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German Pages 385 [387] Year 2019
Die Bibel und die Frauen Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie Herausgegeben von Irmtraud Fischer Mercedes Navarro Puerto Adriana Valerio Hebräische Bibel – Altes Testament Band 1.2
Irmtraud Fischer, Juliana Claassens (Hrsg.)
Prophetie Deutsche Ausgabe herausgegeben von Irmtraud Fischer unter Mitarbeit von Johannes Schiller
Verlag W. Kohlhammer
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Herausgabe des Werkes wird unterstützt durch
1. Auflage 2019 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-036438-7 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-036439-4 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Vorwort Mit Erscheinen dieses Bandes wird die Hebräische Bibel, die ja den Grundtext aller Bibelrezeptionen darstellt, in unserer Reihe komplettiert. Im Juni fand das Forschungskolloquium zu Band 2.2 in Cluj in Rumänien statt, womit nun auch die neutestamentlichen Bände bald vorliegen werden. Damit verbleiben noch drei Bände von „Die Bibel und die Frauen“, die bislang nicht in Arbeit sind – zwei der vorbereitenden Tagungen werden allerdings noch in Jahresfrist veranstaltet, sodass die im Dezember 2006 mit einer Konferenz in Neapel initiierte Reihe bereits nach 12 Jahren einer Vollendung in absehbarer Zeit entgegensieht. Die Beiträge des vorliegenden Bandes wurden im Juni 2017 bei einer Veranstaltung diskutiert, die mir und Adriana Valerio zu runden Geburtstagen mit einem schönen Festakt von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bereitet wurde, wofür wir beide nochmals herzlichen Dank sagen. Diese Veranstaltung wurde vom Forschungsmanagement und -service unter Vizerektor Prof. Dr. Peter Scherrer, dem Verein zur Förderung der Theologie sowie der Stadt Graz gefördert. Für das Gesamtprojekt, das die Publikation miteinschließt, danken wir zudem der Abteilung für Wissenschaft des Landes Steiermark und insbesondere der für Frauen- und Geschlechterfragen zuständigen Vizerektorin für Personal, Personalentwicklung und Gleichstellung, Prof. Dr. Renate Dworczak. Eine kräftige Förderung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz wurde durch eine namhafte Spende meines Vorgängers am Lehrstuhl, Prof. em. Dr. Johannes Marböck, möglich. Ihnen allen erweisen die Herausgeberinnen ihre große Dankbarkeit, da das Projekt „Die Bibel und die Frauen“ ohne großzügige Förderungen und Spenden nicht realisiert werden könnte. Spezieller Dank gebührt wie bei allen Bänden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Instituts, die viel Arbeit in Korrekturlesen, Adaptieren der Literatur, Vereinheitlichungen der Titelnotierungen und Formatieren investiert haben: Allen voran Ass.-Prof. Dr. Johannes Schiller, der die formale Endredaktion mitverantwortet, und Dr. Patrick Marko, der das Manuskript formatierte, sowie PD Dr. Andrea Taschl-Erber, Dr. Susanne Lamm, Dr. Rita Perintfalvi, Thomas Hausberger und Simone Krassnitzer. Graz, im Juli 2019
Irmtraud Fischer
Inhaltsverzeichnis Vorwort Irmtraud Fischer Frauen in den Büchern der Prophetie der Hebräischen Bibel
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I. Historische Hintergründe – Prophetie und Gender im Alten Orient Omer Sergi Erzählung, Geschichten und Geschichte in den biblischen Überlieferungen von der Entstehung der israelitischen Monarchie (1 Sam 9–2 Sam 5)
19
Silvia Schroer Kult und Krieg: Beiträge der Ikonographie zu einer genderorientierten Exegese der Prophetie
44
Martti Nissinen Nichtmännliche Prophetie in Quellen des Alten Orients
65
Ora Brison Frauen und magische Praktiken in den Prophetenbüchern (Josua–Maleachi)
95
II. Literarische Frauenfiguren und ihr sozio-historischer Kontext in der Vorderen Prophetie Nancy C. Lee Biblische Prophetinnen: Sichtbare Körper, hörbare Stimmen – befreites Wort
113
Rainer Kessler Profile widerständiger Frauen in der Vorderen Prophetie
132
8
Inhaltsverzeichnis
Michaela Bauks Frauen im Krieg in den Erzählungen zur vorstaatlichen Zeit (Josua–Richter)
145
Ilse Müllner Gendered Politics: Dynastische Rollen von Frauen in den Erzählungen von Saul, David und Salomo
161
Maria Häusl Frauen am Königshof – ihre politische, wirtschaftliche und religiöse Bedeutung im Zeugnis der Vorderen Prophetie
190
III. Genderorientierte Zugänge, Metaphorik und Personifikationen Christl Maier Tochter Zion und Hure Babylon: Zur weiblichen Personifikation von Städten und Ländern in der Prophetie
209
Marta García Fernández Ehemetaphorik bei den Propheten: Einige Fragen aus geschlechtsspezifischer Sicht
226
Benedetta Rossi Sind Schlüsse auf ein „Privatleben“ der Propheten zulässig? Frauen als literarische und redaktionelle Bindeglieder der Prophetenbücher
238
Juliana Claassens Zwischen unerträglichem Schmerz und Verheißung neuen Lebens: Trauma-Hermeneutik der Geburtsmetaphorik in der Schriftprophetie
258
Ruth Poser Verkörperte Erinnerung: Trauma und „Geschlecht“ in prophetischen Texten
273
Athalya Brenner-Idan Jahrzehnte später: „Pornoprophetisches“ aus heutiger Sicht
293
Inhaltsverzeichnis
9
Ombretta Pettigiani Zur Bedeutung von Frauen in den messianischen Texten der Schriftprophetie
305
Hanne Løland Levinson Die nie aufhörende Suche nach Gottes weiblicher Seite: Weibliche Aspekte im Gottesbild der Prophetie
322
Bibliographie
336
Stellenregister
371
AutorInnen
384
Frauen in den Büchern der Prophetie der Hebräischen Bibel Irmtraud Fischer Universität Graz
Frauen unter den Propheten? Christliche Leser_innen ohne Bibelstudium würden spontan sagen: Nein! Diese Wahrnehmung hängt nicht nur damit zusammen, dass die frühe Kirche zu ihren (montanistischen) Prophetinnen ein schwieriges Verhältnis hatte,1 oder damit, dass das weibliche Element in der Prophetie vor allem von der Frührenaissance bis zum Hochbarock durch Prophetinnen aus den Völkern, die Sibyllen,2 vertreten wurde, sondern ist insbesondere durch die Form des christlichen Kanonteils der Prophetie verursacht, der ausschließlich die Schriftpropheten umfasst. Die jüdische Abgrenzung der Prophetie öffnet hingegen ein wesentlich breiteres Fenster auf weibliche Aktivitäten der Zukunftsergründung und Gegenwartsdeutung. Der vorliegende Band geht aber nicht nur Frauen als Subjekten der durch vielfältige Phänomene geprägten Prophetie in Bibel und Altem Orient nach und untersucht den komplexen Zusammenhang von Prophetie und Geschlecht, sondern ebenso die sozio-historischen Hintergründe, vor denen die Erzählungen über Frauen in der Vorderen Prophetie zu verstehen sind. Zudem versucht er, die Bedeutung weiblicher Metaphern und Personifikationen in diesem Teil der Bibel zu heben und im Kontext der altorientalischen Ikonographie zu verstehen. Aber auch in innovative gender-orientierte Zugänge zur Auslegung der Texte wie etwa die Deutungskonzepte der Trauma-Studien gibt der Band Einsicht. Bevor den geneigten Leser_innen empfohlen wird, in die vielfältigen Informationen über die Verbindung von Frauen zur Prophetie und zu genderrelevanten Themen dieser biblischen Bücher einzutauchen, seien jedoch einige Grundvoraussetzungen der Prophetie in Alt-Israel und deren unterschiedliche Rezeption in der jüdischen und der christlichen Bibel geklärt.
1 2
Die Kontextualisierung der patristischen Sichtweise auf Prophetinnen bearbeitet Agnethe Siquans, Die alttestamentlichen Prophetinnen in der patristischen Rezeption: Texte – Kontexte – Hermeneutik (HBS 65; Freiburg i. Br.: Herder, 2011). Siehe dazu ausführlicher: Irmtraud Fischer, „Konstruktion, Tradition und Transformation weiblicher Prophetie“, in Tradition(en) im alten Israel: Konstruktion, Transmission und Transformation (hg. v. Ruth Ebach und Martin Leuenberger; FAT 127; Tübingen: Mohr Siebeck, 2019), 181–204; 189–199.
12
1.
Irmtraud Fischer
Die Kanonform bestimmt entscheidend die Wahrnehmung weiblicher Prophetie
Wer die Bücher der Prophetie in der Version des christlichen Kanons liest, bekommt den Eindruck, dass ausschließlich Männer in dieser Profession tätig waren: Alle sogenannten Schriftprophetenbücher sind unter männlichen Personennamen überliefert. Es findet sich keine einzige namentlich genannte Prophetin. Die wenigen Hinweise auf weibliche Prophetie hat man in der Auslegungsgeschichte entweder überlesen (z. B. Ez 13,17–23; Joël 3,1) oder durch inadäquate Deutung aus dem Bewusstsein gedrängt, wie es etwa der Prophetin geschah, zu der nach Jes 8,3 der Prophet Jesaja ging und die (daraufhin) einen Sohn mit sprechendem Namen gebar, wodurch sie ausschließlich in ihrer Funktion als Ehefrau eines Propheten wahrgenommen wurde. Aber die Schriftprophetie ist nur ein Teil des wesentlich größeren Prophetiekanons der Hebräischen Bibel. Sie liest die Bücher von Jos–2 Kön nicht – wie es das christliche Alte Testament tut – als „historische Bücher“, sondern als Prophetie. Die dadurch eingeschriebene Hermeneutik hat massive Auswirkungen auf das Verständnis der Bücher: Sie werden nicht als Geschichtsschreibung verstanden, sondern als Erzählungen von durch Prophetie geleiteter Geschichte Gottes mit seinem Volk. Das bedeutet, dass die „Wahrheit“ dieser Bücher nicht im Historischen, sondern im Theologischen zu suchen ist. Die Kanoneinteilung der Hebräischen Bibel hat aber auch großen Einfluss auf das Sichtbarwerden weiblicher Prophetie sowie jener bedeutenden Frauen, die in dieser narrativ dargebotenen Geschichte Israels und Judas die politischen Geschicke entscheidend mitbestimmten. Wer den Prophetiekanon in dieser Form liest, dem begegnet als erste und letzte prophetische Figur der Vorderen Prophetie eine Frau: Die als Prophetinnen bezeichneten Frauen Debora und Hulda beginnen und beschließen die Reihe großer Prophet_innen gleichsam in einer Inklusion, wodurch bei jeglicher Nennung der grammatikalisch männlichen Pluralform יאים ִ נְ ִב, „Propheten“, Prophetinnen mitgelesen werden müssen. Denn einerseits kennt das Hebräische keinen geschlechtsneutralen Plural,3 andererseits gibt die Stilfigur der Inklusion an, dass das, was für das erste und das letzte Glied einer Kette gilt, auch für alle anderen Glieder Geltung hat.4 3 Zur Übersetzung der hebräischen männlichen Pluralform in Sprachen mit geschlechtsneutralen Formen siehe Dies., „Zwischen Kahlschlag, Durchforstung und neuer Pflanzung: Zu einigen Aspekten Feministischer Exegese und ihrer Relevanz für eine Theologie des Alten Testaments“, in Theologie und Exegese des Alten Testaments/der Hebräischen Bibel: Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven (hg. v. Bernd Janowski; SBS 200; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2005), 41–72. 4 Diese Inklusion hat als erste Klara Butting, Prophetinnen gefragt: Die Bedeutung der Prophetinnen im Kanon aus Tora und Prophetie (Erev-Rav-Hefte: Biblisch-femi-
Frauen in den Büchern der Prophetie der Hebräischen Bibel
2.
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Die Bedeutung der Kanonanordnung für das Verständnis der Prophetie
Nicht nur der Umfang des Prophetiekanons ist in der jüdischen und der christlichen Bibel unterschiedlich, sondern auch die Anordnung der Kanonteile.5 Das Christentum las, als es die Schriftprophetie an den Schluss des alttestamentlichen Kanons stellte, seine beiden Testamente dahingehend als zusammenhängend, als es die Prophetie als Weissagung des im NT ankommenden Messias verstand. Dabei bildete nicht nur Maleachis Ankündigung des wiederkehrenden Elija (Mal 3,23f.) ein rotes Band zwischen Prophetie und Evangelien (auf den Täufer bezogen: Mt 11,14; 17,10–13; Lk 1,17; auf Jesus bezogen: Mt 16,14; Mk 6,15; 8,28; Lk 9,19), sondern sämtliche Passagen aus den Schriftpropheten, die (damals) messianisch verstanden wurden und mit denen sich in diesem Band Ombretta Pettigiani unter der Fragestellung der Bedeutung der Frauen in diesen Texten beschäftigt. Klaus Koch hat diese häufig mit antijüdischem Akzent versehene theologische Verknüpfung beider Testamente durch die Schlussstellung der Prophetie „Prophetenanschlusstheorie“ genannt.6 Eine solche Zusammenschau der beiden Teile der christlichen Bibel stellt heute nur dann eine legitime Rezeption der Schriftprophetie dar, wenn man den Texten auch ihren ursprünglichen Sinn im Gefüge der Hebräischen Bibel belässt. Die jüdische Kanonanordnung ist aber für Christ_innen nicht einfach irrelevant. Denn gewisse theologische Strukturen, die sich aus der Dreiteilung der Hebräischen Bibel ergeben und wohl redaktionell angelegt sind, sind durch den reduzierten christlichen Prophetiekanon nicht mehr als verbindend und sinnstiftend wahrnehmbar.7 Der Schlüsseltext für das Verständnis der Prophetie der Hebräischen Bibel ist in der Tora, im Prophetiegesetz von Dtn 18,9–22, zu suchen. Als letztes der dtn Ämtergesetze (Dtn 16,17–18,22) legt es die Führungskompetenzen für ein gedeihliches Leben im Verheißungsland fest: „wenn du in das Land kommst …“ (18,9; vgl. 17,14). Nach der Einleitung, die davor warnt, sich die Praktiken der Völker des Landes anzueignen, wird das Phänomen der Pro5 6 7
nistische Texte 3; Wittingen: Erev-Rav, 2001), 165–167, thematisiert. Dies habe ich ausführlicher dargelegt in Irmtraud Fischer, Gotteskünderinnen: Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel (Stuttgart: Kohlhammer, 2002). Siehe dazu Klaus Koch, Ratlos vor der Apokalyptik: Eine Streitschrift über ein vernachlässigtes Gebiet der Bibelwissenschaft und die schädlichen Auswirkungen auf Theologie und Philosophie (Gütersloh: Mohn, 1970), 35–46. So etwa das Verständnis der Prophetie als Aktualisierung der Tora, die schließlich in ähnlicher Metaphorik dargestellt wird wie die Weisheit. Sir 24,23–33 ist hier wohl als Endpunkt dieser Entwicklung zu erkennen. Vgl. ausführlicher Irmtraud Fischer, Gotteslehrerinnen: Weise Frauen und Frau Weisheit im Alten Testament (Stuttgart: Kohlhammer, 2006), 204–209.
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Irmtraud Fischer
phetie als Zukunftsergründung und Gegenwartsdeutung negativ abgegrenzt (V10–14a).8 Allein das Faktum, dass all die angeführten Methoden einer Kontaktaufnahme mit einer Gottheit im Prophetiegesetz angeführt werden, zeigt, dass (zumindest) bis zum Alleinverehrungsanspruch des Dtn solche Praktiken im Kontext von Prophetie verstanden wurden. Wie auch Martti Nissinen für den Alten Orient aufzeigt, konnte Prophetie beileibe nicht nur mit Wortverkündigung in Verbindung gesehen werden. Einige der Praktiken, die Dtn 18,10–14 aufzählt, finden sich zwar in der Hebräischen Bibel auch an anderen Stellen wieder (2 Kön 21,6), aber es ist aufgrund der dürftigen Angaben nicht möglich, sie präzise in ihren Mitteln und Riten zu bestimmen. Der Beitrag von Ora Brison geht möglichen Spuren solcher Praktiken in den erzählenden Texten der Hebräischen Bibel nach. Manche davon finden sich auch in nicht inkriminierten Texten wieder wie etwa die meist mit Becherweissagung übersetzte Handlung (vgl. Gen 44,5–16), andere werden strikte abgelehnt wie die Totenbefragung oder das durchs Feuer Gehenlassen der Kinder. Von diesen Praktiken wird jedoch auch in Erzählungen gesprochen, die eine wesentlich andere Bedeutung gewinnen, wenn sie in Verbindung mit Dtn 18,9–22 gelesen werden: So muss etwa die Totenbefragung der Frau von En Dor, die diese zukunftsergründende Praktik, durch die sie nach Sauls Eid bei JHWH (1 Sam 28,10) den wahren Propheten Samuel aus dem Totenreich heraufzwingt, im Kontext der im dtn Ämtergesetz verbotenen Praktiken gesehen werden. Die Frau von En Dor ist in dieser intertextuellen Lektüre also nicht als Hexe zu bezeichnen, sondern im Sinn von Dtn 18,11 als Falschprophetin, wenngleich sie ihre Profession offenkundig innerhalb des Kultes der Gottheit Israels ausübt, andernfalls der Schwur bei JHWH keinen Sinn ergeben würde. Nach diesem ersten Teil, der all die angeführten Praktiken für illegal erklärt, arbeitet das Prophetiegesetz in Dtn 18,14b–22 heraus, was in Israel wahre Prophetie ist und wie man sie erkennen kann. Als das Kriterium schlechthin wird der Wortempfang konstatiert (V18–22; vgl. auch Jer 18,18). Auf dieses Wort ist zu hören (Dtn 18,15.19). Die Einsetzung der Prophetie als Mittleramt zwischen Gott und Volk erfolgt nach diesem Gesetz in der theologisch hoch bedeutsamen Szene nach dem Empfang des Dekalogs am Horeb (18,15–18 mit Bezug auf 5,22–33). Nach der Gotteserscheinung am Berg fordert das Volk, keine unmittelbare Begegnung mit JHWH mehr riskieren zu müssen. Dieser Bitte gibt er statt und setzt Mose als prophetischen Mittler ein, der ab diesem Ereignis die Kommunikation zwischen Gott und seinem Volk übernimmt. Das Prophetiegesetz sieht infolgedessen jegliche Prophetie in der Nachfolge Moses: Einen prophetisch begabten Menschen wie ihn wird Gott bei Bedarf aufstehen lassen (18,15.18). Das prophetische Amt ist damit 8
Siehe dazu ausführlicher Dies., Gotteskünderinnen, 43–51, mit einer Überblickstabelle über atl. Belege dieser Praktiken ebd., 48.
Frauen in den Büchern der Prophetie der Hebräischen Bibel
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das einzige, das Menschen nicht von sich aus besetzen oder in die nächste Generation weitergeben können. Denn die Anmaßung des prophetischen Wortempfangs ohne vorherige göttliche Initiative überführt einen Menschen der Falschprophetie, die nach Ez 13,17 auch von Frauen betrieben wird.
3.
Prophetinnen als Mittlerinnen zwischen Gott und Volk und als Vermittlerinnen göttlicher Botschaften
Martti Nissinen zeigt in seinem Beitrag auf, dass es Prophetie im Alten Orient bereits viel früher als in Israel gab und dass sie immer ein genderinklusives Phänomen war. Unter jenen, die als Mittler_innen zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt agieren, finden sich im gesamten altorientalischen Raum sowohl Frauen als auch Männer und sogar trans- oder intersexuelle Personen. Die Belege für die neuassyrische Prophetie, die zeitlich der biblischen am nächsten stehen und uns derzeit bekannt sind,9 zeigen sogar einen deutlichen Überhang von Prophetinnen. In der Hebräischen Bibel findet sich die erste erwähnte Prophetin bereits in der Tora. Es ist Mirjam, die in Ex 15,20 als יאה ָ נְ ִב, „Prophetin“, bezeichnet wird. Erzählerisch steht dieser Text noch vor der Begegnung des Volkes am Gottesberg, einige Kapitel vor der Einsetzung des prophetischen Amtes, wie es Dtn 5.18 darlegen. Mirjam ist in Band 1.1 dieser Reihe bereits ein ausführlicher Artikel gewidmet, der auch die Belege in der Prophetie berücksichtigt.10 Die übrigen Prophetinnen Debora, Hulda, die Prophetin zu der Jesaja geht, und Noadja werden im Beitrag von Nancy Lee behandelt, der sich auch der interessanten Frage stellt, ob man prophetische Worte von Frauen durch sprachliche Eigenheiten des Ausdrucks, wie sie etwa auch in Frauen zugeschriebenen Liedern vorkommen, nachweisen kann. Der Bedeutung von Ehefrauen der Propheten in der Hinteren Prophetie, etwa jener Gomers oder der Frau Ezechiels, aber auch der Prophetin, zu der Jesaja geht, sowie der Ehelosigkeit Jeremias, spürt der Beitrag von Benedetta Rossi nach, der in Bezug auf den Nachweis von Spuren eines „Privatlebens“ der Schriftpropheten äußerst skeptisch ist.
9 Diesen Zusammenhang stellt bereits Hermann Spieckermann, Juda unter Assur in der Sargonidenzeit (FRLANT 129; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1982), 302, her. 10 Mercedes García Bachmann, „Mirjam als politische Führungsfigur beim Exodus“, in Tora (hg. v. Irmtraud Fischer, Mercedes Navarro Puerto und Andrea Taschl-Erber; Die Bibel und die Frauen 1.1; Stuttgart: Kohlhammer, 2010), 305–346.
16
4.
Irmtraud Fischer
Zu politischen Rollen von Frauen in der erzählten Geschichte Israels
Die Vordere Prophetie erzählt eine fortlaufende Geschichte des Gottesvolks über das Leben im Verheißungsland vom Einzug in das Land unter der Leitung Josuas bis zum unfreiwilligen Verlassen desselben in Richtung Exil in Babylon. Dieser Teil der Bibel ist geprägt von Welt erzeugenden Erzählungen,11 die die Identität Israels als eines zusammengehörenden Volkes entwerfen, das von Dan bis Beerscheba siedelt. Omer Sergi kommt aufgrund der historischarchäologischen Zeugnisse der Eisenzeit zum Schluss, dass die Anfangsgeschichte im Land wesentlich anders verlaufen sein muss als in den biblischen Erzählungen vorgestellt und der Name „Israel“ ursprünglich nicht auf das Nordreich beschränkt war – so wie der Name ja auch in der Epoche nach dessen Untergang wieder mit breiterer Bedeutung verwendet wurde. Die Geschichten, die in der eisenzeitlichen Epoche spielen,12 erzählen immer wieder von starken Frauen, die die politischen Ereignisse entscheidend geprägt haben. Den Frauenfiguren der sogenannten vorstaatlichen Zeit, von denen in den Büchern Jos und Ri die Rede ist, geht Michaela Bauks nach. Es sind meist Texte, die von Kämpfen und Kriegen erzählen, in die Frauen, wenn „Not am Mann“ ist, eingreifen und einen guten Ausgang zu bereiten imstande sind. In Anbetracht der Tatsache, dass in altorientalischen Gesellschaften eine patriarchale Ordnung vorauszusetzen ist und das Kriegshandwerk ausschließlich von Männern ausgeübt wurde, überraschen die Texte, die Frauen als sehr unabhängig und im Gemeinwesen beherzt Handelnde vorstellen. Die entsprechenden ikonographischen Belege bereitet Silvia Schroer in ihrem Artikel zu Frauen in Krieg und Kult auf und geht auch religionsgeschichtlichen Fragestellungen nach der sich wandelnden Bedeutung des Göttinnenkultes im Übergang von der Bronzezeit zur Eisenzeit nach. Ferner korreliert sie biblische Texte, die auf die Verehrung weiblicher Gottheiten schließen lassen, mit dem Bildmaterial aus Eretz Israel derselben Epoche. Ihr Beitrag ist zudem relevant für das Verstehen von weiblichen Metaphern, von Sprachbildern in biblischen Texten. Zwei Artikel beschäftigen sich mit diesem Themenbereich: Christl Maier zeigt das Phänomen weiblicher Personifikationen von Städten und Ländern auf, das sich in zahlreichen prophetischen Texten findet, und problematisiert die genderspezifischen Auswirkungen solch sprachlicher 11 Zu diesem Konzept siehe Nelson Goodman, Weisen der Welterzeugung (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1984), zu seiner Applikation in der atl. Exegese siehe Irmtraud Fischer, „Menschheitsfamilie – Erzelternfamilie – Königsfamilie: Familien als Protagonistinnen von Welt erzeugenden Erzählungen“, BK 70 (2015): 190–197. 12 Zur sinnvollen Unterscheidung zwischen erzählter Zeit, in der die Geschichte spielt, und erzählender Zeit, in der die Geschichte erzählt wird, siehe Paul Ricœur, Zeit und Erzählung 3: Die erzählte Zeit (Übergänge 18/3; München: Fink, 1991).
Frauen in den Büchern der Prophetie der Hebräischen Bibel
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Konstruktionen. Marta García Fernández widmet sich der Ehemetaphorik, die in vielen prophetischen Texten die glanz‑, aber auch dornenvolle Beziehung zwischen der Gottheit Israels und seinem Volk abbildet. Diese Bildsprache hat, wenngleich im weiblichen Part auch Männer repräsentiert sind, in der Folge geschlechtsspezifische Auswirkungen auf Geschlechterrollen und ‑konstruktionen. Der großen Bedeutung von weiblichen Erzählfiguren in den Texten, die von der Gründung eines dynastischen Königtums in drei Generationen erzählen, geht Ilse Müllner nach. Die vielen Frauen um David, die ihm zum Aufstieg und zur Legitimierung seiner Herrschaft verhelfen, ihn als Diplomatinnen unterstützen, aber auch seiner Hilfe bedürfen, wie seine Tochter Tamar, sind trotz des politischen Kontexts der royalen Herrschaft im Familienkreis verankert. Während in diesen Texten Königinnen vor allem in der genealogisch-dynastischen Funktion als Mütter künftiger Könige hervortreten, die auch in die Thronfolge eingreifen, finden sich in 1–2 Kön zudem viele Hinweise auf die wirtschaftliche und religiöse Bedeutung von Frauen an herrschaftlichen Höfen. Mit diesen Frauenfiguren und den Hinweisen auf ihre wirtschaftlich-politische Selbständigkeit oder gar auf Ämter von Frauen beschäftigt sich der Beitrag von Maria Häusl. All diese Einzelartikel, die unterschiedliche Aspekte von Lebenszusammenhängen von Frauen in Alt-Israel in Zeiten der Entstehung biblischer Texte aufzeigen, ergeben zusammengelesen ein vielfältiges und buntes Bild, das eindeutig die oft vertretene Ansicht widerlegt, Frauen hätten in patriarchalen Gesellschaften nichts zu sagen und nichts zu entscheiden gehabt, seien wirtschaftlich völlig von ihren Vätern oder Ehemännern abhängig gewesen und hätten weder politisch noch kultisch eine Rolle gespielt. Wovon erzählt wird, gibt allerdings meist Einblick in die Oberschicht oder zumindest in den sozioökonomischen Lebenszusammenhang wohlhabender Leute (vgl. das Diptychon geschlechtsspezifischer Drohreden in Jes 3,1–15 und 3,16–4,113). In den unterprivilegierten Klassen der Gesellschaft haben in diesen Zeiten auch männliche Mitglieder einer Gesellschaft wenig zu bestimmen. Fehlten sie als Ehemänner, Brüder oder Söhne, mussten gerade in diesen Schichten Frauen schnell deren Arbeit und deren soziale Verantwortung übernehmen. Ein Betrag zu diesem geschlechtsspezifischen Problemkomplex, den die prophetische Sozialkritik in vielen Büchern thematisiert (vgl. z. B. Hos 4,12–14; Mi 2,8–11; Mal 2,10–16), hätte den Band sicher noch bereichert.
13 Siehe ausführlicher Irmtraud Fischer, „Das Buch Jesaja: Das Buch der weiblichen Metaphern“, in Kompendium Feministische Bibelauslegung (hg. v. Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 32007), 246–257; 249f.
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5.
Irmtraud Fischer
Neuentdeckte Aspekte durch spezifische Zugänge
Einen relativ neuen Zugang vor allem zu Gewalttexten der Prophetie stellt die Trauma-Hermeneutik dar, die mit einem gender-awaren Zugang viele dunkle Texte der Hebräischen Bibel erhellen hilft. Sie kann befremdende Sachverhalte wie etwa grausamste göttliche Strafdrohungen in prophetischen Texten oder die Eskalation von Rachephantasien auf dem Hintergrund der Symptomatik traumatisierter Menschen lesen und die Forschungen zu transgenerationalem Trauma für die alttestamentliche Exegese fruchtbar machen. L. Juliana Claassens untersucht mit dieser Hermeneutik jene Texte der Schriftprophetie, die die Umstände des Geburtsvorgangs wie die Unausweichlichkeit von Wehen metaphorisch für gewaltbeladene politische Umwälzungen verwenden. Ruth Poser geht dem Zusammenhang von Trauma und Geschlecht in prophetischen Texten nach und vermag diesem im Kontext der hermeneutischen Prämissen der postkolonialen Studien vielfältige Aspekte abzuringen. So legt sie etwa dar, dass die der Theodizee nahestehende Erklärung, Gott habe sein Volk durch den Sieg seiner Feinde bewusst strafen wollen (und sei beileibe nicht zu schwach gewesen zur Rettung!), eine Strategie zur Trauma-Bewältigung widerspiegelt, die aus der völligen Ohnmachtserfahrung insofern herausführt, als man selber an den Ursachen der Katastrophe beteiligt war und sie künftighin durch anderes Verhalten vermeiden könne. Dieser Band gibt damit einen vielfältigen Einblick in die Darstellung weiblicher Lebenszusammenhänge, korreliert biblische Texte mit historischarchäologischen und ikonographischen Materialien des Alten Orients und liest mit genderfairem Blick die zahlreichen metaphorischen Texte, die das Volk als Frau und das Geschehen an ihr mit Bildern der weiblichen Biologie illustriert. Er bietet damit ein Kompendium, das für historische Rezeptionen anschlussfähig ist, sowie hermeneutische Grundlagen für Vorstellungen, die bis heute weiterwirken.
Erzählung, Geschichten und Geschichte in den biblischen Überlieferungen von der Entstehung der israelitischen Monarchie (1 Sam 9–2 Sam 5) Omer Sergi Tel Aviv University
Die Überlieferungen von der Entstehung der israelitischen Monarchie, die in die Kapitel zwischen 1 Sam 9 und 2 Sam 5 eingebettet sind, erzählen von Saul, dem ersten König der Israeliten, dem es nicht gelang, eine dynastische Monarchie zu etablieren; auf ihn folgte sein Kontrahent David, der genau dort, wo Saul gescheitert war, Erfolg hatte: David etablierte eine langlebige dynastische Monarchie und brachte Israeliten wie Judäer unter seine Herrschaft. Obwohl dieser Handlungsstrang (zumindest was Thema und Plot betrifft) eine recht einheitliche Erzählung mit zahlreichen Querverbindungen bildet, die die verschiedenen darin eingebetteten Begebenheiten zusammenhalten,1 herrscht in der aktuellen Forschung gemeinhin die Auffassung, dass diese Überlieferungen aus zwei unterschiedlichen Quellen verschiedener Herkunft stammen: einer (üblicherweise an 1 Sam 9–14 festgemachten) nordisraelitischen Saul-Überlieferung, die vom Aufstieg und Fall des ersten israelitischen Königs berichtet; und einer judäischen Sammlung von Geschichten über den Aufstieg Davids, die David als Sauls rechtmäßigen Nachfolger darstellen (1 Sam 16–2 Sam 5). Es wird angenommen, dass die nordisraelitischen SaulÜberlieferungen erst nach der Zerstörung Samarias im Jahr 720 v. Chr. nach Juda gelangt sind und dort die Abfassung der Geschichten über den Aufstieg Davids ausgelöst haben, die demzufolge auf das 7. Jh. v. Chr. datiert werden. Fernerhin wird angenommen, dass diese Geschichten die erste literarische Verbindung zwischen dem Israeliten Saul und dem Judäer David hergestellt haben, um Juda als den politischen und kulturellen Nachfolger des ehemaligen Königreichs Israel darzustellen.2 Man geht also, mit anderen Worten, da1 Walter Dietrich und Thomas Naumann, „The David–Saul Narrative“, in Reconsidering Israel and Judah: Recent Studies on the Deuteronomistic History (hg. v. Garry N. Knoppers und Gordon J. McConville; SBTS 8; Winona Lake: Eisenbrauns, 1995), 276–318. 2 Z. B. Walter Dietrich und Stefan Münger, „Die Herrschaft Sauls und der Norden Israels“, in Saxa Loquentur: Studien zur Archäologie Palästinas/Israels: Festschrift für Volkmar Fritz zum 65. Geburtstag (hg. v. Cornelius G. den Hertog, Ulrich Hübner und Stefan Münger; AOAT 302; Münster: Ugarit-Verlag, 2003), 39–54; Reinhard G. Kratz, The Composition of the Narrative Books of the Old Testament (London:
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von aus, dass die Geschichten über Davids Aufstieg eine Beziehung zwischen zwei literarischen Protagonisten – dem ersten König von Israel (Saul) und dem ersten König von Juda (David) – herstellen, die zuvor nicht miteinander in Verbindung gestanden haben, und dass dies zu dem Zweck geschieht, das Haus David (Juda) als rechtmäßigen Nachfolger des Hauses Saul (Israel) zu präsentieren. Im Kern liegt dieser Hypothese die Annahme zugrunde, dass es sich bei den Geschichten in 1 Sam 16–2 Sam 5 um eine allegorische Darstellung der Geschichte von Israel und Juda handelt. Diese Annahme ist allerdings nicht das Ergebnis einer literarischen, sondern einer historischen Betrachtungsweise: Historisch gesehen steht heute außer Frage, dass die Königreiche von Israel und Juda nie in einer einzigen politischen Einheit unter der Herrschaft des Hauses David von Jerusalem zusammengefasst waren (s. u.). Deshalb geht man davon aus, dass jede Darstellung des ersten Königs von Juda (David) als Erbe des ersten Königs von Israel (Saul) nicht das Abbild einer präzisen politischen Realität, sondern nur judäisches „Wunschdenken“ sein kann. Diese Annahme ist jedoch insofern problematisch, da sowohl die frühen SaulÜberlieferungen als auch die Geschichten über den Aufstieg Davids gut in die sozialen und politischen Gegebenheiten des südlichen Kanaan der frühen Eisenzeit (s. u.) eingebettet sind und daher keinerlei Anlass besteht, sie als Allegorien zu lesen. Stattdessen sollten wir uns zumindest bemühen, sie als das zu lesen, was sie sind: der Versuch einer Schilderung des Aufstiegs der israelitischen Monarchie. Genau das will ich in der vorliegenden Untersuchung tun, und zu diesem Zweck werde ich nach einer kurzen Überblicksdarstellung des historischen Kontexts, in den die Entstehung von Israel und Juda einzuordnen ist, die archäologischen Überreste dokumentieren, die uns vielleicht über die Entstehung dieser beiden Königreiche Aufschluss geben können. Auf der Grundlage dieser historischen und archäologischen Diskussion werde ich sodann den historischen Kontext, die Ursprünge und die Bedeutung der biblischen Überlieferungen von der Entstehung der israelitischen Monarchie in 1 Sam 9–2 Sam 5 untersuchen. T&T Clark, 2005), 181f.; Israel Finkelstein, „The Last Labayu: King Saul and the Expansion of the First North Israelite Entity“, in Essays on Ancient Israel in Its Near Eastern Context: A Tribute to Nadav Na’aman (hg. v. Yaira Amit et al.; Winona Lake: Eisenbrauns, 2006), 171–188; Ders., „Saul, Benjamin and the Emergence of ‚Biblical Israel‘: An Alternative View“, ZAW 123 (2011): 348–367; Walter Dietrich, The Early Monarchy in Israel: The Tenth Century BCE (BibEnc 3; Atlanta: SBL, 2007), 247f.304–308; Otto Kaiser, „Der historische und biblische König Saul“, ZAW 122 (2010): 520–545; 123 (2011): 1–14; 524ff.; Jacob L. Wright, David, King of Israel, and Caleb in Biblical Memory (Cambridge: Cambridge University Press, 2014), 39–50.141–146; Hannes Bezzel, Saul: Israels König in Tradition, Redaktion und früher Rezeption (FAT 97; Tübingen: Mohr Siebeck, 2015), 228–234; vgl. aber Nadav Na’aman, „Saul, Benjamin and the Emergence of ‚Biblical Israel‘“, ZAW 121 (2009): 211–224.335–349, der dieser Auffassung widerspricht.
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Die Vorstellung von einer großen, geeinten Monarchie als einer politischen Größe, die sowohl Israel als auch Juda unter der zentralisierten Herrschaft des Hauses David von Jerusalem zusammenfasste, beruhte auf der Beschreibung von Davids Königsherrschaft in der sogenannten Thronfolgeerzählung (2 Sam 13–20, 1 Kön 1–2) und auf den Geschichten über das salomonische Königreich und seine Spaltung (1 Kön 3–12). Schon in den späten 80er und frühen 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hegten Wissenschaftler erste Zweifel an der Historizität dieser Erzählungen, weil es für die Existenz einer so großen geeinten Monarchie keinerlei außerbiblische Belege gab. Folgerichtig betonten Bibelforscher die Diskrepanz zwischen der eher späten Datierung der biblischen Erzählungen (die nicht vor dem 8. Jh. v. Chr. und einigen Autoren zufolge sogar deutlich später entstanden sind, s. u.) und der frühen Realität, die sie zu beschreiben suchen (dem 10. Jh. v. Chr.). Die archäologische Forschung der vergangenen 30 Jahre versetzte der Rekonstruktion einer großen, geeinten Monarchie dann endgültig den Todesstoß. Aus archäologischer Sicht sprach alles dafür, dass das nördliche Bergland von Samaria weitaus dichter besiedelt war als die Regionen von Juda und Jerusalem. Zudem ließ sich auch eine entsprechend raschere Konzentration von Wohlstand erkennen, womit die Voraussetzungen für die Entwicklung komplexer Gesellschaftsstrukturen und politischer Zentralisierung gegeben waren. Außerdem konnte dank neuer archäologischer Erkenntnisse in den Bereichen der relativen und der absoluten Chronologien gezeigt werden, dass Monumentalbauten im nördlichen Israel, die traditionell auf die Mitte des 10. Jh. v. Chr. datiert und Salomo zugeschrieben worden waren, tatsächlich erst aus dem 9. Jh. v. Chr. stammten und – darüber besteht heute ein beinahe vollständiger Konsens – der omridischen Dynastie zuzurechnen sind. Diese neue Datierung deckte sich auch mit der historischen Quellenlage, die insbesondere während der Omridenherrschaft für eine Vorrangstellung des Königreichs Israel sprach. Die archäologischen Funde aus Jerusalem und Juda stützten diese Schlussfolgerung, insofern sie auf ein schrittweises Wachstum Judas hinwiesen, das vor allem in der zweiten Hälfte des 9. Jh. v. Chr. und damit in einer Zeit stattfand, als Israel sich schon längst als ein bedeutendes territoriales Königreich etabliert hatte. Vor diesem Hintergrund ließ sich die Historizität einer großen, geeinten Monarchie, wie sie in 2 Sam 13–2 Kön 12 beschrieben wird, nicht länger aufrechterhalten, sodass sich das Forschungsinteresse heute auf die Herausbildung Israels und Judas als zweier getrennter Einheiten sowie auf die Entstehung der biblischen Überlieferungen von der geeinten Monarchie und ihrem Ursprung konzentriert.3 3
Einen Überblick über die archäologischen Funde und den Forschungsstand bezüglich der Vorstellung von einem großen geeinten Königreich bietet Israel Finkelstein, „A Great United Monarchy? Archaeological and Historical Perspectives“, in One God – One Cult – One Nation: Archaeological and Biblical Perspectives (hg. v. Reinhard G. Kratz und Hermann Spieckermann; BZAW 405; Berlin: de Gruyter, 2010), 3–28.
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1.
Omer Sergi
Der historische Kontext: „Staatenbildung“ in der früheisenzeitlichen Levante
Die frühe Eisenzeit brachte für die gesamte Levante insofern eine Erneuerung der politischen Ordnung mit sich, als nach dem Ende der hethitischen und ägyptischen Hegemonie lokale Dynastien auf den Plan traten, die ihre Herrschaft auf verwandtschaftliche Strukturen gründeten.4 Der Niedergang der spätbronzezeitlichen Gesellschaftsstruktur mit ihrer Herrschaftselite – die an das vormalige Stadtstaatensystem und an die regionalen Mächte (Ägypter und Hethiter) gebunden war – ermöglichte den Aufstieg einer neuen Elite anderer Provenienz, die sich über eine anders geartete Gesellschaftsstruktur legitimierte.5 Je stärker diese neuen, aufstrebenden Eliten wurden, desto unermüdlicher waren sie bestrebt, ihre politische Vorherrschaft über ihre jeweiligen Kerngemeinden hinaus auszudehnen und verschiedene Gebiete, Gemeinschaften und politische Gebilde unter ihrer zentralisierten Herrschaft zusammenzufassen.6 Das ist der soziale und politische Kontext, den wir berücksichtigen müssen, wenn wir versuchen wollen, den Aufstieg von
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Zur Staatenbildung in Juda vgl. Omer Sergi, „Judah’s Expansion in Historical Context“, TA 40 (2013): 226–246; Ders., „The Emergence of Judah as a Political Entity between Jerusalem and Benjamin“, ZDPV 133 (2017): 1–23, und weiter unten, ebenso zur Entstehung Israels. Zur neueren Diskussion über die biblischen Überlieferungen hinsichtlich des geeinten Königreichs vgl. Nadav Na’aman, „Memories of Monarchical Israel in the Narrative of David’s Wars with Israel’s Neighbours“, HeBAI 6 (2017): 308–328; Omer Sergi, „The United Monarchy and the Kingdom of Jeroboam II in the Story of Absalom and Sheba’s Revolts“, HeBAI 6 (2017): 329–353, mit weiterführender Literatur. Trevor R. Bryce, The World of the Neo-Hittite Kingdoms: A Political and Military History (Oxford: Oxford University Press, 2012), 202ff.; Helen Sader, „History“, in The Aramaeans in Ancient Syria (hg. v. Herbert Niehr; HdO 106; Leiden: Brill, 2014), 11–36; 11ff. Z. B. Glenn M. Schwartz, „The Origins of the Aramaeans in Syria and Northern Mesopotamia: Research Problems and Potential Strategies“, in To The Euphrates and Beyond: Archaeological Studies in Honor of Maurits N. van Loon (hg. v. Odette M. C. Haex, Hans H. Curvers und Peter M. M. G. Akkermans; Rotterdam: Balkema, 1989), 275–291; Guy Bunnens, „Syria in the Iron Age: Problems of Definition“, in Essays on Syria in the Iron Age (hg. v. dems.; ANESSup 7; Louvain: Peeters, 2000), 3–19; Stefania Mazzoni, „Syria and the Periodization of the Iron Age: A CrossCultural Perspective“, in ebd., 31–59; Bryce, World of the Neo-Hittite Kingdoms, 163ff.202ff. Zur Diskussion über die Staatenbildung in der früheisenzeitlichen Levante vgl. Omer Sergi und Izaak de Hulster, „Some Historical and Methodological Considerations Regarding the Question of Political, Social and Cultural Interaction between Aram and Israel in the Early Iron Age“, in In Search of Aram and Israel, Politics, Culture and the Question of Identity (hg. v. Omer Sergi, Manfred Oeming und Izaak de Hulster; ORA 20; Tübingen: Mohr Siebeck, 2016), 1–14, mit weiterführender Literatur.
Erzählung, Geschichten und Geschichte
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Israel und Juda zu verstehen: Um die Staatenbildung in Israel und Juda zu rekonstruieren, muss zunächst gefragt werden, zu welchem Zeitpunkt in der betreffenden Region eine neue Elite an die Macht kam und wer oder was als Erstes ihrer politischen Vorherrschaft unterworfen wurde. Eine kurze Übersicht über die archäologischen Funde aus dem zentralkanaanäischen Bergland kann helfen, diese Fragen zu beantworten.
2.
Die Entstehung von Israel und Juda im zentralkanaanäischen Bergland: Archäologische Aspekte
Das zentralkanaanäische Gebirge lässt sich in zwei größere geographische Einheiten unterteilen: das Bergland von Samaria im Norden und das Bergland von Judäa im Süden. Das Bergland von Samaria reicht von der JesreelEbene im Norden bis zum Hochland von Silo/Bet-El im Süden und bildet den bewohnbarsten Teil dieser Region. Das südlich gelegene judäische Bergland zwischen Jerusalem und der Be’er-Scheva-Ebene geht sowohl im Osten als auch im Süden in Wüstenrandzonen über. Die zentrale Bergkette ist nicht sehr hoch, aber an ihrer westlichen Seite felsig und steil. Das Gebiet nördlich von Jerusalem, das Benjamin-Plateau zwischen Jerusalem und Bet-El mit seinem Wüstensaum, ist vergleichsweise gut bewohnbar und stellt somit eine Übergangszone zwischen dem gastlicheren Bergland von Samaria im Norden und den eher lebensfeindlichen judäischen Bergen im Süden dar.7 Während der Eisenzeit I (spätes 12.–frühes 10. Jh. v. Chr.) war das zen tralkanaanäische Hochland Schauplatz einer massiven Sesshaftwerdung.8 Es ist heute allgemein anerkannt, dass das Siedlungsmuster (im gesamten Zeitraum von der frühen Bronzezeit I bis zur Eisenzeit I), die architektonische Anlage und die materiellen Überreste der noch jungen Siedlungen allesamt die Sesshaftwerdung von Gruppen nomadischer Hirten widerspiegeln, die sich im Übergang von einer hauptsächlich auf Viehzucht basierenden Subsis7 Israel Finkelstein, „The Great Transformation: The ‚Conquest‘ of the Highlands Frontiers and the Rise of the Territorial States“, in The Archaeology of Society in the Holy Land (hg. v. Thomas Levy; London: Leicester University Press, 1995), 349– 365; 353. 8 Zum aktuellen Forschungsstand hinsichtlich der absoluten Chronologie der frühen Eisenzeit (auf der Grundlage einer großen Anzahl von Radiokarbonmessungen) vgl. Sharen Lee, Christopher Bronk Ramsey und Amihai Mazar, „Iron Age Chronology in Israel: Results from Modeling with a Trapezoidal Bayesian Framework“, Radiocarbon 55 (2013): 731–740; Michael B. Toffolo et al., „Absolute Chronology of Megiddo, Israel in the Late Bronze and Iron Ages: High Resolution Radiocarbon Dating“, Radiocarbon 56 (2014): 221–244.
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tenzwirtschaft zu einer auf Landwirtschaft und Nutztierhaltung gründenden Lebensweise befanden. Das heißt, dass es sich bei den Menschen, die in der EZ I im Bergland siedelten, um die indigene Hirtennomadenbevölkerung der samarischen und judäischen Berge handelte, die mithin das Gebiet, in dem sie sich ansiedelten, nicht nur genau kannten, sondern überdies einen wesentlichen Bestandteil der Sozialstruktur des Hochlands bildeten, in die sie integriert waren.9 Die meisten der neu gegründeten Siedlungen konzentrierten sich auf die Berge von Samaria zwischen der Jesreel-Ebene und Silo.10 Das bergige Land südlich von Silo bis hinunter nach Bet-El (das etwa 20 km südlich von Silo liegt) war (verglichen mit anderen, weiter nördlich gelegenen Regionen) in der EZ I und erst recht in der EZ IIA nur dünn besiedelt. Die nächste Ansammlung von Siedlungen konzentrierte sich auf das Benjamin-Plateau zwischen Bet-El im Norden und Jerusalem im Süden.11 In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Siedlungsausdehnung im gebirgigen Umland von Sichem und Silo klar auf eine räumliche Kontinuität zwischen den nördlichen und den südlichen Bergen von Samaria hinweist, während südlich von Silo oder südlich von Jerusalem keine solche Kontinuität existiert. Damit ist die südliche Ansammlung von Siedlungen (auf dem Benjamin-Plateau) eher isoliert. Sichem (Tell Balâṭah) war, wie schriftliche Quellen (ägyptische Verwünschungstexte, das Amarna-Archiv) und archäologische Überreste belegen, das gesamte 2. Jt. v. Chr. hindurch das wichtigste politische und wirtschaft9
Z. B. Israel Finkelstein, The Archaeology of the Israelite Settlement (Jerusalem: Israel Exploration Society, 1988); Ders., „Great Transformation“; Ders., „Ethnicity and the Origin of the Iron I Settlers in the Highlands of Canaan: Can the Real Israelites Stand Up?“, BA 59 (1996): 198–212; Baruch Rosen, „Economy and Subsistence“, in Shiloh: The Archaeology of a Biblical Site (hg. v. Israel Finkelstein; MSIA 10; Tel Aviv: Institute of Archaeology, 1993), 362–367, sowie für das Ostjordanland Eveline J. van der Steen, Tribes and Territories in Transition: The Central East Jordan Valley in the Late Bronze Age and Early Iron Ages: A Study of the Sources (OLA 130; Leuven: Peeters, 2004); Benjamin Porter, Complex Communities: The Archaeology of Early Iron Age Central Transjordan (Tucson: University of Arizona Press, 2013). 10 Finkelstein, „Great Transformation“; Adam Zertal, The Manasseh Hill Country Survey 1: The Shechem Syncline (CHANE 21.1; Leiden: Brill, 2004); Ders., The Manasseh Hill Country Survey 2: The Eastern Valleys and the Fringe of the Desert (CHANE 21.2; Leiden: Brill, 2008); Adam Zertal und Nivi Mirkam, The Manasseh Hill Country Survey 3: From Nahal ‘Iron to Nahal Shechem (CHANE 21.3; Leiden: Brill, 2016); Yuval Gadot, „The Iron I in the Samaria Highlands: A Nomad Settlement Wave or Urban Expansion?“, in Rethinking Israel: Studies in the History and Archaeology of Ancient Israel in Honor of Israel Finkelstein (hg. v. Oded Lipschits, Yuval Gadot und Matthew J. Adams; Winona Lake: Eisenbrauns, 2017), 103–114. 11 Finkelstein, Archaeology of the Israelite Settlement, 188–192.198f.201f.; Ders. und Zvi Lederman, Highlands of Many Cultures: The Southern Samaria Survey, The Sites (2 Bde; MSIA 14; Tel Aviv: Institute of Archaeology, 1997), 2:949ff.; Sergi, „Emergence of Judah“.
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liche Zentrum in den Bergen von Samaria. Seit der mittleren BZ II–III und bis in die EZ I hinein (mit einer kurzen Unterbrechung in der späten BZ I) war Sichem eine gut befestigte Hochlandburg, an deren höchstem Punkt sich Kultstätten befanden.12 Sichem weist im Übergang von der späten BZ zur EZ I eine klare und organische Kontinuität auf,13 wurde jedoch am Ende dieser Periode, nämlich im frühen 10. Jh. v. Chr., dem Erdboden gleichgemacht.14 In der gesamten EZ IIA (10.–9. Jh. v. Chr.) war Sichem nur dünn besiedelt.15 Der politische Schwerpunkt verlagerte sich in dieser Zeit zunächst auf das weiter nördlich gelegene Tell el-Farʽah, das mit dem biblischen Tirza identifiziert wird,16 und dann Samaria: Irgendwann gegen Ende des 10. oder Anfang des 9. Jh. v. Chr. entwickelte sich Tirza bemerkenswert schnell von einer eher armen Siedlung (Schicht VIIa) zu einem reichen städtischen Zentrum mit einer hierarchisch strukturierten Gesellschaft, kultischer Aktivität und weitreichenden Handelsbeziehungen (Schicht VIIb). Kurz danach, wahrscheinlich noch in der ersten Hälfte des 9. Jh. v. Chr., wurde es dem Erdboden gleichgemacht und blieb daraufhin das ganze 9. Jh. hindurch unbewohnt.17 12 Edward F. Campbell, Shechem III: The Stratigraphy and Architecture of Shechem/ Tell Balâṭah 1: Text (ASOR 6; Boston: American Schools of Oriental Research, 2002); Israel Finkelstein, „Shechem in the Late Bronze and the Iron I“, in Timelines: Studies in Honour of Manfred Bietak (hg. v. Ernst Czerny et al.; 3 Bde; OLA 149; Leuven: Peeters, 2006), 2:349–356. 13 Campbell, Shechem III, 210–233; Finkelstein, „Shechem“, 352. 14 Von den Ausgräbern wurde die Zerstörung auf das 12. Jh. v. Chr. datiert (Campbell, Shechem III, 230–233), aber die kleine publizierte Liste von Funden aus der EZ I enthält auch Gefäße aus der ausgehenden EZ I (Finkelstein, „Shechem“, 352). 15 Die veröffentlichten Daten (Campbell, Shechem III, 235–270) lassen keine Schlussfolgerung darüber zu, wann genau – ob in der ausgehenden EZ IIA oder später, in der frühen EZ IIB – Sichem zu neuer Blüte gelangte. So oder so hat es jedoch den Anschein, dass Sichem über den größten Teil des 10. Jh. hinweg und phasenweise vermutlich auch noch im 9. Jh. in der Region keine nennenswerte Rolle spielte. 16 William F. Albright, „The Site of Tirzah and the Topography of Western Manasseh“, JPOS 11 (1931): 241–251. 17 Jüngere Auswertungen der stratigraphischen und chronologischen Abfolge in Tell el-Far‘ah sprechen dafür, dass Schicht VIIa aus der frühen EZ IIA und Schicht VIIb aus der späten EZ IIA stammt; demnach wäre Schicht VIIb durch Hasaël von Damaskus zerstört worden: Ze’ev Herzog und Lily Singer-Avitz, „Sub-dividing the Iron Age IIA in northern Israel: A Suggested Solution to the Chronological Debate“, TA 33 (2006): 163–195; Israel Finkelstein, „Tell el-Farah (Tirzah) and the early days of the Northern Kingdom“, RB 119 (2012): 331–346. Assaf Kleiman, „Comments on the Archaeology and History of Tell el-Far‘ah north [Biblical Tirzah] in the Iron IIA“, Sem 60 (2018): 85–104 hat allerdings darauf hingewiesen, dass Tirza im Unterschied zu anderen städtischen Zentren des omridischen Königreichs (z. B. Megiddo VA–IVB, Hazor IX) nicht bloß teilweise, sondern vollständig zerstört worden ist. Überdies gibt es keine weitere Zerstörungsschicht in den samarischen Hügeln und auch nicht in der Omridenhauptstadt Samaria selbst, die Hasaël zugeschrieben werden könnte. Demnach hätte Hasaël einzig und allein zu dem Zweck, Tirza zu zerstören, einen riskanten Überfall auf das samarische Hochland unternommen, was nicht
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Nach der Zerstörung von Tirza im frühen 9. Jh. verschob sich das Gleichgewicht der Kräfte wieder zurück ins Kernland von Samaria, wo auf dem Boden eines ehemaligen Landguts ohne jede städtische oder monumentalbauliche Tradition eine prächtige Palastanlage entstand.18 In ihr manifestierte sich die Konzentration von Wohlstand und mithin auch von politischer Macht in den Händen einer Elite, die sich gerade erst herausgebildet hatte: der Omriden-Dynastie, mit der der Palast auf der Spitze des Hügels von Samaria ausschließlich in Verbindung gebracht wird (1 Kön 16,24).19 Geht man davon aus, dass das reiche Landgut, auf dem der Omridenpalast in Samaria errichtet wurde, der omridischen Familie gehörte,20 dann wird anschaulich, zu welchem Wohlstand es die Omriden gebracht hatten, ehe sie an die Macht gelangten.21 Anfang des 9. Jh. v. Chr. hatten die Omriden – das belegen sowohl biblische als auch außerbiblische Quellen – ihre politische Vormachtstellung von ihrem Sitz im Kernland von Samaria aus über weite Landstriche ausgedehnt, die von unterschiedlichen sozialen Gruppen bewohnt waren.22 Im Landsehr wahrscheinlich ist. Kleiman hat ferner gezeigt, dass unter den Funden aus der Zerstörungsschicht VIIb einige typische späteisenzeitliche Gefäße fehlen und diese Schicht demzufolge auf die frühe Phase der besagten Periode datiert werden muss. Deshalb schlägt er vor, die Schicht VIIb in dieselbe Zeit einzuordnen wie die Ebenen Q5 in Megiddo und V in Tel Rehov, die beide dank der Radiokarbonmethode mit großer Sicherheit auf das ausgehende 10. und beginnende 9. Jh. v. Chr. datiert werden können. 18 Zur Diskussion der Stratigraphie des Palastkomplexes in Samaria vgl. Omer Sergi und Yuval Gadot, „Omride Palatial Architecture as Symbol in Action: Between State Formation, Obliteration and Heritage“, JNES 76 (2017): 103–111; 105f. mit weiterführender Literatur. 19 Z. B. Israel Finkelstein, „Omride Architecture“, ZDPV 116 (2000): 114–138; Ders., The Forgotten Kingdom: The Archaeology and History of Northern Israel (ANEM 5; Atlanta: SBL Press, 2013), 85–94; Hermann Michael Niemann, „Core Israel in the Highlands and Its Periphery: Megiddo, the Jezreel Valley and the Galilee in the 11th to 8th Century BCE“, in Megiddo IV: The 1998–2002 Seasons (hg. v. Israel Finkelstein, David Ussishkin und Baruch Halpern; MSIA 24; Tel Aviv: Institute of Archaeology, 2006), 821–842; Ders., „Royal Samaria – Capital or Residence? Or: The Foundation of the City of Samaria by Sargon II“, in Ahab Agonistes: The Rise and Fall of the Omri Dynasty (hg. v. Lester L. Grabbe; LHBOTS 421; London: T&T Clark, 2007), 184–207. 20 Zu den archäologischen Überresten des Landguts, das vor der Erbauung des Palastes in Samaria bestand (Bauperiode 0), vgl. Lawrence E. Stager, „Shemer’s Estate“, BASOR 277/278 (1990): 93–107; Norma Franklin, „Samaria: from the Bedrock to the Omride Palace“, Levant 36 (2004): 189–202; 190–194. 21 Sergi/Gadot, „Omride Palatial Architecture“, 109. 22 Nadav Na’aman, „The Northern Kingdom in the Late 10th–9th Centuries BCE“, in Understanding the History of Ancient Israel (hg. v. Hugh G. Williamson; PBA 143; Oxford: University Press, 2007), 399–418; Israel Finkelstein, „Stages in the Territorial Expansion of the Northern Kingdom“, VT 61 (2011): 227–242; Ders., Forgotten Kingdom, 83–112; Daniel Fleming, The Legacy of Israel in Judahʼs Bible: History,
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schaftsbild schlug sich die Ausweitung der politischen Hegemonie der Omriden dahingehend nieder, dass sie sowohl am westlichen (Megiddo VA–IVB) als auch am östlichen (Jesreel) Rand der Jesreel-Ebene königliche Anlagen errichten ließen. In der Chula-Ebene entstand auf den Ruinen dessen, was einst die königliche Hauptstadt eines der mächtigsten Gemeinwesen im Kanaan des 2. Jt. v. Chr. gewesen war, eine neue befestigte Stadt (Hazor X–IX). Alle diese Gebäude brachten die Macht und den Wohlstand der Hochlanddynastie zum Ausdruck und dienten als ein Raum für die Integration örtlicher Eliten in das Netzwerk der eben erst etablierten omridischen Vorherrschaft.23 Dadurch, dass die Omriden Schutzverträge mit den Anführern örtlicher Hirtennomadengruppen abschlossen (vgl. 2 Kön 3,4) und an den wichtigsten Handelsrouten, die durch die Region führten, Festungen errichteten, dehnten sie ihre politische Hegemonie auch auf die eher trockenen und unbewohnbaren Regionen der Ebene von Moab aus.24 Die dramatischen Verschiebungen des Machtgleichgewichts in den nördlichen Bergen von Samaria – von Sichem bis nach Tirza und Samaria – hatten auf die politischen Entwicklungen im Süden, also in der Umgebung von Jerusalem, geringe oder gar keine Auswirkungen. Jerusalem war bereits im 2. Jt. v. Chr.25 der Sitz örtlicher Herrschaftseliten, und doch stammen die ersten Monumentalbauten, die seit der mittleren Bronzezeit in der Davidsstadt errichtet wurden – nämlich die Steinstufen-Struktur an der östlichen Seite des Berghangs – erst aus der frühen Eisenzeit. In der Forschung herrscht beinahe einhellig die Auffassung, dass die Fundamente dieser Struktur nicht vor der mittleren bis späten EZ I, also in der Mitte des 11. oder im frühen 10. Jh. v. Chr. gelegt worden sind.26 Die Steinstufen-Struktur, die sich von der ländPolitics and the Reinscribing of Tradition (Cambridge: University Press, 2012), 28– 90. 23 Niemann, „Core Israel“; Sergi/Gadot, „Omride Palatial Architecture“, 108ff. 24 Israel Finkelstein und Oded Lipschits, „Omride Architecture in Moab: Jahatz and Atharot“, ZDPV 126 (2010): 29–42. 25 Nadav Na’aman, „Canaanite Jerusalem and Its Central Hill Country Neighbors in the Second Millennium B.C.E.“, UF 24 (1992): 257–291. 26 Anhand eines Kragenrand-Krugs („Collared Rim Jar“), der in situ auf dem Boden einer Struktur unmittelbar unter der steinernen Terrasse der Steinstufen-Struktur („Stepped Stone Structure“) entdeckt wurde, und einiger innerhalb der Steinterrassen gefundener Tonscherben lässt sich ihre Erbauung auf die späte EZ I oder die ganz frühe EZ IIA datieren; siehe hierzu auch Margaret L. Steiner, Excavations by Kathleen M. Kenyon in Jerusalem 1961–1967 3: The Settlement in the Bronze and Iron Ages (Copenhagen International Series 9; London: Sheffield Academic Press, 2001), 24–28, Abb. 4.3–4.6; 29–36, Abb. 4.16; Jane Cahill, „Jerusalem at the Time of the United Monarchy: The Archaeological Evidence“, in Jerusalem in Bible and Archaeology – The First Temple Period (hg. v. Andrew G. Vaughn und Anne E. Killbrew; SBLSymS 18; Atlanta: SBL Press, 2003), 13–80, insbes. 46–51; Amihai Mazar, „Jerusalem in the 10th Century B.C.E: The Glass Half Full“, in Essays on Ancient Israel in Its Near Eastern Context: A Tribute to Nadav Na’aman (hg. v. Yaira
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lich geprägten Umgebung Jerusalems abhob, kennzeichnete dieses als Hochlandfestung und Sitz der örtlichen Herrschaftselite. Demnach hätte sich also gegen Ende des 11. oder Anfang des 10. Jh. v. Chr. in Jerusalem eine zentralisierte politische Herrschaft mit einer sich entwickelnden hierarchischen Gesellschaftsstruktur etabliert. Um diesen sozialen Wandel zu erklären, müssen wir unseren Blick von Jerusalem weg auf seine Umgebung richten. Während des 14.–12. Jh. v. Chr. herrschte Jerusalem über ein eher unfruchtbares Land, das hauptsächlich von nomadisierenden Hirten bewohnt war, während es südlich davon einige dauerhafte Siedlungen gab.27 Eine massive Sesshaftwerdung setzte im 11. Jh. v. Chr. ein, als zum ersten Mal seit der mittleren Bronzezeit Siedlungen auf dem Benjamin-Plateau nördlich von Jerusalem gegründet wurden, während die Anzahl der südlich gelegenen Siedlungen nicht signifikant zunahm.28 Wenn sich also in der Steinstufen-Struktur die Etablierung einer politischen Macht manifestiert, dann muss diese hauptsächlich auf die Siedler im Norden von Jerusalem ausgerichtet gewesen sein: Sie waren die einzigen Anwohner, die die Könige von Jerusalem mit den erforderlichen (menschlichen und finanziellen) Ressourcen versorgen und ihnen einen politischen Grund geben konnten, sich hier niederzulassen. Wie oben dargelegt, war die Ansammlung von Siedlungen nördlich von Jerusalem eher isoliert, da die Region im Norden von Bet-El und im Süden von Jerusalem in der EZ I–IIA nur dünn besiedelt war. Jerusalem – das am südlichen Ende dieser Ansammlung liegt – war seit dem 2. Jt. v. Chr. der Sitz örtlicher Herrscher und hob sich seit Ende des 11. oder Anfang des 10. Jh. v. Chr. durch die Steinstufen-Struktur von den ländlichen Siedlungen der Umgebung ab. Deshalb ist es angesichts der fehlenden territorialen Kontinuität und des seit langem bestehenden politischen Status von Jerusalem kaum vorstellbar, dass Sichem die politische Hegemonie über 30 bis 40 km weiter südlich gelegene ländliche Siedlungen erlangt haben könnte – zumal in einer Zeit, als Jerusalems politischer Status durch die Errichtung der SteinstufenStruktur bekräftigt wurde. Mithin liegt die Schlussfolgerung nahe, dass das Amit et al.; Winona Lake: Eisenbrauns, 2006), 255–272. Eine neuere und aktualisierte Diskussion zur Steinstufen-Struktur, ihrer Erbauung und Datierung bietet Sergi, „Emergence of Judah“, 2–5. 27 Zur Region nördlich von Jerusalem vgl. Israel Finkelstein, „The Sociopolitical Organization of the Central Hill Country in the Second Millennium B.C.E.“, in Biblical Archaeology Today, 1990: Proceedings of the Second International Congress on Biblical Archaeology: Supplement: Pre-Congress Symposium: Population, Production and Power, Jerusalem, June 1990 (hg. v. Avraham Biran und Joseph Aviram; Jerusalem: Israel Exploration Society, 1993), 110–131; 116–123. Zur Region südlich von Jerusalem vgl. die Zusammenfassung bei Sergi, „Emergence of Judah“, 5–8, mit weiterführender Literatur. 28 Eine aktuelle Diskussion der archäologischen Erkenntnisse – auf der Grundlage sowohl von Ausgrabungen als auch von Surveys – zu EZ I–IIA auf dem BenjaminPlateau bietet Sergi, „Emergence of Judah“, 8–12, mit weiterführender Literatur.
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Benjamin-Plateau Anfang des 10. Jh. politisch an Jerusalem angeschlossen war, dessen Vormachtstellung sich vermutlich über das Gebiet zwischen Betlehem/Bet-Zur im Süden und Bet-El im Norden erstreckte. Der Bau der Steinstufen-Struktur markiert demnach die Herausbildung eines von Jerusalem aus regierten Gemeinwesens, und alles spricht dafür, dass das BenjaminPlateau von Anfang an Teil dieses Gemeinwesens war. Jerusalems Macht und Stärke nahmen während der gesamten EZ IIA stetig zu 29 und spiegelten so die Anhäufung von wirtschaftlicher und demzufolge auch politischer Macht in den Händen der Jerusalemer Herrschaftsdynastie: des Hauses David. Doch erst mit dem Untergang der Omridendynastie in der zweiten Hälfte des 9. Jh. werden die davidischen Könige in Jerusalem ihre Hegemonie von den judäischen Bergen auf die Tiefebene von Juda im Westen und auf die Be’er-Scheva- und Arad-Ebene im Süden ausdehnen.30 Schließlich muss auf den Unterschied zwischen den politischen Strukturen in den Bergen von Samaria und jenen im Umland von Jerusalem und auf dem Benjamin-Plateau hingewiesen werden: Die Veränderung des Machtgleichgewichts im Norden gipfelte in territorialer Expansion und in der Entstehung des omridischen Gemeinwesens, nämlich des Königreichs Israel. Dagegen erlebte der Süden augenscheinlich einen eher organischen Prozess. Die Zentralisierung der Macht in den Händen der herrschenden Elite in Jerusalem kulminierte in der Entstehung des vom Haus David regierten territorialen Gemeinwesens, nämlich des Königreichs Juda. Während dieser ganzen Zeit gab es im Hochland zwischen Bet-El (und später Mizpa) im Süden und Silo (und sogar Sichem) im Norden keinerlei politisches Zentrum.31 Das macht es schwierig sich vorzustellen, dass die politischen Entwicklungen im Norden die Zentralisierung der Macht im Süden irgendwie beeinflusst haben sollten. Damit liegt es auf der Hand, dass sich Israel und Juda das gesamte 10. und 9. Jh. v. Chr. hindurch unabhängig voneinander entwickelt haben. Während die Entstehung 29 Joe Uziel und Nahshon Szanton, „Recent Excavations Near the Gihon Spring and Their Reflection on the Character of Iron II Jerusalem“, TA 42 (2015): 233–250; Dies., „New Evidence of Jerusalem’s Urban Development in the 9th Century BCE“, in Rethinking Israel: Studies in the History and Archaeology of Ancient Israel in Honor of Israel Finkelstein (hg. v. Oded Lipschits, Yuval Gadot und Matthew J. Adams; Winona Lake: Eisenbrauns, 2017), 429–439; Joe Uziel und Yuval Gadot, „The Monumentality of Iron Age Jerusalem prior to the 8th Century BCE“, TA 44 (2017): 123–140. 30 Z. B. Aren M. Maeir, Louise Hitchcock und Liora Horwitz, „On the Constitution and Transformation of Philistine Identity“, OJA 32 (2013): 1–38; Sergi, „Judah’s Expansion“; Gunnar Lehmann und Hermann Michael Niemann, „When Did the Shephelah Became Judahite?“, TA 41 (2014): 77–94. 31 Silo war in der EZ I eine Hochlandfestung, auf deren höchstem Punkt sich ein Heiligtum befand. Es war das regionale Zentrum des südlichen Samaria, wurde jedoch Mitte der EZ I zerstört, vgl. auch Israel Finkelstein, „The History and Archaeology of Shiloh from the Middle Bronze Age II to Iron Age II “, in Shiloh: The Archaeology of a Biblical Site (hg. v. dems.; MSIA 10; Tel Aviv: Institute of Archaeology, 1993), 371–393.
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Israels als einer politischen Größe von Kämpfen und wechselnden politischen Bündnissen gekennzeichnet ist, wird die Entstehung Judas durch die Zentralisierung der Macht in den Händen der herrschenden, in Jerusalem ansässigen Davids-Familie charakterisiert. Vor diesem Hintergrund werde ich nun die biblischen Überlieferungen von der Entstehung der frühen israelitischen Monarchie untersuchen, die in das Buch Samuel eingebettet sind.
3.
Saul – der erste König der Israeliten
Die frühen Saul-Überlieferungen werden gemeinhin mit dem Material identifiziert, das in 1 Sam 9–14 enthalten ist. Es herrscht annähernd Einigkeit darüber, dass diese Überlieferung in 1 Sam 9,1–10,16 beginnt: der legendenhaften Erzählung über den jungen Benjaminiter, Spross einer wohlhabenden patriarchalischen und ländlichen Elite, der auszog, um nach den Eselinnen seines Vaters zu suchen. Auf seinem Weg begegnete ihm der Gottesmann, der ihm weissagte, dass er eine große Tat vollbringen werde.32 Seit Wellhausen33 besteht ein breiter Konsens darüber, dass diese Geschichte in 1 Sam 11,1–15, wo die Worte des Gottesmannes in Erfüllung gehen, fortgesetzt wird (und 1 Sam 10,17–27 als sekundäre exilische oder sogar nachexilische Erweiterung zu betrachten ist):34 Saul unternimmt einen erfolgreichen Feldzug nach Ja32 Die Rekonstruktionen des ursprünglichen Kerns und der literarischen Entwicklung der Geschichte aus 1 Sam 9,1–10,16 basieren größtenteils auf der Arbeit von Ludwig Schmidt, Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative: Studien zu Tradition, Interpretation und Historie in Überlieferungen von Gideon, Saul und David (WMANT 38; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1970), 58–102; vgl. außerdem z. B. Fritz Stolz, Das erste und zweite Buch Samuel (ZBK 9; Zürich: Theologischer Verlag, 1981), 62–70; Antony F. Campbell, 1 Samuel (FOTL 7; Grand Rapids: Eerdmans, 2003), 106ff.; Walter Dietrich, Samuel 1: 1 Sam 1–12 (BKAT 8/1; NeukirchenVluyn: Neukirchener Verlag, 2008), 288–400; Bezzel, Saul, 149–179. Zu anderen Rekonstruktionen, die von einer einheitlicheren Erzählung mit nur geringfügigen redaktionellen Eingriffen ausgehen, vgl. z. B. P. Kyle McCarter, I Samuel: A New Translation with Introduction, Notes and Commentary (AB 8; New Haven: Doubleday, 1980), 166–188; Nadav Na’aman, „The Pre-Deuteronomistic Story of King Saul and Its Historical Significance“, CBQ 54 (1990): 638–658; Graeme Auld, I & II Samuel: A Commentary (OTL; Louisville: Westminster John Knox Press, 2011), 98–111. 33 Julius Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments (Berlin: de Gruyter, 1889), 240–243. 34 Z. B. Schmidt, Menschlicher Erfolg, 79f.; McCarter, I Samuel, 26f.184–188.194ff. 205ff.; Stolz, Samuel, 19f.; Na’aman, „Pre-Deuteronomistic Story“ 644; Campbell, 1 Samuel, 88f.115f.128f.; Kratz, Composition, 171f.; Kaiser, „König Saul“, 533–538; Bezzel, Saul, 151–179.196–204.
Erzählung, Geschichten und Geschichte
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besch-Gilead und befreit die Jabeschiter von der Herrschaft der Ammoniter.35 Umstritten ist dabei, ob die erfolgreiche Schlacht gegen die Ammoniter zu Sauls Krönung in Gilgal geführt hat (1 Sam 11,15)36 oder ob der Hinweis auf die Krönung der ursprünglichen Erzählung erst im Nachhinein hinzugefügt worden ist.37 Ich votiere für die erstgenannte Option: nicht nur, weil die heroische Erzählung über den jungen Benjaminiter damit einen perfekten Abschluss findet, sondern auch, weil Sauls Königsherrschaft bereits in der Geschichte von seiner Begegnung mit dem Gottesmann vorweggenommen wird: Wie Edelman gezeigt hat, galten Esel als königliche Tiere (vgl. 1 Kön 1,33.39); in Sauls Suche nach den Eselinnen ist also sein Streben nach der Königsherrschaft angedeutet.38 Die Krönung in Gilgal stellt Saul an den geographischen und politischen Ausgangspunkt für die Geschichten über Sauls und Jonatans Kriege gegen die Philister in 1 Sam 13–14. Diese Geschichten setzen voraus, dass Saul bereits König ist, und sollten als direkte Weiterführung von 1 Sam 11,1–15 betrachtet werden.39 Sie bilden eine Sammlung von Anekdoten und heroischen Erzählungen, die aufgrund ihres thematischen Bezugs zu den Philisterkriegen hier gebündelt erscheinen,40 obwohl in der Forschung zumeist 35 Einige Forscher vertreten allerdings die Auffassung, dass die Fortsetzung der Geschichte in 1 Sam 9,1–10,16 ursprünglich in den Geschichten über die Kriege Sauls und Jonathans gegen die Philister in 1 Sam 13–14 enthalten war (so z. B. Hans J. Stoebe, Das Erste Buch Samuelis [KAT 8/2; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1973], 64ff.; Dietrich, Early Monarchy, 268f.; Auld, I & II Samuel, 126). Tatsächlich nimmt die Geschichte von der Begegnung zwischen Saul und dem Gottesmann die Kriege mit den Philistern vorweg (1 Sam 10,5a). Andererseits setzt 1 Sam 13–14 die Königsherrschaft Sauls voraus, der den Thron aber erst nach seinem Sieg über die Ammoniter bestieg; s. u. 36 Z. B. Schmidt, Menschlicher Erfolg, 79f.; Na’aman, „Pre-Deuteronomistic Story“, 642f.; Kaiser, „König Saul“, 538ff. 37 Z. B. Bezzel, Saul, 196f.200f. 38 Diana Edelman, „The Deuteronomist’s Story of King Saul: Narrative Art or Editorial Product?“, in Pentateuchal and Deuteronomistic Studies: Papers read at the XIIIth IOSOT Congress Leuven 1989 (hg. v. Christianus Brekelmans und Johan Lust; BETL 94; Leuven: Peeters, 1990), 207–220; 208–214; Dies., „Saul Ben Kish, King of Israel, as a ‚Young Hero‘?“, in Le jeune héros: Recherches sur la formation et la diffusion d’un thème littéraire au Proche-Orient ancien (hg. v. Jean M. Durand, Thomas Römer und Michael Langlois; OBO 250; Fribourg: Academic Press, 2011), 161–183. 39 Na’aman, „Pre-Deuteronomistic Story“, 645–649. 40 Z. B. Stoebe, Erste Buch Samuelis, 63f.240–262; McCarter, I Samuel, 26 f.; Stolz, Samuel, 82f. Zu den verschiedenen Rekonstruktionen der literarischen Entwicklung dieser Geschichten vgl. David Jobling, „Saul’s Fall and Jonathan’s Rise: Tradition and Redaction in 1 Sam 14:1–46“, JBL 95 (1976): 367–376; Stolz, Samuel, 87–96; Kaiser, „König Saul“, 1–6; Campbell, 1 Samuel, 134–150; Bezzel, Saul, 208–228. Ansätze, die Geschichten in 1 Sam 13–14 als einheitlicheres literarisches Werk zu betrachten, finden sich bei McCarter, I Samuel, 224–252; Na’aman, „Pre-Deuteronomistic Story“, 645ff. Es besteht in der Forschung jedoch ein Konsens darüber, dass die Ablehnung Sauls in 1 Sam 13,7b–15 und die Geschichte über den Altar in
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davon ausgegangen wird, dass sie der frühen Schicht der Saul-Überlieferung angehören.41 Schließlich finden Saul und seine Söhne in der Schlacht gegen die Philister im Gebirge von Gilboa den Tod: Der Erzählung in 1 Sam 31,1–13 zufolge hefteten die siegreichen Philister die Leichname Sauls und seiner Söhne an die Mauer von Bet-Schean, doch die Jabeschiter bargen sie in einer kühnen Unternehmung, verbrannten sie, begruben die Gebeine und trauerten sieben Tage lang. Die Frage ist natürlich, ob der Bericht über Sauls Tod im GilboaGebirge Teil der frühen Saul-Überlieferungen war. Dies wird von einigen Wissenschaftlern verneint, die die Auffassung vertreten, dass das Korpus der frühen Saul-Überlieferungen ausschließlich in 1 Sam 1–14 eingebettet ist und wahrscheinlich mit 1 Sam 14,46–52 endet.42 Allerdings beherrscht der Krieg gegen die Philister, der das Hauptthema in 1 Sam 13–14 darstellt, auch 1 Sam 31,1–13. Beide Erzählungen kreisen um Saul und seine Söhne, während David keinerlei Erwähnung findet. Außerdem bildet dieser Bericht einen perfekten Abschluss der frühen Saul-Überlieferungen: Saul wird König, weil er die Bewohner von Jabesch-Gilead gerettet hat, und als er stirbt, vergelten sie ihm diese Tat mit der Bergung seines Leichnams.43 Folglich gibt es keinen Grund für die Annahme, dass der Bericht über den Tod und das Begräbnis Sauls und seiner Söhne in 1 Sam 31,1–13 in irgendeiner Weise von den Geschichten über Sauls und Jonatans Kriege gegen die Philister in 1 Sam 13–14 getrennt werden muss.44 Das wiederum heißt, dass das gesamte Thema der
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1 Sam 14,32–35 sekundäre Erweiterungen sind; vgl. z. B. Wellhausen, Composition, 240–246; McCarter, I Samuel, 230; Stolz, Samuel, 82; Campbell, 1 Samuel, 110–115; Auld, I & II Samuel, 115f.; Kaiser, „König Saul“, 1–6.9ff.; Bezzel, Saul, 214. Z. B. Stoebe, Erste Buch Samuelis, 64ff.; McCarter, I Samuel, 26f.; Na’aman, „PreDeuteronomistic Story“, 645ff.; Marsha C. White, „The History of Saul’s Rise: Saulide State Propaganda in 1 Samuel 1–14“, in „A Wise and Discerning Mind“: Essays in Honor of Burke O. Long (hg. v. Saul M. Olyan und Robert C. Culley; BJS 325; Providence: Brown University, 2000), 271–292; Dies., „Saul and Jonathan in 1 Samuel 1 and 14“, in Saul in Story and Tradition (hg. v. Carl S. Ehrlich und Marsha C. White; FAT 47; Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 119–138; Kratz, Composition, 171–174; Dietrich, Early Monarchy, 268f.; Auld, I & II Samuel, 126. White, „History“, 271–292; Kratz, Composition, 171–174; Bezzel, Saul, 115–148. Wright, David, 67. Bezzel, Saul, 229–234, hat überzeugend gezeigt, dass zwischen 1 Sam 13–14 und 1 Sam 31 zahlreiche literarische Verbindungen bestehen, auch wenn er die Auffassung vertritt, dass das Thema des Krieges mit den Philistern in 1 Sam 1–4; 13–14 und 31 als eine spätjudäische Erweiterung der alten israelitischen Saul-Überlieferungen (in 1 Sam 9–10,16; 11; 14,46–51) zu gelten habe, die er auf die Zeit nach der Zerstörung Samarias im Jahr 720 v. Chr. datiert (vgl. auch Bezzel, Saul, 179–194). Diese Geschichten spiegeln jedoch kaum etwas von den realen geographischen, politischen oder religiösen Gegebenheiten im späten 8. und 7. Jh. v. Chr. wider (s. u.). Folglich scheinen sie deutlich älter zu sein als von Bezzel angenommen und könnten, wenn dies zutrifft, den früheren Saul-Überlieferungen zugerechnet werden.
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Philisterkriege als Teil der frühen Saul-Überlieferungen betrachtet werden kann. Wir haben es hier also mit einer Sammlung früher Erzählungen zu tun, die in 1 Sam 9–14; 31 eingebettet sind und die Geschichte vom Aufstieg und Untergang eines heroischen Königs erzählen.45 Es gilt als beinahe sicher, dass die frühen Saul-Überlieferungen, wie oben bereits angedeutet, nordisraelitischen Ursprungs sind und nicht vor dem Untergang Samarias nach Juda gelangt sein können.46 Dennoch spiegeln diese Überlieferungen nur schwerlich etwas von der geographischen oder politischen Realität des Königreichs Israel wider. Ihr geographischer Radius beschränkt sich, von einem einzigen Abstecher ins Gilead-Gebirge abgesehen, auf das Gebiet nördlich von Jerusalem, die Benjamin-Region und den südlichsten Teil des Berglands von Efraim. Das gesamte Bergland nördlich von Bet-El, das das Kernland des Königreichs Israel bildete, bleibt vollkommen unerwähnt. Eine nordisraelitische Perspektive ist in diesen Geschichten nicht einmal andeutungsweise enthalten: Israels wichtigste politische Zentren (Sichem, Tirza, Samaria), die Bedeutung der Kultstätte in Bet-El, die israelitischen Königsstädte in den nördlichen Ebenen oder die israelitischen Kultzentren im Gilead-Gebirge, insbesondere Penuël – all das bleibt in der Erzählung völlig außen vor.47 Überdies findet sich nicht der geringste Hinweis auf die Geschichte Israels: etwa seine Verbindungen zu den Gemeinwesen der nördlichen Levante, die grimmigen Auseinandersetzungen mit Aram-Damaskus oder sein beständiges (und erfolgreiches) Bemühen, nordwärts zu expandieren. Sauls militärische Exkursion ins Gilead-Gebirge wird häufig mit den territorialen und politischen Interessen in Verbindung gebracht, die Israel in der Region verfolgte.48 Tatsächlich waren zumindest Teile des Gilead-Gebirges im 9. und 8. Jh. v. Chr. zeitweise an Israel angeschlossen.49 Soweit wir sagen können, richtete sich das israelitische Interesse jedoch hauptsächlich auf den Übergang über den Jabbok (der an der Straße nach Sichem lag, vgl. auch 45 Edelman, „Story of King Saul“; Dies., „Saul Ben Kish“. 46 S. o. Anm. 2 und Schmidt, Menschlicher Erfolg, 79f.; Hans J. Grønbӕk, Die Geschichte vom Aufstieg Davids (1 Sam. 15–2 Sam. 5): Tradition und Komposition (ATDan 10; Copenhagen: Prostant Apud Munksgaard, 1971); 267ff. 47 Mahanajim wird als die Hauptstadt von Sauls Erben Ischbaal erwähnt (2 Sam 3,8); dies ist jedoch kein Teil der sogenannten frühen Saul-Überlieferungen, sondern eher der mutmaßlichen judäischen Redaktion zuzurechnen, vgl. auch Na’aman, „Saul, Benjamin“, 346ff. 48 Z. B. Dietrich/Münger, „Die Herrschaft Sauls“, 41–46; Israel Finkelstein, „Last Labayu“, 178ff.; Ders., „Saul, Benjamin“, 353ff.; Wright, David, 66–74. 49 Eine Diskussion der politischen Zugehörigkeit Gileads im 9. und 8. Jh. v. Chr. bietet Omer Sergi, „The Gilead between Aram and Israel: Political Borders, Cultural Interaction and the Question of Jacob and the Israelite Identity“, in In Search of Aram and Israel, Politics, Culture and the Question of Identity (hg. v. dems., Manfred Oeming und Izaak de Hulster; ORA 20; Tübingen: Mohr Siebeck, 2016), 333–354; 333–337.
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1 Kön 12,25). Diese Region und die angrenzenden Ortschaften – Penuël, Mahanajim und Sukkot – spielen eine herausragende Rolle in einem Text, der oft als israelitische Literatur betrachtet wird: Der vorpriesterliche Jakob-Zyklus, den viele für den Ursprungsmythos des nordisraelitischen Königreichs halten,50 schreibt die Gründung dieser Stätten dem namengebenden Ahnherrn Israels zu. Außerdem sind sie wichtig für die Geschichte der Verfolgung der Midianiter durch Gideon (Ri 8,4–21), die als Teil einer israelitischen Sammlung von Heldensagen gilt.51 In den frühen Saul-Überlieferungen wird hingegen keine dieser in der israelitischen Literatur so bedeutenden Stätten erwähnt. Stattdessen führt Saul Krieg in Jabesch-Gilead,52 einem Ort, dessen Name vor allem im Zusammenhang mit Saul immer wieder genannt wird (1 Sam 11,1.3.5.9–11; 31,13; 2 Sam 2,4–5; 21,12, vgl. auch 1 Chr 10,12).53 Mit Israel wird Jabesch-Gilead dagegen nie, nicht einmal in der Städteliste der Nordstämme, in Verbindung gebracht.54 Zudem ist Verbrennung, wie zu Recht angemerkt worden ist, keine israelitische Praxis, und mit ihrer Erwähnung (1 Sam 31,12) wollte der Erzähler vermutlich verdeutlichen, dass es sich bei den Bewohnern von Jabesch-Gilead nicht um Israeliten handelte.55 Mithin ist kaum vorstellbar, dass die Rolle, die Gilead-Region und ihre Bewohner in den frühen Saul-Überlieferungen spielen, den israelitischen Blickwinkel widerspiegelt. Betrachtet man das geopolitische Bild, das sich aus den frühen Saul-Überlieferungen ergibt, dann scheint es näherliegend, dass diese aus der Jerusalemer Perspektive erzählt sind: Sauls Einfluss erstreckt sich hauptsächlich 50 Z. B. Albert de Pury, „The Jacob Story and the Beginning of the Formation of the Pentateuch“, in A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation (hg. v. Thomas B. Dozeman und Konrad Schmid; SBLSymS 34; Atlanta: SBL Press, 2006), 51–72; Jeremy M. Hutton, „Mahanaim, Penuel, and Transhumance Routes: Observations on Genesis 32–33 and Judges 8“, JNES 65 (2006): 161–178; Erhard Blum, „The Jacob Tradition“, in The Book of Genesis: Composition, Reception and Interpretation (hg. v. Craig E. Evans, Joel N. Lohr und David L. Petersen; VTSup 152; Leiden: Brill, 2012), 181–211; Israel Finkelstein und Thomas Römer, „Comments on the Historical Background of the Jacob Narrative in Genesis“, ZAW 126 (2014): 317–338; Sergi, „Gilead“. 51 Z. B. Walter Gross, Richter (HThKAT; Freiburg: Herder, 2009), 367–389.473f. mit weiterführender Literatur. Zu einer Diskussion der Bedeutung der Jabbokmündung in Ri 8,4–21 vgl. Sergi, „Gilead“, 346–349. 52 Dieser Ort wird mit Tell el-Maqlūb identifiziert, vgl. auch Martin Noth, „JabesGilead“, ZDPV 69 (1953): 28–41; Erasmus Gass, Die Ortsnamen des Richterbuchs in historischer und redaktioneller Perspektive (ADPV 35; Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2005), 504–509, mit früherer Literatur. 53 Jabesch-Gilead wird auch in der Geschichte über die Schandtat von Gibea (Ri 21) erwähnt, die auf die späte nachexilische Periode datiert wird (Gross, Richter, 821f., mit früherer Literatur). 54 Anders Auld, I & II Samuel, 121, der es als „israelitische Stadt“ bezeichnet. 55 Wright, David, 66ff.
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auf das Benjamin-Plateau und den südlichen Teil der Berge von Efraim. In diese Regionen drangen der Erzählung zufolge die Philister ein, die die judäische Schefela bewohnten (1 Sam 13,20; 14,31). Die Philister einerseits werden als ein kriegerisches Volk beschrieben, das die ländliche Bevölkerung der Benjamin-Region überfiel und ausplünderte; allem Anschein nach waren sie wohlhabender (sie beherrschten spezialisierte Produktionsmethoden, vgl. 1 Sam 13,19–22) und galten in diesem Konflikt als die stärkere, angreifende Partei (1 Sam 13,5f.17f.; 14). Die Israeliten andererseits werden als eine ländliche Gesellschaft beschrieben, die im Bergland und seinen Ausläufern siedelten, von der Metallerzeugung der Philister abhängig waren und sich ihrer Aggressivität erwehren mussten. Diese Kennzeichen markieren die Linie zwischen den eher städtischen Gesellschaften des südwestlichen Kanaan und den ländlichen Gesellschaften der Benjamin-Jerusalem-Region vor der EZ IIB und vermutlich auch noch vor dem Untergang Gats im letzten Drittel des 9. Jh. v. Chr. Der begrenzte geographische Radius dieser Geschichten ist bezeichnend: 1 Sam 13–14 enthält eine detaillierte topographische Beschreibung eines kleinen Gebiets im Norden von Jerusalem. Allem Anschein nach waren die Verfasser dieser Kapitel mit der Benjamin-Region wohlvertraut, wohingegen sie sich in den kanaanäischen Niederungen – den nördlichen Tälern oder der Schefela (im Westen von Juda) – weniger gut auskannten, wie sich auch aus dem ungewöhnlichen Auftreten der Philister in der Jesreel-Ebene schließen lässt (1 Sam 31,1.10). Während das archäologische Phänomen der Philister in der EZ I weitgehend auf das südwestliche Kanaan beschränkt war,56 bewahrte sich die Jesreel-Ebene in dieser Zeit und ehe sie unter israelitische Herrschaft geriet, ihre frühere (spätbronzezeitliche) soziale und politische Struktur, die im Wesentlichen von Stadtstaaten und Palastwirtschaft geprägt war.57 Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass die örtlichen Städte in der Jesreel-Ebene, wie von Dietrich und Münger vorgeschlagen, in irgendeiner Weise an die Philister angeschlossen waren.58 Genauso unwahrscheinlich ist Finkelsteins Überlegung, dass die Erinnerung an die Philister in der JesreelEbene (und insbesondere in Bet-Schean) die ägyptische Herrschaft in der späten Bronzezeit widerspiegele.59 Soweit wir dies beurteilen können, wurde die vorisraelitische Jesreel-Ebene in Israels historischer Erinnerung rückblickend als kanaanäisch (vgl. Ri 4–5) und nicht als philistinisch oder ägyptisch wahrgenommen. Der Erzähler der Saul-Geschichte war mit den politischen oder sozialen Verhältnissen der Jesreel-Ebene in vorisraelitischer Zeit offenbar nicht sonderlich gut vertraut. Allerdings waren die Philister der Erzfeind des Königreichs Juda, was auch daran deutlich wird, dass sie in den Geschichten 56 57 58 59
Z. B. Maeir/Hitchcock/Horwitz, „Constitution and Transformation“. Finkelstein, Forgotten Kingdom, 27–36. Dietrich/Münger, „Die Herrschaft Sauls“, 48. Finkelstein, „Last Labayu“, 182f.
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über die frühe davidische Monarchie eine so wichtige Rolle spielten.60 Tatsache ist, dass in der gesamten Entstehungszeit der judäischen Monarchie Gat das stärkste Gemeinwesen westlich von Juda war.61 Nur ein aus Jerusalem stammender Erzähler, der weit von der Jesreel-Ebene entfernt lebte, konnte annehmen, dass Saul in der Jesreel-Ebene dieselben Feinde antraf wie auf dem Benjamin-Plateau, nämlich die Philister. Archäologisch betrachtet bestand schließlich bereits im 10. Jh. v. Chr. eine Verbindung zwischen den Bewohnern der Benjamin-Region und der politischen Vormacht Jerusalem. Wenn also überhaupt irgendwo die Erinnerung an einen benjaminitischen Helden gepflegt und bewahrt worden wäre, dann doch gewiss in der Schreiberschule von Jerusalem. Mithin ist dies die beste Erklärung für das komplette Fehlen jedweder Spuren israelitischer Geographie, Politik oder Belange in diesen frühen Überlieferungen, die eher die politischen Gegebenheiten, Probleme und Interessen Judas widerspiegeln. Und doch werden in diesen frühen Überlieferungen, die Saul als den ersten König der Israeliten darstellen, weder Juda noch Jerusalem erwähnt. Ist es überhaupt vorstellbar, dass ausgerechnet in Jerusalem das Andenken an einen israelitischen König bewahrt wurde? Ehe diese Frage beantwortet werden kann, muss kurz auf den historischen Kontext der Geschichten über den Aufstieg Davids eingegangen werden.
4.
David – der zweite König der Israeliten?
Die Geschichten über den Aufstieg Davids in 1 Sam 16–2 Sam 5 enthalten viele unterschiedliche Erzählstränge, die ein vordeuteronomistischer Schreiber (und zwar noch bevor sie in das Buch Samuel Einlass fanden) lose zusammengefügt hat. Diese Überlieferungen erzählen von Davids Dienst am Hof von König Saul (1 Sam 16,14–23; 17–19); von Davids Flucht vor Saul (1 Sam 20– 26); seinem nachfolgenden Dienst beim König von Gat (1 Sam 27–2 Sam 1) bis zu Sauls Tod (1 Sam 31–2 Sam 1); von Davids Krönung zum König zunächst von Juda (2 Sam 2,1–4) und später von Israel (2 Sam 5,1–3). Über das Ausmaß und die literarische Entwicklung dieser Redaktion wird natürlich diskutiert, doch für den Zweck der vorliegenden Untersuchung genügt der Hinweis, dass trotz der mosaikhaften Beschaffenheit der Geschichten über Davids Aufstieg dem Gesamtbild dennoch eine einheitliche königliche und pro-davidische
60 Omer Sergi, „State Formation, Religion and Collective Identity in the Southern Levant“, HeBAI 4 (2015): 56–77; 64–75. 61 Sergi, „Judah’s Expansion“; Lehmann/Niemann, „Shephelah“.
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Ideologie zugrunde liegt, was wiederum bedeutet, dass dessen Urheber keine bloßen Kompilatoren waren.62 Ganz ähnlich wie bei den frühen Saul-Überlieferungen beschränkt sich der geographische Radius der Geschichten über Davids Aufstieg auf das südliche kanaanäische Bergland und seine Ausläufer, während erzählt wird, dass die Philister die westliche Schefela kontrollieren. Demzufolge ist David immer dann, wenn er (als Anführer einer Gruppe von Kriegern) im judäischen Bergland und seinen Ausläufern agiert (1 Sam 23–26; 2 Sam 5), sein eigener Herr, und immer dann, wenn er weiter nach Westen oder Süden zieht (vgl. 1 Sam 27; 29–30), an die Weisungen seines Dienstherrn, des Königs von Gat, gebunden. Dieses geopolitische Szenario wird durch die Bedeutung, die Gat in diesen Geschichten erhält, noch hervorgehoben (1 Sam 17,4.23.52; 21,11.13; 27,2–4.11). Gat erreichte den Höhepunkt seiner Macht im 10. und 9. Jh. v. Chr., als es zur mit Abstand größten und wohlhabendsten Stadt im ganzen südlichen Kanaan wurde. Im letzten Drittel des 9. Jh. jedoch wurde es dem Erdboden gleichgemacht und fand nie wieder zu alter Größe zurück.63 Die Geschichten in 1 Sam 16–2 Sam 5 stimmen daher ebenso wie die in 1 Sam 9–14 mit der sozialen und politischen Realität überein, wie sie im 10. und 9. Jh. und vor der judäischen Expansion in die Schefela im südlichen Kanaan herrschte. In dieselbe Richtung weist auch die Tatsache, dass Lachisch – seit der zweiten Hälfte des 9. Jh. die wichtigste judäische Königsstadt der Schefela – in allen diesen Überlieferungen unerwähnt bleibt.64 Vor diesem Hintergrund können die Geschichten vom Aufstieg Davids kaum später als in das 8. Jh. v. Chr. datiert werden, was bedeutet, dass sie lange vor dem Untergang Samarias verfasst worden sind. Da sowohl die frü62 Weiterführende Informationen und andere Rekonstruktionsansätze zu den Quellen und der Redaktion dieses Texts finden sich z. B. bei Artur Weiser, „Die Legitimation des Königs David: Zur Eigenart und Entstehung der sogen. Geschichte von Davids Aufstieg“, VT 16 (1966): 325–354; Grønbӕk, Geschichte vom Aufstieg Davids; Stolz, Samuel, 17f.; Kratz, Composition, 177–181. Timo Veijola, Die ewige Dynastie: David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung (STAT.H 193; Helsinki: Suomalainen Tiedeakatemia, 1975) schreibt die Abfassung der Geschichte von Davids Aufstieg den deuteronomistischen Schriftgelehrten zu (vgl. auch John van Seters, The Biblical Saga of King David [Winona Lake: Eisenbrauns, 2009]), eine Auffassung, für die sich in der Forschung allerdings kein breiterer Konsens gefunden hat (Dietrich, Early Monarchy, 245f.). Einen kritischen Überblick über die neuere Forschung bietet Dietrich, Early Monarchy, 240– 255. 63 Aren M. Maeir, „The Tell eṣ-Ṣafi/Gath Archaeological Project 1996–2010: Introduction, Overview and Synopsis of Results“, in Tell eṣ-Ṣafi/Gath I: The 1996–2005 Seasons 1: Text (hg. v. dems.; ÄAT 69; Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2012), 26– 49. 64 Sergi, „Judah’s Expansion“; Nadav Na’aman, „The Kingdom of Judah in the 9th Century BCE: Text Analysis versus Archaeological Research“, TA 40 (2013): 247–276; Lehmann/Niemann, „Shephelah“.
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hen Saul-Überlieferungen als auch die Geschichten über Davids Aufstieg von einer guten Kenntnis der geopolitischen Verhältnisse im südlichen Kanaan – zwischen dem Benjamin-Plateau und dem judäischen Bergland im Osten und der judäischen Schefela im Westen – zeugen, spiegeln sie wahrscheinlich eine judäische (genauer gesagt eine jerusalemitische) Sichtweise wider. Wenn dem so ist, dann scheinen sie nicht später als Anfang des 8. Jh. v. Chr. und an nahe beieinanderliegenden Orten verfasst worden zu sein.65 Es bleibt die Frage, wie David, der als Begründer des Königreichs Juda gilt, lange vor dem Untergang Samarias als Nachfolger des ersten Königs der Israeliten dargestellt werden konnte. Der Schlüssel zur Lösung dieses Problems liegt in unserer Antwort auf die Frage, welche Vorstellung von der israelitischen Identität die Erzähler den Überlieferungen über die frühe israelitische Monarchie zugrunde gelegt haben.
5.
Soziale und genealogische Identität Israels in den Überlieferungen von der Entstehung der israelitischen Monarchie
Wie oben gezeigt sind die frühen Saul-Überlieferungen und die Geschichten vom Aufstieg Davids gut in die soziale und politische Realität des südlichen Kanaan in der EZ IIA eingebettet. Und dies ist auch der Hintergrund, vor dem wir diesen Versuch einer Schilderung der Entstehung der Monarchie auf seine politische Bedeutung hin untersuchen sollten. Die Geschichten über Sauls Kriege gegen die Philister in 1 Sam 13–14 setzen voraus, dass er König über Israel war, oder stellen ihn zumindest als militärischen Anführer und Befreier Israels dar (vgl. 1 Sam 11,15; 14,47). Der Name Israel wird in 1 Sam 13–14 insgesamt 14-mal erwähnt, die meisten dieser Erwähnungen sind eindeutig auf eine Personengruppe bezogen. Namentlich in 1 Sam 13–14 ist „Israel“ keine Bezeichnung für ein territoriales Gemeinwesen, sondern für eine Verwandtschaftsgruppe. Der Text identifiziert die Israeliten als ein clan- oder stammesgesellschaftliches Gefüge, dessen Siedlungsgebiet sich von Gibea (oder sogar Betlehem, vgl. 1 Sam 17,2) im Süden bis nach Bet-El im Norden über das Benjamin-Plateau und das südliche Bergland von Efraim (1 Sam 13,4–6.20; 14,22–24) erstreckte. Außerdem spiegelt er die Komplexität Israels als einer Verwandtschaftsgruppe wider, die (wie die Benjaminiter) aus verschiedenen Clans bestand und nun zu einer umfassenderen „israelitischen“ Identität zusammengefasst wurde. Saul, der ein Benjaminiter war (1 Sam 9,1), wurde 65 Vgl. Nadav Na’aman, „The Scope of the pre-Deuteronomistic Saul-David Story Cycle“, in From Nomadism to Monarchy: 30 Years Update (hg. v. Ido Koch, Omer Sergi und Oded Lipschits; Tübingen: Mohr Siebeck, erscheint demnächst).
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auch als Israelit betrachtet: Mithin erzählen die frühen Saul-Überlieferungen die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Benjaminiters, der sich zum Herrscher über seine Verwandten, die Israeliten, aufschwang. Mit anderen Worten, die Geschichte hat Saul als König von Israel nie gegen das weit im Norden, in der Region von Sichem und Samaria gelegene Gemeinwesen der Omriden abgrenzen wollen. Sie erzählt vielmehr, wie Saul zum König über seine Verwandten aufstieg, die auf dem Benjamin-Plateau siedelten. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, klar zwischen Israel als einer politischen Identität – nämlich dem seit der Zeit der Omridenherrschaft so bezeichneten territorialen Gemeinwesen – und Israel als einer sozialen Identität, das heißt einer so bezeichneten Verwandtschaftsgruppe zu unterscheiden. Schon auf der Merenptah-Stele im späten 13. Jh. v. Chr. wurde der Begriff Israel als Name für eine Verwandtschaftsgruppe gebraucht – lange bevor er als Bezeichnung für das nördliche Königreich diente,66 wie in den drei anderen Erwähnungen außerhalb der Hebräischen Bibel (der Mescha-Stele, dem Kurkh-Monolith und der Tel-Dan-Inschrift, die alle in die Mitte oder in die zweite Hälfte des 9. Jh. v. Chr. datiert werden). Zudem wird er in einer dieser Okkurrenzen, nämlich auf dem assyrischen Kurkh-Monolithen (852 v. Chr.), auf Ahab angewendet, der dort als „Israelit“ (KUR.syrʽalāya) und nicht (wie Omri und Joram auf der Mescha-Stele bzw. in der Tel-Dan-Inschrift, die aus derselben Zeit stammen) als König von Israel bezeichnet wird. Es steht also außer Zweifel, dass die Bezeichnung Israel (zumindest anfangs) eine verwandtschaftliche Bedeutung hatte, und das wiederum wirft die Frage auf, wie es dazu kommen konnte, dass der Name einer Verwandtschaftsgruppe später auf eine politische Einheit übertragen wurde. Die Tatsache, dass „Israel“ nicht der einzige Name des nördlichen Königreichs war – das (von den Assyrern) auch das „Haus Omri“ genannt wurde –, kann dieser Frage nur noch größeres Gewicht verleihen. Sämtliche Erwähnungen des Namens Israel in historischen Quellen beziehen sich beinahe ausschließlich auf die Zeit der Omriden-Herrschaft, und allein diese Tatsache weckt bereits Zweifel an der Annahme, dass der Name Israel ausschließlich oder hauptsächlich auf eine politische Identität verweise und nichts weiter als die Bezeichnung eines territorialen Gemeinwesens gewesen sein soll. In den antiken Gesellschaften des Nahen Ostens war die Verwandtschaft in aller Regel die vorherrschende soziale Ideologie.67 Verwandtschaftsbeziehungen wurden artikuliert, um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu legitimieren,68 und sie wurden benutzt, um zeitliche und räumliche Entfer66 Vgl. die Zusammenfassung bei Michael G. Hasel, Domination and resistance: Egyptian military activity in the southern Levant, ca. 1300–1185 B.C. (PAe 11; Leiden: Brill, 1994), 170–204. 67 Ann Porter, Mobile Pastoralism and the Formation of Near Eastern Civilizations: Weaving Together Society (Cambridge: Cambridge University Press, 2012), 12–37. 68 Van der Steen, Tribes and Territories, 126–130, mit weiterführender Literatur.
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nungen zu überbrücken und auch in Bezug auf unbekannte Andere die Vorstellung einer gemeinsamen Identität zu ermöglichen.69 Verwandtschaftsbeziehungen scheinen sich ihre Kontinuität über lange Perioden hinweg und selbst unter wechselnden politischen Rahmenbedingungen bewahrt zu haben. So konnte etwa die Herrschaftselite in Ebla oder Mari ihre auf Verwandtschaft beruhende „Stammesidentität“ auch dann noch aufrechterhalten, als sie in einem wohlhabenden städtischen Zentrum residierte.70 In ähnlicher Weise – und in größerer Nähe zu den Schauplätzen der Saul- und DavidGeschichten – stellt die Mescha-Stele Mescha als „König von Moab“ und als „Diboniter“ dar. Schon Knauf hat gezeigt, dass Mescha sich nicht nach dem von ihm geformten und regierten Gemeinwesen als Moabiter, sondern – vermutlich mit Bezug auf seine Verwandtschaftsidentität und auf die soziale Gruppe, der er zugerechnet wurde71 – als Diboniter72 definierte. Mithin besteht keine wirkliche Dichotomie zwischen sozialer und politischer Identität: Beide stellen real gegebene Identitäten dar. Das heißt, dass „Israel“ zuerst und vor allem auf eine soziale und genealogische Identität verweist, auch dann noch, als das von den Omriden beherrschte Gemeinwesen mit demselben Namen belegt wurde.73 Überdies könnte man angesichts der Tatsache, dass außerbiblische Quellen aus der Eisenzeit Israel ausschließlich mit den Omriden identifizieren, auch die Auffassung vertreten, dass eine Verbindung zwischen den Omriden und einer Verwandtschaftsgruppe namens Israel bestand, deren Name dann letztlich auf das von Ersteren beherrschte Gemeinwesen übertragen wurde. Das bedeutet aber nicht, dass alle Israeliten innerhalb des omridischen Gemeinwesens gelebt hätten, denn zumindest in den frühen SaulÜberlieferungen werden auch Israeliten erwähnt, die in der Benjamin-Region und damit weit im Süden des omridischen Kernlands von Samaria siedelten. 69 Porter, Mobile Pastoralism, 57f.326; Porter, Complex Communities, 56f. 70 Daniel Fleming, „Kinship of City and Tribe Conjoined: Zimri-Lim at Mari“, in Nomads, Tribes and the State in the Ancient Near East: Cross-disciplinary Perspectives (hg. v. Jeffrey Szuchman; OIS 5; Chicago: Oriental Institute of the University of Chicago, 2009), 227–240; Ann Porter, „Beyond Dimorphism: Ideologies and Materialities of Kinship as Time-Space Distanciation“, in ebd., 201–225; Dies., Mobile Pastoralism, 240. 71 Eveline J. van der Steen und Klaas A. D. Smelik, „King Mesha and the Tribe of Dibon“, JSOT 32 (2007): 139–162. 72 Ernst A. Knauf, „The Cultural Impact of Secondary State Formation: The Cases of Edomites and Moabites“, in Early Edom and Moab: The Beginning of the Iron Age in Southern Jordan (hg. v. Piotr Bienkowski; Sheffield Archaeological Monographs 7; Sheffield: Collis, 1992), 47–54. 73 Zu neueren Arbeiten über die Besonderheit und Bedeutung von Israels über die Verwandtschaft definierter Identität vgl. Fleming, Legacy of Israel; Kristin Weingart, Stämmevolk – Staatsvolk – Gottesvolk? Studien zur Verwendung des Israel-Namens im Alten Testament (FAT 2/68; Tübingen: Mohr Siebeck, 2014), insbes. 171–286.340– 360.
Erzählung, Geschichten und Geschichte
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Eine ähnliche Darstellung Israels als einer Verwandtschaftsgruppe, die in der Region von Jerusalem und Benjamin angesiedelt war, charakterisiert auch die Geschichten über Davids Aufstieg und insbesondere die Geschichten über seinen Dienst am Hof von König Saul (1 Sam 18–19, vgl. auch 2 Sam 5,1f.). Ina Willi-Plein hat gezeigt, dass diese Geschichten eine frühe monarchisch-politische Landschaft voraussetzen, in der die politische Hegemonie durch Eheschließungen und persönliche Bündnisse etabliert wurde (vgl. 1 Sam 17,58; 18,2.17).74 Sie vertritt demzufolge die Auffassung, dass diese Geschichten von der Errichtung einer Königsherrschaft über Israel handeln, wobei Israel sich auf eine Gruppe von Personen und nicht auf das territoriale Gemeinwesen bezieht.75 Das würde bedeuten, dass die Geschichte von Davids Aufstieg genau wie die Saul-Überlieferungen von seinem Aufstieg zum König der Israeliten erzählen. Und das ist auch der Grund dafür, dass David als Sauls Nachfolger dargestellt wird: nicht als allegorischer Ausdruck für das hypothetische Wunschdenken der späten judäischen Monarchie, sondern einfach deshalb, weil sowohl Saul als auch David sich zum Herrscher über dieselbe Personengruppe, nämlich die im Hochland von Jerusalem und Benjamin siedelnden Israeliten, aufzuschwingen versuchten. Natürlich war das Haus David die Dynastie, die über Juda herrschte und ihren Sitz in Jerusalem hatte; doch das heißt nicht, dass David seiner verwandtschaftlichen Identität nach Judäer war (wie ja auch Mescha, der König von Moab, kein Moabiter, sondern Diboniter war). An keiner Stelle in den Geschichten seines Aufstiegs zum König über Israel wird David als Judäer bezeichnet, im Gegenteil: In 1 Sam 17,12 wird erzählt, dass seine Familie von einem Efratiter-Clan (mithin also von Israeliten) abstammte, der sich in Betlehem niedergelassen hatte,76 und in den Geschichten über seinen Aufstieg wird David mindestens drei weitere Male explizit als Israelit identifiziert (1 Sam 18,18; 27,12; 2 Sam 5,1). Dieses Bild, dem zufolge zumindest einige Bewohner der Jerusalemer Region Israeliten waren, stimmt mit der Darstellung der frühen Saul-Überlieferungen überein. Zudem zeugen auch die Geschichten von Davids Aufstieg – genauso wie die frühen Saul-Überlieferungen – von der Komplexität Israels als einer Verwandtschaftsgruppe, die aus mehreren Clans bestand (Saul der Benjaminiter, David der Efratiter). Wenn man annimmt, dass David israelitischer Herkunft war, dann könnte dies auch erklären, weshalb seine Krönung zum Herrscher über das Volk von Juda (2 Sam 2,1–4) offenbar keineswegs 74 Ina Willi-Plein, „I Sam. 18–19 und die Davidshausgeschichte“, in David und Saul im Widerstreit – Diachronie und Synchronie im Wettstreit: Beiträge zur Auslegung des ersten Samuelbuches (hg. v. Walter Dietrich; OBO 206; Fribourg: Academic Press, 2004), 138–171; 148–153.156–159. 75 Willi-Plein, „I Sam. 18–19“, 161–168. 76 Zu den Efratitersiedlungen vgl. in neuerer Zeit Nadav Na’aman, „The Settlements of the Ephratites in Bethlehem and the Location of Rachel’s Tomb“, RB 121 (2014): 516–529.
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selbstverständlich ist: Nicht nur, dass David JHWH befragt, ehe er nach Hebron aufbricht (ein Verhalten, das er sonst nur vor einer Schlacht an den Tag legte, vgl. auch 1 Sam 23,2.4; 30,8; 2 Sam 5,19.23f.) – vor seiner Ankunft „besticht“ er überdies die judäischen Anführer mit Beutestücken aus seinen Kämpfen gegen die Amalekiter (1 Sam 30,26). Seine Krönung zum König über Israel hingegen (2 Sam 5,1–3) scheint sehr viel näherliegender: David wird von den Israeliten selbst zum König ausgerufen, da er ihr Verwandter ist und überdies am Hof von Israels früherem König Saul Dienst getan hat (2 Sam 5,1f.). Man kann also schlussfolgern, dass sowohl in den frühen Saul-Überlieferungen als auch in den Geschichten von Davids Aufstieg Saul und David mit einer Verwandtschaftsgruppe in Verbindung gebracht werden, die Israel genannt wurde und aus mehreren nördlich (Benjaminiter) und südlich (Efratiter) von Jerusalem angesiedelten Clans bestand. Neben den israelitischen Clans lebten in der Region auch Judäer und Jebusiter (z. B. 2 Sam 2,1–4; 5,6).77 Alle diese Clans kamen, wie in den archäologischen Erläuterungen weiter oben gezeigt, schlussendlich unter die politische Vorherrschaft des Hauses David, das Jerusalem zu seiner Hauptstadt machte.
6.
Zusammenfassung: Die biblischen Überlieferungen von der Entstehung der israelitischen Monarchie aus historischer Sicht
Die Geschichten von der Entstehung der israelitischen Monarchie in 1 Sam 9–2 Sam 5 schildern den Versuch zweier örtlicher Anführer, eine dynastische Königsherrschaft über eine Gruppe von Menschen zu etablieren, die von den Erzählern als Israeliten bezeichnet werden. Israel steht in diesen Überlieferungen für eine Verwandtschaftsgruppe und mithin nicht für eine politische, sondern eine soziale Identität, die einer bestimmten Personengruppe – in diesen Fällen den in der Jerusalem- und Benjamin-Region ansässigen Clans – zugeschrieben wird. Der Name Israel in 1 Sam 9–2 Sam 5 bezieht sich also nicht auf das seit der Omridenherrschaft unter diesem Namen bekannte Gemeinwesen. Diese Geschichten spiegeln auch nichts von den geopolitischen Verhältnissen im nördlichen Königreich wider. Sie sind vielmehr in die soziale und politische Realität des südlichen Kanaan der frühen Eisenzeit und insbesondere des judäischen Kernlands eingebettet. Folglich sollten die Geschichten über Davids Aufstieg in 1 Sam 16–2 Sam 5 nicht als eine Allegorie 77 Vgl. Ders., „Jebusites and Jabeshites in the Saul and David Story Cycle“, Bib 95 (2015): 481–497.
Erzählung, Geschichten und Geschichte
43
für die vermeintliche Sehnsucht der späten judäischen Monarchie, das Erbe des nördlichen Königreichs Israel anzutreten, sondern als das gelesen werden, was sie sind: die Geschichte von der Entstehung der israelitischen Monarchie. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daran zu erinnern, dass es sich bei diesen Überlieferungen um das literarische Erzeugnis einer intellektuellen Elite handelt, das auf die Zeit nach der Entstehung des in Jerusalem zentrierten territorialen Königreichs (das heißt auf die zweite Hälfte des 9. Jh. v. Chr.) datiert werden muss. Die Vorstellung von Israel als einer nördlich und südlich von Jerusalem siedelnden Verwandtschaftsgruppe stammt also von Schreibern, die im Dienst des Jerusalemer Herrschaftshauses standen: einer Zentralregierung, die beständig darum bemüht war, die politische und soziale Einheit herzustellen und aufrechtzuerhalten. Das ändert aber nichts daran, dass sich diese Überlieferungen problemlos mit dem oben skizzierten archäologischen Befund vereinbaren lassen, dem zufolge sich Jerusalem während der EZ IIA zum wichtigsten politischen Zentrum unter den eher isolierten Ansammlungen ländlicher Siedlungen zwischen Jerusalem und Bet-El entwickelt hat. Das war die Situation, in der die herrschende Dynastie in Jerusalem, das Haus David, seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu Israel geltend machte – und folgerichtig wurde auch die Kerngemeinschaft, über die dieses Haus von da an regierte, als israelitisch definiert. Was lässt sich auf dieser Grundlage über die Historizität der Überlieferungen im Buch Samuel sagen, die von der Entstehung der israelitischen Monarchie erzählen? Es kann kaum Zweifel daran geben, dass diese Überlieferungen lange Zeit nach den darin dargestellten Ereignissen niedergeschrieben worden sind und vielleicht sogar in weiten Teilen als legendarisch betrachtet werden müssen. Da sie aber gut in die politische und soziale Realität des südlichen Kanaan der frühen Eisenzeit eingebettet sind, bewahren sie zumindest im Großen und Ganzen (wenn auch sicherlich nicht im Detail!) eine authentische Erinnerung an die Entstehung des Königreichs Juda. Sowohl Saul als auch David werden als Angehörige einer neu etablierten Elite dargestellt, die dank ihres Landbesitzes, ihres militärischen Geschicks und ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen an die Macht kamen und über ihre Verwandten, die sogenannten „Israeliten“, herrschten. Diese Darstellung lässt sich gut mit unseren Vorstellungen von der sozialen Entwicklung vereinbaren, die zur Staatenbildung in der eisenzeitlichen Levante führte. So gesehen bewahren die frühen Überlieferungen über Saul und David die Erinnerung an einen Machtkampf der frühen Königszeit: Der Aufstieg der dynastischen Monarchie in Jerusalem war das Ergebnis eines Kampfs zwischen zwei führenden israelitischen Familien, die den Versuch unternahmen, ihre politische Vorherrschaft über ihre eigenen israelitischen Verwandten zu etablieren, die in den Gebieten nördlich und südlich von Jerusalem siedelten.
Kult und Krieg: Beiträge der Ikonographie zu einer genderorientierten Exegese der Prophetie1 Silvia Schroer Universität Bern
Wenn es um Beiträge der Ikonographie zu einer feministischen oder genderbezogenen Exegese der Nebiim geht, so wird hier angesichts des besonders umfangreichen, vielfältigen, von den literarischen Gattungen her heterogenen Textcorpus nur ein Blick auf bereits Erforschtes und auf ausgewählte Bezüge zwischen Texten und Bildern möglich sein.2 Text-Bild-Bezüge können bereits in den Primärquellen gründen, wenn beispielsweise in einem biblischen Text Reliefs (Ez 8,7–11; 23,14ff.) erwähnt und beschrieben werden. Sie können aber auch aus historischen und ikonographischen Recherchen resultieren, also hergestellt bzw. rekonstruiert werden, und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Primärquellen aufzeigen. Bezüge und In-Bezug-Setzen von Texten und Bildern führen zu Spiegelungen, zu Brechungen und zu hermeneutisch wertvollen Beleuchtungseffekten. Das Nebeneinander und die Gegenüberstellung von Text und Bild sind für das Verständnis beider potenziell erhellend, weit über eine „Illustration“ hinaus. Denn Texte sind keine Legenden zu Bildern und Bilder keine Illustrationen zu Texten – solche Zuordnungen greifen zu kurz. 1
2
Die meisten Abbildungsnachweise beziehen sich auf die kursorischen Katalognummern des inzwischen fertiggestellten vierbändigen Werkes Silvia Schroer, Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient: Eine Religionsgeschichte in Bildern [= IPIAO 1–4] (4 Bde; Fribourg: Academic Press, 2005, 2008, 2011; Basel: Schwabe Verlag, 2018). Diese Bände eignen sich auch für eine genauere Erschließung einzelner Bilder und der im vorliegenden Beitrag nur skizzierten Motivgeschichten. In den beiden Bänden zu Tora und Ketubim habe ich im einen Fall kursorisch an ausgewählten Texten, im anderen Fall gebündelt an thematisch geordneten Textgruppen aufzuzeigen versucht, wie die Kenntnis der altorientalischen Bilder und ihrer Symbolik zu einer genderorientierten Exegese beiträgt. Die Einleitungen zu diesen früheren Beiträgen sollen inhaltlich hier nicht rekapituliert werden, es ist daher empfehlenswert, sie ergänzend beizuziehen; siehe Silvia Schroer, „Altorientalische Bilder als Schlüssel zu biblischen Texten“, in Tora (hg. v. Irmtraud Fischer, Mercedes Navarro Puerto und Andrea Taschl-Erber; Die Bibel und die Frauen 1.1; Stuttgart: Kohlhammer, 2009), 36–62; Dies., „Altorientalische Bilder als Schlüssel zu biblischen Metaphern“, in Schriften und spätere Weisheitsbücher (hg. v. Christl M. Maier und Nuria Calduch-Benages; Die Bibel und die Frauen 1.3; Stuttgart: Kohlhammer, 2013), 123–152; vgl. auch Dies., „Genderforschung, altorientalische Kunst und biblische Texte“, HeBAI 5 (2016): 132–150.
Kult und Krieg
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Eine Auswahl relevanter Themen wird im Folgenden zu zwei größeren Komplexen gebündelt. In der Vorderen wie Hinteren Prophetie finden sich zwei inhaltliche Gravitationszentren, die nicht selten verflochten sind. Das eine dreht sich um den Kult, das andere um den Krieg. Gender spielt in beiden Fällen eine zentrale Rolle.
1.
Spuren des Göttinnenkults und die Verfemung der Göttin: Ikonographie als religionsgeschichtlicher Beitrag zur Genderforschung und als pièce de résistance
In den Nebiim ist eine manchmal unterschwellige, manchmal auch offene Auseinandersetzung um Frauen und Kult, Frauen und religiöse bzw. rituelle Aufgaben und um die Göttinnen oder ihre Repräsentantinnen erkennbar. Methodisch helfen ikonographische Quellen als Hintergrundfolie, entgegen den biblischen Darstellungen, insbesondere polemischen, die zugrundeliegenden Konstellationen oder Assoziationen in ihrer ursprünglich positiven Wertung zu entdecken. Texte und Bilder können sich dabei in ihrem Informationsgehalt ergänzen, aber auch widersprechen oder in Spannung stehen. Die Bezüge sind nicht immer gleich eng, wie die folgenden Beispiele zeigen werden.
1.1
Die Polemik gegen die einheimische Vegetationsgöttin und ihren Kult
Die biblische Polemik gegen die Ascheren und den Kult unter grünen Bäumen ist eine Reaktion auf die traditionelle Verwurzelung und Präsenz der Zweigoder Erdgöttinnen in Palästina/Israel seit dem Chalkolithikum, vor allem aber seit der Mittelbronzezeit. Die verzerrende prophetische, häufig wohl deuteronomistische Darstellung der Göttinnenverehrung zielt auf den Kult der einheimischen, kanaanäischen Göttin (Abb. 1), die erotisch und nährend ist, eine „Mutter alles Lebendigen“.3 Bisweilen lassen sich engere Bezüge zwischen 3 So lautet nach Gen 3,20 der Ehrentitel der ersten erschaffenen Frau. Vgl. zu den vielfältigen Verbindungen zwischen biblischen Texten und Göttinnenbildern Othmar Keel und Silvia Schroer, Eva – Mutter alles Lebendigen: Frauen- und Göttinnenidole aus dem Alten Orient (Fribourg: Academic Press, 32010). Nicht weiter ausführen kann ich in diesem Zusammenhang die komplexen Diskussionen um genderrelevante, vor allem mütterliche Gottesbilder in Hos 4 und 11; vgl. Martti Nissinen, Prophetie, Redaktion und Fortschreibung im Hoseabuch: Studien zum Werdegang
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Silvia Schroer
Abb. 1: Skarabäus aus Afek (17./16. Jh. v. Chr.). Inmitten von Zweigen steht eine nackte Göttin, deren Schamdreieck durch eine blattartige Gravierung hervorgehoben wird. Die Kraft, die die Pflanzen gedeihen lässt, wird so mit der Erotik engstens verknüpft. [Schroer, IPIAO 2, Nr. 411]
Abb. 2: Skarabäus aus dem Handel (17./16. Jh. v. Chr.). Eine Frau beugt sich in einer tänzerischen Bewegung mit einem Zweig in der Hand vornüber. Die Pose ist aufgrund von Parallelen auch als eine Aufforderung zum Koitus zu verstehen. Der Tanz im Kult hat hier eine deutlich sexuelle Komponente. [Schroer, IPIAO 2, Nr. 492]
biblischen Texten und Bildern ausmachen. Speziell fällt an der prophetischen Kritik am Kult unter den großen Bäumen eine sexualisierte Sprache auf, der die erotische Couleur mancher Darstellungen von Tanz und Baumkult (Abb. 2) entspricht.4 Die positive Bewertung der Verbindung von Erotik und Vegetation in der Ikonographie steht in starkem Kontrast zu prophetischen Texten, die diese ausgesprochen negativ färben: Ja, auf jedem hohen Hügel und unter jedem grünen Baum liegst du als Dirne. (Jer 2,20) Sie [Israel] ging auf jeden hohen Berg und unter jeden grünen Baum und hurte da. (Jer 3,6) Ja, ihr werdet euch schämen wegen der großen Bäume, an denen ihr Lust habt, und erröten wegen der Gärten, die euch gefallen. (Jes 1,29) … die ihr in Glut geratet für die großen Bäume unter jedem grünen Baum … (Jes 57,5)
4
eines Prophetenbuches im Lichte von Hos 4 und 11 (AOAT 231; Kevelaer: Butzon & Bercker; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1991), 269–298; Marie-Theres Wacker, „Gott Vater, Gott Mutter – und weiter? Exegese und Genderforschung im Disput über biblische Gottes-Bilder am Beispiel von Hosea 11“, in Geschlechter bilden: Perspektiven für einen genderbewussten Religionsunterricht (hg. v. Andrea Qualbrink, Annebelle Pithan und Mariele Wischer; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2011), 136–157. Siehe Silvia Schroer, „Die Zweiggöttin in Palästina/Israel. Von der Mittelbronze IIB-Zeit bis zu Jesus Sirach“, in Jerusalem: Texte – Bilder – Steine: Zum 100. Geburtstag von Hildi und Othmar Keel-Leu (hg. v. Max Küchler und Christoph Uehlinger; NTOA 6; Fribourg: Universitätsverlag, 1987), 201–225.
Kult und Krieg
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Es ist religionsgeschichtlich, aber auch für die theologische Genderforschung bedeutsam, die polemischen Texte mit dem ikonographischen Befund zu konfrontieren, um die tendenziöse prophetisch-deuteronomistische Diktion zu verstehen und hinterfragen zu können. Die Stimme der biblischen Verfassergruppen repräsentiert nicht die Religion im Land, sondern eine Gegenstimme, die, verankert in der Tradition der Schriftprophetie, patriarchal ist.
1.2
Frauen und Männer bei den Eingängen von heiligen Bezirken und Räumen
Sowohl im Kult als auch im Kontext gewalttätig-kriegerischer Auseinandersetzungen spielen Eingänge von Gebäuden oder Städten, also Fenster, Türen und Tore, eine bedeutende Rolle. Sozialgeographische Ansätze gehen davon aus, dass Räume Konstruktionen sind, dass Menschen in Räumen deren Qualität und Bedeutung verändern und umgekehrt Menschen und ihre Bedeutung durch Räume Veränderungen erfahren.5 Eine aus diesem Ansatz abgeleitete genderspezifische Frage ist, wohin Frauen oder Männer in der darstellenden Kunst und in biblischen Texten mit welchen kulturellen oder redaktionellen Intentionen „gestellt“ werden. Welche Rollen haben Frauen oder Männer an den sensiblen Öffnungen von Gebäuden oder Städten? Was machen sie dort? Schwellen und Türen kennzeichnen Grenz- und Übergangszonen, zwischen der Straße und dem familiären Raum (Haus), zwischen Schutzlosigkeit und Schutz, zwischen Profan und Heilig. Grenzen und Übergänge erfordern spezielle Absicherungen. In diesen sensiblen Zonen finden sich im antiken Israel unheilabwehrende Symbole, aber auch kultische Einrichtungen. So wurde in et-Tell nördlich des Sees Gennesaret eine Stele des Mondgottes auf einer kleinen Kulthöhe ( )במהim Tor gefunden.6 In den Toren zum Jerusalemer Tempelhof gab es nach Ezechiel ebenfalls ein Kultbild, das „Eifersuchtsbild“ (Ez 8,3–6), und hier praktizierten möglicherweise Frauen eine rituelle Beweinung des Tammus (Ez 8,14).7 5
6 7
Vgl. den Überblick bei Ilse Müllner und Yvonne Sophie Thöne, „Von Mutterhäusern, Landestöchtern und Stadtfrauen. Raum und Geschlecht im Alten Testament“, lectio difficilior (1/2012), online: http://www.lectio.unibe.ch/12_1/muellner_thoene_ mutterhaeuser_landestoechter_stadtfrauen.html [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. Der Ansatz des „spacing“ ist von Christl Maier auch im Kontext der prophetischen Zionsmetaphorik eingesetzt worden; vgl. Christl M. Maier, Daughter Zion, Mother Zion: Gender, Space and the Sacred in Ancient Israel (Minneapolis: Fortress Press, 2008). Siehe Monika Bernett und Othmar Keel, Mond, Stier und Kult am Stadttor: Die Stele von Betsaida (et-Tell) (OBO 161; Fribourg: Universitätsverlag, 1998). Vgl. Othmar Keel, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus (2 Bde; OLB 4/1; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007), 1:704f.708f.
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Silvia Schroer
Für Ezechiel sind die Verehrung des Eifersuchtsbildes und die Beweinung des Tammus Götzendienste. Die Beteiligten hätten dies vermutlich anders gesehen, aber wir kennen nur die Sichtweise Ezechiels. In der Rückprojektion auf die frühisraelitische Zeit ist in 1 Sam 2,22 von diensthabenden Frauen8 am Eingang des Zeltes der Begegnung die Rede: Eli war sehr alt geworden. Und immer wieder hörte er von all dem, was seine Söhne ganz Israel antaten, und dass sie mit den Frauen schliefen, die Dienst taten am Eingang des Zelts der Begegnung.
Die sexuelle Promiskuität der Söhne Elis lenkt von der Frage ab, welche Aufgabe die Frauen am Eingang des Heiligtums eigentlich hatten. Waren sie dort, um Männer zum Geschlechtsverkehr einzuladen? Oder hatten sie als Tempeldienerinnen ein Wächteramt? Hier kann die Ikonographie einige Anhaltspunkte liefern, worauf sich diese rätselhafte Erwähnung von Frauen im Dienst eines JHWH-Heiligtums bezieht. Seit dem 3. Jt. v. Chr. sind zahlreiche Tonmodelle und Kultständer aus Syrien mit Tür- und Fensteröffnungen bekannt, an welchen Frauen stehen, zumeist nackte, erotisch dargestellte Frauen.9 In der frühen Eisenzeit IIA gibt es eine größere Anzahl an Tonhäuschen aus Jordanien und Phönizien mit Frauen an den Eingängen (Abb. 3). Bei den Tonhäuschen handelt es sich um kleine Kapellen, nicht abbildende Modelle eines Tempels, sondern transportable Mini-Schreine, in denen sich ein kleines Kultbild befinden konnte. Wenn die Frauenfiguren ausgearbeitet sind, wird das Brüstehalten, aber auch ein Tuch über dem Kopf und Körper betont und in manchen Fällen halten die Frauen eine Handtrommel, seltener tragen sie auch Fußkettchen. Nicht selten finden sich neben den Frauen Wächterlöwen. An die Stelle der nackten Frauen können auch Palmetten oder Säulen treten. Einen wichtigen Schlüssel zur Bedeutung dieser Modelle gibt das viel ältere, berühmte Bild des Isch tartempels, das im Palast von Mari gefunden wurde (Abb. 4). Auf diesem sehr detailreichen Bild sehen wir in der altbabylonisch-altsyrischen Darstellungsweise zwei schützende Lama-Göttinnen sowie Mischwesen, die beidseitig 8
Vgl. zu Ex 38,8 und den Spiegeln der diensthabenden Frauen am Eingang des Zeltes der Begegnung schon Schroer, „Altorientalische Bilder als Schlüssel“ [2009], 55f. 9 Siehe Dies., „Frauenkörper als architektonische Elemente: Zum Hintergrund von Ps 114,12“, in Bilder als Quellen / Images as Sources: Studies on Ancient Near Eastern Artefacts and the Bible Inspired by the Work of Othmar Keel (hg. v. Susanne Bickel, Silvia Schroer und René Schurte; OBO Sonderbd.; Fribourg: Academic Press, 2007), 425–450; Dies., „Altorientalische Bilder als Schlüssel“ [2013], 143–146; Dies., „The Iconography of the Shrine Models of Khirbet Qeiyafa“, in Khirbet Qeiyafa in the Shephelah: Papers Presented at a Colloquium of the Swiss Society for Ancient Near Eastern Studies Held at the University of Bern, September 6, 2014 (hg. v. Silvia Schroer und Stefan Münger; OBO 282; Fribourg: Academic Press, 2017), 137–158.
