weil für alle Beschlüsse nach § 263 StPO mindestens ein Schöffe mit den Berufsrichtern stimmen muss. Damit wird rechtlich auf die Integration der Laienrichter hingewirkt, weil eine Zweidrittelmehrheit immer die Zustimmung mindestens eines Laien voraussetzt.481
c) Die schriftliche Absetzung des Urteils Wie sich aus § 30 I (ggf. i. V. m. § 77 I GVG) und § 260 I StPO ergibt , endet die Beteiligung der Schöffen an einem Strafverfahren mit der Urteilsverkündung. Aus diesem Grund bleibt die schriftliche Absetzung des Urteils den Berufsrichtern vorbehalten. Es bedarf zudem nicht der Unterschrift der Schöffen unter dem Urteil, obwohl sie unterschreiben dürfen.482 Den Berufsrichtern eröffnet sich dadurch die tatsächliche Möglichkeit, das Urteil durch Einfügung nachträglicher Überlegungen revisionssicher zu machen. Diese Praxis ist rechtswidrig, weil die schriftlich niedergelegten Urteilsgründe mit den beratenen und eröffneten Gründen identisch sein müssen.483 Obwohl die Schöffen aufgrund ihres gleichberechtigten Richteramtes dieselbe Verantwortung für das Urteil tragen wie die Berufsrichter, ist die Einhaltung des Identitätsgebo-
480
Vgl. § 196 IV GVG. Rüping, JR 1976, 269 (272). 482 Vgl. § 275 II 3 StPO; Peters, FS v. Weber, S. 376; Meyer-Goßner/Appl, Urteile in Strafsachen, Rn. 804. 483 BGHSt 26, 247 (248); BGHSt 31, 212 (213); Hillenkamp, FS Kaiser, S. 1437; Sarstedt, JZ 1965, 238 (240); Peters, FS v. Weber, S. 376 f. 481
B. Laienbeteiligung an deutschen Strafgerichten
283
tes durch Letztere auf diese Weise der Kontrolle durch die Schöffen entzogen.484 Die Urteilsbegründung gibt dem Berufsrichter auch die Möglichkeit anzudeuten, dass er von den Schöffen überstimmt wurde, oder eine Begründung bewusst so zu formulieren, dass sie angreifbar wird.485 Damit mag die Hoffnung verbunden sein, dass das entsprechende Urteil in der Revisionsinstanz aufgehoben wird. Über die Urteilsbegründung können Berufsrichter somit die Ansicht der Schöffen zwar nicht negieren, sie können sie allerdings angreifbar und damit unsicher machen.486
4. Zusammenfassung Die vorstehende Auseinandersetzung mit der Position der Laienrichter im gerichtlichen Verfahren lässt sich folgendermaßen resümieren: Die verfahrensrechtliche Einkleidung der Rechte und Pflichten der Laienrichter ist zum einen geprägt von dem aufgestellten Grundsatz der Gleichberechtigung mit den Berufsrichtern. Zum anderen existieren von diesem Grundsatz abweichend eine Reihe von Ausnahmen. Dieses Regel – Ausnahme Verhältnis führt im Ergebnis zu einer unterlegenen Position der Laienrichter. Teilweise ist dies berechtigt, wie bei der Beschränkung der Laienmitwirkung in der Hauptverhandlung. Teilweise führt es jedoch, wie die Verweigerung der Akteneinsicht zeigt, zu einer unangemessenen Benachteiligung der Schöffen. Es gibt folglich bereits de lege lata ein Gefälle zwischen Juristen und Laien im Richteramt hinsichtlich ihrer Befugnisse im Verfahren. Diese Tendenz wird dadurch noch verstärkt, dass die Gesetze von der Rechtsprechung in einer Weise ausgelegt werden, die einer Gleichberechtigung der Schöffen nicht förderlich ist. Dies wird besonders deutlich anhand der Argumentation, die den Schöffen im Vorfeld der Hauptverhandlung die Einsicht in die Akten verwehrt. Das gleiche gilt für die Praxis der Verweigerung einer Mitwirkung an Haftentscheidungen. Sie ist zwar aus praktischen Erwägungen verständlich, erweckt jedoch den Eindruck einer Diskriminierung der Schöffen. Schließlich würde auch eine Entscheidung für die grundsätzliche Beteiligung des gesamten Spruchkörpers das Problem einer Manipulation der Gerichtsbesetzung lösen. Die in dieser Argumentation zum Ausdruck kommende kritische Haltung der berufsrichterlich geprägten deutschen Rechtsprechungspraxis zu Laienrichtern lässt sich historisch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Seit dieser Zeit manifestiert sich eine von Misstrauen gegenüber Laienrichtern geprägte Grundhaltung in der deutschen Justiz immer wieder in höchstrichterlichen
484
Linkenkeil, Laienbeteiligung, S. 160. In diesem Sinne: Rennig, Influence, S. 492 ff. 486 Vgl. dazu: Rennig, Influence, S. 494; anhand einer Beispiels auch zustimmend: Zwiehoff, Einfluss, S. 40 ff. 485
284
2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
Entscheidungen. Beispielsweise begründete das Reichsgericht seine Annahme, dass eine kurzzeitige geistige Abwesenheit eines Schöffen keinen Besetzungsmangel begründen könne, mit Zweifeln daran, ob Laienrichter langen und schwierigen Erörterungen in demselben Maß wie Berufsrichter folgen könnten.487 Ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis der Berufsrichter zu den Schöffen wirft weiterhin die widersprüchliche Haltung der Rechtsprechung zum Recht auf Akteneinsicht gegenüber Laienrichtern. Kennzeichnend für die praktische Ausübung des Schöffenamtes ist eine Passivität der Schöffen, wie sie bei der Fragestellung und in der Urteilsberatung zutage tritt. Die Zurückhaltung der Schöffen kann mit einem Gefühl der Unterlegenheit gegenüber den Berufsrichtern begründet werden. Das Unterlegenheitsgefühl speist sich aus zwei Ursachen. Zu dem psychologischen Moment des Unterschieds zwischen Laien und Fachleuten kommen ungleiche Rahmenbedingungen. Diese Defizite werden jedoch aufgewogen durch die positiven Effekte, die eine kompromissorientierte und integrative Beratung zwischen Laien und Juristen besonders auch für die Frage der Strafzumessung haben kann.
C. Zusammenfassung C. Zusammenfassung
Die folgende Zusammenfassung der im zweiten Teil dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse beginnt mit einer Gegenüberstellung der rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen der Laienbeteiligung in Schöffen- bzw. Geschworenengerichten in Deutschland und England zum Zwecke einer vergleichenden Standortbestimmung dieser beiden Institutionen innerhalb der deutschen und der englischen Rechtsordnung. Die Gegenüberstellung vergleicht beide Systeme unter drei Gesichtspunkten. An erster Stelle steht das Verfassungsrecht als ein Maßstab für die Verankerung der Laienbeteiligung in dem jeweiligen Rechtssystem. Im Anschluss daran wird die einfach gesetzlich ausgestaltete Rechtsstellung der Laien in den beiden Systemen der Gerichtsbarkeit verglichen. In diesem Kapitel geht es ferner darum aufzuzeigen, welche prägenden Merkmale des separativen wie auch des kooperativen Modells der Laienbeteiligung sich in den beiden betrachteten Verfahrensordnungen zeigen. Auch die Unterschiede bei Arbeitsbelastung und Amtszeit können dabei bedeutsam für den Stellenwert der Laienbeteiligung sein. Dieser konkreten
487 Vgl. RG, JW 1932, 2888 Nr. 35; Krit. dazu auch Rüping, JR 1976, 269 (272); In der Kernfrage, welcher Zeitraum geistiger Abwesenheit einen Besetzungsmangel zur Folge hat, macht die Rechtsprechung keinen Unterschied zwischen Berufs- und Laienrichtern. Beide müssen während eines nicht unerheblichen Zeitraumes geistig abwesend sein, so dass sie den Vorgängen in der Hauptverhandlung nicht mehr folgen können; vgl. RGSt 60, 63 (64); BGHSt 2, 14 (15); BGHSt 11, 73 (77); BGH, NStZ 1982, 41; Rüping, JR 1976, 269 (272); Hillenkamp, FS Kaiser, S. 1442.
C. Zusammenfassung
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Auswirkung des Konzeptes der Laienbeteiligung ist das dritte Kapitel dieses Abschnitts gewidmet.
I. Verfassungsrecht und rechtshistorische Verankerung Weder in Deutschland noch in England ist ein Recht auf ein Strafverfahren unter der Beteiligung von Laien ausdrücklich in der Verfassung verbrieft.488 Eine von dieser allgemeinen Feststellung abweichende Perspektive eröffnet sich indessen, wenn man den Boden des Verfassungsrechts verlässt und die tatsächliche Geltung berücksichtigt, welche die Laienbeteiligung im Gefüge der englischen bzw. deutschen Rechtsordnung jeweils besitzt. Über die politische Durchsetzbarkeit von Veränderungen am Status Quo der Laienbeteiligung muss hier nicht spekuliert werden. Ein Indiz für den jeweiligen Stellenwert der Laienbeteiligung liefert bereits ein Blick in die Geschichte. In Deutschland konnte das Geschworenengericht in seiner 1879 mit den Reichsjustizgesetzen eingeführten Form im Jahr 1924 im Wege der Rechtsverordnung abgeschafft werden, ohne dass dies zu Protesten oder Schwierigkeiten bei der Fortführung gerichtlicher Verfahren führte489. Demgegenüber widerstand im 17. Jahrhundert in England eine Koalition aus Juristen und Bürgern der Abschaffung der Geschworenengerichte durch die Tudor- und Stuart-Könige490. Zwar lässt sich argumentieren, dass der Widerstand im 17. Jahrhundert auch darauf beruhte, dass seinereit in England, anders als 1924 in Deutschland, kein gut funktionierendes Strafverfahren alternativ praktiziert wurde. Allerdings gab es seinerzeit in England durchaus die Alternative, Gerichte nach dem Modell der Star Chamber zu errichten. Dass dies nicht geschah, lässt sich letztlich nur damit erklären, dass Laienbeteiligung in England die tiefer reichenden Wurzeln hat. Eine Veränderung bei der Laienbeteiligung scheint daher in England grundsätzlich weniger wahrscheinlich als in Deutschland. Einer Abschaffung des trial by jury steht zudem die traditionelle Zurückhaltung des englischen Parlaments gegenüber althergebrachten Rechtsinstituten als Ausgleich für das Fehlen einer Verfassung entgegen.491 Eine derartige Tradition gibt es in Deutschland nicht. Trotz vergleichbarer verfassungsrechtlicher Ausgangslagen liegen folglich die Realitäten in England und Wales einerseits und in Deutschland andererseits weit auseinander.
488 Vgl. für das deutsche Recht: BVerfGE 42, 206 (208); BVerfGE 48, 300 (317); ausführlich zu der Situation in England oben 2. Teil A. I. 1.: Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte und Verankerung in der Rechtstradition. 489 Eingehender dazu 1. Teil B. V. 4. b): Die Abschaffung der Schwurgerichte. 490 Vgl. oben 1. Teil A. III. 4.: Der Streit über die Rolle der Jury. 491 Grove, Juryman’s Tale, S. 202.
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2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
II. Die Stellung der Laien im System der Gerichtsverfassung – prägende Merkmale des separativen und des kollegialen Modells der Laienbeteiligung Eine obere Grenze der Strafgewalt für die Schöffen bzw. die Jury existiert weder im deutschen noch im englischen Recht. Für Deutschland wie für England gilt, dass die Beteiligung von Schöffen bzw. von Geschworenen nur einen kleinen Ausschnitt der Strafgerichtsbarkeit betrifft. In Bezug auf England ist dieser Befund mit einem Anteil der Verfahren vor einer Jury von nur etwa 1 % aller Strafprozesse492 am deutlichsten. In Deutschland ist der Zuständigkeitsbereich der mit Schöffen besetzten Gerichte größer. Hier wurden rund 18 % aller im Jahre 2004 an den Amtsund Landgerichten erledigten Verfahren von Spruchkörpern entschieden, an denen Laien beteiligt waren. Die übrigen 82 % der Strafverfahren wurden durch den Strafrichter bzw. den Jugendrichter entschieden.493 Auch in Deutschland ist der Anteil der Laien im Gerichtsbetrieb somit verhältnismäßig gering. Sowohl das deutsche als auch das englische Rechtssystem begrenzen die Beteiligung von Schöffen und Geschworenen instanziell auf solche Verfahren, in denen es auch um Verdachtsklärung durch Tatsachenfeststellung geht. In Bezug auf England und Wales leitet sich diese Beschränkung daraus ab, dass die Jury niemals nur für eine Entscheidung in einer Rechtsfrage zuständig ist. Zwar entscheidet die Jury in ihrem Schuldurteil auch in rechtlichen Kategorien, dies jedoch nur in Verbindung mit der Feststellung der Tatfrage494. Ist die Tatfrage bereits entschieden, weil der Angeklagte beispielsweise geständig ist, so ist in das Verfahren keine Jury einbezogen. Die Beantwortung rein rechtlicher Fragestellungen ist daher niemals Sache der Geschworenen. – In Deutschland, wo die Beteiligung der Schöffen nicht auf Tatsachenfeststellung beschränkt ist, sondern die Schöffen mit den Berufsrichtern kollegial über die Tat- und die Rechtsfrage entscheiden, ist der Grund für die Beschränkung auf die Mitwirkung in den Tatsacheninstanzen weniger offensichtlich.495 Die Beschränkung lässt sich jedoch damit erklären, dass im revisionsgerichtlichen Verfahren keine Tatsachenfeststellung mehr stattfindet, vgl. §§ 337 I; 354 I StPO, und die Schöffen somit durch die, in der Revision vorzunehmende, rechtliche Würdigung überfordert wären. Dies zeigt, dass auch im deutschen System der Schwerpunkt der Laienbeteiligung bei der Tatsachenfeststellung gesehen wird. Begrenzt ist in den beiden untersuchten Rechtssystemen auch der Umfang der Beteiligung der Laien in sachlicher Hinsicht. Insbesondere werden Laien weder in 492
White, Structure and Organisation, S. 13; Elliott/Quinn, English Legal System, S. 178. Die der Berechnung zugrunde liegenden Zahlen wurden entnommen aus: Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Strafgerichte, Fachserie 10/Reihe 2.3, S. 22, 60, 80. 494 Ausführlich zum Inhalt des Schuldurteils bereits oben 2. Teil A. VI.: Das Schuldurteil der Jury (verdict). 495 So die Beobachtung von: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 209 f.; Volk, FS Dünnebier, S. 379 m. w. N. 493
C. Zusammenfassung
287
Deutschland noch in England im Vorverfahren herangezogen. In beiden Rechtsordnungen treffen daher die Laienrichter ohne vorherige Befassung auf den zu entscheidenden Fall. Ausgeschlossen sind die Laien auch bei Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung getroffen werden. In England ist der Umfang der sachlichen Beteiligung sogar noch weiter eingeschränkt, da die Geschworenen nicht über das Strafmaß mitentscheiden dürfen. Die augenfälligsten Unterschiede zeigen sich in der Rolle, welche die Laien im Rahmen der Hauptverhandlung spielen bzw. wie dort ihre formale Stellung rechtlich gestaltet ist. Nach deutschem Recht genießen die Laienrichter innerhalb der Hauptverhandlung dieselben Rechte wie die Berufsrichter. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Fragerechts, das die Schöffen fast einschränkungslos genießen. Sie können somit wenigstens theoretisch den Gang der Hauptverhandlung aktiv mitgestalten. Zudem nehmen sie gemeinsam mit den Berufsrichtern auf der Richterbank Platz, wodurch ihre gleichberechtigte Stellung nochmals unterstrichen wird. Anders ist die Situation in England, wo die unterschiedlichen Aufgabenbereiche des Berufsrichters und der Geschworenen schon in der räumlich getrennten Sitzordnung zum Ausdruck kommen. Die englischen Geschworenen können ihr Fragerecht nur durch Vermittlung des Richters ausüben und sind auch im Übrigen auf eine nur neutal beobachtende und den Gang der Verhandlung passiv aufnehmende Rolle beschränkt. Die Passivität der Geschworenen muss dabei allerdings im Kontext mit der Stellung gesehen werden, die im adversatorischen Strafverfahren dem Richter überhaupt zukommt. Im Gegensatz zum reformierten Strafverfahren deutscher Prägung wird in England auch dem Berufsrichter, der einer Verhandlung vorsitzt, keine verfahrensgestaltende Funktion im eigentlichen Sinne eingeräumt. Er soll vielmehr wie ein Schiedsrichter über die Beachtung des Rechts und die Fairness der gerichtlichen Auseinandersetzung wachen. Beispielsweise bleibt daher in England auch die Vernehmung von Zeugen Sache der Parteien. Die Durchführung der Beweisaufnahme durch den Vorsitzenden (vgl. § 238 I StPO), wie in Deutschland, wäre aus englischer Sicht mit der Neutralität des Richters nicht zu vereinbaren. Aus diesem Blickwinkel ist die passive Rolle, welche die Jury in der Hauptverhandlung einnimmt, nur die Konsequenz aus dem englischen Verständnis von der Rolle des Richters überhaupt. An der Beratung über das Urteil nehmen in Deutschland die Berufs- und die Laienrichter gleichberechtigt teil. Sie haben unter der Leitung des Vorsitzenden gleiches Rederecht und ihre Stimmen haben in der Abstimmung denselben Zählwert (vgl. § 30 I GVG). Dagegen beraten in England die Geschworenen allein und streng von der Außenwelt abgeschirmt. Eine Anleitung durch Berufsrichter erfahren sie nur in dem der Beratung vorangehenden summing up und durch die Möglichkeit, dem Vorsitzenden während der Beratung Fragen zu übermitteln, welche dieser dann in Anwesenheit der Geschworenen und der übrigen Beteiligten des Strafverfahrens beantwortet. Gemeinsam ist der Urteilsberatung in Deutschland und England, dass ihr Ablauf und das Abstimmungsergebnis der Geheimhaltung unterliegen.
288
2. Teil: Vergleichende Betrachtung der laienrichterlichen Beteiligung
III. Amtszeit und Arbeitsbelastung In Deutschland ist die Heranziehung von Schöffen zu zwölf Sitzungstagen in einem gerichtlichen Geschäftsjahr gesetzliche Sollvorschrift.496 Eine als Juror in England geladene Person, muss sich gewöhnlich zwei Wochen zur Verfügung des Gerichts halten.497 Außerdem kennen beide Rechtsordnungen Mechanismen zur Verhinderung übermäßiger Arbeitsbelastung. In England werden beispielsweise vor einem umfangreichen Verfahren die potentiellen Juroren gefragt, ob ihnen die Teilnahme möglich ist.498 Ein Schöffe kann gem. § 52 II 1 GVG nach Teilnahme an vierundzwanzig Sitzungstagen eines Geschäftsjahres seine Streichung von der Schöffenliste erwirken. Der Unterschied bezüglich der Dienstzeiten scheint daher zunächst gering. Realistischerweise muss in diesem Vergleich jedoch die gesamte Amtszeit mit einbezogen werden. Eine Amtszeit umfasst für Schöffen gem. § 42 I 1 GVG vier gerichtliche Geschäftsjahre. Währenddessen dient ein Juror meist nur einmalig für zwei Wochen und hat zudem einen Anspruch auf Befreiung von der Verpflichtung (excusal as of right), wenn er innerhalb von zwei Jahren nach seinem letzten Dienst als Juror erneut dazu aufgefordert wird499. Ferner ist ein Schöffe gleichberechtigt in den Geschäftsverteilungsplan eines Gerichtes integriert, so dass er tatsächlich an jedem Sitzungstag auch an mindestens einer Verhandlung teilnimmt. Dagegen geschieht es in England aufgrund der Notwendigkeit, einen gewissen Geschworenenüberschuss vorzuladen, häufig, dass ein Juror zwar bei Gericht erscheint, aber an keiner Verhandlung teilnimmt. Ein deutscher Schöffe ist somit einer höheren Arbeitsbelastung ausgesetzt als ein englischer Juror. Im Gegenschluss bedeutet dies jedoch auch, dass in England die Last des Dienstes gleichmäßiger in der Bevölkerung verteilt ist und folglich weite Teile der Bevölkerung zum Geschworenenamt herangezogen werden können. Es ist nahe liegend, dass die geringe Bereitschaft zum Dienst als Schöffe in Deutschland auch mit der Arbeitsbelastung zusammenhängt. In England tauchen diesbezüglich weniger Probleme auf. Jedoch beruht dort die Heranziehung zum Dienst nicht wie größtenteils in Deutschland auf freiwillig abgegebenen Meldungen. Ein zwingender Rückschluss auf England lässt sich angesichts dieser Faktenlage somit schwerlich ziehen und verbietet sich daher an dieser Stelle.
496 497 498 499
Vgl. § 45 II 3 GVG. Auld, Review, Chapter 5 Rn. 221. Grove, Juryman’s Tale, S. 32. Vgl. Juries Act 1974, Section 8.
3. Teil
3
Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung 3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung Die rechtsvergleichende Betrachtung dieses dritten Teils der Arbeit baut auf den Ergebnissen der beiden vorstehenden Teile auf und hebt sie durch eine analytische Diskussion auf eine neue Erkenntnisebene. Dieser Teil übernimmt formal die Reihenfolge des bisherigen thematischen Vorgehens. Am Anfang steht demgemäß die Beschäftigung mit den Parallelen und Divergenzen in der englischen und deutschen Rechtsgeschichte der Laienbeteiligung. An zweiter Stelle folgt ein Vergleich des derzeit geltenden Rechts. Diese Reihenfolge bedeutet indes keine inhaltliche Wertung. Aspekte des Vergleichs der historischen Entwicklung sind auch im Rahmen des Rechtsvergleichs bedeutsam. Umgekehrt gilt dies genauso.
A. Historische Parallelen und Divergenzen zwischen der Entwicklung der Laienbeteiligung in England und Deutschland A. Historische Parallelen in England und Deutschland
Mit der hier vorzunehmenden Analyse historischer Parallelen und Divergenzen zwischen dem deutschen und dem englischen Recht der Laienbeteiligung wird der Versuch unternommen, aus historischen Vorgängen zu lernen und Schlüsse auf die Gegenwart und für die Zukunft zu ziehen. Der folgende Abschnitt soll zunächst die Ursachen von Parallelen oder gegenläufigen Prozessen in der historischen Entwicklung der Einbeziehung von Laien in Strafverfahren in England und Deutschland aufzeigen und deuten. Er führt damit die, in der Zusammenfassung des ersten Teils der vorliegenden Arbeit nebeneinander gestellten, wesentlichen Linen der Herausbildung der Laienbeteiligung einer anlalytischen Bewertung zu. Sein Ziel besteht in der Beantwortung der Fragen, warum sich in England und Deutschland unterschiedliche Formen der Laienbeteiligung entwickelten, welche Faktoren, Strömungen und Motive sich in beiden Rechtsordnungen für das jeweilige Modell als prägend erwiesen haben und wo es exklusive Ursachen für bestimmte Entwicklungen gab. Ferner soll der Frage nachgegangen werden, welche gegenseitigen Beeinflussungen im Verlauf der Geschichte festzustellen sind. Der Gegenwartsbezug wird schließlich hergestellt, wenn es um die Lehren geht, die aus der Historie bezüglich der Übertragbarkeit von Rechtsinstituten, wie beispielsweise der Einrichtung des Geschworenengerichts, zu ziehen sind.
290
3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
I. Entscheidende Ursachen der Entstehung unterschiedlicher Modelle von Laienbeteiligung Die Geschichte der Laienbeteiligung in England ist gekennzeichnet durch die seit dem 13. Jahrhundert ununterbrochene Kontinuität der Geschworenengerichte. Ein Charakteristikum des englischen Rechts ist seine Traditionsverbundenheit. Viele Erscheinungen lassen sich daher erst unter Einbeziehung der Kontinuität ihrer historischen Entwicklung verstehen und analysieren. Für die Entwicklung der Laienbeteiligung in Deutschland ist dagegen eine Vielzahl von Brüchen und unterschiedlichen Entwicklungslinien charakteristisch. Am Endpunkt des Weges steht das moderne Schöffengericht. Eine Kontinuität der Form der Laienbeteiligung an Strafverfahren, wie in der englischen Geschichte, ist in der deutschen nicht erkennbar. Das Schöffengericht in seiner heutigen Form verweist gleichwohl auf Wurzeln, die in der Geschichte der Laienbeteiligung an deutschen Strafverfahren insgesamt liegen. Die Entwicklung der rechtlichen Grundlagen der Laienbeteiligung kann in Deutschland und in England als Improvisation, als ein Tasten nach Lösungen in dem Bemühen um rationalere und effizientere Formen der Sachverhaltsaufklärung beschrieben werden. Systematische Überlegungen standen demgegenüber meist im Hintergrund.1 Bereits der Entwicklung der Jury lag kein fester Plan zugrunde. Sie ist im Kontext seinerzeit bestehender Institutionen und Traditionen zu sehen und stellt sich somit nicht als Produkt eines bewussten Schöpfungsaktes dar. Die Beurteilung der Schuldfrage durch eine Jury – anfangs nur ein Verfahren unter vielen – erwies sich als den anderen Methoden überlegen und wurde daher als universelle Form der Entscheidung übernommen. Ähnliches Experimentieren lässt sich auch in Deutschland nachweisen. Dort war die Abschaffung der Laienbeteiligung nicht identisch mit der Einführung des Inquisitionsverfahrens, sondern ergab sich erst im Laufe der Zeit, als der Reifeprozess des Inquisitionsverfahrens abgeschlossen war. Auch bei der Frage der Laienbeteiligung in Deutschland im 19. Jahrhundert waren ein zögerndes Vorgehen und ein Ausprobieren verschiedener Möglichkeiten zu beobachten. Über die rheinischen Schwurgerichte nach französischem Vorbild und die Schwurgerichte nach dem GVG (1877) wurde schließlich zu den Schöffengerichten gefunden. Eine weitere prägende Triebkraft für die Ausformung der Laienbeteiligung war politischer Gestaltungswille. Laienbeteiligung war stets politisch und ideologisch von großer Relevanz. Zum einen produzierte die Teilhabe von Laien als „systemfremden“ Personen an einem hoheitlichen Prozess ständig Konflikte, weil sich an diesem Punkt die Ansprüche von Herrschenden und Beherrschten kreuzten. Zum anderen war die Laienbeteiligung immer auch eine Form von Beteiligung 1
Glendon/Gordon/Carozza, Legal Traditions, S. 154.
A. Historische Parallelen in England und Deutschland
291
an der Macht. Dieser Umstand zeigt sich an verschiedenen Stellen der historischen Entwicklung. Beispielsweise trug die Berufung auf eine gesetzgebende Funktion der Juries durch die Leveller2 und Quäker3 maßgeblich zur Stärkung der Jury im englischen Strafprozess des 16. und 17. Jahrhunderts bei. In die gleiche Zeit fällt auch der Höhepunkt der Versuche des englischen Absolutismus, politisch auf die Jury Einfluss zu nehmen. Diese Auseinandersetzung war der Beginn des Ringens um das Profil der Jury als richtendes Organ, das seinen vorläufigen Abschluss in der Eindämmung der jury mitigation im 19. Jahrhundert fand. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass es ungenau wäre, die bürgerlichen Schichten als ausschließliche Förderer der Jury zu betrachten. Schließlich wurde die Beschneidung des Einflusses der Geschworenen zugunsten einer engeren Bindung an die Buchstaben des Gesetzes wesentlich durch das Bürgertum vorangetrieben. Ein ähnliches Abrücken des Bürgertums von einer zunächst in Bezug auf die Laienbeteiligung eingenommenen Position war auch in Deutschland zu beobachten. Dort wendete sich die liberale Partei schließlich von der Forderung nach Geschworenengerichten ab, die lange Zeit einer ihrer rechtspolitischen Hauptforderungen gewesen war, und favorisierte die Schöffengerichte. Die Idee der Laienbeteiligung stand im Laufe der Geschichte grundsätzlich zwar ideologisch dem Bürgertum nahe, ihre Ausgestaltung wurde dadurch jedoch nicht determiniert, sondern war stets an konkreten politischen und wirtschaftlichen Interessen orientiert. Das Modell der Laienbeteiligung wurde auch von juristischen Faktoren geformt. Ein Beispiel dafür ist die Hinwendung zum römischen Recht in Deutschland, durch die der Einfluss der Laienschöffen eingeschränkt wurde. Ein weiterer Beleg für das Wirken juristischer Einflüsse ist die Eindämmung der Idee des Ermessensspielraumes der Jury im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Darin manifestierte sich eine gewandelte Einstellung zum Zweck des Strafrechts im Anschluss an die Gedanken Beccarias, Blackstones und Romillys, die zu veränderten Strafen und der Forderung nach Rechtssicherheit führte4. Auch die Abkehr vom Inquisitionsprozess und die Hinwendung zum reformierten Strafprozess in Deutschland kann als ein Prozess begriffen werden, der von einem rechtswissenschaftlichen Diskurs maßgeblich geprägt wurde. Für die Ausbildung der spezifischen Formen der Laienbeteiligung lassen sich ferner gesellschaftliche und soziale Ursachen nachweisen. Gesellschaftliche Umbrüche gaben häufig Anlass, nach neuen Methoden der Streitbeilegung und Rechtsfindung zu suchen. Dieses Phänomen konnte in Deutschland wie auch in England bei der Rationalisierung der Erkenntnismethoden am Beginn des Mittelalters beobachtet werden. Bis dahin konnte wegen der wenig mobilen, von starkem Fa2 3 4
Siehe dazu vorstehend 1. Teil A. III. 4. a) aa): Die Sichtweise der Leveller. Vgl. vorstehend 1. Teil III. A. 4. a) bb): Die Quäker und die Jury. Vgl. dazu oben 1. Teil A. V. 1.: Kritik am Ermessensspielraum von Juries.
292
3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
milienzusammenhalt bestimmten Gesellschaften ein System funktionieren, das den Ausgang eines Strafprozesses von einem Reinigungseid oder einem Gottesurteil abhängig machte. Als sich diese dicht verwobenen Gesellschaften aufzulösen begannen, entstand die Gefahr, dass Verbrecher die Möglichkeiten einer einfachen Reinigung von einem Vorwurf nutzten und entkamen, ohne dass dies durch das Regulativ der Gemeinschaft verhindert werden konnte. In Deutschland brachte die sich daraus ergebende Notwendigkeit einer Veränderung des Strafverfahrens ab dem 13. Jahrhundert eine Formalisierung und Verrechtlichung des Verfahrens mit sich, was letztlich im Inquisitionsprozess mündete. In England bestand die Antwort auf die neuen Fragen in der Etablierung des trial by jury. Später war in England das Auseinanderbrechen der feudalen Ordnung nach Kriegen und Pestkatastrophen zu Anfang des 14. Jahrhunderts Auslöser des Wandels von der self-informing-Jury zur non-self-informing-Jury.5 Für die heutige Zeit bleibt nach diesen Beobachtungen die interessante Frage, welches Resultat die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen unter den Bedingungen der Globalisierung und Individualisierung innerhalb der Gesellschaft hinsichtlich der Laienbeteiligung haben werden. Migrationsbewegungen in der globalisierten Welt haben nämlich zur Folge, dass häufiger Taten von Angeklagten verschiedener Herkunft und damit auch mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund gewürdigt werden müssen. Dies bringt zum einen das Problem rassistischer Vorurteile mit sich. Dieser Umstand wird in England unter dem Stichwort einer ethnisch ausgewogenen Zusammensetzung der Jury auch bereits diskutiert. Zum anderen kann der kulturelle Hintergrund eines Täters auch bei der Frage nach seinen Beweggründen für die Tat und damit für das individuelle Maß des Vorwurfs, der dem Täter für eine bestimmte Tat zu machen ist (vgl. § 46 II 2 StGB), eine Rolle spielen. Die historische Entwicklung der Laienbeteiligung in Strafverfahren kann nach diesen Überlegungen weder in England noch in Deutschland als Ergebnis von einzeln stehenden Prozessen angesehen werden. Es konnte ferner gezeigt werden, dass die Ursachen der Entstehung von unterschiedlichen rechtlichen Konzepten häufig auch zeitlich parallel in England und Deutschland abliefen. Umso erstaunlicher ist auf den ersten Blick die Verschiedenartigkeit der Ergebnisse. Dadurch wird deutlich, dass die genannten Mechanismen nur äußerliche Einkleidungen für die Dynamik der konkreten Umstände in dem jeweiligen Land sind. Die wahren Ursachen für eine bestimmte Ausgestaltung rechtlicher Institute müssen daher in den besonderen Bedingungen im Ursprungsland des jeweiligen Instituts und damit tiefer liegen.
5
Carter, Legal Institutions, S. 218; Williams, Proof of Guilt, S. 5; Hostettler, Jury Old and New, S. 41; vgl. zu Krieg und Pest als Katalysatoren der Rechtsentwicklung im 14. Jahrhundert: Musson/Ormond, Evolution, S. 3.
A. Historische Parallelen in England und Deutschland
293
II. Zur Geschichte der gegenseitigen Rezeption von englischem und deutschem Recht Bevor im Anschluss an das folgende Kapitel diese Ursachen in den Blick genommen werden, sollen hier zunächst historische Berührungspunkte und gegenseitige Beeinflussungen zwischen dem deutschen und englischen Rechtssystem dargestellt werden. Damit soll untersucht werden, ob und inwieweit der Transfer rechtlicher Konzepte im Zusammenhang mit Laienbeteiligung an Strafverfahren möglich und erfolgreich war. Die ersten beiden Abschnitte konzentrieren sich thematisch auf die wechselseitige Übertragung von theoretischen Grundideen der Verwirklichung von Laienbeteiligung. Konkret geht es um die Bedeutung des englischen Rechts als Motiv in der Debatte um die Laienbeteiligung in Deutschland und Einflüsse des deutschen Rechts auf England. Der letzte Abschnitt befasst sich sodann mit Versuchen der Übernahme von fremden Rechtskonzepten in die eigene Rechtsordnung.
1. Die Bedeutung des englischen Rechts als Motiv in der Debatte um die Laienbeteiligung in Deutschland Im 18. Jahrhundert war es für Englandreisende häufig zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Reise geworden, eine Verhandlung vor einem Geschworenengericht zu besuchen.6 Solche Besuche müssen beeindruckende Erlebnisse gewesen sein, denn die Gerichtsverfahren jener Zeit waren gewissermaßen gesellschaftliche Höhepunkte.7 Zu den zwei Mal im Jahr stattfindenden Assizen und den vierteljährlich abgehaltenen Quarter Sessions versammelte sich die gesamte Bevölkerung der Umgebung als Zuschauer oder als Geschworene. Die Sitzungen der Gerichte waren begleitet von feierlichen Zeremonien, welche die Erhabenheit und Bedeutung des Rechts unterstreichen sollten. Die Reisenden vom Kontinent nahmen von ihrem Besuch den oberflächlichen Eindruck mit, die Jury und der Richter wären gleichberechtigt handelnde Akteure. In der Wahrnehmung der „Gerichtstouristen“ handelte die Jury hinsichtlich ihrer Entscheidungen eigenständig und konnte dadurch den Einfluss der Berufsrichterschaft neutralisieren. Dieser Aspekt wurde besonders von Montesquieu hervorgehoben, für den die Judikative im Unterschied zu den beiden anderen Gewalten „in gewisser Weise Null“ – „en quelque façon nulle“8 sein sollte. Mit seinem Lob der englischen Geschworenengerichte lenkte Montesquieu die Aufmerksamkeit des Kontinents auf das englische Strafverfahren. Auf diese Weise prägte er den Konnex zwischen Jury
6 7 8
Green, Law-Finding Traditions, S. 51. Zu Einzelheiten vgl.: Beattie, Crime and Courts, S. 316 ff. Vgl. Wesel, Geschichte, Rn. 267; Küper, Richteridee, S. 47.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
und konstitutionellem Staat, der für die Diskussion im 19. Jahrhundert so wichtig wurde9. Die Verbindung der Jury zum Konstitutionalismus war es auch, die das Modell der englischen Laienbeteiligung für die Philosophen der Aufklärung in Frankreich und Deutschland und die liberalen Kräfte auf dem Kontinent attraktiv machte.10 Im Vergleich mit den eigenen politischen Systemen und Rechtsordnungen erschienen die englischen Verhältnisse unter Ausblendung ihrer Defizite geradezu paradiesisch und wurden als Blaupause für eigene Veränderungswünsche genutzt. Neben den Wunsch nach gesellschaftlichen Veränderungen traten Bestrebungen zur Reformierung des Inquisitionsprozesses. Die Beteiligung von Laien als Geschworene wurde dabei als Garant für die Forderungen nach Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens angesehen. Das Geschworenengericht stand bald als Synonym für diese neuen Entwürfe. Mit der Laienbeteiligung wurde auch die Idee eines volkstümlichen Verfahrens als Gegenentwurf zur Dominanz von Berufsjuristen verbunden, weil sie für die Wiederaufnahme der mittelalterlichen Zweiteilung zwischen Richter und Urteilsfinder stand, die als erstrebenswerter Urzustand des Rechts gesehen wurde.11 Rückblickend erweist sich die Glorifizierung des englischen Verfahrens allerdings als übertrieben. Der feierliche äußere Rahmen verbarg, dass das eigentliche Prozessrecht immer noch wenig ausgereift war, weil es in weiten Teilen aus dem Ermessen der Beteiligten und der ad hoc Adaption an die Gegebenheiten des Einzelfalles bestand. Auch verschleierte die äußerliche Unabhängigkeit der Geschworenen die vielfältigen subtilen Mechanismen der Einflussnahme durch den Richter genauso wie ihre Instrumentalisierung in politischen Auseinandersetzungen. Freilich blieb der Einfluss des englischen Rechts in Deutschland bei aller Begeisterung letztlich auf die Vorgabe von Leitgedanken beschränkt. Zwar befassten sich im 18. und besonders im 19. Jahrhundert viele Schriften in Deutschland mit den Vor- und Nachteilen des englischen Schwurgerichtssystems als Vorbild für eine mögliche deutsche Lösung. Auch sprachen sich namhafte Rechtsgelehrte wie Feuerbach, Gneist und Mittermaier dafür aus, die deutsche Form der Laienbeteiligung auf englische anstelle der französischen Verfahrensprinzipien zu gründen.12 Ihre Stimmen fanden jedoch kein Gehör, als es nach der Revolution von 1848 an die Gestaltung der deutschen Geschworenengerichte ging.13 9
Siehe dazu schon oben 1. Teil B. IV. 1. a) aa): Schwurgerichte in Montesquieus staatsrechtlichen Vorstellungen. 10 Grünhut, J.COMP.LEG. 1938, 165 (167). 11 Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 40. 12 Vgl. dazu die Nachweise bei: Grünhut, FS v. Weber, S. 344; Kern, Geschichte, S. 75; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 61 f. 13 Vgl. zu den Gründen dafür oben: 1. Teil B. V. 1. b): Schwurgerichte in den einzelnen deutschen Staaten ab 1849.
