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Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski (Tübingen) · Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)
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Rüdiger Lux
Prophetie und Zweiter Tempel Studien zu Haggai und Sacharja
Mohr Siebeck
Rüdiger Lux: Geboren 1947; Studium der Ev. Theologie in Halle und Greifswald; 1977 Promotion; 1982–1985 Studentenpfarrer in Halle/Saale; 1985–1993 Dozent für Altes Testament und Hebräisch am Katechetischen Oberseminar/Kirchliche Hochschule in Naumburg; 1992 Habilitation; 1993–1995 Professor für Altes Testament an der Pädagogischen Hochschule Erfurt-Mühlhausen; seit 1995 Professor für Alttestamentliche Wissenschaft an der Universität Leipzig; 2003 Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.
e-ISBN PDF 978-3-16-151106-6 ISBN 978-3-16-149830-5 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2009 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Für die Literaturgeschichte des Alten Testaments wird der Perserzeit ein immer größeres Gewicht eingeräumt. Zwei Ereignisse haben dabei sowohl in der Diaspora als auch in Juda und Jerusalem das Denken der Judäer beschäftigt und dazu geführt, dass sie nach einer Neubestimmung ihres Ortes in der Geschichte suchten: das Ende des neubabylonischen Großreiches mit der kampflosen Einnahme Babylons durch Kyros II. (539 v. Chr.) einerseits sowie die Niederschlagung der Aufstandsbewegung im persischen Großreich durch Dareios I. (522/21 v. Chr.) andererseits, die durch den Magier Gaumata ausgelöst worden war. Das Ende des neubabylonischen Reiches ließ die Judäer danach fragen, welchen Ort und welche Lebensmöglichkeiten sie im künftigen Vielvölkerstaat der Perser haben würden. Eine Antwort darauf war nicht nur die vorbehaltlose Anerkennung Kyros II. als persischen Reichskönig, sondern darüber hinaus auch als „Gesalbten JHWHs“ (Jes 45,1). Damit trat er für einen Teil der Judäer in die Rechtsnachfolge der Davididen ein. Es liegt nahe, dass diese Sicht der Dinge vor allem unter den in Babylon lebenden Exiljudäern verbreitet war. Für eine Rückkehr nach Juda und Jerusalem sah man daher – im Unterschied zur Darstellung in Esra 1–2 – zunächst noch keine unbedingte Notwendigkeit. Erst die Niederwerfung der babylonischen Aufstände durch Dareios I. tangierte wahrscheinlich in stärkerem Maße auch das Leben der Exiljudäer in Babylon. Vermutlich haben diese blutigen Unruhen mehrere Wellen von Rückwanderern nach Juda und Jerusalem ausgelöst. In ihrer Folge kam es zu einer Neubesinnung auf die Rolle, die die sich herausbildende Provinz Jehud im Rahmen des persischen Großreiches spielen sollte, sowie auf das Selbstverständnis ihrer Bewohner. Dabei lässt sich zeigen, dass prophetische Kreise an dieser Neubesinnung federführend beteiligt waren und den Wiederaufbau des Zweiten Tempels von Jerusalem maßgeblich mit betrieben haben. Die Bücher der Propheten Haggai und Sacharja 1–8 lassen das Ringen um diese neue politische und religiöse Ortsbestimmung noch deutlich erkennen. Die vorliegenden – bis auf zwei Aufsätze bereits publizierten – Studien, die unterschiedlichen Aspekten der beiden Prophetenbücher und ihrer Botschaft nachgehen, sind in Vorbereitung eines Kommentars zum Buch des Propheten Sacharja entstanden. Sie stellen Stationen meines Nachden-
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Vorwort
kens über die mitunter kryptischen und sperrigen Bild- und Sprachwelten des Propheten dar. Ihre Zusammenstellung erfolgt nicht mit dem Anspruch, bereits ein abgerundetes Bild über das Buch, die Botschaft und den Propheten Sacharja vorzulegen, falls das überhaupt jemals möglich sein sollte. Vielmehr mag das ganze als ein Mosaik verstanden werden, in dem sich nach und nach Konturen abzeichnen, aber sicher noch manches Steinchen fehlt, das einzufügen wäre. Neben grundsätzlichen Überlegungen über den Zusammenhang der beiden „Zwillingspropheten“ Haggai und Sacharja werden bildanthropologische, historische, motiv-, redaktions- und literargeschichtliche sowie theologische und hermeneutische Fragen der Prophetenexegese erörtert. Die unterschiedlichen Fragestellungen zwingen dazu, die Texte immer neu aus jeweils veränderten Perspektiven in Blick zu nehmen und sie dadurch vor einer Vereinnahmung durch ihre Leser zu bewahren. Ich hätte mich wahrscheinlich nicht so intensiv auf das abgründige Gebiet der Sacharjaexegese begeben, wenn Prof. Dr. Erich Zenger (Münster) mir nicht die Kommentierung dieses Prophetenbuches übertragen und mich immer wieder dazu ermutigt hätte. Für das mir damit entgegen gebrachte Vertrauen sei ihm an dieser Stelle herzlich gedankt. Ebenso gilt mein Dank den Kollegen Prof. Dr. Bernd Janowski (Tübingen), Prof. Dr. Mark S. Smith (New York) und Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Spieckermann (Göttingen) für die Bereitschaft, diese gesammelten Studien in die „Forschungen zum Alten Testament“ aufzunehmen. Zu danken habe ich auch meinen Leipziger Mitarbeitern Friederike Kaltofen, Florian Panzner, Gregor Reichenbach und Birgit Starke, die mit großer Sorgfalt die Anmerkungsapparate und Literaturangaben vereinheitlicht, Korrekturen gelesen, Fehler und Versehen beseitigt und mir manch wertvollen Hinweis gegeben haben. Vor allem gilt dieser Dank meinem Assistenten PD Dr. Raik Heckl, der nicht nur die technischen Arbeiten koordinierte, die Register und ein druckfertiges Manuskript erstellte, sondern mir auch ein wichtiger Gesprächspartner in der Sache war. Leipzig, im Dezember 2008
Rüdiger Lux
Inhalt Zwei Propheten – ein Buch Das Zweiprophetenbuch. Beobachtungen zu Aufbau und Struktur von Haggai und Sacharja 1–8 ............................................................................................. 3
Bilder – Visionen – Texte Was ist eine prophetische Vision? Vom langen Weg der Bilder in den Nachtgesichten des Sacharja ............................................................................................ 29 Bilder in Texten. Bild-anthropologische Aspekte der Nachtgesichte des Sacharja .............................................................................................................................. 54
Land – Stadt – Tempel Juda – Erbteil JHWHs. Zur Theologie des Heiligen Landes in Sach 2,14–16 .............................................................................................................................. 73 Das neue und das ewige Jerusalem. Planungen zum Wiederaufbau in frühnachexilischer Zeit ....................................................................................................... 86 Die Kinder auf der Gasse. Ein Kindheitsmotiv in der prophetischen Gerichts- und Heilsverkündigung ............................................................................... 102 Der Zweite Tempel von Jerusalem. Ein persisches oder prophetisches Projekt? .................................................................................................................................... 122 Himmelsleuchter und Tempel. Beobachtungen zu Sacharja 4 im Kontext der Nachtgesichte ............................................................................................ 144 „Mir gehört das Silber und mir das Gold – Spruch JHWH Zebaots“ (Hag 2,8). Überlegungen zur Geschichte eines Motivs ................ 165
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Inhalt
„Still alles Fleisch vor JHWH ...“. Das Schweigegebot im Dodekapropheton und sein besonderer Ort im Zyklus der Nachtgesichte des Sacharja ............................................................................................................................ 180
Gott – Gottesvolk – Völker JHWHs „Herrlichkeit“ und „Geist“. Die „Rückkehr JHWHs“ in den Nachtgesichten des Sacharja ......................................................................................... 193 Die doppelte Konditionierung des Heils. Theologische Anmerkungen zum chronologischen und literarischen Ort des Sacharjaprologs (Sach 1,1–6) ............................................................................................................ 223 „Wir wollen mit euch gehen ...“. Überlegungen zur Völkertheologie Haggais und Sacharjas ...................................................................................................... 241
Propheten – Engel – Prediger „... damit ihr erkennt, dass JHWH Zebaot mich gesandt hat“. Erwägungen zur Berufung und Sendung des Propheten Sacharja ............. 269 Wer spricht mit wem? Anmerkungen zur Angelologie in Sach 1,7–17 .... 283 Der Deuteengel und der Prophet. Biblisch-hermeneutische Aspekte der Angelologie .................................................................................................................... 293 „... und auf die Seher folgen die Prediger“. Erwägungen zum Verhältnis von Prophetie und Predigt .............................................................................. 302
Verzeichnisse Abbildungen .......................................................................................................................... 324 Nachweise ............................................................................................................................... 325 Literatur ................................................................................................................................... 327 Register ..................................................................................................................................... 349
Zwei Propheten – ein Buch
Das Zweiprophetenbuch Beobachtungen zu Aufbau und Struktur von Haggai und Sacharja 1–8 Die nach den Propheten Haggai und Sacharja 1–8 benannten Schriften liegen nicht in Gestalt von zwei eigenständigen Büchern vor. Vielmehr wurden sie mit Hilfe eines chronologischen Systems in einer Komposition miteinander verknüpft.1 Die Haggai-Sacharja-Chronologie hatte ohne Zweifel die Funktion, das Wirken der beiden Propheten zeitlich präzise aufeinander abzustimmen. Die chronologische Zuordnung ihres öffentlichen Auftretens zwischen 520 und 518 v. Chr. wird weithin2 als historisch zuverlässig anerkannt und durch Esra 4,24; 5,1; 6,14 gestützt.3 1
Vgl. Zenger, Einleitung, 519ff.572ff; Tollington, Tradition, 11–47 u.a.; Bauer, Zeit, bezieht in seine Untersuchungen zur Struktur und Komposition von Hag und Sach 1–8 auch Sach 9–14 und Mal mit ein. Dass es hier Verbindungen gibt, ist unbestritten. Allerdings wird durch das andere Überschriftensystem (ēĬġ – Sach 9,1; 12,1; Mal 1,1) deutlich, dass Hag und Sach 1–8 ursprünglich eine eigene Einheit darstellten, die erst später in eine noch komplexere Größe inkorporiert wurde. Die folgenden Überlegungen sind primär dem Verständnis der Gesamtkomposition Hag/Sach 1–8 gewidmet. Sie nehmen damit das Anliegen der Prophetenbuchexegese auf, das vor allem von Steck, Prophetenbücher; ders., Gott in der Zeit, entfaltet wurde. Da Prophetenbücher selbst in mehreren Fassungen existieren konnten, stellt sich die Frage, welche Fassung bei der Prophetenbuchexegese jeweils im Blick ist. So liegen die Bücher Haggai und Sacharja in den gängigen Bibelausgaben als selbständige Bücher vor und werden häufig auch als solche gelesen und ausgelegt. Es wäre aber noch zu klären, ob sie wirklich jemals als solch eigenständige Einheiten existierten, bevor sie ins Dodekapropheton integriert wurden, oder ob es sich nicht von Anfang an um eine Zweiprophetenbuchrolle handelte. Da diese Zweiprophetenbuchrolle ursprünglich nicht Sach 9–14 enthalten haben dürfte, beschränken wir uns auf Hag/Sach 1–8. Das entbindet nicht von der Verpflichtung, in einem weiteren Schritt nach der größeren Kompositionsstruktur Hag 1–Mal 3 zu fragen, die aber hier nicht zur Debatte steht. 2 Dequeker, Darius, 67–92, versucht, die Errichtung des Zweiten Tempels durch Serubbabel erst unter Darius II. nach dem Mauerbau Nehemias ins 5. Jh. zu datieren. Zur berechtigten Kritik an dieser allein auf redaktionsgeschichtlichen Argumenten basierenden Umdatierung vgl. Uehlinger, Figurative Policy, 337. 3 So u.a. Beuken, Haggai – Sacharja, 21ff. Das gilt auch dann, wenn man die Datierungen mit guten Gründen für redaktionell hält. Vgl. Schöttler, Gott, 19–23 und Meyers/Meyers, Haggai, Zechariah, XLIV–XLVIII. Zur historischen Validität der Daten siehe auch Donner, Geschichte, 412ff.
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Zwei Propheten – ein Buch
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Fragt man nach dem sachlichen Zusammenhang, der die Überlieferung dieser beiden Propheten miteinander verbindet, so wird immer wieder auf den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels verwiesen, der im Zentrum ihrer Bemü|hungen gestanden habe.4 Diese opinio communis wurde für Sacharja jüngst durch Arbeiten von Peter Marinkovic5 und Holger Delkurt6 massiv infrage gestellt. Ihr Ergebnis wird von Delkurt wie folgt zusammengefasst: „Die lange Zeit unumstrittene These, Sacharja sei der Prophet des Tempels und des Kults, ist [...] kaum zu halten.“7 Ja, er glaubt sogar aufgrund der „Vermeidung priesterlicher Terminologie“ in Sach 1–88 „einen Gegenentwurf zu bestimmten priesterlichen Konzepten der frühnachexilischen Zeit“ erkennen zu können.9 Wenn Marinkovic und Delkurt im Recht wären, dann entfiele damit der innere sachliche Grund für die äußere chronologische Verzahnung der Stimmen dieser beiden Propheten. Im Folgenden soll daher gefragt werden, ob es über die chronologischen Intentionen hinaus auch theologische Implikationen gab, die die HaggaiSacharja-Chronisten veranlassten, beide Prophetenschriften miteinander zu verbinden und welche dies gewesen sein könnten.
1. Zur Haggai-Sacharja-Chronologie Ein Blick auf das chronologische System in Hag und Sach lässt einige Auffälligkeiten erkennen. Es liegen drei- und zweigliedrige Datenangaben vor. Die zweigliedrigen Datenangaben im Buch Haggai folgen immer auf vollständige dreigliedrige Angaben. Sie verzichten auf die nochmalige Nennung des Jahres, wenn sich dieses aus den vorhergehenden Angaben von selbst ergab (Hag 1,15a; 2,18.20).
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Vgl. neben den gängigen Kommentaren Rendtorff, Einführung, 248; Zenger, Einleitung, 572.580; Kaiser, Einleitung, 284.288; Rendtorff, Theologie I, 281ff; Blenkinsopp, Prophetie, 198ff; Koch, Profeten II, 163ff u.a. 5 Marinkovic, Tempel, 281–295. 6 Delkurt, Sacharja und der Kult, 27–39. 7 Delkurt, Sacharja und der Kult, 39. 8 Dabei untersucht Delkurt allerdings nur Sach 2,5–9 und 3,1–7 eingehender. Wichtige andere Passagen, die durchaus Tempel und Kult betreffen (6,9ff; 7,1ff; 8,18f.20ff), sind nicht im Blick. Das verwundert, weil die weitreichende These sich wohl nur auf der Grundlage des Gesamtzeugnisses von Sach 1–8 zuverlässig begründen ließe. 9 Delkurt, Sacharja und der Kult, 39; vgl. auch ders., Nachtgesichte, 138ff.190. 322.324f.