Kult und Krieg
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den Tempelbezirk bewachen. Die Grundkonstellation der Bewachung des Zugangs zum Heiligtum durch Göttinnen und/oder Wächter(innen) ist konstant. Die Doppelfiguren zu Seiten des Eingangs der eisenzeitlichen Tempelmodelle sind, wie die Lama-Göttinnen, Wächterinnen. Sie schützen das Heiligste im Innern des Schreins, wahrscheinlich ein (nicht erhaltenes) kleines Kultbild. Erotik und gelegentlich das Schlagen der Handpauke werden mit diesen Wächterinnen verbunden. Die Verbindung mit der TromAbb. 3: Terrakottamodell, wahrscheinlich mel lässt an erotischen, sakralen aus Jordanien (10./9. Jh. v. Chr.). Der Ein- Tanz denken.10 Die Frauengestalten gang des kleinen Schreins wird von nack- sind den Betrachtenden zugewandt, ten Frauen mit einem schönen Kopftuch, sie wirken erotisch einladend. Hier Fuß- und Armringen, vielleicht einem Gürtelschmuck und der Handtrommel im Arm findet die rätselhafte Verkopplung flankiert. Auch Löwen bewachen den Ein- von Türdienst und dem Vorwurf gang. Mehrere Büsten von Trommlerinnen der sexuellen Dienste von Frauen finden sich in den Kapitellen und im Tympa- am Heiligtum in 1 Sam 2,22 vielnon. [Schroer, IPIAO 4, Nr. 1193] leicht ihre Entsprechung. Dennoch bleibt der Hintergrund der Verbindung von Erotik und Wächterrolle undeutlich, zumal der biblische Text klischeehaft wirkt. Frauen, die die Handtrommel schlagen, verschwinden in der biblischen Tradition auffälligerweise aus den kultischen Zusammenhängen, in denen sie in der Kunst vorkommen. Der Kontext in der Literatur ist meistens der von freudigen Ereignissen und Siegesfeiern, zu denen reigenartiges Tanzen gehört (vgl. weiter unten). So wird der Durchzug durch das Rote Meer von der Prophetin Mirjam und den Frauen mit Tanz und Trommelklang gefeiert (Ex 15,20). Aus dem Krieg heimkehrende Männer wie Jiftach werden von den Frauen unter Gesang und Trommeln begrüßt (Ri 11,34; 1 Sam 18,6f.).11 Der kultische Konnex, eine Prozession zum Heiligtum, ist nur in Ps 68,25ff. noch deutlich erkennbar: 10 Das Thema der Frauen mit Handtrommel in der eisenzeitlichen Ikonographie ist mehrfach bearbeitet worden, vgl. Sarit Paz, Drums, Women, and Goddesses: Drumming and Gender in Iron Age II Israel (OBO 232; Fribourg: Academic Press, 2007). 11 Siehe Thomas Staubli, Musik in biblischer Zeit und orientalisches Musikerbe (Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2007), 13–17; Keel/Schroer, Eva, 179.
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Abb. 4: Farbige Wandmalerei aus dem Palast von Mari (1800 v. Chr.). Das Bild war rechts vom Eingang zum Thronsaal angebracht und zeigt den Tempel der Ischtar, in dem sich der Herrscher von Mari und die Göttin Ischtar begegnen. Der Tempel steht in einem großen Park, zu dem stilisierte Bäume und Dattelpalmen gehören. An den schlanken Stämmen klettern je zwei Männer empor (Ernte oder Bestäubung?). In der erhaltenen Palmenkrone rechts fliegt eine weiße Taube auf. Neben den Mischwesen bewachen links und rechts zwei Schutzgöttinnen mit erhobenen Händen den Tempel. [Schroer, IPIAO 2, Nr. 434] Man sah deinen Einzug, Gott, den Einzug meines Gottes, meines Königs, ins Heiligtum. Voran gingen die Sänger, danach die Saitenspieler, mittendrin die jungen Frauen, die Handpauke schlagend. In Gruppen priesen sie Gott, JHWH von Israels Quelle her.
Im nachexilischen Kult kommen nach den Chronikbüchern keine Handtrommeln mehr vor, vermutlich eine Folge ihrer für bestimmte Kreise missliebigen alten Verbindung mit erotischem Tanz und Frauen.12 Möglicherweise wurde den Frauen nicht nur das Musizieren mit der Handtrommel im Heiligtum verwehrt, sondern auch die Aufgabe der Torwächterin. In 2 Chr 23,19 und an vielen Stellen in den Chronikbüchern, bei Esra und Nehemia werden „die Wächter über die Tore des Tempels JHWHs“ erwähnt. Es muss eine große Zahl solcher Tempeltoraufseher gegeben haben. Wahrscheinlich handelt es sich um
12 Der erotische Tanz steht auch für die Evangelisten noch unter rein negativen Vorzeichen (siehe Mk 6,22; Mt 14,6 zum Tanz der Herodias).
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Abb. 5: Skarabäus aus dem Handel (15.–12. Jh. v. Chr.). Eine Kriegsgöttin mit einer ägyptisierenden Atef-Krone sprengt hoch zu Ross über einen Gefallenen hinweg. Sie schwingt ein Krummholz in der erhobenen Rechten. [Schroer, IPIAO 3, Nr. 876]
1.3
51 Tempelpersonal mit festen Aufgaben.13 Es werden Sänger und andere Berufsangehörige im Umfeld dieser Torwächter erwähnt. Gewiss standen sie nicht den ganzen Tag am Tor, sondern hatten noch andere Aufgaben, z. B. die Verwaltung finanzieller Abgaben (2 Kön 22,4), die Bewachung und Betreuung von Tempelinventar, vielleicht auch von Opfergaben. Eine hohe Stellung scheinen sie, obwohl sie durch Begriffe wie חילund הגבורים ראׁשיausgezeichnet werden, nicht gehabt zu haben. Nach Ez 44,9–11 werden die arbeitslosen Leviten „zur Strafe“ als Dienstpersonal in solche Ämter versetzt.
Das Weiterleben von Göttinnen in literarischen Frauentypen
In manchen Frauentypen der biblischen Literatur leben die altorientalischen Göttinnen in verschiedenen Facetten weiter.14 So treten die Kriegerinnen Jaël und Debora literarisch das Erbe kriegerischer Göttinnen vom Typ der Ischtar, Anat, Astarte und spezieller Erscheinungen der Qedeschet an, die in der Spätbronzezeit im Umlauf waren. Auch die Gestalt der Judit kann noch in diese Reihe eingeordnet werden.15 Einige der erwähnten Göttinnen erscheinen auf einem Pferd (Abb. 5–6), sie reiten sogar schon zu einer Zeit, als Pferde normalerweise nur als Zugtiere vor Streitwagen gebraucht werden. Sex-Appeal und kriegerische Kraft verbinden sich bei diesen Göttinnentypen. Von Jaël und Debora wird nicht erzählt, dass sie reiten, sowenig wie am Ende des 2. Jt. 13 Zur Bedeutung der Torwächter vgl. John Wesley Wright, „Guarding the Gates: 1 Chronicles 26.1–19 and the Roles of Gatekeepers in Chronicles“, JSOT 48 (1990): 69–81. 14 Vgl. dazu das große Grundlagenwerk von Urs Winter, Frau und Göttin: Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53; Fribourg: Universitätsverlag, 21987). 15 Winter, Frau und Göttin, 644–648; vgl. Keel/Schroer, Eva, bes. 138–141.
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männliche Krieger in Palästina/ Israel auf Pferden reiten. Seit dem 3. Jt. wird in der Region auf dem Esel geritten, was durchaus prestigeträchtig ist, aber nie kriegerisch assoziiert wird. Die Kunst stellt Eselreiter, aber keine Eselreiterinnen dar, während die biblischen Texte Frauen der gut situierten Schichten erwähnen, die auf Eseln reiten, so Abigajil oder die große Frau von Schunem. Die Bilder helfen, Typologien (kriegerische Göttin – Kriegerin) und Einflüsse zu erkennen. Die Unterschiede zwischen Bildern und Texten sind dabei bemerkenswert: Göttinnen reiten auf dem Pferd, nicht auf dem Esel; nur Männer werden – in nicht kriegerischen Kontexten – auf Eseln reitend dargestellt; die biblischen Texte kennen das Reiten auf Pferden, unabhängig vom Geschlecht, für die vorexilische Zeit nicht, während das Reiten auf Eseln in vielen Alltagssituationen erwähnt wird.16
1.4
Abb. 6: Goldfolie aus Lachisch (13./12. Jh. v. Chr.). Die Göttin auf dem Pferd erscheint viel weniger kriegerisch als das gepanzerte Pferd. Sie trägt eine üppige Krone und hält Lotosblüten in den Händen. [Schroer, IPIAO 3, Nr. 869]
Der Kult der Himmelskönigin
Die ikonographisch sehr breit dokumentierte Astralisierungswelle in den religiösen Vorstellungen des 7. Jh. v. Chr. erhellt den Hintergrund der Verehrung der Himmelskönigin, von der in Jer 7 und 44 die Rede ist. Zeitgeschichtlich nehmen diese Texte auf das 6. Jh. v. Chr. Bezug, die erwähnten Kulte waren 16 Vgl. ausführlicher dazu Silvia Schroer, „Gender und Ikonographie – aus der Sicht einer feministischen Bibelwissenschaftlerin“, in Images and Gender: Contributions to the Hermeneutics of Reading Ancient Art (hg. v. ders.; OBO 220; Fribourg: Academic Press, 2006), 107–124.
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aber älter.17 Eine Reihe von Stempelsiegeln aus Palästina/Israel beAbb. 7: G r a v i e r t e zeugt die Kenntnis der Ischtar in Achatperle aus Dor (7. Jh. v. Chr.). Unter ihrer uranischen Gestalt, wie sie einem Sichelmond unter assyrischem Einfluss versteht ein Verehrer ehrt wurde (Abb. 7). Diese Siegel oder eine Verehredürften mit assyrischen Beamten rin mit einer Gabe ins Land gekommen sein, sie sind vor der Göttin Isalso nicht als direkte Zeugnisse chtar, die durch einen Strahlennimder im Land verbreiteten religibus gekennzeichösen Vorstellungen aufzufassen. net ist. [Schroer, Es gibt manchmal überraschende IPIAO 4, Nr. 1874] Beziehungen zwischen Bildern und biblischen Texten, z. B. was die Familienbezogenheit des Kultes für die Himmelskönigin betrifft (Abb. 8). Da wir über den Kult der Himmelskönigin im 7./6. Jh. v. Chr. in Juda keine anderen Quellen als die Jeremia-Texte besitzen, stellt das Bildmaterial eine wertvolle Ergänzung unseres Wissens dar. Weder auf den neuassyrischen Darstellungen noch in den biblischen Texten erscheinen die Göttin oder ihr Kult unter erotischen Kennzeichen. Als uranische Göttin ist sie eine ferne Göttin, aber ihre Erscheinung ist zugleich martialisch, und ihre VerehrerInnen versprechen sich von ihr und dem Kult für sie göttlichen Segen in Gestalt von Nahrung und Frieden, Schutz vor Hunger und Krieg (Jer 44,15–19). Es bleiben dennoch viele Fragen offen, beispielsweise, ob in Palästina/Israel der Titel der „Himmelskönigin“ der heimischen Vegetationsgöttin, der Aschera, zugeschrieben wurde.
2.
Sexualisierte Männlichkeit und Weiblichkeit im Kontext von Kampf und Krieg
Sowohl die Vorderen als auch die Hinteren Prophetenbücher handeln auf weite Strecken von kriegerischen Ereignissen oder nehmen auf politische Konfliktsituationen mit Kriegspotenzial Bezug. Betonte Männlichkeit, aber auch fehlende, geraubte, zerstörte Männlichkeit gehören zum Vokabular der Kriegssprache. Männlichkeit manifestiert sich dabei in Kleidung, Ausrüstung, Körperhaltung, Gesten und dem betont männlichen Körper und Geschlecht inklusive der Haare. Unterlegene und Besiegte werden in der ägyptischen wie vorderorientalischen Bildkonvention entblößt dargestellt, wobei 17 Grundlegend dazu schon Winter, Frau und Göttin, 561–576.
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Abb. 8: Neuassyrisches Rollsiegel aus dem nördlichen Mesopotamien (7. Jh. v. Chr.). Die Himmelskönigin empfängt eine vierköpfige Familie. Die Eltern und zwei Kinder kommen in einer kleinen Prozession zu ihr, über ihnen Astralsymbole. Die ungewöhnliche Szene erinnert daran, dass Jeremia den Kult für die Himmelskönigin als einen Kult der ganzen Familie beschreibt [Schroer, IPIAO 4, Nr. 1876]
ihre Geschlechtsteile oft deutlich sichtbar sind (Abb. 9–10). Feinde werden am Haarschopf gepackt. Die Gefangennahme oder Tötung eines Kriegers zielt auch auf sein Geschlecht. Ansammlungen von Penissen als Kriegstrophäen sind uns sowohl aus biblischen Texten (1 Sam 18,25ff.; 2 Sam 3,14) als auch von Reliefs im Tempel Ramses’ III. in Medinet Habu18 bekannt. Die Männlichkeit von Männern in Kriegshandlungen wird in der altorientalischen Kunst offen oder subtil häufig hervorgehoben, wie Cynthia Chapman in ihren Arbeiten gezeigt hat.19
2.1
Kämpfende Helden in der altorientalischen Kunst und der biblischen Literatur
Seit dem 3. Jt. v. Chr. werden kämpfende Heroen zunächst nackt dargestellt, wobei ihr nackter Körper Kraft und Überlegenheit zum Ausdruck bringt
18 Siehe Harold Hayden Nelson et al., Medinet Habu 1: Earlier Historical Records of Ramses III (OIP 8; Chicago: University of Chicago Press, 1930), Taf. 22f. 19 Cynthia R. Chapman, The Gendered Language of Warfare in the Israelite-Assyrian Encounter (Winona Lake: Eisenbrauns, 2004); Dies., „Sculpted Warriors: Sexuality and the Sacred in the Depiction of Warfare in the Assyrian Palace Reliefs and in Ezekiel 23:14–17“, lectio difficilior (1/2007), online: http://www.lectio.unibe.ch/07_1/ chapman_sculpted_warriors.htm [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. Vgl. auch Zainab Bahrani, Rituals of War: The Body and Violence in Mesopotamia (New York: Zone Books, 2008).
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(Abb. 11).20 Die sechslockigen Helden der vorderorientalischen Ikonographie, keine Götter, aber doch übermenschliche Wesen, sind die Prototypen eines Simson oder auch Herakles. Simson wird im Richterbuch als Löwentöter (Ri 14,5ff.) und gefährlicher Haudegen beschrieben, der Blutbäder im Leben und noch in seinem Tod anrichtet (14,19; 15,8.15; 16,30). Seine Männlichkeit steckt in der übermäßigen Muskelkraft und in seinen Haaren. Sie erweist sich sowohl in Kämpfen (gegen Tier und Mensch) als auch in seinen Frauenbeziehungen, die ihn zugleich ins Unglück stürzen. Der Kraftprotz wird im Schoß der Frau (16,19) seiner Locken und somit seiner männlichen Kraft beraubt. Blendung, Fesselung und Zwangsarbeit an der Mühle – Arbeit, die gewöhnlich Rinder oder Esel übernahmen – machen aus dem Helden eine bedauernswerte, abhängige Kreatur. Erst sein Selbstmordattentat lässt ihn noch ein letztes Mal als unbezwingbaren Mann erscheinen.
2.2
Der Sexappeal stattlicher Krieger
Wie sehr männliche Sexualität und sexualisierte Körpersprache sich in Texten wie bildlichen Darstellungen niederschlagen, zeigt ein Blick in das vieldiskutierte Kap. 23 im Buch Ezechiel. Das Kapitel über die politische „Hurerei“ der Schwestern Ohola und Oholiba – gemeint sind Samaria und Juda – mit den Assyrern und Babyloniern ist reich an prophetischer Polemik.21 Diese richtet sich in mehreren Versen (Ez 23,5–7.12.23) darauf, dass Samaria und Juda von den assyrischen und babylonischen Mächtigen, insbesondere aber von ihren Kriegern und Reitern ungeheuer fasziniert waren. Die wiederkehrende Beschreibung dieser Männer als חמד בחוריist, wie der ganze bildhafte Kontext von Ez 23, sexuell aufgeladen. Es handelt sich um attraktive, begehrenswerte junge Männer, die den Verantwortlichen in Samaria und Juda in höchstem Maß imponieren. Der Sexappeal liegt in ihrer stattlichen Erscheinung, die zu einer folgenschweren politischen Annäherung an die Großmächte führt. Die „hinreißenden“ Krieger und Mächtigen, denen die Verantwortlichen in Samaria und Juda nachlaufen, werden sich in der Sicht des Propheten alsbald gegen Ohola und Oholiba wenden. Die stolzen Schwestern werden vollstän-
20 Julia M. Asher-Greve und Deborah Sweeney, „On Nakedness, Nudity, and Gender in Egyptian and Mesopotamian Art“, in Images and Gender: Contributions to the Hermeneutics of Reading Ancient Art (hg. v. Silvia Schroer; OBO 220; Fribourg: Academic Press, 2006), 126–176. 21 Zum Zusammenhang von Ez 16 und 23 vgl. Winter, Frau und Göttin, 607–613; Silvia Schroer, In Israel gab es Bilder: Alttestamentliche Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Testament (OBO 74; Fribourg: Universitätsverlag, 1987), 179f.; Keel, Geschichte Jerusalems, 1:718–727.
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Abb. 9: Schieferpalette, vermutlich aus Abydos in Ägypten (um 3000 v. Chr.). Ein Löwe, der den ägyptischen Herrscher repräsentiert, reißt einen nackten, bärtigen Mann. Andere Männer liegen schon, teilweise gefesselt und eine Beute aasfressender Vögel, auf dem Schlachtfeld, weitere sind an die Standarten der Sieger gefesselt. Die Geschlechtsteile der Besiegten sind immer gut sichtbar. [Keel/Schroer, IPIAO 1, Nr. 128]
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Abb. 10: Basaltorthostat aus Karkemisch an der syrisch-türkischen Grenze (10. Jh. v. Chr.). In einem Streitwagen fahren ein Lenker und ein Bogenschütze in eine Schlacht. Unter dem Gefährt bzw. dem Pferd liegt ein vom Pfeil getroffener Krieger auf dem Rücken. Er ist nackt, sein Geschlecht deutlich gekennzeichnet. [Schroer, IPIAO 4, Nr. 1345]
Abb. 11: Akkad-zeitliches Rollsiegel, im British Museum, London (letztes Drittel des 3. Jahrtausends v. Chr.). Sechslockige, nackte Helden kämpfen mit einem aufgerichteten Stier und einem Löwen. Die Heroen sind bis auf den Gurt nackt, ihre Kraft wird trotz der schematisierten Darstellung u.a. an der Beinmuskulatur erkennbar. [Keel, Das Recht der Bilder, Abb. 3]
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dig gedemütigt werden.22 Ezechiels Polemik trifft die neuassyrische Selbstdarstellung, gerade was die stattlichen, potenten Reiter betrifft, ausgezeichnet. Assyrische Reliefs wie Wandmalereien (Abb. 12) betonen die Stattlichkeit der Krieger und hohen Funktionäre mittels Kleidung, Rüstung und auffälligen „Kriegerwaden“ (vgl. die Abgrenzung dagegen in Ps 147,10; Jdt 9,11). Obwohl Ez 23,14–16 sich auf Bilder von Babyloniern bezieht, für die wir keine ikonographischen Quellen haben, können auch die Verse über die Wand reliefs der schmucken Krieger23 hier zugeordnet werden: 14 Aber sie trieb ihre Hurereien noch weiter: Sie sah Männer – ein Relief an der Wand, Bilder von Chaldäern, eingeritzt, in roter Farbe, 15 gegürtet mit einem Gurt um ihre Hüften, herabhängenden Kopfbedeckungen auf ihren Köpfen, sie alle vom Aussehen hervorragender Kämpfer, ein Abbild der Babylonier, deren Geburtsland Chaldää ist. 16 Und als ihre Augen sie sahen, bekam sie Verlangen 24 nach ihnen, und sie sandte Boten zu ihnen nach Chaldäa.
2.3
Abb. 12: Ausschnitt einer Wandmalerei vom Til Barsip (8. Jh. v. Chr.). Ein assyrischer Krieger in voller Rüstung setzt zum Schlag auf den vor ihm kauernden Mann an, der nur mit einem Hemd bekleidet ist. [Keel, Altorientalische Bildsymbolik, Abb. 133]
Tod durch Gewalt
Das „normale“ Sterben ist mit Ausnahme der ägyptischen Totenrituale, wo aufgebahrte Verstorbene oder Tote in ihrer Mumiengestalt dargestellt werden, kein Thema der Ikonographie. Der Tod, der dargestellt wird, ist der Tod 22 Auffällig häufig wird das stolze Sitzen, d. h. Thronen, von Frauen in biblischen Texten mit Prostitution assoziiert (Jer 3,2; Ez 23,41; Spr 9,14). 23 Schroer, In Israel gab es Bilder, 180–187. 24 Das hebr. עגבist nicht nur negativ (im Deutschen „schmachten nach“), ein עגבה ׁשיר ein Sehnsuchtslied.
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der Männer durch herrscherliche oder kriegerische Gewalt.25 Nie wird der Tod in den eigenen Reihen dargestellt, immer der Tod von „Feinden“. Diese erscheinen gefesselt, entblößt, hingeworfen, in chaotischen Haufen, auf dem Bauch oder Rücken liegend, unter dem Fuß des Bezwingers, von einer Waffe durchbohrt, zu Boden gehend oder fallend, am Schopf gepackt, gepfählt und geköpft. Ihre Nacktheit, das dem betrachtenden Blick ausgesetzte Geschlecht, ist entehrend. Die Ausübung von Gewalt ist nicht ganz exklusiv Männern vorbehalten. Im Vorderen Orient können Göttinnen, wenn auch recht selten, bei der Tötung von Feinden dargestellt werden.26 Die eigenhändige Tötung von Männern durch Frauen ist in der altisraelitischen Literatur eine sehr seltene Ausnahme (siehe oben). Gewalt gegen Frauen gehört nicht zum Themenrepertoire der altorientalischen Ikonographie. Ausnahmsweise wird auf einem Relief Assurbanipals (668–627 v. Chr.) der Überfall assyrischer Soldaten auf Nomadinnen im Zelt dargestellt. Vielleicht handelt es sich um Vergewaltigung, vielleicht auch Tötung von Schwangeren (Abb. 13). In der neuassyrischen Kunst erscheinen Frauen sonst aber nur als Deportierte, manchmal neben Männern, Kindern und Vieh (Lachisch-Reliefs), manchmal in geschlechtergetrennten Kolonnen, wie vor allem auf den Balawat-Bronzetoren der Zeit Salmanassars III. (858–824 v. Chr.). Die Demütigung der Frauen wird nicht wie bei Männern durch Fesselung, Entblößung und völlige Nacktheit zum Ausdruck gebracht, sondern durch aufgelöste Haare, offene Brüste und nicht selten durch das Anheben ihres Rocksaums (Abb. 14). Das Auflösen der Haare und das Zerreißen der Oberkleider gehören zu den Trauerriten. Die völlige Entblößung der weiblichen Kriegsgefangenen darzustellen, entsprach nicht den Konventionen, angedeutet wird sie durch das Raffen des Rocks aber dennoch. Das Anheben des Saums ist als ein partielles Aufdecken der Scham zu deuten, ein Hinweis darauf, dass die Frauen den Siegern sexuell zur Verfügung stehen mussten. Schon Alfred Jeremias hat das Motiv der neuassyrischen Kunst mit Jes 47,3; Jer 13,22.26; Ez 23,29; Mi 4,11 und Nah 3,5 in Verbindung gebracht.27 Die biblischen Texte spiegeln auf weite Strecken die Geschlechtervorzeichen der Ikonographie – Gewalt von Männern gegen Männer ist die Norm. Sie unterscheiden sich aber in einer Hinsicht stark von der Kunst: Gewalt gegen Frauen wird in der biblischen Literatur thematisiert, oft sogar in einer kritischen Brechung. Die Texte sind in diesem Punkt weniger stereotyp als die Bilder, die in diesem Fall ganze Bereiche der Wirklichkeit völlig ausblenden. 25 Siehe Angelika Berlejung, „Bilder von Toten – Bilder für die Lebenden“, in Tod und Jenseits im alten Israel und in seiner Umwelt (hg. v. ders. und Bernd Janowski; FAT 64; Tübingen: Mohr Siebeck, 2009), 199–253. 26 Vgl. IPIAO 2, Nr. 518.520.522. 27 Vgl. dazu Gerlinde Baumann, Liebe und Gewalt: Die Ehe als Metapher für das Verhältnis JHWH – Israel in den Prophetenbüchern (SBS 185; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2000), bes. 88f.
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Abb. 13: Relief aus dem Palast Assurbanipals in Ninive (668–627 v. Chr.). Assyrische Soldaten massakrieren Nomaden und Nomadinnen in ihren Zelten. [Keel/Küchler/Uehlinger, OLB 1, Abb. 105]
Abb. 14: Bronzebeschlag eines Torflügels aus Balawat im Irak, Zeit Salmanassars III. (858–824 v. Chr.). Aus einer eroberten und in Brand gesetzten Stadt führen assyrische Soldaten die Bevölkerung weg, nackte Männer, deren Hände auf dem Rücken gefesselt sind, und Frauen, die mit einer Hand ihren Rock hochheben oder öffnen. [Keel, Altorientalische Bildsymbolik, Abb. 136]
2.4
Stolze Städte und ihre Vernichtung
Städte und Länder werden in den Nebiim auf dem Hintergrund altorientalischer Traditionen weiblich personifiziert.28 Die schützende, schöne, auf einem Hügel thronende Stadt verbindet sich symbolisch mit nährenden Müttern, prachtvoll geschmückten Frauen, Göttinnen und Herrscherinnen (Abb. 15). Diesem Symbolfeld lassen sich auch biblische Gestalten wie die Frau von 28 Vgl. den Beitrag von Christl Maier in diesem Band.
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Abb. 15: Ausschnitt aus einem Relief Assurbanipals in Ninive (668–627 v. Chr.). Die Königin Assurscharrat – der Name bedeutet „Assur ist Herrin“ – ist bei einer Siegesfeier zu Ehren des Königs in ihrem Ornat dargestellt, zu dem ein Mauerkronendiadem gehört. [Keel, Deine Blicke sind Tauben, Abb. 8]
Abel-bet-Maacha (1 Sam 21),29 die von der Stadt(mauer) her mit Davids Feldherr verhandelt, oder die personifizierte Weisheit in Spr 1 und 8 zuordnen. Die Stadt ist ein Inbegriff von Sicherheit und stolzem Selbstbewusstsein. Dieses Image hat seine Kehrseite. Die Belagerung oder gar Zerstörung einer Stadt trifft die BewohnerInnen existenziell und traumatisiert sie.30 Klagende Frauen auf den Stadtmauern sind ein Sinnbild der Katastrophe.31 In prophetischen Texten wie auch auf assyrischen Reliefs wird das Motiv als Drohbild wirksam (Jer 9). Wenn die neuassyrische Kriegsikonographie klagende Frauen auf Stadtmauern darstellt (Abb. 16), inszeniert sie die Machtverhältnisse zwischen den siegreichen Assyrern, eroberten Städten und deren Schicksal – Männer fallen in einer aussichtslosen Schlacht, und der Bevölkerung, oft durch Frauen repräsentiert, bleibt nur die Klage.32 Sowohl auf diesen Bildern als auch in biblischen Texten wird das Klagen der Frauen zum abschreckenden Drohbild, allerdings biblisch gegen Juda und Jerusalem, also nach innen 29 Siehe Silvia Schroer, „Die weise Frau auf der Stadtmauer von Abel-bet-Maacha (2 Sam 20,14–22)“, in Seitenblicke: Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch (hg. v. Walter Dietrich; OBO 249; Fribourg: Academic Press, 2011), 394–411. 30 Vgl. den Beitrag von Ruth Poser in diesem Band. 31 Siehe Silvia Schroer, „Biblische Klagetraditionen zwischen Ritual und Literatur: Eine genderbezogene Skizze“, in Klagetraditionen: Form und Funktion der Klage in den Kulturen der Antike (hg. v. Margaret Jaques; OBO 251; Fribourg: Academic Press, 2011), 83–102. 32 Siehe Silvia Schroer, „Trauerriten und Totenklage im Alten Israel: Frauenmacht und Machtkonflikte“, in Tod und Jenseits im alten Israel und in seiner Umwelt (hg. v. Angelika Berlejung und Bernd Janowski; FAT 64; Tübingen: Mohr Siebeck, 2009), 299–321; vgl. die verschiedenen Beiträge in Jaques, Hg., Klagetraditionen.
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Abb. 16: Bronzebeschlag eines Torflügels aus Balawat im Irak, Zeit Salmanassars III. (858–824 v. Chr.). Assyrische Krieger erobern mit Waffen und einer Leiter oder Rampe eine Stadt. Auf deren Zinnen stehen klagende Frauen. Aus der brennenden Stadt wird die Bevölkerung, gefesselte Männer und Frauen in einem langen Zug, unter Bewachung von Soldaten deportiert. [Schroer, „Biblische Klagetraditionen“, Abb. 3]
Abb. 17: Bronzebeschlag eines Torflügels aus Balawat im Irak, Zeit Salmanassars III. (858–824 v. Chr.). Mit einem Rammbock greift die assyrische Artillerie die Stadt Parga an. Gleichzeitig zielen die Soldaten auf die Verteidiger auf den Stadtzinnen. Bereits stürzen Getroffene von der Mauer. [Schroer, IPIAO 4, Nr. 1683]
Abb. 18: Relief Tiglatpilesers III. aus Nimrud (745–727 v. Chr.). Übergroß sind die assyrischen Angreifer und der Rammbock dargestellt, die eine Stadt auf einem Berg bezwingen. Auf der anderen Seite sind Krieger zu sehen, die mittels einer Rampe oder Leiter in die Stadt eindringen. Die Verteidiger der Stadt werden erstochen und von der Mauer geworfen, von Soldaten enthauptet, zur Strafe und Abschreckung gepfählt, nicht wehrtüchtige Personen stehen flehend auf den Zinnen. Die Besiegten sind mehrheitlich unbekleidet und ihr Geschlechtsteil erkennbar. [Keel, Altorientalische Bildsymbolik, Abb. 132]
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gerichtet, nicht gegen einen äußeren Feind. Die vernichtete Stadt wird als ohnmächtige, verzweifelte Frau repräsentiert. Sie wird so zum Gegenbild der stolzen Stadt mit ihren Mauern und Zinnen. Die Eroberung und das Schleifen von Städten, das in der neuassyrischen Kunst so oft als Höhepunkt der imperialen Feldzüge dargestellt wird, erscheinen als brutaler, männlicher Akt. Assyrische Krieger, häufig übergroß, rücken mit Rammböcken, Leitern oder Rampen gegen die Stadtfestung an, nehmen sie in die Zange, brechen ihre Fundamente, setzen sie unter Feuer, töten die Verteidiger, die von den Mauern herunterfallen (Abb. 17–18).
2.5
Frauen an den Eingängen und Fenstern von Wohnräumen und Palästen
Frauen sind in der biblischen Literatur nicht selten bei den Eingängen ihrer Zelte oder Häuser anzutreffen. Auffällig ist, wie häufig in den Erzählungen diese Szenen in den Kontext von Krieg und politischen Konflikten eingebettet sind und wie ernst die Folgen dieser Begegnungen und Konfrontationen sind. Es geht fast immer um Leben und Tod.33 Jaël lotst Sisera in ihr Zelt (Ri 4,17ff.). Jiftachs Tochter kommt aus der Haustür, um ihren aus dem Feld heimkehrenden Vater mit Trommel und Tanz zu empfangen und ihn als Sieger zu feiern (Ri 11,34). Rahab und Michal verhelfen Männern zur Flucht aus dem Fenster (Jos 2,15; 1 Sam 19,12). So unterschiedlich diese beiden Geschichten sind, es verbindet sie, dass sie unter den Vorzeichen bedrohlicher Konflikte stehen und die Frauen als Fluchthelferinnen zugleich Verrat üben. Rahab verrät ihre Stadt und Michal ergreift Partei für David und gegen ihren Vater Saul. Das Fenster hat hier etwas von einer Hintertür. Es ist nicht normal, durch ein Fenster zu steigen, und von außen dringen durch das Fenster nur Diebe oder der Tod ein (Jer 9,21). Erstaunlich häufig halten sich Frauen der Oberschicht am Palastfenster auf, so die Mutter Siseras (Ri 5,28ff.), Michal (2 Sam 6,16) und Isebel (2 Kön 9,30). Die beschriebenen Situationen sind verschieden, aber alle diese Frauen sind gewissermaßen in ihrem Haus auf dem Wachposten, und es geht meistens um Leben und Tod. Siseras Mutter wartet am Fenster auf die Rückkehr ihres Sohnes aus dem Krieg. Es ist ein banges Warten. Michal beobachtet vom Palast aus, wie ihr Mann als Kultführer, ganz in der kanaanäischen Tradition verwurzelt, erotisch tanzend die Lade JHWHs in den Tempel bringt. Ihr Beobachten ist dis 33 Das gilt auch für Erzählungen, die hier nicht weiter thematisiert werden können. Die vergewaltigte Nebenfrau des Leviten liegt nach Ri 19,27 halbtot auf der Schwelle. Amnon wirft nach der Vergewaltigung seine Halbschwester Tamar vor die Tür und besiegelt damit ihr Schicksal (2 Sam 13,17ff.).
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Abb. 19: Elfenbeinplakette aus Arslantasch in Nordsyrien (9/.8. Jh. v. Chr.). In einem Palastfenster mit zurückversetzten Rahmen, über einer Balustrade mit Kapitellen, erscheint frontal der Kopf einer Frau, auf deren Stirn ein Diadem oder Schmuck in Form einer Plakette angebracht ist. [Schroer, IPIAO 4, Nr. 1558]
tanziert, ja voller Verachtung für das Tun des Königs. Michal vertritt eine Tradition oder Kreise in Israel, die Erotik im Kult nicht schätzten. Ob sie historisch so etwas vertreten hat, ist mehr als fraglich. In der Geschichte wird sie als Gegenfigur gebraucht, denn hier ist David im Recht. Der Blick durch das Fenster des Palastes auf das kultische Geschehen in der Öffentlichkeit ist ein wachsamer Blick. Die Königstochter und Frau des Königs bleibt auf Abstand, sie sieht aber alles und ihre vernichtende Kommentierung zeigt, dass Frauen in solcher Position Macht ausüben konnten und man ihr Beobachten und Urteilen fürchtete. Das gilt auch für Isebel, deren Auftritt im Palastfenster eine provokative, letzte Konfrontation mit Jehu ist. Seit langem werden die „Frauen am Palastfenster“ mit der levantinischsyrischen Elfenbeinschnitzerei in Verbindung gebracht, aus der wir das Motiv der Frau am Fenster kennen, das äußerst häufig vorkommt (Abb. 19). Die Täfelchen, gefunden in den großen Hortfunden, die aus Beutezügen assyrischer Herrscher stammen, dekorierten Mobiliar an den Königshöfen. Die Frauen schauen aus einem offenen Fenster bzw. über eine Balustrade mit rückversetztem Rahmen. Das deutet sehr klar auf Palastarchitektur. Fenster spielten bei Tempelgebäuden im Allgemeinen keine so wichtige Rolle. Die Frauen selbst sind durch Frisuren und Schmuck als reiche, schöne Frauen gekennzeichnet. Öfter tragen sie ein Taw oder ein Stirndiadem, möglicherweise Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu einer Gottheit. Ikonographisch reihen sie sich in die Tradition der Göttinnen mit dem freundlich zugewandten Gesicht. Die Frontalität verlangt jedenfalls nach Betrachtung. Der Platz der teuren kleinen Plaketten in der Inneneinrichtung, an Möbeln oder als Wandtäfelung, ist vielleicht ein Hinweis auf eine apotropäische Funktion.
64
3.
Silvia Schroer
Fazit
Der Kult für die Gottheit sicherte aus der antiken Sicht einem Land und seiner Bevölkerung Wohlergehen und Frieden. Die Vernachlässigung eines Kultes gefährdete die lebensnotwendigen, lebensstiftenden sozialen, politischen und sogar kosmischen Ordnungen. Gewalt und Krieg gehören bis heute zu den erschütterndsten Ereignissen menschlichen Erlebens und der Geschichte. Als solche sind sie in der Sicht altorientalischer Kulturen auch Ausdruck zerrütteter Beziehungen zwischen Gottheit(en) und Menschen, Städten, Völkern. Auf vielfältige Weise spielt Gender in diesen Verflechtungen von Kult und Krieg mit Göttern, Göttinnen, Männern und Frauen eine Rolle. Ikonographische Zeugnisse können den Blick für die Genderaspekte in Texten schärfen helfen.
Nichtmännliche Prophetie in Quellen des Alten Orients Martti Nissinen University of Helsinki
1.
Nichtmännliche Prophetie im Alten Orient
Prophetie ist und war ein genderinklusives Phänomen. Unter den Menschen, die als Mittler zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt agieren, finden sich sowohl Frauen als auch Männer und sogar trans- oder intersexuelle Personen. Den anthropologischen und textlichen Belegen nach zu schließen gilt dies für die neuere Zeit ebenso wie für die weit entfernte Vergangenheit.1 Unter den verschiedenen religiösen Handlungsformen scheint die Prophetie die vielleicht am wenigsten genderspezifische zu sein, da sie die Subjekte der prophetischen Tätigkeit typischerweise nicht aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert. Ohne behaupten zu wollen, dass dies immer und überall der Fall gewesen sei, kommt das nicht-genderspezifische Muster in den Quellen doch oft genug vor, um darin ein besonderes Merkmal der prophetischen Divination zu erkennen. Was wissen wir also über die antike Prophetie und woher wissen wir es? Wer das Phänomen der Prophetie im Alten Orient erforschen will, muss sich damit abfinden, dass die Quellen, die die antike Prophetie dokumentieren, spärlich sind und weit auseinanderliegen. Abgesehen von der Hebräischen Bibel stammen die meisten der verfügbaren Textbelege zur Prophetie aus zwei Quellbereichen: dem altbabylonischen Mari und dem neuassyrischen Ninive. Darüber hinaus besitzen wir lediglich vereinzelte Texte aus verschiedenen Epochen und Regionen, die einen nur sehr eingeschränkten Blick auf die Prophetie in anderen historischen Kontexten zulassen.2 Da diese Texte 1
2
Zu den anthropologischen Belegen vgl. Lester L. Grabbe, „‚Her Outdoors‘: An Anthropological Perspective on Female Prophets and Prophecy“, in Prophets Male and Female: Gender and Prophecy in the Hebrew Bible, the Eastern Mediterranean, and the Ancient Near East (hg. v. Corrine L. Carvalho und Jonathan Stökl; AIL 15; Atlanta: SBL, 2013), 11–25; Kirsi Stjerna, „Finnish Sleep-Preachers: An Example of Women’s Spiritual Power“, NR 5 (2001): 102–120; Thomas W. Overholt, Prophecy in Cross-Cultural Perspective: A Sourcebook for Biblical Researchers (SBLSBS 17; Atlanta: Scholars Press, 1986). Die verfügbaren Belege sind zusammengestellt bei Martti Nissinen, Prophets and Prophecy in the Ancient Near East (mit Beiträgen von Choon-Leong Seow, Robert
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Martti Nissinen
von Schreibern und nicht von prophetisch Begabten selbst verfasst sind, sind sie in Bezug auf prophetische Handlungen stets sekundär. Sie gehören unterschiedlichen Gattungen an, die jeweils immer nur einen engen und gattungsspezifischen Blick auf die prophetischen Menschen und auf die historische Bühne ihrer Tätigkeit gewähren. Allerdings bietet sich dank der großen Vielfalt an Gattungen auch die Möglichkeit, prophetisch Begabte und Prophetie aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Zudem beweisen die zeitliche Ausdehnung und die geographische Verteilung der Belege, dass das Phänomen über Jahrtausende hinweg ein dauerhafter Bestandteil der altorientalischen Wahrsagepraxis gewesen ist. Der Gender-Aspekt der prophetischen Tätigkeit variiert je nach kulturspezifischen Mustern und Voraussetzungen. Das Ziel des vorliegenden Artikels, der auf Originalquellen und einer wachsenden Anzahl von Arbeiten über die nichtmännliche Prophetie im Alten Orient basiert,3 besteht darin, eine vollständige Liste weiblicher und anderer nichtmännlicher Subjekte der prophetischen Tätigkeit in den altorientalischen Quellen zu erstellen. Die vorhandenen Belege lassen sich in drei Gruppen einteilen: 1. altbabylonische Texte, überwiegend aus dem Königreich Mari (18. Jh. v. Chr.); 2. assyrische Texte, überwiegend aus den Archiven von Ninive (7. Jh. v. Chr.);
3
K. Ritner und Craig Melchert); WAW 41; Atlanta: SBL, 22019. Im Folgenden verweisen die mit Asterisk (*) versehenen Zahlen auf die in dieser Sammlung enthaltenen Texte; s. Anhang. Z. B. Susan Ackerman, „Why Is Miriam Also among the Prophets? (And Is Zipporah among the Priests?)“, JBL 121 (2002): 47–80; Irmtraud Fischer, Gotteskünderinnen: Zu einer geschlechtsfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel (Stuttgart: Kohlhammer, 2002); Wilda C. Gafney, Daughters of Miriam: Women Prophets in Ancient Israel (Minneapolis: Fortress Press, 2008); Hugh G. Williamson, „Prophetesses in the Hebrew Bible“, in Prophecy and Prophets in Ancient Israel: Proceedings of the Oxford Old Testament Seminar (hg. v. John Day; LHBOTS 531; London: T&T Clark, 2010), 65–80; Jonathan Stökl, „Female Prophets in the Ancient Near East“, in ebd., 47–61; Ders., „Gender ‚Ambiguity‘ in Ancient Near Eastern Prophecy: A Reassessment of the Data behind a Popular Theory“, in Prophets Male and Female: Gender and Prophecy in the Hebrew Bible, the Eastern Mediterranean, and the Ancient Near East (hg. v. Corrine L. Carvalho und Jonathan Stökl; AIL 15; Atlanta: SBL, 2013), 59–80; Hanna Tervanotko, „Speaking in Dreams: The Figure of Miriam and Prophecy“, in ebd., 147–168; Esther J. Hamori, „Childless Female Diviners in the Bible and Beyond“, in ebd., 169–192; Dies., Women’s Divination in Biblical Literature: Prophecy, Necromancy, and Other Arts of Knowledge (AYBRL; New Haven: Yale University Press, 2015); Martti Nissinen, Ancient Prophecy: Near Eastern, Biblical, and Greek Perspectives (Oxford: Oxford University Press, 2017), 297–325.
Nichtmännliche Prophetie in Quellen des Alten Orients
67
3. die Hebräische Bibel, deren relevante Passagen schwierig zu datieren sind, aber vermutlich aus der Zeit zwischen dem 8. und dem 4. vorchristlichen Jahrhundert stammen. Weitere altorientalische Prophetie-Dokumente, die nicht in akkadischer oder hebräischer Sprache verfasst sind,4 erwähnen keine nichtmännlichen Pro phet_innen. Die weibliche Prophetie war jedoch immer ein Merkmal griechischer Orakelpraxis der späteren Perioden, wie sie durch die hinlänglich bekannten Prophetinnen des Apollo in Delphi und Didyma sowie auch durch die Priesterinnen von Dodona repräsentiert wird.5 Sogar das Neue Testament erkennt weibliche Prophetie an,6 und im frühen Montanismus spielten Prophetinnen eine herausragende Rolle.7 Auch wenn im vorliegenden Artikel keine Quellen in griechischer Sprache berücksichtigt werden können, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass nichtmännliche Prophetie kein typisches Merkmal altorientalischer Kulturen, sondern Teil einer Tradition ist, die weite Teile des östlichen Mittelmeerraums umfasst. Was die Gattung betrifft, so besteht das Hauptkorpus der altbabylonischen Belege aus etwa 20 Briefen aus der Korrespondenz des Königs Zimri-Lim von Mari, ferner einigen Verwaltungsdokumenten aus Mari und Larsa, einem Text, der sich auf den Ištar-Ritus in Mari bezieht, und einer lexikalischen Liste. Die assyrischen Dokumente umfassen ein Dutzend schriftlicher Orakelsprüche, die nichtmännlichen prophetisch wirkenden Menschen zugeschrieben werden, ein halbes Dutzend Briefe an König Asarhaddon von Assyrien und einige wenige mittel- und neuassyrische Verwaltungsdokumente, Omentexte und wiederum lexikalische Listen. Die narrativen Texte aus der Hebräischen Bibel erwähnen vier Frauen in den Büchern Exodus, Richter, 2 Könige, 2 Chronik und Nehemia sowie eine namenlose Prophetin im Buch Jesaja und eine namenlose Gruppe prophetisch handelnder Frauen im Buch Ezechiel. Welche historischen Informationen sich aus den verfügbaren Quellentexten 4 5
6 7
D. h. die Zakkur-Stele (*137), die Inschrift von Deir ʽAlla (*138), die ZitadellenInschrift aus Amman (*136), die Stele von Tell Aḥmar/Til Barsip (*143) und die Lachisch-Ostraka (**139–141). Zu den Apollo-Prophetinnen vgl. z. B. Lisa Maurizio, „Anthropology and Spirit Possession: A Reconsideration of the Pythia’s Role at Delphi“, JHS 115 (1995): 69–86; Michael A. Flower, The Seer in Ancient Greece (Berkeley: University of California Press, 2008), 211–239; Antti Lampinen, „Θεῷ μεμελημένε Φοίβῳ: Oracular Functionaries at Claros and Didyma in the Imperial Period“, in Studies in Ancient Oracles and Divination (hg. v. Mika Kajava; AIRF 40; Rom: Institutum Romanum Finlandiae, 2013), 49–88; Nissinen, Ancient Prophecy, 25–27.130–137.191–200.224–242. Lk 2,36–38 erwähnt die Prophetin Hanna, und von den Töchtern des Philippus heißt es, sie seien prophetisch begabt gewesen (Apg 21,9). Vgl. Antti Marjanen, „Female Prophets among Montanists“, in Prophets Male and Female: Gender and Prophecy in the Hebrew Bible, the Eastern Mediterranean, and the Ancient Near East (hg. v. Corrine L. Carvalho und Jonathan Stökl; AIL 15; Atlanta: SBL, 2013), 127–143.
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Martti Nissinen
gewinnen lassen, hängt wesentlich von der Textgattung ab. Bei den schriftlichen Orakelsprüchen und der königlichen Korrespondenz aus Mari und Assyrien handelt es sich um Primärbelege: Aufzeichnungen, die in Abhängigkeit von der Vorliebe und Interpretation des jeweiligen zeitgenössischen Schreibers prophetische Handlungen dokumentieren. Die administrativen und rituellen Texte sind Quellen aus erster Hand, die die Präsenz (nichtmännlicher) Prophet_innen in mesopotamischen Tempeln belegen. Die lexikalischen Listen zeigen, wie Prophet_innen mit sozioreligiösen Gruppen in Verbindung gebracht wurden. Die Bibelstellen, die nichtmännliche Subjekte von Prophetie erwähnen, sind in sekundäre literarische Kontexte eingebettet und deshalb von den Umständen, auf die sie sich beziehen, historisch weiter entfernt. Sie können als Hinweise auf die Deutung und den mutmaßlichen Einfluss mehr oder weniger weit zurückliegender prophetischer Tätigkeiten gelesen werden und liefern in einigen Fällen sogar belastbare historische Informationen. An prophetischer Tätigkeit beteiligte nichtmännliche Personen lassen sich in den Quellen auf zweierlei Weise erkennen: Erstens verwendet sowohl die akkadische als auch die hebräische Sprache bestimmte Begriffe für prophetische Aktivität und für die Ausübenden. Zweitens lassen sich auch solche Personen, die keinen prophetischen oder anderen Titel tragen, als Subjekte prophetischer Tätigkeit benennen, wenn sie tun, was Propheten tun, nämlich ohne Verwendung induktiver Methoden göttliche Botschaften überbringen.8
2.
Nichtmännliche Prophet_innen in altbabylonischen Quellen
2.1
Muḫḫūtum und āpiltum
In den altbabylonischen, in akkadischer Sprache verfassten Texten gibt es zwei unterschiedliche Bezeichnungen, die ausschließlich für Prophetinnen verwendet werden. Beide sind Entsprechungen zu einem für männliche Propheten verwendeten maskulinen Nomen. Die gebräuchlichere der beiden ist von dem Verb maḫû abgeleitet, das ein Verhalten der Raserei bezeichnet. Die altbabylonische Form muḫḫūtum erscheint in einer lexikalischen Liste als Äquivalent zum sumerischen mí-lú-gub-ba. Dieser Eintrag folgt auf die ent8
Zur Definition von Prophetie als einer nicht-induktiven (oder nicht-technischen) Methode des Wahrsagens, d. h. der Erlangung göttlichen Wissens, vgl. Manfred Weippert, Götterwort in Menschenmund: Studien zur Prophetie in Assyrien, Israel und Juda (FRLANT 252; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014), 231f.; Jonathan Stökl, Prophecy in the Ancient Near East: A Philological and Sociological Comparison (CHANE 56; Leiden: Brill, 2012), 7–11; Nissinen, Ancient Prophecy, 19–23.
Nichtmännliche Prophetie in Quellen des Alten Orients
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sprechende männliche Bezeichnung muḫḫûm, das Pendant zum sumerischen lú-gub-ba (*120). Beide Einträge stehen in der Nähe von Bezeichnungen für Männer und Frauen mit ekstatischem Verhalten (zabbu, zabbatu). Die zweite Bezeichnung, āpiltum, ist das feminine Pendant zum weitaus häufigeren āpilum, das von dem Verb apālum abgeleitet ist und so etwas wie „Übersetzer“ oder „Sprecher“ bedeutet.9 Die Frauen, die den Titel muḫḫūtum tragen, werden ausnahmslos als Prophetinnen weiblicher Gottheiten dargestellt. Ein ritueller Text über das IštarRitual, das jährlich in der Stadt Mari gefeiert wurde, erwähnt Prophetinnen (Pl. muḫḫâtum) unter denjenigen Personen, die das Ritual vollziehen (*52).10 In einem Dokument aus der babylonischen Stadt Larsa aus der Zeit des Königs Rim-Sin I. (frühes 18. Jh. v. Chr.) wird eine namenlose Frau als eine von mehreren Personen aufgeführt, die Silber erhalten haben. Die betreffende Frau, die als muḫḫūtum (mí.lú.gub.ba) der Inanna von Zabala bezeichnet wird, erhält einen halben Schekel Silber (*135g). Eine andere, kaum bekannte Erscheinungsform der Göttin Ištar, die Ištar von Bišra, spricht ebenfalls durch eine muḫ[ḫūtum]. Dies berichtet Ḫammi-šagiš seinem Vater, dem Beamten Šu-nuḫra-Ḫalu. Den wenigen erhaltenen Wörtern nach zu urteilen, geht es in der göttlichen Botschaft um göttlichen Schutz (*50b).11 Die übrigen Frauen, die den Titel muḫḫūtum tragen, werden mit Annunitum in Verbindung gebracht, einer der Ištar ähnlichen Göttin, die in Mari einen bedeutenden Tempel hatte.12 Annu-tabni, eine muḫḫūtum der Annunitum, wird einem Verwaltungsdokument aus Mari zufolge von dem Hofbeamten Mukannišum mit einigen Kleidungsstücken belohnt (*58, Zeilen 6–10): Ein uṭublum-Gewand von zweiter Qualität und zwei gewebte Turbane für Annutabni, Prophetin der Annunitum.
9
Vgl. Paolo Merlo, „āpilum of Mari: A Reappraisal“, UF 36 (2004): 323–332; Stökl, Prophecy in the Ancient Near East, 43. 10 Ein weiterer Text, der zum selben Ritual gehört, erwähnt einen männlichen Propheten in einer ähnlichen Rolle (*51). 11 Vgl. Dominique Charpin, „Prophéties et rêves ‚censurés‘ dans les archives royales de Mari“, in Comment devient-on prophète? Actes du colloque organisé par le Collège de France, Paris, les 4–5 avril 2011 (hg. v. Jean-Marie Durand, Thomas Römer und Micaël Bürki; OBO 265; Fribourg: Academic Press, 2014), 23–33. Ištar von Bišra kommt außerdem in *42 vor; zu dieser Göttin vgl. Jean-Marie Durand, „La religion à l’époque amorrite d’après les archives de Mari“, in Mythologie et religion des sémites occidentaux 1: Ebla, Mari (hg. v. Gregorio del Olmo Lete; OLA 162; Leuven: Peeters, 2008), 163–631; 249.270.288. 12 Zu Annunitum vgl. Spencer L. Allen, The Splintered Divine: A Study of Ištar, Baal, and Yahweh Divine Names and Divine Multiplicity in the Ancient Near East (SANER 5; Berlin: de Gruyter, 2015), 192–197.
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Martti Nissinen
Zwei Briefe aus Mari beziehen sich möglicherweise auf ein und dieselbe muḫḫūtum. Der Beamte Baḫdi-Lim berichtet, dass Aḫum, ein Priester des Tempels der Annunitum in der Stadt Mari (*11), ihm ein Haar und eine Franse vom Gewand einer muḫḫūtum gebracht habe. Manchmal wurden den Briefen, stellvertretend für den prophetischen Menschen selbst, eines seiner Haare und eine Franse von seinem Gewand beigelegt, wenn die Glaubwürdigkeit seiner Worte sich gegen andere Methoden der Wahrsagerei behaupten musste.13 Außerdem schickt Baḫdi-Lim die „Tafel des Aḫum“ mit. Hierbei handelt es sich möglicherweise um den Brief, in dem Aḫum selbst zwei Orakelsprüche der muḫḫūtum Ḫubatum wiedergibt, die sich auf Zimri-Lims Sieg über die jaminitischen Stämme beziehen (*10).14 Addu-duri, Zimri-Lims Mutter, schreibt dem König von einem unheilverkündenden Traum, den sie selbst gehabt habe, und zitiert außerdem eine namenlose muḫḫūtum, die im Tempel der Annunitum aufgestanden sei und die Warnung der Göttin vor diesem Feldzug überbracht habe (*42, Zeilen 21–26): Eine andere Sache: Eine Prophetin stand auf im Tempel der Annunitum und sprach: „Zimri-Lim, zieh nicht zu Feld! Bleib in Mari, und ich werde weiter antworten.“
Auch Addu-duri legt ein Haar und eine Gewandfranse bei, allerdings nicht die eines Propheten, sondern ihre eigene (*42). Die zweite Bezeichnung, āpiltum, ist nur zweimal belegt. Eine Frau, die diesen Titel trägt, wird namentlich vorgestellt: Inib-šina, die Schwester des Königs Zimri-Lim, berichtet von einem Orakelspruch, den die āpiltum Innibana verkündet habe. Der Wortlaut der göttlichen Botschaft ist stark beschädigt, aber es scheint, dass sie den König davor warnt, sich in seinen Bewegungen und Handlungen allzu große Freiheiten herauszunehmen, solange seine Feinde „über seinen Grenzen kreisen“ (*14). Ein zweites Mal erscheint das Wort im Brief des Nur-Sîn, Zimri-Lims Repräsentanten im Königreich Aleppo. Nur-Sîn bezieht sich nicht auf eine bestimmte Person, sondern spricht von Propheten als einer nicht näher definierten Gruppe (*1, Zeilen 34–45): Früher, als ich noch in Mari gewohnt habe, konnte ich meinem Herrn jedes Wort, das von einem Propheten oder einer Prophetin (āpilum u āpiltum) gesprochen worden war, überbringen. Sollte ich also jetzt, da ich in einem anderen Land lebe, meinem Herrn nicht alles mitteilen, was ich höre und was man mir erzählt? Sollte irgendetwas nicht in Ordnung sein, dann soll mein Herr nicht sagen kön13 Vgl. z. B. Esther J. Hamori, „Gender and the Verification of Prophecy at Mari“, WO 42 (2012): 1–22. 14 Zu Zimri-Lims Kriegen gegen die Jaminiten vgl. Dominique Charpin und Nele Ziegler, Florilegium marianum 5: Mari et le Proche-Orient à l’époque amorrite, Essai d’histoire politique (NABU.M 6; Paris: SEPOA, 2003), 190f.194f.
Nichtmännliche Prophetie in Quellen des Alten Orients
71
nen: „Warum hast du mir das Wort, das der Prophet (āpilum) zu dir gesprochen hat, als er dein Gebiet beanspruchte, nicht mitgeteilt?“ Hiermit teile ich es meinem Herrn mit. Mein Herr sollte dies wissen.
Nur-Sîn will also den König von seiner unverminderten Aufmerksamkeit für göttliche Botschaften überzeugen. Die unpersönliche Art, wie er die Propheten als eine Gruppe von Männern und Frauen erwähnt, sagt nichts über die Prophetinnen im Besonderen aus, die vielmehr auf eine Ebene mit den männlichen Propheten gestellt werden. Nur-Sîn zitiert einen männlichen āpilum und einen von „Propheten“ (āpilū) verkündeten Orakelspruch, was als genderinklusiver Bezug aufgefasst werden kann. Der Unterschied zwischen den beiden Bezeichnungen muḫḫūtum und āpiltum ist alles andere als klar. Die verfügbaren Belege deuten möglicherweise an, dass die Rolle des männlichen muḫḫûm stärker an den Tempel gebunden war, während der männliche āpilum ortsunabhängiger war und auch am königlichen Hof angestellt sein konnte.15 Aufgrund der Seltenheit des Wortes āpiltum lässt sich kaum sagen, ob zwischen den entsprechenden weiblichen Bezeichnungen ebenfalls eine solche Unterscheidung getroffen werden kann. Gleichwohl verdient es Beachtung, dass die Prophetinnen in keinem der beiden Fälle einem bestimmten Tempel zugeordnet werden.
2.2
Frauen mit nicht-prophetischen Titeln
Nichtmännliche Personen, die prophetisch agieren, tragen zuweilen Titel, die nicht spezifisch auf Prophetie, sondern vielleicht auf eine andere Rolle hinweisen. In den Briefen aus Mari werden göttliche Worte von einer Frau übermittelt, die den Titel qammatum trägt. Dieser Titel wird dreimal verwendet und bezieht sich vermutlich immer auf dieselbe namenlose Frau (**7, 9, 13). Sie wird als „qammatum des Dagan von Terqa“ bezeichnet, also mit Dagan und wahrscheinlich auch mit dem Haupttempel dieser Gottheit in der Stadt Terqa in Verbindung gebracht. Die Bedeutung des Titels selbst ist unklar und bezieht sich nicht zwangsläufig auf eine prophetische Funktion. Die Botschaft der qammatum war gegen den Friedensschluss zwischen den Königreichen Mari und Ešnunna gerichtet und wird von drei unterschiedlichen Briefschreibern erwähnt, die alle eine Art Sprichwort – šapal tibnim mû illakū: „Unter Stroh läuft Wasser“ – zitieren, den Wortlaut des Orakels ansonsten aber unterschiedlich wiedergeben.16 Sowohl Inib-šina, die Schwester des Königs, als 15 Vgl. Durand, „La religion à l’époque amorrite“, 420–423.445–450; Stökl, Prophecy in the Ancient Near East, 43–49. 16 D. h. Inib-šina (*7, Zeilen 11–19), Sammetar (*9, Zeilen 41–50) und Kanisan (*12, Zeilen 7–16), der den Orakelspruch in der Tat als die Worte eines männlichen Propheten (muḫḫûm) zitiert. Diese Diskrepanz ist möglicherweise auf die Kommunika-
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Martti Nissinen
auch der hohe königliche Beamte Sammetar erzählen, die qammatum sei mit ihrer Botschaft zu ihnen gekommen. Beide Briefschreiber beziehen sich möglicherweise auf zwei verschiedene Schritte desselben Ereignisses, denn Sammetar sagt, er habe die Frau mit einem Gewand und einem Nasenring belohnt und diese habe danach „ihre Anweisungen der Hohepr[iesterin In]ib-šina im Tempel Belet-ekallim überbracht“ (*9, Zeilen 51–54). Dies alles spricht dafür, dass das von ihr übermittelte göttliche Wort – wie auch immer diese Anweisungen (wu’’urtum) gelautet haben mögen und wie auch immer es um den gesellschaftlichen Rang der qammatum bestellt gewesen sein mag – ernstgenommen wurde. Neben Personen, die der Text mit prophetischen oder anderen Bezeichnungen versieht, kommen auch Frauen vor, die eine prophetische Funktion ausüben, ohne einen bestimmten Titel zu tragen. Dies gilt insbesondere für die Briefe aus Mari: In ihnen wird von verschiedenen göttlichen Botschaften berichtet, die von Frauen übermittelt wurden, ohne dass diese eine im engeren Sinne prophetische Rolle ausgeübt hätten. Es kommt vor, dass ein Brief vom Traum einer titellosen Frau handelt17 oder dass die Absenderin von einem ihrer eigenen Träume erzählt. Zunana schreibt dem König, dass Dagan sich ihr in einem Traum geoffenbart habe, der ihr Dienstmädchen betraf (*37), und Addu-duri, Zimri-Lims Mutter, schildert zwei eigene, unheilverkündende Träume, die sie auf die Sicherheit ihres Sohnes bezieht (**42, 43). Einige Briefschreiber berichten von göttlichen Botschaften, die von gewöhnlichen Frauen übermittelt worden seien. Kibri-Dagan erzählt von einer namenlosen „Frau, der Gemahlin eines freien Mannes“ (ištēn awīltum aššat awīlim), die behauptet habe, Dagan hätte sie mit einer beschwichtigenden Nachricht zu Zimri-Lim geschickt und den Sturz des babylonischen Königs Hammurabi vorhergesagt (*20, Zeilen 11–12´): Dagan hat mich gesandt. Schreib deinem Herrn, dass er sich nicht sorgen und dass [auch] das La[nd] sich nicht sorgen soll. [Ha]mmurabi, [König vo]n Babylon […… ra]st seinem völligen Ruin entgegen.
Königin Šibtu schreibt von einem Auftritt der Aḫatum, Dienstmädchen (ṣuḫartum) des Dagan-malik im Tempel der Annunitum, der ihr von Aḫum, dem Priester des Tempels, geschildert worden sei: Das Mädchen sei in Trance verfallen und habe ein Orakel verkündet, in dem die Gottheit (vermutlich Annunitum) versprochen habe, Zimri-Lims Feind in seine Hand zu geben, obwohl er der Gottheit gegenüber so nachlässig sei (*24). tionskette zurückzuführen: Kanisan schreibt, was er von seinem Vater gehört hat, der wiederum von anderen über das Orakel erfahren hat; Kanisan weiß also nicht unbedingt, wer tatsächlich gesprochen hat. 17 D. h. *41, die Vision der Kakka-lidi, und *36, der Traum der Ayala, einer ansonsten unbekannten Frau.
Nichtmännliche Prophetie in Quellen des Alten Orients
2.3
73
Assinnu
Eine gut bezeugte Bezeichnung von Personen, die an prophetischer Tätigkeit beteiligt sind, lautet assinnu und ist für die gesamte Keilschriftperiode vom dritten bis zum Ende des ersten vorchristlichen Jahrtausends belegt.18 Gemeinsam mit einer weiteren Bezeichnung, kurgarrû, wird der Titel assinnu für rituelle Funktionsträger verwendet, die eng mit der Verehrung der Göttin Ištar in Verbindung gebracht werden. Man begegnet ihnen bei Aufführungen von rituellen Dramen wie beispielsweise Schlachtenszenen, bei Reinigungsriten und Krankheitsritualen. Ein Text aus der mittelassyrischen Stadt KarTukulti-Ninurta (*123) erwähnt sie gemeinsam mit Propheten und Prophetinnen als Empfänger von Essensrationen. Dieser Beleg stellt die Prophetie nicht als die Hauptbeschäftigung der assinnu dar, wenngleich Personen, die diese Bezeichnung tragen, zumindest in Mari, wie wir bald sehen werden, auch die Rolle von Propheten übernehmen konnten. In lexikalischen Listen werden die assinnu genau wie die kurgarrû regelmäßig mit Propheten und anderen Ekstatikern und diversen kultischen Funktionsträgern insbesondere aus den Bereichen der Klage und der Magie in Verbindung gebracht.19 Wenn die sozioreligiöse Stellung der assinnu der der prophetisch Tätigen so nahe war, wie die lexikalische Anordnung vermuten lässt, dann könnte dies erklären, weshalb sie an der Übermittlung göttlicher Botschaften beteiligt waren. Was aber spricht dafür, die assinnu im Kontext einer nichtmännlichen prophetischen Handlungsform zu thematisieren? Grund hierfür ist, dass der assinnu zwar keine Frau war, aber auch nicht den Erwartungen an eine traditionell männliche Performance entsprach. Die Übersetzungen des Wortes umfassen Begriffe wie „Kult-Homosexueller“ und „Kult-Prostituierter“; ferner hat man die assinnu je nach zugrundeliegender (oder gar nicht vorhandener) Gendertheorie als Transvestiten, Hermaphroditen und Personen des dritten Geschlechts beschrieben. Und schließlich gibt es Forscherinnen und Forscher, die die genderambivalenten Merkmale der assinnu bestreiten.20 Während die Quellen nicht genügend Aufschluss über irgendwelche Details der geschlechtlichen Performance der assinnu bieten, gibt es doch im Quellenmaterial ver18 Das sumerische Äquivalent saĝ-ur-saĝ wird bereits in Texten aus der Ur-III-Periode verwendet, und die letzten Okkurrenzen von assinnu finden sich in Texten aus der Arsakidenzeit. Vgl. Saana Svärd und Martti Nissinen, „(Re)constructing the Image of the Assinnu“, in Studying Gender in the Ancient Near East (hg. v. Saana Svärd und Agnès Garcia Ventura; University Parks: Eisenbrauns, 2018), 373–411. 19 S. **124, 126; weitere Beispiele bieten Svärd/Nissinen, „(Re)constructing the Image of the Assinnu“. 20 Ilona Zsolnay, „The Misconstrued Role of the assinnu in Ancient Near Eastern Prophecy“, in Prophets Male and Female: Gender and Prophecy in the Hebrew Bible, the Eastern Mediterranean, and the Ancient Near East (hg. v. Corrine L. Carvalho und Jonathan Stökl; AIL 15; Atlanta: SBL, 2013), 81–99; vgl. auch Stökl, „Gender ‚Ambiguity‘ in Ancient Near Eastern Prophecy“.
74
Martti Nissinen
schiedener Regionen und Epochen übereinstimmende Hinweise darauf, dass das geschlechtsbezogene Handeln der assinnu in irgendeiner Form von der Norm abwich und mit Ištars Macht zu tun hatte, die Gendergrenzen zu überschreiten und das Geschlecht zu verändern. Es hat nicht den Anschein, als hätten sie in der Gesellschaft eine konventionell männliche Handlungsweise und Funktion übernommen; vielmehr werden sie als Personen dargestellt, deren Männlichkeit von Ištar selbst in Weiblichkeit umgewandelt worden ist.21 Zwei Personen, die den Titel assinnu tragen, sind in den Dokumenten aus Mari namentlich bekannt: Sie heißen Ili-ḫaznaya und Šelebum und werden beide im Zusammenhang mit einer Silberzahlung an den Tempel der Annunitum erwähnt (*65b). Königin Šibtu berichtet ihrem Ehemann Zimri-Lim von einer Botschaft, die Ili-ḫaznaya, assinnu der Annunitum, im Tempel der An nunitum übermittelt habe. Die Botschaft ist fast vollständig weggebrochen, doch das Wenige, was übrig ist, legt nahe, dass die Botschaft Babylon und seinen König Hammurabi betraf (*22). Die Briefe, die Šelebum, den anderen assinnu, erwähnen, sind besser erhalten. Inib-šina, Zimri-Lims Schwester, bezieht sich auf ihre vorangegangene Botschaft, die sie jedoch nicht wörtlich zitiert; darin war von einem Orakelspruch die Rede gewesen, den Šelebum übermittelt hatte. Da sie im weiteren Verlauf ihres Briefes jedoch von dem oben angeführten Orakel der qammatum über den Frieden mit Ešnunna berichtet, darf man annehmen, dass das von Šelebum übermittelte göttliche Wort zu diesem in inhaltlicher Beziehung stand. Einer von Šibtus Briefen befasst sich ausschließlich mit Šelebum, der im Tempel der Annunitum in Trance verfallen war und den folgenden Orakelspruch verkündet hatte (*23, Zeilen 7–22): So spricht Annunitum: Zimri-Lim, du wirst in einem Aufstand geprüft werden! Schütze dich! Umgib dich mit deinen bevorzugten Dienern und lass sie bei dir bleiben, um dich zu beschützen! Geh nicht alleine umher! Was die Menschen betrifft, die [dich] prü[fen] werden: Diese Men[schen] lief[ere ich] in deine Hände [aus].
Šelebum selbst schildert – so sehr der König seine Dienste aufgrund der Berichte der königlichen Frauen auch geschätzt haben mag – sein Leben doch in eher düsteren Farben. Ein(e) Briefschreiber(in) (Absender- und Empfängername sind weggebrochen) erzählt, dass Šelebum zu ihm/ihr gekommen sei und sich über seine unangemessenen Lebensumstände beklagt habe; er ernähre sich von Haferbrei und lebe „in Unmengen von Scheiße und Pisse“ (*8). Der Hinweis auf seine unzureichende Nahrungsversorgung („idatum-Bier wurde
21 So das Erra-Gedicht 4:52–59; vgl. Ilan Peled, „assinnu and kurgarrû Revisited“, JNES 73 (2014): 283–297; 287f.
Nichtmännliche Prophetie in Quellen des Alten Orients
75
von Annunitum genommen“) vermittelt den Eindruck, dass er von den Verpflegungsrationen des Tempels abhängig war.
3.
Nichtmännliche Prophet_innen in assyrischen Quellen
3.1
Maḫḫūtu
Das assyrische Wort maḫḫūtu entspricht sprachlich dem altbabylonischen muḫḫūtum, weist aber ein anderes soziolinguistisches Profil auf. Eine neuassyrische lexikalische Liste verzeichnet das Wort als Pendant zum sumerischen mí-al-è-dè (*125, Zeile 119). Auch hier wird maḫḫūtu in derselben Gruppe wie das maskuline lú-al-è-dè = maḫḫû und die männlichen und weiblichen Ekstatiker (zabbu, zabbatu) aufgeführt; demnach folgt die Liste – die vermutlich auch Rückschlüsse auf die zeitgenössische sozioreligiöse Praxis erlaubt – der altbabylonischen lexikalischen Tradition. Das lässt sich aus der gemeinsamen Erwähnung von Propheten, Prophetinnen, Ekstatikern und Ekstatikerinnen in einem Text aus dem Ritual der Ištar und des Dumuzi ableiten, das am 28. und 29. Tag des Monats Tammuz vor einer von Geistern oder vom Bösen besessenen Person vollzogen wurde. Das Ritual wird in der Gegenwart bestimmter Akteure durchgeführt, zu denen ein Prophet und eine Prophetin (maḫḫû, maḫḫūtu) sowie ein Ekstatiker und eine Ekstatikerin (zabbu, zabbatu) gehören (*118, Zeile 31). In der Omenliteratur wird das Wort maḫḫūtu dreimal auf recht interessante Weise verwendet. Die starke Präsenz männlicher wie weiblicher prophetisch Tätiger in einer Stadt wird in der Reihe der Städteomen Šumma ālu als ungünstiges Omen aufgeführt (*129, Zeilen 101f.): Wenn es viele Propheten (maḫḫû) in einer Stadt gibt, wird die Stadt fallen. Wenn es viele Prophetinnen (maḫḫātu) in einer Stadt gibt, wird die Stadt fallen.
Die Omenliste ist ähnlich strukturiert wie die lexikalischen Listen und stellt Seher (Propheten, Träumer, Haruspizes usw.), kultische Darsteller (Musiker, Tänzer, kurgarrû) und Menschen mit verschiedenartigen Behinderungen wie hinkende Männer und Frauen, „verrückte“ Männer und Frauen, Menschen mit Hautkrankheiten, taube und blinde und verkrüppelte Menschen in Gruppen zusammen. Die Logik der Omenliste ist schwierig zu erklären; ihr zufolge geht es einer Stadt gut, wenn darin viele „Verrückte“, viele Rothäutige und viele Tänzer leben, während Propheten ebenso wie die meisten anderen
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Gruppen einschließlich der weisen Männer, der Musiker und der Haruspizes als ungünstige Omen gewertet werden. Das Einzige, was man als Berührungspunkt zwischen Wahrsagern, kultischen Darstellern und behinderten Menschen annehmen kann, ist die Tatsache, dass sie – als Mittler oder weil ihr Leib von einer Gottheit gezeichnet ist – eine Grenzposition zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt innehaben. In den Geburtsomina der Reihe Šumma izbu ist die Vorstellung dahinter eher zu verstehen (*127): Wenn das rechte Ohr einer Missgeburt verkürzt und windgebläht ist, werden Prophetinnen das Land übernehmen. Wenn das linke Ohr einer Missgeburt verkürzt und windgebläht ist, wird dasselbe mit dem Land des Feindes geschehen.22
Grundgedanke scheint hier die Links-Rechts-Dichotomie zu sein.23 Die linke Seite zeigt üblicherweise einen negativen Wert an; demnach wäre die Anwesenheit von Prophetinnen im eigenen Land ein günstiges Omen (rechtes Ohr), wohingegen ihre Präsenz im Feindesland (linkes Ohr) für das eigene Land weniger günstig wäre. Diese Logik ließe sich unter Umständen auch auf die Stadtomina anwenden, wenn man annimmt, dass die dort erwähnte ominöse „Stadt“ einem Feind gehört. In den oben erwähnten Texten – lexikalischen Listen, rituellen Texten und Omina – wird das Wort maḫḫūtu im allgemeinen Sinne verwendet. Lediglich in zwei Verwaltungsdokumenten wird der Begriff – beide Male im Plural und ohne Namensnennung – mit Bezug auf bestimmte Individuen gebraucht. Auf einer langen mittelassyrischen Liste mit Essenszuteilungen aus Kar-TukultiNinurta sind Lieferungen von Gerste verzeichnet, die die Tempelbeamten unter dem Tempelpersonal verteilen sollen (*123): Zehn Hómer, vier Sea, fünf Liter für Aššur-apla-iddina am zweiten Tag für die Essensrationen der Propheten und Prophetinnen (maḫḫu’ē maḫḫu’āte) und die assinnu des Ištar-Tempels.
Dieser Text bezieht sich ohne Zweifel auf konkrete Bedienstete des IštarTempels in der mittelassyrischen Hauptstadt. Er weist auch darauf hin, dass die gemeinsame Nennung von Propheten und assinnu, die in den Listen häufig vorkommt, in der Struktur der Tempelgemeinschaften ihre Entsprechung findet. Dass an einem bedeutenden assyrischen Tempel Prophetinnen vertre22 Der Kommentar zu diesem Omen (*128) macht deutlich, dass das Wort maḫḫātu „besetztes Volk“ (šēḫu) bedeutet. 23 Vgl. Ann K. Guinan, „Left/Right Symbolism in Mesopotamian Divination“, SAAB 10 (1996): 5–10.
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ten waren, belegt auch eine neuassyrische Liste über Aufwendungen für Zeremonien im Ešarra-Tempel, das heißt im Tempel der obersten assyrischen Gottheit Aššur in der Stadt Assur (*110): Die Aufwendung für den göttlichen Rat: [Der K]onditor erhä[lt] 1 Sea Honig, 5 Liter Öl und 4 Sea, [5 Liter Sesam. Die Bäcker erhalten] 10 Hómer Gerste für Brot und 5 Hómer Weizen für qa[dūtu]-Brot. Die Brauer erhalte[n] 1 Hómer, 5 Liter (Gerste) für die anwesenden Prophetinnen. Gesamt: 1 Sea, 4 Liter Honig, 5 Liter Öl, 4 Sea, 5 Liter Sesam, [11 Hómer, 5 Sea Gerste], 5 Hómer Weizen. All das [ist die Aufwendung für den göttlichen Rat].
Dieser Text datiert aus der Zeit von Adad-nirari III. (809 v. Chr.) und bezieht sich auf mehrere unterschiedliche kultische Anlässe in Ešarra. Die Zeremonie, an der die Prophetinnen beteiligt sind, ist die Feier des göttlichen Rats, was durchaus sinnvoll erscheint, wenn man die Mittlerfunktion der Prophetinnen bedenkt. Da dieser Text, der einer bestimmten Zeremonie zugeordnet ist, keine männlichen Propheten erwähnt, liegt die Vermutung nahe, dass an dieser Zeremonie nur Prophetinnen teilnahmen. Die Verwendung von maḫḫūtu in den erhaltenen neuassyrischen Texten ist eher gattungsspezifisch: Der Begriff findet sich lediglich in lexikalischen Listen, Ominatexten und Verwaltungsdokumenten. Solange keine weiteren Funde andere Rückschlüsse zulassen, liegt die Vermutung nahe, dass das Wort maḫḫūtu in der neuassyrischen Umgangssprache nicht die geläufige Bezeichnung für eine Prophetin war, sondern eher der Amts- und Literatursprache angehörte.
3.2
Raggintu
In der neuassyrischen Umgangssprache scheint nicht maḫḫūtu, sondern raggintu die üblichere Bezeichnung für eine Prophetin gewesen zu sein. Weder in literarischen Texten noch in Verwaltungsdokumenten, wohl aber in Briefen und schriftlichen Orakelsprüchen werden Prophetinnen raggintu genannt.24 Dieses Wort und sein männliches Pendant raggimu sind vom Verb ragāmu abgeleitet, das „laut rufen“ und „verkünden“ bedeutet. Raggintu ist ein ausschließlich neuassyrisches Wort25 und kann in dieser Epoche als der übliche Titel einer Prophetin gelten. Nur zwei oder drei der in den Texten als raggintu titulierten Frauen sind namentlich bekannt. Eine schlecht erhaltene Tafel enthält das Fragment eines Orakelspruchs an Assurbanipal, die von Dunnaša-amur ausgesprochen wur24 Briefe: **105, 109, 111; schriftliche Orakelsprüche: 92, 95. 25 Das männliche Wort raggimu ist, von einem einzigen Vorkommen in einer spätbabylonischen lexikalischen Liste abgesehen (*135q), ebenfalls neuassyrisch.
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de, „der Prophetin, die pro[phezeite…]“ (*95). Der Titel ist logographisch als mí.gub.ba geschrieben: Die Aussprache ist (und war) dem Leser überlassen, sollte aber höchstwahrscheinlich als raggintu gelesen werden.26 Zwei weitere Fälle sind klarer. Ein Bericht über ein Orakel aus der Zeit des Assurbanipal wird der raggintu Mullissu-kabtat zugeschrieben, deren Name gleich am Anfang der Tafel als Kolophon dient (*92). Die Tafel enthält einen oder mehrere Orakelsprüche27 der Mullissu, das heißt der Ištar von Ninive, die an Assurbanipal gerichtet sind, der offenbar noch Kronprinz von Assyrien ist und im Palast der Nachfolge lebt. Das Orakel sichert Assurbanipal für seine Zeit als König die Hilfe der Göttin, Macht über seinen eigenen Hofstaat und über die Könige anderer Länder sowie die mütterliche Fürsorge der Göttin zu (*92, Zeilen r. 6–11): Du, dessen Mutter Mullissu ist, hab keine Furcht! Du, dessen Amme die Frau von Arbela ist, hab keine Furcht! Wie eine Amme werde ich dich auf meiner Hüfte tragen. Ich werde dich, einen Granatapfel, zwischen meine Brüste legen. Bei Nacht werde ich wach sein und dich behüten; den Tag über werde ich dir Milch geben, bei Morgengrauen werde ich dich beruhigen. Hab keine Furcht, mein Kalb, das ich großziehe!
Eine zweite namentlich bekannte raggintu ist Mullissu-abu-uṣri, deren Orakel Thema eines an den König (Asarhaddon) geschriebenen Briefs ist. Der Verfasser ist Adad-aḫu-iddina, ein Tempelverwalter, der wahrscheinlich am Tempel von Ešarra in der Stadt Assur tätig war. Er erzählt, dass Mullissuabu-uṣri, die zuvor bereits die Gewänder des Königs in „das Land Akkad“ befördert hatte, prophezeit habe, dass sogar der Thron fortgeschickt werden sollte (*111, Zeilen 11–r. 9): Der Thron aus dem Tempel […] Lass den Thron gehen! Ich werde die Feinde meines Königs damit fangen!
Der Tempelverwalter sträubt sich, dem Orakel Folge zu leisten, und verspricht, gemäß den Befehlen des Königs zu handeln. Es ist möglich, dass sowohl die Gewänder des Königs als auch der Thron beim Ersatzkönig-Ritual Verwendung finden sollten, das anlässlich der Mondfinsternis im Monat Tebet (dem zehnten Monat) des Jahres 671 v. Chr. in der gerade erst wiedererrichteten 26 So Simo Parpola, Assyrian Prophecies (SAA 9; Helsinki: Helsinki University Press, 1997), xlvi; vgl. Stökl, Prophecy in the Ancient Near East, 152, der für das Logogramm die Lesart maḫḫūtu bevorzugt. Dieselbe Frau ist auch die Sprecherin in *94; der Titel ist beschädigt, aber sie wird dort wahrscheinlich als [eine Frau von Arbe]la ([mar’at Arba]il) vorgestellt. 27 Der erste Teil des Texts (Zeilen 2–11) ist möglicherweise ein Zitat aus einem früheren Orakelspruch; vgl. Weippert, Götterwort in Menschenmund, 120f.
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Kultstätte von Akkad stattfand.28 Mar-Issar, Asarhaddons Gesandter in Babylon, berichtet von der Beisetzung des Ersatzkönigs Damqî und erwähnt bei dieser Gelegenheit sogar den Auftritt einer raggintu (*109 Zeilen 22–r. 4): [Ich] habe gehört, dass vor dem Ritus eine Prophetin prophetisch geredet (raggintu tartugum) und zu Damqî, dem Sohn des obersten Verwalters, gesagt hatte: „Du wirst die Königsherrschaft übernehmen!“ [Überdies] hatte die Prophetin auf der Versammlung des Landes zu ihm gesprochen: „Ich habe den diebischen Iltis meines Herrn enthüllt und in deine Hände gelegt.“
Dass der Ersatzkönig göttliche Worte empfängt, die wie königliche Orakel klingen (der Name der Gottheit wird nicht erwähnt), wird wohl als Beweis für die Echtheit seines Königtums gedient haben. Namenlose raggintu erwähnt der Astrologe Bel-ušezib, der kurz nach dessen Machtergreifung an Asarhaddon schreibt und sich darüber beklagt, dass ihn der neu inthronisierte König nicht seinen Verdiensten entsprechend behandelt habe. Er fragt sich, weshalb der König Propheten und Prophetinnen (raggimānu raggimātu), nicht aber ihn, Bel-ušezib, zu sich gerufen habe, der die Omen der Königsherrschaft für Asarhaddon ausgelegt und im Bürgerkrieg selbst unter Lebensgefahr dessen Interessen wahrgenommen hatte (*105, Zeilen 7–21).29 Bel-ušezibs Wortwahl weist darauf hin, dass der angesehene Astrologe enttäuscht darüber war, dass der König Leuten den Vorzug gab, die in seinen Augen zweitrangige Wahrsager waren.
3.3
Frauen ohne Titel oder mit nicht-prophetischen Titeln
Nicht alle Personen, die an prophetischen Tätigkeiten beteiligt sind, werden in den neuassyrischen Quellen mit prophetischen Titeln versehen. In einigen Fällen ist der Titel des prophetischen Menschen, dessen Worte zitiert werden, weggebrochen. Dies gilt zum Beispiel für das Fragment eines Briefs von Nabû-reši-išši, der schreibt, dass eine Frau „prophetisch geredet“ habe (tarrugum); Name und Titel der Frau sind, wenn sie denn ursprünglich erwähnt waren, nicht erhalten (*113, Zeile r. 7). Die meisten neuassyrischen prophetischen Orakel benennen den Propheten oder die Prophetin jedoch ganz ohne Titel. Die beiden Sammlungen mit prophetischen Orakelsprüchen SAA 9 1 und 2 umfassen 16 Einzelorakel, die 28 Zu diesem Anlass und zu dem Brief vgl. Simo Parpola, Letters of Assyrian Scholars to the Kings Esarhaddon and Assurbanipal 2: Commentary and Appendices (AOAT 5/2; Kevelaer: Butzon & Bercker, 1983), 176f.270–272; Martti Nissinen, References to Prophecy in Neo-Assyrian Sources (SAAS 7; Helsinki: Neo-Assyrian Text Corpus Project, 1998), 68–77. 29 Zu diesem Brief vgl. Nissinen, References to Prophecy, 89–95.
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von zehn unterschiedlichen, namentlich genannten Prophetinnen und Propheten ausgesprochen worden sind. Fünf von ihnen sind als Frauen gekennzeichnet (Sinqiša-amur, eine Frau aus Arbela; Remut-Allati aus Dara-aḫuya; Issarbeli-da’’ini, eine Kultdienerin des Königs; Aḫat-abiša, eine Frau aus Arbela; und Urkittu-šarrat, eine Frau aus Calah), zwei sind Männer (La-dagil-ili, ein Mann aus Arbela; [Nabû]-ḫussanni, ein Mann aus Assur), und in drei Fällen ist das Geschlecht nicht eindeutig; von diesen Fällen wird weiter unten noch die Rede sein. Die Kolophone der einzelnen in der Sammlung enthaltenen Orakel folgen einem gewissen Muster: Sie nennen den Namen, den Herkunftsort und das Geschlecht der prophetisch Redenden, z. B. „aus dem Mund von Aḫat-abiša, einer Frau aus Arbela“ (ša pî Aḫat-abīša mar’at Arbail). Der prophetische Titel bleibt unerwähnt, als hätte man ihn in einem Kolophon zu einem prophetischen Orakelspruch für überflüssig gehalten. Es spricht einiges dafür, dass es sich bei diesen Frauen exakt um diejenigen Personen handelte, die von zeitgenössischen Assyrern als raggintu bezeichnet wurden. Nichtmännliche Personen, die prophetisch agieren, tragen zuweilen Titel, die sich auf eine nicht spezifisch prophetische Rolle beziehen. In neuassyrischen Quellen gibt es eine Handvoll Fälle, in denen das prophetische Wort von einer šēlūtu verkündet worden ist, einer Geweihten bzw. Kultdienerin, die der Tempelgemeinschaft angehörte.30 Für sich genommen schließt diese Rolle noch keine prophetische Aktivität mit ein. Diese waren Frauen, die dem Tempel übergeben wurden. Einige von ihnen waren Töchter oder Frauen hochrangiger Männer, andere werden als Eigentum des Tempels beschrieben. Die uns bekannten Fälle sind nicht zahlreich genug, um die Aufgabe der šēlūtu genauer zu beschreiben, aber die prophetische Funktion zweier Geweihter bzw. Kultdienerinnen, der Issar-beli-da’’ini und der namenlosen Frau, die in einem Brieffragment erwähnt wird, weist darauf hin, dass Frauen, die Tempelgemeinschaften angehörten, auch dann, wenn sie nicht „offiziell“ als Prophetinnen bezeichnet wurden, eine prophetische Rolle übernehmen konnten (**74, 114). Wir haben gesehen, dass die Briefe aus Mari zuweilen göttliche Botschaften zitieren, die von gewöhnlichen Frauen entgegengenommen worden sind. In neuassyrischen Texten ist dies nicht üblich: Der einzige derartige Brief, der sich hier anführen lässt, ist von Nabû-reḫtu-uṣur verfasst, der Asarhaddon von einer Verschwörung berichtet. Er erzählt, dass ein Mädchen, eine Sklavin (amtu) des Bel-aḫu-uṣur, einen Orakelspruch des Nusku über Sasî verkündet habe, den Nabû-reḫtu-uṣur für einen der Haupträdelsführer der besagten Verschwörung hielt (*115, Zeilen r. 2–5):
30 Vgl. Saana Svärd, Women’s Roles in the Neo-Assyrian Era: Female Agency in the Empire (Saarbrücken: VDM Verlag, 2008), 79f.
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Ein Sklavenmädchen des Bel-aḫu-uṣur […] über […] am St[adtr]and von H[arran]; seit Sivan war sie entrückt und spricht ein gutes Wort über ihn: „Dies ist das Wort des Nusku: Das Königtum ist für Sasî! Ich werde den Namen und die Saat des Sennacherib vernichten!“31
Auch wenn Nabû-reḫtu-uṣur ein solches Orakel vermutlich als pseudoprophetisch betrachtete, fühlte er sich dennoch verpflichtet, darüber zu berichten, und empfiehlt, zwecks Überprüfung des Falles in der Sache des Sklavenmädchens ein Ritual zu vollziehen.
3.4
Prophet mit unklarem Gender
Die assinnu, deren Genderrolle sich von der üblichen männlichen Performance unterschied, sind auch aus neuassyrischen Quellen bekannt. Sie sind in verschiedenen Textarten belegt: nicht nur in lexikalischen Listen und Omina, sondern auch in administrativen und literarischen Texten sowie in solchen, die sich auf Rituale und kultische Handlungen beziehen.32 Diese Dokumente beweisen, dass die assinnu Teil der neuassyrischen Gesellschaft und insbesondere in solchen Gemeinschaften zu finden waren, die die Göttin Ištar verehrten. Wie weiter oben bereits erwähnt listet der mittelassyrische Verwaltungstext aus Kar-Tukulti-Ninurta die assinnu gemeinsam mit Propheten und Prophetinnen als Empfänger von Essensrationen auf. Bislang ist kein neuassyrisches Dokument bekannt, das einen assinnu in prophetischer Funktion darstellt. Es gibt jedoch drei Fälle – allesamt in der Sammlung von zehn Orakelsprüchen an Asarhaddon aus dem Jahr 673 v. Chr. (SAA 9 1) –, die darauf hinweisen, dass dem Schreiber der Tafel das Geschlecht des Propheten nicht klar war. Im ersten Fall hat der Schreiber das weibliche Determinativ, das Auskunft über das Geschlecht von Issar-la-tašiyaṭ gibt, getilgt und durch ein maskulines ersetzt (*68). Mag sein, dass sich der Schreiber hier schlichtweg verschrieben und seinen eigenen Fehler daraufhin korrigiert hat; es wäre aber auch denkbar, dass sich hierin die Unsicherheit des Schreibers im Hinblick auf das Geschlecht des Propheten widerspiegelt. In zwei anderen Fällen hat derselbe Schreiber die Information über das Geschlecht des Propheten bewusst zweideutig gehalten. Der Prophet Bayâ wird als „ein Mann“ 31 Vgl. Nissinen, References to Prophecy, 108–153; ferner die Diskussion bei Steven W. Holloway, Aššur Is King! Aššur Is King! Religion in the Exercise of Power in the Neo-Assyrian Empire (CHANE 10; Leiden: Brill, 2003), 336f.410–414; Eckart Frahm, „Hochverrat in Assur“, in Assur-Forschungen: Arbeiten aus der Forschungsstelle „Edition literarischer Keilschrifttexte aus Assur“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (hg. v. Stefan M. Maul und Nils P. Heeßel; Wiesbaden: Harrassowitz, 2010), 89–137. 32 Vgl. den Anhang bei Svärd/Nissinen, „(Re)constructing the Image of the Assinnu“.
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aus Arbela eingeführt, dessen Name gleichwohl ein weibliches Determinativ aufweist (*71: mí.ba-ia-a dumu uru.arba-ìl).33 Der Name von Ilussa-amur ist mit einem femininen Determinativ versehen, der Heimatort jedoch statt mit Libbālītu mit der männlichen Herkunftsbezeichnung Libbālā[yu] wiedergegeben (*72: mí.dingir-sa—a-mu[ur] uru.šà—uru-a-[a]). Das Problem im Hinblick auf das Geschlecht der Betreffenden ist dahingehend interpretiert worden, dass es sich um Angehörige des sogenannten „dritten Geschlechts“, das heißt um Menschen mit nicht eindeutig bestimmbarer Genderidentität handelt. Dies wurde, da es hierfür keine geschlechtsspezifischen Determinative gab, durch die absichtliche Verwendung widersprüchlicher Bezeichnungen deutlich gemacht.34 Manche Forscher haben davor gewarnt, diese drei Fälle überzubewerten und eine „moderne Rekonstruktion geschlechtlicher Ambiguität“ in die alten Texte einzuführen. Sie plädieren daher dafür, sie allesamt als Schreibfehler zu deuten.35 Meiner Ansicht nach ist die Art und Weise, wie dieser professionelle Schreiber die Namen notiert (zumindest in den Fällen von Bayâ und Ilussa-amur) uneindeutig genug, um darin die Ambiguität gespiegelt zu sehen, mit der sich der Schreiber selbst konfrontiert sah. Natürlich macht das nicht alle Propheten zu Personen mit unklarer Genderidentität, aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Personen wie die assinnu eine prophetische Funktion übernehmen konnten.
4.
Prophetinnen in der Hebräischen Bibel
Im biblischen Hebräisch hat die Prophetin eine eigene Bezeichnung: Das Wort nĕbî’â ist das weibliche Pendant zu nābî’, dem standardhebräischen Wort für Prophet. Der weibliche Begriff kommt in der Hebräischen Bibel sechsmal vor (Ex 15,20; Ri 4,4; 2 Kön 22,14; Jes 8,3; Neh 6,14; 2 Chr 34,22); außerdem wird das Verb hitnabbê’, „prophetisch handeln“, in Ez 13,17 in Bezug auf Frauen verwendet, die „aus ihrem eigenen Herzen heraus prophezeien“. Chronologisch mit der letzten der biblischen Prophetinnen beginnend, erwähnt Nehemia in der Denkschrift Noadja, die nĕbî’â, und die „übrigen 33 Derselbe Prophet ist vermutlich auch der Sprecher in *79, aber die nähere Bestimmung ist weggebrochen (vgl. Parpola, Assyrian Prophecies, il). 34 Parpola, Assyrian Prophecies, il–l; Saana Teppo (später Svärd), „Sacred Marriage and the Devotees of Ištar“, in Sacred Marriages: The Divine-Human Sexual Metaphor from Sumer to Early Christianity (hg. v. Martti Nissinen und Risto Uro; Winona Lake: Eisenbrauns, 2008), 75–92. 35 So Stökl, „Gender ‚Ambiguity‘ in Ancient Near Eastern Prophecy“, 78. Weippert, Götterwort in Menschenmund, 187f., interpretiert die Unstimmigkeiten als Schreibfehler.
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prophetisch Begabten, die mir Angst machen wollten“ (Neh 6,14), gemeinsam mit seinen Erzfeinden Tobija und Sanballat.36 Auch wenn man über diese Frau sonst nichts erfährt,37 ist es bemerkenswert, dass sie als Einzige im Buch Esra-Nehemia als Zeitgenossin dargestellt wird; alle anderen Propheten sind Figuren aus der Vergangenheit.38 An einer früheren Stelle im selben Kapitel erzählt Nehemia, man habe ihn beschuldigt, Prophet_innen beauftragt zu haben, die ihn zum König von Jerusalem ausrufen sollten, was er nachdrücklich verneint und als bloßen Einschüchterungsversuch darstellt (Neh 6,5–9). Der Text vermittelt den Eindruck, dass es in Jerusalem prophetische Aktivitäten gegeben hat, die sich gegen Nehemias Sendung richteten, und dass Noadja die Anführerin dieser gegnerischen Prophet_innengruppe war. Man darf annehmen, dass Noadja und die anderen – möglicherweise sowohl Männer als auch Frauen – für die Kontinuität der prophetischen Tradition in Jerusalem standen, deren Legitimität während der Neuordnung des Kultbetriebs im Zweiten Tempel in Frage gestellt wurde. Über Noadjas prophetische Tätigkeit erfahren wir nichts, aber der politische Aspekt ihrer Rolle wird deutlich hervorgehoben. Die Prophetin, die im Buch Jesaja erwähnt wird,39 arbeitet mit dem Propheten Jesaja zusammen, der von Gott den Auftrag erhält, eine Tafel zu nehmen und den Namen Maher-Schalal-Hasch-Bas darauf zu schreiben. Sodann, erzählt Jesaja, nahte er sich „der Prophetin (wā-’eqrab ’el-han-nĕbî’â), sie wurde schwanger und gebar einen Sohn“, der daraufhin den Namen erhält, der auf der Tafel geschrieben steht; der Name „Schnelle Beute, rascher Raub“ ist ein Omen und kündigt an, dass „man den Reichtum von Damaskus und die Beute von Samaria dem König von Assur vorantragen“ wird (Jes 8,1– 4). Die Mutter des Kindes ist namenlos, wird jedoch mit dem bestimmten Artikel gekennzeichnet. Die Frau wird nicht als Jesajas Ehefrau dargestellt; 36 Zu Noadja vgl. Robert P. Carroll, „Coopting the Prophets: Nehemiah and No adiah“, in Priests, Prophets and Scribes: Essays on the Formation and Heritage of Second Temple Judaism in Honour of Joseph Blenkinsopp (hg. v. Eugene Ulrich et al.; JSOTSup 149; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1992), 87–99; Fischer, Gotteskünderinnen, 255–273; Martti Nissinen, „The Dubious Image of Prophecy“, in Prophets, Prophecy, and Prophetic Texts in Second Temple Judaism (hg. v. Michael H. Floyd und Robert D. Haak; LHBOTS 427; London: T&T Clark, 2006), 26–41; 30–35; Gafney, Daughters of Miriam, 111–114; Williamson, „Prophetesses in the Hebrew Bible“, 65–67; Hamori, Women’s Divination, 186–188. 37 In der Septuaginta wird Noadja als Mann dargestellt (2 Esdr 16,14: τῷ Νωαδια τῷ προφήτῃ). 38 D. h. Haggai und Sacharja in Esra 5,1f.; 6,14 und namenlose Propheten der Vergangenheit in Esra 9,11; Neh 9,26.30.32. 39 Vgl. zu ihr z. B. Ernst A. Knauf, „Vom Prophetinnenwort zum Prophetenbuch: Jesaja 8,3f im Kontext von Jesaja 6,1–8,16“, lectio difficilior (2/2000), online: http://www. lectio.unibe.ch/00_2/v.htm [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]; Fischer, Gotteskünderinnen, 189–220; Gafney, Daughters of Miriam, 103–107; Williamson, „Prophetesses in the Hebrew Bible“, 74–76; Hamori, Women’s Divination, 160–166.
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wichtiger als die eheliche Konstellation ist, dass Jesaja die Frau, die das Kind mit dem gottgegebenen Omennamen gebiert, im Rahmen der Erzählung tatsächlich als Prophetin benennt. Sie wird nicht als Künderin göttlicher Worte beschrieben;40 ihr Orakel besteht darin, dass sie das Kind gebiert. Anders als Gomer, die Frau, die nach Hos 1,2–9 dem Propheten Hosea Kinder mit ähnlich unheilverkündenden Namen gebiert, wird sie als Prophetin anerkannt und ist Jesaja in ihrem Handeln ebenbürtig. Sie hat Teil an der ominösen Kette von Ereignissen, die die Niederschrift des Namens durch Jesaja, den Geschlechtsverkehr der beiden, die Geburt des Sohnes durch sie selbst und die Erfüllung des prophetischen Wortes durch Gott beinhalten. Die Prophetin ist zunächst und vor allem ein narrativer Charakter. Der Text lässt schwerlich Rückschlüsse auf das Familienleben historischer Propheten zu; vielmehr ist er ein anschauliches Beispiel für die (gegenderte) Verwendung von Prophetie in einer religiös-politischen Erzählung. Eine weitere religiös-politische Erzählung, in der eine Prophetin auftritt, findet sich in 2 Kön 22,3–20 und handelt von der Auffindung des „Buchs der Weisung“ (sefer hat-tôrâ) während der Instandsetzungsarbeiten am Tempel von Jerusalem. Hilkija, der Hohepriester, und Schafan, der Staatsschreiber, bringen die Schriftrolle dem König Joschija zur Kenntnis, der sie in Begleitung dreier königlicher Beamten aussendet, um Gott wegen der Schriftrolle zu befragen. Die Männer gehen zu Hulda, der Frau Schallums, des Verwalters der Kleiderkammer, und sie verkündet Joschija in einem Orakelspruch, dass der Zorn Gottes gegen Jerusalem und seinen Tempel entbrannt sei und er Unheil über sie bringen werde. Joschija selbst aber werde das Unheil nicht erleben, sondern in Frieden mit seinen Eltern vereint werden.41 Unabhängig davon, ob es für die Figur der Hulda ein historisches Vorbild gibt, spielt sie auf der narrativen Ebene eine zentrale Rolle bei einem Ereignis, das 2 Kön 22–23 zufolge letztlich dazu führt, dass Joschija religiöse Reformen durchführt; in 2 Chr 34 geht die Reform allerdings dem Orakel der Hulda voran. In beiden Erzählungen wird die überaus achtbare Delegation aus Repräsentanten des Tempels wie auch des königlichen Hofs zu Hulda geschickt, obwohl es durchaus auch andere Propheten in Jerusalem gab (vgl. 2 Kön 23,2). 40 Es sei denn, Jes 8,3f. wäre ursprünglich ein von ihr ausgesprochenes Orakel, wie Knauf, „Vom Prophetinnenwort zum Prophetenbuch“, vorschlägt. 41 Zu Hulda vgl. z. B. Lowell K. Handy, „The Role of Huldah in Josiah’s Cult Reform“, ZAW 106 (1994): 40–53; Renita J. Weems, „Huldah, the Prophet: Reading a (Deuteronomistic) Woman’s Identity“, in A God So Near: Essays on Old Testament Theology in Honor of Patrick D. Miller (hg. v. Brent A. Strawn und Nancy R. Bowen; Winona Lake: Eisenbrauns, 2003), 321–339; Fischer, Gotteskünderinnen, 158–188; Gafney, Daughters of Miriam, 94–103; Williamson, „Prophetesses in the Hebrew Bible“, 68–72; Hamori, Women’s Divination, 148–159; Blaženka Scheuer, „Huldah: A Cunning Career Woman?“, in Prophecy and Prophets in Stories: Papers Read at the Fifth Meeting of the Edinburgh Prophecy Network (hg. v. Bob Becking und Hans M. Barstad; OtSt 65; Leiden: Brill, 2015), 104–123.
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Sie trägt den Titel nĕbî’â, wird jedoch über den Beruf ihres Ehemanns ausgewiesen, was möglicherweise auf eine Verbindung zwischen ihr und dem Tempel oder – je nachdem, für welche Kleiderkammer Schallum zuständig war – dem Königshof hindeutet. Dass sie in der Jerusalemer Neustadt lebt, soll unter Umständen eine gewisse Distanz zwischen ihr und den Institutionen des Tempels und des Hofs signalisieren. Die Worte, die Hulda ausspricht, haben einen klar deuteronomistischen Charakter, und die ganze Episode kann als Erfüllung des im Buch Deuteronomium beschriebenen Ideals von einem König gelesen werden, der die Tora zu Rate zieht und befolgt (17,18–20) und sich dabei auf die Vermittlung eines von Gott bestellten prophetischen Menschen stützt (18,15–22).42 Natürlich konnte eine solche Rolle auch einer Frau zugewiesen werden. Es ist bemerkenswert, dass es sich sowohl bei der ersten als auch bei der letzten der in den Büchern Josua bis Könige erwähnten prophetischen Figuren, nämlich Debora und Hulda, um eine Frau handelt. Debora, die in der Erzählung des Buchs der Richter (Ri 4–5) vorkommt, unterscheidet sich deutlich von ihren Prophetenkollegen.43 Sie trägt den Titel ’iššâ nĕbî’â (Ri 4,4) und verkündet in der Tat Gottesworte, die wie königliche Siegesorakel klingen: „Auf! Denn das ist der Tag, an dem JHWH den Sisera in deine Hand gegeben hat. Ist nicht JHWH vor dir her ausgezogen?“ (Ri 4,14; vgl. 4,6). Debora ist jedoch nicht nur für die Übermittlung göttlicher Botschaften zuständig, sondern agiert auch als Richterin: Das Erste, was über sie gesagt wird, ist, dass sie ihren Sitz unter der Debora-Palme zwischen Rama und Bet-El im Gebirge Efraim hatte und die Israeliten zu ihr hinaufkamen, um sich Recht sprechen zu lassen (Ri 4,5). Die Rolle der Richterin kann sicherlich als eine weitere divinatorische Funktion gedeutet werden und beschwört das Bild der delphischen Pythia herauf, die auf ihrem Dreifuß sitzt.44 Gleichzeitig unterstreicht sie Deboras Position unter den Richtern, die das Volk Israel führten, ehe die Monarchie errichtet wurde. Deboras Führung ist sogar militärischer Natur, denn sie spielt eine entscheidende Rolle in Baraks Krieg gegen Jabin, den König von Kanaan, und seinen Heerführer Sisera. Dass sie in diesem militärischen Kontext „Mutter in Israel“ genannt wird (Ri 5,7), ist bemerkenswert und betont möglicherweise ihre divinato42 Zur Ähnlichkeit von Huldas Orakelspruch mit dem Buch Jeremia vgl. Thomas Römer, „From Prophet to Scribe: Jeremiah, Huldah, and the Invention of the Book“, in Writing the Bible: Scribes, Scribalism, and Script (hg. v. Philip R. Davies und Thomas Römer; BWo; Durham: Acumen, 2013), 86–96; zu Huldas Rolle als Nachfolgerin des Mose vgl. Fischer, Gotteskünderinnen, 182–185. 43 Zu Debora vgl. z. B. Fischer, Gotteskünderinnen, 109–130; Gafney, Daughters of Miriam, 85–93; Yaakov S. Kupitz und Katell Berthelot, „Deborah and the Delphic Pythia: A New Interpretation of Judges 4:4–5“, in Images and Prophecy in the Ancient Eastern Mediterranean (hg. v. Martti Nissinen und Charles E. Carter; FRLANT 233; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009), 95–124; Williamson, „Prophetesses in the Hebrew Bible“, 72–74; Hamori, Women’s Divination, 82–93. 44 Vgl. Kupitz/Berthelot, „Deborah and the Delphic Pythia“.
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rische Rolle als Vermittlerin göttlichen Wissens – der Ištar nicht unähnlich, die in manchen prophetischen Orakeln ein mütterliches Erscheinungsbild hat. Zu alledem wird sie auch noch als Musikerin dargestellt, als sie gemeinsam mit Barak ein Siegeslied anstimmt: „Wach auf, wach auf, Debora! Wach auf, wach auf, sing ein Lied!“ (Ri 5,12). Die vielfältigen Rollen der Debora sind sowohl unter dem Blickwinkel der Prophetie als auch unter Genderaspekten interessant. Ihre divinatorische Rolle geht insbesondere, was die militärische Führung betrifft, über die üblichen Funktionen der Prophetie hinaus; zudem kann sowohl das Richten als auch die Musik als ein Mittel der göttlich-menschlichen Kommunikation verstanden werden. Die Art und Weise, wie die Figur der Debora divinatorische und leitende Funktionen in sich vereint, kann mit den ebenso vielfältigen Tätigkeitsbeschreibungen des Mose und des Samuel verglichen werden.45 In der biblischen Erzählung scheint eine solche Verschmelzung divinatorischer Rollen einer Zeit anzugehören, als es noch keinen König gab – und auch keine Propheten im herkömmlichen Sinn. Allerdings ist Debora nur ein weiteres Beispiel für die erstaunlichen Frauengestalten in den Büchern Jos–2 Kön. Tatsächlich beruht die gesamte Erzählung in Ri 4 auf dem Handeln zweier mächtiger Frauen: Debora und Jaël.46 Die erste Frau, die in der Hebräischen Bibel als Prophetin bezeichnet wird, ist Mirjam, die Schwester des Aaron.47 Sie wird zum ersten Mal erwähnt, nachdem die Truppen des Pharao ins Meer gezogen sind, während die Israeliten auf trockenem Untergrund das andere Ufer erreicht haben. Mirjam trägt den Titel nĕbî’â, aber sie nimmt eine Pauke und singt dem Volk ein Siegeslied vor: „Singt JHWH ein Lied, denn er ist hoch und erhaben! Ross und Reiter warf er ins Meer“ (Ex 15,21). Auch wenn Musik unleugbar eine Weise der göttlich-menschlichen Kommunikation darstellt, kann man sich fragen, ob dieses Lied ausreicht, um Mirjam als Prophetin zu qualifizieren. Es gibt jedoch noch einen weiteren Text, der zeigt, dass sie als solche anerkannt war. Num 12 erzählt von einem Konflikt zwischen Mirjam und Mose, bei diesem Konflikt geht es in erster Linie um prophetische Autorität. Mirjam und Aaron widersetzen sich der Heirat des Mose; sie kommen zu ihm und fragen ihn: „Hat JHWH etwa nur durch Mose gesprochen? Hat er nicht auch durch uns 45 Hamori, Women’s Divination, 88f. 46 Vgl. Ora Brison, „Jael, ’eshet heber the Kenite: A Diviner?“, in Joshua and Judges (hg. v. Athalya Brenner und Gale A. Yee; Texts@Contexts; Minneapolis: Fortress Press, 2013), 139–160. 47 Zu Mirjam vgl. z. B. Ursula Rapp, Mirjam: Eine feministisch-rhetorische Lektüre der Mirjamtexte in der hebräischen Bibel (BZAW 317; Berlin: de Gruyter, 2002); Susan Ackerman, „Why Is Miriam Also among the Prophets?“; Rainer Kessler, „Miriam and the Prophecy of the Persian Period“, in Prophets and Daniel (hg. v. Athalya Brenner; FCB 2/8; Sheffield: Sheffield Academic Press, 2001), 77–86; Fischer, Gotteskünderinnen, 64–94; Gafney, Daughters of Miriam, 76–85; Tervanotko, „Speaking in Dreams“; Hamori, Women’s Divination, 61–81.
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gesprochen?“ (Num 12,2) – als sollte der Leser an Mi 6,4 erinnert werden, wo Mose, Aaron und Mirjam gemeinsam als diejenigen auftreten, die das Volk aus Ägypten herausgeführt haben.48 Mirjam (nicht aber Aaron) wird mit Krankheit gestraft, weil sie zuallererst die Autorität des Mose in Frage gestellt hat. Mirjams prophetische Rolle wird nicht verneint; vielmehr geht es hier um die Autorität des Mose, zu dem Gott von Angesicht zu Angesicht spricht und der daher über allen anderen Prophet_innen steht (Num 12,6–8). Die Erzählung weist darauf hin, dass Mirjam „zwar auf eine zutiefst konfliktbehaftete Art und Weise, aber doch in Verbindung mit ihrer Rolle als Prophetin erwähnt wird.“49 Die Erinnerung an Mirjam im Kontext göttlich-menschlicher Kommunikation setzt sich in der hellenistischen-jüdischen Literatur in Werken wie den Visionen Amrams und Pseudo-Philo fort.50 Ez 13,17–23 schließlich bezeichnet eine Gruppe von Frauen als „die Töchter deines Volkes, die aus ihrem eigenen Herzen heraus prophetisch handeln“ (13,17: bĕnôt ‘ammĕkā ham-mitnabbĕ’ôt mil-libbĕhen). Ezechiel wird angewiesen, prophetisch zu ihnen zu reden (nibbā’) und ihnen den Spruch Gottes zu verkünden, der die Praxis dieser Frauen verurteilt: eine Praxis, die der Beschreibung zufolge darin besteht, Zauberbinden für Handgelenke und Schleier für die Köpfe zu nähen, um Menschenleben zu fangen. Auch wenn das hebräische Vokabular schwierig zu übersetzen ist, bezieht sich die als „prophetisches Handeln“ (hitnabbē’) bezeichnete Aktivität offenbar nicht auf die Übermittlung göttlicher Worte wie im Fall der kurz zuvor verurteilten männlichen Propheten (13,1–16), sondern auf eine andere Art der Divination. Das Fangen von „Leben“ (nĕpāšôt) ist beispielsweise als Nekromantie interpretiert worden.51 Im abschließenden Vers heißt es, dass die Frauen „keine nichtigen Visionen mehr haben und keine Orakel mehr verkünden“ sollen (13,23: šāw’ lō’ teḥĕzênâ wĕ-qesem lō’ tiqsamnâ ‘ôd), was das Bild der Frauen um zwei weitere Begriffe aus dem Kontext der Divination ergänzt. Die divinatorische Handlungsform der Frauen, die in Ez 13 verurteilt wird, wird – womöglich absichtlich im Rahmen einer feindseligen, auf negative Vorurteile gestützten Rhetorik52 – in scheinbar präzisen und dennoch ungenauen Worten beschrieben. 48 Deshalb liest Kessler, „Miriam and the Prophecy of the Persian Period“, Num 12 als Gegentext zu Mi 6,4. Rapp, Mirjam, 178–193, deutet an, dass die Anerkennung von Mirjams Prophetinnenrolle auf dieselben Kreise aus persischer Zeit zurückgehen könnte, die auch Noadja repräsentierte. 49 Hamori, Women’s Divination, 81. 50 Vgl. Tervanotko, „Speaking in Dreams“. 51 So Hamori, Women’s Divination, 167–183, und Jonathan Stökl, „The מתנבאותof Ezekiel 13 Reconsidered“, JBL 132 (2013): 61–76, während Nancy R. Bowen, „The Daughters of Your People: Female Prophets in Ezekiel 13:17–23“, JBL 118 (1999): 417–433, die Tätigkeit der Frauen mit medizinischen und rituellen Aspekten der Geburt in Verbindung bringt. 52 Diese Sichtweise verdanke ich Patrik Jansson.
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Das Interessante an Ez 13,17–23 ist im Hinblick auf die Prophetie die Tatsache, dass sich in der Beschreibung der Tätigkeit der Frauen die Verwendung der verbalen Wurzel nb’ mit anderen divinatorischen Vokabeln überschneidet. Dies stellt unsere herkömmliche Definition von Prophetie auf den Prüfstand und verortet die Frauen im Grenzbereich zwischen Prophetie und anderen Formen der Divination – oder vielleicht an der Schnittstelle zwischen Divination und Magie, wenn Divination als der Erwerb übermenschlichen Wissens, Magie hingegen als etwas verstanden wird, das eine Veränderung im Leben des Patienten – in diesem Fall der von den Frauen manipulierten nĕpāšôt – herbeiführt.
5.
Vergleich
Der Überblick über nichtmännliche Subjekte prophetischer Aktivität belegt die Präsenz und den Einfluss von Frauen und Menschen mit unkonventioneller Genderperformance in allen bedeutenden Quellenmaterialien der altorientalischen Prophetie. Aus Platzgründen ist an dieser Stelle nur ein kurzer abschließender Vergleich möglich.53 Besonders präsent sind Prophetinnen in den neuassyrischen Texten, wo zwei Drittel aller uns bekannten prophetischen Akteure Frauen sind. Das spiegelt die enge Verbindung der Prophetie mit der Verehrung der Göttin Ištar wider, die den Menschen die Geheimnisse der Gottheiten offenbarte. Nicht alle Ištar-Prophet_innen sind Frauen, aber alle nicht-männlichen Prophet_innen sprechen für Ištar, soweit göttliche Sprecher_innen erkennbar sind.54 Auch in den Dokumenten aus Mari gibt es eine nennenswerte Präsenz von nichtmännlichen Prophet_innen, deren Anteil sich in diesen Quellen auf ein Drittel beläuft. In den Dokumenten aus Mari stehen, soweit erkennbar, sämtliche nichtmännlichen Subjekte prophetischer Tätigkeit bis auf drei mit Annunitum oder Ištar in Verbindung, während die männlichen Propheten in Mari allem Anschein nach sowohl für männliche als auch für weibliche Gottheiten sprechen. Auch wenn es im Allgemeinen keine geschlechtliche Entsprechung zwischen prophetisch Tätigen und den betreffenden Gottheiten gibt, ist der Zusammenhang zwischen weiblichen Gottheiten und nichtmännlichen Prophet_innen sowohl in Mari als auch in Assyrien greifbar. 53 Eine gründlichere Analyse bietet Nissinen, Ancient Prophecy, 297–325.346–348. 54 D. h. für Ištar oder für eine ihrer Manifestationen, zu denen ich auch Annunitum zähle; zu den Ausnahmen von dieser Regel gehören die qammatum des Dagān von Terqa (**7, 9), Zunana, die berichtet, wie Dagān sich ihr im Traum geoffenbart habe (*37), Kakka-lidi, die eine Vision von Itur-Mer hatte (*41), und das Sklavenmädchen in der Region Harran, die die Worte des Nusku sprach (*115).
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Sowohl in assyrischen als auch in altbabylonischen Quellen verkünden nichtmännliche Prophet_innen nicht nur Worte weiblicher Gottheiten, sondern sind auch auf die eine oder andere Weise deren jeweiligem Tempel angegliedert. Die einzige Prophetin, die wir aus anderen altbabylonischen Quellen als den Dokumenten aus Mari kennen, ist die namenlose muḫḫūtum, die mit dem Inanna-Tempel in Zabala, einer der wichtigsten Kultstätten dieser Göttin in Babylon, in Verbindung steht. Im Königreich Mari verkünden alle als muḫḫūtum titulierten Frauen sowie die beiden assinnu die Worte der Annunitum oder Ištar oder dienen in ihren Tempeln. Der Fall der einzigen uns bekannten āpiltum ist unklar, weil die Tafel zu stark beschädigt ist. Es verdient Erwähnung, dass keine der drei Frauen, die die Worte des Dagan übermitteln – also die qammatum aus Terqa, Zunana, und die „Gemahlin eines freien Mannes“ –, einen der herkömmlichen Prophet_innentitel trägt; dasselbe gilt auch für Kakka-lidi, von deren Vision im Tempel der männlichen Gottheit Itur-Mer die Königin Šibtu berichtet (*41). In Assyrien ist der Zusammenhang zwischen nichtmännlichen Prophet_innen und der Göttin Ištar – entweder in der Erscheinungsform der Ištar von Arbela oder als Mullissu – allgegenwärtig. In den uns bekannten Quellen ist Egašankalamma, ihr Tempel in Arbela, das wichtigste Zentrum neuassyrischer Prophetie.55 Prophet_innen finden sich ferner in Ešarra, dem Aššur-Tempel in der Stadt Assur, wo der göttliche Rat in Anwesenheit von Prophetinnen abgehalten wurde (*110) und wo vermutlich Mullissu-abu-uṣri (*111) und Ilussa-amur (*72) ihren Dienst versahen. Eine Frau, Urkittu-šarrat, kommt aus Calah, wo Ištar, die dort die Frau von Kidmuri genannt wurde, einen bedeutenden Tempel hatte. Die einzigen nichtmännlichen Prophet_innen, die Worte männlicher Gottheiten übermitteln, sind das Sklavenmädchen, das am Stadtrand von Harran die Worte des Nusku verkündet (*115), und Bayâ, die neben Ištar auch noch für Bel und Nabû spricht (*71). Zusätzlich zu der engen Verbindung zwischen weiblichen Gottheiten und nichtmännlichen Prophet_innen sind es in den Briefen aus Mari typischerweise Frauen aus Zimri-Lims unmittelbarer Umgebung, die ihn über die von nichtmännlichen Prophet_innen gesprochenen Worte in Kenntnis setzen: seine Frau Šibtu, seine Schwester Inib-šina und seine Mutter Addu-duri.56 Sogar männliche Personen zitieren in der Mari-Korrespondenz Worte von Prophetinnen,57 aber von Frauen verfasste Berichte über die Auftritte männli55 Vgl. Martti Nissinen, „Ištar of Arbela“, in Ancient Arbela: Pre-Islamic History of Erbil (hg. v. Raija Mattila, Zidan Bradosty und Jessica Giraud; Syr.S; Beirut: Institute Français en Proche-Orient, erscheint demnächst). 56 Šibtu: **17, 22, 23, 24, 41; Inib-šina: **7, 14; Addu-duri: **35, 42; vgl. Zunana (*37), Šimatum (*44) und Timlû (*45), die über ihre eigenen Träume berichten. 57 D. h. Nur-Sîn (*1), Sammetar (*9), Aḫum (*10), Baḫdi-Lim (*11), Kibri-Dagan (*20), Itur-Asdu (*27) und Ḫammi-šagiš (*50b).
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cher Propheten gibt es nur sehr wenige.58 Dies spricht dafür, dass die königlichen Frauen aus Mari engeren Kontakt zu nichtmännlichen als zu männlichen Prophet_innen hielten. In assyrischen Briefen stammen sämtliche Verweise auf nichtmännliche Prophet_innen von männlichen Briefschreibern.59 Dies rührt natürlich daher, dass es in der assyrischen Korrespondenz an Briefschreiberinnen mangelt, und sagt nichts über das Verhältnis zwischen Prophet_innen und Frauen aus. Die Tatsache, dass viele der erhaltenen prophetischen Orakel an Naqia, die Königinmutter, gerichtet sind,60 weist darauf hin, dass zwischen ihr und den Prophet_innen der Ištar von Arbela eine enge Verbindung bestanden hat. Die divinatorische Tätigkeit nichtmännlicher Prophet_innen ist an politische und religiöse Institutionen und ihre Autorität gebunden. Zwei der wichtigsten Quellenkorpora stammen aus königlichen Archiven und befassen sich intensiv mit königlichen Belangen; insbesondere in Assyrien erscheinen die Prophet_innen unabhängig von ihrem Geschlecht als orthodoxe Verkünder der Staatsideologie.61 In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Tätigkeit nichtmännlicher Prophet_innen nicht von der der männlichen Propheten. Von direkten Kontakten zwischen Herrschern und prophetisch Agierenden wird nicht berichtet. Das schließt freilich die Möglichkeit nicht aus, dass der Herrscher bei prophetischen Akten, etwa im Rahmen von Ritualen wie dem IštarRitual in Mari, anwesend war. Es war jedoch nicht üblich, dass Prophet_innen selbst an den König herantraten. Die von nichtmännlichen Prophet_innen gesprochenen Worte werden dem König ausnahmslos durch seine Beamten, durch Tempelverwalter oder durch Familienmitglieder zur Kenntnis gebracht. Das mesopotamische Quellenmaterial zeigt durchgängig, dass nichtmännliche Prophet_innen in Tempelgemeinschaften eine etablierte Stellung hatten. Als Mittler_innen göttlichen Wissens genossen sie dieselbe Wertschätzung wie männliche Propheten – zumindest in der Theorie, denn die Worte, die die Prophet_innen ungeachtet ihrer Person und ihres Geschlechts übermittelten, waren göttliche Worte.62 Allerdings lässt die divinatorische Praxis in Mari einen gewissen Genderbias erkennen: Dort wurden die von nichtmännlichen Prophet_innen übermittelten Botschaften häufiger durch andere Divinations-
58 D. h. Addu-duri (**5, 43) und Šibtu (**17, 18, 21). 59 D. h. Bel-ušezib (*105), Mar-Issar (*109), Nabû-reši-išši (*113) und Nabu-reḫtu-uṣur (*115). 60 Zu den an Naqia gerichteten Orakelsprüchen gehören: *74 (wahrscheinlich Ištar von Arbela, Kultdienerin Issar-bel-da’’ini), *75 (Ištar von Arbela, Prophetin Aḫat-abiša), *78 (Göttinnen von Esaggil, Prophet [Nabû]-ḫussanni), *83 (Ištar von Uruk, unbekannte Prophet_in) und *90 (Ištar von Arbela, unbekannte Prophet_in). 61 Vgl. Parpola, Assyrian Prophecies, xxxvi–xliv. 62 Eine Diskussion über das religiöse Handeln von Frauen bietet Nissinen, Ancient Prophecy, 304–314.
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methoden gegengeprüft, wobei ein Haar und eine Gewandfranse Verwendung fanden, die der Schreiber dem Brief beigelegt hatte.63 Was die Quellen aus der Levante von denen aus Mari und Assyrien unter Genderaspekten unterscheidet, ist das Vorherrschen männlicher Propheten. Nichtmännliche Prophet_innen sind nur aus der Hebräischen Bibel bekannt, wo der Anteil namentlich bekannter Frauen unter den Prophet_innen sich lediglich auf ein Zehntel beläuft. Die im Vergleich mit Mari oder insbesondere mit Assyrien deutlich kleinere Anzahl von Prophetinnen in der Hebräischen Bibel ist vielleicht durch die historischen Umstände bedingt, da die wenigen uns vorliegenden levantinischen Texte allesamt dem Muster männlicher Gott / männlicher Prophet folgen. Die dürftige Quellenlage lässt jedoch, was die Genderlogik des levantinischen Prophetentums betrifft, keine Schlussfolgerung zu. Und nicht weniger schwierig ist es, auf der Grundlage der verfügbaren Texte etwas über den sozio-religiösen Status von Prophetinnen im „alten“, d. h. im königszeitlichen oder auch nachkönigszeitlichen Israel auszusagen. Die Hebräische Bibel liefert in Bezug auf Prophetinnen kein einheitliches Bild. Die biblische Darstellung weist einige wichtige Gemeinsamkeiten mit den Mustern auf, die aus den keilschriftlichen Quellen bekannt sind. Was die Beziehung zu den Königen und die religiös-politische Macht betrifft, ist insbesondere die Stellung Huldas in jeder Hinsicht mit der ihrer mesopotamischen Kollegen vergleichbar.64 Keine der Prophetinnen der Hebräischen Bibel wird als Angestellte des Tempels oder des königlichen Hofes dargestellt; in Noadjas Fall aber bietet sich der Jerusalemer Tempel als ihr natürlicher Stützpunkt an, und vielleicht kann von Hulda – insbesondere dann, wenn man annimmt, dass die Tätigkeit ihres Mannes eine Anstellung beim Tempel war – dasselbe gesagt werden. Der Konflikt zwischen Mirjam und Mose in Num 12 und Nehemias lakonischer Bezug auf Noadja spiegeln möglicherweise Machtkämpfe in persischer Zeit wider, die auf einen relativ starken religiösen Autoritätsanspruch von Frauen hinweisen. Allerdings treten einige weibliche Subjekte prophetischer Aktivität in der Hebräischen Bibel in Rollen auf, die dem Bild der nichtmännlichen Prophetie in den keilschriftlichen Quellen nicht wirklich entsprechen. Die Verteilung divinatorischer Rollen und die Schnittstelle zwischen Divination und Magie sind weit weniger absolut, als sie es in der mesopotamischen Tradition zu sein scheinen. Biblische Divinator_innen – insbesondere Frauen – können zwar göttliche Worte übermitteln, üben aber auch andere Tätigkeiten aus. Dies wirft die Frage auf, wer von ihnen überhaupt als „Prophet_in“ zu bezeichnen ist.65 Die Frauen, denen in Ez 13,17–23 vorgeworfen wird, aus ihrem eigenen 63 Vgl. Hamori, „Gender and the Verification of Prophecy at Mari“; zu einem ähnlichen Fall in Assyrien vgl. *115. 64 Vgl. z. B. Handy, „The Role of Huldah in Josiah’s Cult Reform“. 65 Vgl. Hamori, Women’s Divination, die auch Rebekka, Rahel, Hanna, die Totenbeschwörerin von En-Dor, die „kluge Frau“ aus 2 Sam 14 und 20 und die Frauen aus
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Herzen heraus prophetisch zu handeln, werden über Spielarten der Divination oder Magie beschrieben, die sich recht deutlich von dem unterscheiden, was üblicherweise als Prophetie verstanden wird. Einige narrative Gestalten wie Debora und Mirjam übernehmen vielfältige divinatorische und politische Führungsrollen, die aufgrund ihres legendarischen Charakters schwerlich mit einer konkreten historischen Praxis in Einklang zu bringen sind. Aus diesem Grund lässt es sich auch kaum beurteilen, wie genau die prophetische Divination in Juda oder Jehud sich von der unterschied, die in den Quellen aus Mari und Assyrien dokumentiert ist. Unsere Kenntnis der antiken Prophetie ist durch verschiedene Filter auf uns gekommen, die zum Teil durch die Launen des Wandels und zum Teil durch antike Schreiber und Archivare erzeugt worden sind und vor langer Zeit die Weichen zu dem gestellt haben, was wir heute sehen können. Bedingt durch den langen Prozess der textlichen Überlieferung ist im Fall der Hebräischen Bibel die Entfernung zwischen dem Text und der historischen Divinationspraxis beträchtlich größer als in den keilschriftlichen Quellen. In der Hebräischen Bibel sind die Erzählungen, in denen Prophetinnen vorkommen, in Kontexte eingebettet, die die prophetischen Gestalten – vorausgesetzt, es handelt sich nicht von Anfang an um narrative Charaktere – aus ihren historischen Umgebungen herauslösen. Das Bild der biblischen Prophetie ist das Konstrukt biblischer Autoren, die möglicherweise ideologische Gründe gehabt haben, die Rolle von Frauen herunterzuspielen, ohne sie ganz zu verschweigen. Die ideologische Verzerrung ist jedoch nicht nur für die Hebräische Bibel typisch. Die Auswahl der prophetischen Worte, die aufgeschrieben wurden, um der Nachwelt erhalten zu bleiben, war alles andere als ein unvoreingenommener Prozess. Das assyrische Konstrukt von Prophetie spiegelt die königliche Ideologie wider, die in den Ištar-Tempeln propagiert wurde, und das erklärt vielleicht zum Teil, weshalb in den erhaltenen assyrischen Quellen die nichtmännlichen Ištar-Prophet_innen in der Mehrheit sind. Mithin gewähren uns die altorientalischen Quellen authentische, aber verzerrte Einblicke in die antike Divinationspraxis, ohne je ein vollständiges Bild zu zeichnen. Vieles bleibt verborgen, doch es wird deutlich, dass die Prophetie kein ausschließlich männlicher Beruf war.
der Vision in Joel 3 diskutiert; vgl. Fischer, Gotteskünderinnen, die die in Ex 38,8 erwähnten Frauen, die Frau von En-Dor und die Frauen aus Joel 3 miteinschließt; und Gafney, Daughters of Miriam, die die Frauen aus Joel 3 und die Töchter Hemans in 1 Chron 25,5f. diskutiert.
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Anhang: Liste altorientalischer Texte, in denen nichtmännliche Prophet_innen erwähnt werden Nummerierung nach WAW 41, 2. Aufl.
Altbabylonisch
*1 FM 7 39 (Durand 2002: 134f.) *7 ARM 26 197 (Durand 1988: 424) *8 ARM 26 198 (Durand 1988: 425) *9 ARM 26 199 (Durand 2012) *10 ARM 26 200 (Durand 1988: 429f.) *11 ARM 26 201 (Durand 1988: 430) *13 ARM 26 203 (Durand 1988: 431f.) *14 ARM 26 204 (Durand 1988: 432f.) *17 ARM 26 207 (Durand 1988: 435–37) *20 ARM 26 210 (Durand 1988: 439f.) *22 ARM 26 212 (Durand 1988: 440f.) *23 ARM 26 213 (Durand 1988: 441f.) *24 ARM 26 214 (Durand 1988: 442f.) *35 ARM 26 227 (Durand 1988: 467) *36 ARM 26 229 (Durand 1988: 468f.) *37 ARM 26 232 (Durand 1988: 471f.) *41 ARM 26 236 (Durand 1988: 477f.) *42 ARM 26 237 (Durand 1988: 478f.) *44 ARM 26 239 (Durand 1988: 480f.) *45 ARM 26 240 (Durand 1988: 481f.) *50b M. 7160 (Charpin 2014: 32) *52 FM 3 3 (Durand/Guichard 1997) *58 ARM 22 326 (Kupper 1983: 510–513) *65b M. 11299 (Durand 1988: 399) *120 MSL 12 5.22 (Civil et al. 1969: 158) *135g TCL 10 39 (Dyckhoff 1999: 39–43)
Assyrisch *68 *69 *70 *71 *72 *74 *75 *79 *81 *92 *94 *95 *105 *109
SAA 9 1.1 (Parpola 1997: 4f.) SAA 9 1.2 (Parpola 1997: 5) SAA 9 1.3 (Parpola 1997: 6) SAA 9 1.4 (Parpola 1997: 6) SAA 9 1.5 (Parpola 1997: 7) SAA 9 1.7 (Parpola 1997: 9) SAA 9 1.8 (Parpola 1997: 9) SAA 9 2.2 (Parpola 1997: 14f.) SAA 9 2.4 (Parpola 1997: 16f.) SAA 9 7 (Parpola 1997: 38f.) SAA 9 9 (Parpola 1997: 40f.) SAA 9 10 (Parpola 1997: 42) SAA 10 109 (Parpola 1993: 86–88) SAA 10 352 (Parpola 1993: 288f.)