A. Historische Parallelen in England und Deutschland
295
2. Einflüsse des deutschen Rechts auf England Nennenswerte Einflüsse des deutschen Rechts auf die englische Rechtsordnung sind in historischer Perspektive kaum zu verzeichnen. Beispielsweise erschien die erste auszugsweise englische Übersetzung der Carolina im Jahr 197414, obwohl dieses Werk ansonsten bald nach seinem Erscheinen in ganz Europa Verbreitung fand. Auch in der zeitgenössischen englischen Rechtsliteratur sind keine Bezüge zur Carolina zu finden.15 Die Ursache dafür liegt in der grundsätzlichen Verschiedenartigkeit zwischen der Struktur des englischen Rechtes und derjenigen der Carolina. Die Carolina setzte ein Justizsystem voraus, in dessen Mittelpunkt professionelle Richter standen, welche die juristische Technik dieser Kodifikation handhaben konnten. Das englische Recht hatte sich jedoch unabhängig vom Gedankengut des römischen Rechtes, dem die Carolina verpflichtet war, herausgebildet. In England gab es bereits ein gut und effektiv funktionierendes Rechtssystem, bei dem Laienrichter in Gestalt der Juroren eine zentrale Rolle spielten.16 Insofern bestand bezüglich der Frage der Laienbeteiligung auf englischer Seite weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit einer Orientierung am deutschen Recht. Das englische Desinteresse an kontinentalen Rechtsentwicklungen änderte sich auch in der Folgezeit nicht. In politischer Hinsicht konnte das absolutistisch bzw. monarchisch regierte Deutschland kein Vorbild für das konstitutionelle England sein. Im 19. Jahrhundert war dann die Rechtswissenschaft in Deutschland damit beschäftigt herauszufinden, welche Maximen am besten aus dem englischen Recht übernommen werden konnten. Auch dadurch wurde für englische Juristen und Rechtspolitiker kein Anlass zu einer Orientierung am deutschen Recht gegeben. Eine eingehendere Beschäftigung mit dem deutschen Modell der Laienbeteiligung in Strafsachen findet daher erst in jüngerer Zeit statt. Unter den Kritikern der Jury findet das Konzept des Schöffengerichts im Sinne einer Zusammenarbeit von Laien und Berufsrichtern und einer gemeinsamen Entscheidung über Schuldund Straffrage große Resonanz.17 Beispielsweise empfahl Lord Auld in seinem „Review of the Criminal Courts of England and Wales“ aus dem Jahre 2001, die Jury bei schwierigen Fällen von Wirtschaftskriminalität durch ein Dreiergremium bestehend aus einem Richter und zwei Laien mit wirtschaftlichen Fachkenntnissen zu ersetzen.18 Dieser Gedanke wurde aber vom Criminal Justice Act 2003 nicht umgesetzt. In der zunächst nicht in Kraft gesetzten Section 43 des Criminal Justice Act 2003 wird vielmehr dem Einzelrichter der Vorzug gegeben. 14
Langbein, Prosecuting Crime, S. 259–308. Langbein, Comparatative Perspective, S. 215. 16 Langbein, Comparatative Perspective, S. 216. 17 Langbein, Comparatative Perspective, S. 225; Langbein, Mixed Court and Jury Court, S. 195 ff; Roskill, Fraud Trials Report, S. 146; Auld, Review, Chapter 5 Rn. 206. 18 Vgl. Auld, Review, Chapter 5 Rn. 206; weitergehend auch oben 2. Teil A. VIII. 2.: Neue Gesetzgebung und Gesetzgebungsinitiativen zu Verfahren ohne Jury. 15
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
Anleihen aus der deutschen Gerichtsverfassung sind offenbar in England nicht erfolgreich.19
3. Gescheiterte Rezeptionen Auch wenn somit, wie gerade dargelegt, eine unmittelbare Rezeption des englischen Rechts in Deutschland oder des deutschen Rechts in England niemals stattfand, so gab es doch die Übernahme bzw. den Versuch der Übernahme von grundsätzlichen Rechtskonzepten aus dem jeweils anderen Rechtskreis. Damit sind die Gelegenheiten zur Einführung römisch-rechtlicher Standards anstelle des common law in England und die Einführung von Geschworenengerichten im Deutschland des 19. Jahrhunderts gemeint. Beiden Entwicklungen war am Ende kein dauerhafter Erfolg beschieden. Die englische Rezeption kontinentaler Rechtsstandards wie der Gebrauch von Folter in gerichtlichen Verfahren und der Inquisitionsprozess scheiterte schon verhältnismäßig früh. Die Geschworenengerichte als ursprünglich englische Idee existierten in Deutschland in verschiedenen Ausprägungen und Verbreitungen etwa 100 Jahre. Mit ihrer Abschaffung 1924 kann jedoch auch diese „Rezeption“ als gescheitert betrachtet werden. Dieser Abschnitt dokumentiert die Geschichte dieser Fehlschläge und zeigt die Gründe dafür auf. Trotz ihres Scheiterns sind diese Versuche nämlich für die hier vorzunehmende Untersuchung deswegen interessant, weil sich daran zeigen lässt, welche Faktoren jeweils eine Übernahme fremden Rechts verhinderten und inwieweit solche „Abstoßungsreaktionen“ mit den rechtlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten sowie historischen Bedingungen eines Landes zusammenhängen.
a) Bestrebungen zur Einführung des römischen Rechts in England Im Verlauf der englischen Rechtsgeschichte gab es zwei Gelegenheiten, anlässlich derer England in die Nähe einer Einführung des römischen Rechts kam, wie sie in Deutschland erfolgte. Die erste dieser Gelegenheiten ergab sich im 13. Jahrhundert, als sich die römisch-rechtlichen Ideen von Norditalien aus nach Europa verbreiteten. In dieser Zeit gab es auch Bemühungen um eine Einführung des römischen Rechts in England. Der Einfluss der Schule von Bologna blieb in England jedoch gering. Es fand so gut wie keine inhaltliche Beeinflussung 19 Gleichwohl existiert eine erstaunliche Parallele zur deutschen Gerichtsverfassung in England: Rechtsmittelverfahren (appeal) in Strafsachen werden beim Crown Court von einer Kammer bestehend aus einem Crown Court Richter und zwei bis vier Friedensrichtern (Justices of the Peace), entschieden; vgl. Supreme Court Act 1981, Section 8 (1c) i. V.m 74 (1). – Weil die Friedensrichter in der Regel juristische Laien sind, ist der Crown Court hier ähnlich besetzt wie ein deutsches Schöffengericht; vgl. § 29 I 1 GVG.
A. Historische Parallelen in England und Deutschland
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des englischen Rechtes statt.20 Dies lässt sich damit erklären, dass das rechtliche Umfeld für eine Öffnung zum römischen Rechts sehr ungünstig war. Das römische Recht kam in England gewissermaßen zu spät an. Die römischen Rechtslehren trafen auf fertige Rechtsstrukturen, die hervorragend funktionierten und daher nicht verbesserungsbedürftig waren. Ein weiterer Grund war die Abneigung des englischen Adels, dessen ökonomische Grundlage das common law bildete, gegen das fremde Recht. Wichtiger noch war der Widerstand der englischen Juristen, die ihre Standesinteressen bedroht sahen. Die Juristen waren in der Lage, nachhaltig Widerstand zu leisten, weil sich anlässlich der Zentralisierung des Staatswesens unter den normannischen Königen ein machtvoller Juristenstand gebildet hatte.21 Dies war geschehen, weil die Krone auf Rechtskundige angewiesen war, die im Namen des Königs Recht sprachen. Die Stellung des Juristenstandes festigte sich besonders, nachdem durch die permanente Ansiedlung der curia regis als höchstem englischem Gericht in Westminster Mitte des 13. Jahrhunderts eine zentrale Ausbildungsstätte geschaffen worden war.22 Der englische Juristenstand konnte sich somit vor der Ankunft römisch-rechtlicher Ideen in England endgültig etablieren und ihnen entgegentreten. Zum zweiten Mal öffnete sich für England die Möglichkeit der Rezeption des römischen Rechts nach dem Ende der Rosenkriege im 16. bis 17. Jahrhundert. Damals vollzog sich unter den Herrschern aus dem Häusern Tudor und Stuart eine Machtakkumulation bei der Krone, die England zu einem absolutistisch regierten Staat machte.23 Die Tudor- und Stuart-Könige erkannten die Vorteile, die ihnen das kontinentale Recht römischer Tradition gegenüber dem common law bot. Insbesondere billigte das römische Recht dem König eine herausgehobene Stellung zu, weil es ihn über die Gesetze stellte. So kommt es in der auf den römischen Juristen Ulpian zurückgehenden Formulierung „princeps legibus solutus est“ zum Ausdruck. Nach dem Verständnis des common law hingegen war der König den Regeln des Gesetzes unterworfen.24 Zur rechtlichen Absicherung ihres absoluten Machtanspruches bemühten sich die Tudors und Stuarts folgerichtig um die Einführung kontinentaler Rechtsstandards in England. Zu diesem Zweck wurden Veränderungen im Verfahrensrecht betrieben und Versuche unternommen, die common law-Gerichte zu entmachten. Ein Beispiel für Veränderungen im Verfahren war der zunehmende Gebrauch von Folter in Strafverfahren. Der überwiegende Teil der Strafprozesse, in denen Verdächtige gefoltert wurden, betraf zwar Staatsverbrechen, jedoch erfolgte auch ungefähr ein Viertel der dokumentierten Folterungen im Rahmen von Ver20
Meder, Rechtsgeschichte, S. 183; Levy, Palladium of Justice, S. 51. Dawson, Lay Judges, S. 129 f. 22 Meder, Rechtsgeschichte, S. 184. 23 Vgl. dazu: Seward, Wars of the Roses, S. 339 ff.; Curzon, Legal History, S. 34; Schröder, Englische Geschichte, S. 21 ff.; Caenegem, Legal History, S. 176. 24 Green, Verdict, S. 163; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S.191 f.; Romberg, Richter ihrer Majestät, S. 218 f. 21
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
fahren wegen Delikten wie Mord, Raub oder Pferdediebstahl.25 Damit war die Folterpraxis im Bereich der Verfolgung von Alltagskriminalität angelangt und bedrohte auch die Position der Jury. Ein erfoltertes Geständnis klärte nach damaligem Verständnis die Sachlage bereits erschöpfend. Folglich blieb für die Jury keine Möglichkeit einer Entscheidung über die Umstände eines Falles mehr übrig.26 Die Bestrebungen zur Entmachtung der common law-Gerichte äußerten sich in der Errichtung einer Parallelgerichtsbarkeit, in der nach kontinentaleuropäischen Rechtsstandards entschieden wurde. Zu diesem Zweck wurde das Gericht der Star Chamber offiziell 1487 eingerichtet.27 Die Richter an dieser Kammer gingen aus dem engsten Beraterkreis des Monarchen hervor und standen daher loyal zur Krone. Die Star Chamber urteilte ohne eine Jury, verwendete Folter, und das Verfahren wurde nicht nach common law, sondern nach inquisitorischen Prinzipien durchgeführt. Zwar konnten von der Star Chamber keine Leibesstrafen ausgesprochen werden, aber sie verhängte Gefängnisstrafen oder sehr empfindliche Geldstrafen.28 Der Versuch der Monarchen, kontinentale Verfahren in England einzuführen, schlug gleichwohl schließlich fehl29. Sowohl der offiziell sanktionierte Gebrauch der Folter als auch die Star Chamber wurden 1641 abgeschafft.30 Obgleich der unmittelbare Auslöser für die Abschaffung der Widerstand des Parlaments gegen die Politik Charles I. gewesen war, lagen die Ursachen für das Scheitern der Romanisierung des englischen Rechts tiefer.31 Es war allein aus praktischen Gründen unmöglich, das gesamte System der common law-Gerichte abzuschaffen, ohne den Zusammenbruch des Rechtswesens zu riskieren. Maßgeblicher Widerstand gegen das römische Recht kam, wie schon im 13. Jahrhundert, aus den Reihen der Juristen. Weil die Juristenausbildung in England von den Juristen selbst nach Prinzipien des common law organisiert wurde, mangelte es an Juristen, die im römischen Recht ausgebildet waren.32 Nicht zuletzt war das common law auch so tief im feudalen System Englands verankert, dass es die ökonomische Grundlage der Gesellschaft bildete. Gegen diese Kräfte erwies sich die Krone am Ende als machtlos.
25
Heath, Torture, S. 110 ff.; Hostettler, Jury Old and New, S. 39. Hostettler, Jury Old and New, S. 39. 27 Ausführlich zur Star Chamber: Graf, Auswirkungen, S. 200 ff. m. w. N. 28 Vgl. Curzon, Legal History, S. 181. 29 Siehe dazu im Einzelnen oben 1. Teil A. III. 3. a): Kontrollmöglichkeiten des Staates – judicial coercion. 30 Hostettler, Jury Old and New, S. 40; Curzon, Legal History, S. 40. 31 Die folgenden Ausführungen basieren auf: Plucknett, Concise History, S. 44; Hostettler, Jury Old and New, S. 40. 32 Schulte-Nover, Strafrichter, S. 33 f. 26
A. Historische Parallelen in England und Deutschland
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b) Ursachen für die Erfolglosigkeit des Geschworenengerichts in Deutschland Die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland war eine Erfolgsgeschichte, die das Recht hierzulande bis auf den heutigen Tag prägt. Von einer anderen Rezeption – wenn man die Übernahme der Schwurgerichte aus Frankreich bzw. England als solche ansieht – ist nur der Name einer besonderen Strafkammer bei den Landgerichten geblieben.33 Angesichts dessen stellt sich die Frage, warum das kooperative Modell des Schöffengerichts in Deutschland erfolgreicher war als das Modell der Trennung von Laien und Berufsrichtern, wie es durch die Geschworenengerichte verkörpert wird. Als Hauptgrund für die fehlgeschlagene Übernahme des englischen Geschworenengerichts kann man ein mangelndes Verständnis der europäischen Aufklärer für die Komplexität des common law und des trial by jury benennen. So wurde in der Aufklärung das englische Geschworenengericht übertrieben verherrlicht. Im Mittelpunkt stand seine angebliche Eigenschaft als Bollwerk der Freiheit gegenüber der Tyrannei und nicht die Auseinandersetzung mit seiner rechtlichen Ausgestaltung. Diese Tendenz zieht sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen um die Laienbeteiligung im 18. Jahrhundert. Feuerbach hatte das Paradigma von der Trennung der Frage nach der Laienbeteiligung in einen politischen und einen juristischen Teil vorgegeben.34 Die deutsche Rechtswissenschaft löste sich davon nie vollständig. Infolge der Zweiteilung war es möglich, erkannte Defizite in dem einen durch Vorteile in dem anderen Bereich auszugleichen. Auch eine dezidierte Auseinandersetzung mit den juristischen Implikationen der Laienbeteiligung fand nicht statt. Daher war das deutsche Recht auf die Einführung von Schwurgerichten nicht genügend vorbereitet35. Schließlich waren es dann nicht sachliche, juristische Erwägungen, die das Schwurgericht nach Deutschland brachten, sondern politische Faktoren.36 Das Konzept der Geschworenengerichte, das in Deutschland eingeführt wurde, stand dem französischen Recht viel näher als dem englischen. Neben dem Einfluss der direkten Erfahrungen in den linksrheinischen Gebieten hing dies damit zusammen, dass dem an Kodifikationen geschulten Denken der deutschen Juristen das englische Recht zu fremdartig war. Das französische Recht dagegen war bereits kodifiziert.37 Dabei wäre es prinzipiell vorteilhaft gewesen, sich stärker am englischen Recht zu orientieren. Dort hatten die Juries immerhin mehrere hundert 33
Vgl. § 74 II 1 GVG. „Bei der Untersuchung über die Vorzüge und Nachtheile der Jury muss man zwei Gesichtspunkte wohl voneinander sondern, den rein – politischen und den strafrechtlichen.“; vgl. Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 47; Feuerbach in diesem Sinne folgend: Abegg, Beiträge, S. 168; Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 173, 177. 35 Vgl. dazu 1. Teil B. V. 1. b): Schwurgerichte in den einzelnen deutschen Staaten ab 1849. 36 So bereits die Einschätzung von: Liepmann, Reform, S. 162. 37 Herrmann, Reform, S. 52. 34
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
Jahre hindurch ihre Funktionsfähigkeit unter Beweis gestellt. Ob eine Anlehnung an das englische Modell etwas am Misserfolg der Schwurgerichte in Deutschland geändert hätte, ist trotzdem fraglich. Schließlich hatte das gesamte Rechtssystem in England vom materiellen Recht bis zum Prozessrecht Gelegenheit, sich parallel zur Jury zu entwickeln.38 Folglich war die Jury in England Teil eines organisch gewachsenen und ausbalancierten Systems, dessen schlichte Übernahme nicht möglich war. So dürfte beispielsweise die englische adversatorische Prozessführung als besonders günstig für die Entscheidungsbildung von Geschworenengerichten anzusehen sein. Denn die zusammenhängende Darstellung von jeweils zwei unterschiedlichen historischen Sachverhalten, die in einem zweiten Schritt abgeglichen werden müssen, kommt der Struktur einer Geschworenenberatung ersichtlich entgegen39. Im deutschen reformierten Strafprozess mit der Verhandlungsleitung durch den Richter als Konsequenz des Amtsermittlunggrundsatzes ist eine Präsentation zweier eigener Sachverhalte durch Parteien dagegen kaum vorstellbar.40 Auf den deutschen Schwurgerichten lastete nach ihrer allgemeinen Einführung 1848 die Hypothek der Trennung von Tat- und Rechtsfrage durch einen Fragenkatalog wie bei den französischen Schwurgerichten. Nachdem sich gezeigt hatte, dass eine strikte Trennung von Tat- und Rechtsfrage nicht praktikabel war, wurde sie durch das GVG (1877) abgeschafft. Was blieb, war jedoch die Bindung der Geschworenen an einen schwerfälligen Fragenkatalog.41 Der Gesetzgeber hatte sich von seinem Misstrauen gegenüber der Fähigkeit der Geschworenen zum eigenständigen Erfassen der mit der Beantwortung der Schuldfrage zusammenhängenden Probleme nicht lösen können.42 Das System der Fragestellung war eine Besonderheit des deutschen Rechts, die es weder in Frankreich noch in England gab. Es war in der Gerichtspraxis schwer handhabbar, weil es erhebliche Anforderungen an die Aufbereitung der Tatsachen des Falles stellte, und trug mit zur Unbeliebtheit der Schwurgerichte bei. Die Unzufriedenheit mit den Schwurgerichten war insbesondere innerhalb der Juristenschaft weit verbreitet. Genau wie ihre englischen Standesgenossen gegenüber dem römischen Recht hatten die deutschen Juristen erhebliche Vorbehalte gegen den Zugang von Laien zur Rechtsprechung. Über Jahrhunderte waren die studierten Juristen die alleinigen Träger des Wissens über das Recht. Daher war ihre Bereitschaft zur Teilung ihrer Stellung mit Laien sehr gering. Dazu
38
Grünhut, J.COMP.LEG. 1938, 165 (168); Baker, Legal History, S. 90 ff. Vgl zu diesem Aspekt bereits oben 2. Teil A. V. 4.: Verlauf und Inhalt der Beratung. 40 Grünhut, FS v. Weber, S. 358. 41 Grube, Richter ohne Robe, S. 102 f.; Hadding, Schwurgerichte in Deutschland, S. 38 f.; Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 279; Grünhut, J.COMP.LEG. 1938, 165 (167). 42 Vgl. Rittler, Feststellung, Wahrspruch und Urteil, S. 618; Kahl, Schwur- oder Schöffengerichte?, S. 12. 39
A. Historische Parallelen in England und Deutschland
301
traten in der praktischen Arbeit Fehler bei der Fragestellung durch Berufsjuristen, die nicht in der Lage waren, die Rechtsprobleme für Laien verständlich zu formulieren.43 Die bisher genannten Gründe für das Scheitern der Geschworenengerichte bezogen sich im weiteren Sinn auf Umstände, die mit dem Recht zusammenhingen. Bei der Abschaffung der Geschworenengerichte in Deutschland spielten jedoch politische Erwägungen, wie sie bereits bei der Einführung der Geschworenengerichte entscheidend eingegriffen hatten, die Hauptrolle. Um diesen Wechsel der Überzeugung, der zum Verschwinden der Schwurgerichte führte, zu verstehen, bedarf die Frage der Beantwortung, was die bürgerlichen Eliten wollten, die im 19. Jahrhundert die Einführung der Geschworenengerichte betrieben. Zunächst sollte der Einfluss der Obrigkeit auf die Rechtsprechung durch die abhängigen Berufsrichter gebrochen werden. Ferner versprach sich das Bürgertum eine direkte Teilhabe an der dritten Gewalt. Das erste Ziel wurde nicht durch die Laienbeteiligung, sondern durch die Festschreibung der richterlichen Unabhängigkeit und die Verwurzelung der Richterschaft in der bürgerlichen Gesellschaft erreicht. In die Unparteilichkeit und die Fähigkeiten der deutschen Richterschaft entwickelte sich in der Folge ein tiefes Vertrauen.44 Das Ziel der politischen Teilhabe wurde durch die Geschworenengerichte zwar erreicht, allerdings brachte es nicht die gewünschte Entwicklung. Im Gegenteil entstand die Gefahr, dass mit dem Wegfall der Zensusschranken auch Bevölkerungsschichten Einfluss auf die Rechtsprechung gewinnen würden, die dem Bürgertum gegenüber feindlich eingestellt waren. Das Modell des Schöffengerichts mit seiner kontrollierten Auswahl und der Kontrolle durch Berufsrichter versprach in dieser Hinsicht mehr Sicherheit und war dadurch anziehender als die Schwurgerichte. Mit dem Wegfall der Unterstützung durch das bürgerliche Lager gab es in Deutschland keine maßgebliche gesellschaftliche Gruppe mehr, die das Schwurgericht unterstützt hätte. Seiner Abschaffung45 stand folglich nichts mehr im Weg. Trotz seiner juristischen Schwächen hätte das Schwurgerichtsmodell in Deutschland andernfalls wohl noch einige Jahre länger existiert. Wie die Betrachtung der juristischen Probleme gezeigt hat, wäre diese Verlängerung der Daseinsfrist jedoch wahrscheinlich auch endlich gewesen. Dem Experiment einer separativen Entscheidungsfindung von Berufs- und Laienrichtern in Deutschland bereitete eine Kombination aus seinen rechtlichen Defiziten und mangelnder politischer Unterstützung ein Ende.
43
Grube, Richter ohne Robe, S. 105. Vgl. auch die Argumentation bei: Grube, Richter ohne Robe, S. 104 f.; Landau, Schwurgerichte und Schöffengerichte, S. 303 f. 45 Siehe dazu oben 1. Teil B. V. 4. b): Die Abschaffung der Schwurgerichte. 44
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
4. Zusammenfassung Die Analyse der gegenseitigen Rezeptionsgeschichte hat den Nachweis erbracht, dass es zwischen der deutschen und der englischen Rechtsordnung zwar eine Reihe gegenseitiger Beeinflussungen gegeben hat, der Transfer von juristischem Gedankengut hinsichtlich der Laienbeteiligung jedoch überwiegend eine Einbahnstraße war, die aus England hinausführte. Es lässt sich weiterhin aus dem Fehlschlagen des „Exports“ und der anschließenden Implementierung der hier betrachteten juristischer Konzepte der Schluss ziehen, dass diese Konzepte nicht übertragbar waren. Der Übertragbarkeit stand praktisch nicht nur das System des geltenden Rechts eines Landes entgegen, sondern auch das politische und juristische Establishment. Die Orientierung an fremden Rechtsinstituten kann allenfalls eine indirekte und langfristige Wirkung auf eine Rechtsordnung entfalten, die sich letztlich in der Übernahme bestimmter fremder Prinzipien äußern kann. Diese Prinzipien werden dann jedoch in landesspezifische Formen und Institute gegossen. Beispielsweise kann als ein Resultat des Kampfes um die Schwurgerichte die Durchsetzung der Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit sowie der freien Beweiswürdigung gezählt werden, die ihren Niederschlag im heutigen reformierten Strafprozess fanden.
B. Vergleichende Analyse des Rechtes der Laienbeteiligung in England und Deutschland B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
Die analytische und rechtsvergleichende Untersuchung der Laienbeteiligung in England und Deutschland kann freilich nicht bei der historischen Perspektive stehen bleiben, sondern muss auch die aktuelle Rechtslage mit in die Analyse einbeziehen. Gemäß dieser Maxime wird im folgenden Kapitel das deutsche Recht der Schöffengerichte mit dem englischen Recht der Jury verglichen. Im zweiten Teil dieser Untersuchung wurde bereits dargestellt, wie das Recht der Laienbeteiligung im deutschen und englischen Strafprozess auf die Herausforderungen eines modernen Strafverfahrens reagiert hat. Diese Darstellung soll nunmehr um vergleichend-analysierende Überlegungen dazu erweitert werden, wo die beiden Rechtsordnungen mit den gleichen Problemstellungen konfrontiert sind, inwieweit sich die Lösungsansätze für gleiche Problemlagen ähneln und wo es Abweichungen gibt. Außerdem soll danach gefragt werden, welche systemspezifischen Probleme es darüber hinaus gibt. Sinnvolle Rechtsvergleichung wird sich jedoch auf eine reine Bestandsaufnahme der Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Sinne einer Gegenüberstellung nicht beschränken können, sondern die geistigen und sozialen Grundlagen der jeweiligen Rechtsinstitute, insbesondere deren Verwurzelung in tragenden
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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Prinzipien der jeweiligen Rechtsordnungen mit einzubeziehen haben. Ohne die Einbeziehung dieser Dimension wird die Rechtsvergleichung nämlich zwar Informationen, gewissermaßen „juristische Bildung“ vermitteln, nicht aber produktiv im Sinne rechtswissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts werden können. Aus diesem Grund erweitert sich die Erörterung im Folgenden zu zwei Problemschwerpunkten als Bezugsrahmen der Analyse. Als erster Schwerpunkt soll die Beteiligung der Laien in den beiden Verfahrensmodellen als demokratisches Element der Rechtsprechung untersucht und bewertet werden. Den zweiten Schwerpunkt bildet die Frage, ob und in wieweit Laien zur Verbesserung der Qualität von Rechtsprechung beitragen. Innerhalb der Behandlung dieser Komplexe soll das Recht der Laienbeteiligung, wie es in England und Deutschland gilt, an dem Grad der Umsetzung bestimmter Prinzipien gemessen werden, die als Indikatoren dafür gelten können, wie in den beiden untersuchten Ländern mit den Anforderungen umgegangen wird, die ein Rechtssystem in demokratischer Hinsicht, sowie im Hinblick auf die Qualität seiner Rechtsprechung stellt. Die gestellte Aufgabe, einen Vergleich anhand der tragenden Prinzipien zweier Rechtsordnungen anzustellen, begegnet allerdings der Schwierigkeit, dass in diesen zwei Rechtsordnungen möglicherweise, trotz des gemeinsamen Selbstverständnisses als Rechtsstaaten westlicher Prägung, unterschiedliche Prinzipien gelten. Selbst dort, wo gleiche Grundsätze platzgreifen, bietet eine mögliche unterschiedliche Gewichtung in beiden Rechtsordnungen Raum für Missverständnisse. In Kenntnis dieser Problematik greift die Analyse mit der geschilderten Vorgehensweise auf die im 19. Jahrhundert insbesondere von Feuerbach und Mittermaier hinsichtlich des Geschworenengerichts begründeten Tradition der Unterscheidung zwischen einer politischen und einer rechtlichen Dimension46 zurück. Dabei erfährt die genannte Tradition eine Erweiterung in der Hinsicht, dass sie nunmehr den Rahmen für eine Würdigung der Laienbeteiliung an der Strafrechtspflege ohne Beschränkung auf ein bestimmtes Modell vorgibt. Die Untersuchung der Laienbeteiligung als demokratisches Element der Rechtsprechung kann dabei als Entsprechung zu der Frage nach Laienbeteiligung als politischer Einrichtung und die Rolle von Laien bei der Verbesserung der Qualität von Rechtsprechung als Pendant zur Betrachtung der Jury als Rechtsinstitut gesehen werden. Die Anlehnung erfolgt auch in dem Bewußtsein, dass mit einer Übertragung dieser spezifisch deutschen Unterscheidung auf die Verhältnisse im englischen Recht, das diese Unterscheidung historisch so nicht kennt, die Gefahr verbunden sein kann, den englischen Besonderheiten nicht gerecht zu werden. Dass dieser Weg gleichwohl beschritten wird, findet seine Rechtfertigung zum einen darin, dass auch in England im Jurydiskurs der letzten Zeit häufig zwischen einer politisch gesellschaftlichen Seite und einer rechtlichen Seite des Problems unterschieden
46
Siehe zu Feuerbach oben, 1. Teil B. IV. 3. a): Feuerbachs Gedanken zu Geschworenengerichten; zu Mittermaier: 1. Teil B. IV. 3. e): Schwurgerichte im rechtswissenschaftlichen Diskurs.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
wird47, und zum anderen darin, dass die beiden genannten Aspekte nach Ansicht des Verfassers auch heute noch die zentralen Fragestellungen der Laienbeteiligung reflektieren.
I. Laienbeteiligung als demokratisches Element der Rechtsprechung In seinem Buch „Über die Demokratie in Amerika“ schrieb Alexis de Tocqueville: „Ich halte das amerikanische Geschworenensystem für eine ebenso unmittelbare wie äußerste Folge des Dogmas von der Volkssouveränität wie die allgemeine Wahl. Beide sind gleich wirksame Mittel, die Mehrheit herrschen zu lassen.“48. Anknüpfend an diese Verbindung zwischen Laienbeteiligung und Demokratie steht im Mittelpunkt des folgenden Abschnittes eine vergleichende Wertung dahingehend, inwieweit das deutsche und das englische Laienbeteiligungskonzept den Anspruch bürgerlicher Beteiligung an der Strafrechtsprechung als demokratisches Element der Rechtsprechung erfüllen. Dabei schließt der Gedanke demokratischer Beteiligung auch die Fragestellung nach der Legitimation von Rechtsprechung überhaupt ein. Untersuchungen zur praktischen Umsetzung der Legitimationsidee, insbesondere hinsichtlich ihrer Wirkungsrichtungen und der Bedeutung des Auswahlverfahrens der Laienrichter für die Rechtfertigung der Strafrechtsprechung, sollen daher am Anfang dieses Kapitels stehen. Einen zweiten Aspekt der Demokratisierung von Rechtsprechung durch Laienbeteiligung bildet die Möglichkeit der Vermittlung demokratischer Werte in der Justiz. In diesem Zusammenhang soll untersucht werden, inwieweit Laienbeteiligung die Rechtsprechung als eine Art erweiterte Öffentlichkeit kontrollieren kann, ob sie bürgerliche Partizipation an der Rechtspflege verwirklicht und ob sie zu Transparenz in der Justiz beitragen kann. Schließlich soll in einem dritten Schritt gefragt werden, ob und inwieweit der schon von Hegel vorgetragene Gedanke noch von Bedeutung ist, dem zufolge Laienbeteiligung als demokratisches Element der Rechtsprechung der Vorbeugung gegen eine Entfremdung der Gesellschaft vom Recht dient49.
47 Vgl. zur zeigenössischen Diskussion in England oben: 1. Teil A. VIII.: Reformansätze und die mögliche Zukunft der Jury. 48 Vgl. Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 176. 49 „Wenn die Kenntnis des Rechts durch die Beschaffenheit dessen, was die Gesetze in ihrem Umfange ausmacht, ferner des Ganges der gerichtlichen Verhandlungen, und die Möglichkeit das Recht zu verfolgen, Eigentum eines auch durch Terminologie, die für die, um deren Recht es geht, eine fremde Sprache ist, sich ausschließend machenden Standes ist, so sind die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft, (…), gegen das nicht nur Persönlichste und Eigenste, sondern auch das Substanzielle und Vernünftige darin, das Recht fremde gehalten und unter Vormundschaft, (…) gesetzt.“ Vgl. Hegel, Grundlinien, § 228.