[192/193] Hag 1,1 Hag 1,15a Hag 1,15b; 2,110 Hag 2,10 Hag 2,18 Hag 2,20 Sach 1,1 Sach 1,7 Sach 7,1
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Das Zweiprophetenbuch J T J T T T M T J
M M M M M (M) J M T
T T J
J M
01.06.2.J. 24.06. 21.07.2.J. 24.09.2.J. 24.09. 24.09. 00.08.2.J. 24.11.2.J 04.09.4.J
= 29.08.520 = 21.09. = 17.10.520 = 18.12.520 = 18.12. = 18.12. = 00.11./12. 520 = 15.02.519 = 07.12.518 |
Auffällig ist die dreimalige Nennung des 24.09. im 2. Jahr des Darius in Hag 2,10.18.20. Sie macht ohne Zweifel deutlich, dass der Chronist diesem Tag eine zentrale Bedeutung in seinem gesamten System einräumte. Dieses Datum sollte sich bei den Lesern offensichtlich einprägen: ĬĘĜīĖğ ĠĜĭĬ ĭģĬĔ ĜĥĜĬĭğ ėĥĔīēĘ ĠĜīĬĥĔ 2,10 đīġēğ ēĜĔģė ĜĕĚČğē ėĘėĜČīĔĖ ėĜė ĜĥĜĬĭğ ėĥĔīēĘ ĠĜīĬĥ ĠĘĜġ ĜĕĚČğē ĭĜģĬ ėĘėĜČīĔĖ ĜėĜĘ
2,18bƝ 2,20
đīġēğ ĬĖĚğ ėĥĔīēĘ ĠĜīĬĥĔ
Datierung und Wortereignisformel sind dabei in 2,10.20 chiastisch einander zugeordnet11 und deuten somit an, dass die Unterabschnitte in Hag 2,10–23 (V. 10–14.15–19.20–23) im Zusammenhang gelesen und verstanden werden wollen. Die dreimalige Nennung des 24.09. im 2. Jahr des Darius wird mit drei Aktionen verbunden, die diesen Tag ausfüllen: – die Einholung einer priesterlichen Tora, die Reinheit bzw. Unreinheit des Volkes betreffend (2,10–14) – die Ermutigung zum Tempelbau und dessen Grundsteinlegung (2,15–19) – die Verheißung an Serubbabel (2,20–23) Im Zentrum des Gesamtabschnittes steht also das Ereignis der Grundsteinlegung des Tempels, das der Chronist noch einmal ausdrücklich mit der Angabe des Tages und des Monats verbunden hat.12 | 10
1,15b ist wahrscheinlich in Analogie zu 1,1 mit 2,1 zu verbinden. Siehe dazu Wolff, Haggai, 40f, und Beuken, Haggai – Sacharja, 48f. 11 Vgl. Graf Reventlow, Haggai, 29. Siehe zur Beschreibung der Zeitstruktur von Hag 2,10–23 Bauer, Zeit, 31ff. 12 Wellhausen, Skizzen, 170f, sieht in dem Datum in V. 18b einen späteren Zusatz. Dem schließen sich u.a. Beuken, Haggai – Sacharja, 210, und Wolff, Haggai, 43, an. Ob
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Zwei Propheten – ein Buch
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Der gesamte Mittelabschnitt (2,15–19) wird durch eine Reihe von eigenen Zeitmarken gegliedert. Eingeleitet durch ėĭĥĘ (vgl. Hag 1,5; 2,4) werden die Hörer dreimal aufgefordert (2,15.18a.b), ihre Herzen fest auf diesen bestimmten Tag und die Folgezeit zu richten (ėęė ĠĘĜėČĢġ ĠĞĔĔğ ēģČĘġĜĬ ėğĥġĘ). Die litaneiartige, fünffache Wiederholung des Nomens ĠĘĜ, verbunden mit der Präposition Ģġ (V. 15.18.19) fixiert die Hörer geradezu auf das Geschehen, das sich „von diesem Tage an“ durchzusetzen begann. Es ist der Tag der Grundsteinlegung des Tempels, der vom Chronisten als Apposition in V. 18b noch einmal eingeschaltet wurde, um jeden Zweifel auszuschschließen. „Von diesem Tage an“ sagt JHWH seinen Segen zu. Der Tag der Grundsteinlegung ist es demnach, der die Wende vom Mangel zur Fülle, vom Fluch zum Segen und – wenn seine Verbindung mit 2,10–14 ursprünglich ist, wofür einiges spricht13 – auch von der kultischen Unreinheit des Volkes zur Reinheit bringt. Die Botschaft Haggais endet demnach mit dem Tag der Grundsteinlegung. Von ihm aus wird zurückgeschaut auf die Zeit, in der der Tempel noch in Trümmern lag (1,1), und auf den Beginn der Aufräumungsarbeiten (1,14f).14 Und von ihm aus wird in einer Weissagung vorausgeschaut auf es sich hierbei um einen Bestandteil der Hag-Sach-Chronologie handelt, die ja den ihr vorliegenden Stoff erst nachträglich in der vorliegenden Weise geordnet haben dürfte, oder ob es zu dem chronologischen Überschriftensystem selbst sekundär hinzugefügt wurde, ist für unsere Fragestellung unerheblich. In jedem Falle erklärt sich daraus das Perfekt Pual von ĖĤĜ, da auch der Hag-Sach-Chronist bereits auf den Tag der Grundsteinlegung zum Zweiten Tempel zurückschaute. Die Annahme eines Textfehlers, wonach hier nach 1,15 der 24.06. anstatt des 24.09. gemeint gewesen sei (so Rudolph, Haggai, 51), ist daher nicht zwingend. Vgl. auch Anm. 14. 13 Wolff, Haggai, 40f, hat einen älteren Vorschlag aufgegriffen und ordnet 2,15–19 hinter 1,15a ein, da diesem Datum das dazugehörige Prophetenwort fehle. Die Umstellung ist allerdings nicht unproblematisch. Einmal zeigt 2,18, dass der Chronist seine Datenangaben nicht ausschließlich am Anfang einer Einheit platziert. Zum anderen lässt sich 1,15a sinnvoll auf den vorhergehenden Bericht vom Beginn der Arbeiten am Tempel beziehen, während 1,1 den Beginn der prophetischen Tätigkeit Haggais markiert. Vgl. zur Beibehaltung der vorliegenden Textabfolge Koch, Haggais unreines Volk, 59; Rendtorff, Einführung, 249; Graf Reventlow, Haggai, 24. 14 Das in Hag dargestellte Baugeschehen ist in seiner Abfolge durchaus sinnvoll. Galling, Serubbabel, 135: „Die Etappen des Werkes kann man bei den jeweils datierten Sprüchen Haggais gut verfolgen, stellen diese doch geradezu eine Bauchronik dar.“ Erst in 2,15 wird von einem Tag geredet, an dem „Stein zu Stein“ gelegt wurde. Die Formulierung ĢĔēČğē ĢĔēČĠĘĬ zielt wahrscheinlich auf die Herstellung der drei Lagen von massiven Steinquadern (Esr 6,4), die die Fundamente bildeten (vgl. Galling, Serubbabel, 129, und Meyers/Meyers, Haggai, 59). Nach 2,18b war dies der 24.09., der mit einem Gründungsakt verbunden war. Vgl. zur spezifischen bautechnischen Bedeutung von ĖĤĜ Mosis, ĖĤĜ, ThWAT III, 668ff. In 1,14 ist lediglich von der Aufnahme der Arbeit ( ĘĬĥĜĘ ĘēĔĜĘ ėĞēğġ) die Rede, die vorbereitenden Charakter gehabt haben dürfte, da nach 2,3 der
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Das Zweiprophetenbuch
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eine bereits angekündigte (2,6), alle Völker und Königreiche umfassende Erschütterung von kosmischen Ausmaßen (2,21f), die mit der Erwählung des Hoffnungsträgers Serubbabel, dem Siegelring JHWHs, einhergeht (2,23). Da keines der anderen Daten in der Haggai-Sacharja-Chronologie mehrfach benannt wird, darf man mit Fug und Recht annehmen, dass der 24.09. im zweiten Jahr des Darius für den Chronisten das eigentliche Schlüsseldatum in seiner Chronologie darstellt. Dieser Tag wurde zur Wasserscheide für | das Geschick seines Volkes. Setzt man daraufhin die Lektüre mit dem Sacharjabuch fort, so ergeben sich einige Auffälligkeiten. Der in Hag 2,15–19.20–23 in die nahe Zukunft gerichtete Blick wird mit Sach 1,1–6 abrupt wieder in die Vergangenheit gewendet. Dabei ist Sach 1,1 die einzige chronologische Notiz, die noch einmal hinter ein bereits erreichtes Datum zurückgreift. Außerdem ist es das einzige Datum in der gesamten Reihe, das nicht den präzisen Tag des Folgegeschehens zu benennen weiß, sondern lediglich mit der Angabe des Jahres und des Monats arbeitet. Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass Sach 1,1 eine spätere Ergänzung zu dem ihm vorgegebenen chronologischen System darstellt.15 Ein weiteres Indiz, das für diese Vermutung spricht, ist die Differenz in der Orthographie der nomina propria: Sach 1,1 ĘĖĥČĢĔ ėĜĞīĔČĢĔ / 1,7 ēĘĖĥČĢĔ ĘėĜĞīĔČĢĔ.16 Neubau noch einem „Nichts“ gleicht (ĢĜēĞ) und Haggai in 2,4 erneut zur Wiederaufnahme der Aktivitäten auffordert (ĘĬĥĘ). 15 Da Sach 1,1 in dem vorliegenden Zweiprophetenbuch den Sacharjateil eröffnet, hätte man die vollständigere chronologische Angabe wie bereits bei Hag eher in der Spitzenstellung erwartet und nicht erst in 1,7. Stattdessen hat sich offensichtlich ein späterer Redaktor an 1,7, dem ursprünglichen „Buchanfang“, orientiert, die ihm wichtigen Daten von dort übernommen und damit einen neuen Bucheingang fingiert. 16 Schöttler, Gott, 404ff, hat mit geradezu kriminalistischem Scharfsinn versucht, hinter den genealogischen Angaben und ihren orthographischen Differenzen unterschiedliche Konzeptionen ihrer Interpolatoren aufzudecken. Während mit 1,1, einem Rückgriff auf Jes 8,2 und 2 Chr 12,15; 13,22, eine prophetische Abstammung Sacharjas konstruiert worden wäre, hätte 1,7 auf der sehr späten Grundlage von Neh 12,4.16 eine priesterliche Herkunft des Propheten fingiert (414). Dabei habe, was nach unserer Analyse des chronologischen Gesamtsystems wenig wahrscheinlich scheint, der Vf. von 1,7 auf 1,1 zurückgegriffen. Schöttlers These rechnet allerdings mit zu vielen Unbekannten, um wirklich überzeugen zu können. So lässt sich angesichts der Häufigkeit der Namen Sacharja(hu) und Berechja(hu) in vorexilischer, exilischer und frühnachexilischer Zeit weder eine „Kontamination“ des in Jes 8,2 erwähnten vorexilischen ĘėĜĞīĔĜ ĢĔ ĘėĜīĞę mit dem nachexilischen Sacharja wirklich schlüssig nachweisen (407f), noch scheint es mir erwiesen zu sein, dass es sich bei den genealogischen Angaben in Esr 5,1; 6,14; Neh 12,4.16 lediglich um späte Konstruktionen handelt. Vgl. dazu auch Hanhart, Sacharja, 19f, und Meyers/Meyers, Haggai, 92, die mit Recht betonen: „While the Iddo/Berechiah problems cannot be sorted out on the basis of existing information, it is important to realize that
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Geht man aufgrund dieses Befundes davon aus, dass Sach 1,1 ursprünglich nicht zu der Haggai-Sacharja-Chronologie gehörte, dann stellt sich die Frage, warum sich ein späterer Redaktor genötigt sah, noch ein weiteres Datum in die bereits bestehende Chronologie einzustellen. Die plausibelste Antwort ist immer noch die, dass 1,1 erst durch die Vorschaltung des Sacharjaprologes (1,2–6) vor den Zyklus der Nachtgesichte erforderlich wurde. Ohne 1,1 müsste man 1,2–6 als Fortsetzung der Botschaft Haggais lesen, wodurch sich ein Bruch in der strengen Zeitfolge des Haggaibuches ergäbe, das ja gerade in der Grundsteinlegung am 24.09. gipfelte. Die Aufforderung zur Umkehr kä|me in Sach 1,2 zu spät, da mit der Aufnahme der Arbeiten am Tempel diese ja bereits vollzogen und die Wende zum Besseren eingeläutet worden war.17 Geht man daher probeweise einmal davon aus, dass es eine Vorform der durch einen Chronisten geschaffenen Haggai-Sacharja-Komposition unter Ausschluss von Sach 1,1–6 gab,18 dann ergibt sich für diese Komposition ein schlüssiger Lesezusammenhang.
2. Zur Wiederaufnahme von Hag 2,20–23 in Sach 1,7–6,8 James Nogalski hat auf das „Catchword Phenomenon“ hingewiesen, durch welches das Ende der einzelnen Bücher des Dodekaprophetons mit dem Anfang des jeweils folgenden verknüpft wurde.19 Dabei fällt auf, dass es zwischen Hag 2,20–23 und Sach 1,1–6 nur ein signifikantes verbindendes Lexem gibt, die Bezeichnung Serubbabels und der früheren Propheten als „mein Knecht“ bzw. „meine Knechte“ (ĜĖĔĥ) in Hag 2,23; Sach 1,6. Die Mehrzahl von lexematischen Verknüpfungen begegnet dagegen zwischen Hag 2,20–23 und Sach 1,7–11:
Zechariah’s priestly background would have been conveyed to his contemporaries by the use of the name Iddo, evidently a man of special prominence.“ 17 Der Interpolator wusste also genau, was er tat, wenn er mit Sach 1,1 die Umkehrpredigt in V. 2–6 vor dem Tag der Grundsteinlegung datierte. 18 Dass Sach 1,1–6 nicht zum ursprünglichen Bestand Protosacharjas gehörte, hat bereits Beuken, Haggai – Sacharja, 84–115, durch eine gründliche Analyse wahrscheinlich gemacht. Schöttler, Gott, 401ff, sieht in 1,1–6 einen Endredaktor aus dem 3. Jh. am Werk. Als sekundär wird der Abschnitt auch von Blenkinsopp, Geschichte, 207; Kaiser, Einleitung, 288, u.a. betrachtet. Anders Rudolph, Sacharja, 67ff; Hanhart, Sacharja, 6ff; Graf Reventlow, Haggai, 36ff; Meyers/Meyers, Haggai, 104, sehen in 1,1–6 „Zechariah and/or his secretary-compiler“ am Werk. Als redaktionell aber nicht zur Zwölfprophetenbuch-Redaktion gehörig betrachten den Abschnitt Nogalski, Precursors, 257ff, und Delkurt, Nachtgesichte, 15. 19 Nogalski, Precursors, 21ff.
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Das Zweiprophetenbuch
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Ĩīē – Hag 2,21/Sach 1,10f ĤĘĤ – Hag 2,22/Sach 1,8 ĔĞī – Hag 2,22/Sach 1,8
Diese Stichwortverbindungen, die Nogalski aufzeigt, greifen aber noch zu kurz. Sie signalisieren nicht nur eine lexematische Verknüpfung der Schriften Haggais und Sacharjas, sondern weisen sehr viel umfassender auf eine bewusste thematische Komposition hin, die hier nur in ihren Grundzügen vorgestellt werden kann: Wie bereits festgestellt, endet das Buch Haggai am 24.09., dem Tag der Grundsteinlegung des Tempels, mit einem JHWH-Wort, das Haggai dem | Statthalter Judas (ėĖĘėĜČĭĚħ) ausrichten soll (2,20–23).20 Diese JHWH-Botschaft ist zweigeteilt. In V. 21f wird eine Himmel und Erde umfassende Erschütterung angesagt, die JHWH in Gang setzt.21 Im Zuge dieser Erschütterung wird der „Thron der Königreiche“22 gestürzt und die „Macht der Königreiche der Völker“ in Gestalt ihrer Streitwagen- und Reiterheere im Schwertkampf von jedermann gegen jeden vernichtet. Exakt an 20
Bickermann, La seconde année, 23–28, datiert die Weissagungen in Hag 2,20–23 vom Aufruhr der Völker in das Jahr 521 v. Chr., in dem Darius noch mit der Niederwerfung des Aufstandes des Gaumata und den damit verbundenen Erschütterungen des persischen Weltreiches beschäftigt war, wovon das berühmte Siegesrelief am Felsen von Behistun Zeugnis gibt (vgl. TUAT I/4, 419ff). Im Herbst 520 hingegen habe sich die Lage beruhigt (vgl. Sach 1,11). Neuerliche Unruhen seien nach der blutigen Unterdrückung der Aufstände in naher Zukunft nicht zu erwarten gewesen. Zum Verständnis von Hag 2,20–23 vgl. die nach wie vor erhellende Analyse von Beyse, Serubbabel, 52ff. 21 Von ihr war bereits in Hag 2,6 die Rede. Die Wendung ČĭēĘ ĠĜġĬėČĭē ĬĜĥīġ ĜģēĘ Ĩīēė, wird in 2,21 wörtlich wieder aufgenommen. Dass mit der Grundsteinlegung zum Zweiten Tempel „glühende Erwartungen eines weltpolitischen Umbruchs und einer nationalen Restauration“ (so Albertz, Religionsgeschichte, 471) verbunden waren, legt die Komposition von Hag 2,10–23, die die darin zusammengestellten Prophetenworte auf ein und denselben Tag, den 24.09., datiert, durchaus nahe. Wenn Willi-Plein, Tempel, 63, Anm. 24, dies gegen Albertz bestreitet, weil eine solche Aussage „sich nicht den Texten entnehmen“ ließe, dann unterschätzt sie m.E. die Bedeutung von Hag 2,6.20ff. Man wird allerdings davon ausgehen dürfen, dass derartige Erwartungen nicht von allen Gruppierungen z.Zt. Haggais geteilt wurden. Haggai allerdings dürfte ein Exponent solcher Erwartungen gewesen sein. So auch Sauer, Serubbabel, 201ff. 22 LXX liest den Plur. qro,nouj basile,wn. Auch das Hebräische erlaubt die pluralische Lesung. Vgl. Gesenius, Grammatik, § 124r. Zwingend ist diese Lesart aber nicht. Für den Sing. plädieren mit Blick auf den Thron des persischen Reichskönigs Meyers/ Meyers, Haggai, Zechariah, 67, und Elliger, Haggai, 97. Die Rede vom ĭĘĞğġġ ēĤĞ steht im parallelismus membrorum zu ĠĜĘĕė ĭĘĞğġġ ĪęĚ. In beiden Gliedern steht das nomen rectum im Plur. und das nomen regens im Sing. Daher hat die singularische Deutung von K. Ellinger und C. L. Meyers/E. M. Meyers viel für sich. Vgl. dazu auch Lux, „Wir wollen mit euch gehen ...“, 248ff.