āpilum u āpiltum Šelebum, die assinnu; qammatum Šelebum, die assinnu qammatum Ḫubatum, die muḫḫūtum (Ḫubatum?), die muḫḫūtum qammatum Innibana, die āpiltum männliche und weibliche Personen die Gemahlin eines freien Mannes Ili-ḫaznaya, die assinnu Šelebum, die assinnu Aḫatum, das Dienstmädchen […-b]ila’u Ayala Zunana Kakka-lidi Addu-duri; muḫḫūtum Šimatum Timlû muḫ[ḫūtum] der Ištar von Bišra muḫḫâtum (Pl.) Annu-tabni, die muḫḫūtum Šelebum und Ili-ḫaznaya mí-lú-gub-ba = muḫḫūt[um] mí-lú-gub-ba der Inanna von Zabala
Issar-la-tašiyaṭ, ein Mann (?) aus Arbela Sinqiša-amur, eine Frau aus Arbela Remut-allati, eine Frau aus Dara-aḫuya Frau Bayâ, ein Mann aus Arbela Frau Ilussa-amur, ein Mann aus Assur Issar-beli-da’’ini, eine Tempeldienerin Aḫat-abiša, eine Frau aus Arbela [Frau Bay]â, ein Mann aus Arbela Urkittu-šarrat, eine Frau aus Calah Mullissu-kabtat, die raggintu Dunnaša-amur, eine Frau aus Arbela Dunnaša-amur, die mí-gub-ba raggimānu, raggimātu raggintu
94 *110 SAA 12 69 (Kataja/Whiting 1995: 74) *113 SAA 13 144 (Cole/Machinist 1998: 116f.) *114 SAA 13 148 (Cole/Machinist 1998: 119) *115 SAA 16 59 (Luukko/Van Buylaere 2002: 52f.) *118 K 2001+ (Farber 1977: 128–55) *123 VS 19 1 (Freydank 1974: 58–73) *125 MSL 12 4.222 (Civil et al. 1969: 132) *127 Šumma izbu xi (De Zorzi 2014: 642) *128 Šumma izbu Comm. (De Zorzi 2014: 640) *129 Šumma ālu i (Freedman 1998: 32–35)
Martti Nissinen maḫḫātu (Pl.) NN NN, eine Tempeldienerin ein Sklavenmädchen maḫḫû, maḫḫūtu maḫḫû, maḫḫātu, assinnu maḫḫû, maḫḫūtu maḫḫātu maḫḫātu, maḫḫû maḫḫû, maḫḫātu
Frauen und magische Praktiken in den Prophetenbüchern (Josua–Maleachi) Ora Brison Tel Aviv University
„Die meisten Frauen treiben Zauberei.“ Mischna Avot 2,7
Der vorliegende Beitrag untersucht die Darstellung und den Zusammenhang von Magie, Wahrsagerei und Gender in den Büchern der Prophetie von Josua bis Maleachi. Dabei konzentrieren sich Untersuchung und Diskussion auf zwei Kategorien: (1) die biblischen Bilder von Frauen, die Magie und Wahrsagerei praktizieren oder damit in Verbindung gebracht werden, und (2) die Personifizierung sündiger Städte und Länder als Frauen, die von den Propheten als Zauberinnen und Huren porträtiert werden.
1.
Magie und Wahrsagerei in der Bibel1
Die Hebräische Bibel enthält eine Vielzahl an Belegen einer breiten Palette an magischen und divinatorischen Aktivitäten in den altisraelitischen Gesellschaften. Ähnlich wie in anderen religiösen Systemen des Alten Orients wur1
Zu Zauberei, Weissagung und den Personen, die diese Praktiken im biblischen Umfeld und im antiken Nahen Osten ausübten vgl. Michael A. Fishbane, Studies in Biblical Magic: Origins, Uses and Transformations of Terminology and Literary Form (Diss., Brandeis University, 1971); Ann Jeffers, Magic and Divination in Ancient Palestine and Syria (SHANE 8; Leiden: Brill, 1996); Fredrick H. Cryer, Divination in Ancient Israel and its Near Eastern Environment: A Socio-Historical Investigation (JSOTSup 142; Sheffield: JSOT Press, 1994); Lester L. Grabbe, Priests, Prophets, Diviners, Sages: A Socio-Historical Study of Religious Specialists in Ancient Israel (Valley Forge: Trinity Press International, 1995); Jean Bottéro, Religion in Ancient Mesopotamia (Chicago: University of Chicago Press, 2001), 170–202 (französisches Original: La plus vieille religion: en Mésopotamie [Collection Folio: Histoire 82; Paris: Gallimard, 1998]); Tzvi Abusch, Mesopotamian Witchcraft: Toward a History and Understanding of Babylonian Witchcraft Beliefs and Literature (AMD 5; Leiden: Brill, 2002); Rüdiger Schmitt, Magie im Alten Testament (AOAT 313; Münster: Ugarit-Verlag, 2004). Zu magischen Praktiken im frühen Judentum vgl. Gideon Bohak, Ancient Jewish Magic: A History (Cambridge: Cambridge University Press, 2008).
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de Magie sowohl im Bereich der offiziellen Religion als auch in inoffiziellen Kulten praktiziert. Allerdings sind die magischen und divinatorischen Praktiken je nach Gesellschaft unterschiedlich und müssen daher in ihrem jeweiligen Kontext untersucht und verstanden werden.2 Die biblischen Texte bieten einen dialektischen Diskurs aus Ablehnung und Akzeptanz, aus ambivalenten und widersprüchlichen Haltungen und Standpunkten gegenüber diesen Praktiken und den sie ausübenden Personen (Männern wie Frauen). Offiziell verurteilt die Bibel Praktiken der Magie, Wahrsagerei, Zauberei und Hexerei immer und mit Nachdruck. Gleichzeitig, so Brenner, wird hinreichend deutlich, dass weder Magie noch Wahrsagerei per se verboten war. Und ihre Ächtung ist letztlich nichts anderes als ein Beweis für das Fortleben magischer und divinatorischer Praktiken in den kulturellen Substraten Alt-Israels.3 Dtn 18,10f. bietet die umfangreichste Aufstellung von magischen und divinatorischen Praktiken und den sie ausübenden Personen.4 Da die biblischen Texte jedoch insgesamt nur wenig zusammenhängende Informationen liefern, herrscht sowohl bei den älteren als auch den modernen Kommentatoren kein Konsens über Bedeutung und Zweck der meisten in diesen Versen genannten magischen und divinatorischen Praktiken und Hilfsmittel. So stützten sich die Interpretationen dieser Praktiken oft auf außerbiblische Parallelen. Die verschiedenen Methoden der Magie und Divination – Prophezeiungen, Traumdeutungen, Totenbeschwörungen usw. – lassen sich nicht immer leicht und mit letzter Klarheit gegeneinander abgrenzen.5 Gleichwohl herrscht in der Forschung allgemein Einigkeit darüber, dass die Verwendung bestimmter Wurzeln wie ( כשׁףwahrsagen: Gesenius 577f.), ( קסםzaubern: Gesenius 1177) und ( נחשׁwahrsagen: Gesenius 806; z. B. 2 Chr 33,6) generell auf diejenigen magischen Praktiken hinweist, die in den Gesetzessammlungen verurteilt werden. 2
Theodore J. Lewis, Cults of the Dead in Ancient Israel and Ugarit (HSM 39; Atlanta: Scholars Press, 1989), 104; Karel van der Toorn, Family Religion in Babylonia, Syria and Israel: Continuity and Change in the Forms of Religious Life (SHANE 7; Leiden: Brill, 1996), 206–235; Jeffers, Magic and Divination, 2–24; Rüdiger Schmitt, „Theories Regarding Witchcraft Accusations and the Hebrew Bible“, in Social Theory and the Study of Israelite Religion: Essays in Retrospect and Prospect (hg. v. Saul M. Olyan; SBLRBS 71; Atlanta: SBL, 2012), 181–194; 182. 3 Vgl. Athalya Brenner-Idan, The Israelite Woman: Social Role and Literary Type in Biblical Narrative (Cornerstones; London: Bloomsbury, 22014), 68; Fishbane, Studies in Biblical Magic, 38–43, vertritt die Auffassung, dass die biblischen Editionsund Kürzungsprozesse viele der ursprünglichen Verweise auf magische Praktiken eliminiert hätten. 4 Kleinere Listen finden sich in Ex 7,11; 2 Kön 21,6 und Jer 27,9. 5 Irmtraud Fischer, Gotteskünderinnen: Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel (Stuttgart: Kohlhammer, 2002), 44–49, gibt zu bedenken, dass der Begriff „Prophetie“ vor Dtn 18 vermutlich verschiedene wahrsagerische Praktiken umfasst hat.
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In Dtn 18,14f. wird erklärt, dass die verschiedenen Wahrsager und Zauberer im Land Kanaan durch (von Gott bevollmächtigte) Prophet_innen ersetzt werden sollen. Diese Aussage belegt die Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Gruppen von Mittler_innen. Tatsächlich zeigen biblische Geschichten, dass Prophet_innen in denselben Angelegenheiten hinzugezogen wurden wie Wahrsager_innen und Zauberer_innen und dass Prophet_innen überdies ähnliche Wunder und magische Taten vollbrachten wie fremde Zauber_innen.6 Einige Beispiele, die dies belegen, sind etwa Mose in Ex 7,10, Samuel in 1 Sam 9,19f., Elija in 1 Kön 17,10–16.18–24. Auch Priester und Leviten betätigen sich mithilfe der Urim und Tummim (Num 27,18–23; 1 Sam 14,41f.) und des Ephods (Ri 17–18) als Wahrsager. Keiner von ihnen wird für seine magischen Praktiken gerügt oder verurteilt. Zudem fällt auf, dass die Bibel diese Praktiken nie als wirkungslos bezeichnet. Milgrom schreibt hierzu: Die meisten synkretistischen Formen von Magie und Wahrsagerei trafen bei der herrschenden geistlichen Führung, Priestern wie Propheten, nicht auf Widerstand, weil sie nicht glaubten oder ihnen nicht bewusst war, dass sie eine Gefahr für den Bundesglauben darstellten.7
Entscheidend dafür, ob diese Praktiken im biblischen Kontext als legitim oder illegitim beurteilt wurden, waren offenbar die Quelle ihrer Autorität und das Ansehen der Mittler, die – von JHWH bevollmächtigt oder nicht – die magischen und divinatorischen Handlungen vornahmen.8 Wenn Magie und Wahrsagerei – was häufig der Fall ist – mit fremden heidnischen Kulten in Verbindung gebracht werden, fällt ihre Beschreibung negativ aus, um die betreffenden Kulte, die nicht selten als Hurerei abgestempelt werden (z. B. Num 25,1f.; Nah 3,4), zu diskreditieren.
6
Vgl. z. B. Martti Nissinen, „Prophecy and Omen Divination: Two Sides of the Same Coin“, in Divination and Interpretation of Signs in the Ancient World (hg. v. Amar Annus; OIS 6; Chicago: Oriental Institute of the University of Chicago, 2010), 341– 351; Grabbe, Priests, 130. 7 Jacob Milgrom, „Magic, Monotheism, and the Sin of Moses“, in The Quest for the Kingdom of God: Studies in Honor of George E. Mendenhall (hg. v. Herbert B. Huffmon, Frank A. Spina und Alberto R. W. Green; Winona Lake: Eisenbrauns, 1983), 251–265; 262f. 8 Viele Wissenschaftler_innen – unter ihnen Jeffers, Magic and Divination; Cryer, Divination; sowie Grabbe, Priests – sind der Auffassung, diverse Gesetze und Erlässe sowie zahlreiche Verweise in biblischen Geschichten, die magische Praktiken verurteilen, ließen deutlich genug erkennen, dass diese als Bestandteile von Götzendienst und fremden Bräuchen angesehen wurden.
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Magie und Frauen in der Bibel9
Der Zusammenhang zwischen Magie, Wahrsagerei und Geschlecht in der Hebräischen Bibel ist wichtig und grundlegend, wenn es darum geht, das weibliche Paradigma im alten Israel – und insbesondere in den biblischen Gesellschaften, wo Frauen nicht länger als Priesterinnen oder Levitinnen des JHWH-Kultes fungieren durften – zu verstehen. Im biblischen Hebräisch gibt es für die betreffenden kultischen Ämter nicht einmal feminine Substantive. Die einzige religiöse, kultische oder spirituelle Funktion, die von einer Frau ausgeübt werden durfte, war die der Prophetin. Es verdient Erwähnung, dass den tausend Vorkommen der grammatikalisch männlichen Form in der He bräischen Bibel lediglich fünf Nennungen von Prophetinnen gegenüberstehen. Für Frauen, die mit Prophetie, Magie und Wahrsagerei in Verbindung gebracht werden, gibt es lediglich vier spezifische Bezeichnungen: Prophetin, Zauberin, Medium und Wahrsagerin. Überdies beschreiben nur wenige Vorkommen in den Prophetenbüchern einzelne Frauen/Expertinnen, die mit Magie und Wahrsagerei in Zusammenhang stehen: die Prophetinnen Debora (Ri 4–5) und Hulda (2 Kön 22,14–20), das Medium von Endor (1 Sam 28,7– 20), eine Gruppe prophetisch redender Frauen (Ez 13,17–23) und die Keniterin Jaël, ֶׁח ֶׁבר ( ֵא ֶׁשתRi 4–5).10 Auch Königin Isebel wird vorgeworfen, Zauberei zu praktizieren (2 Kön 9,22). Eine andere Bedeutung erhält das Bild von Frauen, die mit Prophetie, Magie und Wahrsagerei in Verbindung gebracht werden, an denjenigen Stellen des Kanonteils der Prophetie, die die Beziehung zwischen JHWH und den metaphorisch als Frauen personifizierten sündigen Städten beschreiben. In den meisten auf Magie bezogenen Gesetzen und Verboten erscheint ebenso wie in den wiederkehrenden Anklagen und Verurteilungen derer, die sich als falsche Prophet_innen oder Magier_innen betätigen, der Singular oder Plural der maskulinen Form.11 Gleichwohl haben diese „Propheten“ eine weibliche Gestalt, die Zauberin ( ) ְמ ַכ ֵּׁש ָפהwird als metaphorische Personifizierung der sündigen fremden Städte ausgewählt. Obwohl die Bücher des Pentateuchs über den Rahmen des vorliegenden Beitrags hinausgehen, sind im Hinblick auf Frauen/Expertinnen, die mit 9
Ann Louise Fritschel, Women and Magic in the Hebrew Bible (Diss., Emory University, 2003); Esther J. Hamori, Women’s Divination in Biblical Literature: Prophecy, Necromancy, and Other Arts of Knowledge (New Haven: Yale University Press, 2015). 10 Zu dieser Deutung siehe Ora Brison, „Jael, ʼeshet heber the Kenite: A Diviner?“, in Joshua and Judges (hg. v. Athalya Brenner und Gale A. Yee; Texts@Contexts; Minneapolis: Fortress Press, 2013), 139–160, sowie unter 3.1.3 des vorliegenden Beitrags. 11 Aller Wahrscheinlichkeit nach zielen die maskulinen Formen auf Angehörige beider Geschlechter.
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Magie in Verbindung gebracht werden, zwei Gesetze, nämlich Ex 22,17 und Lev 20,27, für diese Untersuchung wesentlich. Beide sind im Singular formuliert. Die Vorschrift in Lev umfasst beide Geschlechter und wird eigens unter den Gesetzen gegen magische und divinatorische Praktiken aufgeführt: Männer oder Frauen, in denen ein Toten- oder ein Wahrsagegeist ist, haben den Tod verdient. Man soll sie steinigen, ihr Blut komme auf sie selbst.
Die Regelung in Ex 22,17 hingegen ist die einzige, die in der femininen Form verfasst ist und sich ausdrücklich auf eine Zauberin bezieht:12 „Eine Zauberin sollst du nicht am Leben lassen“ () ְמ ַכ ֵּׁש ָפה לֹא ְת ַחיֶּ ה.13 Das apodiktische „Zauberinnengesetz“ ist die erste Bibelstelle überhaupt, die sich auf ein Zaubereigesetz bezieht.14 Auch wenn die Bibel selbst keine weiteren Erklärungen hinsichtlich der Bezeichnung einer solchen Frau ( ) ְמ ַכ ֵּׁש ָפהoder ihrer Fertigkeit liefert, wird diese, da sich das Wort auf die Wurzel כשׁףzurückführen lässt, als Zauberei interpretiert. Ausgehend von der Verwendung des Begriffs in ugaritischen und akkadischen Texten wird hinter der ְמ ַכ ֵּׁש ָפהim Allgemeinen eine Wahrsagerin, ein Medium oder eine Zauberin vermutet. Der maskuline Singular ( ְמ ַכ ֵּׁשףZauberer) kommt in der Magie-Liste von Dtn 18,10f. und die Pluralform ( ְמ ַכ ְש ִפיםZauberer) in Ex 7,11, Mal 3,5 und Dan 2,2 vor.15 Nachmanides hat darauf hingewiesen, dass der literarische Kontext des „Zauberinnengesetzes“ auf einen Zusammenhang zwischen Zauberei und Sexualität hindeute: Das unmittelbar vorangehende Gesetz (Ex 22,15f.) betrifft die Verführung einer Jungfrau, das unmittelbar nachfolgende (Ex 22,18) die Sodomie.16 Weist die Tatsache, dass das Geschlecht der Zauberin betont wird, auf eine historische Realität hin, in der eher Frauen als Männer Magie praktizierten? Waren Zauberinnen in der israelitischen Gesellschaft ein so verbreitetes Phänomen, dass es in der Entstehungszeit dieser Texte wichtig war, sie durch ein eigenes Gesetz zu verurteilen oder zu bekämpfen? Könnte dieser Hin12 Targum Onkelos verwendet in seiner Übersetzung das Maskulinum Singular, die Septuaginta das Maskulinum Plural. 13 Der Dekalog wurde durch eine Reihe von Gesetzen, Erlässen und Regeln ergänzt, die man in den narrativen Rahmen der Sinaiperikope einfügte. 14 Eine umfassende Untersuchung zu diesem Thema bieten Yitschak Sefati und Jacob Klein, „The law of the Sorceress (Exod 22:17[18]) in the Light of Biblical and Mesopotamian Parallels“, in Sefer Moshe: The Moshe Weinfeld Jubilee Volume: Studies in the Bible and the Ancient Near East, Qumran, and Post-Biblical Judaism (hg. v. Chaim Cohen, Avi Hurvitz und Shalom M. Paul; Winona Lake: Eisenbrauns, 2004), 171–190. 15 Gesenius 577; vgl. auch Jeffers, Magic and Divination, 65–70; Hamori, Women’s Divination, 24–29. 16 Vgl. Moses Nachmanides, Commentary on the Torah: Exodus (New York: Shilo Publishing House, 1973); ebenso bei Sefati/Klein, „The Law of the Sorceress“, 177.
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weis auch eine Erklärung für die Haltung der Mischna gegenüber Magie und Gender sein? Das sind einige der Fragen, denen im Folgenden nachgegangen werden soll.17
3.
Frauenfiguren in Verbindung mit Magie
Die Frauenbilder, die in den Büchern Jos – Mal mit Magie, Wahrsagerei und Prophetie in Verbindung gebracht werden, lassen sich in vier Kategorien einteilen: Zur ersten gehören zwei im JHWH-Kult offiziell anerkannte Prophetinnen: Debora (Ri 4–5) und Hulda (2 Kön 22,12–20 und 2 Chr 34,20–28). Eine weitere Prophetin wird in Jes 8,3 erwähnt; von ihr wird gesagt, dass ihr Kind einen sprechenden Namen trägt.18 Von ihnen soll hier nicht weiter die Rede sein, da ihnen im vorliegenden Band ein eigener Beitrag gewidmet ist. Die zweite besteht aus bestimmten, jedoch nicht namentlich genannten Frauen/Expertinnen, die mit magischen und divinatorischen Praktiken in Verbindung gebracht werden: das Medium von Endor (1 Sam 28), eine Gruppe von Frauen, nämlich die prophetisch redenden Töchter in Ez 13,17–23, und eine namentlich genannte Frau/Expertin, nämlich Jaël, ֵא ֶׁשת ֶׁח ֶׁברdie Keniterin, in Ri 4–5. In der dritten Kategorie findet sich eine einzige Frau, nämlich die Königin Isebel in 2 Kön 9,22; ihr wird Zauberei und Hurerei vorgeworfen, wobei ihre Verbindung zur Magie nicht näher spezifiziert wird. Die vierte schließlich bilden die Bilder personifizierter sündiger Städte: Jerusalem (Jes 57,3), Babel (Jes 47,1–15) und Ninive (Nah 3), die metaphorisch als Zauberinnen dargestellt werden.
3.1
Bilder von Frauen/Expertinnen, die Magie praktizieren
Die Geschichten über das Medium von Endor, die prophetisch redenden Frauen in Ez 13 und die Keniterin Jaël erzählen von Frauen, die als Expertinnen 17 Vgl. die Diskussion über das Geschlecht in den verschiedenen sozio-politischen Kontexten bei Michelle Zimbalist Rosaldo, „Women, Culture, and Society: A Theoretical Overview“, in Women, Culture, and Society (hg. v. ders. und Louise Lamphere; Stanford: Stanford University Press, 1974), 17–42; Carol L. Meyers, Rediscovering Eve: Ancient Israelite Women in Context (New York: Oxford University Press, 2013); Dies., „From Household to House of Yahweh: Women’s Religious Culture in Ancient Israel“, in Congress Volume Basel 2001 (hg. v. André Lemaire; VTSup 92; Leiden: Brill, 2002), 277–303. 18 Siehe zu Jes 8,3: Fischer, Gotteskünderinnen, 214.216–218; Wilda C. Gafney, Daughters of Miriam: Women Prophets in Ancient Israel (Minneapolis: Fortress Press, 2008); Hamori, Women’s Divination, 160–166.
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Magie praktizieren. Sie gewähren den Leser_innen seltene Einblicke in den Modus Operandi, die Techniken und die Hilfsmittel magischer und divinatorischer Praktiken im biblischen Israel.
3.1.1 Das Medium von Endor (1 Sam 28,3–25) In 1 Sam 28,3–25 trifft König Saul das Medium ֵא ֶׁשת ַּב ֲע ַּלת־אֹובvon Endor. Saul, dem eine Schlacht gegen die Philister bevorsteht und der bereits über verschiedene erlaubte Kommunikationskanäle erfolglos versucht hat, göttliches Wissen und göttliche Weisung zu erlangen, sucht nun Hilfe bei einer Totenbeschwörerin. Nekromantie und andere Praktiken im Zusammenhang mit dem Totenkult waren verboten und konnten mit dem Tod bestraft werden. Die Geschichte beginnt bewusst mit dem Verweis auf Saul selbst, der „die Totenbeschwörer und die Wahrsager aus dem Land vertrieben“ hatte (1 Sam 28,3). Umso überraschender ist es, dass der Verfasser sich entschlossen hat, eine Geschichte über Nekromantie nicht zu zensieren, sondern zu bewahren; und dass er überdies keinen Versuch macht, die Praxis als wirkungslos hinzustellen.19 Die Geschichte liefert einige Informationen über die Frau als Medium: Sie ist eine anerkannte Expertin an einem festen Ort, und die Menschen, die die Toten um Rat zu fragen wünschen, wissen, wohin sie sich wenden müssen. Sie besitzt Eigentum – das Haus, in dem sie die Geister der Toten beschwört – und wird höchstwahrscheinlich für ihre Dienste bezahlt.20 Ihr professionelles Können spiegelt sich im Wert ihrer Praxis, ihren verbalen Fertigkeiten – sie ist eloquent und überzeugend – und in ihrem autoritären und zugleich empathischen Auftreten gegenüber dem Kunden. Die üppige Mahlzeit mit Mastkalb, die sie Saul anbietet, weist darauf hin, dass sie wohlhabend ist. Diese Erzählung gewährt den Leserinnen und Lesern einen seltenen Einblick in eine der außerordentlichsten und am schärfsten verfolgten magischen Praktiken im biblischen Israel – die Geister der Toten zu beschwören (באוב )העלה, um mit ihnen zu sprechen. Die Geschichte des Mediums ist deshalb so besonders, weil sie die offizielle, legale Prophetie und die illegale Magie nacheinander auf ein und derselben Ebene präsentiert. Die Tatsache, dass beide Mittlerfiguren, Mann und Frau – der Prophet und das Medium, mit dem übernatürlichen Bereich in Kommunikation treten können, weist darauf hin, dass sowohl die thematischen als
19 Der Prophet Samuel, der Saul seine früheren magischen Praktiken zum Vorwurf gemacht hat (1 Sam 15,23), kommentiert diese Geisterbeschwörung nicht, und das Medium wird auch nicht der Zauberei beschuldigt. 20 Die Information, wonach Propheten und Wahrsager für Orakelsprüche und andere magische Praktiken bezahlt werden, findet sich in 1 Sam 9,7; Ez 13,19; Mi 3,11.
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auch die terminologischen Grenzen zwischen den Praktiken nicht trennscharf gezogen sind.21
3.1.2 Die prophetisch redenden Frauen im Buch Ezechiel (Ez 13,17–23)22 Ezechiel hält sich selbst für einen wahren Propheten und Boten JHWHs und wendet sich gegen alle anderen Mittler, die er in der maskulinen Form als „falsche“ Propheten bezeichnet (13,1–3). Die Frauen nennt er nicht Prophetinnen,23 sondern „die Töchter deines Volkes, die aus ihrem eigenen Herzen heraus prophetisch reden“. Er wirft ihnen vor, das Volk, das sich ratsuchend an sie wendet, mit Zauberwerk und Lügen zu täuschen ( ָכּזָ ב, ֶק ֶסם, ) ָׁשוְ א, und behauptet, dass sie keine Botschaften von Gott erhalten und keine echte göttliche Autorität besitzen. Mithin seien sie unrechtmäßige und im religiösen Sinne sündige Mittlerinnen, die sich zu Unrecht auf den Namen JHWHs berufen. Ezechiel wirft ihnen vor, eine Form der Wahrsagerei zu betreiben, bei der die Seelen der Menschen mit magischen Techniken und Hilfsmitteln ( ְּכ ָסתֹות, ִּמ ְס ָּפחֹות, den Interpretationen zufolge das Knüpfen von Zauberknoten unter Verwendung verschiedener Stoffe, Schleier und Bänder) gefangen werden sollen.24 Da kein klarer Konsens darüber herrscht, welche Art von Magie an dieser Stelle eigentlich beschrieben wird, sind die Interpretationen vielfältig.
21 Zum Beispiel die Verwendung der Verben שאלqal und דרשqal, die sich üblicherweise auf die Befragung einer übernatürlichen Macht beziehen (1 Sam 28,7; 1 Chr 10,13) und der Gebrauch der Wurzel קסם, „hexen“, die oft auf Götzendienst verweist (1 Sam 28,8). Siehe auch weitere Studien zu diesem Text: Uriel Simon, „A Balanced Story: The Stern Prophet and the Kind Witch“, Proof 8 (1988): 159–171; Ora Brison, „The Medium of En-dor and the Phenomenon of Divination in the Twenty-First Century Israel“, in Samuel, Kings and Chronicles 1 (hg. v. Athalya BrennerIdan und Archie C. C. Lee; Texts@Contexts 5; London: Bloomsbury T&T Clark, 2017), 124–147; Fischer, Gotteskünderinnen, 147–154, vertritt einen anderen Ansatz: Der Text führt die in Dtn 18,9–14 verbotenen Praktiken narrativ ad absurdum. 22 Eine umfassende Untersuchung zu diesem Thema bietet Nancy R. Bowen, „The Daughters of Your People: Female Prophets in Ezekiel 13:17–23“, JBL 118 (1999): 417–433. 23 Vgl. dazu den literarischen Umgang mit anderen Frauen/Prophetinnen (Mirjam, Debora oder Hulda). 24 Viele Forscher_innen sehen einen Zusammenhang zwischen ְּכ ָסתֹותund dem akkadischen Verb kasû, „binden“, das im Zusammenhang mit magischen Verträgen verwendet wird, z. B. Henry W. F. Saggs, „External Souls in the Old Testament“, JSSt 19 (1974): 1–12; 5; Walther Zimmerli, Ezechiel (BKAT 13; 2 Bde; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 21979), 1:297; Fishbane, Studies in Biblical Magic, 56–58.
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Die Mehrheit der Kommentatoren wie Greenberg halten die prophetisch redenden Frauen für Hexen oder Zauberinnen,25 wohingegen Scurlock 26 und Bowen27 vermuten, es habe sich um Expertinnen gehandelt, die man in Fragen der Schwangerschaft und Geburt zu Rate zog. Sie vertreten die Auffassung, dass Ezechiels Beschreibungen auf dem Korpus von Beschwörungsformeln basieren, der unter dem Namen Maqlû bekannt ist. Dieser Korpus von Beschwörungen und Ritualen „gegen Hexerei“ enthält eine Fülle an Gesundheitsritualen, Geburtsritualen usw. Ausgehend von ugaritischen und mesopotamischen Parallelen vertritt van der Toorn die Auffassung, dass diese prophetisch redenden Frauen Totenbeschwörung und Wahrsagerei praktiziert hätten.28 Saggs, Korpel und Hamori deuten die Tätigkeiten dieser Frauen als Nekromantie und begründen dies in der Hauptsache mit dem mehrfachen Verweis auf צֹודד נְ ָפׁשֹות ֵ ְל, das als das Fangen/Jagen von „Seelen“, „Lebenskraft“ oder „Totengeistern“ gedeutet wird.29 Zimmerli gehört zu denjenigen Forschern, die diese Frauen eher für Prophetinnen als für Zauberinnen halten, deren Handlungen über die eigentliche Prophetie hinaus ins Magische reichen.30 Ezechiels detaillierte Beschreibungen der Techniken und Hilfsmittel der prophetisch redenden Frauen wirken wie ein Wissen aus erster Hand, das den Lesenden Einblick in die Materia magica der damaligen Zeit gewährt. Sowohl die Erzählung über das Medium als auch die prophetisch redenden Frauen bei Ezechiel scheinen mit dem Totenkult in Verbindung gebracht zu werden. Ezechiels Widerstand gegen die magischen Praktiken dieser Frauen spiegelt den fortdauernden Kampf der Propheten JHWHs gegen den Synkretismus und die Übernahme mesopotamischer Kultelemente durch die israelitische Religion.
25 Moshe Greenberg, Ezechiel 1–20 (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2001), 284. 26 Jo Ann Scurlock, „Baby-snatching Demons, Restless Souls and the Dangers of Childbirth: Medio-Magical Means of Dealing with Some of the Perils of Motherhood in Ancient Mesopotamia“, Incognita 2 (1991): 137–185. 27 Vgl. Bowen, „The Daughters of Your People“, 421 sowie Abusch, Mesopotamian Witchcraft. 28 Karel van der Toorn, From Her Cradle to Her Grave: The Role of Religion in the Life of the Israelite and Babylonian Woman (BiSe 23; Sheffield: JSOT Press, 1994), 123. 29 Saggs, „External Souls“, 6; Marjo C. A. Korpel, „Avian Spirits in Ugarit and Ezekiel 13“, in Ugarit, Religion and Culture: Proceedings of the International Colloquium on Ugarit, Religion and Culture, Edinburgh, July 1994: Essays Presented in Honour of Professor John C. L. Gibson (hg. v. Nick Wyatt, Wilfred G. E. Watson und Jeffrey B. Lloyd; UBL 12; Münster: Ugarit-Verlag, 1996), 99–113; 102–105; Hamori, Women’s Divination, 167–183. 30 Vgl. Zimmerli, Ezechiel, 1:296f.; Fritschel, Women and Magic, 132.
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3.1.3 Jaël, die Zauberknoten knüpfende Frau (Ri 4–5) Eine weitere namentlich identifizierbare Frau und der ersten Kategorie zuzurechnende Expertin ist die Keniterin Jaël, „( ֵא ֶׁשת ֶׁח ֶׁברFrau des Knüpfens“). Brison31 macht geltend, dass ihre Geschichte verschiedene Hinweise darauf liefert, dass sie wahrscheinlich mit Magie in Verbindung zu bringen ist und in der fraglichen Zeit (Ri 5,6) als Mittlerin zwischen dem menschlichen und dem übernatürlichen Bereich, also als Wahrsagerin, bekannt gewesen sei. Sisera – der Befehlshaber der kanaanitischen Armee – floh nach seiner Niederlage im Krieg gegen die Armee der Israeliten in Jaëls Zelt, um eine der Magie kundige Person über sein Schicksal zu befragen und eine göttliche Antwort zu erhalten. Das, was in Jaëls Zelt geschieht, weist in puncto Bildlichkeit, Szenerie und Dialoge zahlreiche thematische Parallelen zur Begegnung zwischen Saul und dem Medium von Endor auf (1 Sam 28,3–25). Was Jaëls Beschreibung als ֵא ֶׁשת ֶׁח ֶׁברbetrifft, so zeigt die syntaktische Analyse, dass ֵא ֶׁשת ֶׁח ֶׁברin Verbindung mit einer Apposition in einem Status constructus im Hebräischen deskriptiv sein kann; weitere Beispiele wären ַ „( ֵא ֶׁשFrau Fähigetwa „( ֵא ֶׁשת ְּכ ִסילּותFrau Torheit“, Spr 9,13) oder ת־חיִל keit“, Spr 31,10). Nach HALOT (43f.) können derartige Konstruktionen paִ יׁש־א ֱ „( ִאMann Gottes“, rallel zu den maskulinen Substantivbildungen ֹלהים 1 Sam 2,27) und „( ִאיׁש כ ֵֹּהןMann der Priester[schaft]“ = „Priester“, Lev 21,9) eine Beschäftigung oder ein öffentliches Amt bezeichnen. Folglich kann ֵא ֶׁשת ֶׁח ֶׁברals das Gegenstück zu ( ֵא ֶׁשת ַּב ֲע ַּלת־אֹוב1 Sam 28) betrachtet werden: ein Medium, eine Expertin, eine Frau, die „Zauberknoten knüpft“ (abgeleitet von der verbreiteten semitischen Wurzel „[ חברknüpfen, binden“], die auch in Dtn 18,11, Jes 47,9 und Ps 58,6 vorkommt).32 Jaëls selbstbewusstes Auftreten, die unterschiedlichen Materialien und die auffälligen Artefakte – eine „prächtige Schale“ () ֵס ֶפל ַא ִּד ִּירים, „Sahne“ ָ ִה ְק ִר, „reichte“ (Ri 5,25) – die in der () ֶח ְמ ָאה, die Verwendung des Verbs יבה Bibel mit Opfergaben assoziiert werden, sowie viele weitere Hinweise könnten als Wahrsage- oder Beschwörungs-Séance oder vielleicht auch als ein Ritual der Trauminkubation gedeutet werden.33
31 Brison, „Jael“; siehe dazu auch Susan Ackerman, Warrior, Dancer, Seductress, Queen: Women in Judges and Biblical Israel (ABRL; New York: Doubleday, 1998), 96–101. 32 Vgl. auch Fishbane, Studies in Biblical Magic, 52–56. 33 Detaillierte Informationen zu dieser Deutung bietet Brison, „Jael“.
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Isebel (2 Kön 9,22)34
In der dritten Kategorie begegnet uns eine prominente Frauengestalt: Isebel, die Königin von Israel, die zum Sinnbild der niederträchtigen Hexe schlechthin geworden ist. Isebel, Tochter Etbaals, des Königs von Sidon und Tyros (1 Kön 16,31), war König Ahabs Frau und als Anhängerin des kanaanitischen Kults der Götter Baal und Aschera wahrscheinlich für den Bau eines Baalstempels in der Hauptstadt Samaria verantwortlich. Ihre kultischen/religiösen Aktivitäten werden in 1 Kön 18,19 beschrieben: „die vierhundertfünfzig Prophet_innen des Baal und die vierhundert Prophet_innen der Aschera, die vom Tisch Isebels essen“. Isebel war mächtig, aggressiv und intelligent und besaß als Ahabs Mitregentin und als Regentin nach dem Tod seiner Söhne Autorität und eine einflussreiche Stellung bei Hof.35 Der biblische Text stellt sie als aktive und grausame Gegnerin des wahren Gottes Israels, seiner Gläubigen und seiner Prophet_innen dar. Sie verfolgte JHWHs Propheten bis zur fast völligen Auslöschung (1 Kön 18,4.13). Selbst der Prophet Elija musste um sein Leben fürchten und sich vor ihr verstecken. Jehu, ein Befehlshaber in Ahabs Armee, versucht mit dem Segen der Propheten Elija und Elischa das Haus Ahab zu stürzen. Als er auf Joram, den König Israels, trifft, sagt Jehu über Isebel: Als Joram Jehu sah, fragte er: Kommst du in friedlicher Absicht, Jehu? Doch dieser erwiderte: Wie sollte ich in friedlicher Absicht kommen, solange die Unzucht deiner Mutter Isebel und ihre vielen Zaubereien andauern? (2 Kön 9,22)
Die Worte Jehus, der Königin Isebel „viele Zaubereien“ vorwirft, bilden, wie Schmitt gezeigt hat, die einzige Stelle im ganzen deuteronomistischen Geschichtswerk, wo eine bestimmte und konkrete Frau beschuldigt wird, Hexerei zu praktizieren.36 Davon abgesehen gibt es im Text keinerlei Hinweise darauf, dass Isebel ihrem Ehemann Ahab untreu gewesen oder mit Magie und Zauberei in Verbindung gebracht worden wäre. Brenner vertritt die Auffassung, dass Jehus Portrait der Isebel als Zauberin und Hure sich vermutlich auf die Rolle der Königin als Schirmherrin des Baal-Fruchtbarkeitskultes bezieht.37 Nach der Auffassung von Dutcher34 Vgl. Patricia Dutcher-Walls, Jezebel: Portraits of a Queen (Collegeville: Liturgical Press, 2004). 35 Zu Isebel als Ratgeberin vgl. Fischer, Gotteslehrerinnen: Weise Frauen und Frau Weisheit im Alten Testament (Stuttgart: Kohlhammer, 2006), 127–130. 36 Schmitt, „Theories Regarding Witchcraft“, 187. 37 Brenner-Idan, The Israelite Woman, 22–27. Dass eine Frau – und überdies eine Ausländerin, die fremde Götter verehrt – in priesterlicher Funktion handeln kann, war für diejenigen, die diese Geschichten aufschrieben und herausgaben, vermutlich
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Walls charakterisieren Jehus Worte Isebel als die Quelle alles Bösen, das aus Israel ausgemerzt werden muss.38 Im Lauf der Geschichte ist Isebel immer wieder mit Adjektiven wie boshaft, hochmütig, hinterhältig, niederträchtig und teuflisch beschrieben worden. Ihre Darstellung als falsche Prophetin in Offb 2,20: „Isebel […] gibt sich als Prophetin aus“, machte sie zum Archetypus der sexuell gefährlichen, betörenden, bösen Frau. Bis heute ist „Jezebel“ im englischen Sprachraum ein Synonym für eine negativ konnotierte Frauengestalt: eine Hure und promiskuitive Frau laut Merriam Webster Dictionary und dem Cambridge Dictionary zufolge eine unmoralische Frau, die Menschen täuscht, um das zu bekommen, was sie will.39 Isebel ist die erste Frau, der in den Prophetenbüchern Hurerei und Zauberei vorgeworfen wird. Die Geschichte und das Bild der Isebel sind ein anschaulicher Beleg für die Verbindung zwischen Geschlecht, Magie und Hurerei, die bei der Entwicklung der Frauen- bzw. Zauberinnenmetapher in den Prophezeiungen von Jesaja, Ezechiel, Jeremia und Micha eine wichtige Rolle spielt.
3.3
Die Frauen-/Zauberinnen-/Dirnenmetapher
Die vierte Kategorie umfasst die Verwendung polyvalenter, negativer und pejorativer Frauenbilder durch einige Propheten, die sich in ihrer Polemik gegen sündige Städte der Frauen-/Zauberinnenmetapher bedienen.40 Vorbild für diese metaphorischen Prophezeiungen ist eine andere biblische Metapher, die verwendet wird, um die Beziehung zwischen JHWH und Israel als ein Verhältnis zwischen Mann und Frau zu beschreiben: die Ehemetapher (z. B. Jer 2,2; Hos 2,18–22).41 Jesaja und Nahum treiben die Frauenmetapher zum Äußersten: Sie stellen sündige Städte (Babel, Ninive) als Frauen dar und betonen damit den Zu-
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41
unvorstellbar. Innerhalb der patriarchalen Strukturen der Gesellschaft Israels/Judas besaß eine solche Stellung keinerlei Legitimation oder Gültigkeit. Dutcher-Walls, Jezebel, 75. Merriam Webster Dictionary, online: https://www.merriam-webster.com/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]; Cambridge Dictionary, online: https://dictionary.cambridge. org/de/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. Vgl. z. B. Peggy L. Day, „The Personification of Cities as Female in the Hebrew Bible: The Thesis of Aloysius Fitzgerald, F. S. C.“, in Reading from this Place 2: Social Location and Biblical Interpretation in Global Perspective (hg. v. Fernando F. Segovia und Mary Ann Tolbert; Minneapolis: Fortress Press, 1995), 283–302; Stéphanie Anthonioz, „Cities of Glory and Cities of Pride: Concepts, Gender, and Images of Cities in Mesopotamia and in Ancient Israel“, in Memory and the City in Ancient Israel (hg. v. Diana V. Edelman und Ehud Ben Zvi; Winona Lake: Eisenbrauns, 2014), 21–42. Vgl. z. B. Julie Galambush, Jerusalem in the Book of Ezekiel: The City as Yahwehʼs Wife (SBLDS 130; Atlanta: Scholars Press, 1992).
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sammenhang zwischen Magie, Hurerei und Geschlecht.42 Jesaja personifiziert Babel (Jes 47,1–15; 57,3–13) und Juda (vgl. z. B. Jes 37,22); Nahum personifiziert Ninive (Nah 3,4). Auch der Prophet Micha (Mi 5,11–13) verwendet die weibliche Metapher, wenn er Juda mit Magie in Verbindung bringt, und nennt dabei Götzendienst und Zauberei in einem Atemzug. Die Propheten verurteilen diese feminisierten, personifizierten Städte als Zauberinnen und Dirnen und stellen auf diese Weise eine Verbindung zwischen Magie und Hurerei her. Zwar verwendet der biblische Verfasser, wie Hamori gezeigt hat, das von der Wurzel „( זנהhinterherhuren“) abgeleitete Wort לזנותauch im Zusammenhang mit Männern, doch werden diese an den betreffenden Stellen eher des Götzendiensts als der Zauberei beschuldigt (z. B. Ex 34,15f.; Lev 17,7; 20,5f.; Dtn 31,16; Ri 2,17; 8,27 usw.).43 Die Propheten verwenden im Kontext der Frauenmetapher nicht nur das Verb זנהin der Bedeutung Prostitution/Hurerei, sondern gebrauchen zudem eine abfällige, beleidigende, demütigende und sogar pornographische Sprache und Metaphorik. Die prophetische Metapher einer personifizierten Stadt (bzw. eines Landes) setzt sich aus fünf vorherrschenden stereotypen Merkmalen zusammen: a) unabhängiges Verhalten im öffentlichen Raum; b) fremdländische Herkunft; c) Verbindung mit Hurerei und/oder Promiskuität; d) Verbindung mit Götzendienst; e) Verbindung mit Magie. Einige oder auch alle dieser Merkmale finden sich häufig auch in den Darstellungen negativer biblischer Frauenbilder. Ich vermute, dass die negative und beinahe dämonische Darstellung der Isebel, die der Zauberei und Hurerei beschuldigt und mit den betreffenden Praktiken in Verbindung gebracht wird, als Rollenmodell für die Frauenmetapher gedient haben könnte, die in den genannten Prophetentexten Verwendung findet.
3.3.1 Jes 57,3: – עֹנְ נָ הWahrsagerin/Beschwörerin/Nekromantin? Zwei Beispiele für die Verwendung der Zauberinnenmetapher finden sich in Jesajatexten gegen das personifizierte Babel (Jes 47,9–13) und gegen das treulose Volk der Israeliten (Jes 57,3). Ihr aber, kommt herbei, ihr Kinder der Zauberin, Nachkommen eines Ehebrechers und einer Dirne! (Jes 57,3)
42 Prostitution als Metapher für Apostasie ist ein gebräuchliches rhetorisches Mittel in der prophetischen Literatur (Jer 2,20; 3,1–13; Hos 2,4; 4,12f.); vgl. Brenner-Idan, The Israelite Woman, 80. 43 Hamori, Women’s Divination, 210.
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Deuterojesaja verwendet die Metapher für die treulosen Israeliten, die er als Nachkommen einer Zauberin beschreibt: Kinder einer Mutter, die eine Dirne, und eines Vaters, der ein Ehebrecher ist. Was die Etymologie des Wortes עֹנְ נָ הbetrifft,44 herrscht in der Forschung kein Konsens. Die meisten Kommentare stimmen darin überein, dass das Wort ְמעֹונֵ ןin der maskulinen Form (Dtn 18,10; Jes 2,6) die Bezeichnung für einen Zauberer und Wahrsager ist, der eine fremdländische Art der Divination ausübt. In der Pluralform erscheinen ְמעֹונְ נִ ים/ עֹנְ נִ יםwie in Jer 27,9 in einer Reihe mit verschiedenen Arten von Zauberern und Wahrsagern. Die Anklage an die „Söhne von “עֹנְ נָ הist Teil eines prophetischen Texts, der Beschreibungen und Bilder enthält, die mit dem Totenkult in Verbindung gebracht werden (Jes 57,9). Die Wurzel ענןweist Anklänge auf, in denen die Beschwörung von Totengeistern mitschwingt: Vermutlich soll die עֹנְ נָ הauf diese Weise mit derartigen Praktiken in Verbindung gebracht werden, sodass man das Wort mit „Geisterbeschwörerin“ übersetzen könnte.
3.3.2 Jes 47,1–15: Babel als Frau Diese Frauen-/Zauberinnen-/Dirnenmetapher wird noch ausgeweitet, wenn im folgenden Text die personifizierte Stadt in dem gesamten Abschnitt immer wieder der Zauberei, Hurerei und Götzendienerei beschuldigt wird: Mit ganzer Wucht kommen sie über dich, trotz all deiner Zauberei und trotz der Macht deiner beschwörenden Formeln. (Jes 47,9) Stell dich doch hin mit deinen beschwörenden Formeln und mit deinen vielen Zaubersprüchen … (Jes 47,12)
In der Prophezeiung gegen das personifizierte Babel nutzt Jes 47,1–15 sämtliche negative Merkmale der Frauenmetapher, um Babel zu beschreiben: eine unabhängige königliche Frau (V. 1–5); eine Fremde (V. 1–5); eine Zauberin (V. 12–15); und eine Dirne (V. 2f.). Er verurteilt ihr unabhängiges Auftreten mit demütigenden und anschaulichen Beschreibungen ihrer Nacktheit, betont ihre fremdländische Herkunft und ihre Promiskuität, tadelt sie für ihre He44 Lewis, Cults of the Dead, 251, Anm. 49, weist darauf hin, dass der überzeugendste etymologische Vorschlag eine mögliche Wortherkunft vom Arabischen ist und „(jemandem oder vor jemandem) erscheinen“ bedeutet; „Form annehmen, sich bilden, erstehen, aufkommen“. Ebenso vertritt Frank Moore Cross, Canaanite Myth and Hebrew Epic: Essays in the History of the Religion of Israel (Cambridge: Harvard University Press, 1973), 165f., Anm. 86 (vgl. 153, Anm. 30), die Auffassung, dass die Bedeutung des Verbs „erscheinen“ und die Substantive mit den Bedeutungen „Erscheinung, Phänomen“ am leichtesten als Denominativa, d. h. als Sekundärableitungen von der Bedeutung „Wolke“, „Wolkenbank“ zu erklären seien.
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xereien und Zaubersprüche und verspottet sie, weil sie an Götzen glaubt und alle Arten von Zauberern und Wahrsagern um Hilfe angeht, die sie doch nicht retten können: … sie, die den Himmel deuten und die Sterne betrachten, die dir an jedem Neumond verkünden, was über dich kommt. (Jes 47,13)
3.3.3 Nah 3,4: Ninive als Frau Auch der Prophet Nahum gebraucht die Frauenmetapher, wenn er sich mit seiner Prophezeiung an die personifizierte Stadt Ninive wendet: Wegen der zahllosen Hurereien der Hure, der Schönen in Anmut, der Meisterin der Zaubereien, weil sie Völker verkaufte durch ihre Hurereien und Stämme durch ihre Zaubereien. (Nah 3,4)
Ninives verlockendes, aber zerstörerisches politisches und kommerzielles Gebaren wird mit den sexuellen Reizen einer Dirne und der unrechtmäßigen Macht einer Zauberin verglichen. Ninives Bestrafung wird der Bestrafung der Hure und der Demütigung der Ehebrecherin ähneln, die nackt in der Öffentlichkeit vorgeführt werden. Diese Art der Demütigung wird auch in Jes 47,2f., Jer 13,26, Ez 16,37 und Hos 2,5.12 beschrieben.45
3.3.4 Mi 5,12–14: Juda als Frau Michas Prophezeiung wendet sich an das Volk von Juda, dem er Zaubereien und Götzendienst vorwirft: Ich vernichte deine Götterbilder und deine Steinmale aus deiner Mitte und du wirst dich nicht mehr niederwerfen vor dem Werk deiner Hände. Ich reiße aus die Kultpfähle aus deiner Mitte und zerstöre deine Städte. Ich übe Vergeltung in Zorn und Grimm an den Nationen, die nicht gehört haben. (Mi 5,12–14)
Auch der Prophet Micha verwendet die Metapher der Zauberin, um Judas Sünden zu beschreiben, das jedoch nicht als Dirne bezeichnet wird. Der Zusammenhang mit dem Götzendienst ist hier explizit formuliert. Die als Frau personifizierten sündigen Städte werden von der Hand Gottes in passive Objekte verwandelt, über die er die Strafe der Zerstörung, der Demütigung und des Todes verhängt. Die Propheten verwenden diese weib45 Karolien Vermeulen, „The Body of Nineveh: The Conceptual Image of the City in Nahum 2–3“, JHS 17 (2017): 1–17.
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liche Metaphorik als rhetorisches Mittel, um magischen Praktiken die Legitimität abzusprechen und diejenigen, die Magie ausüben und in Anspruch nehmen, negativ darzustellen.46 Dabei ist die Verwendung der Zauberinnen-/ Dirnenmetapher von der Verdinglichung der Frauengestalt gekennzeichnet.47 Die Ähnlichkeit zwischen der Darstellung der demütigenden Bestrafung Isebels und dem Gericht über die sündigen Städte stellt das Bindeglied zwischen Gender, Magie und Hurerei dar und stützt außerdem die Vermutung, die wir vorhin zu der Bedeutung ihrer Figur im Hinblick auf die Entwicklung der Zauberinnenmetapher in den prophetischen Schriften der Bücher Josua bis Maleachi geäußert haben.
4.
Resümee
Dieser Beitrag hat sich mit dem Thema Gender und Magie im Kanonteil der Prophetie (Josua – Maleachi) befasst. In drei Erzählungen waren Frauen als Mittlerinnen aktiv an der Kommunikation zwischen Menschen und dem übernatürlichen Bereich beteiligt: das Medium von Endor, die prophetisch redenden Frauen im Buch Ezechiel und Jaël, die Keniterin und Frau der magischen Knoten. Die Untersuchung der biblischen Schriften, die sich auf diese Frauen beziehen, ergibt, dass sich trotz aller Unterschiede, die jeweils zwischen den Charakteren und Geschichten dieser Frauen bestehen, einige gemeinsame Aspekte und Merkmale aufzeigen lassen: Alle diese Frauen verkörpern Autorität; alle legen exzellente rhetorische Fähigkeiten an den Tag; und alle beweisen ihr professionelles Können und ihre Versiertheit im öffentlichen Raum. Diese Frauen werden vor dem Hintergrund einer traditionellen patriarchalen Gesellschaft in verschiedenen nicht-traditionellen Rollen und Positionen portraitiert, was sie den Kriterien der kanonischen Bücher nach zu Ausnahmeerscheinungen macht. Gleichwohl sollte man sie nicht, wie in einigen Kommentaren vorgeschlagen, als einzigartig oder anomal betrachten, denn verglichen mit Geschichten über Männer sind auch die Erzählungen über Frauen in traditionellen Rollen der häuslichen Sphäre – Ehefrauen und Mütter – nicht eben zahlreich. In den Kommentaren herrscht Konsens darüber, dass die Hebräische Bibel von Männern für Männer geschrieben worden ist. Geschichten, in denen Frauen im Mittelpunkt stehen, sind jenen über Männer fast immer nachgeordnet. Die Haltungen der Texte gegenüber Frauen, die Magie und Wahrsagerei praktizieren oder damit in Verbindung gebracht werden, sind ambivalent und widersprüchlich. In einigen davon werden die Frauen – zum Beispiel die prophetisch redenden Frauen bei Ezechiel 46 Galambush, Jerusalem in the Book of Ezekiel, 38. 47 Fritschel, Women and Magic, 171.
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– der Zauberei beschuldigt. In anderen werden sie – wie das Medium von Endor – als ungefährlich beschrieben und daher toleriert. Wieder andere wie die Prophetinnen Debora und Hulda genießen Achtung und Anerkennung; und in einigen wenigen Fällen werden sie, wie Jaël, sogar gepriesen. Königin Isebel wird als Zauberin dargestellt, ohne dass ihre magischen Aktivitäten jedoch näher beschrieben würden. Michelle Rosaldo führt den Bias und die negative Einstellung gegenüber diesen Frauen auf die patriarchale Weltanschauung zurück, die Frauen in nicht-traditionellen Rollen und Positionen als eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung betrachtet habe.48 Irmtraud Fischer weist darauf hin, dass keine der weisen Frauen in der Bibel als Mutter vorgestellt wird.49 Esther Hamori hebt hervor, dass Frauen, die magischen, prophetischen oder divinatorischen Tätigkeiten nachgehen, als kinderlos dargestellt werden.50 Mithin liegt die Vermutung nahe, dass solche Frauen auf diese Weise portraitiert werden, um sie gegen die stereotype familienorientierte Ehefrau und Mutter, das heißt gegen die ideale Frauengestalt der patriarchalen Gesellschaft, abzugrenzen. Die polyvalente Frauenmetapher, die die Prophetie verwendet, um die Sünden der personifizierten Städte Jerusalem, Babel und Ninive zu schildern, korreliert mit den vorherrschenden Merkmalen des vorgefassten Frauenbildes, das der Darstellung der Königin Isebel zugrunde liegt. Die anschaulichen – und zuweilen sogar pornographischen – Ausdrücke und Beschreibungen, die in diesen Personifizierungen zum Einsatz kommen, sind vermutlich dazu bestimmt, einen echten und mächtigen Feind dadurch herabzusetzen und zu schmähen, dass er als hilflose Frau dargestellt wird; ganz so, wie ja auch das Schicksal der einst mächtigen Isebel, die in Ungnade fällt, in der obszönen Beschreibung ihres Todes gipfelt. Die Strategie hinter diesem strukturellen Stilmittel der Frauenmetapher zielte vermutlich darauf ab, in den Leser_innen und Hörer_innen Interesse, Vorstellungskraft, Phantasien, Befürchtungen und Befriedigung hervorzurufen. Dass die Frauenmetapher für die Städte der Feinde verwandt wurde, beweist die Verdinglichung und den untergeordneten sozialen Status von Frauen in diesen altorientalischen und biblischen Gesellschaften. In den Erzählungen über Geschlecht und Magie erscheint die aktive Praxis von Frauen in biblischer Zeit als eine Vermittlung zwischen der menschlichen Welt und dem übernatürlichen Bereich. Zudem lassen sie erkennen, welche politischen, sozialen, genderbezogenen und religiösen Interessen der Wahl negativer Frauenmetaphern zugrunde liegen, die, was den Platz von Frauen in biblischen Gesellschaften betrifft, die patriarchale Ideologie ebenso bedienen wie die Stereotypisierung des Zusammenhangs von Frauen, Geschlecht und Magie. 48 Vgl. Rosaldo, „Women, Culture, and Society“; ebenso Meyers, Rediscovering Eve. 49 Fischer, Gotteslehrerinnen, 16f. 50 Hamori, Women’s Divination, 219–221.
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Die tiefverwurzelte metaphorische Korrelation von Gender und Magie, Sexualität, Hurerei und Götzendienerei in den Prophetenbüchern setzte sich in nachbiblischer Zeit fort und wurde immer einflussreicher. Frauen wurden beschuldigt, mit der Welt der Magie in Verbindung zu stehen. Zauberei wird in der rabbinischen Literatur, die das Verhältnis von Frauen und Magie eingehend diskutiert, überwiegend Frauen zugeschrieben.51 So schließt etwa Sanhedrin 67a in Bezug auf das „Hexengesetz“: „Eine Zauberin, einerlei ob Mann oder Frau, und nur deshalb heißt es Zauberin, weil meistens Frauen sich mit Zauberei befassen. Auf welche Weise werden sie hingerichtet?“ Zu nennen wäre hier auch die Erzählung im Mischna-Traktat San 6,4 und Talmud Yerushalmi San 6,6, die die Strangulation von achtzig Hexen aus Aschkelon durch Schimeon Ben Schetach, den Obersten des Sanhedrin während der Regentschaft von Alexander Jannäus (ca. 103–76 v. Chr.), beschreibt.52 Meines Erachtens hat diese Voreingenommenheit, die sich in der Mischna und im Talmud niedergeschlagen hat, in Kombination mit der bestehenden Diskriminierung der Frauen in patriarchalen Gesellschaften auch dazu beigetragen, dass die Verbindung zwischen Geschlecht und Magie während des gesamten Mittelalters in der jüdisch-christlichen Welt immer stärker geworden ist.
51 Sefati/Klein, „The Law of the Sorceress“, 176, Anm. 18, 189. 52 Ausführlicher dazu siehe: Simcha Fishbane, „,Most Women Engage in Sorcery‘: An Analysis of Sorceresses in the Babylonian Talmud“, Jewish History 7/1 (1993): 27–42.
Biblische Prophetinnen: Sichtbare Körper, hörbare Stimmen – befreites Wort Nancy C. Lee Elmhurst College
Innerhalb der israelitischen Kultur und Religionspraxis hat es durchaus angesehene biblische Prophetinnen gegeben. Da diese sowohl in der Bibelwissenschaft als auch in der Predigt vernachlässigt worden sind, sind sie allerdings unter den Angehörigen heutiger Glaubensgemeinschaften und auch sonst nicht allgemein bekannt. Eine ganze Reihe biblischer Bücher ist nach männlichen Propheten, keines jedoch nach einer Prophetin benannt. Dennoch sind bei der Zusammenstellung und Kanonisierung der biblischen Texte fünf Namen von Prophetinnen (nämlich Mirjam, Debora, Hulda, Noadja, und Hanna im Lukasevangelium)1 für die Nachwelt festgehalten worden. Und diese erwähnen weitere, nicht namentlich genannte Prophetinnen2 wie beispielsweise die Frau, die in Jes 8,3 als hannĕvî’â, „Prophetin“, bezeichnet wird und als Jesajas Partnerin auftritt. Drei dieser Frauen – Hannĕvî’â, Debora und Hulda – erscheinen in den Nevi’im, also im Kanonteil der Prophetie der Hebräischen Bibel.3 Der vorliegende Beitrag befasst sich mit diesen drei Frauen und mit der Möglichkeit, dass auch einige nicht namentlich genannte Prophetinnen und ihre Orakelsprüche in die Bücher der Prophetie Einlass gefunden haben.4 1
Vgl. in der vorliegenden Reihe Mercedes García Bachmann, „Mirjam als politische Führungsfigur beim Exodus“, in Tora (hg. v. Irmtraud Fischer, Mercedes Navarro Puerto und Andrea Taschl-Erber; Die Bibel und die Frauen 1.1; Stuttgart: Kohlhammer, 2010), 305–346. Noadja erscheint in Neh 6,14, Hanna in Lk 2,36–38. 2 Weil der Maskulinplural (z. B. „Propheten“) sich im Hebräischen auch auf gemischtgeschlechtliche Gruppen beziehen kann, handeln einige Texte wahrscheinlich auch von Frauen. 3 Das nachbiblische Judentum kennt insgesamt sieben Prophetinnen, neben den schon genannten sind dies Sara, Hanna, Abigail und Ester. Der Talmud schloss Noadja nicht mit ein. Manche Muslime betrachten auch Maria, die Mutter Jesu, als Prophetin, vgl. Amira El Azhary Sonbol, Beyond The Exotic: Women’s Histories in Islamic Societies (Gender, Culture, and Politics in the Middle East; Syracuse: Syracuse University Press, 2005), 402, Anm. 7. 4 Rainer Kessler, „Miriam and the Prophecy of the Persian Period“, in Prophets and Daniel (hg. v. Athalya Brenner; FCB 2/8; London: Sheffield Academic Press, 2001; das Original erschien 1996), 77–86; 85f.; Klara Butting, Prophetinnen gefragt: Die Bedeutung der Prophetinnen im Kanon aus Tora und Prophetie (Erev-RavHefte: Biblisch-feministische Texte 3; Wittingen: Erev-Rav, 2001), 9; Nancy C. Lee,
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Die Bibel verwendet für die Bezeichnung einer Prophetin (nevî’â) dieselbe hebräische Wurzel wie für einen männlichen Propheten (nāvî’). Andere prophetische Figuren werden als „Seher“ (ro’eh) oder „Visionäre“ (ḥozeh) beschrieben, die offenkundig durch Visionen Zugang zum Göttlichen erhalten. Auf die namentlich bekannten Prophetinnen werden diese Bezeichnungen in den biblischen Texten nicht angewandt; das heißt aber keineswegs, dass diese Formen der Prophetie nicht auch von Frauen ausgeübt werden konnten.5 In den vergangenen Jahren hat sich das Feld dessen, was in der Wissenschaft unter biblischer Prophetie verstanden wird, erweitert. Genau wie ihre Kollegen in anderen Kulturen praktizierten die Prophetinnen und Propheten in der Bibel verschiedene Formen der Divination, auch wenn die Artikulation poetisch gestalteter göttlicher Orakelsprüche sich in der Schrift zur vorherrschenden und sichtbarsten Form entwickelt hat.6 Einige Texte (z. B. Lev 20,27; Dtn 18,9–14) verbieten die Praktiken anderer Kulturen, zu denen auch die Nekromantie, also die Befragung der Toten, gehört. Ironischerweise wird in 1 Sam 28 beschrieben, wie ein verzweifelter König Saul ein Medium in Israel – die Frau von En-Dor – aufsucht, damit sie ihm durch einen Totengeist wahrsagt (qsm) und den verstorbenen Samuel heraufbeschwört, von dem sich Saul prophetischen Rat erhofft. Die lange Geschichte der falschen und negativen Bewertung der Frau von En-Dor als einer „Hexe“ wird sowohl durch ihre positive Darstellung im Text selbst als auch durch neuere Interpretationen korrigiert.7
5 6
7
Hannevi’ah and Hannah: Hearing Women Biblical Prophets in a Women’s Lyrical Tradition (Eugene: Cascade Books, 2015). In 1 Chr 25,1–7 üben die Söhne und Töchter Hemans (eines „Sehers“) ihre prophetische Tätigkeit aus, indem sie musizieren; Wilda Gafney, Daughters of Miriam: Women Prophets in Ancient Israel (Minneapolis: Fortress Press, 2008), 30. Vgl. im vorliegenden Band Ora Brison, „Frauen und magische Praktiken in den Prophetenbüchern (Josua–Maleachi)“, und Martti Nissinen, Prophets and Prophecy in the Ancient Near East (WAW 12; Atlanta: SBL, 2003); außerdem Esther J. Hamori, Women’s Divination in Biblical Literature: Prophecy, Necromancy, and Other Arts of Knowledge (New Haven: Yale University Press, 2015). Zu diesen und anderen Fachtermini vgl. ebd., 105–111. Irmtraud Fischer hält das Medium für eine „Prophetin“, weil sie durch eine vormals nicht verbotene prophetische Praktik (Dtn 18,9–14) eine Begegnung mit dem JHWH-Propheten Samuel vermittelt, niemanden dazu verleitet, andere Götter anzubeten und weder von Samuel noch von JHWH kritisiert wird. Vgl. dazu Dies., Gotteskünderinnen: Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel (Stuttgart: Kohlhammer, 2002), 141–145.154; Ora Brison sieht eine Kontinuität zwischen dem Wirken des Mediums und dem Wirken Samuels, da die Frau, wie zuvor Samuel, Saul ein rituelles Mahl vorsetzt (1 Sam 9,19–24); „The Medium of En-Dor ( )אשת בעלת אובand the Phenomenon of Divination in TwentyFirst Century Israel“, in Samuel, Kings and Chronicles 1 (hg. v. Athalya BrennerIdan und Archie C. C. Lee; Texts@Contexts 5; London: Bloomsbury T&T Clark, 2017), 124–147; 128.
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1.
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Sichtbare Körper, hörbare Stimmen
Prophetinnen in der Bibel werden durch die Beschreibungen und durch Hinweise auf ihre lyrischen Darbietungen zwar sichtbar, ihre Stimmen aber selten hörbar gemacht. Viele nehmen daher an, dass die tatsächlichen Beiträge der Prophetinnen umfangreicher waren, als es die biblische Darstellung vermuten lässt. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die namenlose Prophetin, die mit dem Propheten Jesaja in Verbindung gebracht und als hannĕvî’â bezeichnet wird. Der Text impliziert, dass sie Jesajas Frau ist und die beiden ein Kind haben (Jes 8,3f.), das seinen Namen von JHWH erhält. Doch anscheinend kommt sie an keiner Stelle des Buches direkt zu Wort. Wenn irgendwo nicht gekennzeichnete Redeanteile dieser Prophetin zu finden wären, dann am ehesten in den protojesajanischen Texten. Eine Parallele zu ihrer Erfahrung des Gebärens findet sich kurz zuvor in dem berühmten Vers Jes 7,14. Dort sagt Jesaja zu König Ahas: „Siehe, die junge Frau hat empfangen, sie wird einen Sohn gebären und ihm den Namen Immanuel geben.“ Beide gebärenden Frauen werden also zu JHWH in Beziehung gesetzt. Aber vielleicht müssen wir gar nicht so weit zurückgehen, wenn wir nach Worten der Hannĕvî’â suchen. Kurz nachdem in Jes 8,3f. beschrieben worden ist, wie das Kind des Jesaja und der Hannĕvî’â geboren wird, sagt jemand in Jes 8,18: Siehe, ich und die Kinder, die JHWH mir gegeben hat, sind zu Zeichen und Vorzeichen in Israel geworden, von JHWH Zebaot, der auf dem Berg Zion wohnt.
Die Person, die hier über die ihr gegebenen Kinder spricht, lässt sich problemlos mit der Mutter dieser Kinder, der Hannĕvî’â, identifizieren. Nicht Jesaja ist das Zeichen, vielmehr dienen – so hat es Jesaja selbst gegenüber Ahas erklärt – die Frau und das Kind gemeinsam als ein Zeichen: Die Frau, die das Kind gebiert, ist das Zeichen, das Gott dir sendet. Unmittelbar vor diesen mutmaßlichen Worten der Hannĕvî’â in Jes 8,18 spricht offenbar Jesaja zu einer Gruppe, wahrscheinlich seinen Prophetenschülern: Verschnüre Bezeug und versiegele Weisung (Tora) in meinen Schüler_innen! Und ich werde auf JHWH warten, der sein Angesicht vor dem Haus Jakob verbirgt, auf ihn werde ich hoffen. (8,16f.)
In diesem Zusammenhang wäre es nur logisch, wenn die Hannĕvî’â in einer unmittelbaren Reaktion ausspräche, was sie sich als Mutter von Gott erwartet und erhofft hatte: dieses Kind.
116
1.1
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Forschungsgeschichte
Dank der bahnbrechenden Arbeiten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich bemüht haben, die Vernachlässigung dieses Themas über beinahe die gesamte nachbiblische Zeit hinweg zu korrigieren, sind die Prophetinnen in der Bibel und im Alten Orient in den vergangenen 30 Jahren endlich in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Frühe Arbeiten über die sozio-kulturellen und religiösen Rollen biblischer Frauen,8 Untersuchungen zu einzelnen Prophetinnen9 und schließlich erste Bücher, die sich ausschließlich mit biblischen Prophetinnen befassten,10 haben zu einem wachsenden Verständnis beigetragen.
1.2
Frauen als dichterisch tätige Subjekte vs. Konstruktion der Frauen als Objekte
In den letzten Jahren hat sich eine beträchtliche Anzahl von Arbeiten mit der Frage beschäftigt, wie männliche Propheten innerhalb ihrer Rhetorik Frauen als Personen der Handlung oder als Metaphern konstruiert haben. Wer sich wissenschaftlich mit biblischen Prophetinnen auseinandersetzt, muss aber auch Frauen als handelnde und sprechende Subjekte in Betracht ziehen.11 Im Folgenden werden Prophetinnen untersucht, die in narrativen und poetischen Texten des Kanonteils der Prophetie beschrieben werden. Um Texten, die von Prophetinnen verfasst sein könnten, auf die Spur zu kommen, empfiehlt es sich, lyrische Texte aus anderen Gattungen, die Frauen zugeschrieben werden, mit prophetischer Rhetorik zu vergleichen, um etwaige Gemeinsamkeiten zu entdecken.12 In einer von mündlicher Überlieferung geprägten Kultur war jemand, der Texte verfasste, anthropologisch betrachtet ein performer, ein künstlerisch 8 Athalya Brenner-Idan, The Israelite Woman: Social Role and Literary Type in Biblical Narrative (BiSe 2; Sheffield: JSOT Press, 1985); Carol L. Meyers, Discovering Eve: Ancient Israelite Women in Context (New York: Oxford University Press, 1988). 9 Z. B. Rita J. Burns, Has the Lord Indeed Spoken Only through Moses? A study of the biblical portrait of Miriam (SBLDS 84; Atlanta: Scholars Press, 1987); Fokkelien van Dijk-Hemmes, „Mothers and a Mediator in the Song of Deborah“, in A Feminist Companion to Judges (hg. v. Athalya Brenner; FCB 4; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1993), 110–114. 10 Butting, Prophetinnen gefragt; Fischer, Gotteskünderinnen. 11 Shlomo Dov Goitein, „Women as Creators of Biblical Genres“, Proof 8 (1988): 1–33; 3 (das Original erschien 1957); Eunice Blanchard Poethig, The Victory Song Tradition of the Women of Israel (Diss., New York Union Theological Seminary, 1985); Athal ya Brenner und Fokkelien van Dijk-Hemmes, On Gendering Texts: Female and Male Voices in the Hebrew Bible (BibInt 1; Leiden: Brill, 1993), 62–71. 12 Gafney, Daughters of Miriam, 25.30, verweist auf die musikalische Dimension biblischer Prophetie.
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tätiger Mensch. Die zugrundeliegenden Techniken wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Carol Meyers beschreibt dieses Phänomen als Teil einer weiblichen Praxis: Frauen mit größerer Erfahrung werden Mentorinnen für andere, wahrscheinlich jüngere Frauen oder ihre eigenen Töchter oder Schwiegertöchter […] und geben ihre Fertigkeiten an andere weiter […]. Dies wird auch für die Kenntnisse von Frauen in anderen Bereichen wie der Geburtshilfe, der Prophetie, der Weisheit, der musikalischen Darbietung und der Totenklage gegolten haben, die zwar keine archäologischen Spuren hinterlassen haben, aber aus Passagen der Hebräischen Bibel bekannt sind.13
Wenn in den israelitischen Gemeinschaften Gruppen von Frauen die von anderen Frauen vorgetragenen Darbietungen aus den unterschiedlichen Gattungen rezipierten, so geschah dies in ihrer eigenen Sprache: dem Hebräischen. Ein Beispiel für eine besondere, im Zusammenhang mit weiblicher Prophetie relevante Kompositionstechnik der hebräischen Sprache ist die Verwendung eines dreifachen konsonantischen Lautwiederholungsmusters,14 das durchgängig in Äußerungen zu finden ist, die Frauen zugeschrieben werden. In der Vorderen Prophetie lässt sich seine Verwendung im Lob- und Danklied der Hanna in 1 Sam 2,1f. veranschaulichen:15 [weiblich] Mein Herz jubelt in Jhwh! Mein Horn ist erhoben in Jhwh! Mein Mund wird weit über meinen Feinden, weil ich mich erfreue an deiner Rettung. Keiner (ist) heilig wie Jhwh, wahrlich! Keiner neben dir! Und kein Fels wie unsere Gottheit. (1 Sam 2,1f.)
‘ālaṣ libbî bayhwh rāmâh qarnî bayhwh raḥav pî ‘al-‘ōyĕvay kî śāmaḥtî bîšû’ātekā
‘ên-qādôš kayhwh kî ‘ên biltekā wĕ‘ên ṣûr kē’lōhēnû
13 Carol L. Meyers, „Archäologie als Fenster zum Leben von Frauen in Alt-Israel“ in Tora (hg. v. Irmtraud Fischer, Mercedes Navarro Puerto und Andrea Taschl-Erber; Die Bibel und die Frauen 1.1; Stuttgart: Kohlhammer, 2010), 63–109; 105. 14 Weil im Hebräischen mit einem Konsonanten zwangsläufig eine Silbe beginnt, ist diese dreifache Wiederholung auch eine Wiederholung von Silben (und erzeugt damit einen Binnenreim und/oder verdreifachte Wörter). Im Hohelied verwenden die Sprecherin durchgängig dreifache und der Sprecher doppelte Lautwiederholungen. 15 Dass Hanna hier inkludiert wird, soll nicht suggerieren, dass die Bibel sie für eine Prophetin hält, sondern dient der Fokussierung auf Gesänge, die Frauen zugeschrieben werden. Hamori, Women’s Divination, 98f.103, warnt zu Recht, Personen nur deshalb als Propheten zu betrachten, weil sie Lieder singen oder lyrische Gebete darbieten.
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Das Muster ist links in der Übersetzung und rechts in der hebräischen, lautgetreuen Umschrift sichtbar.16 Die dreifachen Lautwiederholungen durchziehen die ersten neun Verse des Liedes. Hingegen weist ein Lied derselben Gattung, das einem männlichen Sprecher, nämlich David (2 Sam 22,1–51), zugeschrieben wird, durchgängig doppelte Lautwiederholungen auf: ein Muster, das sich in aller Regel auch in Männern zugeschriebener prophetischer Lyrik findet.17 Die Vermutung geschlechtsspezifischer Verwendung von Lautmustern als einer gattungsübergreifenden Technik der lyrischen Komposition und Darbietung stellt keine Einschränkung des kreativen Stils dar. Sie legt weder den Inhalt eines Orakelspruchs oder Liedes im Vorhinein fest, noch will sie essentiell Weibliches oder Männliches der jeweiligen Beiträge zum Ausdruck bringen. Es handelt sich dabei schlicht um eine Form der mündlichen Überlieferung in dieser Kultur.
2.
Befreites Wort
2.1
Debora
Die Prophetin, von der in der Bibel am detailliertesten erzählt wird, ist Debora. Ihre Geschichte und ihre Stimme taucht im Sieges- und Danklied von Ri 4,1–5,31 auf.18 Die Erzählung (Ri 4,4f.) beschreibt sie wie folgt: Und Debora – eine Frau, eine Prophetin, eine Frau von lappîdôth [wörtlich „Flammen“] – sie richtete Israel zu jener Zeit. Sie saß unter der Debora-Palme zwischen Rama und Bet-El im Gebirge Efraim; und die Kinder Israels stiegen zu ihr hinauf zum Rechtsentscheid.
Neuere Kommentare schlagen statt „Frau des Lappidot“ die Übersetzung „Frau von Flammen“ vor,19 weil der Begriff lappîdôth nirgends sonst als 16 Was in dem zitierten Stück wie Doppelwiederholungen aussieht (kî, kî und bîšû‘ātekā, biltekā), ist in Wirklichkeit Teil einer Dreifach-Lautwiederholung, die im nächsten Vers (1 Sam 2,3) vervollständigt wird; vgl. Lee, Hannevi’ah and Hannah, 18–21. 17 Z. B. in Protojesaja und in Micha; vgl. auch das dreifache Lautmuster in den Worten einer implizierten weiblichen Stimme im Lied vom Weinberg (Jes 5) und an anderen Stellen bei Jesaja; ebd., 3–43. 18 Die Geschichte spielt in vormonarchischer Zeit, ca. 1200–1020 v. Chr. 19 Der Babylonische Talmud bringt lappîdôth mit Feuer in Verbindung, vgl. Gafney, Daughters of Miriam, 188, Anm. 42; im Talmud heißt es, dass Debora eine Prophetin war und „Flammenfrau“ genannt worden sei, weil sie Kerzendochte für das Heiligtum hergestellt habe: b. Meg 14a; eine kritische Darstellung der Rezeptionsgeschichte und der ausschließlichen Übersetzung mit „Frau des Lappidot“ bietet Mieke Bal,
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Name, sondern immer nur als Substantiv verwendet wird. Vielleicht verweist die Beschreibung auf Deboras göttliche Inspiration, denn prophetisch begabte Menschen wurden häufig mit Feuer assoziiert.20 Außerdem ist sie die einzige Frau in der Bibel, die als Richterin bezeichnet wird. In den beiden bahnbrechenden Arbeiten über Prophetinnen bemerkt einerseits Klara Butting, dass Debora im Kanonteil der Prophetie die erste Prophetin nach Mirjam ist, andererseits vertritt Irmtraud Fischer die These, dass der biblische Kanon Debora auch in der Nachfolge des Mose darstellt.21 Damit wird Debora in der israelitischen Geschichte und Schrift eine sehr große Bedeutung zugemessen. Die Erzählung aus Ri 4 beschreibt eine Situation, in der die Israeliten wieder einmal einen Anführer brauchen, der sie vor ihrem Feind, dem kanaanitischen König Jabin, retten soll, nachdem dessen grausamer Heerführer Sisera sie zwanzig Jahre lang unterdrückt hat (4,1–3). Also bestimmt Debora einen der Israeliten, nämlich Barak, zum Befehlshaber, und sie gibt ihm – wie es für die früheren, seher-ähnlichen Propheten typisch war – als Orakelspruch eine präzise militärische Strategie mit auf den Weg, die Baraks Sieg sicherstellen soll: Hat nicht JHWH, die Gottheit Israels, befohlen: „Geh, du sollst auf den Berg Tabor ziehen.“ (4,6)
Baraks Reaktion auf Deboras Orakelspruch ist unterschiedlich interpretiert worden. Er sagt: „Wenn du mit mir gehst, werde ich gehen; wenn du aber nicht mit mir gehst, werde ich nicht gehen.“ Manchen Auslegungen zufolge handelt Barak gewissenhaft und klug: Er besteht darauf, dass Debora mit ihm kommt, weil sie von Gott geführt wird und Gott um Hilfe anflehen kann. Andere deuten es als ein Zeichen der Furcht und des Widerstrebens, dass Barak nicht einfach tut, was Gott sagt. Der ersten Lesart zufolge hätte Barak die Autorität der Prophetin respektiert und erkannt, dass er, wenn er Hilfe braucht, von ihr abhängig ist. In der zweiten Lesart zweifelt Barak entweder an sich selbst oder an der Prophetin oder an beiden und ist daher außerstande, umgehend zu gehorchen. In einer androzentrischen Gesellschaft sind beide Lesarten gegenkulturell. Die Erzählung, die sich daraufhin entspinnt, gibt weiteren Aufschluss darüber, wie Baraks Verhalten zu interpretieren ist. Denn gleich nach Deboras erster Reaktion auf sein Ansinnen – dass sie in der Tat mit ihm gehen wird –, erfährt das ursprüngliche Orakel eine bedeutsame Abwandlung. Hatte sie in Death & Dissymmetry: The Politics of Coherence in the Book of Judges (CSHJ; Chicago: University of Chicago Press, 1988), 209.252. 20 Z. B. Mose (Ex 3,1–5), Jesaja (Jes 6,6f.), Jeremia (Jer 20,9), Ezechiel (Ez 1,4.27). 21 Butting, Prophetinnen gefragt, 100; Fischer, Gotteskünderinnen, 123f.
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V. 7 zunächst angekündigt, dass JHWH die Feinde in Baraks Hand geben würde, sagt sie nun in V. 9: Aber dann wird es nicht dein Ruhm sein auf dem Weg, den du gehen wirst, denn in die Hand einer Frau verkauft JHWH den Sisera!
Also hebt Barak pflichtgetreu seine Truppen aus, und Debora begleitet ihn in die Schlacht, die kaum beschrieben wird. Auch wenn einige Kommentatoren vermuten, dass Debora selbst eine Kriegerin war, erwähnt der Text keinerlei Kampfhandlung ihrerseits. Die Erzählung (4,12–17) macht deutlich, dass JHWH interveniert, um Barak zum Sieg über Siseras Streitkräfte zu verhelfen, bis der einst unbesiegbare Sisera selbst vom Wagen springt und die Flucht ergreift! Die gegenkulturelle Erzählung schildert weiter, wie Sisera, nun selbst ein kampfesmüder, ängstlicher Krieger, vom Schlachtfeld flieht. Der Erzähler verfolgt Siseras Rückzug und beschreibt, wie Jaël, die Frau seines Verbündeten, Sisera in ihr Zelt einlädt (4,17–21).22 Siseras grauenhaftes Schicksal – Jaël tötet ihn mit einem Zeltpflock, den sie durch seine Schläfe treibt, während er schläft oder unbewacht ist (5,26) – erfüllt also Deboras (revidierten) Orakelspruch. Keinen Augenblick zu früh erscheint dann Barak, der Sisera nachgeeilt ist, auf der Szene – doch nur, um sich ebenfalls von Jaël in ihr Zelt einladen zu lassen und dort den Leichnam seines besiegten Feindes vorzufinden. Auf diese Weise werden beide Männer durch diese Frau – besser gesagt: durch diese Frauen – um ihre Ehre gebracht. Das Siegeslied, das Debora und Barak daraufhin in Ri 5 anstimmen, ist im Wesentlichen – mit der einen oder anderen Variation – eine Nacherzählung dieser Ereignisse. Da das Lied Debora als Sängerin einschließt, ist in einigen Kommentaren vermutet worden, dass die Erzählung die von einem männlichen Autor verfasste männliche Sichtweise der Ereignisse wiedergibt. Dem liegt unausgesprochen womöglich die Annahme zugrunde, dass alle biblischen Erzählungen von Männern verfasst seien; das ist insofern problematisch, als auch Männer als Sänger von Lob- und Dankliedern dargestellt werden und es umgekehrt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass Frauen in der betreffenden Kultur nicht auch als Geschichtenerzählerinnen agieren konnten. Wir haben bereits gesehen, wie die Prophetin Debora in der Erzählung portraitiert wird; das Lied in Ri 5 stimmt durchaus mit diesem Portrait überein, fügt ihm allerdings sowohl durch den lyrischen Text, der als von ihr gedichtet/gesungen dargestellt wird, als auch durch die Art und Weise, wie andere über sie sprechen, eine subtile Vielschichtigkeit hinzu. Bei poetischen 22 Zu der Möglichkeit, dass Jaël eine Wahrsagerin gewesen ist, vgl. Ora Brison, „Jael, ’eshet heber the Kenite: A Diviner?“, in Joshua and Judges (hg. v. Athalya Brenner und Gale A. Yee; Texts@Contexts; Minneapolis: Fortress Press, 2013), 139–160.
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Liedern oder Orakelsprüchen in der Bibel muss man oft darauf achten, an welchen Stellen der Sprecher wechselt; solche Sprecherwechsel werden häufig nur indirekt durch den Wechsel der Anrede, durch grammatische Formen oder durch einen veränderten Fokus signalisiert. Da mit dem Geschlecht auch das Muster der Zweifach- bzw. Dreifach-Lautwiederholung wechselt, lässt sich in Ri 5 an den folgenden Stellen ein Sprecherwechsel, genauer gesagt ein Wechsel zwischen Sprecher und Sprecherin nachvollziehen: 5,2–6 (w); V. 7 (m); V. 8 (w); V. 9–12a (m); V. 12b (w); V. 13–19 (m); V. 20–31ab (w); V. 31c (m). Die Verbform im femininen Singular in Ri 5,1 deutet an, dass Debora das Lied eröffnet; V. 2–6 sind folgerichtig von Dreifach-Lautwiederholungen durchzogen: [weiblich] Als Locken lang waren in Israel, als das Volk sich freiwillig anbot,
preist Jhwh; hört, o Könige; horcht auf, o Fürsten;
bārăkû šim‘û mĕlākîm ha’ăzînû rōzĕnîm
Ich, für Jhwh, Ich, Ich will singen! Ich will spielen für Jhwh, Gottheit Israels.23 (Ri 5,2f.)
biphrōa‘ pōr‘ôt bĕyiśrā’ēl bĕhitnaddēv ‘ām yhwh
’ānōkî layhwh ’ānōkî ’āšîrâ ’ăzammēr layhwh ’ĕlōhê yiśrā’ēl
Debora singt zunächst über das Volk, das sich freiwillig für die Schlacht zur Verfügung stellt. Es folgen drei Imperative: ein an jedermann gerichteter Aufruf, JHWH, der im Zentrum ihres Liedes steht, zu preisen: Er hat die Prophezeiung der Prophetin, dass Gott ihr Volk erretten werde, soeben erfüllt. JHWH wird in Deboras Lied dreimal wiederholt. Im Anschluss daran erklärt sie mit dreifacher Wiederholung eines „a“-Lauts dreimal ihre Absicht, für JHWH zu singen. Ein viertes mit „a“ anlautendes Wort („ich will spielen“) vervollständigt die zuvor begonnene Dreifach-Lautwiederholung durch den Laut „z“, wodurch das „Horcht auf, o Fürsten, … ich will spielen“ besonderes Gewicht erhält. 23
23 Nach der englischen Übersetzung der Autorin.
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Als Mittlerin der Gottheit spricht Debora JHWH in V. 4–6 direkt an und schildert seine Theophanie und sein Eintreffen am Schauplatz des Geschehens wie am Sinai. Dann richtet sich ihr Augenmerk auf die Bedürfnisse des Volkes, das – wegen des Feindes, wie man vermuten darf – Schwierigkeiten hatte, das Land zu durchqueren: Die Wege seien verlassen gewesen „in den Tagen Jaëls“. Genau hier (V. 7) ergreift ein männlicher (implizit mit Barak identifizierter) Sprecher das Wort und verkündet unter Verwendung vier doppelter Lautwiederholungen, dass auch die „Freiheit“ „nachgelassen hatte“, „bis du dich erhobst, Debora, bis du dich erhobst, Mutter in Israel“. „Mutter“ wird wahrscheinlich im übertragenen Sinn als Ehrentitel für eine Prophetin verwendet – genauso wie Elischa den Propheten Elija als „Vater“ anredete (2 Kön 2,12).24 In V. 9–12a wird das Lied offenbar von Barak fortgesetzt. Allerdings wirkt sein überschwänglicher Dank an die freiwilligen Kämpfer ironisch und überschwänglich, denn aus der Erzählung wissen wir, dass er zunächst nicht gewillt war, in die Schlacht zu ziehen! Dennoch spricht er von Stimmen, die überall um ihn her den Sieg bejubeln (V. 10f.). Dann unterbricht er sich und appelliert mehrfach an Debora, „aufzuwachen“ und zu „singen“, also vermutlich in das Lied einzustimmen und gemeinsam mit ihm seinen/ihren Sieg zu besingen (V. 12a).25 Es folgt ein Wechselgesang zwischen Barak und Debora. Sie reagiert mit nur einer Zeile auf seinen Appell, besingt aber ironischerweise nicht seinen kriegerischen Triumph, sondern formuliert ihrerseits einen Appell (V. 12b): Erheb dich, Barak, führ [šăvēh] deine Gefangenen [ševyĕkā] heim, Sohn Abinoams [’ăvînō‘am].
Nach diesem Einwurf, den man als ironische Ablehnung seiner Aufforderung deuten könnte, verfällt sie erneut in Schweigen, sodass Barak das Lied selber fortsetzen muss. In V. 13 besingt er diejenigen, die „für mich“ gegen den Feind gezogen sind. Dies ist wiederum ironisch, da der männliche Krieger die Prophetin offenkundig nicht dazu bewegen kann, für ihn, seine Ehre und seinen Ruhm zu singen.26 24 Jo Ann Hackett, „In the Days of Jael: Reclaiming the History of Women in Ancient Israel“, in Immaculate and Powerful: The Female in Sacred Image and Social Reality (hg. v. Clarissa W. Atkinson, Constance H. Buchanan und Margaret R. Miles; The Harvard Womenʼs Studies in Religion Series; Boston: Beacon Press, 1985), 15–38; 28. 25 Barak verwendet mehr als zehn zweifache Lautwiederholungen in vier Versen; Lee, Hannevi’ah and Hannah, 88–111. 26 Poethig, Victory Song Tradition, 8, vertritt die Auffassung, die Siegesliedtradition der Frauen sei wahrscheinlich „eine selbstbewusste Frauenbewegung“ und sich über die sozialen Implikationen der Lieder für Frauen im Klaren gewesen. „Die Theologie
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Eine weitere (mittels der Zweifach-Lautwiederholungen implizit als männlich gekennzeichnete) Stimme stimmt in Baraks Lied ein und beschreibt die Reaktion der israelitischen Stämme auf den Aufruf zum Kampf. Hier erscheinen Debora und Barak in der dritten Person (V. 13–18). Man kann sich die umstehenden Frauen vorstellen, die hörten, welchen Verlauf das Lied nahm, und die genau wussten, von wem es eigentlich hätte handeln sollen – nämlich von Jaël! In der Zwischenzeit wendet sich Debora, die weiß, wie der Sieg tatsächlich errungen wurde, von den Gesängen der Männer ab, um stattdessen von anderen, verborgenen Frontlinien zu singen. Mit einer beeindruckenden Reihe von nicht weniger als zwölf dreifachen Lautwiederholungen besingt Debora eine bewusste, Antwort gebende Natur: den Himmel und die Sterne, die eine Sturzflut herabsenden;27 die schnelle Bewegung des kleinen Wadi Kischon, das – nicht aus eigener Kraft – anschwillt und dahinbraust wie ein Krieger und so das Seine dazu beiträgt, dass die Wagen des Feindes im Schlamm steckenbleiben. Debora singt von Taten, die kein Mensch hätte vollbringen können. Ihre Lyrik ist ein gegenkulturelles Manifest. Es ist eine trotzige Entscheidung, kein Siegeslied für männliche Menschenkrieger, sondern für JHWH zu singen – und gleich danach für eine Frau!28 Debora verlagert den Schauplatz des Liedes auf Jaëls Zelt (wobei sie weitere Dreifach-Lautwiederholungen verwendet) und besingt, was dort geschehen ist. In zahllosen Kommentaren wird zu Recht über das ethische Problem diskutiert, dass prophetische Lyrik eine so entsetzliche Tat preist.29 Deboras abschließende Verse können dieses Problem nicht lösen, sondern allenfalls abmildern: Sie sprechen ironisch von Siseras Mutter, die darauf wartet, dass ihr Sohn aus der Schlacht heimkehrt, und legen ihr die Vermutung in den Mund, dass er wohl noch damit beschäftigt ist, Frauen als Beute zu nehmen (also wahrscheinlich zu vergewaltigen) und ihr Beutestücke mitzunehmen.30 ist revolutionär, weil sie die Befreiung von den unterdrückerischen Monarchien des Alten Orients preist. Sie ist doppelt revolutionär, weil sie von Frauen dazu verwandt wurde, die von Frauen gewonnenen Siege zu feiern. In den späteren Jahren […] des Exils verwandten prophetische Dichter die Bildlichkeit der Siegeslieder, um den neuen Exodus eines befreiten Volkes anzukündigen.“ 27 In Deboras Liedzeilen klingen kanaanitische Mythen von der Kriegsgöttin Anat an; z. B. Susan Ackerman, Warrior, Dancer, Seductress, Queen: Women in Judges and Biblical Israel (ABRL; New York: Doubleday, 1998), 27–88. 28 Das Lied ist ein Ausdruck des Widerstands; siehe dazu Butting, Prophetinnen gefragt, 119; Poethig, Victory Song Tradition, 8. 29 Danna Nolan Fewell und David M. Gunn, „Controlling Perspectives: Women, Men, and the Authority of Violence in Judges 4 and 5“, JAAR 58 (1990): 389–411. 30 Frauen werden hier als „Schoß“ bezeichnet; J. Cheryl Exum, „Feminist Criticism: Whose Interests Are Being Served?“, in Judges and Method: New Approaches in Biblical Studies (hg. v. Gale A. Yee; Minneapolis: Fortress Press, 1995), 65–90, zeigt auf, dass die Frauen in Siseras Haus für die männliche Ideologie vereinnahmt werden.
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Trotz seiner abstoßenden, gewaltverherrlichenden Teile weist das Lied aus Ri 5 auf eine hochentwickelte Dichtungstradition unter Frauen hin. Der Text deutet an, dass Debora in Mirjams Fußstapfen tritt, ein Lied verfasst und darbietet, das die Siegesliedtradition revolutioniert: Aus der üblichen Verherrlichung männlicher Kriegskultur wird ein Lobgesang zu Ehren JHWHs. Ihre Liedtexte geben eine prophetische Weltsicht wieder, in der Gott mit seiner Macht der Unterdrückung ein Ende bereitet. Diese begnadete Lieddichtung ist keine Kleinigkeit und hat sicherlich ihren Teil dazu beigetragen, dass man diese Prophetinnen in Erinnerung behalten, sie über andere emporgehoben und ihnen ein Erbe gegeben hat. Das dreifache Lautmuster in den Textteilen der weiblichen Stimme wirft die Frage auf, ob Ri 4 möglicherweise ein ähnliches Muster enthält: Ist auch die Erzählung von Frauen verfasst worden? In der Forschung wird angenommen, dass biblische Erzählungen wahrscheinlich aus mündlich tradierten Epen und erzählten Geschichten entstanden, die Grenzen zwischen Dichtung und Prosa mithin fließend sind.31 Aber es zeigt sich, dass selbst die Eröffnung in 4,1–3 durch dreifache Lautwiederholungen strukturiert ist: 3x bĕnê yiśrā’ēl; 3x YHWH; und wĕ’ēhûd, wĕhû’, wĕhû’ („Ehud … und er … und er“), wobei sich Letzteres auf die Macht Siseras bezieht, der dem toten Ehud kontrastierend gegenübergestellt wird. Dann verschiebt sich der Fokus auf Debora, und die Erzählung wird mit mindestens zehn dreifachen Lautwiederholungen in nur zwei Versen fortgesetzt: [Erzählerin] Nun Debora, eine Frau eine Prophetin eine Frau von Flammen, sie richtete Israel zu jener Zeit. Sie saß unter der Palme von debora, zwischen Rama und Bet-El im Gebirge Efraim und das Volk von Israel kam hinauf zu ihr zum Rechtsentscheid. (Ri 4,4f.)
ûdĕvôrâ ’iššâ nĕvî’â ’ēšet lappîdôt hî’ šōphĕṭâ ’et-yiśrā’ēl bā‘ēt hahî’ wĕhî’ yôševet taḥat-tōmer dĕvôrâ bên hārāmâ ûvên bêt-’ēl bĕhar ’ephrāyim wayya‘ălû ’ēlêhā bĕnê yiśrā’ēl lammišpāṭ
31 Susan Niditch, Judges: A Commentary (OTL; Louisville: Westminster Knox Press, 2008), 14–18.
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Dreifach-Lautwiederholungen sind: Dĕvôrâ, nĕvî’â (eine Prophetin), Dĕvôrâ; „eine Frau, eine Frau von Flammen, richtete“ (’iššâ, ’ēšet lappîdôt, šōphĕṭâ); „sie, zu jener Zeit, sie“ (hî’, hahî’, hî’); „richtete, saß, um Gerechtigkeit“ (šōphĕṭâ, yôševet, mišpāṭ). Die gesamte Erzählung in Ri 4 ist von solchen dreifachen Lautwiederholungen durchzogen. Welche Rückschlüsse erlaubt diese Untersuchung hinsichtlich der Prophetinnen in Israel? Erstens entstanden ihre rhetorischen Darbietungen nicht losgelöst von der größeren Frauengemeinschaft und einer hochentwickelten weiblichen Dichtungstradition.32 Zweitens hatten Prophetinnen womöglich Verbündete in der größeren Frauengemeinschaft, die offenbar auch eine komplementäre Geschichtenerzählung zu den Liedtexten der Prophetinnen hervorgebracht hat. Und sie hatten womöglich Verbündete unter den Männern, die ihre Texte in den Kanon einbezogen haben. Dies wirft zwei weitere Fragen auf: (1) Haben Prophetinnen genau wie ihre männlichen Kollegen Gerichtsworte und Heilsorakel verkündet? Und (2) lässt sich das dreifache Lautmuster, wenn es gleichsam als Erkennungsmerkmal einer weiblichen Urheberschaft gedient hat, als Mittel einsetzen, um die Stimmen ungenannter Prophetinnen zu identifizieren, die in bestimmte Prophetenbücher Einlass gefunden haben? Wir wollen diese Fragen im Hinterkopf behalten, wenn wir uns jetzt der Prophetin Hulda und ihrem Gerichtswort sowie den prophetischen Büchern Micha und Deuterojesaja zuwenden.
2.2
Hulda
Während Debora in der ersten Hälfte der Vorderen Prophetie erscheint, begegnet uns die Prophetin Hulda gegen Ende dieses Kanonteils33 (2 Kön 22,14– 20), wobei die Episode in 2 Chr 34,8–28 ein weiteres Mal geschildert wird.34 Hulda wird als „die Frau Schallums“ bezeichnet, die in der Mischne oder im Zweiten Bezirk von Jerusalem wohnte – oder ihren Sitz hatte. Beide Übersetzungen sind möglich, die zweite impliziert, dass die Prophetin eine offizielle Funktion ausgeübt hat. Die Geschichte spielt im späten 7. Jh. v. Chr. Der Hohepriester Hilkija soll im Tempel ein Tora-Buch gefunden haben. Er und der Schreiber Schafan sind sich ebenso wie der König von Juda über die Bedeutung dieses Fundes im 32 Auch im Schilfmeerlied in Ex 15 ist ein Wechsel von dreifachen und doppelten Lautwiederholungen erkennbar; Lee, Hannevi’ah and Hannah, 59–87. 33 Auf die Bedeutung der Platzierung dieser beiden Prophetinnen in den frühen Prophetenbüchern haben Butting, Prophetinnen gefragt, 99f., und Fischer, Gotteskünderinnen, 185, hingewiesen. 34 Mit dem Unterschied, dass Joschija die nicht-jahwistischen Kultstätten in der Darstellung des Chronisten bereits vor Auffindung der Rolle, in 2 Kön aber erst danach zerstört.
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Unklaren, und so sendet Joschija seine Beamten aus, damit sie einen prophetischen Menschen wegen der Worte der Schriftrolle „befragen“.35 In der Forschung wird angenommen, dass es sich bei dieser Schriftrolle um eine Ausgabe des Buches Deuteronomium mit den darin angedrohten harten Bestrafungen von nicht-jahwistischen Praktiken gehandelt haben könnte. Interessanterweise wird in 2 Kön 22,3–20 nichts davon erwähnt, dass der König seine Beamten namentlich zu Hulda gesandt habe. Dementsprechend beginnt deren erste, ironische Reaktion mit den Worten: „Sagt zu dem Mann, der euch zu mir geschickt hat …“ (V. 15b). Nicht „zu Joschija“, nicht „zum König“, sondern: „zu dem Mann“. Hulda spricht ganz eindeutig als eine Person, die Autorität besitzt, sogar über den König, denn prophetisch Begabte riefen Könige zur Rechenschaft. Vielleicht ist der König für Hulda bloß ein weiterer Mann im Königreich, der sich nicht über andere erheben soll, ganz so, wie es Dtn 17,20 verlangt, dass der König eine Abschrift der Tora bei sich haben soll! Mit alledem stellt der Text in 2 Kön – und damit vermutlich die deuteronomistische Schule – Hulda als eine Persönlichkeit dar, die in der Tradition des Mose steht.36 Genau wie Debora wird Hulda ganz einfach als eine mit Autorität ausgestattete Prophetin Gottes respektiert. Allerdings wirft die Rezeptionsgeschichte der Hulda-Erzählung, beginnend mit dem Talmud (b. Meg 14b), die Frage auf, weshalb der König sie, eine Frau, und nicht ihren Zeitgenossen, den Propheten Jeremia befragt habe. Als Erklärung wurde angenommen, dass Jeremia möglicherweise gerade die Exilierten besucht habe und daher nicht verfügbar gewesen sei oder dass der König sich absichtlich an Hulda gewandt habe, weil er sich von ihr als Frau größere Empathie und daher eine weniger harsche Reaktion erhoffte. Auch zeitgenössische Kommentatoren werden noch immer von der sexistisch motivierten Frage umgetrieben, weshalb man in dieser Angelegenheit eine Frau zu Rate gezogen habe, anstatt Huldas prophetische Autorität, die in der Bibel eine schlichte Tatsache ist, einfach zu akzeptieren. Wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass hier zum allerersten Mal eine Frau als Verkünderin eines Gerichtsworts (genaugenommen eines Gerichtsworts und eines Heilsorakels) namentlich Erwähnung findet.37 2 Kön 22,15b–20c 35 Hamori, Women’s Divination, 152f., weist darauf hin, dass selbst die Religionsfunktionäre eine höhere spirituelle Autorität, also einen prophetisch begabten Menschen (Hulda) mit Zugang zu göttlichem Wissen benötigten, um die Bedeutung der Schriftrolle und ihrer Auffindung zu bewerten; Hulda ist die erste Person in der Bibel, die einen Text kanonisiert: „Es ist vielleicht Joschijas Reform, aber es ist Huldas Kanon“. 36 Kessler, „Miriam and the Prophecy“, 81, mit Verweis auf Udo Rüterswörden, „Die Prophetin Hulda“, in Meilenstein: Festgabe für Herbert Donner zum 16. Februar 1995 (hg. v. Manfred Weippert und Stefan Timm; ÄAT 30; Wiesbaden: Harrassowitz, 1995), 234–242. 37 Es sei denn, man interpretiert Deboras zweites, für Barak bestimmtes Orakel als Gerichtswort.
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bringt Huldas Gerichtswort gegen das Königreich Juda und zweitens ihr Orakel über das Schicksal des Königs Joschija. Obwohl als Prosa gedruckt, sind die Orakel Huldas eigentlich lyrische Texte. Ihre erste Äußerung ist durch 14 Wörter strukturiert, von denen jedes zu vier einander überschneidenden Dreifach-Lautwiederholungen gehört. Die Betonungen der Lautwiederholungen (V. 15) sind dazu bestimmt, die Aufmerksamkeit des Königs in Beschlag zu nehmen: kō-’āmar, ’imrû, kō ’āmar (so spricht JHWH / Sagt zu dem Mann / so spricht JHWH); lā’îš, ’ăšer-šālaḥ (der Mann, der geschickt hat); ’ĕlōhê, ’etkem, ’ēlāy (Gott / euch / zu mir). Huldas nächster Ausspruch (V. 16), der die Bestrafung ankündigt, erhält seinen besonderen Nachdruck durch vier weitere Dreifach-Lautwiederholungen: mēvî’, māqôm, melek (ich bringe / Ort / König); rā‘â, divrê, qārā’ (Unheil / Worte / gelesen hat); ’el, ‘al, kol (gegen / über / alle); hammāqôm, hazzeh, hassēpher (Ort / diesen / des Buches). Anschließend verkündet Hulda das Gotteswort, die Anklage gegen Juda, die durch zehn Dreifach-Lautwiederholungen akzentuiert wird: taḥat, wayqaṭ, ḥămāt (denn / sie haben geopfert / mein Zorn); ăzāvûnî, hak‘îsēnî, ḥămātî (sie haben mich verlassen / mich erzürnt / mein Zorn); lē’lōhîm ’ăḥērîm, yĕdêhem (anderen Göttern / ihrer Hände). In Huldas zweitem Orakelwort (V. 18–20) vergibt Gott Joschija, weil der König die Worte des Buches „gehört“, sich mit Blick auf das Fehlverhalten gedemütigt und versucht hat, Abhilfe zu schaffen. Mit einer erneuten Dreifach-Lautwiederholung spricht JHWH Joschija an und bezieht sich auf dessen zerknirschte Reaktion: šāmā‘tā, bĕšom‘ăkā, ’ānōkî šāma‘tî (du hast gehört / als du vernahmst / habe ich dich erhört). Wie um das Urteil über den König gegen den Kontext abzugrenzen, unterbricht JHWH das vorherrschende Muster mit Zweifach-Lautwiederholungen: „Siehe, ich werde dich vereinen (hinnî ’ōsiphkā) mit deinen Vätern (‘al-’ăvōtêkā), und du sollst beigesetzt werden (wĕne’ĕsaphtā) in deinem Grab (’el-qivrōtêkā) in Frieden“ (V. 20a).38
2.3
Falsche Propheten in Ezechiel 13,17–23
Der Prophet Ezechiel verkündet Orakel, die falsche Propheten, Männer wie Frauen, verurteilen. Zu Beginn von Ez 13 wendet er sich gegen männliche Propheten, die „aus ihrem eigenen Herzen heraus prophezeien“, „nur ihrem 38 Da Joschija später in der Schlacht fällt (2 Kön 23,29f.), ist die Prophezeiung in Teilen unzutreffend, wenngleich er Jerusalems Zerstörung nicht mitangesehen hat. Hamori, Women’s Divination, 154–159, vermutet, dass die Bereinigung dieses „Fehlers“ in Huldas Orakel der Grund für die Veränderungen war, die der spätere Chronist an der Darstellung von Joschijas Tod vorgenommen hat: die Hinzufügung von Nechos (gottgesandter) Warnung an Joschija, sich ihm nicht entgegenzustellen; die Verlegung seines Todes von Megiddo nach Jerusalem; und die ergänzende Information über seine Beisetzung im Grab seiner Eltern.
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eigenen Geist folgen“ (V. 2f.) und „nichtige Visionen und falsche Orakel“ haben [qsm], und er hält ihnen vor, dass „JHWH sie nicht gesandt hat“ (V. 6) und dass sie das Handeln des Volkes „mit Tünche bestreichen“ (V. 10). Außerdem kritisiert er Prophetinnen („die Töchter deines Volkes“), die „aus ihrem eigenen Herzen heraus prophetisch reden“ (V. 17) und die „keine nichtigen Visionen mehr haben und keine Orakel mehr verkünden“ sollen [qsm] (V. 23). Ihre obskuren Praktiken werden auch deshalb verurteilt, weil sie das Leben des Volkes in Gefahr bringen (V. 18–22).39
2.4
Prophetinnen in Micha und Deuterojesaja?
In der Forschung der jüngeren Zeit findet sich vermehrt die Auffassung, dass in der Schriftprophetie auch Äußerungen nicht namentlich genannter Prophetinnen enthalten sein könnten. Die Frage ist, woran diese Texte zu erkennen sind oder wie sie sich auffinden lassen. Eine der fraglichen Stellen ist Mi 7,1–10, weil in diesem Textstück auch eine weibliche Stimme enthalten ist (V. 8–10).40 Die meisten Kommentare betrachten diese Frau als Personifikation der Stadt Jerusalem. Da jedoch nichts in der unmittelbaren Umgebung auf eine Stadt hindeutet, haben einige Forscher auf die Möglichkeit verwiesen, dass es sich bei der Sprecherin um eine Prophetin handelt.41 Es wäre durchaus denkbar, dass im 8. Jh. eine weitere Prophetin aktiv gewesen sein könnte, denn Micha aus Moreschet (dieses Dorf liegt in Juda, nicht allzu weit von Jerusalem entfernt) war ein Zeitgenosse Jesajas und seiner Partnerin, der Hannevi’ah. Außerdem steht, was die prophetischen Führungspersönlich39 In traditionellen Auslegungen wird oft davon ausgegangen, dass die Frauen in Ez 13 verurteilt worden seien, weil sie ungesetzliche Hexerei oder Magie praktiziert hätten. Einige neuere Deutungen ignorieren oder relativieren Ezechiels negative Polemik und bewerten die Frauen positiv als Prophetinnen, z. B.: Nancy R. Bowen, „The Daughters of Your People: Female Prophets in Ezekiel 13:17–23“, JBL 118 (1999): 417–433; Jonathan Stökl, „The מתנבאותof Ezekiel 13 Reconsidered“, JBL 132 (2013): 61–76, sieht die Frauen ebenfalls positiv, glaubt aber, dass sie keine Prophetie, sondern deduktive Divination praktiziert hätten. Jacqueline E. Lapsley, „Ezekiel“, in Women’s Bible Commentary: Revised and Updated (hg. v. Carol A. Newsom, Sharon H. Ringe und Jacqueline E. Lapsley; Louisville: Westminster Knox Press, 32012), 283–292; 287, gibt zu bedenken, dass auch falsche Prophetinnen die Menschen aus Habgier betrügen. 40 Urheberschaft und Kontext von Mi 6–7 sind umstritten; manche Autor_innen glauben, die beiden Kapitel seien zu Michas Lebzeiten entstanden, andere datieren sie auf eine spätere Periode. 41 Mayer I. Gruber, „Women’s Voices in the Book of Micah“, lectio difficilior (1/2007), online: http://www.lectio.unibe.ch/07_1/mayer_gruber_womens_voices.htm [zuletzt abgerufen am 28.06.2019], beklagt ebenso die Tendenz, „weibliche Stimmen zu ignorieren, indem man sie als Personifikationen deutet“; vgl. auch Lee, Hannevi’ah and Hannah, 35–56.
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keiten der Vergangenheit betrifft, Mirjams Erbe in Mi 6,3 völlig gleichberechtigt neben Mose und Aaron. Gibt es neben der geschlechtsspezifischen Ausdrucksweise in Mi 7 weitere Hinweise auf eine weibliche prophetische Präsenz? Die erste Äußerung in Mi 7,1 bringt eine persönliche Klage zum Ausdruck: „Weh mir! Denn ich bin wie der Sammler der Sommerfrucht (qayiṣ) …, (doch) da ist keine Traube zum Essen!“ Das Wort „Sammler“ ist in der Septuaginta als weibliches Partizip wiedergegeben. In dem Bild klingt die Frage an, die Gott an einen anderen Propheten, an Amos, gerichtet hatte: „Was siehst du?“ Qayiṣ, hatte Amos geantwortet, „einen Korb mit Sommerfrucht“, und Gott hatte diese Antwort in einem Wortspiel wiederaufgegriffen: qēṣ, „das Ende ist über mein Volk Israel gekommen“ (Am 8,2). Im weiteren Verlauf beschreibt die Stimme in Mi 7 die zügellose Gewalt und Korruption der Beamten und das erschütterte Vertrauen in sämtliche menschlichen – auch weiblichen – Beziehungen.42 Ihre Zeilen sind von dreifachen Lautwiederholungen durchzogen. In V. 4 sagt sie: „Der Tag deiner Wächter […] ist gekommen.“ Das Wort „Wächter“ (měṣappeh, von ṣāpāh, „wachen“) verweist in zahlreichen biblischen Texten metaphorisch auf Propheten (Hos 9,8; Jes 21,6; 52,8; Jer 6,17; Ez 3,17; 33,1–6; Hab 2,1). Prophetisch Begabte waren Wachtposten Gottes, die über eine Stadt oder eine Nation wachten und häufig finstere Kunde brachten, um das Volk zu warnen. Es ist mithin in höchstem Maße bedeutsam, dass die Stimme dasselbe Verb gleich in V. 7 auf ihr eigenes Handeln bezieht: „Ich aber schaue aus (als ein Wachtposten: ’ăṣappeh) nach JHWH.“ Dass hier eine Frau spricht, wird durch die femininen grammatischen Formen in V. 10 – wo sie die Worte zitiert, die ihre Feindin an sie richtet – zusätzlich erhärtet.43 Eine Reihe von Wissenschaftlern hat gemutmaßt, dass auch in Jes 40–66 die Worte einer oder mehrerer Prophetinnen Einlass gefunden haben könnten.44 Die Verantwortlichen dieser Kapitel, die in die Zeit des Exils oder danach datiert werden und demnach nicht zu Lebzeiten des Jerusalemer Jesajas im 8. Jh., sondern erst sehr viel später entstanden sind, sind anonym. Au-
42 Gruber, „Women’s Voices“, verweist auf den „in geschlechtlicher Hinsicht ausgeglichenen synonymen Parallelismus“ in V. 5f. 43 Das deckt sich mit Grubers Einschätzung, dass es sich um eine verfolgte Prophetin handeln könnte (ebd.). 44 Z. B. James D. Newsome, The Hebrew Prophets (Louisville: Westminster John Knox Press, 1984), 142; Bebb Wheeler Stone, „Second Isaiah: Prophet to Patriarchy“, JSOT 56 (1992): 85–99; Steve McEvenue, „Who Was Second Isaiah?“ in Studies in the Book of Isaiah: Festschrift Willem A. M. Beuken (hg. v. J. van Ruiten und M. Vervenne; BETL 12; Leuven: University Press, 1997), 213–222; Lee, Hannevi’ah and Hannah, 156–182.
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ßerdem enthalten einige Texte auffällig ungewöhnliche weibliche Bilder von Gott wie etwa als Gebärende und Mutter.45 Ein Schlüsseltext, von dem einige Wissenschaftler glauben, dass er Worte einer Prophetin enthalten könnte, ist Jes 40 mit seinem weiblichen Nomen mĕbaśśeret, „Freudenbotin“.46 Wie im Falle von Mi 7 haben traditionelle Auslegungen darin eine Personifikation von Zion/Jerusalem gesehen, daher lautet die herkömmliche Übersetzung: Steig auf einen hohen Berg, Zion, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme mit Macht, Jerusalem, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht! Sag den Städten in Juda: Siehe, da ist euer Gott. (Jes 40,9).
Es ist wichtig, sich den literarischen Kontext dieser Stelle vor Augen zu halten. Kurz davor, nämlich in V. 6f., wird ein anderer prophetischer Sprecher/ eine andere prophetische Sprecherin zum Rufen aufgefordert, und die entmutigte Antwort lautet: „Was soll ich rufen? Alles Fleisch ist wie das Gras […], wenn der Atem JHWHs darüber weht.“ Diese entmutigte Rede ist ein Ausdruck der Sinnlosigkeit nach Gottes vernichtender Bestrafung. Diese entmutigte Sprecherin ist es, an die die Worte aus V. 9 gerichtet sind, die damit wie folgt zu übersetzen sind: Einen hohen Berg steige empor, o Botin für Zion; erhebe mit Macht deine Stimme, o Botin für Jerusalem – erhebe sie, hab keine Furcht; verkünde den Städten Judas: Seht euren Gott!
In dieser Lesart ermutigt die zweite prophetische Stimme eine mutlose Prophetin, ein Heilsorakel zu verkünden: Gott ist hier, er bringt die Verbannten heim und stellt die Stadt und die Nation wieder her. Es besteht die Möglichkeit, dass diese Texte von einer Prophetin handeln, die aufgerufen wird, nach Jahrzehnten des Traumas und der schieren Hoffnungslosigkeit ein Heilsorakel zu verkünden.
45 Zur Möglichkeit, dass Frauen an der Entstehung von Jes 42,13–16 und 49,13–21 beteiligt waren, vgl. ebd., 178–181; im vorliegenden Band vgl. Hanne Løland Levinson, „Die nie aufhörende Suche nach Gottes weiblicher Seite. Weibliche Aspekte im Gottesbild der Prophetie“. 46 Zuletzt John Goldingay und David Payne, Isaiah 40–55: A Critical and Exegetical Commentary (ICC; London: T&T Clark, 2006), 44–49; Lena-Sofia Tiemeyer, For the Comfort of Zion: The Geographical and Theological Location of Isaiah 40–55 (VTSup 139; Leiden: Brill, 2011), 17f.29f.279–285; Lee, Hannevi’ah and Hannah, 156–168.
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3.
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Resümee: Prophetinnen – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Joël 3)
Die Orakel des Propheten Joël,47 die üblicherweise in die Zeit des Zweiten Jerusalemer Tempels (5. Jh. v. Chr.) datiert werden, beinhalten einen Aufruf zur Klage (Joël 1)48 die Ankündigung des Tages JHWHs, einen Aufruf, zu JHWH umzukehren, ein Heilsorakel (Joël 2); und Urteilssprüche gegen die Nationen (Joël 3). Es fällt auf, dass Gott über das gegenwärtige Heil hinaus ein fortwährendes Handeln und Sich-Äußern sowohl männlicher als auch weiblicher Propheten verheißt: Danach aber wird es geschehen: Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure Alten werden Träume haben und eure jungen Männer haben Visionen. Auch über Knechte und Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen. (Joël 3,1f.)
Bezeichnenderweise zitiert Lukas, als er im ersten nachchristlichen Jahrhundert die Pfingstereignisse beschreibt, diesen Text in der Predigt des Petrus (Apg 2,17) als Erklärung für die inspirierten Worte, die aus den Anwesenden hervorsprudeln. Mithin hat diese Überblicksdarstellung gezeigt, dass es, wie im Kanonteil der Prophetie auch in sämtlichen Teilen der Heiligen Schrift zweifelsfrei nachweisbar, in biblischen Zeiten immer Prophetinnen gegeben hat, die anerkannt wurden als von Gott mit der höchsten Berufung für die Gesellschaft ausgestattet.
47 Laut Vers 1,1 der Sohn Petuëls. 48 L. Juliana Claassens, „Joel and Obadiah“, in Women’s Bible Commentary: Revised and Updated (hg. v. Carol A. Newsom, Sharon H. Ringe und Jacqueline E. Lapsley; Louisville: Westminster Knox Press, 32012), 310, weist darauf hin, dass die Klage – in diesem Fall über die traumatischen Erfahrungen einer verheerenden Heuschreckenplage, einer Dürre und der stets gegenwärtigen Gefahr eines Krieges – vor allem unter weiblicher Führung durchgeführt wurde.
Profile widerständiger Frauen in der Vorderen Prophetie Rainer Kessler Universität Marburg
In den Schriften der Vorderen Prophetie stoßen wir bekanntlich auf viele Frauengestalten. Eine nicht unerhebliche Zahl von ihnen zeichnet sich dadurch aus, dass man sie mit dem Prädikat „widerständig“ belegen kann. Von daher bedarf es keiner Begründung, dass in der Reihe „Die Bibel und die Frauen“ von widerständigen Frauen in der Vorderen Prophetie die Rede ist. Doch warum spreche ich nicht einfach von „widerständigen Frauen in der Vorderen Prophetie“? Was ist mit „Profilen widerständiger Frauen“ gemeint? Ich nehme das Ergebnis meiner Untersuchung vorweg. Es läuft darauf hinaus, dass es in der Vorderen Prophetie nicht den einen Typ der „Frau im Widerstand“ gibt, sondern eine Mehrzahl von Typen. Man könnte auch von Silhouetten sprechen, wie das Uta Schmidt in ihrer narratologischen Studie zur Darstellung von Frauen in den Königebüchern getan hat.1 Ob wir von Typen oder Silhouetten oder Profilen sprechen, gemeint ist immer, dass sich die individuellen Erzählungen nach bestimmten gemeinsamen Merkmalen in der Charakterisierung der Frauen, von denen sie handeln, gruppieren oder clustern lassen. Insgesamt habe ich fünf solcher Profile ausfindig gemacht. Da aber derartige Profile oder Silhouetten oder Cluster keine scharfen Grenzen haben, liegen fließende Übergänge vor und wären sicher auch andere Gruppierungen denkbar.
1.
Frauen als Opfer sexueller Gewalt
Die Bücher der Vorderen Prophetie enthalten einige Erzählungen, in denen Frauen zu Opfern patriarchaler Machtverhältnisse werden. Was ihnen widerfährt, erleben sie in unterschiedlichen Frauenrollen. Jiftachs Tochter (Ri 11,29–40) bleibt namenlos und wird zum Opfer als Tochter ihres Vaters. Dass sie ihrem Vater, der sie schließlich als Brandopfer darbringt (V31 und 1 Uta Schmidt, Zentrale Randfiguren: Strukturen der Darstellung von Frauen in den Erzählungen der Königebücher (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2003).
Profile widerständiger Frauen in der Vorderen Prophetie
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39), Widerstand entgegensetzt, wird nicht berichtet.2 Was sie sagt, klingt eher so, als stimme sie zu. Cheryl Exum kommentiert knapp: „The daughter submits to the authority of the father.“3 Allerdings zeigt die Darstellung, dass Jiftachs Tochter trotz der grundsätzlichen Unterwerfung unter die Autorität des Vaters zunehmend die Initiative an sich reißt und sich so trotz ihrer Namenslosigkeit zur Hauptperson der Erzählung entwickelt.4 Auch wenn die Tochter „stets Opfer bleibt“, ist sie „als die eigentliche Heldin der Erzählung gezeichnet“.5 Walter Groß kann daher diese Erzählung, obwohl in ihr die Frau zum Opfer wird, als „eine der im Richterbuch sich erstaunlich häufenden Erzählungen von einer starken Frau“ qualifizieren.6 Die Frau des Leviten, die im benjaminitischen Gibea von ihrem Mann den Vergewaltigern ausgeliefert, von diesen (fast?) zu Tode vergewaltigt7 und anschließend von ihrem Mann zerstückelt wird (Ri 19), ist ebenfalls namenlos und wird als Nebenfrau – פילגשׁ אשׁהoder nur ( פילגשׁV1f.9f.24f.27.29) – ihres Herrn – ( אדוןV26f.) – dargestellt. Die ganze Erzählung hindurch wird sie als Objekt männlicher Verhandlungen geschildert.8 Sie selbst spricht kein Wort. Ob sie sich widerständig oder ergeben verhalten hat, als sie ihren Vergewaltigern vorgeworfen wurde, erfahren wir nicht. Die Erzählung von der Vergewaltigung in Gibea wird mit dem Satz eröffnet: „In jener Zeit, als es noch keinen König in Israel gab ...“ (V1). Das soll suggerieren, dass nur ein König für Recht und Ordnung sorgen kann. Das Königtum kommt – und jetzt wird innerhalb der königlichen Familie selbst vergewaltigt. So schildert es die Erzählung von der Vergewaltigung Tamars durch ihren Halbbruder Amnon (2 Sam 13). Hier leistet das Opfer Widerstand, zwar nicht körperlich, denn da wäre sie unterlegen gewesen. Aber mit Worten versucht sie den Täter von seiner Tat abzubringen. Und auch nach der Tat macht sie noch einen Vorschlag, der zwar die Tat nicht hätte ungeschehen machen können, aber wenigstens die völlige soziale Vernichtung 2
Vgl. Phyllis Trible, Texts of Terror: Literary-Feminist Readings of Biblical Narratives (Philadelphia: Fortress Press, 21985), 102. 3 J. Cheryl Exum, „Murder They Wrote: Ideology and the Manipulation of Female Presence in Biblical Narrative“, in Telling Queen Michal’s Story: An Experiment in Comparative Interpretation (hg. v. David J. A. Clines und Tamara Cohn Eskenazi; JSOTSup 119; Sheffield: JSOT Press, 1991), 176–198; 181. 4 Vgl. Walter Gross, Richter (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2009), 603.610. 5 Michaela Bauks, Jephtas Tochter: Traditions-, religions- und rezeptionsgeschichtliche Studien zu Richter 11,29–40 (FAT 71; Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), 21.59 6 Gross, Richter, 610. 7 Die Formulierung im hebräischen Text lässt offen, ob die Frau nach der fortgesetzten Vergewaltigung schon tot ist. Erst der griechische Text macht es eindeutig, indem er erklärt, die Frau sei tot gewesen; vgl. Trible, Texts, 79. 8 Vgl. Gross, Richter, 844: „Von (24).25 an ist alles darauf angelegt, die stumm bleibende Nebenfrau immer umfassender zum bloßen Objekt von Handlungen der Männer zu machen; der Endpunkt V29 ist auch der Tiefpunkt dieser Entwicklung.“
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des Opfers verhindert hätte. Ilse Müllner bemerkt in ihrem Artikel „Tamar“ im Wissenschaftlichen Bibellexikon im Internet zu Recht: „Tamars verbaler Widerstand ist im Vergleich mit anderen Erzählungen über sexuelle Gewalt“ – hier verweist Ilse Müllner auf die Vergewaltigung Dinas in Gen 34 und die eben erwähnte Erzählung von Ri 19 – „außergewöhnlich. Sie wird darin als kluge und weitsichtige Frau dargestellt, deren Argumentation von der Erzählgemeinschaft mitgetragen wird. So ist auch der Heiratsvorschlag an Amnon ernst zu nehmen ...“9 Allerdings, so wissen wir aus der Erzählung, wird auf Tamar nicht gehört. Drei Frauen als Opfer, die entweder keinen Widerstand leisten, von deren möglichem Widerstand wir nichts hören oder deren verbaler Widerstand erfolglos bleibt: Dies ist das erste Profil, das zu erkennen ist.
2.
Böse Frauen
Im Unterschied zu den eben behandelten Figuren werden zwei andere Frauen zwar auch zu Opfern, aber sie leisten heftigen Widerstand. Es sind die beiden Königinnen Isebel und Atalja. Isebel, die Tochter des phönizischen Königs von Sidon, ist mit dem König Israels, Ahab, verheiratet (1 Kön 16,31). Die Überlieferung schildert sie von Anfang an als böse Frau. Sie ermordet die Prophetinnen und Propheten JHWHs (1 Kön 18,4.13; 2 Kön 9,7), unterstützt jene von Baal und Aschera (1 Kön 18,19) und verfolgt den Propheten Elija (1 Kön 19,1f.). Für ihren Mann organisiert sie einen Justizmord an dem ehrbaren Weinbergbesitzer Nabot (1 Kön 21). Sie ist es, die den König Ahab zu allem Bösen anstiftet (1 Kön 21,25). Als der Offizier Jehu gegen das regierende Königshaus der Omriden putscht, lässt er Isebel ermorden (2 Kön 9,30–37). In Uta Schmidts narratologischer Analyse wird ihr die Silhouette der „mächtigen Frau“ zugeschrieben.10 Als ihr Mörder Jehu in Jesreel erscheint, tritt Isebel ihm stolz und mutig entgegen. Anders als die Könige von Israel und Juda, die vor Jehu geflohen waren und auf der Flucht ermordet wurden (2 Kön 9,20–29), blickt Isebel ihrem Feind in die Augen. Mit den einzigen Worten, die ihr die Erzählung gewährt, klagt sie Jehu als Mörder an. Indem sie ihn mit dem Mörder Simri vergleicht, der kurz danach selbst umgebracht wurde (1 Kön 16,8–20), stellt 9 Ilse Müllner, „Tamar [Mai 2009]“, in Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, online: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/32354/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. Zur Erzählung von Tamar und Amnon vgl. insgesamt Dies., Gewalt im Hause Davids: Die Erzählung von Tamar und Amnon (2 Sam 13,1–22) (HBS 13), Freiburg i. Br.: Herder, 1997. 10 Schmidt, Randfiguren, 138–196.
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sie ihn zugleich als Verlierer dar. Zwar wird sie zum Opfer, indem sie im Machtkampf mit Jehu unterliegt und sogar ihr Leichnam von Hunden gefressen wird. Aber sie stirbt als stolze, mutige und widerständige Frau. Trotzdem hat Isebel in der Erzählung keine Chance. Sie wird von Anfang an als böse dargestellt. Und noch die Erzählung von ihrer Ermordung schildert sie so, dass sie letztlich selbst schuld ist. Uta Schmidt macht darauf aufmerksam, dass die negativen Deutungen von Isebels Verhalten damit ansetzen, dass sie sich schminkt und ihren Kopf schön macht.11 Nach einem Vergleich mit der Darstellung verschiedener Frauengestalten, die Städte repräsentieren, resümiert sie: „Dadurch wird ihr Schminken und Sich-schön-machen sexuell motiviert und wird so zur verwerflichen Tat, durch die sie Jehus gewalttätigen Mord selber verschuldet.“12 Ein ähnliches Schicksal wie Isebel, und zwar in der erzählten Realität wie in der Art der Erzählung, erleidet ihre Schwägerin Atalja, die mit dem König von Juda verheiratet ist und nach dessen Ermordung durch Jehu den Thron übernimmt (2 Kön 8,26; 11). Auch sie ist von Anfang an die Böse, die die gesamte thronfolgeberechtigte Nachkommenschaft umbringen lässt. Auch sie wird in einem Putsch gestürzt, diesmal nicht vom Militär angeführt, sondern von der Priesterschaft. Auch sie wird von den Putschisten ermordet und ergibt sich nicht widerstandslos in ihr Schicksal. Narrativ aber wird – wie im Fall von Isebel – keine Träne über Atalja vergossen. Die Erzählung endet mit den Worten: „Da freute sich die Elite des Landes. Die Stadt aber war ruhig geblieben, und Atalja hatten sie mit dem Schwert im königlichen Haus getötet“ (2 Kön 11,20, Übersetzung Bibel in gerechter Sprache). Mit Isebel und Atalja begegnen uns zwei Frauen, die zwar auch zu Opfern werden, die dem aber starken Widerstand entgegensetzen. Erzählerisch werden sie von vorneherein als böse geschildert. Ihr Widerstand ist letztlich der vergebliche Versuch, sich einem Ende zu widersetzen, das sie nach der Erzählstrategie zu Recht trifft.
3.
Frauen auf Seiten der späteren Sieger
Anders als Isebel und Atalja werden drei andere Frauen, die ich in einem dritten Profil zusammenfassen will, in ihrem Widerstand positiv gewürdigt. Sie leisten Widerstand gegen eine Autorität, die aktuell Macht über sie ausübt. Zugleich schlagen sie sich damit auf die Seite einer Größe, die in Zukunft über die alte Autorität dominieren wird. 11 Vgl. Schmidt, Randfiguren, 146. 12 Schmidt, Randfiguren, 148.
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Das erste Beispiel für diesen Typ ist Rahab aus Jericho. Der König von Jericho erfährt, dass israelitische Kundschafter in ihrem Haus übernachten, und fordert sie auf, diese auszuliefern (Jos 2,1–3). Sie aber versteckt die Männer, lügt die Boten des Königs an und schickt die Verfolger auf eine falsche Fährte (V4–7). Damit leistet sie offen Widerstand gegen die Autorität, der sie untersteht. Den israelitischen Spionen gegenüber begründet sie ihr Verhalten damit, dass JHWH ihnen das Land ohnehin gegeben habe und keiner dem widerstehen könne (V9–11). Ihr eigentliches Anliegen aber ist ein anderes. Formgerecht wird es in ihrer Rede mit „( ועתהund nun“) eingeleitet (V12): Rahab will erreichen, dass sie und ihre Familie bei der zu erwartenden späteren Eroberung Jerichos am Leben gelassen werden (V12f.).13 Die Männer versprechen das, und Rahab ermöglicht ihnen die Flucht. Als dann Jericho eingenommen wird und alles der Vernichtung (dem sogenannten Bann) geweiht wird, wird in der Tat Rahab mit ihrer Familie verschont. So wohnt sie inmitten von Israel „bis auf diesen Tag“ (Jos 6,25). Im Stammbaum Jesu in Mt 1 wird sie zur Mutter des Boas, des Mannes von Rut, und damit zur Ur-UrGroßmutter des Königs David (Mt 1,6f.). Trotz dieses positiven Nachlebens ist festzuhalten, dass Rahab als NichtIsraelitin eine Frau ist, die rechtzeitig erkennt, wer die Sieger sein werden, und sich auf deren Seite stellt, um ihre Haut zu retten. Aus postkolonialer Perspektive lässt sich das durchaus kritisch sehen. Musa Dube spricht in diesem Zusammenhang von „Zusammenarbeit mit dem Kolonialherren“ („collaboration with the colonizer“). Was die positive Würdigung Rahabs durch die Erzählstimme betrifft, hält sie fest, dass Rahab keine Macht über ihre eigene Geschichte hat, sondern diese von den Unterdrückern geschrieben wird, um ihr eigenes Anliegen vorzubringen und ihre Eroberung zu rechtfertigen, in Musa Dubes Worten: „Rahab’s story is not her own – it is written by her oppressors to project their own agendas as well as to validate the conquest.“14 Als zweites Beispiel nenne ich Michal, die Tochter Sauls. Sie war Davids Frau (1 Sam 18,27), als ihr Vater ihn töten lassen will. Michal verhilft ihm zur Flucht. Anschließend belügt sie erst die Boten Sauls, die David festnehmen wollen, und dann ihren Vater, indem sie behauptet, ihr Ehemann habe sie mit Gewalt zu ihrem Verhalten gezwungen (1 Sam 19,11–17). Über Michals Motiv kann man streiten. Ausdrücklich hält die Erzählung fest, dass Michal David liebt (18,20; vgl. V28) und ihn deshalb zum Mann 13 Vgl. José Luis Sicre, Josué (Comentarios teológicos y literarios del AT y NT; Estella: Editorial Verbo Divino, 2002), 113: „En el fondo, la confesión de fe es una extensa introducción a lo que realmente pretende Rajab: salir con vida ella y su familia (vv. 12–13)“ („Im Grund ist das Glaubensbekenntnis eine ausführliche Einleitung für das, was Rahab wirklich will: dass sie und ihre Familie mit dem Leben davonkommen“). 14 Zitate aus Musa W. Dube, Postcolonial Feminist Interpretation of the Bible (St. Louis: Chalice Press, 2000), 142f.
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will. Es ist das einzige Mal in der Hebräischen Bibel, dass so etwas von einer Frau gesagt wird.15 Aber sie ist nicht allein damit. Auch Jonatan liebt David wie sein eigenes Leben (V1), und ganz Israel und Juda lieben David (V16). Es ist die Liebe zum künftigen Sieger. Denn seit Kap. 15 und 16, wo erst Saul verworfen und dann David gesalbt wird, ist deutlich, dass die Zeit Sauls abgelaufen ist. Es ist also zumindest nicht unopportun, wenn Michal sich gegen ihren Vater, den regierenden König, auf die Seite Davids, des künftigen Herrschers, schlägt. Was die emotionale Seite der Liebesbeziehung angeht, muss man im Übrigen sagen, dass Michal von David eher schäbig behandelt wird. Nach seiner Flucht vom Hof Sauls trifft er sich zwar heimlich mit dessen Sohn Jonatan (Kap. 20), nicht aber mit seiner Frau Michal. Zwar holt er später Michal, die inzwischen an einen anderen verheiratet worden ist (1 Sam 25,44), zurück, aber nicht aus Liebe, sondern um seinen Machtanspruch auf die Saulfamilie zu demonstrieren (2 Sam 3,12–16). Schnell kommt es danach zum endgültigen Zerwürfnis zwischen Michal und David (2 Sam 6,16.20–23). Hier ist die erzählerische Feinheit zu beachten, wie Michal den Männern zugeordnet wird, die über sie Autorität haben. Sie ist „Tochter Sauls“ vor ihrer Verheiratung mit David (1 Sam 18,20.27). Danach heißt sie einmal „seine Frau“, also Davids Frau. Doch da die Ehe von Seiten Davids nach seiner Flucht praktisch nicht wahrgenommen wird, lesen wir, dass Saul „seine Tochter Michal, die Frau Davids“, einem anderen Mann übergibt (1 Sam 25,44). Als David sie aus politischen Gründen zurückfordert, nennt er sie zunächst „die Tochter Sauls“ (2 Sam 3,13), dann aber, um seinen Anspruch zu unterstreichen, „meine Frau“ (V14). Doch dabei bleibt es nicht. Als es zum endgültigen Zerwürfnis kommt, wird Michal von der Erzählstimme wieder „Tochter Sauls“ genannt (6,16.20). In dem Augenblick, als David sie endgültig zurückweist, bleibt sie doch die Tochter jenes Königs, dem sie sich einst widersetzte. In den Worten von David Clines: „Michal is not behaving as David’s wife … but as his opponent: she is acting like a true daughter of Saul, and the narrator has spelled this out by writing ‚Michal daughter of Saul‘ in two places where her criticism of David is expressed ...“16 Auch das dritte Beispiel erzählt von einer Frau, die sich früh auf die Seite Davids stellt. Es handelt sich um Abigajil. Sie ist die Frau Nabals (1 Sam 25,3), der sich mit David anlegt und ihn zu einer gewalttätigen Reaktion provoziert. 15 Vgl. Robert Alter, „Characterization and the Art of Reticence (from The Art of Bbilical Narrative)“, in Telling Queen Michal’s Story:An Experiment in Comparative Interpretation (hg. v. David J. A. Clines und Tamara Cohn Eskenazi; JSOTSup 119; Sheffield: JSOT Press, 1991), 64–73; 68. 16 David J. A. Clines, „X, X ben Y, ben Y: Personal Names in Hebrew Narrative Style“, in Telling Queen Michal’s Story: An Experiment in Comparative Interpretation (hg. v. dems. und Tamara Cohn Eskenazi; JSOTSup 119; Sheffield: JSOT Press, 1991), 124–128; 128.