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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1. Legitimation der Strafrechtsprechung durch Laienbeteiligung In demokratisch verfassten Staatswesen bedarf staatliches Handeln der Legitimation durch Rückführbarkeit auf den Willen des souveränen Volkes.50 Für die Rechtsprechung ist eine Legitimierung beispielsweise aufgrund der Gesetzesbindung dieser Staatsgewalt, Art. 97 GG, als eine sachlich-inhaltliche Legitimation denkbar.51 Darüber hinaus ermöglicht es die Heranziehung von Laien zur Rechtspflege, Vertreter des Souveräns unmittelbar an Entscheidungen der Judikative zu beteiligen und dadurch ein legitimierendes staatsbürgerliches Element zu schaffen. Diese Feststellung ist der Ausgangspunkt für die folgenden vergleichenden Überlegungen zu der Art und Weise, wie die Legitimation von Rechtsprechung durch Laienbeteiligung in England und Deutschland ausgestaltet ist. Das Interesse ist dabei vorrangig auf die Fragen gerichtet, inwieweit die Legitimation durch die Gestaltung des Auswahlprozesses der Laien in beiden Rechtsordnungen determiniert wird und in welchem Maß das jeweilige Modell der Laienbeteiligung in Deutschland und in England geeignet erscheint, den Anspruch der Legitimierung von Rechtsprechung durch Laienbeteiligung zu erfüllen.
a) Die Auswahl der Laienrichter Die Auswahl der Schöffen bzw. Geschworenen ist die entscheidende Weichenstellung in Bezug auf die spätere Gestalt des mit Laien besetzten Richtergremiums. Dessen Gestalt wiederum ist ausschlaggebend für das Ausmaß, in dem Laien als legitime Vertreter des Volkes in der Rechtspflege zu gelten im Stande sind. Die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Auswahl in England und Deutsch50 Vgl. Art. 20 GG; Einer Definition des BVerfG zufolge ist unter Demokratie die „freie Selbstbestimmung aller Bürger“ zu verstehen; vgl. BVerfGE 44, 125 (142); BVerfG 107, 59 (92). Da Staatsgewalt nur vom Volke ausgehen darf, Art. 20 II 1 GG, darf sie auch nur vom Volk ausgeübt werden, Art. 20 II 2 GG; vgl. statt vieler: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 4 ff. m. w. N. – Siehe auch, weiterführend: Dreier, Jura 1997, 247 ff.; Roellecke, FS Badura, S. 443; Das Volk übt seine Souveränität durch besondere Organe, Art. 20 II 1 HS. 1 GG, und auch durch Wahlen und Abstimmungen, Art. 20 II 1 Hs. 2 GG, aus. Die dabei geltenden Wahlrechtsgrundsätze der Allgemeinheit, Freiheit, Gleichheit und Geheimheit, Art. 38 I 1 GG, sind Bestandteile des Demokratieprinzips; siehe: BVerfGE 71, 81 (94); BVerfG 85, 148 (158); vgl. auch statt anderer Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 6; Dreier/Morlock, Art. 38 Rn. 7 ff. 51 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, Rn. 24; Bedingung für die Geltung dieses Legitimationsmoments ist jedoch, dass die Gesetze ein Maß an inhaltlicher Bestimmtheit aufweisen, das die richterliche Tätigkeit, ungeachtet der richterlichen Unabhängigkeit, als durch die verbindlichen Entscheidungen des durch Wahlen legitimierten Gesetzgebers erscheinen kann. Dies ist letztlich die Konsequenz des Vorbehalts des Gesetzes, welcher fordert, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch ein förmliches Gesetz legitimiert wird; vgl. BVerfGE 98, 218 (251); BVerfG, DVBl. 2003, 923 (924 f.); Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 44 m. w. N.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
land werden im Folgenden gegenübergestellt. Dadurch sollen Erkenntnisse zu der Frage gewonnen werden, welcher Sinn dem Prozess der Auswahl der Laien in den beiden verglichenen Rechtssystemen zukommt.
aa) Allgemeine Voraussetzungen und Ausschlusstatbestände In England entspricht mit 18 Jahren das Mindestalter für den Dienst in einer Jury dem Beginn des aktiven Wahlrechtes. Das GVG sieht dagegen eine untere Grenze von 25 Jahren vor. Diese Differenz gründet sich in dem Bestreben, ein erhöhtes Maß an Lebenserfahrung bei den zum Schöffenamt herangezogenen Bürgern sicherzustellen.52 Die Obergrenze des Alters liegt in beiden Ländern bei 70 Jahren. Eine weitere, wenngleich praktisch administrativ begründete Beschränkung des Zuganges besteht in England, wo nur diejenigen als Geschworene ausgewählt werden können, die im Wählerregister erfasst sind. Im deutschen, wie auch im englischen Recht existieren zwei Kategorien von Tatbeständen, die eine Person vom Dienst als Schöffe bzw. Geschworener dauerhaft fernhalten. Diese Zweiteilung zieht jedoch nach dem deutschen Recht andere Folgen nach sich als im englischen. In Deutschland53 ist die Differenz zwischen Unfähigkeit und Ungeeignetheit qualitativer Natur. Dies wird daran deutlich, dass die Teilnahme einer nach § 32 GVG unfähigen Person die Entscheidungen des betreffenden Gerichts wegen nicht ordnungsgemäßer Besetzung anfechtbar macht54, während die Beteiligung einer nach §§ 33; 34 GVG ungeeigneten Person die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichtes nicht berührt. Das englische Recht dagegen zieht die Grenze zwischen Unfähigkeit (ineligibility) und Untauglichkeit (disqualification) anhand einer Unterscheidung zwischen den Ursachen des jeweiligen Ausschlussgrundes.55 Eine Übertragung des Unterschiedes zwischen Unfähigkeit (ineligibility) und Untauglichkeit (disqualification) in das Rechtsmittelverfahren findet in England nicht statt. 52
Vgl. § 33 Nr. 1 GVG; Die Mindestaltersgrenze wurde erst 1974 von 30 auf 25 Jahre gesenkt; vgl. Benz, Laienrichter, S. 67. 53 Eingehend zur Rechtslage in Deutschland bereits oben 2. Teil B. II. 1.: Eignungskriterien für das Schöffenamt. 54 Vgl. § 338 Nr. 1 StPO und dazu: Kissel/Mayer, § 32 Rn. 1. 55 Die Schwierigkeit einer Systematisierung des englischen Rechtes tritt an dieser Stelle besonders offen zutage. Die Kategorie der Unfähigkeit (ineligibility) bezeichnete bis 2003 solche Gründe, die den Betroffenen endgültig vom Dienst als Juror ausschlossen, während die Untauglichkeit (disqualification) von begrenzter Dauer war. Durch den Criminal Justice Act 2003 wurde nur die Geistesstörung als Grund der Unfähigkeit belassen, während alle anderen Gründe, mit Ausnahme des Grundes einer Verurteilung zu einer Haftstrafe von mehr als fünf Jahren, gestrichen wurden. Dieser Grund wurde in die Kategorie Untauglichkeit (disqualification) eingeordnet, wohl deshalb, weil hier bereits zuvor Ausschlussgründe in Folge von Vorstrafen bestanden. – Weiterführend zum englischen Recht, vgl. oben 2. Teil A. II.: Eignungskriterien für den Dienst als Geschworener.
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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Inhaltlich ist den Ausschlusstatbeständen beider Rechtsordnungen gemeinsam, dass Personen, die wegen besonders schwerwiegender Taten verurteilt wurden, der Dienst verwehrt wird. Offenbar gelten diese Personen nicht als integer genug, um über die Strafbarkeit des Verhaltens anderer Menschen zu urteilen. Dasselbe gilt für Personen, gegen die strafrechtliche Ermittlungen in einem bestimmten fortgeschrittenen Stadium stattfinden.56 Das deutsche Recht zieht den Kreis der Auszuschließenden mit den in §§ 33 und 34 GVG vorgesehenen Unfähigkeitsgründen noch weiter. Die Berufung zum Schöffen scheidet beispielsweise wegen mangelnder Lebenserfahrung oder nicht vorhandenen Ortskenntnissen sowie zur Wahrung der Interessen des öffentlichen Dienstes wegen Unabkömmlichkeit oder aufgrund potentieller Befangenheit aus. Ähnliche Gründe kannte das englische Recht nur bis zur Novellierung der einschlägigen Normen im Jahre 2003. Ein weiterer signifikanter Unterschied zwischen der deutschen und der englischen Rechtsordnung besteht hinsichtlich der Heranziehung juristisch ausgebildeter Personen als Laienrichter. Zum Schöffenamt sind gemäß § 34 I Nr. 4 GVG Berufsrichter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare nicht geeignet. Darüber hinaus dürfen Schöffen jedoch über juristische Qualifikationen verfügen.57 In England waren unter dem bis 2003 geltenden Recht die Richterschaft, sowie Rechtsanwälte und Mitarbeiter des Justizdienstes vom Dienst in Juries ausgenommen. Der Criminal Justice Act 2003 beseitigte diese Einschränkungen, die viel umfassender als die deutschen waren, ersatzlos, so dass nunmehr selbst Richter potentielle Kandidaten für die Geschworenenbank sind.
bb) Ausschluss für einzelne Verfahren Den Vorschriften, die bestimmte Personen als Richter nur für ein konkretes Verfahren ausschließen, liegt der Gedanke zugrunde, dass niemand Richter sein soll, gegen dessen Unvoreingenommenheit Bedenken bestehen. Wegen dieses universellen Prinzips gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen und dem englischen Recht. In beiden Rechtskreisen sind solche Personen nicht als Schöffen bzw. als Juroren zugelassen, die durch die Tat selbst verletzt oder mit dem Verletzten oder dem Beschuldigten persönlich eng verbunden sind. Unterschiedliche Regelungen sind allein der Verschiedenartigkeit des Auswahlverfahrens geschuldet. Beispielweise kennt das englische Recht keine ausdrücklich formulierte Regel, die Personen wegen vorheriger Beteiligung an der Sache ausschließt, weil die
56 Der entsprechende Anknüpfungspunkt im deutschen Recht ist die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens, das eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von über sechs Monaten oder den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung eines öffentlichen Amtes (§§ 45–45b StGB) zur Folge haben kann. Das englische Pendant dazu ist die nur vorläufige Entlassung aus der Untersuchungshaft während eines laufenden Strafverfahrens unter Auflagen (bail). 57 Rennig, Entscheidungsfindung, S. 93.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
kurze Dienstzeit der Geschworenen solche Überschneidungen unwahrscheinlich macht.58 Ohne Parallele in Deutschland ist das englische crown’s right to stand by59. Der Hintergrund dieser faktischen Existenz einer peremptorischen Ablehnungsmöglichkeit für die Anklage ist ein weiter reichendes Verständnis des Begriffes der Voreingenommenheit in England. Ein Geschworener gilt auch dann als voreingenommen und kann aufschiebend abgelehnt werden, wenn er oder sie dringend verdächtig ist, ein Sicherheitsrisiko darzustellen, für unangemessene Einflüsse empfänglich zu sein oder von sachfremden Erwägungen bei der Entscheidungsfindung geleitet zu werden.60 Eine derart intensive Auslese der Laien gerade im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung nationaler Sicherheitsinteressen findet in Deutschland nicht statt. Dies ist schon deshalb ausgeschlossen, weil auf die Schöffen nach ihrer Bestellung in dieses Amt die verfassungsrechtliche Garantie der sachlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 I GG anwendbar ist. Dessen ungeachtet ist es unwahrscheinlich, dass Personen, die in England aufschiebend abgelehnt werden könnten, in Deutschland zum Schöffen berufen würden. Ihre Präklusion wird praktisch dadurch erreicht, dass bei dem Berufungsverfahren und der Schöffenwahl eine Selektion nach partei- und vereinspolitischen Gesichtspunkten stattfindet61. Bei der Auswahl der Schöffen fällt jedoch eine grundsätzliche Entscheidung, während das right to stand by die Besetzung einer Geschworenenbank in einem konkreten Verfahren betrifft. Daher ist in Deutschland die Gefahr der Manipulation von Verfahren weniger virulent. Ein weiterer Unterschied zwischen der Rechtslage in Deutschland und in England betrifft die Notwendigkeit einer Mitwirkung der Beteiligten an dem Verfahren. Während das deutsche Recht bezüglich der in §§ 22, 23 i. V. m. § 31 I StPO normierten Gründe den Ausschluss für einzelne Verfahren kraft Gesetzes vorsieht62, setzt das englische Recht stets einen auf den Ausschluss gerichteten Antrag durch eine Partei oder den betroffenen potentiellen Geschworenen selbst voraus. Insoweit findet die challenge for cause63 ihr eigentliches Gegenstück im deutschen 58 Das deutsche Recht trifft diese Regelung in §§ 22 Nr. 4, 5; 23 StPO. Das Fehlen einer derartigen Regel in England schließt es aufgrund der Flexibilität des common law jedoch keineswegs aus, dass in einem konkreten Fall ein Geschworener erfolgreich wegen vorangegangener Beteiligung abgelehnt wird. 59 Vgl. oben 2. Teil A. III. 3. b): Die aufschiebende Ablehnung einzelner Geschworener durch die Anklage (crown’s right to stand by). 60 Vgl. Guidelines on the Exercise of the Crown’s Right to Stand by, Practise Note, [1988] 3 All ER, 1086 ff. 61 Brusten, Wie wird man Schöffe?, S. 86 f; Spona, Laienbeteiligung, S. 89; vgl. auch oben 2. Teil B. II. 3. a): Aufstellung der Vorschlagsliste. 62 Vgl. statt anderer: KK-Pfeiffer, § 22 StPO, Rn. 1. 63 Siehe dazu oben 2. Teil A. III. 3. a): Ablehnung aus sachlichen Gründen (challenge for cause).
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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Recht in der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gem. § 24 II i. V. m. § 31 I StPO. Technisch unterscheiden sich die challenge for cause von der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit allerdings darin, dass erstere nur vor der Vereidigung und somit vor Beginn der Hauptverhandlung erfolgen kann, während eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit unter Umständen bis zum letzten Wort des Angeklagten möglich ist.64 Diese Abweichung ist jedoch von geringer praktischer Bedeutung, da nach englischem Recht eine Entlassung des Geschworenen (discharge) wegen Befangenheit möglich ist.65 Die grundsätzlich vorhandene Möglichkeit, parteiische Personen vom Verfahren auszuschließen, steht unter dem Vorbehalt, dass zuvor die tatsächliche oder mutmaßliche Parteilichkeit erkannt werden muss. Dies gilt dann umso mehr, wenn der Ausschluss von einem entsprechenden Antrag oder tatsächlichen Handeln abhängt, wie dies in England der Fall ist. Als eine Grundvoraussetzung für die Feststellung mangelnder Unparteilichkeit ermöglichen sowohl das deutsche als auch das englische Recht die Identifizierung der beteiligten Schöffen bzw. Geschworenen vor dem Verfahren. Sowohl in die Geschworenenverzeichnisse als auch in die Schöffenliste ist grundsätzlich jedermann Einsicht zu gewähren.66 Es fragt sich jedoch, inwieweit durch die Einsichtnahme die praktische Durchführbarkeit einer Überprüfung ermöglicht wird. Ein erster Anhaltspunkt dafür ist der Umfang der Informationen, welche in den jeweiligen Listen enthalten sind. Die Schöffenliste beinhaltet die gem. § 36 II 2 GVG bereits in der Vorschlagsliste aufgeführten persönlichen Angaben zu den Schöffen.67 Dazu zählen der vollständige Name und Geburtsname, Ort und Tag der Geburt, die Wohnanschrift und der Beruf. Damit sind die deutschen Schöffenlisten umfangreicher als die panels panel mit den Namen der Geschworenen. Die Gewinnung von Informationen über die potentiellen Juroren wird in England weiterhin durch den Umstand erschwert, dass die panels panel alle Personen beinhalten, die als Geschworene an einem bestimmten Tag an einem Gericht Dienst tun, weil alle als Geschworene in einem bestimmten Verfahren in Frage kommen. Andererseits kann die Überprüfung von Jurykandidaten, obwohl die Überprüfungsmöglichkeiten in England in der Praxis eingeschränkt sind, inhaltlich mit einer Intensität geführt werden, die nach deutschem Recht nicht möglich wäre. In England bezieht die Überprüfung nämlich z. B. auch die Befragung von Freunden, 64 Meyer-Goßner, § 25 GVG Rn. 6; Dies gilt bekanntlich jedoch nur für solche Umstände, die nach dem Beginn der Vernehmung des Angeklagten eingetreten sind; vgl. § 25 I 1, II StPO. 65 Vgl. oben 2. Teil A. IV. 3.: Ausscheiden einzelner Geschworener während des laufenden Verfahrens (discharge). 66 BVerfGE 12, 261; Kissel/Mayer, § 44 Rn. 8. Das Recht auf Einsichtnahme erstreckt sich auch auf die Festlegung der Sitzungstage; vgl. Kissel/Mayer, § 46 Rn. 9, so dass theoretisch schon im Vorfeld eines Verfahrens Informationen über die Gerichtsbesetzung eingeholt werden können. Diese Möglichkeit wird durch die in § 222a StPO niedergelegte Pflicht zur Mitteilung der Besetzung vor der Hauptverhandlung ergänzt. 67 Vgl. Kissel/Mayer, § 44 Rn. 1.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
Nachbarn und Familienangehörigen sowie die Verwendung von geheimdienstlichen Erkenntnissen mit ein.68 Eine derartige Ausforschung wäre in Deutschland schon aufgrund der fehlenden, wegen des Eingriffes in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung jedoch notwendigen, Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. In Deutschland ist nur den Gerichten gemäß § 41 I Nr. 1 BZRG die unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister zur Abfrage möglicher Vorstrafen von Schöffen erlaubt. Freilich kann davon ausgegangen werden, dass im Zuge des Wahlverfahrens eine informelle Einholung von Informationen zu den vorgeschlagenen Schöffen erfolgt.69
cc) Das Verfahren bei der Auswahl im engeren Sinne In England werden die Geschworenen durch ein automatisiertes Verfahren per Zufallsauswahl bestimmt. Die Selektion der Juroren folgt somit den mathematischen Gesetzmäßigkeiten der Wahrscheinlichkeit und kreiert ein statistisches Abbild des der Auswahl zugrunde liegenden Personenkreises. Korrigierende Eingriffe erfolgen nur partiell in Form der challenge und des stand by. Das Prinzip der zufälligen Auswahl gilt in England als elementarer Bestandteil des Auswahlverfahrens der Geschworenen.70 Durch die konsequente Anwendung dieses Prinzips soll eine möglichst weitgehende Repräsentanz aller Bevölkerungsschichten sichergestellt werden. In Deutschland ist das gesetzlich vorgegebene Ideal die persönliche Auswahl jedes einzelnen Schöffen. Wie der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht verschiedentlich betont haben, entspricht eine zufällige Auswahl nicht den gesetzlichen Vorgaben.71 Diese gehen davon aus, dass die erforderliche ununterbrochene Legitimationskette nur durch echte Wahlen zum Schöffenamt gesichert werden könne.72 Auch das Grundgesetz erfordert der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zufolge eine lückenlose Legitimation vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Organwaltern. Die Staatsgewalt muss sich danach wenigstens mittelbar auf den Willen des Volkes zurückführen lassen.73 Eine zufällige Auswahl steht in Deutschland erst am Ende des Ver68 Vgl. Guidelines on the Exercise of the Crown’s Right to Stand by, Practise Note, [1988] 3 All ER, 1086 ff. 69 Brusten, Wie wird man Schöffe?, S. 87. 70 Roskill, Fraud Trials Report, S. 138, Sprack, Emmins, S. 257; Auld, Review, Chapter 5 Rn. 73. 71 In diesem Sinne grundsätzlich: BGHSt 33, 41 (42) (Frankfurter Schöffenroulette – Auslosung der Schöffen); BVerfGE, 47, 253 (275); vgl. zudem bereits oben 2. Teil B. II. 3. c): Die Wahl der Schöffen durch den Schöffenwahlausschuss. 72 BGHSt 33, 41 (42) (Frankfurter Schöffenroulette); BVerfGE, 47, 253 (275); Schätzler, NStZ 1985, 83; krit. Knauth, DRiZ, 1984, 474 (476); Katholnigg, JR 1985, 81 (82). 73 BVerfGE, 38, 258 (271); BVerfGE, 47, 253 (275); BVerfGE, 107, 59 (87); Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 148.
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fahrens, wo die Zuweisung im Geschäftsverteilungsplan nach dem Losverfahren erfolgt.74
dd) Zusammenfassung Sowohl das deutsche als auch das englische Rechtssystem verwehren bestimmten Personengruppen den Zugang zum Amt des Schöffen bzw. des Juroren. Auf einer grundsätzlichen Ebene ist die Systematik der betreffenden Tatbestände für die Ausschließung systemübergreifend vergleichbar. Zum einen werden bestimmte Personen für unfähig oder ungeeignet erklärt, überhaupt das Amt des Schöffen bzw. des Juroren wahrzunehmen. Daneben existiert eine weitere Gruppe von Tatbeständen, die sich dadurch auszeichnet, dass sie nur für ein bestimmtes Verfahren wirkt und die grundsätzliche Fähigkeit des Betreffenden zur Bekleidung des Schöffen- bzw. des Jurorenamts nicht in Frage stellt. Dabei ist beiden Verfahrensordnungen der sensible Umgang mit möglicher Voreingenommenheit der zu berufenden Laien gemeinsam. Auf unterschiedlichen Ebenen der Auswahlprozesse sind daher Mechanismen vorhanden, die Personen ausschließen sollen, bei denen der Verdacht der Parteilichkeit besteht. Aufgrund seiner weiter gefassten Zugangskriterien ermöglicht das englische Auswahlverfahren grundsätzlich die Mitwirkung breiterer Gesellschaftsschichten an der Rechtsprechung als das deutsche. Von diesem Unterschied abgesehen wird jedoch in beiden Ländern einem weitgehend identischen Personenkreis der Zugang zum Laienrichteramt eröffnet. Fundamental unterscheiden sich die beiden Verfahren dagegen hinsichtlich der Vorgehensweise bei der Auswahl der Laienrichter aus der Gruppe der grundsätzlich geeigneten Personen. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit durch den Unterschied zwischen Zufallsauswahl auf der einen und der individuellen Wahl auf der anderen Seite der Sinn des Auswahlverfahrens im Hinblick auf den leitenden Aspekt demokratischer Legitimation bestimmt wird. Ein erster Ansatzpunkt zur Klärung dieses Problems ergibt sich aus der Bedeutung der Individualität der Schöffen bzw. der Juroren für die jeweiligen Auswahlverfahren. In der Idee, dass die Schöffen sich einer echten Wahl stellen müssen, manifestiert sich der Gedanke, dass die individuelle Persönlichkeit des einzelnen ehrenamtlichen Richters bedeutungsvoll sein soll. Dies ergibt sich daraus, dass die Grundlage einer Wahl die persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten jedes Bewerbers ist. Die in England für die Aufstellung der panels panel praktizierte Auswahl ist nun ersichtlich gar nicht geeignet, die individuellen Merkmale der potentiellen Geschworenen zu berücksichtigen, weil sie rechnergestützt vorgenommen wird. Die Individualität der einzelnen Juroren tritt folglich in den Hintergrund. So74
Vgl. § 45 II GVG.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
lange sie den Zugangskriterien zum Geschworenenamt entsprechen, sind die Geschworenen austauschbar. Die Austauschbarkeit der Geschworenen ist Ausdruck des Gedankens, dass jeder Bürger potentiell fähig sei, das Geschworenenamt auszufüllen. Im Gegensatz dazu herrscht in Deutschland die Ansicht vor, dass nicht jeder Laienrichter sein könne, sondern vielmehr bestimmte Anforderungen erfüllen müsse. Diese Ansicht hat eine lange Tradition. Schon Mittermaier hatte in Bezug auf Geschworene postuliert, dass sie „neben der Intelligenz und Charakterfestigkeit auch der Gewandheit zerstreute Thatsachen richtig aufzufassen, richtige Schlüsse daraus abzuleiten und die einzelnen Thatsachen, fei von Vorurtheilen, unter die Regeln, welche die Vernunft und Erfahrung über Entdeckung der Wahrheit aufstellen, zu subsumieren“75 bedürften. Karl Peters forderte auf dem Konstanzer Juristentag 1947: „Die Auswahl der Schöffen muß so erfolgen, daß einwandfreie, kluge, rechtlich denkende unvoreingenommene Personen mit diesem Amte betraut werden“76. Ferner sollten die Laienrichter danach ausgewählt werden, dass „sie den Anforderungen des Amtes körperlich und geistig gewachsen sind und (…) sie die geistige Begabung und Urteilsfähigkeit und sittliche Tüchtigkeit und Selbstständigkeit besitzen, die für die Ausübung des Amtes erforderlich sind“77. Diese Sichtweise übte auch einen erkennbaren Einfluss auf die 1950 durch das VereinhG vorgenommene Neuregelung des Verfahrens zur Aufstellung der Vorschlagsliste aus. In der Entwurfsbegründung zu diesem Gesetz hieß es nämlich, dass durch eine Vorauswahl der Schöffen sichergestellt werden solle, dass „ungebührlich großer und unnützer Aufwand an Verwaltungsarbeit gespart und dahingehend gewirkt (wird), daß für das Schöffenamt besonders geeignete Bürger an der Rechtsprechung teilnehmen“78. Dementsprechend wird auch heute noch eine Zufallsauswahl aus dem Grund abgelehnt, dass dabei das Risiko im Hinblick auf die Geeignetheit der Bewerber zu hoch sei.79 Ein Grund für diese Forderungen nach einer Auswahl der Schöffen nach bestimmten Kriterien kann in dem kollegialen Modus der Entscheidungsfindung bei den mit Laien besetzten Spruchkörpern erblickt werden. Von Personen, die überdurchschnittlich gebildet sind und über gesellschaftliches Ansehen verfügen, kann am ehesten erwartet werden, dass sie in der Urteilsberatung dem Berufsrichter mit einem gewissen Maß an Selbstvertrauen gegenübertreten.80 Der englische Geschworene dagegen ist während der Beratung nicht der Autorität eines Berufsrichters ausgesetzt. Für einen Juroren bringt es daher keine Vorteile,
75
Mittermaier, Mündlichkeit, S. 383. Zit. nach: Jasper, MDR 1985, 110 (111). 77 Eduard Kern auf dem Konstanzer Juristentag 1947; zit. nach: Jasper, MDR 1985, 110 (111). 78 Zit. nach: LR-Siolek, § 36 GVG Rn. 1. 79 Brusten, Wie wird man Schöffe?, S. 87. 80 Machura, Fairneß und Legitimität, S. 123 f. 76
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wenn er sich mit dem Berufsrichter sozial und bezüglich seiner Ausbildung „auf Augenhöhe“ wissen kann. Für die Urteilsfindung der Geschworenen kann es vielmehr gerade sinnvoll sein, wenn die Jury heterogen zusammengesetzt ist, weil dadurch Ansichten aus unterschiedlichen Erfahrungswelten in das Urteil einfließen können. Ein weiteres Motiv für die unterschiedliche Gestaltung der Auswahlverfahren erschließt sich durch einen Blick auf die historische Entwicklung des deutschen und des englischen Verfahrens. Die Geschichte der Beteiligung von Laien an der deutschen Rechtspflege durchzieht eine grundsätzliche Skepsis gegenüber den Fähigkeiten von Laien auf der Richterbank. Diese Linie führt von dem Bildungszensus für die ersten Geschworenengerichte nach 184981 über den Vorwurf der Unfähigkeit der Geschworenen, mit den komplexen Rechtsproblemen bei der Beantwortung der Schuldfrage umzugehen, der einen der Hauptkritikpunkte an den deutschen Schwurgerichten bildete82, bis hin zu den Vertretern der Begriffsjurisprudenz, die grundsätzlich die Fähigkeit von Laien zum Rechtsprechen bestritten. In dieser Tradition erscheint es folgerichtig, wenn durch ein individualisierendes Auswahlverfahren versucht wird, eine Selektion nach persönlicher Eignung vorzunehmen. Eine solche Denkweise lässt sich in der englischen Rechtsentwicklung nicht nachweisen. Es kann zwar zu Recht daran erinnert werden, dass der bis 1979 bestehende Vermögenszensus de facto wie ein Bildungszensus wirkte. Entscheidend ist jedoch, dass die Idee, Geschworene nur aus einer geistigen Elite zu rekrutieren, in der englischen Geschichte nicht auftaucht. Als wesensbildend für das englische Verständnis der Jury erweist sich die Zufallsauswahl der Geschworenen. Nur die Zufälligkeit stellte und stellt sicher, dass die Möglichkeiten der Obrigkeit zur Beeinflussung der Zusammensetzung der Jury durch jury packing minimiert werden.83 Der Gedanke, dass nur eine zufällig ausgewählte Jury unabhängig sein und auf diese Weise ihre Schutzfunktion gegen staatliche Willkür erfüllen kann, war zentral in den politischen Auseinandersetzungen des 17. und 18. Jahrhunderts und erhält immer wieder neue Nahrung durch Fälle von jury vetting, die öffentlich bekannt werden. Dagegen ist im deutschen Auswahlsystem als roter Faden das Moment einer staatlichen Kontrolle auszumachen. So war etwa die Befürchtung der Obrigkeit, die Schwurgerichte könnten von politisch links stehenden Kräften als Kampfinstrument missbraucht werden, einer der Faktoren, die zur Abschaffung dieser Form der Laienbeteiligung in der Weimarer Republik führten.84 Bis heute wird durch die Einbindung von Parteien und Verbänden in den Auswahlprozess auf sub81 Vgl. oben 1. Teil B. V. 1. b): Schwurgerichte in den einzelnen deutschen Staaten ab 1849. 82 Hoegel, Geschworene oder Schöffen, S. 58. 83 Sanders/Young, Criminal Justice, S. 569. 84 Vgl. oben 1. Teil B. V. 4. b): Die Abschaffung der Schwurgerichte.
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tile Art sichergestellt, dass Personen mit bestimmten politischen Ansichten nicht zum Schöffen berufen werden. Diese Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Auswahl der Schöffen bzw. Juroren auf unterschiedliche Sinngebungen verweisen. Es steht die Betonung der Individualität bei den Schöffen gegen Substituierbarkeit der Geschworenen in England. Weiterhin dominiert in Deutschland ein Elitedenken bei der Auswahl als Gegensatz zu dem Ideal möglichst breiter Repräsentation unter Ausschluss externen Einflusses auf das Auswahlverfahren in England.
b) Die Einlösung des Legitimationsversprechens Die Beteiligung von Laien am Strafverfahren enthält, wie eingangs dieses Kapitels festgestellt wurde, sowohl in Deutschland als auch in England das Versprechen der Legitimierung von Rechtsprechung. Dieses soll im Folgenden hinterfragt und daraufhin untersucht werden, ob die verglichenen Auswahlverfahren geeignet sind, eine legitime Geschworenenbank zu kreieren und inwieweit die beiden unterschiedlichen Modelle von Laienbeteiligung von ihrer Konzeption her Rechtsprechung zu legitimieren vermögen. Die Analyse geht zunächst von der Prämisse aus, dass Legitimation eines Bezugspunktes bedarf und somit ein gerichteter Vorgang ist. Auf die Frage, worauf die Legitimation von Rechtsprechung zielt, wem gegenüber sie also erforderlich sein soll, sind zwei alternative Antworten möglich. Sieht man Laien in der Strafgerichtsbarkeit als Repräsentanten des Volkes, dann ist ein Aspekt des Legitimierungsbezuges die Repräsentation des Volkes in der Rechtsprechung. Insoweit könnte der Laienbeteiligung eine gesamtgesellschaftliche Wirkung zukommen, die eine generelle Legitimation der Rechtsprechung bewirken würde. Die zweite vorstellbare Legitimationsaufgabe ist die spezielle Legitimation des Urteils gegenüber dem sanktionierten Angeklagten. So verstanden würde der Laienbeteiligung eine individuelle Legitimationswirkung zukommen. Über die empirische Seite der Legitimation im Sinne einer tatsächlichen Akzeptanz hinaus beinhaltet die Legitimationsfrage auch eine normative Dimension, da sie neben dem Verhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Staat auch den Verletzten genauso wie die Gesellschaft betrifft. Bei der „Einlösung des Legitimationsversprechens“ geht es nämlich stets auch um die Verwirklichung des öffentlichen Strafanspruchs als Grund für die Durchführung eines Strafverfahrens. Auf die Lösung des Problems der Legitimation von Rechtsprechung gerichtete Überlegungen müssen daher auch die Verfahrenszwecke umfassen und das Ziel des Strafprozesses nebst seinen daraus abzuleitenden Aufgaben und Maximen mit einbeziehen. Auch dies soll daher hier unternommen werden.
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aa) Generelle Legitimation Der Begriff der Repräsentanz des souveränen Volkes in der Rechtsprechung ist verknüpft mit der Idee der Demokratie. In diesem Zusammenhang verdient ein Gremium dann das Attribut repräsentativ, wenn es durch ein demokratisches Verfahren entstanden ist. Dieser Definition trägt das deutsche Recht mit seiner Betonung der Notwendigkeit einer ununterbrochenen Legitimationskette als Realisierung des in Art. 20 II 1 GG verankerten Gedankens der Volkssouveränität Rechnung.85 Der Bundesgerichtshof hat wiederholt betont, dass die ehrenamtlichen Richter einer demokratischen Legitimation bedürften. Eine solche sei nur dann sichergestellt, wenn die Schöffen aus einer wirklichen Wahl hervorgingen. Nur in diesem Fall sei die Kette der demokratischen Legitimation nicht durchbrochen.86 Der Anspruch der Legitimation von Rechtsprechung durch Beteiligung von Schöffen scheint mithin dadurch erfüllt zu werden, dass mit den Schöffen demokratisch gewählte Personen an der Urteilsfindung beteiligt sind. Es ist jedoch durchaus fragwürdig, ob die Bestellung von Schöffen bzw. Juroren überhaupt der geeignete Ort für eine Legitimation durch demokratische Wahl ist. Dagegen spricht beispielsweise, dass bei der Auswahl von Laien als Schöffen bzw. Juroren zwei Gesichtspunkte nicht gegeben sind, die eine demokratische Wahl in anderen Zusammenhängen kennzeichnen. Erstens findet bei der Wahl von Laienrichtern kein Wettbewerb der Kandidaten statt. Zweitens sollen die Kandidaten sich nicht als Vertreter ihrer Wähler, sondern als Vertreter des gesamten Volkes verstehen.87 Problematisch am deutschen Verfahren der Schöffenwahl ist zudem der Umfang der Vorschlagslisten. Diese machen eine echte Wahl im Sinne einer Entscheidung zwischen einzelnen Kandidaten unmöglich.88 Die deutsche Schöffenwahl ist daher teilweise eine Scheinwahl.89 Zudem ist fraglich, inwieweit die Wahlen zum Schöffenamt überhaupt von der Öffentlichkeit in dem Maße bemerkt werden, dass sich ein Bewusstsein des Vertretenseins ausbilden kann. Das in Deutschland praktizierte Konzept der Legitimation von Rechtsprechung durch die Teilnahme demokratisch gewählter Laienrichter an den Strafverfahren, erweist sich somit als lückenhaft und daher als wenig überzeugend für eine Legitimation der Rechtsprechung – ein Befund, der Zweifel an der Verwirklichung der Idee der Legitimation weckt.
85 Villmow/ter Veen/Walkowiak/Gerken, FS Pongratz, S. 19; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 180. 86 Vgl. dazu BGHSt 33, 261 (269) (Frankfurter Nachholwahl); Schätzler, NStZ 1985, 82 (83); Zur Frage des Legitimationszusammenhanges vgl. BVerfGE 47, 253 (275); Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, Rn. 11. 87 So auch grundsätzlich: Marshall, Judgement of one’s peers, S. 8 f. 88 Vgl. Jasper, MDR 1985, 110 (111). 89 In diesem Sinne auch: Meinen, Heranziehung zum Schöffenamt, S. 157; Kissel, NStZ 1985, 490 (492); Jasper, MDR 1985, 110 (111); Allgaier, MDR 1985, 462; Windel, ZZP 112 (1999), 293 (301 ff.).
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Eine Legitimation durch Mitwirkung demokratisch autorisierter Juroren kommt für England von vornherein nicht in Frage. Jurys gehen dort nicht aus einer demokratischen Wahl hervor. Nach seinem Wortsinn ist ein Gremium jedoch auch dann repräsentativ, wenn es eine bestimmte Zusammensetzung im Sinne eines Querschnitts widerspiegelt. Nach dieser Definition würde eine repräsentative Auswahl auf die Abbildung einer zahlenmäßig umfangreichen Gruppe in kleinerem Maßstab zielen.90 Der Zusammenstellung der Jury liegt zwar kein statistisch wissenschaftliches Vorgehen zugrunde. Dem Zufallsprinzip kommt in England jedoch eine derart zentrale Rolle zu, dass in einer Jury die englische Gesellschaft annähernd genau abgebildet wird. Gleichwohl bleibt auch für England fraglich, ob Rechtsprechung gegenüber der Gesellschaft legitimiert werden kann. Einen ersten Hinweis zur Beantwortung dieser Frage liefert der Umstand, dass die englische Jury mitunter mit einem Parlament verglichen wird91. Dies ist freilich nicht wörtlich aufzufassen. Wegen der Zufälligkeit der Auswahl und der fehlenden persönlichen Verantwortlichkeit der Geschworenen entspricht eine Jury natürlich nicht den Anforderungen an ein Parlament im modernen Sinne.92 Vielmehr ist die Gleichsetzung der Jury mit einem Parlament metaphorisch gemeint. Sie ist in dem Sinne zu deuten, dass beide Institutionen mit einer demokratischen Staatsordnung gleichgesetzt werden. Diese Überlegung knüpft an die Beobachtung an, dass sich die Legitimation der englischen Jury auf ihre Eigenschaft als Spiegelbild der Bevölkerung gründet. Durch die zufällige Auswahl der Geschworenen wird sichergestellt, dass sich jeder einzelne Bürger in den Jurys wieder erkennen kann. Gegen ein solches Verständnis spricht auf den ersten Blick der Umstand, dass erst seit dem Juries Act, 1979 die breite Masse des Volkes zum Amt des Geschworenen herangezogen wird. Zuvor war der Zugang zum Geschworenenamt auf Hauseigentümer beschränkt. Die Identifikation mit den Personen auf der Geschworenenbank scheint folglich erst seit 1979 möglich. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass auch diese Zugangsbeschränkung den Ansatz stützt, der die Legitimierung der Jury in der Spiegelung der Bevölkerung sieht. In der englischen Gesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde nämlich das Familienoberhaupt als Sprecher der Familie nach außen angesehen. Zudem galt in der protestantischen Erwerbsethik wirtschaftlicher Erfolg, wie er im Eigentum an einem Haus zum Ausdruck kommen konnte, als Beleg für die Gottgefälligkeit und Integrität der Lebensführung des Be90
Vgl. Marshall, Judgement of one’s peers, S. 8. „Every Jury is a little parliament“ – Devlin, Trial by Jury, S. 164; gegen dieses Argument: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 105. 92 In der klassischen attischen Demokratie wurden wichtige Staatsämter und auch die Richterposten durch Losen besetzt. Dies legt nahe, dass auch durch zufällige Auswahl demokratische Legitimität erzielt werden kann; vgl. Aristoteles, Politik, 6. Buch, 1317b 20 f.; Wesel, Geschichte, Rn. 109; Weiterführend zum Losverfahren als legitimierendes Verfahren in heutigen Modellen der Bürgerbeteiligung: Röcke, Losverfahren, S. 93 ff.; sowie zum Losverfahren im Zusammenhang mit Geschworenengerichten insbesondere hinsichtlich seiner historischen Entwicklung: Ebd., S. 75 ff. 91
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treffenden. Der durchschnittliche Geschworene der Zeit vor 1979 war demzufolge als Identifikationsfigur für weite Teile der Bevölkerung akzeptabel. Die Gesetzgebung, die 1979 zum Juries Act führte, trug nur einem gesellschaftlichen Wertewandel Rechnung, in dessen Folge der als middle aged, middle minded and middle class apostrophierte Geschworene nicht mehr als legitimer Repräsentant der Bevölkerung betrachtet wurde. Die Juries in England erfahren ihre Legitimität folglich dadurch, dass sich jeder Bürger in ihnen wieder erkennen kann. Das Auswahlverfahren nach dem Zufallsprinzip ist auf diesen Ansatz zugeschnitten und gewährleistet, dass die Juries gegenüber der Gesellschaft Legitimität beanspruchen können.
bb) Legitimierung des Urteils gegenüber dem Angeklagten Gemäß § 268 I StPO werden in Deutschland Urteile „Im Namen des Volkes“ gesprochen.93 In dieser Formel wird die demokratische Verwurzelung der Rechtsprechung, die wie alle staatliche Gewalt vom Volke ausgeht94, vor der Verkündung des Urteils herausgestellt. Das Urteil ergeht im Namen des Volkes, weil es das Gesetz als Ergebnis demokratisch legitimierter Willensbildung auslegt und anwendet.95 Neben diesem formalen Aspekt kann die direkte Beteiligung von Laien als staatsbürgerliches Element die Legitimation des Urteils stützen. So gewendet, ergäbe sich die legitimierende Wirkung der Laienbeteiligung gegenüber dem Angeklagten daraus, dass ihn das Urteil als Entscheidung eines teilweise demokratisch durch Wahlen legitimierten Gremiums trifft. Daneben ist vorstellbar, dass die Beteiligung demokratisch gewählter Richter dem Angeklagten die Akzeptanz der verhängten Sanktion erleichtert.96 Diese Idee hat Wassermann einmal in folgendem Gedanken zusammengefasst: „Soll ein Bürger das Urteil akzeptieren, so ist es gut, wenn vorher andere Bürger überzeugt werden müssen“97. Darin wird die Idee sichtbar, dass sich ein Bürger nur durch seinesgleichen – seine peers – verurteilen lassen müsse. Es ist jedoch fraglich, ob ein Angeklagter die Schöffen als seinesgleichen ansehen kann und so aufgrund der Tatsache, dass sie von seiner Schuld überzeugt wurden, das Urteil eher für sich annimmt. Dagegen spricht beispielsweise die schlechte Erkennbarkeit der Laienrichter als Identifikationspunkte für den Angeklagten. Abgesehen von der Kleiderordnung als äußerlichem Unterscheidungsmerkmal heben sich die Schöffen nicht von den Berufsrichtern ab. In Anbetracht der von § 30 I GVG vorgegebenen Gleichstellung ist dies zwar nicht zu 93 Diese Bestimmung fand sich bereits in der RStPO von 1877, damals allerdings noch als § 267 RStPO. Die heutige Ordnungsziffer erhielt die Norm durch die schon in anderem Zusammenhang erwähnte EmmingerVO; vgl. SK-StPO/Schlüchter, § 267 Rn. 1. 94 Vgl. Art. 20 II GG. 95 Vgl. dazu: KK-Engelhardt, § 268 StPO Rn. 1. 96 Benz, Laienrichter, S. 205; Villmow/ter Veen/Walkowiak/Gerken, FS Pongratz, S. 320; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 180; a. A. Rüping, JR 1976, 269 (273) unter Hinweis darauf, dass ein entsprechender empirischer Beweis noch nicht geführt sei. 97 Wassermann, Bürgermitwirkung, S. 46.