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diesem Tag, an dem das geschehen wird, so der zweite Teil der JHWHBotschaft, wird JHWH Serubbabel als einen Siegelring erwählen (V. 23).23 Der Zyklus der Nachtgesichte Sacharjas (1,7–6,15) sollte – dem ursprünglichen chronologischen System entsprechend – offensichtlich als nahtlose Fortsetzung dieser Weissagung Haggais gelesen werden. Haggai sagte eine Himmel und Erde umfassende Erschütterung an. Während in Hag 2,6.20–23 die irdischen Veränderungen dieser Erschütterung zur Sprache | kommen, öffnen die Nachtgesichte den Vorhang der himmlischen Bühne.24 Sie zeigen die himmlischen Akteure, die die irdischen Turbulenzen in Gang setzen. In Hag 2,22b heißt es in einem Bikolon: ėĜĔĞīĘ ėĔĞīġ ĜĭĞħėĘ ĠėĜĔĞīĘ ĠĜĤĘĤ ĘĖīĜĘ
„Ich stürze den Streitwagen und seine Fahrer, hinsinken werden die Rosse und ihre Reiter.“
Diesen irdischen Streitwagen und Reiterarmeen werden – so unsere Annahme – spiegelbildlich die himmlischen Pferde und ihre Reiter im ersten Nachtgesicht (Sach 1,7ff) und die himmlischen Streitwagen im letzten Nachtgesicht (Sach 6,1ff) gegenübergestellt. Wenn dieser Befund kein Zufall sein sollte, dann bedeutet dies, dass die Serubbabel-Weissagung (Hag 2,20–23) nicht nur mit dem ersten Nachtgesicht durch entsprechende Catchwords verbunden wurde, sondern dass in Hag 2,22b die entscheidenden Stichworte fallen, die den gesamten Zyklus auf diese Weissagung beziehen. Die in Hag 2,21–23 angesagte Wende schaut Sacharja in den sieben Gesichten einer Nacht als Ereignisfolge, die sich der Strategie des Himmels verdankt. Von dort schwärmen die Reiter aus, um die Situation auf 23
Haggai nimmt hier das Gerichtswort über Konja (Jojachin) aus Jer 22,24 auf und wandelt es in ein Heilswort an Serubbabel um. Geschichtsdeutung vollzieht sich als Schriftdeutung! 24 Es versteht sich von selbst, dass die Nachtgesichte nicht ausschließlich ein himmlisches Geschehen im Blick haben, sondern den Himmel und die Erde zueinander in Beziehung setzen. Das wird an ihrem streng konzentrischen Aufbau deutlich. Während im 1. und 7. Nachtgesicht wahrscheinlich Himmelstorszenen vorliegen und die Leuchtervision eine symbolische Verschlüsselung himmlischer Realität enthält (siehe dazu Jeremias, Nachtgesichte, 110ff; Keel, Jahwe-Visionen, 274ff, und Uehlinger, Figurative Policy, 337ff), sind die dazwischen liegenden Paare der Nachtgesichte (2. und 3./5. und 6.) auf ein irdisches Geschehen konzentriert. Dabei verstehe ich das 8. Nachtgesicht in Sach 3 als eine Nachinterpretation von Sach 4, die konsequent die in Sach 4 dargestellte Himmelsszene fortschreibt und deswegen den Leser selbst auch in den himmlischen Thronrat entführt. Die schwierige Frage, ob der Siebenvisionen-Zyklus (ohne Sach 3) auf einen älteren Fünfvisionen-Zyklus (Pferde/Reiter Messschnur – Leuchter – Efa – Pferde/Wagen) zurückgeht (so ausführlich Schöttler, Gott, 169ff; anders Uehlinger, Figurative Policy, 338, der die ursprüngliche Sequenz „Reiter – Hörner – Messschnur – Schriftrolle – Wagen“ postuliert), welcher später zu einem Siebener- und schließlich zu einem Achterzyklus erweitert worden sei, kann hier nicht diskutiert werden. Zwingend erscheinen mir derartige Annahmen allerdings nicht zu sein.
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der Erde zu inspizieren (Sach 1,7–15) und von dort ziehen die Streitwagen in alle Himmelsrichtungen (6,1–8), um das in dem Zyklus geschaute Geschehen zur Tat werden zu lassen.25 | Gab es einen Grund für die Haggai-Sacharja-Chronisten, zwischen der Serubbabel-Weissagung vom 24.09. und den Nachtgesichten vom 24.11. einen Zeitraum von zwei Monaten einzuschalten? Lag dieser vielleicht darin, dass sich die Erfüllung dieser Weissagung, deren Beginn man ja mit dem Tag der Grundsteinlegung zum Tempel erwartete, verzögert hatte? Sollten die Nachtgesichte des Sacharja der Bewältigung dieser „Parusieverzögerung“ dienen? Wollten sie einer aufkeimenden Beunruhigung entgegenwirken? Darauf deutet möglicherweise noch das erste Nachtgesicht hin. Wenn die himmlischen Reiter von ihrem irdischen Streifzug zurückkehren und dem Boten JHWHs an der „Himmelspforte“ zwischen den Myrten erklären, ĭěĪĬĘ ĭĔĬĜ ĨīēėČğĞ ėģėĘ „Siehe, die ganze Erde ruht stille“ (1,11), dann mögen sich hinter dieser Antwort der himmlischen Reiter auch diejenigen zweifelnden Stimmen verbergen, die bislang vergeblich auf den angesagten weltumfassenden Sturz des Throns der Königreiche und ihrer hoch gerüsteten Streitwagen und Reiterarmeen warteten.26 Noch liegt die ganze 25
Hanhart, Sacharja, 391: „Das Ausgehen (der Streitwagen, Zus. v. Vf.) mit einer Botschaft in die Erde im letzten Gesicht entspricht dem Ausgehen (der Reiter, Zus. v. Vf.) mit einer Botschaft aus der Erde im ersten.“ Auch Delkurt, Nachtgesichte, 316, erkennt zutreffend, dass der „Bestandsaufnahme“ im ersten Nachtgesicht die „Tat“ im letzten folgt. Wenn es zutrifft, dass die Hag-Sach-Chronisten im Zyklus der Nachtgesichte ein Interpretament von Hag 2,20ff sahen, dann hat das erhebliche Konsequenzen für die Interpretation des schwierigen letzten Nachtgesichtes Sach 6,1–8. In diesem Falle wäre zu fragen, ob hier wirklich der Aspekt des durch die ĚĘī JHWHs ge|wirkten universalen Heils im Vordergrund steht (so vor allem Hanhart, Sacharja, 396ff, aber auch Delkurt, Sacharja und der Kult, 311ff), oder nicht doch eher sein Gerichtshandeln, was den von Delkurt klar herausgearbeiteten militärischen Konnotationen des verwendeten Bildmaterials in Sach 6,1–8 eher entspricht. Auch die LXX denkt wohl in diese Richtung, wenn sie davon redet, dass „sie (die Streitwagen) JHWHs Zorn (qumo,j) im Land des Nordens stillen“ (6,8). Das schließt allerdings den Heilsaspekt nicht aus. Haggai weissagt ja in 2,22 die Vernichtung des militärischen Potentials der Völker, hat also letztlich auch eine universale Pazifizierung im Blick. Sach 6,1–8 könnte als Auftakt dieser durch ein Gerichtshandeln JHWHs herbeigeführten Pazifizierung interpretiert werden. Seine himmlischen Streitwagen befrieden die Welt, so dass seine ĚĘī selbst im Nordland, dem Land des einstigen Erzfeindes Israels, zur Ruhe kommen kann. Graf Reventlow, Tradition, 180–190, hat diesem Nachtgesicht eine gründliche Analyse gewidmet, die den vorliegenden Text als sinnvolle Einheit erklärt. Leider geht er aber auf die wichtige Frage nach dem Charakter des Eingreifens JHWHs nicht näher ein. 26 Auch Graf Reventlow, Tradition, 190, redet von der im ersten Nachtgesicht festgestellten „Friedhofsruhe“, die durch die Ausfahrt der ĚĘī JHWHs im letzten Nachtgesicht in Bewegung gerät. In den Kommentaren von W. Rudolph; C. L. Meyers/E. M. Meyers; H. Graf Reventlow u.a. wird diese Ruhe immer wieder auf die politischen Ereig-
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Erde still, zwei Monate nach der Grundsteinlegung ist immer noch keine Veränderung spürbar. Das aber war die Stunde des Sacharja, in der sich ihm der Himmel öffnete. Die von ihm geschauten Nachtgesichte bilden im gegenwärtigen Lesezusammenhang eine Bekräftigung und zugleich wohl auch eine Modifikation der Weissagung Haggais.27 |
3. Zur Wiederaufnahme von Hag 2,20–23 in Sach 6,9–15 Hat man einmal die kompositorische Verknüpfung zwischen der Serubbabel-Weissagung (Hag 2,20–23) und dem Zyklus der Nachtgesichte des Sacharja erkannt,28 dann ergeben sich daraus eine Fülle weiterer lexematischer und thematischer Beobachtungen. So wie auf die Ansage des weltumfassenden Umsturzes des Thrones der Königreiche in Hag 2,21f eine Weissagung an Serubbabel in V. 23 folgt, so folgt in Entsprechung dazu auf den Auszug der Himmelswagen in Sach 6,1–8, die ein – wie auch immer zu verstehendes – weltumspannendes Geschehen in Gang setzen,29 eine mit einer Zeichenhandlung verbundene Weissagung an den Hohepriester Joschua (6,9–15). Ursprünglich gehörte diese wohl nicht zum Zyklus der Nachtgesichte, sondern stellte ein selbständiges Traditionsstück dar. Darauf weist bereits die einführende Wortereignisformel in V. 9 hin.30 Dass sie in der nisse im Zusammenhang mit der Niederwerfung der Aufstände durch Darius I. zu Beginn seiner Herrschaft bezogen. So auch fragend Uehlinger, Figurative Policy, 340. Anders Hanhart, Sacharja, 61–68. 27 Vgl. dazu Lux, „Wir wollen mit euch gehen ...“, 252ff. Neben anderen Differenzen scheint mir vor allem die Beurteilung der Völker bei Sacharja differenzierter auszufallen als bei Haggai. 28 Auch in den gängigen Kommentaren zum Sacharjabuch wird der sachliche Zusammenhang zwischen Hag 2,20–23 und dem ersten Nachtgesicht immer wieder angesprochen, vor allem die Differenz zwischen dem geweissagten Völkergericht Haggais und der „erbarmungslose(n) Stille“ (so Hanhart, Sacharja, 63) in Sach 1,11f. Allerdings wurde bisher – vor allem aufgrund des Einschubs von Sach 1,1–6 – weniger wahrgenommen, dass der gesamte Zyklus der Nachtgesichte auf die Schlussweissagungen Haggais (vom Hag-Sach-Chronisten?) bezogen wurde und konsequent als eine Auslegung derselben verstanden werden kann. 29 Siehe dazu Anm. 25. 30 Zu den vielfältigen Problemen, die der Abschnitt bietet, vgl. die Kommentare z.St. und die Analysen von Beyse, Serubbabel, 77ff; Schöttler, Gott, 150–163, und Wallis, Erwägungen, 232–237. Hier sei nur auf zwei Aspekte hingewiesen. Die seit Wellhausen, Skizzen, 178, vertretene und danach häufiger übernommene These, dass hier ursprünglich von der Krönung Serubbabels die Rede gewesen sei und Joschua lediglich aufgrund der später eingetretenen Verhältnisse durch einen Diaskeuasten an dessen Stelle gesetzt worden sei, legt sich mir nicht nahe. Dagegen sprechen nicht nur die starken und textkritisch kaum zu stützenden Eingriffe in den vorliegenden Text, die solch eine Annahme
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Komposition aber unmittelbar auf die Nachtgesichte folgt, hat seinen guten Grund. Sach 6,9–15 soll als unmittelbare Auswirkung des Geschehens gelesen werden, das mit dem letzten Nachtgesicht anhebt.31 Diese in der vorliegenden Kom|position den Zyklus der Nachtgesichte abschließende Zeichenhandlung der Krönung Joschuas (6,11) und die Aufnahme der Weissagung eines „Sprosses“ (Ěġĩ) aus Jer 23,5; 33,15,32 der die Tempelhalle JHWHs (ėĘėĜ ğĞĜė) bauen wird (6,12f), ist wiederum lexematisch und thematisch eng mit Hag 2,20–23 verknüpft.33 Das entscheidende Schlüsselwort ist das Nomen ēĤĞ (Hag 2,22; Sach 6,13).34 Kontradiktorisch zum Sturz des Thrones der Königreiche bei Haggai lässt JHWH den Hohepriester Joschua und den verheißenen Spross jeweils auf ihrem Thron sitzen und miteinander Friedensrat halten. Bildet Sach 6,9–15 in der HaggaiSacharja-Komposition Auftakt und Ziel der in Hag 2,20ff angesagten Welterschütterung?35 Die Plausibilität die|ser kompositorischen Struktur nötig macht, sondern auch die Gesamtbotschaft von Sach 6,9–15. Der Abschnitt hat wohl von allem Anfang an die Doppelspitze von Hohepriester und künftigem (!) „Spross“ der Provinz Jehud und der zwischen ihnen auszutarierenden Zuständigkeits- und Machtbalance im Blick. Weiterhin lassen sich die Probleme des Abschnitts m.E. nicht mit den weitreichenden literarkritischen Thesen von G. Wallis oder H.-G. Schöttler lösen, wonach hier zwei unterschiedliche Schichten oder Rezensionen ineinandergearbeitet worden seien. Vielmehr ist der Bericht von einigen Glossen abgesehen (V. 10bƝ.12bƞ.15b) durchaus als einheitliche Zeichenhandlung verstehbar. 31 So auch Seybold, Bilder, 16: „Dennoch ist so viel deutlich, daß der Bericht an dieser Stelle einmal die Auswirkung der Vision Wagen und ihres Verkündigungsgehalts der Ausfahrung des Geistes in die babylonische Weltgegend darstellen will, wie der Prophet selbst seinen Beitrag leistet zur Realisierung dessen, was in den | Visionen insgesamt Programm ist [...]“ Galling, Exilswende, 123, sieht in der Szene von 6,9–15 die eigentliche Initialzündung für die Mitteilung des gesamten Zyklus der Nachtgesichte Sacharjas an seine Hörer. 32 Zur Ěġĩ-Verheißung bei Jeremia siehe Wanke, Jeremia, 205f; Rudolph, Jeremia, 135ff; Dommershausen, Sproß, 321–341; Tollington, Tradition, 169ff, und zuletzt Rose, Zemah. 33 Die später in den Zyklus der Nachtgesichte eingefügte Vision von der Reinigung und Investitur Joschuas (Sach 3) ist thematisch eng mit Sach 6,9–15 verbunden. In beiden Abschnitten geht es um die Gestalt Joschuas und um den verheißenen „Spross“ (Sach 3,8; 6,12). Sach 3,8 kombiniert aber den von Jer 23,5f übernommenen Ěġĩ-Titel mit dem für die Davididen gebräuchlichen ĖĔĥ-Titel (2 Sam 7,5.8.19.21.25.29; 1 Kön 11,13.32.34.36.38; 2 Kön 19,34; 20,6; 1 Chr 17,4.17ff; 21,8; 2 Chr 6,15f; Jer 33,21f.26; Ez 34,23 u.ö.) und stellt auf diese Weise eine Verknüpfung zwischen Hag 2,23 und Sach 6,12 her. Die Serubbabelweissagung Haggais wird auf den künftigen „Spross“ übertragen. 34 Das Nomen begegnet außer Jona 3,6 nur an diesen beiden Stellen im Dodekapropheton. Außerdem ist im Zusammenhang mit der Ěġĩ-Verheißung in Jer 33,14ff von einem künftigen Davididen die Rede, der auf dem ğēīĬĜČĭĜĔ ēĤĞ (V. 17) sitzen wird. 35 Die kompositorischen Bezüge sind noch in anderer Hinsicht von Interesse. Waschke, Der Gesalbte, 142f, hat darauf aufmerksam gemacht, dass Texte mit der Ver-
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erhöht sich noch, wenn wir nicht nur Hag 2,20–23 in unsere Überlegungen einbeziehen, sondern auch die ihm vorausgehende Haggaiüberlieferung. Dem Geschehen, das der Haggai-Sacharja-Chronist mit dem 24.09. verband, geht ein eigener Abschnitt voran, den er auf den 21.07. im 2. Jahr des Darius datierte (Hag 1,15b–2,9). Dort ist davon die Rede, dass diejenigen, die das Haus JHWHs noch in seiner früheren Pracht kannten, auch fast einen Monat nach dem Beginn der Arbeiten (Hag 1,14.15a), am 21.07., immer noch vor einem „Nichts“ standen (Hag 2,3b). 36 Angesichts dieser Situation ermutigt Haggai Serubbabel, Joschua und das ganze Volk, sich nicht zu fürchten, da JHWH schon bald Himmel und Erde, das Meer und das Trockenland, ja alle Völker erschüttern wolle. In der Folge dieser Erschütterung werden die Kostbarkeiten der Völker (ĠĜĘĕėČğĞ ĭ ĖġĚ) zum Haus JHWHs kommen, weil ihm das Silber und das Gold gehört (Hag heißung eines künftigen Heilskönigs häufig den „Abschluß von Teil- und Großsammlungen prophetischer Überlieferung bilden“. Diese Beobachtung trifft auch auf Hag 2,20–23 und Sach 6,9–15 zu. Damit stellt sich die Frage der Zuordnung der Texte. Sind sie trotz ihrer exponierten Endstellung auf die Propheten selbst zurückzuführen oder gehören sie einer späteren übergreifenden messianischen Redaktion des Prophetenkanons an? Waschke geht dieser Frage exemplarisch an den Königsverheißungen des Jesajabuches und in den Königspsalmen 2; 72; 89 nach. Dabei spricht er sich trotz der parallelen Kompositionsstrukturen nicht für eine durchgehende messianische Redaktion aus, sondern formuliert vorsichtiger, dass „die Eintragungen der Königspsalmen in den Psalter wie der Königstexte im Jesajabuch auf das gleiche Anliegen, die Vergegenwärtigung des davidischen Königtums in nachexilischer Zeit, zurückgehen, und dass sich im Rückgriff auf die gleichen Traditionen sowie entsprechend der sich in dieser Zeit verändernden Erwartungen vergleichbare Kompositionsmuster herausgebildet haben“ (ebd., 155). Das ließe sich so wohl auch von Jer 23,5f; 33,15; Hag 2,20–23; Sach 3,8; 6,9–15 sagen. Dabei ist noch keine Entscheidung hinsichtlich der Zuweisung von Hag 2,20–23 und Sach 6,9–15 an die Propheten selbst oder eine Redaktionsschicht getroffen. Es muss auch damit gerechnet werden, dass der Hag-Sach-Chronist aus dem von Waschke benannten Interesse Worte | der Propheten eben in dieser vorliegenden Weise angeordnet hat. 36 Wenn man die Frage ĠĞĜģĜĥĔ ĢĜēĞ ĘėġĞ ēĘğė „Ist er (der in Angriff genommene Bau) nicht gleich einem Nichts in euren Augen?“ – so interpretieren darf, dass der Verfasser hier in der Tat eine Situation vor Augen hatte, in der nach der Beräumung der Trümmer eben wirklich noch nichts weiter zu sehen war als die planierte Baufläche (vgl. Anm. 13), dann kann das Weinen der überlebenden unterschiedlich interpretiert werden. Waren damit die Trümmer als letzte Erinnerung an den ersten Tempel beseitigt? Galling, Serubbabel, 136, denkt daran, dass die Tränen der Alten den immer noch vor Augen liegenden Trümmern des Tempels gelten. Gunneweg, Esra, 76, versteht Esra 3,12 in dem Sinne, dass die Generation der Alten nicht etwa über die Kümmerlichkeit des gegenwärtigen Tempelbaus gegenüber dem früheren weinte. Da man sowohl in Hag 2,3 als auch in Esra 3,11f noch ganz am Anfang des Baues stand, also noch gar kein Vergleichsbau zum früheren Tempel existierte, kann das Weinen in Esra 3,12 und Hag 2,3 eher als ein Zeichen der gerührten Freude als der Trauer sein.