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Um ein Blutbad zu vermeiden, zieht sie den Männern Davids entgegen, ohne ihrem Mann dies mitzuteilen (V19). In einer Rede an David distanziert sie sich von ihrem Mann, nennt ihn einen Dummkopf und behauptet, von Davids früherer Delegation nichts gewusst zu haben (V25). David dagegen sagt sie auf prophetische Weise – lange vor der berühmt gewordenen Natanweissagung (2 Sam 7)17 – an, dass JHWH ihm ein beständiges Haus, also eine andauernde Dynastie, bereiten werde (1 Sam 25,28). Daraufhin lässt David von seinen Racheplänen ab. Wieder zu Hause, berichtet Abigajil ihrem Mann Nabal, der bald darauf stirbt, vom Geschehenen (V36–38). Der Weg ist frei, Abigajil wird zur Frau des künftigen Königs und Dynastiegründers (V39–42). Anders als im Fall von Michal wird von keinem Zerwürfnis zwischen Abigajil und David berichtet. Abigajil wird weiter als eine der Frauen Davids erwähnt (1 Sam 27,3; 30,5; 2 Sam 2,2). Dass sie in der weiteren Geschichte keine Rolle mehr spielt, könnte auch daran liegen, dass ihr Sohn Kilab, den sie mit David hat (2 Sam 3,3), früh gestorben ist.18 Jedenfalls wird er anders als andere David-Söhne nie mehr erwähnt, und mit ihm auch seine Mutter nicht mehr. Drei Frauen, die sich widersetzen: Rahab ihrem König, Michal ihrem Vater, Abigajil ihrem Mann. Drei Frauen, die sich früh schon auf die Seite des späteren Siegers stellen – das lässt sich zu einem Profil zusammenschauen. Das Schicksal dieser Frauen ist unterschiedlich. Rahab wird mit ihrer Familie gerettet, Michals Beziehung zu David scheitert, und Abigajil verliert sich in der Geschichte. So wichtig ihre Rolle in der erzählten Geschichte ist, handeln sie doch alle im eigenen Interesse. Sie sind keine Führungspersönlichkeiten ihrer Gemeinschaft. Dazu müssen wir uns ins nächste Profil begeben.
4.
Frauen als Leiterinnen ihrer Gemeinschaft
Andere Frauen, die Widerstand leisten, tun das im Interesse ihrer Gemeinschaft. An erster Stelle ist hier die Richterin Debora zu nennen (Ri 4f.). Dem Schema des Richterbuches folgend, tritt sie auf, als ihr Volk in Not ist. Anlass ist die Bedrängnis, die von dem kanaanäischen König Jabin und seinem Heerführer Sisera ausgeht. Debora, die als Prophetin und Richterin eingeführt wird, organisiert den bewaffneten Widerstand. Sie fordert den Naftaliter Barak auf, ein Heer aufzustellen, und zieht mit ihm an den Ort des Geschehens (Ri 4,1– 17 Den Bezug zwischen den Dynastieverheißungen an David durch Abigajil und Natan hat bleibend herausgearbeitet Irmtraud Fischer, Gotteslehrerinnen: Weise Frauen und Frau Weisheit im Alten Testament (Stuttgart: Kohlhammer, 2006), 31–36. 18 Alternativ erwägt Fischer, Gotteslehrerinnen, 26, „dass die Erzählung erst spät in den Zusammenhang eingefügt wurde und daher mit dem Handlungsgang nicht mehr enger verbunden werden konnte.“
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9). Irmtraud Fischer hat herausgearbeitet, wie in der Schilderung dieser Szene Barak „von Anfang an in Abhängigkeit zu ihr (sc. Debora) vorgestellt wird“.19 Er erhebt Einspruch gegen seine Berufung zum Leiter des Heerbanns und akzeptiert nur unter der Bedingung, dass Debora mitgeht. „Debora hat in Bezug auf Barak die diskursive Dominanz.“20 Er macht seine Entscheidung von der Prophetin abhängig. Deshalb, so kündigt diese ihm an, werde der Ruhm des Sieges schließlich einer Frau zufallen (4,9), womit bereits auf Jaël verwiesen wird, auf die gleich zurückzukommen ist. Vor der Schlacht ruft Debora zum Kampf auf und kündigt den Sieg an (V14). Damit übernimmt sie in gewisser Weise die Leitung der Schlacht.21 Soweit der erzählende Bericht in Kap. 4. Im daran anschließenden Lied preist sich Debora selbst als „Mutter in Israel“. Es ist ihr Auftreten, das die Notzeit in Israel beendet (5,6f.). Während Debora einzig und allein als Leiterin der Stämme Israels in Erscheinung tritt, ist das bei Jaël, deren Erzählung in die vom Kampf gegen Jabin und Sisera eingeflochten ist, etwas anders. Insofern sie den geflohenen Heerführer Sisera tötet, ist sie Teil des übergreifenden Geschehens. Aber sie wird ausdrücklich als Frau eines Keniters und also nicht als Israelitin gekennzeichnet (4,17; 5,24). Zwischen dem Haus ihres Mannes Heber und dem König Jabin besteht nach Ri 4,17 sogar ein Friedensvertrag. Indem Jaël den Heerführer Jabins tötet, könnte sie einerseits dem Profil der widerständigen Frauen zugeordnet werden, die sich rechtzeitig auf die Seite der Sieger stellen. In gewisser Weise gleicht sie damit Rahab. Andererseits enthält der Schluss des Debora-Liedes deutliche Anspielungen darauf, dass Jaël sich mit der Tötung Siseras einer Vergewaltigung und Verschleppung entzog22 – man beachte den Ausdruck, dass Sisera „zwischen ihren Füßen“ niederfiel (5,27), und die Erwartung von Siseras Mutter, die siegreichen Männer würden „Mutterschöße“ als Beute nach Hause bringen (5,30). Dann würde Jaël zum ersten Profil der Frauen als Opfer gehören und diesem eine völlig neue Richtung geben: Sie wäre eine Frau, die sich der ihr zugedachten Opferrolle entzieht, indem sie den Täter umbringt. So oder so ist Jaël diejenige unter den hier porträtierten widerständigen Frauen, die sich am wenigsten einem einzigen Profil zuordnen lässt. Ebenfalls in kriegerischen Kontexten werden zwei Frauen erwähnt, die namenlos bleiben und deshalb nach ihrem Herkunftsort bezeichnet werden. Die erste ist die Frau von Tebez (Ri 9,50–57). Bei der Belagerung ihrer Stadt Tebez durch Abimelech von Sichem, flieht alles Volk in einen befestigten 19 Irmtraud Fischer, Gotteskünderinnen: Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel (Stuttgart: Kohlhammer, 2002), 113. 20 Ebd. 21 Vgl. Fischer, Gotteskünderinnen, 115. 22 Zur erotischen Grundierung der Jaël-Sisera-Episode vgl. insgesamt Yair Zakovitch, „Sisseras Tod“, ZAW 93 (1981): 364–374.
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Turm. Als Abimelech nahe an diesen Turm herankommt, um Feuer zu legen, zertrümmert die mutige Frau den Schädel des Angreifers mit einem Mühlstein, den sie herabwirft. Das Geschehen ist so legendär geworden, dass es noch in den Zeiten Davids erinnert wird (2 Sam 11,21). Weniger heldenhaft, im Interesse ihrer Gemeinschaft aber durchaus weise, ist das Verhalten der Frau von Abel-Bet-Maacha (2 Sam 20,14–22). Auch ihre Stadt wird belagert, weil sich ein schon geschlagener Aufständischer in ihr verbirgt. Die weise Frau (V16) wirft allerdings keinen Mühlstein herab. Vielmehr überzeugt sie ihre Gemeinschaft, den Geflohenen zu köpfen und seinen Kopf über die Mauer zu werfen, woraufhin die Belagerung abgebrochen wird. Das mag man nicht schön finden. Aber es ist effektvoll, und es rettet die Stadt vor Belagerung und Zerstörung.23 Unter die Frauen, die im Interesse ihrer Gemeinschaft Widerstand leisten, ist auch Delila zu rechnen. Zwar richtet sich ihr Widerstand gegen den israelitischen Helden Simson, weshalb sie als Philisterin in der Erzählung nicht gut wegkommt (Ri 16,4–22). Vor allem wird ihr unterstellt, sie handle nur, um die ihr angebotene enorme Summe an Geld einzustreichen (16,5.18). Aber offenkundig ist sie die Einzige im Volk der Philister, die überhaupt in der Lage ist, den Helden zu bezwingen. Ihr Widerstand hat Erfolg, wenn auch nicht auf Dauer. Allein die große Zahl von Frauen, die im Interesse ihrer Gemeinschaft Widerstand leisten, ist beachtenswert. In der Vorderen Prophetie sind sie aus dem Erzählverlauf nicht wegzudenken. Und doch umfasst ihr Profil ein weites Spektrum, von der Prophetin, Richterin und „Mutter in Israel“ Debora bis zur Philisterin Delila. Von diesem breiten Spektrum möchte ich zum Abschluss zwei Frauen abheben, die ich einem Profil „Kämpferinnen für ihr Recht“ zuordnen möchte.
5.
Kämpferinnen für ihr Recht
Die Samuelbücher werden von zwei Erzählungen gerahmt, in denen widerständige Frauen eine wesentliche Rolle spielen, nämlich die Erzählungen von Hanna und von Rizpa. 23 Silvia Schroer, „Die weise Frau auf der Stadtmauer von Abel-bet-Maacha (2 Sam 20,14–22)“, in Seitenblicke: Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch (hg. v. Walter Dietrich; OBO 249; Fribourg: Academic Press, 2011), 394–411; 394f., zeigt, dass moralische Vorbehalte gegenüber der Frau nur in christlicher Auslegung zu finden sind, und fährt fort: „Die jüdische Auslegung hat die Frau von Abel durchwegs völlig positiv betrachtet“; außerdem stellt sie fest: „Die biblischen Verfasser haben die Frau von Abel eindeutig positiv gezeichnet.“
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Nun kann man fragen, inwiefern Hanna eine widerständige Frau ist. Sie muss sich keiner Vergewaltigung erwehren, sie handelt nicht im Interesse einer Gemeinschaft und führt keine Kampfhandlungen durch. Trotzdem ist sie widerständig, weil sie sich nicht mit ihrem Schicksal abfindet. Sie kämpft gegen alle Widerstände für ihr Recht. Sie kämpft, um es in Aufnahme eines Operntitels zu sagen, gegen „Die Macht des Schicksals“ (La forza del destino). Dreimal wird in der Eröffnung der Erzählung erwähnt, dass sie kinderlos ist (1 Sam 1,2.5f.). Sie muss die Kränkungen der zweiten Frau ihres Mannes ertragen, die Kinder hat (V6). Ihr Mann liebt und tröstet sie, aber das klingt doch sehr hilflos (V8: „Bin ich nicht besser für dich als zehn Söhne?“). Als sie die Initiative ergreift und im Tempel betet, hält der Priester sie für betrunken (V12–15). Meines Erachtens wird Hanna von den Übersetzern der Bibel zusätzlich klein gemacht. Auf Elis Vorwurf, sie sei betrunken, erwidert sie: „Nein, mein Herr, eine קשׁת־רוח אשׁהbin ich“ (V15). Wörtlich heißt das: „eine Frau hart oder fest von Geist“. Daraus macht die Vulgata eine mulier infelix nimis, eine „sehr unglückliche Frau“. Bei Luther 1545 heißt es „ein betrübt Weib“, woraus 2017 „eine betrübte Frau“ wird. In der Zürcher Bibel 2007 ist Hanna „eine verzweifelte Frau“, in der Einheitsübersetzung „eine unglückliche Frau“. Warum aber soll eine Frau, die hart oder fest im Geist ist, betrübt, verzweifelt oder unglücklich sein? Schon 1959 hat Oswald Loretz als Übersetzung „eine starkmütige Frau“ vorgeschlagen.24 In der Bibel in gerechter Sprache haben Uta Schmidt und ich mit „ich bin eine willensstarke Frau“ wiedergegeben. Hanna gewinnt den Kampf gegen die Macht des Schicksals, weil sich Gott auf ihre Seite stellt. Sie bekommt einen Sohn, Samuel, und dann noch drei Söhne und zwei Töchter (1 Sam 2,21). Schon nach der Geburt Samuels singt sie ihr Lied (2,1–10), das durch und durch ein Lied des Widerstands ist. Es besingt den Gott, der die Verhältnisse umstürzt. Dabei geht die Sängerin von ihrer eigenen Erfahrung aus, überhöht diese aber zugleich: „Sogar die Unfruchtbare gebiert siebenfach, und die Kinderreiche welkt dahin“ (V5). Dass auch eine scheinbar unfruchtbare Frau ein Kind bekommen kann, ist Hannas Erfahrung; dass es sieben Kinder sind, gilt aber weder im Augenblick, als Hanna singt – da hat sie nur ein Kind –, noch später, wo sie noch fünf weitere Kinder bekommen wird (V21). Es geht im Lied der Hanna um mehr als um ihr persönliches Geschick. Es geht um die Gottheit, die alles das umkehrt, was Menschen für „normal“ und erwartbar halten. Es fängt an bei den „Bogen der Helden“, die zerbrechen, während die Strauchelnden sich mit Macht rüsten (V4). Weiter geht es mit den Satten und Hungrigen und eben den Kinderreichen und Unfruchtbaren (V5). Dieser Gott JHWH kann die scheinbar Lebensstarken in den Tod schicken und Menschen aus der Sphäre des Todes – 24 Oswald Loretz, „Weitere ugaritisch-hebräische Parallelen“, BZ NF 3 (1959): 290– 294; 293f.
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gedacht ist an Krankheit, Elend und soziale Isolation – ins Leben (V6). Auch die scheinbar fest gefügten sozialen Verhältnisse stürzt dieser Gott um, indem er Arme reich und Reiche arm macht, indem er Menschen, die auf Müllhalden Essbares suchen (so kann man V8 wohl übersetzen), erhebt. In ihrem Widerstand gegen die „Macht des Schicksals“, gegen die scheinbar fest gefügten Ordnungen der Welt wird Hanna schließlich zur Prophetin. Denn in der letzten Zeile ihres Liedes bittet sie Gott für den künftigen König, zu einer Zeit, da ihr Sohn Samuel, der später einmal die ersten Könige Saul und David salben wird, gerade erst geboren ist. Bekanntlich haben wir hier das Vorbild für das Magnificat der Maria aus dem Lukasevangelium vor uns. Auch in ihm geht es um den künftigen „König“, den Gesalbten, den Messias oder Christus. Und in Anlehnung an das Lied der Hanna besingt dessen Mutter Maria ebenfalls den Umsturz aller scheinbar unumstößlichen Ordnungen durch den Gott Israels. Auch die zweite Frau, von der am Ende der Samuelbücher erzählt wird, kämpft in erster Linie um ihr Recht. Doch während es bei Hanna um ihr Recht auf Kinder, um das Leben ihrer Kinder geht, das ihr scheinbar das Schicksal streitig macht, kämpft Rizpa um das Recht von sieben Hingerichteten auf Bestattung. Zwei sind ihre eigenen Kinder mit Saul, die anderen fünf sind Enkel Sauls von einer seiner Töchter.25 Die Macht des Schicksals wird hier von David verkörpert, der aus einem göttlichen Orakel entnimmt, er solle die SaulNachkommen den Gibeonitern, die sie töten werden, ausliefern. Die Leichen werden nicht bestattet, sondern den wilden Tieren ausgesetzt. David verstößt damit, in kanonischer Abfolge gelesen, gegen das Gebot von Dtn 21,22f., wonach Hingerichtete noch am selben Tag bestattet werden müssen. Erst Rizpas unermüdliche Totenwache belehrt ihn – Rizpa wird gewissermaßen zur Toralehrerin für David, wie Luise Metzler das ausgedrückt hat.26 Wie im Fall von Hanna kann Rizpa die Macht, der sie widersteht, in ihrem Fall die Macht des Herrschers, überwinden, weil Gott sich auf ihre Seite stellt. Luise Metzler hat m. E. überzeugend gezeigt, dass das Wasser, das vom Himmel fällt (V10), keineswegs der Regen ist, der die Hungersnot beendet – als solcher käme er, wie man immer wieder gesehen hat, in der Erzählung viel zu früh. Der Regen ist wie an anderen Stellen ein göttlicher Machterweis, mit dem Gott zugunsten der Seinen eingreift. Metzler schreibt: „Gemeinsam mit Rizpa protestiert JHWH mit Schlägen wie bei der Befreiung aus Ägypten. Kein lebensrettender, den Hunger endender Regen fällt vom Himmel. (…) Der Hunger ist nicht vorbei. Durch das Regen-Unwetter droht er, sich zu verschlimmern, wenn Menschen nicht begraben werden.“ Im Regen zeige sich,
25 So zumindest nach dem masoretischen Text von 2 Sam 21,8. 26 Luise Metzler, Das Recht Gestorbener: Rizpa als Toralehrerin für David (TFFE 28; Berlin: LIT, 2015).
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so Metzler, „die Solidarität JHWHs mit Rizpa und den Getöteten.“27 Erst als die Hingerichteten bestattet sind, lässt Gott „sich erbitten“, wie es V14 heißt. Mit Hanna und Rizpa begegnen wir am Anfang und Ende der Samuelbücher zwei Frauen, die vordergründig für ihr eigenes Interesse bzw. zugunsten ihrer Kinder handeln. Damit aber stellen sie scheinbar unveränderliche Ordnungen und Machtverhältnisse in Frage. Indem sie dies tun, bringen sie Gott auf ihre Seite und haben so Erfolg.
6.
Resümee
In der Vorderen Prophetie gibt es viele Erzählungen von widerständigen Frauen. Aber es gibt nicht die eine Frau im Widerstand. Es gibt, das ist das erste Ergebnis der Lektüre der Texte, in etwa fünf Profile oder Silhouetten oder Cluster, in die die Erzählungen hineingestellt werden können. Meine Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, diese Profile nachzuzeichnen. Als Zweites möchte ich festhalten, dass diese Profile und die einzelnen Erzählungen, die sich in ihnen niederschlagen, die Weite der conditio humana widerspiegeln. Frauen können zu Opfern werden und sich dem mehr oder weniger fügen. Sie können Macht erlangen und daran scheitern. Sie können ein Gespür dafür haben, wer in der Geschichte gewinnen wird, und davon mehr, aber auch weniger profitieren. Sie können sich für ihre Gemeinschaft einsetzen, unter mehr oder weniger schönen Begleitumständen. Sie können sich für ihr Recht und für das ihrer Kinder einsetzen und damit Gott auf ihre Seite bringen. All das ist möglich und wird erzählt, indem es gerade nicht auf ein einziges Bild der widerständigen Frau reduziert wird. Zum Dritten stelle ich eine Frage, die ich bisher nur am Rand berührt habe. Wo ist Gott in dem ganzen Geschehen? Es fällt auf, dass Gott fast in keiner der referierten Erzählungen auch nur die geringste Rolle spielt. Das gilt praktisch für alle Figuren der ersten vier Cluster. Frauen im Widerstand brauchen Gott nicht für ihr Handeln. Nicht dass sie gottlos wären. Aber in ihren konkreten Handlungen kommt Gott nicht vor. Nur bei Hanna und Rizpa ist das anders. Bei ihnen tritt die entscheidende Wende des Geschehens ein, als Gott sich auf ihre Seite stellt. Vermutlich ist ihr Widerstand am schwersten, weil er sich nicht gegen Menschen, sondern gegen ein vermeintliches göttliches Gesetz richtet. Hanna ist kinderlos, weil „JHWH ihren Schoß verschlossen hatte“, wie der Text sagt (1 Sam 1,5f.). Und David beruft sich bei der Hinrichtung der sieben Nachkommen Sauls auf ein göttliches Orakel (2 Sam 21,1). Gegen Gott kann nur Gott ins Feld geführt werden. Deshalb geht in meinen 27 Metzler, Rizpa, 320f.
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Augen der Widerstand von Hanna und Rizpa am weitesten. Sie widerstehen einer scheinbar lebensfeindlichen Macht Gottes und provozieren durch ihren Widerstand den lebensfreundlichen Gott. Für mich sind sie die wichtigsten Mütter im Glauben.
Frauen im Krieg in den Erzählungen zur vorstaatlichen Zeit (Josua–Richter) Michaela Bauks Universität Koblenz-Landau
Die Sichtung der weiblichen Figuren in den Büchern Josua–Richter zeigt, dass Frauen zumeist in Kriegserzählungen kontextualisiert sind und entweder als Kriegsopfer oder als Kriegsheldinnen auftreten bzw. manchmal auch beides sind. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf Figuren, die in die Kategorie der Kriegsopfer fallen. Doch möchte ich die literarisch verarbeiteten Frauenfiguren wenigstens nennen: Im Josuabuch begegnen namentlich genannt Frauen wie Rahab (Jos 2 und 6), Achsa, Kalebs Tochter (Jos 15,13–19 par. Ri 1,10–15; 1 Chr 2,49), sowie die zumindest in Num 26,33 mit Namen eingeführten fünf Töchter Zelofhads (vgl. 27,1–11; 36,11; Jos 17,3f.). Im Richterbuch finden sich namentlich Debora und Jaël (Ri 4–5) sowie Delila (Ri 16), außerdem, namenlos, die Tochter Jiftachs (Ri 11), die Frau Menoachs und Mutter Simsons (Ri 14), die Mutter Michas, des Ephraimiten (Ri 17), die Frau des Leviten (Ri 19) sowie einige andere, den Benjaminiten durch Raub überlassene junge Frauen aus Jabesch und Schilo (Ri 21). Einige Episoden fallen durch ihre relativ auffällige intertextuelle Vernetzung mit Texten der Tora auf, wie z. B. die Notizen zu Zelofhats Töchtern oder die Erzählung von der Frau des Leviten, die deutliche Parallelen mit Gen 19 kennt. Die folgenden Ausführungen zu weiblichen „Kriegsopfern“ im Richterbuch konzentrieren sich auf die Rolle von Frauen in drei Gelübdeerzählungen (Ri 1; 11; 20f.), die zudem Anspielungen an den Kriegsbann bzw. die Kriegsweihe erkennen lassen.
1.
Die Achsa-Episode (Ri 1,10–15; vgl. Jos 15,13–19) 10 Und Juda zog gegen die Kanaaniter [Sg.], die in Chebron wohnten; Chebron hieß früher Kirjat-Arba. Und sie schlugen Scheschai, Achiman und Talmai. 11 Und von dort zogen sie [Sg.] gegen die Bewohner von Debir; Debir hieß früher Kirjat-Sefer. 12 Und Kaleb sprach: Wer Kirjat-Sefer schlägt und einnimmt, dem werde ich Achsa, meine Tochter, zur Frau geben. 13 Und Otniel, der Sohn des Kenas, der jüngere Bruder Kalebs, nahm es ein. Und er gab ihm Achsa, seine Tochter, zur Frau.
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14 Und als sie zu ihm kam, stiftete sie ihn dazu an, von ihrem Vater das Feld zu erbitten. Und sie stieg vom Esel, und Kaleb sprach zu ihr: Was ist mit dir? 15 Und sie sprach zu ihm: Gib mir ein Geschenk, weil du mich in den Negev gegeben hast, gib mir Wasserbecken [oder: wenn du mir schon das Land Negev gegeben hast, gib mir auch Wasserbecken]. Und Kaleb gab ihr die oberen Becken und die unteren Becken. 16 Und die Nachkommen des Keniters, des Schwiegervaters von Mose, waren mit den Judäern hinaufgezogen aus der Palmenstadt in die Wüste Juda, die südlich von Arad liegt; und sie gingen [Sg.] und ließen sich [Sg.] beim Volk nieder. 17 Und Juda zog mit Simeon, seinem Bruder, und sie schlugen die Kanaaniter [Sg.], die in Zefat wohnten, und sie weihten die Stadt der Vernichtung, und man nannte die Stadt Chorma [vgl. Num 21,3]. 18 Und Juda eroberte Gaza und sein Gebiet, Aschkelon und sein Gebiet und Ekron und sein Gebiet. 19 Und der HERR war mit Juda, und sie eroberten das Gebirge. Die Bewohner der Ebene aber waren nicht zu vertreiben, denn sie hatten Wagen aus Eisen. 20 Und Chebron gaben sie Kaleb, wie Mose es gesagt hatte, und er vertrieb daraus die drei Söhne Enaks.1
Die Achsa-Episode2 findet sich in eine Kriegsbeschreibung Judas gegen die kanaanäischen Städte Jerusalem, Hebron und Debir eingefasst. Das bucheinführende Kapitel in Ri 1,1–2,5 bildet eine Art sekundäres Resümee der Eroberungsgeschichten des Josuabuchs, von denen es sich aber zugleich deutlich absetzt, indem nämlich der Fokus zuvorderst auf die Eroberungen durch Juda (1,1–20) bzw. das Haus Josefs (1,22–36) gelegt ist. Die Liste ist in Form eines negativen Besitzverzeichnisses komponiert (הוריׁשו לאz. B. 1,21 u. ö.; Ausnahme 1,19).3 Auffällig ist, dass der Achsa thematisierende Abschnitt recht wörtlich auch in Jos 15,15–19 begegnet, und dass es in beiden 1 2
3
Sofern nicht anders angegeben, entstammen die Bibelübersetzungen der Neuen Zürcher Bibel (Zürich: Theologischer Verlag, 2007). Die Rechtschreibung ist an die bundesdeutschen Konventionen angepasst (ss = ß). Vgl. Jan A. Soggin, Judges: A Commentary (OTL; Philadelphia: The Westminster Press, 1981), 25f.; Corinne Lanoir, Femmes fatales, filles rebelles: Figures féminines dans le livre des Juges (Actes et recherches; Genève: Labor et Fides, 2005), 119–123; Mareike Rake, „Juda wird aufsteigen!“: Untersuchungen zum ersten Kapitel des Richterbuches (BZAW 367; Berlin: de Gruyter, 2006), 80f.; Renate Jost, „Achsas Quellen: Feministisch-sozialgeschichtliche Überlegungen zu Josua 15,15– 20/Ri 1,12–15“, in „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände!“: Festschrift für Erhard S. Gerstenberger zum 65. Geburtstag (hg. v. Rainer Kessler et al.; exuz 3; Münster: Ugarit-Verlag, 1997), 110–125; Dies., Gender, Sexualität und Macht in der Anthropologie des Richterbuches (BWANT 164; Stuttgart: Kohlhammer, 2006), 75f.; Katrin Brockmüller, „Achsa [September 2017]“, in Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, online: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/12420/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. Dieses geht aber nicht auf eine alte Liste zurück, sondern ist eine nicht genau rekonstruierbare Neuschöpfung; zur weiteren Diskussion vgl. Walter Gross, Richter (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2009), 113–118.
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Kontexten darum geht, Kalebs Erwerb von Hebron im judäischen Bergland als seinen Erbbesitz zu legitimieren (Jos 15,13f.; Ri 1,20). Sieht man von der Nennung Otniëls ab (vgl. Ri 3,7–11),4 korrespondiert der Abschnitt zudem mit den Kundschaftererzählungen in Num 13–14 (vgl. Dtn 1,22–40), auf die sich auch Jos 11,21f. in einer Bannnotiz gegen die Anakiter in Hebron und Debir bezieht. Jos 14,6–15 bietet weiterhin einen Bericht von der Landgabe Hebrons an Kaleb durch Josua.5 Eine Bannnotiz schließt sich auch in Ri 1,17 gegen die noch in Num 14,45 bzw. Dtn 1,44 genannte Stadt Horma an, die vermutlich im Negeb in der Nähe Arads lag und deren Name das Vernichtungsthema () ֵח ֶרם bereits alludiert.6 Das eigentliche Richterbuch setzt also nicht vor Ri 2,6 mit der Todesnotiz Josuas (2,6–9; vgl. Jos 15,15–19) ein, wo älteres Material in der Liste der kleinen Regenten in Ri 3,12–12,15 begegnet.7 Die Achsa-Episode dürfte selbst ein sekundär ergänztes Zitat aus dem Josuabuch darstellen, das gleich zu Buchbeginn eine Frau ins Zentrum stellt, die Tochter Kalebs. In dieser Episode verspricht Kaleb: „Wer Kirjat-Sefer schlägt und einnimmt, dem werde ich Achsa, meine Tochter, zur Frau geben.“ Während in Jos 15,12 Kaleb zum Eroberer der Städte Hebron und Debir wird und der Anteil Judas davon abgelöst erst in Jos 15,20ff. thematisiert ist, stellt sich die Situation in Ri 1,10ff. anders dar: Hier ist es von Anfang Juda, der die Militärkampagne initiiert, der Kaleb untergeordnet ist. Interessant ist, dass in den beiden fast wörtlich übereinstimmenden Texten die Rolle der Tochter deutlich betont ist. Es handelt sich um ein implizites Kriegsgelübde Kalebs (Ri 1,12), der Achsa als Preisgeld für den Siegesfall einsetzt und sie schließlich dem ersten Retter, Otniël, zur Frau gibt. Es geht im Folgenden um das Brautgeld bzw. die väterliche Mitgift. Versteht man die Formulierung in V15 chiastisch bzw. als einen verkürzten Parallelismus im Sinne von „Wenn du [+ mir] schon das Land im Negeb gegeben hast, so gib Vermutlich ist der Passus zum ersten Retter ( )מוׁשיעOtniël eine Ergänzung der deuteronomistischen Redaktion in Anlehnung an das Programm der Regentenzeit in Ri 2,11–12c.14–16.18f. und andere dtr Rahmenformeln (vgl. Ehud-Jiftach und Simson mit älteren Nordreichüberlieferungen), wobei auffällt, dass in 3,7a wie im Programm (2,11) und 10,6 die Sündenformel auf Fremdgötterkult abzielt. 5 Vgl. Gross, Richter, 109. 6 Vgl. zur komplizierten topographischen Rekonstruktion dieser Stadt, deren Name eigentlich „Felsspalt“ bedeutet, Gross, Richter, 136f., der Horma als Losanteil Simeons ansieht (vgl. Ri 1,3.17; Jos 19,4; 1 Chr 4,30). 7 So jedenfalls Gross, Richter, 182–195, mit ausführlicher Begründung. Susan Niditch, Judges: A Commentary (OTL; Louisville: Westminster John Knox Press, 2008), 8–11, geht von einer dtr geprägten Grundschrift aus, deren Programm die einzelnen Richtergeschichten (Ri 3–16) einleitet, in die wenig spezifizierbare „epischbardische Stimmen“ wie z. B. Ri 5 eingeflossen sind und die später durch eine humanistisch geprägte Rahmenschrift (Ri 1; 17–21) mit weiteren Notizen ergänzt worden sei. 4
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mir auch Wasserbecken“,8 dann handelt es sich um die Mitgift des Vaters an die Tochter. Interessant ist hier der textgeschichtliche Vergleich mit der LXXÜberlieferung. Er ergibt, dass im MT die Tochter diejenige ist, die von ihrem Vater eine Gabe fordert. Sie reklamiert ein Feld (V14) und weiterhin Wasserbecken (מים )גלותals Segensgabe ( )ברכהund argumentiert damit, dass sie, da sie in den Negeb zieht, Wasser braucht, das Kaleb ihr auch gewährt (V15). Ri 1,14 (MT)
Ri 1,14 (LXX A)
Und als sie zu ihm kam, stiftete sie ihn dazu an, von ihrem Vater das Feld zu erbitten. Und sie stieg vom Esel, und Kaleb sprach zu ihr: Was ist mit dir?
Und es geschah, als sie (zu ihm) kam, da bedrängte er sie, ihren Vater um das Stück Land zu bitten, und (so) murrte sie auf ihrem Reittier und rief von ihrem Reittier herab: Ins Südland hast du mich fortgegeben! Und Chaleb sagte zu ihr: Was hast du [/ist dir] denn?
Ri 1,14 (LXX B)
Jos 15,18 (LXX)
Und es geschah bei Und es geschah bei ihrer Ankunft, da Achsas Einzug, da beriet sie sich mit bedrängte Gothoniel sie, ihren Vater ihm und sagte: Ich um ein Stück Land werde meinen Vater zu bitten, und (so) um einen Acker murrte sie und rief bitten. Und sie rief von ihrem Reittier vom Esel. Und herab: Ins SüdChaleb sagte zu ihr: land hast du mich Was hast du denn? fortgegeben! Und Chaleb sagte zu ihr: Was hast du [/ist dir] denn?
Die beiden überlieferten Varianten der griechischen Septuaginta zu Ri 1,14 (LXX A und B) bezeugen erstens ein im Geschlecht verändertes Subjekt in V14, da ihr Mann Gothoniel sie antreibt, ihren Vater um Land zu bitten, und nicht umgekehrt sie ihn. In Jos 15,18 LXX liegt eine im Ablauf des Geschehens stark harmonisierte Fassung vor, die zwar den schöneren literarischen Text bietet, aber die hebräische Fassung stellt als lectio difficilior die ursprünglichere Variante dar. Das inhaltliche Problem ist nun folgendes: Zwar beauftragt Achsa in der MT-Fassung ihren Mann, doch resultiert daraus nicht, dass dieser auch den Auftrag ausführt. Vielmehr richtet sie in dem auf ein Minimum verkürzten Handlungsablauf ihre Bitte an den Vater persönlich. Der Dreischritt: Anstiftung ()סות9 – Wegstrecke auf dem Esel – Frage des Vaters ermöglicht den jüngeren Übersetzungen breiten Raum für Explizierung („filling the gap“), den die drei LXX-Übersetzungen kreativ nutzen. Einerseits liest Ri LXX statt dem Verb צנח, „absteigen“, das Verb צוח, „murren“ (καὶ ἐγόγγυζεν, „sie murrte“; vgl. Jes 42,11), und ergänzt um ein zweites Verb (καὶ ἔκραξεν, „und
8 Vgl. Gross, Richter, 127.134f. 9 Vgl. Ijob 2,3; 1 Chr 21,1; 2 Chr 18,2.
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rief“).10 Jos LXX trägt andererseits mit συμβουλεύομαι, „sich beraten“, eine Paraphrase ein, die nicht auf eine abweichende Vorlage, sondern vielmehr auf eine kulturelle Korrektur bzw. Aktualisierung schließen lässt. In hellenistischer Zeit war es nämlich durchaus möglich, dass die Braut selbst ihre Mitgift verhandelte.11 In Ri 1,14 MT geht es also zweitens um Achsas Verhältnis zum Vater. Dem MT gemäß steigt sie Respekt bekundend von dem Reittier herab und geht ihrem Vater entgegen, wie es z. B. in 1 Sam 25,23 für Abigail und David bzw. in Gen 24,64 für Rebekka und Isaak oder in dem ugaritischen Baal-Epos in KTU 1.3 V 19–34 für Anat vor El bezeugt ist.12 Allerdings ist das Verb צנחein seltenes und etymologisch unsicheres Verb, das z. B. von Soggin und Bal durch „she clapped her hand“ übersetzt wird und ein weiteres Mal noch im Kontext von Jaëls Mord an Sisera in Ri 4,21 begegnet, wo es im Sinne des „Eindringens“ der Zeltstange in den Körper gemeint ist.13 Insofern verwundert es nicht, wenn die LXX durch καὶ ἐγόγγυζεν „sie murrte“ (bzw. καὶ ἐβόησεν „sie rief“ in Jos 15,18) übersetzt: LXX konnte den Wortsinn nicht erfassen14 und trug durch die neue Deutung in den Text sogar noch eine deutliche Aufwertung des töchterlichen Selbstbewusstseins ein, die so im MT nicht erkennbar ist. An die Stelle des Respekts gegenüber dem Vater tritt eine klare Forderung, die dieser ihr gewährt. Die Achsa-Episode in ihrer hebräischen Version erzählt von Krieg, einem Gelübde und seinem letztlich positiv gezeichneten Ausgang. Ursprünglich wird es in der Notiz um eine Ätiologie des Keniten Kaleb und seines Landbesitzes in transjordanisch-edomitischem Gebiet gegangen sein (Jos 15).15 In dem neuen Kontext der Eröffnung des Richterbuches geht es indes um die Schaffung einer neuen Personenkonstellation, die die Integration eines fremden Stammes in das Volk Israel dank Achsas Heirat mit Otniël, dem ersten Retter, bewirkt. Dabei wird der Tochter eine sehr hervorgehobene Stellung 10 LXX A and B erweitern den MT und übersetzen durch „und so murrte sie [auf ihrem Reittier] und rief von ihrem Reittier herab“ (Version A Langform). 11 Vgl. Cornelius den Hertog, „Jesus: Josue / Das Buch Josua“, in Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament 1: Genesis bis Makkabäer (hg. v. Martin Karrer und Wolfgang Kraus; Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2009), 605–656; 643; Jacobus C. de Vos, Das Los Judas: Über Entstehung und Ziele der Landbeschreibung in Josua 15 (VT.S 95; Leiden: Brill, 2003), 21f.; Dominique Barthélemy, Critique textuelle de l’Ancien Testament 1: Josué, Juges, Ruth, Samuel, Rois, Chroniques, Esdras, Néhémie, Esther (OBO 50/1; Fribourg: Universitätsverlag, 1982), 35f. 12 Vgl. Niditch, Judges, 40f. 13 Soggin, Judges, 67; Mieke Bal, Death & Dissymmetry: The Politics of Coherence in the Book of Judges (CSHJ; Chicago: University of Chicago Press, 1988), 156. Für weitere Vorschläge bezüglich eines akustischen Einwurfs vgl. Lanoir, Femmes fatales, 135f. 14 Vgl. Barthélemy, Critique textuelle, 36. 15 Vgl. Gross, Richter, 130–132.
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zugewiesen. Während der Retter Otniël Debir erobert und die Tochter als Siegespreis erhält, ist es letztlich die zielgerichtet handelnde Tochter, die das Land und die Quellen im Negeb für sich beansprucht.16 Es fügt sich in V16f. eine Vernichtungsnotiz ( ) ֵח ֶרםan, die sich aber nicht auf Kaleb und seine Tochter, sondern auf den Judabruder Simeon bezieht, der in der Nähe von Arad den Bann über Horem vollzieht, das, wie in V3 angekündigt, zu seinem „Losanteil“ ( )גורלwird. Kriegsgelübde und Bann finden sich in nächster Nähe, sind aber von der Episode um Kaleb und seine Tochter Achsa dissoziiert. Die Erzählung ist auch im weiteren Kontext des Richterbuchs von großem Interesse. Denn im Vergleich mit anderen weiblichen Figuren bildet Achsa in vielfacher Hinsicht eine Ausnahme: Als eine unter anderen Ausländerinnen (vgl. Rahab in Jos 2; 6) hat sie rettende Funktion für den Erhalt des Kollektivs. Weiterhin ist sie als eine der namentlich genannten Frauen des Richterbuchs besonders ausgezeichnet (vgl. Jaël, Debora, Delila). Außerdem kommt ihr ein positiv gezeichnetes Schicksal zu, das sie von dem Ergehen anderer Frauen wie z. B. von Jiftachs Tochter oder der Frau des Leviten deutlich unterscheidet. Während Kaleb sie auf Leben hin ausstattet, sind die beiden anderen vom Vater oder Mann abhängig und zum Tode bestimmt. Die drei Erzählungen markieren im Gesamtaufriss des Richterbuchs den Anfang, das Zentrum und sein Ende. Corinne Lanoir hat die Achsa-Erzählung insofern als ironisch charakterisiert, als sie ein positives Gegenbild zu dem konstant fortschreitenden Niedergang schafft, der im Erzählverlauf des Buchs geschildert ist. Daraus entsteht eine kritische Sicht auf Krieg und Heldentum.17 So lässt sich die Geschichte in Ri 1 mit Susan Niditch als eine Kommentierung der Zufälligkeit von Macht interpretieren, weil unerwartete Personen wie die Tochter Kon trolle über sie erhalten. Dabei wird in Achsas Fall Macht zweifach zwischen Mann und Frau ausgehandelt, zwischen Vater und Tochter und zwischen dem Paar.18 In der Achsa-Episode erweist sich die Tochter als durchsetzungsstark. Ähnlich wie bei der Tochter des Zelofhad in Num 27,1–11; 36 und Jos 16,1–6 geht es um das Recht, Landanteile des Vaters zu erhalten und darin einen bestimmten Stamm zu repräsentieren.19
16 So auch Gross, Richter, 134f. 17 Siehe Lanoir, Femmes fatales, 145f. 18 „A comment on the serendipitous nature of power and on the capacity of unexpected ones to take control. In this case [of Achsah], power is negotiated between men and women, fathers and daughters, and wives and husbands“ (Niditch, Judges, 41). 19 Es geht um die Einführung des Erbrechts für Töchter im Falle, dass keine männlichen Nachkommen existieren; vgl. dazu Ulrike Bechmann, „Zelofhad [März 2011]“, in Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, online: https://www. bibelwissenschaft.de/stichwort/35298/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019].
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Das von Niditch skizzierte Narrativ der Zufälligkeit von Macht gilt auch für weitere Erzählungen des Richterbuchs als Strukturprinzip zur Deutung der jeweiligen Erzählung.
2.
Jiftachs Opfergelübde und die Konsequenzen für die Tochter (Ri 11,30–40)
Auch der Jiftach-Zyklus spielt inmitten eines Kriegsgeschehens. Er handelt erstmals von einem Krieg der Gileaditer (bzw. des Stämmeverbands „Israel“) mit Stämmen im Ostjordanland, vor allem mit Ammonitern (10,6f.17–11,11), aber auch mit Philistern (10,6f.) und den sonst eigentlich verbrüderten Ephraimiten (12,1–4.6). Erwähnung finden außerdem noch die Könige Edoms und Moabs (11,17f.25), deren Land Jiftach auf seinem Feldzug nicht durchziehen darf. Die Amoriter (10,8; 11,19–24) greifen ihn schließlich an und werden besiegt, was Israel neues Land beschert. Dem Krieg für JHWH ist der Krieg Kemoschs entgegengestellt, der von JHWH für Israel entschieden wird (V23f.) bzw. wie im Heschbonlied (Num 21,28–30) sogar von Kemosch selbst gegen sein Volk mitbereitet wurde (vgl. die Mescha-Stele, Z. 4f.: „denn Kemosch zürnte seinem Lande“ [Moab]).20 Vorbereitend für den Kampf gegen Ammon (11,27) erreicht der göttliche Geist Jiftach (V29) und er gibt sein folgenschwer konditioniertes Opfergelübde: 30 Und Jiftach legte dem HERRN ein Gelübde ab und sprach: Wenn du die Ammoniter wirklich in meine Hand gibst, 31 so soll, wer herauskommt, wer aus der Tür meines Hauses heraus mir entgegenkommt, wenn ich wohlbehalten zurückkehre von den Ammonitern, dem HERRN gehören: Ich will ihn als Brandopfer darbringen.
Der Verlauf der Geschichte ist bekannt: Der „tapfere Krieger“ (;גבור חיל Ri 11,1) muss die ihm entgegenkommende, einzige Tochter opfern, denn sie „kam … heraus, ihm entgegen, mit Trommeln und im Reigentanz“. Interessanterweise setzt sich der Fortgang der Erzählung aus drei unterschiedlichen rites de passage zusammen: V34 deutet einen Triumphzug an, in dem in verschiedenen Texten der hebräischen Bibel stets Frauen mit Musikinstrumenten
20 Vgl. dazu Gross, Richter, 592f.; zur Übersetzung Hans-Peter Müller, „Die Inschrift des Königs Mesa von Moab“, in Rechts- und Wirtschaftsurkunden: Historisch-chronologische Texte III (hg. v. Diethelm Conrad et al.;TUAT I/6; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1985) 646–650; 647.
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und Tänzen den Kriegern entgegenkommen.21 Texte wie die womöglich sehr alte Antiphon Ex 15,1.2122 und 1 Sam 18,6 sind Belege dafür, dass das Trommelspiel23 eine professionelle Beschäftigung von Frauen ist, dessen Setting in Gruppenkontexten – wie z. B. im Kriegsritual als Toten- und Klageritual – eine große Rolle gespielt hat. Susan Niditch hat dargelegt, dass bereits das Opfergelübde als Teil der Kriegsvorbereitung anzusehen ist, wie sie ähnlich auch in Num 21,2f. dargestellt ist. Zu dieser Vorbereitung gehört, dass auch der Siegespreis bzw. das Opfergut für Gott im Zuge des Banns der eroberten Stadt festlegt wird, die hier, wie in Ri 1,17, Horma genannt wird. Num 2,1 Da hörte der Kanaaniter, der König von Arad, der im Südland wohnte, dass Israel auf dem Weg von Atarim heranzog. Und er kämpfte gegen Israel und führte einige von ihnen in Gefangenschaft. 2 Da legte Israel dem HERRN ein Gelübde ab und sprach: Wenn du dieses Volk in meine Hand gibst, werde ich ihre Städte der Vernichtung weihen. 3 Und der HERR hörte auf die Stimme Israels und gab die Kanaaniter preis, und Israel vernichtete sie und ihre Städte und nannte den Ort Chorma.
Dolores Kamrada schlägt vor, das hebräische Nomen ֵח ֶרםin zwei Richtungen zu verstehen: einmal als Bann der Feinde durch Tötung, wie er im Josua buch (z. B. Jos 6) oder auch auf der Mescha-Stele begegnet, zum anderen als eine positiver zu beurteilende Weihehandlung (vgl. 2 Kön 4,23; Ri 11,35f.). In beiden Fällen wird ein menschliches Leben geweiht im Gegenzug für einen militärischen Sieg, in beiden Fällen vollzieht sich die Handlung im Kriegskontext, ist unwiderruflich und bildet die nicht auslösbare Folge eines Gelübdes. Wenn Jiftach nun aber nicht die ammonitischen Feinde, sondern seine eigene Tochter preisgibt, haben wir es mit einer „positiven“ Widmung an die Gottheit
21 Vgl. Jack Sasson, Judges 1–12: A New Translation with Introduction and Commentary (AYB 6D; New Haven: Yale University Press, 2014), 439; Sarit Paz, Drums, Women, and Goddesses: Drumming and Gender in Iron Age II Israel (OBO 232; Fribourg: Academic Press, 2007), 83; Michaela Bauks, „Physical Attributes of Memorials: Could the Tomb of Jephthah and the Dietary Restrictions of Tekufot Give an Insight into the Intention of Judges 11:29–40?“, in Gender and Social Norms in Ancient Israel, Early Judaism and Christianity: Texts and Material Culture in Eastern Mediterranean Context (hg. v. ders., Katharina Galor und Judith Hartenstein; JAJ.S 28; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2019), 235–254. 22 Vgl. Sasson, Judges, 439. 23 Dazu Paz, Drums, 85: The „Old Testament affirms the tradition of women drummers in a variety of genres (narrative, prophesy, and psalm)“; vgl. Esther J. Hamori, Women’s Divination in Biblical Literature: Prophecy, Necromancy, and other Arts of Knowledge (New Haven: Yale University Press, 2015), 63–65.
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zu tun, die dem Wohlergehen des Volkes Israels dienen soll. Dieser Gedanke dürfte auch Lev 27,2824 zugrunde liegen, wobei die Tötung vorausgesetzt ist: 28 Alles der Vernichtung geweihte Gut aber, das jemand für den HERRN durch Bann geweiht hat, von allem, was ihm gehört, von Menschen und Vieh und vom Feld aus seinem Erbbesitz, darf nicht verkauft und nicht ausgelöst werden. Alles der Vernichtung geweihte Gut ist dem HERRN hochheilig. 29 Kein Mensch, der der Vernichtung geweiht wird, kann losgekauft werden. Er muss getötet werden.
Die in Ri 11, wo der Begriff ֵח ֶרםselbst nicht vorkommt, vorausgesetzte Institution der „Übereignung“ der Tochter erklärt nach Kamrada, warum ein Menschenopfer im Kontext der deuteronomistischen Überformung des Richterbuchs25 überhaupt Eingang finden konnte. Die Übereignung wurde ihrer Meinung nach aber nicht als Opfer vollzogen, sondern als Weihe der Tochter an den Tempel. Diese Interpretation ist durch die offene Formulierung in V39 „und er erfüllte an ihr das Gelübde, das er getan hat“ zwar grundsätzlich möglich und des Öfteren vorgeschlagen worden, Lev 27,29 widerspricht dem jedoch.26 Ähnlich wie Achsa muss auch hier im Zuge von Kriegsereignissen eine Tochter daran glauben, im Zuge eines Kriegsgelübdes als eine Art Siegespreis zu dienen; diesmal aber nicht für einen menschlichen Kriegshelden durch Heirat, sondern für Gott als die den Sieg vermittelnde Instanz. Sie erfasst die Lage und akzeptiert sie (V36),27 trägt aber ebenfalls eine Bitte vor, die wiederum eine Art rite de passage einführt und vom Vater gewährt wird. Sie wird zur Grundlage eines dritten Rituals, das ihrer Erinnerung dient (V39b–40): 37 Und sie sagte zu ihrem Vater: Dies sei mir vergönnt: Lass mir zwei Monate, und ich will weggehen und hinab in die Berge gehen und über meine Jungfräulichkeit weinen, ich mit meinen Freundinnen. 38 Und er sprach: Geh! Und er entließ sie für zwei Monate. Und sie ging mit ihren Freundinnen und weinte auf den Bergen über ihre Jungfräulichkeit. 24 Vgl. Thomas Hieke, Levitikus 16–27 (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2014), 1125– 1128. 25 Vgl. z. B. Gross, Richter, 616–618, der von einer vordeuteronomistischen Gelübdeerzählung in Ri 11,30–40* ausgeht, die deuteronomistisch redigiert wurde. 26 Siehe Dolores G. Kamrada, Heroines, Heroes, and Deity: Three Narratives of the Biblical Heroic Tradition (LHBOTS 613; London: Bloomsbury T&T Clark, 2016), 63–65, mit weiterer Literatur. 27 Auffällig ist, wie stark auch in dieser Erzählung wieder die Tochter handlungstragend eingreift, indem sie ihr Schicksal annimmt: „36 Sie aber sprach zu ihm: Mein Vater, du hast dem HERRN gegenüber deinen Mund aufgerissen, mach mit mir, wie dein Mund es gesagt hat, nachdem der HERR dir Rache verschafft hat an deinen Feinden, den Ammonitern.“
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39 Und nach zwei Monaten kam sie zurück zu ihrem Vater, und er erfüllte an ihr sein Gelübde. Sie hatte aber mit keinem Mann verkehrt. Und das wurde Brauch in Israel: 40 Jahr für Jahr gehen die Israelitinnen, um die Tochter Jiftachs, des Gileaditers, zu besingen, vier Tage im Jahr.
Versteht man Ri 11 als eine implizite ֵח ֶרם-Erzählung, ergeben sich folgende Interpretationslinien für die Kriegsinstitution. Diskutiert wird der ֵח ֶרם28 als –– Opfer –– Weihung bzw. Übereignung an eine Gottheit –– Tabu mit Beuteverzicht –– Aussonderung von Inkompatiblem bzw. Fremdem –– Selektive Vernichtung bzw. Aneignung der feindlichen Ressourcen –– Durchsetzung göttlichen Ordnungsdenkens –– Selbstunterscheidung vom Fremden als Symbol des Gottesgehorsams –– Literarische Gewaltsublimierung –– Dankopfer für die Gottheit Das Konzept ֵח ֶרםhat ursprünglich eine kommunikative Funktion. Es dient der „Entäußerung von Gut als Dankesgabe an die Gottheit für einen verliehenen Sieg, wobei die Gabe vor der Schlacht gelobt werden, aber auch nach erfolgtem Sieg geweiht werden kann“.29 Es hat somit ursprünglich Opfer- bzw. Weihefunktion, die erst im Zuge der deuteronomistischen Theologisierung zu einer Praxis der Aussonderung wurde, die die Abgrenzung der eigenen Identität mit sich bringt. Nimmt man einen impliziten ֵח ֶרם-Verweis für Ri 11 an, käme dem Akt hier (Dank-)Opferfunktion zu. Das bedeutet aber, dass die Verwendung nicht – wie Kamrada denkt – in das typisch deuteronomistische Schema der Aussonderung passt, sondern das wahrscheinlich ältere Konzept einer Opfergabe widerspiegelt. Im Großkontext der Richtererzählung erhält das Konzept seine tragische Gewichtung dadurch, dass – anders als in der lebensbejahenden Achsa-Episode – das Gelübde für das Leben der Tochter zumindest das Ende der sozialen Bezüge bedeutet, wenn dieses nicht sogar sein physisches Ende findet. Die Formulierung von V39 lässt diese Alternative offen. Nach Susan Niditch will das Erinnerungsritual ihre Opferbereitschaft für das Volk als identitätsstiftende Maßnahme im Kontext des Landerwerbs hervorheben.30 Die Erzählung zeichnet einen weiteren Aspekt des Verhältnisses zwischen den Geschlech28 Vgl. dazu Rüdiger Schmitt, Der „Heilige Krieg“ im Pentateuch und im Deuteronomistischen Geschichtswerk: Studien zur Forschungs-, Rezeptions- und Religionsgeschichte von Krieg und Bann im Alten Testament (AOAT 381; Münster: UgaritVerlag, 2011), 59. 29 Ebd., 60. 30 Niditch, Judges, 134f.: „a tale of war that helps to shape Israelite concepts of their foundation in the land also becomes the origin myth that establishes a life-shaping ritual for young women and their families“.
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tern in einer androzentrischen Gesellschaft. Anders als in Ri 1 fehlt in Ri 11 jegliche Ironie. Der Text zielt auf eine fehlgeleitete Vater-Tochter-Beziehung, in der der namenlos bleibenden Tochter wenig Spielraum für eigene Entscheidung bleibt. Der rite de passage in Ri 1 führt in die Ehe und die Integration der Tochter in Israel, der in Ri 11 zu ihrer Exklusion. Dennoch bleibt auch Jiftachs Tochter nicht passiv, sondern nimmt ihr Schicksal innerhalb des ihr gesteckten Rahmens in die Hand und handelt in überzeugender und selbstbewusster Weise. Innerhalb des gesamten Jiftach-Zyklus wird letztlich die Tochter die eigentliche Akteurin bzw. starke und selbstbewusste Heldin.31 Im Vergleich zu ihr ist der Vater – wenigstens in dieser Episode – als Opfer seines Gelübdes in einer fast tragischen Weise gezeichnet.32
3.
Krieg, Opfer und Gelübde in Ri 19–21
Im sogenannten Anhang zu den Richtererzählungen (Ri 17–21) findet sich eine umfangreiche Erzähleinheit (Ri 19–21), die gleich zwei „texts of terror“ bietet.33 Die erste Erzählung nimmt eine Individualperspektive ein. Sie ist auf den ersten Blick der instabilen Situation eines reisenden Mannes in der Fremde gewidmet, thematisiert aber darüber hinaus die prekäre Situation von Frauen im Geschlechterverhältnis. Ri 19 problematisiert sowohl den mangelnden Respekt gegenüber Frauen als auch die gebotene Gastfreundschaft in anthropologischer Perspektive. Die Episode wird aber zum Anlass für einen Konflikt der Stämme Israels (Ri 20), der in Ri 21 kollektiv durch den Handel mit Frauen in Zeiten von Krieg und Restauration gelöst wird. Beide Erzählungen werden in 19,1 und 21,25 durch die Feststellung „einen König gab es damals nicht in Israel“ gerahmt und miteinander verwoben.34 Der Hintergrund des Geschehens von Ri 19 ist, dass eine namenlose Konkubine ( )פלגׁשsich ihrem Mann, einem Leviten, gegenüber unloyal erweist (זנה + ;עלV1f.) und zu ihrer Familie zurückkehrt. Ihr Mann folgt ihr – womit die unaufhaltsame Abwärtsbewegung der Erzählung einsetzt. 31 Michael Sjöberg, Wrestling with Textual Violence: The Jephthah Narrative in Antiquity and Modernity (The Bible in the Modern World 4; Sheffield: Sheffield Phoenix Press, 2006), 26. 32 LXX A hebt hervor, dass sich die Tochter dem Vater in den Weg gestellt hat und ihn aktiv angeht (V35), während LXX B enger am MT bleibt und die Bestürzung des Vaters unterstreicht; vgl. Michaela Bauks, Jephtas Tochter: Traditions-, religionsund rezeptionsgeschichtliche Studien zu Richter 11,29–40 (FAT 71; Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), 6 mit Anm. 18. 33 So der Titel der Aufsatzsammlung von Phyllis Trible, Texts of Terror: LiteraryFeminist Readings of Biblical Narratives (Philadelphia: Fortress, 1984). 34 Vgl. dazu Gross, Richter, 811f.
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Formal auffällig ist die besondere Raumkomposition. So lautet einer der Leitbegriffe ( יצאV22–27), „ausziehen“ (Qal) bzw. „ausziehen lassen“ (Hiphil). Wenn der Mann dann schließlich „zurückkommt“ ()בוא, ist seine Frau (eventuell fast)35 tot und wird – mit dem Ziel der Aufwiegelung der übrigen Stämme – in Stücke geteilt und diesen zugesendet, um einen Krieg zu entfachen. Der Leitbegriff vermittelt den Eindruck, dass der Auszug aus dem Haus den Eingang in einen ungeschützten Außenbereich bei Todesgefahr bedeutet. Am Ende geschieht die Rettung des Mannes um den Preis des Todes der Frau. Auffällig ist auch die Aufteilung des Erzählanteils: Während der Aufenthalt beim Schwiegervater ausladend erzählt ist (V3–9), bleiben weite Teile der Reise erstaunlich unterbelichtet, z. B. was die Paarrelation betrifft. Das Nachtlager beider auf dem Rückweg in Gibea entpuppt sich schließlich als eine Krisenerfahrung, als der männliche Gast von den Bewohnern Gibeas als Sexualobjekt eingefordert wird (V23–30). Der Gastgeber versucht dem zu begegnen, indem er den Angreifern seine eigene Tochter und die Konkubine anbietet, um den Mann zu retten. Susan Niditch vermutet, dass es nicht um Homosexualität geht, sondern um eine Sexualethik, in der das Gegenüber zu unterwerfen, anzueignen und in ein ungleiches Machtverhältnis zu bringen ist. Ein vergleichbares Handlungsmuster findet sich in Gen 19,5 bei Lots Begegnung mit den Sodomiten bzw. in Ri 5,27 bei Siseras Behandlung durch Jaël.36 Der Gast in Ri 19 liefert stellvertretend die rebellierende Konkubine aus, die innerhalb der sozialen Hierarchie dem männlichen Gast bzw. Fremden nochmals unterlegen ist. Allerdings sind die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwommen gezeichnet und von Irrtümern, wie z. B. der falschen Entscheidung für einen Übernachtungsort, abhängig gemacht.37 Der Levit als Opfer entzieht sich der Gefahr, in dem er seine Frau als Opfer hergibt – darin wird er zum Täter. Am Ende der Nacht hebt er das Vergewaltigungsopfer auf seinen Esel und bringt sie heim, um sie als Demonstration dessen, was ihm angetan wurde, in Stücke geschnitten an die Stämme zu versenden.38 Die 35 Vgl. dazu Trible, Texts of Terror, 79. Siehe dazu unten. 36 Es geht „less about views of homosexuality, … than about a larger theme in sexual ethics in which one partner subdues, owns, and holds unequal power over the other“, so Niditch, Judges, 193, mit Verweis auf Trible, Texts of Terror, 105–139. Gross, Richter, 835–839, verweist neben Gen 19 noch auf die semantischen Parallelen mit Tamars Vergewaltigung durch Ammon in 2 Sam 13,12–18. 37 Vgl. dazu Ilse Müllner, „Tödliche Differenzen: Sexuelle Gewalt als Gewalt gegen Andere in Ri 19“, in Von der Wurzel getragen: Christlich-feministische Exegese in Auseinandersetzung mit dem Antijudaismus (hg. v. Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker; BibInt 17; Leiden: Brill, 1996), 81–100; bes. 88–92 (für den bibliographischen Hinweis danke ich Irmtraud Fischer). 38 Darin lässt sich die Travestie des Brauchs für das militärische Aufgebot sehen, wie er in der Zerteilung eines Ochsengespanns durch Saul in 1 Sam 11,7 geschildert ist (vgl. zu diesem Brauch einen Beleg aus dem Königreich Mari, 18. Jh. v. Chr.,
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Frau wird von dem Leviten „semiotisiert“ und zur Botschaft reduziert.39 Der Tod der Konkubine ist noch nicht einmal explizit erwähnt, woraus zwar nicht zwingend zu schließen ist, dass sie lebend von ihrem Mann zerstückelt wurde, doch am Ausschließen dieser Möglichkeit bzw. an Eindeutigkeit ist dem Erzähler nicht gelegen, was zur Reifizierung der Frau noch beiträgt.40 Diese Leerstelle ist schon von LXX A+B wahrgenommen und expliziert worden.41 Die Episode ist zwar keine typische Kriegserzählung, bildet aber die Vo raussetzung dafür, dass ein neuer Krieg entsteht. Auf den geschönten Bericht des Leviten an die Stämme (Ri 20,4–7) folgt eine Attacke Gibeas und ein Krieg gegen Benjamin (20,8–26), der die Einheit Israels auf den Prüfstand stellt. Der Krieg mündet in die Vernichtungsweihe Benjamins, die als ein „Ganzopfer zum Himmel“ (V40.48) geschildert ist. Allerdings bleiben 600 überlebende Männer übrig (V47), die zum Motor für den dritten Erzählteil werden: Denn für sie sind Frauen auszuwählen, die kompensierend den Übergang von der Feindschaft zur Versöhnung auf politischer Ebene besiegeln und die Einheit der Stämme Israels wiederherzustellen helfen. Die Schäden auf anthropologischer Ebene sind nicht weiter reflektiert. Auch in der dritten Erzählung geht es um den Bestand Israels im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen, um Landerwerb und den Erhalt von Siedlungsfläche. Die Frauenfiguren und ihr Ergehen zeigen die zunehmenden Grenzen und Abgründe der Suche nach dem Land deutlich auf. Das Konzept des ֵח ֶרם, das explizit als Verb im Hiphil lediglich in den nachdeuteronomistisch datierten Passagen in Ri 1,17 und 21,11 (in Anwendung auf Jabesch) vorkommt, begegnet der Sache nach auch in der Wendung „eine Stadt mit der Schärfe des Schwertes (חרב )לפיschlagen“, um sie dann der Verbrennung preiszugeben (Ri 20,37), sodass sie am Ende als Rauchopfer zum Himmel steigt (20,40) und sich eine Opfer- bzw. Weihehandlung assoziieren lässt. Die Wendung findet sich außerhalb des Richterbuchs in weiteren deuteronomistisch gefärbten Texten häufig parallel zu ( ֵח ֶרםvgl. Dtn 13,16; Jos 6,21; 10,28– 39; 11,11–14). Sie durchzieht weite Erzählungen des Richterbuchs, in denen die Verbrennung einer Stadt berichtet ist (Ri 1,8 באׁש ;ׁשלח4,16 + „keiner ARM 2, Brief 48): Gibea-Saul will die Stämme Israels auf militärische Hilfeleistung für Jabesch-Gilead gegen die Ammoniter verpflichten, der die Benjaminiter sich aber entziehen; zu den zahlreichen Parallelen in Ri 6–8; 11; 19–21 vgl. Walter Dietrich, 1 Samuel 1–12 (BKAT 8/1; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2011), 488ff.; Gross, Richter, 814–819. 39 Vgl. Müllner, „Tödliche Differenzen“, 88. Der Vorgang der Zerteilung geht mit ihrer Entsexualisierung einher, indem der Levit sich so seiner Männlichkeit vergewissert (siehe ebd., 96). 40 So z. B. Trible, Texts of Terror, 80; zum Ganzen Gross, Richter, 844f. 41 Müllner, „Tödliche Differenzen“, 93, weist darauf hin, dass insbesondere die Klärung der LXX-Diktion, dass die Frau tot war, bevor sie zerteilt wurde, auf die Entschuldung des Leviten zielt und die Täter-Opfer-Relation aufweicht, indem sie ihn ausnahmslos als Opfer zeichnet.
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blieb übrig“; 18,27 באׁש ;ׂשרף20,48 באׁש )ׁשלח. Zwar ist in Ri 1,25 die Tötung der Bevölkerung explizit ausgenommen, doch sagt die Weisung implizit, dass das die Ausnahme der Regel ist und eine solche Tötung eigentlich bei den Eroberungszügen ansteht. Die Erzählung Ri 20f. berichtet von einer doppelten Weihe, zum einen von ֵח ֶרםals „Vernichtungsweihe“ treuebrüchiger Stämme, zum anderen von der Zueignung von bzw. dem Handel mit Frauen zwecks Konfliktbewältigung innerhalb des Stämmeverbands. Dies geschieht in drei Variationen: 1. Die Israeliten schwören angesichts der erfolgten Untat ( )נבלהin Gibea an der Frau des Leviten als Sanktion gegenüber den unsolidarisch handelnden Benjaminiten, dass sie ihre Töchter niemals mit ihnen verheiraten (21,1–5). So verlieren die Benjaminiten ihre Zukunft im Verbund und der Markt der heiratsfähigen Frauen wird für sie verknappt. 2. Als die Israeliten nach dem Quasigenozid der Bewohner Benjamins Mitleid mit den überlebenden Männern haben (21,6.15 נחםNiphal), suchen sie nach Alternativen, d. h. einer ihrem Gelübde entsprechenden Lösung. So widmen sie ihnen 400 Mädchen im heiratsfähigen Alter, die sie von einem zweiten Bannvollzug, nämlich an der Stadt Jabesch wegen des gebrochenen Heerbannes (21,10–14), ausgespart haben. 3. Die letzte Variante verändert das Gelübde, den Benjaminitern die Töchter vorzuenthalten, und stellt es in eine neue Perspektive (21,15–23): Sie ermuntern diese zur Entführung der entsprechenden Anzahl noch fehlender jugendlicher Frauen im Zuge des alljährlichen Weinfestes in Schilo (V21).42 Das Besondere auch dieser dritten Großerzählung ist das Nebeneinander von Gelübde, ֵח ֶרם, und den von agierenden Männern als „Gabe“ erwählten Frauen. Zwar ist es die schuldige Stadt Gibea, die als Rauchopfer zum Himmel steigt (20,38–40), bzw. das Hilfe verweigernde Jabesch, das mit der Vernichtungsweihe gestraft wird, doch bleiben in beiden Aktionen Menschen, im ersten Fall Männer (20,47), im zweiten junge Frauen (21,12), ausgespart, was den deuteronomistischen Bestimmungen in Dtn 13,13–19 zur Ausrottung der eigenen JHWH-Anhänger widerspricht. Die ausgesparte Restbevölkerung bestimmt Israel am Ende füreinander und vermag so das Frauenproblem der Flüchtlinge des zwölften Stammes zu lösen. Erklärtes Ziel der Aktion ist es, dass Benjamin zu seinem Erbbesitz zurückkehren, die Städte wiederaufbauen und darin wohnen kann (V23). Auch in dieser Konstellation sind die Frauen objektivierte Ware. Allerdings wird anhand der mitunter auch an Männern sexualisiert dargestellten Gewalt die Vermischung von Täter- und Opfergrenzen deutlich, sodass ein eindeutiges Muster von männlichen Tätern 42 Zu dem dahinter verborgenen rite de passage vgl. Niditch, Judges, 210f. Gross, Richter, 876, charakterisiert die Szene als fantastisch, d. h. unhistorisch, und sieht das Ziel des Frauenraubs darin, dass der gegebene Schwur nicht gebrochen wird und dennoch alle „wieder friedlich an den ihnen von JHWH zugedachten Orten“ leben.
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und weiblichen Opfern nicht erkennbar ist.43 Im Unterschied zu Ri 1 und 11 lassen sich in Ri 19–21 unter den Frauen wie den Männern keine Helden mehr ausmachen. In dieser Erzählung hat sich der Opfer- bzw. Gabegedanke dahingehend verselbstständigt, dass die Frauen nicht JHWH zugedacht werden, sondern ganz profan als Mittel zum Zweck dienen, um den Stämmeverband zu erhalten. Die gezielte Aussparung eines Bevölkerungsteils (der heiratsfähigen Frauen) ist andernorts als ein nicht wiedergutzumachendes Vergehen gegenüber JHWH sanktioniert (vgl. 1 Sam 14,39.44). Anders sind in Num 31,17f. Jungfrauen im Rachefeldzug gegen Midian ( ֵח ֶרםfehlt) als Kriegsbeute vorgesehen: Num 31,15 Und Mose sprach zu ihnen: Habt ihr etwa alle Frauen am Leben gelassen? 16 Gerade sie brachten doch auf Geheiß Bileams die Israeliten dazu, vom HERRN abzufallen in Peor, so dass die Plage über die Gemeinde des HERRN kam. 17 So tötet nun alle Knaben, und tötet jede Frau, die mit einem Mann verkehrt hat. 18 Alle Mädchen aber, die noch nicht mit einem Mann verkehrt haben, lasst für euch am Leben.
Das Fortleben der geflohenen Benjaminiten, die dem Bann zu unterwerfen sind, erfährt keine Korrektur. Der ֵח ֶרםpasst somit nicht mehr in die oben dargelegte religiös argumentierende Struktur. Weder der Aspekt der Gabe an Gott, noch der Versuch der Aussonderung oder des Verzichts auf kulturelle bzw. religiöse Vermischung spielen hier eine Rolle. Es handelt sich um die profane Ausführung einer Kriegsinstitution, deren mechanistischer Verlauf lediglich durch den stereotypen Hinweis auf die königlose und somit rechtlose Zeit erklärt ist (vgl. die Rahmung in 19,1; 21,25).
4.
Resümee: Frauen im Krieg
Susan Niditch interpretiert die Geschichte in Ri 1 als eine Kommentierung der Zufälligkeit von Macht und der Möglichkeit, dass unerwartete Personen Kontrolle über sie erhalten. Und in der Tat ist es in Ri 1 Achsa, die Kontrolle über Land und Wasser erhält und zugleich die Annäherung der Keniten an 43 Vgl. dazu Müllner, „Tödliche Differenzen“, 94f. Sie weist darauf hin, dass gerade die Aussparung der eigenen sexuellen Nötigung im Bericht des Leviten an die Stämme (20,5) dessen Demütigung durch Feminisierung erkennbar werden lässt (vgl. Lev 18,25 und Dtn 22,5).
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Israel durch ihre Heirat bewirkt. Die Erzählung legt in verkürzt-ironischer Sprache dar, wie sie an der Schnittstelle zwischen Vater und Mann Macht aushandeln kann. Das von Niditch skizzierte Narrativ findet in zwei weiteren Erzählungen des Richterbuchs Variationen, die die Abwärtsspirale, die für das Richterbuch insgesamt charakteristisch ist, illustrieren. Jiftachs Tochter ist zwar noch als eine aktive Figur gezeichnet, die es versteht, sich die unabwendbare Situation anzueignen, indem sie sie gestaltet. Sie ist wenigstens nicht sprachlos, sondern verhandelt mit ihrem Vater. Doch führt die Aktivität in Selbstaufgabe und Tod zugunsten des Kollektivs als Folge des positiven Kriegsausganges. Sie nimmt im Aufriss des Buches eine Mittelstellung ein. Anders wird der Frau des Leviten am Ende des Richterbuchs – abgesehen von dem knapp notierten Auszug aus dem Haus des Mannes – keinerlei Aktivität zugestanden. Sie wird geradezu für den Erhalt des Lebens ihres Mannes geopfert, um schließlich zum Kriegsanlass funktionalisiert zu werden. Auch die den Heerbann überlebenden Töchter aus Jabesch (21,13f.) und die Töchter aus Schilo (21,20ff.) werden reifiziert. Frauen werden zur Ware bzw. zu Objekten, an denen ein ethisches Exempel statuiert wird, das in einen Krieg der Stämme führt bzw. am Ende dazu dient, Israel wieder zu vereinigen. Die Preisgabe der Frauen entspricht den Bedürfnissen von Männern bzw. des Kollektivs. Dabei findet ihre persönliche Perspektive keinerlei Beachtung, was ihren passiven Status als reine Handlungsobjekte unterstreicht. Frauen bleiben in Ri 19–21 sprachlos und handlungsunfähig. Während Achsa Land erhält und Anteil am Erbe hat, werden die jungen Frauen zu Reparationszahlungen für die Benjaminiten, damit die Männer in ihren Erbbesitz zurückkehren und ihr Stammesleben wieder aufnehmen können. Wenn der Aufriss des Richterbuchs vom Ende her besehen als ein Zeugnis des Verfalls Israels zu lesen ist, lässt sich dieser Verfall in den untersuchten Texten auch als eine Geschichte der Umwertung der Frauen beschreiben. Ihr Status wird vom Preisgeld bzw. der Kriegsgabe, über das Kriegsopfer bis hin zur Reparationsware zunehmend abwertend dargestellt. Da es sich zumindest mit Ri 1 wie auch Ri (17–)19–21 um redaktionelle Einschübe handelt, zeichnet sich hier ein Gestaltungswille ab, der an exponierter Stelle den moralischen Verfall auch anhand des konkreten Umgangs mit Frauen im Krieg darstellt.
Gendered Politics Dynastische Rollen von Frauen in den Erzählungen von Saul, David und Salomo Ilse Müllner Universität Kassel
1.
Frauen im Fokus der Aufmerksamkeit
Frauen nehmen in den Erzählungen von Saul, David und Salomo sehr unterschiedliche Rollen ein. Einige dieser Funktionen verorten sie im Kontext von Familie, als Töchter, Ehefrauen, Mütter und Schwestern. Diese familialen Rollen von Frauen verdienen im Blick auf die hier behandelten Erzählungen besondere Aufmerksamkeit, weil sie mit dem Thema Familie im Fokus des Interesses der Erzählgemeinschaft stehen. Doch auch in den Samuelbüchern sind Familienfrauen nicht nur in diesem Horizont aktiv: Ehefrauen sind gleichzeitig ökonomisch handelnde und kluge Politikerinnen (Abigajil); Töchter sind Widerständlerinnen (Michal); Ehefrauen sind religiöse Subjekte (die Frauen Salomos). Frauen in ihren familialen Rollen zu beschreiben heißt also nicht, sie darauf zu reduzieren, Töchter, Ehefrauen und Mütter zu sein. „Motherhood or Death“1 – diese Alternative beschreibt die Konstruktion des Frau-Seins in den Samuelbüchern nur sehr unzureichend. Auch wenn die feministische Kritik zutrifft, die die patriarchale Perspektive der Texte hervorhebt und betont, dass weite Bereiche des Frauenlebens im Alten Israel ausgespart bleiben, so ist dennoch auch in diesem patriarchalen Rahmen die Komplexität und Vielfalt der Frauenfiguren und ihrer in der erzählten Welt eingenommenen sozialen Rollen festzustellen.2 In den Samuelbüchern wird der Übergang von einer dezentral organisierten politischen Struktur zum Königtum in Israel erzählt, in den Königsbüchern wird diese politische Struktur weiter etabliert und ausdifferenziert. Die 1
2
Lai Ling Elizabeth Ngan, „Class Privileges in Patriarchal Society: Women in First and Second Samuel“, in Feminist Interpretation of the Hebrew Bible in Retrospect 1: Biblical Books (hg. v. Susanne Scholz; RRBS 5; Sheffield: Sheffield Phoenix Press, 2013), 110–134; 110, im Anschluss an Karla G. Shargent. Vgl. Andreas Kunz, Die Frauen und der König David: Studien zur Figuration von Frauen in den Davidserzählungen (ABIG 8; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2004), 11, der die Pluralität der Frauendarstellungen in den Davidserzählungen betont.
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Fokussierung der Erzählungen auf das entstehende Königtum hat eine Reihe von Implikationen für die Rollen von Frauen in der erzählten Welt und damit auch für die Konzeption von Geschlecht. Neben der Genesis sind die Samuelbücher wohl innerbiblisch jene Schriften, in denen weibliche Figuren am dichtesten und intensivsten entwickelt werden. Die hohe Präsenz von Frauenfiguren in diesen Erzählungen korrespondiert mit den besonderen Funktionen von Familie einerseits in der erzählten Welt und andererseits in der Welt, in der die Erzählung ihre vorliegende Gestalt erhalten hat. In der erzählten Welt wird nicht einfach das Königtum, sondern näherhin die Dynastie etabliert. Damit wird Familie zum Ort der Staatspolitik.3 Das Interesse an den Vorgängen innerhalb der davidischen Familie, am Hof Salomos, aber auch in den Familien von Samuel, Eli und Saul speist sich nicht aus der Lust an einem Blick in fremde Privatsphären – eine solche Gegenüberstellung von politisch und privat wäre ganz und gar anachronistisch. Hier geht es um Macht- und Staatspolitik. Die besondere dynastische Verquickung einer einzelnen Familie mit der Regierungsmacht wird in den Erzählungen immer wieder problematisiert, sodass der Fokus auf die Familienpolitik in engem Zusammenhang mit der Etablierung der dynastischen Herrschaft gesehen werden muss. Der Bezug auf die Welt, in der die Erzählung entstanden ist, ist deutlich komplexer. Die literargeschichtliche Positionierung der Samuel- und Königsbücher ist – wie die der meisten biblischen Schriften – nicht konsensual. Einigkeit besteht lediglich hinsichtlich der Tatsache, dass Quellen genutzt und dass diese in einem mehrstufigen Prozess zu einer großen Erzählung verbunden werden. Die Position, dass es mit der Eingliederung des Materials in ein deuteronomistisches Geschichtswerk einen Kulminationspunkt gibt, der in die frühe nachexilische Zeit verweist, ist zumindest weit verbreitet.4 Wenn man also von späteren Ergänzungen absieht,5 dann wird man für den historischen Ort des Erzählkomplexes in die spätere Königszeit und – noch weiträumiger – in die nachexilische Zeit verwiesen. Während man für die erstgenannte Epoche hinsichtlich der dynastischen Strukturen von einer Nähe zwischen 3
Dazu Ilse Müllner, Gewalt im Hause Davids: Die Erzählung von Tamar und Amnon (2 Sam 13,1–22) (HBS 13; Freiburg i. Br.: Herder, 1997), 119–142. 4 Siehe Georg Braulik, „Theorien über das deuteronomistische Geschichtswerk (DtrG) im Wandel der Forschung“, in Einleitung in das Alte Testament (hg. v. Erich Zenger und Christian Frevel; KStTh 1,1; Stuttgart: Kohlhammer, 92016), 233–254, mit ausführlichen Literaturangaben. Speziell zu den Samuelbüchern im DtrG siehe Walter Dietrich, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk: Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments 2 (BWANT 201; Stuttgart: Kohlhammer, 2012); Cynthia Edenburg und Juha Pakkala, Hg., Is Samuel among the Deuteronomists? Current Views on the Place of Samuel in a Deuteronomistic History (AIL 16; Atlanta: SBL, 2013). 5 Siehe dazu die Beiträge in Uwe Becker und Hannes Bezzel, Hg., Rereading the Relecture: The Question of (Post)chronistic Influence in the Latest Redactions of the Books of Samuel (FAT 2/66; Tübingen: Mohr Siebeck, 2014).
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der erzählten Welt und der Zeit der Entstehung der Erzählung ausgehen kann, ist das Familienthema in der nachexilischen Epoche ganz anders konnotiert. Hier ist von einer Substitution der staatlichen Institutionen durch familiale Strukturen auszugehen, Familie stellt einen Bezugspunkt dar, der dazu beitragen soll, den Verlust des Königtums zu kompensieren. Die Erzelternerzählungen der Genesis, mit denen „Volksgeschichte als Familiengeschichte“6 erzählt wird, finden hier ihren Resonanzraum. Die Samuelbücher treffen mit ihrer ambivalenten Darstellung der Anfänge der davidischen Dynastie auf ein neues Umfeld, das einerseits Familie als zentrale soziale Instanz wahrnimmt und sich andererseits mit dem Verlust des Königtums auseinanderzusetzen hat. Die Feststellung, die erzählten Frauenfiguren blieben unterentwickelt,7 ist nicht haltbar: zum einen deshalb, weil auch von den männlichen Figuren nur wenige als „round characters“ gezeichnet werden, die etwa eine Entwicklung innerhalb der erzählten Welt durchmachen, oder bei denen die Erzählstimme den Leser_innen Einsicht in die kognitive und damit auch emotionale Innenwelt einräumt. Zudem ist die Kategorisierung von Figuren in „flat“ und „round“ aufgrund mangelnder Klarheit bezüglich der hierfür sinnvollerweise angewandten Kriterien umstritten, und die damit verbundene Wertung wird den genrebezogenen Erfordernissen des Erzählens häufig nicht gerecht.8 Wenn also gegenwärtigen Leser_innen der Zugang zu Gedanken oder Emotionen weiblicher Figuren wie Batseba fehlt oder wenn sie deren „Fragmentierung“ beklagen wie im Fall der Michal, dann darf nicht nur die Kategorie Geschlecht dafür in Anschlag gebracht werden, sondern muss die Verschränkung biblischer Erzählkonventionen mit einer Reihe von sozialen Differenzierungskategorien Berücksichtigung finden. Zu diesen Kategorien gehören neben Geschlecht (gender) etwa auch die Position innerhalb der sozialen Ordnung (class), die ethnische Zugehörigkeit (ethnicity) und körperliche Faktoren wie Alter oder Behinderung (body). Ein intersektionaler Zugang versucht, den komplexen und je nach Material unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen dieser einzelnen sozialen Kategorien auf die Spur zu kommen.9 6 Irmtraud Fischer, Gottesstreiterinnen: Biblische Erzählungen über die Anfänge Israels (Stuttgart: Kohlhammer, 42013). 7 So Ngan, „Class Privileges“, 111. 8 Vgl. Fotis Jannidis, „Character“ [2013], in Living Handbook of Narratology (hg. v. Peter Hühn et al.; Hamburg: Universität Hamburg), online: http://www.lhn.unihamburg.de/article/character [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. 9 Zum Begriff der Intersektionalität und seiner Rezeption in den Bibelwissenschaften siehe die Beiträge in Ute E. Eisen, Christine Gerber und Angela Standhartinger, Hg., Doing Gender – Doing Religion: Fallstudien zur Intersektionalität im frühen Judentum, Christentum und Islam (WMANT 302; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013); außerdem Nele Spiering-Schomborg, „Man kann sich nicht entscheiden, als was man geboren wird“: Exodus 1 im Horizont von Intersektionalität und empirischer
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Narrative Aufmerksamkeit und sozialer Status sind hier aufs engste verbunden. Wenn biblische Erzählungen einen maßgeblichen Sinn darin haben, in den literaturproduktiven Epochen des biblischen Israel identitätsstiftend zu wirken und zur Welterzeugung und Weltdeutung einer Gemeinschaft sowie von Einzelnen beizutragen,10 dann haben die Figuren der Erzählungen in diesem Prozess eine zentrale Funktion. Die Figuren und ihre Konstellationen bieten den Leser_innen einen Anker an, um eigene Weltdeutungskonzepte in Resonanz mit ihnen zu entwickeln.11 Dass es im antiken Israel in Fragen der Identität nicht so sehr um individuelle Fragestellungen als um kollektive Prozesse geht, ist in Korrespondenz mit dem in den Bibelwissenschaften gängig gewordenen Konzept einer konstellativen Anthropologie12 zu betonen, die wiederum in der Figurenanalyse berücksichtigt werden muss.13
2.
Kann Herrschaft gerecht sein?
Gesellschaften bilden Herrschaftssysteme heraus, die gesellschaftliche Macht strukturieren und in ständigen Aushandlungsprozessen immer wieder neu stabilisieren. Macht erstreckt sich auf unterschiedliche gesellschaftliche Felder, etwa des Militärs, der Religion und der Ökonomie.14 In diesen Bereichen wird gesellschaftliche Macht gebündelt, wo ein Königtum etabliert und dy-
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Bibeldidaktik (Religionspädagogik innovativ 19; Stuttgart: Kohlhammer, 2017), bes. 16–37. Vgl. auch den Beitrag von Maria Häusl in diesem Band. Siehe Irmtraud Fischer, „Die Bibel als Welt erzeugende Erzählung“, in Kultur – Wissen – Narration: Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften (hg. v. Alexandra Strohmaier; Bielefeld: transcript, 2013), 381–397. Den Begriff der Resonanz entfaltet Hartmut Rosa, Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung (Berlin: Suhrkamp, 2016). Er tut das auch unter Bezugnahme auf den Umgang mit literarischen Texten. Hier lehnt er sich vor allem an die Arbeiten von Fritz Breithaupt zur Empathie an, die zeigen konnten, dass Spiegelungs- oder Empathieeffekte auch entstehen, wenn Menschen fiktionale Literatur lesen. Ebd. 267. Vgl. Fritz Breithaupt, Kulturen der Empathie (Stw 1906; Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2009). Siehe Bernd Janowski, „Konstellative Anthropologie: Zum Begriff der Person im Alten Testament“, in Biblische Anthropologie: Neue Einsichten aus dem Alten Testament (hg. v. Christian Frevel; QD 237; Freiburg i. Br.: Herder, 2010), 64–87. Zum Begriff der konstellativen Figurenanalyse siehe Ilse Müllner, „Die Samuelbücher – Gott in Menschen, Tieren und Dingen erzählen“, in Gott als Figur: Narratologische Analysen biblischer Texte und ihrer Adaptionen (hg. v. Ute E. Eisen und Ilse Müllner; HBS 82; Freiburg i. Br.: Herder, 2016), 88–123; 90–94. Vgl. Saana Svärd, Women and Power in Neo-Assyrian Palaces (SAAS 23; Winona Lake: Eisenbrauns, 2015), 28f., sowie Mosheh Halbertal und Stephen Holmes, The Beginning of Politics: Power in the Biblical Book of Samuel (Princeton: Princeton University Press, 2017), passim, die allerdings die Religion in diesem Zusammen-
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nastisch erblich gemacht wird. 1 Sam–2 Kön erzählen von solchen Aushandlungsprozessen eines dynastischen Königtums, das aber als durchaus instabil gekennzeichnet und in seinen konkreten Formen sehr kritisch beleuchtet wird. Mit dieser ambivalenten Darstellung von Herrschaft positioneren sich 1 Sam–2 Kön zwischen den beiden Polen der Divinisierung königlicher Herrschaft und der radikalen Ablehnung menschlicher Herrschaft zu Gunsten eines Konzepts der Königsherrschaft Gottes.15 Das Thema der Nachfolge von Herrschaft verdichtet sich im Begriff des Hauses. Die Fragestellung ist nicht auf das davidische Königtum beschränkt, sondern setzt bereits in den ersten Kapiteln von 1 Sam ein, wenn es um das Versagen der Söhne Elis geht. Die Verwerfung der Eliden in 1 Sam 2,30–36 setzt eine dynastische Zusage Gottes an dieses Priestergeschlecht voraus (1 Sam 2,30f.). Die erste Dynastiezusage ist also keine königliche, sondern gilt einer priesterlichen Familie. Allerdings entsprechen die Handlungsweisen der Eliden nicht den ethischen Anforderungen JHWHs, woraus die Verwerfung dieser Priesterdynastie folgt. Ein zentrales Thema des Deuteronomistischen Geschichtswerks, nämlich die Frage nach der Zurücknahme von Verheißung angesichts massiver Verfehlungen, wird bereits zu Beginn der Samuelbücher am Scheitern eines dynastischen Konzepts konkretisiert. Die literarischen Parallelen zwischen 1 Sam 2,12–36 und der Dynastieverheißung an David in 2 Sam 7 stützen diese Sichtweise.16 Auch am Ende der Samuelbücher geht es um eine gescheiterte Dynastie bzw. ein Königshaus, das erst gar nicht in die generationenübergreifende Form gekommen ist. Die letzten Nachkommen Sauls werden in 2 Sam 21 ermordet und den Tieren zum Fraß vorgeworfen. Narrativ eingebettet ist diese Auseinandersetzung um das dynastische Moment am Anfang und Ende der Samuelbücher in Erzählungen, in denen Frauen eine zentrale und noch dazu widerständige Rolle spielen.17 Hanna und Rizpa stehen für den Beginn und das Ende – der Samuelbücher wie auch des Lebens. Hanna kämpft vor Gott hang nicht erwähnen, sondern „the powers to draft and the powers to tax“ (5) heranziehen, um politische Macht zu definieren. 15 So die grundlegende These von Halbertal/Holmes, Beginning, in Bezug auf die Samuelbücher. Zur Funktion einer solch ambivalenten Herrschaftsdarstellung siehe Ilse Müllner, „Die Samuelbücher als Werk Politischer Theologie“, in Thesaurus in vasis fictilibus – „Schatz in zerbrechlichen Gefäßen“ (2 Kor 4,7): Festschrift für Bischof Heinz-Josef Algermissen zum 75. Geburtstag (hg. v. Bernd Willmes und Christoph Gregor Müller; Freiburg i. Br.: Herder, 2018), 279–297; 284–295. Einen kurzen, aber sehr instruktiven Forschungsüberblick zu dieser Frage gibt Sara Kipfer, Der bedrohte David: Eine exegetische und rezeptionsgeschichtliche Studie zu 1 Sam 16–1 Kön 2 (SBR 3; Berlin: de Gruyter, 2015), 45–49. 16 Z. B. Vermittlung der Botschaft Gottes durch einen Propheten bzw. Gottesmann, Bezugnahme auf Ägypten, Zentralstellung des Begriffs בית, Zusage eines Hauses, das Bestand hat. 17 Siehe dazu den Beitrag von Rainer Kessler in diesem Band.
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darum, Mutter zu werden. Rizpa setzt sich für ihre eigenen Söhne und die Söhne einer Tochter Sauls ein und sorgt dafür, dass diese nach der Ermordung durch David angemessen bestattet werden. Sowohl in den ersten drei Kapiteln der Samuelbücher als auch in 2 Sam 21 werden Häuser, also Dynastien, thematisiert, die zu Grunde gehen. Hanna gebiert Samuel, der wenige Jahre später als Prophet den Untergang des Hauses Eli verkünden (1 Sam 3) und auf die neue Institution Königtum zugehen und damit als Gestalt der Ablösung der Eliden inszeniert wird. Rizpa verkörpert das Ende des Hauses Sauls, das als „Haus der Blutschuld“ (הדמים בית2 Sam 21,1) seine letzten Nachkommen verliert. Das Scheitern einer generationenübergreifenden Etablierung von Herrschaft steht also zu Beginn und am Ende der Samuelbücher, das Thema ist Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen. Von Anfang an wird der Kampf um gesellschaftliche Macht auch auf dem Feld der Familie ausgetragen. In diesem Zusammenhang muss auch das hohe Interesse an Sexualität gesehen werden, das sich durch die Erzählungen zieht.18
3.
Das Haus – Bündelung gesellschaftlicher Macht
Der Begriff des Hauses ( )ביתumfasst mehrere Bedeutungen. Er bezeichnet sowohl das materielle Gebäude und kann in einer Constructusverbindung als Haus des Königs (Palast) oder Haus einer Gottheit (Tempel) näher bestimmt werden. Die Zuordnung des Hauses zu einer Person fußt zwar auf dieser materiell-lokalen Bedeutung, geht aber über diese hinaus, indem das Haus dann auch die Bewohner_innen mit umgreift und so metonymisch für die Menschen stehen kann, für die Gemeinschaft, die in diesem Haushalt lebt. Schließlich steht das Haus auch gänzlich losgelöst von der materiellen Konnotation, aber mit dieser immer noch metonymisch verbunden, für die Familie. Diese Mehrfachkonnotation ist der Erzählgemeinschaft durchaus bewusst, wie das Spiel mit den Bedeutungen von „Haus“ in 2 Sam 7 zeigt. JHWH weist Davids Ansinnen, einen Tempel ( )ביתfür ihn zu bauen, zurück (V5); stattdessen verheißt JHWH David, ihm seinerseits ein Haus zu schaffen (V11), indem er seine Familie als Dynastie etabliert. So kann Davids Nachfolger Salomo das Tempelbauprojekt durchführen, also JHWH ein Haus bauen (V13), ohne dass es David zum Schaden gerät – obwohl der Tempelbau eigentlich zu den Aufgaben eines altorientalischen Königs gehört.19
18 Mit einem anderen Fokus (Ehre und Schande) vgl. dazu Ken Stone, Sex, Honor and Power in the Deuteronomistic History: A Narratological and Anthropological Analysis (JSOTSup 234; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1996). 19 Vgl. Müllner, „Werk Politischer Theologie“, 90f. (dort auch weitere Literatur).
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Mit dem Konzept der Dynastie, das im altorientalischen Umfeld bereits deutlich länger als im biblischen Israel etabliert ist, wird die Herrschaftskonstellation über die jeweils aktuelle Zeit hinaus intergenerationell ausgedehnt. Wenn in 2 Sam 7 acht Mal die Dauerhaftigkeit/ עולםbetont wird,20 dann wird deutlich, dass die generationenübergreifende Perspektive wesentlich zur Etablierung von Davids Königtum gehört. Damit ist Nachkommenschaft ein Machtfaktor, worauf auch die in 1–2 Sam immer wieder dargebotenen Listen von Königsfrauen, -söhnen und -töchtern verweisen. Sowohl Sauls als auch Davids Frauen werden in diesen Aufzählungen namentlich genannt (1 Sam 14,47–52; 2 Sam 3,3–5; 5,13–16). Die Söhne stehen im Zentrum dieser agnatisch angelegten Listen, dort allerdings, wo Töchter in der Erzählung eine Rolle spielen, werden auch sie namentlich genannt, wie etwa Merab und Michal in der Liste von 1 Sam 14. Die Familie ist in der hier erzählerisch entfalteten Gesellschaft sowohl synchron als auch diachron ein wesentlicher Faktor gesellschaftlicher Organisation. Synchron sorgen verwandtschaftsbasierte Strukturen für Zusammenhalt und in Bezug auf königliche Herrschaft auch für Nähe bzw. Distanz zum Machtzentrum. Wer mit dem König in verwandtschaftlicher Beziehung steht, dem kommt häufig auch im Kontext des Hofes eine besondere Position zu. Aber auch andere gesellschaftliche Macht- und Kompetenzbereiche sind verwandtschaftlich strukturiert, etwa der priesterliche Dienst. Die Erzählungen um die ersten drei Könige stehen mit ihrem Fokus auf die Familie nicht allein. Weite Textbereiche der biblischen Narrationen greifen auf das Konzept Familie zurück und stellen es in einen Zusammenhang narrativer Weltdeutungen. Die Bibel stellt die Anfänge prägender Epochen in Form von Familienerzählungen dar, da im genealogischen Denken des Alten Orients für alle Nachkommen gilt, was für die Gründergeneration galt. Gemeinsamer Ursprung vergewissert in Zeiten der Krise und wirkt identitätsbildend und -stärkend, wo soziale Gruppen neu formiert werden (müssen).21
4.
Königliche Frauen
Nicht alle einzelnen Frauengestalten und auch nicht alle Gruppen von Frauen, die in 1 Sam–2 Kön Erwähnung finden, können hier angesprochen werden. Herausgegriffen werden jene, die in der Sphäre dynastischer Politik, wie sie in den Erzählungen von Saul, David und Salomo entworfen wird, besonders 20 עד־עולם: V13.16 (2x).24.25.26; לעולם: V29 (2x). 21 Irmtraud Fischer, „Menschheitsfamilie – Erzelternfamilie – Königsfamilie: Familien als Protagonistinnen von Welt erzeugenden Erzählungen“, BK 70 (2015): 190–197.
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starken Einfluss nehmen. Damit werden die Frauen der königlichen Familie im Folgenden bevorzugt. Dass das nicht das gesamte Bild der Frauendarstellungen widerspiegelt, muss hervorgehoben werden. Nicht-familiale Formen politischer Einflussnahme sind ebenfalls Gegenstand der Erzählungen: Frauen sind religiöse Autoritäten (1 Sam 28: die Frau von En-Dor), sie greifen durch kluge Rede aktiv in das politische und militärische Geschehen ein (2 Sam 14: die Frau von Tekoa; 2 Sam 20: die Frau von Abel-Bet-Maacha).22 Sie sind prägend für die politische Meinungsäußerung (1 Sam 18,7; 21,12; 29,5: „Saul hat Tausend erschlagen, David aber Zehntausend“). Die Königin von Saba steht für Salomos internationalen Ruf als weisester aller Könige (1 Kön 10). Die Reihe ließe sich weiter fortführen. Im vorliegenden Zusammenhang geht es jedoch um die Rollen von Frauen im Kontext der Etablierung dynastischer Herrschaft. Mit diesem Fokus – aber nur mit diesem – stehen die familialen Rollen der Frauen, zu denen auch die Mutterschaft gehört, im Zentrum des Interesses. – Wie die oben genannten Beispiele klar zeigen, bedeutet das allerdings nicht, dass Frauen nur als Mütter in den Blick der Erzählungen gerieten oder dass ihr sozialer Status ausschließlich von der Mutterschaft bestimmt wäre. Die Rolle der Königsmutter ist besonders hervorzuheben. Die große Bedeutung dieser Rolle hat damit zu tun, dass die Königsmutter sowohl für den synchronen als auch für den diachronen Aspekt dynastischen Zusammenhalts steht. Sie lebt einerseits zunächst in besonderer Nähe zu dem König, dessen Frau sie ist. Als solche hat sie politisch Einfluss und nimmt eventuell auch eine eigene ökonomische Machtposition ein. Für das neuassysrische Reich ist diese ökonomische Macht mehrfach belegt: Die Königin führt einen eigenen Haushalt, zu dem auch Landbesitz und andere wirtschaftliche Ressourcen gehören.23 Für das israelitische und judäische Königtum fehlen solche Belege. Das kann an der Unterschiedlichkeit der Quellen liegen, da Verwaltungsdokumente in dem Ausmaß, wie sie für die mesopotamischen Königshöfe belegt sind, in Israel und Juda nicht bezeugt sind. Aus dem Fehlen solcher Hinweise in den literarischen Texten der Bibel muss noch nicht auf eine fehlende soziale Praxis geschlossen werden.24 Ein Zusammenhang zwischen der besonderen Position einer einzelnen Frau unter den Frauen des Königs und der Thronfolge ist nicht vorauszusetzen – die literarische Entfaltung des Thronfolgethemas innerhalb von 1 Sam–2 Kön spricht gegen die Privilegierung eines Sohns aufgrund seiner Abstammung von einer bestimmten Frau. Die Königsmutter steht aber auch diachron für den intergenerationellen Aspekt. Das tut sie einerseits symbolisch, indem sie die Abstammung des dann regierenden Sohns und dadurch auch die Verbindungslinie zwischen dem alten und dem neuen 22 Vgl. ausführlich Kunz, Frauen, 245–280; 353–355. Er spricht vom „Typus der gewaltverhindernden Frau“. 23 Vgl. Svärd, Women, 61–74. 24 Anders Maria Häusl in diesem Band.
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König verkörpert. Andererseits ist die Königsmutter auch faktisch in einer Machtposition, weil sie mit ihrem Wissen und ihrem Einfluss die Kontinuität zwischen den Königsgenerationen herstellt. Die Einflussnahme Batsebas in 1 Kön 2 weist in diese Richtung.
4.1
Michal
Michal ist als Tochter Sauls und als Ehefrau Davids in ein extremes Spannungsfeld gestellt, das narrativ nicht zuletzt durch ihre Fragmentierung inszeniert wird.25 Wie ein untergründig verwobener Faden erscheint ihre Gestalt an Knotenpunkten der Davidsbiographie, wo sie den Ereignissen, in denen der künftige König im Mittelpunkt steht, ihre eigene Farbe verleiht. Von Michal erzählen 1 Sam 18; 19; 25,44; 2 Sam 3,13–16; 6,16–23. Mit einem Paukenschlag betritt sie die Bühne der erzählten Welt, um diese kaum wahrnehmbar zu verlassen. Die erste Handlung Michals ist ihre Liebe zu David (1 Sam 18,20). Das ist nicht nur im unmittelbaren Kontext der beginnenden Feindschaft zwischen Michals Vater Saul und seinem jungen Rivalen David anstößig, sondern auch einmalig im biblischen Kontext. Mit Ausnahme des poetischen weiblichen Ich im Hohelied gibt es keine Frau in der Hebräischen Bibel, die als Subjekt der Liebe zu einem Mann dargestellt wird. Michals erzähltes Ende hingegen ist still und mit Blick auf die Erzählzeit ungeheuer langsam: „Was aber Michal betrifft, die Tochter Sauls: Sie bekam kein Kind bis zum Tag ihres Todes.“ (2 Sam 6,23) Der ganze Rest von Michals Leben wird mit dieser Notiz zusammengefasst. Doch an den Rändern der Darstellung gibt es Unschärfen. Die namentliche Erwähnung neben ihrer Schwester Merab in der Liste der Kinder Sauls (1 Sam 14,49–51) ist höchst ungewöhnlich, da in solchen Listen (ähnlich wie in den genealogischen Listen der Genesis) die Söhne, nicht aber die Töchter genannt sind. Noch merkwürdiger aber ist die unheimliche Zuschreibung von Sauls verbliebenen Nachkommen an die doch eigentlich kinderlose Michal in 2 Sam 21,8 im masoretischen Text, während nach dem Text der griechischen Septuaginta Merabs Kinder getötet werden.26 In diesen Rahmen hinein werden einzelne Szenen erzählt, in denen Mi chal sich auf David bezieht. Sie liebt ihn und wird ihm von Saul zur Frau gegeben (1 Sam 18); sie verhilft ihm trickreich zur Flucht vor Saul (1 Sam 19); sie kritisiert ihn wegen seines für einen König unangemessenen Benehmens 25 Vgl. den Titel der Publikation von J. Cheryl Exum, Fragmented Women: Feminist (Sub)Versions of Biblical Narratives (JSOTSup 163; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1993). Zur Figur der Michal siehe auch die Beiträge in David J. A. Clines und Tamara Cohn Eskenazi, Hg., Telling Queen Michal’s Story: An Experiment in Comparative Interpretation (JSOTSup 119; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1991). 26 DJD XVII, 178, rekonstruiert in Übereinstimmung mit der Septuaginta Merab; die Stelle ist in der Handschrift leider nicht leserlich.
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(2 Sam 6). Michals Existenz zwischen den beiden ersten Königen Israels ist syntaktisch in ihren Benennungen markiert. Jeweils die „Ehefrau Davids“ oder die „Tochter Sauls“ ist in die Handlungen involviert. „Michal, die Frau Davids“ agiert in 1 Sam 19 gegen Saul; in 2 Sam 6 ist es „Michal, die Tochter Sauls“, die ihren königlichen Mann kritisiert. Michal verkörpert das Haus Sauls, das nicht zu einer Verstetigung der Herrschaft gelangen sollte. Für David ist sie von Anfang an als Tochter des amtierenden Königs attraktiv. Zwischen Saul und David geht es darum, ob David „Schwiegersohn des Königs“ werden soll. Mit seinem gehäuften Vorkommen in 1 Sam 18,18.21.22.23.26.27 ist חתןein Leitwort dieser Erzählung über die Anbahnung der Ehe zwischen Michal und David. Michal steht zunächst für eine soziale Position, die es für David auf seinem Weg zur königlichen Macht zu erlangen gilt und die Saul durch die Forderung eines nur unter Gefahren zu erringenden Brautpreises zu verhindern sucht. Wenn sie dann von Saul einem anderen Mann, Paltiel, zur Frau gegeben und in 2 Sam 3 von David zurückgeholt wird, dann findet das Spiel um die Macht mit Michal als Pfand seine Fortsetzung. Michal steht aber nicht alleine in diesem Spannungsfeld zwischen den beiden Männern, sondern ist in ihrer prekären Position zwischen dem Vater und dem geliebten Mann mit ihrem Bruder Jonatan verbunden. Jonatans Freundschaft mit David nimmt in vielerlei Hinsicht eine andere Wendung als die Liebe Michals, aber die soziale Einbettung dieser Beziehungen ist ja auch gänzlich unterschiedlich.27 Dennoch sind zwischen den beiden Figuren Mi chal und Jonatan auch deutliche Parallelen zu erkennen, und ihr Handeln ist in 1 Sam 18–19 aufs engste verbunden. Beide Kinder Sauls lieben David und stehen darin paradigmatisch für ganz Israel und Juda (1 Sam 18); die Beziehungen beider zu David werden formalisiert, im Fall Jonatans durch einen Bundesschluss, im Fall Michals durch eine Ehe; beide helfen David, sich durch Flucht vor ihrem Vater Saul zu schützen; beide Kinder Sauls scheitern. Jonatan stirbt im Kampf an der Seite seines Vaters und Michal bleibt kinderlos. 27 Zur Beziehung zwischen David und Jonatan siehe besonders James E. Harding, The Love of David and Jonathan: Ideology, Text, Reception (Sheffield: Equinox, 2013); Thomas Römer, „Homosexualität in der Hebräischen Bibel: Einige Überlegungen zu Leviticus 18 und 20, Genesis 19 und der David-Jonathan-Erzählung“, in Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? (Psalm 8,5): Aspekte einer theologischen Anthropologie: Festschrift für Bernd Janowski zum 65. Geburtstag (hg. v. Michaela Bauks, Kathrin Liess und Peter Riede; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2008), 435–454; Jonathan Y. Rowe, Sons or Lovers: An Interpretation of David and Jonathan’s Friendship (LHBOTS 575; London: T&T Clark, 2012); Gary Stansell, „David und seine Freunde: Sozialwissenschaftliche Betrachtung der David-JonathanFreundschaft“, in Alte Texte in neuen Kontexten: Wo steht die sozialwissenschaftliche Bibelexegese? (hg. v. Wolfgang Stegemann und Richard E. DeMaris; Stuttgart: Kohlhammer, 2015), 53–84.
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Michals Kritik an Davids Verhalten und die als Konsequenz erzählte Kinderlosigkeit Michals (2 Sam 6,16.20–23) ist eine jener Szenen, die für die Auseinandersetzung Davids mit dem Haus Sauls stehen. David kehrt zurück, „um sein Haus zu segnen“ (את־ביתו „ ;לברךseine Familie zu begrüßen“ [EÜ] ist eine Banalisierung). Seine Antwort auf Michals Vorwürfe, er würde sich nicht einem König angemessen verhalten, bringt die politische Dimension dieser Begegnung an die Oberfläche (2 Sam 6,21): Vor JHWH, der mich erwählt hat – mehr als deinen Vater und sein Haus – um mich zu bestimmen zum Fürsten über JHWHs Volk, über Israel, vor JHWH habe ich getanzt!
Als Figur steht Michal für die Spannung von Eigenständigkeit und Ausgeliefert-Sein. In ihrer Liebe zu David ist sie einzigartig, im Einsatz für diesen Mann gegen den eigenen Vater mit Hilfe einer List ist sie verbunden mit der Erzmutter Rahel, die ebenfalls mit Hilfe eines Götterbildes ihren Vater überlistet (Gen 31,19–35). Michal verkörpert das Haus Sauls, seine Nachkommen, die nicht in eine dynastische Linie eintreten; sie ist ein wesentliches Struktur element der Erzählung.28 Der Tod Jonatans und die Behinderung von dessen Sohn Merib-Baal (siehe 2 Sam 9) stehen in einer Linie mit der Nachricht von Michals Kinderlosigkeit. Dass es Michal ist, die das Scheitern der Dynastie Sauls verkörpert, könnte ein Schlüssel sein für die Erwähnung ihres Namens im masoretischen Text von 2 Sam 21,8. Michal steht für das Ende des Hauses Sauls – dann auch in dieser Erzählung.
4.2
Abigajil
Abigajil steht in einer Reihe mit jenen weiblichen Gestalten, die durch ihre Rhetorik und ihr kluges Handeln Einfluss auf das erzählte Geschehen nehmen und deshalb im Horizont der Weisheit interpretiert werden können.29 Die Erzählung in 1 Sam 25 beginnt mit dem Tod Samuels – die Rolle des Propheten ist also in diesem Moment vakant, wo David auf Abigajil trifft. Der Begegnung geht ein Zwischenfall voraus, der beide daran beteiligten Männer – David und Nabal, den Ehemann Abigajils – in schlechtes Licht rückt. David hatte von Nabal materielle Unterstützung für Schutzdienste verlangt, die er geleistet zu haben behauptete. Nabal, dessen Name „Dummkopf“ oder auch 28 Vgl. Ina Willi-Plein, „1 Sam 18–19 und die Davidshausgeschichte“, in dies., Davidshaus und Prophetie. Studien zu den Nebiim (BThSt 127; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2012), 3–47; 34f., mit Bezug auf die von ihr rekonstruierte Davidshausgeschichte. 29 Vgl. Irmtraud Fischer, Gotteslehrerinnen: Weise Frauen und Frau Weisheit im Alten Testament (Stuttgart: Kohlhammer, 2006), 22–38.
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„Verbrecher“ (wie auch der Name anderer Figuren der Hebräischen Bibel) signifikant für seine Handlungsweise ist, hatte allerdings abgelehnt, die Männer Davids zu versorgen, sodass David gerade dabei war, mit Gewalt gegen Nabal und sein Haus vorzugehen. An dieser Stelle greift Abigajil ein, die mit höchst kunstvoller Rhetorik die Angelegenheit wiedergutmacht und dadurch ihr Haus rettet. Abigajils Rede ist von altorientalischen Höflichkeitskonventionen geprägt – ihre Selbstbezeichnung als „Dienerin“ (אמה, EÜ: „Magd“) hat nichts mit Unterwürfigkeit zu tun, sondern ist im Rahmen konventioneller Sprache angemessener Ausdruck für die Begegnung mit einem unvertrauten oder auch höher gestellten Gegenüber. Auch wenn David an diesem Punkt der Erzählung noch nicht als König amtiert (von der heimlichen Salbung in 1 Sam 16 wissen zwar die Leser_innen, nicht aber die anderen Figuren der Erzählung), so behandelt Abigajil ihn doch schon als zukünftigen Machthaber. Ihren Einsatz zur Deeskalation der drohenden Gewalttat durch David und seine Männer verbindet Abigajil mit einer prophetischen Zusage an David: … Denn JHWH wird gewiss für meinen Herrn ein Haus errichten, das Bestand hat, da mein Herr die Kriege JHWHs führt … Wenn dann JHWH meinem Herrn alles Gute getan hat, das er dir versprochen hat, und dich zum Fürsten über Israel einsetzt, dann wird dir das kein Anstoß und kein Vorwurf des Herzens sein, dass du umsonst Blut vergossen hast und dass sich mein Herr selbst geholfen hat … (1 Sam 25,28–31)
Als Motivation für ein Absehen von geplanter Gewalt soll David also die eigene machtvolle Zukunft dienen, die durch ein solches Vorgehen Schaden nehmen könnte. Auf der Ebene der Auseinandersetzung der Figuren ist dieses Argument ein ungemein kluger Schachzug. Im Angesicht des Größeren, das David erwartet und das Abigajil ihm als sichere Zukunft vor Augen stellt, ist es naheliegend, vom unmittelbar auftretenden Impuls abzusehen. Abigajils Sprechen kann als prophetische Rede qualifiziert werden. Sie öffnet ihm die Augen für sein Tun und für die Konsequenzen seines Handelns. Zudem erinnert sie David an die theologische Dimension seines Tuns. Die Rede der Frau ist derart überzeugend, dass David tatsächlich nach ihren Vorstellungen reagiert. Er wird durch Abigajil bereit, die theologische Dimension seines Handelns zu begreifen. So beginnt er seine Rede mit einer Preisung JHWHs, der ihm Abigajil geschickt habe, und mit einer Preisung ihres scharfen Intellekts, der ihn davor bewahrt habe, Unrecht zu begehen und damit Blutschuld auf sich zu laden (V32f.).30
30 Ebd., 35.
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Aber auch auf der Ebene der Erzählung und damit in der Kommunikation zwischen Text und Leser_innen nimmt Abigajil eine prophetische Rolle ein. Sie ist die Figur, die – lange noch vor Natan, allerdings mit einem wörtlichen Vorverweis auf die Natansverheißung in 2 Sam 731 – David ein Haus zusagt, das Bestand haben wird. Damit öffnet Abigajil das erzählte Geschehen auf die dynastische Zukunft hin und gibt den Ereignissen ihren Platz in der großen Erzählung des DtrG. Dass Abigajil nach dem Tod ihres Mannes Nabal zur Ehefrau Davids wird, ist mit Sicherheit nicht die Hauptaussage der Erzählung, steht aber im Kontext der davidischen Heiratspolitik, wie sie in 1–2 Sam dargestellt wird. Im weiteren Verlauf der Erzählung wird sie noch zwei Mal im Rahmen von Aufzählungen der Davidsfrauen erwähnt (2 Sam 2,2; 3,3). Interessant ist, dass dabei durch den Namenszusatz נבל אשׁת, die Frau Nabals, die Erinnerung an die Geschichte in 1 Sam 25 präsent gehalten wird.
4.3
Batseba
Wie die Geschichte Michals ist auch jene Batsebas nicht in einem einzigen Textzusammenhang erzählt, sondern auf zwei Hauptblöcke verteilt. In 2 Sam 11–12 geht es um die vielfach zitierte und ausgelegte Begegnung zwischen David und Batseba, die Tötung Urijas und den Tod des erstgeborenen Kindes sowie die weiteren Konsequenzen von Davids Fehlverhalten für seine Familie. In 1 Kön 1–2 wird Batseba zunächst als Frau des alternden Königs und dann als Königsmutter gezeigt, die ihre politischen Verbindungen dazu nutzt, die Thronfolge für ihren Sohn zu sichern. Die beiden Textbereiche zeichnen Batseba in sehr unterschiedlichen Situationen und Kontexten, wobei die Batseba-Bilder, die sich in diesen beiden Zusammenhängen zeigen, durchaus spannungsvoll sind. So gehört auch die Frage nach der Verbindung dieser beiden Textbereiche zu den zentralen Diskussionspunkten. Oft wird die Frage nach einer möglichen „Mitschuld“ Batsebas an Davids begehrlichen Blicken auf sie (2 Sam 11) von 1 Kön 1 her beantwortet und Batseba als berechnend und machtbewusst von Anfang an unterstellt, sie habe sich nackt dem König gezeigt, um in eine solche Position am Hof Davids zu gelangen. Beide Prämissen solcher Argumentationen müssen in Frage gestellt werden. Erstens ist die „Schuld“ der Batseba kein Thema des Texts, und zweitens ist es fragwürdig, von 1 Kön 1–2 her die Leerstellen von 2 Sam 11 auffüllen zu wollen. Wenn literarische oder andere künstlerische Rezeptionen der David-Batseba-Urija-Erzählung solche Verbindungslinien ziehen und ihre Fi31 1 Sam 25,28 // 2 Sam 7,16. Vgl. Christa Schäfer-Lichtenberger, „Frauen im Gespräch mit David – deuteronomistische Zwischenrufe?“, in Die Samuelbücher und die Deuteronomisten (hg. v. ders.; BWANT 188; Stuttgart: Kohlhammer, 2010), 132– 156; 143.
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guren anhand dieser Leerstellen entwickeln, dann ist das im Rahmen künstlerischer Prozesse ein ganz und gar angemessenes Vorgehen.32 Für exegetisches Arbeiten ist aber die Blickrichtung ebenso eine andere wie die Fragestellung: Hier geht es darum, die Sinnpotentiale des Texts zu erheben,33 und da müssen beide Textkomplexe unabhängig voneinander analysiert werden, um in einem zweiten Schritt nach einem möglichen Gesamtbild dieser Figur zu fragen. Die Diskussion um die moralische Integrität Batsebas ist allerdings aus der exegetischen Fachliteratur ebenso wenig wegzudenken wie aus den nichtwissenschaftlichen Formen der Rezeption, die sich mit dieser Gestalt beschäftigen. Offenbar ziehen machtvolle Frauengestalten das moralische Urteil der Ausleger_innen ganz besonders an. Vergleichbare Aussagen werden in der alt orientalistischen Fachliteratur über Naqi’a getroffen, die Frau des assyrischen Königs Sanherib und Mutter Assarhaddons, die als am besten dokumentierte Königin und Königsmutter des neuassyrischen Reichs gelten kann.34 Wenn Leonhard Rost 1926 Batseba als „eine nicht allzu bedeutende Frau, die Aufträgen ein nur allzu williges Ohr leiht“,35 bezeichnet, dann ist das aus heutiger Sicht gänzlich unverständlich und nahezu ein exotisches Urteil. Batseba gehört zu den Schlüsselfiguren der Erzählung, allein schon in ihrer einzigartigen Stellung als Frau Davids und Mutter Salomos, die an beiden Höfen eine einflussreiche Position einnimmt. Batseba geht ein in die Auslegungsgeschichte als die Frau, die gesehen wird: David erblickt sie vom Dach seines Palasts aus, begehrt sie, lässt sie zu sich holen und schläft mit ihr. Er tut das im Wissen um ihre Zugehörigkeit zu Urija, einem von Davids Feldherrn, der gerade zu diesem Zeitpunkt einen der Kriege des Königs führt. Dass David nicht wie die anderen Könige zu dieser Zeit in den Krieg zieht und mit seinen Soldaten die Stadt Rabba belagert, sondern in Jerusalem bleibt (2 Sam 11,1), ist bereits ein erster Hinweis darauf, dass er seiner Verantwortung als König nicht gerecht wird. David lässt Batseba holen, um mit ihr sexuell zu verkehren. Ob es sich dabei um einen sexuellen Akt gegen den Willen der Frau handelt oder sie zustimmt, ob Batseba David ebenfalls begehrt oder auch ihren sozialen Aufstieg plant – all das wird durch die Erzählung nicht thematisiert und lässt Raum für vielfache Spekulationen. Batsebas Gefühle, ihre Motivation, ja sogar ihr Handeln bleiben Leerstellen der Erzählung. Nur 32 Siehe dazu Andrea Fischer, Dramen zu „David, Batseba und Urija“ (2 Sam 11): Zur Rezeption hebräischer Erzählkunst in Literatur und Theater – Paul Alberti (1904), Martha Hellmuth (1906) und Emil Bernhard (1919) (exuz 27; Münster: LIT, 2018). 33 Siehe Andrea Fischer, Königsmacht, Begehren, Ehebruch und Mord – Die Erzählung von „David, Batseba und Urija“ (2 Sam 11): Narratologische Analysen (exuz 26; Münster: LIT, 2018). 34 Vgl. Svärd, Women, 54–61. 35 Leonhard Rost, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids (BWANT 42; Stuttgart: Kohlhammer, 1926), 87. Dass Rost Batseba innerhalb von zwei Seiten (86–87) zwei Mal als „nicht allzu bedeutend“ bezeichnet, könnte man fast schon als bemühte Verharmlosung dieser Frauengestalt interpretieren.
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das Anzeigen ihrer Schwangerschaft (2 Sam 11,5) und in der Folge des Todes ihres Mannes das Abhalten der Totenklage (2 Sam 11,26) sowie die Geburt zunächst des einen Kindes und dann Salomos (2 Sam 11,27; 12,24) werden als Batsebas Aktivität erzählt. Weder in Bezug auf Davids Begehren noch im Kontext des Todes ihres ersten Kindes wird Einblick in die innere Welt dieser Figur gewährt. Im Fokus des Interesses steht David, dessen Auseinandersetzung mit Urija den Hauptteil der Erzählung in 2 Sam 11 ausmacht.36 Das Urteil der Erzählstimme zu Davids Handeln ist eindeutig und wird mit höchster erzählerischer Autorität vorgetragen: „Die Sache, die David getan hatte, war böse in den Augen JHWHs“ (2 Sam 11,27). Davids Handeln an Batseba und Urija bewirkt einen Bruch in der erzählten Welt. Von diesem Moment an ist Davids Macht als König ebenso wie das Wohlergehen seiner selbst und der Mitglieder seiner Familie bedroht. Die Natansparabel und die anschließende Weissagung über Davids Haus bringen diese Wende ins Wort (2 Sam 12). Ähnlich wie Saul, der gegen das Gebot JHWHs gehandelt hatte (1 Sam 13–15), verstößt auch David gegen die Weisung JHWHs und verhält sich damit wie einer der Könige, vor denen 1 Sam 8 gewarnt hatte. Doch anders als Saul, der in Folge seiner Übertretung die Königswürde verliert, wird David sie behalten, und auch die Zusage an die davidische Dynastie steht nicht in Frage. Aber erstens wird Davids Verhalten gegenüber Batseba und Urija in der erzählten Welt jene Konsequenzen haben, die der Prophet Natan in 2 Sam 12 ankündigt. Und zweitens wird die Geschichte immer weiter erzählt werden, da sie zum kanonischen Bestand der Davidserinnerungen gehört, und wirft damit ein negatives Licht auf David. „Denn David hatte getan, was recht war in den Augen JHWHs. Er war von keinem Gebot abgewichen sein Leben lang – außer in der Sache Urijas des Hetiters“ (1 Kön 15,5). In dieser Kurzzusammenfassung der Ereignisse wird Urija, nicht aber Batseba genannt. Diese Ambivalenz bleibt auch in die Figur der Batseba eingeschrieben. In der politischen Logik der Erzählung verkörpert Batseba im Zusammenhang von Davids Heiratspolitik die Jerusalemer Oberschicht. Sie steht außerdem für die Stabilität der Dynastie, indem sie die Mutter des Thronfolgers und späteren Königs Salomo wird. Das Vergehen an Batseba und Urija ist es aber auch, das den Bruch im Davidbild festhält. Gemeinhin wird der Tod des ersten Kindes auf diesem Hintergrund gedeutet. Das Kind, das noch aus der Verbindung Davids mit Batseba hervorging, die „böse war in den Augen JHWHs“, kann nicht in die Linie der Thronfolge eingehen. Doch trotz des Vergehens geht die Geschichte mit David und seiner Dynastie weiter, und ausgerechnet Batseba steht als erste Königsmutter an der Wiege der judäischen Dynastie. 36 Umso erstaunlicher ist es, dass die Lutherübersetzung von 2016 immer noch „David und Batseba“ als Überschrift über 2 Sam 11 setzt, während die Einheitsübersetzung von 2017 „David, Batseba und Urija“ titelt.
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In dieser Rolle wird sie vor allem in 1 Kön 1–2 gezeigt. 1 Kön 1,11–31 erzählt, wie Batseba vereint mit dem Propheten Natan in die Geschehnisse um die Thronfolge eingreift, als der alternde König David an politischer (und sexueller) Macht verliert. Batseba beruft sich – entsprechend dem Rat Natans – auf ein Versprechen, das David ihr gegeben habe: Salomo solle nach ihm auf dem Thron sitzen. Gleichzeitig berichtet sie David davon, dass Adonija sich bereits als König sieht und ein Fest veranstaltet, zu dem er allerdings Salomo (1 Kön 1,19, nach der Erzählstimme auch Natan, Benaja und „die Helden“, הגבורים, 1 Kön 1,10) nicht eingeladen hatte. Natan kommt wie besprochen hinzu und weist David ebenfalls auf Adonijas Verhalten hin, um ein klares Wort bezüglich der Thronfolge zu verlangen. David reagiert auf diese Intervention so, wie Natan es vorhergesehen hatte: Er bestätigt Salomo in der Thronfolge. Ebenso wie bei 2 Sam 11 gehen viele Exegeten auch in der Auslegung von 1 Kön 1 mit einer Hermeneutik des Verdachts an die Figur der Batseba – und in diesem Fall mit ihr auch an die Figur Natans – heran. Erstens sei Adonija nicht, wie es Natan „suggeriere“,37 bereits König geworden. Und zweitens sei „Davids Schwur bezüglich Salomo (13d–f) erfunden“, da es „für ihn wie für Batseba und Salomo […] spätestens jetzt um alles oder nichts [gehe]“.38 Doch diese für Natan und Batseba negative Interpretation ist nur eine unter mehreren möglichen. Syntaktisch ist es durchaus möglich, das הלואin 1 Kön 1,11 nicht als Hinweis auf eine rhetorische Frage, sondern als Einleitung einer Aussage zu lesen. „Die Worte Natans in V11 sind nicht als Suggestion zu verstehen, sondern als Zusammenfassung des Geschehens. Die Nachricht über Adonijas König-Sein stellt nacherzählte Realität dar.“39 Auch die Frage nach dem Schwur lässt sich nicht so eindeutig klären. Der Kontext lässt es gezielt im Unklaren, ob dieser Schwur ad hoc erfunden ist, um den altersschwachen König zum Umdenken und Eingreifen in die nun durch Fakten geschaffene Thronfolge zu bewegen, oder ob David tatsächlich Salomo für das Königtum bestimmt hat.40
Viele Ausleger_innen unterstellen Natan, gemeinsam mit Batseba den Schwur erfunden zu haben; doch auch die Interpretation als nachholendes, analep37 Georg Hentschel, 1 Könige (NEchtB 10; Würzburg: Echter, 1984), 21. 38 Ernst Axel Knauf, 1 Könige 1–14 (HThKAT; Wien: Herder, 2016), 130. 39 Till Magnus Steiner, Salomo als Nachfolger Davids: Die Dynastieverheißung in 2 Sam 7,11b–16 und ihre Rezeption in 1 Kön 1–11 (BBB 181; Göttingen: V&R unipress, 2017), 146f. 40 Irmtraud Fischer, „Salomo und die Frauen“, in Das Manna fällt auch heute noch: Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments: Festschrift für Erich Zenger (hg. v. Frank-Lothar Hossfeld und Ludger Schwienhorst-Schönberger; HBS 44; Freiburg i. Br.: Herder, 2004), 218–243; 220.
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tisches Erzählen ist möglich im Sinne dessen, dass eben erst jetzt Davids Schwur ins Spiel kommt, den er lange zuvor bereits geleistet hat.41 Batseba und Natan agieren jedenfalls ganz offen in ihrem eigenen Interesse, indem sie David in Richtung eines von ihnen als vorteilhaft imaginierten Handelns drängen; das ist unbestreitbar. Aber ihre Argumente – die Selbststilisierung Adonijas als König und der Schwur Davids – müssen deshalb noch nicht als Erfindungen und Lügen verurteilt werden. Auch nach Davids Tod interveniert Batseba noch einmal, allerdings zu Gunsten Adonijas, der sie darum bittet, bei Salomo darauf hinzuwirken, ihm Abischag von Schunem als Frau zu geben. Salomo interpretiert diesen Wunsch als erneuten Griff Adonijas nach der königlichen Macht und lässt den Rivalen daraufhin ermorden (1 Kön 2,13–25). Auch in dieser Passage lässt der Text die Leser_innen mit der Frage zurück, ob die Königsmutter gezielt in trigiert oder ohne weitere Hintergedanken das Ansinnen Adonijas weitergibt. Stefan Heyms Geschichtsschreiber Etan bleibt vor demselben Rätsel zurück, vor dem auch die Ausleger_innen der Samuel- und Königsbücher stehen: …war sie nichts weiter gewesen als das hilflose Weib eines Soldaten, das man gezwungen hatte, das Feuer in den königlichen Eingeweiden zu löschen, oder war sie Ursprung und Triebkraft all der Verbrechen, die auf die erste Sünde folgten, und hatte den König mittels ihres Leibs und der Frucht ihres Leibes dahin gebracht, daß nun ihr Sohn auf dem Thron saß …42
Die Gestalt der Batseba, wie sie in 1 Kön 1–2 dargestellt wird, ist interessanter, als die Frage nach ihrer Schuld und die Polarisierung von Opfer und Intrigantin vermuten lassen. Batseba ist die erste Frau in den biblischen Geschichtserzählungen, die in ihrer Rolle für den altorientalischen Hof bedeutsam ist. Die Königsmutter nimmt sowohl in der Hebräischen Bibel als auch an anderen altorientalischen Höfen eine besondere Position ein. In 1 Kön 2 wird diese Position durch die Handlungen signifikant beschrieben, die Salomo vollzieht, als Batseba zu ihm kommt: Batseba kam zu König Salomo, um mit ihm wegen Adonija zu sprechen. Der König erhob sich, ihr entgegen. Er fiel vor ihr nieder (לה )וישׁתחו, setzte sich auf seinen Thron und stellte einen Thron für die Mutter des Königs auf. Dann setzte sie sich zu seiner Rechten. (1 Kön 2,19) 41 So Steiner, Salomo, 147. 42 Stefan Heym, Der König David Bericht. Roman (Frankfurt a. M.: Fischer, 1984), 143. Siehe dazu ausführlicher Andrea Fischer, „Opfer oder Intrigantin: Zur mehrdeutigen Darstellung der biblischen Figur Batsebas in 2 Sam 11 und in literarischen Rezeptionen“, in Das Buch in den Büchern: Wechselwirkungen von Bibel und Literatur (hg. v. Andrea Polaschegg und Daniel Weidner; Paderborn: Fink, 2012), 69–84.
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Batseba ist die einzige Frau der Hebräischen Bibel, vor der eine Person die Proskynese vollzieht ()וישׁתחו. Dass das auch noch der König tut, zeigt den Stellenwert, den Batseba in dieser Rolle als Königsmutter hat. Dazu kommt, dass Salomo einen Thron für sie aufstellt. Allerdings – und hier sind die Erzählungen sehr präzise – wird diese Ehrenbezeugung nicht der Person zuteil. Die Namensnennung fehlt, Batseba wird mit ihrem Titel angesprochen: Mutter des Königs. Dass Salomo gegenüber Batseba die Proskynese vollzieht und einen Thron aufstellt, weist darauf hin, dass erst mit der Inthronisation durch Salomo diese Funktion installiert ist und Batseba in der Rolle agiert und wahrgenommen wird.
4.4
Tamar
Auf die Ankündigung Natans, das Unheil werde sich aus Davids eigenem Haus gegen ihn erheben (2 Sam 12), folgt die erste Gewalttat innerhalb der Familie. Tamar wird von ihrem Bruder Amnon vergewaltigt; als Reaktion darauf ermordet Abschalom, ein weiterer Sohn Davids, seinen Bruder (2 Sam 13). In der Erzählung von der Vergewaltigung Tamars sind mehrere Ebenen der Macht miteinander verschränkt und überlagern sich wechselseitig.43 Da ist zunächst die offensichtlichste Ebene der sexualisierten Gewalt eines Mannes, Amnon, gegen eine Frau, Tamar, die Ausdrucksform und Teil jener Macht ist, die die Geschlechterverhältnisse durchzieht. Das ist aber nur ein Teil des Gewalthandelns, das sich in komplexen familialen und politischen Strukturen bewegt. Als Bruder hat Amnon auch Macht über seine Schwester; innerfamiliale Strukturen sind im Rahmen einer patriarchalen Ordnung so konzipiert. Amnon kann von Tamar verlangen, ihm ein stärkendes Mahl zuzubereiten, und wird darin von seinem Vater David unterstützt. An dieser innerfamilialen Macht hat auch Abschalom Anteil, der seine Schwester zum Schweigen bringt und ihr im Gegenzug einen Platz in seinem Haus gibt (2 Sam 13,20). Selbstverständlich ist auch die Macht Davids gegenüber Tamar und seinen Söhnen Amnon und Abschalom, das verdeutlicht die Erzählung von der an die Gewalttat anschließenden Rache Abschaloms bei der Schafschur (2 Sam 13,23– 37). Bereits an dieser Stelle wird offensichtlich, dass auch die herrschaftspolitische Dimension eine Rolle spielt, wenn Söhne Thronfolger und potentielle Rivalen im Kampf um die königliche Macht sind. Durch die Ermordung Amnons wegen der Gewalttat gegen Tamar gelangt Abschalom in der Thronfolge an die erste Stelle. Unauflöslich sind hier innerfamiliale Konfliktlagen und machtpolitische Auseinandersetzungen miteinander verbunden. Das ist ein Kennzeichen der Davidserzählungen von Anfang bis Ende, von Michal bis Abischag: Sexualität, familiale Strukturen und Herrschaftsmacht greifen in43 Siehe zu dieser Erzählung Müllner, Gewalt.