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beanstanden. Es hat jedoch die Folge, dass der Angeklagte die Schöffen als ebenso fremd wie die Berufsrichter empfinden muss. Ein anderes Bild ergibt der Blick auf die Identifikationsmöglichkeit bei der englischen Jury. In England sind die Geschworenen nicht nur optisch deutlich vom Richter getrennt. Während des Verfahrens sind sie auch funktionell voneinander unterscheidbar. Am Ende der mündlichen Verhandlung werden durch das summing up eine Zäsur und der Wechsel bei der Verfahrensherrschaft deutlich. Diese formalen Gesichtspunkte illustrieren anschaulich den Gedanken des judgement of the peers, der dem Verfahren vor englischen Geschworenengerichten zugrunde liegt.98 Das Konzept des judgement of the peers beinhaltet, dass ein Bürger nur nach einem Urteil durch seinesgleichen strafrechtlichen Sanktionen ausgesetzt werden solle. Seine Ursprünge lassen sich auf die Wiederentdeckung der Magna Charta im 18. Jahrhundert als Gegenentwurf zu staatlichen Bemühungen um Einflussnahme auf Strafverfahren zurückverfolgen. Seitdem ist die Idee des judgement of the peers aus dem trial by jury nicht wegzudenken und immer noch in der öffentlichen Wahrnehmung präsent. Eine weitere Komponente der Legitimierung gegenüber dem Angeklagten ist die Art und Weise des Auswahlverfahrens der Geschworenen in England. Trotz des fehlenden demokratischen Legitimationszusammenhangs bietet dieses Verfahren die Gewähr dafür, dass Personen auf der Bank der Jury Platz nehmen, deren sozialer Hintergrund wenigstens teilweise demjenigen des Angeklagten entspricht. Problematisch bleiben nur das Auftreten rassistischer Vorurteile bzw. der Umstand, dass sich der Angeklagte unter ethnischen Gesichtspunkten nicht immer in der Jury wieder findet. An dieser Stelle kollidieren das Prinzip der Zufallsauswahl und die Idee des judgement of the peers. Indem hier der Zufallsauswahl der Vorzug gegeben wird, entsteht ein Defizit in der Legitimierung gegenüber dem Angeklagten. Dies erscheint jedoch deswegen hinnehmbar, weil mit einer Abweichung vom Zufallsprinzip zugunsten einer ethnisch ausbalancierten Jury kaum zu bewältigende Umsetzungsschwierigkeiten verbunden wären. Auf die Unmöglichkeit hinsichtlich der Zusammensetzung eines Gremiums aus Laienrichtern, dem Angeklagten in jedem Fall gerecht zu werden, hat bereits Feuerbach – wenngleich rationalistisch überspitzt – aufmerksam gemacht.99 Insbesondere bleibt unklar, nach welchen Merkmalen eine ethnisch ausgewogen besetzte
98
Vgl. Doran, Trial by Jury, S. 380. Vgl. Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 84 ff. – Feuerbach, weist zunächst darauf hin, dass die Herstellung von Standesgleichheit in einer Jury eine Illusion sei. Er fragt: „Kann (…) der Mann gelehrten Standes den ungebildeten Gewerbsmann oder Bauern, der Gewerbsmann oder Bauer den Gelehrten als Gleichen betrachten?“; Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 85. – Ferner argumentiert Feuerbach, dass eine völlige Standesgleichheit zwischen Jury und Angeklagtem, selbst wenn es gelingen würde, sie herzustellen, „den Forderungen einer strengen Gerechtigkeit“ widersprechen würde. Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 90 f. 99
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Jury zusammengestellt werden sollte. Solange solche Kriterien nicht fassbar bleiben, wäre eine entsprechende Auswahl nicht nachvollziehbar und somit anfällig für Manipulationen. Ein Defizit in der Legitimierung des Urteils gegenüber dem Angeklagten besteht in England, weil die Geschworenen an der Strafzumessung nicht beteiligt sind. Die Strafzumessung (sentencing) obliegt, da sie eine Entscheiung von Rechtsfragen erfordert, dem Richter. Diese Praxis fügt sich zwar in das System des trial by jury mit seiner Unterscheidung zwischen rechtlichen und tatsächlichen Fragen ein. Gleichwohl ist zu bedenken, dass die Frage nach der Höhe seiner Strafe für den Angeklagten ganz konkrete Auswirkungen hat, während die Kategorie des Schuldspruches abstrakt ist. Es scheint daher im Sinne der Legitimierung des Urteils als Ganzem am konsequentesten, die Laienrichter auch an der Strafzumessung zu beteiligen. Hinsichtlich der legitimierenden Wirkung ist in diesem Punkt das Schöffengericht mit seiner kollegialen Entscheidung über das Strafmaß dem Geschworenengericht überlegen.
cc) Legitimierung des Urteils gegenüber der Rechtsgemeinschaft Um das Problem der Legitimation von Rechtsprechung aus einer normativen Perspektive zu bewerten, sollen an dieser Stelle die beiden Modelle der Laienbeteiligung daran gemessen werden, wie sie sich zur Verwirklichung der Aufgaben und Maximen des Strafverfahrens100 eignen. Aufgrund ihrer Relevanz für die vorliegende Untersuchung sollen von den Verfahrensmaximen hier der Grundsatz des gesetzlichen Richters, die Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung sowie der Ermittlungsgrundsatz eingehender betrachtet werden. Die erste der hier zu betrachtenden Maximen ist der Grundsatz des gesetzlichen Richters.101 Dieser fordert zum einen, dass die zur Entscheidung berufenen Personen sowohl unabhängig gegenüber hoheitlichen Stellen als auch unparteilich gegenüber den Verfahrensbeteiligten sind. Zum anderen verpflichtet dieser Grundsatz die Legislative, die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit der Gerichte abstrakt-allgemein festzulegen. Dieser Aspekt des Grundsatzes des gesetzlichen Richters soll sicherstellen, dass Manipulationen der Gerichtsbesetzung ausgeschlossen sind, weil theoretisch bereits bei der Tatbegehung feststeht, welches Gericht zur Aburteilung berufen ist. Gemessen an diesem Anspruch ist die englische Praxis des crown’s right to stand by102 zu kritisieren, weil es der Straf100
Näher dazu Klesczewski, Strafprozessrecht, Rn. 22 ff. Klesczewski, Strafprozessrecht, Rn. 27 f. 102 Siehe oben 1. Teil A. III. 3. c): Die aufschiebende Ablehnung einzelner Geschworener durch die Anklage (crown’s right to stand by) sowie zur Kritik daran, 1. Teil A. III. 5. c): Jury vetting und crown’s right to stand by. 101
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verfolgungsbehörde einen unmittelbaren Zugriff auf die Besetzung des Entscheidungsorgans gibt. Das Problem wird dadurch verschärft, dass die Ablehnungsgründe nicht offengelegt werden müssen und die Ausübung des crown’s right to stand by nicht durch ein Gesetz im formellen Sinne geregelt ist103. Hinsichtlich der Neutralität der Richter gegenüber den Verfahrensbeteiligten ist das englische Verfahren ebenfalls problematisch zu nennen. Die Passivität der Geschworenen in der Hauptverhandlung kann dort die Entdeckung von Voreingenommenheit erschweren, während in Deutschland Vorurteile beispielsweise durch das Frageverhalten der Schöffen aufgedeckt werden können. Auch existieren in England abgesehen von der Verpflichtung der Geschworenen, etwaige persönliche Ausschlussgründe zu melden, keinerlei Mechanismen, die verhindern, dass sich unter den Geschworenen eine Person befindet, die wegen einer persönlichen Verbindung zu dem Angeklagten als Juror ausgeschlossen wäre. Während demzufolge in der englischen Verfasstheit der Laienbeteiligung schwerwiegende Defizite hinsichtlich der Garantie des gesetzlichen Richter auszumachen sind, begegnet das deutsche Modell diesbezüglich keinen spezifischen Bedenken, weil die Festlegung der zu beteiligenden Schöffen nach denselben Grundsätzen wie bei den Berufsrichtern erfolgt. Die Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit werden im Gegensatz dazu in beiden Verfahrensordnungen durch die Laienbeteiligung besonders gefördert. Die beiden Grundsätze, die hier im Zusammenhang betrachtet werden sollen, besagen, dass nur mündlich vorgetragener Prozessstoff dem Urteil zugrundegelegt werden darf (vgl. §§ 261; 264 StPO) und der Richter jedes Beweismittel selbst wahrnehmen muss. Dies ist die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die Funktionen der Anklage, der Verteidiung und der Urteilstätigkeit nur im Wege des gesprochenen Wortes zeitgleich interagieren können, da sie notwendigerweise zu trennen sind, weil eine Funktionsverbindung wie im klassischen Inquisitionsverfahren zu einem Rollenkonflikt führt, der die Wahrheitsfindung verhindert.104 Entscheidend ist demzufolge die Gewährleistung, dass in die Entscheidung keine Erwägungen einfließen können, die auf Wahrnehmungen außerhalb der Hauptverhandlung beruhen. Dieses Postulat wird sowohl in Deutschland als auch in England entscheidend dadurch gefördert, dass die Laienrichter in der Hauptverhandlung erstmalig mit der Sache befasst sind und insbesondere keine Aktenkenntnis besitzen105. Eine Gefahr stellt freilich eine Beeinflussung durch eine voreingenommene Medienberichterstattung dar. Im Interesse der Meinungs- und Pressefreiheit ist dies jedoch hinzunehmen, zumal der Berichterstattung Laien- und Berufsrichter 103 Das crown’s right to stand by ist geregelt in einer Richtlinie (Guidelines on the Exercise of the Crown’s Right to Stand by) des Generalstaatsanwalts (Attorney General) Practise Note, [1988] 3 All ER, 1086 ff.; Sprack, Emmins, S. 258. 104 Vgl. Schmidt, Einführung, § 288; Klesczewski, Strafprozessrecht, Rn. 47, 395 ff. 105 Ausfürhrlich zu diesem Problemkreis bezüglich des deutschen Rechts bereits oben 1. Teil B. III. 2. a): Beteiligung im Vorfeld der Hauptverhandlung – Das Recht auf Vorinformation und Akteneinsicht.
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in gleichem Maße ausgesetzt sind und keine wissenschaftlichen Belege für eine leichtere Manipulierbarkeit von Laienrichtern existieren. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung verlangt, dass der Richter die Tatfrage frei von jeglichen gesetzlichen Beweisregeln nach seiner persönlichen Überzeugung, die aus dem Inbegriff der Haupterhandlung zu schöpfen ist, entscheiden soll. Die richterliche Entscheidung darf nicht zuletzt deswegen an keine Beweisregeln gebunden werden, weil sich dadurch die Legislative unzulässig in Belange der Rechtsprechung einmischen würde.106 An dieser Stelle sei daran erinnert, dass im 19. Jahrhundert in Deutschland die Schwurgerichtsfrage besonders eng mit der Forderung nach freier Beweiswürdigung verbunden gewesen ist, weil man fürchtete, abhängige Berufsrichter würden frei von den Fesseln gesetzlicher Beweisregeln willkürlich entscheiden. Heute besteht zu Recht Einigkeit darüber, dass wegen ihrer Unabhängigkeit auch Berufsrichtern eine Entscheidung anvertraut werden kann, die auf ihrer frei gewonnenen Überzeugung beruht. Allerdings überprüfen in Deutschland die Revisionsgerichte anhand der im Urteil gegebenen Begründung der Beweiswürdigung, ob sie nachvollziehbar begründet ist, alle denkbaren Sachverhaltsvarianten berücksichtigt und nicht gegen Denk- und Erfahrungsgesetze verstößt.107 Aufgrund der fehlenden Begründung des Schuldausspruches einer Jury in England ist dort eine solche Überprüfung nicht möglich. Dies bietet auch eine Erklärung dafür, dass das englische Recht weitaus strengere Beweisverwertungsverbote kennt als das deutsche Recht und damit das Prinzip der Freiheit der Beweiswürdigung in stärkerem Maße einschränkt. Diese Beweisverwertungsverbote haben sich historisch als Instumente zur Kontrolle der Entscheidungen der Jurys entwickelt, weil der Fähigkeit von Geschworenen misstraut wurde, Beweise richtig zu gewichten.108 Als Beispiel dafür mag die hearsay rule gelten, welche die Verwertung von Beweisen nach dem Hörensagen ausschließt. In Deutschland, wo eine derartige Regel nicht existiert109, ist anerkannt, dass es Sache des Tatrichters ist, den Beweis vom Hörensagen nach seinem Beweiswert zu gewichten, wobei er besonders sorgfältig vorgehen muss110. Dass die dabei notwendige Differenzierung Geschworenen nicht zugetraut wird, mag einer der Gründe dafür sein, dass die hearsay rule in England immer noch angewendet wird, obwohl es denkbar wäre, die Geschworenen im Rahmen des summing up über den geminderten Beweiswert solcher Ausssagen zu belehren. Folglich behindert das separative Modell wenigstens in der derzeit in England herrschenden Rechtswirklichkeit die Freiheit der Beweiswürdigung, während dies beim kollegialen Modell nicht der Fall ist. 106
So Klesczewski, Strafprozessrecht, Rn. 53. Vgl. BGHSt. 6, 70 (72); 12, 311 (314); Meyer-Goßner, § 337 StPO Rn. 26 m. w. N.; vgl. auch die Übersicht in Roxin, Strafverfahrensrecht, § 53 Rn. 13 ff. sowie differenzierend und teilweise ablehnend zu dieser Rechtsprechung: Ebd., Rn. 24. 108 Dargestellt oben 1. Teil A. IV. 1. a) aa): Abschaffung der coercion und Unabhängigkeit der Richter. 109 Vgl. nur Meyer-Goßner, § 250 StPO Rn. 4 m. w. N. 110 Der BGH spricht in BGHSt. 49, 112 (119) von „sorgfältigster Prüfung“. 107
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
Der letzte hier anzusprechende Verfahrensgrundsatz ist der Ermittlungsgrundsatz, der aus der Prozessaufgabe folgt, eine Tatverdachtsklärung zum Zweck der möglichst gerechten Entscheidung über die Anklage zu gewährleisten111. In dieser Hinsicht hat die bisherige Betrachtung gezeigt, dass ein Vorteil des separativen Modells in der Möglichkeit besteht, innerprozessual unzulässiges Beweismaterial zu präsentieren, ohne die zur Entscheidung berufenen Personen damit zu präjudizieren. Offen sind jedoch insbesondere die Fragen nach den Auswirkungen der, oftmals als „gesunder Menschenverstand“ umschriebenen, laienspezifischen Sicht auf strafrechtlich zu beurteilende Sachverhalte sowie nach den spezifischen Fehlerquellen, die eine Entscheidungsbeteiligung von Nichtjuristen mit sich bringen kann. Da diese Gesichtspunkte eng mit der Frage nach dem Einfluss der Laien auf den Ausgang des Verfahrens zusammenhängen, sollen sie weiter unten differenziert erörtert werden.112
c) Fazit Es lässt sich resümieren, dass im deutschen und im englischen Recht unterschiedliche Ansätze hinsichtlich der Legitimation von Rechtsprechung durch die Beteiligung von Laien verfolgt werden. In Deutschland wird danach gestrebt, Legitimität der Rechtsprechung durch die Teilnahme demokratisch gewählter Schöffen zu erreichen. Legitimität beruht hier demnach auf der Einhaltung eines als demokratisch erkannten Verfahrens. Der Umstand, dass ein Schöffe aufgrund der Vorschriften dieses Verfahrens in sein Amt gelangt, lässt ihn somit als Vertreter der Gesellschaft in der Rechtsprechung erscheinen. Das Prinzip der Legitimation durch Vollzug eines normativ geordneten Verfahrens vernachlässigt jedoch die Frage nach der Akzeptanz der so vermittelten Legitimation bei denjenigen, im Verhältnis zu denen sie zu wirken bestimmt ist. Hier ergeben sich die Probleme, dass sich der Angeklagte in den Schöffen nicht als seinesgleichen wieder finden kann und wegen der Defizite des Wahlvorgangs die Gesellschaft nicht adäquat repräsentiert ist. In England beruht die Legitimation von Rechtsprechung durch Laienbeteiligung darauf, dass sie den Erwartungen und der Gedankenwelt der Bürger als den Herrschaftsunterworfenen durch Beibehaltung traditioneller Formen und einer übersichtlichen Struktur Rechnung trägt.113 Dies wird erstens durch eine äußerlich klar unterscheidbare Abgrenzung zwischen den Berufsrichtern als Vertretern des Staats und den Geschworenen als Repräsentanten des Volkes erzielt. Zudem wird durch 111
Klesczewski, Strafprozessrecht, Rn. 50. Siehe dazu unten: 3. Teil B. II. 2.: Einfluss der Laien auf den Ausgang eines Strafverfahrens. 113 Vgl. weitergehend: Machura, Fairneß und Legitimität, S. 314, der auf die Ähnlichkeit eines solchen Legitimationsmodells zu Max Webers Soziologie politischer Herrschaft hinweist. 112
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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die Zufälligkeit des Auswahlverfahrens die Abwesenheit von Manipulationen dokumentiert und zugleich sichergestellt, dass möglichst alle Gesellschaftsschichten repräsentiert sind. Die Idee der Austauschbarkeit der Geschworenen gibt zudem jedem Bürger die Möglichkeit, sich gedanklich an die Stelle eines Geschworenen zu versetzen und sich dadurch als repräsentiert zu empfinden. Welchen Stellenwert der Gedanke, dass sich die Bevölkerung durch die Jury repräsentiert fühlt, besitzt, wird daran deutlich, dass er von verschiedenen englischen Autoren, zu verschiedenen Zeiten immer wieder als das entscheidende Argument für den Fortbestand der Jury angeführt wird.114 Angesichts der Verschiedenartigkeit der Ansätze ist es unter Zugrundelegung empirischer Vergleichsmerkmale schwierig, in dem einen oder anderen Verfahren den Anspruch der Legitimität als in größerem Umfang erfüllt anzusehen als in dem anderen. Das Fazit der soeben vorgenommenen Betrachtung kann daher nicht dem einen oder anderen System den Vorzug geben. Sowohl das deutsche als auch das englische Modell haben sich vielmehr als geeignet erwiesen, Legitimation durch Laienbeteiligung zu vermitteln. Jedoch schenkt das deutsche Recht denjenigen, gegenüber denen letztlich die Legitimation wirken soll, weniger Beachtung als das englische Recht. Obwohl das Zufallsverfahren kein demokratisches Mandat in einem normativen Sinn an die Geschworenen richtet, ermöglicht es doch den Bürgern eine bessere Identifikation mit den Laienrichtern und lässt somit auch die Rechtsprechung unter deren Mitwirkung als besser legitimiert erscheinen. Ein anderes Ergebnis hat freilich die Analyse anhand der normativen Dimension durch Betrachtung der Verfahrenszwecke erbracht. Hier hat sich gezeigt, dass das deutsche Schöffengerichtsmodell Strafrechtsprechung insgesamt besser gegenüber der Rechtsgemeinschaft zu legitimieren vermag, weil es den Verfahrenszwecken eines Strafverfahrens besser Rechnung trägt. Dessen ungeachtet kann Laienbeteiligung, wie sich gezeigt hat, einen Beitrag für die Legitimierung von Rechtsprechung leisten. Trotz unterschiedlicher Ansätze wird in England und Deutschland dabei ein ähnlicher Weg beschritten. Die Beteiligung von Laien als Personen, die als Vertreter der Zivilgesellschaft legitimiert sind, bezieht die Zivilgesellschaft in die Rechtsprechung mit ein. Strafurteile können dadurch eher von der Gesellschaft als ganzer mitgetragen werden, weil sie selbst an der Entscheidungsfindung beteiligt war. Die legitimierende Funktion von Laienbeteiligung liegt demzufolge vor allem darin, dass sie der Gesellschaft die Anerkennung von Strafurteilen, die unter Mitwirkung von Laienrichtern gefällt wurden, als verbindliche Entscheidungen erleichtert.
114
So etwa: Cornish, The Jury, S. 278; ähnlich auch: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 76; Stephen, History I, S. 566; White, Structure and Organisation, S. 11 f.; Hill/Winkler, CrimLF 11 (2000), 397 (411).
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
2. Verwirklichung demokratischer Werte im Strafverfahren Darüber hinaus stellt sich nun die Frage, ob Laienrichter als eine Art von „basisdemokratischem Element“ in der Lage sind, demokratische Werte in die Rechtsprechung einzubringen. Als derartige Werte könnten die Ausdehnung der Öffentlichkeit durch Teilnahme von Laien an der Urteilsberatung und an nichtöffentlichen Sitzungen, die durch Laien vermittelte Partizipation des Volkes an der Rechtsprechung sowie die Herstellung einer auf der Verständlichkeit von Recht gegründeten, transparenten Rechtspflege gelten. In dem anschließenden Kapitel wird zu analysieren sein, wie es die deutsche und die englische Verfahrensordnung den Laien ermöglicht, die genannten Werte in das Strafverfahren hineinzutragen.
a) Kontrolle durch Ausdehnung der Öffentlichkeit Als einer der Vorteile der Laienbeteiligung wird im deutschen Schrifttum teilweise die Eignung von Laien bezeichnet, die in Strafverfahren gem. § 169 GVG vorgeschriebene Öffentlichkeit in gewisser Weise in das Beratungszimmer und die nichtöffentlichen Sitzungen auszudehnen.115 Diese Betrachtungsweise betont die Eigenschaft der Schöffen als Vertreter der Öffentlichkeit und rückt ihre Eigenschaft als Angehörige des Gerichts in den Hintergrund. Eine derartige Gewichtungsverschiebung steht jedoch nicht im Einklang mit § 30 I GVG. Aus dieser Norm ergibt sich, dass die Schöffen an der Hauptverhandlung mit denselben Befugnissen wie die Berufsrichter teilnehmen. Sie geht somit davon aus, dass die Schöffen gleichberechtigt zum Gericht gehören. Es bleibt daher kein Raum für die Schaffung der notwendigen Distanz zur Ausübung von Kontrolle. Eine Kontrolle ist darüber hinaus allenfalls gerichtsintern möglich, etwa in der Form, dass Schöffen das Verhalten der Berufsrichter überwachen. Eine nach außen wirkende Form der Kontrolle wird dagegen durch die Verpflichtung zur Verschwiegenheit über den Inhalt der Beratungen (§§ 45 I 2; 43 DRiG) ausgeschlossen. In England ist im Gegensatz zu Deutschland zwar eine Distanz zwischen Berufsrichtern und Laien in der Strafrechtspflege vorhanden. Insgesamt trifft gleichwohl die Ausübung von Kontrolle auf das englische Recht noch weniger zu als auf das deutsche. Eine Kontrolle der Richter während der Beratung über das Schuldurteil erübrigt sich, weil dort kein Richter beteiligt ist. Die Geschworenen sind dar115
In diesem Sinne: Kern, Gerichtsverfassungsrecht, S. 80; Kühne, DRiZ 1975, 390 (393); Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 179; krit. Volk, FS Dünnebier, S. 377, der es eine Zumutung nennt, den Laienrichtern eine Doppelrolle als Richter und Vertreter der Öffentlichkeit zuzuweisen. Volk weist auch darauf hin, dass die Forderung nach Öffentlichkeit in Gestalt der Laienrichter letztlich in einem unberechtigten Misstrauen gegen Berufsrichter wurzeln würde. Grundlegend zum demokratietheoretischen Hintergrund und grundrechtsdogmatischen Konsequenzen der Herstellung von Öffentlichkeit: Scherer, Verwaltung und Öffentlichkeit, S. 28 ff.
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über hinaus zwar auch bei nichtöffentlichen Verhandlungsabschnitten anwesend, jedoch sind sie bei der Erörterung von Rechtsfragen, wie etwa der Zulässigkeit von Beweismitteln, ausgeschlossen. Daher sind sie nicht in der Lage, die Öffentlichkeit lückenlos zu ersetzen. Angesichts des Fehlens von Urteilsgründen und der Geheimhaltung der Beratung stellt sich für England vordergründig eher die Frage, wer die Geschworenen kontrollieren kann. Mit guten Gründen kann man nach diesen Feststellungen die Eignung von Laien als Kontrollinstanz innerhalb der Rechtsprechung bezweifeln. Es liegt daher näher, die Kontrolle der Rechtsprechung durch die Medien wahrnehmen zu lassen, obgleich nicht zu verkennen ist, dass die „Medienöffentlichkeit“ nicht nur hinsichtlich der Privatsphäre der Verfahrensbeteiligten auch durchaus problematisch sein kann. Daher werden der Medienöffentlichkeit mit guten Gründen sowohl in Deutschland als auch in England enge Grenzen beispielsweise dahingehend gezogen, dass Rundfunkaufnahmen während einer laufenden Verhandlung ausgeschlossen sind, § 169 S. 2 GVG.116 Durchaus kritisch ist auch die mediale Aufbereitung des gerichtlichen Alltags in sogenannten Gerichtsshows zu sehen, die ein verzerrtes Bild dieses Alltags an die Öffentlichkeit trägt. Dass den Medien ungeachtet dieser Bedenken hinsichtlich der Kontrolle der Rechtsprechung der Vorrang zu geben ist, ist einerseits dadurch gerechtfertigt, dass ein bedeutender Teil der medialen Gerichtsberichterstattung in einer objektiven, kritischen und qualitativ hochwertigen Art und Weise stattfindet. Im Gegensatz zu Laienrichtern haben die Medien darüber hinaus den Vorteil größerer Systemferne als Voraussetzung für eine objektive inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorgängen im Gerichtssaal. Schließlich verfügen nur die Medien über die Mittel, um Kritik auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.117
b) Partizipation des Volkes an der Rechtsprechung Über die bloße Repräsentation hinaus ermöglicht die unmittelbare Teilhabe von Laien an der Judikative normalen Bürgern, am Entscheidungsprozess in116
Vgl. für England: Elliott/Quinn, English Legal System, S. 352; Für Deutschland hält der BGH dieses Verbot für unverzichtbar; vgl. BGHSt 22, 83 (85); Vgl. auch zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG, StV 2001, 661; dafür auch Enders, NJW 1996, 2712 ff.; ausführlich zum Stand der Diskussion etwa, Meyer-Goßner, § 169 GVG m. w. N.; Huff, NJW 2001, 1622 f. 117 Wassermann, Bürgermitwirkung, S. 43; vgl. auch BVerfG, NJW 2008, 977, 978 f. wo auch mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BGH darauf hingewiesen wird, dass die öffentliche Kontrolle von Gerichtsverhandlungen durch die Anwesenheit von Medien und deren Berichterstattung grundsätzlich gefördert würde. Gleichzeitig gibt das BVerfG aber zu bedenken, dass mit der Berichterstattung im Umfeld von Gerichtsverhandlungen auch massive Beeinträchtigungen für den Angeklagten bezüglich seines Anspruchs auf Achtung der Unschuldsvermutung und der Belange seiner späteren Resozialisierung einhergehen können. – Skeptisch zu den Möglichkeiten der Kontrolle durch Medien: Scherer, Verwaltung und Öffentlichkeit, S. 24 ff.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
nerhalb der dritten Gewalt zu partizipieren. Sieht man Demokratie erst durch unmittelbare bürgerliche Teilhabe verwirklicht118, dann wäre die Laienbeteiligung an der Rechtspflege ein bedeutsamer Bestandteil demokratisch verfasster Gesellschaften. Soll die Laienbeteiligung dabei über bloße Symbolik im Sinne der oben beschriebenen „gefühlten Repräsentation“ durch Erleichterung der Anerkennung von Strafurteilen119 hinausgehen, müssten den Laien von dem jeweils einschlägigen Verfahrensrecht reale Mitwirkungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Im deutschen Recht wird Partizipation dadurch verwirklicht, dass Laien als Vertreter des Volkes kollegial mit den Berufsrichtern am Verfahren und an der Entscheidung mitwirken. Insoweit haben sie dieselben Rechte wie die Berufsrichter.120 Demzufolge sind die Laienrichter idealiter genauso wie die Berufsrichter in der Lage, auf das Ergebnis eines Strafverfahrens Einfluss zu nehmen. Am englischen Crown Court hingegen herrscht zwischen Laien und Berufsrichtern eine Teilung der Zuständigkeitsbereiche. Darin ist noch die historisch begründete Delegation der heiklen Entscheidung über Schuld und Unschuld an die Geschworenen erkennbar. Traditionell stehen im englischen Strafverfahren Richter und Geschworene nicht in Konkurrenz zueinander, sondern rücken zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den Mittelpunkt des Geschehens. Dieses Konzept der symbiotischen Arbeitsteilung kommt dadurch zum Ausdruck, dass das englische Strafverfahren auch als trial by judge and jury bezeichnet wird. Sowohl das deutsche als auch das englische Verfahrensrecht beinhalten folglich ein Gefüge von Normen, die den Laien eine mehr als nur pro forma wirksame Partizipation ermöglichen. Es bleibt die Frage, inwieweit diese theoretischen Konzeptionen auch praktisch effektive Mitwirkung ermöglichen können. Die damit verbundenen Probleme werden weiter unten im dem Kapitel, das sich mit der Frage nach der Verbesserung der Rechtsprechung durch Laienbeteiligung befasst, näher erörtert werden.121
c) Transparenz und Verständlichkeit von Recht Bereits Justus Möser hatte Laienbeteiligung als Test für die Verständlichkeit von Rechtsprechung postuliert122. Er empfahl Laien als Richter, weil ihr Verständnis der Gesetze dem des Angeklagten nahe komme. Das ermögliche eine Prüfung,
118
Wassermann, Bürgermitwirkung, S. 43; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 180. Siehe oben 3. Teil B. II. 1. c): Fazit. 120 Vgl. dazu bereits oben 2. Teil B. III.: Rechtsstellung und Praxis der Schöffen im gerichtlichen Verfahren. 121 Vgl. unten 3. Teil B. II. 1.: Mitwirkungsmöglichkeiten im gerichtlichen Verfahren. 122 Siehe oben 1. Teil B. IV. 1. a) bb): Der Ruf nach Laienbeteiligung in der deutschen Aufklärung – Justus Möser. 119
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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ob der Angeklagte das Gesetz verstanden haben könne.123 Auch die Leveller hatten den Gebrauch komplizierter juristischer Fachbegriffe als Hindernis für die Verständlichkeit und Zugänglichkeit des Rechtes angeprangert und die Jury als Mittel betrachtet, das die Verständlichkeit von Recht fördern sollte124. Die Prüfung der Verständlichkeit von Rechtsnormen durch Laienbeteiligung kann selbstverständlich nicht darauf abzielen, eine Sanktionierung zu verhindern, wenn der Normadressat eine Sanktionsnorm nicht kannte oder im Einzelfall nicht verstand. Weder nach deutschem noch nach englischem Recht schützt die Unkenntnis bzw. das Nichtverstehen einer Norm vor einer Bestrafung.125 Die Grenze wird vielmehr dadurch gezogen, dass Rechtsnormen für ihre Adressaten verstehbar sein müssen, damit der Bürger vor überraschenden Zugriffen des Staates geschützt ist.126 Dieser Gedanke hat im Strafrecht mit seinem scharfen Sanktionsregime besondere Bedeutung. Es gilt daher dort das Prinzip „nulla poena sine lege“. Hier kann die Beteiligung von Laien bei der Rechtsanwendung dokumentieren, dass Recht in Form des Strafgesetzes auch für diejenigen verständlich bleibt, die kein entsprechendes Studium absolviert haben. Eine über die Dokumentation hinausgehende Garantie dieses Zustandes durch Laienbeteiligung ist jedoch zweifelhaft. Für England gründet sich diese pessimistische Einschätzung darauf, dass dort die Geschworenen grundsätzlich auf Tatsachenentscheidungen beschränkt bleiben. Insoweit sie bei der Beantwortung der Schuldfrage Tatsachen in normative Kategorien einordnen müssen, tun sie dies nur einzelfallbezogen und aufgrund der Erläuterung im summing up. In Deutschland ist zu vermuten, dass die gemeinsame Entscheidungsfindung von Laien und Juristen etwaige Verständnisschwierigkeiten der ersteren verdeckt. Einen echten Test für die Verständlichkeit von Rechtsprechung kann daher auch das deutsche Modell der Laienbeteiligung nicht bieten. Eine zweite Folge der Teilnahme von Laienrichtern am gerichtlichen Verfahren könnte eine transparentere Verhandlungsführung sein. Insoweit könnte die Anwesenheit von Laienrichtern in der Strafrechtspflege eine erzieherische Wirkung 123
„Die deutlichste Probe aber, daß ein Verbrecher das Gesetz verstanden habe, oder doch verstehen könne und solle, ist unstreitig diese, wann sieben oder zwölf ungelehrte Männer ihn danach verurtheilen und durch eben dieses Urtheil zu erkennen geben, wie der allgemeine Begriff des übertretenen Gesetzes gewesen und wie jeder mit bloßer gesunder Vernunft begabte Mensch solches ausgeleget habe.“ Vgl. Möser, Patriotische Phantasien I, S. 340 f. 124 Vgl. oben 1. Teil A. III. 4. a) aa): Die Sichtweise der Leveller. 125 Für das deutsche Recht, vgl. § 17 StGB; für die Bestrafung einer Zuwiderhandlung als Wirtschaftsstraftat: BGH (Gr.Sen.) 11, 263 (266); allgemein: Tröndle/Fischer, § 17 Rn. 3; für das englische Recht: Shears/Stephenson, James’ Introduction, S. 162. 126 Herzog, Palladium, S. 353; vgl. zur Notwendigkeit von Partizipation bei der Anwendung des Rechts als Kompensation der Unbestimmtheit abstrakt allgemeiner Regeln: Habermas, Faktizität und Geltung, S. 272 ff. m. w. N. zu neueren sprachphilosophisch inspirierten Arbeiten und einer kritischen Auseinandersetzung insbesondere mit den Arbeiten Ronald Dworkins.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
auf die Berufsrichter haben.127 Die Art und Weise der Verhandlungsführung muss dem Verständnis der Laienrichter angepasst werden. Folglich zwingt die Mitwirkung von Laien den Berufsrichter zu erschöpfender Verhandlungsführung. Dadurch wird nicht nur eine vollständige Klärung des Sachverhaltes, der Tat im prozessualen Sinn, gewährleistet, sondern auch die Verständlichkeit und Überschaubarkeit der Vorgänge für den Angeklagten und die Öffentlichkeit verbessert.128 Ob die Beteiligung von Laien tatsächlich eine der beschriebenen Wirkungen hat, ist noch nicht empirisch belegt worden. Geht man jedoch davon aus, dass solche Wirkungen existieren, ergibt sich die Frage, für welche Form der Laienbeteiligung dies mehr zutrifft. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass im Verfahren des trial by jury der Richter bereits während der Verhandlung gezwungen ist sicherzustellen, dass die Geschworenen alle Vorgänge begreifen. Anschließend hat der Richter schließlich keine Möglichkeit mehr, Missverständnisse zu beseitigen. Zudem ist auch während der Verhandlung keine Kommunikation zwischen Richter und Geschworenen möglich, die Unklarheiten ohne Umweg beseitigen könnte. Dagegen kann sich der Richter eines kollegial beratenden Schöffengerichts sicher sein, spätestens bei der Beratung Verständnisschwierigkeiten bei den Schöffen abhelfen zu können. Dies bedeutet, dass unverständliche Begrifflichkeiten und Vorgänge nicht während der Hauptverhandlung öffentlich erläutert werden. Für die Verständlichkeit der Vorgänge in der Hauptverhandlung scheint somit das Modell des Geschworenengerichts eine größere Gewähr zu bieten.
d) Fazit Obgleich die Laienbeteiligung auf eine lange Tradition als Mittel zur Demokratisierung von Rechtsprechung zurückblickt, hat die obige Untersuchung der Verwirklichung demokratischer Werte im Strafverfahren nachgewiesen, dass dieser Anspruch der Realität nicht gerecht wird. Insbesondere ist die Beteiligung von Laien weder in ihrer deutschen noch in der englischen Form geeignet, eine Kontrollfunktion im Sinne einer Ausdehnung der Öffentlichkeit wahrzunehmen. Vor allem angesichts der Notwendigkeit der Geheimhaltung der Vorgänge während der Beratung ist die Ausübung von Kontrolle durch Laien in der Gerichtsbarkeit auch grundsätzlich nicht opportun. Unklar bleibt zudem, inwieweit Laienbeteiligung tatsächlich zu mehr Verständlichkeit im Recht führt. Es sprechen immerhin einige Anhaltspunkte dafür, eine 127 So die Vermutung von: Schorn, Laienrichter, S. 3; krit. Kühne, Laienkompetenz gegen Expertenkompetenz, S. 179, der insbesondere geltend macht, dass Laien infolge der fehlenden Beherrschung der juristischen Terminologie gar nicht in der Lage seien, die Richtigkeit der Übersetzung des Berufsrichters in die Umgangssprache zu überprüfen. 128 Schorn, Laienrichter, S. 3 f.; Knittel, Das englische Schwurgericht, S. 116.