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2,4–8).37 Die Ansage ĬĜĥīġ ĜģēĘ (2,6) wird in der Serubbabelweissagung wörtlich wieder aufgenommen (2,21b). Der umfassende Umsturz, der nach dem 24.09. zu erwarten ist, wird also dazu führen, dass auch die Schätze der Völker in den Tempel JHWHs gebracht werden. Hatte Haggai dabei das bekannte Motiv von der Darbringung der Gaben unterworfener Völker vor Augen, wie wir es vom Kyros-Zylinder oder dem Bildprogramm der Palastanlagen von Persepolis kennen?38 Dort werden die Gaben durch einzelne Repräsentanten der Völker gebracht. Haggai formuliert allerdings vorsichtiger: | „Ich erschüttere alle Völker, so dass sie kommen, die Schätze aller Völker, ĖĘĔĞ ėęė ĭĜĔėČĭē ĜĭēğġĘ und ich werde dieses Haus füllen mit Pracht, đĭĘēĔĩ ėĘėĜ īġē hat JHWH Zebaoth gesprochen.“ (Hag 2,7) ĠĜĘĕėČğĞČĭē ĜĭĬĥīėĘ ĠĜĘĕėČğĞ ĭĖġĚ ĘēĔĘ
Hier wird nur davon gesprochen, dass die Kostbarkeiten der Völker in den Tempel JHWHs kommen. Auf welche Weise dies geschieht, das bleibt offen. Und JHWH selbst ist es, der für den ĖĘĔĞ seines Hauses sorgt. Der folgende V. 8 unterstreicht diese Aussage damit, dass sich JHWH als Eigentümer von Silber und Gold bezeichnet (Ĕėęė ĜğĘ ĦĤĞė Ĝğ).39 Bezeichnenderweise werden die Lexeme ĦĤĞ und Ĕėę in Sach 6,11 wieder aufgegriffen. 37
Auf diese Weissagung in Hag 2,7f bezog sich wahrscheinlich das Gerichtswort an Tyrus, Sidon und die Philister in Joel 4,5. Zur Vorstellung von der Sammlung der Schätze der Völker im Zionstempel vgl. Jes 60,5.11.13; 61,6; 66,12. 38 Siehe dazu Lux, „Wir wollen mit euch gehen ...“, 243ff. 39 Es ist nicht ausgeschlossen, dass hinter dieser Aussage eine gezielte Polemik gegen die persische Steuerpolitik steckt. Wie Eißfeldt, Einschmelzstelle, 107–109, gezeigt hat, gab es bereits am vorexilischen Tempel, ganz gewiss aber am nachexilischen eine Stelle, an der die neben den Naturalien als Tempelsteuer eingetriebenen Edelmetalle zu Barren umgeschmolzen wurden, die dann wiederum als Zahlungsmittel dienen konnten. Schaper, Priester und Leviten, 137ff, hat überzeugend dargestellt, dass die Perser die Tempelsteuern ihrer unterworfenen Völker zur Maximierung ihrer eigenen Einnahmen nutzten, indem sie durch die Einrichtung einer so genannten „Königskiste“ einen Teil der den lokalen Heiligtümern zustehenden Tempelsteuern für ihre eigenen Zwecke abzweigten. Zu diesem Zwecke wurde ein von den achämenidischen Herrschern eigens eingesetzter Kommissar der Königskasse in den Verwaltungsrat des Tempels entsandt, der für die ordnungsgemäße Abführung eines Teils der umgeschmolzenen Zahlungsmittel zu sorgen hatte. Kann die unübersehbare Betonung in Hag 2,8 und auch Joel 4,5, dass JHWH der Eigentümer des Silbers und des Goldes der Völker sei, als Kritik an dieser persischen Steuerpraxis interpretiert werden, die eigentlich JHWH zukommende Mittel für sich in Anspruch nahm? Außerdem waren die Tempel der Vasallenstaaten nicht nur ein wichtiges ökonomisches und propagandistisches Instrument (vgl. dazu vor allem Uehlinger, Figurative policy, 297–349), sondern auch für die Reichsideologie von hoher Bedeutung, die in der Fürbitte für den persischen Großkönig an den revitalisierten Heiligtümern der unterworfenen Völker ihren Ausdruck fand. Vgl. dazu Kegler, Fürbitte, 73–82.
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Sacharja erhält den Auftrag, in das Haus Josias des Sohnes Zephanjas zu gehen, um dort von drei Vertretern der babylonischen Gola, die nach Jerusalem gekommen waren, Silber und Gold in Empfang zu nehmen, aus dem die Kronen40 für den Hohepriester Joschua und den künftigen Davididen gefertigt | werden sollen (Sach 6,10f). Ausdrücklich wird dann festgehalten, dass die Krone für den zu erwartenden „Spross“ im Tempel JHWHs deponiert bleibt (6,14). Sind es also die Vertreter der Gola, die das Silber und Gold (der Völker?) nach Jerusalem (zurück-?) bringen? 41 Sollte der Leser darin ein Angeld dessen erkennen, was Haggai in 2,6–9 geweissagt hatte? Diese Vermutung wird unterstützt durch die zusätzliche Wiederaufnahme des Lexems ĠĘğĬ aus Hag 2,9 in Sach 6,13. Der Frieden, den JHWH in Hag 2,9 an diesem Ort geben will, wird in Sach 6,13 als Friedensrat (ĭĩĥ ĠĘğĬ) zwischen dem Hohepriester und dem künftigen „Spross“ interpretiert. Mit den hier gegebenen Hinweisen hat sich unsere Vermutung verdichtet, dass der Haggai-Sacharja-Chronist mehr als nur ein chronologisches Gerüst für die Überlieferung der Propheten Haggai und Sacharja erstellte. Vielmehr lassen die deutlichen lexematischen und thematischen Bezüge zwischen Hag 2,1–9.20–23 und Sach 1,7–15; 6,1–15 auch eine Lesekonzeption erkennen. Nach dieser sollte der Zyklus der Nachtgesichte (1,7–6,15) als Beginn der Einlösung der Weissagungen Haggais verstanden werden.42 Der kosmische Umsturz, den Haggai mit dem Beginn der Arbeiten am Tempel und der Grundsteinlegung in naher Zukunft erwartete (Hag 2,6.21f), wurde von Sacharja in einer dichten Folge von sieben Bildern geschaut, die ihm Einblicke in die Initiativen des Himmels gewährten. Gleichsam über Nacht habe sich die Lage – wenn auch verzögert – grundlegend geändert. Die Ruhe der Erde, die die am Abend zurückkehrenden himmlischen Reiter melden (Sach 1,11), wird durch die in alle vier Winde ausfahrenden 40
Sowohl von der Textbezeugung als auch von der inhaltlichen Intention her ist in Sach 6,11 der Plur. ĭĘīěĥ beizubehalten. Vgl. Hanhart, Sacharja, 407ff. Der Text hat offensichtlich eine Doppelherrschaft des Hohepriesters und des künftigen „Sprosses“ vor Augen, die beide auf ihrem Thron sitzen sollen (V. 13) und daher wohl auch beide mit einer Krone als Insignium der Macht ausgerüstet werden. In 6,14 ist mit LXX der Sing. zu lesen, da es dort nur noch um die Krone für den künftigen „Spross“ geht, die, | solange dessen Thron vakant bleibt, als Erinnerungszeichen (ĢĘīĞę) im Tempel hinterlegt wird. 41 In diesem Sinne hat der Verfasser von Esra 1,4.6 offensichtlich den Vorgang interpretiert. Damit wird die Rückkehr der Gola zum zweiten Exodus. So wie einst die Ägypter nicht darum herumkamen, Israel mit goldenen und silbernen Gerätschaften auszustatten (Ex 3,21f; 11,2; 12,35), so vollzog sich auch der zweite Exodus aus Babylon. Vgl. Gunneweg, Esra, 44. 42 Dabei decken sich allerdings die Weissagungen Haggais nicht vollständig mit der von Sacharja geschauten Erfüllung, wie wir noch im Zusammenhang mit der SerubbabelProblematik sehen werden.
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Das Zweiprophetenbuch
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himmlischen Wagen schon am Morgen durcheinandergewirbelt (6,5). Diese durch Haggai geweissagte Aktion JHWHs ist im Gange. Unmittelbares Zeichen dafür ist das Silber und Gold, das Repräsentanten der Gola bereits nach Jerusalem gebracht haben (6,10f; vgl. Esra 1,4.6). Aus der Mitte Babylons, also der Völker, strömen die ersten Kostbarkeiten in das zu bauende Haus JHWHs. Geht man nach alledem davon aus, dass durch den Haggai-SacharjaChronisten eine Komposition erstellt wurde, die nicht nur auf eine chronologische, sondern auch auf eine theologisch zusammenhängende Lektüre der Überlieferung Haggais und der Nachtgesichte Sacharjas abzielte, dann ergeben sich daraus weitergehende Fragen. |
4. Serubbabel und der „Spross“ So fällt besonders auf, dass Serubbabel bei Sacharja im Unterschied zu Haggai nur in 4,6aƞ–10a namentlich erwähnt wird. Gegen alle Versuche, Sach 4 als Einheit zu lesen, 43 kommt man m.E. nicht darum herum, dem von Wellhausen begründeten Vorschlag,44 den viele Sacharjainterpreten übernahmen,45 zu folgen, dass es sich gerade bei diesem Abschnitt um eine sekundäre Erweiterung der Leuchtervision handelt. Die in allen Nachtgesichten nachweisbare Struktur, wonach unmittelbar auf die Frage an den Deuteengel ėğēČėġ die durch die Demonstrativpronomen ėğē oder ĭēę eingeleitete Antwort folgt (1,9f; 2,2.4; 4,4.10ab*.11.14; 5,3.6; 6,4f), wird nur in der Leuchtervision durchbrochen. In ihr wurden zwischen die Frage Čėġ ėğē in V. 4 und die Antwort ėğēČėĥĔĬ in V. 10ab*46 zwei Weissagungen eingeschoben, die Serubbabel betreffen (V. 6aƞ–7.8–10a).47 Vergleichbare 43 So zuletzt van der Woude, Serubbabel, 138–156, und Hanhart, Sacharja, 271ff. Tigchelaar, Prophets, 23ff, plädiert ebenfalls für die Einheitlichkeit von Sach 4, vertritt aber die These, dass es sich dabei um eine ehemals „independent vision“ (ebd., 17f) handelt, die vor ihrer Integration in den Zyklus der Nachtgesichte durchaus auch in einer früheren Form existiert haben könnte: „This, however, does not mean that there was never an earlier version of the vision. On the contrary, the indications that this vision was created as an independent vision, which only afterwards became the central part of the series, allow us to presuppose prior versions of this chapter“ (ebd., 24). 44 Wellhausen, Skizzen, 176. 45 So u.a. Horst/Robinson, Zwölf Propheten, 231f; Biā, Sacharja, 59ff; Rudolph, Sacharja, 110ff; Meyers/Meyers, Haggai, 241ff; Graf Reventlow, Haggai, 60ff. 46 Die betonte Voranstellung des Zahlwortes ėĥĔĬ vor dem Demonstrativpronomen könnte auf das Konto des Redaktors gehen, der 4,6aƞ–10a* einfügte. Möglicherweise wollte er damit wieder den Anschluss an 4,2 herstellen. 47 Anders Schöttler, Gott, 119–125, der in 4,6aƞ–10a* einen Grundbestand (V. 6aƞ.7. 10) und eine später eingefügte Erweiterung (V. 8f) sieht. Dabei geht er von einem grund-
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Zusagen und Verheißungen wurden sonst durchweg an das Ende der Nachtgesichte gestellt (1,14b–17; 2,8b–9.10–17; 3,7.8–10). Wenn demnach 4,6aƞ–10a für eine namentliche Erwähnung Serubbabels in den Nachtgesichten ausfällt, | dann stehen wir vor der Frage, ob Sacharja überhaupt etwas zu dem Thema Serubbabel zu sagen hatte.48 Lemaire hat die These aufgestellt, dass es sich bei Ěġĩ nicht um einen Titel für den künftigen Davididen handelt, sondern um einen auch anderwärts belegten Personennamen, 49 eben den judäischen Namen Serubbabels.50 Sollte das zutreffen, dann wäre also auch in Sach 3,8 und 6,12 von Serubbabel die Rede gewesen. Die Gleichung Ěġĩ = Serubbabel ist allerdings für Sacharja mit einem Fragezeichen zu versehen. Hält man 4,6ab–10a trotz seiner redaktionellen Stellung für ein ursprüngliches Sacharjawort, dann stünden wir vor dem merkwürdigen Tatbestand, dass Sacharja einmal die akkadische und ein anderes Mal die judäische Namensform für ein und dieselbe Person verwendet hat. Rechnet man die Verse hingegen einem Redaktor zu, dann bleibt immer noch die Frage, warum der fast zeitgleich wirkende Haggai stets von Serubbabel spricht (1,1.12.14; 2,2.4.21.23), während Sacharja offensichtlich diesen Namen oder diese Namensform vermeidet.51 Sowohl die Ěġĩ-Texte Sach 3,852; 6,12 als auch der umstrittene Abschnitt 4,6aƞ–10a deuten m.E. eine Antwort auf diese Frage an. sätzlichen Widerspruch der Aussagen in V. 6b und 7 aus (ebd., 121). Ob der allerdings besteht, ist mehr als fraglich. V. 6b schließt ja nicht eo ipso jede menschliche Initiative für den Tempelbau aus. Vielmehr werden hier die theologischen Voraussetzungen des Geschehens benannt, das durch Serubbabel gleichsam zum Ziele geführt werden soll. Hanhart, Sacharja, 282: „Und dieses Werk [des Tempelbaus, Zus. v. Vf.] wird – als Werk Serubbabels [...] – vollbracht durch den aller irdischen Macht entsagenden Geist Jahwes.“ 48 Der Umstand, dass wir es in Sach 4,6aƞ–10a* mit einem sekundären Stück innerhalb von Sach 4 zu tun haben, löst noch nicht die Frage nach der Verfasserschaft dieser Serubbabel betreffenden Weissagungen. Handelt es sich um ein ursprünglich selbständiges Sacharjawort, das lediglich nachträglich in den Zyklus der Nachtgesichte eingestellt wurde (so Willi-Plein, Sacharja, TRE 29, 540, und mit nachdenkenswerten Argumenten Laato, Zachariah, 53–69), oder um das Votum eines späteren Redaktors? Letzteres wird von Schöttler, Gott, 119ff; Tollington, Tradition, 43f, u.a. angenommen. 49 Ěġĩ ist als PN in Arad (Ostrakon 49,11), in Ugarit und im Reichsaramäischen nachweisbar. Siehe dazu Renz/Röllig, Handbuch I, 155, und dies., Handbuch II/1, 82. 50 Lemaire, Zorobabel, 48–57. Vgl. dazu auch Uehlinger, Figurative Policy, 335; Rose, Zemah, 91ff, und Meinhold, Serubbabel. Das Nomen Ěġĩ entspräche in diesem Falle dem ersten Element des akkad. PN Zđr-BĄbili (Sämling Babels). 51 Galling, Serubbabel, 137, gibt interessanterweise zu bedenken, „ob es sich nicht um ein anonymes Fragment handelt, das man irrtümlich mit der Botschaft Sacharjas verknüpft hat, während es in Wirklichkeit von anderer Hand, etwa der des Haggai, stammt.“ 52 Sach 3,8 ist redaktionell. Hier wird der ĖĔĥ-Titel aus Hag 2,23 mit dem Ěġĩ-Titel von Sach 6,12 kombiniert. Vgl. Anm. 33.