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einander. Die Verflechtung der verschiedenen Felder und Ebenen, auf denen die permanenten Aushandlungsprozesse um gesellschaftliche Macht stattfinden, zeigt auf, dass ein vereinfachtes Schema der Macht von Männern über Frauen nicht ausreicht, um die in diesen Erzählungen reflektierten gesellschaftlichen Prozesse zu verstehen. Männer ebenso wie Frauen befinden sich an unterschiedlichen familialen, hierarchischen und ethnischen Positionen, sodass sie auch noch aufgrund ihrer sonstigen sozialen Einbindungen Zugang zur gesellschaftlichen Macht haben. Was bedeutet das für das Verständnis der Figur Tamars? Zunächst einmal ist wahrzunehmen, wie profiliert Tamar in dieser einen Erzählung, in der sie vorkommt, dargestellt wird. Insbesondere ihre eindrückliche Rede, mit der sie Amnons drohendes Gewalthandeln zu verhindern sucht, kennzeichnet sie als kluge Frau, die sich der Gefahr bewusst ist und alle Mittel des Widerstands ausschöpft. Tamar ist das einzige Opfer sexueller Gewalthandlungen in der Bibel, dem von der Erzählstimme eine Rede in den Mund gelegt wird. Ihre Rhetorik ist von einem hohen Selbstbewusstsein und einem Bewusstsein der Zugehörigkeit zu Israel als ethischer Wertegemeinschaft geprägt: „So tut man nicht in Israel!“ (2 Sam 13,12) Damit qualifiziert sie ihren Bruder nicht nur als Verbrecher ( נבלV13), sondern stellt ihn auch außerhalb Israels. Tamars Status als Königstochter birgt für ihre weitere Biographie enormes Potential,44 das durch den Gewaltakt abrupt zerstört wird. „Und Tamar wohnte zerstört im Haus ihres Bruders Abschalom“ – אחיה אבשׁלום בית ( ושׁממה2 Sam 13,20): Das Verb שׁמםwird mit „einsam bleiben“ (Einheitsübersetzung, Elberfelder, Lutherübersetzung 2016) nur unzureichend wiedergegeben. Die Übersetzung der Zürcher Bibel mit „vernichtet“ oder der Bibel in gerechter Sprache mit „völlig zerstört“ trifft hier viel eher zu. Doch auch der Gewaltakt gegen Tamar ist nicht nur im Horizont der Geschlechter- und der Familienverhältnisse zu interpretieren, sondern auch als Teil der herrschaftspolitischen Auseinandersetzungen. Tamar ist für Amnon anziehend, gerade weil sie als Tochter des Königs in den Bereich von Davids Verfügungsgewalt gehört. Mit dieser sexuellen Grundüberschreitung trifft Amnon nicht nur Tamar selbst, sondern auch seinen Vater, dessen Macht als pater familias er damit in Frage stellt. Amnons Angriff gilt auch der Autorität des Königs; ebenso wie Abschaloms Gewalttat nicht nur seinem Bruder, sondern auch seinem Konkurrenten in der Auseinandersetzung um die Thronnachfolge gilt. Because the monarchy occurs within an overarching patriarchal context, female characters also become visible indicators of power shifts through their objec44 Vgl. April D. Westbrook, „And He Will Take Your Daughters …“: Woman Story in the Ethical Evaluation of Monarchy in the David Narrative (LHBOTS 610; London: T&T Clark, 2015), 147.
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tification. In this paradigm, males may demonstrate power over each other by controlling the sexuality of women within their kinship groups.45
Diese Beschreibung der Machtkonstellationen kann als heuristisches Instrument für die Lektüre von 1 Sam–2 Kön genutzt werden, sie trifft aber besonders auf die Erzählung von Tamar und Amnon zu und auch auf die zehn Frauen Davids, die von Abschalom sexuell in Besitz genommen werden.
4.5
Die zehn Frauen Davids
Nach 2 Sam 16,20–23 werden Frauen im Kampf um die Herrschaftsmacht von Männern instrumentalisiert. Auch dort bemächtigt sich ein Königssohn Frauen, die zum Haus Davids gehören. Zehn Frauen werden – so erzählt es 2 Sam 15,16 und der Ratgeber Ahitofel greift es in 2 Sam 16,21 wieder auf – bei Davids Flucht vor Abschalom in Jerusalem zurückgelassen, „um das Haus zu bewachen“. Damit werden sie, metonymisch für das Haus, gleichzeitig exponiert und gefährdet, stehen für die Vulnerabilität dieses Hauses und verlieren dabei sowohl ihre körperliche Integrität als auch ihren sozialen Status (2 Sam 20,3). The overt vulnerabilty of these women to the political machinations of both David and Absalom displays the magnitude of abusive lust for power that exists intrinsically within a monarchy. Here again, the text continues the pattern of portraying female characters in order to reveal dramatically the high human cost of kingship.46
Abschalom schläft mit diesen Frauen „vor den Augen ganz Israels“ (2 Sam 16,21), wodurch die Beschämung Davids öffentlichen Charakter bekommt: Israel soll sehen, dass Abschalom die Rolle des Königs einnimmt und David verdrängt – politisch und sexuell. Diese öffentliche Disruption des davidischen Hauses ist auch schon Teil der Natansweissagung in 2 Sam 12,12. Mit Sicherheit wird man auf der Basis der biblischen und der weiteren altorientalischen Quellenlage nicht von einem Ritual sprechen können, das die sexuelle Usurpation des „Harems“ mit der Machtübernahme verbindet. Solche Vorstellungen, wie überhaupt die Rede von einem „Harem“ an alt orientalischen Höfen, bedienen westlich-orientalistische Klischees.47 Die Präsenz von Frauen an altorientalischen Höfen ist vielgestaltig; sie nehmen viele 45 Ebd., 26. 46 Ebd., 190. 47 Zur Kritik am Konzept „Harem“ als unterschieden vom Hof (und gekennzeichnet durch Müßigkeit und Langeweile) siehe Elna K. Solvang, A Woman’s Place is in the House: Royal Women of Judah and their Involvement in the House of David
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Funktionen wahr, nur ein Teil davon hat etwas mit Sexualität zu tun.48 Bei einem Machtwechsel sind alle zum Hof gehörigen Männer und Frauen betroffen, die Verfügungsgewalt wechselt. Im Übergang von Saul zu David etwa suchen mehrere Funktionsträger_innen eine neue Position – das Verhalten von Abner, auch in Bezug auf Sauls Nebenfrau Rizpa, das in 2 Sam 3 erzählt wird, ist dafür ebenso ein Beispiel wir Adonijas Bitte an Salomo, ihm Abischag zur Frau zu geben (1 Kön 2). Hier liegt m. E. der Schlüssel zum Verständnis der Erzählung von Abschalom und den Nebenfrauen seines Vaters David: Die sexuelle Handlung, die Abschalom hier vornimmt, ist weder ein Ritual noch gehört sie quasi zeremoniell zur Machtübernahme (sonst wäre der Rat des Ahitofel nicht nötig). Dennoch ist Abschaloms Tat ein Zeichen, das alle verstehen. Abschalom nimmt die Stelle seines Vaters ein, seine sexuelle Macht wird hier zum Zeichen für die politische Macht.
4.6
Rizpa
Im Kontext der Machtübernahme Ischbaals nach dem Tod Sauls wird Rizpa erwähnt. Sie ist Gegenstand eines Vorwurfs des neuen, aber machtlosen Königs, an den mächtigen und erfahrenen Feldherrn Abner (2 Sam 3,7). Ischbaal interpretiert dessen sexuelles Verhältnis mit Rizpa als Angriff auf sein Königtum.49 Prominenter als diese Szene ist aber jene in 2 Sam 21, in der Rizpa eine sehr bemerkenswerte und aktive Rolle spielt. Martin Buber vergleicht sie mit Antigone.50 Rizpa hält die Totenwache für jene Nachkommen Sauls (von Merab oder Michal, s. o.), die David unter Auflage eines Bestattungsverbots (JSOTSup 349; London: Sheffield Academic, 2003), 51–71; Svärd, Women, 109–120, und den Beitrag von Maria Häusl in diesem Band. 48 Siehe Sarah C. Melville, „Royal Women and the Exercise of Power in the Ancient Near East“, in A Companion to the Ancient Near East (hg. v. Daniel C. Snell; Blackwell Companions to the Ancient World: Ancient History; Malden/Mass.: Blackwell, 2005), 219–228; Solvang, Woman’s Place; Svärd, Women. 49 Erin E. Fleming, „Casting Aspersions, Writing a Kingdom: Sexual Slander and Political Rhetoric in 2 Sam 3:6–11, 2 Sam 6:16; 20–23, and 1 Kgs 2:13–25“, VT 67 (2017): 414–431, stellt einen Zusammenhang mit zwei anderen Szenen her, in denen sexuell konnotiertes Verhalten in politischem Kontext negativ interpretiert wird. 50 Martin Buber, „Weisheit und Tat der Frauen“, in ders., Kampf um Israel: Reden und Schriften (1921–1932) (Berlin: Schocken, 1933), 107–114; 114. Zur Verbindung zwischen Antigone und Rizpa siehe Friedhelm Hartenstein, „Solidarität mit den Toten und Herrschaftsordnung: 2 Samuel 21,1–14 und 2 Samuel 24 im Vergleich mit dem Antigone-Mythos“, in Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? (Psalm 8,5): Aspekte einer theologischen Anthropologie: Festschrift für Bernd Janowski zum 65. Geburtstag (hg. v. Michaela Bauks, Kathrin Liess und Peter Riede; NeukirchenVluyn: Neukirchener Verlag, 2008), 123–143.
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hat töten lassen. Gegen die Schändung der exponierten Leichen durch Tiere beschützt Rizpa unter Einsatz ihres Lebens die Toten über mehrere Monate hinweg (2 Sam 21,10).51 Selbst David ist von diesem Handeln beeindruckt und lässt schließlich die Leichname der getöteten Sauliden gemeinsam mit den Gebeinen Sauls und Jonatans bestatten. Rizpas Wache bewirkt die Lösung von Schuldzusammenhängen. Das wird in der narrativen Theologie der Samuelbücher durch das Einsetzen des zuvor lange ausbleibenden Regens zum Ausdruck gebracht. Die Schuld Davids, Saul, dem toten „Gesalbten JHWHs“, nicht den angemessenen Platz eingeräumt zu haben, und eine Schuld Sauls gegen die Gibeoniten werden gesühnt. Rizpas Widerstand lässt sich in diesem Horizont einer konstellativen Anthropologie52 nicht nur als Handeln in der erzählten Welt verstehen, sondern bezieht darüber hinaus jene Funktionen mit ein, die die königlichen Frauen in den Samuelbüchern einnehmen. Wenn es stimmt, dass sie als besondere Repräsentantinnen des Hauses, der Dynastie verstanden werden, dann sorgt Rizpa mit ihrer Tat dafür, dass das Haus Sauls, das mit der Ermordung der letzten saulidischen Nachkommen (mit Ausnahme von MeribBaal) vollständig ausgelöscht wurde, auf der symbolischen Ebene in der Mitte Israels präsent bleibt. Rizpa lebt in geradezu übermenschlicher Weise ihr Leben, indem sie ganz in ihrer Konstellation aufgeht. Hier ist sie wirklich eine Schwester der Antigone. Als Nebenfrau Sauls lässt sie die Vernichtung ihrer Familie über den Tod hinaus nicht zu.53
4.7
Abischag von Schunem
Mit dem Ende der politischen und der sexuellen Macht Davids ist Abischag von Schunem verbunden. Sie ist es, die dem alten David an die Seite gegeben wird, um für ihn eine סכנתzu sein. Das Wort meint ein Verwaltungsamt am Hof, dessen genaues Aufgabenfeld unbestimmt bleibt.54 Auch die anderen für Abischags Funktion verwendeten Begriffe weisen auf ein Amt hin, die Er51 Johannes Schnocks, „Ehrenvolle Bestattung als soziale Auferstehung: Anthropologische und theologische Dimensionen der Rizpaerzählung (2 Sam 21)“, in Sterben über den Tod hinaus: Politische, soziale und religiöse Ausgrenzung in vormodernen Gesellschaften (hg. v. Claudia Garnier und Johannes Schnocks; Religion und Politik 3; Würzburg: Ergon-Verlag, 2012), 206–218; 213. 52 Diesen Ansatz (s. o.), zieht Schnocks, „Bestattung“, zur Interpretation der RizpaErzählung heran. 53 Schnocks, „Bestattung“, 217. 54 Vgl. Maria Häusl, Abischag und Batscheba: Frauen am Königshof und die Thronfolge Davids im Zeugnis der Texte 1 Kön 1 und 2 (ATSAT 41; St. Ottilien: EOS, 1993), 242. Sie hat für diesen Kontext und etymologisch gestützt nachgewiesen, dass es sich
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wähnung des Herkunftsorts lässt an „hochgestellte Frauen am Königshof“55 denken. Im vorliegenden Kontext werden aber mehrere sexuelle Konnotationen wachgerufen: Die Schönheit der jungen Frau wird zwei Mal betont; sie soll in seinem Schoß ( )בחיקךliegen; und schließlich stellt die Erzählung fest: „Der König erkannte sie nicht.“ (1 Kön 1,4) Die fehlende sexuelle Potenz Davids wird zum Thema gemacht, direkt bevor sein Sohn Adonija mit Ansprüchen auf das Königtum auftritt. Die Verbindung der Ansprüche auf das Königtum mit dem Verlangen, Abischag von Schunem zur Frau zu bekommen, wird Adonija zum Verhängnis. Er tritt an die Königsmutter Batseba mit der Bitte heran, für ihn bei Salomo zu intervenieren, dieser möge ihm Abischag zur Frau geben. Offenbar ist Abischag nach dem Tod Davids in den Verfügungsbereich des nächsten Königs übergegangen, von dem Adonija sie nun erbitten kann. Doch die Intervention scheitert – ob Batseba hier interveniert oder intrigiert, lässt der Text offen (s. o.). Adonija steht in einer Reihe mit anderen Feinden Salomos, die im Kontext seines Machtantritts ermordet werden. Auch in diesem Handlungsverlauf ist die Verbindung von Sexualität und Herrschaftspolitik deutlich präsent, allerdings in ihrer Negation. David ist in krassem Gegensatz zur bisher erzählten Lebensgeschichte in der gesamten Passage durch Nicht-Handeln gekennzeichnet. Abischag von Schunem steht also für den Machtverlust des Königs, der sich in seiner fehlenden sexuellen Potenz ausdrückt.
4.8
Frauen um Salomo
Auch unter Salomo wird die Verbindung von Heirats- und Machtpolitik fortgesetzt. Allerdings treten Frauen hier – anders als in den Erzählungen um Saul und David – ausschließlich als ausgearbeitete Figuren in Erscheinung, die gerade nicht die Frauen des Königs sind: die Königsmutter Batseba, die beiden Frauen, die Salomo zu seinem berühmten Urteil veranlassen und die Königin von Saba. Worauf es ankommt, sind offensichtlich nicht einzelne Frauenfiguren, die Salomos Regierung in einer Weise bestimmen würden, wie sie dies bei seinem Vater David tun, sondern die große Zahl der Frauen und ihre Herkunft aus allen Nachbarvölkern (11,1–3).56
hier um eine Funktionsbezeichnung handelt. Die immer wieder gängige Übersetzung mit „pflegen“ trägt ein Gender-Vorurteil ein, das vom Text nicht gedeckt ist. 55 Häusl, Abischag, 239. 56 Fischer, „Salomo“, 237.
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Dennoch sind auch für die Regierungszeit Salomos die Frauen des Königs relevant. Da ist zunächst die „Tochter des Pharao“ ()בת־פרעה, die Salomo heiratet. Sie wird an vier Stellen in 1 Kön erwähnt und stellt eine höchst ambivalente Verbindung zu Ägypten her. Zunächst tut Salomo außenpolitisch das, was sein Vater innenpolitisch getan hatte. Er wird Schwiegersohn ( )חתןeines Königs, in diesem Fall des Pharao, und sichert damit seine Macht (1 Kön 3,1). Auch in anderen historischen Kontexten des Alten Orients lässt sich die Bedeutung königlicher Heiratspolitik nachweisen, „as royal marriages were an important diplomatic tool.“57 Allerdings deutet der Kontext der Aussagen über die Pharaonentochter an, dass dieser Schritt kritisch zu sehen ist. In 1 Kön 3,1; 7,8; 9,24 geht es um Salomos Baumaßnahmen. Die salomonische Pracht ist damit erkauft, dass sich dieser König an Ägypten orientiert, an jenen Strukturen der Sklaverei, die ein König nach Dtn 17,16 zu vermeiden hat. Der Hinweis auf Salomos Wagen und Reiter, auf das zahlreiche Silber und die Pferde aus Ägypten (1 Kön 10,26–29) geht in die gleiche Richtung. Explizit wird diese kritische Tendenz da, wo die „vielen anderen fremden Frauen“ (רבות נכריות נשׁים, 1 Kön 11,1) zur Sprache kommen, die Salomo liebt. Auch hier ist ein Verstoß gegen das dtn Königsgesetz zu erkennen, der narrativ noch weiter entfaltet wird. Salomos Entwicklung im Alter wird mit dem Abfall zu anderen Gottheiten in Verbindung gebracht – aus der Per spektive deuteronomistischer Geschichtsdarstellung die Ursünde schlechthin. Nach 1 Kön 11 sind es gerade die Frauen, die aus den verschiedenen Ländern und Nachbarvölkern kommen und die ihre eigenen Gottheiten und religiösen Praktiken mitbringen, die Salomo in diese Richtung drängen. Diese Argumentationslinie wird von den Polemiken gegen die Ehen mit nichtjudäischen Frauen in Neh 13,26 wieder aufgegriffen. Salomos Frauen, die Tochter des Pharao ebenso wie die Vielzahl jener Frauen, die nur im Plural genannt werden, sind negativ konnotiert. Salomos Frauen sind nicht nur als großer Harem zu verstehen, der einen mächtigen orientalischen Herrscher auszeichnet; schillernd figurieren sie auch als Teil jener stereotyp-misogynen Metapher, die den Verstoß gegen den Ausschließlichkeitsanspruch JHWHs mit der weiblichen Verführbarkeit zu Fremdgottheiten ins Bild setzt.58
Weniger einlinig, sondern in einer je eigenen Profilierung werden die Frauen gezeichnet, die als Salomos Gegenüber auftreten: Das sind zunächst seine Mutter Batseba, die sehr deutlich ihre Interessen verfolgt (s. o.), und die beiden Frauen, die als Katalysatoren von Salomos Weisheit (1 Kön 3) sein Urteil 57 Svärd, Women, 88. 58 Fischer, „Salomo“, 238.
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herausfordern. Auch sie werden negativ dargestellt und dienen als Folie, vor der Salomos positive Qualitäten umso klarer hervortreten. Auch die Königin von Saba ist eine im Horizont der Erzählung höchst bedeutsame Frauenfigur, bestätigt sie doch mit ihrem „Evaluierungsbesuch“59 Salomos Ansehen.
5.
Frauen und Macht
Ältere Publikationen „treated women as an isolated category, separate from general history, that is, male history.“60 Was Saana Svärd über Publikationen aus dem Bereich der Altorientalistik sagt, die Frauen zum Thema machen, gilt auch für das Feld alttestamentlicher Wissenschaft. Die Herausforderung, die Textbereiche wie die Erzelternerzählungen der Genesis und die Samuelbücher der gender-orientierten Wissenschaft stellen, ist zunächst die hohe Präsenz, die Frauen in diesen Erzählwerken haben. Im Rahmen einer patriarchal strukturierten Geschichtsschreibung und Erzählkultur ist die schiere Quantität auffällig und sucht nach Erklärungen. Während traditionelle Ansätze die Frauenfiguren mitsamt den mit ihnen verbundenen Erzählungen ins Reich der Irrelevanz verweisen, suchen vor allem feministisch orientierte Wissenschaftler_innen nach hermeneutischen Schlüsseln, mit denen sie die Frauenerzählungen als integralen Bestandteil der jeweiligen Textkomplexe betrachten.61 In Bezug auf die Samuelbücher wurden in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Erklärungsansätzen vorgebracht, die die hohe Präsenz von Frauen in der Historiographie der Samuelbücher thematisieren. Diese Ansätze liegen auf unterschiedlichen Ebenen und betreffen sowohl die literarische Darstellung als auch die erzählte Welt oder aber die Welt der Textentstehung. Einigkeit besteht unter den Ausleger_innen in der Bewertung der politischen Signifikanz der Frauendarstellungen. Es geht also nicht darum, separate Frauengeschichte zu rekonstruieren, sondern die Frauenfiguren im gesellschaftlichen Kontext der erzählten Welt und/oder der Welt der Textentstehung zu 59 Fischer, „Menschheitsfamilie“, 196. 60 Svärd, Women, 8. Siehe zur Gestalt der Rizpa auch Elisabeth C. Miescher, „Und Rizpa nahm den Sack“: Trauer als Widerstand. Eine kaum bekannte Heldin der hebräischen Bibel (Bibelstudien 2; Wien: LIT, 2008); Georg Hentschel, „Die Auslieferung der Sauliden und Rizpas Wache (2Sam 21,1–14)“, in Seitenblicke: Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch (hg. v. Walter Dietrich; OBO 249; Fribourg: Academic Press, 2011), 168–187; Luise Metzler, Das Recht Gestorbener: Rizpa als Toralehrerin für David (TFFE 28; Berlin: LIT, 2015). 61 Vgl. die sehr pointierte Titelformulierung von Irmtraud Fischer, „Den Frauen der Kochtopf – den Männern die hohe Politik? Zum Klischee der Geschlechterrollen in der Bibelauslegung am Beispiel der Erzeltern-Erzählungen“, CPB 108 (1995): 134– 138.
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begreifen. Als common sense kann mittlerweile gelten, dass es sich bei den Erzählungen, in denen Frauen eine wichtige Rolle spielen, nicht um Privates handelt, sondern dass nach der politischen Funktion dieser Geschichten gesucht werden muss. Auch wenn wir sie als „Court History“ charakterisieren, ist sie keine antike Regenbogenpresse, es geht weder dem Verfasser noch den von ihm ins Auge gefassten Adressaten um die Frage, ob und warum David ein Frauenheld war, sondern es geht offenbar um Entwicklungen des Königtums, zu deren Verständnis diese Frauengeschichten den Schlüssel liefern. Allerdings müssen die modernen Leser diesen Schlüssel wohl sorgfältiger suchen als die ursprünglichen Adressaten.62
Die Bandbreite der Deutungsansätze ist groß. Sie reicht von der literargeschichtlichen Verortung weiter Teile des Textbestands in einer Autorinnengruppe um Batseba63 über die Interpretation der Frauen als Sicherungsfaktoren von Davids Macht in den unterschiedlichen Bereichen des Königtums,64 der Verhältnisbestimmung von Familie und Politik als Allegorie65 bis hin zu einem Verständnis der Frauen als Symbolgestalten für das Volk Israel.66 Alle diese Ansätze lassen Fragen offen. Erkenntnisse aus der historischen Anthropologie, wie sie vor allem in den letzten 15 Jahren entwickelt worden sind, können hier die Funktion eines Brückenschlags übernehmen. Der Ansatz einer konstellativen Anthropologie weist auf mehrere Aspekte des hebräischen Menschenbilds hin, die für das neuzeitlich-moderne Denken ungewöhnlich sind. Die Historisierung basaler anthropologischer Konzepte wie Körper, Liebe, Familie oder Nachkommenschaft erweist sich oft als mühsames Unterfangen, weil der historische Blick Konzepte gegenwärtigen Denkens in Frage stellt, die so selbstverständlich sind, dass sie als vermeintlich naturgegeben erscheinen. Vorstellungen von Ehe, Privatheit und Liebe zeigen ihr sozial konstruiertes Gesicht gerade dann, wenn wir sie mit der Lektüre antiker, altorientalischer Texte konfrontieren – wobei an dieser Stelle sogar ein Blick in die Zeiten vor dem 19. Jh. in Euro62 Ina Willi-Plein, „Frauen um David: Beobachtungen zur Davidshausgeschichte“, in Meilenstein: Festgabe für Herbert Donner zum 16. Februar 1995 (hg. v. Manfred Weippert und Stefan Timm; ÄAT 30; Wiesbaden: Harrassowitz, 1995), 349–361; 352. 63 Ferdinand Ahuis, Das „Großreich“ Davids und die Rolle der Frauen: Eine Untersuchung zur Erzählung von der Nachfolge auf dem Thron Davids (2. Sam *10–20: 1. Kön *1–2) und ihrer Trägerinnengruppe (BThSt 83; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2007), bes. 105–118. 64 Willi-Plein, „Frauen“. 65 Joel Rosenberg, King and Kin: Political Allegory in the Hebrew Bible (ISBL; Bloomington: Indiana University Press, 1986). 66 Westbrook, Daughters.
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pa ausreichen würde, um die historische Gewordenheit gegenwärtig vorherrschender Konzepte aufzuzeigen. Mit dem konstellativen Personbegriff weist v. a. Bernd Janowski darauf hin, dass das, was wir als die personale Identität des Menschen bezeichnen, auf dem komplexen Zusammenspiel von Körperbild und Sozialstruktur [beruht]. […] Die personale Identität kommt danach nicht durch eine die Selbst- und Außenwahrnehmung steuernde „Rationalität“, sondern durch Konstellationen zustande.67
Auch Individualität wird in der Antike nicht als Singularität konzipiert, sondern in engem Zusammenhang mit gesellschaftlicher Einbindung und Positionierung gefasst.68 Das Urteil der älteren Forschung, dass Frauen am Königshof Macht ausschließlich aufgrund ihres Verwandtschaftsstatus und nur in Form von persönlicher Macht, nicht aber als Beteiligung an der hierarchischen Macht zukomme, ist daher zurückzuweisen.69
Eine solche Sichtweise konnte nur zustande kommen, weil man das Verhältnis von Familie und politischer Herrschaft unzureichend bestimmte und mit dem bürgerlichen Blick der Moderne Frauen der Familiensphäre zuwies. Aber auch die Herrschaftsmacht von Männern ist an ihre familiale Rolle gebunden, wenn ein Königssohn den Amtstitel erbt. Männliche ebenso wie weibliche Hofmitglieder werden in der erzählenden Literatur immer wieder über ihre Verwandtschaftsverhältnisse mit dem König, aber auch untereinander beschrieben (vgl. etwa 2 Sam 13,3: Jonadab als Neffe Davids; die „Söhne der Zeruja“, die in 1 Chr 2,16 auch verwandtschaftlich mit David verbunden sind). Erzählerisch wird auf diese Weise der hohe Stellenwert von Verwandtschaftsverhältnissen deutlich gemacht, der zwar nicht geschlechtsspezifisch gebunden, aber durch den Fokus auf den Raum Familie ein Faktor ist, der die hohe erzählerische Präsenz von Frauen in den Königserzählungen ermöglicht. Das dynastische Königtum ist ein sozialer Raum, in dem Frauen und Männer Macht ausüben. Die „Machtpartizipation“70 von Frauen hat auch mit ihren 67 Janowski, „Konstellative Anthropologie“, 66f. 68 Vgl. die Beiträge in Jürgen Van Oorschot und Andreas Wagner, Hg., Individualität und Selbstreflexion in den Literaturen des Alten Testaments (VWGTh 48; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2017), bes. Bernd Janowski, „Persönlichkeitszeichen: Ein Beitrag zum Personverständnis des Alten Testaments“, ebd., 315–340, und Sara Kipfer, „David – ‚Individualität‘ einer literarischen Figur in 1Sam 16–1Kön 2“, ebd., 149–181; bes. 149–157. 69 Maria Häusl, „Frauen am Königshof“, in diesem Band. 70 Willi-Plein, „Frauen“, 361.
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reproduktiven Funktionen zu tun, sie beschränkt sich aber nicht darauf. Wenn Salomo für die Tochter des Pharao ein Haus bauen lässt, dann ist von einer eigenständigen Ökonomie auszugehen, die einigen Königsfrauen und auch der Königsmutter am judäischen Hof zukam, wie es Vergleiche aus dem assyrischen Großreich nahe legen.71 Königliche Macht beschränkt sich nicht auf den einzelnen Herrscher, sondern ist eingesponnen in ein politisches und damit auch militärisches, ökonomisches und religiöses Machtnetz, in dem Frauen unterschiedliche Positionen einnehmen. Ein solches Bild königlicher Macht, das eher von verwobenen Strukturen als vom Bild der Pyramide ausgeht,72 ist zunächst im sozialen Feld der judäischen Dynastie entstanden. Die Königszeit mit ihren sehr ambivalenten politischen Erfahrungen ist ein erster Kontext, in den hinein ein Großteil der hier verhandelten Geschichten erzählt wurde. Doch die Zentralstellung der Familie im Kontext der Etablierung königlicher Macht, wie sie in diesen Erzählungen entworfen wird, ist auch in nachexilischer Zeit anschlussfähig. Sie bietet die Möglichkeit, das entstehende Königtum positiv zu würdigen und gleichzeitig seine kritischen Seiten als von Anfang an gegeben und damit zur Institution gehörig zu präsentieren. Zudem stellt die nachexilische Zeit mit ihrer Fokussierung der Familie als Bezugsrahmen judäischer Identität und der damit einhergehenden demokratisierenden Lektüremöglichkeit der Erzählungen einen neuen Resonanzraum für jene Geschichten dar, in denen die Familie im Fokus steht – auch wenn es sich dabei um die besonderen Familien der ersten Könige handelt. Der Prozess einer Demokratisierung der königlichen Figuren, der sie als Gestalten, mit denen ganz Israel und Juda in einen narrativen Identifikationsprozess gehen können, sichtbar werden lässt, ist Teil der erzählerischen Verarbeitungsstrategie in der nachexilischen, königslosen Zeit.73 Diese Strategie ist nicht nur implizit – anhand von Überlegungen zu potentiellen historischen Resonanzräumen der Samuel- und Königsbücher – zu rekonstruieren, sondern zeigt sich explizit in der Davidisierung des Psalters, insbesondere in den 13 biogra71 Solvang, Woman’s Place, 16–71; Svärd, Women, 61–74. 72 Svärd, Women, passim, spricht im Anschluss an Michel Foucault von heterarchischer Macht im Unterschied zur Hierarchie. 73 Diese nachexilische Bewegung einer Bewahrung des Dynastiekonzepts bei gleichzeitiger Demokratisierung der Königsfamilie in einer Epoche, die keinen König mehr kennt, wird etwa in der Chronik sichtbar. „Insofern ist das ‚Davidshaus‘ nichts anderes als ein Sonderfall der oben charakterisierten chronistischen Rede vom אבות בית. Wenn man von ‚Dynastie‘ sprechen will, dann ist das chronistische Israel voll von solchen ‚demokratisierten‘ Dynastien.“ Thomas Willi, „Gibt es in der Chronik eine ‚Dynastie Davids‘? Ein Beitrag zur Semantik von “בית, in „… der seine Lust hat am Wort des Herrn!“: Festschrift für Ernst Jenni zum 80. Geburtstag (hg. v. Jürg Luchsinger, Hans P. Mathys und Markus Saur; AOAT 336; Münster: Ugarit-Verlag, 2007), 393–404; 402f.
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phischen Überschriften,74 die als Einladung an alle Betenden gelten können, sich die Stimme Davids zu Eigen zu machen. Sie liegen auf einer Linie mit der Öffnung der Königsfamilie für die allgemeine Identifikation der Leserinnen und Leser. Dies stellt eine Möglichkeit dar, die Erinnerung an das Königtum in nachexilischer Zeit auch produktiv zu nutzen und lebendig zu halten.
74 Vgl. Ilse Müllner, „Gottesdeuter und Musiktherapeut: David und die Psalmen“, WUB 21/4 (2016): 34–39.
Frauen am Königshof – ihre politische, wirtschaftliche und religiöse Bedeutung im Zeugnis der Vorderen Prophetie Maria Häusl Technische Universität Dresden
Feministische Exegese begann wie historische Frauenforschung mit Studien zu großen biblischen Frauen.1 Sie deckte dabei die mit diesen Frauengestalten verknüpften Stereotypen auf, die eine androzentrisch perspektivierte Forschung verfestigt hatte. Schon bald wurde das Ziel aber dahingehend erweitert, alle Frauen in der Bibel sichtbar zu machen.2 Hierzu gehörten auch die Königinnen und Königsmütter, die daher ein frühes Thema in der feministischen Exegese waren.3 Untersucht wurden der soziale Status dieser Frauen 1
Vgl. Luise Schottroff, Silvia Schroer und Marie-Theres Wacker, Feministische Exegese: Forschungserträge zur Bibel aus der Perspektive von Frauen (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995), 25f. 2 Vgl. Schottroff/Schroer/Wacker, Feministische Exegese, 29–33. Meine Dissertation ist dieser Phase zuzurechnen: Maria Häusl, Abischag und Batscheba: Frauen am Königshof und die Thronfolge Davids im Zeugnis der Texte 1 Kön 1 und 2 (ATSAT 41; St. Ottilien: EOS-Verlag, 1993). Saana Svärd, Women and Power in Neo-Assyrian Palaces (SAAS 23; Helsinki: Neo-Assyrian Text Corpus Project, 2015), 8, bezeichnet diese Herangehensweise als 1. Welle in der Altorientalistik. 3 Georg Molin, „Die Stellung der Gebira im Staate Juda“, ThZ 10 (1954): 161–175; Herbert Donner, „Art und Herkunft des Amtes der Königinmutter im Alten Testament“, in ders., Aufsätze zum Alten Testament aus vier Jahrzehnten (BZAW 224; Berlin: de Gruyter, 1994), 1–24; Ihromi, „Die Königinmutter und der ‘Amm Ha’arez im Reich Juda“, VT 24 (1974): 421–429, Niels-Erik A. Andreasen, „The Role of the Queen Mother in Israelite Society“, CBQ 45 (1983): 179–194; Zafrira Ben-Barak, „The Queen Consort and the Struggle for Succession to the Throne“, in La femme dans le Proche-Orient antique: Compte rendu de la XXXIIIe Rencontre Assyriologique Internationale (hg. v. Jean-Marie Durand; RAI 33; Paris: Ed. Recherche sur les Civilisations, 1987), 33–40; Ders., „The Status and Right of the Gebîra“, JBL 110 (1991): 23–34; Susan Ackerman, „The Queen Mother and the Cult in Israel“, JBL 112 (1993): 385–401; Ktziah Spanier, „The Queen Mother in the Judaean Royal Court: Maacah – A Case Study“, in A Feminist Companion to Samuel and Kings (hg. v. Athalya Brenner; FCB 5; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1994), 186–195; Renate Jost, Frauen, Männer und die Himmelskönigin: Exegetische Studien (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1995), 137–146; Dies., „Königin (AT) [Juli 2012]“, in Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, online: https://www.bibelwissenschaft. de/stichwort/23736/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]; Dies., „Königinmutter [Mai 2008]“, in Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, online: https://www.
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und das Amt der „Königinmutter“ in einem als Patriarchat beschriebenen Machtgefüge. Gegenüber dieser älteren feministischen Forschung sind heute die Quellen der altorientalischen (= ao.) Vergleichskulturen besser bearbeitet, die Kategorie Geschlecht wird nicht mehr isoliert, sondern als intersektional verschränkt betrachtet, und Machtausübung wird differenzierter beschrieben. Daher ist mit einer kurzen Beschreibung des Königtums in Israel und der Formen von Partizipation und Machtausübung zu beginnen, ehe die Frauen am Königshof, ihre Funktionen sowie ihre Abhängigkeiten in der königlichen Verwaltung beleuchtet werden.
1.
Königtum in Israel
Eine entwickelte Staatlichkeit lässt sich erstmals im 9. Jh. v. Chr. und zwar im Nordreich Israel nachweisen. Dort [erst] kommt es allmählich politisch zur zentral organisierten institutionellen Herrschaft mit Sanktionsgewalt, Beamtenapparat, Militärwesen, Justizorganisation, Steuer- und Abgabenwesen, öffentlichen bzw. öffentlich finanzierten Bauten, staatlich ökonomischem Handeln und zunehmend zentralisierter Staatsreligion sowie soziologisch zur Ausbildung einer stärker stratifizierten Gesellschaft.4
Christian Frevel nennt damit die wichtigsten Aspekte einer zentral ausgeübten Macht. Symbolisiert und repräsentiert wird diese zentrale Macht letztlich durch den König, ausgeübt wird sie jedoch durch verschiedene Gruppen. Wir wissen von verschiedenen Beamten, dem Militär und der königlichen Familie. Dabei ist die Machtausübung durch die königlichen Familienmitglieder nicht ausschließlich durch die Verwandtschaft mit dem König begründet. Auf das verwandtschaftsbasierte „chiefdom“ als Vorläufer des Königtums in Israel zurückgehend, besitzen Familienmitglieder institutionelle Macht, die sie durch die Übernahme von Aufgaben in der Verwaltung, des zentralen Kultes5 oder der symbolischen Ordnung wahrnehmen. Vor allem bei einer dynastischen Herrschaftsform sind die „Mitglieder der königlichen Familie … an der politischen Herrschaft beteiligt, der familiale Status gerät im Fall von Gebirah
4 5
bibelwissenschaft.de/stichwort/23748/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]; Anna Christine Kiesow, Löwinnen von Juda: Frauen als Subjekte politischer Macht in der judäischen Königszeit (TFFE 4; Münster: LIT, 2000). Vgl. Christian Frevel, Geschichte Israels (KStTh 2; Stuttgart: Kohlhammer, 2016), 95. Vgl. das Siegel der Isebel für das 9. Jh. v. Chr., ab dem 8. Jh. v. Chr. die Siegel mit den Titeln „Sohn des Königs“ bzw. „Tochter des Königs“.
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(judäische Königsmutter), Königssohn und Königstochter in die Nähe eines BeamtInnentitels.“6 Um die Macht der Frauen am Königshof beschreiben zu können, sind daher alle Felder, in denen zentralisierte Regierungsgewalt ausgeübt wird, zu berücksichtigen: Militärwesen, Politik, Rechtsorganisation, Verwaltung, Steuer- und Abgabenwesen, Wirtschaft, Staatsreligion und symbolische Macht.7 Es ist nicht nur nach „Ämtern“ zu suchen, sondern neben hierarchischer Macht, die den Frauen aufgrund ihres Status oder einer Funktion in den oben genannten Bereichen zukommt, auch heterarchisch ausgeübte Macht in den Blick zu nehmen, die nach Saana Sväred in „reciprocal power, petition, negotiation, resistance, persuasion“ und „nets of communication“ zum Ausdruck kommt.8 Das Urteil der älteren Forschung, dass Frauen am Königshof Macht ausschließlich aufgrund ihres Verwandtschaftsstatus und nur in Form von persönlicher Macht, nicht aber als Beteiligung an der hierarchischen Macht zukomme, ist daher zurückzuweisen. Es bleibt allerdings das Problem, dass wir aufgrund der dürftigen Quellenlage und der in einzelnen Texten zu findenden negativen Wertung der Herrschaft durch Frauen kaum zwischen der persönlichen Machtausübung, die erfolgreich und geschickt oder problematisch sein kann, und der den Frauen zukommenden institutionellen Macht unterscheiden können.
6
Vgl. Ilse Müllner und Carsten Jochum-Bortfeld, „Königtum“, in Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel (hg. v. Frank Crüsemann et al.; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2009), 301–306; 302. 7 Elna K. Solvang, A Woman’s Place is in the House: Royal Women of Judah and their Involvement in the House of David (JSOTSup 349; London: Sheffield Academic Press, 2003), nennt „access, industry, cult, service to the kingdom“ und „dynasty“. 8 Vgl. Svärd, Women, 147–169; Dies., „Women, Power and Heterarchy in the NeoAssyrian Palaces“, in Organization, Representation, and Symbols of Power in the Ancient Near East: Proceedings of the 54th Rencontre Assyriologique Internationale (hg.v. Gernot Wilhelm; Winona Lake: Eisenbrauns, 2012), 507–518; Janet Levy, „Gender, Heterarchy, and Hierarchy“, in Handbook of Gender in Archaeology (hg. v. Sarah M. Nelson; Lanham: AltaMira Press, 2006), 219–246. Im Bereich der atl. Exe gese hat Carol L. Meyers das Konzept positiv aufgegriffen, um für die vorstaatliche Gesellschaft in Israel den Begriff des Patriarchats zu umgehen; vgl. Dies., Rediscovering Eve: Ancient Israelite Women in Context (New York: Oxford University Press, 2013), sowie Dies., „Was Ancient Israel a Patriarchal Society?“, JBL 133 (2014): 8–27. Kritisch dazu: Athalya Brenner, „Does the ‚Twist‘ Point to Heterarchy?: A Response to Beverly Bow and George Nickelsburg“, in A Feminist Companion to Tobit and Judith (hg. v. Athalya Brenner und Helen Efthimiadis-Keith; FCB 2/20; London: Bloomsbury, 2015), 64–66.
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2.
193
Zu den Quellen
Für die Rekonstruktion des königlichen Hofes und seiner Struktur sowie der Machtausübung und des Einflusses von Frauen am Königshof müssen die atl. Texte als Hauptquellen gelten, obwohl es sich nicht um Primärquellen handelt. Daneben kann nur auf wenige archäologische Funde wie Siegel und Abbildungen verwiesen werden. Siegel bzw. Siegelabdrücke9 belegen einzelne Namen, die als Namen von königlichen Frauen gedeutet werden können. So lässt sich sehr wahrscheinlich das Siegel der Königin Isebel ([’]YZBL) identifizieren.10 Für die judäischen Königsmütter Meschullemet (MŠWLMT) und Jehoaddan, Tochter Urijahus (YHW‘DN bt ’RYHW), ist dies unsicher.11 Siegelfunde bestätigen außerdem die Titel, die wir aus atl. Texten für das königliche Umfeld kennen. So finden wir neben 24 Siegeln mit „X, Sohn des Königs“ auch den Siegelabdruck der „Noyah, Tochter des Königs“ (NWYH bt hmlk).12 Als hoch geschätzte Funktion und als weibliches Pendant zu ‘bd X / hmlk, „Diener des X / des Königs“, ist ’mt X / hmlk, „Dienerin des X / des Königs“ zu werten. Diese Funktionsbezeichnung verwendet Schulamit im 9
Ausführlich zu den Siegeln von Frauen: Kiesow, Löwinnen, 51–63, Hennie J. Marsman, Women in Ugarit and Israel. Their Social and Religious Position in the Context of the Ancient Near East (OTSt 49; Leiden: Brill 2003), 643–659, und Marjo C. A. Korpel, „Seals of Jezebel and Other Women in Authority“, JSem 15 (2006): 349– 371. 10 Dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um das Siegel der Königin Isebel handelt, begründet Marjo Korpel mit der außergewöhnlichen Größe des Siegels, der ägyptophönizischen Ikonographie und der Rekonstruktion der Inschrift als [l=’]YZBL; vgl. Marjo C. A. Korpel, „Fit for a Queen: Jezebel’s Royal Seal“, BArR 34/2 (2008): 32–37, und Dies., „Seals“, 358–362. 11 Vgl. Kiesow, Löwinnen, 56. Korpel, „Seals“, 363, verweist darüber hinaus auf das Siegel der ’LDLH, das wohl aramäischen/amoritischen Ursprungs ist; nach Marjo Korpel könnte es sich um den Namen einer aramäischen/amoritischen Prinzessin handeln, die in Israel Königin war. 12 Vgl. Marsman, Women, 645; Korpel, „Seals“, 356. Vgl. auch Thomas Stau bli, „Geschlechtertrennung und Männersphären im Alten Israel“, lectio difficilior (1/2008), online: http://www.lectio.unibe.ch/08_1/staubli.htm [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]: „Die Frauensiegel in Juda machen allerdings maximal 3,5 % des bekannten Gesamtbestandes aus, mit rückläufiger Tendenz zum Ende der judäischen Monarchie hin; im noch stärker von ländlichen Traditionen geprägten Amman ist der Anteil der Frauensiegel auffälligerweise doppelt so hoch.“ Der Siegelabdruck der M‘DNH bt hmlk, „Maadana, Tochter des Königs“, mit der ungewöhnlichen Darstellung einer Kinnor wurde inzwischen als Fälschung entlarvt. Vgl. Yossi Maurey und Amir S. Fink, „Putting the Seal on Ma’adana: A Case of Forgery and Its Ramifications“, in Alphabets, Texts and Artifacts in the Ancient Near East: Studies Presented to Benjamin Sass (hg. v. Israel Finkelstein, Thomas Römer und Christian Robin; Paris: Van Dieren Éditeur, 2016), 255–269.
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6. Jh. v. Chr., sie ist Dienerin des Elnatan, des Statthalters.13 Daneben sind Siegel weiterer Frauen bekannt, die jedoch keine Hinweise auf eine Funktion im Umfeld des königlichen Hofes geben. Die Siegel bzw. die Siegelabdrücke zeigen aber deutlich, dass diese Frauen wirtschaftlich tätig waren, eventuell einen eigenen Haushalt führten und Rechtsgeschäfte abschließen konnten. Darstellungen von Königinnen, wie wir sie aus Ägypten und Mesopotamien vielfältig kennen, fehlen in Palästina. Als einziges einschlägiges ikonographisches Motiv ist jenes der „Frau im Fenster“ zu nennen. Hierfür hat Ellen Rehm gezeigt, dass es nicht als Hinweis oder gar als Beweis für die Existenz eines Frauenpalastes oder eines Harems zu deuten ist.14 Vielmehr ist auf die Erzählung über Isebel zu verweisen, die sich im königlichen Ornat vor ihrem Feind am Fenster zeigt (2 Kön 9,30f.). Beide, Isebel am Fenster und die Frau im Fenster, repräsentieren die Herrschaft im Palast sowie Schutz und Abwehr.15 Epigraphische Quellen wie Verträge, Korrespondenzen oder Listen, mit denen die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kultische Tätigkeit der Frauen am Königshof rekonstruiert werden könnten, liegen uns für Palästina ebenfalls nicht vor.16 Hier sind wir auf die Rückschlüsse aus den atl. Texten und auf den Vergleich mit ao. Quellen angewiesen. Der Vergleich v. a. mit den neuassyrischen Quellen hilft, die Organisation der Königsherrschaft besser zu verstehen.17 Für den neuassyrischen Königshof eröffnen uns die Verwaltungstexte eine Vorstellung von den Funktionen und Tätigkeiten der Frauen am Königshof. Die neuassyrischen (und anderen ao.) Quellen ermöglichen es, Hypothesen für Israel zu formulieren und das von den Historikern 13 Vgl. auch das als ammonitisch qualifizierte Siegel der ‘LYH ’št / ’mt ḤNNᵓL (ca. 600 v. Chr.). Ob es sich bei der kürzlich bekannt gewordenen Inschrift aus dem 7. Jh. v. Chr. um eine Fälschung handelt, wird kontrovers diskutiert: [m’]mt. hmlk. mn‘rth. nblym. yyn. Yršlmh[m’], „von der Dienerin des Königs, von Na‘arat, Krüge mit Wein, nach Jerusalem“; vgl. kritisch dazu: Christopher Rollston, „The King of Judah, Jars of Wine, and the City of Jerusalem: The Jerusalem Papyrus and the Forged Words on it“, in Bible History Daily (25.10.2017), online: https://www.biblicalarchaeology. org/daily/biblical-artifacts/inscriptions/jerusalem-papyrus/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. 14 Ellen Rehm, „Abschied von der Heiligen Hure: Zum Bildmotiv der ‚Frau am Fenster‘ in der phönizisch-nordsyrischen Elfenbeinschnitzkunst“, UF 35 (2003): 487–519, und Sophie Kauz, „Frauenräume im Alten Testament am Beispiel der Siedlung“, lectio difficilior (2/2009), online: http://www.lectio.unibe.ch/09_2/kauz_frauenraeume. html [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. 15 Rehm, „Abschied“, 500–503. 16 Zur kürzlich publizierten, in ihrer Echtheit fraglichen Inschrift, die im Rahmen von Weinlieferungen nach Jerusalem die „Dienerin des Königs“ nennt, vgl. oben. 17 Selbstverständlich sind die Verhältnisse an einem gut etablierten und über Jahrhunderte bestehenden großen Königshof wie im neuassyrischen Reich nicht in Gänze auf die kleinen Königtümer in Juda und Israel übertragbar.
Frauen am Königshof
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und Exegeten des 19. und 20. Jh. entworfene Bild zu revidieren, das von einem Leben im Harem und der institutionellen Machtlosigkeit der Frauen ausging.
3.
Harem – Raum zum Wohnen und Wirken?
Bis in die 90er Jahre des 20. Jh. wurde wie selbstverständlich auch am ao. Königshof ein Harem vorausgesetzt.18 Mit dieser Brille wurden sowohl die ao. wie auch die atl. Texte zu Frauen am Königshof gelesen.19 Die mit dem Begriff „Harem“ verbundenen Vorstellungen gehen auf europäische Wissenschaftler des 19. Jh. zurück, die mit einer von Orientalismus geprägten Perspektive Verhältnisse am osmanischen Hof beschrieben.20 Unter Harem verstand man einen abgegrenzten Bereich des Palastes, der nur von den Ehefrauen des Herrschers und ihren Bediensteten bewohnt werde und für andere Männer außer dem Herrscher nicht zugänglich sei. Die Frauen dürften diesen Wohnbezirk nicht verlassen, seien von der Welt (durch Eunuchen) abgeschirmt und jeder aktiven Einflussnahme auf die Welt beraubt, sodass ihr Leben ohne Funktion und Beschäftigung vom Nichtstun und von Langeweile geprägt sei. Ergänzend wurde der Topos „Haremsintrige“ geformt, um die keifende Feindschaft der Frauen untereinander, das Buhlen um die Gunst des Königs und die mit unlauteren Mitteln erwirkte Zusicherung der Thronfolge für den je eigenen Sohn zu beschreiben.21 Sowohl in der Altorientalistik wie auch in der atl. Exegese wurde inzwischen gezeigt, dass der Begriff Harem und die oben beschriebenen Vorstellungen ungeeignet sind, um die Lebensräume und die Einflusssphären der Frauen an den ao. Königshöfen zu erfassen.22 Die Widerlegung der Existenz eines Harems im Sinne einer solchen Lebensweise der Frauen am Königshof basiert auf folgenden Argumenten: Im Hebräischen wie auch in den anderen ao. Sprachen gibt es kein spezielles Wort, das einen Harem benennen würde.23 18 Besonders bekannt ist Ernst Weidner, „Hof- und Harems-Erlasse assyrischer Könige aus dem 2. Jahrtausend v. Chr.“, AfO 17 (1954/56): 257–293. 19 Vgl. Solvang, Woman’s Place, 52–57. 20 Solvang, Woman’s Place, 58–62, zeigt, dass auch die Beschreibung der osmanischen Verhältnisse unzutreffend und von androzentrischen und eurozentrischen Vorurteilen geprägt ist. 21 Vgl. Solvang, Woman’s Place, 58–62. 22 Vgl. Solvang, Woman’s Place, 51–71. 23 Solvang, Woman’s Place, 52–56, zeigt die Zirkelargumentation etwa von Abraham Malamat, „Is There A Word For The Royal Harem In The Bible? The Inside Story“, in Pomegranates and Golden Bells: Studies in Biblical, Jewish, and Near Eastern Ritual, Law, and Literature in Honor of Jacob Milgrom (hg. v. David P. Wright, David Noel Freedman und Avi Hurvitz; Winona Lake: Eisenbrauns, 1995), 785–787, auf, der die Existenz eines getrennten Wohnbereiches für Frauen am Königshof be-
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Eine räumliche Trennung der Wohnbereiche für Männer und Frauen im Palast wird allein in der Ester-Erzählung vorausgesetzt, wobei der „Frauentrakt“ als הנשׁים בית, „Haus der Frauen“, bezeichnet ist, eine Wortfügung, die nur im Buch Ester belegt ist (Est 2,3.9.11.13.14). Als Hinweis auf einen abgegrenzten Wohnbereich für Frauen wird auch die Erwähnung von Eunuchen ()סריסים gedeutet. Deren Aufgabe sei es, den Wohnbereich der Frauen zu bewachen. Eine solche Aufgabe der Eunuchen lässt sich jedoch nur im Buch Ester erkennen, wo der Eunuch Hegai auch als הנשׁים שׁמר, „Bewacher der Frauen“, bezeichnet ist (Est 2,3.8.14.15). Die bloße Existenz von Eunuchen am Königshof lässt noch nicht auf einen Frauenwohntrakt schließen,24 da סריסallgemein den kastrierten Mann im Beamtenstatus meint.25 Als Hinweis auf einen eigenen Wohntrakt für Frauen wird außerdem der Text 2 Sam 20,3 erachtet, der belegt, dass die zehn Nebenfrauen Davids gemeinsam in einem eigenen Gebäudekomplex untergebracht sind und dort zusammenleben. Dass die Frauen allerdings eingesperrt sind, ist nicht mit Sicherheit zu erschließen. Denn משׁמרת בית „ ויתנםEr brachte sie in ein Schutzhaus“ besagt nur, dass David die Nebenfrauen in ein Haus bringen lässt. Ob משׁמרת ביתals Name oder als Funktionsangabe des Hauses zu deuten ist, ist ebenso offen wie die Semantik von משׁמרת, das sowohl Schutz als auch Bewachung bedeuten kann. Wenn die Nebenfrauen abschließend als צררותqualifiziert werden, so ist eine Ableitung des Partizips sowohl von צררI, „zusammenbinden“, als auch von צררII, „bedrängen“, möglich: „Ob 2 Sam 20,3f. unter ṢRR ‚umgeben – einsperren‘ einzureihen ist, ist nicht sicher. Mit Verweis auf Lev 18,18 wäre auch eine Bedeutung ‚bedrängen‘ denkbar.“26 Im Kontext von 2 Sam 20,3 ist eine Deutung als „Bedrängte“ in Parallelität zum Terminus „ein Leben in Witwenschaft“ nicht unwahrscheinlich. Aus 2 Sam 20,3 kann jedenfalls nicht erschlossen werden, dass alle königlichen Frauen regelmäßig in einem separaten Wohnbereich lebten. Die Tochter des reits voraussetzt und nur nach dem hebräischen Wort hierfür fragt. Für das hebräische Hapax legomenon הרמוןin Am 4,3 kann eine Bedeutung „Harem“ nicht wahrscheinlich gemacht werden. Für פנימה, das wörtlich „hinein, drinnen“ heißt und nach Abraham Malamat den Wohntrakt der Frauen im „Haus des Königs“ bezeichne, ist in 2 Kön 7,11f. und Ps 45,14f. die Bedeutung „das Innere (eines Gebäudes)“ anzunehmen. Allerdings ist durch nichts angezeigt, dass es sich um einen Wohnbereich nur für Frauen handelt. Eher wahrscheinlich ist, dass damit einfach der Wohnbereich des Königs benannt ist. 24 Mit Verweis auf 1 Sam 8,14f.; 2 Kön 9,32; 20,18; 24,12 kommt Staubli, „Geschlechtertrennung“, zu einem anderen Urteil und meint, dass die räumliche Geschlechtertrennung ein Oberschichtphänomen war, das zu Ungunsten der Frauen und ihres Zutrittes zur Öffentlichkeit umgesetzt wurde. 25 Vgl. Ilse Müllner und Carsten Jochum-Bortfeld, „Eunuch“, in Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel (hg. v. Frank Crüsemann et al.; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2009), 128–129. 26 Maria Häusl, Bedecken, Verdecken, Verstecken: Studie zur Valenz althebräischer Verben (ATSAT 59; St. Ottilien: EOS-Verlag, 1997), 101f.
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Pharao, die mit Salomo verheiratet ist, bewohnt nach 1 Kön 7,8; 9,24 ein eigenes Haus. Diese Notizen widersprechen eindeutig der These eines abgegrenzten Wohnbereiches für alle Frauen im Palast.27 Für ao. Palastanlagen wird zunehmend bezweifelt, dass der archäologische Nachweis eines gesonderten Wohnbereiches für Frauen überzeugend geführt werden kann.28 Die Hinweise auf strikt getrennte Wohnbereiche für Männer und Frauen sind also weitaus weniger deutlich, als dies lange Zeit angenommen wurde. Dass es in verschiedenen Palastanlagen getrennte Wohnbereiche gab, soll damit nicht geleugnet werden. Widerlegen lässt sich aber, dass es in jedem Palast einen Wohnbereich für Frauen gegeben haben muss, und dass alle Frauen des Palastes oder auch nur alle Ehefrauen des Königs dort gelebt hätten. Neben einer (teilweisen) Trennung der Wohnbereiche der Frauen und Männer in Palästen stehen auch andere Formen des Wohnens, wie die eigene Haushaltsführung der Tochter des Pharao zeigt. Aufzugeben ist in jedem Fall die Annahme, dass geschlechtergetrenntes Wohnen die Bewegungsfreiheit der Frauen eingeschränkt, ihren politischen oder wirtschaftlichen Einfluss gemindert habe und Frauen untätig oder gar unbedeutend waren. In conclusion, the „place“ of royal women in the ancient Near East is complex and dynamic. Wherever they reside they are engaged in the functions of the royal house. From their individual positions in the hierarchy of women and collectively as an organizational network of women, they participate in shaping and preserving the royal house and extending its work domestically and internationally.29
4.
Frauen in der Verwaltung am Königshof
Zum Status von Frauen in der Verwaltung des Königshofes in Israel haben wir nur wenige Hinweise.30 Zu den weiblichen Bediensteten am Hof gehören Sklavinnen (Koh 2,7), Bäckerinnen, Köchinnen, Salbenmischerinnen (1 Sam 8,13) und Kinderfrauen/Ammen (2 Sam 4,4; 2 Kön 11,2; 2 Chr 22,11). Sehr unsicher ist, ob es die Funktion der Schreiberin und der Gazellenfängerin am vorexilischen Königshof gab.31 Sängerinnen und Musikerinnen kommt 27 Vgl. Kiesow, Löwinnen, 77f. 28 Vgl. Svärd, Women, 109–120, Solvang, Woman’s Place, 62–64; Staubli, „Geschlechtertrennung“, verweist aber auf ägyptische Darstellungen, die die räumliche Geschlechtertrennung belegen. 29 Solvang, Woman´s palace, 67. 30 Vgl. Kiesow, Löwinnen, 84–95. 31 Die Annahme dieser beiden Funktionen kann sich nur auf die beiden Namen הספרת, Soferet, und הצביים פכרת, Pocheret-Zebajim, in der nachexilischen Liste
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dagegen ein hoher Status zu, da sie regelmäßig neben anderen hochgestellten Personenkreisen genannt werden.32 Geht man von den uns bekannten männlichen Funktionsbezeichnungen am Königshof aus,33 so sind die Bezeichnungen המלך בת, „Tochter des Königs“,34 המלך אמת, „Dienerin des Königs“, und סכנת, „Verwalterin“, als weibliche Funktionsbezeichnungen wahrscheinlich. Die Töchter werden als eigene Gruppe mehrmals genannt (Ps 45,9.10; Jer 41,10; 43,6), sie sind nach 2 Sam 13,18 an ihrer Kleidung erkennbar. Explizit als Tochter eines Königs bezeichnet werden Isebel, Merab, Michal, Tamar, Joscheba und Noyah.35 Die atl. Texte kennen zudem Frauen, die durch die von ihnen ausgeübte Tätigkeit erheblichen Einfluss auf Entscheidungen am königlichen Hof haben. Die Prophetin Hulda (2 Kön 22,14–20)36 und die „weise Frau“ aus Tekoa (2 Sam 14,1– 24)37 sind sehr wahrscheinlich nicht Teil des königlichen Hofes, sondern besitzen gesellschaftlich etablierte Rollen. Dass סכנתvermutlich ein hohes Verwaltungsamt am Königshof 38 bezeichnet, legt erstens das maskuline Pendant סכןin Jes 22,15 nahe, das erläutert wird mit על־הבית „ אשׁרder über das Haus ‚Gesetzte‘“ und einen „Palastvorsteher“ bezeichnet. Zweitens ist insbesondere auf die sprachliche und sachliche Nähe zur neuassyrischen šakintu zu verweisen, die in den neuassyrischen Quellen sehr gut belegt ist. Saana Svärd (geb. Teppo) hat 2007 erstmals das ganze neuassyrische Material ausgewertet und nachgewiesen, dass šakintu Esra 2,55.57 stützen. Denn ob die beiden in der Liste als „Familiennamen“ verwendeten Namen auf eine Funktionsbezeichnung für Frauen (Schreiberin, Gazellenfängerin) oder auf eine Gruppenbezeichnung (Schreibergilde, Gilde der Gazellenfänger) deuten, kann mit Hilfe der Morphologie der Namen nicht entschieden werden; vgl. Hans Rechenmacher, Althebräische Personennamen (Lehrbücher orientalischer Sprachen II/1; Münster: Ugarit-Verlag, 2012), 73f. Für weibliche Funktionsbezeichnungen könnte jedoch die explizite Nennung der Sängerinnen neben den Sängern in Esra 2,65 sprechen. 32 Siehe 2 Sam 19,36; 2 Chr 35,25; Am 8,3; Jer 38,22; Koh 2,8; ANET 288. 33 Vgl. Udo Rüterswörden, „Verwaltung [April 2013]“, in Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, online: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/14732/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. 34 Solvang, Woman’s Place, 78: „These terms [wife of the king, mother of the king, daughter of the king] function as positional titles, indicating the individual’s position within the structure and functions of the royal family.“ 35 1 Sam 14,49; 2 Sam 13; 1 Kön 9,24; 2 Kön 11,2 par. 2 Chr 22,11; zum Siegelabdruck vgl. oben. 36 Vgl. Irmtraud Fischer, Gotteskünderinnen: Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel (Stuttgart: Kohlhammer, 2002), 158–188. 37 Vgl. Silvia Schroer, „Weise Frauen und Ratgeberinnen in Israel – Literarische und historische Vorbilder der personifizierten Chokmah“, BN 51 (1990): 41–60. 38 Erstmals Häusl, Abischag, 239–242 – dann unabhängig von Häusl Kiesow, Löwinnen, 85–87.
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die oberste Verwalterin eines Haushaltes der Königin bezeichnet.39 Sie steht dem Haushalt vor, hat die gesamte wirtschaftliche Verantwortung und tätigt Rechtsgeschäfte. Sie kann verheiratet sein, eine verwandtschaftliche Beziehung zum König lässt sich jedoch nicht nachweisen. Zu den Aufgaben der סכנתerfahren wir in der kurzen Passage 1 Kön 1,1– 4, mit der Abischag von Schunem am königlichen Hof eingeführt wird, nichts.40 Wie bei der Einführung Davids am Hof Sauls in 1 Sam 16,14–21 wird in 1 Kön 1,1–4 aber nicht nur die Tätigkeit Abischags für den kranken König beschrieben, sondern abschließend konstatiert, welche Funktion sie am Königshof erhält: Abischag wird סכנת, „Verwalterin“ (1 Kön 1,4), während David כלים נשׂא, „Waffenträger“, wird (1 Sam 16,21). Beide Funktionen haben nichts mit ihrer jeweiligen Tätigkeit für den kranken König zu tun, sondern benennen die strukturelle Integration in den königlichen Hof. Die Parallelen zwischen der Einführung Davids und Abischags am Königshof lassen Abischags persönliche Aufgabe sowie ihre institutionelle Verankerung unterscheiden. Die strukturelle Macht, die mit ihrer Funktion als סכנתeinhergeht, darf dabei nicht zugunsten ihrer persönlichen Aufgabe unsichtbar gemacht werden.41 Die Analogie zur Position der šakintu am neuassyrischen Hof als Verwalterin des Haushaltes der Königin und der Umstand, dass Adonija die Bitte um die Heirat mit Abischag von Schunem vor der Mutter des Königs Batseba vorbringt (1 Kön 2,17), könnten darauf hinweisen, dass Abischag als סכנתheiraten kann und der Königsmutter unterstellt ist.
39 Saana Teppo (später Svärd), „The Role and the Duties of the Neo-Assyrian Sakintu in the Light of the Archival Evidence“, SAA.B 16 (2007): 257–272. 40 Vgl. die sehr gute literarische Analyse von Barbara Suchanek-Seitz, So tut man nicht in Israel: Kommunikation und Interaktion zwischen Frauen und Männern in der Erzählung von der Thronnachfolge Davids (exuz 17; Berlin: LIT, 2006), 83– 86.127. 41 Vgl. Häusl, Abischag, 239–242, und Kiesow, Löwinnen, 85–87. Suchanek-Seitz, So tut man nicht, 83f., und Monika Cornelia Müller, „The Households of the Queen and Queen Mother in Neo-Assyrian and Biblical Sources“, in „My Spirit at Rest in the North Country“ (Zechariah 6.8): Collected Communications to the XXth Congress of the International Organization for the Study of the Old Testament, Helsinki 2010 (hg. v. Hermann Michael Niemann und Matthias Augustin; BEATAJ 57; Frankfurt a. M.: Lang, 2011), 241–263; 258–262, verkennen die institutionelle Integration Abischags als סכנת.
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Der allgemeine Terminus נשׁים, „Frauen“, bezeichnet nicht nur die Ehefrauen des Königs, sondern alle Frauen mit Status und Einfluss am Königshof,42 wie auch der neuassyrische Terminus sekretu/sekretus auf eine Vielzahl verschiedener Frauengruppen am Königshof referiert: concubines, women from the households of defeated kings, women related to the king, and without male guardians, companions of foreign princesses, and, of course, valuable female hostages – to name just a few groups. In other words, sekretu meant any woman living in the palace, who was not the queen.43
נשׁים, „die Frauen (des Königs)“, sind häufig in Eroberungskontexten, also
dort erwähnt, wo eine Dynastie bzw. die Herrschaft eines Königs gefährdet ist. Um ein herrschendes Königshaus zu schwächen, werden Tributzahlungen in Form von Teildeportationen vorgenommen.44 Die Deportation des gesamten Königshauses bedeutet das Ende einer Königsherrschaft. Geht man in 2 Kön 24,15 von einer hierarchischen Reihung der ins Exil geführten Personen aus, so sind die „Frauen des Königs“ als sehr ranghohe Gruppe anzusehen, da sie unmittelbar nach dem König und der Mutter des Königs, aber noch vor den Eunuchen genannt sind. Für viele Könige wird erwähnt, welche Frauen sie geheiratet haben. Dabei wird Polygynie vorausgesetzt45 und bei Saul, David, Salomo und Rehabeam zwischen Frauen und Nebenfrauen ( )פילגשׁיםdifferenziert.46 Viele der Ehefrauen sind namentlich erwähnt, entweder, weil sie als Akteurinnen in Erzählungen auftreten oder weil sie in Genealogien integriert sind. So kennen wir folgende Frauen, die sich David als Ehemann teilen (2 Sam 24,15):47 Ahinoam,48 Abigajil,49
42 So auch Kiesow, Löwinnen, 80: „Aber unter dem Ausdruck ‚Frauen des Königs‘ scheinen auch weibliche Familienangehörige oder weibliches Hofpersonal subsumiert werden zu können.“ 43 Svärd, Women, 107f. 44 1 Kön 20,3.5–7; Jer 38,22.23; 2 Chr 21,12–19; vgl. auch 2 Sam 19,6; 12,8.11 und ANET 288: Hiskija muss seine Töchter, seine Frauen (sekretus) und die Sänger und Sängerinnen als Tribut geben. 45 Vgl. Corinna Friedl, Polygynie in Mesopotamien und Israel (AOAT 277; Münster: Ugarit-Verlag, 2000). Kritik an der Polygynie der Könige üben Spr 31,3–5 und Dtn 17,16–20. 46 Zum Begriff פילגשׁvgl. Jost, „Königinnen“. 47 Die ersten sechs Frauen sind in der Liste 2 Sam 3,2–5 par. 1 Chr 3,1–4 aufgeführt; vgl. auch 2 Sam 5,13–15 par. 1 Chr 3,5–9 und 14,3. 48 Ahinoam stammt aus Jesreel und ist die Mutter Ammons. 49 1 Sam 25; Abigajil ist die Witwe Nabals aus Karmel und die Mutter Kalebs.
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Maacha,50 Haggit,51 Abital,52 Egla,53 Michal54 und schließlich Batseba.55 Eine namentlich nicht genannte Tochter eines Pharaos wird als Ehefrau Salomos erwähnt (1 Kön 3,1; 7,8; 9,16.24; 11,1; 2 Chr 8,11). Salomo wird außerdem eine große Zahl von aus verschiedenen Ländern stammenden Ehefrauen und Nebenfrauen zugeschrieben, was dem Motiv des großen ao. Herrschers geschuldet ist (1 Kön 11,1–4; vgl. auch Neh 13,26). Als königliche Ehefrauen werden weiters explizit bezeichnet: Maacha, die Tochter Abschaloms, und Mahalat, die Tochter Jerimots, beide Frauen des Rehabeam (2 Chr 11,18–21). Isebel, die Tochter Etbaals, des Königs von Tyrus, ist mit Ahab, dem König von Israel verheiratet (1 Kön 16,31; 18,4–19; 19,1; 21,5–25; 2 Kön 9,7–37). Atalja, die Tochter Ahabs,56 ist in 2 Kön 8,18 als Ehefrau Jorams von Juda erwähnt, allerdings ohne Nennung ihres Namens. Ohne Namen bleiben auch die Ehefrauen Abijas (2 Chr 13,21) und die Ehefrau Joaschs (2 Chr 24,3). Erinnert sei schließlich an Rizpa, die Tochter Ajas und Nebenfrau Sauls, die David lehrt, nach der Tora zu handeln (2 Sam 3,7; 21,8–11),57 sowie an die bereits erwähnte Gruppe der zehn Nebenfrauen Davids, deren Schicksal in 2 Sam 15,14; 16,21f.; 20,3 erzählt wird. Im neuassyrischen Kontext amtiert in der Regel eine der Ehefrauen des Königs als segallu, Königin. Nach Saana Svärd besitzt die Königin große hierarchische Macht, die sie mit Hilfe eines eigenen Haushaltes im politischen wie im wirtschaftlichen Kontext wahrnimmt.58 Ein solche hohe Position ist für die Ehefrau des Königs im israelitischen Kontext nicht auszumachen. Es fällt vielmehr auf, dass in den atl. Texten die Titel bzw. Statusbezeichungen שׁגל, „Königin“, מלכה, „Königin“, שׂרה, „Herrin“, גבירה, „Herrin“, zwar für ausländische königliche Frauen, aber für die Ehefrauen der Könige in Israel kaum verwendet werden. So ist in Neh 2,6 die Königin am persischen Hof als שׁגלbezeichnet.59 שׁגל, „Königin“, findet sich einmalig auch in Ps 45,10 als Statusbezeichnung für die zukünftige königliche Ehefrau. שׂרה, „Herrin“, dient in Jes 49,23 und 1 Kön 11,3 als Statusbeschreibung für ausländische 50 51 52 53 54
Maacha ist die Tochter des Königs Talmai von Geschur und die Mutter Abschaloms. Haggit ist die Mutter Adonijas (vgl. auch 1 Kön 1f.). Abital ist die Mutter Schefatjas. Egal ist die Mutter Jitreams. Michal ist die Tochter Sauls und wird auch als Ehefrau Paltis (1 Sam 25,44) und Adriëls (2 Sam 21,8) erwähnt (1 Sam 14,49; 18,20–29; 19,11–17; 2 Sam 3,13.14; 6,16–23; 1 Chr 15,29). 55 Batseba ist die Tochter Ammiëls, Ehefrau des Hetiters Urija und die Mutter Salomos (2 Sam 11,3; 12,24; 1 Kön 1,11–31; 2,13–19; 1 Chr 3,5; Ps 51,2). 56 In 2 Kön 8,26 ist Atalja als Tochter Omris bezeichnet. 57 Vgl. die Studie von Luise Metzler, Das Recht Gestorbener: Rizpa als Toralehrerin für David (TFFE 28; Münster: LIT, 2015). 58 Vgl. Svärd, Women, 177–223. 59 שׁגלist ein Lehnwort aus dem Akkadischen, das dem neuassyrischen segallu entspricht.
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Herrscherinnen bzw. (ausländische) Hauptfrauen. Keine Frau aus dem judäischen oder israelitischen Königshaus wird als מלכה, „Königin“, bezeichnet, weder Isebel, die in Israel zur Zeit ihres Mannes Ahab und zur Zeit ihres Sohnes Joram mitregierte, noch Atalja, die regierende „Königin“ in Juda war (2 Kön 11). Nur Frauen an ausländischen Königshöfen sind als מלכהbezeichnet, so die Königin von Saba und Waschti, die Königin am persischen Hof des Esterbuches.60 Die Bezeichnung גבירהschließlich wird vorzugsweise für die Königsmutter verwendet.
6.
Mutter des Königs
Die Mutter des Königs scheint hingegen einen hohen Status zu besitzen und wichtige Funktionen wahrzunehmen. So ist die Bezeichnung גבירה,61 die in ihrer Grundbedeutung eine Frau mit Diener_innen meint,62 als Hoheitstitel und/oder Statusbezeichnung vorzugsweise für die Mutter des Königs, selten auch für ausländische Königinnen verwendet. Als גבירהwird in 1 Kön 11,19 vermutlich Tachpenes, die Frau des Pharao, und damit eine ausländische Königin bezeichnet. Auf welche Frau גבירהin der Aussage „Wir sind herabgekommen zum Wohlergehen der Söhne des Königs und der Söhne der “גבירה in 2 Kön 10,13 referiert, ist nach Anna Kiesow nicht sicher zu klären. Setzt man voraus, dass mit dem König der bereits von Jehu ermordete König Joram gemeint ist, so könnte bei גבירהentweder an seine ansonsten nicht bekannte Ehefrau oder – was eher wahrscheinlich ist – an die mit ihm amtierende Königsmutter Isebel gedacht werden.63 In jedem Fall wird in der Parallelisierung von König und גבירהdeutlich, dass ihr ein hoher Status zuerkannt wird. Dieser hohe Status wird durch Jer 13,18 und Jer 29,2 bestätigt, denn an beiden Textstellen werden König und גבירהebenfalls nebeneinander genannt. In Jer 13,18 verlieren beide ihre Krone und in Jer 29,2 führen sie die Liste der deportierten (judäischen) Elite an.64 In Jer 22,26 wird in der gleichen Situation der Deportation zusammen mit dem König die Mutter des Königs erwähnt. 1 Kön 15,13 (vgl. 2 Chr 15,16) informiert darüber, dass die Königsmutter Maacha ihres Ranges als גבירהdurch König Asa enthoben wird. 60 Solvang, Woman’s Place, 72. 61 Ausführlich Kiesow, Löwinnen, 96–134. 62 Vgl. Solvang, Woman’s Place, 73. גבירהist primär ein Relationsbegriff, um die Herrschaft einer Frau über ihre Bediensteten/Sklav_innen zu bezeichnen: Gen 16,4.8.9; 1 Kön 5,3; Jes 24,2; Ps 123,2; Spr 30,23; im metaphorischen Sinne für die als Königin personifizierte Stadt Babel in Jes 47,5.7. 63 Vgl. Kiesow, Löwinnen, 111–113. 64 In Jer 24,1 bleibt die גבירהdagegen unerwähnt.
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203
Die Parallelität von Jer 29,2 und Jer 22,26 sowie die Notiz über die „Amtsenthebung“ Maachas belegen, dass sich גבירהim judäischen Kontext auf die Königsmutter bezieht. In prophetischen Texten ist von der „Mutter des Fürsten“ nur in der Klage Ez 19 die Rede. Diese wird mit einer Löwin und mit einem Weinstock verglichen.65 Mit der Löwin ist eine Metapher gewählt, die die Königsherrschaft bezeichnet. Im erzählenden Kontext wird allein Batseba explizit als „Mutter des Königs“ bezeichnet (1 Kön 2,19). Batseba sitzt auf einem Thron und ihr Sohn König Salomo verneigt sich vor ihr. Es wird eine Gesprächssituation zwischen dem König und der „Mutter des Königs“ vorgestellt. Batseba übt in dieser Situation institutionelle Macht aus, wenn sie die Bitte Adonijas, Abischag von Schunem heiraten zu wollen, zuerst anhört und dann an Salomo weitergibt (1 Kön 2,18–22). Ihr dabei Dummheit oder eine verwerfliche Absicht zu unterstellen, bedient nur Klischees und übersieht, dass es Salomo ist, der in 1 Kön 2 negativ gezeichnet wird. Die Verheiratung des Königsbruders Adonija mit Abischag von Schunem kann grundsätzlich als Teil der Heiratspolitik des Königshauses [oder besser der „Mutter des Königs“] verstanden werden, die darauf abzielt, landansässige Familien an das Königshaus zu binden. Salomo dagegen sieht in dieser Heirat eine für ihn gefährliche Machtkonzentration innerhalb des Hofes in Händen seines Bruders Adonija und der sokint Abischag … Im Kontext der Morde an Adonija, Joab und Schimi in 1 Kön 2,12–46* stellt sich die Ablehnung des Rates Batschebas durch Salomo als Beschneidung ihres Einflusses zugunsten der Machtzentralisation in den Händen Salomos dar. Aus Batschebas Unterstützung Adonijas kann dagegen gefolgert werden, dass sie die Macht auf Mitglieder der königlichen Familie verteilt sehen und durch Heiratspolitik Gesellschaftsgruppen an den König [oder an sich] binden will.66 Im Königsformular für die judäischen Könige wird mit zwei Ausnahmen die Mutter des Königs immer genannt.67
65 Mit Kiesow gehe ich davon aus, dass die Mutter nicht als „Dynastie“ zu verstehen ist. 66 Häusl, Abischag, 298f. Ganz ähnlich analysiert und beurteilt Suchanek-Seitz, So tut man nicht, 133–139, die Position und die Absichten Batsebas: „An der Aufrichtigkeit von Batsebas Interesse, Adonija zu einer Frau zu verhelfen, wurde hingegen oft gezweifelt. Es wurde ihr von vielen Exegeten unterstellt, sie wolle damit die heftige Reaktion ihres Sohnes heraufbeschwören und Adonija damit zum Tode befördern. Ich bin allerdings der Meinung, dass Batseba Adonija schlicht nicht mehr als gefährlich einschätzt und seiner Versicherung, er erkenne Salomo als König an, vertraut. (…) Den einstigen Rivalen auf ihre Seite zu ziehen, wäre meiner Meinung nach ein Zeichen guter Hofpolitik gewesen und hätte die Gefahr eines erneuten Thronanspruches ohne Blutvergießen minimiert.“ (138f.) 67 Vgl. ausführlich Kiesow, Löwinnen, 135–185, und knapper Jost, „Königinmutter“.
204
Maria Häusl
Königsmutter
König
Textstelle
Naama – Herkunft: Ammon
Rehabeam
1 Kön 14,21.31
Maacha Tochter Abschaloms Herkunft: –
Abija
1 Kön 15,2
Nach 2 Chr 11,20–22 ist sie die Frau Rehabeams und die Mutter Abijas.
Maacha Tochter Abschaloms Herkunft: –
Asa
1 Kön 15,10
Sie verliert ihren Status als ( גבירה1 Kön 15,13 / 2 Chr 15,16).
Asuba Tochter Schilhis Herkunft: –
Joschafat
1 Kön 22,42
–
Joram
2 Kön 8,17f. / 2 Chr 21,6
Stattdessen ist erwähnt, dass er mit einer Tochter Ahabs verheiratet ist.
Atalja Tochter Omris Herkunft: –
Ahasja
2 Kön 8,26 / 2 Chr 22,2
Sie ist als Tochter Ahabs bezeichnet in 2 Kön 8,18 / 2 Chr 21,6.
Königin Atalja
2 Kön 11
Zibja Joasch – Herkunft: Beerscheba
2 Kön 12,2
Jehoaddan – Herkunft: Jerusalem
Amazja
2 Kön 14,2
Jecholja – Herkunft: Jerusalem
Asarja/ Usija
2 Kön 15,2
Jeruscha Tochter Zadoks Herkunft: –
Jotam
2 Kön 15,33
–
Ahas
2 Kön 16,2
Abi/Abija Tochter Secharjas Herkunft: –
Hiskija
2 Kön 18,2 / 2 Chr 29,1
Hefzi-Bah – Herkunft: –
Manasse
2 Kön 21,1
Weitere Informationen
Ihr gehört evtl. das Siegel YHW‘DN bt ’RYHW.
Frauen am Königshof
205
Meschullemet Tochter Haruzs Herkunft: Jotba
Amon
2 Kön 21,19
Ihr gehört evtl. das Siegel MŠWLMT.
Jedida Tochter Adajas Herkunft: Bozkat
Joschija
2 Kön 22,1
Hamutal Tochter Jirmejas Herkunft: Libna
Joahas (Schallum)
2 Kön 23,31
Sebuda Tochter Pedajas Herkunft: Ruma
Jojakim (Eljakim)
2 Kön 23,36
Nehuschta Tochter Elnatans Herkunft: Jerusalem
Jojachin
2 Kön 24,8
Vgl. auch 2 Kön 24,12.15; Jer 29,2; 13,18; 22,26.
Hamutal Tochter Jirmejas Herkunft: Libna
Zidkija (Mattanja)
2 Kön 24,18
Vgl. auch Ez 19.
Vgl. auch Ez 19.
Wenn nur bei zwei judäischen Königen die Nennung der „Mutter des Königs“ fehlt, kann sie nur unter ganz besonderen Umständen unerwähnt bleiben. Denn die „Mutter des Königs“ gehört offensichtlich zu einem stabilen Königtum. Während wir für Ahas nicht sagen können, warum die Mutter des Königs ungenannt ist (vgl. aber eventuell Jes 3,12), bietet sich für Joram eine Erklärung an. Es wird nämlich stattdessen erwähnt, dass Joram mit einer Tochter Ahabs aus dem Nordreich Israel verheiratet ist, näherhin mit der anschließend bei seinem Sohn als Tochter Omris notierten Königsmutter Atalja. Die Deuteronomisten begründen mit dieser Heirat die negative Bewertung Jorams und werfen damit auch ein negatives Licht auf Atalja. An der Nennung der Königsmütter fällt weiters auf, dass zu ihrem Namen oftmals auch ihre Abstammung und/oder ihr Herkunftsort ergänzt sind. Die Herkunftsorte liegen nicht alle in Juda. So stammt Naama aus Ammon, Atalja aus dem Nordreich Israel, Sebuda und möglicherweise auch Meschullemet aus dem Gebiet des ehemaligen Nordreiches. Die Patronyme geben Hinweise auf die soziale Stellung der Frauen und ihrer Herkunftsfamilien. Maacha scheint als Tochter Abschaloms68 selbst aus dem Haus Davids zu stammen, Jeruscha eventuell aus dem Priestergeschlecht der Zadokiden und Nehuschta aus der einflussreichen Jerusalemer Familie des Elnatan, des Sohnes Achbors (vgl. Jer 26,22; 36,12; 2 Kön 22,12.14). Zu einzelnen Königsmüttern sind weitere Aussagen möglich,69 die Rückschlüsse auf den Status der Königsmutter zu68 Zur Schreibung des Namens Ab(i)schalom vgl. Rechenmacher, Personennamen, 58. 69 Vgl. Kiesow, Löwinnen, 141.
206
Maria Häusl
lassen. Hamutal wirkt zweimal als „Mutter des Königs“, nämlich unter Joahas und Zidkija, während dazwischen unter Jojakim und Jojachin Sebuda und Nehuschat den Status der „Mutter des Königs“ bekleiden. Auf Hamutal bezieht sich sehr wahrscheinlich die Klage Ez 19, in der sie als Löwenmutter mit zwei Löwenjungen beschrieben wird.70 Maacha ist über die Herrschaft Abijas hinaus auch unter Asa „Mutter des Königs“ und גבירה. Wenn zutrifft, dass, wie 1 Kön 15,8 und 1 Chr 3,10 festhalten, Asa der Sohn Abijas ist, dann behält Maacha unter ihrem Enkel die Position der „Mutter des Königs“, bis er sie ihres Amtes als גבירהenthebt, weil sie für Aschera eine Statue hat errichten lassen. Eine andere Mutter des Königs bzw. eine neue גבירהunter Asa wird jedoch nicht erwähnt. Atalja, die als Mutter des Königs unter ihrem Sohn Ahasja amtiert, übernimmt nach der Ermordung ihres Sohnes über sieben Jahre die gesamte Regierungsmacht. Sie bleibt als Tochter Ahabs/Omris eng mit dem omridischen Herrscherhaus in Samaria verbunden, gerät aber unter Druck, als in Samaria mit Jehu die Nimschiden an die Macht kommen. „Der judäische Landadel betreibt daraufhin den Sturz der Königin Atalja – vielleicht sogar mit aktiver Unterstützung der Nimschiden aus Samaria.“71 Die atl. Texte nennen als Protagonisten des Aufstandes Joscheba, die Tochter des Königs, und den Priester Jojada. Die wenigen Aussagen zur גבירהund zur „Mutter des Königs“ im AT lassen kein umfassendes Bild zu. Dass aber der Königsmutter neben dem König der höchste Rang zukommt, zeigen die Belege und wird durch die Analogie zum hetitischen und ugaritischen Königtum gestützt.72
7.
Macht königlicher Frauen
Die Macht königlicher Frauen, ob als Mutter des Königs oder als Ehefrau, stützt sich auf ihre Herkunftsfamilie, die politische und gesellschaftliche Bedeutung ihrer Verheiratung, ihre wirtschaftlichen Ressourcen, ihre Bildung, die ihrem Status zukommende symbolische Macht und ihre Persönlichkeit. In modifizierter Form gelten diese Aspekte auch für die Tochter des Königs und hochgestellte Frauen in der Verwaltung. Den Bereichen der Politik und symbolischen Macht, der zentralisierten Staatsreligion sowie der Wirtschaft und Verwaltung sei daher zusammenfassend nachgegangen.
70 Vgl. Kiesow, Löwinnen, 168–176. 71 Frevel, Geschichte, 219. 72 Vgl. Jost, „Königinmutter“.
Frauen am Königshof
7.1
207
Politik und symbolische Macht
Die verschiedenen Titel, die Nennung von Frauen(gruppen) und die Erzählungen über die Handlungen einzelner Frauen zeigen, dass den Frauen im Königtum in Juda und in Israel strukturelle Macht zukommt, und zwar aufgrund von Funktionen, die weit oben in der Hierarchie angesiedelt sind. Diese institutionelle Macht darf nicht auf persönliche Macht reduziert werden. Der hohe politische Status der „Mutter des Königs“ in Juda, der in der Bezeichnung als גבירה, „Herrin“, zum Ausdruck kommt, zeigt sich darin, dass die Mutter des Königs nicht unerwähnt bleiben kann, wenn vom Regierungsantritt eines neuen Königs berichtet wird, und sie regelmäßig zusammen mit dem König genannt wird, wenn das Königtum in Juda durch Eroberer bedroht ist. Der politische Status als „Mutter des Königs“ wird außerdem in Symbolen der Macht und der Ehrerbietung deutlich. Batseba sitzt auf einem Thron und Salomo verneigt sich vor ihr. Der König und die גבירהtragen eine Krone. Isebel tritt dem Usurpator Jehu in ihrem königlichen Ornat entgegen (2 Kön 9,32). Eine „Mutter des Königs“ kann über den Tod ihres königlichen Sohnes hinaus ihre politische Macht behalten, wie Maacha und Atalja beweisen, wobei Atalja selbst die Regierung übernimmt, während Maacha weiterhin als גבירהamtiert. Hamutal ist mit Unterbrechung unter zwei Königen – wohl beide ihre Söhne – גבירה. Während wir für Batseba, Maacha, Hamutal und besonders Atalja zumindest einen kleinen Einblick in ihre Machtausübung als „Mutter des Königs“ gewinnen, ist dies für die anderen „Mütter des Königs“ nicht möglich. Wir können aber noch weitere Formen der Machtausübung durch Frauen am Königshof beobachten. Sollen durch Heiraten geschlossene politische Allianzen (ob regional oder international) fruchtbar werden und bleiben, kommt den Frauen eine wichtige Rolle als Mediatorinnen zu und müssen sie sowohl am Königshof ihres Ehemannes als auch im Machtbereich ihrer Herkunftsfamilie ihren Einfluss geltend machen, wie dies etwa bei Isebel, Atalja und der Tochter des Pharao aufscheint. Die „Tochter des Königs“ Joscheba ist führend an der Allianz beteiligt, die zum Sturz Ataljas führt. Als heterarchische Macht ist der Einfluss Batsebas anzusehen, die zusammen mit dem Propheten Natan die Thronfolge ihres Sohnes Salomos durchsetzt (1 Kön 1). Michal und Rizpa üben ebenfalls heterarchische Macht aus, wenn sie Widerstand gegen den jeweils regierenden König leisten (1 Sam 19; 2 Sam 6). Auch die beratende Funktion der weisen Frau von Tekoa und der Prophetin Hulda ist als heterarchische Macht anzusprechen. Im Gegensatz zum Klischee der „Palast- oder Haremsintrige“ ist die Thronfolge nach Ausweis der Texte nicht der wichtigste Bereich der Frauen in der Politik am Königshof. Falsch ist auch die Annahme, dass die Inbesitznahme des Harems des Vorgängers ein gängiges Mittel der Machtübernahme bzw. der Sicherung der Herrschaftsansprüche war. Die
208
Maria Häusl
Vergewaltigung der zehn Nebenfrauen durch Abschalom wird eindeutig als Gewalttat und als Skandalon dargestellt.
7.2
Zentraler Staatskult
Isebel wird dafür kritisiert, dass sie im Staatskult des Nordreiches Israel die religiösen Traditionen ihrer phönizischen Heimat weiterführt (1 Kön 16,31‒34; 1 Kön 18,4). Auf sie werden diese „falschen“ religiösen Praktiken während der Herrschaft ihres Mannes Ahab und ihres Sohnes Joram zurückgeführt (2 Kön 9,22). Und diese werden auch mit Atalja verbunden, die während der Regentschaft ihres Ehemannes Joram, ihres Sohnes Ahasja und ihrer eigenen Herrschaft die omridische Politik in Juda fortsetzt (2 Kön 8,18.26). Dass im staatlichen Kult die „Mutter des Königs“ eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich insbesondere an Maacha, die ihres Amtes als גבירהenthoben wird, da sie für Aschera ein Bild aufstellen lässt (1 Kön 15,13). Neuassyrische Texte zeigen, dass der Haushalt der Königin für die Textilherstellung (am Tempel) zuständig ist.73 Deshalb wäre zu überlegen, ob nicht auch das in 2 Kön 23,7 kritisierte Weben der Schleier am Tempel unter der Aufsicht der גבירהgeschieht.
7.3
Wirtschaft
Auf die wirtschaftliche Macht königlicher Frauen verweist die Tochter des Pharao, denn sie und nicht der zukünftige Schwiegersohn Salomo erhält als (Braut-)Geschenk die Stadt Geser vom Pharao (1 Kön 9,16). Damit besitzt sie die Grundlage für eigene wirtschaftliche Aktivitäten, die für weitere Frauen durch ihre Siegel belegt sind. Außerdem bewohnt die Tochter des Pharao ein eigenes Haus und steht damit einem eigenen Haushalt vor. Als Verwalterin dieses Haushaltes könnten wir uns Abischag von Schunem vorstellen, wenngleich dies nirgendwo notiert ist. Dies würde aber dem Status und der Aufgabe der šakintu am neuassyrischen Königshof entsprechen.
73 Vgl. Svärd, Women, 100–102.
Tochter Zion und Hure Babylon Zur weiblichen Personifikation von Städten und Ländern in der Prophetie1 Christl M. Maier Universität Marburg
Die Tochter Zion wird in deutschsprachigen Kirchen jährlich im Advent als auf den königlichen Messias wartende junge Frau besungen.2 Die „Hure“3 Babylon gilt auch den Verächtern christlicher Religion als Symbol für die Metropolis, die unübersichtliche und perverse Großstadt, die in der Rezeption der Johannesoffenbarung bis hin zur großen Babylon-Ausstellung in Berlin 2008 als Mythos beschworen wird.4 Beide Frauenfiguren stehen fast sprichwörtlich für eine wertende Rezeption weiblicher Rollen in der Bibel. Es handelt sich dabei ursprünglich um Personifikationen einer Stadt, die vor allem in prophetischen Texten der Hebräischen Bibel als Adressatinnen massiver Unheilsankündigungen und nur weniger Heilsverheißungen begegnen. Die hinter der Personifikation sichtbaren Rollenbilder sind aber nicht exklusiv, denn Zion/Jerusalem wird auch als „hurerische“ Ehefrau charakterisiert und die „Hure“ Babel wird ebenso als „Tochter“ bezeichnet, wie die Hauptstädte der Nachbarn Israels und das Land Juda. Dieser Beitrag wird den sozio-kulturellen Entstehungshintergrund der weiblichen Personifikation von Städten 1
Die Arbeit an diesem Artikel wurde gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Die Autorin ist derzeit Professor Extraordinary der Disciplinary Group Old and New Testament an der Universität Stellenbosch, Südafrika. 2 So im Adventslied „Tochter Zion, freue dich“. Der evangelische Theologe Friedrich Heinrich Ranke legte um 1820 einen Text nach Sach 9,9 auf den Chorsatz von Georg Friedrich Händel und fügte zwei weitere Strophen hinzu, die das kommende, ewige Friedensreich Jesu Christi besingen. Vgl. Anne Gidion, „Tochter Zion, freue dich – EG 13“, in Kirche klingt: 77 Lieder für das Kirchenjahr (hg. v. Jochen Arnold und Klaus-Martin Bresgott; GGG 19; Hannover: Lutherisches Verlagshaus, 2011), 291–293. Die Gesangsgruppe Boney M. vertonte 1982 die englische Version auf der Single Zion’s Daughter. 3 Der Begriff „Hure“ anstelle der neutralen Bezeichnung „Prostituierte“ wird hier verwendet, weil auch das zugrundeliegende hebräische Wort זונהabwertend ist und polemisch gebraucht wird. 4 Vgl. Babylon – Mythos und Wahrheit: Eine Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin, des Musée du Louvre und der Réunion des Musées Nationaux, Paris und des British Museum, London; Pergamonmuseum, Museumsinsel, 26. Juni – 5. Oktober 2008 (München: Hirmer, 2008).
210
Christl M. Maier
und Ländern erläutern, ihre heutige Rezeption darstellen und einige einschlägige Texte aus feministischer Perspektive interpretieren.
1.
Zur Personifikation von Städten und Ländern
Die Personifikation ist ein literarisches Stilmittel, um eine Menschengruppe oder ein Territorium als einheitliche Größe zu beschreiben, die aktiv handelt, spricht und mit personalen Eigenschaften ausgestattet ist, somit auch für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden kann. Die Personifikation ist eine Untergattung der Metapher. Gemäß der neueren Metapherntheorien von Ivor A. Richards, Max Black und Paul Ricœur schafft eine Metapher eine neue Bedeutung, indem sie zwei verschiedene Konzepte oder Ideen verbindet, wobei allgemeine oder alltägliche Assoziationen der beiden Konzepte miteinander verschränkt werden.5 Welche gedanklichen Bilder beim Lesen einer metaphorischen Aussage hervorgerufen werden, ist kultur- und zeitspezifisch; allerdings bleiben manche Assoziationen über lange Zeiträume hinweg konstant. Der metaphorischen Aussage „die Stadt ist eine Frau“ liegt die Vorstellung zugrunde, dass eine Stadt „weibliche“ Eigenschaften hat: Sie verfügt über lebenswichtige Ressourcen wie Nahrung, Schutz und Wohnung für Menschen und ist daher einer Mutter vergleichbar, die ihre Kinder versorgt. Sie kann begehrt, erobert, beschützt und regiert werden.6 Dabei wird deutlich, dass die Assoziation von „weiblich“ mit „nährend, schützend“ und von „männlich“ mit „erobernd, stark, regierend“ auf einer hierarchischen Vorstellung zweier einander entgegengesetzter Geschlechter beruht. Diese heteronormative Vorstellung von Geschlecht ist bis in heutige Zeit wirksam und wird in Teilen der westlichen Welt erst in den letzten Jahrzehnten hinterfragt. Die in der Hebräischen Bibel relativ häufig belegte Personifikation einer Stadt speist sich aus mindestens drei altorientalischen Wurzeln. Erstens stammt die Vorstellung, dass eine Stadt weiblich sei, aus der westsemitischen Tradition, die Städte grammatikalisch als weiblich behandelt und mit Titeln 5
6
Vgl. Ivor A. Richards, The Philosophy of Rhetoric (New York: Oxford University Press, 1993); Max Black, Models and Metaphors: Studies in Language and Philosophy (Ithaca: Cornell University Press, 1962); Paul Ricœur, The Rule of Metaphor: Multi-Disciplinary Studies of the Creation of Meaning in Language (übers. v. Robert Czerny mit Kathleen McLaughlin und John Costello; Toronto: University of Toronto Press, 1977). Vgl. Sigrid Weigel, Topographien der Geschlechter: Kulturgeschichtliche Studien zur Literatur (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1990), 149–179; Christl M. Maier, Daughter Zion, Mother Zion: Gender, Space, and the Sacred in Ancient Israel (Minneapolis: Fortress Press, 2008), 60–74.
Tochter Zion und Hure Babylon
211
wie „Herrin“ oder „Gebieterin“ bezeichnet (z. B. „die Herrin Byblos“). Auch der hebräische Begriff für Stadt ( )עירist feminin. Zweitens ist die eben schon genannte Analogie der Rollen einer Frau und einer Stadt als schützende, nährende und vom (männlich vorgestellten) Feind eroberte in der neuassyrischen Ikonographie in Gestalt der Mauerkrone belegt: In Form einer Stadtmauer mit Türmen symbolisiert sie auf neuassyrischen Wandreliefs eine Stadt. Seit der Mitte des 9. Jh. v. Chr. begegnet die Mauerkrone auch auf königlichen Häuptern und bekrönt die Gattin des Königs Assurbanipal; ihr Name „Assurscharrat“ bedeutet „(die Stadt) Assur ist Königin“.7 Auch die griechische Kultur kennt seit dem 6. Jh. v. Chr. die weiblich personifizierte Stadt.8 Das bekannteste Beispiel ist die Vorstellung von Athene als Tochter des Göttervaters Zeus.9 In hellenistisch-römischer Zeit werden phönizische Städte in Rundplastik (Antiochia) und auf Münzen (Sidon, Seleukia) als Frauengestalten bzw. Frauenkopf mit Mauerkrone dargestellt, die entweder als Stadtgöttin oder als personifiziertes Schicksal der Stadt (Stadttyche) zu deuten sind.10 Die personifizierte Gestalt Roms verbindet die Idee der Tyche mit derjenigen der Stadtgöttin. Die byzantinische Kunst kehrt zur Darstellung der Mauerkrone zurück, angeregt durch die Beschreibung des himmlischen Jerusalem mit den zwölf Toren in Offb 21,10–23, während die gekrönte Frau nun Maria verkörpert.11 In der ins 3. Jh. zu datierenden Synagoge von Dura Europos wird Königin Ester mit einer überdimensionierten Mauerkrone dargestellt. Auf italienischen Briefmarken der 1950er bis 1970er Jahre symbolisiert ein Frauenkopf mit Mauerkrone die Republik und setzt so die Tradition der Münzbilder phönizischer Städte fort. Eine dritte Wurzel der Stadtpersonifikation ist die bereits aus dem 3. Jt. v. Chr. bekannte Stadtklage, eine Literaturform, in der die Zerstörung sumerischer Städte wortreich beklagt wird. Als Sprecherin treten dabei die Göttin der Stadt oder des Haupttempels, aber auch das Bauwerk selbst auf. Diese Klageform wurde im 2. und 1. Jt. in Liturgien zur Tempelrenovierung weiter überliefert und im Buch der biblischen Klagelieder aufgegriffen.12 Die eroberte Stadt vertritt in Klgl 1–2 ihre Bewohnerschaft, wobei ihr geschundener 7 8
Siehe Abb. 15 im Beitrag von Silvia Schroer in diesem Band. So Marion Meyer, „Anthropomorphe Bilder von Städten in der altgriechischen Kultur“, in Prophetie in Israel: Beiträge des Symposiums „Das Alte Testament und die Kultur der Moderne“ anlässlich des 100. Geburtstags Gerhard von Rads (hg. v. Irmtraud Fischer, Konrad Schmid und Hugh G. M. Williamson; Altes Testament und Moderne 11; Münster: LIT, 2003), 169–178; 169. 9 Vgl. Maier, Daughter Zion, 71. 10 Vgl. Maier, Daughter Zion, 64–69. 11 Vgl. Ingrid Ehrensperger-Katz, „Stadt, Städte“, LCI 4 (1972): 198–205; 198. 12 Vgl. Marc Wischnowsky, Tochter Zion: Aufnahme und Überwindung der Stadtklage in den Prophetenschriften des Alten Testaments (WMANT 89; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2001), 18–42.90–100.
212
Christl M. Maier
Körper die Zerstörung und Verwundung der in ihr lebenden Menschen repräsentiert.13 Vor diesem traditionsgeschichtlichen Hintergrund erscheint die Personifikation Samarias und Jerusalems, aber auch von Babylon, Tyrus und Sidon in prophetischen Texten als literarisches Mittel, eine Stadt mit ihrer jeweiligen Bevölkerung zu identifizieren. Für die weibliche Personifikation eines Landes im Sinne eines abgegrenzten Territoriums gilt Analoges, auch wenn dies in der Hebräischen Bibel seltener vorkommt. Der personifizierten Figur werden Emotionen und Handlungen zugeschrieben, sodass sowohl die Beziehung zwischen dem Raum und seiner Einwohnerschaft als auch zwischen dem Kollektiv und einer Gottheit als personale Begegnung darstellbar werden. In der Hebräischen Bibel wird die Personifikation von Städten oder Territorien angezeigt durch den Titel „Tochter“ ()בת, der als eine Art Ehrentitel gelegentlich noch mit „junge Frau“ ( )בתולהkombiniert wird und in dieser Doppelung die jugendliche Schönheit und Attraktivität der Stadt betont. Mit 26 Belegen wird die „Tochter Zion“14 am häufigsten genannt, gelegentlich parallel zur „Tochter Jerusalem“.15 Auch nicht-israelitische Städte wie Tyros (Ps 45,13),16 Sidon (Jes 23,12), Dibon (Jer 48,18) und Babylon17 tragen gelegentlich den Tochtertitel. Der Titel „junge Frau“ ( )בתולהwird in Kombination mit dem Tochtertitel für Zion/Jerusalem (2 Kön 19,21 par. Jes 37,22), aber auch Sidon (Jes 23,12), Babylon (Jes 47,1) und Juda (Klgl 1,15) gebraucht. Er wird als alleiniger Titel nur für Israel verwendet und bezieht sich in Am 5,2 wohl auf Israels Hauptstadt Samaria,18 in Jer 18,13 auf das Volk und in den Heilsverheißungen Jer 31,4.21 auf eine Gruppe von Überlebenden im Land. Die der „Tochter Zion“ nachgebildete Bezeichnung „Tochter, mein Volk“ ( )בת־עמיpersonifiziert in Jes 22,4; Jer 3–9 und Klgl 2–4 explizit das Volk als weibliches Gegenüber zu JHWH. Dagegen lässt sich kaum entscheiden, ob der Tochtertitel für Juda (Klgl 2,2.5), Ägypten (Jer 46,11.19.24) und Edom (Klgl 4,21.22) auf die Territorien oder deren jeweilige Bevölkerung verweist. Es ist anzunehmen, dass in der Personifikation Land und Leute zu einer Figur verschmelzen. 13 Vgl. Christl Maier, „Body Space as Public Space: Jerusalem’s Wounded Body in Lamentations“, in Constructions of Space 2: The Biblical City and Other Imagined Spaces (hg. v. Jon L. Berquist und Claudia V. Camp; LHBOTS 490; New York: T&T Clark, 2008), 119–138. 14 Vgl. 2 Kön 19,21; Ps 9,15; Jes 1,8; 10,32; 16,1; 37,22; 52,2; 62,11; Jer 4,31; 6,2.23; Klgl 1,6; 2,1.4.8.10.13.18; 4,22; Mi 1,13; 4,8.10.13; Zef 3,14; Sach 2,14; 9,9. 15 Vgl. 2 Kön 19,21; Jes 37,22; Klgl 2,13.15; Mi 4,8; Zef 3,14; Sach 9,9. 16 Vgl. noch die „Tochter Tarschisch“ (Jes 23,10), eine Stadt in Südspanien, mit der die Phönizier Handel trieben. Die legendären Tarschisch-Schiffe (1 Kön 10,22; Ps 48,8; Jes 2,16; 23,1) sind wohl stabile Handelsschiffe, die das gesamte Mittelmeer befahren können. 17 Vgl. Ps 137,8; Jes 47,1.5 (parallel zu „Tochter Chaldäa“); Jer 50,42; 51,33; Sach 2,11. 18 Vgl. Wischnowsky, Tochter Zion, 17f.53–58.
Tochter Zion und Hure Babylon
2.
213
Zur feministischen Deutung der Stadtpersonifikation
Wie dieser Titelgebrauch zeigt, werden in prophetischen Texten Städte nicht als „Frau“ an sich charakterisiert, sondern es geht um bestimmte Rollenzuweisungen („Tochter“, „Ehefrau“, „Witwe“ etc.), die zeit- und kulturspezifisch sind und eine begrenzte, auf eine bestimmte Zeit und Kultur bezogene Funktion haben. In der Antike ist eine Frau sozial und ökonomisch von einem Mann abhängig: als Tochter von ihrem Vater, der sie bis zur Heirat u. a. vor sexuellen Kontakten zu Männern schützen muss; als Ehefrau und Mutter von ihrem Gatten, der für sie und die gemeinsamen Kinder sorgt; als Witwe vom Wohlwollen entweder eines erwachsenen Sohnes oder eines männlichen Familienangehörigen, der ihre Versorgung übernimmt. Diese auf einer patriarchalen Gesellschaftsordnung basierende soziale Abhängigkeit von Frauen repräsentiert in der Metapher die Abhängigkeit des Kollektivs – der Bevölkerung einer Stadt oder eines Landes – von dem überwiegend männlich vorgestellten Gott. In alttestamentlichen Prophetentexten wird JHWH als alleiniger Garant des Überlebens charakterisiert: Er schützt und versorgt die Stadt als „Tochter“ oder „Ehefrau“. Wendet sie, d. h. ihre Bevölkerung, sich von ihm ab, so kann er die Stadt bestrafen, ihre Versorgung beenden, sich von ihr scheiden, ja sie sogar töten, wobei diese Zerstörung manchmal in Bildern sexueller Gewalt gegen die Stadtfrau ausgemalt wird. Solche sexualisierten und gewalthaltigen Bilder finden sich v. a. in Texten, in denen der Stadtfrau „Ehebruch“ mit fremden Herrschern oder Gottheiten vorgeworfen wird. Diese androzentrische Vorstellung von Geschlechterbeziehungen und die Anwendung sexueller Gewalt erregen bei heutigen LeserInnen zu Recht Anstoß und Abscheu und erweisen sich in ihrer kulturgeschichtlichen Bedingtheit als ungeeignet, das Verhältnis zwischen Gott und Menschen unter heutigen Voraussetzungen angemessen zu beschreiben. Cheryl Exum schlägt daher eine dreifache Strategie für die Auslegung von Texten vor, die weibliche Sexualität negativ darstellen und Bilder sexueller Gewalt gegen eine weibliche Figur verwenden.19 Erstens sollte die negative Wirkung der Texte auf weibliche und männliche Leser herausgestellt werden. Zweitens sollte ihre Metaphorik deutlich als „pornographisch“ und Frauen verachtend bezeichnet werden.20 Drittens sollten die unterdrückten Diskurse bzw. mögliche 19 J. Cheryl Exum, „The Ethics of Biblical Violence Against Women“, in The Bible in Ethics: The Second Sheffield Colloquium (hg. v. John W. Rogerson et al.; JSOTSup 207; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1995), 248–271; 265–269. 20 Das tun z. B. Athalya Brenner und Fokkelien van Dijk-Hemmes, On Gendering Texts: Female and Male Voices in the Hebrew Bible (BibInt 1; Leiden: Brill, 1993), 167–193; Mary E. Shields, Circumscribing the Prostitute: The Rhetorics of Intertextuality, Metaphor and Gender in Jeremiah 3.1–4.4 (JSOTSup 387; London: T&T
214
Christl M. Maier
Sichtweisen von Frauen aufgedeckt werden. Für die Auslegung bedeutet dies, dass die Metaphorik hinterfragt und deren potentiell Gewalt verherrlichende Wirkung thematisiert werden muss. Aus meiner Sicht greift Exums Strategie jedoch zu kurz, weil sie nur auf die heutige Rezeption der Metaphorik ausgerichtet ist und deren historische Dimension außer Acht lässt. Deshalb plädiere ich mit Gerlinde Baumann dafür, diese biblische Metaphorik zu erklären und zu interpretieren.21 „Erklären“ heißt in diesem Zusammenhang, den kulturellen und sozialgeschichtlichen Sinn einer Metapher zur Zeit ihrer Entstehung aufzuzeigen. „Interpretieren“ meint, die Bedeutung der Metapher mit Blick auf heutige LeserInnen und deren wahrscheinliche Assoziationen herauszuarbeiten. Dabei geht es nicht darum, Frauen verachtende Metaphorik zu entschuldigen, sondern zu erläutern, weshalb sie verwendet wurde und was ihre rhetorische Funktion im konkreten Text ist. Diese Vorgehensweise wird nun anhand einiger einschlägiger Texte beispielhaft vorgeführt.
3.
Beispiele der prophetischen Stadtpersonifikation
3.1
Tochter Zion/Jerusalem
Der Name Zion verweist auf den Südosthügel Jerusalems, auf dem die Stadtsiedlung ihren Ausgang nahm und der heute südlich der mittelalterlichen Altstadtmauer liegt.22 Der Bergrücken zwischen zwei tief eingeschnittenen Tälern war militärisch gesehen relativ gut geschützt. Der Name „Zion“ wird in biblischen Texten auch für den gesamten Osthügel einschließlich des Tempelareals verwendet, bis er in frühbyzantinischer Zeit fälschlicherweise am Südwesthügel haften bleibt.23 In den prophetischen Texten werden die NaClark, 2004), 158–160. Zur Debatte um Pornographie vgl. Christl M. Maier, „Feminist Interpretation of the Prophets“, in The Oxford Handbook of Prophets (hg. v. Carolyn J. Sharp; Oxford: Oxford University Press, 2016), 467–482; 470–474. 21 Vgl. Gerlinde Baumann, Liebe und Gewalt: Die Ehe als Metapher für das Verhältnis JHWH – Israel in den Prophetenbüchern (SBS 185; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2000), 44–46. 22 Vgl. Eckart Otto, „“ ִצּיֹון, ThWAT 6 (1989): 994–1028; 1007–1009. In 2 Sam 5,7 wird die „Burg Zion“, die spätbronzezeitliche Akropolis auf dem Südosthügel, mit der Davidstadt identifiziert. Otto nimmt aufgrund dieser Begrifflichkeit an, dass die ursprüngliche Bedeutung von „ ציוןBergrücken“ war, der im Gegensatz zum Tal trocken ist. Aus der Lage des Bergrückens leitet sich die Konnotation „militärischer Schutz“ ab, sodass Zion zur Bezeichnung einer Festung werden konnte. 23 Diese Identifikation geht auf Flavius Josephus’ Identifizierung des von David eingenommenen Hügels mit der „oberen Agora“ auf dem Südwesthügel zurück (B.J. 5,137; A.J. 7,61ff.). Ihr folgt die christliche Tradition seit frühbyzantinischer Zeit; sie wurde
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men „Zion“ und „Jerusalem“ häufig synonym gebraucht. Dabei übernimmt die personifizierte Gestalt Zion/Jerusalem die meisten weiblichen Rollen: Sie wird als Tochter, Ehefrau JHWHs, „Hure“, Mutter, Witwe und Königin charakterisiert. Der wohl älteste Text, der den Tochtertitel für Jerusalem verwendet, ist Jes 1,7f.: 7 Euer Land ist eine Öde, eure Städte sind mit Feuer verbrannt; euer Ackerland – vor euren Augen verzehren es Fremde. [Eine Öde ist es wie bei einem Umsturz durch Fremde.]24 8 Und die Tochter Zion ist übriggeblieben wie eine Laubhütte im Weinberg, wie ein Nachtquartier im Gurkenfeld, [wie eine belagerte Stadt].
Der Prophet beklagt hier die Verwüstung des Landes durch den Feind, die gerade noch vor der Hauptstadt Jerusalem Halt gemacht hat: Die Tochter Zion wird mit einem aus Ranken und Blattwerk hergestellten Unterschlupf im Weinberg oder im Gurkenfeld verglichen, die als Unterschlupf für eine Sommernacht ganz tauglich sind, aber völlig ungeeignet, einem militärischen Angriff standzuhalten. So beschreibt der Prophet Jesaja eine höchst prekäre Lage Jerusalems. Möglicherweise handelt es sich um die Situation im Jahre 701 v. Chr., als der neuassyrische König Sanherib die judäischen Landstädte eroberte25 und die Hauptstadt Jerusalem bedrohte.26 Dass Sanherib Jerusalem nicht einnahm, ja vermutlich nicht einmal belagerte, erklärten sich die JudäerInnen später mit dem Einschreiten ihres Gottes zugunsten der von ihm erwählten Stadt. Jes 36–39 und 2 Kön 18–20 überliefern eine Erzählung, in der Jesaja dem judäischen König Hiskija Gottes Beistand zusagt und die Tochter Zion als selbstbewusste junge Frau porträtiert:27
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erst durch die Ausgrabungen Charles Warrens am Südosthügel (1867–1880) falsifiziert; vgl. Otto, „“ ִצּיֹון, 1008. Die eingeklammerten Versteile sind wahrscheinlich spätere Ergänzungen. In seinem Palast in Ninive ließ Sanherib seine Siege auf raumhohen Wandreliefs darstellen, darunter die Eroberung der judäischen Stadt Lachisch. Vgl. James B. Pritchard, The Ancient Near East in Pictures: Relating to the Old Testament (Princeton: Princeton University Press, 1954), 130f., Abb. 371–373 (= ANEP 371–372). Dieser Feldzug Sanheribs ist außerdem in seinen Inschriften dokumentiert, vgl. Bernd Janowski und Gernot Wilhelm, Hg., Staatsverträge, Herrscherinschriften und andere Dokumente zur politischen Geschichte (TUAT NF 2; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2005), 67–74. Vgl. John A. Emerton, „The Historical Background of Isaiah 1:4–9 [1993]“, in Studies on the Language and Literature of the Bible: Selected Works of J. A. Emerton (hg. v. Graham Davies und Robert P. Gordon; VTSup 165; Leiden: Brill, 2015), 537–547; Konrad Schmid, Jesaja 1–23 (ZBK 19.1; Zürich: Theologischer Verlag, 2011), 50. Schmid zufolge ist Jer 1,4–9 so vage formuliert, dass der Text auch spätere Kriegsszenarien einschließt. Zur Tochter als Symbol für Attraktivität, Begehren und Stolz vgl. Irmtraud Fischer, „Das Buch Jesaja: Das Buch der weiblichen Metaphern“, in Kompendium Feministi-
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22 Dies ist das Wort, das JHWH gegen ihn [= Sanherib] geredet hat: Dich verachtet, dich verspottet die junge Frau, Tochter Zion; hinter deinem Rücken schüttelt die Tochter Jerusalem den Kopf. 23 Wen hast du geschmäht und gelästert? Gegen wen hast du die Stimme erhoben und deine Augen zur Höhe gerichtet? Gegen den Heiligen Israels! (Jes 37,22f.)
Diesem prophetischen Wort zufolge weiß die Tochter Zion sich geschützt durch ihren Gott und deshalb verspottet sie den Gesandten Sanheribs, der Hiskija zur Unterwerfung auffordert. Der Titel „ בתולהjunge Frau“ enthält eine sexuelle Konnotation: Der fremde Eroberer kann die weibliche Stadt nicht überwältigen, weil sein wahrer Gegner Gott ist. Im Folgenden wird erzählt, dass ein Gottesbote im assyrischen Heerlager wütet und Sanherib zum Abzug zwingt. Die Grunderzählung in Jes 36–39 wie auch die Charakterisierung Jerusalems als selbstbewusste, auf den Schutz ihres Vaters vertrauende, junge Frau entstammen wahrscheinlich nicht der Zeit der assyrischen Bedrohung, sondern frühestens der zweiten Hälfte des 7. Jh., in der die Macht des neuassyrischen Reiches schwand und das Königreich Juda eine friedliche und prosperierende Phase erlebte.28 Die Personifikation Jerusalems im Rahmen der Klage in Jes 1 hat die Funktion, die Schutzbedürftigkeit der Hauptstadt und ihrer Bevölkerung aufzuzeigen, während sie im Spottlied von Jes 37, das auf die Bewahrung der Stadt zurückblickt, deren Stolz und Unverletzlichkeit betont. Dieses VaterTochter- bzw. Gott-Stadt-Verhältnis erfährt vermutlich deshalb keine feministische Kritik, weil Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit positive Assoziationen sind.29 In Jes 1–39 wird die Zerstörung der Tochter Zion nur einmal (Jes 22,4) klagend erwähnt, aber nicht beschrieben, in der Heilsbotschaft ab Kap. 40 jedoch stillschweigend vorausgesetzt. Dabei wird sie nur noch einmal „Tochter“ genannt (52,2), sonst aber als verlassene bzw. geschiedene Ehefrau JHWHs (49,14.21; 54,6) und als unfruchtbare, kinderlose Mutter (49,21; 54,1.4; vgl. 51,17–20.23) charakterisiert, der die Rückkehr ihrer Kinder verheißen wird.30 Im Jeremiabuch hingegen prophezeit der Prophet der „Tochter Zion“ die Zerstörung durch den Feind aus dem Norden, durch die Babylonier, die die sche Bibelauslegung (hg. v. Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 32007), 246–257; 252f. 28 Vgl. Otto Kaiser, Der Prophet Jesaja: Kapitel 13–39 (ATD 18; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1973), 292.305; einen Überblick über die neueren Forschungsthesen zur Entstehung von Jes 36–39 gibt Willem A. M. Beuken, Jesaja 28–39 (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2010), 354–358. 29 Nur Fischer, „Jesaja“, 252f., benennt negative und positive Aspekte des Tochterbildes. 30 Vgl. Fischer, „Jesaja“, 253, die auch darauf hinweist, dass die Verheißungen Gott nicht als Vater oder Ehemann, sondern als Mutter (49,15) charakterisieren.
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neuassyrische Herrschaft beerben. Jeremia warnt die weiblich personifizierte Stadt eindrücklich (Jer 4,14–18.30f.; 6,1–8) und beschreibt Jerusalem als Ort der Unterdrückung und Gewalttat, ihre Bevölkerung als selbstherrlich und uneinsichtig (Jer 5,1–6). Diese Anklage gegen die Stadt und ihre Oberschicht verdichtet sich in Jer 13,20–27, in ihrer Charakterisierung als „hurerische“ Ehefrau, deren Verhalten Gott grausam bestraft. 20 Erhebe deine Augen und sieh:31 Sie kommen von Norden. Wo ist die Herde, die dir gegeben wurde, das Kleinvieh deiner Pracht? 21 Was wirst du sagen, wenn er die als Herrscher über dich setzt, die du selbst als Vertraute an dich gewöhnt hast? Werden nicht Wehen dich ergreifen wie eine gebärende Frau? 22 Und sprichst du in deinem Herzen: Warum hat mich dies getroffen? Der Menge deiner Vergehen wegen wurden deine Gewandsäume aufgedeckt, wurde deinen Fersen Gewalt angetan. 23 Kann ein Kuschit seine Hautfarbe ändern oder ein Panther die Flecken auf seinem Fell? Dann könntet auch ihr Gutes tun, die ihr das Böse gewohnt seid. 24 Ich werde sie zerstreuen wie Stroh, das im Wüstenwind zerstiebt. 25 Dies ist dein (fem.) Los, dein Anteil, dir zugemessen von mir, Spruch JHWHs, weil du mich vergessen und auf Lüge vertraut hast. 26 Und auch ich habe deine Gewandsäume hochgehoben, bis über dein Gesicht, dass man deine Schmach sah. 27 Dein Ehebrechen und dein Wiehern, die Schandtat deiner Hurerei, auf Hügeln, im Feld – ich habe deine Scheusale gesehen. Wehe dir, Jerusalem! Du wirst nicht rein werden. – Wie lange noch? (Jer 13,20–27)
In diesem Text, der sich durch die Anrede an eine einzelne weibliche Gestalt vom Kontext abhebt, wird das Unheil einerseits als noch bevorstehend (V20f.24), andererseits als bereits hereingebrochen beschrieben (V22.26). Der Schuldaufweis in V25 benennt als Vergehen das Vergessen Gottes und das Vertrauen auf Lüge. Vers 27 aber spricht von wiederholtem Ehebruch (hebräisch )נאףund „Hurerei“ ()זנות, charakterisiert die angeredete Figur somit als untreue Ehefrau. Obwohl das Stichwort „Hurerei“ auf Prostitution verweist und damit soziologisch deutlich andere Beziehungen im Blick sind als beim Ehebruch, verbindet dieser Text, wie schon Hos 1–3, beide Phänomene mit dem Ziel, die Vergehen zu steigern. Der hier mit „Scheusale“ übersetzte Begriff שׁקוציםbezieht sich immer auf Bilder und Statuen anderer Gotthei31 So mit dem Ketiv, d. h. dem hebräischen Konsonantentext, und der Septuaginta, die die angeredete weibliche Gestalt mit Jerusalem identifiziert. Das Qere, d. h. der punktierte hebräische Text, liest Plural als Angleichung an das in V18 genannte Herrscherpaar; ihm folgen die lateinische, aramäische und die syrische Übersetzung.
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ten.32 Neben der Verehrung fremder Gottheiten kommen in Jer 13 Bündnisse mit anderen Völkern in Betracht, die in V21 „Vertraute“ ( )אלפיםgenannt werden.33 Der Vergleich mit einem dunkelhäutigen Mann aus Kusch, d. h. Äthiopien, und einem gefleckten Raubtier unterstreicht die Unveränderbarkeit und damit die Unverbesserlichkeit der Adressatin, die erst in V27 beim Namen genannt wird.34 In der Ankündigung der Strafe überlagern sich Bilder der weiblichen Figur und der Stadt. Das hereinbrechende Unheil wird einerseits als militärische Bedrohung durch fremde Mächte charakterisiert (V21), andererseits als von Gott herbeigeführte Strafe (V24.26). Die Metapher einer in Wehen liegenden Frau, die sich in Angst und Schmerzen windet, wird in prophetischen Texten häufig als Reaktion auf Kriegsgefahr gebraucht.35 Die militärische Bedrohung wird als öffentliche Entblößung und Vergewaltigung der untreuen Frau dargestellt. Das Hochheben des Gewandsaums (V22.26) entblößt den weiblichen Unterkörper; die Fersen sind ein Euphemismus für die Genitalien, denen Gewalt angetan wird. Im Bild gesprochen: Die untreue Ehefrau wird von ihren früheren Liebhabern entblößt und vergewaltigt und auch der zornige „Ehemann“ stellt ihren Körper öffentlich bloß. Auf der Sachebene wird damit ausgedrückt: Die Stadt Jerusalem, die sich von ihrem Gott ab- und anderen Gottheiten oder politischen Mächten zuwandte, wurde erobert und zerstört. Texte wie Jer 13,20–27 werden von feministischen Auslegerinnen häufig als „pornoprophetics“ gebrandmarkt und als frauenfeindlich kritisiert.36 Robert Carroll und Ilse Müllner zufolge sind solche Texte jedoch nicht „pornographisch“ im landläufigen Sinn, da sie weder zur Zeit ihrer Entstehung noch heute eine Form von Sexualität repräsentieren oder sexuelle Phantasien anregen wollen.37 Vielmehr zielt Jer 13,20–27 darauf, den impliziten Adres32 Vgl. z. B. 1 Kön 11,5.7; 2 Kön 23,24; Jes 66,3; Jer 4,1; 7,30; Ez 5,11; 7,20; Dan 11,31. 33 Das Wort bezeichnet einerseits Stammesoberhäupter (so mehrfach in Gen 36 und 1 Chr 1 sowie Sach 12,5f.), andererseits einen Jugendfreund oder Liebhaber (Spr 2,17; Jer 3,4). 34 Zur Kritik an der negativen Darstellung dunkler Haut und dem inhärenten Bias gegen dunkelhäutige Menschen vgl. Madipoane Masenya (Ngwan’a Mphahlele), „‚Can the Cushite Change his Skin…?‘ (Jer 13:23): Beating the Drums of African Biblical Hermeneutics“, in Congress Volume Stellenbosch 2016 (hg. v. Louis C. Jonker, Gideon R. Kotzé und Christl M. Maier; VTSup 177; Leiden: Brill, 2017), 285–301. 35 Vgl. Jes 13,8; Jer 6,24; 30,6; 49,24; 50,43; Mi 4,9f. und den Beitrag von Juliana Claassens in diesem Band. 36 Vgl. den Beitrag von Athalya Brenner in diesem Band. 37 Vgl. Robert Carroll, „Desire under the Terebinths: On Pornographic Representation in the Prophets – A Response“, in A Feminist Companion to the Latter Prophets (hg. v. Athalya Brenner; FCB 8; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1995), 275–307; 281–282; Ilse Müllner, „Prophetic Violence: The Marital Metaphor and its Impact on Female and Male Readers“, in Prophetie in Israel: Beiträge des Symposiums „Das Alte Testament und die Kultur der Moderne“ anlässlich des 100. Geburtstags Ger-
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satenkreis zu schockieren, der mehrheitlich aus Männern besteht, die sich mit der negativ dargestellten weiblichen Figur identifizieren sollen.38 Als historischer Hintergrund der sexuellen Gewalt gegen die Stadtfrau – das haben neuere Studien von Cynthia Chapman, Rachel Magdalene und Daniel Smith-Christopher zu antiken Belagerungskriegen gezeigt – kommt die Erfahrung der IsraelitInnen als Opfer neuassyrischer Kriegstechnik in den Blick, die Gewalt gegen Männer und sexuelle Gewalt gegen Frauen einschloss.39 Brad Kelle zufolge repräsentiert die Metapher der geschändeten Stadtfrau die Zerstörung der Hauptstadt auf treffende Weise, da sexuelle Gewalt gegen Frauen dem Belagerungskrieg mit dem Durchbrechen der Stadtmauer und dem gewaltsamen Öffnen des Tores analog ist.40 Diese Stadtpersonifikation charakterisierte in der Zeit ihrer Entstehung also einerseits die Erfahrungen von Männern und Frauen und machte andererseits die Opfer für die erfahrene Gewalt verantwortlich, indem sie deren Verfehlungen gegenüber der eigenen Gottheit hervorhob. Es ist verständlich, dass heutige LeserInnen das Bild des göttlichen Gewalttäters grausam und unerträglich finden. Allerdings haben Studien aus postkolonialer Perspektive gezeigt, dass es in einer Situation der politischen und sozialen Unterdrückung und des Ausgeliefertseins an eine imperiale Macht für die Unterdrückten wichtig ist, ihre eigene Geschichte zu erzählen.41 Um einen letzten Rest an Handlungsfähigkeit und
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hard von Rads (hg. v. Irmtraud Fischer, Konrad Schmid und Hugh G. M. Williamson; Altes Testament und Moderne 11; Münster: LIT, 2003), 199–204; 201. Exum, „Ethics“, 250, spricht im Zusammenhang dieser Identifikation sogar von Missbrauch und nennt als Funktion von Texten wie Jer 13 „a rhetorical strategy of abusing men verbally in the worst possible way“. Cynthia R. Chapman, The Gendered Language of Warfare in the Israelite-Assyrian Encounter (HSM 62; Winona Lake: Eisenbrauns, 2004); F. Rachel Magdalene, „Ancient Near Eastern Treaty-Curses and the Ultimate Texts of Terror: A Study of the Language of Divine Sexual Abuse in the Prophetic Corpus“, in A Feminist Companion to the Latter Prophets (hg. v. Athalya Brenner; FCB 8; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1995), 326–352; Daniel L. Smith-Christopher, „Ezekiel in Abu Ghraib: Rereading Ezekiel 16:37–39 in the Context of Imperial Conquest“, in Ezekiel’s Hierarchical World: Wrestling with a Tiered Reality (hg. v. Stephen L. Cook und Corrine L. Patton; SBLSymS 31; Leiden: Brill, 2004), 141–157. Eine gute Zusammenfassung der bisherigen Forschungen bietet Ruth Poser, Das Ezechielbuch als Trauma-Literatur (VTSup 154; Leiden: Brill, 2012), 169–248; vgl. auch ihren Beitrag in diesem Band. Brad E. Kelle, „Wartime Rhetoric: Prophetic Metaphorization of Cities as Female“, in Writing and Reading War: Rhetoric, Gender, and Ethics in Biblical and Modern Contexts (hg. v. Brad E. Kelle und Frank Ritchel Ames; SBLSymS 42; Atlanta: SBL, 2008), 95–112; 104: „Certainly the violation of women as a metaphor fits the destruction of capital cities, for the stripping, penetration, exposure, and humiliation of the women is analogous to siege warfare, with its breaching of the wall, entrance through the gate, and so forth.“ Vgl. Homi K. Bhabha (Hg.), Nation and Narration (London: Routledge, 1990), 1–7; Ders., The Location of Culture (London: Routledge, 1994), 199–244; dt.: Die Veror-
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eine Hoffnung auf Änderung der Verhältnisse zu bewahren, thematisieren Opfer imperialer Gewalt eher die eigene Schuld anstatt sich selbst als völlig hilflos und die Unterdrücker als übermächtig darzustellen. Im Rekurs auf die Zerstörung Jerusalems als Strafe Gottes für eigene Verfehlungen ist somit die Hoffnung eingeschlossen, dass Gott mächtiger sei als die menschlichen Gegner und daher das Schicksal der Stadt und der Überlebenden wenden könne. Da die Stadt weiblich personifiziert wird, ist die Opferrolle weiblich besetzt – diese patriarchale Perspektive muss ebenso kritisch benannt werden42 wie die Tatsache, dass die Texte die Opfer kriegerischer Handlungen für den eigenen Untergang verantwortlich machen. Diese Opfer sind jedoch Frauen und Männer, sodass die Texte an sich weder die Schuld nur auf Frauen projizieren noch zur Gewalt gegen konkrete Frauen aufrufen oder solche Gewalt rechtfertigen.
3.2
Fremde Städte: Tyrus, Sidon und Ninive
Die phönizischen Hafenstädte Tyrus und Sidon werden in Jes 23 als reiche Händlerinnen charakterisiert, deren Schiffe das Mittelmeer bis nach Tarschisch in Südspanien befahren. Der Prophet bezeichnet diese Handelskontakte abwertend als „Hurerei“ (23,16–18), beklagt die Überheblichkeit der beiden Städte (23,9), die Macht ihrer Fürsten und Kaufleute (23,8) und prophezeit ihnen dasselbe Schicksal wie Jerusalem: Sidon wird vergewaltigt, durch fremde Herrscher zerstört werden (23,12), Tyrus 70 Jahre verlassen sein (23,15–17). Der Prophet Ezechiel kündigt Tyrus die Belagerung durch Nebukadnezzar (Ez 26,7–14) an und erhebt in Kap. 27 die Totenklage über die Stadt, die er als prächtiges Handelsschiff beschreibt, das im Meer versinkt. Sidon prophezeit er das Ende durch Pest und Schwert (Ez 28,21–23). Der Untergang der phönizischen Handelsstädte ist – darin stimmen die Fremdvölkerworte im Jesaja- und Ezechielbuch überein – ein Werk JHWHs, des Gottes Israels, der damit ihre wirtschaftliche und politische Dominanz bestraft, obwohl weder Tyrus noch Sidon als direkte Gegnerinnen Samarias oder Jerusalems dargestellt werden. Ursprünglich kommentierten diese Gedichte über die phönizischen Städte wohl deren Untergang oder Bedrohung durch die Großmächte, um die Geschichtsmächtigkeit der eigenen Gottheit herauszustellen. Sidon wurde 677 v. Chr. durch die Assyrer eingenommen.43 Tyrus war zeitweise den Assyrern, Babyloniern und Persern tributpflichtig, konnte aufgrund seiner tung der Kultur (Tübingen: Stauffenberg, 2000), 207–254. 42 So auch Maria Häusl, Bilder der Not: Weiblichkeits- und Geschlechtermetaphorik im Buch Jeremia (HBS 37; Freiburg i. Br.: Herder, 2003), 166. 43 Vgl. Markus Saur, „Sidon [April 2015]“, in Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, online: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/28525/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019], 2.
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Insellage aber erst 333–332 v. Chr. durch Alexander den Großen nach siebenmonatiger Belagerung eingenommen werden.44 Im Verlauf der Überlieferung wurden die Texte durch weitere Motive aus dem jeweiligen Prophetenbuch aufgefüllt und so enger mit der Unheilsankündigung an Jerusalem verknüpft. Demgegenüber repräsentiert Ninive, die Hauptstadt des neuassyrischen Reiches, eine Israel und Juda feindlich gesinnte Macht. Ninives Untergang wird in der Prophetenschrift Nahum (von נחם, „trösten“, abgeleitet) in poetischen Schreckensbildern ausgemalt. Die Stadt wird zu den Feinden JHWHs gerechnet (Nah 1,2) und als „Blutstadt“ charakterisiert, in der Lüge und Gewalttat herrschen (3,1); sie wird als „Hure“ und Zauberin (3,4) bezeichnet. In der Verschränkung von Bildern militärischer und sexueller Gewalt beschreibt Nah 3,4–7 die Verheerung und Vergewaltigung der einst so mächtigen Stadt durch JHWH. Tatsächlich zerstörten die Babylonier Ninive im Jahr 612 v. Chr. und besiegelten damit das Ende des neuassyrischen Reiches. Im Kontext altorientalischer Kriegsrhetorik und Kriegserfahrung ist die Darstellung JHWHs als Sieger, der Ninive sexuelle Gewalt antut, nichts Neues und der Sache nach sogar rechtlich unbedenklich, da die Vergewaltigung einer Prostituierten, anders als Ehebruch, nicht die Rechte eines anderen Mannes verletzt.45 Deshalb preist der in Nah 1,2–9 zugesetzte Psalm JHWH sogar als guten und gerechten Gott und deutet das Geschehen als Trostbotschaft für Juda. Aus heutiger Perspektive ist solche Gewalt jedoch als Kriegsverbrechen und massive Verletzung der Würde von Frauen zu beurteilen. Diese Gewaltphantasien männlicher Kriegsopfer in Juda sind als Gottesmetapher gänzlich ungeeignet. Mit Gerlinde Baumann kann deshalb die Nahumschrift heute nur als Klagetext gelesen werden, der die Verflechtung von staatlicher, militärischer und sexueller Gewalt aufzeigt und selbst keinen Weg aus der Gewalt weist.46 Die in der Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte erkennbare Deutung der Worte gegen fremde Städte als Trostbotschaft für Juda und Jerusalem ist heutigen LeserInnen jedenfalls verwehrt.47
44 Vgl. Markus Saur, „Tyrus [August 2011]“, in Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, online: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/73772/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019], 2. 45 So mit Gerlinde Baumann, „Das Buch Nahum: Der gerechte Gott als sexueller Gewalttäter“, in Kompendium Feministische Bibelauslegung (hg. v. Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 32007), 347–353; 350. 46 Vgl. Baumann, „Nahum“, 352f. 47 Zu möglichen Heilungsperspektiven für Opfer militärischer und sexueller Gewalt mittels biblischer Texte vgl. den Beitrag von Ruth Poser in diesem Band.