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positive Wirkung auf die Gestaltung der Verhandlung durch Laienbeteiligung zu konstatieren. Darüber hinaus verweist die Laienbeteiligung sowohl in England als auch in Deutschland auf den allgemeinen Grundsatz „nulla poena sine lege“129, weil sie die Verstehbarkeit von Recht dokumentiert. Zudem verbleibt der Umstand, dass die Einbeziehung von Laien in die Rechtsprechung eine Partizipation der Bürger an der hoheitlichen Aufgabe der Strafverfolgung gewährleistet, als ein demokratischer Wert der Laienbeteiligung.
3. Prävention einer Entfremdung von Recht und Gesellschaft Auf die Bedeutung der Akzeptanz von Recht bei den seiner Gewalt unterworfenen Bürgern ist bereits verschiedentlich eingegangen worden. Dieser Gesichtspunkt soll durch die folgenden Untersuchungen noch einmal aufgenommen werden, die sich mit dem Problem befassen, ob es durch Laienbeteiligung gelingt, Recht in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Es geht dabei um die Frage, ob durch Laienbeteiligung einer Entfremdung der Gesellschaft gegenüber dem Recht vorgebeugt werden kann, wie dies beispielsweise von Hegel und Möser gefordert130 wurde. In diesem Zusammenhang ist zuerst der Stellenwert von Laienbeteiligung in der Gesellschaft von Interesse. Davon wird letztlich abhängen, welcher Einfluss von diesem Institut ausgehen kann. Weiterhin gilt es zu untersuchen, in wieweit sich durch Laienbeteiligung das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Rechtsprechung tatsächlich ändern kann. Dies wirft die Fragen auf, ob Laien die Rechtsprechung popularisieren können und ob die Laienbeteiligung an der Strafjustiz einen häufig angenommenen „Gegensatz zur Juristenkaste“ zu überwinden vermag. Zum Schluss befasst sich dieses Kapitel mit der Frage, ob Laienbeteiligung auch in der Lage ist, Gesetzgebung zu beeinflussen.
a) Bewertung der Stellung der Laienbeteiligung in der Gesellschaft In der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit spielen die Schöffen eine untergeordnete Rolle. Symptomatisch für die Stellung der Schöffen im öffentlichen Bewusstsein ist das Schattendasein, das sie in den Medien führen. Schöffen 129 Dieser Grundsatz ist auch in England geltendes Recht. Spätestens seit der Umsetzung der EMRK in innerstaatliches englisches Recht durch den Human Rights Act 1998 gilt dort nämlich auch Art. 7 EMRK direkt. Spuren des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ finden sich jedoch auch bereits in der Magna Charta, wo es heißt, dass „kein freier Mann verhaftet, gefangen gehalten, (…) (werden soll), (…) es sei aufgrund eines gesetzlichen Urteilsspruchs durch seinesgleichen oder auf Grund des Landesrechts“. 130 Vgl. oben 1. Teil B. IV. 1. a) bb): Der Ruf nach Laienbeteiligung in der deutschen Aufklärung – Justus Möser sowie 1. Teil B. IV. 3. c): Der Gedanke der Laienbeteiligung bei Hegel und seinen strafrechtlichen Schülern.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
treten weder in den Gerichtsshows im Fernsehen auf, noch wird ihre Arbeit häufig in der Presse thematisiert.131 Dies steht im Gegensatz zu der großen Präsenz von Geschworenen in vielen Büchern und Filmen, die sich mit dem englischen Strafverfahren beschäftigen.132 Ein Teil dieser Aufmerksamkeit ist wahrscheinlich der guten dramaturgischen Darstellbarkeit des adversatorischen Verfahrens mit der Entscheidung der Geschworenen als Höhepunkt eines sich zuspitzenden Prozessgeschehens geschuldet. Abgesehen davon existieren allerdings auch literarische Beispiele, die gerade die Frage der Entscheidungsfindung durch Geschworene thematisieren. Ein prominentes Beispiel dafür ist das Theaterstück „Twelve Angry Men“ von Reginald Rose, in dem ein einzelner Geschworener die übrigen Angehörigen einer Jury von seinen Zweifeln an der Schuld des Angeklagten überzeugt – ein Plädoyer für die Vorteile von Juries. Schlaglichtartig beleuchtet den Mythos der Jury der folgende Monolog eines Geschworenen aus diesem Kammerspiel: „Es ist möglich, dass wir einen Verbrecher in die Gemeinschaft zurückführen. Wer will dafür garantieren? Aber wir haben einen begründeten Zweifel, und darin liegt eine unschätzbare Sicherheit für unser ganzes System. (…) Wir dürfen zweifeln. Unsere Freiheit beruht darauf. Kein Geschworener in diesem Lande darf einen Menschen für schuldig erklären, wenn er nicht sicher ist.“133 Obwohl der Anteil der Verfahren vor einer Jury, wie bereits mehrfach festgestellt wurde, nur etwa 1 % des Gesamtaufkommens aller Strafprozesse in England ausmacht, ist der trial by jury in der öffentlichen Wahrnehmung der Inbegriff der Strafjustiz und der englischen Rechtskultur.134 Das mag unter anderem auch an der großen Anzahl von Personen liegen, die als Geschworene dienen. Zwischen April 2001 und Mai 2002 amtierten beispielsweise rund 320.000 englische Bürger in Juries. Die Chance für einen Engländer, im Verlauf seines Lebens Geschworener zu werden, liegen bei eins zu sechs.135 Demgegenüber sind derzeit an deutschen Gerichten Strafgerichten etwa 61.000 Schöffen und Jugendschöffen tätig.136 In der englischen Öffentlichkeit genießen Juries allgemein großes Vertrauen.137 Gesetzesnovellen, die als Angriffe auf die Institution der Jury angesehen werden, 131 Als ein Gegenbeispiel dazu mag ein im Spiegel 2004/4, 54 erschienener Beitrag gelten, in dem die Schöffen jedoch in einem negativen Licht erscheinen. 132 Beispielhaft seien genannt, der Erlebnisbericht „The Juryman’s Tale“ von Trevor Grove und, obwohl der Ort der Handlung jeweils in den Vereinigten Staaten liegt, die Novelle „To Kill a Mockingbird“ von Harper Lee sowie „Twelve Angry Men“ von Reginald Rose. 133 Vgl. Rose/Budjuhn, Die zwölf Geschworenen, Rn. 89 f. 134 White, Structure and Organisation, S. 13; Elliott/Quinn, English Legal System, S. 178, weisen darauf hin, dass die absolute Zahl mit rund 30.000 Fällen nichtsdestoweniger noch hoch ist und es sich zudem um die schwerwiegendsten Straftaten handelt. 135 Die statistischen Angaben sind einem White Paper des britischen Innenministeriums entnommen (http://www.homeoffice.gov.uk/documents/ria-jury-exemptions-1102). 136 Die Zahlen beruhen auf Angaben des Bundesverbands ehrenamtlicher Richterinnen und Richter e. V. unter http://www.schoeffen.de. 137 Mungham/Bankowski, Jury in the Legal System, S. 217 f.
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erfahren in der Öffentlichkeit regelmäßig große Beachtung und nicht selten Widerstand, der mitunter zu Änderungen in der Gesetzgebung führt.138 In der deutschen Öffentlichkeit findet eine allgemeine Diskussion über die Rolle der Schöffen dagegen nicht statt.139 Vielmehr beschränkt sich die Auseinandersetzung auf die Fachöffentlichkeit140 und dort findet dieses Thema nicht eben große Beachtung. Ein historisches Beispiel für die deutsche Indifferenz gegenüber der Frage der Laienbeteiligung ist die seinerzeit sehr verhaltene Kritik an der Abschaffung der Schwurgerichte 1924 durch die Lex Emminger.141 Auch die konkrete Arbeit der englischen Geschworenen wird von der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen und unterstützt als die der deutschen Schöffen. Dieser unterschiedliche Grad der Wahrnehmung ist freilich zu wenig fassbar, um daraus belastbare Schlüsse zu ziehen. Davon abgesehen steht jedoch die Frage im Raum, ob eine Einrichtung, die so wenig von der Öffentlichkeit beachtet wird wie das Schöffengericht, überhaupt in der Lage ist, gesellschaftlichen Einfluss auszuüben.
b) Popularisierung der Rechtspflege Hinsichtlich der innergesellschaftlichen Wirkung von Laienbeteiligung wird mitunter hervorgehoben, sie trage zur Popularisierung und Integration der Rechtspflege in die Gesellschaft bei.142 Laien würden durch ihre Tätigkeit Wissen über die Justiz erwerben. Dieses könnten sie weitergeben und auf diese Weise als „Multiplikatoren“ wirken. Wie Umfragen unter Bochumer und Frankfurter Schöffen aus den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts exemplarisch belegen, wird diese Rolle von den deutschen Schöffen allerdings kaum wahrgenommen.143 Im Familienkreis erzählen Schöffen noch relativ häufig von ihren Erfahrungen. Jedoch geben sie als Motiv überwiegend an, damit Belastungen, denen sie im Verlauf ihrer Tätigkeit bei Gericht ausgesetzt waren, zur kompensieren.144 Gegenüber Bekannten und Freunden berichten Schöffen dagegen selten. Häufig wird von ihnen ein Gegensatz zwischen der eigenen differenzierten Sichtweise und dem Standpunkt von Außenstehenden als gravierend wahrgenommen. Insbesondere sehen sich viele Schöffen Anfeindungen wegen einer angeblich zu liberalen Hal-
138 Vgl. oben 2. Teil A. VIII. 2.: Neue Gesetzgebung und Gesetzgebungsinitiativen zu Verfahren ohne Jury. 139 Vgl. dazu etwa: Machura, Fairneß und Legitimität, S. 41. 140 Siehe beispielsweise die 2007 erschienene Dissertation: Gerding, Trial by Jury. 141 Ausführlich: Böttges, Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, S. 50; Kern, Geschichte, S. 163; Vormbaum, Lex Emminger, S. 59 ff. 142 Villmow/ter Veen/Walkowiak/Gerken, FS Pongratz, S. 324; Herzog, Palladium S. 345, 350 ff.; Tocqueville, Demokratie in Amerika, S. 178; Jury in Criminal Trials, S. 13. 143 Machura, Fairneß und Legitimität, S. 277. 144 Machura, Fairneß und Legitimität, S. 275.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
tung der Justiz ausgesetzt.145 Dies illustriert ein weiteres Mal, dass die Schöffen oftmals mehr als Teil der Justiz denn als Kontrollorgan derselben wahrgenommen werden. Sieht man davon ab, dass die Schöffen selbst offenbar nur mit größter Zurückhaltung von ihren Erfahrungen berichten, ist ihre Zahl mit derzeit rund 61.000 verhältnismäßig zu gering, als dass sie eine messbare Wirkung entfalten könnten. Für das Ausmaß, in dem die englischen Geschworenen über ihre Tätigkeit berichten, existieren keine Untersuchungen. Die große Zahl von Personen, die im Laufe eines Jahres als Geschworene eingesetzt werden – innerhalb eines einzigen Jahres fünf mal mehr als in Deutschland in vier Jahren – deutet aber darauf hin, dass in England eine umfänglichere Weitergabe von Wissen an die Gesellschaft erfolgt. Andererseits dürfte die Dienstzeit von nur zwei Wochen verhindern, dass die Geschworenen in demselben Ausmaß wie die Schöffen Wissen und Erfahrungen in der Justiz gewinnen. Aus diesen Beobachtungen folgt, dass es übertrieben wäre, in der Laienbeteiligung ein Mittel zur Rechtserziehung und der Entwicklung eines Rechtsbewusstseins zu sehen.146 Die Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft von Laien hinsichtlich ihrer Tätigkeit in der Rechtsprechung ist dazu offenbar nicht ausreichend. Nicht zuletzt stehen einer solchen Aufgabenzuweisung auch die in England und Deutschland geltenden Vorschriften zur Geheimhaltung entgegen.147 Laien sind somit nicht geeignet, als „Multiplikatoren“ für die Belange der Justiz zu wirken. Letztlich können sie nur die Präsenz der Strafjustiz in der Öffentlichkeit verbessern.148
c) Durchbrechung des Gegensatzes zwischen Bürgergesellschaft und „Juristenkaste“ Nachdem festgestellt wurde, dass Laienbeteiligung an der Strafjustiz wenig geeignet ist, die Rechtspflege zu popularisieren, geht es nunmehr darum zu bewerten, ob Laien in der Lage sind, die Justiz personell der Struktur der Gesellschaft anzupassen. Die bewusst provokant formulierte Überschrift dieses Abschnittes soll in ihrer Überspitzung diese Fragestellung auf den Punkt bringen. Es soll allerdings nicht suggeriert werden, in England oder Deutschland würde eine von der übrigen Bürgerschaft abgehobene „Juristenkaste“ bestehen, wie sie etwa der deutsche Inquisitionsprozess hervorgebracht hatte.
145
Machura, Fairneß und Legitimität, S. 277 f. In diese Richtung argumentierend: Wassermann, Bürgermitwirkung, S. 45; Wassermann, Kriminalpolitik, S. 87; Holdsworth, History I, S. 348 f.; Kühne, ZRP 18 (1985), 237 (238). 147 Vgl. für das englische Recht: 2. Teil A. V. 3.: Die Vertraulichkeit der Beratung; für das deutsche Recht: 2. Teil B. III. 3. a): Die Urteilsberatung. 148 Jung, FS LG Saarbrücken, S. 217; Machura, Fairneß und Legitimität, S. 40 ff. 146
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In England existiert noch eine weitgehend homogene Richterschaft149. Die englische Richterschaft rekrutiert sich größtenteils aus der Oberschicht (upper class), ist vorwiegend männlich und ihr Altersdurchschnitt ist hoch.150 Für diese Besonderheiten ist weitgehend der Umstand verantwortlich, dass Richter in England aus den Reihen verdienter Anwälte berufen werden. Zwar gibt es in dieser Hinsicht in jüngster Zeit eine Bewegung hin zu einer besser ausbalancierten Struktur der Richterschaft,151 in der Bevölkerung ist jedoch immer noch das Bild vom Richter als Angehörigem der oberen Klassen lebendig. Aus diesem Grund bleibt die Kompensation des sozialen Gefälles zwischen Richterbank und Angeklagtem auch weiterhin eine wenigstens symbolische Funktion der Geschworenen. Das Argument des sozialen Ausgleichs wiegt für Deutschland weniger schwer, weil hier der soziale Hintergrund der Richterschaft vielfältiger ist als in England.152 Die Tradition des Misstrauens gegenüber Juristen, die in die Zeit der Inquisitionsgerichte zurückreicht, erscheint daher unbegründet. Zudem garantieren die grundgesetzliche Verankerung der richterlichen Unabhängigkeit und die Gesetzesbindung der Richter ein hohes Maß an Unparteilichkeit. Davon abgesehen ist die soziale Struktur der Laien derjenigen der Richterschaft stark angenähert153, so dass eine Kontrolle der Richterschaft durch die Schöffen in sozialer Hinsicht nicht möglich ist. In Deutschland schaffen die Laienrichter somit keinen sozialen Ausgleich auf der Richterbank. Ihre Funktion ist anders gelagert. Dies hat mit einem Phänomen zu tun, das Radbruch einmal die „unbewußte Suggestion (…), welche die dreifache Eigenschaft als Jurist, Staatsbeamter und Angehöriger einer bestimmten Gesellschaftsklasse (…) ausübt“154, nannte. Nicht nur die Herkunft, sondern auch der soziale Status Quo kann nämlich für eine Gruppenbildung ursächlich sein. Innerhalb solcher Gruppen kann es zur Entwicklung eines mit der Eigenschaft als Angehöriger der Gruppe verbundenen Überlegenheitsgefühls kommen. Damit korrespondiert eine Abschottung gegenüber Nichtgruppenmitgliedern. Laienbeteiligung zwingt die Berufsrichter zur Auseinandersetzung mit Personen, die nicht ihrer Gruppe angehören, weil sie ihnen gleichgestellt sind. Dies kann einer Gruppenbildung mit ihren negativen Effekten entgegenwirken.
d) Beeinflussung von Gesetzgebung durch Laien Eine Verringerung der Distanz zwischen Recht und Gesellschaft ist auch dadurch denkbar, dass die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Mitwirkung am 149
Spencer, Machinery of Justice, S. 394. Schulte-Nover, Strafrichter, S. 131. 151 Schulte-Nover, Strafrichter, S. 117, 136 f. 152 Wassermann, Bürgermitwirkung, S. 43; Machura, Interaction, S. 452 f. 153 Machura, Fairneß und Legitimität, S. 39 f.; Langbein, Mixed Court and Jury Court, S. 208; Kühne, Laienkompetenz gegen Expertenkompetenz, S. 176 f. 154 Radbruch, Einführung, S. 188. 150
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
Gesetzgebungsprozess über Wahlen und Abstimmungen hinaus, sei es auch in vermittelter Weise, erweitert werden. In diesem Zusammenhang könnte der Laienbeteiligung eine besondere Rolle zukommen, wenn die Laien ein Feedback bezüglich bestimmter Gesetze geben könnten, das den Gesetzgeber zum Handeln veranlassen würde. Im Verlauf der Geschichte der englischen Jury ließ sich in der Tat immer wieder die Erscheinung beobachten, dass sich die Geschworenen weigerten, die Angeklagten wegen bestimmter Straftaten zu verurteilen. Massenhaft trat die Ablehnung von Verurteilungen während des Streits um seditious libel am Ende des 18. Jahrhunderts155 und im Zusammenhang mit der pious perjury156 auf. In diesen Fällen löste die Renitenz der Juroren Aktivitäten des Gesetzgebers aus, die zu entsprechenden Änderungen des Rechts führten.157 Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Schaffung des Straftatbestandes causing death by dangerous driving im Jahr 1956. Dies geschah unter anderem als Reaktion auf die beharrliche Weigerung vieler Juries, Angeklagte wegen des ansonsten einschlägigen Tatbestands manslaughter für schuldig zu befinden.158 Die Geschworenen können auch heute noch wegen der Geheimheit ihrer Beratung und der fehlenden Angreifbarkeit eines Freispruches im Rechtsmittelverfahren die Anwendung bestimmter Gesetze blockieren. Derartige Möglichkeiten stehen den Schöffen nicht zur Verfügung. Sie sind als Richter an Recht und Gesetz gebunden, obwohl die Arithmetik der Mehrheitsverhältnisse in den Spruchkörpern eine Blockade der Schöffen theoretisch gestatten würde. Mit guten Gründen kann somit davon ausgegangen werden, dass Schöffen keinen direkten Einfluss auf die Gesetzgebung haben. Angesichts der Komplexität des Vorganges von Gesetzgebung gilt dieses Ergebnis trotz der soeben gemachten Beobachtungen auch in Bezug auf England. Jenseits einer Erzwingung von Gesetzesänderungen durch Blockade kann der Wert von Laienbeteiligung für die Gesetzgebung jedoch auf einer ideellen Ebene angesiedelt werden. Gesetzgebung ist letztlich der Ausdruck gesellschaftlicher Werte bzw. deren Veränderung. Die Art und Weise der Rechtsanwendung kann den Gesetzgeber auf Missstände und Lücken zwischen geltendem Recht und gesellschaftlichen Wertvorstellungen aufmerksam machen. Es ist daher vorteilhaft, wenn sich Rechtsanwender möglichst nahe an der Gesellschaft befinden. Diese Nähe kann durch Einbeziehung von Laien in die Rechtsprechung gefördert werden.
155 Siehe dazu oben 1. Teil A. IV. 2.: Die Jury in politischen Strafverfahren, seditious libel – Der Streit um die Rolle der Jury geht weiter. 156 Vgl. zu dieser Erscheinung vorstehend 1. Teil A. IV. 1.: Das Phänomen der pious perjury. 157 Vgl. oben 1. Teil A. V. 2. b): Die Einschränkung der Todesstrafe. 158 Freeman, CLP 1981, 65 (92); Knittel, Das englische Schwurgericht, S. 107; Devlin, 107 LQR (1991), 398 (404).
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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e) Fazit Der Beitrag von Laien in der Strafrechtspflege als eine Vorbeugung gegen eine Entfremdung von Gesellschaft und Recht bewegt sich in Bereichen, die wenig fassbar sind. Am deutlichsten wird dies bei den Fragen der Popularisierung von Rechtspflege und der Beeinflussbarkeit von Gesetzgebung durch Laien. Laienbeteiligung kann dessen ungeachtet ermöglichen, dass jeder Bürger an der Durchsetzung von strafrechtlichen Normen mitwirken kann. Sowohl für Deutschland als auch für England gilt, dass durch Laienbeteiligung ein Gegengewicht zu den professionellen Richtern geschaffen wird. Dies verhindert eine Monopolisierung von Rechtsprechung durch professionelle Rechtsanwender.159 Laienbeteiligung dient insoweit der allgemeinen Rationalisierung des Rechts160. Sie sorgt dafür, dass Recht nicht das Expertenwissen einer geschlossenen Gruppe erscheint, sondern sich auch tatsächlich und konkret nach außen öffnen und bewähren muss.
4. Zusammenfassung Die Bilanz der Laienbeteiligung als Mittel zur Gewährleistung bürgerlicher Beteiligung an der Rechtsprechung vereint gegensätzliche Resultate. Die beiden zuletzt behandelten Aspekte bürgerlicher Beteiligung, die Verwirklichung demokratischer Werte und die Prävention einer Entfremdung der Gesellschaft als solche, bleiben sowohl in England als auch in Deutschland in ihrer Bedeutung hinter der allgemeinen Legitimierungsfunktion zurück. Das hängt damit zusammen, dass es entweder nicht zwingend ist, bestimmte Ziele über die Beteiligung von Laien zu verfolgen, oder dass der Einfluss von Laien in einem nicht konkret fassbaren Bereich bleibt. Als wichtigster Beitrag der Einbeziehung von Laien als Schöffen wie auch als Geschworene kann somit deren legitimierende Wirkung für Strafurteile festgehalten werden. Die Teilnahme von Vertretern der bürgerlichen Zivilgesellschaft bestätigt eine strafrechtliche Sanktion gewissermaßen sichtbar als Reaktion der gesamten Gesellschaft auf einen Rechtsbruch. Die Legitimation weist jedoch noch weiter. Legitimation von Rechtsprechung ist Teil des Wesens von Demokratie. Insoweit fließen über die legitimierende Wirkung der Laienbeteiligung auch demokratische Werte in die Jurisdiktion ein. Die Legitimationswirkung dient darüber hinaus der Anbindung der Gesellschaft an die Rechtsprechung, indem sie die Ver159 In diesem Sinne auch: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 76; Stephen, History I, S. 566; White, Structure and Organisation, S. 11 f. 160 Wie wenig rational die Vorgänge bei Gericht allgemein empfunden werden, kommt beispielsweise in dem Sprichwort zum Ausdruck, nach dem „Vor Gericht und auf hoher See alle in Gottes Hand“ sein sollen.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
hängung von Sanktionen als eine Angelegenheit der Gesellschaft insgesamt erlebbar macht. Auf diese Weise wird einer Entfremdung der Gesellschaft gegenüber dem Recht und der dritten Gewalt vorgebeugt.
II. Die Frage nach dem Beitrag von Laienrichtern zur Verbesserung der Qualität der Rechtsprechung Die Fragen nach dem Beitrag von Laienrichtern zur Verbesserung der Qualität der Rechtsprechung und danach, wie die Fähigkeit von Laienrichtern zum gerechten Urteilen zu beurteilen ist, zielen auf eines der Kernprobleme der Laienbeteiligung. Der Diskurs über die grundsätzliche Eignung von Laien zum Richter einer Entscheidung in Strafsachen gehört zum Standardrepertoire in den Auseinandersetzungen zwischen Kritikern und Befürwortern der Laienbeteiligung. Von einem ausschließlich deutschen Standpunkt aus betrachtet mag es verwundern, dass die Frage nach der Qualität der Rechtsprechung erst an dieser Stelle und im Anschluss an die Frage nach deren demokratischer Legitimation gestellt wird. Nach deutschem Verständnis besteht das Ziel eines Strafverfahrens darin, eine materiell richtige Entscheidung, die Rechtsfrieden schafft, nach den Regeln der Prozessordnung zu finden.161 Davon ausgehend würde es näher liegen, die Frage nach der demokratischen Legitimation als Unteraspekt der Qualität der Rechtsprechung zu behandeln. Wie jedoch die vorstehende Betrachtung gezeigt hat, kommt der legitimierenden Wirkung der Laienbeteiligung aus englischer Sicht eine überragende Bedeutung bei. Demgemäß ist es dem Charakter dieser Arbeit als einer rechtsvergleichenden Untersuchung geschuldet, die beide Perspektiven zu reflektieren hat, dass die demokratische Legitimierung von Rechtsprechung und deren Qualität gleichberechtigt nebeneinander behandelt werden. Im Einzelnen sind es hier drei Schwerpunkte, für die die Frage der Verbesserung von Rechtsprechung durch Laienmitwirkung besprochen werden soll. An erster Stelle steht die Beurteilung der Möglichkeiten der Mitwirkung von Laienrichtern im gerichtlichen Verfahren. Eine weitere Einflussgröße ist die Art und der Umfang des Einflusses der Laien auf den Inhalt des Urteils. Im abschließenden Kapitel geht es um das Verhältnis von Laienrichtern zum geltenden Recht. Gefragt werden soll, ob es den Laienrichtern zukommt, in bestimmten Fällen Gnade vor Recht ergehen zu lassen. In diesem Zusammenhang soll auch untersucht werden, ob Laienrichter eine eigenständige, rechtsbildende Funktion ausüben dürfen. Die Frage ist freilich, was eine Verbesserung der Rechtspflege ausmacht und woran diese erkennbar sein soll, wenn in den beiden betrachteten Rechtsordnungen unterschiedliche Gewichtungen der Qualität der Rechtspflege gesetzt wer161 So: Roxin, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 3; ähnlich auch: Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 17; vgl. auch Klesczewski, Strafprozessrecht, Rn. 6.
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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den. In dem Bemühen, hier einen objektiven Maßstab zu finden, soll der Beitrag der Laien innerhalb der hier zu untersuchenden drei Schwerpunkte jeweils zu verschiedenen Parametern angesprochen und bewertet werden, die ein Urteil qualitativ kennzeichnen. Bei diesen Parametern handelt es sich um die materielle Wahrheit, die Gesetzesbindung sowie die Einzelfallgerechtigkeit. Die Überprüfung dieser Parameter erfolgt konkret anhand einer Analyse der Verfahrensnormen, durch die Laienmitwirkung in England und Deutschland normiert wird.
1. Mitwirkungsmöglichkeiten im gerichtlichen Verfahren Die Möglichkeiten der Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren sind vorentscheidend für zwei Folgen. Erstens bestimmen sie, inwieweit die Laien in die Lage versetzt werden, die Abläufe in einem Strafverfahren zu erfassen, um dadurch die Grundlage für die Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe zu legen. Zweitens wirkt sich die Art und Weise der Mitwirkung auch auf die Gestaltung des Prozesses selbst aus. In dem nachfolgenden Abschnitt sollen daher die Normen, die in England und Deutschland die Mitwirkung der Laien regeln, daraufhin untersucht werden, wie sie sich auf den Eintritt der eben genannten Folgen auswirken. Die Reihenfolge der Untersuchung orientiert sich an der chronologischen Abfolge der Verfahrensschritte. Sie setzt demzufolge bei den Informationen vor der Hauptverhandlung an, leitet anschließend zur Hauptverhandlung selbst über und endet mit der Beteiligung an der Strafzumessung.
a) Vorinformationen Unter dem Oberbegriff der Vorinformation sollen hier zwei Arten der Vorbereitung der Laienrichter auf ihre Tätigkeit besprochen werden. Zunächst geht es darum, ob und welche Kenntnisse über ihr Arbeitsfeld den Schöffen bzw. den Geschworenen vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit vermittelt werden. Anschließend wird die Frage behandelt, wie sich die Laienrichter auf ein konkretes Strafverfahren vorbereiten können.
aa) Schulungen Die Idee der Mitwirkung von Laien schließt schon begrifflich eine umfassende juristische Ausbildung der Laien vor ihrem Einsatz in der Rechtsprechung aus. Gleichwohl erhalten Schöffen und auch Geschworene vor dem Dienstantritt eine Schulung. Den Geschworenen wird als Beilage zu ihrer Ladung Informationsmaterial zur Verfügung gestellt. Darin finden sie Informationen zu formalen Fra-
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
gen, wie der angemessenen Kleidung, sowie zu den Vorgängen vor der Vereidigung und während des Verfahrens.162 Am Tage ihres ersten Dienstes wird den Geschworenen überdies ein Film gezeigt, der nochmals über die Vorgänge während der Verhandlung sowie über Formalitäten wie die Geltendmachung von Auslagen und den Ausgleich finanzieller Verluste informiert.163 Den Schöffen werden ebenfalls zu Beginn ihrer Amtszeit eine Broschüre sowie Merkblätter zu ihren Rechten und Pflichten ausgehändigt. Häufig werden zusätzlich kurze Einführungsveranstaltungen durchgeführt. Während ihrer Dienstzeit werden den Schöffen zudem Weiterbildungsveranstaltungen angeboten.164 Inhaltlich sind die Schulungen darauf gerichtet, über äußere Vorgänge und Verfahrensfragen aufzuklären, um in dieser Hinsicht Missverständnisse zu vermeiden. Dieser Ansatz weist in die richtige Richtung. Es kann nicht darum gehen, durch Schulungen im materiellen Recht ein juristisches Halbwissen zu vermitteln. Es ist jedoch fraglich, ob die angebotenen Informationsmöglichkeiten ausreichend sind. Besonders problematisch ist, dass es den Schöffen und Geschworenen zugemutet wird, sich im Selbststudium aus Broschüren und Merkblättern Wissen anzueignen. Andererseits kann ein Defizit an Kenntnissen über grundlegende Abläufe des gerichtlichen Alltages das Selbstbewusstsein der Laienrichter untergraben.165 Besonders in dem kollegialen Schöffensystem ist mangelndes Selbstbewusstsein der Laienrichter schädlich. Die Funktionsfähigkeit des kollegialen Systems setzt nämlich die Möglichkeit einer Kommunikation zwischen Laien- und Berufsrichtern „auf Augenhöhe“ voraus. Für beide Rechtssysteme gilt ferner, dass ein fehlender Überblick über formale Fragen den Blick auf das Geschehen während der Hauptverhandlung verstellen kann. Verbesserungen der Schulungen wären daher sowohl in England als auch in Deutschland dahingehend wünschenswert, dass den Laienrichtern ein umfassender Überblick über diese Fragen angeboten wird.166
bb) Aktenkenntnis Weder den Geschworenen noch den Schöffen werden vor Prozessbeginn die Ermittlungsakten zur Kenntnis gegeben. Berufsrichtern dagegen steht die Möglichkeit des Aktenstudiums stets offen. Für England kann diese Praxis damit begründet werden, dass ein Aktenstudium der Juroren mit erheblichem organisatorischem und zeitlichem Aufwand verbunden wäre, obgleich diesem Argument entgegengehalten werden kann, dass es aufgrund seiner Formalität nicht wirklich über162
Jury Service Guide, S. 2 ff. Grove, Juryman’s Tale, S. 27. 164 Walter, Einführung und Fortbildung, S. 177; Ellbogen/Werner, Mitwirkung, S. 180 ff.; Geiger, Fortbildung, S. 185 ff. 165 Vgl. dazu: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 219. 166 Vgl. zu Reformvorschlägen für das deutsche Recht: Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 219, 240 f. m. w. N. 163
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zeugend ist. Da die Geschworenen erst unmittelbar vor einer Verhandlung ermittelt werden, würde es den Beginn der eigentlichen Verhandlung erheblich verzögern, wenn den Geschworenen erst Gelegenheit gegeben würde, die Akten einzusehen. In Deutschland, wo die Besetzung des Gerichts aufgrund des Geschäftsverteilungsplanes lange vor der Hauptverhandlung feststeht, können solche formalen Gesichtspunkte nicht als Erklärung ausreichen. Daher wird, wie oben ausgeführt und kritisiert wurde, zur Begründung für die Verweigerung der Akteneinsicht auf die Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit verwiesen.167 Auf die inneren Widersprüche dieser Ansicht ist bereits eingegangen worden.168 Es muss davon ausgegangen werden, dass sich fehlende Vorbereitung negativ auf die Fähigkeit zur Erfassung der Vorgänge in der Hauptverhandlung auswirkt. Ein Studium der Akten kann nämlich für die Ausbildung eines geistigen Koordinatensystems zur Einordnung und Bewertung des Falles helfen.169 Freilich darf dabei nicht übersehen werden, dass die Verweigerung von Akteneinsicht grundsätzlich geeignet ist, das Entstehen vorgefasster Meinungen zu verhindern. Fehlende Aktenkenntnis ermöglicht folglich das unbeeinflusste Erleben des Prozessgeschehens. Das Prinzip der Unmittelbarkeit wird demnach dann am besten gewahrt, wenn der erste Kontakt mit dem Verfahrensstoff in der Hauptverhandlung erfolgt.170 Diese Aussage gilt freilich für Laien und Juristen in gleicher Weise. Die These, Laien würden durch den Akteninhalt in größerem Maß beeinflusst als die Berufsrichter, konnte nämlich bisher nicht durch empirische Untersuchungen bestätigt werden.171 Angesichts dieses Umstandes scheint der Gedanke nahe zu liegen, Richter grundsätzlich vom Aktenstudium auszuschließen. Aufgrund der verhandlungsleitenden Funktion der Berufsrichter ist dies jedoch nicht praktikabel. Die Unkenntnis der Laienrichter vom Akteninhalt könnte folglich die Chance enthalten, zumindest einem Teil der Angehörigen des Spruchkörpers einen vorurteilsfreien Blickwinkel auf den Prozessverlauf zu ermöglichen172. Im Geschworenengericht wird diese Chance genutzt. In England haben alle Angehörigen der Jury denselben Ausgangspunkt. Sie erleben den Prozess ohne 167
Vgl. etwa: RGSt 69, 120 (122); BGHSt 5, 261; BGHSt 13, 73. Vgl. 2. Teil B. III. 2. a): Beteiligung im Vorfeld der Hauptverhandlung – das Recht auf Vorinformation. 169 So auch: Benz, Laienrichter, S. 226; Böttges, Laienbeteiligung, S. 153. 170 Yuill v Yuill [1945] 1 All ER, 183; Rennig, Entscheidungsfindung, S. 150; Grünhut, FS v. Weber, S. 360; Damaška, 121 U. PA. L. REV, 506 (545). 171 Näher dazu: Böttges, Laienbeteiligung, S. 153; Spona, Laienbeteiligung, S. 107; Dagegen gelangt Rennig zu dem Ergebnis, Aktenkenntnis würden bei Laien eher dazu führen, dass sie den Angeklagten freisprächen; vgl. Rennig, Entscheidungsfindung, S. 586. 172 Für Deutschland gilt dies umso mehr deswegen, weil der Berufsrichter mit der Entscheidung, das Hauptverfahren zu eröffnen (Eröffnungsbeschluss, § 207 StPO) zum Ausdruck bringt, dass er den Angeschuldigten auf der Grundlage des Aktenstudiums im Zwischenverfahren für hinreichend verdächtig hält, vgl. § 203 StPO, und damit von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Verurteilung ausgeht. 168
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Kenntnis der Ermittlungsakten und damit vorurteilslos. – Beim Schöffengericht treten die Richter wegen der Aktenkenntnis der Berufsrichter mit einem ungleichen Informationshorizont in die Hauptverhandlung ein. Das impliziert die Möglichkeit, dass Schöffen und Berufsrichter den Inhalt der Hauptverhandlung von unterschiedlichen Standpunkten aus bewerten. Dies kann in der Urteilsberatung zu Missverständnissen führen und so den Gang der Beratung hemmen. Zugleich könnten allerdings die Schöffen auch als Korrektiv zu dem, durch die Kenntnis der Ermittlungsakte beeinflussten, Berufsrichter wirken, etwa indem sie die Richter auf die fehlerhafte Einbeziehung von Akteninhalten aufmerksam machen.173 Damit ist in Deutschland der Ausschluss der Laienrichter vom Aktenstudium nicht ausschließlich negativ zu werten, sondern eröffnet auch Chancen zur Vermeidung von Fehlern. Dies setzt jedoch voraus, dass die Einbeziehung von Akteninhalten durch den Schöffen nicht nur als solche erkannt wird, sie muss auch als fehlerhaft wahrgenommen werden und der Schöffe müsste den Berufsrichter dann tatsächlich darauf aufmerksam machen. Inwieweit dies unter den Bedingungen der Praxis zu verwirklichen ist, erscheint zweifelhaft.
b) Beteiligung während der Verhandlung Die normativ vorgegebene Rollenverteilung zwischen Berufsrichtern und Laienrichtern im Sinne einer Gleichstellung oder Unterordnung bildet das Fundament für die Teilnahmemöglichkeiten der Laien am gerichtlichen Verfahren. Daher ist dieses Verhältnis, wie es sich für Deutschland und für England darstellt, die Grundlage für die im Folgenden vorzunehmende Bewertung der Beteiligung der Laienrichter an der Verhandlung. Weiterhin gilt es, die Möglichkeiten der aktiv das Verfahren gestaltenden Teilnahme sowie die Gelegenheit zur passiven Wahrnehmung des Prozessstoffes für die Schöffen und die Geschworenen innerhalb der Hauptverhandlung zu analysieren. Damit soll den Auswirkungen der Laienmitwirkung auf den Prozessverlauf nachgegangen werden. Zuletzt richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Spezialproblem des Umgangs mit nicht verwertbarem Beweismaterial. In diesem Zusammenhang werden die Konsequenzen aus der Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die Laienrichter erörtert.
aa) Das Verhältnis zwischen Berufs- und Laienrichtern de lege lata Das deutsche Recht betrachtet die Schöffen als Richter. Von diesem Standpunkt aus werden die Prämisse der Gleichberechtigung mit den Berufsrichtern aufgestellt und die Rechte und Pflichten der Schöffen definiert. Von dem Grundsatz der 173
Dagegen argumentiert: Spona, Laienbeteiligung, S. 113.