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Wenn in 4,9 betont werden muss, dass die Hände Serubbabels, die den Grund für den Tempel gelegt haben, diesen auch vollenden werden, dann gab es in diesem Punkt offensichtlich Fragen, wenn nicht sogar massive Zweifel. Ina Willi-Plein vermutet zutreffend, dass hinter den SerubbabelWorten 4,6ab–10a* „eine Krise der Bautätigkeit oder der Person und Mission des persischen Beauftragten Serubabbel“ steht.53 Dieselbe Krise ist auch in 6,9–15 deutlich erkennbar. Die Intention des ganzen Abschnittes lässt m.E. klar er|kennen, dass der angesagte „Spross“ aus V. 12 noch nicht (oder nicht mehr?) vorhanden ist, sondern erst für die Zukunft erwartet wird.54 Andernfalls müsste wohl weder betont werden, dass er künftig den ėĘėĜ ğĞĜė bauen wird (6,12b.13a), womit ja Serubbabel nach der Botschaft Haggais längst beschäftigt war, noch müsste die eine der beiden für ihn gefertigten Kronen im Tempel als ĢĘīĞę hinterlegt werden (V. 14).55 Daher kann festgehalten werden:
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Willi-Plein, Sacharja, TRE 29, 541. Sämtliche Aussagen über den ĘġĬ Ěġĩ ĬĜē in V. 12f stehen im Imperfekt oder WPerfekt und richten sich auf ein in der näheren Zukunft zu erwartendes Geschehen. 55 Dagegen könnte man einwenden, dass es in 6,9–15 zentral um die Krönung des künftigen „Sprosses“ gehe, die – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht möglich gewesen sei, und daher im Gegensatz zu der des Hohepriesters auf künftige Zeiten verschoben werden musste. Der künftige König sei zwar in Gestalt des Serubbabel-Ěġĩ in Jerusalem bereits präsent gewesen, aber eben lediglich in seiner Funktion als ėĖĘėĜ ĭĚħ (Hag 1,1.14; 2,2.21) und noch nicht als legitimierter und gekrönter Davidide. Diese Vakanz auf dem Throne Davids sei möglicherweise den Persern geschuldet, für die selbst ein Vasallenkönig in Jerusalem nicht opportun gewesen sei. Gegen eine derartige Annahme spricht, dass es im Perserreich durchaus unterschiedliche politische Strukturen gab, sowohl Provinzen mit einem Statthalter an der Spitze als auch Vasallenkönigtümer. Einige Gelehrte gehen sogar davon aus, dass das judäische Königtum unter Scheschbazzar und Serubbabel weiterexistiert habe und die beiden in Personalunion sowohl die Funktion des persischen Statthalters als auch die eines judäischen Vasallenkönigs innehatten. Vgl. Sacchi, History, 60f. Für Lemaire, Zorobabel, 53, hatte Juda wahrscheinlich den Doppelstatus einer „province proche d'un royaume vassal“. Niehr, Aspects, 230f, nimmt diese Thesen auf und stellt fest: „So the status of Judah/Yehud as a province and a vassal kingdom were not mutually exclusive.“ Ja, er folgt sogar der Hypothese Sacchis, dass das davidische Königtum Serubbabels letztlich nicht am Einspruch der Perser, sondern an der Auseinandersetzung mit der Jerusalemer Priesterschaft gescheitert sei: „It was only under Darius I between 520 and 515 BCE that the Davidic monarchy came to an end by a civil war which was won by the priests.“ Siehe zum Status Judas und seiner Statthalter in frühpersischer Zeit ausführlicher Meinhold, Serubbabel, und Willi, Serubbabel, TRE 31, 171–173. Wenn daher der Status Serubbabels als Vasallenkönig und seine Krönung für die Perser möglicherweise gar kein Problem war, dann stellt sich die Frage nach der Vertagung dieser Investitur in Sach 6,9–15 um so dringlicher. Wurde sie durch den Hohepriester Joschua und seine Getreuen vereitelt? Und stand Sacharja zwischen den Fronten 54
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1. Wenige Monate nach der Grundsteinlegung war es offensichtlich | zu einer Krise des nach dem Propheten Haggai von Serubbabel und Joschua angeführten Tempelbauprojektes gekommen. 2. Die Krise gipfelte in der Frage, ob das von Serubbabel verantwortete Projekt von diesem auch zum Abschluss gebracht würde. Der Autor von Sach 4,6aƞ–10a – wer immer es auch gewesen sein mag56 – ist bemüht, allen Zweifel daran zu zerstreuen.57 3. In den Nachtgesichten selbst ist von Serubbabel nicht mehr die Rede, sondern nur noch von einem Mann mit Namen „Spross“, der gegenwärtig aber noch nicht oder nicht mehr zur Verfügung steht, sondern erst für die Zukunft erwartet wird, in der er dann das begonnene Tempelbauprojekt weiterführt und mit dem Hohepriester Joschua eine einvernehmliche Doppelspitze bildet (6,9–15).58 des von Sacchi und Niehr postulierten „civil war“, indem er einerseits an der Krönung des Sprosses (Serubbabels?) festhielt, diese aber andererseits in eine unbestimmte Zukunft vertagte und den Hohepriester Joschua drängte, eine friedliche Lösung (ĠĘğĬ ĭĩĥ) des Konflikts zu suchen (6,13)? Eine wirklich schlüssige Antwort lässt sich angesichts der vorliegenden Quellenlage auf diese Fragen kaum geben. Mehrere Lesarten sind möglich (vgl. Anm. 58), da sowohl der Status Serubbabels (Statthalter, Vasallenkönig oder beides?), sein Verhältnis zum Hohepriester Joschua, als auch dessen Rolle bei Sacharja letztlich im Dunkel bleiben. Nur eines scheint aufgrund der Texte sicher zu sein, dass bei Sacharja nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit von Serubbabel als ėĖĘėĜ ĭĚħ die Rede war wie bei Haggai, ja dass – wenn Sacharja überhaupt von ihm sprach – dies eher seine künftige Rolle andeutend als direkt geschah. 56 Wenn man in diesem Passus ein ursprüngliches Sacharjawort sieht, dann spiegelt es möglicherweise ein früheres Stadium der Verkündigung Sacharjas wider als das der Nachtgesichte, in dem Sacharja selbst noch von der Beendigung des Tempelbaus durch Serubbabel überzeugt war. Die Nachtgesichte dagegen lassen in dieser Frage eine größere Zurückhaltung erkennen. Geht man hingegen davon aus, dass es sich hier um einen redaktionellen Einschub handelt, der aus fremder Feder stammt, dann könnte dem Redaktor gerade daran gelegen gewesen sein, diese Zurückhaltung Sacharjas in der Serubbabelfrage zu korrigieren. 57 Dass dies notwendig war, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Haggai nur wenige Monate vorher alle Überzeugungskraft aufzuwenden hatte, um seine Hörer aus ihrer Lethargie und ihrem Kleinmut herauszureißen und das Tempelbauprojekt in Gang zu bringen (Hag 1,2–12; 2,2–9). Bestand da nicht die Gefahr, dass der unerklärliche Ausfall Serubbabels den gerade erst erwachten Elan schnell wieder in Resignation und Tatenlosigkeit abgleiten ließ? 58 Hinter der ĠĘğĬ ĭĩĥ in Sach 6,13 muss nicht zwingend ein Konflikt, gar ein „civil war“ zwischen dem Hohepriester Joschua und dem Davididen Serubbabel stehen, wie ihn Sacchi, Niehr u.a. postulieren. Vgl. Anm. 55. Für Schaper, Priester und Leviten, 174ff, verliefen die innerjudäischen Frontlinien ohnehin anders, nämlich mitten durch die Priesterschaft selbst. Hingegen herrschte nach seiner Analyse von Sach 3 ein „Zwang zur Kooperation“ zwischen Priestern und Davididen. „Das gute Verhältnis, das beide
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4. Dass für Sacharja Serubbabel und der „Spross“ miteinander identisch waren, ist eher unwahrscheinlich, da sich alle Aussagen in 3,8 und 6,12ff auf eine künftig zu erwartende und nicht gegenwärtig vorhandene Person beziehen. Hat dieses „Serubbabelschweigen“ Sacharjas etwas mit dem Ausbleiben der Erfüllung der Serubbabelweissagung in Hag 2,20–23 zu tun? Hat man sich die Situation möglicherweise so vorzustellen, dass Serubbabel zwar den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels bis zu seiner Grundsteinlegung in | Gang brachte und begleitete, danach aber – aus welchem Grund auch immer – für diese Aufgabe nicht mehr zur Verfügung stand? Stand damit auch seine noch von Haggai angekündigte Erwählung als ĠĭĘĚ JHWHs (Hag 2,23) infrage?59 Diese wahrscheinlich bald nach der Grundsteinlegung eingetretene Vakanz auf dem Platz eines künftigen Throninhabers60 hinderten Sacharja und wohl auch die Haggai-Sacharja-Chronisten allerdings nicht daran, ihrer festen Zuversicht Ausdruck zu geben, dass es ein künftiger Davidide sein würde, der dieses Projekt, an dem man arbeitete, weiterführen und vollenden würde.61 Die bisher aufgezeigten kompositorischen Zusammenhänge zwischen Hag 2,6–9.10–19.20–23 und Sach 1,7–6,15 legen folgende Schlussfolgerungen nahe: 1. Der Zyklus der Nachtgesichte sollte der Lesekonzeption des HaggaiSacharja-Chronisten entsprechend als Fortsetzung und Antwort auf die noch ausstehende Einlösung der mit der Grundsteinlegung zum Tempel verbundenen Weissagungen in Hag 2,20–23 gelesen werden. Gruppen zur Zeit Josias zueinander gehabt hatten, hatte das Ende der judäischen Monarchie nicht überlebt. Doch herrschte zwischen beiden Gruppen seit Beginn der Achämenidenherrschaft eine Art Waffenstillstand. Trotz stark divergierender Interessen war beiden Parteien klar, dass man zumindest bis zum Abschluss des Wiederaufbaus des Tempels andere Probleme hintanstellen musste, um sinnvoll auf dieses Ziel hinarbeiten zu können“ (ebd., 191). Diese Beschreibung spiegelt das bei Haggai dargestellte und in Sach 3; 6,9–15 angestrebte Verhältnis zwischen beiden Parteien. Fraglich bleibt aber auch hier, inwieweit es der historischen Situation um 520 v. Chr. gerecht wird, für die wir nach wie vor mit zu vielen Unbekannten rechnen müssen. 59 Falls diese Vermutung die Sachlage nicht völlig verfehlt, dann wäre damit natürlich auch seine Anwartschaft auf die Position des Ěġĩ verloren gegangen. 60 Dietrich, Niedergang, 67, Anm. 61: „Zwischen dem fünften Nachtgesicht Sach. 4 und der Weissagung Sach. 6,9–15 ist Serubbabel aber – vielleicht auf Anordnung der persischen Zentralmacht – abhanden gekommen.“ Möglicherweise geschah das sogar noch früher, eben zwischen dem 24.09. und dem 24.11. im 2. Jahr des Darius, wenn man in Sach 4,6aƞ–10a einen redaktionellen Einschub sieht. 61 Wenn sich etwas deutlich aus der Ěġĩ-Terminologie schließen lässt, dann dies, dass sie a) auf Jer 23,5 anspielt und b) einen künftigen Davididen ankündigt.
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2. Die Nachtgesichte Sach 1,7–6,8 bildeten nach dieser Lesekonzeption die Voraussetzung für die Ankündigung eines davidischen „Sprosses“ in 6,9–15, der das ins Stocken geratene Tempelbauprojekt schon in Kürze wieder aufnehmen und vollenden würde. Um dieses Geschehen in Gang zu bringen, hat sich die ėĘėĜ ĚĘī bereits in Bewegung gesetzt (6,1–8). Außerdem waren durch Vertreter der Gola bereits die ersten in Hag 2,7f angekündigten Lieferungen von Gold und Silber eingetroffen, die am im Bau befindlichen Tempel zu Kronen für die künftige Doppelspitze in Jerusalem verarbeitet werden sollten (Sach 6,9–15). 3. Aus alledem geht hervor, dass der Haggai-Sacharja-Chronist mit Sacharja keineswegs einen Propheten präsentieren wollte, für den der Neubau des Tempels eine eher marginale Angelegenheit war. Sowohl der Zyklus der Nachtgesichte (1,7–6,8) als auch die Herstellung der beiden Kronen und die Krönung Joschuas (6,9–15) sollten auf die mit dem Tag der Grundsteinlegung verbundenen Ereignisse in Hag 2, den 24.09., bezogen werden. Für den Chronisten jedenfalls, der von Sacharja mehr gewusst haben dürfte als wir, war dieser ein Prophet des Zweiten Tempels. Daher wird die These von Peter | Marinkovic trotz zutreffender Einzelbeobachtungen62 noch einmal kritisch zu überprüfen sein.
5. Die Fastenpredigt in Sach 7–8 und der Prolog 1,1–6 An diese hier skizzierte Konzeption des Haggai-Sacharja-Chronisten hat dieser in Sach 7 und 8 unterschiedliche Stücke mit weiterem sacharjanischen Traditionsgut angeschlossen. Zeitlich hat er dieses Traditionsgut erheblich von dem sonst von ihm beschriebenen Geschehen abgesetzt. Während zwischen den vorhergehenden Daten der Abstand maximal zwei Monate beträgt, haben wir es hier mit einem Textkorpus zu tun, das ein Jahr und neun Monate nach dem zuletzt genannten Datum (1,7) auf den 04.09. im 4. Jahr des Darius datiert wurde. Schon durch diese Datierung erweckt der Haggai-Sacharja-Chronist den Eindruck, dass es sich dabei um einen Nachtrag zu dem in Hag 1,1–Sach 6,15 dargestellten Geschehensbogen handelt.63 Sach 7 und 8 sind mehrfach überarbeitet worden. Ältester Bestandteil der Kapitel ist wahrscheinlich ein Ich-Bericht des Propheten 62
Zu diesen Beobachtungen gehören die bereits von Schöttler, Gott, beobachteten Aspekte, dass im Zentrum der Botschaft Sacharjas im Unterschied zu Haggai nicht nur das Tempelbauwerk stand, sondern noch umfassender eine weitestgehende „Neuordnung des Gottesvolkes“. Das rechtfertigt es allerdings nicht, die auch durch die Tradition einhellig bezeugte Bedeutung Sacharjas für den Wiederaufbau des Tempels zu marginalisieren.