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3.3
Christl M. Maier
Die „Hure“ Babylon
Die Stadt Babylon wird in der Hebräischen Bibel 261-mal genannt, meist im Titel „der König von Babel“ und als Aufenthaltsort der Exilierten (Esra 2,1; 5,12; Jer 39,9). Die Turmbauerzählung in Gen 11,1–9 erklärt ihren hebräischen Namen בבלmit Verweis auf das Verb בלל, „verwirren, durcheinanderbringen“ (Gen 11,9), als Gottesurteil über menschliche Hybris. Gott zerstört den gewaltigen Turm, mit dem sich die in Babel wohnenden Menschen „einen Namen machen“ wollen, und verwirrt ihre Sprache, sodass sie sich zerstreuen.48 In Jer 51,13 wird Babylon als reiche Stadt an großen Wassern beschrieben, in Jes 47,9–13 als Herrin und mächtige Stadt des Wissens, der Mantik und Astronomie. Jes 13,19–22 und Jer 50–51 entlarven das Machtstreben der „Tochter Babel“, der Hauptstadt des neubabylonischen Reiches, und kündigen ihr, deren Heer im Jahr 587 v. Chr. Jerusalem zerstörte, ebenfalls die Verwüstung an.49 Dabei formulieren Jer 50–51 die schwersten Vorwürfe gegen Babylon und ihren König in einem Gewirr von Stimmen, Kriegsszenarien und Redeformen. Die beiden Kapitel nehmen zahlreiche Motive aus der Unheilsankündigung gegen Jerusalem in Jer 4–6 auf, spielen aber auch auf die Babelworte in Jes 13 und weitere Texte an. Aus der Fülle an Motiven und Anklagen in Jer 50–51 schließlich schöpft der Verfasser von Offb 17–18, der Babylon als Urbild der Hurerei und Zerstörung zeichnet und der großen Stadt die endzeitliche Zerstörung ankündigt. Da Jes 47 durchgängig Babylon als Frau adressiert und die Personifikation konsequent durchhält, soll dieser Text hier als Beispiel für die Charakterisierung der Stadt dienen. In der exilisch-nachexilischen Heilsverheißung von Jes 40–55 stellt die Erniedrigung der „jungen Frau, Tochter Babel“ zu einer Sklavin in Jes 47 das negative Gegenbild zu der Wiedereinsetzung der verlassenen und kinderlosen Frau Jerusalem in königliche Würde (Jes 54) dar. Sprecher in Jes 47 ist Gott selbst, der in V3 seine Rache ankündigt und in V4 von den judäischen Adressaten als Erlöser ( )גואלbezeichnet wird. JHWH kündigt Babel den Verlust ihres Thrones (V1) und das Ende ihres Status als Gebieterin (גבירה, V5.7) an. Sie muss sich in den Staub setzen und Sklavendienste wie das Mahlen von Mehl verrichten (V2). Die als „Tochter der Chaldäer“ (V1.5) bezeichnete Stadtfrau wird aufgefordert, Flüsse zu durchwaten und in die Finsternis zu gehen. Diese Situation und das dreimal genannte Verb 48 Zur Deutung von Gen 11,1–9 als Polemik gegen die neuassyrische Herrschaftspropaganda vgl. Christoph Uehlinger, Weltreich und „eine Rede“: Eine neue Deutung der sog. Turmbauerzählung (Gen 11,1–9) (OBO 101; Fribourg: Universitätsverlag, 1990). 49 Vgl. noch Ps 137,8; Jes 21,9 erhebt die Totenklage über Babel. Eine ausführliche Interpretation der verschiedenen Texte zu Babylon bietet Ulrike Sals, Die Biographie der „Hure Babylon“: Studien zur Intertextualität der Babylon-Texte in der Bibel (FAT 2/6; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004).
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גלה, „aufdecken, entblößen“, das auch „in die Verbannung gehen“ bedeutet, verheißen Babylon das Geschick der Deportation und des Exils.50 Auch sie wird nun – wie einst Jerusalem – Witwenschaft und Kinderlosigkeit kennenlernen. Der Untergang Babylons bedeutet für die judäischen Adressaten der Prophetie das Ende ihrer Gefangenschaft.51 Die Eroberung der einst stolzen Herrin Babylon wird in V2f. als sukzessive Entblößung ihres Körpers imaginiert, die eine Statusminderung ausdrückt. Die Aussage „deine Scham werde aufgedeckt, auch deine Schande wird man sehen“ (V3a) weist auf sexuelle Gewalt hin. Begründet wird dieser von JHWH herbeigeführte Status- und Ehrverlust mit Babylons mangelnden Erbarmen gegenüber den aus Juda deportierten Menschen (V6) und dem Glauben an die Fortdauer der eigenen Macht (V7): Sie hat nicht erkannt, dass sie nur temporär Werkzeug JHWHs war. Das der Stadtfrau zweimal in den Mund gelegte Zitat „ich und niemand sonst“ (V8.10; vgl. noch Zef 2,15) betont ihren Herrschaftsanspruch und erinnert an die Aussage JHWHs, der sich im Kontext deuterojesajanischer Prophetie als einzige Gottheit präsentiert (Jes 43,10.13; 44,6; 45,5.18; 48,12). Damit wird Babylon als vermeintliche Gegenspielerin des Gottes Israels charakterisiert, der die Herrin aber letztlich entmachtet. Sie, deren frühere, hochtrabende Worte noch einmal zitiert werden (V7.8.10), muss verstummen (V5) und kann, anders als Jerusalem, ihr Schicksal nicht einmal mehr beklagen.52 Im Rückblick (V11–15) wird noch einmal genannt, was Babel einst auszeichnete: Weisheit und Wissen, Mantik und Zukunftsdeutung. Freilich werden alle diese Wissenschaften, so die Ankündigung, den Fall der großen Stadt nicht aufhalten können und ihr nicht helfen. Diese umfassende Dekonstruktion Babylons als Hauptstadt imperialer Macht nimmt einerseits die Motivik der deuterojesajanischen Heilsprophetie auf, um die unmittelbar bevorstehende Erfüllung der Unheilsansage gegen Babylon in Jes 13,19–22 und 14,22f. zu betonen.53 Sie verwendet andererseits die traditionelle Kriegsmetaphorik mit Bildern sexueller Gewalt gegen die Stadtfrau (vgl. Jer 13; Ez 16; 23). Es handelt sich auch in Jes 47 um eine Rachephantasie, denn die Entblößung und Erniedrigung Babylons ist als Wunsch (V3) formuliert und von einer physischen Zerstörung der Stadt ist explizit nicht die Rede. Diese Besonderheit trägt vermutlich der Tatsache Rechnung, dass Babylon von Kyros II. nicht zerstört wurde, weil die MardukPriesterschaft aufgrund ihrer Gegnerschaft zum letzten babylonischen Kö50 Vgl. Sals, Biographie, 303. 51 Vgl. Sals, Biographie, 306. Ulrich Berges, Jesaja 40–48 (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2008), 480, schlägt für die Grundschicht von Jes 46–48 eine Datierung um 520 v. Chr. vor. 52 Sals, Biographie, 306, versteht den Verlust der Stimme als letzten und brutalsten Schritt der Entwürdigung. 53 Vgl. Berges, Jesaja 40–48, 487.
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nig Nabonid dem fremden Feldherrn gewogen war.54 Gemäß Jes 45,1–4 ist es JHWH, der Kyros als Befreier herbeiruft und der Herrschaft Babylons so ein Ende bereitet.55 Jes 47 unterstreicht damit die Wirkungslosigkeit der babylonischen Weisheit und Götterwelt. Aus feministischer Perspektive ist diese Unheilsankündigung an Babel aber genauso kritisch zu hinterfragen wie diejenige an Jerusalem, da auch sie die weibliche Stadt zum Opfer stilisiert und Kriegsgräuel als gerechte Strafe für menschliche Überheblichkeit und menschlichen Machtwillen darstellt.56
4.
Weibliche Städte und Länder und ihr männlicher Gott als patriarchales Konstrukt
Feministische Hermeneutik ist Grundlage und Ausgangspunkt einer kritischen Lektüre der weiblichen Personifikation von Städten und Ländern in der Schriftprophetie. Gegenüber den wenigen positiv konnotierten Beispielen wie der Stadt als Mutter und schützenswerter Tochter überwiegen negative Charakterisierungen der Stadt als „hurerisch“ aufgrund politischer Bündnisse mit den Großmächten oder der Hinwendung zu anderen Gottheiten. Das häufigste Motiv ist das der Zerstörung der Stadt, die metaphorisch als Entblößung, Erniedrigung und Vergewaltigung der Frauenfigur dargestellt wird. Dieses Motiv zielte darauf, den Adressatenkreis der Texte zu schockieren – und es schockiert LeserInnen bis heute. Die Metaphorik ist vor dem Hintergrund erlebter Gewalt in Kriegen zu erklären, in denen Israel und Juda überwiegend Opfer waren. Im Rekurs auf diesen kulturellen und historischen Ursprungskontext bewahrt eine solche Erklärung heutige Leserinnen vor einer Identifikation mit der weiblichen Opferrolle und heutige Leser vor einer Identifikation mit der Perspektive Gottes und des jeweiligen Propheten. Keine Erklärung kann jedoch den Anstoß eines gewalttätigen Gottesbildes gänzlich eliminieren. Die Metaphorik muss daher interpretiert werden als eine kultur- und zeitspezifische, die heute missverständlich und für die Charakterisierung Gottes untragbar ist. Stattdessen sind LeserInnen herausgefordert, andere Gottesbilder zu entdecken und andere Handlungsmuster in den zwischenmenschlichen Beziehungen zu wählen. Heutige Interpretationen müssen deutlich Kritik an der 54 Vgl. Klaas R. Veenhof, Geschichte des Alten Orients bis zur Zeit Alexanders des Großen (übers. v. Helga Weippert; GAT 11; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001), 284–286; Berges, Jesaja 40–48, 376. 55 Das Ziel des Textes ist, nach Berges, Jesaja 40–48, 391f., den Gott Israels als weltweit bekannten Lenker der Geschichte darzustellen. 56 Auch Sals, Biographie, 323–327, weist auf die Geschlechterdifferenz der in Jes 14 und Jes 47 charakterisierten Figuren und deren einseitige, frauenfeindliche Auslegung hin.
Tochter Zion und Hure Babylon
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gewählten Metaphorik üben und darauf hinweisen, dass sich das Verständnis von Elternschaft, Ehe und Sexualität grundlegend geändert hat. In diesem Zusammenhang erscheint mir wichtig, dass die Textform, in der die Personifikation von Städten und Ländern überwiegend begegnet, diejenige der Klage ist. Wenn die sexuelle Erniedrigung und gewaltsame Zerstörung der Stadt im Modus der Klage thematisiert wird, so bedeutet das für die heutige Interpretation der Texte, dass in ihnen das Trauma der Zerstörung und die Perspektive der Opfer ausgedrückt werden. Eine einfache Identifikation von LeserInnen mit der weiblichen Figur wäre gerade kontraproduktiv.57 Deshalb schlage ich vor, diese Klagen über die Zerstörung eines Kollektivs, einer Stadt oder eines Landes, als kritisches Aufbegehren gegen Krieg und Fremdherrschaft zu verstehen und zum Ausgangspunkt einer ständigen Kritik an dominanten Gottesbildern und hierarchischen Geschlechterbeziehungen zu machen.
57 So auch Baumann, Liebe und Gewalt, 236.
Ehemetaphorik bei den Propheten Einige Fragen aus geschlechtsspezifischer Sicht Marta García Fernández Universidad Pontificia de Comillas, Madrid
Die Ehemetaphorik, die als Ausdruck für die Beziehung zwischen Gott und Israel verwendet wird, erscheint zum ersten Mal in Hos 1–3 und wird sodann von den größeren Propheten, nämlich in Jes 54 und 62, Jer 2,2–4,41 sowie in Ez 16 und 23 weiterentwickelt. In der Weisheitsliteratur ist sie ebenfalls zu finden. Hier nimmt sie jedoch eine andere Färbung an, weil sie weniger den Bund mit JHWH als vielmehr die Beziehung absoluter Hingabe ausdrückt, die der Schüler mit der Weisheit eingehen soll (Spr 1–9; 31,10–31; Sir 6,18– 37; 14,20–15,10; 51,13–30). Die umfangreiche Bibliographie der letzten 40 Jahre zeugt von dem wachsenden Interesse an diesem Thema der prophetischen Bücher, das aber auch den Weisheitsbüchern nicht fremd ist. Zudem ist zu beobachten, dass sich der Fokus der Forschung verschoben hat. Bis 1980 nämlich richteten sich die Untersuchungen eher auf das Handeln Gottes und seine Liebe zu Israel als Grundlage der Metapher. Seit den 1980er Jahren hingegen legt die feministische Forschung den Schwerpunkt eher auf die Rolle der Frau und stellt den gewalttätigen und zuweilen „pornographischen“ Charakter des Ehebildes heraus.2 Die vorliegende Untersuchung verfolgt das Ziel, das Warum der JHWH 1 2
Weitere Episoden mit dieser Symbolik finden sich auch in Jer 13,20–27; 31,31–34. Sechs Monographien feministischen Zuschnitts befassen sich ausschließlich mit diesem Thema: Nelly Stienstra, YHWH is the Husband of His People: Analysis of a Biblical Metaphor with Special Reference to Translation (Kampen: Kok Pharos, 1993); Renita J. Weems, Battered Love: Marriage, Sex, and Violence in the Hebrew Prophets (OBT; Minneapolis: Fortress Press, 1995); Richtsje Abma, Bonds of Love: Methodic Studies of Prophetic Texts with Marriage Imagery (Isaiah 50:1–3 and 54:1– 10, Hosea 1–3, Jeremiah 2–3) (SSN 40; Assen: Van Gorcum, 1999); Gerlinde Baumann, Liebe und Gewalt: Die Ehe als Metapher für das Verhältnis JHWH – Israel in den Prophetenbüchern (SBS 185; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2000); Teresa Solà, Jahvè, espòs d’Israel: Poderosa metàfora profètica (Barcelona: Claret, 2006); Sharon Moughtin-Mumby, Sexual and Marital Metaphors in Hosea, Jeremiah, Isa iah, and Ezekiel (OTM; Oxford: Oxford University Press, 2008). Neben diesen Monographien – von denen einige wie etwa die von Renita J. Weems auch ins Spanische übersetzt worden sind – liegen zu diesem Thema weitere Kapitel oder Abschnitte in spanischer Sprache vor, z. B.: Luis Alonso Schökel und J. Sicre Díaz, Profetas 2 (NBE Comentario; Madrid: Ediciones Christiandad, 1980), 880–882; Mercedes Navarro Puerto, „La figura femenina en los libros de los profetas Amós y Oseas“, in
Ehemetaphorik bei den Propheten
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zugeschriebenen Strafhandlungen zu verstehen und schlägt daher einen anderen Weg ein: die soziale Situation der Frau und ihren Status innerhalb der Ehe anhand der Gesetze zu beurteilen, die die eheliche Beziehung regelten.
1.
Verwendung der Ehemetapher: Jesaja versus Hosea, Jeremia und Ezechiel
Die Stilfigur der Metapher entsteht aus der Assoziation und hat als wesentliches Element ein Tertium comparationis, das paradoxerweise verborgen bleibt und an die Intelligenz des Lesers appelliert. Es zu dechiffrieren ist grundlegend, wenn man Sinn und Zweck seiner Verwendung verstehen will. Dennoch – und eben weil es verborgen bleibt – sollte man sich hüten, Gegebenheiten der biblischen Ehe einfach so auf die Ehemetapher zu übertragen.3 Es ist nicht so leicht, aus dieser Sackgasse herauszufinden. Die Stellen, an denen sie verwendet wird, liefern erste Hinweise auf einen möglichen Ausweg. Traditionell wird die Verwendung der Ehemetapher dem Propheten Hosea aus dem 8. Jh. v. Chr. zugeschrieben. Der Passus Hos 2,4–25 weist jedoch gewisse Parallelen zu später datierten Texten auf (Jer 2,1–19; Ez 16). Hinzu kommt, dass der gesamte Abschnitt Hos 1–3 aus einem Wechsel zwischen Anklage und Verheißung besteht.4 Diese Nebeneinanderstellung ist typisch für die späteren Propheten5 und deutet auf eine intensive redaktionelle Bearbeitung dieser Kapitel hin.6 Außer in Hos 1–3 tritt die Metapher konzentriert in Texten nachexilischer Prägung (Jes 54; 62; Jer 2,2–4,4; Ez 16; 23) auf, in denen die Bildwelt des Neuen Bundes vorherrscht.7 Gleichwohl ist die Ver-
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De la ruina a la afirmación: El entorno del Reino de Israel en el siglo VIII a.C. (hg. v. Santiago Ausín Olmos; ABE 33; Estella: Verbo Divino, 1997), 193–218. Vgl. Tikva Simone Frymer-Kensky, In the Wake of the Goddesses: Women, Culture, and the Transformation of Pagan Myth (New York: Free Press, 1992), 148f.; Hennie J. Marsman, Women in Ugarit and Israel: Their Social and Religious Position in the Context of the Ancient Near East (OtSt 49; Leiden: Brill, 2003), 119. Hos 1,2–9 (Anklage); 2,1–3 (Verheißung); 2,4–15 (Anklage); 2,16–25 (Verheißung); 3,1–3 (Anklage); 3,4f. (Verheißung). Vgl. Marta García Fernández, „Consolad, consolad a mi pueblo“: El tema de la consolación en Deuteroisaías (AnBib 181; Rom: Gregorian & Biblical Press , 2010), 153, Anm. 151. Vgl. Bernard Renaud, „Genèse et unité rédactionnelle de Os 2“, RevSr 54 (1980): 1–20; Ders., „Osée 1–3: analyse diachronique et lecture synchronique, problèmes de méthode“, RevSr 57 (1983): 249–260; Walter Vogels, „Diachronic and Synchronic Studies of Hosea 1–3“, BZ NF 28 (1984): 94–98. Zu den charakteristischen Merkmalen des Neuen Bundes vgl. Angelo Borghino, La „Nuova Alleanza“ in Is 54: Analisi esegetico-teologica (TG.T 118; Rom: Gregorian University Press, 2005), 333–373.
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Marta García Fernández
wendung der Metapher nicht homogen. Am auffälligsten ist – einmal abgesehen von den individuellen Unterschieden zwischen den Propheten – die Tatsache, dass Jesaja ihr einen positiven Charakter verleiht, während sie überall sonst eine negative Bedeutung hat. Ein Indiz ist das Vorkommen der Wurzel sich prostituieren ( )זנהoder des Substantivs Prostitution ()זנונים. Während diese Wortfamilie bei Hosea, Jeremia und Ezechiel häufig im Kontext der bräutlichen Metaphorik vorkommt,8 ist sie bei Jesaja praktisch nicht existent.9 Obwohl also der Letztgenannte Jerusalem als verlassene und gedemütigte Frau darstellt, um die Situation des Exils zu versinnbildlichen (Jes 54,1–6), bezeichnet er sie nicht als Ehebrecherin; das heißt, das Bild wird in Verbindung mit anderen semantischen Feldern verwendet.10 Die anderen drei Propheten hingegen bekräftigen – jeder auf seine Weise – diesen ihr gleichsam „angeborenen“ Hang zum Ehebruch.11 Den Ehebruch beschreibt Hosea als ein Den-Liebhaber-Hinterhergehen (Hos 2,7.9.15).12 Auch Jeremia verwendet Formulierungen wie „sich von JHWH entfernen“, „nichtigen Gottheiten nachlaufen“ oder „untreu werden“ (Jer 2,4–8). Dieser Prophet ist allerdings sehr viel plastischer, wenn es darum geht, das Verhalten der Frau zu karikieren.13 Während sie nämlich bei Hosea wusste, wohin sie ging, macht Jeremia deutlich, dass sie sich mit jeIn den besagten Kapiteln findet sich das Verb זנהin Jer 2,20; 3,1.3.6.8; Ez 16,15– 17.26.28(2x).30–35.41; 23,3(2x).5.19.30.43(2x).44; Hos 1,2(2x); 2,7; 3,3. Der Plural des Substantivs זנוניםfindet sich in Ez 23,11.29; Hos 1,2(2x); 2,4.6. 9 Die beiden einzigen Vorkommen finden sich am Anfang des Buches (Jes 1,21 mit Bezug auf Zion) und in Jes 57,3, wo die Israeliten als ehebrecherische Generation dargestellt werden. 10 Die mit Zion gleichgesetzte Frau befindet sich in einer Situation der Schmach und ִ ) ֲעund ihre WitVerlassenheit (Jes 54,4–6). Während in V. 4 ihre Jugend (לּומים wenschaft ( ) ַא ְל ְמנּותmit Schande behaftet sind – das bringt das semantische Feld der Schmach ( ֶח ְר ָּפה, כלם, בוׁש, )ב ֶֹּׁשתzum Ausdruck –, stellt V. 6 die negativen Umstände mit Wörtern aus dem semantischen Feld der Ablehnung dar: eine verlassene (א ָּׁשהִעִזּובִָּׁה ִ ) und bekümmerte Frau (רּוח ַ ַ ;) ֲעצּובַתdie Frau seiner Jugend (עּורים ִ ְא ֶׁשתֵנ ֵ ), die verstoßen wird (( )מאסvgl. auch Jes 60,15 und 62,4). Während Jes 54,4–6 die Vorstellung von Jerusalem als einer Braut vertieft, konzentriert sich Jes 54,1–3 auf Jerusalem als Mutter und beschreibt ihre negative Situation mit den Adjektiven einsam (ׁשֹומ ָמה ֵ ) und unfruchtbar ()עֲ ָק ָרה. 11 So ist in Ez 16,31–34 von einem Ehebruch ohne Entlohnung die Rede, bei dem die Frau nicht nur nichts einnimmt, sondern sogar zahlen muss, um sich zu prostituieren. Dies ist ironisch zu verstehen und soll die Abgaben ins Lächerliche ziehen, die als Gegenleistung für deren Schutz an fremde Mächte bezahlt werden. 12 Während Hosea die Baale als „Liebhaber“ oder Gefährten beschreibt (Hos 2,7.9.12.14f.), spielen Jeremia und Ezechiel auf fremde Völker an (Jer 22,10.22; 30,14; Ez 16.33.36f.; 23,5.9.22). 13 In Jer 2,20f. heißt es beispielsweise, dass aus der Edelrebe ein Wildling, ein entarteter Weinstock geworden sei; in V. 23 wird sie als schnelle Kamelstute bezeichnet. Gott wird als Quell des lebendigen Wassers den Zisternen mit Rissen gegenübergestellt (V. 13): jenen Ländern, zu denen man sich aufmacht, um zu trinken (V. 18), ohne 8
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dem Fremden einlässt, der des Weges kommt (Jer 2,24f.33.36; 3,1–2), und dies sogar für gerechtfertigt hält (Jer 2,20–35).14 Auch der Prophet Ezechiel geht in einer eindeutigen Allegorisierung der Geschichte ausführlich auf diesen Aspekt ein (Ez 16,15): Auf eine Zeit idyllischer, von Treue gekennzeichneter Liebe (Ez 16,3–14//Jer 2,2f.) folgt eine Phase des Ehebruchs (Ez 16,15–34// Jer 2,4–8). Das erhaltene Geschenk, das der Frau Ruhm eingetragen hat, gerät in Vergessenheit, und aus Vergessen wird Verrat, ja „Prostitution“, die sich nach zwei Seiten hin ausdrückt: im Götzendienst (Ez 16,15–22) und im Bund mit fremden Völkern (Ez 16,23f.). Folgerichtig wird Gott im Rahmen der Ehemetaphorik als ein Mann vorgestellt, der, nachdem er „entehrt“ worden ist, seine Frau verstößt15 und ihr gegenüber gewalttätig auftritt. Dabei reichen seine Handlungen von verzweifelten Versuchen, sie zurückzugewinnen (Hos 2,8f.), über massive Drohungen (Hos 2,5f.) bis hin zu harter Bestrafung (Ez 16,37–41). Insbesondere Ez 23 wimmelt von Bildern äußerster Gewalt: Handlungen und Drohungen wie Verstümmelung (Ez 23,25), öffentliche Entblößung,16 Entzug des männlichen Schutzes und der materiellen Unterstützung (Ez 16,8; Hos 2,11–14) bis hin zu der Ankündigung, sie verdursten zu lassen (Hos 2,5).17 So zeigt sich der
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seinen Durst jedoch stillen zu können, weil Israel wie eine stets trockene Kehle ist (vgl. V. 25). Allerdings wird bei Jeremia der Aspekt der Torheit stärker gewichtet und ein derartiges Verhalten weniger mit Bosheit als vielmehr mit Unwissenheit begründet. Gleichwohl führt auch Hosea die Wurzel dieser Verirrung auf die falsche Annahme zurück, Baal sei derjenige, der das Leben schenkt (Hos 2,10.15). Hand in Hand mit diesem Nicht-Begreifen, von wem alles Gute kommt (vgl. Jes 1,2; Jer 2,6), geht das Vergessen, das den unentgeltlichen Charakter einer auf gegenseitiger Liebe gegründeten Beziehung pervertiert (Dtn 32,18; Jer 2,32; 3,21; Ez 16,43). In einigen Fällen wird die Scheidungsformel verwendet: Denn sie ist nicht meine Frau und ich bin nicht ihr Mann (Hos 2,4; Jer 2,9f.; vgl. auch Hos 1,9; 2,2.25). Vgl. Mordechai Akiva Friedman, „Israel’s Response in Hosea 2:17b: ‘You are my Husband’“, JBL 99 (1980): 199–204; Maria Dass, „The Divorce (?) Formula in Hos 2:4a“, ITS 34 (1997): 56–88. Stellen, die diese Handlung erwähnen, sind: Hos 2,5.12; Jer 13,22.26–27; Ez 16,37.39; 23,10.26.29. Neben einer Vergeltung nach der Regel „Gleiches mit Gleichem vergelten“ – wer sich entblößt hat, wird durch Entblößung öffentlich gedemütigt (Lev 18,7– 9) – kann diese Handlung auch als Vorbereitung auf eine Hinrichtung gedeutet werden (Ez 16,37–41). Tatsächlich wurde Ehebruch wie in der mesopotamischen Gesetzgebung (LE 28 = A II 34–37; B II 1–2) mit der Todesstrafe geahndet (Lev 19,10– 19; 20,10; Dtn 22,22). Anders als vergleichbare Kodizes des Alten Orients sehen die biblischen Gesetze bei Ehebruch und Inzest für sie und ihn dieselbe Strafe vor. Siehe dazu Federico Lara Peinado, Código de Hammurabi: Estudio preliminar, traducción y notas (Clásicos del pensamiento 23; Madrid: Tecnos, 1986), LXXXVIII. Eine Auflistung von Gesetzen zu Sexualdelikten bietet Joaquín Sanmartín, Códigos legales de tradición babilónica (Pliegos de Oriente 2; Barcelona: Trotta, 1999), 283. In diesem Fall würde der Frau das vorenthalten, was sie zum Leben braucht und was Teil der vom Ehemann eingegangenen Verpflichtungen war (vgl. Ex 21,10). Das ist
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Gott des Lebens als ein „Anti-Gott“, der mitleidlos sterben lässt. Doch ungeachtet dieser brutalen Bilder endet diese Episode bei allen drei Propheten mit dem Angebot eines Neuen Bundes (Jer 2,9–19; 3,19–4,2; Ez 16,44–63; Hos 2,16–25). Bei Jesaja hingegen scheint es, als sei sie die Beleidigte. Im ganzen Deuterojesaja nämlich muss Gott auf den stillschweigenden Vorwurf antworten, seine Pflichten vernachlässigt zu haben.18 So kann die inquisitorische Frage in Jes 50,1: Wo ist denn die Scheidungsurkunde, mit der ich eure Mutter fortgeschickt hätte, als Argument der göttlichen Verteidigung gelesen werden: Die Verstoßung ist nicht dokumentiert, das heißt, Israel hat den Bruch und seinen Vorwurf, vernachlässigt worden zu sein, „bloß erfunden“. Gott gibt zu, dass er zornig und erbost gewesen ist; doch dies war nur vorübergehend und, gemessen an der ewigen Dauer seiner Liebe, nur für kurze Zeit (Jes 54,7f.). Auf diese Weise entsteht in Jes 54 eine völlig andere Ehevorstellung. Weit davon entfernt, als unbewusste Ehebrecherin dargestellt zu werden, wird die Frau in den Kategorien einer Leidenden19 und parallel zum Gottesknecht beschrieben.20 Das geht so weit, dass ebendieses Leiden Heil und Kinder hervorbringt, die keine Kinder der Unzucht, sondern Knechte ( ; ַע ְב ֵדי יְ הוָ ה54,17) ֵ ; ִל54,13) sind. Mithin handelt es sich nicht und Schüler JHWHs (ּמּודי יְ הוָ ה um bloße Mutterschaft, sondern um eine Mutterschaft, die eng mit der Vaterschaft des Gottesknechts verbunden ist.21 Zu dieser positiven Perspektive passt es auch, dass Gott als dem Ehegatten ganz andere Handlungen zugeschrieben werden: z. B. dass er sie verschönert (Jes 54,11f.), sie innerlich wiederaufrichtet (Jes 54,13f.) oder sie mit Gütern beschenkt (Jes 54,11–17; 55,1–3). Besondere Aufmerksamkeit unter all diesen Handlungsbeschreibungen gebührt Jes 54,5: Dein Schöpfer (ׂ ע ַׂשיִ ְך ֹ ) ist dein Gemahl ()ב ֲֹּע ַליִ ְך. Hier wird der Akt der Erlösung mit einer schöpferischen eine mögliche Deutung der Ankündigung in Hos 2,5, sie vor Durst sterben und wie verdorrtes Land werden zu lassen. Denkbar ist jedoch auch, dass der Durst auf eine nicht befriedigte und ungestillte Liebessehnsucht anspielt (vgl. Jer 2,24f.; 3,1–5). Die nicht vorhandene Beziehung führt zu Unfruchtbarkeit und lässt sie austrocknen wie eine Wüste. 18 Das zeigt García Fernández, Consolad, 175–233; Kapitel IV. 19 So beispielsweise in Jes 54,11: ohne Trost (חמה ֹ ֻ) ֹלאֹנ, arm ( ) ֲענִ יָּהund vom Sturm ֵ ) und arm () ֲע ָקרָָה. gepeitscht ( )ס ֲֹערָהoder auch in Jes 54,1: unfruchtbar (ֹׁשוממָה 20 Im Grunde ist der ganze zweite Teil des Deuterojesaja (Jes 49–55) ein Wechsel zwischen Knecht und Zion: Knecht (49,1–13) – Zion (49,14–50,3) – Knecht (50,4–11) – Zion (51,1–52,12) – Knecht (52,13–53,12) – Zion (54,1‑17). Siehe dazu John F. A. Sawyer, „Daughter of Zion and Servant of the Lord in Isaiah: A Comparison“, JSOT 44 (1989): 89–107. 21 Vgl. García Fernández, Consolad, 281–283. Angelo Borghino unterscheidet drei Ansätze: Manche vermuten eine Beziehung zwischen dem Knecht und Zion; andere betrachten beide als identisch; und wieder andere postulieren eine Parallelentwicklung der beiden Figuren und halten sie für austauschbar (vgl. Borghino, La „Nuova Alleanza“, 396f.).
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Konnotation versehen, die sich darin ausdrückt, dass er zur Beziehung befähigt. Gott erschafft sie just dadurch, dass er zu ihr in Beziehung tritt.22 So gesehen kehrt Jesaja die Ehemetaphorik um und lässt die Frau bzw. Jerusalem in positiverem Licht erscheinen.
2.
Die Ehemetaphorik zwischen Eignung und Unbehagen
Die Verwendung der Metapher zeitlich einzuordnen hilft uns, ihre Eignung zu verstehen. Denn auch wenn man einerseits anerkennt, dass die Vorstellung auf Hosea und damit auf das 8. Jh. zurückgeht, fällt doch andererseits auf, dass die Texte, in denen sie vorkommt, nachexilisch geprägt oder zumindest aus dieser Sicht überarbeitet worden sind. Warum hielt man gerade in dieser unruhigen Zeit dieses Bild – verglichen mit anderen Bildern wie dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn, König und Lehensmann, Herr und Knecht oder Richter und Angeklagtem – für so besonders geeignet, die Beziehung zu Gott zu beschreiben? Zunächst einmal teile ich die Auffassung von Angelo Borghino, wonach die eheliche Typologie zwei Aspekte der Beziehung zu Gott hervorhebt: Gleichheit und Asymmetrie.23 Die Beziehung zwischen Vater und Sohn erreicht zwar ebenfalls diese affektive Tiefe (Jes 1,2; Hos 11,1–4), ist aber ungleichgewichtig, was das Alter und die Pflichten des Vaters gegenüber seinem Kind betrifft. Die eheliche Beziehung ist eher ein Verhältnis unter Gleichen. Auch wenn die Pflichten jeweils unterschiedlich sind, besteht doch eine gewisse Komplementarität und Gleichheit bei der Zeugung, den familiären Pflichten und der Arbeitsbelastung. Zudem drückt sich diese Ungleichheit-Ähnlichkeit auch darin aus, dass es sich um eine freie, durch einen Vertrag vermittelte Entscheidung handelt. Während man sich die Vater- und Sohnschaft nicht aussucht, ist die Ehe ein einvernehmlicher und vertraglich vereinbarter Akt zwischen zwei Individuen, die berufen sind, ein Fleisch zu werden, deren Bindung jedoch im Unterschied zur Vater-Sohn-Beziehung nicht genetisch ist und durch die Scheidung gelöst werden kann.24 Da es sich um einen Vertrag handelt, hat die Nicht22 „Il nesso tra queste due espressioni dà risalto al fatto che l’azione di salvezza è creativa; nell’atto salvifico Yhwh ancora ‚crea‘ Israele, riportandolo, secondo la caratteristica propria dell’evento creatore, ad un essere in relazione“. (Borghino, La „Nuova Alleanza“, 188f.) 23 Vgl. Borghino, La „Nuova Alleanza“, 195f. 24 Zur Möglichkeit der Partnerwahl im Alten Orient vgl. Marsman, Women, 49–73. Die Initiative zu einer Scheidung ging in der Regel vom Mann aus. Die mesopotamischen Gesetze sehen jedoch in einigen Fällen – wenn der Mann die Frau verlassen oder
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einhaltung der Vereinbarungen rechtliche Konsequenzen. Die Assoziation mit dem Bund beruht also darauf, dass freiwillig gewisse Verpflichtungen eingegangen werden (Ex 19,8; 24,3.7).25 Im Fall einer „Untreue“ ist diese jedoch anders konnotiert als die des Dieners gegenüber seinem Herrn. Da also die wechselseitige Zugehörigkeit wesentlicher Bestandteil des geschlossenen Bundes ist (Gen 2,24f.),26 sind Ausschließlichkeit (Dtn 6,4)27 und Liebe (Dtn 6,5)28 zwei unabdingbare Voraussetzungen dieser Beziehung.
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sich ungebührlich verhalten hat – vor, dass sie von der Frau ausgehen kann (CH 141 = XX 33–59; CH 142 = XXX 60–XXXI, rev. VIII; CH 143 = XXXI 6–12). Wenn die Initiative von ihm ausging, musste ein Grund vorliegen (Dtn 24,1–4): z. B. Veruntreuung, Verunglimpfung seiner Person, Verweigerung der ehelichen Pflicht oder mutmaßliche Untreue (vgl. Peinado, Código de Hammurabi, LXXXVIII). Je nach Fall musste die Mitgift ganz zurückerstattet werden oder nicht oder es war an der Frau sogar Schadenersatz zu leisten (CH 137 = XXIX 74 XXX, rev. VII 13; CH 138 = XXX 14–24; CH 139 = XXX 25–26; CH 140 = XX 25–29). In Babylon galt die Ehe als eine „Adoption“, da es sich um einen Vertragsabschluss handelte, bei dem die Frau, die bislang der Kontrolle ihres Vaters oder Bruders unterstellt gewesen war, dem Mann übergeben wurde (vgl. Sanmartín, Códigos, 285). Auch das Verb sich (ver)einen ()דבק, das in Gen 2,24 verwendet wird, bezeichnet weniger einen Akt als vielmehr einen von Treue gekennzeichneten Zustand einer Bindung an jemanden. Deshalb wird es als Ausdruck für den Bund verwendet, was eine neuerliche Bestätigung für den Zusammenhang zwischen Bund und Ehemetaphorik darstellt, vgl. Gordon P. Hugenberger, Marriage as a Covenant: A Study of Biblical Law and Ethics Governing Marriage Developed from the Perspective of Malachi (VTSup 52; Leiden: Brill, 1994), 161–192. Indem er Eva entdeckt, erkennt Adam seine eigene Identität: „Er gibt der Frau einen Namen, kann dies aber nur tun, indem er sich im selben Akt auch selbst einen Namen gibt“, siehe Paul Beauchamp, El uno y el otro Testamento: Cumplir las Escrituras (BAC.EE 185; Madrid: Biblioteca Autores Cristianos, 2015), 122. Das ist die Geburtsstunde der menschlichen Sprache, die für die Beziehung zwischen den beiden von entscheidender Bedeutung sein wird: „Sie werden im Wort ein Fleisch sein“ (ebd., 125). Der Verheißung der Einheit wird so ein weiteres Element hinzugefügt, denn ohne das Wort wird es keine Einheit im Fleisch geben, vgl. Carlos Granados García, El camino del hombre por la mujer: El matrimonio en el Antiguo Testamento (EstBib; Estella: Verbo Divino, 2014), 39. Vgl. Gianantonio Borgonovo, „Monogamia e monoteismo alla radice del simbolo dell’amore sponsale nella tradizione dello jahvismo“, in Giuseppe Angelini et al., Maschio e femmina li creò (Disputatio 20; Mailand: Glossa, 2008), 151–232. Die Ausschließlichkeit wird mit dem Ideal der Monogamie verbunden, auch wenn die Wirklichkeit anders aussah, wie die Geschichten der Patriarchen und Monarchen beweisen. Die Sitte, gelegentlich Nebenfrauen zu haben, wurzelt in der mesopotamischen Gesetzgebung, die ebenfalls theoretisch monogam war, diese Möglichkeit aber z. B. in Fällen von Unfruchtbarkeit vorsah (vgl. CH 145 = XXXI 28–42; CH 146 = XXXI 43–59; CH 147 = XXXI 60–64; CH 148 = XXXI 65–81; CH 149 = XXXII (rev IX) 1–9; CH 170 = XXXV 37–59; CH 171a = XXXV 60–77). Auch Liebesgedichte geben Aufschluss über das Ideal, das man anstrebte. Siehe dazu Marsman, Women, 73–84.
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In diesem Sinne erweist sich die Metapher als geeignet, um das zu beschreiben, was während des Exils und der nachfolgenden Versöhnung geschehen ist. Was Israel erleidet, ist eine Folge seines Vertragsbruchs. Sein „Flirt“ mit den anderen Völkern und ihren Göttern wird als Verrat an der Beziehung (Ehebruch) gedeutet, was nach biblischem Verständnis eine Sünde und nicht einfach nur ein Regelbruch ist. Die daraus resultierenden affektiven Verletzungen geben den Propheten reichlich Spielraum, um das Bild eines Gottes auszumalen, der verzweifelt versucht, die Menschen zurückzugewinnen, oder sie aus Zorn über seine „Entehrung“ gnadenlos bestraft. Die Scheidung zeigt den offenen Graben der Freiheit, die zum Drama wird, weil er nicht vergeben kann und sie nicht zurückkehren will. Diese Liebe wiederaufzubauen ist ein schmerzlicher und langwieriger Prozess, weil es die gegenseitigen Vorwürfe und Widerstände zu überwinden gilt und, da die Scheidung unumkehrbar ist, gleichzeitig etwas Neues entstehen muss. Deshalb braucht es einen neuen Schöpfungsakt, das heißt einen Neuen Bund, der ebenfalls in den Farben der Ehemetaphorik beschrieben wird. Allerdings ist es – wenn man einmal von Deuterojesaja absieht, dessen Plot auf dem stillschweigenden Vorwurf basiert, dass Gott das Volk verlassen habe – bei den übrigen Propheten die Metapher selbst, die die Spielregeln festlegt: Wenn Gott immer treu ist, dann ist zwangsläufig sie die Ehebrecherin. Es ist nicht nur die der Frau auferlegte Demütigung, die sich in die größere Problematik der Gewalt im Alten Testament einordnet: Auch sonst besteht ein gewisses Unbehagen in Bezug auf diese Metaphorik, das sich trotz der großen Zahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, nicht beruhigen will. Meiner Ansicht nach macht uns nicht nur die Aggressivität der Texte zu schaffen, für die wir – insbesondere die Frauen – heute sensibler sind. Wenn das der Fall wäre, würde es ja genügen, sich bewusst zu machen, dass diese das Ergebnis einer bestimmten Mentalität und nicht nur in hohem Maße symbolisch, sondern zudem aus einer Weltsicht erwachsen sind, die sich von der unseren deutlich unterscheidet. Doch diese Art von Antwort ist und bleibt unbefriedigend, und der Grund hierfür muss vielleicht in der modernen Theorie über die Metapher gesucht werden. Tatsächlich zeigt die heutige Philologie, dass die Bildung von Metaphern zwar ein literarisches Phänomen ist, jedoch über den eigentlich linguistischen Bereich hinausgeht. Schon unsere Denkweise ist metaphorisch, deshalb sind Metaphern ein Teil unseres täglichen Lebens und unsere Alltagssprache ist voll von ihnen.29 Das assoziative Potential der Metapher offenbart aber nicht 29 Das ist der Ansatz, der in der neueren Forschung verfolgt worden ist; herausragende Beiträge sind: Paul Ricœur, La métaphore vive (Paris: Seuil, 1975); Max Black, „More about Metaphor“, in Metaphor and Thought (hg. v. Andrew Ortony; Cambridge: Cambridge University Press, 1979), 19–41; George Lakoff und Mark Johnson, Metaphors We Live By (Chicago: University of Chicago Press, 1981); Eva Feder
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nur, dass sich in ihr eine Art ausdrückt, die Welt zu begreifen, sondern dass sie überdies Denken hervorbringen und unsere Beziehung zu dieser bestimmten Wirklichkeit beeinflussen kann.30 So ist etwa die Metapher „Verantwortung aufbürden“ nicht nur Ausdruck der Tatsache, dass wir die Verantwortung als eine „Bürde“ empfinden, sondern bringt diesen Sachverhalt auch hervor. Auf diese Weise beeinflussen sich Leben und Sprache gegenseitig. Gerade daraus erwächst auch die Sorge. Bis zu einem gewissen Punkt ist es verständlich, dass antike Texte – die wir obendrein als das Wort Gottes anerkennen – in geschlechtsspezifischer Hinsicht kulturellen Ballast mit sich tragen. Das Problem ist jedoch, dass die Metapher nicht nur assoziatives Potential besitzt und nicht nur das Produkt einer Weltanschauung ist, sondern überdies enorm überzeugend wirkt und den Gesprächspartner sogar emotional bewegen kann. Wenn eine Metapher im soeben erwähnten Fall dazu führen kann, dass man eine Verantwortung als Bürde empfindet, dann kann sie in unserem Fall dazu führen, dass verkrustete Vorstellungen wie die asymmetrische Beziehung, geschlechtsspezifische Gewalt und Situationen der Benachteiligung, ja sogar Unterwerfung der Frauen in unserem sozialen Bewusstsein weiterleben.31
3.
Ein wenig Licht in der Dunkelheit
Die Lösung ist nicht leicht zu sehen, denn die Texte sind, wie sie sind. Überdies führt die Metapher, wenn sie erst einmal geschaffen worden ist, ein Eigenleben, und niemand kann vorhersehen, welche Reaktion sie in künftigen Leserinnen und Lesern hervorrufen wird. Doch gerade weil sie kein bloßer „Ersatz“ ist, sondern zwischen „Signifikat“ und „Signifikant“ eine dynamische Beziehung und Spannung herstellt, sind ihre Möglichkeiten unerschöpflich und ist sie Veränderungen unterworfen. So führt Jesaja in die ursprüngliche, von Hosea, Jeremia und Ezechiel entwickelte Bildlichkeit Neuerungen Kittay, Metaphor: Its Cognitive Force and Linguistic Structure (Oxford: Clarendon Press, 1987). 30 Vgl. Julia Galambush, Jerusalem in the Book of Ezekiel: The City as Yahweh’s Wife (SBLDS 130; Atlanta: Scholars Press, 1992), 8f. 31 Die antiken Gesellschaften des Mittelmeerraums begründeten die Ungleichheit zwischen Mann und Frau mit biologischen Merkmalen; demnach sei der Mann warm und fest, die Frau kalt, feucht und porös. Diese „überbordende“ Natur, die sich in monatlichen Blutungen oder in der Schwangerschaft und im Stillen Bahn bricht, müsse beherrscht werden. Überdies werden diese körperlichen Merkmale mit Persönlichkeitsaspekten – etwa der weiblichen Irrationalität, die der Rationalität des Mannes gegenübergestellt wird – in Verbindung gebracht. Siehe dazu ausführlicher Maria Elisa Estévez López, Las mujeres en los orígenes del cristianismo (Qué se sabe de 7; Estella: Verbo Divino, 2012), 70–74.
Ehemetaphorik bei den Propheten
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ein und erreicht, indem er ihren Gebrauch umkehrt, eine wesentliche Bedeutungsveränderung: Aus der Anklage gegen Israel wird eine Anklage gegen Gott. Nun ist dies aber nicht der einzige Fall augenscheinlicher Widersprüchlichkeiten in der Schrift. Wer sich auf diesen inneren Dialog einlässt, den die Texte miteinander führen, wird eher verstehen, wie sie einander auch in der innerbiblischen Rezeption antworten und nuancieren. In diesem Zusammenhang scheint mir der Hinweis angebracht, dass die deuterojesajanische Beziehung zwischen dem Gottesknecht und Jerusalem ein Erzählstrang sein könnte, der dem allzu einseitigen Bild der Untreue der Frau und der Vergebung des Mannes entgegenwirkt. Zwar führt uns Jes 54 einen göttlichen Ehemann vor Augen, der sich zu Zion hinwendet. Doch auch diese Darstellung ist, wenngleich sie die Gewalt in den anderen Texten in gewisser Weise „korrigiert“, nach wie vor sehr polarisierend. Weitaus suggestiver scheint mir die im selben Text angedeutete Vorstellung zu sein, dass die leidende Frau eben durch ihr Leiden die Umkehr Israels bewirkt und Israel nicht nur als Kinder, sondern als Sklav_innen und Schüler_innen wiedereinsetzt. Dies könnte ein sehr brauchbarer Weg sein, ihre „Würde“ wiederherzustellen. Es gibt nämlich im Kontext der literarischen Gattung der Städteklage eine uralte Tradition, die im Mythos der Muttergöttin wurzelt,32 der eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Lebens ist. Neben dem Erklärungsmodell, das besagt, dass wir von einem Paar abstammen, gibt es noch ein zweites, nämlich das der „Emersion“.33 Die Vorstellung von der (Gebär-)Mutter Erde hängt mit der Erfahrung des Zur-Welt-Bringens zusammen (Gen 3,20) und stammt aus dem Paläolithikum.34 Im Neolithikum ging man sodann von der Göttin Erde zum Gott Himmel und vom Gott-Gefährten zur Göttin-Gefährtin über. Einige Wissenschaftler_innen nehmen sogar an, dass diese uchronischen, alternativ-weltgeschichtlichen Theogonien einzig und allein darauf abzielten, die Muttergöttin zu verdrängen und durch Götter zu ersetzen, die im Unterschied zu ihr über der Schöpfung stünden.35 Die alte Göttin werde nach und nach zur Personifikation des Chaos, das von einer männlichen und himmlischen Gottheit 32 Vgl. Marta García Fernández, „El rostro materno de Dios en los textos bíblicos y orientales“, EstEcl 89 (2014): 115–140. 33 Den Begriff „Emersion“ stelle ich deswegen in Anführungszeichen, weil er das Denkmodell, das dahintersteht, nicht ganz treffend beschreibt. Gemeint ist die Vorstellung einer Kosmo-Theogonie, die nicht in einem Paar, sondern in einer sich nach und nach ausdifferenzierenden Einheit ihren Ursprung hat; diese Vorstellung korreliert meist mit dem Mythos der Muttergöttin. 34 In der mesopotamischen Tradition ist Bēlet-ilī die metonymische Personifikation einer Gebärmutter, die ohne Mitwirkung einer weiteren Gottheit Leben hervorbringt (Atra-Ḫasīs I 189–194). 35 Vgl. Anne Baring und Jules Cashford, The Myth of the Goddess: Evolution of an Image (London: Penguin, 1993), XI–XV.145–174.
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Marta García Fernández
gebändigt werden müsse – so wird etwa der Tod der Tiamat durch die Hände Marduks im Enuma eliš interpretiert.36 Auch wenn man damit nicht übereinstimmen muss, steht fest, dass viel Mühe darauf verwandt worden ist, den Ursprung der Metapher zu erforschen,37 aber weniger darauf, ihrem letzten „Ursprung“ nachzuspüren, der in der Assoziation wurzelt. Meiner Ansicht nach genügt es nicht, das Tertium comparationis einfach nur ausfindig zu machen: Man muss es als einen Faden im Beziehungsgewebe eines Weltverständnisses begreifen. Nur so gelangen wir zur Keimzelle der Assoziation, die uns besser verstehen lässt, warum alles, was mit der Beziehung zwischen Mann und Frau zu tun hat, vom Kampf zwischen Gleichheit und Asymmetrie beherrscht ist: einem Kampf, der das theogonische Modell widerspiegelt, sich in den anthropologischen Erzählungen von der Ausdifferenzierung der Geschlechter niedergeschlagen hat (Gen 1,27; 2,15–25)38 und sich wiederum auf Recht und Gesellschaft auswirkt.39 Abschließend wäre – um die Sicht auf die deuterojesajanische Verwendung der Ehemetapher zu vervollständigen, in der der weibliche Part der handelnde ist – noch näher auf die aktive Rolle einzugehen, die Jerusalem in seiner mit Gott gemeinsam übernommenen Sendung zugunsten Israels spielt. Dieser Aspekt nämlich findet sich auch in der assoziativen Keimzelle der Metapher: In Gen 2 wird, als es um die Aufgabe des Bearbeitens ( )עבדund Hütens ( )ׁשמרdes Gartens geht, darauf hingewiesen, dass der Mensch alleine ist. In V. 15–25 versucht die Erzählung diesem Mangel durch die Suche nach 36 Ebd., 273–298. 37 Borghino, La „Nuova Alleanza“, 192–196, bietet eine zusammenfassende Auswertung der verschiedenen Vorschläge. 38 Die Kosmologie der Differenzierung mündet laut Paul Beauchamp in eine Anthropologie der Differenzierung. Siehe dazu Paul Beauchamp, Création et séparation: Étude exégétique du chapitre premier de la Genèse (LD 201; Paris: Cerf, 22005), 245f. 39 Bei Barbara S. Lesko, Hg., Women’s Earliest Records: From Ancient Egypt and Western Asia: Proceedings of the Conference on Women in the Ancient Near East (BJS 166; Atlanta: Scholars Press, 1989), gewinnt man den Eindruck, dass die historische Entwicklung der gesellschaftlichen Anerkennung und Präsenz von Frauen einerseits als rückschrittlich und andererseits als kontinuierlich beschrieben werden muss: rückschrittlich deshalb, weil Frauen, den Daten nach zu urteilen, vom dritten zum zweiten Jahrtausend hin gesellschaftlichen Einfluss verloren haben (vgl. Frymer-Kensky, In the Wake, 70–80; Barbara S. Lesko, „Old Kingdom Egypt“, in Women’s Earliest Records: From Ancient Egypt and Western Asia (hg. v. ders.; BJS 166; Atlanta: Scholars Press, 1989), 3f.; 3; Rivkah Harris, „Independent Women in Ancient Mesopotamia?“, in ebd., 145–156; 156; Marsman, Women, 44f.); kontinuierlich deshalb, weil einige Texte eine zumindest theoretische „ontologische“ (Gen 1,27) und rechtliche Gleichheit der Geschlechter postulieren (Ex 19,12; Lev 19,3; 20,9; Dtn 5,16). Vgl. Carol L. Meyers, „Women and the Domestic Economy of Early Israel“, in Women’s Earliest Records: From Ancient Egypt and Western Asia (hg. v. Barbara S. Lesko; BJS 166; Atlanta: Scholars Press, 1989), 265–278; 276.
Ehemetaphorik bei den Propheten
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einer ebenbürtigen Hilfe ( ;עזר כנגדוGen 2,18) abzuhelfen. Einigen Experten zufolge ist dieser Ausdruck nicht nur im Hinblick auf die Fortpflanzung oder darauf zu verstehen, dass der Mann seine „bessere Hälfte“ gefunden hätte, sondern muss auf die Arbeit ausgeweitet werden, die einer der Schlüsselbegriffe der Erzählung ist.40 Demnach hätten sich mit der Erschaffung der Frau die Erwartungen im Hinblick auf die bäuerliche Berufung der Menschheit erfüllt,41 die zugleich die Sendung ist, die der Mensch mit Gott gemeinsam hat, denn dieser war der Erste, der einen Garten gepflanzt hat (Gen 2,5). Das griechische Wort synergos (συνεργός) – in der paulinischen Theologie ein Terminus technicus nicht nur für Mitarbeiter, sondern, da er auch auf Frauen bezogen wird, ebenso für Mitarbeiterinnen (Röm 16,2; Phil 4,3) – weist eine gewisse Verwandtschaft zur Ausdrucksweise des Buches Genesis auf und fügt sich sehr gut in die Tradition des Alten Orients ein. Das Panorama weiblicher Arbeit und Berufe, das in der Ikonographie und in den mesopotamischen Texten entworfen wird, ist reich und voller Überraschungen42 und wurzelt in letzter Instanz in einer Auffassung von der Beziehung zwischen Mann und Frau, die ebenso von Gleichheit wie von Asymmetrie gekennzeichnet ist. Dem assoziativen Keim der Metapher in ihrem eigenen weltdeutenden Kontext und Beziehungsgeflecht weiter nachzuspüren würde uns vielleicht nicht nur helfen, den Ursprung dieser Vorstellung zu verstehen, sondern uns vielleicht sogar hermeneutische Schlüssel an die Hand geben, um in den Texten neue Facetten dieser Bildlichkeit zu entdecken und neue Räume des Nachdenkens zu erschließen.
40 Vgl. Gerhard Wallis, Mein Freund hatte einen Weinberg: Aufsätze und Vorträge zum Alten Testament (BEATAJ 23; Frankfurt a. M.: Lang, 1994), 230f.; Bill T. Arnold, Genesis (NCBC; New York: Cambridge University Press, 2009), 60. 41 Vgl. José A. Castro Lodeiro, Venid y trabajad, ¡Es tiempo de alabar!: La vocación del hombre en los relatos de creación mesopotámicos y bíblicos (Diss., Facultad de Teología de Vitoria-Gasteiz, 2013), 166. Ein Auszug aus dieser Dissertation ist 2016 erschienen. 42 Ebd., 169.
Sind Schlüsse auf ein „Privatleben“ der Propheten zulässig? Frauen als literarische und redaktionelle Bindeglieder der Prophetenbücher Benedetta Rossi Pontificio Istituto Biblico
Das Interesse am sogenannten „Privatleben“ der Propheten lässt sich im Wesentlichen auf zwei Interpretationsstränge des 19. Jh. zurückführen, die mindestens bis in die beiden letzten Jahrzehnte des 20. Jh. hinein nachgewirkt haben. Lange Zeit hat das Interesse am Propheten, an seiner Person und seiner Persönlichkeit in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der biblischen Prophetie eine zentrale Rolle gespielt. Die bedeutungsschwangeren Portraits der Prophetengestalten in klassischen Untersuchungen wie Ewalds Propheten des Alten Bundes haben die Studien zu diesem Thema nicht nur nachhaltig beeinflusst, sondern auch in der Art und Weise, wie der Prophet wahrgenommen und wie seine Funktion verstanden wird, ihre Spuren hinterlassen.1 Es ist eine Folge dieser Aufmerksamkeit für Biographie und Persönlichkeit der Propheten, dass überhaupt zwischen ihrem öffentlichen Amt und ihrem Privatleben unterschieden wird. Im ersten Teil seiner Untersuchung mit dem Titel Prophetismus der Hebräer vollständig dargestellt beschreibt August Knobel einerseits die „Lebensweise der Propheten“ und andererseits das „Geschäft der Propheten“.2 Der Abschnitt über die „Lebensweise der Propheten“ beginnt folgendermaßen: Die Lebenseinrichtung der Propheten war dieselbe, wie bei den Uebrigen. Sie lebten in einem geordneten Familienleben. So besassen sie eigene Häuser. […] Dass sie verheirathet waren, lässt sich mit zahlreichen Stellen, wo ihrer Frauen und Söhne Erwähnung geschieht, nachweisen.3
An dieser Aussage werden zwei wichtige hermeneutische Voraussetzungen erkennbar: Erstens wird das Privatleben der Propheten anhand der typischen ideologischen, moralischen und sozialen Kategorien des modernen Bürgertums interpretiert. Daraus folgt zweitens, dass die Ehe, die Frauen und die 1
Vgl. Heinrich Ewald, Die Propheten des Alten Bundes (2 Bde; Stuttgart: Krabbe, 1840–1841). 2 Vgl. August Knobel, Der Prophetismus der Hebräer vollständig dargestellt (Breslau: Max, 1837), 43. 3 Ebd.
Ein „Privatleben“ der Propheten?
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Kinder sowie die affektiven Angelegenheiten nicht im Bereich des öffentlichen Lebens oder des prophetischen Diensts, sondern innerhalb seines Privatlebens angesiedelt werden. Es scheint mithin offensichtlich, dass die Verwendung des Adjektivs „privat“ ebenso wie die Tatsache, dass Frauen und Kinder in den Bereich des „Privatlebens“ verbannt werden, erheblich von den ideologischen Konstruktionen und typischen Wahrnehmungen männlicher Autoren des 19. Jh. beeinflusst sind, die in aller Regel der Mittelschicht angehörten.4 Gerade die beharrliche Aufmerksamkeit für den Propheten als Individuum bringt die modernen Exe geten dazu, mit großer Kreativität und auf der Grundlage der übrigens recht spärlichen Hinweise, die der biblische Text diesbezüglich liefert, ein Privatleben der Propheten zu entwerfen.5 Vor diesem Hintergrund soll im vorliegenden Beitrag das sogenannte „Privatleben“ der Propheten einer neuerlichen Überprüfung unterzogen und es soll dabei von zwei zusammenhängenden Interpretationsansätzen ausgegangen werden. Der erste ist durch einen entschiedenen Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der biblischen Prophetie bestimmt: Der Schwerpunkt des Interesses hat sich vom Propheten und seiner Person auf das prophetische Buch verlagert, das als „schriftgelehrte Traditionsliteratur“ verstanden wird.6 Die wachsende Aufmerksamkeit für das prophetische Buch führt sodann zweitens zu einer engeren Orientierung am
4
5
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Vgl. hierzu Irmtraud Fischer, „Das Geschlecht als exegetisches Kriterium: Zu einer gender-fairen Interpretation der Erzeltern-Erzählungen“, in Studies in the Book of Genesis. Literature, Redaction and History (hg. v. André Wénin; BETL 155; Leuven: Peeters, 2001), 135–152; 147–150; Dies., Gotteskünderinnen. Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel (Stuttgart: Kohlhammer, 2002), 193f. Die blühende Fantasie der Exegeten im Hinblick auf das Privatleben der Propheten lässt sich an vielfältigen Beispielen belegen; stellvertretend genannt sei hier Brooke Peters Church, The Private Lives of the Prophets and the Times in which they lived (New York: Rinehart, 1953), oder auch Maurice D. Goldman, „Was Jeremiah married?“, ABR 2 (1952): 42–47; ferner die unzähligen Rekonstruktionen der Lovestory zwischen Hosea und Gomer samt der daraus erwachsenden, wenig stimmigen und, was die moralischen Aspekte der Frage betrifft, apologetischen Interpretationsbemühungen; vgl. die Forschungsgeschichte hierzu bei Stephan Bitter, Die Ehe des Propheten Hosea: Eine auslegungsgeschichtliche Untersuchung (GTA 3; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1975), sowie Brad E. Kelle, „Hosea 1–3 in TwentiethCentury Scholarship“, CurBR 7 (2009): 179–216. Vgl. insbes. Uwe Becker, „Die Wiederentdeckung des Prophetenbuches: Tendenzen und Aufgaben der gegenwärtigen Prophetenforschung“, BThZ 21 (2004): 30–60; Konrad Schmid, „Hintere Propheten (Nebiim)“, in Grundinformation Altes Testament: Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments (hg. v. Jan Chr. Gertz; UTB; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 42010), 303–401; 317–324.
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Text und dazu, dass darauf verzichtet wird, die vorhandenen Lücken kreativ zu füllen.7 Ausgehend von den klassischen Stellen zum fraglichen Thema (Jes 8,18; Ez 24,16–18; Jer 16,1–4 und Hos 1−3) möchte ich zeigen, dass das sogenannte „Privatleben“ der Propheten nicht nur keineswegs „privat“, sondern als literarischer Kunstgriff zu betrachten ist, der dazu beiträgt, vom prophetischen Dienst und von der Prophetie selbst ein bestimmtes Bild zu vermitteln. Das lässt sich aus der Anwendung verschiedener stilistischer und literarischer Mittel schlussfolgern: Zuweilen ist bei der Konstruktion des Privatlebens der Propheten der strategische Einsatz eines bestimmten Vokabulars zu beobachten. Alternativ dazu wird durch geschickte textliche und redaktionelle Eingriffe eine Verbindung zwischen dem Leben und der Botschaft des Propheten hergestellt. Die Frauen werden zu einem wesentlichen Bestandteil dieses literarischen Projekts und spielen darin eine außergewöhnliche Rolle.
1.
Jes 8,18: Das „Privatleben“ des Propheten aus lexikalischer Sicht Siehe, ich und die Kinder, die der HERR mir gegeben hat, sind zu Zeichen und Mahnmalen in Israel geworden, vom HERRN der Heerscharen, der auf dem Berg Zion wohnt. (Jes 8,18)
Diese Ich-Aussage, die die Einheit 8,1–18 abschließt,8 liefert einen entscheidenden Hinweis für das Verständnis des sogenannten „Privatlebens“ des Propheten Jesaja, das schon mit der Erwähnung von Jesajas Erstgeborenem Schear-Jaschub in 7,3 und dann wieder in 8,1–4 in den Vordergrund rückt. Wichtige lexikalische Bindeglieder setzen 8,18 in Beziehung zu Jes 7–8: a) das Substantiv „Kinder“ ()הילדים, das auf 7,14 und 8,3 verweist; b) אות, „Zeichen“, das eine Verbindung zu 7,11 und 7,14 (dort ist von einem Sohn die 7 Hierzu Fischer, Gotteskünderinnen, 203: „Bemüht man sich einmal, genau am Text zu bleiben, die erzählerischen Lücken zu thematisieren und sie nicht von vornherein fraglos phantasievoll zu füllen, so wird nicht nur Jesajas ‚Privatleben‘ fraglich, sondern es zeigen sich weitere Leerstellen im Text“. 8 Vgl. Hans Wildberger, Jesaja (3 Bde; BK 10; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1972–1982), 1:343; Otto Kaiser, Das Buch des Propheten Jesaja: Kapitel 1–12 (ATD 17; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 51981), 189; und zuletzt Willem A. M. Beuken, Jesaja 1–12 (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2003), 214f. Die Trennung der V. 16–18 von den vorangehenden V. 11–15 ist inzwischen allgemein anerkannt, die Beziehung zwischen V. 16 und 17 allerdings nach wie vor umstritten: Manche halten V. 17 für eine nachträgliche Hinzufügung. Überzeugende Argumente dafür, V. 16 als Teil der Einheit der V. 16–18 zu betrachten, bietet Ders., Jesaja 1–12, 218f.230f.
Ein „Privatleben“ der Propheten?
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Rede) herstellt. Durch diese lexikalischen Beziehungen zu den Kapiteln 7–8 erscheint Jes 8,18 wie eine Erläuterung der Bedeutung und Funktion sowohl der Vaterschaft des Propheten als auch seiner Kinder; sie sind „Zeichen und Mahnmale in Israel von JHWH Zebaot“ (מעם בישראל ולמופתים לאתות צבאות )יהוה. Gemäß der Definition von Hermann Gunkel ist ein Zeichen („ )אותeine Sache, ein Vorgang, ein Ereignis, wodurch man etwas erkennen, lernen, im Gedächtnis behalten oder die Glaubwürdigkeit einer Sache einsehen soll“.9 Die semantische Bandbreite des Lexems אותist mithin eng mit seiner kommunikativen Funktion verbunden. Das Syntagma „( לfür“) + „( אותZeichen“) bezieht sich nur sehr selten auf eine Person; wenn dies der Fall ist, dann ist das betreffende Individuum ein Prophet (Jes 8,18; 20,3; Ez 14,8) oder jemand, der mit der prophetischen Verkündigung in Zusammenhang steht (Jes 7,14). In diesem Kontext wird also durch das Syntagma Verb + ל+ אותdeutlich gemacht, dass die kommunikative Macht der prophetischen Botschaft auf eine Person übertragen wird, sodass diese schließlich die Verkündigung selbst verkörpert. Folglich verweist die Wortwahl auf eine öffentliche Dimension der Prophetie. In Jes 8,18 wird die Funktion eines „Zeichens“ nicht nur dem Propheten, sondern auch den Kindern zugeschrieben; der Kontrast zu den vorangegangenen V. 16f. lässt die öffentliche Bedeutung dieser Zuschreibung noch deutlicher hervortreten. In Jes 8,16 sind „das Zeugnis“ und „die Weisung“ geschlossen ( )צררund versiegelt ()חתם: Beide Verben, „( צררschließen“) und „( חתםversiegeln“), weisen auf eine (Ver‑)Schließung der prophetischen Botschaft, sei sie nun metaphorisch oder real.10 Die Substantive „( אותZeichen“) und „( מופתMahnmal“) dagegen deuten auf eine öffentliche und sichtbare Mitteilung. Die prophetische Botschaft ist also einerseits versiegelt (V. 16) und erfüllt andererseits eine öffentliche Mitteilungsfunktion, die hier vom Propheten und seinen Kindern übernommen wird.11 9
Vgl. Hermann Gunkel, Genesis (HKAT I/1; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1969), 150, der folgendermaßen fortfährt: „Solche Erkennungs-, Beglaubigungs-, Erinnerungs-Zeichen spielen in der Antike, die alles anschaulich und faßlich haben will, eine große Rolle“. 10 Zur metaphorischen Bedeutung vgl. Wildberger, Jesaja, 1:347. Demgegenüber unterstreicht Beuken, Jesaja 1–12, 230f., die Möglichkeit einer konkreten Bedeutung der Tat. Laut Kay Weissflog, „Zeichen und Sinnbilder“: Die Kinder der Propheten Jesaja und Hosea (ABIG 36; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2011), 257, besteht die Funktion von Jes 8,16–18 darin, die Echtheit der prophetischen Urteilsverkündung zu untermauern. 11 Laut Wildberger, Jesaja, 1:346f., weist die Versiegelung der prophetischen Botschaft darauf hin, dass diese Worte lange Zeit nicht in Erfüllung gehen werden. Deshalb brauche es Zeichen, um an die Verheißung zu erinnern, die gemeinsam mit der Botschaft verborgen ist. Beuken, Jesaja 1–12, 231, weist den Kindern – „Zeichen“ – die Funktion einer Personifikation der versiegelten Botschaft zu. 8
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Was die Prophetin in Jes 8,3 betrifft, so wird das Attribut „Prophetin“ oft dahingehend interpretiert, dass es sich um die Frau eines Propheten gehandelt habe. Der lexikalische Befund lässt jedoch keinen begründeten Zweifel daran zu, dass die besagte Frau unabhängig von der Person des Jesaja einen echten prophetischen Dienst ausgeübt hat.12 Gleichzeitig liefert weder der Kontext noch die Terminologie irgendwelche Hinweise, aus denen man schließen könnte, dass es sich bei der fraglichen Prophetin um seine Frau gehandelt habe. Was die Bedeutung des Satzes אל־הנביאה „ ואקרבIch nahte mich der Prophetin“ (V. 3aα) betrifft, so macht Irmtraud Fischer geltend, dass die Wendung nicht zwangsläufig eine sexuelle Beziehung impliziert.13 Gegenüber der vorherrschenden Meinung, wonach die Aneinanderreihung der Formulierungen אל־הנביאה „( ואקרבich nahte mich der Prophetin“) und בן ותלד ותהר („und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn“) in Jes 8,3a einen „TatFolge-Zusammenhang“ darstellt,14 schlägt Fischer eine andere Deutungsmöglichkeit vor. Obwohl die Wendung קרב + „( אלsich nahen“), bezogen auf eine Frau, eine physische Nähe ausdrücke, sei diese nicht immer sexuell konnotiert; als Beispiel wird Num 5,16.25 angeführt.15 Außerdem kennzeichne der Wechsel des Subjekts von der 1. Pers. Sg. (Jes 8,3aα) zur weiblichen Form (3. Pers. Sg. in V. 3aβ) den Beginn einer neuen Handlungsabfolge und markiere damit eine Zäsur zwischen der Annäherung des Propheten und der Empfängnis durch die Prophetin. Kurz gesagt: Laut Fischer empfängt die Prophetin und bringt einen Sohn zur Welt (V. 3aβ), doch der Text liefert keinen expliziten Hinweis darauf, dass Jesaja der Vater ist. Diese Auslegung ist jedoch nicht völlig stringent, wie die folgenden Erwägungen zeigen werden. Zunächst einmal hat das Verb „( קרבsich nähern“) in Num 5,16.25 einen kausativen Sinn, der durch die Form hiphil („herantreten lassen“) ausgedrückt wird. Zweitens richtet sich die in dem Verb „( והקריבsoll herantreten lassen“) ausgedrückte Bewegung nicht auf den Priester, sondern auf JHWH (יהוה לפני והעמדה, „und [soll] sie vor JHWH stellen“, V. 16) oder den Altar (אל־המזבח, „zum Altar“, V. 25). Drittens schließlich lässt es die handschriftliche Überlieferung nicht zu, den Ausdruck בן ותלד ותהר („sie wurde schwanger und gebar einen Sohn“) in Jes 8,3aβ als den Beginn einer neuen Handlungsabfolge zu deuten. In 1QJesa VII,21 sind בן ותלד ותהר („sie wurde schwanger und gebar einen Sohn“, V. 3aβ) und das darauffolgen12 2 Kön 4,1 bezeichnet die Frau eines Propheten als „eine von den Frauen der Prophetenjünger“ ( ;)נשי בני־הנביאיםin Ez 24,18 spricht der Prophet schlicht von „meine[r] Frau“ ()אשתי. Vgl. hierzu Fischer, Gotteskünderinnen, 196: „Wenn die Ehefrau eines Propheten gemeint wäre, müsste im Hebräischen die Bezeichnung תֵהנָּ ִביא ַ א ֶׁש ֵ, ‚die Frau des Propheten‘, stehen“. 13 Vgl. ebd. 196f. 14 Vgl. ebd., 197. 15 Ebd.
Ein „Privatleben“ der Propheten?
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de Satzstück אלי יהוה „( ויאומרDa sagte der Herr zu mir“, V. 3b) durch einen Leerraum voneinander getrennt, was im Gegenteil auf einen Zusammenhang zwischen בן ותלד „( ותהרsie wurde schwanger und gebar einen Sohn“, V. 3aβ) und der vorangehenden Handlung הנביאה אל „( ואקרבich nahte mich der Prophetin“, V. 3aα) hinweist, die die handschriftliche Überlieferung nahtlos aneinanderreiht.16 Es besteht also offenbar kein zwingender Grund, die Möglichkeit auszuschließen, dass der Satz הנביאה אל „( ואקרבich nahte mich der Prophetin“) implizit auf eine sexuelle Beziehung hinweist,17 wohingegen es durchaus zutrifft, dass der Text keinerlei Anhaltspunkte für eine eheliche Verbindung zwischen den beiden liefert. Im Licht dieser Erwägungen dient die Information über die Geburt des Maher-Schalal-Hasch-Bas von der Prophetin anscheinend dem Zweck, die prophetische Rolle des Kindes, das aus der Verbindung zwischen einem Propheten und einer Prophetin hervorgegangen ist, noch deutlicher hervorzuheben.18 Nachdem sie ihre generative Aufgabe erfüllt hat,19 ist von der Prophetin nicht wieder die Rede – das zeigt schon die nächste Erwähnung der Kinder Jesajas in Jes 8,18. Zusammenfassend gesagt lässt sich die den Kindern Jesajas zugeschriebene öffentliche Mitteilungsfunktion (vgl. Jes 8,18) also nicht nur an Vokabular und Terminologie festmachen: Auch die Prophetin, die lediglich in Jes 8,3 erscheint, scheint ein literarisches Mittel zu sein, um die Autorität und prophetische Glaubwürdigkeit des Maher-Schalal-Hasch-Bas zu unterstreichen, der von einem Propheten und einer Prophetin gezeugt worden ist und damit gleichsam einen prophetischen Stammbaum vorweisen kann. Die reproduktive Funktion, die Esther Fuchs der Prophetin zuweist,20 zielt also augenschein16 Vgl. Donald W. Parry und Elisha Qimron, The Great Isaiah Scroll (1QIsaa): A New Edition (STDJ 32; Leiden: Brill, 1999), 14f. 17 Esther Fuchs verfolgt diesen Gedanken noch weiter und schreibt: „Das נביאהerweist sich hier als ein sexuelles und reproduktives Objekt, in das der Prophet ‚hi neingeht‘ ( ;“)קרבvgl. Esther Fuchs, „Prophecy and the Construction of Women“, in Prophets and Daniel (hg. v. Athalya Brenner; FCB 2/8; London: Sheffield Academic Press, 2001): 54–69; 65. 18 Dass die Bedeutung eines Propheten durch den ausdrücklichen Hinweis auf seine – fiktive oder reale – prophetische Abkunft unterstrichen wird, ist in den Kulturen des Altertums durchaus nicht irrelevant, wie Kim Beerden gezeigt hat: Worlds Full of Signs: Ancient Greek Divination in Context (RGRW 176; Leiden: Brill, 2013), 75–82. Beerden bezieht sich namentlich auf fünf Prophetenfamilien im antiken Griechenland, die behaupteten, von mythischen Wahrsagern wie Melampus, Teiresias oder Kalchas abzustammen. Als Grund für diese Geltendmachung einer prophetischen Abkunft führt sie an, dass die „Zugehörigkeit zu einer ‚Seherfamilie‘ ein idealer Weg war, Autorität zu erlangen (man ging davon aus, dass sich das Wissen weitervererbte)“ (ebd., 76). 19 Fuchs, „Prophecy“, 65, weist der Prophetin aus Jes 8,3 rein eheliche und reproduktive Funktionen zu. 20 Vgl. ebd.
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Benedetta Rossi
lich darauf ab, Maher noch zusätzlich als ein verlässliches Werkzeug der prophetischen Kommunikation zu legitimieren.
2.
Ez 24,15–27: Ezechiel und seine Frau – oder: Hatte Ezechiel eine Frau?
In seinem Kommentar von 1897 schreibt Bertholet über Ez 24,15–27: „Dass Hes. sein Weib seiner Augen Lust nennt, ist eine der nicht zahlreichen Stellen, an denen er sein Gefühl zu Worte kommen lässt“.21 Und auch in entschieden jüngerer Zeit erregen die innersten Gefühle des Propheten immer wieder die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern, die sich zuweilen sogar die Mühe machen, sein Privatleben zu rekonstruieren.22 Ich werde einen anderen Interpretationsansatz verfolgen und versuchen, in aller Kürze zu zeigen, dass der Bezug auf Ezechiels Ehe das Ergebnis textlicher und literarischer Strategien ist, die angewandt worden sind, um die öffentliche Rolle und Zeichenhaftigkeit des Propheten zu unterstreichen. In Ez 24,15–17 wird dem Propheten angekündigt, dass ihm die „Freude deiner Augen“ ( )את־מחמד עיניךgeraubt werden wird (√)לקח, er aber auf die üblichen Klagerituale verzichten soll. Der Ausdruck „Freude der Augen“ verweist auf eine Bindung an etwas Erstrebenswertes und Kostbares.23 Er kann sich auf eine Person (den Geliebten in Hld 5,16; die Kinder in Hos 9,16; Klgl 2,4), aber auch auf kostbare Gegenstände (1 Kön 20,6; Klgl 1,7.11) oder sogar, wie in Jes 64,10, auf den Jerusalemer Tempel beziehen.24 Der fragliche Ausdruck ist mithin unbestimmt, was seinen möglichen Bezug betrifft, und lässt daher verschiedene Interpretationen zu. 21 Alfred Bertholet, Das Buch Hesekiel (KHC 12; Freiburg i. Br.: Mohr Siebeck, 1897), 128. 22 Ausgehend von der Annahme, aus Ez 24,15–19 Rückschlüsse auf das Privatleben des Propheten ziehen zu können, schreibt Block über Ezechiels Frau: „Sie war nicht nur die Zeugin seines prophetischen Diensts; während er in seinem eigenen Haus seinen Pflichten nachging, muss sie sich um seine Bedürfnisse gekümmert haben“, Daniel Isaac Block, The Book of Ezekiel (2 Bde; NICOT; Grand Rapids: Eerdmans, 1997–1998), 1:788. Nachfolgend schließt derselbe Autor aus der Formulierung Freude deiner Augen, dass der Prophet glücklich verheiratet gewesen sei (vgl. ebd.). 23 Laut Moshe Greenberg, Ezechiel 21–37 (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2005), 155, bedeutet die Formulierung schlicht und einfach: „was du gerne ansiehst“. 24 Hinzu kommt, dass sich das Syntagma „( במגפהdurch einen jähen Tod“, Ez 24,16) laut Walther Zimmerli, Ezechiel (2 Bde; BKAT 13; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1969), 1:572, üblicherweise nicht auf die individuelle Bestrafung bezieht. Es bezeichnet im Gegenteil typischerweise eine kollektive und langanhaltende Plage oder Bestrafung für eine Übertretung oder Rebellion (vgl. z. B. Num 14,17 oder 2 Sam 24,21.25).
Ein „Privatleben“ der Propheten?
245
Die Abfolge im MT legt nahe, dass V. 18ab den Tod der Ehefrau des Propheten ankündigt („Ich redete am Morgen zum Volk. Meine Frau starb am Abend“). Doch erst am Ende des Verses (18c: צויתי כאׁשר בבקר ואעׂש, „und ich tat […], wie mir befohlen war“), wo deutlich wird, dass sich der Prophet an die empfangene Weisung gehalten hat,25 ist es möglich, die „Freude deiner Augen“ mit der soeben erwähnten Frau gleichzusetzen.26 So oder so scheint die Gefährtin des Propheten weder aus literarischer noch aus textlicher Sicht im Zentrum des Textinteresses zu stehen. Literarisch betrachtet konzentriert sich V. 18 nämlich auf die Erfüllung des göttlichen Gebots durch den Propheten (V. 18c), die einerseits die Reaktion auf die vorangegangenen Gottesworte und andererseits den Ausgangspunkt für die anschließende Frage darstellt (V. 19). Noch interessanter wird das Problem, wenn man es unter textkritischen Aspekten betrachtet.27 Ez 24,18, also der Vers, der es der Leserin oder dem Leser ermöglicht, sich in der Phantasie ein Bild vom Privatleben des Propheten zu machen, weist eine textliche Variante auf: MT
ואדבר אל־העם בבקר ותמת אשתי בערב ואעש בבקר כאשר צויתי
Ich redete am Morgen zum Volk und am Abend starb meine Frau; am Morgen tat ich, wie mir befohlen war.
P 967
και ελαλησα προς τον λαον το πρωι ον τροπον ενετειλατο μοι εσπερας και εποιησα το πρωι καθος επεταγη μοι Ich redete am Morgen zum Volk, wie es mir am Abend befohlen worden war, und tat am Morgen, wie es mir aufgetragen worden war.
B
και ελαλησα προς τον λαον το πρωι ον τροπον ενετειλατο μοι εσπερας και εποιησα το πρωι καθος επεταγη μοι Ich redete am Morgen zum Volk, wie es mir am Abend befohlen worden war, und tat am Morgen, wie es mir aufgetragen worden war.
Lw
et locutus sum ad populum mane quemadmodum mandavit mihi vespere et feci mane sicut imperatum est mihi Ich redete am Morgen zum Volk, wie es mir am Abend befohlen worden war, und tat am Morgen, wie es mir aufgetragen worden war
25 Laut Greenberg, Ezechiel 21–37, 155, habe der Prophet auf Anhieb verstanden, dass mit dem Ausdruck „Freude deiner Augen“ eine Person gemeint war; solange man nicht davon ausgehe, dass Ezechiel kinderlos gewesen sei, habe er ihn jedoch nicht zweifelsfrei auf seine Frau beziehen können. 26 Pohlmann hält es für möglich, dass die kurze Ankündigung in V. 16f. sich nicht von Anfang an auf den Tod von Ezechiels Frau bezogen habe; vgl. Karl-Friedrich Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel): Kapitel 20–48 (ATD 22/2; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2001), 360. 27 Vgl. Johan Lust, „The Delight of Ezekiel’s Eyes: Ez 24:15–24 in Hebrew and Greek“, in X Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies: Oslo, 1998 (hg. v. Bernard A. Taylor; SCS 51; Atlanta: SBL, 2001), 1–26.
246 Ls
Benedetta Rossi […]28 mandavit mihi vespere et feci mane sicut imperatum est mihi […] es mir am Abend befohlen worden war, und tat am Morgen, wie es mir aufgetragen worden war
Der griechische Text von P 96729 und der Codex Vaticanus (B) erwähnen ebenso wie die Vetus Latina im Codex Wirceburgensis (Lw) und in den Fragmenta Sangallensia (Ls) die Frau des Propheten mit keinem Wort. Die Übereinstimmung aller B-Textzeugen veranlasst Ziegler dazu, diese Lesart zu bevorzugen.30 So oder so wirft der Unterschied zwischen MT und LXX in Ez 24,18 die Frage auf, ob die LXX den Text „entschärft oder [der] MT [ihn] verschärft hat“.31 V. 16cd liefert einen Hinweis auf eine mögliche Antwort: 28
MT
ולא תספד ולא תבכה ולוא תבוא דמעתך
klage nicht und weine nicht und vergieße auch keine Träne
LXX ου μη κοπης ουδε μη κλαυσθης klage nicht und weine nicht
Während der MT eine Abfolge von drei Imperativen bietet („klage nicht und weine nicht und vergieße auch keine Träne“), fehlt in der LXX jeglicher Hinweis auf die Tränen („klage nicht und weine nicht“). Laut Zimmerli unterstreicht das für überflüssig erachtete Syntagma „( ולוא תבוא דמעתךund 28 Obwohl die erste Verszeile fehlt, folgt die Handschrift hier Lw: vgl. Alban Dold, Neue St. Galler Vorhieronymianische Propheten-Fragmente: Der St. Galler Sammelhandschrift 1398b zugehörig (Texte und Arbeiten 31; Beuron: Beuroner Kunstverlag, 1940), 25f. 29 Der fragliche Kodex, der aus der John Scheide Papyri Collection stammt und aus 21 Folia besteht, gilt als Teil eines Kodex aus der Chester-Beatty-Sammlung biblischer Papyri, der die Bücher Ezechiel und Ester umfasst und bei Rahlfs unter der Nummer P 967 aufgeführt wird; vgl. Allan Chester Johnson, Henry Snyder Gehman und Edmund Harris Kase, Hg., The John H. Scheide Biblical Papyri: Ezekiel (Princeton University Studies in Papyrology 3; Princeton: Princeton University Press, 1938), 1–5. Die Bedeutung des P 967 für das Textstudium von Ez wurde erst kürzlich hervorgehoben durch: Karl-Friedrich Pohlmann, „Ezekiel: New Directions and Current Debates“, in Ezekiel: Current Debates and Future Directions (hg. v. William A. Tooman und Penelope Barter; FAT 112; Tübingen: Mohr Siebeck, 2017), 3–17; 8f. 30 Vgl. Joseph Ziegler (Hg.), Ezechiel (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 21977), 25f. Vgl. hierzu auch Almut Hammerstaedt-Löhr et al., „Jezekiel / Ezechiel / Hese kiel“, in Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament 2: Psalmen bis Daniel (hg. v. Martin Karrer und Wolfgang Kraus; Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 2011), 2849–2992; 2928. Den Autoren zufolge ist diese Formulierung des MT nicht als original zu betrachten. 31 Ebd.
Ein „Privatleben“ der Propheten?
247
vergieße auch keine Träne“, V. 16d) den Übergang von der rituellen Klage zur persönlichen Emotion.32 Mithin wird mit dem Bezug auf den Tod von Ezechiels Frau (V. 18MT) ebenso wie mit dem Verbot, Tränen zu vergießen (V. 16MT), offenbar dasselbe Ziel verfolgt, nämlich Einblicke in das Gefühlsleben des Propheten zu gewähren. Dieses wird vor allem durch den Hinweis auf den Tod der Frau dramatisiert, die der oder die Lesende in dem allgemeinen Ausdruck „Freude deiner Augen“ (V. 15) zu erkennen meint; im Licht dieser Identifizierung vermittelt die Erwähnung der Tränen in V. 16 einen zusätzlichen Eindruck von den innersten Gefühlen des Propheten. In den darauffolgenden V. 19–24* tritt die eben erläuterte Dramatisierungsstrategie noch deutlicher zutage. Durch die Frage des Volkes in V. 19 wird gleich zu Beginn der Einheit eine kollektive Deutung von Ezechiels Verhalten angebahnt:33 Da sagte das Volk zu mir: Willst du uns ( )לנוnicht erklären, was dein Verhalten für uns ( )לנוzu bedeuten hat? (Ez 24,19)
Die Frage dient nicht nur als Einleitung zu einer ersten Erklärung der Handlungsweise des Propheten, sondern erweitert ihre Bedeutung beträchtlich.34 Diese Sinnerweiterung setzt sich in V. 20f. fort, wo der Prophet eine Interpretation der zuvor an ihn ergangenen Gottesworte anbietet und sie nun auf das ganze Haus Israel bezieht. Die Wiedergabe der göttlichen Rede beginnt in V. 21 mit dem Imperativ „Sag zum Haus Israel“ (ישראל לבית )אמר, und es folgt die Ankündigung der Entweihung von JHWHs Heiligtum, das als „die Freude eurer Augen“ bezeichnet wird. 32 Vgl. Zimmerli, Ezechiel, 1:568. Die darauffolgende Reihe von Gesten (V. 22f.) greift die Terminologie aus V. 17 explizit wieder auf und erwähnt ebenfalls keine Tränen. Das könnte Zimmerlis Annahme bestätigen. Hammerstaedt-Löhr et al., „Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel“, 2927, fügen noch eine stilistische Überlegung hinzu: dass nämlich der MT durch die Einfügung eines dritten Elements den Parallelismus membrorum aufbricht. 33 Im Licht der Reden des Mose im Kontext der letzten drei Plagen (Ex 10,3–6; 11,4–8) deutet Greenberg, Ezechiel 21–37, 151f., den Unterschied zwischen V. 15–17 und V. 20f. als Diskrepanz zwischen der „inneren Rezeption“ einer Botschaft und ihrer Externalisierung. Dieses Phänomen diene dem Zweck, einen Tempowechsel zum Ende hin und gleichzeitig eine Intensivierung anzuzeigen. 34 Besonders deutlich ist diese Hervorhebung im MT, wo sie durch die Doppelung des Syntagmas „( לנוfür uns“) gekennzeichnet wird. In den alten Versionen (LXX, Lw; Syr und Tg) ist das zweite „ לנוfür uns“, das Zimmerli, Ezechiel, 1:569, für eine irrtümliche Wiederholung des ersten hält, nicht belegt. Trotz der von ihm konjizierten Emendation unterstreicht das doppelte לנוdie kollektive Bedeutung der Gesten des Propheten.
248
Benedetta Rossi
In V. 22f. bricht die Wiedergabe der göttlichen Rede ab, und der Prophet wendet sich direkt an seine Gesprächspartner. Ezechiel greift Lexeme und Phraseologie aus V. 17 auf und verdeutlicht so die Beispielhaftigkeit seiner Gesten: „Ihr werdet handeln ()עשה, wie ich gehandelt habe (( “)עשהV. 22). Das Syntagma „( היהsein“) + למופת „( לכםein Mahnzeichen für euch“ V. 24) unterstreicht schließlich die öffentliche Dimension des Propheten selbst, indem es zugleich die kommunikative Funktion seiner Person und seiner Handlungen aufzeigt. Der Bezug auf Ezechiels Privatleben und seine innersten Gefühle in V. 16.18MT verleiht den nachfolgenden V. 19–24 eine zusätzliche Bedeutung. Die Gesten, die seine Gesprächspartner vollführen werden, und ihr unheilvolles Schicksal werden nicht nur durch die Gesten des Propheten (vgl. √עשה, „handeln“, V. 22), sondern durch den Propheten selbst sinnbildhaft präfiguriert, der die Folgen des Urteils in seinem Innersten verkörpert und in eigener Person daran teilhat. Mithin werden nicht nur die prophetischen Handlungen, sondern auch die innersten Erfahrungen des Propheten ein Zeichen sein. Zusammenfassend scheint es, als sei der Bezug auf Ezechiels Frau ebenso wie die Verweise auf seine innersten Gefühle das Ergebnis einer Reihe gezielter Eingriffe in den Text, die zu bestimmten literarischen Merkmalen wie etwa der strategischen Verwendung einer unbestimmten Terminologie oder der kollektiven Deutung der Handlungsweise des Propheten passt. Demnach erweist sich das sogenannte „Privatleben“ des Propheten als eine literarische Konstruktion, die dem Zweck dient, die Rolle des Propheten als Zeichen noch deutlicher herauszustellen; in diesem Sinne ist das „Privatleben“ wieder einmal wesentlicher Bestandteil der öffentlichen Dimension des prophetischen Diensts.
3.
Jer 16,1–4: Jeremias „Zölibat“ – oder: Lebte Jeremia zölibatär?
Das merkwürdige göttliche Gebot, das in Jer 16,1–4 an den Propheten ergeht, hat die Aufmerksamkeit der Exegeten erregt: „Du sollst dir keine Frau nehmen und weder Söhne noch Töchter haben an diesem Ort“ (V. 2). Vor dem Hintergrund des Interesses an der Person des Propheten35 ist dieses Wort oft als Aufforderung zu einem zölibatären Lebensstil gedeutet worden, den der 35 Diese Herangehensweise hat Robert P. Carroll, From Chaos to Covenant: Prophecy in the Book of Jeremiah (New York: Crossroad, 1981), 5–7, in Anspielung auf die Untersuchung von John Skinner, Prophecy and Religion: Studies in the Life of Jeremiah (Cambridge University Press, 1922), vielsagend als „Skinnerschen Ansatz“ bezeichnet.
Ein „Privatleben“ der Propheten?
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Prophet aus Gehorsam Gott gegenüber angenommen habe.36 Das Ziel des von Jeremia verlangten Zölibats – ein einzigartiges Phänomen in der Hebräischen Bibel – habe darin bestanden, seine Einsamkeit und zunehmende Marginalisierung zu verdeutlichen.37 In diesem Sinne sind sowohl die Ehelosigkeit (V. 1–4) als auch die nachfolgenden Vorschriften, weder ein Trauerhaus zu betreten und den Schmerz der Hinterbliebenen zu teilen (V 5–7) noch in ein Haus zu gehen, wo gefeiert wird (V. 8f.), als symbolische Handlungen betrachtet worden.38 Ich möchte in erster Linie der Frage nachgehen, ob das Verbot aus Jer 16,1– 4 wirklich etwas mit der Person des Propheten und mit seinem inneren und privaten Leben zu tun hat39 und ob dies alles demzufolge tatsächlich als eine symbolische Handlung verstanden werden kann. Drei literarische Strategien, die in dem betreffenden Text erkennbar sind, liefern einige interessante Hinweise auf mögliche Antworten zu diesen Fragen. Erstens die Beschränkung: In Jer 16,2 folgt auf den Imperativ, keine Frau zu nehmen und keine Kinder zu haben, die Wendung הזה „( במקוםan diesem Ort“). Entsprechende Formulierungen kehren auch in den darauffolgenden Versen wieder (V. 3: הזה במקום, „an diesem Ort“; הזאת בארץ, „in diesem Land“; V. 6: הזאת בארץ, „in diesem Land“; und V. 9: הזה מן־המקום, „an diesem Ort“). Der wiederholte Bezug auf „diesen Ort“ oder „dieses Land“ in V. 1–9 dient dem Zweck, die Aufmerksamkeit auf den Ort zu richten, an dem 36 Die Tendenz, die Lücken im Text zu füllen, bietet Stoff für diverse Hypothesen hinsichtlich der Umstände von Jeremias Zölibat. Ebd., 22, deutet den Eheverzicht des Jeremia im Licht des Buches Hosea: „Was Hosea in seinem häuslichen Leben bitter hatte erfahren müssen, veranlasste Jeremia dazu, die Hoffnung auf eine Ehe frühzeitig aufzugeben“. Laut Wilhelm Rudolph, Jeremia (HAT 1/12; Tübingen: Mohr Siebeck, 1947 [31968]), 110f., ist Jeremias Verzicht auf Ehe und Familienleben der Intensität seines prophetischen Engagements geschuldet: „Die große Aufgabe verträgt keine Sorge um und Fürsorge für eine Familie“. Auch William Holladay, Jeremiah 1: Chapters 1–25 (Hermeneia; Philadelphia: Fortress Press, 1986), 467f., betont in diesem Zusammenhang die Last des Opfers, das Jeremia abverlangt worden sei, der dem „dauerhaften Verbot“ habe gehorchen müssen, zu heiraten und Kinder zu zeugen. 37 So unter anderem Artur Weiser, Das Buch Jeremia: Kapitel 1–25,14 (ATD 20; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 71976), 137f.; Pete A. R. Diamond, The Confessions of Jeremiah in Context: Scenes from a Prophetic Drama (JSOTSup 45; Sheffield: JSOT Press, 1987), 164. 38 Vgl. Georg Fohrer, „Die Gattung der Berichte über symbolische Handlungen der Propheten“, ZAW 64 (1952): 101–120; Ders., Die symbolischen Handlungen der Propheten (AThANT 25; Zürich: Zwingli, 1953 [21968]), 35–38; Weiser, Jeremia, 137; Kelvin G. Friebel, Jeremiah’s and Ezekiel’s Sign-Acts: Rhetorical Nonverbal Communication (JSOTSup 283; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1999), 82–99. 39 Die Frage stellte bereits Robert P. Carroll, Jeremiah: A Commentary (OTL; London: SCM Press, 1986), 341; vgl. auch Georg Fischer, Jeremia 1–25 (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2005), 522.
250
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das bevorstehende Urteil vollstreckt werden wird, und liefert gleichzeitig den Hinweis auf einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis von Jer 16,1–9. Das Gebot, das in V. 2 an den Propheten ergeht, scheint tatsächlich auf einen bestimmten Bereich beschränkt, den die drohende Zerstörung treffen wird.40 Durch einen Vergleich mit Jer 29,4–7 lässt sich der Hintergrund der göttlichen Verbote aus 16,1–4 noch deutlicher herausarbeiten. Während dem Propheten in 16,2 verboten wird, sich im Land Juda eine Frau zu nehmen und Söhne und Töchter zu zeugen, bezeichnet Jeremia selbst in 29,4–7 das babylonische Exil als den geeigneten Ort, um zu heiraten und Kinder zu bekommen. Die zweite Strategie lässt sich als Intensivierung beschreiben. Das – an einen Einzelnen gerichtete – Verbot aus V. 2 erhält in V. 3f. durch eine Reihe lexikalischer Wiederaufnahmen41 eine zusätzliche Bedeutung: a) Die Wurzel ילד, die in 16,3c auf das Gebären bezogen wird, verweist auf 14,15 und 15,9.10; der Bezug auf das Weibliche und insbesondere auf die Geburt von Kindern in 16,2 hängt mit den vorangegangenen Darstellungen der dramatischen Folgen der Katastrophe zusammen; b) V. 4 kombiniert Bilder und Begriffe, die bei Jeremia auch an anderen Stellen vorkommen; das Substantiv „( תחלאיםKrankheiten“) kehrt in 14,18 in der Beschreibung der Hungersnot wieder; c) die Kombination von לא+ „( ספדnicht beklagt werden“) und לא + „( קברnicht begraben werden“) kehrt gemeinsam mit der Formulierung „wie Dünger auf der Fläche des Erdbodens sein“ in 25,33 wieder und wird auch dort verwendet, um eine universale Katastrophe zu beschreiben; d) V. 4b, den W. Thiel für eine sekundäre Einfügung hält,42 ist identisch mit 8,2.43 Um es kurz zu machen: Mithilfe einer Reihe von lexikalischen Verweisen will Jer 16,4 eine Intensivierung der göttlichen Strafe verdeutlichen. Während nämlich das Leben und die Person des Propheten eher verschwommen bleiben, ist bei der Darstellung des unvermeidlichen und umfassenden Strafgerichts, das dem Land bevorsteht, eine Steigerung zu verzeichnen. Die dritte Strategie ist die der redaktionellen Erweiterung. Jer 16,10–13 ist als redaktionelle Hinzufügung zu V. 1–9* zu betrachten,44 die dadurch 40 Vgl. Carroll, Jeremiah, 341. 41 Auf die lexikalischen Beziehungen zwischen Jer 16,1–9 und Jer 14f. ist schon oft hingewiesen worden; vgl. u. a. Weiser, Jeremia, 137; Diamond, Confessions, 164; Gianni Barbiero, „Tu mi hai sedotto, Signore“: Le confessioni di Geremia alla luce della sua vocazione profetica (AnBib Studia 2; Rom: Gregorian & Biblical Press, 2013), 106–108. 42 Vgl. Winfried Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25 (WMANT 41; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1973), 198, der V. 4b als „D-Einsatz“ betrachtet. 43 Auf weitere lexikalische Bezüge verweisen Holladay, Jeremiah 1, 469f.; Fischer, Jeremia 1–25, 521–523. 44 Vgl. hierzu Thiel, Redaktion, 198; William McKane, A Critical and Exegetical Commentary on Jeremiah (2 Bde; ICC; Edinburgh: T&T Clark, 1986–1996), 1:369f.; Carroll, Jeremiah, 342f.
Ein „Privatleben“ der Propheten?
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gekennzeichnet ist, dass ein an den Propheten gerichtetes Wort (16,1) in ein Wort umgewandelt wird, das an das ganze Volk ergeht (V. 10). Mithilfe des rhetorischen Frage-Antwort-Schemas liefern V. 10–13 eine Deutung von V. 1–9. Was ursprünglich ein persönliches Gespräch zwischen JHWH und dem Propheten war (V. 2–4), wird nun in eine Botschaft für die gesamte Gemeinschaft umgewandelt (V. 10: „Wenn du nun diesem Volk das alles verkündest“). Zudem enthalten die Fragen, die Jeremias Gesprächspartner, die Empfänger der prophetischen Botschaft, an den Propheten richten (V. 10: „Warum droht JHWH uns dieses ganze schwere Unheil an? Worin besteht unsere Schuld und worin unsere Sünde, die wir gegen JHWH, unsere Gottheit, begangen haben?“), insofern einen Interpretationshinweis, als sie unmissverständlich deutlich machen, dass die vorangehenden V. 2–9 im Wesentlichen als Ausdruck des unvermeidlichen Strafgerichts zu deuten sind, das der gesamten Gemeinschaft bevorsteht. Zur Interpretation des „Zölibats“ sowie der darauffolgenden Verbote als symbolischer Handlungsweisen des Propheten lässt sich damit Folgendes sagen: Ob die Imperative aus V. 2 auch umgesetzt werden, wird mit keinem Wort erwähnt und ist für den Text offenbar nicht von Interesse. Das macht es schwierig, Jer 16,1–4 als Hinweis auf ein symbolisches Verhalten Jeremias zu lesen.45 Die drei soeben erläuterten literarischen Strategien und die fehlenden Hinweise auf ein symbolisches Handeln zeigen, (a) dass das Gebot, sich keine Frau zu nehmen und keine Kinder zu bekommen (16,2), nicht als an Jeremia gerichtete Aufforderung gelesen werden kann, dauerhaft zölibatär zu leben; tatsächlich ist der Imperativ räumlich begrenzt und eng an die Darstellung des Strafgerichts gebunden. Im Gegenteil werden (b) die an den Propheten gerichteten Worte mittels redaktioneller Eingriffe (vgl. V. 4b und insbesondere V. 10–13) als Teil der Ankündigung einer Kollektivstrafe kenntlich gemacht, die das Volk treffen wird. Überdies legt (c) der fehlende Hinweis auf eine wie auch immer geartete Umsetzung von JHWHs Gebot nahe, dass es sich bei dem Verbot, zu heiraten und Nachkommen zu zeugen, tatsächlich um eine göttliche Botschaft handelt, die nicht zwangsläufig das Leben des Propheten betrifft. Das sogenannte „Privatleben“ des Jeremia – in Bezug auf die Frage, ob er verheiratet war oder nicht – erweist sich mithin als eine literarische Konstruktion mit einer klaren rhetorischen Absicht: die Tragweite des angekündigten Strafgerichts durch den Hinweis zu unterstreichen und zu vergrößern, dass auch der Prophet in einer Vorwegnahme der nahenden Zerstörung von dieser 45 Vgl. schon Rudolph, Jeremia, 110; McKane, Jeremiah, 1:363f. Wie Carroll, Jeremiah, 340, schreibt: „Wenn V. 1f. Teil eines Berichts über eine symbolische Handlung sind, dann geht der Text recht schnell von einem solchen Bericht zu einer Reihe von Aussagen über das Volk über […]. Die symbolische Seite seines Verhaltens ist in dem Passus nicht weiter von Interesse“.
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betroffen sein wird. So oder so muss, wie Carroll deutlich genug betont, im Hinblick auf Jeremias Zölibat und die mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit, dass er verheiratet gewesen ist, Folgendes berücksichtigt werden: Der Text gibt keine Antwort auf eine solche Frage, weil er keine unmittelbare Lebensbeschreibung einer bestimmten Person ist.46
4.
Hos 1−3: Die Konstruktion einer Parallele
Es sind vor allem die vermeintlichen Szenen aus dem Eheleben eines Propheten, durch die Hos 1−3 das Interesse der Exegeten geweckt hat. Diese Lesart hat eine unüberschaubare Menge an spekulativen Rekonstruktionen von Hoseas Ehe und seinen persönlichen Herzensangelegenheiten hervorgebracht und letztlich zu einer übermäßigen Fokussierung auf die Gefühlswelt und die intimen Erfahrungen des Propheten geführt.47 Ein solches interpretatorisches Bemühen besteht großteils in dem Versuch, die Lücken zu füllen, die der biblische Text den Lesenden nun einmal zumutet. Ich möchte in drei Schritten kurz aufzeigen, dass das, was man für ein offenes Fenster in das Intimleben des Propheten gehalten hat, in Wirklichkeit das Ergebnis einer redaktionellen Montage ist und dazu erschaffen wurde, um in den Rezipienten eine bestimmte Antwort zu provozieren. Erster Schritt: Die Ehe zwischen Hosea und Gomer scheint tatsächlich nicht das eigentliche Thema von Hos 1,2–9* zu sein; vielmehr haben V. 2f. offenbar die Funktion einer Einleitung.48 Die Terminologie und die Entwicklung des Texts konzentrieren sich hauptsächlich auf die Geburt der drei Kinder und auf die Namen, die ihnen gegeben werden.49 Hos 1,2–9 verdeutlicht vor allem, wie die Unzucht der Mutter (V. 2a: „hurerische Frau“, )אשת זנוניםauf die Kinder übertragen wird (V. 2c: „Kinder der Prostitution“, )וילדי זנונים.50 Die Wiederholung der Wurzel ( זנה4x in V. 2) lenkt die Aufmerksamkeit auf die Prostitution im Sinne einer andauernden Untreue als Ehefrau, während das Vorkommen der Wurzel ( ילדV. 2f.6.8) und des Verbs „ הרהschwanger 46 Ebd. 341. 47 Vgl. hierzu Kelle, „Hosea 1–3“, 187–193. 48 Vgl. Hans Walter Wolff, Dodekapropheton 1: Hosea (BKAT 14/1; NeukirchenVluyn: Neukirchener Verlag, 1961), 8. 49 Zum Zusammenhang zwischen den „Kindern der Unzucht“ (V. 2c) und dem Verb „( לקחnehmen“) sowie zu den Schwierigkeiten bei der Deutung von „( זנוניםUnzucht/Prostitution/eheliche Untreue“) vgl. Andreas Weider, Ehemetaphorik im prophetischer Verkündigung: Hos 1–3 und seine Wirkungsgeschichte im Jeremiabuch: Ein Beitrag zum alttestamentlichen Gottesbild (FzB 71; Würzburg: Echter, 1993), 7–17. 50 Vgl. Wolff, Hosea, 13: „[D]ie Kinder beiderlei Geschlechts tragen die gleiche Eigenschaft wie die Mutter“.
Ein „Privatleben“ der Propheten?
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werden“ (V. 3.6.8) die Geburt betonen. Ein weiterer Schwerpunkt von V. 2–9* liegt auf der Namensgebung (V. 4f.6be–7.9): Gott befiehlt, den Kindern Namen zu geben, die das Zeichen der Auflehnung bereits in sich tragen und die Unzucht der Mutter widerspiegeln, die sie geboren hat. Mithin kann Hos 1,2–9* als eine Ätiologie zum rebellischen Charakter der Kinder gelesen werden, für den allein die Mutter verantwortlich gemacht wird. Eine ähnliche literarische Strategie mit dem Ziel, durch den Bezug auf den Vater und die Mutter das rebellische Wesen Jerusalems hervorzuheben, findet sich in Ez 16,3 („Dein Vater ist ein Amoriter und deine Mutter eine Hetiterin“) sowie in 16,45 („Eure Mutter war eine Hetiterin und euer Vater ein Amoriter“)51 – allerdings mit dem Unterschied, dass in Hos 1,2–9* allein Gomer für den rebellischen Charakter der Kinder verantwortlich ist. Eine weitere Bestätigung dieser Interpretation liefert Hos 2,1–3. Der Prozess der „Rechtfertigung“ der Kinder wird nicht nur durch die Namensänderung, sondern gleichzeitig auch dadurch vollzogen, dass jedweder Verweis auf die Geburt durch die Mutter getilgt wird. Genau genommen findet ein Austausch statt: An die Stelle der Mutterschaft, die den Makel der Unzucht an sich trägt, tritt in 2,1d der Bezug auf die göttliche Vaterschaft („[Es] wird zu ihnen gesagt werden: Söhne des lebendigen Gottes“, אל־חי בני להם )יאמר, der in Hos 2,1ab noch durch eine Anspielung auf die Verheißungen an die Erzeltern (Gen 15,5; 22,17; 32,13) verstärkt wird (V. 1ab: „Einst werden die Kinder Israels so zahlreich sein wie der Sand am Meer, der nicht zu messen und nicht zu zählen ist“).52 Zweiter Schritt: In Hos 1,9 richten sich die göttlichen Worte direkt an eine 2. Pers. Pl.: „denn ihr ( )אתםseid nicht mein Volk und ich bin nicht für euch (“)לכם. Das dritte Kind von Hosea und Gomer sieht sich unvermittelt in ein Ihr eingebunden, und das hat zwei Konsequenzen. Zum einen erweitert die 2. Pers. Pl. den Adressatenkreis der göttlichen Rede: Nicht nur der Prophet, sondern das ganze Volk und insbesondere Gomers Kinder sind betroffen, deren Namen das Schicksal des nunmehr aus dem Bund verstoßenen Volkes widerspiegeln.53 Zum anderen entsteht durch die 2. Pers. Pl. eine Verbindung zwischen 1,9 und 2,4, wo die Kinder aufgefordert werden, ihre Mutter anzuklagen.54
51 Vgl. Zimmerli, Ezechiel, 1:347f.; vgl. auch Ombretta Pettigiani, „Ma io ricorderò la mia alleanza con te“: La procedura del rîb come chiave interpretativa di Ez 16 (AnBib 207; Rom: Gregorian & Biblical Press, 2015), 99–103. 52 Vgl. Wolff, Hosea, 30; Andrew A. Macintosh, A Critical and Exegetical Commentary on Hosea (ICC; Edinburgh: T&T Clark, 1997), 35. 53 Die Verweise auf den Bund in Hos 1,9 betont unter anderem Wolff, Hosea, 23; Weider, Ehemetaphorik, 32f.; Macintosh, Hosea, 27f. 54 Vgl. Gale A. Yee, Composition and Tradition in the Book of Hosea: A Redactional Critical Investigation (SBLDS 102; Atlanta: Scholars Press, 1987), 103.
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Das Spiel mit den Personendeiktika (vgl. 1,9; 2,4) erlaubt es den Lesenden also, die in 2,4–25* angeklagte Mutter mit Gomer, also der Mutter des in 1,9 genannten Sohnes und seiner beiden Geschwister, zu identifizieren. Diese Identifizierung wird noch zusätzlich durch eine Reihe lexikalischer Wiederaufnahmen erleichtert: „ihrer Unzucht“ (זנוניה, 2,4) und „Kinder der Unzucht“ (זנונים בני, 2,6) greifen die Wurzel זנהwieder auf, die in 1,2 die Frau des Hosea und ihre Kinder charakterisiert hatte. Von diesem Ausgangspunkt aus können die Lesenden außerdem eine Parallele zwischen Hosea und JHWH ziehen, der in 2,4–25* in der Rolle des Ehegatten auftritt. Mithin kommt weder die Identifizierung der Frau aus 2,4–25* mit Gomer noch die Parallele zwischen Hosea und JHWH zufällig zustande, im Gegenteil: Beide werden absichtlich durch die Redaktion herbeigeführt, die 1,2–9* auf der Grundlage von 2,4–25* gestaltet. Diachron betrachtet ist Hos 2,4–25* nämlich vermutlich vor Hos 1,2–9* entstanden; und Hos 1,2–9* scheint in der Absicht verfasst worden zu sein, eine narrative Einleitung und einen Interpretationsschlüssel für das nachfolgende Orakel anzubieten.55 Die redaktionelle Verbindung zwischen Hos 1,2–9* und 2,4–25* wird nicht nur durch die Abwandlung der Personendeiktika in 1,9 (eine Vorwegnahme von 2,4f.) konstruiert, sondern auch durch den Bezug auf die Kinder der Unzucht und ihre Mutter, die als Prostituierte beschrieben wird. Die Wiederholung der Namen der Kinder in 1,24f. wäre dann der Schlussstein zu der gesamten redaktionellen Komposition, die durch die Verbindung von 1,2–9* und 2,24f. gebildet wird.56 Dritter Schritt: Die Parallele zwischen JHWH und Hosea sowie zwischen Israel und der Frau/Gomer bleibt allerdings unvollständig, denn Hos 1,2–9* enthält keinerlei Hinweis auf einen Ehebruch Gomers nach der Heirat,57 wohingegen die Frau in 2,4 sowohl der Unzucht als auch des Ehebruchs beschuldigt wird (V. 4: „die Zeichen ihres Ehebruchs“, )נאפופיה. Überdies wird ihr sexuelles Verhalten von JHWH, der sich am Ende entschließt, die Frau wieder zu sich zu nehmen, drastisch bestraft. Hos 3,1–5, die letzte Hinzufügung zum gesamten Komplex der Kapitel 1–3,58 könnte also zu dem Zweck verfasst worden sein, die Überlagerung der Paare Hosea–Gomer und JHWH–Israel zu vervollständigen.59 55 Vgl. die Analyse ebd., 101–104. 56 Die zusätzliche Einfügung in Hos 2,1–3, wo von der veränderten Situation der Kinder Hoseas die Rede ist, entspricht 2,24f.; vgl. hierzu Yee, Composition, 71–76.88– 90, die 2,1 allerdings für den Abschluss zu 1,9 hält (ebd., 68–71). 57 Wenn die hier angebotene Begründung für den zwischen 2,4–25* und 1,2–9* gespannten redaktionellen Bogen ein gewisses Maß an Plausibilität beanspruchen kann, dann ist die Auslassung eines wie auch immer gearteten ehebrecherischen Verhaltens seitens der Frau des Hosea bewusst geschehen. 58 Vgl. Yee, Composition, 60–64. 59 Laut Yee (ebd., 129f.) werden mit Hos 3,1–5 vor allem zwei Ziele erreicht: Die Hinzufügung a) zieht einen Trennstrich zwischen der Überlieferung von Hoseas Ehe in Hos 1f. und in Hos 4–14 (ebd., 129); b) sie platziert die Darstellung der Ehe zwischen
Ein „Privatleben“ der Propheten?
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Hos 3,1–5 präsentiert sich als eine kurze Erzählung in der 1. Pers., in der der Ich-Erzähler aufgefordert wird, eine ehebrecherische Frau zu lieben. Der Text kann schwerlich als Dublette zu 1,2–9* gelesen werden: zum einen, weil dort mit keinem Wort von Ehebruch die Rede ist, und zum anderen, weil der Anfang der Gottesrede mit עודin Hos 3,1 eher eine redaktionelle Ergänzung als eine Dublette einleitet. Die zusätzliche Information, die in 3,1–5 geboten wird, lässt sich aus einer lexikalischen Verbindung ableiten: Die Wurzel נאףin Hos 1−3 verweist auf 2,4 („die Zeichen ihres Ehebruchs“, ;)נאפופיהzudem wird die Parallele zwischen dem Handeln, zu dem der Ich-Erzähler in 3,1 aufgefordert wird („Geh […] hin und liebe eine Frau, die von einem anderen geliebt wird“), und dem Verhalten JHWHs nun explizit formuliert („so wie JHWH die Nachkommen Israels liebt“).60 Und schließlich erinnert die Begrenzung ihrer sexuellen Aktivität, die der Ehebrecherin in 3,3 auferlegt wird, an 2,8.12–15, wo JHWH das Verhalten der Frau gewaltsam eingeschränkt hatte.61 Die Wurzel נאף, die sich in 3,1 auf die Frau bezieht und auf 2,4 („die Zeichen ihres Ehebruchs“) verweist, erlaubt es den Lesenden, die Frau aus 3,1–5 mit jener aus 2,4–25* zu identifizieren, die ihrerseits durch die Hinzufügung in Hos 1,2–9* mit Gomer gleichgesetzt worden ist. Da also der Ich-Erzähler aus Hos 3,1–5 mit dem Propheten identifiziert worden ist, entspricht letztlich die Ehebrecherin, die er lieben soll, Gomer selbst – mit dem Ergebnis, dass aus Gomer, der Frau der Unzucht, nicht nur eine Prostituierte, sondern auch eine Ehebrecherin wird, die Hosea nach ihrem Ehebruch wieder zu sich nimmt. Fassen wir zusammen: Allem Anschein nach ist die Lovestory zwischen Hosea und Gomer ebenso wie der vermeintliche Einblick in Hoseas „Privatleben“ im Wesentlichen das Ergebnis einer literarischen Montage unterschiedlicher Texte. Der vorrangige Zweck dieser redaktionellen Konstruktion bestand vermutlich darin, eine Entsprechung zwischen der prophetischen Ankündigung aus 2,4–25* und dem Propheten selber herzustellen, dessen Erlebnisse den Inhalt von 2,4–25* spiegeln und geradezu verkörpern. Wenn dies zutrifft, dann wäre das sogenannte „Privatleben“ tatsächlich weder privat noch biographisch, sondern das Resultat einer expliziten und bewussten Parallelisierung zwischen prophetischer Verkündigung und dem Propheten selbst.
JHWH und Israel in 2,4–25* in einer Rahmenerzählung und damit an einem exponierten Ort. 60 Die Wurzel „( אהבlieben/Liebe“, 4x in Hos 3,1) stellt einen weiteren Bezug zu 2,4– 25* dar. 61 Zur androzentrischen Rezeptionsgeschichte des Verhaltens der Frau in Hos 2,4– 25* vgl. Yvonne Sherwood, „Boxing Gomer: Controlling the Deviant Woman in Hos 1−3“, in A Feminist Companion to the Latter Prophets (hg. v. Athalya Brenner; FCB 8; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1995), 101–125.
256
Benedetta Rossi
Innerhalb dieser literarischen Montage dient das mütterliche Element in Hos 1,2–9* dazu, die Übertragung der beklagenswerten Eigenschaften der Mutter auf die Kinder zu unterstreichen, wobei die Verantwortung des Vaters gänzlich ausgeblendet bleibt. Zusätzlich fungieren die Frauen mit ihren Eigenschaften – sowohl Gomer und die Prostituierte sowie die ehebrecherische Mutter aus 2,4 als auch die geliebte und ehebrecherische Frau aus 3,1 – als redaktionelle Bindeglieder zwischen den verschiedenen Texten. Gerade durch diese verbindenden Elemente sind die Lesenden imstande, mit dem Text zusammenzuarbeiten, das heißt, ein „Privatleben“ des Propheten Hosea zu rekonstruieren und sich gleichzeitig die mühselige Geschichte seiner Ehe mit Gomer vorzustellen.
5.
Einige Schlussfolgerungen
Auf der Grundlage der vorangegangenen Überlegungen zu den klassischen Belegen lassen sich, was mögliche Hinweise auf ein sogenanntes „Privatleben“ der Propheten betrifft, einige Schlussfolgerungen ziehen. Zunächst einmal scheint es bei den einschlägigen biblischen Texten unangemessen, überhaupt zwischen privatem und öffentlichem Leben zu unterscheiden. Das Privatleben wird nämlich (dort, wo es vermeintliche Hinweise darauf gibt) als wesentlicher Bestandteil des prophetischen Diensts und seiner kommunikativen Dimension in den Vordergrund gerückt. Somit scheint die Bedeutung des „Privatlebens“ tatsächlich eher politischer (vgl. Jes 8,1–4) oder öffentlicher Natur und auf die Vertiefung der prophetischen Verkündigung ausgerichtet zu sein (vgl. Ez 24,15–27; Jer 16,1–4). Dies kann sich in der Verwendung einer bestimmten Terminologie (z. B. Syntagmata wie היה + ל + אות/מופת, „Zeichen sein“), aber auch in redaktionellen Eingriffen oder Textüberarbeitungen äußern, deren Ziel darin besteht, eine Parallele zwischen dem Propheten, seiner Existenz und seiner Verkündigung herzustellen (vgl. Ez 24,15–27; Hos 1−3). Mithin kann das sogenannte „Privatleben“ der Propheten als literarisches Produkt betrachtet werden, das eine wichtige Entwicklung innerhalb der prophetischen Literatur anzeigt: vom Propheten als einem Subjekt von Prophetie – einem Propheten also, der prophetische Orakel verkündet – hin zum Propheten als einem Objekt von Prophetie. Der Prophet wird zum Objekt von Erzählungen, die sich auf seinen Lebenslauf und seine Person beziehen und als wesentlicher Bestandteil der prophetischen Bücher komponiert sind, bis sie schließlich selbst zum prophetischen Wort werden. Dort, wo sich eine solche Verschiebung in der prophetischen Literatur vollzieht, ist allerdings auch zu beobachten, dass nicht nur die Bedeutung der Prophetinnen Schritt für
Ein „Privatleben“ der Propheten?
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Schritt geschmälert oder diese sogar ganz aus den biblischen Texten herausgestrichen werden,62 sondern dass die Frauen darüber hinaus als literarische und redaktionelle Mittel eingesetzt werden, um männlichen Propheten ein Privatleben zu konstruieren und ihnen auf diese Weise innerhalb der biblischen Bücher eine noch größere Relevanz zu verleihen.
62 Vgl. Fuchs, „Prophecy“.
Zwischen unerträglichem Schmerz und Verheißung neuen Lebens: Trauma-Hermeneutik der Geburtsmetaphorik in der Schriftprophetie L. Juliana Claassens Universität Stellenbosch
Judas wiederholte leidvolle Erfahrungen von Militärinvasion, Deportation und Exil werden in den Büchern der Schriftprophetie häufig mit der Metapher einer Frau in Geburtswehen ausgedrückt. Wenn prophetische Texte diese beeindruckende und rhetorisch überaus wirkungsvolle Metapher verwenden, um das Entsetzen und die Panik im Kontext einer militärischen Eroberung einzufangen, dann ertönt inmitten der Bilder und Klänge des Krieges das Schreien der Gebärenden. Wissenschaftlerinnen wie Claudia Bergmann1 und Katheryn Pfisterer Darr2 haben sich eingehend mit der Verwendung dieser Metapher beschäftigt, die als Bild für den Krieg und – wenn sie sich auf Feinde bezieht – zur besonders hämischen Beschreibung in Panik geratener Soldaten dient.3 So befasst sich Bergmann in ihrem Aufsatz „We Have Seen the Enemy, and He Is Only a ‚She‘“ mit Texten, in denen die Metapher einer gebärenden Frau als Mittel gebraucht wird, um feindliche Krieger zu beschämen,
1
Claudia D. Bergmann, „We Have Seen the Enemy, and He Is Only a ‚She‘: The Portrayal of Warriors as Women“, CBQ 69 (2007): 651–672. 2 Katheryn Pfisterer Darr, „No Strength to Deliver: Bringing to Birth“, in dies., Isaiah’s Vision and the Family of God (Louisville: Westminster John Knox Press, 1994), 205–224; vgl. auch die Untersuchung der Metapher des Gebärens ebd., 100– 109. 3 Beide Exegetinnen haben auch darüber geforscht, wie in Jes 42,10–17 die Metapher der Gebärenden in Kombination mit der vertrauteren Metapher des mächtigen Kriegers als Beschreibung für Gott verwendet wird: Dies., „Like Warrior, like Woman: Destruction and Deliverance in Isaiah 42:10–17“, CBQ 49 (1987): 560–571; 564f.; Dies., „Two Unifying Female Images in the Book of Isaiah“, in Uncovering Ancient Stones: Essays in Memory of H. Niel Richardson (hg. v. Lewis M. Hopfe; Winona Lake: Eisenbrauns, 1994), 17–30; Claudia D. Bergmann, „‚Like a Warrior‘ and ‚Like a Woman Giving Birth‘: Expressing Divine Immanence and Transcendence in Isaiah 42:10–17“, in Bodies, Embodiment, and Theology of the Hebrew Bible (hg. v. S. Tamar Kamionkowski und Wonil Kim; LHBOTS 465; New York: T&T Clark, 2010), 38–56. Vgl. auch Sarah J. Dille, Mixing Metaphors: God as Mother and Father in Deutero-Isaiah (JSOTSup 398; Gender, Culture, Theory 13; London: T&T Clark, 2004), 41–73.
Zwischen unerträglichem Schmerz und Verheißung neuen Lebens
259
indem man sie als Frauen porträtiert, die gerade ein Kind zur Welt bringen (z. B. Jer 50,37; 51,30; Neh 3,13).4 Ich selbst habe die Verwendung der Gebärenden-Metapher im Jeremiabuch untersucht und gezeigt, dass jüngere hermeneutische Ansätze wie die feministische, die postkoloniale und die queere Bibelexegese in Kombination mit der Trauma-Hermeneutik neue Perspektiven auf die rhetorische Bedeutung dieser Metapher im Jeremiabuch eröffnen.5 Diesen Ansatz werde ich im vorliegenden Beitrag weiterverfolgen und zunächst erläutern, inwiefern sich durch Trauma-Hermeneutik wertvolle Einsichten in Natur und Bedeutung der Gebärenden-Metapher gewinnen lassen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage, welche Funktion Metaphern in dem oft äußerst anstrengenden Prozess der Verarbeitung höchst traumatischer Erfahrungen übernehmen können. Im zweiten Teil des Beitrags werde ich sodann anhand dreier Beispiele der Gebärenden-Metapher aus drei verschiedenen Prophetenbüchern – Jeremia, Micha und Jesaja – veranschaulichen, wie die ursprüngliche Metapher mit ihren Konnotationen der unerträglichen Schmerzen und der Verzweiflung im Kontext militärischer Invasionen so umgedeutet worden ist, dass sie zu einem Sinnbild für die Hoffnung auf Wiederherstellung und neues Leben werden konnte.
1.
Trauma-Hermeneutik: eine Definition
Seit die Exegese erkannt hat, welches Potential die Traumatheorie gerade auch im Hinblick auf die Erforschung der menschlichen Situationen besitzt, die vielen Texten der Hebräischen Bibel zugrunde liegen, hat die TraumaHermeneutik als Gesprächspartnerin zunehmend an Bedeutung gewonnen und liefert wichtige Impulse für eine Neuausrichtung und Wiederbelebung.6 4 5
6
Bergmann, „We Have Seen the Enemy“, 651. L. Juliana Claassens, „Like a Woman in Labor: Gender, Queer, Postcolonial and Trauma Perspectives on Jeremiah“, in Prophecy and Power: Jeremiah in Feminist and Postcolonial Perspective (hg. v. Christl M. Maier und Carolyn J. Sharp; LHBOTS 577; London: Bloomsbury T&T Clark, 2013), 117–132; Dies., „The Rhetorical Function of the Woman in Labor Metaphor in Jeremiah 30–31: Trauma, Gender and Postcolonial Perspectives“, JTSA 150 (2014): 67–84. Einen wichtigen Überblick sowohl über die Entwicklung wie auch über den Einfluss der Trauma-Hermeneutik auf die Exegese bietet der Beitrag von David G. Garber, „Trauma Theory and Biblical Studies“, CurBR 14 (2015): 24–44. Eine sehr gute Darstellung jüngerer trauma-hermeneutischer Lesarten der Bibel findet sich auch in zwei neueren Aufsatzsammlungen: Elizabeth Boase und Christopher G. Frechette, Hg., Bible through the Lens of Trauma (SemeiaSt 86; Atlanta: SBL Press, 2016), sowie Eve-Marie Becker, Jan Dochhorn und Else K. Holt, Hg., Trauma and Traumatization in Individual and Collective Dimensions: Insights from Biblical Studies and Be-
260
L. Juliana Claassens
Tatsächlich lassen sich beträchtliche Abschnitte der Geschichte Judas als traumatisch beschreiben, da eine Großmacht nach der anderen dort eingedrungen war. Wer diese Akte organisierter Gewalt überlebt hatte und im Schatten des betreffenden Imperiums sein Dasein fristen musste – was unter dem schweren Joch der imperialen Herrschaft weiteres Leid mit sich brachte, sah sich gezwungen, mit den Nachwirkungen dieser traumatisierenden Ereignisse umzugehen.7 Vor allem die prophetischen Bücher, die großteils vor, während und nach der Zeit der babylonischen Invasion und des Exils entstanden sind, sind mit großem Gewinn als Traumaliteratur interpretiert worden. Louis Stulman hält sie für durchgestaltete künstlerische Ausdrucksformen und Zeugnisse verheerender Gewalt, die die unerträglich schrecklichen Situationen in eine erträgliche Entfernung rücken und das Kriegstrauma vom „Ground Zero“ in die symbolische Welt der Sprache heben.8 Ähnlich wie die Flut an dichterischen, musikalischen, dramatischen, künstlerischen und homiletischen Produktionen im Gefolge von 9/11 dazu bestimmt war, einem traumatisierten Volk bei der Bewältigung seiner tragischen Erlebnisse zu helfen, schuf die prophetische Literatur einen Raum, in dem das Volk seinem Schmerz Ausdruck verleihen und trauern konnte, um letztlich eine Möglichkeit zu finden, trotz allem weiterzuleben.9 Ich habe an anderer Stelle detaillierter umrissen, welche wichtige Rolle Metaphern im schwierigen Prozess der Bewältigung von extremer Traumatisierung spielen können, indem sie die traumatische in eine narrative Erinnerung umwandeln und so das Unfassbare in einen Interpretationsrahmen spannen, der dem Sinnlosen einen Sinn gibt.10 Der Fokus des vorliegenden Beitrages richtet sich auf das Potential der Trauma-Hermeneutik, neue Erkenntnisse darüber zutage zu fördern, inwiefern die Metapher einer gebärenden Frau die entkräftenden Wirkungen einer schweren traumatischen Erfahrung zum Ausdruck bringen kann, sowie eine Reihe von Beispielen aufzuzeigen, wo dieses Sprachbild in einen neuen Rahmen gestellt wird, um Judas Hoffnung auf Wiederherstellung zu reflektieren. yond (Studia Aarhusiana Neotestamentica 2; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014). Eine exzellente Anwendung der Trauma-Hermeneutik auf das Ezechielbuch bietet Ruth Poser, Das Ezechielbuch als Trauma-Literatur (VTSup 154; Leiden: Brill, 2012). 7 An Israels traumatische Vergangenheit erinnernd, weist Louis Stulman, „Reading the Bible as Trauma Literature: The Legacy of the Losers [EGLBS Presidential Address]“, Conversations with the Biblical World 34 (2014): 1–13; 3, darauf hin, dass „the importance of its protracted history of war, exile, and diaspora“ nicht außer Acht gelassen werden sollte. 8 Siehe ebd., 7. 9 Vgl. ebd. 10 Vgl. meinen Beitrag „From Traumatic to Narrative Memories: The Rhetorical Function of Birth Metaphors in Micah 4–5“, AcT(V).S 26 (2018): 221–236.
Zwischen unerträglichem Schmerz und Verheißung neuen Lebens
2.
261
Die Metapher einer gebärenden Frau im Kontext von Katastrophen
In ihrer eingehenden Analyse der Geburtsmetapher in der Hebräischen Bibel vor dem Hintergrund ihres altorientalischen Kontexts zeigt Claudia Bergmann, wie die Gebärenden-Metapher in einer Reihe von Texten verwendet wird, um die Angst in Worte zu fassen, die die israelitischen Krieger, aber auch andere Mitglieder der bedrängten Gesellschaft angesichts einer lebensbedrohlichen und unabwendbaren Krise empfinden – unabwendbar wie eine Geburt, die nicht mehr aufgehalten werden kann, wenn sie erst einmal begonnen hat.11 Auf der Grundlage von Bergmanns Argumentation stelle ich die These auf, dass die Anwendung einer trauma-hermeneutischen Lesart unter besonderer Berücksichtigung der oben angedeuteten Rolle der Metapher zusätzliche Perspektiven zutage fördert, die unser Verständnis der rhetorischen Funktion der Gebärenden-Metapher in der Schriftprophetie vertiefen können. Das wiederholte Vorkommen der Gebärenden-Metapher lässt sich zum einen als Reflex traumatischer Erinnerungen an die Hilflosigkeit, Panik und Verzweiflung beschreiben, die das Volk von Juda in der äußerst traumatischen Zeit der babylonischen Invasion und des Exils empfunden hat. An anderer Stelle habe ich gezeigt, dass diese Metapher im Jeremiabuch in nicht wenigen Fällen im Kontext zutiefst traumatisierender Erfahrungen verwendet wird.12 So steht z. B. Jer 4,31 („Ja, ich höre das Schreien wie von einer Frau in Wehen, Stöhnen wie von einer Erstgebärenden, das Schreien der Tochter Zion, die nach Atem ringt und die Hände ausstreckt: Weh mir, denn mein Leben endet durch Mörder!“) in einem Kontext, in dem eine Katastrophe der anderen folgt (vgl. 4,19). Es ist eine Zeit, in der der „Feind aus dem Norden“ das ganze Land mit flächendeckender Zerstörung überzieht, die verheerende Verluste von Menschenleben und Vernichtung von Eigentum mit sich bringt sowie unzählige Menschen ihrer Heimat beraubt und in die Verbannung zwingt. Diese Konnotationen der Gebärenden-Metapher erwachsen aus der Lebenswirklichkeit zahlloser Frauen, für die es in einer Welt ohne moderne Medizin und angesichts der hohen Müttersterblichkeitsrate um Leben und Tod ging.13 Die Vorstellung, in nicht enden wollenden Wehen gefangen zu sein, die obendrein in den meisten, wenn nicht sogar in allen Texten nicht zur Ge11 Siehe Bergmann, „We Have Seen the Enemy“, 651.663. Vgl. den umfassenden Überblick über die Geburtsmetaphorik in der Hebräischen Bibel sowie in altorientalischen Texten in Dies., „‚Like a Warrior‘ and ‚Like a Woman Giving Birth‘“, 43–49.53f.; Dies., „We Have Seen the Enemy“, 655–657. 12 Siehe Claassens, „Like a Woman in Labor“, 119f.; Dies., „Rhetorical Function of the Woman in Labor“, 68–74. 13 Vgl. Carol L. Meyers, Discovering Eve: Ancient Israelite Women in Context (New York: Oxford University Press, 1988), 112f.