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Gleichberechtigung zwischen Schöffen und Berufsrichtern gibt es gleichwohl eine Reihe gesetzlicher Ausnahmen, die Zweifel an der tatsächlichen Gleichbehandlung wecken174. In England ist ein Vergleich der Geschworenen mit dem Richter dagegen nicht angebracht. Weder in der rechtlichen Stellung noch hinsichtlich der ausgeübten Funktionen bestehen Gemeinsamkeiten. Daher kann für die Juroren formuliert werden, dass sie eine Rechtsstellung sui generis im Verfahren innehaben, für die es im deutschen Recht keine Parallele gibt. Für England ergibt sich aus der eigenen Stellung der Geschworenen im Verfahren die Schwierigkeit, das Verhältnis zu den Berufsrichtern klar zu fassen. Während der Verhandlung sind die Rollen dahingehend verteilt, dass die Geschworenen als der nehmende und der Richter als der gebende Teil erscheint. Besonders deutlich wird diese Rollenverteilung beim summing up175, das dem Richter einseitig Gelegenheit bietet, den Geschworenen seine Sicht des Falles darzulegen und dadurch deren Standpunkt zu beeinflussen. Diese Beobachtungen ergeben somit eine grundsätzlich untergeordnete Position der Laienrichter im Verhältnis zu den Berufsrichtern. In Deutschland folgt dies aus den gesetzlichen Ausnahmen zum Grundsatz der Gleichberechtigung. Für das englische Recht ergibt es sich daraus, dass der Berufsrichter die Hauptverhandlung alleine gestaltet und sie dadurch entscheidend zu prägen vermag.
bb) Möglichkeiten aktiver und passiver Partizipation für Laienrichter Die Frage nach der Partizipation der Laienrichter lässt sich von zwei Seiten aus betrachten. Es stellt sich nämlich zum einen die Frage, wie die Laienrichter die Verhandlung aktiv gestalten können. Zum anderen ist zu fragen, welche Möglichkeiten sie haben, den Verfahrensstoff passiv aufzunehmen. Ein Instrument zur aktiven Verfahrensgestaltung ist das Fragerecht. Indem es Unklarheiten beiseitigen hilft und die Bildung eines eigenen Standpunktes erleichtert, kann sich das Fragerecht aber auch auf die Fähigkeit auswirken, dem Verfahren passiv zu folgen. Abgesehen von Ausnahmefällen, vgl. § 241a I StPO, haben Schöffen ein direktes Fragerecht. Untersuchungen haben gleichwohl ergeben, dass dies nur selten genutzt wird.176 Die Geschworenen dürfen dagegen keine direkten Fragen stellen. Obwohl auch sie prinzipiell jederzeit zum Fragen berechtigt sind, müssen sie ihre Frage in schriftlicher Form an den Richter übergeben, der sie an den Zeugen weiter174 Siehe dazu bereits vorstehend 2. Teil B. III. 2.: Aufgaben der Schöffen und Möglichkeiten der Mitwirkung. 175 Vgl. oben 2. Teil A. IV. 4. b) dd): Die Zusammenfassung und Belehrung durch den Richter (summing up). 176 Vgl. Rennig, Entscheidungsfindung, S. 529 f.
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reicht.177 In dieser Hinsicht können die Geschworenen folglich weniger Einfluss auf das Prozessgeschehen nehmen als die Schöffen. Das umständliche Prozedere hat sicherlich einen Anteil an dem Befund, dass auch die Geschworenen von ihrem Fragerecht kaum Gebrauch machen. Als Angehörige des Gerichts können die Schöffen jederzeit in demselben Umfang wie die Richter Schriftstücke und Beweismittel in Augenschein nehmen. Dasselbe gilt für die Geschworenen. Sie können es sich sogar ausbitten, einzelne Beweismittel während der Urteilsberatung in den Beratungsraum mitzunehmen. Den Laienrichtern wird demzufolge in angemessener Weise ermöglicht, Beweismittel in Augenschein zu nehmen. Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Aufnahme von Vorgängen innerhalb des Verfahrens hat ein weiterer Bereich, der jedoch nicht gesetzlich geregelt ist. Dabei handelt es sich um das Anfertigen von Notizen zum Prozessverlauf. Solche Aufzeichnungen können in der Urteilsberatung als Gedächtnisstütze dienen. Sie sind daher geeignet, die Qualität in der Wahrheitsfindung günstig zu beeinflussen. Sowohl Geschworene als auch Schöffen machen sich gleichwohl nur selten Notizen. In England wurde daher bereits vorgeschlagen, die Geschworenen besonders zum Anfertigen von Notizen zu ermutigen, indem ihnen Zettel und Stifte zur Verfügung gestellt werden sollten. Ein anderer Vorschlag regte an, die Geschworenen mit einer vom Richter zusammengestellten schriftlichen Zusammenfassung der Verhandlung zu versehen.178 Eine Umsetzung dieser Vorschläge ist bisher nicht erfolgt. Die Schöffen können in der Urteilsberatung von den Notizen des Vorsitzenden Richters profitieren. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es ihr Selbstbewusstsein und damit ihre Fähigkeit zu einer tatsächlichen Einflussnahme nicht unbedingt stärkt, wenn sie auch in dieser Hinsicht von dem Berufsrichter abhängig sind. Eine Bewertung der Möglichkeit zur passiven Partizipation der Laienrichter ergibt, dass ihnen verschiedene kognitive Kanäle eröffnet sind, um den Verfahrensstoff optimal aufzunehmen. Diese Kanäle liegen aber zum überwiegenden Teil brach. Sie werden von den Laienrichtern nicht genutzt. Die aktive Gestaltung des Prozesses bleibt somit, wenngleich in unterschiedlicher Weise, den Berufsjuristen vorbehalten. Selbst wenn, wie in Deutschland nach geltendem Recht, die Möglichkeit zu Eingriffen in das Prozessgeschehen durch Fragen besteht, wird davon zu wenig Gebrauch gemacht. Insoweit ist der Gedanke der Partizipation weder in Deutschland noch in England ausreichend umgesetzt.
177
Pattenden, Judicial Discretion, S. 170; Zander/Henderson, Crown Court Study, S. 213; Jackson, Judges and Juries, S. 410. 178 Auld, Review, Chapter 11 Rn. 22.
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cc) Der Umgang mit unverwertbarem Beweismaterial Während die Vorgehensweise des deutschen und des englischen Rechts bezüglich der Aktenkenntnis übereinstimmt, bestehen Unterschiede hinsichtlich der Behandlung von unzulässigen und damit unverwertbaren Beweisen. In England wird über die Zulässigkeit von Beweismitteln im voir dire-Verfahren während der Hauptverhandlung durch Beschluss entschieden. Das voir dire-Verfahren und der anschließende Beschluss finden in Abwesenheit der Jury statt, um eine Beeinflussung der Geschworenen durch die Erörterung des möglicherweise unzulässigen Beweismaterials zu verhindern.179 Ferner wird im Falle einer versehentlichen Präsentation von unzulässigem, für den Angeklagten nachteiligem Beweismaterial, der gesamte Prozess vor einer anderen Jury erneut durchgeführt.180 Es wird angenommen, dass es für die Geschworenen sehr schwierig sei, sich von einmal gehörten Beweisen im Falle ihrer Unzulässigkeit so weit innerlich zu distanzieren, dass sie in der Lage sind, diese Beweise bei der Beurteilung des Falles nicht mit zu berücksichtigen. Diese Bedenken werden von der deutschen Rechtsprechung nicht geteilt. Sie sieht es als unproblematisch an, wenn die Schöffen während einer Verhandlung mit unverwertbaren Beweismitteln konfrontiert werden. Es wird als ausreichend betrachtet, wenn der Berufsrichter die Schöffen über die Unverwertbarkeit der Beweismittel belehrt. Danach wird von den Schöffen offenbar erwartet, dass sie bei ihrer Überzeugungsbildung die unverwertbaren Beweise ausblenden können.181 An dieser Stelle sollen keine Mutmaßungen darüber angestellt werden, ob es grundsätzlich möglich ist, einmal in den Prozess eingeführte Beweismittel im Fall ihrer Unzulässigkeit bei der Urteilsfindung vollständig unberücksichtigt zu lassen. Es soll auch nicht darüber spekuliert werden, ob juristische Kenntnisse dazu besonders befähigen. Die englische Regelung hat jedenfalls den Vorteil, dass sie bereits die Möglichkeit einer Beeinflussung durch die unzulässigen Beweise ausschließt. Im englischen Recht werden denjenigen, die das Urteil fällen sollen, konsequent nur zulässige Beweise präsentiert. Damit wird die Entstehung von unerwünschten Vorstellungen und Überzeugungen von Anfang an verhindert. Möglich wird dies nur durch die Teilung des Gerichts in Richter und Geschworene. Für kollegial beratende Gerichte ist eine Teilung des Spruchkörpers dagegen keine denkbare Option.
179 Vgl. Police and Criminal Evidence Act 1984, Section 76, 78; zu weiteren Einzelheiten des voir dire; vgl. Sprack, Emmins, S. 280 f.; May/Powles, Criminal Evidence, Rn. 16–08; sowie vorstehend 2. Teil A. IV. 4. b) aa): Entscheidung zur Zulässigkeit von Beweismitteln. 180 R v Weaver [1968] 1 QB R, 353. 181 Siehe dazu etwa: BGHSt 42, 191 (193 f.).
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c) Die Rolle der Laienrichter bei der Strafzumessung Nach deutschem Recht sind Schuldspruch und Strafzumessung unselbstständige Bestandteile des Urteils. Das hat zur Folge, dass die Schöffen auch über die Straffrage mit entscheiden. – In England gilt die Verhängung der Strafe als eine Entscheidung mit rechtlichem Inhalt. Demzufolge ist er dem Aufgabenbereich des Richters zugeordnet.182 Die Verkündung des Strafmaßes erfolgt auch nicht unmittelbar. Der Strafzumessung ist noch ein weiteres Verfahren (sentencing) vorgeschaltet.183 Eine derartige Zweiteilung wird unter dem Begriff des Schuldinterlokuts de lege ferenda auch für das deutsche Strafverfahren gefordert.184 Ein derartiges Vorgehen mag es im Einzelfall dem Angeklagten erleichtern, sanktionsrelevante Tatsachen vorzubringen185, und eine möglicherweise unnötige Erörterung seiner persönlichen Verhältnisse verhindern. In Bezug auf die Beteiligung von Laien ist die englische Lösung jedoch negativ zu beurteilen. So ist auf das Defizit bei der Legitimierung des Urteils gegenüber dem Angeklagten durch Nichtbeteiligung der Laienrichter oben bereits eingegangen worden.186 Dieser Punkt ist jedoch nicht einmal entscheidend. Schwerwiegender ist vielmehr der Umstand, dass wegen der Trennung von Schuld- und Straffrage in England die individuelle Schuld des Täters, wie sie die Grundlage der Überzeugungsbildung der Geschworenen war, bei der Strafzumessung nicht angemessen berücksichtigt werden kann, weil der Spruch der Geschworenen keine Rückschlüsse auf diese Gründe zulässt. Und dies obwohl Laien einen wertvollen Beitrag zu der Frage der Strafzumessung leisten können.187 Dies liegt zum einen daran, dass sie die Schwere bestimmter Straftaten häufig anders bewerten als Berufsrichter. Die so entstehende Spannung kann zu einer in der Sache fruchtbaren Diskussion führen. Zum anderen rücken die Laien mangels juristischer Kenntnisse in der Regel die Persönlichkeit des Täters in den Vordergrund. Eine Orientierung an der üblichen Spruchpraxis, wie sie sich mitunter bei Berufsrichtern finden lässt, kann die Gefahr einer ungenügenden Würdigung des Täterschicksals in sich bergen.188 Schließlich können die Laien bei der Frage der Strafbemessung Wertungen aus ihrem eigenen so182
Vgl. Thomas, Sentencing, S. 478. Thomas, Sentencing, S. 481 f; Grünhut, FS v. Weber, S. 363. 184 Etwa von: Herrmann, Reform, S. 448 ff.; KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 53; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 163; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 60; m. w. N.; Schild, Strafrichter, S. 96 ff. 185 So: Schild, Strafrichter, S. 100; der davon spricht, dass „die Abschichtung der Schuldfrage eine Abkühlung der Verhandlungsatmosphäre“ ermöglichen würde. 186 Vgl. oben 3. Teil B. II. 1. b) bb): Legitimierung des Urteils gegenüber dem Angeklagten. 187 Dies offenbar wird auch von den Befürwortern eines Schuldinterlokuts so gesehen, die sich für die Beibehaltung der Gerichtsbesetzung aus der Hauptverhandlung aussprechen; vgl. Schild, Strafrichter, S. 100 f.; siehe auch der Erfahrungsbericht einer Schöffin: PfaffenbergerHoffmann, S. 47. 188 So beispielsweise: Benz, Laienrichter, S. 108; Klausa, Ehrenamtliche Richter, S. 63; Schorn, Laienrichter, S. 3; Böttges, Laienbeteiligung, S. 105. 183
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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zialen und beruflichen Umfeld mit einfließen lassen, deren Kenntnis dem Richter verwehrt ist.189 Gerade diese Wertungen können zu einer umfassenden Würdigung der Tat und der Täterpersönlichkeit mit beitragen. Das Modell des Geschworenengerichts schließt die Laienrichter folglich gerade in einem Verfahrensabschnitt aus, in dem ihre Mitwirkung besonders wertvoll wäre.
d) Fazit Eine echte Partizipation von Laien an der Rechtsprechung im Sinne einer völligen Gleichstellung mit den Berufsrichtern findet in beiden Systemen nicht statt. Zwar eröffnet die Verfahrensgestaltung grundsätzlich ausreichende Möglichkeiten zur passiven Aufnahme des Verfahrensstoffes, diese werden jedoch zu wenig genutzt. Es bleibt daher offen, inwieweit die Vorgänge während der Verhandlung von den Laienrichtern verstanden werden können. Weiterhin ist der tatsächliche Gestaltungsspielraum der Laienrichter sehr gering. Auch hier haben die Berufsrichter das größere Gewicht. Der Umgang mit dem Recht auf Akteneinsicht im Vorfeld der Hauptverhandlung sowie mit unverwertbarem Beweismaterial dokumentiert ein Misstrauen gegenüber der Fähigkeit von Laien zum Urteilen in tatsächlicher Hinsicht. Während beide Rechtssysteme den Laienrichtern keine Akteneinsicht vor der Verhandlung gewähren und damit deren Fähigkeit zur Einordnung des Verfahrensstoffes behindern, ist das englische Recht konsequenter, indem es den Laien auch den Zugang zu unverwertbaren Beweisen sperrt. Insoweit sind die Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit im Strafprozess vor einer Jury effektiver gewahrt.
2. Einfluss der Laien auf den Ausgang eines Strafverfahrens Im Hinblick auf den Fortgang des Strafverfahrens stellt sich, wie eingangs schon erwähnt wurde, weiterhin die Frage, welche Möglichkeiten Laien haben, auf den Ausgang eines Strafverfahrens einzuwirken. Diese Frage gilt es auch im Hinblick darauf zu untersuchen, ob eine solche Einflussnahme positive Wirkungen haben kann. Bei der Frage nach dem Einfluss der Laien auf den Ausgang eines Strafverfahrens ist nicht zuletzt der Kern des Verfahrenszwecks der Klärung des Tatverdachts zum Zweck der möglichst gerechten Entscheidung über die Anklage betroffen wie dies bereits oben verkürzt angedeutet wurde. Als erstes soll besprochen werden, ob Laienmitwirkung auch im modernen Strafverfahren noch einen Schutz vor staatlicher Willkür geben kann bzw. sollte. Anschließend ist zu fragen, was Laien inhaltlich zur Rechtsfindung und zum Urteil beitragen können. In diesem Zusammenhang ist auch eine Analyse möglicher 189
KK-Pfeiffer, Einl. Rn. 60.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
Fehlerquellen von Laienbeteiligung erforderlich. Am Ende dieses Abschnittes steht die Beschäftigung mit den Wirkungen des jeweiligen Modus der Laienbeteiligung. Hier sollen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des kooperativen Modells der Laienbeteiligung in Deutschland und des separativen englischen Modells herausgestellt werden.
a) Der Schutz vor staatlicher Willkür Bereits die historische Betrachtung hatte ergeben, dass die Furcht vor staatlicher oder richterlicher Willkür eine bedeutende Triebkraft für die Entwicklung des modernen Konzeptes der Laienbeteiligung war. Im Folgenden soll daher die Frage diskutiert werden, ob und inwieweit das Argument des Willkürschutzes auch für das 21. Jahrhundert Geltung beanspruchen kann. Die Laienrichter an Strafgerichten standen während eines langen Zeitabschnittes an vorderer Front in politischen Auseinandersetzungen. Sowohl in Deutschland als auch in England wurde die Forderung nach Laienbeteiligung als Instrument des politischen Kampfes gebraucht. Ein wesentlicher Grund für diese Forderung war das Bestreben, politisch relevante Delikte nicht von Richtern aburteilen zu lassen, die der Obrigkeit nahe standen. Delikte mit politischen Unrechtsgehalten wurden daher in der Folge oft Gerichten zugewiesen, in denen Laien beteiligt waren. In Deutschland setzte die Erosion dieses Zustandes bereits mit dem Erlass des Gerichtsverfassungsgesetzes ein. Heutzutage sind viele schwerwiegende politische Straftaten als Staatsschutzsachen den Oberlandesgerichten zugewiesen.190 Andere Straftaten, die mögliche Konflikte zwischen einem besonderen staatlichen Bestrafungsinteresse und bürgerlicher Freiheit in sich tragen, werden vor dem Amtsgericht in der Regel durch den Strafrichter als Einzelrichter entschieden.191 In England besteht bei schwerwiegenden politischen Straftaten aufgrund der hohen Straferwartung stets die Möglichkeit, ein Verfahren vor einer Jury zu wählen. Dagegen sind politische Bagatellstraftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen oder Streiks sowie solche, die beim Widerstand gegen Polizisten begangen werden, dem summarischen Verfahren (summary trial) vor dem Magistrates’ Court zugewiesen und daher der Jury entzogen.192 In einem großen Teil der Straftaten mit möglichem politischem Hintergrund sind Laien daher nicht mehr an der Entscheidungsfindung beteiligt. Bereits die Zuweisung von Straftaten zu den Laiengerichten weckt folglich Zweifel daran, ob Laien staatliche Willkür verhindern können. 190
Vgl. § 120 I, II ggf. i. V. m. § 74a I GVG. Beispielsweise Landfriedensbruch (§ 125 I StGB) oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 I StGB). 192 Ingman, English Legal Process, S. 234; Spencer, Machinery of Justice, S. 392. 191
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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Laien können als Wächter bürgerlicher Freiheit ferner nur dann Bedeutung gewinnen, wenn sie konkret die Möglichkeit haben, staatliche Willkürakte effektiv abzuwehren. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse an den Gerichten mit Schöffenbeteiligung und der Tatsache, dass in England die Geschworenen ganz allein entscheiden, scheint eine derartige Möglichkeit prinzipiell vorhanden. Es sind jedoch Bedenken dahingehend angebracht, ob die Schöffen nicht durch das System ihrer Wahl dem Staat zu nahe stehen, um ihm gegenüber immer neutral zu sein. Im Falle der englischen Geschworenen lassen die spektakuläre Freisprüche von Jeremy Thorpe (1979)193, Clive Ponting (1985)194 sowie Patrick Pottle und Michael Randle (1991)195 auch heute noch den Willen erkennen, sich in Einzelfällen gegen den staatlichen Strafanspruch zu stellen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass es sich bei diesen Fällen keineswegs um willkürliche staatliche Verfolgungsmaßnahmen handelte. Vielmehr hatten sich die betreffenden Angeklagten tatsächlich strafbar gemacht. Einzig aus allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen heraus konnte die Strafwürdigkeit des jeweils angeklagten Verhaltens bezweifelt werden. Andererseits haben gerade die Juries in mehreren Verfahren in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gezeigt, dass auch sie keine absolute Gewähr gegen den Erfolg willkürlicher Strafverfolgungen bieten.196 Abgesehen von der Möglichkeit der Abwehr staatlicher Willkür durch Laien stellt sich die Frage nach deren Notwendigkeit. In demokratischen Rechtsstaaten wie Deutschland und England entspricht die Idee einer Frontstellung zwischen dem Staat und seinen Bürgern nicht mehr der Realität. In den modernen Rechtssystemen bieten die rechtsstaatliche Ordnung und die Unabhängigkeit der Berufs-
193 Jeremy Thorpe war ein bekannter Politiker, der wegen Anstiftung zum Mord angeklagt war und von der Jury freigesprochen wurde. Wegen des massiven Medieninteresses an diesem Fall und der damit zusammenhängenden Schwierigkeit, eine unvoreingenommene Jury zusammenzustellen, wird dieser Freispruch häufig als Rechtfertigung der Objektivität des trial by jury angesehen; vgl dazu: Ingman, English Legal Process, S. 232. 194 Clive Ponting war ein im Verteidigungsministerium angestellter Staatsbediensteter, der Geheimdokumente im Zusammenhang mit dem Falklandkrieg an einen Parlamentsabgeordneten weitergegeben hatte. Ponting verteidigte sich mit dem Hinweis darauf, dass sein Verhalten erlaubt war, weil es im Interesse des Staates gelegen habe. Der Richter entschied zwar, dass eine Entscheidung darüber nicht im Kompetenzbereich der Geschworenen läge. Entgegen dieser Anweisung wurde Ponting freigesprochen; Hostettler, Jury Old and New, S. 134. 195 Patrick Pottle und Michael Randle wurden 25 Jahre nachdem sie dem verurteilten Doppelagenten George Blake zur Flucht verholfen hatten, für diese Tat angeklagt. Obwohl sie ihre Beteiligung an der Flucht bereits öffentlich zugegeben hatten, unter anderem durch Veröffentlichung eines Buches darüber mit dem Titel: „The Blake Escape, How We Freed George Blake and Why“, wurden sie von der Jury freigesprochen; siehe auch: Ingman, English Legal Process, S. 235. 196 Vgl. die Verfahren gegen die Gruppe der so genannten Guildford Four und die Gruppe der so genannten Birmingham Six wegen des Verdachts der Unterstützung für den IRA-Terrorismus. – Einzelheiten in: Elliott/Quinn, English Legal System, S. 292 ff; Jackson, Adversary Trial and Trial by Judge alone, S. 341 f.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
richter einen hinreichenden Schutz vor staatlicher Willkür.197 Folglich ist das Argument des Willkürschutzes durch Laienbeteiligung ein Anachronismus.
b) Inhaltliche Beiträge von Laien zur Urteilsfindung Eine weitere Möglichkeit der Beeinflussung des Ausgangs eines Strafverfahrens durch die Laienrichter ist deren Fähigkeit, inhaltlich zur Urteilsfindung beizutragen. Den Gegenstand der folgenden Betrachtungen bildet daher die Qualität der inhaltlichen Beiträge der Laien zum Ausgang eines Strafverfahrens. Dabei geht es zunächst um die These, Laien könnten die Entscheidungen von Berufsjuristen anhand des gesunden Menschenverstandes prüfen. Anschließend soll geprüft werden, ob Laien gegen die negativen Auswirkungen berufsbedingter Routine zu wirken vermögen und eine unideologische Rechtsprechung bewirken können. Abschließend wird die Frage erörtert werden, wie die Fähigkeit von Laien zur Beurteilung von Tatsachen zu bewerten ist.
aa) Realitätskontrolle Ein möglicher Beitrag von Laien zum Ausgang eines Strafverfahrens könnte ihre Fähigkeit sein, nicht-juristische Wertungen und gesunden Menschenverstand in die juristische Argumentation der Berufsrichter einzubringen.198 Die Verwendung des argumentativen Topos „gesunder Menschenverstand“ im Zusammenhang mit der Funktion der Realitätskontrolle durch Laienrichter verweist bereits darauf, dass diese Thematik sehr spekulativ angefüllt ist. Obwohl das Schlagwort vom „gesunden Menschenverstand“ weit verbreitet ist, bleibt unklar, was genau ihn ausmacht und worin seine besonderen Qualitäten liegen. Dieser Weg führt daher nicht zu dem Ziel einer rationalen Bewertung der Fähigkeiten von Laien zur Realitätskontrolle. Einen erfolgversprechenderen Ansatz bietet eine Überlegung, die an der juristischen Ausbildung als offensichtlichstem Unterschied zwischen Berufs- und Laienrichtern ansetzt. Durch die juristische Ausbildung wird eine bestimmte Technik zur Bewertung von Sachverhalten durch eine spezifische Methode der Begründung vermittelt199. Dies gilt für das deutsche Recht genauso wie für das common law. Die damit verbundene Art und Weise des Herangehens an Probleme verfolgt den Anspruch, Lösungen nicht intuitiv nach einem diffusen Rechtsgefühl zu finden, und gibt einen 197 Rüping, JR 1976, 269 (270); LR-Rieß, Einl. I Rn. 30; Jescheck, Laienrichtertum in der Strafrechtspflege, S. 238; Baur, FS Kern, S. 54. 198 Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 181; Wassermann, Bürgermitwirkung, S. 45; Lieber, Handbuch, Rn. 43. 199 Vgl. eingehend zu Inhalten und Formen der juristischen Ausbildung: Kahlo, GS Meurer, S. 599 ff.
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normativen Leitfaden vor. Dazu gehört die Aussonderung von Details, die für die rechtliche Würdigung bedeutungslos sind, sowie die Arbeit mit abstrakten Begrifflichkeiten. Die Vorgabe einer solchen „geistigen Straßenkarte“ bedeutet zugleich eine Schematisierung der Gedankenführung. Für den Juristenberuf ist dies zweifellos notwendig, und es zeigt auch einen hervorragenden Weg zur Lösung von praktischen Rechtsproblemen auf. Dies bedeutet hingegen nicht, dass die juristische Herangehensweise die einzig mögliche ist. Die Einbeziehung von Personen, die andere Lösungstechniken nutzen, bringt gedankliche Vielfalt in den Entscheidungsprozess. Dadurch wird einem Versinken der Juristen in ihrer eigenen Begriffswelt, wie es in der Begriffsjurisprudenz zu beobachten war200, entgegengewirkt. Durch die Teilnahme von juristisch nicht ausgebildeten Personen am Prozess der Beratung über das Urteil werden die Richter gezwungen, ihr von juristischen Kategorien geprägtes Denken einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen.201 Eine Rückbindung des juristischen Denkens an allgemeine Maßstäbe wird auf diese Weise möglich. Es kann daher formuliert werden, dass die „Synthese von juristischem Wissen und Lebenserfahrung (…) den Berufsjuristen vor Erstarrung und Schablone“202 bewahrt. So aufgefasst würde Laienbeteiligung eine „Realitätskontrolle“ für die Berufsrichterschaft bedeuten und „das Recht immer wieder neu anhand des gesunden Menschenverstandes als Prüfstein“203 messen. Diese Funktion von Laien setzt jedoch die Möglichkeit eines Gedankenaustausches zwischen Berufsrichtern und Laien voraus. Dies wird, wenigstens dem Ideal nach, im kollegial beratenden Schöffengericht erreicht. Ein diskursiver Austausch der Gedanken und Wertungen ist beim Geschworenengericht dagegen nicht realisierbar. Dort muss von vornherein das Verfahren so strukturiert werden, dass den Laien die Bewertung des Sachverhalts und auch der damit verbundenen rechtlichen Probleme möglich ist. Die Regeln zur Verurteilung bei counts in the alternative belegen, dass den Laien in dieser Hinsicht viel zugemutet wird.204 Grundsätzlich wird jedoch in einem Geschworenengericht das juristische Niveau in Richtung des Begriffshorizonts der Geschworenen nach unten nivelliert. Das Schöffengericht realisiert dagegen nach seiner Grundkonzeption die Synthese verschiedener gedanklicher Lösungswege und erfüllt folglich die Funktion einer Rückbindung auf die Realität in höherem Maß.
200
Vgl. oben 1. Teil B. V. 2. c): Historische Rechtsschule und Begriffsjurisprudenz. LR-Rieß, Einl. I Rn. 30; krit. Kühne, Laienkompetenz gegen Expertenkompetenz, S. 177, der gegen die Möglichkeit einer Plausibilitätskontrolle das Argument ins Feld führt, dass wegen der strengen Gesetzesbindung kein Raum mehr dafür bliebe. 202 Liepmann, Reform, S. 182. 203 Holdsworth, History I, S. 349. 204 Vgl. oben 2. Teil A. VI. 4.: Schuldurteile für Alternativdelikte. 201
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
bb) Routine In eine ähnliche Richtung wie die Realitätskontrolle geht auch der Gedanke, Laien könnten gegen eine routinebedingte Systemblindheit der Juristen wirken.205 Dieser Ansatz geht davon aus, dass Richter mit der Zeit routiniert (case hardened) werden und schließlich eine kritische Distanz vermissen lassen.206 Im vorletzten Jahrhundert äußerte Mittermaier zu diesem Thema die Ansicht, dass „bei der Abwägung des künstlichen Beweises gewisse Eigentümlichkeiten der lange Zeit in Gerichtshöfen angestellten Richter leicht einen nachtheiligen Einfluß haben können, indem die Sitte häufig sich bildet, nach gewissen allgemeinen Regeln oder Kategorien, oder durch Präjudizien des Gerichts festgewurzelten Ansichten, die Indicien aufzufassen, statt in die Individualität, in die ganze Vorstellungs- und Handlungsweise des Angeschuldigten sich zu versetzen und die kleinsten Nebenumstände zu berücksichtigen“207. Im Unterschied zu Denkmustern, die das Resultat einer bestimmten Ausbildung sind, sind freilich Laien und Juristen potentiell in gleicher Weise anfällig für routinebedingte Stereotype. Es könnte sogar argumentiert werden, dass Juristen durch ihre Ausbildung besser in der Lage sind, durch Routine hervorgerufenen Vorurteilen zu widerstehen. Die Gewöhnung an eine schematisch routinierte Beurteilung von Sachverhalten könnte aufgrund ihrer mindestens vierjährigen Amtszeit bei Schöffen eher eintreten als bei Geschworenen, deren Dienst meist nur zwei Wochen umfasst. Die Gefahr der Überroutinierung relativiert sich für die Schöffen allerdings dadurch, dass ihr Dienst in einem Geschäftsjahr nur zwölf Sitzungstage umfasst.208 Wenn man davon ausgeht, dass eine Strategie der Routinevermeidung in der Möglichkeit liegt, eigene Gedankengänge in einer gemeinschaftlichen Urteilsberatung zu hinterfragen, sind kollegial strukturierte Gerichte eine Option zur Vermeidung von Routine. Grundsätzlich scheint daher jedes kollegiale Gericht geeignet, die Entstehung von Routine zu verhindern. Dies gilt auch für ausschließlich mit Berufsrichtern besetzte Gerichte. Problematisch ist jedoch am englischen Modell wiederum das Fehlen eines echten Diskurses zwischen Richter und Geschworenen. Das summing up ermöglicht es dem Richter, seine eventuell vorhandenen routinebedingten Vorurteile an die Geschworenen weiterzugeben, ohne dass er diese im Wechselgespräch begründen muss209. Insoweit überwiegen auch im Bereich der Verhinderung der Entstehung einer Routine die Vorteile einer kollegialen Entscheidungsfindung. 205
Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 231; Herzog, Palladium, S. 351; Lieber, Handbuch, Rn. 43. 206 Sanders/Young, Criminal Justice, S. 577; Jackson/Doran, 60 MLR (1997), 759 (764); Jackson, Judges and Juries, S. 412. 207 Mittermaier, Mündlichkeit, S. 366. 208 Vgl. § 42 I 1 GVG. 209 Siehe dazu bereits oben 2. Teil A. IV. 4. b) dd): Die Zusammenfassung und Belehrung durch den Richter (summing up).