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über eine an ihn64 ergangene Fastenfrage in 7,2–6; 8,18–19. Um den Umschwung vom Trauerfasten in 7,2–6 zur nunmehr angesagten Festfreude in 8,18–19 zu unterstreichen, wurde zwischen die Fastenfrage und die Antwort eine Reihe von Sacharjaworten gestellt, die das künftige Heil Jerusalems schildern (8,1–8).65 In einer ersten Redaktion wurde diese Teilkomposition 7,2–6; 8,1–8. 18–19 in die Zweiprophetenbuchrolle Haggai/Sacharja einbezogen. Dies geschah zunächst mit der Einbindung in das chronologische System durch 7,1, vor allem aber durch die lexematisch66 und inhaltlich stark am Haggaibuch ori|entierte Passage 8,9–13. Mit dem Verweis auf die Grundsteinlegung des Tempels (8,9) wird unübersehbar eine Brücke zur Botschaft Haggais zurückgeschlagen. Auch sonst ist der Abschnitt eng an Haggai angelehnt, indem er noch einmal auf die Vergeblichkeit aller menschlichen Tätigkeiten vor der Wiederaufnahme der Arbeiten am Tempel hinweist (V. 10). Mit dem Tag der Grundsteinlegung aber habe sich diese Situation schlagartig geändert. Jetzt empfängt das Volk, das zum Fluch unter den Völkern geworden war, reichen Segen (V. 11–13). Die teilweise wörtlichen Anspielungen auf Hag 1,5–7.9–11; 2,15–19 sind unübersehbar. Sach 8,9–13 gehört ganz offensichtlich einem Wachstumsstadium an, in dem die Botschaft der beiden frühnachexilischen Propheten zu einer Komposition zusammengefasst wurde.67 Darauf deutet auch die Formulierung in V. 9 hin, 63
Bauer, Zeit, 36. Das Datum (7,1) „drückt nun eine gewisse zeitliche Distanz aus.“ Lescow, Sacharja, 92, vermutet, dass ein Redaktor dieses Datum bewusst in die „Halbzeit“ zwischen der Grundsteinlegung zum Tempel im 2. Jahr des Darius und seiner Einweihung im 6. Jahr platzierte. 64 Nach 7,3 ergeht die Anfrage an die ĠĜģėĞ, die am Haus JHWHs waren und die ĠĜēĜĔģ. Die folgende Wortereignisformel in 7,4 richtet sich aber an den in der 1. Pers. Sing. (Ĝğē) als Adressaten vorgestellten Propheten. 65 Ob diese Komposition 7,2–6; 8,1–8.18–19 noch auf den Propheten selbst zurückgeht, was gut denkbar ist, oder erst nachträglich so zusammengestellt wurde, muss eine offene Frage bleiben. 66 Vgl. die Wiederaufnahme von ĪęĚ aus Hag 2,4 in Sach 8,9.13; ĖĤĜ Hag 2,18/Sach 8,9; ėģĔ Hag 1,2.8/Sach 8,9; ėġėĔ + ĠĖē Hag 1,11/Sach 8,10; ĠĘğĬ Hag 2,9/Sach | 8,10.12; Ġĥė ĭĜīēĬ Hag 1,12.14; 2,2/Sach 8,11.12; ĥīę Hag 1,6; 2,19/Sach 8,12; Ģħĕ Hag 2,19/Sach 8,12; ğĘĔĜ Hag 1,10/Sach 8,12; ğě Hag 1,10/Sach 8,12; ĝīĔ Hag 2,19/Sach 8,13; ēīĜ Hag 1,12/Sach 8,13. 67 Die Gemeinsamkeiten wurden gründlich von Beuken, Haggai – Sacharja, 156ff, untersucht. Vgl. dazu auch die knappen und zutreffenden Bemerkungen von Graf Reventlow, Haggai, 81, und Rudolph, Sacharja, 148f. Anders Hanhart, Sacharja, 518ff, für den „es hier um genuin sacharjanische Weise der Berufung auf vorgegebenes Zeugnis (nämlich das Haggais, Zus. v. Vf.) geht, nicht um sekundäre Kompilation“ (ebd., 525). Ähnlich Meyers/Meyers, Haggai, 419. Sie vertreten im Blick auf 8,9–13 die Auffassung: „Zechariah is apparently referring to the present moment, the time at which he is delivering this oracle.“
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wo die gegenwärtige Generation auf „diese Worte“ (ėğēė ĠĜīĔĖė) angesprochen wird, die sie „aus dem Mund der Propheten“ ( ĠĜēĜĔģė Ĝħġ) gehört habe. Es liegt nahe, dass damit die Propheten Haggai und Sacharja gemeint sind.68 Der Abschnitt ist daher wohl kaum Sacharja selbst zuzuweisen, sondern denjenigen Redaktoren, die – wie der Haggai-Sacharja-Chronist – eine Zweiprophetenbuchrolle zusammenstellten. Von dieser Redaktionsstufe der Komposition des Haggai-SacharjaChronisten sind schließlich diejenigen Texte zu unterscheiden, die nicht nur von den Propheten der gegenwärtigen oder unmittelbar vorhergehenden Generation zu berichten wissen, sondern in summa von den „früheren Propheten“ (ĠĜģĬēīė ĠĜēĜĔģė) überhaupt sprechen (1,4; 7,7.12). Hier ist nicht wie in der Komposition des Haggai-Sacharja-Chronisten ein begrenzter Zeitraum im Blick, der das Geschick der gegenwärtigen Generation bis zur Grundsteinlegung des Tempels und das unmittelbar darauf folgende Geschehen umfasst. Vielmehr wird mit dem Sacharjaprolog 1,1–6 und der Fastenpredigt 7,7–14 | ein Standort eingenommen, von dem aus das Ganze der Geschichte Israels zu übersehen ist, eben die Geschichte der „Väter“ in toto und der „früheren Propheten“. Die deuteronomistische Phraseologie beider Abschnitte wurde hinreichend nachgewiesen.69 Wenn ein spätdeuteronomistischer Redaktor in die ihm vorliegende und von uns skizzierte Komposition des Haggai-Sacharja-Chronisten Sach 1,1–6 und 7,7–14 einarbeitete, dann war damit offensichtlich bereits die Absicht verbunden, die eng mit der Grundsteinlegung des Zweiten Tempels verbundene Botschaft dieser beiden Propheten in ein Gesamtkonzept der Geschichte Israels im Allgemeinen (wofür die Rede von den „Vätern“ spricht) und der Geschichte der Prophetie im Besonderen (wofür die Erwähnung der „früheren Propheten“ spricht) einzuordnen.70 Mit Sach 1,1–6 greift er zurück auf einen 68 So die Kommentare Graf Reventlow, Sacharja, z.St.; Rudolph, Sacharja, z.St. Meyers/Meyers, Haggai, 420, sehen in 8,9–13 ein Orakel Sacharjas, in dem er sich auf schriftlich vorliegende Haggaiüberlieferung (so die Deutung der Wendung ĠĜēĜĔģė Ĝħġ) stützt. Den Plural ĠĜēĜĔģ verstehen sie in der Weise, dass „Haggai may have been only one of several prophets who were active during the momentous days of the temple restoration. Indeed, Zechariah himself could be included in that group.“ 69 Siehe dazu ausführlich Beuken, Haggai – Sacharja, 84–114; Schöttler, Gott, 401–446; Lescow, Sacharja, 95ff u.a. Vgl. vor allem die freie Wiederaufnahme von Jer 25,1–13, ein Abschnitt, der selbst „mit vor allem deuteronomistischen Wendungen“ durchsetzt ist (so Wanke, Jeremia, 224), in Sach 1,2–6; 7,7–14. Zu den Einzelheiten und weiteren Bezügen auf deuteronomistisch geprägte Jeremiatexte (Jer 7,5.6.13; 33,3; 35,15) siehe auch Nurmela, Prophets, 39–42.69–75. 70 Dabei ist zu beobachten, dass dieser deuteronomistische Bearbeiter an wichtige Stichworte Sacharjas anknüpft, diese aufnimmt, aber in seiner Weise neu interpretiert. Z.B. ĦĩĪ aus 1,15 wird aufgenommen in 1,2; 7,12. Der Zorn JHWHs, der sich bei Sacharja gegen die stolzen Völker richtet, wird durch den deuteronomistischen Bearbeiter auf die
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Zeitpunkt vor der Grundsteinlegung des Tempels im 8. Monat im 2. Jahr des Darius. Zu dieser Zeit lässt der Redaktor Sacharja als typisch deuteronomistischen Umkehrprediger auftreten. Sein Aufruf zur Umkehr an die gegenwärtige Generation sollte offensichtlich als entscheidender Impuls betrachtet werden, der zur Grundsteinlegung des Tempels führte. Bis zu diesem Zeitpunkt stand selbst noch die Generation Haggais und Sacharjas in der Kontinuität der Geschichte der ungehorsamen Väter, denen die früheren Propheten gepredigt hatten (1,4). Von dieser Umkehrpredigt an wendete sich das Blatt, denn jetzt kehrten die Hörer Sacharjas um und setzten sich auf diese Weise von den Vätern ab (1,6). Für den spätdeuteronomistischen Redaktor war es demnach nicht allein und noch nicht einmal vorrangig die Tatsache der Grundsteinlegung zum Tempel, die die Wende von der Unheilsgeschichte zur Heilsgeschichte herbeiführte, sondern die erfolgreiche prophetische Umkehrpredigt Sacharjas. Sie brachte schließlich nicht nur die erstarrten irdischen Verhältnisse in Bewegung, sondern löste auch im Himmel einen Rumor aus, den Sacharja in seinen Nachtgesichten schaute.71 | Dass an diese im Sacharjaprolog ganz gezielt eingebaute deuteronomistische Umkehrpredigt schließlich mit Sach 7,7 wieder angeknüpft wird, und dass diese in 7,8–14 im Rahmen der Fastenpredigt Sacharjas dann noch ausgebaut wurde, hat sicherlich einen guten Grund. Dem Redaktor ging es um mehr als nur um eine Rahmung des Zyklus der Nachtgesichte.72 Die in 7,2f an die Priester und Propheten gerichtete Frage, ob immer noch im fünften Monat, dem Monat der Eroberung und Plünderung Jerusalems (2 Kön 25,8), gefastet werden solle, wird durch die deuteronomistische Erweiterung der Fastenpredigt Sacharjas an eine bleibende ethische Umkehr des Volkes gebunden. Weder der Wiederaufbau des Tempels noch eine korrekte Fastenpraxis allein können das Land vor einer Verödung bewahGeneration der ungehorsamen Väter übertragen. Zu seinen umfassenden Geschichtsreflexionen mag ihn auch die Erwähnung der 70-jährigen Unheilsepoche in 1,12; 7,5 durch Sacharja stimuliert haben. Vgl. dazu Albani, 70-Jahr-Dauer, 4–20. 71 Wallis, Nachtgesichte, 377–391, hat die Erwägung ausgesprochen, ob es sich bei den Nachtgesichten nicht um eine kultdramatische Form handeln könnte, die man sich als regelrechte Inszenierung vorstellen muss. 72 In diesem Zusammenhang stellt sich überhaupt die Frage, warum der deuteronomistische Redaktor seine Umkehrpredigt so exponiert vor den Nachtgesichten platzierte und nicht in die ihm vorgegebene Haggai-Sacharja-Chronologie einordnete. Wenn unsere Beobachtungen zutreffen, dann stellte ja Haggai ursprünglich so etwas wie einen Prolog zu dem sehr viel umfangreicheren Protosacharja dar. Mit der Einfügung von Sach 1,1–6 in den vorgegebenen Text änderte sich das. Protosacharja erhielt einen neuen und eigenen Prolog und wurde damit deutlicher von Haggai abgesetzt. Wird damit eine Teilung der ursprünglich als Zwei-Propheten-Buch konzipierten Schrift Haggai-Protosacharja eingeleitet und deren Stilisierung als zwei Einzelbücher?
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ren. Dafür steht das Negativbeispiel der Väter. Vielmehr gilt auch weiterhin: „So spricht JHWH Zebaoth: Haltet wahrhaftiges Gericht, übt Güte und Erbarmen ein jeder gegenüber seinem Bruder, Witwe und Waise, den Fremdling und den Armen unterdrückt nicht, und Böses ein jeder gegen euren Bruder ersinnt nicht in eurem Herzen.“ (Sach 7,9f)
Bilder – Visionen – Texte
Was ist eine prophetische Vision? Vom langen Weg der Bilder in den Nachtgesichten des Sacharja 1. Visionen und Visionsberichte Nach dem Selbstbericht des Propheten Sacharja schaute dieser eine Reihe von acht Visionen, die sich wie die „Bilder einer Ausstellung“, bzw. wie kurze, schnell aufeinander folgende Filmsequenzen lesen lassen (1,8–6,8). 1 Auf dem ersten Bild sah er einen Reiter auf einem roten Pferd, der zwischen den Myrten an der Meerestiefe stand, sowie weitere (berittene) rote, braune und weiße Pferde (1,8–17). Im zweiten Bild sieht er vier Hörner, die von vier Schmieden zerschlagen werden (2,1–4). Das dritte Bild zeigt einen jungen Mann mit einer Messschnur, der ausgezogen ist, um Jerusalem in seiner Länge und Breite neu auszumessen (2,5–17). Im vierten Bild wird der Hohepriester Joschua im himmlischen Thronrat von seinen schmutzigen Kleidern befreit und mit einem reinen Festgewand und einem Turban neu eingekleidet (3,1–10). Das fünfte Bild zeigt einen goldenen Leuchter mit sieben siebenflammigen Lampen, der von zwei Ölbäumen flankiert wird (4,1–14). Darauf folgt im sechsten Bild die Vision von einer riesigen zwanzig mal zehn Ellen großen fliegenden Schriftrolle (5,1–4). Das siebte Bild stellt ihm ein Getreidemaß vor Augen, das mit einem schweren Bleideckel verschlossen ist. Bei einer kurzen Öffnung des Kruges erscheint eine Frau, die in ihm sitzt, der daraufhin von zwei weiteren Frauen mit Storchenflügeln emporgehoben und in das Land Schinear (Babylon) ausgeflogen wird (5,5–11). Schließlich schaut er im achten und letzten Bild vier Wagen, die zwischen zwei Erzbergen hervorkommen und von verschiedenfarbigen Rossen gezogen werden (6,1–8). Dabei spielen die Nachtgesichte I, IV, V und VIII am Himmelstor oder im Himmel, die Nachtgesichte II, III, VI und VII auf der Erde.2 |
1 Siehe neben der wichtigsten Kommentarliteratur zum Sacharjabuch vor allem die Studien von Jeremias, Nachtgesichte; Seybold, Bilder zum Tempelbau; Butterworth, Structure; Tollington, Tradition; Delkurt, Sacharjas Nachtgesichte, und Uehlinger, Figurative Policy. 2 Vgl. dazu Lux, Himmelsleuchter, 156–158.
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Bilder – Visionen – Texte I
IV
V
VIII
Reiter 1,7–17
Joschua 3,1–103
Leuchter 4,1–14
Pferde + Wagen 6,1–8
II
III
Hörner + Knabe mit Schmiede Messschnur 2,1–4 2,5–17
VI
VII
Buchrolle 5,1–4
Frau im Efa 5,5–11
Einem der westlichen Moderne verpflichteten Betrachter geben diese Bilder in ihrer Zusammenstellung viele Rätsel auf. Sie erscheinen wie aus dem Zusammenhang gerissene Weltbruchstücke eines surrealistischen Gemäldes, Repräsentanten einer fremden Ordnung, die uns skurril vorkommen mag, weil sie (noch!) unbekannt ist und sich unseren Sehgewohnheiten und Bildtraditionen widersetzt. Daher hat bereits Martin Luther in seiner Sacharjaauslegung von 1527 vor den Meistern der Allegorie gewarnt, die gerade in den Visionen der Propheten ein reiches Betätigungsfeld suchten. Sie „kutzeln sich selbs mit feinen gedancken, das sie gleich lecken und springen, wie vor zeiten Origenes und Hieronymus auch thetten, welche die welt voll allegorien gemacht und doch wenig der gemeinen nützlichen lere dargegeben haben“.4
Was Luther von derartigen Künsten hielt, hat er ohne Umschweife zu Protokoll gegeben: „Nein, solchs ist nichts, das können sie feyn, ja gleich wie die gans den Psalter“ liest.5 Gegen die Allegorese als Methode6 der Deutung und Aneignung der Bildund Textwelten prophetischer Visionen spricht vor allem deren Bemühen, hinter dem sensus litteralis einen tieferen Wortsinn durch die Identifikation der fremden und unbekannten Bausteine des „Mosaiks“ mit bekannten Größen zu erschließen. Dabei wird das Fremde durch Vertrautes, das Nichtwissen durch ein vermeintliches | oder auch nur vorgetäuschtes Wissen ersetzt. Die kulturelle Differenz, die zwischen dem Betrachter und den in den Texten gespeicherten Bildwelten besteht, wird aufgehoben. Und das, obwohl die Texte selbst eine deutliche Warnung vor solch einem vor3 Bei dem vierten Nachtgesicht von der Entsühnung des Hohepriesters Joschua handelt es sich nach der Überzeugung der überwiegenden Mehrheit der Kommentatoren um eine spätere Hinzufügung zu dem ursprünglich lediglich sieben Visionen umfassenden Zyklus. Vgl. dazu die Zusammenstellung der Argumente bei Delkurt, Sacharjas Nachtgesichte, 147. 4 Luther, Der Prophet Sacharja ausgelegt, 485, 13–15. 5 Luther, Der Prophet Sacharja, 486, 12f. 6 Siehe dazu Klauck, Allegorese, 75–77.