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L. Juliana Claassens
burt eines Kindes führen (vgl. den expliziten Hinweis auf das Gebären von Wind in Jes 26,18), bringt etwas von der fortwährenden Prüfung des Volkes von Juda zum Ausdruck, wenn offenbar keinerlei Hoffnung auf Befreiung besteht. Überdies sind das Gefühl der Ohnmacht, die Unfähigkeit, während der Wehen noch irgendetwas anderes zu tun, sowie natürlich – in einer Welt ohne Schmerzmittel oder Anästhesie – die unerträglichen Qualen, die mit der Geburt eines Kindes verbunden sind, bestens geeignet, um schwere traumatische Erlebnisse der Vergangenheit und Gegenwart zum Ausdruck zu bringen.14 Zum anderen versucht die Prophetie mithilfe der Gebärenden-Metapher, die Erinnerungen an die Schrecken der Gewalt in einen Interpretationsrahmen zu spannen, der die traumatischen Ereignisse umdeutet und im Strudel des Chaos, der die Opfer mit sich gerissen hat, wenigstens den Anschein von Ordnung und Sinnhaftigkeit wahrt. Kathleen O’Connor schreibt über den wiederholenden Charakter des Umgangs mit traumatischen Erinnerungen: Opfer müssen die Katastrophe immer und immer wieder bewältigen, um eine Sprache für die Schrecken zu finden, um in fragmentierte Erinnerungen wieder einzutreten und sich ihnen zu stellen, um die Starre zu überwinden, um tief zu trauern, um Geschichten zu finden, die sie durch die Leere leiten.15
Außerdem erinnert der repetitive, stereotype Charakter der GebärendenMetapher an die von Johan Anker beschriebenen „gefrorenen Metaphern“:16 Demgemäß greifen die verschiedenen Verfasser der prophetischen Bücher auf stereotype Muster zurück, um zu versuchen, die traumatischen Umstände in ihren jeweiligen Kontexten in Worte zu fassen.17 Obwohl diese Metapher mit14 Es wurde darauf hingewiesen, dass sich in diesen Wahrnehmungen einer Frau in den Wehen eine männliche Sichtweise ausdrücke, nachdem Männer beim Geburtsvorgang selbst abwesend und davon ausgeschlossen waren. Vgl. Irmtraud Fischer, „Egalitär entworfen – hierarchisch gelebt: Zur Problematik des Geschlechterverhältnisses und einer genderfairen Anthropologie im Alten Testament“, in Der Mensch im alten Israel: Neue Forschungen zur alttestamentlichen Anthropologie (hg. v. Bernd Janowski und Kathrin Liess; HBS 59; Freiburg i. Br.: Herder, 2009), 265–298; 292; Bergmann, „‚Like a Warrior‘ and ‚Like a Woman Giving Birth‘“, 47. Hanne Løland problematisiert die Vorstellung, dass die männliche Sicht auf die Geburt immer negativ und die weibliche Sicht immer positiv sei: Dies., Silent or Salient Gender? The Interpretation of Gendered God-Language in the Hebrew Bible, Exemplified in Isaiah 42, 46, and 49 (FAT 2/32; Tübingen: Mohr Siebeck, 2008), 120. 15 Kathleen M. O’Connor, Jeremiah: Pain and Promise (Minneapolis: Fortress Press, 2011), 47. 16 Johan Anker, „Metaphors of Pain: The Use of Metaphors in Trauma Narrative With Reference to Fugitive Pieces“, Literator 30/2 (2009): 49–68; 66. 17 Vgl. Irmtraud Fischers Auffassung, wonach diese Klischees eine androzentrische Sichtweise widerspiegeln, die Frauen, die in Geburtswehen liegen, aber kein Kind gebären, irrigerweise als ein Symbol des von der Frau verschuldeten Scheiterns und der Panik deutet (Jes 26,18; 33,11; 59,4): „Das Buch Jesaja: Das Buch der weiblichen
Zwischen unerträglichem Schmerz und Verheißung neuen Lebens
263
hin dem Zweck dient, die schlimmsten Gefühle und Emotionen auf eine einzige Formel zu bringen, wird im Licht des bislang Gezeigten doch auch deutlich, dass dieser Versuch, das Unsagbare zu sagen, von Natur aus begrenzt und bruchstückhaft ist und überdies an die wiederkehrenden Flashbacks und Albträume erinnert, die das Individuum, das trotz des Grauens weiterzuleben versucht, erheblich schwächen können. Besserung kann dagegen nur eintreten, wenn die „frozen“ Trauma-Metaphern durch „Heilungsmetaphern“ ersetzt werden, wie Anker sie nennt: Seiner Darstellung zufolge helfen diese „kreativeren Metaphern“ Traumatisierten dabei, ihre traumatischen in narrative Erinnerungen umzuwandeln, die eine Einordnung der vergangenen Ereignisse leisten und das Gift der traumatischen Erinnerungen absorbieren können.18 Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass die Gebärenden-Metapher an einigen Stellen in den Prophetenbüchern, die im Folgenden skizziert werden sollen (Jer 31,8f.; Jes 42,13f.; 66,6–9; Mi 4,9–5,3), nicht mehr in der üblichen Weise verwendet wird, sondern so verändert worden ist, dass sie zu einem Zeichen der Hoffnung und Wiederherstellung wird.
3.
Neukontextualisierungen der Gebärenden-Metapher
3.1
Jeremia 30–31
Ein Text, in dem die Gebärenden-Metapher an zwei dicht aufeinanderfolgenden Stellen einmal nach herkömmlichem Muster und einmal in deutlich neu kontextualisierter Form verwendet wird, sind die Kapitel Jer 30–31, die zum sogenannten Trostbüchlein gehören (Jer 29–33).19 Wie auch an anderen Stellen im Jeremiabuch (Jer 4,31; 6,24; 13,21; 22,23) wird in 30,6 die GebärendenMetapher einmal mehr dazu gebraucht, um die extreme Verletzlichkeit zu veranschaulichen, die das Volk inmitten der Katastrophe erfährt, wenn gefragt wird, weshalb sich gestandene Männer in äußerstem Schmerz niederkauern wie Frauen bei einer Geburt. Jer 30,6 verwendet also die Konnotationen von unausweichlicher Qual und Schmerz, den damit verbundenen Kontrollverlust und die mit dem Geburtsvorgang assoziierte Panik, um etwas von dem TrauMetaphern“, in Kompendium Feministische Bibelauslegung (hg. v. Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 32007), 246–257; 248. 18 Vgl. Anker, „Metaphors of Pain“, 66. 19 Eine ausführlichere Darstellung der in diesem Abschnitt überblickshaft zusammengefassten Argumentation bietet mein Aufsatz Claassens, „Rhetorical Function of the Woman in Labor“, 68–74.
264
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ma der babylonischen Invasion und des anschließenden Exils zum Ausdruck zu bringen. Allerdings nimmt dieser Text explizit auf die Agonie der starken männlichen Krieger Bezug ()כל־גבר. Dadurch, dass diese Metapher auf die kräftigen männlichen Mitglieder der Gemeinschaft angewendet wird, macht Jer 30,6 nur umso deutlicher, wie verzweifelt die Lage des Volkes von Juda tatsächlich ist: Wenn selbst die starken Männer in Panik und in ein Gefühl äußerster Hilflosigkeit verfallen, was bleibt dann dem Rest der Bevölkerung übrig?20 In Jer 31,8f. dagegen wird die Gebärenden-Metapher mit ganz anderer Wirkung in einem Kontext der Wiederherstellung und der Verheißung neuen Lebens verwendet. Gemeinsam mit einer Gruppe von Müttern und Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen werden die Gebärenden hineingenommen in eine Prozession einer offenkundig vulnerablen Personengruppe; sie sind jedoch Zeichen einer neuen Schöpfung und von Gott dazu berufen, die Heimkehrenden anzuführen: Siehe, ich bringe sie heim aus dem Nordland und sammle sie von den Enden der Erde, unter ihnen Blinde und Lahme, Schwangere und Gebärende/geboren Habende. Als große Gemeinde kehren sie hierher zurück. Weinend kommen sie und in Erbarmen geleite ich sie. Ich führe sie an Wasserbäche, auf ebenem Weg, wo sie nicht straucheln. Denn ich bin Vater für Israel und Efraim ist mein Erstgeborener. (Jer 31,8f.)
Dadurch, dass auch soeben Mutter Gewordene zu den Gebärenden gerechnet werden, ist die Metapher nun deutlich anders konnotiert. Der Leser wird an das eigentliche Ziel des Geburtsvorgangs erinnert: neues Leben zur Welt zu bringen. Damit steht die Verwendungsart der Metapher in einem scharfen Kontrast zu Jer 30,6, wo die Geburtswehen offenbar vergeblich waren. Trotz der augenscheinlichen Vulnerabilität dieser Gruppe halten die Mütter und werdenden Mütter also die Zukunft in ihren Händen.21 Überdies erinnert Jer 31,8 durch die gemeinsame Nennung von Müttern und werdenden Müttern an das letztendliche Ziel der Wehen, nämlich die Geburt. Im Kontext der Trauma-Theorie weist die Vorstellung von der Geburt häufig auf einen Neubeginn hin.22 Für die Überlebenden des babylonischen 20 Vgl. O’Connor, Jeremiah, 125. Vgl. auch Angela Bauer, Gender in the Book of Jeremiah: A Feminist-Literary Reading (StBibLit 5; New York: Lang, 2003), 162. 21 Vgl. ebd., 106. 22 Vgl. Flora A. Keshgegian, Redeeming Memories: A Theology of Healing and Transformation (Nashville: Abingdon Press, 2000), 64.
Zwischen unerträglichem Schmerz und Verheißung neuen Lebens
265
Exils waren die Konnotationen neuen Lebens, die mit der Gebärenden-Metapher in Jer 31 assoziiert werden, ein kreatives Mittel, ihr Überleben als Volk in Begriffe zu kleiden. Die Vorstellung von der Geburt steht dabei für die Zukunft, die Gott dem Volk im Land geben wird. Es ist bezeichnend, dass die Metapher einer Frau, die in Geburtswehen liegt, in einem Kontext der Wiederherstellung auftaucht – denn wie die wiederholten Verweise auf Rettung belegen, handelt es sich an den betreffenden Stellen um einen solchen. Immer wieder ist in Jer 30–31 davon die Rede, dass Gott das Volk ins Land zurückbringt (Jer 30,3.10), das Volk rettet (Jer 30,7) und die versprengten Volksteile sammelt (Jer 30,11; 31,10). Die Rettung des Volkes durch Gott wird in die bildhaften Vorstellungen gefasst, dass Gott das Joch auf dem Nacken des Volkes zerbricht (Jer 30,8), ihre Trauer in Jubel verwandelt (Jer 31,13) und die Gesundheit des Volkes wiederherstellt (Jer 30,17). Vor allem in Jer 31 wird die Gebärenden-Metapher zu einem Zeichen der Hoffnung, wenn das Trostbüchlein eine neu gebildete Gemeinschaft in den Blick nimmt, die Mütter und Gebärende umfasst, und sie in den Kontext des Befreierhandelns Gottes stellt, der sein Volk wiederaufbaut und wiedereinpflanzt – ein gutes Beispiel hierfür sind die Verse Jer 31,4f., die in einem scharfen Kontrast zur Exilserfahrung der Entwurzelung und Zerstörung stehen. In diesem Text wird nicht nur ein Bild vom Überleben des Volkes entworfen, bei dem die Mütter und werdenden Mütter eine zentrale Rolle spielen: Auch das Land wird wiederhergestellt werden und von neuem Frucht bringen – wobei seine Fruchtbarkeit der Fruchtbarkeit entspricht, die durch den Verweis auf Mütter und Gebärende in Jer 31,8 heraufbeschworen wird. Damit ist Jer 31,8f. ein aussagekräftiges Beispiel für eine Neukontextualisierung oder Umdeutung der Gebärenden-Metapher über ihre ursprüngliche Konnotation und herkömmliche Verwendung hinaus, von der sich in Jer 30,6 noch Spuren nachweisen lassen. Bei dieser kreativen Anwendung der Gebärenden-Metapher zeigt sich jedoch, dass die Gebärenden nicht länger hoffnungs- und hilflos, sondern starke, aktive Subjekte sind, die der Zukunft entgegengehen und die Verheißung neuen Lebens in sich tragen. Während die starken Männer in Jer 30,6 mit Gebärenden verglichen werden, wird nun in einer großen Umkehrbewegung den Gebärenden eine neue Art von Macht zugesprochen: die Macht, eine neue Generation hervorzubringen, die das Land wieder in Besitz nehmen, das Zerstörte wieder aufbauen und das Entwurzelte wieder einpflanzen wird.
3.2
Deutero- und Tritojesaja
Ein zweites Prophetenbuch, das einige interessante Beispiele für eine unkonventionelle Verwendung und Umdeutung der Gebärenden-Metapher bietet, ist das Jesaiabuch. In zwei Texten – einem aus dem deutero- und einem aus
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dem tritojesajanischen Teil – wird diese Metapher auf kreative Weise in neue Kontexte eingebettet. In einer Reihe von Texten aus dem sogenannten ersten Jesaja wird die Metapher der Frau, die in den Wehen liegt, verwendet, um die traditionelle Vorstellung von Schmerz und Angst im Kontext von Krieg und militärischer Invasion zum Ausdruck zu bringen (vgl. z. B. Jes 13,8; 21,3). In dieser Hinsicht liegt in Jes 26,17f. bereits eine leichte Abwandlung der traditionellen Anwendung der Gebärenden-Metapher vor. In einem tief empfundenen Ausdruck kollektiver Leidenserfahrung vergleicht sich das Volk selbst mit schwangeren Frauen kurz vor der Geburt. Doch trotz der extremen Geburtsschmerzen und ungeachtet der wiederholten Verwendung von חול, „sich winden“, das auf die typischen Kontraktionen der Wehen hindeutet, erweist sich dies alles als vergeblich, denn es folgt die Klage: Wir waren schwanger und lagen in Wehen (wanden uns) ()חלנו, doch als wir gebaren ()ילדנו, war es Wind. (Jes 26,18)
In diesem Beispiel für die Verwendung der Gebärenden-Metapher wird die Hoffnungslosigkeit der Situation, in der sich das Volk von Juda befindet, mit einem Geburtsschmerz verglichen, der absolut fruchtlos bleibt. Noch so viele Wehen werden doch kein neues Leben hervorbringen – „Wind“ steht in diesem Fall für „Nichts“. Wie Dille schreibt: „Alle Qualen und Nöte der Wehen sind umsonst. Das Volk ist unfähig, irgendetwas zu bewerkstelligen; sie sind machtlos.“23 Interessant am Vorkommen der Gebärenden-Metapher im Jesaiabuch ist jedoch, dass der deutero- und der tritojesajanische Text die konventionelle Verwendung der Metapher, wie sie sich auch in Jes 26,18 findet, umdeutet und in Frage stellt. Diese beiden Texte sind zu einem anderen Zeitpunkt entstanden und stehen damit auch für eine andere Phase im andauernden Prozess der Sinnfindung und Bewältigung einer traumatischen Vergangenheit. In Jes 42,14 wird die Gebärenden-Metapher auf Gott angewendet, wenn die Gottheit in 1. Pers. Sg. ruft: Ich hatte sehr lange geschwiegen, ich war still und hielt mich zurück. Wie eine Gebärende will ich nun schreien, ich stöhne und ringe um Luft.
Was dieses Vorkommen der Gebärenden-Metapher – abgesehen davon, dass dies die einzige Stelle ist, wo sie auf Gott bezogen wird – so interessant macht, ist die Tatsache, dass sie direkt auf die Metapher des machtvollen Kriegers 23 Dille, Mixing Metaphors, 63.
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folgt. Im unmittelbar vorangehenden Vers nämlich heißt es von Gott, dass er in den Kampf ziehe wie ein Held, er seine Leidenschaft entfache wie ein Krieger und den Schlachtruf erhebe und schreie, um sich als Held gegenüber den Feinden zu zeigen (Jes 42,13). Dadurch, dass diese beiden paradoxen Metaphern gemeinsam verwendet werden, um Gott zu beschreiben, wird die Bedeutung der Gebärenden-Metapher insofern untergraben, als einige ihrer bekannteren Konnotationen wie Schmerz, Panik und Verwundbarkeit, die wir von anderen Vorkommen dieser Metapher in der prophetischen Literatur kennen, hier außer Kraft gesetzt werden.24 In Jes 42,14 wird das Motiv des lauten Schreiens, das sich typischerweise im Kontext einer Geburt findet, umgedeutet und ist nun ein Zeichen dafür, dass das Schweigen, das die Gotteserfahrung des Volkes so lange gekennzeichnet hatte, endlich gebrochen wird.25 Bergmann macht die dramatische Wende, die stattgefunden hat, daran fest, wie die Gebärenden-Metapher in diesem besonderen Fall im Text funktioniert: „Die Metapher der Geburt beschreibt üblicherweise eine Person zwischen Leben und Tod; hier aber erscheint die Tatsache, dass JHWH wie eine Gebärende handelt, als Beginn von etwas Neuem.“26 Noch deutlicher wird diese neue Bedeutung der Gebärenden-Metapher, wenn man bedenkt, wie sehr dieser Text von den Motiven des Lichts und der Dunkelheit beherrscht wird. Mit Bezug auf Gottes Ankündigung in Jes 42,16: „Die Finsternis vor ihren Augen mache ich zu Licht“, die praktisch direkt auf die Gebärenden-Metapher in Jes 42,14 folgt, weist Dille darauf hin, dass der Übergang aus der Dunkelheit ins Licht einen zentralen Aspekt des Geburtsvorgangs darstellt. Sie schreibt: Wenn ein Kind im Mutterleib bleibt, stirbt es. Es muss ans Licht kommen, um Leben zu empfangen. Die Befreiung der israelitischen Gefangenen ist also implizit eine Befreiung aus dem Mutterschoß zu geglückter Geburt und neuem Leben.27
24 Fischer, „Egalitär entworfen“, 292, hebt hervor, dass die Metapher in diesem Text auf die genuin weibliche Erfahrung und das Leben schenkende Potential der Geburt und nicht auf die Assoziationen von Panik und quälendem Schmerz fokussiert ist. Vgl. auch Løland, Silent or Salient Gender, 123, die zu bedenken gibt, dass ein „neuer Kontext und ein neues Ziel neue zentrale Merkmale hervorbringen können“. Sie schreibt weiter: „Obwohl, Schmerz, Furcht und Kampf sowohl bei einem Geburtsvorgang als auch in unserem Text deutlich präsent sind, ist eine Frau in den Wehen nicht (nur) machtlos und verweist der Vergleich nicht auf einen machtlosen Gott“ (ebd., 125). 25 Vgl. Dille, Mixing Metaphors, 69. 26 Bergmann, „We Have Seen the Enemy“, 661. Vgl. auch Darr, „Like Warrior, like Woman“, 564. 27 Dille, Mixing Metaphors, 70.
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Mithin ist offensichtlich – und nicht wenige der Autorinnen und Autoren, die in jüngerer Zeit über diesen Text geschrieben haben, stimmen darin überein –, dass die Gebärenden-Metapher dort, wo sie sich auf Gott bezieht, ganz anders verwendet wird, als man es üblicherweise mit dieser Metapher assoziiert: Ihre Konnotationen werden dahingehend verändert, dass sie als Ausdruck der Hoffnung auf eine neue Schöpfung dient, die in dem Glauben an einen Gott wurzelt, der alles neu macht.28 Überdies setzt ein zweiter tritojesajanischer Text diesen Prozess der Umdeutung und Neueinbettung der Gebärenden-Metapher gegenüber ihrer traditionellen Verwendung in früheren prophetischen Traditionen fort. In Jes 66,7–9 erfährt insbesondere die Vorstellung eine Umdeutung, dass der Geburtsvorgang (wie etwa in Jes 26,18) von Natur aus fruchtlos und damit geeignet sei, eine zutiefst hoffnungslose Situation zu versinnbildlichen: Dort heißt es, dass die Tochter Zion ihre Kinder bereits geboren hat, ehe die Wehen überhaupt eingesetzt haben.29 Einzigartig an diesem Text ist die Tatsache, dass Gott selbst eine aktive Rolle bei der Niederkunft übernimmt und als göttliche Hebamme agiert, die für die Geburt verantwortlich ist und dafür sorgt, dass die Kinder unbeschadet das Licht der Welt erblicken:30 Sollte ich den Schoß öffnen und nicht gebären lassen?, spricht der HERR. Sollte ich, der gebären lässt, den Schoß verschließen?, spricht dein Gott. (Jes 66,9)
Wie in Jes 42,13f. liegt der Fokus in Jes 66,6–9 auf einem aktiven Gott, der alles Nötige tun wird, um das Volk von Jerusalem zu retten. Beide Texte, sowohl der deutero- als auch der tritojesajanische, sprechen also auf eine sehr eindeutige Weise von Umgestaltung und Neuschöpfung. Es scheint, als stünden diese Texte in direktem Austausch mit jenen Okkurrenzen der Gebärenden-Metapher, die in der früheren jesajanischen Tradition und anderorts in den Prophetenbüchern dazu dienten, die Not und Verzweiflung des unablässig von militärischen Angriffen heimgesuchten Volkes in Bilder zu kleiden. Aus trauma-hermeneutischer Sicht ließe sich also die Auffassung vertreten, dass diese beiden Texte aus Deutero- und Tritojesaja anschauliche Beispiele dafür sind, wie die in der Gebärenden-Metapher früherer prophetischer Überlieferungen enthaltenen traumatischen Erinnerungen extrahiert und durch die Einführung kreativer göttlicher Bilder verändert und in einen Erzählrahmen gespannt werden, der es den Überlebenden ermöglicht, ihre 28 Vgl. ebd., 71f. 29 Vgl. Darr, „No Strength to Deliver“, 222. 30 Vgl. L. Juliana Claassens, Mourner, Mother, Midwife: Reimagining God’s Delivering Presence in the Old Testament (Louisville: Westminster John Knox Press, 2012), 52f.
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269
traumatische Vergangenheit mit neuen Augen zu sehen und eine Situation von Tod und Verzweiflung als Beginn neuen Lebens zu deuten.
3.3
Micha 4–5
Ein letzter Text, in dem die Verwendung der Gebärenden-Metapher eine nicht unerhebliche Veränderung erfährt, ist Mi 4,9–5,3.31 Die Entscheidung, diesen Text an das Ende des vorliegenden Beitrags zu stellen, fußt darauf, dass Julia O’Brien das Michabuch in ihrem Kommentar in der Reihe der Wisdom Commentaries als ein Produkt aus der persischen Periode liest. O’Brien stützt sich dabei auf stichhaltige Argumente von Ehud Ben Zvi32 und Oded Lipschits33 und charakterisiert den Entstehungskontext des Buches als eine Zeit von wachsender Armut, Missernten und heftiger Besteuerung im Rahmen der persischen Reichspolitik.34 O’Brien beschreibt diese notleidende Bevölkerung als eine Gemeinschaft „mit nach wie vor weithin zerstreuten Mitgliedern, eine durch die Kriegsfinanzierung ausgeblutete Gesellschaft und ein international bedeutungsloses Jerusalem“.35 In diesem Kontext von Leid und Niedergang steht die Sehnsucht nach einer anderen Welt, wie sie in Mi 4–5, einer Vision vom Aufstieg der Tochter Jerusalem und ihres Königs, zum Ausdruck kommt.36 Schon die Eröffnungsverse (Mi 4,1–7), in denen beschrieben wird, wie alle Nationen nach Jerusalem strömen, um Gott auf seinem heiligen Berg zu huldigen, lassen etwas von dieser Sehnsucht nach einer wiederhergestellten Stadt erkennen. Auf diese Vision folgt in Mi 4,8–13 eine weitere Verheißung – dass die Ehre und Stärke der Tochter Zion wiederhergestellt werden wird –, in der die GebärendenMetapher eine zentrale Rolle spielt. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als würde die GebärendenMetapher im konventionellen Sinne als ein Bild verwendet, das mit Panik und Furcht konnotiert ist: Das weibliche Subjekt, die Tochter Zion, schreit angsterfüllt auf (Mi 4,9), weil kein König da ist, sie zu befreien. Gleich im Anschluss an diese herkömmliche Verwendung der Metapher erfolgt jedoch eine unerwartete Umdeutung: In Mi 4,10 entpuppt sich die Frau, die in den 31 Eine frühere Version dieser Ausführungen zur Geburtsmetaphorik in Micha 4–5 bietet Dies., „Rhetorical Function of Birth Metaphors“. 32 Vgl. Ehud Ben Zvi, Micah (FOTL 21B; Grand Rapids: Eerdmans, 2000), 9f. 33 Vlg. Oded Lipschits, „Achaemenid Imperial Policy, Settlement Processes in Palestine, and the Status of Jerusalem in the Middle of the Fifth Century B.C.E.“, in Judah and the Judeans in the Persian Period (hg. v. dems. und Manfred Oeming; Winona Lake: Eisenbrauns, 2006), 19–52. 34 Vgl. Julia M. O’Brien, Micah (Wisdom Commentary 37; Collegeville: Liturgical Press, 2015), xlix–liii. 35 Ebd., 42. 36 Vgl. ebd., 39–41.
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Wehen liegt, als Kriegerin, die aus der Stadt hinausgehen wird, damit der Befreiergott sie errettet und loskauft. In einer traditionellen Anwendung des Motivs vom heiligen Krieg heißt es von der Tochter Zion, sie werde ihre Feinde besiegen und deren Beute ihrem Gott darbringen. O’Brien schreibt über dieses Portrait der Tochter Zion in Mi 4,13: [D]ie mit erneuerter Macht ausgestattete Tochter Zion wird mit eisernen Hörnern und bronzenen Hufen dargestellt, mit denen sie die Völker zermalmt wie Korn auf dem Dreschboden.37
Eine weitere wichtige Abwandlung der Gebärenden-Metapher ist Mi 5,2 – eine Textstelle, die wie Jes 7,14 typischerweise mit der Geburt des Messias in der kleinen Stadt Betlehem in Verbindung gebracht worden ist –, wo von einer Frau die Rede ist, die geboren hat.38 Die Geburt dieses Kindes verkörpert die Hoffnung auf einen neuen Herrscher aus dem Haus Davids, der da kommen soll, und stellt, verglichen mit der herkömmlichen Verwendung der Gebärenden-Metapher und ihrer traditionellen Konnotation von Verzweiflung, Panik und Hoffnungslosigkeit, eine dramatische Veränderung dar. Durch diese einzigartige Neueinbettung der Gebärenden-Metapher spricht Mi 4–5 von der Hoffnung auf Wiederherstellung und Befreiung und von einer Wiedereinrichtung des Königtums: eine Aussage, die weit über diesen ursprünglichen Text hinaus nachhallen wird.39 Vor diesem Hintergrund steht die Metapher von der Gebärenden, die zur Kriegerin wird, zeichenhaft für die erneuerte Macht der Tochter Zion. Dille erläutert zum Beispiel, wie sowohl Mi 4,9f. als auch Jes 42,13f. die Gebärenden-Metapher auf innovative Weise verwenden, indem sie die gebärende Frau zugleich als machtvolle Kriegerin darstellen und so die ursprüngliche Bedeutung der Metapher mit ihren Konnotationen der Hilflosigkeit, Panik und Angst in eine Botschaft umwandeln, die von Befreiung kündet und insbesondere die Handlungsmacht des weiblichen Subjekts betont.40 Diese unerwartete Verwandlung der Metapher – aus einem Bild der Verzweiflung in ein Zeichen der Hoffnung auf ein produktives Ergebnis – wurzelt in einem an das Volk von Zion gerichteten Aufruf, sich „zu winden“ ()חול und „hervorzubringen“ ()גוח, das heißt, tatsächlich Gebärende zu sein, die die Geburtswehen auf sich nehmen, um gemeinsam die Befreiung vom Feind zu erwirken.41 Aus trauma-hermeneutischer Sicht kann es als positive Ent37 Ebd., 50. 38 Vgl. Erin Runions, Changing Subjects: Gender, Nation and Future in Micah (Playing the Texts 7; London: Sheffield Academic Press, 2001), 160. 39 Vgl. O’Briens hilfreiche Darstellung der Interpretationsgeschichte dieses Texts in der christlichen Tradition, Micah, 60–65. 40 Vgl. Dille, Mixing Metaphors, 58.65f. 41 Vgl. ebd., 65.
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wicklung betrachtet werden, dass der Fokus nun darauf liegt, das TraumaOpfer wieder zum Handeln zu ermächtigen und ihn/sie in einem Kontext der Tatenlosigkeit zur Aktivität zu ermutigen. So gesehen ist das Vorkommen der Gebärenden-Metapher in Mi 4–5 allem Anschein nach ein gutes Beispiel dafür, dass eine traumatische Erinnerung neu eingebettet wird, um dem Individuum zu einer veränderten Wahrnehmung zu verhelfen und damit seine/ ihre Selbstwiederherstellung zu unterstützen. Andererseits mag diese besondere Umdeutung der Gebärenden-Metapher in Mi 4–5, die perfekt in die Entstehungszeit der Erzählung hineinpasst, auch als Warnung dienen: Die narrativen Rahmungen, die zum Wiederherstellungsprozess gehören, sind nicht zu allen Zeiten gleichermaßen heilsam. Tatsächlich kann gerade diese Umdeutung der Gebärenden-Metapher in Mi 4–5 aus einer ganzen Reihe von Gründen als durchaus problematisch betrachtet werden: Erstens dürfte die Assoziation von Gewalt – dass die Tochter Zions zur Ehre Gottes die Nationen zerstört und ihren Besitz plündert – für die heutige Leserschaft problematisch sein. Diese nationalistische Tendenz, die den Text umgibt – und die durchaus gefährlich werden kann, wenn man sich die heutige Welt besieht, in der viele Nationen aus einer nationalistischen Schwerpunktsetzung heraus, die allzu oft in einer ausgeprägten Sorge um Selbsterhaltung wurzelt, den Schutz ihrer Grenzen verstärken und Mauern bauen –, zeigt sich bereits in der Vision der Eröffnungsverse (Mi 4,1–7). Dieser Text, der eine Parallele in Jes 2,1–4 hat, unterstreicht Michas Bestreben, Jerusalem wieder zu alter Größe zu verhelfen. Zweitens haben sich feministische Wissenschaftlerinnen wie O’Brien mit der gegenderten Bildlichkeit auseinandergesetzt, die im Portrait der Tochter Zion in Mi 4 verwendet wird. Insbesondere stößt sich O’Brien an den animalischen Bildern, die das weibliche Subjekt beschreiben, wenn die Tochter Zion als „dreschende Jungkuh“ dargestellt wird, die „alles unter ihren Hufen zermalmt“.42 Überdies wird wie auch an anderen Stellen der prophetischen Literatur mit einer Terminologie der sexuellen Gewalt gearbeitet, um die ungeheure Verletzlichkeit der von feindlichen Heeren eroberten Stadt zu schildern. Wenn die fortwährende Demütigung der Tochter Zion und die Gefahr, Gewalt zu erleiden, in Mi 4,11 durch ein mit sexueller Gewalt und sexuellem Zwang konnotiertes Verb ( )חנףausgedrückt wird, steht die Neueinbettung der Gebärenden-Metapher in Mi 4 also nach wie vor in einem Kontext der Viktimisierung: Die als junge Frau personifizierte Stadt wird zum Opfer gemacht.43
42 O’Brien, Micah, 51f. 43 Vgl. ebd., 49.
272
4.
L. Juliana Claassens
Schluss
Im vorliegenden Aufsatz wurde gezeigt, dass die Metapher der Frau, die in Geburtswehen liegt, in einer ganzen Anzahl prophetischer Texte neu eingebettet worden ist, um die Hoffnung auf ein Leben nach dem Trauma auszudrücken. In dieser Hinsicht dient die Trauma-Hermeneutik als wichtige Gesprächspartnerin, wenn es um die Frage geht, welche rhetorische Bedeutung die Gebärenden-Metapher für das Volk von Juda hat, das nach Möglichkeiten sucht, mit seiner traumatischen Vergangenheit umzugehen. Wenn Einzelne und Gruppen sich über traumatische Erinnerungen hinausbewegen wollen, dann spielt, wie wir gesehen haben, die Fähigkeit, kreative Abwandlungen anzubieten, eine zentrale Rolle: in diesem Fall also die Fähigkeit der Propheten, die ursprüngliche Metapher in einen neuen narrativen Rahmen zu spannen, um ihrer Hörerschaft bei der Bewältigung ihrer traumatischen Erlebnisse zu helfen. Diese Umdeutungen etwa im Jeremiabuch zeigen, dass Zeichen aus der prophetischen Tradition ihrem Wesen nach dynamisch sind, weiter wachsen und sich verändern, während der Prophet bestrebt ist, seiner Hörerschaft neue Verständnisformen anzubieten, die den Einzelnen möglicherweise helfen, ihre qualvolle Vergangenheit hinter sich zu lassen. Dies beinhaltet insbesondere in den deutero- und tritojesajanischen Beispielen auch ein verändertes Denken von Gott, wie die dramatisch neuen Gottesbilder zeigen, in die sich die Hoffnung auf einen Neubeginn kleidet. Bei Micha jedoch ist dieser Prozess der Bewältigung einer traumatischen Vergangenheit gleichzeitig eine Warnung: Die neuen narrativen Rahmungen dürfen weder dazu gebraucht werden, ungerechte Genderkonstruktionen der Vergangenheit zu perpetuieren, noch dazu, einer Abschottungsmentalität auf Kosten anderer das Wort zu reden, bei der die Hoffnung auf „unsere“ Wiederherstellung und Befreiung unmittelbar mit der Demütigung und Zerstörung des „anderen“ verbunden ist.
Verkörperte Erinnerung Trauma und „Geschlecht“ in prophetischen Texten Ruth Poser Kirchlicher Fernunterricht der EKMD
Paul Kim und Louis Stulman haben die Bücher der Hinteren Prophetie zuletzt als „literarische Betrachtungen der Schrecken des Krieges“ bezeichnet.1 Die verschiedenen Stimmen, die sich in diesen Schriften zu Wort melden, haben, so die beiden Autoren, den Krieg nicht allein als Hintergrund – vielmehr reinszenieren sie die Schrecken des Krieges in kunstvoller Prosa und Poesie.2 Ich selbst habe das Buch Ezechiel als Trauma-Literatur analysiert. M. E. stellt diese biblische Schrift eine theologische Auseinandersetzung mit der Belagerung, Eroberung und Zerstörung Jerusalems zu Beginn des 6. Jh. v. u. Z. und den damit verbundenen Massendeportationen 597 und 587 v. u. Z. dar.3 Ähnliches gilt, wie Untersuchungen u. a. von Kathleen M. O’Connor und Stulman verdeutlicht haben, für das Jeremiabuch.4 Stulman verknüpft Texte aus dem Jeremiabuch mit Ausführungen der Trauma-Forscherin Judith Herman und schreibt:
1 Louis Stulman und Hyun Chul Paul Kim, You Are My People: An Introduction to Prophetic Literature (Nashville: Abingdon Press, 2010), 6 (Übers. R.P.). 2 Vgl. Louis Stulman, „Reflections on the Prose Sermons in the Book of Jeremiah: Duhmʼs and Mowinckelʼs Contributions to Contemporary Trauma Readings“, in Bible through the Lens of Trauma (hg. v. Elizabeth Boase und Christopher G. Frechette; SemeiaSt 86; Atlanta: SBL Press, 2016), 125–139; 126. 3 Ruth Poser, Das Ezechielbuch als Trauma-Literatur (VTSup 154; Leiden: Brill, 2012); vgl. auch Daniel L. Smith-Christopher, A Biblical Theology of Exile (Minneapolis: Fortress, 2002); David G. Garber, „Traumatizing Ezekiel, the Exilic Prophet“, in Psychology and the Bible: A New Way to Read the Scriptures 2: From Genesis to Apocalyptic Vision (hg. v. J. Harold Ellens und Wayne G. Rollins; Westport: Praeger, 2004), 215–235; Brad E. Kelle, „Dealing with the Trauma of Defeat: The Rhetoric of the Devastation and Rejuvenation of Nature in Ezekiel“, JBL 128 (2009): 469–490; Nancy R. Bowen, Ezekiel (AOTC; Nashville: Abingdon Press, 2010). 4 Vgl. Kathleen M. O’Connor, Jeremiah: Pain and Promise (Minneapolis: Fortress, 2011); Dies., „How Trauma Studies Can Contribute to Old Testament Studies“, in Trauma and Traumatization in Individual and Collective Dimensions: Insights from Biblical Studies and Beyond (hg. v. Eve-Marie Becker, Jan Dochhorn und Else K. Holt; Studia Aarhusiana Neotestamentica 2; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014), 210–222; Stulman, „Reflections“.
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These texts represent on multiple levels „an affiliation of the powerless.“ They are texts beset with events that „overwhelm the ordinary human adaptions of life,“ events that involve „threats to life or bodily integrity, or a close personal [or communal] encounter with violence and death,“ events that „confront human beings with the extremities of helplessness and terror, and evoke the responses of catastrophe.“5
Auch das Jesajabuch, insbesondere dessen zweiter Teil (Kap. 40–66), ist von der Katastrophe von 587 v. u. Z. geprägt, auch wenn (oder: gerade weil) diese in ihm nicht explizit erzählt wird. Interpretationen der traumatischen Ereignisse, wie sie sich in anderen biblischen Schriften finden, werden, wie Christopher G. Frechette festhält, in Jes 40–66 zum Teil bestätigt, zum Teil auch korrigiert.6 Es fällt auf, dass die erwähnten Schriften7 eine Fülle von Metaphern enthalten, die mit den Kategorien „Geschlecht/Gender“ und „Sexualität“ zusammenhängen: Wieder und wieder wird die Stadt Jerusalem als Ehefrau JHWHs ins Bild gesetzt, andere Städte werden ebenfalls als Frauen personifiziert. Von besiegten Soldaten wird gesagt, sie seien „zu Frauen geworden“; und JHWH selbst wird mehrfach als (betrogener) Ehemann, Vater und Krieger gezeichnet, aber ebenso – wenn auch seltener – als gebärende Frau, Hebamme und Mutter. Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, welche Kriegstraumata und wessen Verletzungen sich in den beschriebenen Bilderwelten widerspiegeln. Dabei soll insbesondere die Kategorie „Geschlecht/Gender“ – unter Einbezug weiterer differenzierender/diskriminierender Kategorien – beleuchtet werden.
5 6
7
Stulman, „Reflections“, 126; vgl. auch Judith Herman, Die Narben der Gewalt: Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden (Paderborn: Junfermann, 4 2014). Vgl. Christopher G. Frechette, „Daughter Babylon Raped and Bereaved (Isaiah 47): Symbolic Violence and Meaning-Making in Recovery from Trauma“, in Bible through the Lens of Trauma (hg. v. Elizabeth Boase und Christopher G. Frechette; SemeiaSt 86; Atlanta: SBL Press, 2016), 67–83; 79. Ich gehe in diesem Beitrag vorrangig auf die Bücher Jesaja, Jeremia und Ezechiel ein. „Spuren des Traumatischen“ lassen sich aber in nahezu allen Teilen der Vorderen und Hinteren Prophetie entdecken. So hat Irmtraud Fischer zuletzt das Jona-Buch als Trauma-Erzählung in den Blick genommen („Jona: Prophet eines traumatisierten Volkes“, in Vom Leben umfangen: Ägypten, das Alte Testament und das Gespräch der Religionen: Gedenkschrift für Manfred Görg [hg. v. Stefan Jakob Wimmer und Georg Gafus; ÄAT 8; Münster: Ugarit-Verlag, 2014], 33–41), während David Janzen das Deuteronomistische Geschichtswerk als Trauma-Literatur analysiert (The Violent Gift: Trauma’s Subversion of the Deuteronomistic History’s Narrative [LHBOTS 561; London: T&T Clark, 2012]).
Trauma und „Geschlecht“ in prophetischen Texten
1.
Was heißt „Trauma“?
1.1
Eine Definition
275
Psychisches Trauma lässt sich definieren als „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“.8 „Trauma“ ist also nicht eine einem Ereignis oder einem Erlebnis als solchem inhärente Qualität9 – nicht jeder Mensch, der einem potentiell traumatisierenden Ereignis ausgesetzt ist, entwickelt traumatische Symptome oder Syndrome. Überlebende von Kriegen, von Folter und sexueller Gewalt sowie von Flucht und Vertreibung sind jedoch mit besonderer Häufigkeit betroffen. Generell ist davon auszugehen, dass die traumatisierende Wirkung [eines] Ereignisses umso stärker [ist], je größer der Anteil von Menschen an seiner Verursachung und je enger die Beziehung des Verursachers zum Betroffenen ist.10
Des Weiteren spielen die Gefährdung der eigenen Person und der Grad der Involviertheit, die Nähe zu Verletzung und Tod, die Häufung und Dauer der traumatisierenden Situation(en) und nicht zuletzt die vorhandenen und zur Verfügung gestellten Bewältigungsressourcen („Resilienz“) eine Rolle – entscheidend ist also auch, wie das (gesellschaftliche) Umfeld der Betroffenen reagiert. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Kriegsereignisse, mit denen die in Jerusalem und Juda Lebenden zu Beginn des 6. Jh. v. u. Z. konfrontiert waren, als hochgradig traumatogene Wirklichkeiten – auch wenn wir von ihnen (nur) aus indirekten (und zu deutenden!) textlichen, bildlichen und archäologischen Quellen wissen: Die vom Belagerungskrieg Betroffenen erlebten „Hunger, Seuche und Schwert“ (vgl. z. B. Ez 5,12; 7,15), Kriegsgräuel, Folter, Formen sexueller/sexualisierter Gewalt, Plünderung und Brandschatzung. Wer deportiert wurde, hatte einen „Gewaltmarsch“ über Hunderte von Kilometern zu bewältigen, erfuhr das Dahinsiechen und Sterben von Mitdeportierten, die 8 Gottfried Fischer und Peter Riedesser, Lehrbuch der Psychotraumatologie (München: Reinhardt, 32003), 82. 9 Vgl. Fischer und Riedesser, Lehrbuch, 62. 10 Peter Riedesser, „Belastende Kriegserfahrungen in der Kleinkindzeit“, in Kindheiten im Zweiten Weltkrieg: Kriegserfahrungen und deren Folgen aus psychohistorischer Perspektive (hg. v. Hartmut Radebold, Gereon Heuft und Insa Fooken; Weinheim: Juventa, 2006), 37–50; 37.
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Zerschlagung von Familien und war schließlich zu einem Leben in völliger Fremde gezwungen, in der Regel ohne Hoffnung auf Rückkehr.11 Wird dieser Hintergrund beim Wort genommen und konkret gemacht, wird das Ezechielbuch noch einmal anders lesbar: Als literarische Auseinandersetzung mit Kriegsgewalt, die Männer*,12 Frauen* und Kinder tatsächlich erlitten haben, als theologische Überlebens- oder Trauma-Literatur.
1.2
Trauma-Folgen
Traumatische Ereignisse können eine große Vielfalt an Reaktionsweisen auslösen, die sich bei näherem Hinsehen zwei grundlegenden, entgegengesetzten Impulsen zuordnen lassen: Einerseits lässt die erlittene Gewalt den Opfern keine Ruhe, drängt sich ihnen immer wieder auf; andererseits versuchen sie – oft mit aller verbliebenen Kraft –, Angst, Schmerz und Ohnmacht abzuwehren und sich vor allem, was mit dem Trauma in Zusammenhang steht, zu schützen. Sogenannte Intrusionssymptome, Zustände, in denen die traumatisierende Situation erneut erlebt wird (z. B. sich aufdrängende Gedanken, Alpträume, flashbacks), und sogenannte Konstriktionssymptome, Zustände, die dem Schutz vor der traumatisierenden Situation dienen (z. B. psychische Lähmung, Erstarrung, sozialer Rückzug), stehen einander gegenüber.13 Mit dieser Dialektik eng verbunden ist die Unmöglichkeit, das Geschehene sprachlich zu symbolisieren: Traumatisierte wollen, ja müssen erzählen, um das Erlittene als Teil ihrer Lebensgeschichte begreifen zu lernen. Oft können sie es nicht, weil sie keine Sprache haben für das, was mit ihnen geschehen ist. Und weil es für sinnlose Gewalt keine Sprache gibt, vielleicht auch keine Sprache geben darf.14 Der Traumaforscher Bessel A. van der Kolk sieht die Ursache für das Nicht- bzw. Kaum-Erzählen-Können traumatischen Geschehens und die Entstehung weiterer Trauma-Symptome darin, dass traumatische Erfahrungen nicht – wie es für ihre „korrekte Klassifizierung und Integration in andere Erfahrungen“ notwendig wäre – symbolisch verarbeitet werden können. Vielmehr schlagen sie sich „zuerst in Form von Empfindungen oder Gefühlszuständen nieder“.15 Entsprechend nimmt van der Kolk die Existenz eines 11 Vgl. hierzu ausführlich Poser, Ezechielbuch, 121–248. 12 Ich versehe geschlechtliche Kategorien gelegentlich mit einem Sternchen, um festzuhalten und darauf aufmerksam zu machen, dass es sich um diskursiv hergestellte Kategorien handelt. 13 Vgl. Fischer und Riedesser, Lehrbuch, 44–46. 14 Vgl. Martina Kopf, Trauma und Literatur: Das Nicht-Erzählbare erzählen – Assia Djebar und Yvonne Vera (Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2005), 9–67. 15 Bessel A. van der Kolk, „Trauma und Gedächtnis“, in Traumatic Stress: Grundlagen und Behandlungsansätze: Theorie, Praxis und Forschung zu posttraumatischem
Trauma und „Geschlecht“ in prophetischen Texten
277
„traumatischen Gedächtnisses“ mit spezifischen Speicherprozessen an. Traumatische Erinnerungen seien vielfach nicht explizit abrufbar, würden vielmehr vorwiegend als Affektzustände, in Form von visuellen Bildern oder körperlichen Empfindungen (embodied memories) wiedererlebt. In diesen durch Bruchstückhaftigkeit gekennzeichneten emotionalen und sensorischen Zuständen besteht nur wenig verbale Repräsentationsfähigkeit, sodass den Betroffenen die Übersetzung des Erlittenen in ein persönliches Narrativ oft nicht möglich ist. Dennoch unterliegen traumatische Erinnerungen in geringerem Maße erinnerungsüblichen Verzerrungen16 und können oft lebenslang durch bestimmte interne wie externe Reize (sogenannte trigger) ausgelöst und dadurch (plötzlich) bewusst(er) werden. Die „Erinnerungen“ werden dabei häufig ebenso emotional und sensorisch intensiv – und verwundend – erlebt wie das ursprüngliche traumatische Ereignis. In traumatherapeutischen Kontexten geht es vor allem darum, „durch ReKonstruktion des Geschehens eine Integration der unverarbeiteten Erinnerung in die persönliche Biografie zu ermöglichen“.17 Im Rahmen einer solchen Einbettung traumatischen Geschehens in die eigene (Erfahrungs-)Geschichte – und dies gilt sowohl für individuelle als auch für kollektive18 TraumatisieStress und Traumatherapie (hg. v. dems., Alexander McFarlane und Lars Weisaeth; Paderborn: Junfermann, 2000), 221–240; 239. 16 Vgl. Fischer/Riedesser, Lehrbuch, 284–287. 17 Martin Sack, „Narrative Arbeit im Kontext ‚schonender Traumatherapie‘“, in Narrative Bewältigung von Trauma und Verlust (hg. v. Carl Eduard Scheidt et al.; Stuttgart: Schattauer, 2015), 150–160; 151. 18 Dennoch unterscheiden sich individuelles und kollektives Trauma gleichsam kategorial, auch wenn es in der „Symptomsprache“, etwa im Hinblick auf das Erleben von Schuld und Scham, Parallelen zwischen betroffenen Einzelnen und betroffenen Gemeinschaften geben kann (vgl. Angela Kühner, Kollektive Traumata – Annahmen, Argumente, Konzepte: Eine Bestandsaufnahme nach dem 11. September [Berlin: Berghof Forschungszentrum, 2002], 58–63). Überlegungen zum individuellen Trauma sind (ursprünglich) in Medizin und Psychologie beheimatet, während kollektive Traumatisierungen (eher) in kulturwissenschaftlichen Zusammenhängen erforscht werden. Else K. Holt bezieht sich auf das Konzept des „Cultural Trauma“ von Jeffrey C. Alexander, „Toward a Theory of Cultural Trauma“, in ders. et al., Cultural Trauma and Collective Identity (Berkeley: University of California Press, 2004), 1–30; 11, und schreibt: „Collective trauma is a societal process, mediated through collective agents or carrier groups, ‚who broadcast symbolic representations – characterizations – of ongoing social events, past, present, and future.‘ They present a ‚claim to some fundamental injury, an exclamation of some sacred value, a narrative about a horribly destructive social process, and a demand for emotional, institutional, and symbolic reparation and reconstruction.‘“ (Else K. Holt, „Daughter Zion: Trauma, Cultural Memory and Gender in OT Poetics“, in Trauma and Traumatization in Individual and Collective Dimensions: Insights from Biblical Studies and Beyond [hg. v. Eve-Marie Becker, Jan Dochhorn und Else K. Holt; Studia Aarhusiana Neotestamentica 2; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014], 162–176; 168). Zum Ganzen (u. a. auch zum Phänomen der transgenerationalen Traumatisierung) vgl. weiters Poser,
278
Ruth Poser
rungen – wird das Trauma implizit oder explizit mit Sinn für die eigene Identität versehen; es kann z. B. als Schicksal, Prüfung, Strafe, Verschuldung oder auch als Wachstumsmöglichkeit sowie Herausforderung gedeutet werden.19 Eine solche Rationalisierung des traumatischen Geschehens ist allerdings auch problematisch, da sie sich auf etwas ursprünglich Unsinniges bezieht, es „handhabbar“ macht und dadurch banalisiert.
2.
Wie Trauma „zur Sprache kommt“
Wer individuelle oder kollektive traumatische Erfahrungen in Literatur umzusetzen versucht, begibt sich unweigerlich in die oben beschriebene Spannung hinein: Auf der einen Seite steht die „Unsäglichkeit“ massiver Gewalt erfahrungen, für deren Repräsentation es keine Worte gibt, auf der anderen die unbedingte Notwendigkeit, (auch) solche Erfahrungen sprachlich zu bezeugen – nicht zuletzt, um ihnen nicht das letzte Wort zu lassen. In den letzten Jahren haben sich vor allem Literatur- und Kulturwissenschaftler_innen zunehmend mit der Frage beschäftigt, wie und mittels welcher Erzählmotive und -strukturen sich Trauma in literarischen Texten zur Darstellung bringen lässt. Die zentrale Dialektik des Traumas, wie sie in der Psychotraumatologie beschrieben wird, prägt auch die Trauma-Literatur, die, so Stephan Freißmann, durch „bestimmte Strategien der Wiederholung und der Unsagbarkeit“20 gekennzeichnet ist. Das „Sich-immer-wieder-Aufdrängen“ des traumatischen Geschehens (Intrusionssymptome) kann durch repetitive Strukturen, das „Sich-vor-diesem-Geschehen-schützen-Müssen“ (Konstriktionssymptome) durch Leerstellen und (Ab-)Brüche an auffälligen Textorten zum Ausdruck gebracht werden. Strategien der Wiederholung und der Unsagbarkeit lassen sich etwa auch im Ezechielbuch beobachten. Die Kap. 4–24 können als permanente Re-Inszenierungen des Endes Jerusalems in immer neuen, stetig heftiger werdenEzechielbuch, 78–105; sowie Irmtraud Fischer, „Der imperiale Traumatisierungsverursacher: Eine Facette der Darstellung von Assur und Ninive in der Bibel“, in Zwischen Karawane und Orientexpress: Streifzüge durch Jahrtausende orientalischer Geschichte: Festschrift für Hannes Galter (hg. v. Johannes Gießauf; AOAT 434; Münster: Ugarit-Verlag, 2017), 99–109. 19 Vgl. Carl Eduard Scheidt und Gabriele Lucius-Hoene, „Kategorisierung und narrative Bewältigung bindungsbezogener Traumaerfahrungen im Erwachsenenbindungsinterview“, in Narrative Bewältigung von Trauma und Verlust (hg. v. Carl Eduard Scheidt et al.; Stuttgart: Schattauer, 2015), 26–38; 27. 20 Stephan Freissmann, Trauma als Erzählstrategie (Magisterarbeit, Universität Konstanz 2005), online: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-23023 [zuletzt abgerufen am 28.06.2019], 13.
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den Sprachbildern begriffen und beschrieben werden. JHWH selbst nimmt an der Wende vom 24. zum 25. Kap. einen plötzlichen Perspektivwechsel vor – just in dem Moment, in dem sich die Belagerung, Eroberung und Zerstörung Jerusalems erzählerisch zu realisieren beginnt (24,1f.). Einmal noch kündigt Gott das Ende der judäischen Hauptstadt in dem besonders grausigen Sprachbild des mitsamt der enthaltenen Fleischmahlzeit verbrannten Kochkessels an (24,3–13), dann aber nimmt er nicht länger „seine“ Stadt, sondern die umgebenden Völkerschaften ins Visier (Ez 25–32). Das Ende Jerusalems wird so nur indirekt erzählt – es wird, wieder und wieder, antizipiert (Ez 4–24) und, im Nachhinein, als Faktum festgehalten (33,21f.). Auch im Jesajabuch bilden die Ereignisse von 587 v. u. Z. eine bezeichnende Leerstelle.21 Ronald Granofsky zufolge ist der Prozess der literarischen (Re-)Symbolisierung die wesentliche Technik moderner trauma novels, für welche die fiktionale Auseinandersetzung mit (möglichen) kollektiven Gewalt- und Katastrophenszenarien bestimmend ist.22 Hierin spiegeln sich zwei wesentliche Einsichten der Psychotraumatologie wider, dass nämlich die „traumatische Situation und deren Wirkung … die Fähigkeit, sie zu symbolisieren und ihre Bedeutung zu erfassen“, zerstört,23 und dass „das Trauma … nur assimiliert werden kann, indem es in die symbolische Ordnung eintritt“.24 Darüber hinaus ermögliche, so Granofsky, der Prozess der Symbolisierung eine einigermaßen geschützte Konfrontation mit traumatischen Inhalten.25 Im Zusammenhang des literarischen (Re‑)Symbolisierungprozesses finden vor allem Motive Verwendung, die direkt oder indirekt mit biologischen Funktionen oder Entwicklungsphasen zu tun haben (z. B. Geburt, Wachstum, Sexualität, Tod). Dies lässt direkt an die metaphorischen Biographien Jerusalems in Ez 16 und 23 denken. Bezogen auf das Motiv des Essens heißt es bei Granofsky: The „perversion“ of normal eating patterns, for example, in cannibalism, will often be a symbol for the dislocation effects of trauma both on an individual and a collective scale. In the trauma novel, certain kinds of eating may be symbolic of the necessity to assimilate raw experience, so to speak.26
21 Zum Exil als Leerstelle im Jesajabuch vgl. z. B. Ulrich Berges, Das Buch Jesaja: Komposition und Endgestalt (Freiburg i. Br.: Herder, 1998), 314–321. 22 Vgl. Ronald Granofsky, The Trauma Novel: Contemporary Symbolic Depictions of Collective Disaster (AUS / Comparative Literature 55; New York: Lang, 1995), 7. 23 Werner Bohleber, „Die Entwicklung der Traumatheorie in der Psychoanalyse“, Psyche 9/10 (2000): 797–839; 823. 24 Bohleber, „Entwicklung“, 822. Vgl. hierzu auch OʼConnor, „Trauma Studies“, 213–219. 25 Granofsky, Trauma Novel, 6f. 26 Granofsky, Trauma Novel, 14.
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Auch dies lässt sich mit dem Ezechielbuch verknüpfen, enthält es doch eine Fülle von Szenen „verrückten“ Essens (und Trinkens): Ezechiel, der eine Schriftrolle (Ez 2,8–3,3) oder Ekel erregende Nahrung (4,9–13) hinunterwürgen muss; Anthropophagie (5,10); „fressendes“ Feuer (z. B. 15,4), „alles verschlingende“ Hungersnot (z. B. 7,15), der bereits erwähnte Kochkessel (24,3– 13). Erst ab Kap. 34 wachsen Essen (und Trinken) ihre lebensförderlichen und gemeinschaftsstiftenden Aspekte langsam neu zu.27 Besonders eindrücklich lässt sich der Prozess der Re-Symbolisierung in Ez am Motiv der „( רוחbewegte Luft“ – Wind, Atem, Geistkraft; das Wort kommt 52-mal vor)28 nachzeichnen. Von Anfang an erscheint חורals ein Phänomen von großer Kraft. רוחversetzt die am Geschehen Beteiligten in Bewegung und leitet Auf- und Umbrüche ein. Bis Kap. 20 tritt sie in immer neuen, ambivalenten Qualitäten in Erscheinung, z. B. als mobilisierende Energie in den Rädern des Thronwagens (1,12.20; 10,17), als Sturmwind, der Mauern zum Einsturz bringt (13,11.13), als Metapher für Deportation und Kriegsgefangenschaft (5,10.12; 12,14; 17,21) und als Lebensatem, der Schaden nehmen, in die Irre gehen (11,5; 13,3), aber auch erneuert werden kann (11,19; 18,31). Mit der Ankündigung, dass mit der Nachricht von der traumatischen Kata strophe „jede רוחerlöschen wird“ (21,12), verlässt sie – bis auf eine Ausnahme, die den Gipfel des destruktiven רוח-Potentials darstellt (27,26) – die Bühne des Erzählgeschehens. In den weiteren Vorkommen ab Ez 36,26f. entwickelt sich רוחdann zu einer eindeutig konstruktiven, Leben ermöglichenden und erneuernden Kraft (37,1–10). Sie wird zum Symbol für das Leben Israels nach der Tora und im Angesicht Gottes (37,14; 39,29; 42,20). Die Bilder der Wiederherstellung knüpfen an die Ambivalenz der רוחan, der ein zerstörerisches Potential innewohnt, ohne die dennoch Leben nicht möglich ist. In diesem Sinne erscheint רוחin besonderer Weise geeignet, das „Geheimnis des Überlebens“ der Exilskatastrophe erfahrungsnah zur Sprache zu bringen.29 Anders als Helen Schüngel-Straumann, die für den „feminine[n] Gebrauch von … רוחeinen deutlich weiblichen Erfahrungshintergrund, der mit Schöpfung, Lebenschaffen, Geburt zusammenhängt“,30 annimmt, halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass das (grammatische) Geschlecht von 27 Zum Motiv des Essens im Ezechielbuch vgl. ausführlich Ruth Poser, „‚Das Gericht geht durch den Magen‘: Die verschlungene Schriftrolle (Ez 2,8b–3,3) und andere Essensszenarien im Ezechielbuch“, in Essen und Trinken in der Bibel: Ein literarisches Festmahl für Rainer Kessler zum 65. Geburtstag (hg. v. Michaela Geiger, Christl M. Maier und Uta Schmidt; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2009), 116–130. 28 Zu den Bedeutungsdimensionen von רוחvgl. Rainer Albertz und Claus Westermann, „רּוח ַ “, in THAT 2 (41993): 726–753; Sven Tengström, „רּוח ַ I–VI“, in ThWAT 7 (1993): 385–418. 29 Zum „Symbol“ רוחim Ezechielbuch vgl. Poser, Ezechielbuch, 543–566. 30 Helen Schüngel-Straumann, „Geist (AT)“ (2009), in Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, online: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/19184/ [zuletzt abgerufen am 28.06.2019], 5.
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רוחbei diesem Re-Symbolisierungsprozess eine wesentliche Rolle spielt. Was das Genus betrifft, steht רוחim Ezechielbuch häufig im Femininum (z. B. 2,2;
17,10), gelegentlich aber auch im Maskulinum (z. B. 27,26); viele Male jedoch bleibt das Wort unbestimmt, vor allem, wenn es um Gottes רוחgeht (vgl. z. B. 37,1). Vor diesem Hintergrund lässt sich רוחauch als „geschlechtlich offenes“ (bzw. queeres!) Symbol betrachten, das binäre Oppositionen und nicht zuletzt die „gegenderten“ Gottes- und Menschenbilder des Buches sprengt.
3.
Antiker Belagerungskrieg als Engendered Warfare
Schon in der Antike sind kriegerische Eroberungen von Städten und Ländern – sowie die Diskurse darüber – zutiefst durch den Mechanismus des Engendering of Warfare31 geprägt. Joshua S. Goldstein zufolge umfasst dieser Mechanismus drei Aspekte: First, and most strongly … the toughening up of boys is found robustly across cultures, and by linking bravery and discipline in war to manhood – with shame as enforcement – many cultures use gender to motivate participation in combat. Second … women actively reinforce – in various feminine war roles such as mothers, lovers, and nurses – men’s tough, brave masculinity. Third … male soldiers use gender to encode domination, feminizing enemies. Connected with this coding, but more elusive empirically, are the possible heightened … sexuality of male soldiers, and the more intense exploitation of women’s labor in wartime.32
In noch höherem Maße gilt dieser Einfluss der Kategorie Geschlecht vermutlich für den (antiken) (Stadt-)Belagerungskrieg. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Belagerungskriege die gesamte Zivilbevölkerung einer Stadt, Frauen*, Kinder und alte Menschen, ganz unmittelbar involvierten. In seinem Buch Ancient Siege Warfare (1999) schreibt Paul Bentley Kern: Women and children were an essential part of siege warfare. Their presence threatened the notion of war as a contest between warriors, undermined the conventional standards of honor and prowess that governed ancient warfare, and paradoxically made war less restrained by creating a morally chaotic cityscape in which not only the walls collapsed but deeply rooted social and moral distinc-
31 Die englischsprachige Formulierung ist m. E. präziser als eine deutschsprachige Übersetzung, die etwa „Vergeschlechtlichung des Krieges“ lauten müsste. 32 Joshua S. Goldstein, War and Gender: How Gender Shapes the War System and Vice Versa (Cambridge: Cambridge University Press, 2001), 406.
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tions as well. We cannot understand siege warfare without understanding the plight of women and children and the effect of their presence on war.33
Zum anderen ist von Bedeutung, dass Städte im Kontext verschiedener Diskurse als weibliche* Größen präsentiert wurden (und werden). In diesem Zusammenhang wird die kriegerische Eroberung einer Stadt häufig als gewaltvolle „Eroberung“ einer Frau ins Bild gesetzt. Im Rahmen eines wirklichen Kriegsgeschehens ging Gewalt gegen die metaphorische Frau, die Stadt, oftmals in Gewalt gegen in dieser Stadt lebende reale Frauen über, wie wiede rum Kern festhält: Rape was the ultimate violation of women, marking the complete possession of them by the soldiers who had taken possession of their city. From the phallic shape of the battering ram trying to penetrate the walls of a city to … soldiers pillaging and raping in a violated city was a logical progression. All warfare has a strong sexual undercurrent, but siege warfare was an explicit battle for sexual rights. (…) The raping that frequently followed the fall of a city starkly symbolized total victory in total war.34
Texte wie Ez 16 und 23 sowie Jes 47 sollten m. E. nicht ohne Bezugnahme auf die sozialen Hintergründe des antiken Belagerungskriegs und des Engendering of Warfare ausgelegt werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Vergewaltigungen von Frauen im Kontext der antiken Belagerungskriege nicht nur vorkamen, sondern dass sie systematisch als Kriegswaffe eingesetzt wurden – auch wenn sie in den Inschriften der assyrischen Könige nicht erwähnt werden und auf den assyrischen Palastreliefs, die eine große Anzahl an Kriegs gräueln zur Darstellung bringen, nicht verzeichnet sind.35 Einige Male wird sexuelle/sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Kontext von (Belagerungs-)Kriegen in der Hebräischen Bibel benannt. Zweimal handelt es sich dabei um prophetische Drohworte (Jes 13,16; Sach 14,2) – doch stellt dies meiner Ansicht nach den Erfahrungsbezug des Gesagten, wie er auch in Klgl 5,11 zum Tragen kommt, nicht in Frage. Der sexuelle Gewalt erleidende Frauenkörper fungiert hier (ähnlich wie in Ez 16 und 23), wie Alice A. Keefe herausgearbeitet hat, als Metonymie für den sozialen Körper, der durch Kriegsgewalt zerrissen wird.36 Insgesamt deutet vieles darauf hin, dass 33 Paul Bentley Kern, Ancient Siege Warfare (Bloomington: Indiana University Press, 1999), 4. 34 Kern, Siege Warfare, 81. Vgl. auch Brad E. Kelle, „Wartime Rhetoric: Prophetic Metaphorization of Cities as Female“, in Writing and Reading War: Rhetoric, Gender, and Ethics in Biblical and Modern Contexts (hg. v. dems. und Frank Ritchel Ames; SBLSymS 42; Atlanta: SBL, 2008), 95–111; 104. 35 Vgl. Angelika Berlejung, „Gewalt ins Bild gesetzt: Kriegsdarstellungen auf neuassyrischen Palastreliefs“, BK 60 (2005): 205–211. 36 Siehe Alice A. Keefe, „Rapes of Women/Wars of Men“, Semeia 61 (1993): 79–97.
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das Kriegsverbrechen der Vergewaltigung (von Frauen) einerseits als Tabubruch und „ein den Zusammenbruch menschlicher Kultur repräsentierender Alptraum“ empfunden wurde, dass es aber trotzdem „das häufigste Kriegsverbrechen gegen Zivilist_innen im Rahmen von Belagerungskriegen war“.37 Gleichzeitig gibt es deutliche Hinweise darauf, dass auch Männer – Zivilisten, noch häufiger aber die Stadt verteidigende Soldaten – von sexualisierter/sexueller Gewalt durch die einbrechende Armee betroffen waren. Auch dies hängt mit den Mechanismen des Engendered Warfare zusammen, durch die alle Angehörigen der im Krieg unterliegenden Gruppe „feminisiert“ werden, während die Angehörigen der siegreichen Gruppe sich als „wahre Männer*“ beweisen – bzw. erwiesen werden. Die Quellen sind auch in dieser Hinsicht ziemlich schweigsam, doch in Sanheribs Feldzugberichten (705–681 v. u. Z.) findet sich ein expliziter Hinweis auf Genitalverstümmelung: „(Their) testicles I cut off, and tore out their privates like the seeds of cucumbers …“38 Anspielungen, die in diese Richtung gehen, lassen sich vielleicht auch in den Saul-David-Erzählungen entdecken (vgl. z. B. 1 Sam 18,11.25–27; 19,10; 20,33; 24,5; 26,7f.).39 Einige Male werden in der Hebräischen Bibel „besiegte“ (männliche) Soldaten mit Frauen verglichen oder sogar als Frauen bezeichnet (vgl. Jes 19,16; Jer 50,37; 51,20; Nah 3,13). In Jer 50,37 heißt es (BigS): „Das Schwert über die Pferde des Königs, über seine Wagen und über das zusammengewürfelte Volk in der Mitte der Stadt, dass es zu Frauen werde.“ Corrine L. Patton zufolge ist dies nicht (nur) im übertragenen Sinne zu verstehen. Sie hält fest: Although the practice of emasculation may not have been routinely performed, I expect it was common enough to be a real fear for any male who was captured in battle. Even postexilic texts such as Isa 56:3–5 speak of the inclusion into restored temple worship of those who had been emasculated. Apparently, mutilation of male genitals had been widespread enough for it to be of concern to those seeking restoration.40
37 Kern, Siege Warfare, 83 (Übers. R.P.). 38 Daniel David Luckenbill, Ancient Records of Assyria and Babylonia 2 (Chicago: University of Chicago Press, 1927), Nr. 254, 127. 39 Vgl. hierzu auch T. M. Lemos, „Shame and Mutilation of Enemies in the Hebrew Bible“, JBL 125 (2006): 225–241. Moshe Greenberg, Ezechiel 21–37 (HThKAT; Freiburg i. Br.: Herder, 2005), 352f., weist darauf hin, dass es im Kontext antiker Kriege zu Leichenschändungen an gefallenen Soldaten gekommen sein dürfte. 40 Corrine L. Patton, „‚Should Our Sister Be Treated Like a Whore?‘ A Response to Feminist Critiques of Ezekiel 23“, in The Book of Ezekiel: Theological and Anthropological Perspectives (hg. v. Margaret S. Odell und John T. Strong; SBLSymS 9; Atlanta: SBL, 2000), 221–238; 235.
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Auch auf den assyrischen Reliefs kommt das Moment der Feminisierung der Unterliegenden deutlich zum Tragen. Nicht nur werden besiegte Männer sehr oft nackt dargestellt, the naked enemy male is almost always positioned such that his genitalia face the viewer, and in many cases are also within the gaze of the Assyrian king. Corresponding to the written boast of having pierced or bored through the enemy, the naked soldier is often depicted visually being penetrated by a weapon, sometimes in a clearly sexual way.41
Als letztes Beispiel für das Engendering of Warfare sei die hebräische Wurzel גלהanalysiert, die in den Texten der Hinteren Prophetie recht häufig belegt ist und ein schwer einzugrenzendes Bedeutungsspektrum hat. Während als Grundbedeutung „etwas aufdecken“ oder „jemanden entblößen“ angenommen werden kann,42 bezeichnen die Substantive גולהund „ גלותKriegsgefangenschaft, Verbannung, Verbannte“, wobei גולהzum Terminus technicus für die Gruppe(n) der unter Nebukadnezar nach Babylonien verschleppten Jerusalemer_innen/Judäer_innen geworden ist. In Verbindung mit dem Objekt „( ערוהNacktheit, Blöße“), einem Sub stantiv, das häufig für die weiblichen Genitalien gebraucht wird, zielt גלה auf illegitime sexuelle Verbindungen (vgl. Lev 18; 20). גלהkann auch für ein „gewaltsames Entblößen“ stehen und damit auf Vergewaltigung hindeuten, so etwa in Ez 22,10, wo גלהund „( ענהniederbeugen, bezwingen, vergewaltigen“) parallel stehen. Die Entblößung, die durch גלהzum Ausdruck gebracht wird, kann sich auch auf das Offenlegen einer Schuld (vgl. Klgl 2,14) oder der Fundamente einer Stadt im Zusammenhang mit deren Eroberung (vgl. Ez 13,14) beziehen. In Ez 16,36f., d. h. im Rahmen eines „Stadt-Frau-Textes“, häufen sich die Vorkommen sowohl von גלהals auch von ערוה. Daniel L. Smith-Christopher zufolge hängt diese Bildersprache mit der Praxis des Entblößens (stripping) von Kriegsgefangenen im Kontext neuassyrischer und neubabylonischer Kriegsführung zusammen.43 Er verweist auf Jes 20, wo geschildert wird, dass 41 Cynthia R. Chapman, „Sculpted Warriors: Sexuality and the Sacred in the Depiction of Warfare in the Assyrian Palace Reliefs and in Ezekiel 23:14–17“, lectio difficilior (1/2007), online: http://www.lectio.unibe.ch/07_1/chapman_sculpted_warriors.htm [zuletzt abgerufen am 28.06.2019], 10. Ein Beispiel für eine solche Reliefdarstellung findet sich in Poser, Ezechielbuch, 182 (Abb. 3). 42 Anders Claus Westermann und Rainer Albertz, „“גלה, in THAT 1 (41984): 418– 426; 419, die „für die Semasiologie zwei verschiedene Verben“ zugrunde legen: „transitives גלהI, ‚aufdecken‘ … und intransitives גלהII, ‚fortgehen, in die Verbannung geführt werden‘“. Vgl. hierzu Hans-Jürgen Zobel, „“גָּ ָלה, in ThWAT 1 (1973): 1018–1031; 1020. 43 Vgl. Daniel L. Smith-Christopher, „Ezekiel in Abu Ghraib: Rereading Ezekiel 16:37–39 in the Context of Imperial Conquest“, in Ezekielʼs Hierarchical World:
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der Prophet drei Jahre nackt herumgegangen sei, um die drohende Kriegsgefangenschaft Ägyptens und Äthopiens zeichenhaft vorwegzunehmen. Auch betont er den auffälligen Umstand, dass auf den assyrischen Reliefs nur männliche Kriegsgefangene nackt dargestellt werden, während weibliche Gefangene niemals völlig nackt ins Bild gesetzt sind. Stattdessen „the bronze gates of Shalmaneser III (858–824 b.c.e.) from Balawat clearly depict Assyr ian soldiers leading away captive women raising the front of their skirts“.44 Letzteres lässt sich gut mit Jes 47,2f. verbinden, einem Text, der den Niedergang der „Tochter Babylon“ präfiguriert und dabei das Schicksal Jerusalems, wie es in Ez 16 und 23 versprachlicht und verbildlicht ist, widerspiegelt und konterkariert (BigS):45 Nimm die Handmühle und mahle Mehl, decke deinen Schleier auf ()גלה, raffe den Kleidersaum, entblöße ( )גלהdie Schenkel, wate durch Ströme! Aufgedeckt ( )גלהwerde deine Blöße ()ערוה, ja, deine Scham/Schande/Schmach ()חרפה46 werde gesehen! (…)
4.
Prophetische Texte als Reflexionen traumatischen Schuld- und Schamempfindens
Viele traumatisierte Menschen ringen mit den Themen Schuld und Scham – auch dies macht das Erzählen des Erlittenen oftmals schwer (vgl. oben 1.2). Angesichts der Ermordung von Verwandten und Freund_innen fühlen sich manche sogar schuldig, weil sie überlebt haben. Einige Betroffene nehmen – obwohl sie „objektiv“ keine Schuld trifft – alle Schuld auf sich, bezichtigen sich selbst an Stelle des Täters. Solche traumatische Schuldübernahme hängt oft damit zusammen, „dass es für das psychische Gleichgewicht leichter erträglich sein kann, schuld gewesen statt völlig ohnmächtig gewesen zu sein“.47 Wrestling with a Tiered Reality (hg. v. Stephen L. Cook und Corrine L. Patton; SBLSymS 31; Atlanta: SBL, 2004), 141–157. 44 David Vanderhooft, The Neo-Babylonian Empire and Babylon in the Latter Prophets (HSM 59; Atlanta: Scholars Press, 1999), 182 (zitiert nach Smith-Christopher, „Ezekiel“, 152). Die entsprechenden Abbildungen finden sich in Poser, Ezechielbuch, 192. 45 Eine Deutung von Jes 47 vor dem Hintergrund traumatologischer Überlegungen bietet Frechette, „Daughter Babylon“. 46 Das hebräische Substantiv חרפהbezeichnet nirgendwo (sonst) den (weiblichen*) Genitalbereich. M. E. ist der Ausdruck hier gewählt worden, um das Gemeinte ein Stück weit in Richtung auf die sozial-affektiven Phänomene von „Scham, Schande, Schmach, Beschämung“ zu „veruneindeutigen“. Zur Wurzel חרףvgl. ausführlich Ernst Kutsch, „ חרףII“, in ThWAT 3 (1982): 223–229. 47 Kühner, Traumata, 32.
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M. E. ist dieser Hinter- oder Untergrund „traumatischer Schuld“ in den Büchern der Schriftprophetie von ganz besonderer Bedeutung, wobei vor allem zwei Aspekte ins Auge springen: (1) Die Katastrophe kommt – nach Meinung der Prophet_innen –, weil es keinen anderen Weg gibt, entstandene Schuld „aus der Welt zu schaffen“, und (2) JHWH wird als Täter_in in Szene gesetzt. Die Exilskatastrophe wird allein auf JHWHs Initiative, nicht etwa auf die Babylonier zurückgeführt. Die traumatische Schuldübernahme ermöglicht dem ohnmächtigen Israel neue „Selbsttätigkeit“ – orientiert es sich zukünftig an der göttlichen Weisung, kann es dazu beitragen, dass eine vergleichbare Katastrophe nie wieder einbricht. Gottes Täter_in-Sein entzieht die Schreckensereignisse menschlicher Willkür und weltlicher Kontingenz – vor allem aber hält es die Wirkmächtigkeit JHWHs fest. In seinem Buch Holy Resilience (2014) schreibt David M. Carr: Diese Selbst-Stigmatisierung eröffnete Israel einen Weg, sich in einer Situation der Hilflosigkeit als selbst-wirksam zu erkennen. (…) Das, was viele Leidende noch mehr ängstigt als die Idee, dass Gott sie bestraft, ist die Idee, dass Gott vollkommen abwesend ist (…)[]. Für einige kann solche Selbst-Stigmatisierung zerstörerisch sein, sie zersetzt ihr Vertrauen. Aber für andere bietet die Idee eines machtvollen Gottes, sogar eines richtenden Gottes, Sicherheit. Es gibt die Möglichkeit, das eigene Verhalten zu verändern und bewahrt zu werden. Wenn die Welt völlig gott-los ist, kann das ganz anders aussehen – dann ist man den gewaltvollsten [innerweltlichen] Kräften unterworfen, auch den brutalsten, tyrannischsten …48
Führt man diesen Gedanken weiter, so bildet die Israel zugeschriebene Schuld nicht nur die Grundlage, um aus traumatischer Ohnmacht ins Handeln zurückzufinden, sie eröffnet zugleich die Möglichkeit, dass Israels Gottheit die Katastrophe des Exils überlebt und neu zu sich und ihrem Volk zu kommen vermag. Doch der Preis dafür scheint hoch: ein gewaltvolles, vielleicht sogar sadistisches Gottesbild auf der einen, ein massives blaming the victim auf der anderen Seite. Denn auf der metaphorischen Ebene sind Täter- und „Opfer“Rollen immer wieder eindeutig „gegendert“ – es sind vor allem (Städte und Länder als) weibliche* Personifikationen, die wegen extremer Sündhaftigkeit extremer Gewalt von männlicher* (göttlicher) Seite ausgesetzt werden (vgl. z. B. Jes 1,21–31; 47; Jer 2–6; 13,20–27; Ez 16; 23; Nah 3,1–7). Die Bezugnahme auf weibliche und männliche Körper(lichkeiten), denen „Sündigen“- bzw. Strafen-Müssen gleichsam naturalistisch zu- und eingeschrieben werden,
48 David M. Carr, Holy Resilience: The Bible’s Traumatic Origins (New Haven: Yale University Press, 2014), 32f. (Übers. R.P.). Vgl. auch O’Connor, „Trauma Studies“, 215–217.
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macht es schwer, die Metaphorik zu dekonstruieren und zu „verqueeren“49 – auch wenn vorrangig männliche* Eliten als implizite Adressat_innen der Texte gelten müssen.50 Brad E. Kelle hat zuletzt herausgearbeitet, dass die prophetischen Bilder sexueller/sexualisierter Gewalt gegen Frauen nur im Zusammenhang der Zerstörung von (als „ehebrecherischen“ und „hurerischen“ Frauen metaphorisierten) Städten und Ländern Verwendung finden, wobei die (Diskurs-)Strategie der Feminisierung der im Krieg Unterliegenden, aber wohl auch das Wissen um sexuelle/sexualisierte Kriegsgräuel im Hintergrund stehen.51 Der Zusammenhang von weiblichem Geschlecht und Sünde, Unreinheit und Verwerflichkeit, der sich auf der Oberfläche der in Frage stehenden Texte manifestiert, wird erst im weiteren Verlauf der prophetischen Bücher deutlicher gebrochen,52 und zwar dort, wo es um eine zukünftige Wiederherstellung Jerusalems bzw. Zions geht. Dabei beschreiten die prophetischen Schriften sehr unterschiedliche Wege – besonders markant sind die Unterschiede zwischen Jesaja- und Ezechielbuch:53 Jesaja setzt, vor allem in Jes 54,5–8 (vgl. 62,4f.) eine Wiederherstellung der Gott-Stadt-Beziehung als heterosexuelle Liebesbeziehung ins Bild und markiert die Zeit, in der es zur Katastrophe gekommen ist, als eine Phase des kurzfristigen zornigen Rückzugs Gottes aus dem Kontakt, der jetzt als dauerhaftes Miteinander installiert wird. Zion kommt aber im zweiten Teil des Jesajabuchs nicht nur als Geliebte, sondern auch als Königin bzw. „Krone in Gottes Hand“ (62,1–5) und (kinderreiche) Mutter (54,1–4; 66,7–11) in 49 Vgl. aber S. Tamar Kamionkowski, Gender Reversal and Cosmic Chaos: A Study on the Book of Ezekiel (JSOTSup 368; London: Sheffield Academic Press, 2003); Deryn Guest, Beyond Feminist Biblical Studies (The Bible in the Modern World 47; Sheffield: Sheffield Phoenix Press, 2012), 77–117 (Kap. 3: „Genderqueer Analysis of the Pornoprophetic Debate“). 50 Vgl. Ilse Müllner, „Prophetic Violence: The Marital Metaphor and Its Impact on Female and Male Readers“, in Prophetie in Israel (hg. v. Irmtraud Fischer, Konrad Schmid und Hugh G. M. Williamson; Altes Testament und Moderne 11; Münster: LIT, 2003), 199–204; 202–204; Jaqueline E. Lapsley, „The Proliferation of Grotesque Bodies in Ezekiel: The Case of Ezekiel 23“, in Ezekiel: Current Debates and Future Directions (hg. v. William A. Tooman und Penelope Barter; FAT 112; Tübingen: Mohr Siebeck, 2017), 377–390; 382–386. 51 Vgl. Kelle, „Wartime Rhetoric“. 52 Brüche gibt es immer wieder auch innerhalb der Texte selbst, etwa wenn in Jer 13,23f. inmitten eines „Stadt-Frau-Textes“ überraschend ein männliches „Ihr“ angeklagt wird, oder wenn in Ez 16,41 plötzlich von den „Häusern der Stadt-Frau“ die Rede ist, die verbrannt werden sollen. Vgl. (aber) auch Ulrike Sals, Die Biographie der „Hure Babylon“: Studien zur Intertextualität der Babylon-Texte in der Bibel (FAT 2/6; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 319. 53 Einen anderen Weg geht Jer und deutet eine Erneuerung der „zerbrochenen Familie“ an, wobei die (geschlechtlich und sexuell konnotierte) Rolle der „Stadt-Ehefrau“ unbesetzt bleibt (Jer 3,10–13). Vgl. O’Connor, Pain, 40.
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den Blick – und bekommt zudem die in ihrer Identität schillernde (männliche*) Gestalt des „Knechts“ an die Seite gestellt.54 Der gewaltvolle Untergang und die Schrecken der Zerstörung der Stadt-Frau Jerusalem werden auf die Stadt-Frau Babylon „übertragen“. Letztere wird vom Thron steigen müssen und entblößt werden (47,1–3; vgl. oben 3.), während Erstere auf den Thron steigen, gekrönt und festlich geschmückt werden wird (52,1f.). Die (spätere) Anklage in Jes 57,6–13 aber inszeniert auch Jerusalem noch einmal im Bild einer hurerischen Frau.55 Zwar deutet sich hier die Metapher von JHWH als „betrogenem Ehemann“ ebenfalls noch einmal an, im Kontext von Jes II fällt jedoch vor allem die innovative Zeichnung Gottes in weiblichen* Bildern noch stärker ins Gewicht – so erscheint JHWH auch als Gebärende (42,14), Hebamme (66,9) und (Co-)Mutter56 (46,3f.; 49,15; 66,13). Insgesamt werden die (zwei-)geschlechtlichen Konnotationen in Jes 40–66 nicht aufgegeben, sondern vervielfältigt. Ganz anders im Ezechielbuch, wo fast der Eindruck entsteht, dass geschlechtlich konnotierte Metaphern in den „Wiederherstellungstexten“ (Ez 33–48) bewusst vermieden werden – obwohl die Wiederherstellung bei den (konkreten) zerschundenen menschlichen Körpern ihren Ausgang nimmt (vgl. vor allem Ez 11,19f.; 36,26f.; 37,1–1457). Das Bild der Stadt-Frau aber bleibt auf die Zusammenhänge der gewaltvollen Zerstörung beschränkt, die neue Stadt, die in Ez 40–48 als Text-Raum entworfen wird, wird nicht einmal namentlich mit dem historischen Ort Jerusalem in Verbindung gebracht (vgl. 48,35). Bei Julie Galambush heißt es diesbezüglich: Ezekiel’s vision in chaps 40–48 of the new temple city completes the cycle of the city’s defilement, destruction, and restoration. The God who left in rage returns in triumph, and the city is renewed and recreated. Only Jerusalem, the chastened and forgiven wife, is absent from the scene. The new city is described as inanimate stone, and its private parts bear no reminders of their former, sexual signification. Yahweh’s prophecy that, having been purified, Jerusalem would never open her mouth again (16:63) is fulfilled, albeit ironically. She does not open her mouth because, no longer portrayed as a woman, she cannot. The restored city is
54 Vgl. Christl M. Maier, Daughter Zion, Mother Zion: Gender, Space, and the Sacred in Ancient Israel (Minneapolis: Fortress, 2008), 163. 55 Vgl. Maier, Daughter Zion, 183–186. 56 Vgl. Maier, Daughter Zion, 201–205. Zum Ganzen vgl. auch Irmtraud Fischer, „Das Buch Jesaja: Das Buch der weiblichen Metaphern“, in Kompendium Feministische Bibelauslegung (hg. v. Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 32007), 246–257. 57 Vgl. Ruth Huppert, Israel steht auf: Eine Studie zu Bedeutung und Funktion von Ez 37,1–14 im Buch Ezechiel (Beiträge zum Verstehen der Bibel 27; Berlin: LIT, 2016), 223–260 – hier wird Ez 37,1–14 als Gegenerzählung zu Ez 16 aufgefasst.
Trauma und „Geschlecht“ in prophetischen Texten
289
faithful, but only because the elimination of the city’s female persona has made infidelity impossible.58
Diese Beobachtungen sind m. E. zutreffend, aber unvollständig – es fällt nämlich auf, dass die Texte, die Zukunftsperspektiven für Israel ansprechen, auch insgesamt auf Bilder, die bestimmte geschlechtergeprägte Seins- oder Verhaltensweisen insinuieren könnten, verzichten. Mit den Kriegern Gogs, die entwaffnet und entmachtet werden, werden hegemoniale Männlichkeit, Omnipotenz und Kriegstreiberei „aus der Welt geschafft“ (vgl. Ez 39,1–21). Und auch JHWH selbst inszeniert sich nicht länger als (eifersüchtig wütender) „Ehemann“, sondern wird „vielfältiger“, indem er/sie etwa als Hirte/Hirtin (z. B. 34,11–16), Baumeister_in (z. B. 36,33–36) und Gärtner_in (z. B. 36,8f.) zu agieren verspricht. Auch die ihr Volk mehrende Gottheit Israels erscheint wie das Volk selbst „geschlechtslos“ (vgl. z. B. 36,10–12.37f.) – ganz anders als im Jesajabuch. Die sogenannte Ehemetaphorik ist, so lässt sich vielleicht schließen, mit den unerträglichen „Schreckenstexten“ Ez 16 und 23 untragbar geworden. Was allerdings auch in den „heilvolleren“ Passagen des Buches noch nicht vorstellbar erscheint, ist eine Ent-Stigmatisierung der Betroffenen. Das Ezechielbuch bleibt damit viel stärker in den „Fängen“ der traumatischen Katastrophe, als dies im zweiten Teil des Jesajabuchs der Fall ist. Zwar enthält auch Ez die Vorstellung von (zukünftiger) Vergebung bzw. Wieder-Annahme und (zukünftiger) Re-Installierung der Bundesbeziehung (vgl. z. B. 16,60–63; 37,23–28), Jes II aber erklärt die Schuld Jerusalems von Vornherein als „abgetragen“ und „bezahlt“ (vgl. nur Jes 40,1f.). Noch deutlicher ist die Differenz beim Thema „Scham“: Für Jes 40–66 gilt: „[W]hen YHWH perfectly, gloriously restores and reverses the desolation of exile, there will be no shame for Lady Zion, but only glorious beauty which is publicly recognized (Isaiah 54).“59 Ähnliches gilt für die Knechtsgestalt, denn die Gottheit Israels steht ihr zur Seite (Jes 50,7; vgl. 49,23). Ez hingegen hält das Gefühl der Scham (angesichts JHWHs) auch und insbesondere für das erneuerte Israel fest (vgl. 16,59–63; 20,43f.; 36,31f.; 39,26; 43,10f.; 44,9–14). Israel wird nicht als frei von Scham imaginiert, obwohl das Ende gewaltvoller Beschämung durch die Nationen versprochen wird
58 Julie Galambush, Jerusalem in the Book of Ezekiel: The City as Yahweh’s Wife (SBLDS 130; Atlanta: Scholars Press, 1992), 147f. 59 Eric Ortlund, „Shame in Restoration in Ezekiel“, SEE-J 2 (2011): 1–17, online: https://www.see-j.net/index.php/SEE-J/article/view/121 [zuletzt abgerufen am 28.06. 2019]; 3; zu Scham im Jesajabuch vgl. auch Johanna Stiebert, The Construction of Shame in the Hebrew Bible: The Prophetic Contribution (JSOTSup 346; Sheffield: Sheffield Academic Press, 2002), 87–109.
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(36,6.30). Meiner Ansicht nach ist diese (zuletzt wiederholt untersuchte60) Besonderheit am ehesten aus traumatologischer Perspektive zu erklären – zumal die gelegentlich herangezogenen Modelle einer mediterranen Schamgesellschaft mit spezifischen „gegenderten“ Schamformen oder bestimmter Muster von Scham und Ehre kaum weiterführen. Da die prophetischen Schriften weniger soziale Alltagsstrukturen als vielmehr Verkehrungen sozialer Werte in Kriegs- und anderen Krisensituationen widerspiegeln,61 und wegen der starken Körpergebundenheit der Scham-Phänomene in den Texten der Hebräischen Bibel,62 ist m. E. davon auszugehen, dass mit den „Scham-Wörtern“ im Kontext der prophetischen Texte (und in Ps) auf die Auseinandersetzung mit „traumatischer Scham“63 gezielt ist. Damit ist eine Form von Scham gemeint, die entsteht, wenn die schützenden Grenzen eines Menschen durch intrusive Gewalt verletzt,64 mitunter auch zerstört werden. In diesem Sinne weist die Omnipräsenz von Scham in Ez auf die Schwere, die Massivität der Katastrophe zurück (eventuell auch auf die zeitliche Nähe der Buchentstehung zu den Ereignissen zu Beginn des 6. Jh. v. u. Z.).65 Ein vollständiges Frei-Werden von den Folgen der Exilskatastrophe (wie von deren Ursachen) erscheint auch auf lange Sicht nicht vorstellbar – was bleibt, ist die Imagination der Aufhebung des Traumatischen in die/der Beziehung zwischen Israel und JHWH.66
60 Vgl. u. a. Ortlund, „Shame“; Tobias Häner, „Reading Ezekiel 36.16–38 in Light of the Book: Observations on the Remembrance and Shame after Restoration (36.31–32) in a Synchronic Perspective“, in Ezekiel: Current Debates and Future Directions (hg. v. William A. Tooman und Penelope Barter; FAT 112; Tübingen: Mohr Siebeck, 2017), 323–344 (Literatur!). Vgl. auch Stiebert, Construction, 129–162; Poser, Ezechielbuch, 517–541. 61 Vgl. Stiebert, Construction, 95f. 62 Vgl. Matthew J. Lynch, „Neglected Physical Dimensions of ‚Shame‘-Terminology in the Hebrew Bible“, Bib 91 (2010): 499–517. 63 Vgl. hierzu Stephan Marks, Scham – die tabuisierte Emotion (Düsseldorf: Patmos, 2007), 29–33. Zur medizinisch-psychologischen Diskussion vgl. zuletzt Terry F. Taylor, „The Influence of Shame on Posttrauma Disorders: Have We Failed to See the Obvious?“, European Journal of Psychotraumatology 6 (2015/1), online: https:// doi.org/10.3402/ejpt.v6.28847 [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. 64 Hier ist nicht nur an sexuelle/sexualisierte Gewalt zu denken, sondern auch an das in Ez sehr präsente „Durchbohrtwerden“ (hebr. )חללmit dem Schwert. Vgl. hierzu David G. Garber, „A Vocabulary of Trauma in the Exilic Writings“, in Interpreting Exile: Displacement and Deportation in Biblical and Modern Contexts (hg. v. Brad E. Kelle, Frank Ritchel Ames und Jacob L. Wright; AIL 10; Atlanta: SBL, 2011), 309–322; Lapsley, „Proliferation“. 65 Vgl. hierzu Poser, Ezechielbuch, 668–672; OʼConnor, „Trauma Studies“, 220. 66 Vgl. Ortlund, „Shame“, 4, wo es über die „shame in restoration“ heißt: „[I]t is ‚private‘ in the sense of existing only in relation to YHWH.“
Trauma und „Geschlecht“ in prophetischen Texten
5.
291
Ausblick
Was ergibt sich nun aus diesem knappen Überblick über einige Aspekte der Schriftprophetie als „Reflexionen über die Schrecken des Krieges“, in dem ich versucht habe, traumatologische, sozialgeschichtliche und literaturtheoretische Perspektiven miteinander zu verbinden? Sehr häufig wurde in jüngerer Zeit der Schluss gezogen, dass die (großen) Prophet_innen, vor allem Ezechiel, die Ereignisse von 587 v. u. Z. einem männlichen, voyeuristischen (wenn nicht gar einem sadistischen oder Gewalt verherrlichenden) Blick unterwerfen. Daniel L. Smith-Christopher aber hat überzeugend dargelegt, dass es weniger ein männliches* als vielmehr ein hegemonial-imperiales Sehen ist, das sich in der Bilderwelt des Engendered Warfare in den prophetischen Texten widerspiegelt. Mit Bezug auf das Ezechielbuch schreibt er: While the language of Ezekiel could be read to primarily buttress a male/female hierarchy within exilic Israelite communities … this is not the only way to read many of the images of Ezekiel 16. Given the context of war and exile, it must also be asked whether Ezekiel’s imagery more basically reveals the impact of a degrading imperial hierarchy on himself and his fellow exiles. Indeed, this other „hierarchy“ that consists of military defeat and engendered humiliation in the ancient Near Eastern context may well raise serious questions about how „normative“ any discussion of male/female relations could possibly be in the book of Ezekiel …67
Ich möchte noch einen Schritt weitergehen: Ich denke, dass die Bücher Jesaja, Jeremia und Ezechiel ein Wissen darum reflektieren, dass Kriege, auch der antike Belagerungskrieg, für alle Betroffenen verletzend, traumatisierend sein können – unabhängig von Geschlecht, Alter, Klasse usw. (vgl. z. B. Jer 6,11; Ez 9,6; 24,21). Vor dem Hintergrund literarischer Trauma-Theorien erscheint die Metaphorisierung der belagerten, eroberten und zerstörten Stadt als (Ehe-)Frau sogar ziemlich queer – queer in dem Sinne, dass diese Metaphorik verschiedene Geschlechter, individuelle und kollektive Aspekte, Wirklichkeit und Symbolisierungen von Wirklichkeit, Erfahrung und Deutungen von Erfahrung zu fassen vermag. Damit öffnet sie – auch wenn sie, etwa im Hinblick auf das Gottesbild, gefährlich bleibt – einen einigermaßen sicheren Raum für alle vom Krieg Betroffenen und deren Wunden. Sie macht diese Wunden sichtbar, wahrnehmbar, benennbar, bezeugbar und betrauerbar. Viola Rüdele hat zuletzt die in Ez 16 und 23 enthaltenen extremen68 Körperbilder sowie die Verletzungen und die Verletzlichkeit, die in diesen Kapi67 Smith-Christopher, „Ezekiel“, 157. 68 Jacqueline E. Lapsley betrachtet die Körperbilder von Ez 23 unter Einbezug der Kategorie des Grotesken und schreibt („Proliferation“, 389): „Through his grotesque
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teln ins Wort gebracht sind, mit Judith Butlers (politischen!) Überlegungen zur Verwundbarkeit verknüpft. Rüdele kommt zu dem Schluss, dass Texte wie Ez 16; 23 und deren embodied memories uns anstoßen und herausfordern können, unser theologisches und politisches Denken unter Einbezug der Idee von der Verletzlichkeit allen Lebens zu erneuern.69 Butler selbst schreibt im Vorwort der deutschsprachigen Ausgabe ihrer Anthologie Precarious Life: The Politics of Mourning and Violence (2004): Daß wir verwundbar sind, daß andere verletzbar sind, daß wir dem Tod unterworfen sind, gerade wie es der Willkür eines anderen entspricht, sind alles Gründe für Furcht und Trauer. Weniger selbstverständlich ist allerdings, ob die Erfahrungen von Verwundbarkeit und Verlust geradewegs zu militärischer Gewalt und Vergeltung führen müssen. Es gibt andere Auswege. Wenn wir daran interessiert sind, die Gewaltspirale anzuhalten, um weniger gewalttätige Konsequenzen zu bewirken, ist es zweifellos wichtig, zu fragen, was politisch gesehen aus der Trauer anderes entstehen könnte als der Ruf nach Krieg.70
imagery, through the pierced bodies and profaned temple [Ezekiel] exorcises the demonic, the human sin, and through the work of pain, seeks to forge a new, Godcentered identity. Even as one must take issue with Ezekiel’s method, one can also appreciate that this is the hardest theological work there is: he brings a word of hope to a traumatized people even as he himself is among those traumatized.“ 69 Vgl. Viola-Kristin Rüdele, „Die Verwundbarkeit des Körpers als Perspektive, Ezechiel 16 und 23 zu verstehen“, lectio difficilior (1/2018), online: http://www.lectio. unibe.ch/18_1/ruedele_viola-kristin_die_verwundbarkeit_des_koerpers.html [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. 70 Judith Butler, Gefährdetes Leben: Politische Essays (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 3 2012), 7.
Jahrzehnte später: „Pornoprophetisches“ aus heutiger Sicht Athalya Brenner-Idan Universität von Amsterdam, Universität Stellenbosch
1.
Ein Anfang
Vor über 20 Jahren erschien im Feminist Companion to the Latter Prophets (1995) der Artikel „On Prophetic Propaganda and the Politics of ‚Love‘: The Case of Jeremiah“.1 Seither habe ich viele Jahre lang über dieses Thema nachgedacht, geredet und geschrieben. Gemeinsam mit drei weiteren Beiträgen stand besagter Artikel unter der Überschrift „On the Pornoprophetics of Sex ual Violence“.2 Aufsätze der verstorbenen Fokkelien van Dijk-Hemmes, des verstorbenen Robert Carroll, von Pamela Gordon und Harold Washington sowie Rachel Magdalene3 rangen ebenfalls mit der Frage, die Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in weiten Kreisen der feministischen Exegese diskutiert wurde: Wie soll man mit den kollektiven Bildern von Israel/Juda oder Samaria/Jerusalem umgehen, die unverblümt bloßgestellt, als sexuell abnorm beschrieben und bestraft werden – und das alles im Namen einer monotheistischen prophetischen Ideologie? In besagtem Artikel aus dem Feminist Companion to the Latter Prophets von 1995 lese ich Jer 2 und 5 gemeinsam mit Ez 16 und 23 sowie Hos 1–3 als Propagandaliteratur. Folie für diese Lesart war der 1950 erschienene, einer französischen Autorin zugeschriebene pornographische Roman Geschichte der O, der die Verwandlung einer unabhängigen jungen Frau in eine Sexsklavin beschreibt, die – mit ihrer Zustimmung und einvernehmlich – zunächst 1 Athalya Brenner, „On Prophetic Propaganda and the Politics of ‚Love‘: The Case of Jeremiah“, in A Feminist Companion to the Latter Prophets (hg. v. ders.; FCB 8; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1995), 256–274. 2 Brenner, „Prophetic Propaganda“, 243–352. 3 Im selben Band erschienen: Fokkelien van Dijk-Hemmes, „The Metaphorization of Woman in Prophetic Speech: An Analysis of Ezekiel 23“, 244–255; Robert P. Carroll, „Desire under the Terebinths: On Pornographic Representation in the Prophets – A Response“, 275–307; Pamela Gordon und Harold C. Washington, „Rape as a Military Metaphor in the Hebrew Bible“, 308–325; F. Rachel Magdalene, „Ancient Near Eastern Treaty-Curses and the Ultimate Texts of Terror: A Study of the Language of Divine Sexual Abuse in the Prophetic Corpus“, 326–352.
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ihrem männlichen Gebieter/Liebhaber und dann auch seinen Freunden und allen Männern zu Willen ist. Im Zuge einer vergleichenden Lektüre dieser beiden Porträits wurde die pornographische Darstellung als visuelles oder verbales Mittel definiert, sexuelles Begehren zu wecken und zu genderideologischen Zwecken zu benutzen; außerdem wurden die Merkmale, Funktionen und Ursachen von Pornographie beschrieben. Wichtige Elemente meiner damaligen Definition waren männliche Überordnung, verstärkte Zurschaustellung der Frau in Wort oder Bild, Gewalt und fehlende Zustimmung. Meine Schlussfolgerung lautete ungefähr so: Die religiöse Propaganda der sogenannten „prophetischen ‚Liebes‘Metapher“ missbraucht und beschämt die weibliche Sexualität, obwohl sie strenggenommen auch einen Angriff auf die männliche Sexualität darstellt. Ich weiß nicht, ob historische Personen namens „Jeremia“ oder „Hosea“ oder „Ezechiel“ für die sexualisierten Textabschnitte verantwortlich sind, als deren Verfasser sie in unserem Kanon benannt werden. Mithin sollte die Metapher nicht mit dem Hinweis beiseitegeschoben werden, dass „er“, der Prophet, unglücklicherweise von „seinen“ persönlichen Erfahrungen mit „seiner“ Frau oder „seinen“ Frauen oder Partnerinnen motiviert gewesen sei. Stattdessen möchte ich geltend machen, dass die Person – wer immer es auch war –, die diese Texte verfasst hat, Männer, Gott, Frauen und Geschlechterbeziehungen auf eine bestimmte Weise gesehen hat. Diese Sichtweise, diese männliche Lustphantasie, setzt eine komplementäre Phantasie weiblicher Lust voraus. Die Phantasie ist nicht einfach „nur“ erotisch. Sie ist eine pornographische Phantasie und wird dementsprechend dargestellt: Sie ist pornographisch. Als F/f-Bibellesende (das heißt mit dem biologischen Geschlecht einer Frau und femininer kultureller Geschlechtsprägung) kann ich mich der Phantasie widersetzen, indem ich sie aufdecke, kritisiere, reflektiere. Doch innerhalb des jeweiligen – damaligen und sogar heutigen – kulturellen Systems tue ich das auf eigene Gefahr. Ich bin so aufgewachsen und so erzogen worden, dass ich dieser männlichen Phantasie entspreche und sie mir aneigne. Wie andere F/f-Leserinnen kann ich mich zuweilen dekonstruieren; die Versuchung, diese M/m-Phantasie (im Hinblick auf das biologische Geschlecht eines Mannes und das männliche kulturelle Geschlecht) zu erwidern oder sogar zu verinnerlichen, bleibt jedoch vermutlich bestehen. Bewusstsein hilft, aber die ideologische Wahrscheinlichkeit ist gegen mich. Und gegen Sie. Waren meine Bemühungen, eine kritische F/f-Lesende zu werden, erfolgreich? Was sollte ich nun, da meine Antwort auf die „prophetische Liebesmetapher“ veröffentlicht war, über die Geschichte der O sagen, die über viele Kulturen und Jahrhunderte hinweg ein Spiegelbild dieser Metapher und augenscheinlich aus einer F/f-Perspektive verfasst war? Ich hatte zwei Alternativen. Die eine bestand darin, mich mit O zu identifizieren, weil ihre Phantasie bis zu einem gewissen Grad auch meine Phantasie und durch denselben geschlechtsspezifischen Sozialisierungsprozess erworben ist, den ich selbst
„Pornoprophetisches“ aus heutiger Sicht
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durchlaufen habe. Die andere Option war und ist, gegen den Mythos des weiblichen Masochismus und den weiblichen sexuellen Objektstatus zu rebellieren. Ich kann mich der Empfehlung/dringenden Forderung widersetzen – und Sie können das auch –, mich als Frau selbst zu verwirklichen, indem ich mich der Herrschaft des Mannes unterwerfe und auch noch auf den letzten Rest an weiblicher sexueller Unabhängigkeit und weiblichem Handlungsspielraum verzichte. Ich kann sagen und Sie können sagen: Diese Unterordnung der F/f-Phantasie unter die M/m-Phantasie geht zu weit. Ich will nicht negiert werden, um in die symbolische männliche Ordnung einzutreten, und Sie wollen das vielleicht auch nicht. Ich bin nicht prüde; ich kann pornographische Darstellungen bis zu einem gewissen Punkt tolerieren und manchmal sogar genießen. Aber ich kann die Wirkung, die die meisten pornographischen Darstellungen auf die Geschlechtervorstellungen von Menschen haben, die demselben anatomischen Geschlecht angehören wie ich, nicht ignorieren. Kommen wir nun, Jahrzehnte später, auf die pornoprophetischen Texte zurück: Wie soll ich, wie können Sie auf die biblische prophetische Propaganda reagieren, die Juda und Jerusalem sowie Samaria und Israel als zum Objekt degradierte Ehepartnerinnen, als animalisierte Es-Frauen beschreibt? Schlau konstruiert diese Propaganda ein Klischee: Jede Frau, vor allem jede Ehefrau, ist in sexueller Hinsicht potentiell deviant und muss daher streng kontrolliert werden. Von Männern, versteht sich. Es ist davon auszugehen, dass zwischen einer Weltanschauung, die eine solche prophetische Propaganda akzeptabel macht, und dem Missbrauch und der Vergewaltigung von Frauen ein Zusammenhang besteht. Religiös-politische Propaganda kann Massenvergewaltigungen von Frauen zur Folge haben: Lesen Sie die Nachrichten über Bosnien, den Daesch (IS), die Jesidinnen im Irak, Boko Haram in Nigeria, die Rohingya in Myanmar: In all diesen Fällen werden Vergewaltigungen von Frauen in großem Stil als militärische und ideologische Waffe in Konflikten eingesetzt, die zumindest teilweise als Religionskriege definiert werden. Also haben Sie und ich wieder zwei Alternativen im Hinblick auf den Religionskrieg der Propheten, wie er in der „Liebes“-Metapher zum Ausdruck kommt. Die eine besteht darin, sich mit der Sichtweise des männlichen biblischen Verfassers zu identifizieren, die als die Sichtweise Gottes dargestellt wird. Die andere Option besteht darin, sich zur Wehr zu setzen gegen die besondere Art der religiösen Pornographie, die Vergewaltigung durch die Sprache und das geschriebene Wort, die für diese Ehemann-Ehefrau-Metapher typisch ist. Wir können uns gegen die sozialen Rollen wehren, die solche Beschreibungen, bewusst oder unbewusst, für F/f-gegenderte Menschen implizieren. Jessica Benjamin schreibt gegen Ende ihrer Pornographie-Analyse: „Es sind dieselben psychologischen Aspekte, die sich sowohl durch die politischen als auch durch die erotischen Formen der Herrschaft ziehen, denn bei-
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de verkörpern die Verneinung des anderen Subjekts“.4 Der Kampf um die religiöse Herrschaft – sei er nun moralisch gerechtfertigt oder nicht – fällt zweifellos in die Kategorie politischer Herrschaft. Zumindest dies lässt sich als Basis festhalten.
2.
Und darüber hinaus
Im vorangegangenen Abschnitt habe ich mich mit der einen oder anderen leichten Aktualisierung ausführlich auf meine frühere Arbeit bezogen, weil sich meine Position im Grunde nicht verändert hat. Ich lese die betreffenden Kapitel nach wie vor mit Schaudern. Ich betrachte sie nach wie vor als religiöse Propaganda, die Pornographie als Kick benutzt: zu pädagogischen Zwecken? Um Autorität zu gewinnen? Gleichwohl möchte ich einige Überlegungen, Akzentuierungen und Präzisierungen hinzufügen, um diese Lesart zu vertiefen und noch ein wenig zu untermauern. Außerdem lese ich die betreffenden Stellen heute nicht mehr als Pornographie, sondern als HardcorePorno: nicht als das Pendant zu etwas, das man euphemistisch als „Erwachsenenfilm“ bezeichnet, oder einem Softporno, sondern als das Äquivalent zu einem gewalttätigen, tödlichen Snuff-Porno. Und das ist in zivilisierten Gesellschaften strafbar – insbesondere dann, wenn Minderjährige oder Personen involviert sind, die nicht ihre Zustimmung gegeben haben. Im Rest dieses Abschnitts werde ich an vier Themen verdeutlichen, wie sich mein Denken in dieser Frage weiterentwickelt hat.
2.1
Religion und das Erotische
Dass Erotik und Religiosität – vermutlich, weil die Religion der menschlichen Körperlichkeit oder Leiblichkeit nicht entkommen kann – Hand in Hand gehen, ist nichts Neues. Das gilt für das Judentum: von der pornoprophetischen Metapher über die postbiblische allegorische Interpretation des Hohelieds als menschlich-göttlicher Liebesgeschichte bis hin zur Kabbala und gewissen Definitionen der Schechina. Und dies gilt unter anderem auch für die christliche Mystik und gestörte Sicht auf menschliche Sexualität sowie die Beschränkung der erotischen Lust auf den kultischen Bereich, die sich sowohl in sexueller Verweigerung, im Zölibat, als auch in der Umlenkung erotischer Lust auf das Göttliche hin ausdrückt. Auch die Entwicklung der Verehrung Mariens nicht nur als Mutter, sondern als sexualisierte Frau ist hier zu nen4 Jessica Benjamin, The Bonds of Love: Psychoanalysis, Feminism and the Problem of Domination (Toronto: Random House, 1988), 66.
„Pornoprophetisches“ aus heutiger Sicht
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nen; – man braucht dafür nur die europäische Kunst anzuschauen.5 Sowohl im Judentum als auch im Christentum – im Islam liegen die Dinge anders – ist die Erotik auf die eine oder andere Weise in hohem Maße präsent. Muss ich noch eigens erwähnen, dass Erotik sexuell und dass sie nicht nur Sexualität ist? Eros/Begehren kann spirituell wie körperlich sein. Allerdings ist es oberflächlich zu behaupten, die menschliche Sexualität sei „lediglich eine Metapher“ für göttliche Liebe oder für die menschliche Liebe zum Göttlichen. Wenn die eine mit der anderen verwechselt wird und sexuelle Gewalt in Wort oder Tat in den Text oder das Bild hineingelangt, gelangt auch die Pornographie mit hinein. Und wenn beide von jemandem oder von einer sozialen Klasse oder einem Geschlecht reguliert werden, geht das mit Zwangsausübung einher. Dann wird die herkömmliche soziale Hierarchie, sei sie nun göttlichmenschlich oder männlich-weiblich, mit schockierenden Mitteln verstärkt.
2.2
Gewalt
Hätte ich mein erstes Statement später verfasst, hätte ich die Gewaltsamkeit der verwendeten Bilder vermutlich noch mehr hervorgehoben. In den prophetischen Texten werden Frauenfiguren nackt und vergewaltigt zur Schau gestellt. Sie werden von ihrem/ihren liebenden, autoritären Ehemann/Ehemännern vergewaltigt und zur Schau gestellt. Billigen wir in unserer Gesellschaft, dass Frauen in der Ehe oder bei einem Date geschlagen und vergewaltigt werden? Selbst wenn eine Ehefrau oder Partnerin tatsächlich oder vermeintlich untreu gewesen ist? Halten wir noch immer an der Vorstellung des Verbrechens aus Leidenschaft als einer – in den Augen des Strafenden – verdienten Bestrafung einer sexuellen Verfehlung fest? Das ist eine rhetorische Frage. Wenn wir das nicht tun, dann sollten wir solche Bilder einschließlich des selbstgerechten und bestrafenden Männerbildes zurückweisen. Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass Vergewaltigung mehr mit Herrschaft und Hierarchie als mit sexuellem Begehren zu tun hat – viel mehr. Und eine Phantasie des Begehrens, in deren Zentrum Gewalt steht, verdient keinerlei Nachsicht – auch nicht, wenn sie „biblisch“ ist.
2.3
Heterosexualität und Rollenfestlegung
Es sollte immer und immer wieder betont werden, dass die biblischen Texte augenscheinlich eine heterosexuelle prophetische Phantasie aus der Pers5 In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass in einigen Beispielen der sogenannten metaphysischen Dichtung eine abusive göttlich-menschliche Beziehung zwischen Männern angestrebt und in eine sexuelle und eheliche Sprache gekleidet wird. Siehe hierzu auch weiter unten.
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Athalya Brenner-Idan
pektive eines heterosexuellen Mannes widerspiegeln. Aber nicht ganz: Wie weithin festgestellt wird, ist das Göttliche als das überlegene Männliche identifiziert. Dadurch, dass die „Frau“ als die metaphorische Hörerschaft – im Kontext die männliche Gemeinschaft – identifiziert wird, erfährt das Bild eine gewisse Geschlechterumkehr. Die metaphorische „Frau“ ist jetzt ein feminisierter Mann. Im biblischen Text schweigt „sie/er“. Würde sie/er, im Text geschlechtsumgewandelt, nun auf die prophetische Tirade so antworten, wie John Donne es tut? Batter my heart, three-person’d God, for you As yet but knock, breathe, shine, and seek to mend; That I may rise and stand, o’erthrow me, and bend Your force to break, blow, burn, and make me new. I, like an usurp’d town to another due, Labor to admit you, but oh, to no end; Reason, your viceroy in me, me should defend, But is captiv’d, and proves weak or untrue. Yet dearly I love you, and would be lov’d fain, But am betroth’d unto your enemy Divorce me, untie or break that knot again, Take me to you, imprison me, for I, Except you enthrall me, never shall be free, Nor ever chaste, except you ravish me.6 Erstürme mein Herz! Dreifaltiger Gott, der scheu Bis jetzt nur anklopft, haucht, heilsam bespricht. O wirf mich nieder, dass ich mich aufricht! Brauch deine Kraft, blas, brenn und mach mich neu! Ich eine Stadt, dem Feind verpfändet, freu Mich auf dein Kommen. All mein Mühn hilft nicht: Vernunft, Dein Vogt, dem mich verteidigen Pflicht, Wird bald gefasst, da schwach und ungetreu, Doch innigst lieb ich Dich, möcht, dass Du mich Auch liebst. Und bin dem Feind versprochen doch! Löse, zerhau den Knoten, scheide mich, Reiß mich zu Dir, wirf mich ins Kerkerloch! Ich bin ich nicht frei, außer Du bändest mich. Ich bin nicht rein, außer Du schändest mich.7 6 John Donne, Holy Sonnet 14 (Erstveröffentl. 1633). Siehe z. B. https://www. poetryfoundation.org/poems/44106/holy-sonnets-batter-my-heart-three-persondgod [zuletzt abgerufen am 28.06.2019]. 7 John Donne: Erstürme mein Herz: Elegien, Epigramme, Sonette: Englisch – Deutsch (hg. v. Wolfgang Breitwieser; Frankfurt a. M.: Verlag Neue Kritik, 2000).
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Dieses Sonett akzeptiert, nein, fordert in einer sexuell geprägten Terminologie auf zu göttlicher Gewalt am männlichen Selbst. Heutzutage sollte dieser männlich-männlichen Aufforderung größere Bedeutung beigemessen werden als in den Analysen der Vergangenheit. Ein erster Denkanstoß: Eine queere oder, mit Deryn Guest gesprochen,8 „queer definierte“ Lesart sollte betonen, dass die hierarchische Sichtweise der Metapher sich über die heterosexuelle Dimension hinausbewegt – genau wie ihre Bedeutung für unser Leben mit der Bibel. Hinzu kommt, dass die Geschlechterrollen der Metapher festgelegt sind. Für alle Ewigkeit. Der weibliche/feminisierte Partner hat immer Tadel, immer Strafe verdient. Der männliche/überlegene/göttliche Partner ist immer gerecht, stark, gewalttätig und autoritär. Anders als im Leben kommt es nie zu einem Rollentausch: Die verbildlichte „Ehefrau“ kommt nie in die Situation, dass sie ihren Peiniger bestraft; genau genommen darf „sie“ meist nicht einmal etwas zu ihrer Verteidigung sagen. Das männliche/göttliche Bild wird als Opfer, Richter, Ankläger und Vollstrecker dargestellt: „Er“ ist nicht nackt oder als nackt beschrieben – im Unterschied zu seiner Frau. Seit mehreren Jahren werden die Ansätze der Männerforschung, der Gay und der Queer Studies mit großer Energie und großem Erkenntnisgewinn auf die Hebräische Bibel angewandt;9 zu nennen sind hier unter anderem die Arbeiten von Stone,10 Hornsby,11 Hornsby und Guest,12 Hornsby und Stone,13 Guest,14 Nissinen,15 Creangă,16 Moore17 und Bar 8 Deryn Guest, When Deborah Met Jael: Lesbian Biblical Hermeneutics (London: SCM, 2005). Guest ringt mit der Definition von „lesbisch“ und entscheidet sich schließlich für „lesbisch definiert“. 9 Eine gute Einführung in dieses Thema bietet Björn Krondorfer, Hg., Men and Masculinities in Christianity and Judaism: A Critical Reader (London: SCM, 2009). Besonders relevant sind die Teile 4 und 5 (S. 163–331) mit Wiederabdrucken und Originalbeiträgen von Boyarin, Burrus, Stone und anderen. 10 Z. B. Ken Stone, Practicing Safer Texts: Food, Sex and Bible in Queer Perspective (Queering Theology Series; London: T&T Clark, 2005); Ders., Hg., Queer Commentary and the Hebrew Bible (JSOTSup 334; Sheffield: Sheffield Academic Press, 2001). 11 Teresa J. Hornsby, „Ezekiel“, in The Queer Bible Commentary (hg. v. Deryn Guest et al.; London: SCM, 2011), 412–426. 12 Teresa J. Hornsby und Deryn Guest, Hg., Transgender, Intersex, and Biblical Interpretation (SemeiaSt 83; Atlanta: SBL Press, 2016). 13 Teresa J. Hornsby und Ken Stone, Hg., Bible Trouble: Queer Reading at the Boundaries of Biblical Scholarship (SemeiaSt 67; Atlanta: SBL Press, 2011). 14 Guest, When Deborah Met Jael. 15 Martti Nissinen, Homoeroticism in the Biblical World: A Historical Perspective (Indianapolis: Fortress Press, 2004). 16 Ovidiu Creangă und Peter-Ben Smit, Hg., Biblical Masculinities Foregrounded (HBM 62; Sheffield: Sheffield Phoenix Press, 2014). 17 Stephen D. Moore, God’s Beauty Parlor and other Queer Spaces in and around the Bible (Contraversions: Jews and other Differences; Stanford: Stanford University
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Mymon.18 Einige Ergebnisse dieser Forschungsprojekte liegen bereits vor. Die literarische Figur Ezechiel (und bis zu einem gewissen Grad auch Samson) wird beispielsweise als Abzieh- oder Spiegelbild des ultimativen AlphaMannes, JHWH, beschrieben. Dieses Männlichkeitsbild ist starr und unveränderbar. Wenn du, M/m, es nachahmen willst, dann werden auch deine Eigenschaften unveränderlich und unbestreitbar sein. Die Männerforschung stellt häufig andere Männerbilder heraus: Männer, die weinen, bemuttern, nicht grausam, sondern empathisch sind. Wenn wir solche Denkansätze weiterverfolgen, dann wird deutlich, dass die prophetische Metapher nicht nur für ein F/f-Publikum (Zuhörerinnen oder Leserinnen), sondern auch für ein M/m-Publikum verheerend ist. Wenn Sie nun noch die Feminisierung der männlichen Zielgruppe hinzunehmen, von der weiter oben die Rede war, wenn Sie die (damals wie heute) mögliche Rezeption durch ein LGBTQ-Publikum hinzunehmen, dann wird deutlich, dass dieses pornographische Bild heute sogar noch größeren Schmerz verursacht und, mit Blick auf den gegenwärtigen Diskurs über menschliches Sexualverhalten, sogar noch mehr zum Nachdenken anregt.
3.
„Pornoprophetisches“ und BDSM
Die pornoprophetische Phantasie kann nun weiter ausdifferenziert werden, was noch vor einigen Jahrzehnten nicht möglich gewesen wäre. Tatsächlich handelt es sich um eine Darstellung dessen, was heute unter dem Kürzel BDSM bekannt ist: Bondage (Fesselung), Dominanz, Submission (Unterwerfung), Sadismus und Masochismus. In dieser sexuellen Lustphantasie werden S/M-Beziehungen so inszeniert oder ausgelebt, dass das Begehren der Teilnehmenden befriedigt wird. Dieses Verhaltensphänomen ist in den visuellen Medien, der Literatur und den Zeitungen der heutigen Zeit gut dokumentiert. BDSM ist nicht mein Fall, unter anderem deshalb, weil es von vorneherein die Anwendung bewusster physischer Gewalt beinhaltet. Von BDSMPraktizierenden werden jedoch in der Regel drei Dinge betont: Erstens lassen sich die Partner wissentlich und bewusst auf die Situation ein – oder glauben dies zumindest. Zweitens gibt es eine beiderseitige Abmachung, die festlegt, wie weit die Partner bei dieser Reihe von Sexspielen in puncto Zwang und Gewaltanwendung gehen dürfen, ohne die zuvor festgelegten Grenzen zu überschreiten. Und drittens können die Positionen der Dominanz und UnterPress, 2001), es. Teil 2 ab S. 133. 18 Meir Bar Mymon, „This Season You’ll be Wearing God: On the Manning of Gideon and Undressing of the Israelites (Judges 6:1–8:32)“, in Joshua and Judges (hg. v. Athalya Brenner und Gale A. Yee; Texts@Contexts; Minneapolis: Fortress Press, 2013), 191–208.
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werfung in wechselseitigem Einvernehmen getauscht werden – mit anderen Worten, diese Positionen sind von der grundlegenden Struktur her nicht starr fixiert, sondern fließend. Eine BDSM-Handlung wird angeblich von zwei oder mehr Erwachsenen einvernehmlich durchgeführt. Gleichwohl handelt es sich um eine gefährliche Praxis, die leicht aus dem Ruder laufen kann und daher als riskantes Sexualverhalten eingestuft werden muss. Ihre Darstellung kann wiederum als Pornographie definiert werden, das heißt als Abbildung einer bestimmten sexuellen Phantasie, bei der die beteiligten Partner alles andere als gleichgestellt sind und die von sozialem Ungleichgewicht geprägte Zurschaustellung und Gewalt beinhaltet. In der Bibelforschung der jüngeren Vergangenheit haben verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler biblische Texte unter dem Aspekt von BDSM analysiert. Boer,19 Moore20 sowie Moore und Burrus21 haben den Begriff „unsafe sex“ auf das Hohelied – heiliger Gral und Lieblingsthema der feministischen Exegese – angewandt. Rowlett hat sich in ähnlicher Weise mit Simson und Delila befasst.22 Emma England hat die Geschichte von Judit und Holofernes in diesem Licht betrachtet.23 Die genannten Forscherinnen und Forscher halten es für möglich, dass riskanter Sex – für die literarischen Beteiligten, aber auch für ihr Publikum – in der Tat in verschiedenen biblischen Texten Spuren hinterlassen hat; oder dass dies zumindest von zeitgenössischen Lesern so aufgefasst werden kann. Die meisten von uns würden – nach all dem neckischen Hin und Her in Ri 16 – tatsächlich nicht lange zögern, die Begegnung zwischen Simson und Delila als BDSM-Spiel zu deuten, das (für Simson) schiefgelaufen ist; manche würden sogar Holofernes’ Eingehen auf Judits Verstellung als bewusstes – für ihn leider fehlgeschlagenes – Manöver betrachten. Nebenbei bemerkt: Die Gewalttäter sind in beiden Geschichten Frauenfiguren. Weniger Leserinnen und Leser würden jedoch zustimmen, solche Spuren auch im Hohelied zu finden. Und eine noch geringere Zahl, in der pornoprophetischen Metapher. Dennoch weist, wie ich hier gerne zu bedenken geben möchte, die sogenannte „Liebesmetapher“ Ähnlichkeiten mit einer BDSM-Situation auf. Die 19 Roland Boer, „Night sprinkle(s): Pornography and the Song of Songs“, in Knockin’ on Heaven’s Door: The Bible and Popular Culture (hg. v. dems.; Biblical Limits; London: Routledge, 1999), 53–70. 20 Stephen D. Moore, „The Song of Songs in the History of Sexuality“, in ders., God’s Beauty Parlor, 21–88. 21 Virginia Burrus und Stephen D. Moore, „Unsafe Sex: Feminism, Pornography, and the Song of Songs“, BibInt 11 (2003): 24–52. 22 Lori Rowlett, „Violent Femmes and S/M: Queering Samson and Delilah“, in Queer Commentary and the Hebrew Bible (hg. v. Ken Stone; JSOTSup 334; Sheffield: Sheffield Academic Press, 2001), 106–115. 23 Emma England, „Second Thoughts on Female Terrorists and More: A Self-Response“, in A Feminist Companion to Tobit and Judith (hg. v. Athalya Brenner-Idan und Helen Efthimiades-Keith; FCB 2/20; London: T&T Clark, 2015), 259–261.
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Metapher basiert auf einer wissentlichen Bedingung: einer Abmachung, einem Vertrag/Bund – das zumindest behauptet der „männliche“ Partner. Bestrafungs- und Belohnungssysteme sind etabliert worden. Und die Dinge sind zu weit gegangen. Im Zuge dieser Entwicklung hat der „weibliche“ Partner allerdings „ihre“ Zustimmung zurückgezogen – mit dem Ergebnis, dass der Partner sie bestrafen und, ob sie will oder nicht, zwingen wird, sich weiter an die Bedingungen des Spiels zu halten. Für mich folgt daraus, dass ich die pornoprophetische Metapher schon vor Jahren sehr viel radikaler definiert hätte, wenn ich sie damals in BDSMKategorien hätte lesen können. Ich hätte gesagt, dass es sich hierbei um eine BDSM-Situation handelt, bei der die eine Seite, nach langem Vorspiel und Spiel, „ihre“ Zustimmung zurückgezogen hat. Die andere Seite akzeptiert die Widerrufung jedoch nicht und unterwirft „sie“ den ursprünglichen Bedingungen. Und uns wird als einzig legitime Herrschaftsphantasie, die wir übernehmen sollen, die Darstellung „seines“ Begehrens serviert.
4.
Shaming
Über social shaming, die soziale Beschämung, und insbesondere über body shaming, das Beschämen aufgrund nackter Körperlichkeit, in sozialen Netzwerken ist in den letzten Jahren viel gesagt und diskutiert worden. Denken Sie nur an Facebook. Geschichten über Selbstmorde von Kindern und die Diffamierung erwachsener – vor allem weiblicher – Personen nehmen überhand. Denken Sie darüber nach. Würden Sie virtuellem body shaming zustimmen? Würden Sie es als pädagogisches Mittel zu einem wie auch immer gearteten erhabenen Zweck erlauben? Wie würden Sie reagieren, wenn dieses Mittel an Ihnen selbst oder jemandem angewendet würde, der Ihnen nahesteht? Ist die beschämende Zurschaustellung in einigen Bibelversen, etwa in Ez 16 und 23, anders, weniger oder stärker sichtbar, weniger oder stärker pornographisch, weniger schädlich, als wenn jemand das Nacktbild einer Teenagerin ohne ihre Zustimmung in einem sozialen Netzwerk postet? In unserer Kultur sind solche Postings allenfalls als Pädophilie bekannt und strafbar. Ebenso gilt es als illegal, Nacktbilder von – zumeist weiblichen – Erwachsenen ohne deren Einverständnis in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen. Genau das aber geschieht in den genannten prophetischen Texten: in Entsprechung zur Veröffentlichung von Fotografien einer nackten Frau (und überdimensionierter männlicher Sexualorgane), beim Geschlechtsverkehr, geschlagen, gefoltert. Ich würde sagen: Wenn Sie mit der Mutter/Tochter Zion mitfühlen, der solches in den Klageliedern widerfährt, warum dann nicht mit
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der Tochter Jerusalem/Samaria im Buch Ezechiel, Jeremia oder Hosea?24 In den Klageliedern kommt „sie“ – anders als in den sporadischen indirekten Redeanteilen, die ihr in der prophetischen „Metapher“ zugestanden werden – wenigstens direkt zu Wort.25
5.
Was tun mit dem Unbehagen? #MeToo
Allein der Gedanke, dass biblische Literatur pornographische Literatur sein könnte, bereitet einer Säkularen wie mir und erst recht einer Person, die sich als Mitglied einer Glaubensgemeinschaft definiert, entsetzliches Unbehagen. Also wollen wir uns zuallererst an Folgendes erinnern: Die Bibel ist eine wundervolle Bibliothek – oder ein wundervolles Buch, wenn Ihnen das lieber ist. Aber nicht alles darin ist wundervoll. Sie stellt Sklaverei, Vergewaltigung, Auge-um-Auge-Vergeltung, körperliche Züchtigung, Völkermord und viele andere Dinge, die heute als inakzeptabel gelten, als Bestandteile einer göttlich verfügten Ordnung dar. Wenn Sie akzeptieren, dass diese Dinge in unseren Breiten und Zeiten keine Geltung haben, ob mit oder ohne entschuldigenden Hinweis auf ältere Zeiten und ältere Kulturen, dann denken Sie bitte darüber nach, ob dies nicht auch für die Vorstellung zutrifft, dass die sogenannten Propheten nicht darüber erhaben sind, ihre Sache durch eine bestimmte, nämlich pornographische Darstellung sexueller Beziehungen voranzubringen. Der vorliegende Aufsatz ist Ende 2017 geschrieben worden. 2017 wird als das Jahr der #MeToo-Lawine in die Geschichte eingehen: als zahlreiche Frauen (und einige Männer) mit ihrer eigenen Stimme und zuweilen auch mit Gesichtern und Namen an die Öffentlichkeit traten, um von ihren eigenen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen zu berichten; dabei reichte die Bandbreite von nicht-einvernehmlichen Berührungen bis hin zu Vergewaltigungen durch Täter, bei denen es sich in den meisten Fällen um weiße, einflussreiche Männer handelte. Die öffentlich beschuldigten Männer kommen überwiegend aus der Medien- und Unterhaltungsbranche, der Politik und sogar aus 24 Vielleicht sollte ein weiteres Mal darauf hingewiesen werden, dass es latent inzestuöse Züge hat, eine Partnerin – und sei es auch nur auf metaphorisch-literarischer Ebene – nicht nur als „Frau“ und „Mutter von Kindern“, sondern auch als „Tochter“ anzusprechen. Dies geht klar über die übliche biblische und altorientalische Gepflogenheit hinaus, Städte, Räume und ethnische Einheiten als „Töchter“ zu apostrophieren. Doch das wäre Thema einer anderen Diskussion. 25 Vgl. Archie C. C. Lee, „Reading Daughter Zion and Lady Meng: Tears, Protest and Female Voices“, in The Five Scrolls (hg. v. Athalya Brenner-Idan, Gale A. Yee und Archie C. C. Lee; Texts@Contexts; London: T&T Clark, 2018), 159–173, sowie Athalya Brenner-Idan, „Lamentations as Musical Performances, its Origins and Life Occasions: Some Reflections“, in ebd., 174–185.
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dem Rechtswesen. Einige sind auch an religiösen Einrichtungen tätig. Die #MeToo-Bewegung nahm in den USA ihren Anfang, hat sich seither aber auch in Europa und darüber hinaus ausgebreitet. Sie ist im Grunde ein umgekehrtes Shaming: Die Opfer fordern von den Tätern soziale Rechenschaft – mit allem, was das bedeutet. Im Licht des Handlungsaufrufs #MeToo betrachtet wirkt die prophetische „Liebes“-Metapher mehr denn je wie ein einseitig gegenderter Aufruf zu sexuellem Missbrauch und sogar Vergewaltigung. Fragen Sie sich ganz offen: Würde ich einen solchen biblischen Aufruf tolerieren, wenn er im heutigen öffentlichen Leben vorgebracht werden würde – auch oder gerade dann, wenn es sich um ein Programm gegen Frauen handelte, die nicht mit männlicher Herrschaft einverstanden sind? Wenn er anschauliche sexuelle Bilder enthielte, die Frauen demütigen, bei den m/M-Rezipienten aber womöglich Begehren wecken? Würde ich einen solchen Aufruf in religiöser und sozialer Hinsicht für akzeptabel halten? Oder würde ich darin eine pornographische Verzerrung der Realität sehen – meiner Realität wie der antiken Realität? Bei der wissenschaftlichen und sozialen Praxis der Bibelerforschung – daran sollten wir uns in aller Stille erinnern – geht es nicht nur darum, Theorien darüber, „wie es in der Bibel steht“, oder über ihre weit zurückliegende historische Rezeption zu entwickeln; es geht auch und vielleicht in erster Linie darum, herauszufinden, wie sie unser Leben in allen Arten von monotheistisch geprägten und damit männlich dominierten Gemeinschaften geformt hat und bis heute bestimmt.
Zur Bedeutung von Frauen in den messianischen Texten der Schriftprophetie Ombretta Pettigiani Istituto Teologico di Assisi
Der vorliegende Beitrag bezieht sich ausschließlich auf diejenigen Bücher, die die Hebräische Bibel als Hintere Prophetie definiert:1 Jes, Jer, Ez und die Zwölf (also ohne das Buch Daniel). In einer Untersuchung zur Präsenz des Weiblichen in den messianischen Weissagungen stellt sich primär die Frage, welche Weissagungen überhaupt als messianisch bezeichnet werden können. Hierauf eine Antwort zu geben ist alles andere als einfach, da sich der Begriff des Messianismus selbst als höchst umstritten erweist.
1.
Allgemeines zum Messianismus und neuere Forschungstendenzen
Wer sich mit diesem Forschungsbereich befasst (wobei wir uns lediglich auf die Bibelforschung und nicht im weiteren Sinne auf die Messiaserwartungen beziehen, die für den Glauben Israels bis heute relevant sind), wird feststellen, dass die Situation recht ungewöhnlich ist: Für die Exegeten des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des vergangenen Jh. war der Messianismus ein hochinteressantes Thema.2 In der daran anschließenden Periode war das Interesse eher gering, um dann in den 1980er Jahren allmählich und in den Untersuchungen nach der Jahrtausendwende geradezu explosionsartig wieder zuzunehmen. Dabei wird jedoch in den neueren Forschungsarbeiten völlig anders über den Messianismus gesprochen als in früheren Publikationen. 1 2
So die Einteilung des TeNaK. Die Arbeiten von Briggs und Mowinckel sind auf diesem Gebiet nach wie vor wegweisend: Charles A. Briggs, Messianic Prophecy: The Prediction of the Fulfilment of Redemption through the Messiah: A critical study of the messianic passages of the Old Testament in the order of their development (Edinburgh: T&T Clark, 1886); Sigmund Mowinckel, He that Cometh: The Messiah Concept in the Old Testament and Later Judaism (The Biblical Resource Series; Grand Rapids: Eerdmans, 2005; englische Übersetzung des 1951 erschienenen Originals).