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cc) Gewährleistung einer unideologischen Rechtsprechung Eine einseitige Sozialstruktur derjenigen, denen die Rechtsprechung anvertraut ist, kann zur Folge haben, dass die Justiz in den Dienst einer einzelnen Klasse oder Gesellschaftsschicht gestellt wird. Es stellt sich daher die Frage, ob Laienbeteiligung geeignet und in der Lage ist, ein Korrektiv zur jeweiligen Sozialstruktur zu bilden und einer standesideologischen Rechtsprechung entgegen zu wirken.210 Zudem ist zu untersuchen, ob unter den heutzutage herrschenden Bedingungen ein Ausgleich nach sozialem Hintergrund noch notwendig ist. Hinsichtlich der Geeignetheit und Fähigkeit von Laien, eine unideologische und von schichtenspezifischen Interessen unabhängige Rechtsprechung zu garantieren, ist Vorsicht angebracht. Auf die Möglichkeit, die Laienbeteiligung an der Rechtsprechung in den Dienst politischer Ziele zu stellen, wurde im Rahmen der Betrachtung der Geschichte bereits mehrfach hingewiesen.211 Wenn im Bezug auf die englischen Juries von der Jury als „Schutzwehr der Freiheit“212 die Rede ist, so muss dabei stets gegenwärtig bleiben, dass damit ursprünglich die Freiheit des Bürgertums gegen den Adel gemeint war. Die einseitige Parteinahme englischer Juries kann exemplarisch in der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen den Parteien der Whigs und Torys im 17. und 18. Jahrhundert verfolgt werden.213 Genauso einseitig war das Verhalten der linksrheinischen Schwurgerichte bei Eigentumsdelikten214. Offenbar ist gerade die Laienbeteiligung kein Garant für eine ideologiefreie Rechtsprechung. Die weiter oben getroffenen Feststellungen zur Sozialstruktur der beteiligten Laienrichter lassen darüber hinaus die Notwendigkeit eines Ausgleichs einer sozialen Schieflage der Richterbank zweifelhaft erscheinen.215 Dies gilt insbesondere für die weitgehend mit der Gesellschaftsstruktur identische soziale Herkunft der deutschen Berufsrichter.
dd) Die Eignung von Laien zur Entscheidung strafrechtlicher Sachverhalte Die folgende Betrachtung setzt als gegeben voraus, dass Laien weder in Deutschland noch in England Rechtsfragen allein entscheiden müssen. Während die Schöf210 Villmow/ter Veen/Walkowiak/Gerken, FS Pongratz, S. 317; Eylmann, S. 36; Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 179. 211 Vgl oben: 1. Teil A. IV. 2.: Die Jury in politischen Strafverfahren, seditious libel – Der Streit um die Rolle der Jury geht weiter; sowie: 1. Teil B. IV. 3. d): Die auf den Strafprozess bezogenen Forderungen des politischen Liberalismus. 212 „That the liberties of England cannot but subsist so long as this palladium remains sacred and inviolate“; vgl. Blackstone, Commentaries IV, Rn. 350. 213 Vgl. oben 1. Teil A. III. 3. b): Zusammensetzung der Jury; 1. Teil A. IV. 2. a): Der Hintergrund des Streits um seditious libel. 214 Vgl. oben 1. Teil B. IV. 3. d): Die auf den Strafprozess bezogenen Forderungen des politischen Liberalismus. 215 Vgl. 3. Teil B. II. 3. c): Durchbrechung des Gegensatzes zur „Juristenkaste“.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
fen umfassend vom Richter begleitet werden, entscheiden die Geschworenen zwar auf sich gestellt die normative Kategorie der Schuld, sie bekommen jedoch in Rechtsfragen vom Richter immer umfassend Auskunft. Daher liegt der Schwerpunkt der folgenden Betrachtung auf der Untersuchung der Fähigkeit von Laien zur Beurteilung von Tatsachen. Ein Teilaspekt bei der Bewertung eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts ist die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen. Inwieweit ein Mensch in der Lage ist, die Glaubwürdigkeit eines anderen Menschen einzuschätzen, hängt zu einem großen Teil von der Erfahrung des Einschätzenden ab.216 Es liegt deswegen nahe, einem Richter, der täglich derartige Bewertungen vorzunehmen hat, einen entsprechend reichhaltigen Erfahrungsschatz zuzugestehen. Daher könnte der Berufsrichter dem Laien vorzuziehen sein. Andererseits wird mitunter die These aufgestellt, Laien seien sogar bessere Tatsachenrichter, weil sie eben aus Mangel an Erfahrung unbefangen seien.217 Darüber hinaus setze eine Tatsachenentscheidung keine besonderen Rechtskenntnisse voraus. Aus dem Faktor der Erfahrung bei der Bewertung von Aussagen ergibt sich eine differenzierte Sichtweise, wenn davon ausgegangen wird, dass Erfahrung durch das Testen verschiedener Möglichkeiten auf ihre Brauchbarkeit gewonnen wird. Dieses Prinzip versagt nämlich gerade bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Zeugen.218 Abgesehen von der Verfolgung Einzelner wegen Meineides ergibt sich nie die Möglichkeit eines echten Tests der Richtigkeit einer Glaubwürdigkeitseinschätzung. Es ist somit kein Grund erkennbar, die Fähigkeit eines Berufsrichters zur Beurteilung von Zeugenaussagen per se höher einzuschätzen als die eines Laien.219 Der Bereich der Erfahrungen in der forensischen Praxis umfasst gleichwohl nicht nur die Beurteilung von Zeugenaussagen, sondern auch technische Fähigkeiten wie die Dokumentation des Verhandlungsverlaufes in Form von Notizen und die Vorauswahl zwischen Wichtigem und Unwichtigem. Diese Fertigkeiten setzen ein Ausmaß an Erfahrung voraus, das sich zwar nicht unbedingt an eine juristische Ausbildung knüpft, aber einen längeren Umgang mit verfahrenstechnischen Gepflogenheiten voraussetzt. Aus diesem Grund wird an den Geschworenen beispielsweise kritisiert, dass sie der Beweisaufnahme in langwierigen und komplizierten Fällen wie Verfahren wegen Betrugs (fraud) nur schwer folgen könnten.220 Wenigstens in Bezug auf technische Fähigkeiten ist der Berufsrichter dem Laien als „Gelegenheitsrichter“ überlegen.
216
So etwa: Spencer, Machinery of Justice, S. 393. Dies wird so vertreten von: Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 245; Williams, Proof of Guilt, S. 292. 218 Spencer, Machinery of Justice, S. 393. 219 Spencer, Machinery of Justice, S. 393; krit. Williams, Proof of Guilt, S. 293. 220 Spencer, Machinery of Justice, S. 397; Ingman, English Legal Process, S. 236. 217
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Neben der Fähigkeit des einzelnen Laien zum Urteilen stellt sich die Frage, wie sich die Zusammenfassung einer größeren Anzahl von Laienrichtern – wie in einer Jury – gegenüber einer kleineren Anzahl – wie im Schöffengericht – auf die Fähigkeit zur Beurteilung strafrechtlicher Sachverhalte auswirkt. In diesem Zusammenhang wird die Behauptung aufgestellt, weil „zwölf Köpfe besser denken“221 könnten als einer, wäre der personelle Umfang eines Spruchkörpers Maßstab für seine Eignung zum Urteilen. Es ist jedoch zu fragen, ob dies so aufrechterhalten werden kann. Ergebnisse von Beobachtungen simulierter Juries zeigen, dass nur eine kleine Gruppe von ungefähr drei Geschworenen die Hälfte der Diskussionen während der Entscheidungsfindung bestreitet. Dagegen nehmen zwei bis vier Geschworene überhaupt nicht an dem Gespräch teil.222 Quantität kann daher kein Qualitätsmerkmal für ein Richtergremium sein. Es ist näher liegend, in der Größe der Jury einen Schutzmechanismus zu sehen. Sie wirkt gegen das Durchdringen von Vorurteilen223, gibt die Möglichkeit zur Ergänzung der Erinnerungen an Details aus der Verhandlung und hilft, Instruktionen des Richters besser zu rekapitulieren224. Diese Funktionen kann in den zahlenmäßig kleiner besetzten Schöffengerichten aufgrund seiner Erfahrung der Berufsrichter übernehmen. Deshalb ist dort die geringe Zahl der Laienrichter kein Problem. Ein definitives Ergebnis hinsichtlich der Eignung von Laien zur Entscheidungsfindung im Strafverfahren konnte hier nicht gefunden werden. Vielmehr hat sich ein differenziertes Bild der Fähigkeiten von Laien zur Beurteilung von Sachverhalten ergeben. Jedenfalls ergaben sich keine Hinweise darauf, dass Laien zur Entscheidung im Strafverfahren ungeeignet wären.225
c) Laienspezifische Fehlerquellen In Fortsetzung der allgemeinen Betrachtung zu den Fähigkeiten von Laien zur Entscheidungsfindung im Strafverfahren soll nunmehr auf Gefahren eingegangen werden, die bei der Mitwirkung von Laien auftreten können. Es kann dabei zwischen Fehlerquellen, die in einem Laienrichter selbst ihren Ursprung haben (interne Fehlerquellen) und anderen, die von außen an ihn herangetragen werden (externe Fehlerquellen), differenziert werden.
221
Vgl. Kalven/Zeisel, American Jury, S. 8; Spencer, Machinery of Justice, S. 394. Arce, Evidence Evaluation, S. 567. 223 So etwa: Arce, Evidence Evaluation, S. 575; Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 50. 224 Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 112, 120. 225 Vgl. Kalven/Zeisel, American Jury, S. 494; Brooks, 21 Journal of Applied Philosophy (2004), 197 (200). 222
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
aa) Externe Fehlerquellen Zu den von außen an den Laienrichter herangetragenen Beeinflussungen ist in erster Linie der Einfluss der Medien zu rechnen.226 Letztlich sind diesem Einfluss jedoch auch die Berufsrichter ausgesetzt. Hier handelt es sich demnach nicht um eine laienspezifische Fehlerquelle. – Weiterhin können rechtswidrige Beeinflussungsversuche wie Bestechung und Einschüchterung problematisch sein.227 Bestechung und Einschüchterung einzelner Laienrichter kommen zwar vor, ihre Bedeutung ist jedoch insgesamt sehr gering.228 Eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber rechtswidrigen Beeinflussungsversuchen ist somit nicht feststellbar. Eine weitere Ursache für Fehler betrifft die im englischen Recht vorkommenden Erscheinungen des jury vetting und der Ausübung des Rechts auf Ablehnung einzelner Geschworener durch die Anklage (crown’s right to stand by). Diese beiden Verfahren sind eng mit dem Verfahren zur Auswahl der Geschworenen verknüpft. Ihnen wohnt die Gefahr der Manipulation eines Strafverfahrens inne.229 Sie können auf diese Weise für einen fehlerhaften Verfahrensausgang verantwortlich sein.
bb) Interne Fehlerquellen Eine interne Fehlerquelle sowohl für das Geschworenen- wie auch das Schöffengericht ist die Befangenheit, die Laienrichter angesichts der Umgebung in einem Gericht empfinden können.230 Es ist gut vorstellbar, dass die ungewohnte, feierliche Atmosphäre im Gerichtssaal und das Bewusstsein der Verantwortung Unsicherheit hervorrufen können. Dadurch kann unter Umständen der Blick auf den eigentlichen Inhalt der Hauptverhandlung verstellt werden. Dies wird einen Laienrichter in der Regel jedoch nicht zu Fehlentscheidungen veranlassen. Wahrscheinlicher ist, dass er sich dadurch eher zurückhaltend verhält. Zu den denkbaren persönlichkeitsbedingten Fehlerursachen zählen Vorurteile oder persönliche Neigungen. Diese können das äußere Erscheinungsbild des Angeklagten, sein Geschlecht, sprachliche Fähigkeiten von Prozessbeteiligten sowie 226
Benz, Laienrichter, S. 152 ff. Dieser Faktor hat 1967 in England unter anderem zur Einführung von Mehrheitsentscheidungen geführt und war in Nordirland ursächlich für die vorübergehende Suspendierung des Wahlrechtes auf einen trial by jury bei terroristischen Straftaten; vgl. Ingman, English Legal Process, S. 235. 228 Hostettler, Jury Old and New, S. 130; vgl. auch oben 2. Teil A. VI. 5. b): Kritik an der Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen. 229 Auf die Einzelheiten der rechtsstaatlichen Bedenken gegen jury vetting und crown’s right to stand by ist oben bereits eingegangen worden; vgl. 2. Teil A. III. 5. c): Jury vetting und crown’s right to stand by. 230 Benz, Laienrichter, S. 121. 227
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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rassistische Vorurteile betreffen.231 Hinsichtlich der ethnischen Zusammensetzung einer Jury existieren beispielsweise empirische Belege für Wechselwirkungen mit dem Ausgang des Verfahrens.232 Weiterhin ist es möglich, dass Laienrichter Vorurteile gegen bestimmte Zeugen hegen. Unter englischen Strafverteidigern existiert zum Beispiel die Binsenweisheit, dass Geschworene den Aussagen von Polizisten kritisch gegenüber stünden. Ein trial by jury sei daher besonders vorteilhaft, wenn es Widersprüche zwischen Beweisen der Verteidigung und Beweisen aus Polizeiermittlungen gibt.233 Aufgrund dieser Überzeugung entscheiden sich Angeklagte häufig für ein Verfahren vor dem Crown Court, wenn ihnen diese Wahlmöglichkeit offen steht.234 Sie tun dies, obwohl vom Crown Court eine höhere Strafe verhängt werden kann.235 Statistische Erhebungen scheinen den Sinn solchen Handelns zu belegen. Beispielsweise endeten im Jahre 1998/99 43 % aller Verfahren vor dem Crown Court mit einem Freispruch, während in demselben Zeitraum vor dem Magistrates’ Court nur 26 % der Angeklagten „nicht schuldig“ befunden wurden.236 Wenigstens ein Teil der Differenz bei den Freisprüchen kann jedoch damit erklärt werden, dass das Verfahren vor dem Crown Court für die Verteidigung Vorteile bietet. Unter anderem ist dort die Anklage gezwungen, während des Verfahrens der Überstellung (committal proceedings) vom Magistrates’ Court zum Crown Court alle ihre Beweise offen zu legen.237 Beim Verfahren vor dem Magistrates’ Court ist dies nur eingeschränkt der Fall.238 Weiterhin ist es im Magistrates’ Court schwieriger, effektiv gegen die Verwendung unzulässiger Beweise vorzugehen. Dort hört der erkennende Richter die Beweise, bevor er über ihre Zulässigkeit entscheidet, und könnte daher durch sie beeinflusst werden.239 Neben persönlichen Vorlieben erscheint es auch möglich, dass sich die Laienrichter bei ihrer Überzeugungsbildung mehr von der rhetorischen Aufbereitung des Falles durch die Anwälte als von sachlichen Argumenten leiten oder beein-
231
Benz, Laienrichter, S. 125 ff.; Ingman, English Legal Process, S. 236. Auld, Review, Chapter 5 Rn. 56; Robertshaw/Cox/van Hoen, 20 Int.J.Soc.L. (1992), 271 (282 f.); Darbyshire/Maughan/Stewart, Jury Research, S. 16 m.w.N; Über gegenteilige Erfahrungen berichtet: Grove, Juryman’s Tale, S. 235. 233 Sprack, Emmins, S. 120; Schulte-Nover, Strafrichter, S. 213 ff.; Vennard, Contested Trials, S. 21. 234 Jackson, Judges and Juries, S. 413; Eine Wahlmöglichkeit besteht immer bei den Vergehen triable either way; vgl. dazu oben 2. Teil A. I. 3.: Die Jury im System der Gerichtsverfassung. 235 Sprack, Emmins, S. 120. 236 Sprack, Emmins, S. 120. 237 Sprack, Emmins, S. 120; Krit. zur Wirksamkeit dieses Mechanismus: Sanders/Young, Criminal Justice, S. 580 f. 238 Vgl. Magistrates’ Courts (Advance Information) Rules 1985 (SI 1985 No. 601); May/ Powles, Criminal Evidence Rn. 18–03 f. 239 Sanders/Young, Criminal Justice, S. 584 ff.; Sprack, Emmins, S. 120. 232
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
drucken lassen.240 Persönlichkeit und Fähigkeiten des Anwaltes können durchaus bedeutsam sein.241 Für Deutschland ist dieses Problem wegen der Verhandlungsleitung durch den Vorsitzenden nicht gravierend. Im englischen adversatorischen Strafprozess ist der Einfluss des Verteidigers (counsel for the defence) und des Anklagevertreters (counsel for the prosecution) dagegen höher zu bewerten. Es ist jedoch zu beachten, dass dem adversatorischen Verfahren eo ipso innewohnt, dass der Ausgang des Verfahrens auch mit der Person des Rechtsbeistandes verbunden ist. Wenn die Prozessführung von den Parteien im Sinne einer Präsentation ihrer Version des Falles vorgenommen wird, erscheint es folgerichtig, dass es stärker auf die Eigenschaften des Präsentierenden ankommt als im reformierten Strafverfahren deutscher Provenienz. Zudem ist es verfehlt, sich ein adversatorisches Verfahren als eine Art „Schaukampf“ vorzustellen. Gegen unfairen Argumentationsstil wird der Richter, gegebenenfalls auch auf eine entsprechende Intervention der Parteien, in der Regel einschreiten. Außerdem kann er im summing up auch eigene Akzente setzen, die eine eventuelle Schieflage ausgleichen können. Ein denkbarer Schutz gegen das Durchdringen von Vorurteilen ist die Größe des zur Entscheidung des Falles berufenen Richtergremiums. Dies trifft auf die Jury zu. Ob dies angesichts des Umstandes, dass sich nur ein Teil der Geschworenen aktiv an der Beratung beteiligt, wirksam Abhilfe schaffen kann, ist zweifelhaft. Im Schöffengericht kann erwartet werden, dass Vorurteile durch die Berufsrichter ausgeglichen werden. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn man sich die Berufsrichter als stets vorurteilsfrei vorstellt. Dies entspricht jedoch kaum der Realität.242 Daher wirkt die Debatte um Vorurteile von Laienrichtern durchaus etwas einseitig. Es darf daher nicht außer Acht gelassen werden, dass Vorurteile ein generelles Problem von Strafverfahren sind.
cc) Ergebnis Eine ganze Reihe vermeintlicher Fehlerquellen laienrichterlicher Tätigkeit hat sich somit als unbedeutend erwiesen. Andere Probleme haben sich als verfahrensimmanent und mithin nicht laienspezifisch gezeigt. Dieses Ergebnis wird auch dadurch gestützt, dass es bisher nicht gelungen ist, die mitunter aufgestellte Behauptung, Laienrichter wären inkompetent oder würden irrationale Entscheidungen fällen, wissenschaftlich zu belegen.243 Anlass zu Bedenken gibt somit lediglich die Gefahr des Durchdringens von Vorurteilen und die fehlenden technischen Fähigkeiten von Laien. Zusammenfassend kann gleichwohl festgestellt werden, dass 240
Williams, Proof of Guilt, S. 295 f. Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 146 ff; Gegen eine Überbewertung des Einflusses der Anwälte: Lewis/Hughman, Just how Just?, S. 90. 242 Peters, Fehlerquellen, S. 244; Herzog, Philosophical and Social View, S. 556. 243 Arce, Evidence Evaluation, S. 576; Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 245. 241
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
357
die Mitwirkung von Laien grundsätzlich keine Ursache für Fehler in strafgerichtlichen Verfahren ist.
d) Methodische Argumente – das „kooperative Modell“ und das „separative Modell“ der Laienbeteiligung Der grundsätzliche Unterschied zwischen Kooperation und Separation hat Folgen für die inhaltliche Gestaltung der Beratung. Das Prinzip der Kollegialität zwingt zur Auseinandersetzung mit Argumenten der jeweils anderen Seite244, während das Modell der Trennung einen solchen Austausch verhindert. Der Vorteil kollegialer Entscheidungen besteht ferner darin, dass sie mögliche Probleme von Laien mit dem Verständnis juristischer Begrifflichkeiten und Zusammenhänge lösen. Die schwierige, oft künstliche Trennung zwischen Tatsachen und Rechtsentscheidungen kann dadurch vermieden werden. Außerdem wird eine gemeinsam verantwortete Begründung des Urteils möglich. Die Abwesenheit eines erfahrenen Diskussionsleiters in der Jury führt weiterhin oft dazu, dass die Strukturierung der Beratung einer Jury Schwierigkeiten bereitet. Selbst im anwenderfreundlichen, wenig dogmatischen englischen Recht muss zu formaljuristischen Mitteln gegriffen werden, um den Defiziten im juristischen Verständnis bei den Geschworenen abzuhelfen, wie dies das Vorgehen bei Schuldurteilen zu counts in the alternative exemplarisch zeigt245. Zu den inhaltlichen Konsequenzen des Beratungsmodus treten solche mit formalem Charakter. Das separative Modell gibt dem Richter Gelegenheit, während der Verhandlung nach außen deutlich sichtbar als unparteiische Instanz aufzutreten.246 Ferner kann ein Urteil, an dem zwölf Personen mitgewirkt haben, mehr Legitimität genießen als eines, bei dessen Findung weniger Köpfe beteiligt waren.247 In dieselbe Richtung geht auch die Überlegung, dass bei Mehrheitsentscheidungen über die Schuldfrage im Geschworenengericht der Grundsatz in dubio pro reo stärkere Beachtung findet. In England wird bei einer Verurteilung mit Mehrheit die Meinung eines Sechstels der Richter ignoriert, in Deutschland liegt der Anteil mit einem Drittel der Stimmen doppelt so hoch. Es überwiegen folglich bei dem kooperativen Modell die inhaltlichen Vorteile, während das separative Modell formale Vorzüge bietet. Eine vertiefende Analyse zeigt allerdings, dass es keine strenge Trennung zwischen einem kooperativen Modell und einem separativen Modell der Entscheidungsfindung gibt. Vielmehr lassen sich Beobachtungen anführen, die eine Ver244 Rennig, Entscheidungsfindung, S. 589; Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 231; Wacke, NJW 1995, 1199 ff. 245 Vgl. oben 2. Teil A. VI. 3.: Konkurrierende Tatbestände im Schuldurteil. 246 Holdsworth, History I, S. 348; Grünhut, FS v. Weber, S. 357. 247 Hans/Vidmar, Judging the Jury, S. 50 f., 116; vgl. für Gegenargumente: Grube, Richter ohne Robe, S. 224 f.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
mischung beider Modelle andeuten. Im englischen Modell sind beispielsweise Berührungspunkte zwischen Richter- und Geschworenenbank nachweisbar, die als kooperative Elemente im separativen Modell gedeutet werden können. Prominentestes Beispiel dafür ist das summing up248. Der Umstand, dass der Richter darin die wesentlichen Ergebnisse der Verhandlung für Laien verständlich zusammenfassen muss, zwingt ihn zu einer klaren gedanklichen Strukturierung der Beweislage und des anzuwendenden Rechtes.249 Insoweit befindet sich ein crown court-Richter in derselben Situation wie sein deutscher Kollege, der in der Urteilsberatung den Schöffen die Rechtslage erklärt. Das summing up dient dem Richter auch als Vehikel, um seine Sicht des Falles den Geschworenen nahe zu bringen. In Untersuchungen simulierter Juries fanden sich ferner Hinweise darauf, dass Geschworene eine Rückbindung von Argumenten auf Aussagen des Richters als Argumentationshilfe nutzen, um dem eigenen Standpunkt in der Urteilsberatung Gewicht und Legitimität zu verleihen.250 So ist die Suche nach der vermeintlichen Ansicht des Richters ein zentraler Bestandteil der Beratung von Juroren.251 Die Autorität des Richters spielt bei den Beratungen englischer Geschworener folglich trotz seiner körperlichen Abwesenheit eine wichtige Rolle. Ein ähnliches Phänomen ist auch in den Beratungen mit Schöffenbeteiligung feststellbar. Auch dort besteht die Tendenz der Unterordnung der Laien unter die fachliche Autorität des Richters. Bei Diskussionen, in denen die Teilnehmer einen unterschiedlichen Status haben, wie dies bei rechtlichen Laien und Juristen der Fall ist, ordnen sich bei der Meinungsbildung die Teilnehmer mit dem geringeren Status denjenigen mit dem höheren Status unter.252 Schon die Betrachtung des geltenden Rechts in Deutschland hat das Ergebnis erbracht, dass Laien und Juristen in der Urteilsberatung in einem Rangverhältnis stehen, wobei die Berufsrichter überlegen sind. Daher kann nicht davon gesprochen werden, dass Laien und Juristen im Schöffengericht in jedem Fall miteinander kooperieren würden. Auch das deutsche, grundsätzlich kooperative Modell erfährt somit Durchbrechungen. Die beschriebenen Vermischungen zwischen Kooperation und Separation zielen sämtlich in Richtung einer Stärkung der Rolle der Berufsrichter. Wegen seiner direkten kommunikativen Verbindung zu den Schöffen wird man dem deutschen Richter wohl mehr Einfluss auf die Laien zugestehen als seinem englischen Kollegen. Trotzdem erreichen die unterschiedlichen Modelle mit der Überlegenheit des Berufsrichters letztlich dasselbe Resultat.
248 Vgl. dazu oben 2. Teil A. IV. 4. b) dd): Die Zusammenfassung und Belehrung durch den Richter (summing up). 249 Holdsworth, History I, S. 350. 250 Mungham/Bankowski, Jury in the Legal System, S. 211 f. 251 Mungham/Bankowski, Jury in the Legal System, S. 212. 252 In diesem Sinne: Arce, Evidence Evaluation, S. 573.
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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3. Eigenständige, rechtsbildende Funktion der Jury – jury equity In Bezug auf England gilt noch immer die Aussage Lord Mansfields, dass es jederzeit in der Macht der Geschworenen stünde, das Gesetz falsch anzuwenden und auf diese Weise ihr Ermessen und nicht die Buchstaben des Gesetzes zur Grundlage ihrer Entscheidung zu machen.253 Tatsächlich ist es nach derzeit geltendem Recht nicht möglich, die Geschworenen an einem Freispruch (acquittal) gegen die Beweise zu hindern.254 Nach der Rechtslage sind die Geschworenen natürlich an das Gesetz gebunden. Dies zeigt beispielsweise die Begrenzung des Aufgabenbereiches der Jury auf die Bewertung der Tatsachen eines Falls. Auch durch die Bindung an die richterliche Rechtsbelehrung wird bezeugt, dass die Gesetze der Maßstab für die Entscheidungen der Jury sind.255 Überdies legt der Wortlaut des Eides, demzufolge der Schuldspruch an den Inhalt der Beweisaufnahme gebunden ist, eine Gesetzesbindung nahe.256 Trotzdem ist es in der Praxis den Geschworenen wegen der Geheimhaltung der Beratung und der Beratung ohne Beteiligung des Richters möglich, eigene Überzeugungen über das Gesetz zu stellen. Die Folgen einer Ermessensausübung durch Geschworene sind gravierend. Die Geheimhaltung der Beratung, die Unzulässigkeit von Rechtsmitteln gegen Freisprüche und die fehlende Begründung von Urteilen verhindern meist eine Aufhebung der entsprechenden Urteile im Rechtsmittelverfahren.257 Die Ermessensausübung durch Geschworene (jury equity) hat in England eine lange Tradition. Ihre hohe Zeit war das 17. und 18. Jahrhundert, als die pious perjury die inflationäre Androhung der Todesstrafe konterkarierte258. Der Appell an Geschworene, als ungerecht empfundene Gesetze nicht anzuwenden, war zudem eine scharfe Waffe in den Auseinandersetzungen zwischen Torys und Whigs um die politische Vorherrschaft. Seitdem ist die jury equity umgeben von dem Mythos, die Bewahrerin von Bürgerrechten gegen den Staat zu sein. Obwohl ab dem 19. Jahrhundert das Ausmaß, in dem Geschworene das Recht ignorierten, nachließ, wird einer Blockadehaltung von Geschworenen bis heute Einfluss auf die Gesetzgebung zugeschrieben. In der letzten Zeit gibt es wenige publizierte Beispiele, in denen die Jury tatsächlich gegen das Gesetz entschied. Diese Fälle wurden von der Öffentlichkeit jedoch überwiegend mit Beifall aufgenommen. Dies zeigt, dass 253
R v Dean of St. Asaph, (1784) 4 Dougl. 73, 173. Auld, Review, Chapter 5 Rn. 104; Lord Auld schlägt daher die Schaffung eines Gesetzes gegen die Praxis von Freisprüchen gegen die Beweislage vor; vgl. Auld, Review, Chapter 5 Rn. 107. 255 Hostettler, Jury Old and New, S. 71; Spencer, Machinery of Justice, S. 392. 256 Der entsprechende Wortlaut ist: „give a true verdict according to the evidence“; vgl. Practise Direction (Criminal Proceedings: Consolidation), Part IV, [2002] 1; a. A. Devlin, 107 LQR (1991), 398 (400). 257 Vgl. oben 2. Teil A. VII. 1.: Übersicht über die Rechtsmittel gegen Urteile des Crown Court. 258 Siehe dazu oben 1. Teil A. IV. 1. b): Motivationen und prozessuale Mechanismen der pious perjury. 254
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
die Jury immer noch in ihrer traditionellen Rolle als Wahrerin der Bürgerrechte wahrgenommen wird.259 Entscheidungen von Laien gegen das geltende Recht sind strukturell auch in Deutschland möglich. In den Schöffengerichten kann der Berufsrichter von den beiden Schöffen überstimmt werden. Derartiges Verhalten würde hierzulande jedoch in der Regel zur Aufhebung des entsprechenden Urteils in der nächsten Instanz führen. Obwohl die deutschen Schwurgerichte des 19. Jahrhunderts durchaus als Schutzinstanzen gegen den Staat konzipiert waren, konnte sich in Deutschland keine Tradition des Widerstandes der Geschworenen gegen geltendes Recht etablieren.260 Der weiteste Spielraum wird innerhalb der deutschen wissenschaftlichen Literatur den Laien von einer Ansicht zugebilligt, die davon ausgeht, dass der Laie den streitbefangenen Interessen näher sei als der Berufsrichter. Der Berufsrichter soll danach als Interpret des Rechtes eine neutrale Haltung einnehmen, während die Laien die Bereitschaft zu Veränderungen und Anpassungen in die Entscheidung einfließen lassen sollten.261 Ganz überwiegend wird jedoch davon ausgegangen, dass Schöffen nicht dazu bestimmt seien, Gnade vor Recht ergehen zu lassen.262 Angesichts der verfassungsrechtlichen Gesetzesbindung der Rechtsprechung, Art. 97 I GG, und auch im Hinblick auf Art. 103 II GG, § 1 StGB ist dies letztlich so auch zwingend. Auch in England gibt es Juristen und Politiker, die der jury equity kritisch gegenüberstehen. Trotzdem scheint eine Beschränkung der Möglichkeit, zur Ausübung von jury equity noch in weiter Zukunft zu liegen. Selbst die Forderungen der englischen Reformer Blackstone und Romilly umfassten nie die völlige Entmachtung der Jury, weil die Rolle der Jury als Bollwerk gegen Tyrannei auch ihre Zustimmung fand.263 Die Verhinderung eines Zustandes, in dem professionelle Rechtsanwender ausschließlich nach professionellen Standards über das Schicksal von Angeklagten entscheiden, gilt in England als eines der stärksten Argumente für die Beibehaltung des trial by jury.264 Darin offenbart sich eine spezifisch englische Einstellung zur Obrigkeit und zum Staat. In England lebt die Tradition des Misstrauens gegen die Richter als Staatsdiener fort. 259 Spencer, Machinery of Justice, S. 393; z. B. R v Ponting; Einzelheiten dazu in: Ponting, Secrecy in Britain, S. 64 f.; R v Ponting [1985] CrimLR, 318. 260 Liepmann hatte am Anfang des letzten Jahrhunderts noch die Missachtung des Rechts durch Geschworene auch in Deutschland als „mächtige Antriebe für eine Reform des materiellen Strafrechts“ bezeichnet und begrüßt; vgl. Liepmann, Reform, S. 188. 261 Dafür soweit ersichtlich nur: Cappelletti, FS Baur, S. 317 f. für den sich diese Rolle der Laienrichter daraus ergibt, dass sie „mehr im Feuer des Lebens“ stünden und daher kreativer und anpassungsfähiger seien als Berufsrichter. – Explizit dagegen argumentiert: Windel, ZZP 112 (1999), 293 (299 f.), der insbesondere auf Art. 103 II GG, § 1 StGB verweist. 262 Rüping, JR 1976, 269 (273); Limbach, RohR 1999, 55 (58). 263 Manchester, Modern Legal History, S. 95. 264 Dazu und zum folgenden Abschnitt: Sanders/Young, Criminal Justice, S. 601 f; Jackson/ Doran, 60 MLR (1997), 759 (766 f.); Kalven/Zeisel, American Jury, S. 8 f.; Devlin, 107 LQR (1991), 398 (403); Jury in Criminal Trials, S. 12.
B. Vergleichende Analyse des Rechtes in England und Deutschland
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Ein weiterer Faktor für das Festhalten an jury equity ist das englische Verständnis von Recht. Dies geht von der Prämisse aus, dass das Recht nicht absolut sei. Recht bedarf nach englischen Verständnis stets der Interpretation und der Flexibilität der Anwendung auf den jeweiligen Sachverhalt. Innerhalb dieses Bezugsrahmens ist es gerade ein Vorteil, dass Laien unter Umständen eine andere Sicht auf das im Einzelfall anwendbare Recht haben als professionelle Juristen. Die Laienbeteiligung muss bei dieser Argumentation nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass sie eine effektivere oder sicherere Methode der Entscheidungsfindung bereithält. Der Kern der Überlegung besteht vielmehr darin, dass das Laienelement unverzichtbar für die Ausübung eines bestimmten Ermessensspielraumes (jury equity) ist, der unter Umständen von der strikten Gesetzesanwendung abweichen kann.265 Trotz dieser Grundhaltung hält das englische Strafverfahren eine Reihe von Mechanismen bereit, um den Geschworenen ein gesetzestreues Verhalten nahe zu legen. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle greifen diese Mechanismen. Ferner urteilen die Geschworenen auch in den allermeisten Fällen gesetzestreu. Wäre dies anders, wären gewiss bereits Regeln geschaffen worden, um jury equity wirksam zu unterbinden.
4. Zusammenfassung Für die Bewertung des Beitrages der Laien zu den Elementen der materiellen Wahrheit, der Gesetzesbindung sowie der Einzelfallgerechtigkeit lässt sich folgendes resümieren: Laien sind in der Lage, die Erforschung der materiellen Wahrheit in einem Strafverfahren zu befördern. Dies gilt sowohl für das kooperative wie auch für das separative Modell der Entscheidungsfindung. Dieses Ergebnis wird durch die Evaluierung der Fehlerquellen durch Laienrechtsprechung gestützt. Defizite können jedoch entstehen, wenn die Laien, wie beim Geschworenengericht, auf sich alleine gestellt sind. Teilweise werden diese Mängel jedoch durch die Anzahl der Geschworenen wieder ausgeglichen. Systemübergreifend ließ sich ferner ein maßgeblicher Einfluss der Berufsrichter feststellen. Sowohl beim Geschworenenals auch beim Schöffengericht wirken somit professionelle Juristen, wenngleich in unterschiedlicher Intensität, als Kontrollinstanz. Eine Verbesserung der Qualität von strafrichterlichen Urteilen kann Laienbeteiligung erreichen, indem sie eine Realitäts- und Plausibilitätskontrolle berufsrichterlicher Entscheidungen ermöglicht.
265 Dafür auch: Berlins/Dyer, Law Machine, S. 128 f.; vgl. ausführlich zu diesem Argument: Jackson/Doran, 60 MLR (1997), 759 (766); Bankowski/Hutton/McManus, Lay Justice?, S. 168 ff.; dagegen: Auld, Review, Chapter 5 Rn.100 f.; Williams, Proof of Guilt, S. 197: „Wenn die Mitglieder der Jury schwören sollen, ein verdict aufgrund der Beweislage zu sprechen, warum soll unter Umständen das Gegenteil möglich sein?“
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
Ein spezifischer Vorteil des separativen Modells besteht darin, dass es erlaubt, innerprozessual unzulässiges Beweismaterial zu präsentieren, ohne die zur Entscheidung berufenen Personen damit zu präjudizieren. Gleiches gilt für den Inhalt der Ermittlungsakten. Im separativen Modell kann folglich die Präsentation des Prozessstoffes von allen Angehörigen des Spruchkörpers unbeeinflusst erlebt werden. Diese Trennung von Sachentscheidung und Beweisaufnahme ist günstig für die Umsetzung des Prinzips der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit.266 Die Bewertung des Einflusses der Laien auf Gesetzesbindung und auf Einzelfallgerechtigkeit der Entscheidungen kann zusammen vorgenommen werden, weil diesbezüglich Überschneidungen bei dem Effekt von Laienbeteiligung existieren. Im kooperativen System können die Laien die Einzelfallgerechtigkeit befördern, indem sie Einfluss auf die Strafzumessung nehmen. Dieser Weg ist den Geschworenen versperrt. Der Weg des separativen Systems zur Herstellung von Gerechtigkeit im Einzelfall führt, insoweit er von den Geschworenen beschritten wird, über die Ausübung von jury equity. Damit sind nicht nur erhebliche Gefahren für die Rechtssicherheit verbunden, auch die Gesetzesbindung der Strafjustiz wird dadurch ignoriert. Mit guten Gründen wird eine solche Lösung daher im deutschen Recht abgelehnt. In England wird jury equity mit der Notwendigkeit des Schutzes vor staatlicher Willkür begründet. Wie oben gezeigt wurde, ist dieses Argument jedoch inzwischen überholt. Es ist daher offen, wie lange es noch als Rechtfertigung für jury equity dient.