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eiligem Bescheidwissen ihrer Interpreten enthalten. Denn nicht nur der heutige Leser und Betrachter des erzählten Bildmaterials, sondern schon der Prophet Sacharja selbst, dem diese Visionen zugeschrieben werden, wusste sich die merkwürdigen Bilder nicht zu erklären (vgl. Sach 1,9ff; 2,2.4; 4,4f.12f; 5,6; 6,4). So wird im Rahmen dieser Nachtgesichte eigens ein angelus interpres eingeführt, der den unwissenden Visionär durch die bizarre Bildwelt führt und sie ihm deutet.7 Das literarische Konzept, das mit dem Auftreten dieses Deuteengels vorliegt, ist ein unübersehbarer Hinweis darauf, dass das Phänomen prophetischer Visionen und ihrer Deutung spätestens im 6. Jh. v. Chr. zum Problem wurde. Die deuteronomistische Kritik an den sogenannten Lügenpropheten, Wahrsagern, Hellsehern, Zauberern, Geisterbeschwörern, Orakelpriestern, Träumern und anderen Spezialisten der induktiven und intuitiven Divination8 (Dtn 18,9–12; Jer 23,16–22; 27,9) liest sich wie ein aufklärerischer Appell im Namen JHWHs, des Gottes Israels, diesem Treiben zu widerstehen. Die Mantik, Orakel- und Ominawissenschaften, die im gesamten Alten Orient zum selbstverständlichen Instrumentarium von Welt- und Lebensdeutung gehörten,9 wurden, was ihre Glaubwürdigkeit und ihre Wirksamkeit anlangte, in Frage gestellt: „So spricht JHWH Zebaot: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte, aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund JHWHs.“ (Jer 23,16)
Danach setzten sich bereits die Verfasser des Jeremiabuches mit der Frage auseinander, ob es sich bei den prophetischen Gesichten um echte oder nur um vorgetäuschte Visionen handelte?10 Aber was ist eine „echte“ Vision, und woran erkennt man sie? | Offensichtlich sah sich auch nach dem Zeugnis des Sacharjabuches der Prophet dem Vorwurf solcher Eigenmächtigkeit ausgesetzt. In knappen Kommentaren, mit denen einzelne Visionen versehen wurden, ist die Intention unverkennbar, die Leser davon zu überzeugen, dass die Bilder der Nachtgesichte nicht aus dem eigenen Herzen des Propheten aufgestiegen sind und Produkte seiner überreizten Phantasie waren, sondern auf ein tatsächliches visionäres Erleben und eine göttliche Beauftragung zurückgehen. Mehrfach begegnet die an die Leser gerichtete Formel „damit ihr/ du erkenn(s)t, dass mich JHWH Zebaot gesandt hat“ (Sach 2,12.13.15; 4,9; 7
Vgl. dazu Lux, Wer spricht mit wem?, 283–292; ders., Deuteengel, 293–301. Siehe dazu Koch, Profeten I, 53–63; Kratz, Propheten, 21–28. 9 Vgl. Lorenz/Albani, Omen/Omina, RGG4 VI, 557–559. 10 Vgl. zur Frage von wahrer und falscher Prophetie im Jeremiabuch Schmidt, Wahrhaftigkeit. 8
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6,15).11 Die Echtheit der Visionen wird also am Woher der geschauten Bilder festgemacht. Der Prophet weiß sich von Gott gesandt und folglich haben die von ihm geschauten Bilder auch im Gott Israels ihre Quelle.12 Trotz dieser Beteuerungen des Propheten, dass er sich die Bilder seiner Nachtgesichte weder selbst ausgedacht hat, noch selbst zu deuten wusste, und der Inanspruchnahme eines himmlischen angelus interpres blieb es dem antiken Leser ebenso wie dem heutigen Leser überlassen, ihm die Echtheit des visionären Erlebens zu glauben oder sie in Zweifel zu ziehen. Visionen lassen sich eben wie auch Träume nicht vorzeigen, sondern nur erinnern und nacherzählen. Aus diesem Dilemma hat die Prophetenforschung der vergangenen Jahrzehnte die Konsequenz gezogen, auf Rückfragen nach einem visionären Erleben, das hinter den prophetischen Visionsberichten steht, weitestgehend zu verzichten. So schreibt Achim Behrens in einer der neuesten Studien zu den Visionsberichten der alttestamentlichen Propheten: „Nun ist der Exegese das Erleben der Propheten aber nicht unmittelbar zugänglich, ebenso wenig wie ihre Persönlichkeit. Was wir vor uns haben, sind die Berichte von solchen Erlebnissen, die zudem oft längere Überlieferungs- und Redaktionsprozesse hinter sich haben. Der unmittelbare Gegenstand der Auslegung sind literarische Texte, nicht zuerst die darin geschilderten Ereignisse.“13
Was demnach die gegenwärtige Forschung interessiert, das ist vor allem die Gattung des Visionsberichtes als ein literarisches Konstrukt, weniger dagegen die le|bensweltlichen Erfahrungen, die zur Ausbildung solch einer literarischen Gattung geführt haben könnten. Im 19. Jh. und in der ersten Hälfte des 20. Jh. standen noch die Propheten selbst als bedeutende inspirierte Persönlichkeiten im Mittelpunkt der Forschung, die auf extraordinäre religiöse Erfahrungen verweisen konnten.14 Dabei wurde der Versuch unternommen, sich die prophetische Erfahrungswelt durch religionsgeschichtliche und ethnologische Analogien zu erschließen, etwa durch ihre Einordnung in die Welt der Schamanen, oder sie religionspsychologisch zu deuten,15 indem man sie mit Phänomenen wie der Ekstase oder halluzinatorischen Praktiken in Verbindung brachte. Nicht selten kam es im Zuge solcher Deutungen dann zu einer 11
Zur vorliegenden Erkenntnisformel und ihrer Funktion in den Nachtgesichten siehe Lux, „... damit ihr erkennt ...“, 269–282. 12 Dabei wird die Echtheit der Visionen durch bereits früher ergangene Prophetenworte untersetzt, die sich erfüllt hatten, oder deren Erfüllung mit dem gegenwärtigen Tempelbaugeschehen unmittelbar bevorstand. 13 Behrens, Visionsschilderungen, 1. 14 Zum viel gelesenen und mehrfach aufgelegten Klassiker dieses Prophetenverständnisses wurde die Darstellung von Duhm, Propheten. 15 So u.a. Hölscher, Profeten.
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Pathologisierung des prophetischen Erlebens,16 die allerdings auch nicht frei von der Versuchung sein dürfte, Fremdes durch vermeintlich Bekanntes, nämlich durch ein aus unserer kulturellen Perspektive abnormes, krankes Verhalten oder gestörte Bewusstseinszustände ersetzen und erklären zu wollen. Die sachlichen und methodischen Untiefen dieser Wege der Prophetenforschung liegen auf der Hand. Neuere Einsichten in den literarischen Charakter und die Entstehung des biblischen Schrifttums im Allgemeinen und der Prophetenliteratur im Besonderen haben schließlich dazu geführt, dass in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts immer mehr die Person des Propheten und seiner ipsissima verba hinter dem Prophetenbuch als einem literarischem Produkt verschwand, das dafür in den Fokus der Forschung geraten ist.17 Die folgenden Überlegungen wollen nicht als Revision dieser Wende von der Prophetenpersönlichkeit und ihrem Erleben hin zum Prophetenbuch und den in ihnen begegnenden Visionsberichten verstanden werden. Sie plädieren aber für | einen behutsamen Versuch, die Frage nach dem hinter den Visionsberichten stehenden Erlebnissen und Erfahrungen nicht vollkommen in Literatur aufgehen zu lassen.18 Texte, auch solche die sich konventioneller Gattungen und Sprachmuster bedienen, sind immer Ausdruck lebensweltlicher Erfahrungen. Wer darauf verzichtet, sie auf diese uns häufig fremden Erfahrungen hin zu befragen, könnte der Versuchung erliegen, sie allein mit seiner eigenen Erfahrungswelt zu füllen.19 Die Konsequenz wäre dann, dass er aus den Texten auch nur das erfährt, was er ohnehin schon weiß. 16
Vgl. dazu Blenkinsopp, Geschichte, 83ff, und Schnettler, Zukunftsvisionen, 83ff. Vgl. dazu die programmatischen Überlegungen von Steck, Prophetenbücher; ders., Gott in der Zeit entdecken; Jeremias, Prophetenwort und Prophetenbuch, 19–35; Kratz, Propheten, 41ff; Becker, Wiederentdeckung. 18 Ein vergleichbares Anliegen verfolgt Sals, Wehen, die den interessanten Versuch unternimmt, Visionen als „Kommunikation über die Erfahrung des Numinosen“ mit Hilfe eines wahrnehmungsästhetischen Ansatzes zu erschließen. Dabei kann sie an Jes 21,1–10 zeigen, auf welche Weise die Leser von Visionsberichten „zu Zeugen eines (visionären) Wahrnehmungsprozesses“ werden, „einer Visionserfahrung, die Grenzen der Mitteilbarkeit, aber wohl auch der Wahrnehmbarkeit“ überschreitet (ebd., 46f). 19 Angesichts der die heutige Forschung zunehmend dominierenden Tendenz, in der prophetischen Literatur das Produkt schriftgelehrter „Schreibtischarbeit“ zu sehen, die sich den Fortschreibungen und Redaktionen mehrerer Generationen von theologisch gebildeten Schreibern verdankt, liegt der Verdacht nicht fern, dass dabei die eigene Schreibtischexistenz des Universitätsprofessors zum unbewussten Paradigma für die antike Textproduktion avanciert. Obwohl es viele Indizien gibt, die dieses literatursoziologische Modell für die Genese der Texte nahe legen, tut der Ausleger gut daran, sich im Einzelfall einen Restzweifel zu bewahren. 17
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Ermutigt zu solch einem Versuch, die Frage nach dem prophetischen Erleben, das die Texte initiierte, erneut zu stellen, sehe ich mich durch die neuere vor allem von Hans Belting ausgelöste kulturwissenschaftliche Debatte über die Notwendigkeit und die Möglichkeiten der Erarbeitung einer fächerübergreifenden „Bild-Anthropologie“.20 Sie enthält hilfreiche Hinweise für eine methodisch kontrollierte Annäherung an die Bildwelten des Menschen und ihre Vernetzungen mit Texten. Dabei hat vor allem die von Belting aufgeworfene Frage nach dem „Ort der Bilder“ 21 für eine erneute Rückfrage nach den prophetischen Visionen eine heuristische Funktion. |
2. Israel als sozialer Ort der Bilder Die Propheten sind nicht ohne den sozialen Körper zu verstehen, in dem sie lebten und wirkten, das Volk Israel. Dieses Volk war aber wie seine großen Nachbarkulturen Ägypten und Mesopotamien nicht bilderlos, auch nicht in seiner kultischen Praxis.22 Wäre es dies gewesen, hätte es keines Bilderverbotes (Ex 20,4–6; Dtn 5,8–10) bedurft.23 Alles andere wäre verwunderlich, da die Erschließung der Welt durch exogene und endogene, materiale und mentale Bilder ganz offensichtlich eine anthropologische Konstante darstellt.24 Der Mensch ist – nach dem programmatischen Essay des Philosophen Wilhelm Schapp – eben nicht nur in Geschichten,25 sondern – wie Jan Assmann in Anlehnung daran formuliert hat – auch „In Bilder verstrickt“.26 Israel unterscheidet sich von seinen Nachbarkulturen nicht darin, dass es sich aus dieser Verstrickung vollkommen gelöst hätte, sondern eher darin, dass es sie in ganz eigener Weise problematisierte und reflektierte. Wenn aber die Bilder der Erschließung der Welt dienten, dann ist damit bereits eine unaufhebbare Differenz zwischen Welt und Bild gesetzt. Bilder sind nicht die Welt, sie verweisen auf Welt, sie referieren und repräsentie20
Belting, Bild-Anthropologie. Belting, Bild-Anthropologie, 57–86. 22 Vgl. dazu bereits den bewusst herausfordernden Titel von Schroer, In Israel gab es Bilder. 23 Der kürzlich erschienene erste Band des von S. Schroer und O. Keel herausgegebenen und auf vier Bände angelegten Werkes „Die Ikonographie Palästinas, Israels und der Alte Orient“ (Schroer/Keel, Ikonographie) sowie die zahlreichen diesem monumentalen Werk voraufgegangenen Arbeiten O. Keels und seiner Schüler machen diese Einsicht unumkehrbar. 24 Belting, Bild-Anthropologie, 57: „Es ist [...] offenkundig, daß sich der Mensch in seinen Bildern von anderen Lebewesen unterscheidet“. 25 Schapp, In Geschichten verstrickt. 26 Assmann, In Bilder verstrickt. 21
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ren diese.27 Sie sind ein | Medium28 zwischen der Welt und ihrem Betrachter. Die innere Notwendigkeit einer medialen Aufbereitung von Welt besteht allerdings seit eh und je weniger im Drang zur imitatio, darin, Abbilder der Welt zu schaffen, mediale Duplikate, als vielmehr darin, das Unsichtbare der Welt sichtbar zu machen.29 Das, was ohnehin jeder sieht, muss nicht eigens ins Bild gesetzt werden. Bilder besetzen vielmehr nach Hans Belting „die Schwelle zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit“ und verbinden damit auch zwei Zonen, „in denen die Selbstdarstellung jeder Religion stattfindet“.30 Von diesen bildanthropologischen Voraussetzungen her, die Israel mit seinen Nachbarn geteilt haben dürfte, sind auch die Visionen der Propheten zu deuten. So sieht der Prophet eine Fülle von innerweltlichen Realien: Pferde, Reiter, Hörner, einen jungen Mann mit einer Messschnur, einen Leuchter, Ölbäume, eine Buchrolle, einen Vorratskrug, Berge, Wagen. Aber diese Dinge der sichtbaren Welt werden nicht um ihrer selbst willen ins Bild gesetzt. Vielmehr gewinnt das Sichtbare in den Visionen einen Verweischarakter auf Unsichtbares.31 Die sichtbare Welt wird zur unsichtbaren hin transzendiert. Diese ständige Passage der Grenze zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt im Bild wird an dem „Arrangement“ erkennbar, in dem die Dinge der Alltagswelt aufgerufen werden.32 Die Hör|ner begegnen iso27
Zur Repräsentationsfunktion von Bildern im Alten Orient siehe Bonatz, Was ist ein Bild im Alten Orient?, 17f. Dass dies in analoger Weise auch für Texte gilt, hat Jackendoff, Semantics, 36, gezeigt. Diese referieren ja nicht einfach die reale Welt, sondern immer die vom Textproduzenten projizierte Welt, seine Wahrnehmung von Welt. 28 Vgl. zur Ambivalenz von „Bild“ und „Medium“ Belting, Bild-Anthropologie, 11– 55. Nach ihm sind Bild und Medium zwei Seiten ein und derselben Medaille (ebd., 13). „Die Medialität ist ein Ausdruck der Körpererfahrung. Wir übertragen die Sichtbarkeit, welche Körper besitzen, auf die Sichtbarkeit, die Bilder durch ihr Medium erwerben, und bewerten sie als einen Ausdruck von Anwesenheit, ebenso wie wir Unsichtbarkeit auf Abwesenheit beziehen. Im Rätsel des Bildes sind Anwesenheit und Abwesenheit unauflösbar verschränkt. In seinem Medium ist es anwesend (sonst könnten wir es nicht sehen), und doch bezieht es sich auf Abwesenheit, von der es ein Bild ist“ (ebd., 29). Zu Bildern als Medien im Alten Orient siehe Uehlinger, Images as Media. 29 Leicht, Pflicht, 27, weist mit Recht darauf hin, „dass dem Bild die Notwendigkeit innewohnt, die Differenz zum Dargestellten in Erscheinung treten zu lassen“. 30 Belting, Das echte Bild, 13. 31 Vgl. Sals, Wehen, 44: „Das, was der Prophet wahrnimmt, muss nicht über das hinausgehen, was Nebenstehende wahrnehmen. Das aber, was er erkennt, ist in jedem Fall etwas den anderen bis jetzt Verschlossenes.“ 32 Der Begriff des Arrangements ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig, weil er – was die Visionsberichte betrifft – dazu geeignet ist, Aufmerksamkeit dafür zu wecken, | in welcher Weise Gegenstände der sichtbaren Alltagswelt aus ihren lebensweltlichen Kontexten herausgelöst und in neue ungewohnte Konstellationen versetzt werden, die bisher Unsichtbares sichtbar machen.