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Die heutige Forschung verfolgt, wenn man so will, drei Richtungen: 1. die Beschäftigung mit dem innerjüdischen Messianismus im weiteren Sinne unter besonderer Berücksichtigung der Epoche, die als mittleres Judentum definiert wird;3 2. die Erforschung des Zusammenhangs zwischen Messianismus und Königsideologie in der Hebräischen Bibel;4 3. die vertiefende Untersuchung der Unterschiede zwischen dem hebräischen Text und der griechischen Version der Septuaginta mit ihrer ausdrücklicheren Thematisierung der messianischen Erwartung.5 Innerhalb dieser Forschungen begegnet man außerdem der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der historischen Entwicklung des Messianismus, die man sowohl in den biblischen Texten als auch in der Literatur der jeweiligen Epoche nachzuzeichnen versucht.6 Schließlich finden sich angesichts der Tatsache, dass die Vorstellung des Messianismus allgemein in Misskredit geraten ist,7 zuweilen Bestrebungen, die insgesamt messianische Prägung des AT zu „verteidigen“.8 Parallel dazu gibt es Arbeiten, in denen es darum geht, den Begriff des Messianismus schärfer zu fassen. Zusammenfassend kann man sagen, dass zwei Auffassungen einander gegenüberstehen: –– eine, die die Messiasgestalt mit im Wesentlichen eschatologisch gedeuteten Erwartungen der Wiederherstellung des Hauses David in Zusammenhang bringt und mithin die Verbindung zum Königtum sowie ein spätes Aufkommen der Messiasvorstellung hervorhebt;9 3
Vgl. z. B. Paolo Collini, Indice concettuale del Medio Giudaismo 3: Messianismo (Magnano: Qiqajon, 2009), 3. 4 Vgl. z. B. die Arbeit von Adela Y. Collins und John J. Collins, King and Messiah as Son of God: Divine, Human, and Angelic Messianic Figures in Biblical and Related Literature (Grand Rapids: Eerdmans, 2008). 5 Wichtige Untersuchungen zu diesem Thema sind etwa die von Johan Lust, Messianism and the Septuagint: Collected Essays (BETL 178; Leuven: Peeters, 2004); Rodrigo F. De Sousa, Eschatology and Messianism in LXX Isaiah 1–12 (LHBOTS 516; New York: T&T Clark, 2010); Abi T. Ngunga, Messianism in the Old Greek of Isaiah: An Intertextual Analysis (FRLANT 245; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2013). 6 Antti J. Laato, A Star Is Rising: The Historical Development of the Old Testament Royal Ideology and the Rise of the Jewish Messianic Expectations (International Studies in Formative Christianity and Judaism 5; Atlanta: Scholars Press, 1997). 7 Vgl. zu dieser Debatte Enzo Cortese, „Come sbloccare l’attuale esegesi messianica“, in Il tempo della fine: Messianismo ed escatologia nel messaggio profetico (hg. v. dems.; SBFA 76; Jerusalem: Franciscan Printing Press, 2010), 53–64. 8 Vgl. Michael Rydelnik, The Messianic Hope: Is the Hebrew Bible Really Messianic? (New American Commentary Studies in Bible & Theology; Nashville: B&H Academic Press, 2010). 9 Vgl. z. B. Randall Heskett, Messianism within the Scriptural Scroll of Isaiah (LHBOTS 456; New York: T&T Clark, 2007), 3: „Our definition of a Messiah re-
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–– und eine zweite, die den Messianismus nicht zwingend im Zusammenhang mit der Monarchie und der nachexilischen Zeit, sondern im weiteren Sinne begreift.10 Aus alledem geht hervor, dass die Frage nach den verschiedenen Ausprägungen der Messiaserwartung auch innerhalb des Judentums gestellt wird und mithin nicht auf das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum beschränkt werden kann.11 Wenngleich es mühsam ist, sich durch dieses Dickicht aus Meinungen, Blickwinkeln und einander überlagernden Problemfeldern hindurch zu kämpfen, bedarf es einer möglichst genauen Definition des Messiasbegriffs, die gleichzeitig weit genug sein muss, um eine Vielfalt von Erscheinungsformen und Phänomenen zu umfassen. Unter den jüngeren Autoren scheint der Ansatz von Ngunga in die richtige Richtung zu weisen, der im Rückgriff auf frühere Arbeiten den Begriff auf eine individuelle Gestalt mit einer substantiellen Sendung bezieht, die eine neue Zeit der Erlösung anbrechen lässt.12
2.
Messianische Texte – wie viele und welche?
Nach dieser ersten Arbeitsdefinition des Begriffs Messianismus ist zu bestimmen, welche Texte als messianisch bezeichnet werden können, um sodann der Frage nachzugehen, ob Weibliches in ihnen eine Rolle spielt oder nicht. Zu diesem Zweck seien zunächst sämtliche Texte aus den oben genannten Prophetenbüchern zusammengestellt, die von mehr als einer Forscherin / einem Forscher für messianisch erachtet worden sind. Diese Texte sind jedoch, wie wir zu unserer Überraschung feststellen mussten, viel zahlreicher als erwartet.13 Das erklärt die oft postulierte Notwendigkeit, die Auswahl der Texte
10
11 12 13
quires that a person or persons offer a solution in extraordinary way to activate and restore within this world the promise made to David after the monarchy has ended“. Barton hat das Grundproblem präzise umrissen: Einige Definitionen sind allzu eng und deshalb eingrenzend, während andere zu weit gefasst (d. h. auf jede reale oder einfach nur erwartete Führungsgestalt bezogen) und damit für die Forschung unbrauchbar sind; vgl. John Barton, „The Messiah in the Old Testament Theology“, in King and Messiah in Israel and the Ancient Near East: Proceedings of the Oxford Old Testament Seminar (hg. v. John Day; JSOTSup 270; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1998), 365–379. Vgl. Jacob Neusner, Hg., Judaisms and their Messiahs at the Turn of the Christian Era (Cambridge: University Press, 1987); John J. Collins, The Scepter and the Star: Messianism in Light of the Dead Sea Scrolls (Grand Rapids: Eerdmans, 22010). Ngunga, Messianism in the Old Greek of Isaiah, 17. Jes 4,2; 7,10–17; 8,8–10; 8,23–9,6; 11,1–10; 16,4b–5; 32,1–8; 41,8–13; 42,1–9; 49,1–13; 50,4–11; 52,13−53,12; 55,3–5; 61,1–3; Jer 17,19–27; 22,1–5; 23,1–4; 30,8–11; 30,18– 22; 33,14–26; Ez 17,22–24; 34,1–34; 37,15–28; 40–48; Hos 2,1–3; 3,4f.; Am 9,11–15;
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anhand bestimmter Kriterien weiter einzugrenzen. Aber auch eine solche Herangehensweise kann zu extremen Positionen führen.14 Nachdem wir uns einen groben Überblick über die Forschungsgeschichte verschafft und die erzielten Resultate ausgewertet haben, kann auf der Grundlage der oben zitierten Arbeitsdefinition eine eigene Textauswahl getroffen werden: Jes 7,10–17; 8,23–9,6; 11,1–10; 32,1–8; 42,1–9; 49,1–13; 50,4–11; 52,13−53,12; 61,1–3; Jer 23,1–4; 33,14–26; Ez 34,23–25; 37,15–28; Am 9,11–15; Mi 2,12f.; 5,1–5; Sach 2,14f.; 9,9f.; 12,9–14; 13,7–9.15
3.
Messianismus und das Weibliche
Nachdem die Auswahl der zu untersuchenden Texte feststeht, kann die Suche nach dem Weiblichen beginnen. Doch auch dieser Schritt erweist sich als komplex: Die Präsenz des Weiblichen verbirgt sich zwischen den Zeilen und ist nicht auf Anhieb zu erkennen, denn der Messias wird als männlich gedacht. Gleichwohl steht nach eingehender Untersuchung der biblischen Stellen fest, dass das Weibliche in quantitativer wie qualitativer Hinsicht präsenter ist, als es auf den ersten Blick scheint. Streng quantitativ gesehen ergibt sich, dass in nicht weniger als 6 von insgesamt 20 Texten ein irgendwie gearteter Hinweis auf Weibliches zu finden ist.16 Qualitativ gesehen tritt dieses an zwei in höchstem Maße bedeutsamen „Orten“ in Erscheinung, die angemessen berücksichtigt werden müssen, nämlich die Herkunft und die Bestimmung: die Herkunft, weil die messianischen Gestalten immer von einer Frau herkommen; die Bestimmung, weil sich der Messias, wenn er seiner Sendung nachkommt, an jemanden wendet, der weiblich gedacht wird. Das Weibliche ist also der Ort des „Anfangs“ und des „Ziels“ der Aufgabe, die zu erfüllen der Messias gekommen ist. Dies lässt sich mithilfe einer genauen Lektüre der betreffenden Stellen beweisen. Das erste Element ist vermutlich das bekann-
Mi 2,12f.; 5,1–5; Hag 2,20–23; Sach 2,14f.; 3,1–10; 6,9–15; 9,9f.; 11,4–14; 12,9–14; 13,7–9. 14 Joseph A. Fitzmyer, The One Who Is to Come (Grand Rapids: Eerdmans, 2007), beispielsweise kommt zu einem Ergebnis, das jedwede Forschung über den Messianismus in der Schriftprophetie ausschließt: Er hält keine der untersuchten Stellen für messianisch. Die einzige „überlebende“ Stelle, nämlich Dan 9,24–27, kann nach jüdischer Überlieferung nicht den Hinteren Propheten zugerechnet werden. 15 Einige Texte können unserer Meinung nach mit relativ großer, andere (die kursiv gesetzten) mit nicht so großer Sicherheit als messianisch betrachtet werden. 16 Jes 7,1–10; 49,1–13; Mi 5,1–5; Sach 2,14f.; 9,9f.; 12,9–13. Jes 32,1–8 verdient eine gesonderte Behandlung, worauf wir noch zurückkommen werden.
Zur Bedeutung von Frauen in den messianischen Texten
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tere, aber ich denke, dass es selten in der ganzen Tragweite seiner Bedeutung betrachtet wird: Der Messias kommt von einer Frau.
3.1
Von einer Frau
Beginnen wir mit einer einfachen Feststellung: Es wäre den Autoren ein Leichtes gewesen, jedweden Hinweis auf die Mutter des Messias, auf seine Empfängnis und seine Geburt zu vermeiden. Dass sie das nicht taten, ist auffällig, zumal die Genealogie in Alt-Israel am Vater festgemacht wird. Doch in verschiedenen Texten ist ausdrücklich von der Beziehung zwischen „dem, der da kommt“ oder gesandt wird, um eine besondere Mission zu erfüllen, und der Mutter, dem Schoß der Frau die Rede, aus der die betreffende Messiasgestalt hervorgeht. Dies ist kein isoliertes Phänomen, das man also für zufällig halten könnte, sondern kehrt in mindestens zwei Texten wieder, denen eine stark messianische Prägung zugeschrieben wird: Jes 7,10–17 und 49,1–6. Es handelt sich um zwei sehr unterschiedliche Perikopen, die in der Forschung oft behandelt worden sind. Wir wollen sie daher nicht im Einzelnen analysieren, sondern uns auf einige Anmerkungen beschränken, die unsere Fragestellung betreffen.
3.1.1 Jes 7,10–17 Jes 7 ist sicherlich der kompliziertere und faszinierendere der beiden Fälle. Die Identität der jungen Frau und ihres Kindes sowie die textlichen Probleme, die V. 14 betreffen, und die neutestamentliche Verwendung dieses Texts (Mt 1,23) bilden den Ausgangspunkt zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten.17 Hier soll nur auf die textliche Frage eingegangen werden, die den Akt der Namensgebung betrifft. Während nämlich klar ist, dass das Empfangen und Gebären nur durch die Frau geschehen kann und dass, falls das Verb auf einen Mann bezogen ist, dies ironisch oder metaphorisch zu verstehen ist,18 ist die Namensgebung ein Akt, der innerhalb der biblischen Tradition sowohl dem Vater als auch der Mutter zukommt. In der Übersetzung der Septuaginta wird 17 Eine Untersuchung des Texts unter messianischen Gesichtspunkten bietet Antti J. Laato, Who is Immanuel? The Rise and the Foundering of Isaiah’s Messianic Expectations (Åbo: Åbo Academy Press, 1988), 117–163. 18 So etwa beim Protest des Mose in Num 11,12 oder in Jes 26,17f., wo ein „wir“, welches für das Volk steht, mit einer Frau verglichen wird, die in Geburtswehen liegt: Der Schmerz ist ähnlich, nicht aber der Ausgang. In Jes 33,11, wo ebenfalls das Bild einer fruchtlosen Geburt Verwendung findet, ist das in 2. Pers. Pl. angesprochene Subjekt männlich.
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die Aufgabe Ahas zugewiesen (καὶ καλέσεις, „du wirst nennen“).19 Anders im MT, wo die Frau, die empfängt und gebiert, auch diejenige ist, die ihrem Kind den Namen gibt.20 Wieder anders ist die Lage in 1QJesa: Dort heißt es וקרא, mithin ist Gott ֲ das einzige vorangehende maskuline Subdas Subjekt der Handlung, da אד ֹנָ י stantiv ist.21 In diesem Fall scheint die hebräische Überlieferung Ahas gezielt von einer solchen Aufgabe ausgeschlossen und diese entweder Gott selbst (Qumran) oder der Mutter (MT und Codex Aleppo) zugeschrieben zu haben. Grund hierfür war vermutlich die erzählte Unfähigkeit dieses Königs, der außerstande war, seine Beziehung zu Gott treu zu leben, und der deshalb seiner königlichen und väterlichen Vorrechte beraubt wird. In der Tat betont der MT hier die Rolle der Frau, indem er die ַע ְל ָמהmit den Frauen aus den Anfängen der Geschichte Israels in Verbindung bringt. Vor allem die Matriarchinnen Lea und Rahel geben ihren Kindern sprechende Namen, als sie darum kämpfen, Jakob Söhne zu schenken.22 In Jes 7,14 haben wir es ebenfalls mit einem Namen zu tun, der den Sinn der Geschichte deutet und zeigt, wie unangemessen die Furcht ist, die König Ahas beherrscht. Also übernimmt es die junge Frau, dem Messias seinen Namen zu geben23 – einen Namen, der seine Sendung aufschlüsselt und ihn als greifbares Zeichen der Gegenwart JHWHs inmitten seines Volkes definiert. Ihre Stimme ist es, derer Gott sich bedient, um ihr seine Identität zu offenbaren und Israel zu sagen, wie es sich zu ihm stellen soll. Ihre weibliche Stimme ist es, 19 Die Septuaginta deutet also an, dass Ahas der Vater des Kindes ist, was nirgends explizit gesagt wird. In der Erzählung von der Geburt Jesu Mt 1,24 hat Josef die Ehre, dem Kind einen Namen zu geben, während Lk 1,31 diese Aufgabe der Mutter zuweist. 20 So auch der Aleppo-Kodex; vgl. Moshe H. Goshen-Gottstein, The Book of Isaiah (3 Bde; The Hebrew University Bible Project; Jerusalem: Magnes Press, 1975–1993). Natürlich kann man die Endung -t als männliche 2. Pers. Sg. deuten und die Auffassung vertreten, dass die Septuaginta die Bedeutung des Texts am besten wiedergibt; die Vokalisierung allerdings weist nicht in diese Richtung; vgl. Otto Kaiser, Das Buch des Propheten Jesaja: Kapitel 1–12 (ATD 17; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 51981), 150.152f.158.166. 21 Vgl. Eugene C. Ulrich, Hg., The Biblical Qumran Scrolls: Transcriptions and Textual Variants (3 Bde; VTSup 134; Leiden: Brill, 2013), 2:343. 22 Vgl. Gen 29–30.35. Andere Frauen, die ihren Söhnen Namen geben, sind: Eva (Gen 4,25); die beiden Töchter Lots (Gen 19,37f.); eine der Frauen Judas (Gen 38,4f.); die Tochter des Pharao, die Mose den Namen gibt (Ex 2,10), deren Situation allerdings einen Sonderfall darstellt (sie ist keine Jüdin und es gibt keinen Vater, an den man sich wenden könnte); Simsons Mutter (Ri 13,24); Hanna dem Samuel (1 Sam 1,20); Elis sterbende Schwiegertochter (1 Sam 4,21). Zu den Geburtserzählungen vgl. Timothy D. Finlay, The Birth Report Genre in the Hebrew Bible (FAT 2/12; Tübingen: Mohr Siebeck, 2005); Irmtraud Fischer, Die Erzeltern Israels: Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12–36 (BZAW 222; Berlin: de Gruyter, 1994). 23 Ich verwende den Begriff ohne Anführungszeichen und nähere Spezifizierungen, aber in dem Bewusstsein, dass es andere mögliche Deutungen gibt.
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die – im Gegensatz zum Schweigen des Königs – das Vertrauen in JHWH bekräftigt, der handelt und Israel nicht im Stich lässt. Folglich besteht in diesem Text eine tiefe Verbindung zwischen dem Messias und der Frau, die ihn nicht nur gebiert, sondern ihm gegenüber eine entscheidende Aufgabe erfüllt: Sie gibt ihm seinen Namen, das heißt, sie sagt ihm, wer er ist.
3.1.2 Jes 49,1–6 Im zweiten Lied vom Gottesknecht wird uns eine ganz andere Messiasgestalt vor Augen geführt: ein erwachsener Mann, der mit einem Verkündigungsauftrag zu allen Völkern gesandt ist.24 Gleichwohl wird, als der Gottesknecht vorgestellt wird, auf seine Herkunft Bezug genommen und dabei mit besonderem Nachdruck auf seinen Ursprung „im Mutterleib“ verwiesen (zweimal in V. 1 und einmal in V. 5). Zudem wird in V. 1 auch die Mutter explizit erִמ ִמ ִ ). wähnt (עיִאמי ש ִמיsich ְ כירselber ִ ְ ִמי ִהזsagt, מעי ִאist: ְ יְ הוָ ה ִמבטן ְק ָר ָאנִ י ִמ Das Erste, was der Gottesknecht von ִמ ְמעי ִא ִמי ִהזְ ִכיר ְש ִמי. יEr ִ ָאנspricht בטן ְק ָרvon ה ִמeinem ָ יְ הוanderen (JHWH), der ihn berufen und ihm sodann einen Namen gegeben hat. Die Nennung des Namens wird hier direkt Gott zugeschrieben: Was in Jes 7 der Mutter zugeschrieben wird (MT), tut nun (wie in 1QJesa) Gott selbst; in Anbetracht der evozierten Bildlichkeit wäre es höchst plausibel, die Rolle, die er damit übernimmt, als väterlich zu beschreiben. Damit wird allerdings eine denkbar enge Zusammenarbeit zwischen Gott und der Frau sichtbar: Er beruft, indem er den Namen ausspricht, und nimmt dabei den Weg über ihren Körper. Dieser Moment, da die Identität und Sendung des Gottesknechts definiert werden, setzt sowohl Gott als auch die Frau in Szene. Die Frau wird mithin als Ort aufgefasst, an dem Gott handelt: In ihr erklingt die Stimme JHWHs, der ruft und des Namens des Knechts „gedenkt“. Der Mutterleib wird damit zum Raum nicht nur der staunenerregenden Entstehung seines physischen Lebens, sondern auch der noch wunderbareren Begegnung mit einer Stimme, die seine Identität bestimmt. Wieder einmal haben wir es mit einer „unnötigen“ Information zu tun: Man hätte es vermeiden können, von ihr zu sprechen, man hätte die Berufung 24 Wenn ich die Lieder vom Gottesknecht als messianische Texte behandle, folge ich der christlichen Tradition. Gleichwohl halte ich die Behauptung für übertrieben, die jüdische Tradition hätte sie niemals als messianisch betrachtet und es gebe keinen Raum für eine derartige Lesart. Ich denke eher, dass sie einen anderen Blickwinkel einnimmt. Vgl. z. B. Antti J. Laato, Who Is the Servant of the Lord? Jewish and Christian Interpretations on Isaiah 53 from Antiquity to the Middle Ages (Studies in Rewritten Bible 4; Turku: Åbo Akademi University Press, 2012), 280; Joel E. Rembaum, „The development of a Jewish Exegetical Tradition Regarding Isaiah 53“, HTR 75 (1982): 289–311. Der Verfasser zeigt z. B. 291–293, dass das rabbinische Judentum diesen Text als messianisch betrachtet und erst seit dem Mittelalter eine andere Interpretation entwickelt hat.
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des Propheten und Gottesknechts nach seiner Geburt stattfinden lassen können. Doch der Verfasser entscheidet, das Element „Mutter–Mutterleib“ hervorzuheben, um deutlich zu machen, dass diese Berufung über allem anderen steht: eine Berufung nicht im Moment der Geburt, sondern schon vorher, nicht als der Gottesknecht das Licht der Welt erblickt, sondern als noch alles finster ist. Die Berührungspunkte zwischen diesem Text und Jer 1,5 liegen auf der Hand: Auch dort wird der Prophet in einem Moment absoluter Vorzeitigkeit erwählt. Wenn damit einerseits eine Zugehörigkeit zu Gott ausgesagt ist, die nicht radikaler gedacht sein könnte, muss andererseits doch auch betont werden, dass gerade die Frau die einzige andere Akteurin ist, die eine lebenswichtige Beziehung zu dem unterhält, der da geboren werden soll. Der Mutterleib bekommt dadurch eine ganz besondere Bedeutung, weil Gott selbst darin „formt“ (יצר, V. 5) und schon dort den Sendungsauftrag erteilt. Doch auch die symbolische Dimension ist hochinteressant: Der Mutterleib ist ein „unerreichbarer“, verschlossener, geheimer und zugleich notwendigerweise offener Ort, der (sowohl um die Empfängnis als auch um die Geburt zu ermöglichen) mit der Außenwelt verbunden ist. Und genau hier wird die Mission und Identität definiert: im Inneren dieser doppelten Matrix aus Wille und Wort Gottes und dem Geschenk des Fleisches der Mutter. In diesem Licht erscheint es bedeutsam, dass Gott den Gottesknecht in Fortführung der Bildlichkeit aus V. 1 Erfahrungen machen lässt, die deutliche Anklänge an den Mutterleib aufweisen: In V. 2 nämlich wird er im Zuge der weiteren Vorbereitung auf seine Aufgabe im Schatten der Hand Gottes verborgen und in seinem Köcher verwahrt, um sodann (wie ein Schwert oder ein Pfeil) in seine Sendung gestoßen oder geschossen zu werden. JHWH selbst wird also zu einer Art „Mutterleib“ für seinen Knecht und nimmt Merkmale an, die deutlich an die einer Mutter erinnern. Dieser Prozess der Gleichsetzung von Gott und Mutter setzt sich überdies in der unmittelbar darauffolgenden literarischen Einheit fort, die durch ein enges Kontinuitätsverhältnis mit dem Lied vom Gottesknecht verbunden ist. Als nämlich Jesaja sagt, dass Gott den Namen seines Knechtes „nennt“, gebraucht er eine Wendung, die er mit dem Hif. des Verbs זכרkonstruiert. Doch die Frage nach Gedenken oder Vergessen, die in V. 1 flüchtig berührt wird, erfährt sodann in 49,14–26, wo sich die Aufmerksamkeit auf Jerusalem verlagert, eine bedeutsame Entwicklung. Zion klagt, dass JHWH sie verlassen und vergessen habe (Verben עזבund )ׁשכח, erhält jedoch als Antwort auf ihre Klage die Zusicherung eines ewigen und unauslöschlichen Gedenkens. Bezeichnenderweise erfolgt diese Zusicherung über den Vergleich zwischen Gott und der Gestalt einer Mutter: Während Gott in 49,1.5 noch einem Vater ähnelt, der im Leib der Frau agiert, den Sohn beim Namen ruft und, indem er ihn auf seine Sendung vorbereitet, mütterliche Züge annimmt, wird er nun, in 49,14f., ganz und gar mit jenen Müttern gleichgesetzt, die nicht anders kön-
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nen, als sich ihrer Kinder zu erbarmen (wieder erscheint das Substantiv ֶּב ֶּטן, „Mutterleib“, V. 15), und die sie schwerlich jemals vergessen werden.25
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Mi 5,1–5: ein Sonderfall
ֵ ). Wie Jes 7,14 nimmt auch der Text in Mi 5,2 Bezug auf eine Gebärende (יֹול ָדה Hier ist das Geschehen weit weniger entwickelt und die Rolle der Frau weniger ausgeführt. Das entscheidende Element ist jedoch auch hier die Zeit: Der Augenblick, den Gott für den Erweis seiner Gunst und für sein Eingreifen wählt, ist mit einer Geburt verbunden. Das Ende der Unterdrückung und des Verbleibs in den Händen der Feinde wird an der Niederkunft dieser namenlosen Frau festgemacht. Der Zeitpunkt wird nicht näher bestimmt (wir wissen nicht, ob die Frau bereits schwanger ist, es bis zum Ende der Unterdrückung also womöglich nur noch wenige Monate dauert, oder nicht), aber wir erfahren, dass das Heil mit Betlehem und mit einer Geburt zu tun hat. Das Bild der Geburt wird außerdem im Zusammenhang mit drei Vorstellungen verwendet: 1. es verweist auf eine Übergangszeit des Leidens; 2. es verweist auf das Verstreichen einer Frist: Das Kind kann nicht immer im Mutterleib bleiben, sondern muss geboren werden; 3. es verweist auf etwas Neues: Ein „neuer“ Mensch wird geboren und kann eben deshalb das Neue mit sich bringen, das Gott in der Geschichte seines Volkes anbrechen lassen will. Aus all diesen Gründen scheint das Bild der Geburt geeignet, das Ende einer Krisenzeit und den Beginn von etwas Neuem anzuzeigen, dessen genaue Umrisse noch nicht klar vorherzusehen sind.26 Wenn wir fragen, wer die Gebärende ist und ob hier (wie in Jes 7) von der Mutter eines Kindes die Rede ist, das bald zur Welt kommen wird, muss auf die textlichen Anklänge im Buch selbst hingewiesen werden, die die Frau deutlich mit Zion identifizieren.27 Die Gründe, die dafür sprechen, sind zahlreich: –– sowohl die Eröffnung des Abschnitts in 4,8 als auch 5,1 beginnen mit ֹ;וְ ַא ָּתה 25 Zu Gott als (stillende) Mutter in diesem Text vgl. Hanne Løland, Silent or Salient Gender? The Interpretation of Gendered God-Language in the Hebrew Bible, Exemplified in Isaiah 42, 46 and 49 (FAT 2/32; Tübingen: Mohr Siebeck, 2008), 161–192. 26 Vgl. Claudia D. Bergmann, Childbirth as a Metaphor for Crisis: Evidence from the Ancient Near East, the Hebrew Bible, and 1QH XI, 1–18 (BZAW 328; Berlin: de Gruyter, 2008). 27 So auch die Lesart von Francis I. Andersen und David Noel Freedman, Micah: A New Translation with Introduction and Commentary (AB 24E; New York: Doubleday, 2000), 469f.; Daniel L. Smith-Christopher, Micah: A Commentary (OTL; Louisville: Westminster Knox Press, 2015), 167.
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–– es folgt der Name des jeweils angesprochenen Ortes: in 4,8 Jerusalem, ֵ מ ִג ַּד ִ belegt wird, und in das mit der ungewöhnlichen Bezeichnung ל־ע ֶדר 5,1 Betlehem; ֵ die Rede) schließt unmittelbar –– das Bild der Geburt (es ist von der יֹול ָדה daran an: 4,9f. und 5,2; –– in beiden Texten wird unter Verwendung der Wurzel מׁשלauf jemanden hingewiesen, der die Herrschaft ausüben wird; 4,8 spricht von der Rückkehr der ֶמ ְמ ָׁש ָׁלהnach Jerusalem, 5,1 von der Ankunft des מֹו ֵׁשלaus Betlehem. Wir gelangen also, wenn wir die beiden hintereinander angeordneten Texte nebeneinander lesen, zu einer etwas anderen Interpretation als der, die besagt, dass in 5,2 von einer realen Frau und der Geburt ihres Sohnes die Rede sei.28 Im ersten Text nämlich ist es eindeutig Jerusalem, das die Geburtswehen durchleidet und sich folglich darauf vorbereitet, ins Exil zu gehen. Im zweiten Text heißt es, dass ein neuer Herrscher aus Betlehem kommen wird. Zuvor aber und bis die Frau geboren hat, werden die Söhne Israels in der Macht eines anderen (der Herrschaft ihrer Feinde unterworfen) sein. Die einzige Frau im Text, die gebären soll, ist also Jerusalem,29 das die Zeit der Prüfung durchlebt und somit überwindet. Der Messias kommt folglich nicht, um eine Leidenszeit zu beenden, sondern um das Ende einer Leidenszeit zu bekräftigen. Er kommt nach der Rückkehr der Söhne Israels, um seine Herrschaft anzutreten, und er kommt nach der Geburt und dem anschließend von Gott selbst gewirkten Heil, um den Frieden wiederherzustellen. Bezeichnenderweise waren Jerusalems Geburtsschmerzen dadurch bedingt gewesen, dass es an Regierenden fehlte, die ihrer Aufgabe gewachsen waren (4,9): Der neue Herrscher kommt, um zu verhindern, dass sich diese Schmerzen wiederholen. Wenn diese Interpretation korrekt ist, dann wäre die Gebärende nicht, wie es auf den ersten Blick scheinen mag,30 die Frau, aus der der Messias hervorgeht, sondern Zion, also die, um derentwillen der Messias kommt! Das Buch Sacharja verfolgt darin eine ähnliche Linie.
28 Schon James L. Mays, Micah: A Commentary (OTL; London: SCM Press, 21980), 116f., weist in diese Richtung: „The ‚birth‘ is the end of that term of ‚labour‘ when all the remaining dispersion return to Israel“. 29 Die Gleichsetzung mit Betlehem lässt der MT nicht zu, der dem Ort maskuline Pronomen zuweist. 30 Er kommt aus Betlehem, doch das Bild der Geburt wird im Zusammenhang mit dieser Stadt nicht verwendet.
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Für eine Frau: Sach 9,9f.
Der Befund, dass mehrere Texte die weibliche Herkunft des Messias erwähnen, scheint – wenn auch unseres Erachtens noch nicht in seiner ganzen Tragweite erkannt – hinreichend klar zu sein. Weniger selbstverständlich ist dagegen die Tatsache, dass auch der Adressat des messianischen Handelns zuweilen als weibliches Subjekt gedacht wird. In Mi 5,2 muss, wie soeben aufgezeigt, der Kontext berücksichtigt werden. Sach 2,14f. und 9,9f. sind dagegen explizit. Aus Platzgründen und weil der messianische Charakter von Sach 2,14f. kontrovers diskutiert wird, behandle ich hier nur Sach 9,9f. Den fraglichen Versen geht ein Schutzversprechen JHWHs und diesem wiederum die Beschreibung der Zerschlagung einer Reihe von feindlichen Städten voraus. Gott behütet also sein Volk, befreit es von seinen Feinden und hält Wache (9,1–8). Das Weibliche erscheint zum ersten Mal bereits in V. 2–5, wo sämtliche erwähnten Städte als feminine Subjekte behandelt werden.31 In dieser Hinsicht ist zweierlei zu berücksichtigen: erstens der grammatikalische Befund, dass das Substantiv ִעירweiblich ist, und zweitens die Tendenz, Städte metaphorisch als Frauen vorzustellen und ihnen in gewissem Sinne auch weibliche Rollen (Mutter, Frau oder Tochter) zuzuweisen.32 In V. 9 wird Jerusalem zu Jubel und Jauchzen aufgefordert. Der Text ist sehr schön nach dem typischen hebräischen Parallelismus aufgebaut: zwei Imperative (Fem. Sg.) und zwei mit „Tochter“ verbundene Toponyme, die auf die besagte Stadt bezogen sind.
3.3.1 Die Rolle der Tochter Zion Dadurch, dass die Stadt metaphorisch als Frau vorgestellt wird, kann sie, wie wir bereits gesagt haben, verschiedene Rollen übernehmen, und die Lesenden werden sogar aufgefordert herauszufinden, welche Rolle im jeweiligen Fall die passendste ist. Hier erscheint Zion als eine junge Frau. Meyers und Meyers vertreten die Auffassung, das Wort „Tochter“ verweise auf eine unverheiratete, noch von
31 Von Gaza heißt es sogar, dass es in Geburtswehen liege, ebenso von Ekron (Verb )חיל. 32 Diesem Thema sind zahlreiche Untersuchungen gewidmet, von denen hier nur zwei neuere genannt seien: Christl M. Maier, Daughter Zion, Mother Zion: Gender, Space, and the Sacred in Ancient Israel (Minneapolis: Fortress Press, 2008); Dies., „Daughter Zion as Queen and the Iconography of the Female City“, in Images and Prophecy in the Eastern Mediterranean (hg. v. Martti Nissinen und Charles Carter; FRLANT 233; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009), 147–162.
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ihren Eltern und insbesondere vom Vater abhängige Frau.33 Unserer Meinung nach lässt sich diese Konnotation jedoch schwerlich aufrechterhalten, zumal JHWH hier (anders als die genannten Autoren postulieren) keine väterliche Aufgabe zu erfüllen scheint und auch dem König, der gleich darauf auftritt, keine derartige Aufgabe zugewiesen wird. Das Bild wird mit der Ankündigung der Ankunft eines Königs, „deines Königs“, fortgesetzt, der direkt zu ihr kommt. Es findet also eine Begegnung zwischen einer jungen Frau und ihrem Souverän statt. Verschiedene Hinweise sprechen dafür, dass das Bild bräutlichen Charakter hat. Die Texte, die dem hier untersuchten am meisten ähneln, sind Jes 49,18 und 60,4f., wo es heißt, dass die Völker nach Jerusalem strömen. Auch hier wird das Verb בואverwendet, gefolgt von לְָך, und die Stadt wird als Frau personifiziert: In beiden Fällen ist sie Braut und Mutter.34 Dennoch erlauben die Bilder keine zweifelsfreie Definition der Beziehungen, die zwischen den Personen geknüpft werden. Ja es scheint geradezu, als sollten die Lesenden durch ein Überangebot von Möglichkeiten in die Irre geführt werden. Jes 49 ist besonders komplex. Zunächst nämlich übernimmt JHWH der Stadt gegenüber eine mütterliche Rolle (V. 14–16); dann schmückt sie sich wie eine Braut – es wird aber nicht gesagt, wessen Braut – mit denen, die (aus dem Exil?) heimkehren. Schließlich wird erneut, diesmal jedoch auf das Verhältnis Jerusalems zu seinen Bewohnern bezogen, das Bild der Mutterschaft verwendet. Auch in Sach 9,9 ist die Situation komplex und beschreibt zumindest ein „Dreiecksverhältnis“: Jerusalem steht vor ihrem König, doch hinter den Kulissen ahnt man die Gegenwart JHWHs, der das Heil eben dieses Königs ְִ וְ ִהכְ ְרin Erscheinung tritt. Die wirkt und in V. 10 als das Subjekt des Verbs תי Literatur spricht von einer Doppelung und einer gewissen Überlagerung zwischen JHWH und dem Messias/König.35 Welche Rückschlüsse lassen diese kurzen Beobachtungen nun im Hinblick auf die Beziehungen zu, die zwischen den Personen hergestellt werden? Einerseits kann man den Text als Inthronisierungsritus lesen: Der König 33 Carol L. Meyers und Eric M. Meyers, Zechariah 9–14: A New Translation with Introduction and Commentary (AB 25C; New York: Doubleday, 1993), 121. Die Bedeutung des Ausdrucks diskutiert Michael H. Floyd, „Welcome Back, Daughter of Zion!“, CBQ 70 (2008): 484–504. ְת ְ ּוbelegen, in 34 In Jes 49,18 lässt sich dies vor allem an dem Ausdruck קּׁשרְיםְככ ָּלה 60,4f. ist von den Söhnen und Töchtern Jerusalems die Rede. Gleichzeitig hebt der Text die Zugehörigkeit der Stadt zu ihrem Herrn nachdrücklich hervor (V. 14) und deutet damit meines Erachtens eine bräutliche Beziehung zu JHWH an, auch wenn dies nicht explizit gesagt wird. 35 Terry Collins, „The Literary Contexts of Zechariah 9:9“, in The Book of Zechariah and its Influence (hg. v. Christopher M. Tuckett; Aldershot: Ashgate, 2003), 29–40; 37 zeigt, dass der erste Versteil in Sach 9,9 in die eine Richtung weist (prophetische Ankündigung der Ankunft des Herrn), während der zweite Versteil den Leser dadurch irritiert, dass er die Gestalt des demütigen Königs einführt.
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kommt, um die Herrschaft über seine Stadt anzutreten; andererseits wirkt die metaphorische Darstellung Jerusalems als einer von Freude erfüllten jungen Frau wie eine Anspielung auf eine königliche Hochzeit. In diesem Fall wäre Jerusalem hier (implizit) als Königin/Braut dargestellt (vgl. Jes 62,1–5). Auffällig ist außerdem die zweifache Aufforderung zum Jubel, der wir die zweifache Äußerung der Freude in Hld 1,4 gegenüberstellen könnten, wo die Protagonistin in der literarischen Fiktion des Hohelieds von König Salomo in seine Gemächer geführt wird.36 Ferner ist auf die zahlreichen Berührungspunkte zwischen Sach 9,9 und Ps 45 zu verweisen, der als königliches Hochzeitslied beschrieben worden ist: die Verwendung des Wortes „Tochter“ in der Anrede des Mädchens (V. 11); das Hingehen des einen zum anderen (V. 14f., in diesem Fall ist sie es, die ihn aufsucht); das wiederholt vorkommende Motiv ְׂ ש ְׂ ִּב, V. 16). der Freude (מחֹתְׂוגִּ יל Die Aufgabe von Zion/Jerusalem besteht in diesem Kontext allein darin, sich zu freuen; das ist das Einzige, das – überdies mit großem Nachdruck – von ihr verlangt wird! Dieser Befund ist deshalb interessant, weil er Sach 9,9f. in eine Reihe mit jenen prophetischen Texten stellt, in denen der vollständige Loskauf der Stadt/Frau vollzogen wird, für die dieselben Propheten doch an so vielen anderen Stellen nur Vorwürfe und Drohungen übrig haben. Jetzt besteht ihre Aufgabe in der freudigen Aufnahme dessen, der zu ihr kommt: Er erwählt sie, aber auch sie ist berufen, ihn zu erwählen.
3.3.2 „Siehe, dein König kommt zu dir!“ Grund der Freude ist die Ankunft des Königs, und das ist auch der Moment, um ihn und die Art seines Kommens zu charakterisieren. Die ersten beiden Adjektive, die zu seiner Beschreibung herangezogen werden, sind gerecht ( ) ַצ ִּדיקund gerettet (נֹושע ָׁ ְ)ו. Die Aufgabe, Gerechtigkeit zu üben, ist typisch für einen König und nicht weiter überraschend. Umstritten ist hingegen der zweite Begriff, der in der Regel emendiert oder aktiv übersetzt wird (wie in der Septuaginta) (σώζων, „siegreich“). Es ist denjenigen Kommentatoren zuzustimmen, die den MT ohne Veränderungen lesen37 und das Nifal als ein Zeichen des göttlichen Handelns an seinem Messias deuten:
ַ ה ִב ֱ in Hld 1,4 vgl. Ombretta Pettigiani, „Ermeneutica e grammatica: 36 Zum Verb יאנִ י il caso di Ct 1,4“, RivBib 66 (2018): 83–100. 37 Vgl. Meyers/Meyers, Zechariah 9–14, 126f.; Paul L. Redditt, Sacharja 9–14 (IEKAT; Stuttgart: Kohlhammer, 2014), 37.47; Mirko Montaguti, Costruire dialogando: Mt 21–27 e Zc 9–14 tra intertestualità e pragmatica (AnBib 218; Rom: Gregorian & Biblical Press, 2016), 97; Mark J. Boda, The Book of Zechariah (NICOT; Grand Rapids: Eerdmans, 2016), 566–568. David L. Petersen, Zechariah 9–14 and Malachi: A Commentary (OTL; Louisville: Westminster Knox Press, 1995), 55, übersetzt dagegen aktivisch und folgt darin der Septuaginta. Außerdem hält dieser Autor die Gestalt des Königs weder für messianisch noch für individuell, sondern für kollektiv.
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JHWH ist derjenige, der seinen Gesandten rettet, ihn behütet und die Welt durch sein Handeln lenkt. In diesem Sinne scheint es bedeutsam, dass der Messias, ehe er zum Mittler des Heils für andere wird, dieses Heil Gottes zuerst selbst erfährt. V. 9b erwähnt sodann das Reittier, den Esel, auf dem er erscheint und der ebenfalls zu unterschiedlichen Interpretationen Anlass gegeben hat: Einige meinen, auf einem Esel zu reiten sei typisch für einen König gewesen, andere heben die Diskrepanz zwischen dieser Entscheidung und der näherliegenden hervor, mit den Insignien der Macht und damit zu Pferde einzureiten.38 Uns scheint es – zumal im weiteren Verlauf (V. 10) vom Verschwinden der Wagen und Rosse die Rede ist – vernünftiger, an dieser Stelle auf das zu achten, was anders ist als erwartet. In V. 10 nämlich ändert sich unvermittelt das Subjekt und es erscheint eine 1. Pers. Sg., die nicht mit dem König identisch sein kann, von dem bislang in der 3. Pers. die Rede war. Die Kommentatoren gehen davon aus, dass JHWH selbst hier sein Handeln ankündigt und erklärt, er werde jedes Kriegsross und alle Arten von Waffen aus den Reichen Juda und Israel (die stellvertretend als Efraim und Jerusalem benannt werden) entfernen. Diese Lesart des Texts macht es möglich, die Synergie zwischen JHWH und seinem König in den Blickpunkt zu rücken, und zeigt, wie JHWH seinem Messias nach und nach immer mehr Aufgaben überträgt: ְ וְ ִה: JHWH beseitigt Streitwagen und Rosse; –– כ ַר ִתי –– וְנִ כר ָתה: der Kriegsbogen wird zerbrochen, aber es wird nicht gesagt, von wem; ָׁ ְוְ ִדב: der König/Messias verkündet den Völkern den Frieden; –– רְשלֹום –– abschließend heißt es, dass „seine (des Königs) Herrschaft“ sich unendlich ausdehnt. Wenn das der König ist, den Jerusalem empfängt, was können wir dann über sie aussagen? Klar ist, dass das Handeln des Messias im Wesentlichen als ein friedenbringendes Handeln gedacht und dass die Stadt/Frau der Ort ist, an dem dieser Friede in primis Wirklichkeit wird. Jerusalem ist also diejenige, die den Messias aufnimmt, die das Anbrechen seiner Friedenszeit erlebt und die zu einem Ort wird, von dem dieses Heil zu allen Nationen hin ausstrahlt! Wieder ist das Weibliche vor allem ein Ort der Öffnung und Aufnahme (ohne sie könnte der Messias seinen Plan nicht verwirklichen) und gleichzeitig die Mitte, von der aus seine Mission ihren Radius erweitert.
3.3.3 „Auch du …“ Damit ist der Text aber noch nicht abgeschlossen. Die folgende Einheit V. 11– 17 bezieht sich weiterhin auf ein weibliches Subjekt. Auch wenn über die Eingrenzung der Weissagung und ihre innere Struktur kein Konsens herrscht, 38 Vgl. hierzu die Anmerkungen in Boda, The Book of Zechariah, 569f.
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weisen die Autoren darauf hin, dass die durch die Verwendung des weiblichen Pronomens hergestellte Verbindung hier ausdrücklich gewollt ist.39 V. 11 fährt nämlich mit einem überdeutlichen „du“ im Fem. Sg. (ת ְּ ם־א ַּ ַּ )גfort und verbindet auch die nachfolgenden Substantive mit dem Suffix der weiblichen 2. Pers. Sg. Auf wen dieses „du“ bezogen ist, wird nicht spezifiziert, aber die einzige vernünftige Möglichkeit ist die, dass diese Anrede derselben weiblichen Person gilt, von der auch zuvor die Rede war, nämlich Zion/Jerusalem. Demnach ist die Konstruktion des Texts weiterhin prägnant auf die Stadt/ Frau bezogen: Die anfängliche Wendung bleibt einerseits in der Schwebe und wird andererseits noch verstärkt. Das Motiv „deines“ (Fem. Sg.) Bundes wird hervorgehoben, ohne nähere Angaben zu den Bundespartnern zu machen, wenngleich naheliegt, dass es sich um Zion und JHWH handelt. Zudem wird das Bild des Blutes eingeführt, das auf eine Reihe anderer Stellen verweist, die mit dem Bund in Zusammenhang stehen.40 Im Anschluss ist davon die Rede, dass Gott Gefangene befreit, und es folgt ein Aufruf zur Heimkehr in die Zitadelle.41 In V. 13 schließlich begegnet uns das Bild des Krieges: Juda, Efraim und Zion selbst sind die Waffen, die JHWH gegen seine Feinde einsetzen wird. Innerhalb des Texts bleibt eine gewisse Spannung bestehen: Einerseits wird Zion Freude verkündet, weil ihr König kommt und der Friede hergestellt wird; andererseits kommt dieser Friede nur zustande, wenn JHWH zuvor einen Krieg führt. Bei dieser Schlacht ist Zion nicht einfach nur Zuschauerin, sondern wird gemeinsam mit Juda und Efraim von JHWH als Waffe genommen, wobei ihr insbesondere – genau wie dem Mund des Gottesknechts – die Rolle eines „Schwertes“ zugedacht ist (Jes 49,2). Der Messias kommt also von einer Frau, und gleichzeitig richtet sich auch sein Wirken auf eine weibliche Figur, nämlich Zion: Um die Aufnahme des Messias bei seinem Volk zu beschreiben, ist offenbar eine Frauengestalt vonnöten. Wäre, so könnten wir fragen, eine männliche Gestalt nicht glaubwürdig genug gewesen? Fakt ist jedenfalls, dass die als „Frau“ gedachte Stadt ihn freudig aufnimmt. Fakt ist weiterhin – und das scheint recht merkwürdig –, dass nicht der König/Messias für sie kämpft, sondern sie in den Händen JHWHs, des Einzigen, der wirklich Krieg führt, zu einer machtvollen Waffe
39 Dies gilt jedoch nur für V. 11–13, die als Übergang dienen. 40 Insbesondere Ex 24 im Pentateuch und Ez 16 in den Prophetenbüchern. Meyers/Meyers, Zechariah 9–14, 140, weisen auf die Beziehung zwischen Sach 9,11 und Ez 16 hin und stützen sich dabei vor allem auf den Schlussteil der Perikope (Ez 16,61f.). Ich neige jedoch eher zu der Auffassung, dass mit dem nachdrücklichen Verweis auf das Blut ein Bezug zum Beginn der Geschichte Jerusalems in 16,6–9 hergestellt werden soll. 41 Hier wird ein Hapax verwendet, was eine Assonanz mit „Tochter Zion“ bildet, vgl. Boda, The Book of Zechariah, 580f.
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wird. Sollte die Frau, der sich der Messias zuwendet, auch eine kämpferische Seite haben? Allem Anschein nach ist dies nicht auszuschließen.42
3.4
Weitere Rollen des Weiblichen
Was weitere mögliche Rollen des Weiblichen in den messianischen Weissagungen betrifft, können zwei Texte, Jes 32,9–14 und Sach 12,9–13, angeführt werden; beide handeln von Frauen, die angesichts einer leidvollen Situation im Hinblick auf eine Gestalt mit messianischen Zügen Haltungen der Buße einnehmen müssen. Jes 32 besteht aus drei kleinen Einheiten: –– V. 1–8: ein König und Fürsten, die nach Recht und Gerechtigkeit regieren werden;43 –– V. 9–14: die Frauen, die aufgefordert werden, zu zittern, zuzuhören und sich an die Brust zu schlagen; –– V. 15–20: eine außergewöhnliche Ausgießung des Geistes und eine allgemeine Verwandlung des Landes von einer Wüste in einen Garten mit den typischen Merkmalen eines messianischen Zeitalters.44 V. 9–14, die im Zentrum stehen, fällen ein sehr negatives Urteil über die betreffenden Frauen: Sie sind stolz und zuversichtlich (wobei sich diese Zuversicht natürlich nicht auf Gott, sondern auf jemand anderen gründet). Zudem fällt auf, dass der Prophet sich ausschließlich an sie wendet. Sie sind es, die aufgefordert werden, seine Stimme zu hören und auf seine Rede zu horchen. Sie sind es, die dazu aufgerufen werden, die Zeichen der Trauer anzulegen, weil sie das Ausmaß des Schreckens, der das Land heimsuchen wird, schon im Vorhinein erkennen. Natürlich gibt es hier unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten. Man kann die Auffassung vertreten, dass die Männer nicht erwähnt werden, weil sie der Umkehr nicht bedürfen. Allerdings ist eine solche Hypothese schwerlich mit V. 6f. vereinbar, die von dummen und unredlichen Männern handeln und ihre Bosheiten im Einzelnen beschreiben. Mithin lässt sich der Aufruf an die Frauen auf die Rolle beziehen, die ihnen bei der bevorstehenden Veränderung zugedacht ist. Wenn die Anordnung der Abschnitte nicht zufällig ist, dann weist sie darauf hin, dass der Anhauch aus der Höhe nicht zuletzt dank der Buße der Frauen endlich das ganze Volk erreicht. Die hebräische Konjunktion ַעד, die die anschließende Einheit eröffnet (V. 15), weist darauf hin, dass ihre Haltung so lange andauern muss, „bis“ das verheißene Friedenszeitalter anbricht, und mithin so etwas wie eine notwendige Voraussetzung dieses Friedens ist. 42 Vgl. auch Mi 4,13f. 43 Das ist der Abschnitt, der als messianisch gilt; er muss allerdings im Zusammenhang mit dem Folgenden gelesen werden. 44 Zur Redaktionsgeschichte von Jes 32 vgl. Gary Stansell, „Isaiah 32: Creative Redaction in the Isaian Tradition“, SBLSP 22 (1983): 1–12.
Zur Bedeutung von Frauen in den messianischen Texten
321
Ähnliches gilt für Sach 12,9–13, wo die Haltung der Klage Jerusalem ָא ָ ס ְפדהָה ָ ְ)ו. Alle Familien Israels und das gesamte Land miteinschließt (רץ trauern über den Tod des „Durchbohrten“, doch die Rolle der Frauen wird (fünfmal) eigens erwähnt. Gewiss ist diese gesonderte Erwähnung der Frauen vor allem ein rhetorisches Mittel, um einen poetisch gut strukturierten Text zu erzeugen und konkret auf die typische Aufgabe der Klageweiber bei den Beisetzungsriten zu verweisen. Dennoch macht es nachdenklich, dass mit solchem Nachdruck auf die Rolle der Frauen verwiesen wird: Sind gerade die Frauen vielleicht besser imstande, dieses besondere Ereignis zu verstehen? Der Text sagt dergleichen nicht explizit, doch da er die weibliche Präsenz in dieser Weise betont, muss diese Frage zumindest gestellt werden.
4.
Schlussfolgerungen
Der Weg, den wir zurückgelegt haben, hat uns vor allem über die verschiedenen Vorstellungen des Messianismus in Forschungsgeschichte und zeitgenössischer Exegese nachdenken und eine Reihe von Texten identifizieren lassen, die nach aufmerksamer Prüfung als messianisch definiert werden konnten. Nach der Auswahl des biblischen Materials haben wir uns auf die Suche nach dem „Weiblichen“ gemacht und herausgefunden, dass weibliche Figuren nur scheinbar verborgen, in Wirklichkeit aber an Schlüsselstellen und strategischen Positionen in der Geschichte des besagten Messias durchaus sehr präsent sind. Zwei „Orte“ sind im Hinblick auf den Messias durch das Auftreten von Frauen gekennzeichnet: der Zeitpunkt seiner Entstehung (Jes 7; 49) und die Bestimmung seiner Sendung (Mi 5; Sach 9). Der Messias kann nur durch eine Frau zu seinem Volk kommen, und ihr, der Mutter, steht es zu, ihm einen Namen zu geben, seine Identität und seine Sendung zu benennen. Zudem ist die Sendung des Messias für das als Frau (Zion/Jerusalem) gedachte Volk bestimmt. Es handelt sich um eine Sendung der Befreiung und des Heils, eine Sendung des Friedens, die man mit der einzig adäquaten Reaktion beantworten muss: mit Freude. Bei alledem wird das weibliche Verhalten niemals als passiv angesehen; im Gegenteil, es wird immer wieder adäquat für das, was da geschieht, beschrieben. Den Frauen wird nämlich das nötige Feingefühl für die Ereignisse in der Geschichte Israels, die den Messias betreffen, zuerkannt: Entweder wird das Volk in seiner Gesamtheit (wie in Sach 9) als weibliche Figur repräsentiert, oder es wird dort, wo vom Volk die Rede ist, seine weibliche Komponente hervorgehoben (vor allem, wenn das geforderte Verhalten wie in Jes 32 und Sach 12 darin besteht, eine büßende Haltung und Schmerz zum Ausdruck zu bringen). Auch wenn also der Messias männlich gedacht ist, kann er nicht auf bedeutende weibliche Präsenzen verzichten. Und das geht ganz sicher alle an.
Die nie aufhörende Suche nach Gottes weiblicher Seite Weibliche Aspekte im Gottesbild der Prophetie Hanne Løland Levinson University of Minnesota
1.
Einleitung
Weibliche Aspekte im Gottesbild der Prophetie sind ein Thema, an dem ich lange Zeit gearbeitet habe und zu dem 2007 meine Dissertation und 2008 daraus mein erstes Buch entstanden sind.1 Aber das war vor zehn Jahren. Was habe ich heute zu diesem Thema zu sagen? Und vor allem: Gibt es dieser Diskussion etwas hinzuzufügen? In ihrer Studie Menstruation and Childbirth in the Bible schreibt Tarja S. Philip, dass die weiblichen Eigenschaften Gottes in der Forschung bereits besprochen worden seien.2 Offensichtlich hat sie Recht, denn weibliche Aspekte im Gottesbild sind seit den 1970ern nicht nur Gegenstand der Forschung an der Hebräischen Bibel, sondern auch Thema in der Religionswissenschaft und in theologischen Diskursen. Zudem wurde darüber in den Synagogen und Kirchen diskutiert. Das allein bedeutet allerdings nicht, dass die Diskussion erschöpft wäre. Ob es über die weibliche Seite Gottes noch mehr zu sagen gibt – oder nicht –, hängt meiner Meinung nach davon ab, ob wir dort angelangt sind, wohin wir uns auf den Weg gemacht haben, ob wir unsere Ziele erreicht haben.3 Meine These lautet, dass dem nicht so ist. Die Suche nach der weiblichen Seite Gottes hatte ein zweifaches Ziel: Dokumentation und Veränderung.4 Während wir gute Arbeit in Bezug 1 Hanne Løland, Silent or Salient Gender? The Interpretation of Gendered God-Language in the Hebrew Bible, Exemplified in Isaiah 42, 46 and 49 (FAT 2/32; Tübingen: Mohr Siebeck, 2008). Das Buch liegt diesem Artikel zugrunde, der die Diskussion seither reflektiert und die Veränderungen anzeigt. 2 „[T]he female features of God have already been discussed in research.“ Siehe Tarja S. Philip, Menstruation and Childbirth in the Bible: Fertility and Impurity (StBibLit 88; New York: Lang, 2006), 101. 3 Das „Wir“ ist hier eine lose Bezugnahme auf das Kollektiv der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die an der Suche nach der weiblichen Seite Gottes beteiligt waren und sind. 4 Nicht alle an der Thematik Forschenden haben eine Veränderung des Gottesbildes zum Ziel. Die Erneuerung der Rede von Gott ist aber ein zeitgenössisches theologisches Desiderat.
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auf die Dokumentation, also die Erforschung der biblischen Belege für ein weibliches Gottesbild geleistet haben, scheint sich hingegen der Wunsch nach Veränderung noch nicht erfüllt zu haben. Ich werde auf beide Behauptungen später zurückkommen, aber zuerst seien einige klärende Bemerkungen vo rausgeschickt.
2.
Klärende Bemerkungen: Wonach suchen wir?
Dieser Artikel will weder einen Überblick über die Belege für weibliche Aspekte im Gottesbild der Prophetie noch einen Forschungsüberblick über die einschlägigen wissenschaftlichen Beiträge geben.5 Was ich hier auf Basis meiner eigenen Arbeit und meiner Erfahrungen in der Lehre tun werde, ist zu reflektieren, wo wir uns heute im Vergleich zu damals befinden, als wir uns auf den Weg gemacht haben. Dabei möchte ich unsere Aufmerksamkeit auf einige wichtige Errungenschaften lenken, die uns gelungen sind, sowie darauf, was intellektuell und kulturell noch ausständig zu sein scheint. Die Suche nach Gottes weiblicher Seite ist Teil der größeren Diskussion um „Gott und Gender“, oder präziser gesagt um das „Geschlecht Gottes“. Diese Diskussion wird mittlerweile seit langer Zeit und in verschiedenen Forschungstraditionen, theologischen Disziplinen und religiösen Gemeinschaften geführt, was sich auch im Haupttitel dieses Artikels niederschlägt. Das dominante männliche/maskuline Gottesbild zu hinterfragen, ist eines der zentralen feministischen Anliegen, seit Mary Daly es 1973 auf den Punkt brachte: „Wenn Gott männlich ist, muß […] das Männliche Gott sein.“6 Die Forschung an der Hebräischen Bibel hat bislang zwei unterschiedliche Zugänge zu Gottes weiblicher Seite gewählt. Mein Zugang, auf den auch zahlreiche andere sich konzentriert haben, ist die Untersuchung der metaphorischen Sprache, die in biblischen Texten verwendet wird, der Rede von Gott in der Hebräischen Bibel. Ein anderer Zugang fragt nach JHWHs weiblichen 5
Einen Forschungsüberblick bis 2007 bietet Løland, Silent or Salient Gender. Für die Forschung der letzten zehn Jahre siehe die einschlägigen Beiträge zu den einzelnen Prophetenbüchern in den beiden Publikationen: Carol A. Newsom, Sharon H. Ringe und Jacqueline E. Lapsley, Hg., Women’s Bible Commentary: Revised and Updated (Louisville: Westminster John Knox, 32012), sowie Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker, Hg., Kompendium Feministische Bibelauslegung (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 21999). Vgl. zu dem Irmtraud Fischer, „Las imágenes de Dios tras la adopción del monoteísmo: Ninguna imagen iconográfica, pero miles de imágenes verbales“, in Los rostros de Dios: Imágenes y experiencias de lo divino en la Biblia (hg. v. Carmen Bernabé Ubieta; ABE 62; Estella: Editorial Verbo Divino, 2013), 167–180. 6 Mary Daly, Jenseits von Gottvater, Sohn & Co: Aufbruch zu einer Philosophie der Frauenbefreiung (München: Verlag Frauenoffensive, 41986), 33.
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Eigenschaften und dem Verständnis von JHWHs Geschlecht im Kontext von Göttern und Göttinnen im Alten Orient.7 Diese zweite Linie könnte man „die Suche nach der fehlenden Göttin“ nennen. Raphael Patai argumentiert schon 1967, dass neben dem hebräischen Gott immer auch eine hebräische Göttin gewesen sei.8 Dies impliziert natürlich, dass der hebräische Gott JHWH als männliche Gottheit verstanden wurde; Patai ist nicht der Einzige, der das annimmt.9 Unser Fokus liegt hier aber nicht auf dem Geschlecht Gottes, sondern auf der geschlechtsspezifischen Sprache für Gott. Der Ausdruck „Rede von Gott“ betont, dass wir mit Sprache und Texten arbeiten und die Bilder oder Konzepte von Gott, die beim Lesen der Texte konstruiert werden, in Sprache eingebettet sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Rede von Gott von ihrem breiteren Kontext isoliert ist. Silvia Schroer formuliert es in einem früheren Band der Reihe „Die Bibel und die Frauen“ folgendermaßen: Jede Psalmenmetapher […] rief eine Vorstellungswelt auf, die von Mythos, Kult, mentalen Bildern und literarischen Metaphern getragen wurde. „Reine“ Metaphern, also Stilfiguren, die den mythologisch-bildhaften Hintergrund nicht mehr reaktivieren, zu postulieren, ist anachronistisch.10
Meine Forschungsfrage ist nicht, ob Gott männlich oder weiblich ist oder war, sondern „einfach“, wie JHWH, die Gottheit des Alten Israel, in der prophetischen Literatur dargestellt wird und wie Lesende oder Hörende dieser Texte sich diese Gottheit womöglich vorgestellt haben.11 Aber keine Diskussion über Gott ist einfach, und die Diskussion der Sprache, mit der in der Prophetie Gottesbilder konstruiert werden, ist ebenso wenig einfach. Noch weniger einfach wird es schließlich, wenn es darum geht, welche Art von Rede wir heute gebrauchen sollen, um von Gott zu sprechen, denn Bilder haben Macht – ebenso wie Sprache. 7 Siehe Løland, Silent or Salient Gender, 4–20. 8 Raphael Patai, The Hebrew Goddess (New York: KTAV Publishing House, 1967). 9 Prominente Beispiele sind Mark S. Smith, The Early History of God: Yahweh and the Other Deities in Ancient Israel (San Francisco: Harper & Row, 1990), und Athalya Brenner, „The Hebrew God and His Female Complements“, in The Feminist Companion to Mythology (hg. v. Carolyne Larrington; London: Pandora Press, 1992), 48–62. 10 Silvia Schroer, „Altorientalische Bilder als Schlüssel zu biblischen Metaphern“, in Schriften und spätere Weisheitsbücher (hg. v. Christl M. Maier und Nuria CalduchBenages; Die Bibel und die Frauen 1.3; Stuttgart: Kohlhammer, 2013), 123–152. 11 Ob es tatsächlich möglich ist, mit unserer Sprache auf Gott zu verweisen oder ob Gott als solcher tatsächlich existiert, kann in diesem akademischen Kontext nicht beantwortet werden. Es ist auch nicht meine Absicht, über Gott an sich hier Aussagen zu machen.
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„Prophetie“ bezieht sich hier auf die Hintere Prophetie, auf die Schriftprophetie. Mein Beispielmaterial ist hauptsächlich aus Jes 40–66 entnommen. Dennoch kann das Meiste von dem, was hier gesagt wird, auf die Rede von Gott im Allgemeinen bezogen werden. „Weibliche Aspekte“ meint die Tatsache, dass die meiste Rede von Gott männlich oder weiblich konnotiert ist. Auf diese Bestimmung werde ich noch zurückkommen. Mit diesen Klärungen wollen wir zur Frage zurückkehren, ob wir erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben. Meine These lautet, dass dem nicht so ist. Eine Begründung für die Behauptung nährt sich aus meiner Lektüre von wissenschaftlicher Literatur, eine andere aus meiner Lehrerfahrung. Beginnen wir mit Letzterer, da sich an den Gedankengängen und Reaktionen der Studierenden erkennen lässt, ob wir in den vergangenen Jahrzehnten irgendwelche Veränderungen bewirken konnten.
3.
Lehrerfahrung: Ein Mangel an Veränderung Wie eine Mutter ihr Kind tröstet, so will ich euch trösten, ja, in Jerusalem sollt ihr getröstet werden. (Jes 66,13)
„Als was wird Gott in diesem Text dargestellt?“, fragte ich meine Studierenden in Oslo vor einigen Jahren. „Als Vater!“, kam die Antwort ohne Zögern. „Bist du sicher?“, erwiderte ich. Und der Student antwortete, diesmal zögerlicher: „Als Elternteil?“ Er hatte theoretisch nicht unrecht mit seiner zweiten Antwort: Eine Mutter ist ein Elternteil – aber welcher Teil von „wie eine Mutter ihr Kind tröstet“ zeichnet nicht deutlich das Bild einer Mutter, einer weiblichen Person, einer Frau, die ihr Kind tröstet? Dass im hebräischen Text etwas Anderes steht als in den meisten englischen und deutschen Übersetzungen, oder der norwegischen Übersetzung, die wir gelesen haben, könnte Gegenstand für wissenschaftliche Diskussionen sein, überstieg aber die Kompetenzen der Studienanfänger_innen.12 Er las „wie eine Mutter ihr Kind tröstet“ und arbeitete es dann um zu „wie ein Vater wird dich Gott trösten“. Ich habe in Norwegen 12 Jahre lang gelehrt, bevor ich für eine Stelle an der Universität von Minnesota in die USA gezogen bin. Vieles ist anders in den USA, aber im Jahr 2017 in Minnesota die Geschlechterfrage in Bezug auf die Rede von Gott zu stellen, ist nicht so anders, wie es damals in Norwegen in den frühen 2000ern war – was meinen Verdacht bestätigt, wir hätten nicht so viele Fortschritte gemacht, wie wir dachten. Zwei Beobachtungen wurden 12 Im hebräischen Text bezieht sich der Vergleich eigentlich nicht auf Gott und die tröstende Person, sondern auf jene, die von Gott getröstet werden, und den Mann, der von seiner Mutter getröstet wird.
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in beiden Kontexten deutlich: Weibliche Gottesrede gibt (möglicherweise) Frauen eine Wertschätzung, die männliche Sprache nicht ausdrücken kann, und Frauen haben (möglicherweise und aus unterschiedlichen Gründen) Probleme mit einem männlichen Gott in Verbindung zu treten. Auch wenn diese Feststellungen viel komplexer sind und hinterfragt werden können, repräsentieren sie dennoch die Erfahrungen mancher Frauen und waren Diskussionsgegenstand meiner Studierenden. Keine der Antworten in meinem Kurs 2017 ging in die Richtung des norwegischen Studenten. Es gab keinen Versuch, das Bild Gottes als Hebamme in Ps 2213 im Sinn eines männlichen Bildes zu interpretieren. Mit anderen Worten gesagt, wurde die weibliche Bildsprache als weiblich erkannt und die Studierenden haben es so angenommen. Selbstverständlich können wir nicht erwarten, dass sich die Identifizierung und Dokumentation weiblicher Gottesrede in der Hebräischen Bibel eins zu eins und unmittelbar in radikalen Veränderungen in heutigen religiösen Gemeinschaften und Doktrinen niederschlägt. Die Hebräische Bibel repräsentiert nicht das Judentum oder Christentum. Sie spiegelt das religiöse Denken gewisser elitär und männlich dominierter Gruppen im Alten Israel wider. Dennoch ist die Hebräische Bibel eine wichtige Quelle für die Theologie des Judentums wie des Christentums.
4.
Metaphorische Sprache oder: Der Ententest
Wenn es wie eine Metapher aussieht, sich wie eine Metapher liest und wie eine Metapher quakt, dann ist es wahrscheinlich eine Metapher. Man kann die Bedeutung der zeitgenössischen Metapherntheorie für die Suche nach der weiblichen Seite Gottes wohl kaum überschätzen, auch wenn selbstverständlich schon seit langer Zeit bekannt war, dass die biblischen Autoren und Autorinnen von Gott in Metaphern sprechen. Wenn der Prophet Gott sagen lässt: „Dann fresse ich sie wie eine Löwin“ (Hos 13,8) oder „Gibt es einen Gott außer mir? Es gibt keinen Fels außer mir“ (Jes 44,8), dann sehen wir das als metaphorische Äußerung und nicht als wörtliche Beschreibung Gottes. Aber die gegenwärtige Metapherntheorie und kognitive Linguistik haben uns das Vokabular gegeben, mit dem sich Gottesrede beschreiben lässt und ihre Quellen identifiziert werden können, um einem Verständnis davon,
13 Die Studierenden mussten einen Artikel zu Ps 22 lesen und interpretieren: L. Juliana Claassens, „Rupturing God-Language: The Metaphor of God as Midwife in Psalm 22“, in Engaging the Bible in a Gendered World: An Introduction to Feminist Biblical Interpretation in Honor of Katherine Doob Sakenfeld (hg. v. Linda Day und Carolyn Pressler; Louisville: Westminster John Knox Press, 2006), 166–175.
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wie metaphorische Äußerungen funktionieren, näher zu kommen.14 Janet M. Soskice definiert eine Metapher als eine Redefigur, durch die wir von einer Sache mit Begriffen sprechen, die das Potential haben, auf eine andere hinzuweisen.15 Von Gott wird in einer Sprache und in Konzepten gesprochen, die für gewöhnlich in anderen Zusammenhängen verwendet werden.16 In einer Metapher gibt es zwei Elemente, die häufig als Bildquelle oder Bildspender und Zielbereich oder Bildempfänger bezeichnet werden. Der Bildempfänger ist das, wovon gesprochen wird, in diesem Fall Gott, denn das Ziel aller Gottesrede ist konstant: Gott. Die Bereiche der Bildspender variieren hingegen stark. In Hos 13,8 ist der Quellbereich die Löwin, in Jes 44,8 ein Fels. Von Gott wird als Mensch gesprochen, als Tier, als Phänomen der Natur. Die Bedeutung einer Metapher findet man nach allgemeiner Auffassung in der Interaktion zwischen Bildspender und Bildempfänger oder in der Mischung, die entsteht, wenn beide interagieren. Die Mischung ist neu, und so kreiert die Metapher etwas, das weder auf die Quelle noch auf das Ziel beschränkt ist.17 Die Metapher konstruiert ein neues Gottesbild. Metaphern sind eine Möglichkeit, von Gott zu sprechen. Eine andere ist der Vergleich oder das Gleichnis. Manche Forscher und Forscherinnen behaupten, Metaphern und Gleichnisse seien nicht bloß zwei unterschiedliche sprachliche Ausdrücke, sondern die Verwendung des einen oder anderen bedeute jeweils einen konzeptuellen Unterschied. Ich habe andernorts erörtert, dass es keinen kognitiven Unterschied zwischen einer Metapher und einem Vergleich gibt, auch wenn sie sprachlich verschieden sind, daher brauche ich hier nicht ausführlicher darauf eingehen.18 Ich möchte nur erwähnen, dass sich in der Hebräischen Bibel einige Beispiele für Quellbereiche finden, die für Gott sowohl in Vergleichen als auch in Metaphern verwendet werden.
14 Siehe Løland, Silent or Salient Gender, 31–56. Siehe auch Mary Therese DesCamp und Eve E. Sweetser, „Metaphors for God: Why and How Do Our Choices Matter for Humans? The Application of Contemporary Cognitive Linguistics Research to the Debate on God and Metaphor“, PastPsy 53 (2005): 207–238. 15 Janet M. Soskice, Metaphor and Religious Language (Oxford: Clarendon Press, 1985), 15. 16 DesCamp/Sweetser, „Metaphors for God“, 215, weisen darauf hin, dass eine Metapher keine Angelegenheit der Sprache sei, sondern dass Menschen sie gebrauchen, um einen geistigen Bereich in der Begrifflichkeit eines anderen auszudrücken. 17 Für eine Einführung in die Theorie des blendings siehe Gilles Fauconnier und Mark Turner, The Way We Think: Conceptual Blending and the Mind’s Hidden Complexities (New York: Basic Books, 2002). 18 Siehe Løland, Silent or Salient Gender, 47–51. Die Diskussion ist vor allem für den liturgischen Bereich von Bedeutung. In den Zehnerjahren unseres Jh. argumentierten viele Teilnehmer an der Revision der norwegischen Liturgie, dass man keine Gebete aufnehmen könne, die von „Gott, unserer Mutter“ sprechen, sondern nur solche, die in Vergleichen reden: „Gott ist wie eine Mutter“.
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Du bist doch unser Vater! Abraham weiß nichts von uns, Israel kennt uns nicht. Du, JHWH, bist unser Vater. (Jes 63,16)
Hier wird von „Gott, unserem Vater“ in einer metaphorischen Äußerung gesprochen, während in Psalm 103 „Vater“ in einem Vergleich gebraucht wird: Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich JHWH über alle, die ihn fürchten. (Ps 103,13)
Der Bildgeber „Vater“ und der Bildempfänger „Gott“ werden in beiden Fällen in einer Interaktion zusammengebracht, die als Einladung an die Leser_innen gedacht ist, die beiden Größen zueinander in Beziehung zu setzen. In beiden Beispielen ist Gott ein Vater, aber er ist nicht wörtlich ein Vater. In beidem, dem Vergleich und der Metapher, gibt es eine Spannung zwischen „ist“ und „ist nicht“.19 Durch die Betonung, dass die Rede von Gott metaphorische Rede ist, wurde deutlich, dass wir nicht die eine Art der Rede von Gott als fundamental anders oder deskriptiver als eine andere kategorisieren können, denn es gibt keine unterschiedlichen Kategorien von Metaphern! Wenn „Gott, unsere Mutter“ eine Metapher ist, dann ist „Gott, unser Vater“ auch eine Metapher.20 Das führt uns zur Diskussion von geschlechtsspezifischen Metaphern.
5.
Geschlechtsspezifische Metaphern
„Weibliche Bilder für Gott sind im Alten Testament häufiger als wir für gewöhnlich meinen“21 stellte Phyllis Trible bereits 1973 fest. Bis in die 1970er gab es kaum eine Würdigung der weiblichen Bildwelt oder Sprache für Gott in der Hebräischen Bibel. Von den 1970ern und 80ern an wurde zu dem Thema jedoch kontinuierlich publiziert. Es ist uns relativ gut gelungen, die Präsenz weiblicher Rede von Gott in der Bibel zu dokumentieren, nicht nur mit Fachliteratur zum Thema, sondern ebenso mit exegetischen Kommentaren und sogar Studienbibeln, die oftmals das Vorhandensein weiblicher Rede im Text (oder zumindest die Möglichkeit, die Sprache weiblich zu verstehen) 19 Paul Ricœur, Die lebendige Metapher (Übergänge 12; München: Fink, 1986). 20 Ich bin mir des theologischen Anspruchs, der von Fall zu Fall gemacht wird, bewusst, dass „Vater“ in der Wortgruppe „Gott, der Vater“ ein Name und keine Metapher sei. Aber diese Meinung ist aus linguistischen Gründen nicht zu halten; siehe dazu DesCamp und Sweetser, „Metaphors for God“, 213f. 21 Phyllis Trible, „Depatriarchalizing in Biblical Interpretation“, JAAR 41 (1973): 30– 48; 32.
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anmerken. Ich habe im Zuge eines weiteren Projekts an Num 11 gearbeitet. Zu diesem Text kommentiert die Harper Collins Study Bible: „Die weibliche Bildsprache, die hier verwendet wird … ist ungewöhnlich, aber nicht einzigartig.“22 Ich habe aus zwei Gründen die Studienbibel herangezogen. Einerseits sind Studienbibeln eine alltägliche Informationsquelle für Studierende, andererseits zeigt die Anmerkung von weiblichen Metaphern in Studienbibeln, dass unsere Forschung auch im „Mainstream“ angekommen ist. Das Vorkommen von weiblicher Gottesrede in der Bibel werden ernstzunehmende Exeget_innen heute nicht mehr bezweifeln, allerdings hat die Art, wie sie interpretiert wird, eine große Variationsbreite. Geschlechtsspezifische Sprache ist jene Sprache, die bei den Lesenden Assoziationen zu Geschlecht weckt und für sie Konzeptionen von Geschlecht konstruiert.23 Weibliche Rede von Gott ist demnach Rede, die Vorstellungen von weiblichem Geschlecht konstruiert. Geschlecht muss Teil des bildgebenden Bereichs sein, wenn metaphorische Sprache als geschlechtsspezifische Sprache identifiziert werden soll.24 Geschlecht kann entweder explizit oder implizit in der Quellsprache präsent sein. Vater, König und Ehemann beziehen sich alle auf eine männliche Person. Daher ist das männliche biologische Geschlecht explizit im Bildspender präsent, und somit auch in den metaphorischen Aussagen „Gott ist Vater“, „Gott ist König“ und „Gott ist Ehemann“. Wenn Geschlecht hingegen Teil der sozialen Konstruktionen dessen ist, was maskulin und was feminin, was männlich und was weiblich bedeutet, dann ist Geschlecht implizit in der Quelle enthalten. Im Alten Israel waren nur Frauen Hebammen. Das ist nicht biologisch notwendig, da Männer genauso auch Hebammen sein können; die Geschlechterkonnotation des Bildgebers ist in diesem Fall ein Beispiel für eine soziokulturelle Konstruktion. Wenn also Gott als Hebamme dargestellt wird, wie in Ps 22,10, dann handelt es sich dabei um eine Rolle, die implizit weiblich bestimmt und damit ein Beispiel von geschlechtsspezifisch weiblicher Rede von Gott ist. Ein Quellbereich kann geschlechtlich auch nicht konnotiert sein, was bedeutet, dass es keine geschlechtsspezifischen Assoziationen gibt. Zudem kann ein Bildgeber geschlechtlich auch mehrdeutig sein, was sowohl eine weibliche als auch eine männliche Deutung zulässt. Unser Verständnis von Geschlecht hat sich seit den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts und vor allem während der letzten beiden Jahrzehn22 Jo Ann Hackett, „Annotations to the Book of Numbers“, in The HarperCollins Study Bible: New Revised Standard Version, including the Apocryphal/Deuterocanonical Books (hg. v. Harold W. Attridge; San Francisco: HarperSanFrancisco, 2 2006), 194–254; 214. 23 „Geschlecht“ ist hier inklusiv verstanden, also nicht begrenzt auf das soziale Geschlecht wie in der Unterscheidung zwischen gender und sex im Englischen. 24 Für eine gründlichere Diskussion über geschlechtsspezifische Sprache siehe Løland, Silent or Salient Gender, 75–90.
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te entscheidend verändert, sodass die oben erwähnten Kategorisierungen nicht unproblematisch sind. Sie sind binär und heteronormativ und werden in gegenwärtigen Theorien der gender fluidity hinterfragt. Immer mehr Forscher_innen – mich eingeschlossen – argumentieren mit Judith Butler, dass nicht nur das soziale Geschlecht (Gender), sondern auch das biologische Geschlecht (Sex) eine soziale Konstruktion ist und Geschlecht daher performativ zustande kommt.25 Corrine Carvalho stellt in einem Artikel mit entsprechendem Titel die bedenkenswerte Frage, wessen gegenderte Sprache wir für Gott verwenden.26 Ihr Anliegen ist vor allem aktueller Natur, wenn sie fragt, wie die gegenwärtige Forschung zur Konstruktion von Geschlecht und gender fluidity eine biblisch begründete Theologie von Geschlecht in heutigen Kirchen beeinflussen kann.27 Sie und andere Bibliker_innen haben gezeigt, wie Geschlecht auch in manchen biblischen Texten als fließend verstanden werden kann.28 Aber ich würde mit Tamar Kamionkowski sagen, dass biblische Kulturen auf einem binärem Fundament stehen und eine dieser binären Strukturen ist Gender/Sex.29 Männlich und weiblich, Frau und Mann sind die primären Kategorien von biologischem und sozialem Geschlecht. Für dokumentarische Zwecke brauchen wir Kategorien, die auf einer Linie mit dem biblischen Befund liegen. Das heißt nicht, dass wir nicht binäre Kategorien in Frage stellen und sie herausfordern sollen, wenn wir heute Gottesrede formulieren. Dabei handelt es sich aber um einen nächsten Schritt nach der Dokumentation der biblischen Belege. In meinem Buch Silent or Salient Gender habe ich argumentiert, dass die Erhebung nicht ausreichend ist, ob das Geschlecht, in diesem Fall das weibliche Geschlecht, Teil des Bildgebers für die Gottesrede ist oder nicht. Denn das führt nur zur Beobachtung, dass die Bibel eine Handvoll weiblicher Metaphern für Gott kennt – im Gegensatz zu einer Vielzahl an männlichen Metaphern. Es muss zudem auch gefragt werden, ob Geschlecht von Bedeutung (salient) ist und ob es zur Konstruktion der Gottesvorstellung im konkreten Text beiträgt. Elizabeth Johnson argumentiert: „Wenn es nicht bedeutet, dass Gott Mann ist, wenn männliche Bildsprache verwendet wird, warum dann die 25 Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1991). 26 Siehe Corrine L. Carvalho, „Whose Gendered Language of God? Contemporary Gender Theory and Divine Gender in the Prophets“, CurTM 43 (2016): 12–16. 27 Vgl. ebd., 12. 28 Siehe zum Beispiel: Dies., „Sex and the Single Prophet: Marital Status and Gender in Jeremiah and Ezekiel“, in Prophets Male and Female: Gender and Prophecy in the Hebrew Bible, the Eastern Mediterranean, and the Ancient Near East (hg. v. Jonathan Stökl und Corrine L. Carvalho; AIL 15; Atlanta: SBL, 2013), 237–267; sowie Tamar S. Kamionkowski, Gender Reversal and Cosmic Chaos: A Study on the Book of Ezekiel (JSOTSup 368; London: Sheffield Academic Press, 2003). 29 Siehe dazu ebd., 3f.; diese Annahme wurde von Carvalho, „Whose Gendered Language“, hinterfragt.
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Ablehnung, wenn weibliche Bilder eingeführt werden?“30 Mit anderen Worten, die geschlechtsspezifische Gottesrede bestimmt Gott nicht geschlechtlich. Nach Johnson sollte man daher nicht zögern, in weiblichen Metaphern von Gott zu reden. Dies ist eine wichtige, aber auch provozierende Frage, auch wenn ich erneut darauf hinweise, dass wir nicht von der Gottheit an sich reden, sondern in menschlicher Sprache von ihr. Unsere Forschungsfrage ist, ob eine geschlechtsspezifische Gottesrede für die Leser_innen und Hörer_innen antiker Texte ein geschlechtlich fixiertes Gottesbild konstruiert. Meine Annahme ist, dass dies der Fall ist und dass dabei häufig ein geschlechtlich hoch aufgeladenes Gottesbild entsteht. Geschlechtsspezifische Rede von Gott konstruiert häufig eine Vorstellung oder ein Bild von Gott als männlich, aber in manch anderen Belegen, die wir gleich besprechen werden, konstruiert es ein weibliches Gottesbild.
6.
Weibliche Gottesrede in Deuterojesaja
Deuterojesaja unterscheidet sich in der Verwendung von weiblicher Rede von Gott vom Rest der Bibel.31 Bereits Mayer Gruber stellte fest, dass sich in Jes 40–66 mehr mütterliche Ausdrücke für Gott finden als sonst in der Hebräischen Bibel, und Irmtraud Fischer betitelt ihr Kapitel über Jesaja im Kompendium Feministischer Bibelauslegung: „Jesaja: Das Buch der weiblichen Metaphern“.32 In meiner Arbeit an Deuterojesaja wurde auch deutlich,
30 Elizabeth A. Johnson, She Who Is: The Mystery of God in Feminist Theological Discourse (New York: Crossroad, 1993), 34. 31 Diese Annahme wird in der Literatur über weibliche Gottesrede immer wieder behauptet, aber ich habe noch keine Statistik gesehen, die sie stützt. Deswegen arbeiteten im Sommersemester 2017 als Teil eines neuen Dean’s Freshman Research & Creative Scholars Program at the University of Minnesota zwei Studierende an der Aufgabe, die Prophetenbücher zu lesen und jeglichen Verweis und alle Beschreibungen, jedes Verb, das Gott zum Subjekt hat und alle Belege für Köperteile von Gott zu erheben. Unser gemeinsames Bestreben war zu bestimmen, ob und wie diese Aktivitäten und Beschreibungen geschlechtsspezifisch konnotiert sind. Es braucht noch weitere Arbeit, aber es ist kein Zweifel, dass sich in Deuterojesaja die meisten Belege für weibliche Rede von Gott finden. Ich danke für die Arbeit Cassidy Drummond und Lena Figlear sowie meinem Forschungsassistenten Maximilian Beyendorff, dem zuletzt Genannten auch für die Editionsarbeit an diesem Artikel. 32 Vgl. dazu Mayer I. Gruber, „The Motherhood of God in Second Isaiah“, RB 90 (1983): 351–359; Irmtraud Fischer, „Das Buch Jesaja: Das Buch der weiblichen Metaphern“, in Kompendium Feministische Bibelauslegung (hg. v. Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 32007), 246–258.
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dass Gott in diesen Texten oft mit einem Körper vorgestellt wird,33 oft auch mit weiblichem Körper.34 Ich habe lange Zeit geschwiegen, Ich bin still geblieben und habe mich zurückgehalten. Wie eine Frau in den Wehen werde ich aufschreien, Ich werde zugleich nach Luft ringen und schnaufen. (Jes 42,14)
In Jes 42,14 liegt JHWH in den Wehen. JHWH schreit auf in Geburtsschmerzen. Das bedeutende Merkmal ist nicht das Ergebnis der Geburt, es ist nicht das Kind, sondern der Prozess des Gebärens mit all seinen Implikationen. Eine Geburt ist kräftig und machtvoll, bedeutet aber auch Schmerz, Ringen und Kreischen. Der Vergleich mit der gebärenden Frau ist explizit weiblich bestimmt, und JHWH wird als ein weibliches Subjekt „sie“ konzeptualisiert. Der Text beinhaltet auch eine Vorstellung von Schmerz und Qual als Teil des Gottesbildes. JHWH ist wie eine Gebärende. Hör mir zu, Haus Jakobs, und der ganze Rest des Hauses Israel. Ihr, die ihr geschleppt wurdet seit der Zeit der Schwangerschaft, ihr, die ihr bei der Geburt hochgehoben worden seid, bis ins hohe Alter bin ich, bis zum grauen Haar werde ich tragen. Ich habe gemacht und werde schleppen, ich werde erhalten und ich werde bewahren. (Jes 46,3f.)
Dieser Text kann wie eine Erzählung gelesen werden: Ein Kind wird seit seiner Zeit im Mutterleib getragen, getragen während der Schwangerschaft. Hier 33 In den letzten Jahren sind mehrere Studien zu Vorstellungen von Gottes Körper in der Hebräischen Bibel erschienen: Esther J. Hamori, „When Gods Were Men“: The Embodied God in Biblical and Near Eastern Literature (BZAW 384; Berlin: de Gruyter, 2008); Benjamin D. Sommer, The Bodies of God and the World of Ancient Israel (Cambridge: Cambridge University Press, 2009); Andreas Wagner, Hg., Göttliche Körper – Göttliche Gefühle: Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und im Alten Testament? (OBO 270; Fribourg: Academic Press, 2014); und Mark S. Smith, „The Three Bodies of God in the Hebrew Bible“, JBL 134 (2015): 471–488. Zur Frage des Geschlechts des göttlichen Körpers siehe Gerlinde Baumann, „Das göttliche Geschlecht: YHWHs Körper und die Gender-Frage“, in Körperkonzepte im Ersten Testament – Aspekte einer Feministischen Anthropologie (hg. v. Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt; Stuttgart: Kohlhammer, 2003), 220–250, sowie Christl M. Maier, „Körperliche und emotionale Aspekte JHWHs aus Genderperspektive“, in Göttliche Körper – Göttliche Gefühle: Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und im Alten Testament? (hg. v. Andreas Wagner; OBO 270; Fribourg: Academic Press, 2014), 171–189. 34 Siehe zu den folgenden Beispielen ausführlicher Løland, Silent or Salient Gender, Part II; die Übersetzungen stammen jeweils von mir.
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beschreibt der Text also deutlich das Ergebnis der Geburt. Das Baby wird bei der Geburt aus dem Geburtskanal herausgehoben. Das Kind ist Israel; der/die Tragende ist JHWH. Von JHWH heißt es, er/sie habe einen Mutterleib, ֶּב ֶּטן, einen Mutterschoß – die einzige Bezugnahme auf Gottes Mutterschoß in der gesamten Hebräischen Bibel. JHWH wird als schwangere Frau beschrieben. Das Bild wechselt, als JHWH wie eine Hebamme handelt, die das Kind bei der Geburt hochhebt. Das Kind wächst auf und wird immer noch getragen. Es wird alt und wird umsorgt, auch wenn es bereits graue Haare hat. Ein anderes bemerkenswertes Bild für JHWH findet sich in Jes 49,14f., wo JHWH als stillende Mutter beschrieben wird: Aber Zion sagte: „JHWH hat mich verlassen, der Herr hat mich vergessen.“ Kann eine Frau ihren Säugling vergessen, eine mitfühlende Mutter das Kind ihres Mutterleibes? Selbst wenn sie vergessen könnte, ich kann dich nicht vergessen. (Jes 14,14f.)
Jes 49,14f. kann als Gerichtsverhandlung gelesen werden. Zion beschuldigt JHWH, ihren Ehemann, sie verlassen zu haben. JHWH versucht, diese Anschuldigung zurückzuweisen, indem sie beteuert, sie könne Zion nicht vergessen, so wie eine stillende Mutter ihr Kind nicht vergessen kann. In diesem Text ist JHWH sowohl der Ehemann als auch die Mutter, und wir haben somit eines von mehreren Beispielen, in denen männliche und weibliche Metaphern zusammen verwendet werden, sei es im Kontrast oder im Vergleich. Um Zion von der Unmöglichkeit des Vergessens zu überzeugen, wird die engste Bindung ins Treffen geführt: die körperliche Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Säugling. JHWH ist eine Frau, die ihren Säugling nicht vergessen kann. Die weibliche Rede von Gott ist in diesen Beispielen mit dem Prozess des Gebärens oder mit dem Muttersein verbunden. Die Bilder sind damit auf unterschiedliche Weise mit dem weiblichen Körper verknüpft. Das wurde von manchen als sehr beschränkende Bildsprache oder sogar negative Bildsprache verstanden.35 Es ist klar, dass in vielerlei Hinsicht die weibliche Sprache für JHWH von sehr begrenzten Quellbereichen zehrt: Mutterschaft, Gebären und Geburtshilfe, aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese Bereiche im Alten Israel hochangesehen waren. Und sie waren einer der zentralen Bereiche weiblicher Erfahrung. Das führt uns zu einem weiteren Aspekt der Rede von Gott als metaphorischer Sprache und abschließenden Bemerkungen. 35 Vgl. etwa den unlängst veröffentlichten Artikel über JHWH als mütterlicher Vampir: Rhiannon Graybill, „Yahweh as Maternal Vampire in Second Isaiah: Reading from Violence to Fluid Possibility with Luce Irigaray“, JFSR 33/1 (2017): 9–25. Eigentlich faszinieren mich Vampire und was sie mythologisch und psychologisch repräsentieren, aber ich war nicht überzeugt von ihrer Lesart.
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7.
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Sprache als Ausdruck von Erfahrung und das Verlangen nach Veränderung
Tryggve Mettinger stellte fest, dass diese Symbole von Gott sprechen, dies aber mit Begriffen tun, die der Welt menschlicher Erfahrung entstammen.36 Wir sprechen hier nicht von konfessionell gebundenen oder sogar religiösen Erfahrungen, sondern von alltäglichen menschlichen Erfahrungen. Die Autor_innen der Hebräischen Bibel dachten über Gott auf der Basis ihrer Alltagserfahrungen – und weil wir es ebenso tun, ist das auch der Grund für unsere Kritik an der Rede von Gott in der jüdisch-christlichen Tradition. Da der Großteil, wenn nicht die ganze Bibel, von Männern formuliert wurde, und die Traditionen von Männern dominiert wurden, spiegelt die Rede von Gott hauptsächlich Erfahrungen von Männern wider, während die Erfahrungen von Frauen sehr geringen Einfluss auf die Formulierung der Rede von Gott hatten. Wir haben nur eine verkürzte Rede von Gott und die bewirkt ein beschränktes und beschränkendes Gottesbild. Kehren wir zurück zu der eingangs gestellten Forderung nach Veränderung in der heutigen Gottesrede und damit zu einem Wechsel des Gottesbildes. Ein Weg, eine eingeschränkte Gottesrede und ein ausschließlich männliches Gottesbild zu vermeiden liegt in der Strategie, eine Vielzahl von Metaphern zu benützen. Viele unterschiedliche Metaphern für Gott zu verwenden, bedeutet, einen breiteren Erfahrungshorizont zu wählen und die Lebenserfahrungen von mehr Menschen in unsere Rede von Gott einzubeziehen. Gleichzeitig ist zu betonen, dass die Rede von Gott keine buchstäbliche Beschreibung Gottes darstellt, und dies ist, wie mehrere Forschende argumentieren, genau das, was wir in der Hebräischen Bibel, insbesondere bei Deuterojesaja, finden. Mark Zvi Brettler und Maria Häusl zeigen, wie Jes 40–55 einerseits die Unvergleichlichkeit Gottes (Gott ist nicht wie etwas oder jemand) betont, andererseits aber eine Vielzahl teils sogar einander widersprechende Metaphern verwendet.37 Um die Ansicht zu betonen, dass Gott nicht wie etwas oder jemand ist, scheint es notwendig zu sein, eine große Variationsbreite zu verwenden, die auch gegensätzliche Metaphorik miteinschließt. Juliana Claassens hebt hervor, dass das Hören auf alle Stimmen, auch jener der Minderzahl weiblicher Gottesrede in der Hebräischen Bibel, helfen kann, ein inklusiveres Gottesbild 36 Tryggve N. D. Mettinger, In Search of God: The Meaning and Message of the Everlasting Names (Philadelphia: Fortress Press, 1988), 1. 37 Vgl. Marc Zvi Brettler, „Incompatible Metaphors for YHWH in Isaiah 40–66“, JSOT 78 (1998): 97–120; sowie Maria Häusl, „,Mit wem wollt ihr mich vergleichen?‘ Gottesbilder und Geschlechterperspektive in Jes 40–55“, in Glaube in der Welt von heute: Theologie und Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Für Elmar Klinger (hg. v. Thomas Franz und Hanjo Sauer; 2 Bde; Würzburg: Echter, 2006), 2:127–138.
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zu entwerfen.38 Dieses Projekt anzugehen, bedeutet zu konstruieren und zu dekonstruieren, zu entwerfen und zu verwerfen. Die Erhebung und Dokumentierung der weiblichen Gottesrede und die Vielfalt der Gottesmetaphorik in der Hebräischen Bibel versorgt uns mit den nötigen Werkzeugen, die zur Dekonstruktion des ausschließlich männlichen Gottesbildes in der jüdischen und christlichen Tradition notwendig sind, und gibt uns die Gelegenheit, ein neues Gottesbild zu konstruieren. DesCamp und Sweeter haben betont, dass, wie wir von Gott reden, die Art und Weise formt, wie wir von Gott denken und von Gott und den Menschen.39 In den Worten meiner Studentin Abby: Beispiele von weiblicher Rede von Gott zu haben ist wichtig für das Heranwachsen junger Mädchen und um zu wissen, dass sie für das, was sie sind, geschätzt werden.40
Die Tatsache, dass junge Frauen wie Abby im Jahr 2017 immer noch die Erfahrung haben, dass junge Mädchen zu oft nicht um ihrer selbst willen wertgeschätzt werden, bedeutet, dass es auf der Suche nach der weiblichen Seite Gottes immer noch viel zu tun gibt.
38 Claassens, „Rupturing God-Language“, entwickelt die Idee der Minderheitenstimme mit Hilfe der Thesen von Bakhtin. 39 DesCamp und Sweetser, „Metaphors for God“, 236. 40 „Having examples of female god-language is important to young girls growing up and knowing that they are valued for who they are.“ (Abby Resch).
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Stellenregister Hebräische Bibel Genesis (Gen) 1,27 ............................................ 236 2,5 ............................................. 237 2,15–25 .................................... 236f. 2,24f. ......................................... 232 3,20 ....................................... 45.235 4,25 ............................................ 310 11,1–9 ........................................ 222 15,5 ............................................ 253 16,4.8f. ....................................... 202 19 ......................................... 145.156 19,37f. ........................................ 310 22,17 .......................................... 253 24,64 .......................................... 149 29–30 ......................................... 310 31,19–35 .................................... 171 32,13 .......................................... 253 34 ............................................... 134 35 ............................................... 310 36 ............................................... 228 38,4f. ......................................... 310 Exodus (Ex) 2,10 ............................................ 310 3,1–5 .......................................... 119 7,10f. ..................................... 96f.99 10,3–6 ....................................... 247 11,4–8 ........................................ 247 15 ............................................... 125 15,1 ............................................ 152 15,20 ....................................... 49.82 15,21 ..................................... 86.152 19,8 ............................................ 232 21,10 .......................................... 229 22,15–18 ...................................... 99 24 ............................................... 319
24,3.7 ......................................... 231 34,15f. ........................................ 107 38,8 .............................................. 48 Levitikus (Lev) 14,17 .......................................... 244 17,7 ............................................ 107 18 ............................................... 284 18,7–9 ........................................ 229 18,18 .......................................... 196 18,25 .......................................... 159 19,10–19 .................................... 229 20 ............................................... 284 20,5f. ......................................... 107 20,10 .......................................... 229 20,27 ...................................... 99.114 21,9 ............................................ 104 27,28f. ........................................ 153 Numeri (Num) 2,1–3 .......................................... 152 5,16.25 ....................................... 242 11 ............................................... 329 11,12 .......................................... 309 12 ............................................ 86.91 12,2.6–8 ...................................... 87 13–14 ......................................... 147 14,45 .......................................... 147 21,2f. .......................................... 152 21,3f. .......................................... 146 21,28–30 .................................... 151 25,1 .............................................. 97 26,33 .......................................... 145 27,1–11 ................................. 145.150 27,18–23 ...................................... 97 31,15–18 ..................................... 159 36 ............................................... 150 36,11 .......................................... 145
372 Stellenregister Deuteronomium (Dtn) 1,22–40.44 ................................ 147 6,5 ............................................. 232 13,13–16 .................................... 158 17,16–20 .................................... 200 17,16 ........................................... 184 17,20 .......................................... 126 18,9–14 ................................ 102.114 18,10f. ..................................... 96.99 18,11 .......................................... 104 18,14f. .......................................... 97 21,22f. ........................................ 142 22,5 ........................................... 159 22,22 ......................................... 229 24,1–4 ........................................ 232 31,16 .......................................... 107 32,18 .......................................... 229 Josua (Jos) 2 ......................................... 145.150 2,1–13 ........................................ 136 2,15 .............................................. 62 6 ................................... 145.150.152 6,21 ............................................ 157 6,25 ........................................... 136 10,28–39 .................................... 157 11,11–14 ..................................... 157 11,21f. ........................................ 147 14,6–15 ...................................... 147 15,12 .......................................... 147 15,13–19 ............................ 145–150 15,20ff. ...................................... 147 16,1–6 ........................................ 150 17,3f. .......................................... 145 19,4 ............................................ 145 Richter (Ri) 1,1–2,5 ....................................... 146 1 .................... 146f.150.155.157–160 1,10–15 .............................. 145–150 1,10–20 .............................. 145–147 1,17 ............................................ 152 1,21–36 ...................................... 146
2,6–9.11f.14–16 .......................... 147 2,17 ............................................ 107 2,18f. .......................................... 147 3–16 ........................................... 147 3,7–11 ........................................ 147 3,12–12,15 ................................. 147 4–5 ........... 35.85.98.100.118.138.145 4 ........................... 86.119.124f.138f. 4,4–6 ........................................... 85 4,4 ................................................ 82 4,7.9.12–21 ................................. 120 4,14 .............................................. 85 4,16 ............................................ 157 4,17ff. .......................................... 62 4,21 ............................................ 149 5 .................................. 120–124.147 5,6f. ........................................... 139 5,6 .............................................. 104 5,7 ................................................ 85 5,12 .............................................. 86 5,24 ............................................ 139 5,25 ............................................ 104 5,27 ............................................ 156 5,28ff. .......................................... 62 5,30 ............................................ 139 6–8 ............................................ 156 8,4–21 .......................................... 34 8,27 ............................................ 107 9,50–57 ...................................... 139 10,6–8 ....................................... 151 10,6 ............................................ 147 10,17–11,11 ................................ 151 11 ................................. 153–155.159 11,1.17–27 .................................. 151 11,29–40 .................................... 132 11,29f. ........................................ 151 11,30–40 ............................. 151–155 11,31 ........................................ 132f. 11,34 ....................................... 49.62 11,39 ........................................ 132f. 12,1–4.6 ..................................... 151 13,24 .......................................... 310 14 ............................................... 145
Stellenregister 373 14,5ff.19 ....................................... 55 15,8.15 ......................................... 55 16 ........................................ 145.301 16,4–22 ...................................... 140 16,19.30 ....................................... 55 17–21 ............................. 147.155.160 17–18 ........................................... 97 17 ......................................... 145.147 18,27 .......................................... 158 19–21 ........................... 145.155–160 19 ............................... 133f.145.155f. 19,27 ............................................ 62 1 Samuel (1 Sam) 1–14 ............................................. 32 1,2 .............................................. 141 1,5f. ...................................... 141.143 1,8.12–15 ................................... 141 1,20 ............................................ 310 2,1–10 ...................................... 141f. 2,1f. ........................................... 117 2,3 ............................................. 118 2,12–36 ...................................... 165 2,14 ............................................ 143 2,21 ............................................ 141 2,22 .......................................... 48f. 2,27 ........................................... 104 2,30–36 ..................................... 165 3 ................................................ 166 4,21 ............................................ 310 8 ................................................ 175 8,14f. .......................................... 196 9–14 ............................... 19.30.33.37 9,1 ................................................ 38 9,7 .............................................. 101 9,19–24 ...................................... 114 9,19f. ............................................ 97 11,1.3.5 ......................................... 34 11,7 ............................................ 156 11,9–11 ........................................ 34 11,15 ............................................ 38 13–15 ......................................... 175 13–14 .................................... 35.37f.
13,5f.14.17–22 .............................. 35 14 ............................................... 167 14,31 ............................................ 35 14,39 .......................................... 159 14,41f. .......................................... 97 14,44 .......................................... 159 14,46–52 ...................................... 32 14,47–52 .................................... 167 14,47 ............................................ 38 14,49–51 ...................................... 69 14,49 ................................... 198.201 15–16 ......................................... 137 15,23 .......................................... 101 16 ............................................... 172 16,14–23 ...................................... 36 16,14–21 .................................... 199 17–19 ........................................... 36 17,2 .............................................. 38 17,4 .............................................. 37 17,12 ............................................ 41 17,23.52 ....................................... 37 17,58 ............................................ 41 18–19 .................................. 41.169f. 18,1 ............................................ 137 18,6f. ............................................ 49 18,6 ............................................ 152 18,7 ............................................ 168 18,11 .......................................... 283 18,16 .......................................... 137 18,18 ...................................... 41.170 18,20–29 .................................... 201 18,20 ................................... 136.169 18,21–23 .................................... 170 18,25ff. ........................................ 54 18,25–27 .................................... 283 18,26f. ........................................ 170 18,27f. ...................................... 136f. 19 ........................................ 170.207 19,10 .......................................... 283 19,11–17 .............................. 136.201 19,12 ............................................ 62 20–26 .......................................... 36 20 ............................................... 137
374 Stellenregister 20,33 .......................................... 283 21 .............................................. 59f. 21,11 ............................................ 37 21,12 .......................................... 168 21,13 ............................................ 37 23–26 ........................................... 37 23,2.4 ........................................... 42 24,5 ............................................ 283 25 .................................. 171.173.200 25,3 ............................................ 137 25,19 .......................................... 138 25,23 .......................................... 149 25,25 .......................................... 138 25,28–33 .................................. 172f. 25,28.36–42 .............................. 138 25,44 ............................. 137.169.201 26,7f. .......................................... 283 27–31 ........................................... 36 27 ................................................. 37 27,3 ............................................ 138 27,12 ............................................ 41 28 ............................ 100.104.114.168 28,3–25 ................................ 101.104 28,7–20 ................................. 98.102 29–30 ........................................... 37 29,5 ............................................ 168 30,5 ............................................ 138 30,8.26 ......................................... 42 31 ............................................... 32f. 31,1.10 .......................................... 35 31,12f. .......................................... 34 2 Samuel (2 Sam) 1 .................................................. 36 2,1–4 ....................................... 36.41 2,2 ....................................... 138.173 2,4f. ............................................. 34 2,12 ............................................ 175 3 ........................................ 169f.181 3,2–5 .......................................... 200 3,3–5 .......................................... 167 3,3 ........................................ 138.173 3,7 .............................................. 201
3,12–16 ...................................... 137 3,13f. .......................................... 201 3,14 .............................................. 54 4,4 .............................................. 197 5 .................................................. 37 5,1–4 ............................................ 42 5,1–3 ............................................ 36 5,1f. .............................................. 41 5,7 .............................................. 214 5,13–16 ...................................... 167 5,13–15 ...................................... 200 5,19.23f. ....................................... 42 6 .................................. 169–171.207 6,16–23 ...................................... 201 6,16 ....................................... 62.137 6,20–23 ..................................... 137 7 ............................ 138.165–167.173 9 ................................................ 171 11–12 ................................. 173–176 11,3 ............................................ 201 11,21 .......................................... 140 12 ......................................... 175.178 12,8.11 ....................................... 200 12,12 .......................................... 180 12,24 .......................................... 201 13–20 ........................................... 21 13 ................................. 133.178f.198 13,3 ............................................ 187 13,12–18 .................................... 156 13,17ff. ......................................... 62 13,18 .......................................... 198 14 ........................................... 91.168 14,1–24 ...................................... 198 15,14 .......................................... 201 15,16 .......................................... 180 16,20–23 .................................... 180 16,21f. ........................................ 201 18,20.27 ..................................... 137 19,6 ............................................ 200 19,36 .......................................... 198 20 ........................................... 91.168 20,3f. ......................................... 196 20,3 ..................................... 180.201
Stellenregister 375 20,14–22 .................................... 140 21 ..................................... 165f.181f. 21,1 ............................................ 143 21,8–11 ...................................... 201 21,8 ............................... 142.169.171 21,12 ............................................ 34 22,1–51 ...................................... 118 24,21.25 ..................................... 244 25,44 .......................................... 137 1 Könige (1 Kön) 1–2 ................... 21.173–177.199–203 1 ................................................ 207 1,4 .............................................. 183 1,33.39 ......................................... 31 2 .......................................... 169.181 3–12 ............................................. 21 3 .............................................. 184f. 3,1 .............................................. 200 5,3 .............................................. 202 7,8 ................................. 184.197.200 8,13 ............................................ 197 9,16 ..................................... 200.208 9,24 ............................. 184.197f.200 10 ............................................... 168 10,22 .......................................... 212 10,26–29 .................................... 184 11 ............................................. 183f. 11,1–4 ................................ 198–201 11,1–3 ........................................ 183 11,1 ............................................ 200 11,5.7 ......................................... 218 11,19 .......................................... 202 12,25 ............................................ 34 14,21.31 ..................................... 204 15,2 ............................................ 204 15,5 ............................................ 175 15,8 ............................................ 206 15,10 .......................................... 204 15,13 ............................ 202.204.208 16,8–20 ...................................... 134 16,24 ............................................ 26 16,31–34 .................................... 208
16,31 ............................. 105.134.201 17,10–16.18–24 ............................ 97 18,4–19 ...................................... 201 18,4 .............................. 105.134.208 18,13.19 ............................... 105.134 19,1f. .......................................... 134 19,1 ............................................ 201 20,3.5–7 ..................................... 200 20,6 ............................................ 244 21 ............................................... 134 21,5–25 ...................................... 201 22,42 .......................................... 204 2 Könige (2 Kön) 2,11 ..................................... 197.201 2,12 ............................................ 122 3,4 ................................................ 27 4,1 .............................................. 242 4,23 ............................................ 152 7,11f. .......................................... 196 8,17f. .......................................... 204 8,18 ..................................... 201.208 8,26 ....................... 135.201.204.208 9,7–37 ........................................ 201 9,7.20–29 ................................... 134 9,22 .......................... 98.100.105.208 9,30–37 ...................................... 134 9,30f. ......................................... 194 9,30 .............................................. 62 9,32 ..................................... 196.207 10,13 .......................................... 202 11 ................................. 135.202.204 11,20 .......................................... 135 12,2 ............................................ 204 14,2 ............................................ 204 15,2.33 ....................................... 204 16,2 ............................................ 204 18–20 ......................................... 215 18,2 ............................................ 204 19,21 ......................................... 212 20,18 .......................................... 196 21,1 ............................................ 204 21,6 .............................................. 96
376 Stellenregister 21,19 .......................................... 205 22–23 ........................................... 84 22,1 ............................................ 205 22,3–20 ................................ 84.126 22,4 .............................................. 51 22,12–20 .................................... 100 22,12 .......................................... 205 22,14–20 ......................... 98.125.198 22,14 ..................................... 82.205 22,15–20 .................................. 126f. 23,2 .............................................. 84 23,7 ......................................... 207f. 23,24 .......................................... 218 23,29f. ....................................... 127 23,31.36 ..................................... 205 24,8 ............................................ 205 24,12 ................................... 196.205 24,15 ................................... 200.205 24,18 .......................................... 205 Jesaja (Jes) 1–39 ........................................... 216 1 ................................................ 216 1,2 ...................................... 228f.231 1,7f. ............................................ 215 1,8 .............................................. 212 1,21–31 ...................................... 286 1,21 ......................................... 228f. 1,29 .............................................. 46 2,1–4 .......................................... 271 2,6 ............................................. 108 2,16 ............................................ 212 3,12 ............................................ 205 4,2 ............................................. 307 5 ................................................ 118 6,6f. ........................................... 119 7–8 ......................................... 240f. 7 ................................................ 321 7,1–10 ........................................ 308 7,10–17 .............................. 307–309 7,14 ............................... 115.270.310 8,1–18 ........................................ 240 8,1–4 ..................................... 83.256
8,3f. ...................................... 84.115 8,3 ......................... 82.100.113.242f. 8,16–18 ...................................... 115 8,18 ..................................... 240.243 8,23–9,6 ................................... 307f. 10,32 .......................................... 212 11,1–10 ..................................... 307f. 13,8 ..................................... 218.266 13,16 .......................................... 282 13,19–22 ................................. 222f. 14 ............................................. 223f. 14,14f. ........................................ 333 16,1 ............................................ 212 16,4b–5 ...................................... 307 17,18–20 ...................................... 85 18,15–22 ...................................... 85 19,16 .......................................... 283 20 ............................................... 284 20,3 ............................................ 241 21,3 ............................................ 266 21,6 ............................................ 129 21,9 ............................................ 222 22,4 ..................................... 212.216 22,15 .......................................... 198 23 ............................................... 220 23,1.12 ....................................... 212 23,15–18 .................................... 220 24,2 ........................................... 202 26,17f. ................... 262.266.268.309 32 ............................................... 321 32,1–8 ................................ 307f.320 32,9–14.15–20 ........................... 320 33,11 ................................... 262.309 36–39 ....................................... 215f. 37 ............................................... 216 37,22 ................................... 107.212 40–66 ............ 129.274.288f.331.334 40–55 ............................... 222.288f. 40 ....................................... 130.226 40,1f. .......................................... 289 41,8–13 ...................................... 307 42,1–9 ...................................... 307f. 42,10–17 .................................... 258
Stellenregister 377 42,11 .......................................... 148 42,13–16 .................................... 130 42,13f. ......................... 263.266f.270 42,14 ................................... 288.332 42,16 .......................................... 267 43,10.13 ...................................... 223 44,6 ............................................ 223 44,8 ......................................... 326f. 45,1–5.18 .................................. 223f. 46–48 ........................................ 223 46,3f. ......................................... 288 46,3 ........................................... 332 47 ................. 222–224.282.285–288 47,1–15 .................. 100.104.107–109 47,1 ............................................ 212 47,3 .............................................. 58 47,5 ..................................... 202.212 47,7 ............................................ 202 48,12 .......................................... 223 49–55 ......................................... 230 49 ............................................... 321 49,1–13 .................................... 307f. 49,1–6 ................................. 309.312 49,2 ............................................ 319 49,13–21 .................................... 130 49,14–26 .................................... 312 49,14–16 .................................... 316 49,14f. ........................................ 333 49,14 .......................................... 216 49,15 ................................... 288.313 49,18 .......................................... 316 49,21 .......................................... 226 49,23 ................................... 201.289 50,1 ............................................ 230 50,4–11 .................................... 307f. 50,7 ............................................ 289 51,17–20.23 ................................ 226 52,1f. .......................................... 288 52,2 ..................................... 212.216 52,8 ............................................ 129 52,13–53,12 ............................. 307f. 54 .................. 222.226–228.230.235 54,1–8 ........................................ 287
54,1.4.6 ...................................... 216 55,1–3 ........................................ 230 55,3–5 ........................................ 307 57,3–13 .................................... 107f. 57,3 ..................................... 100.228 57,5 .............................................. 46 57,6–13 ...................................... 288 59,4 ............................................ 262 60,4f. ......................................... 316 60,15 .......................................... 228 61,1–3 ...................................... 307f. 62 ............................................ 226f. 62,1–5 .................................. 287.317 62,4 ............................................ 228 62,11 .......................................... 212 63,16 .......................................... 328 64,10 .......................................... 244 66,3 ........................................... 217 66,6–9 ................................ 263.268 66,7–11 .................................... 287f. 66,13 .................................. 287f.325 Jeremia (Jer) 1,4–9 ......................................... 215 1,5 .............................................. 310 2–6 ............................................ 286 2 ................................................ 293 2,1–19 ................................. 227.230 2,2–4,4 .............................. 226–230 2,2 ............................................. 106 2,20 ...................................... 46.107 3–9 ............................................ 212 3,1–13 ........................................ 107 3,1 .............................................. 228 3,2 ................................................ 57 3,3 .............................................. 228 3,4 .............................................. 218 3,6 ......................................... 46.152 3,8 .............................................. 228 3,10–13 ...................................... 287 3,19–4,2 ..................................... 230 4–6 ............................................ 222 4,1.14–18 .................................... 217
378 Stellenregister 4,19 ............................................ 261 4,30f. ......................................... 217 4,31 ............................... 212.261.263 5 ................................................ 293 5,1–6 .......................................... 217 6,1–8 .......................................... 217 6,2 ............................................. 212 6,11 ............................................ 291 6,17 ............................................ 129 6,23 ........................................... 212 6,24 .................................... 218.263 7 .................................................. 52 7,30 ............................................ 218 8,2 ............................................. 250 9 ........................................... 60–62 13 ............................... 217–219.221f. 13,18 ................................... 202.205 13,20–27 .................... 226.229.286f. 13,21 .......................................... 263 13,22 ............................................ 58 13,26 ..................................... 58.109 14–15 ......................................... 250 14,15.18 ...................................... 250 15,9f. .......................................... 250 16,1–4 .................. 240.248–251.256 16,5–9 ................................ 249–251 16,10–13 ................................. 250f. 17,19–27 .................................... 307 18,13 .......................................... 212 20,9 ............................................ 119 22,1–5 ........................................ 307 22,10.22 ..................................... 228 22,23 ......................................... 263 22,26 .................................. 203.205 23,1–4 ...................................... 307f. 24,1 ............................................ 202 25,33 .......................................... 250 26,22 .......................................... 205 27,9 ....................................... 96.108 29–33 ................................. 263–265 29,2 ................................... 202f.205 29,4–7 ........................................ 250 30,6 ............................................ 218
30,8–11 ...................................... 307 30,14 .......................................... 228 30,18–22 .................................... 307 31,4 ............................................ 212 31,8 ............................................ 263 31,21 .......................................... 212 31,31–34 ..................................... 226 33,14–26 .................................. 307f. 36,12 .......................................... 205 37,22f. ........................................ 216 38,22f. ....................................... 200 38,22 .......................................... 198 39,9 ............................................ 222 41,10 .......................................... 198 43,6 ............................................ 198 44 ................................................ 52 46,11.19.24 ................................. 212 48,18 .......................................... 212 49,24 .......................................... 218 50–51 ......................................... 222 50,37 ................................... 259.283 50,42 .......................................... 212 50,43 .......................................... 218 51,20 .......................................... 283 51,30 .......................................... 259 51,33 .......................................... 212 Ezechiel (Ez) 1,4 .............................................. 119 1,12.20 ....................................... 280 1,27 ............................................ 119 2,2 ............................................. 281 2,8–3,3 ....................................... 280 3,17 ............................................ 129 4–24 ........................................ 278f. 4,9–13 ........................................ 280 5,10 ............................................ 280 5,11 ............................................ 218 5,12 ..................................... 275.280 7,15 ..................................... 275.280 7,20 ............................................ 218 8,3–6 ........................................... 47 8,7–11 .......................................... 44
Stellenregister 379 8,14 .............................................. 47 9,6 .............................................. 291 10,17 .......................................... 280 11,5 ............................................ 280 11,19f. ........................................ 288 11,19 .......................................... 280 12,14 .......................................... 280 13,1–16 ........................................ 87 13,1–3 ........................................ 102 13,2f. ......................................... 128 13,3 ............................................ 280 13,6.10 ....................................... 128 13,11.13 ...................................... 280 13,14 .......................................... 284 13,17–23 ............. 87f.91.98.100f.128 13,17 ....................................... 82.87 13,23 ............................................ 87 14,8 ............................................ 241 15,4 ............................................ 280 16 ............. 55.223.226–230.279.282. 284–292.293.302.319 16,3 ............................................ 253 16,37 .......................................... 109 16,45 .......................................... 253 17,10 .......................................... 281 17,21 .......................................... 280 17,22–24 .................................... 307 18,31 .......................................... 280 19 ....................................... 203–206 20,43f. ........................................ 289 21,12 .......................................... 280 22,10 .......................................... 284 23 ....... 55–58.223.226–229.279.282. 285f.289.291f.293.302 23,14ff. ........................................ 44 24,1–13 .............................. 278–280 24,15–27 ............................. 244.256 24,15–18 .................................... 247 24,16–18 ...................... 240.245.248 24,16 .......................................... 246 24,18 ................................... 242.246 24,19–24 .................................. 247f. 24,19 .......................................... 245
24,21 .......................................... 291 25–32 ......................................... 279 26,7–14 ...................................... 220 27 ............................................... 220 27,26 .......................................... 281 28,21–23 .................................... 220 33–48 ........................................ 288 33,1–6 ........................................ 129 33,21f. ........................................ 279 34,1–34 ...................................... 307 34,11–16 ..................................... 289 34,23–25 .................................... 307 36,6 ............................................ 290 36,8–12 ...................................... 289 36,26f. ................................ 280.288 36,30 .......................................... 290 36,31–38 .................................... 289 37,1–14 ....................................... 288 37,1–10 .................................... 280f. 37,14 .......................................... 280 37,15–28 .................................. 307f. 37,23–28 .................................... 289 39,1–21 ...................................... 289 39,26 .......................................... 289 39,29 .......................................... 280 40–48 ................................. 288.307 42,20 .......................................... 280 43,10 .......................................... 289 44,9–14 ...................................... 289 44,9–11 ........................................ 51 48,35 .......................................... 288 Hosea (Hos) 1–3 .. 217.226–230.240.252.255f.293 1f. .............................................. 254 1,2–9 ............................. 84.252–256 1,24f. ......................................... 254 2,1–3 .................................. 253f.307 2,4–25 .................................... 254f. 2,4f. ................................... 106f.109 2,4 ..................................... 253f.256 2,8.12–15 ................................... 255 2,12.18–22 ......................... 106f.109
380 Stellenregister 2,24f. ......................................... 254 3,1–5 ....................................... 254f. 3,1 .............................................. 256 3,4f. ........................................... 307 4–14 ........................................... 254 4 .................................................. 45 4,12f. .......................................... 107 9,8 .............................................. 129 9,16 ............................................ 244 11 ................................................. 45 11,1–4 ........................................ 231 13,8 .......................................... 326f. Joël 1–3 ............................................. 131 3 .................................................. 92 Amos (Am) 4,3 .............................................. 196 5,2 .............................................. 212 8,2 ............................................. 129 8,3 ............................................. 198 9,11–15 ..................................... 307f. Micha (Mi) 1,13 ............................................ 212 2,12f. .......................................... 308 3,11 ............................................ 101 4–5 .................................... 269–271 4,8 ..................................... 212.307f. 4,9–5,3 ................................ 263.269 4,9f. .................................... 228.314 4,10 ............................................ 212 4,11 .............................................. 58 4,13f. .......................................... 320 4,13 ..................................... 212.270 5 ................................................ 321 5,1–5 ................................. 308.313f. 5,1f. .......................................... 307f. 5,11–14 ................................. 107.109 6–7 ............................................ 128 6,3 ............................................. 129
6,4 ................................................ 87 7,1–10 ................................ 128–130 Nahum (Nah) 1,2–9 .......................................... 221 3 ................................................ 100 3,1–7 .......................................... 286 3,1.4–7 ....................................... 221 3,4 ................................... 97.107.109 3,5 ................................................ 58 3,13 ............................................ 283 Habakuk (Hab) 2,1 .............................................. 129 Zefanja (Zef) 2,15 ............................................ 223 3,14 ............................................ 212 Haggai (Hag) 2,20–23 ..................................... 308 Sacharja (Sach) 2,11 ............................................ 212 2,14f. ................................... 308.315 2,14 ............................................ 212 3,1–10 ........................................ 308 6,9–15 ........................................ 308 9 ................................................ 321 9,1–8 .......................................... 315 9,9f. ............................. 308.315–318 9,9 ....................................... 209.212 9,11–17 ..................................... 318f. 11,4–14 ...................................... 308 12 ............................................... 321 12,5f. ......................................... 218 12,9–14 ............................. 308.320f. 13,7–9 ........................................ 308 14,2 ............................................ 282 Maleachi (Mal) 3,5 ................................................ 99
Stellenregister 381 Psalmen (Ps) 9,15 ............................................ 212 22 ........................................ 326.329 45 ............................................... 317 45,9f. ......................................... 198 45,10 .......................................... 201 45,13 .......................................... 212 45,14f. ........................................ 196 48,8 ............................................ 212 51,2 ............................................ 201 58,6 ............................................ 104 68,25ff. ........................................ 49 103,13 ........................................ 328 123,2 .......................................... 202 137,8 ................................... 212.222 147,10 ........................................... 57 Ijob 2,3 ............................................. 148 Sprichwörter (Spr) 1–9 ............................................ 226 1 .................................................. 60 2,17 ............................................ 218 8 .................................................. 60 9,13 ............................................ 104 9,14 .............................................. 57 30,23 .......................................... 202 31,3–5 ........................................ 200 31,10–31 ..................................... 226 31,10 .......................................... 104 Hohelied (Hld) 1,4 .............................................. 317 5,16 ............................................ 244 Kohelet (Koh) 2,7f. ......................................... 197f. Klagelieder (Klgl) 1–2 ............................................. 211 1,6 .............................................. 212 1,7.11 .......................................... 244
1,15 ............................................ 212 2–4 ............................................ 212 2,1f.4f. ....................................... 212 2,4 ............................................. 244 2,8.10.13 .................................... 212 2,14 ............................................ 284 2,15.18 ....................................... 212 4,21f. .......................................... 212 5,11 ............................................ 282 Ester (Est) 2,3.8f.11.13–15 ........................... 196 Daniel (Dan) 2,2 ............................................... 99 9,24–27 ...................................... 308 11,31 .......................................... 218 Esra (Esr) 2,1 .............................................. 222 2,55.57.65 .................................. 198 5,1f. .............................................. 83 5,12 ............................................ 222 6,14 .............................................. 83 9,11 .............................................. 83 Nehemia (Neh) 2,6 ............................................. 201 3,13 ............................................ 259 6,5–9 ........................................... 83 6,14 ...................................... 82f.113 9,26.30.32 .................................... 83 13,26 ................................... 184.201 1 Chronik (1 Chr) 1 ................................................ 218 2,16 ............................................ 187 2,49 ............................................ 145 3,1–4.5–9 ................................ 200f. 3,10 ............................................ 206 4,30 ............................................ 147 10,12 ............................................ 34 10,13 .......................................... 102
382 Stellenregister 14,3 ............................................ 200 15,29 .......................................... 201 21,1 ............................................ 148 25,1–7 ........................................ 114 25,5f. ........................................... 92 2 Chronik (2 Chr) 8,11 ............................................ 200 11,18–22 ............................. 201.204 13,21 .......................................... 201 15,16 ................................... 202.204 18,2 ............................................ 148 21,6 ............................................ 204 21,12–19 .................................... 200 22,2 ........................................... 204 22,11 ........................................ 197f. 23,19 ............................................ 50 24,3 ............................................ 201 29,1 ............................................ 204 33,6 .............................................. 96 34 ................................................. 84 34,8–28 ...................................... 125 34,20–28 ................................... 100 34,22 ............................................ 82 35,25 .......................................... 198
Deuterokanonische Schriften Judit (Jdt) 9,11 .............................................. 57 Jesus Sirach (Sir) 6,18–37 ...................................... 226 14,20–15,10 ............................... 226 51,13–30 .................................... 226
Neues Testament Matthäus (Mt) 1 ................................................ 136 1,6f. ........................................... 136 1,23f. ....................................... 309f. 14,6 .............................................. 50
Markus (Mk) 6,22 ............................................. 50 Lukas (Lk) 1,31 ............................................ 310 2,36–38 .................................. 67.113 Apostelgeschichte (Apg) 2,17 ............................................ 131 21,9 .............................................. 67 Der Brief an die Römer (Röm) 16,2 ............................................ 237 Der Brief an die Philipper (Phil) 4,3 .............................................. 237 Offenbarung (Offb) 2,20 ........................................... 106 17–18 ......................................... 222 21,10–23 .................................... 211
Altorientalische Texte A. 3165 ........................................ 69 ANET 288 .......................... 198.200 ARM 2 48 ............................... 156f. ARM 22 326 ............................... 69 ARM 26 195 ............................... 90 ARM 26 197 ........................ 71.88f. ARM 26 198 ............................... 74 ARM 26 199 ....................... 71f.88f. ARM 26 200f. ........................ 70.89 ARM 26 202f. ............................. 71 ARM 26 204 .......................... 70.89 ARM 26 207f. .......................... 89f. ARM 26 210 ........................... 72.89 ATM 26 211 ................................ 90 ARM 26 212f. ........................ 74.89 ARM 26 214 ........................... 72.89 ARM 26 217.227 ......................... 89 ARM 26 229 ............................... 72 ARM 26 232.236 ................. 72.88f.
Stellenregister 383 ARM 26 237 ......................... 69f.72 ARM 26 238 .......................... 72.90 ARM 26 239f. ............................. 89 Atra-Ḫasīs I 189–194 ................ 235 B II 1–2 ..................................... 229 CH 137–140 ............................... 232 CH 141–143 ............................. 231f. CH 145–149.170.171a ................. 232 FM 3 3 ......................................... 69 FM 7 39 .................................. 70.89 K 2001+ ....................................... 75 KTU 1.3 V 19–34 ...................... 149 LE 28 ......................................... 229 M. 7160 .................................. 69.89 M. 11299 ..................................... 74 Mescha-Stele 4f. ........................ 151 MSL 12 4.212 .............................. 73 MSL 12 4.222 .............................. 75 MSL 12 5.22 ................................ 69 MSL 12 6.2 ................................. 73 SAA 9 1.1 .................................... 81 SAA 9 1.4f. ............................. 82.89 SAA 9 1.7 ............................... 80.90 SAA 9 1.8 .................................... 90 SAA 9 2.1 .................................... 90 SAA 9 2.2 ................................... 82 SAA 9 2.6 ................................... 90 SAA 9 5 ...................................... 90
SAA 9 7 .................................... 77f. SAA 9 9 ...................................... 78 SAA 9 10 ................................... 77f. SAA 10 109.352 ................. 77.79.90 SAA 12 69 .............................. 77.89 SAA 13 37 ............................. 77f.89 SAA 13 144 ................................. 90 SAA 13 148 ................................. 80 SAA 16 59 ........................ 80.88–90 SpTU 3 116 .................................. 77 Šumma izbu xi ............................ 76 Šumma ālu i ................................ 75 TCL 10 39 ................................... 69 VS 19 1 ................................... 73.76
Rabbinische Schriften b. Meg 14a ................................. 118 b. Meg 14b ................................. 126 b. San 67a ................................... 112 m. Av 2,7 ..................................... 95 m. San 6,4 .................................. 112 y. San 6,6 ................................... 112
Flavius Josephus A.J. 7,61ff. ................................. 214 B.J. 5,137 ................................... 214
AutorInnen Michaela Bauks ist Professorin für Altes Testament und Religionsgeschichte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Athalya Brenner-Idan ist emeritierte Professorin für Hebrew Bible/Old Testament an der Universität von Amsterdam und außerordentliche Professorin am Department of Old and New Testament der Universität Stellenbosch (Südafrika). Ora Brison ist Post-Doctoral Fellow am Department of Biblical Studies der Universität Tel Aviv. L. Juliana Claassens ist Professorin für Altes Testament am Department of Old and New Testament der Universität Stellenbosch (Südafrika). Marta García Fernández ist assoziierte Professorin am Departamento de Sagrada Escritura e Historia de la Iglesia der Päpstlichen Universität Comillas, Madrid. Maria Häusl ist Professorin für Biblische Theologie am Institut für Katholische Theologie der Technischen Universität Dresden. Rainer Kessler ist emeritierter Professor für Altes Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg. Nancy C. Lee ist Professorin für Religious Studies (Hebrew Bible) am Department of Religious Studies am Elmhurst College. Hanne Løland Levinson ist Assistant Professor am Department of Classical and Near Eastern Studies der University of Minnesota. Christl M. Maier ist Professorin für Altes Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg. Ilse Müllner ist Professorin für Biblische Theologie am Institut für Katholische Theologie der Universität Kassel. Martti Nissinen ist Professor für Alttestamentliche Studien an der Theologischen Fakultät der Universität Helsinki.
AutorInnen 385 Ombretta Pettigiani ist Dozentin für die Heilige Schrift am Istituto Teologico di Assisi. Ruth Poser ist Dozentin beim Kirchlichen Fernunterricht der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Benedetta Rossi ist Lehrbeauftragte am Päpstlichen Bibelinstitut, Rom. Silvia Schroer ist Professorin für Altes Testament mit besonderer Berücksichtigung der biblischen Umwelt an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Omer Sergi ist Lehrbeauftragter am Department of Archaeology and Ancient Near Eastern Cultures der Universität Tel Aviv.
Die auf 21 Bände angelegte internationale, in den vier Sprachen Deutsch, Englisch, Italienisch und Spanisch erscheinende Enzyklopädie „Die Bibel und die Frauen“ setzt sich zum Ziel, eine Rezeptionsgeschichte der Bibel, konzentriert auf genderrelevante biblische Themen, auf biblische Frauenfiguren und auf Frauen, die durch die Geschichte hindurch bis auf den heutigen Tag die Bibel auslegten, zu präsentieren.
3.2 Frauentexte und apokryph gewordene Schriften des frühen Christentums: Silke Petersen/Outi Lehtipuu (Hrsg.)
Christliche und jüdische Forscherinnen und Forscher aus den Wissenschaftstraditionen der vier Sprachräume erarbeiten dieses interdisziplinäre Werk, das theologische, archäologische, ikonographische, kunsthistorische, philosophische, literaturwissenschaftliche und sozialgeschichtliche Genderforschung miteinander ins Gespräch bringen und neue Untersuchungen anregen will. Im Zentrum des Interesses stehen
5. Patristische Zeit 5.1 Christliche Autoren der Antike: Kari Elisabeth Børresen/Emanuela Prinzivalli (Hrsg.) 5.2 Biblische Frauenfiguren in der Exegese der Patristik: Agnethe Siquans/Markus Vinzent (Hrsg.)
• literarische Frauenfiguren der Bibel und • deren Rezeption in der Exegesegeschichte durch Exegeten und Exegetinnen, • geschlechtsspezifische Lebenszusammenhänge in biblischen Zeiten, • Frauen, die in bestimmten Epochen und Auslegungstraditionen die Bibel interpretierten, • Frauen, denen biblische Texte oder deren Auslegung zugeschrieben werden, • genderrelevante Texte (z.B. Rechtstexte) und Themen (z.B. kultische Reinheit), • die Rezeption biblischer Frauenfiguren und genderrelevanter Themen in der Kunst. 1. Hebräische Bibel – Altes Testament 1.1 Tora: Irmtraud Fischer/Mercedes Navarro Puerto/Andrea Taschl-Erber (Hrsg.) 1.2 Prophetie: Irmtraud Fischer/Juliana Claassens (Hrsg.) 1.3 Schriften: Christl Maier/Nuria CalduchBenages (Hrsg.) 2. Neues Testament 2.1 Evangelien. Erzählungen und Geschichte: Mercedes Navarro Puerto/Marinella Perroni (Hrsg.) 2.2 Neutestamentliche Briefliteratur: Korinna Zamfir/Uta Poplutz (Hrsg.) 3. Pseudepigraphische und apokryphe Schriften 3.1 Frühjüdische Schriften: Eileen Schuller/ Marie-Theres Wacker (Hrsg.)
4. Jüdische Auslegung 4.1 Talmud: Tal Ilan/Lorena Miralles Maciá/ Ronit Nikolsky (Hrsg.) 4.2 Jüdisches Mittelalter und Neuzeit: Carol Bakhos/Gerhard Langer (Hrsg.)
6. Mittelalter und frühe Neuzeit 6.1 Frühmittelalter: Franca Ela Consolino/ Judith Herrin (Hrsg.) 6.2 Frauen und Bibel im Mittelalter: Adriana Valerio/Kari Elisabeth Børresen (Hrsg.) 6.3 Renaissance und „Querelle des femmes“: Ángela Muñoz Fernandez/Xenia von Tippelskirch (Hrsg.) 7. Zeit der Reformen und Revolutionen 7.1 Reformation und Gegenreformation in Nord- und Mitteleuropa: Charlotte Methuen/Lothar Vogel (Hrsg.) 7.2 Das katholische Europa im 16.-18. Jahrhundert: Maria Laura Giordano/Adriana Valerio (Hrsg.) 7.3 Aufklärung und Restauration: Ute Gause/ Marina Caffiero (Hrsg.) 8. 19. Jahrhundert 8.1 „Säkulare“ Frauenbewegungen: Angela Berlis/Christiana de Groot (Hrsg.) 8.2 Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert: Michaela SohnKronthaler/Ruth Albrecht (Hrsg.) 9. 20. Jahrhundert und Gegenwart 9.1 Feministische Bibelwissenschaft im 20. Jahrhundert: Elisabeth Schüssler Fiorenza/Renate Jost (Hrsg.) 9.2 Aktuelle Tendenzen: Maria Cristina Bartolomei/Ilse Müllner/Lidia Rodríguez Fernández /NN (Hrsg.)