C. Folgerungen und Ausblick C. Folgerungen und Ausblick
In der historischen Perspektive betrachtet, lassen sich für England und für Deutschland zwei grundsätzliche Kontinuitäten feststellen. Diese betreffen erstens die Tatsache des „ob“ der Laienbeteiligung selbst und zweitens die Andauer der Kontroverse bezüglich ihrer inhaltlichen Ausgestaltung. Im Unterschied dazu erfuhr im Laufe der Geschichte die Festlegung der Aufgaben der Laienbeteiligung fortwährende Brüche und Veränderungen. Zu keiner Zeit existierte in Deutschland oder in England eine Strafrechtsprechung, die ganz ohne die Beteiligung von Laien auskam. Selbst in der Zeit des Absolutismus in Deutschland bestanden rudimentäre Formen der Laienbeteiligung in der Form der Gerichtszeugen fort. Unter Einbeziehung frühgeschichtlicher Formen der Rechtsprechung gelangt man sogar zu dem Ergebnis, dass Laien bereits lange vor professionellen Richtern in der Rechtsprechung in beiden Rechtssystemen tätig waren. Es ist gleichwohl festzuhalten, dass sich sowohl die Stellung als auch der Begriff der Laien in der Rechtsprechung im Laufe der Geschichte
266 Grünhut, FS v. Weber, S. 360; Liepmann, Reform, S. 186; Thaman, LCP 1999, 233 (235).
C. Folgerungen und Ausblick
363
wandelte. So gesehen sind die heutigen Laienrichter etwas völlig anderes als die frühgeschichtlichen „Urteiler“. Gleichfalls kann als Ergebnis der Betrachtung der historischen Entwicklung resümiert werden, dass sich die Kontroverse, wie die Laienbeteiligung in einem Strafprozess ausgestaltet sein soll, als ein roter Faden durch die deutsche und englische Rechtsgeschichte zieht. Die gewechselten Argumente vermischten dabei in exemplarischer Weise juristische mit politischen Erwägungen. Stets entwickelte sich die Geschichte des Strafprozessrechtes parallel zur politischen Geschichte des jeweiligen Landes. Die Laienbeteiligung am Strafverfahren fügt sich somit in den Kreis prozessualer Regelungen ein, die sowohl zum Schutz gegen in der Vergangenheit erlebten Missbrauch als auch in bewusster Abkehr von hergebrachten, aber unannehmbaren Methoden geschaffen wurden.267 Das verdeutlicht die hohe politische Relevanz der Laienbeteiligungsfrage und zeigt damit, dass politische Einflüsse stets die Entwicklung der Laienbeteiligung dominierten. Gleichwohl waren dem politischen Gestaltungsspielraum auch Grenzen gesetzt. Die Grenzlinien verliefen dort, wo traditionelle gesellschaftliche Werte und juristische Überzeugungen berührt waren. Die Entwicklung der Aufgaben laienrichterlicher Beteiligung in der Strafrechtspflege gestaltete sich dagegen diskontinuierlich. In der Frühzeit der Rechtsprechung sollte die Einbeziehung möglichst vieler Personen an der Lösung von Konflikten innerhalb einer Gruppe ein Höchstmaß an Rechtsfrieden garantieren. Später wurden Laien in England eingesetzt, weil nur sie eine effiziente und zentral gesteuerte Rechtsprechung zu ermöglichen schienen. In Deutschland trat dagegen die praktische Bedeutung der Laien mit der Rezeption des römischen Rechts in den Hintergrund. Damit tat sich zwischen Deutschland und England in der Frage der Laienbeteiligung ein institutioneller und ideologischer Graben auf. Während in Deutschland die Laien auf eine Statistenrolle reduziert wurden, wurde die Geschworenenjury zum Inbegriff bürgerlicher Freiheit gegenüber obrigkeitlicher Willkür. Diese neue Aufgabenstellung wurde in Deutschland von der liberalen Partei und dem Bürgertum übernommen und als Ziel für ein Wiederaufleben von Laienbeteiligung formuliert. Dadurch erlebte die Laienbeteiligung in Gestalt der Schwurgerichte in Deutschland eine Renaissance. Aufgrund der Rückbesinnung auf die Laienbeteiligung und deren Verbindung mit bürgerlicher Freiheit und Demokratie schloss sich der Graben bei der Laienbeteiligung zwischen England und Deutschland wieder. Obwohl die anfängliche Nivellierung der ideologischen und institutionellen Unterschiede mit der Abschaffung der Schwurgerichte teilweise wieder rückgängig gemacht wurde, blieb es sowohl in Deutschland als auch in England dabei, dass den Laienrichtern an den Strafgerichten die Rolle zugeschrieben wurde, als Garanten für Demokratie und Bürgerrechte zu dienen.
267
Vgl. Grünhut, FS v. Weber, S. 343.
364
3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
Angesichts der mittlerweile in England und Deutschland verankerten demokratischen Staatsform und der Garantie einer unabhängigen Berufsrichterschaft wirkt heutzutage das Argument einer Freiheitssicherung durch Laienbeteiligung wenig überzeugend. Die historisch bedingte Funktion der Laienrichter bedarf daher einer kritischen Reflektion. Es ist notwendig, Überlegungen zum Rollen- und zum Funktionsverständnis von Laienrichtern in der modernen Strafrechtspflege anzustellen. Es ist an der Zeit, eine neue Aufgabenstellung von Laienbeteiligung zu definieren, oder zu erkennen, dass dieses Institut unzeitgemäß geworden sei. Erste Hinweise für eine Neudefinition der Rolle von Laienbeteiligung im Strafprozess sind durch die Betrachtung des geltenden Rechtes der Laienbeteiligung deutlich geworden. Es lassen sich verschiedene Entwicklungstendenzen identifizieren. Überraschenderweise ist hinsichtlich dieser Trends ein weitgehender Gleichlauf zwischen dem englischen und deutschen Verfahrensrecht erkennbar. Insgesamt lässt sich ein praktischer Bedeutungsverlust der Laienbeteiligung konstatieren, der in einem Absinken des Anteils der unter Beteiligung von Schöffen und Geschworenen entschiedenen Strafverfahren zum Ausdruck kommt. Plakativ sichtbar wird die Erosion der Laienbeteiligung beim englischen Geschworenengericht. Dies weist in die Richtung einer allgemeinen Bewegung hin zu mehr Effizienz in Strafverfahren, innerhalb derer Laien zunehmend als störend empfunden werden. Weiterhin konnte festgestellt werden, dass sowohl Schöffen als auch Geschworene nicht über dasselbe Maß an Einfluss bei der Entscheidungsfindung verfügen wie die Berufsrichter. In beiden Rechtsordnungen liegt der Grund dafür in der übermächtigen Autorität der Berufsrichter. In Deutschland kommt dies besonders innerhalb der Urteilsberatung zum Tragen. In England kann der Richter seine bestimmende Rolle bereits während der Verhandlung und im summing up ausspielen. Unter diesem Blickwinkel ergibt sich als wichtigste Funktion der Laien im Verfahren die Rolle eines Korrektivs für die Berufsrichter. Diese Aufgabe wird von den Laien aktiv und passiv ausgeübt. Sowohl im Schöffen- als auch im Geschworenengericht müssen die Berufsrichter und alle Verfahrensbeteiligten ihre Verhandlungsführung an den Umstand anpassen, dass das Geschehen von juristischen Laien verstanden werden muss. In Deutschland zwingen die Schöffen durch ihre Anwesenheit bei der Urteilsberatung die Berufsrichter zu einer Plausibilitätskontrolle ihrer Argumente. Aktiv können die Schöffen zugunsten des Angeklagten intervenieren, weil sie eine Sperrminorität besitzen. In England sind die Geschworenen wegen der Abwesenheit des Richters bei der Beratung grundsätzlich frei, sich auch gegen die Ansicht des Richters zu entscheiden. Diese Möglichkeit reicht bis zu einer Entscheidung gegen geltendes Recht (jury equity). Die im Rechtsvergleich vorgenommene wertende Gegenüberstellung der beiden betrachteten Modelle der Laienbeteiligung ergab eine Reihe von Defiziten beim Geschworenengericht gegenüber dem Schöffengericht. Beispielhaft wird dies anhand der Gefahr des Durchdringens von Vorurteilen innerhalb einer Jury deutlich.
C. Folgerungen und Ausblick
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Negativ zu bewerten sind ebenfalls das Fehlen von Urteilsgründen, das einer Überprüfung der Urteile im Wege steht, sowie der Umstand, dass die Geschworenen in England bei der Strafzumessung keine Rolle spielen. Der trial by jury ist zudem aufgrund der Trennung der Funktionen von Richter und Geschworenen schwerfälliger als das Schöffengericht. Schließlich kann beim Geschworenengericht kein Gedankenaustausch zwischen Laien und Juristen erfolgen, der die Rechtsfindung fruchtbar beeinflussen kann. Diese Beobachtungen säen Zweifel, ob das Institut der Geschworenengerichte angesichts des systemübergreifend deutlich werdenden Trends zu mehr Professionalisierung und Effektivität innerhalb der Gerichtsbarkeit im europäischen Maßstab eine Zukunft haben kann. Möglicherweise ist das kooperative Schöffenmodell diesen Anforderungen besser gewachsen.268 Für den besonderen Fall Englands ist aufgrund der außerordentlichen Lebenskraft der Schwurgerichtsidee jedoch zu erwarten, dass sich die 800jährige Tradition des trial by jury noch längere Zeit behaupten wird. Bei der Kritik an den Geschworenengerichten dürfen jedoch nicht die Vorzüge dieses Modells gegenüber dem Schöffengericht aus den Augen verloren werden. Ein Vorteil der Schwurgerichte ist die Trennung von Verhandlungsleitung und Urteilsfindung.269 Dadurch wird erst eine konsequente Umsetzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit und Mündlichkeit ermöglicht. Weiterhin ist beim Geschworenengericht – wenigstens in seiner englischen Form – eine beispielhaft breite Partizipation aller Bevölkerungsschichten an der Rechtsprechung gewährleistet. Nicht zuletzt ist es diese umfassende Einbeziehung der Bürgerschaft, die der englischen Jury ihre Popularität und das ungebrochene Vertrauen der Bürger sichert. Ein letzter gravierender Unterschied zwischen dem Schöffen- und dem Geschworenengericht betrifft die Möglichkeit der Geschworenen, Angeklagte gegen das Gesetz freizusprechen. An dieser Stelle zeigt sich in besonderem Maß die Ambivalenz einer Abwägung von Vor- und Nachteilen der beiden Modelle. Vom Standpunkt der deutschen Tradition mit ihrer Betonung der Rechtssicherheit und -gleichheit ist die Denkbarkeit eines Freispruches contra legem ein entscheidendes Defizit der Jury. Nach englischer Auffassung, die stets von einem mehr auf den Einzelfall bezogenen Gerechtigkeitsbegriff ausging, liegt darin eher ein Vorteil. In England wird immer noch mit einem gewissen Misstrauen auf die vom Staat angestellten Berufsrichter geblickt und die Geschworenen im Gegensatz dazu als Repräsentanten der bürgerlichen Gesllschaft und der Bürgerrechte angesehen.270 Folglich wird in England ein Minus an Rechtssicherheit hingenommen, um sich nicht einer vermeintlich staatlich gesteuerten Rechtsprechung auszuliefern. Das Geschworenengericht ist in jedem Fall nicht ohne jury equity zu haben. 268 In diese Richtung weist jedenfalls Langbeins Ansicht zur Übernahme des Schöffenmodells in das angloamerikanische Recht in: Langbein, Mixed Court and Jury Court, S. 195 ff. und die Reformgedanken von Lord Auld in: Auld, Review, Chapter 5 Rn. 77. 269 Liepmann, Reform, S. 186. 270 Vgl. dazu bereits Mittermaier, Strafverfahren, S. 320.
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3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
Der Vergleich der Verfahren hat jenseits der Unterschiede in der Bewertung gezeigt, dass Laienbeteiligung in den beiden betrachteten Systemen auch unter modernen Bedingungen entscheidende Vorteile für das Strafverfahren aufweist. Dafür sind folgende Gründe zu nennen: Das deutsche und auch das englische Modell dienen der Legitimation von Rechtsprechung. Unter diesem Vorzeichen ergibt sich die Daseinsberechtigung von Laienbeteiligung daraus, dass sie die Verhängung von Sanktionen als eine eigene Angelegenheit der Gesellschaft insgesamt erlebbar macht. Die Sanktionsverhängung kann durch die Beteiligung von Laien als Vertretern der Zivilgesellschaft nach außen deutlich sichtbar als Reaktion der Gesellschaft auf eine Rechtsverletzung angesehen werden. Von hervorragender Bedeutung ist auch, dass Laienbeteiligung die Partizipation von Bürgern am Strafverfahren ermöglicht. Auf einem Gebiet, in dem die Bürger potentiell am intensivsten Eingriffen des Staates ausgesetzt sind, treten Bürger und Staat dadurch miteinander dauerhaft in einen Dialog. Auf diesem Wege wird eine Verklammerung bewirkt, die nicht nur der Rechtsprechung Legitimität vermittelt sondern auch einer Entfremdung zwischen Volk und Recht vorbeugt. Zudem ist die Teilhabe der Bürger an hoheitlichen Aufgaben kennzeichnend für demokratische Gesellschaftsordnungen. Die Einbeziehung von Laien in die Rechtsprechung gewährleistet die Teilhabe von Bürgern an der Strafverfolgung. Sie ist daher ein genuin demokratisches Institut. Unter heutigen Bedingungen ist die Aufgabe der Laien an den Strafgerichten als Wächter der Freiheit gegenüber staatlicher Willkür in den Hintergrund getreten. Als Außenstehende können sie jedoch den professionellen Ablauf von Strafverfahren in positiver Weise stören, indem sie „in den Zurechnungsbetrieb der Strafrechtspflege Begründungszwang und Zweifel hineintragen“271 und eine Behandlung der Fälle anhand rein juristischer Maßstäbe verhindern. Insofern haben Laien im modernen Strafverfahren eine Schutzfunktion gegenüber einer Erstarrung in juristischer Routine. Über diese theoretischen Begründungsansätze hinaus spricht für Laien in der Strafrechtspflege, dass sie in der Lage sind, die Erforschung der materiellen Wahrheit in einem Strafverfahren zu befördern. Dieser Befund ergab auch eine Bewertung der denkbaren Fehlerquellen durch Laienrechtsprechung sowohl für das kooperative wie auch für das separative Modell der Entscheidungsfindung. Diese Argumente verweisen darauf, dass Laienbeteiligung, verstanden als Mittel zur Legitimation der Rechtsprechung, der Ermöglichung einer Partizipation der Zivilgesellschaft und einer Kontrolle der Rechtsprechung auch zukünftig noch eine Daseinsberechtigung hat. Demgegenüber können Argumente der Effizienzsteigerung und Kostendämpfung eine Abschaffung dieses Instituts nicht begrün271
Herzog, Palladium, S. 352.
C. Folgerungen und Ausblick
367
den. Diesbezüglich sei mit Blackstone „erneut daran erinnert, dass Verzögerungen und Unbequemlichkeiten in der Art der Rechtsprechung der Preis sind, den freie Nationen für ihre Freiheit in wesentlicheren Angelegenheiten bezahlen müssen“272. Laienbeteiligung ist daher nicht etwa unzeitgemäß, sondern verdient es, weiter fortgeführt zu werden. Diese Erkenntnis führt zu der Frage nach einer möglichen künftigen institutionellen Beschaffenheit der Laienbeteiligung im Sinne einer Entscheidung für eines der beiden vorgestellten Modelle oder für deren Synthese. Damit verbunden ist auch das Problem, welche Folgerungen sich aus den bisher angestellten Betrachtungen für die Zukunft von Laienbeteiligung im europäischen Rahmen ziehen lassen. Die Frage nach der Zukunft von Laienbeteiligung erschien anlässlich der Einführung von Geschworenengerichten in Russland und Spanien während der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts auf der rechtspolitischen Agenda. Seinerzeit wurde argumentiert, die Renaissance der Jury in Spanien und Russland sei Anlass über die Grundlagen der europäischen Strafverfahrensrechte in Richtung einer Wiedergeburt der Jury im gesamteuropäischen Maßstab neu nachzudenken.273 Die in dieser Arbeit gefundenen Resultate stimmen hinsichtlich einer gesamteuropäischen Wiederbelebung des Instituts der Geschworenengerichte jedoch pessimistisch. Der Umstand, dass die beiden Laienbeteiligungsmodelle auf unterschiedlichen Gebieten Schwachstellen aufweisen, scheint auf den ersten Blick eine Vereinigung beider Ansätze nahe zu legen. In diese Richtung weist ein Vorschlag von Grube, der darauf anzielt, die Vorteile von Geschworenen- und Schöffengericht zu einer Art großem Schöffengericht zu kombinieren.274 Hinsichtlich der Möglichkeiten einer Rechtsvereinheitlichung stimmt der Vergleich der historischen Entwicklung jedoch skeptisch. Den Rezeptionen fremder Konzepte für die Laienbeteiligung zwischen Deutschland und England war nie ein dauerhafter Erfolg beschieden. Die entsprechenden Versuche scheiterten jedes Mal sowohl an der Unvereinbarkeit des fremden Rechts mit der einheimischen Rechtsmaterie als auch am Widerstand des gesellschaftlichen und juristischen Establishments. Es lassen sich keine Hinweise erkennen, dass unter heutigen Bedingungen eine derartige Übertragung erfolgreicher wäre als früher. Insoweit erweist sich das Diktum Feuerbachs, demzufolge „viele menschliche Einrichtungen (…) jenen Pflanzen (gleichen), die bloß unter ihrem eigenen Himmelsstriche auf dem mutterlichen Boden gedeihen, dem sie entwachsen sind, (und) die, sobald man sie anderswohin verpflanzt, des ihnen
272
Zit. nach: Grove, Juryman’s Tale, S. 205. Thaman, LCP 1999, 233 (259); Linkenheil, Laienbeteiligung, S. 172 f.; skeptisch: Hatchard/Huber/Vogler, Comparative Criminal Procedure, S. 13; auch Gerding, Trial by Jury, S. 475 kommt zu dem Ergebnis: „Sachliche Gründe, die die Beteiligung von Geschworenen am heutigen Verfahren rechtfertigen, bestehen nicht.“ 274 Grube, Richter ohne Robe, S. 253 ff.; für ein vermittelndes Modell offenbar auch: Gerding, Trial by Jury, S. 475. 273
368
3. Teil: Analytische und rechtsvergleichende Betrachtung
nötigen Lebensstoffes entbehren und trotz aller künstlichen Pflege entweder verdorren, oder nur taube Blüten treiben“275, als wahr. Gegen ein Modell, welches vermeintlich Vorteile kombiniert und Nachteile ausschließt, spricht auch, dass die Wahl eines bestimmten Modells der Laienbeteiligung eine grundsätzliche Richtungsentscheidung für die Strafgerichtsbarkeit begründet, wie es die Vernachlässigung des Strebens nach unbedingter Gesetzestreue im trial by jury im Gegensatz zur Herangehensweise in Deutschland schlaglichtartig beleuchtet. Gerade auch die Verbindung des jeweiligen Konzepts der Laienbeteiligung mit Prozessrecht und materiellem Recht macht es schwer, isoliert Recht zu übertragen. Eine Rechtsübertragung würde ferner die psychologische und kulturelle Komponente der traditionellen Verankerung von Rechtsinstituten vernachlässigen. Die Übertragung von Rechtsinstituten bzw. eine Zusammenführung von Recht ist folglich weder möglich noch erstrebenswert. Politisch mögen sich derartige Ziele formulieren lassen, in ihrer juristischen Dimension sind sie jedoch zu vielschichtig, um politisch disponibel sein zu können. Zwar hat sich gezeigt, dass bezüglich der Laienbeteiligung im Strafverfahren stets weite politische Gestaltungsräume offen waren, jedoch dürfte eine Rechtsangleichung zwischen dem Schöffensystem und dem trial by jury über die Grenzen hinausgehen, die durch gesellschaftliche und juristische Traditionen in England und Deutschland gezogen sind und die noch nie durch politisches Handeln überschritten wurden. Zu demselben Ergebnis kam auch Julius Abegg, als er schrieb: „Das Institut (der Jury) ist, im Hinblicke auf die Geschichte, uns allerdings nicht ein fremdes; aber es ist es jetzt und in seiner jetzigen Gestalt für unsere Verhältnisse, welche erhebliche, nicht in der Macht des Gesetzgebers liegende Veränderungen erfahren müssten, um dasselbe für uns anwendbar zu machen“276. Eine Vereinheitlichung wäre auch nicht erstrebenswert, denn sie würde die einzigartige Möglichkeit reziproken Lernens verschließen. Innerhalb des europäischen Rechtsraumes ist es daher bedeutsam, regionale spezifische Rechtsformen und Rechtsinstitute als Voraussetzung eines Lernprozesses beizubehalten und rechtskulturelle Eigenheiten nicht aufzugeben. Zum gegenseitigen Verstehen ist es gar nicht notwendig, dass alle Menschen dieselbe Sprache sprechen, sofern nur eine gemeinsame Ebene der Kommunikation gefunden wird. Mit dem Gedanken der Rechtsvergleichung ist nämlich die Einsicht eng verbunden, dass Recht nicht nur eine nationale Angelegenheit ist, sondern ein Denken über den nationalen Tellerrand hinaus erfordert. Der vergleichende Blick führt zu einer Relativierung eigener Überschätzungen und eröffnet den Weg zur Suche neuer Lösungsmöglichkeiten jenseits der eigenen Grenzen.277 Insoweit kann auch auf dem Gebiet der Laienbeteiligung in der Strafrechtspflege eine gegenseitige Befruchtung und gegenseitiges Lernen stattfinden. Den Nutzen einer derartigen Vorgehensweise 275 276 277
Feuerbach, Geschwornen Gericht, S. 46. Vgl. Abegg, Beiträge, S. 193. Zieschang, ZStW 113 (2001), 255 (264).
C. Folgerungen und Ausblick
369
zeigt der Blick in die Geschichte. Von der gescheiterten Rezeption des Geschworenengerichts in Deutschland blieben nur die Gedanken der Laienbeteiligung und die Prinzipien der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und der freien Beweiswürdigung, die schließlich ihre eigenständige Ausformung in spezifisch deutschen Rechtsinstituten fanden. Die Übernahme allgemeiner Prinzipien und deren Überführung in Institute, die der nationalen Rechtskultur entsprechen, ist folglich die Essenz gegenseitigen Lernens, die in die Zukunft weist. Auch die politischen Realitäten in Europa weisen darauf hin, dass sich eine Harmonisierung der Strafverfahrensrechte nicht auf breiter Ebene vollziehen, sondern behutsam in vielen kleinen Schritten voranschreiten wird, denn das Strafverfahrensrecht befindet sich noch immer im Kernbereich nationaler Souveränitätsansprüche.278 Fortschritte können hier am ehesten im Wege der Implementierung gleicher Standards und gemeinsamer Prinzipien durch eine Europäische Grundrechtscharta279 und die Europäische Menschenrechtskonvention erreicht werden.280 Besteht Einigkeit über ein derartiges gemeinsames Ziel, können die verschiedenen Rechtssysteme bezüglich der Frage des Weges dorthin in einen Wettbewerb treten. Als ein derartiges allgemeines Prinzip und gemeinsames Ziel für die heutige Zeit kommt die Legitimierung von Rechtsprechung durch Laienbeteiligung in Betracht. Ob dieses Prinzip die Weiterentwicklung des Strafverfahrensrechts im europäischen Maßstab fördern wird und ob Laienbeteiligung unter den Vorzeichen des in dieser Arbeit aufgezeigten neuen Rollenverständnisses bei einer Modernisierung des Strafverfahrens wirken kann, wird die Zukunft erweisen. Mit Spannung ist daher zu erwarten, wie sich die Laienbeteiligung im europäischen Raum entwickeln wird.
278
Esser, S. 44; Jung, CrimLR 1993, 237; Jung/Schroth, GA 1983, 241 (253). Vgl. die justiziellen Rechte der Grundrechtscharta in Art. 47–50 GRC (Art. II-107-110 EurVerf); zu Einzelheiten vgl.: Eser, Charta der Grundrechte, S. 477 ff. 280 Findlay, 50 ICLQ (2001), 26 (46 ff.); Jackson, 68 MLR (2005), 737 (757 ff.); Esser, S. 880; Gaede, Fairness, S. 920 ff. 279
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Personen- und Sachwortverzeichnis Abegg, Julius 154, 368 Ablehnung von Juroren 59, 206 Abstimmung 170, 265, 268, 277, 279, 281, 287 acquittal 359 Act of Settlement 82 adversary trial 84 adversatorisches Strafverfahren 82, 85, 216, 217, 287, 300, 330, 356 Akteneinsicht 269, 272, 283, 284, 339, 345 Aktenversendung 131, 133, 134, 188 Alfred der Große 34 Amtsgericht 170, 175, 176, 253, 254, 263, 265, 278, 346 Angelsachsen 32, 33, 34, 38, 39, 41 Anklagejury 45, 49, 57, 62 Assize 44, 49, 50, 61, 100, 186, 293 Assize of Clarendon 44, 46, 49 Auld Report 251, 295 Beccaria, Cesare 92, 93, 94, 97, 291 Beschleunigungsgebot 274 Beseler, Georg 154, 165, 166, 178 Besorgnis der Befangenheit 205, 216, 257, 266, 270, 309 Beweisregeln 83, 132, 144, 147, 154, 157, 321 Beweiswürdigung, freie 154, 155, 157, 302, 319, 321, 369 Bill of Rights 82, 195 Blackstone, William 81, 92, 93, 94, 97, 190, 291, 360, 367 Blutrache 36 borough 34, 44 Bundesgerichtshof 253, 262, 264, 271, 272, 273, 310 Bundesverfassungsgericht 310 Bushell’s Case 77, 79, 80, 81, 83, 99, 189 challenge 138 challenge for cause 204, 205, 206, 216, 308
challenge propter affectum 205 charge 54, 67 Charles I. 298 Claudius 33 Code d’instruction criminelle 142, 144, 157 committal 58 common law 27, 41, 53, 58, 65, 68, 69, 76, 80, 89, 196, 197, 216, 220, 228, 229, 236, 238, 246, 296, 297, 298, 299, 348 Commonwealth 62 Constitutio Criminalis Carolina 129, 130, 131, 132, 134, 147, 295 Conventicles Act 76 counts in the alternative 237, 349, 357 Court of Appeal 207, 213, 229, 235, 245, 247, 248, 249 Cromwell, Oliver 62, 68, 73 Crown Court 197, 198, 202, 214, 244, 245, 249, 251, 326, 355 crown’s right to stand by 206, 212, 214, 308, 354 curia regis 42, 128, 297 danelaw 36 Demagogenverfolgungen 151 Denning, Alfred Thompson Baron 209 Deutschenspiegel 115 Diplock Trial 250 directed acquittal 219, 220 discharge 216, 219, 220 discretion 236 discretionary deferral 201 discretionary excusal 201 disqualification 199, 306 doomsman 35 Doppelverfahren, Verbot 244, 246, 248 double jeopardy rule 246, 247 earl 35 earldorman siehe earl Eduard der Bekenner 41
396
Personen- und Sachwortverzeichnis
Edward III. 60 Eidhelfer 36, 38, 39, 43, 114, 185 Einstimmigkeit 55, 236, 241, 243, 244, 281 Emminger, Erich 175 Emminger Verordnung 173, 177, 180 empanelling 203 endlicher Gerichtstag 123, 124, 129, 130, 136 Ergänzungsschöffen 253 Ermittlungsgrundsatz 319, 322 Ethelred 38, 45 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 26, 235, 236 excusal as of right 201, 288
Hauptschöffen 252, 253, 263 hearsay rule 83, 321 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 148, 149, 150, 157, 304, 329 Heinrich II. 44 Heinrich VII. 62 Heinrich VIII. 73 High Court 249 Hilfsschöffen 252, 263 House of Lords 229, 239, 245, 248, 249, 251 hundred 34, 35, 41, 44, 59 hundredman 34
fact finder 80, 90 Fairnessgrundsatz 232, 235, 244 Fehde 36, 108, 110 Feuerbach, Paul Johann Anselm 145, 146, 147, 150, 154, 155, 157, 158, 162, 294, 299, 303, 318, 367 folcriht siehe folk-right folk-right 36 Folter 69, 119, 122, 154, 296, 297, 298 foreman 78, 220, 224, 230, 233, 241 Fox’s Libel Act 89, 91, 95 frankpledge 38, 39, 45 Friedrich II. 122, 127 Friedrich III. 128 frithborh 38, 39
indictable offence 100, 197 ineligibility 199, 306 inquisitio 113, 114, 123, 186 Inquisitionsverfahren 115, 121, 122, 123, 124, 125, 129, 132, 133, 135, 160, 187, 188, 190, 290, 291, 292, 296, 320, 332 intime conviction 156, 157 itinerant judges siehe justice in eyre iudex 111
Gans, Eduard 149 gemeines Recht 125 general verdict 89, 91 Gerichtsbeisitzer 136 Gerichtsumstand 112, 117 Gerichtszeugen 39, 131, 136, 362 Geschworenenliste 72, 103, 162, 191, 202, 206, 210, 211 Glorious Revolution 82, 90 Gneist, Rudolf von 161, 164, 294 Go-Gericht 116, 117 Gottesurteil 36, 43, 47, 48, 49, 50, 61, 109, 112, 114, 116, 119, 122, 124, 185, 187, 248, 292 Grand Jury 45, 49, 50, 57, 58, 59, 60 Hambacher Fest 144 Hartung, Fritz 176
Jahn, Friedrich Ludwig 151 Jones, John 75 judge’s right to stand by 207, 210 judicial coercion 69, 71, 73, 77, 78, 79, 80, 189 Jury Central Summoning Bureau 200, 202 jury equity 359, 360, 361, 362, 364, 365 jury in waiting 203 Jury of Presentment 45, 48, 49, 61 jury packing 72, 313 jury vetting 208, 209, 212, 213, 214, 313, 354 jus evocandi 113 justice in eyre 42, 44, 48, 186 Justice of the Peace 26, 63, 64, 249 Kabinettsjustiz 135 Karl I 62 Karl der Große 112 Karlsbader Beschlüsse 151 Kelten 32, 33 Kircheisen, Friedrich Leopold von 142 kooperatives Modell 27, 193, 284, 299, 346, 357, 358, 361, 362, 365, 366
Personen- und Sachwortverzeichnis
397
Köstlin, Reinhold 149, 150 Küper, Wilfried 155
nulla poena sine lege 327, 329 nullification 62, 67, 68, 70, 79, 80, 81
Landgericht 175, 181, 253, 254, 255, 260, 263, 266, 278, 282, 286, 299 Lateranisches Konzil IV. 47, 61, 122, 187 law finder 73, 80, 90, 93 Lenin, Wladimir Iljitsch 182 Leonhardt, Gerhard Adolph Wilhelm 171 Leue, Friedrich Gottfried 147, 148 Leveller 73, 74, 75, 76, 77, 93, 148, 291, 327 Lex Emminger 173, 175, 177, 331 Liberalismus 150, 151, 152, 153, 159, 168, 177, 190, 291, 363 Liepmann, Moritz 171 Lilburne, John 68, 74, 76 List, Friedrich 151 Losverfahren 264, 311 Louis Napoleon 151 Luther, Martin 140
Oberlandesgericht 253, 254, 273, 346 offence triable either way 103, 197 Öffentlichkeit 89, 123, 151, 204, 227, 247, 262, 270, 271, 272, 277, 294, 302, 304, 315, 324, 325, 328, 329, 330, 331, 332, 359, 365, 369 omnipotence du jury 147 Ordal 36, 37, 43, 45, 47, 49, 50, 51, 52, 57, 61, 105, 114, 118, 186
Maden, Martin 94 Magistrates’ Court 26, 106, 191, 192, 197, 198, 249, 346, 355 Magna Assiza 44 Magna Charta 43, 45, 46, 103, 138, 318 man-bot siehe Wergeld Mead, William 68, 70 Mehrheitsentscheidung 55, 106, 107, 219, 233, 240, 241, 242, 243, 244, 357 Meinungsfreiheit 73, 90, 91, 152, 320 mitigation 63, 67, 68, 70, 80, 81, 94, 96, 98, 99, 100, 101, 104, 190, 291 Mittermaier, Carl Joseph Anton 155, 156, 157, 158, 161, 164, 243, 294, 303, 312, 350 Montesquieu, Charles-Louis de 137, 138, 139, 146, 150, 293 Möser, Justus 137, 139, 326, 329 Mündlichkeit 151, 157, 270, 271, 272, 294, 302, 319, 320, 339, 345, 362, 365, 369 Napoleon 142 necessary step test 238, 239 non-coercion 77, 79, 80, 81, 189 non-indictable offence 100 non-self-informing Jury 59, 60, 62, 188, 292
panel 202, 203, 212, 309, 311 partial verdict 67, 84, 86, 87, 101 Paulskirchenverfassung 159, 160, 168 Penn, William 68, 70, 79 peremptory challenge 105, 107, 204, 206, 207 Peters, Karl 312 Petty Assizes 44 Petty Jury 57, 58, 59 pious perjury 81, 82, 83, 84, 86, 87, 88, 92, 93, 139, 148, 334, 359 Ponting, Clive 104, 105, 347 Pottle, Patrick 347 Pressefreiheit 68, 76, 90, 91, 152, 320 Pressevergehen 159, 168, 169 privilegium acclamationis 113 privilegium de non appellando 128 Puchta, Georg Friedrich 167 Quäker 68, 73, 75, 76, 77, 79, 93, 291 Quarter Session 63, 64, 100, 293 rachinburgi 112 Randle, Michael 347 reeve 35 reformiertes Strafverfahren 287, 291, 300, 302, 356 Reichshofrat 129 Reichsjustizgesetze 168, 169, 171, 285 Reichskammergericht 128, 129 Reinigungseid 36, 37, 38, 43, 46, 112, 114, 118, 121, 124, 185, 292 Rezeption 115, 121, 122, 125, 126, 128, 129, 133, 134, 188, 293, 296, 297, 299, 363, 369
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Personen- und Sachwortverzeichnis
Rheinische Immediat-Justiz-Kommission 142, 143, 144, 157 Richter, gesetzlicher 319 Richter am Amtsgericht 262, 263, 266, 272 Römer 32, 33, 34 Romilly, Samuel 94, 97, 291, 360 Rose, Reginald 330 Runciman, Lord 208 Sachsenspiegel 115 Savigny, Friedrich Carl von 144, 154, 166, 167 Scabinus 112 Schmidt, Eberhard 140 Schöffengericht 175, 176, 177, 180, 190, 191, 253, 255, 263, 273, 276, 278, 279, 282, 290, 291, 295, 299, 301, 302, 319, 328, 331, 340, 349, 353, 354, 356, 358, 360, 361, 364, 367 – erweitertes 253, 254, 255, 282 Schöffenliste 258, 259, 263, 265, 267, 288, 309 Schöffenwahl 260, 263, 308, 315 Schöffenwahlausschuss 262, 263 Schuldinterlokut 344 Schwabenspiegel 115 Schwarze, Friedrich Oskar 165 Schwinge, Erich 151 Schwurgericht 164, 165, 166, 168, 169, 171, 173, 174, 175, 176, 177, 180, 181, 184, 191, 254, 290, 299, 300, 301 scir gemot 35 scir gerefa siehe sheriff seditious libel 68, 89, 90, 91, 92, 94, 95, 190, 334 self-informing Jury 59, 60, 62, 64, 65, 188, 292 Sendgericht 120 sentence 245 sentencing 319, 344 separatives Modell 27, 193, 284, 321, 322, 346, 357, 358, 361, 362, 366 Sethe, Christoph Wilhelm 142, 143 shadow jury 230 sheriff 42, 72 shire 35, 41 shire-man 35 shire moot siehe scir gemot
skeffino 107, 112 skepeno 108, 112 Smith 76, 77 Smith, William 76 Special Jury 85, 86 special verdict 71, 89, 90, 91, 99 Sperrminorität 282, 364 Star Chamber 69, 70, 71, 189, 285, 298 Strafkammer 168, 169, 173, 174, 175, 179, 263, 272, 273, 279 – große 180, 254 – kleine 182, 254, 255, 278, 282 Strafmaß 54, 147, 218, 245, 246, 287, 319 Strafrichter 175, 179, 253, 255, 286, 346 Strafzumessung 166, 172, 280, 284, 319, 337, 344, 362, 365 submission of no case to answer 220 summary offence 103, 197 summary trial 100, 192, 346 summing up 221, 222, 223, 224, 225, 226, 236, 240, 241, 287, 318, 321, 327, 341, 350, 356, 358, 364 summoning jurors 202 swearing-in 203 testimonium 44, 57 thane 35, 38 thegn siehe hundredman Thing 108, 111, 113, 124 Thorpe, Jeremy 347 thungius 111 tithing 34, 35 Tocqueville, Alexis de 304 Todesstrafe 37, 68, 84, 86, 87, 88, 96, 97, 98, 101, 107, 359 trial by battle 43 trial-within-a-trial siehe voir dire Ulpian 297 Unmittelbarkeit 270, 319, 320, 339, 345, 362 Urteilsfinder 31, 36, 37, 38, 111, 112, 113, 114, 116, 119, 130, 185, 294 Vaughan, Chief Justice 79, 80, 81 veredictum 46, 49, 57 voir dire 218, 343 Volksgerichtshof 179
Personen- und Sachwortverzeichnis vollbort 112, 117 Vorinformation 269, 337 Vormärz 144 Vorschlagsliste 260, 261, 262, 263, 264, 265, 309, 312 Wahrspruch 44, 46, 57 wapentake 34, 38 Wartburgfest 144 Wasserordal 36, 37 Weimarer Republik 159, 173, 174, 175, 177, 180, 182, 313
Welcker, Carl Theodor 150, 151 Wergeld 35, 37 wergild siehe Wergeld Wilhelm der Eroberer 41 Wilhelm von Oranien 82 witan siehe witenagemot witenagemot 35 writ 44 Zensus 71, 72, 153, 162, 169, 191 Zentgericht 116, 117 Zweikampf 43, 46, 47, 61, 119, 186
399