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liert ohne ihren natürlichen Kontext als Hörner eines Tieres. Der Leuchter mit den sieben Lampen zu je sieben Schnauzen dürfte kein Gegenstand der Alltagskultur gewesen sein, zumal er merkwürdigerweise von zwei Ölbäumen flankiert wird, die ihn über goldene Röhren unmittelbar mit dem notwendigen Öl versorgen. Die ohnehin bereits jedes normale Maß sprengende Buchrolle von zwanzig mal zehn Ellen verfügte über die Fähigkeit zu fliegen. Dass eine Frau in einem Epha, einem Getreidemaß, saß, war ebenfalls alles andere als alltäglich. Und dass dieses Getreidemaß schließlich auch noch von zwei Frauen mit Storchenflügeln nach Schinear ausgeflogen wurde, spricht für sich. Schließlich weisen auch die beiden Berge im letzten Nachtgesicht, die ganz und gar aus glänzendem Kupfererz bestehen, auf Nichtalltägliches hin. All diese Beispiele machen deutlich, dass die vom Propheten geschauten Realien nicht die Funktion haben, die jedermann sichtbare Alltagswelt zu referieren, sondern auf das verweisen, was an und in dieser Welt unsichtbar ist. Ihnen wurde in diesem Zusammenhang offenbar ein Sinn zugeschrieben, der sich nicht in ihrer alltäglichen Funktion und Bedeutung erschöpfte.33 Vielmehr wurden sie zu Symbolen der unsichtbaren Welt. Damit aber kommt ein Merkmal antiker Bildkulturen und ihrer Semantik in den Blick, das Hans Belting präzise beschrieben hat: „Ihre symbolische Welt ging nicht im visuellen Tatbestand auf, mit dem sie operierte, sondern lenkte das Auge und die Phantasie auf etwas, das sich erst hinter dem Visuellen öffnete.“34
Dieser Vorgang der Symbolisierung und Visualisierung des Unsichtbaren durch ein ganz bestimmtes Arrangement von Gegenständen der sichtbaren Welt war allerdings keine individuelle Einzelleistung des Propheten und seiner imaginativen Kompetenz. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diesem nicht nur die geschauten Realien aus der sichtbaren Welt bekannt gewesen sind, sondern auch einzelne Elemente und Motive der symbolischen Arrangements des Unsichtbaren, die ihm aus dem kollektiven Bildgedächtnis Israels und seiner Nachbarn zugewachsen waren.35 Israel hatte Anteil an jahrtausende alten Bildtraditionen, die sich zu einem | religiösen Symbolsystem verdichtet haben und in das ohne Zweifel auch der Prophet Sacharja verstrickt gewesen ist. Sein individuelles Bildgedächtnis speiste 33
Leicht, Pflicht, 28: „Das Bild oder besser gesagt, die Wahrnehmung des Bildes entfernt das Dargestellte aus der lebensweltlichen Praxis und eröffnet einen imaginären Raum.“ Vgl. zu dem analogen Phänomen des Mediums „Text“ Vater, Einführung in die Textlinguistik, 116ff. 34 Belting, Das echte Bild, 25. 35 Vgl. dazu Keel, Zeichensysteme.
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sich ganz selbstverständlich aus dem kollektiven Bildspeicher, den Israel und seine Nachbarn ausgebildet hatten.36 Das wird bei einer genaueren ikonographischen Analyse der Bildkonstellationen der Nachtgesichte deutlich.37 So lässt sich z.B. zeigen, dass es sich bei der ersten Vision von dem Reiter auf einem roten Pferd (Sach 1,7–17), bei der zentralen Leuchtervision (Sach 4) sowie der letzten Vision von den beiden Erzbergen, zwischen denen von verschiedenfarbigen Rossen gezogene Wagen hervorkommen (Sach 6,1–8), um Himmelstorvisionen handelt. Himmelstordarstellungen haben eine Tradition, die weit in die religiöse Bildkultur des Alten Orients zurückreicht. In der visuellen Wahrnehmung des altorientalischen Menschen verband sich die Vorstellung vom Zugang zum Himmel mit dem Horizont, an dem sich Himmel und Erde berühren.38 Die westliche Horizontlinie des Judäers bildete das Mittelmeer, in dem am Abend die Sonne als glühender roter Ball versank. Die östliche Horizontlinie bildeten die Berge Moabs, zwischen denen der Feuerball am Morgen aufging und diese dabei in einen Glanz hüllte als wären sie aus Kupfererz. Ist es ein Zufall, dass der Zyklus der Nachtgesichte mit einer Vision von einem Reiter auf einem roten Pferd | an der Meerestiefe,39 also am westlichen Horizont einsetzt und mit einer Vision von den Erzbergen am östlichen Horizont endet? Wenn diese Interpretation zutrifft, dann beginnt der Visionszyklus am Abend mit dem Untergang der Sonne und endet am nächsten Morgen mit ihrem Aufgang.40 Es sind die Visionen einer Nacht, die von Him36
Vgl. Belting, Bild-Anthropologie, 21: „Unsere inneren Bilder sind nicht immer individueller Natur, aber sie werden auch dann, wenn sie kollektiven Ursprungs sind, von uns so verinnerlicht, dass wir sie für unsere eigenen Bilder halten. Die kollektiven Bilder bedeuten deshalb, dass wir die Welt nicht nur als Individuen wahrnehmen, sondern dies auf eine kollektive Weise tun, welche unsere Wahrnehmung einer aktuellen Zeitform unterwirft.“ Das in Anm. 23 genannte Werk von S. Schroer und O. Keel (Schroer/Keel, Ikonographie) stellt den ersten umfassenden Versuch einer systematischen Rekonstruktion des kollektiven Bildspeichers Palästina/Israels im Rahmen seiner Umwelt dar. 37 In den Studien von Keel, Jahwe-Visionen, und Uehlinger, Figurative Policy, wird dies exemplarisch gezeigt. 38 Zu den Himmelsvorstellungen im Alten Orient und in Israel in biblischer Zeit vgl. Houtman, Himmel; Janowski/Ego, Das biblische Weltbild (darin besonders die Beiträge von R. Bartelmus, F. Hartenstein und M. Albani); sowie die Beiträge von R. Schwindt, B. Janowski, K. Schmid und B. Ego im JBTh 20 (=Ebner, Himmel). 39 Das hebräische Nomen ė Ćğ ĉĩġþ , das in Sach 1,8 begegnet, wird in den Kommentaren nicht durchweg als „Meerestiefe“ gedeutet. So ändert z.B. Rudolph, Sacharja, 72, die Vokalisation und liest ė Ćğĩþ ŪĂ şą „an der Gebetsstätte“. LXX ändert den Text und übersetzt mit avna. me,son tw/n du,o ovre,wn tw/n kataski,wn „zwischen den beiden schattigen Bergen“, setzt demnach hebräisches ğĊ ăĩ ąş „im Schatten“ voraus und harmonisiert das erste Nachtgesicht mit dem letzten in 6,1. 40 Vgl. dazu Gese, Anfang und Ende der Apokalyptik.
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melstordarstellungen gerahmt werden. So vielgestaltig diese auch in ihrer individuellen Ausprägung sind, so bleiben sie sich doch in einem weitestgehend treu, in ihrer durch strenge Symmetrie geprägten Bildkomposition.41 Auf einer Reihe von Rollsiegeln der Akkadzeit (2350–2150 v. Chr.) wird der zwischen den Himmelstorflügeln erscheinende Sonnengott gezeigt. Das Tor wird von zwei Türwächtern geöffnet und von zwei Bäumen flankiert.
Abb. 1: Rollsiegel aus der Akkadzeit
Das gleiche Motiv begegnet auch in einer Variante, in der die Bäume durch die Horizontberge ersetzt werden, zwischen denen der Sonnengott am Morgen emporsteigt. |
Abb. 2: Rollsiegel aus der Akkadzeit
41 Schroer/Keel, Ikonographie, 22, weisen auf den „hohen Rang der Achsensymmetrie“ in der altorientalischen Ikonographie hin.
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Auch in Ägypten war das Himmelstormotiv bekannt und wurde sowohl mit den beiden Horizontbergen als auch mit zwei Bäumen verbunden. So ist auf einem Totenbuchpapyrus des Neuen Reiches (1550–1070 v. Chr.) die Torsymbolik ebenfalls mit den Horizontbergen kombiniert.
Abb. 3: Totenbuchpapyrus, Ägypten42
Dieses Motiv hält sich durch bis in die römische Kaiserzeit. Ein Relief aus Dendera (1./2. Jh. n.Chr.) zeigt den Urozean Nun, auf dem die Erde mit den Horizontbergen und den Horizontbäumen schwimmt. In ihrem Zentrum steht der Hathor|tempel mit dem Abbild der Gottheit. Die Welt öffnet sich zum Himmel hin, der sich in Gestalt der Himmelsgöttin Nut über sie beugt, die den Himmelsozean verkörpert und am Morgen die Sonne aus ihrem Schoß gebiert, um sie am Abend wieder aufzunehmen.
Abb. 4: Relief am Neujahrstempel in Dendera
Othmar Keel hat wahrscheinlich machen können, dass auch die zentrale Vision von dem Leuchter zwischen den beiden Ölbäumen (Sach 4) von die42
Siehe dazu Keel, Jahwe-Visionen, 296ff.
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ser Himmelstorsymbolik geprägt ist.43 So begegnet auf mehreren Rollsiegeln des 8. Jh. v. Chr. immer das gleiche Bildschema, die Sichelmondstandarte flankiert von zwei Adoranten und zwei Bäumen.
Abb. 5: Mesopotamisches Rollsiegel |
Auf einer Reihe von Stempelsiegeln Palästinas findet sich dieses Motiv aufgrund des begrenzten Raumes für die Gravur in um die Adoranten reduzierter Gestalt wieder. Ein Beispiel hierfür ist das aus dem 8. Jh. v. Chr. stammende Siegel aus Tawilan.
Abb. 6: Stempelsiegel aus Tawilan
Die Sichelmondstandarte repräsentierte als Symbol den Mondgott Sin, der auch in anthropomorpher Gestalt zwischen zwei Bäumen dargestellt wurde, wie auf einem skaraboiden Siegel aus Sichem, das ebenfalls aus dem 8. Jh. v. Chr. stammt. 43
Keel, Jahwe-Visionen, 274–320.
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Abb. 7: Skaraboides Stempelsiegel aus Sichem
In der Vision des Sacharja wird die Standarte lediglich durch den Leuchter ausgetauscht, weil der Leuchter als Symbol für die Augen JHWHs steht (Sach | 4,10). Das Symbol des Mondgottes Sin wird damit durch ein JHWH-Symbol ersetzt.44 Da im religiösen Symbolsystem des Alten Orients der Tempel den „Himmel auf Erden“ repräsentierte,45 setzt sich diese Himmelstorsymbolik bis in die Symbolik der Tempeltore fort, die häufig ebenfalls von zwei Bäumen flankiert wurden. Das gilt wahrscheinlich auch für den Tempel Salomos, an dessen Eingang nach der Beschreibung in 1 Kön 7,13–22 die beiden ehernen Säulen Boas und Jachin standen, die mit floralen Motiven geschmückt waren und wohl eine den Horizont oder Himmelstorbäumen vergleichbare Funktion hatten: die Markierung des Übergangs in den Bereich der unsichtbaren Gottheit.46 Die Beispiele dafür, dass im Hintergrund der Visionen des Sacharja eine reiche altorientalische und palästinische Bildtradition steht, ließen sich noch erheblich erweitern.47 Die Reiter im ersten Nachtgesicht, die Hörner im zweiten, die Frauen mit den Storchenflügeln im siebten, oder auch die Götterwagen im achten Nachtgesicht, sie alle lassen ikonographische Bezüge zu einem religiösen Symbolsystem erkennen, das dem Propheten Sacharja als einem Kind des 6. Jh. v. Chr. kein Buch mit sieben Siegeln gewesen sein dürfte. Denn im Unterschied zu dem heutigen Betrachter der materialen Bilder des Alten Orients sowie Israels und Palästinas, der ja nur 44 Kritisch zu dieser These von O. Keel haben sich Weippert, Siegel mit Mondsichelstandarten, und Hanhart, Sacharja, 256f, geäußert. Vgl. dazu aber die Erwiderung von Keel, Grundsätzliches, 43–55. Näheres zur Himmelsmetaphorik in Sach 4 bei Lux, Himmelsleuchter, 149ff. 45 Vgl. Janowski, Himmel auf Erden. 46 Siehe dazu Zwickel, Tempel, 113–125. 47 Weitere Hinweise finden sich bei Uehlinger, Figurative Policy.
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noch über mehr oder weniger zufällig erhalten gebliebene Bruchstücke dieser Bildkultur verfügt, die er mühsam wie Puzzlestücke in ein Gesamtbild einzuordnen versucht, darf man davon ausgehen, dass Sacharja als Angehöriger einer Priestersippe in der babylonischen Gola und als Rückkehrer nach Jerusalem in der frühen Achämenidenzeit (vgl. Neh 12,16) mit der religiösen Bilderwelt seiner Zeit bestens vertraut gewesen ist. Israel und seine Nachbarn mit ihren materialen Bildern sowie ihrem kollektiven Bildgedächtnis, waren der soziale Ort, von dem aus auch dem Propheten Bilder zugewachsen sind. Er wurde wie jeder Mensch in eine Kultur hineingeboren, | die nicht nur über das Medium der Sprache, sondern auch über das Medium der Bilder miteinander kommunizierte.48 Aber die Teilhabe an einer kollektiven Bildkultur und die Kompetenz zur Bildkommunikation macht noch keinen Visionär. In der Vision vollzieht sich ein „Ortswechsel“ der Bilder. Die mit den natürlichen Augen geschauten materialen äußeren Bilder treten dem Propheten in der Vision vor sein „inneres Auge“. Aus exogenem Bildmaterial werden endogene Bildwelten, die ihren eigenen Gesetzen folgen.
3. Der Prophet als vitaler Ort der Bilder Materiale Bilder sind an Orte und Kulturräume gebunden, mentale Bilder an eine Person und ihren Körper. Materiale Bilder schreiben das, was sie zeigen, fest. Ihre Bildgrammatik wird metaphorisch gesprochen vom Stativ oder Durativ beherrscht. Der Maler hält im Bild fest, was sich in der Realität in ständiger Bewegung und Veränderung befindet. Mentale Bilder hingegen sind flüchtige Nomaden der Zeit. Sie kommen und gehen. Ihr Ort ist der Körper des Menschen, den sie von Zeit zu Zeit besetzen. Und so wie dieser endlich und vergänglich ist, so auch seine Bilder. Dieser Nachteil der mentalen Bilder, ihre Flüchtigkeit, Endlichkeit und Vergänglichkeit, wird allerdings durch einen entscheidenden Vorteil aufgewogen, durch ihre Vitalität. Mentale Bilder sind beweglich und lebendig, materiale Bilder hingegen leblose Objekte aus Holz, Stein, Metall und Farbe, die erst durch das lebendige Auge des Betrachters gleichsam wieder „reanimiert“ werden müssen. Die religiöse Bildkultur des Alten Orients war sich der Leblosigkeit ihrer materialen Götterbilder sehr wohl bewusst. Daher entwickelte sie ein
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Vgl. dazu die einleitenden Reflexionen von Schroer/Keel, Ikonographie, 19ff.
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überaus komplexes Gefüge von Mundwaschungs- und Mundöffnungsriten,49 die der Reinigung und Animierung von Götterstatuen dienten.50 | In Analogie zu diesen Wandlungsriten, die die Aufgabe hatten, leblose in belebte, beseelte Bilder zu verwandeln, kann man cum grano salis auch die Transformation von materialen in mentale Bilder beschreiben. Die leblosen materialen Bilder werden im und durch den menschlichen Körper des Betrachters vitalisiert. Dieser Vorgang vollzieht sich bereits im Akt der Wahrnehmung. Der Betrachter, der zu ihnen in eine Beziehung tritt, ihnen eine Bedeutung zuschreibt, beginnt damit, sie in seinem Bildgedächtnis abzuspeichern und zu bestimmten Anlässen daraus abzurufen, sie zu erinnern.51 Er „belebt“ sie mit seiner imaginativen Phantasie, indem er sie zu einem Teil seines eigenen Lebens macht.52 Dabei kann sich die Praxis der „Aneignung“ der Bilder in ganz verschiedenen kulturell bedingten Handlungsrahmen vollziehen. Michael Leicht hat z.B. auf die unterschiedliche Zugangsweise zu den Bildprogrammen von Kirchen und Kathedralen bei bildungs- und kunstbeflissenen Besuchern einerseits und andächtigen Betern andererseits verwiesen: „Während erstere als interpretierende, nach Bedeutung forschende, distanzierte BetrachterInnen von Bildern auftreten, stehen letztere in einer direkten existenziellen Verbindung mit diesen, inklusive der Annahme ganz diesseitiger lebensweltlicher Wirkkraft.“53
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Siehe dazu Berlejung, Theologie der Bilder, 178–283. Es spricht für sich, wenn in Ägypten schon vom 3. Jt. v. Chr. an diese Rituale in Analogie dazu auch zur Belebung eines mumifizierten Toten eingesetzt wurden. Die rituelle „Rückgabe des Mundes“ war dabei offensichtlich der entscheidende Schritt für eine Fortexistenz des mumifizierten Verstorbenen im Totenreich. So heißt es im Totenbuch der Ägypter in Spruch 22: „Ich bin aufgegangen aus dem Ei, das im geheimnisvollen Reich ist. Mir ist mein Mund zurückgegeben, so daß ich mit ihm sprechen kann vor den Göttern der | Unterwelt“ (Übersetzung nach Hornung, Totenbuch, 85). Solange die Mumie schwieg, ihr der Mund nicht rituell gereinigt und geöffnet wurde, galt sie wie die Götterstatuen auch als lebloses „Bild“ eines Verstorbenen. Erst das entsprechende Ritual machte aus der leblosen, stummen Mumie einen, dem der Mund zurückgegeben wurde, eine sprechende Gestalt. 51 Belting, Bild-Anthropologie, 13, unterscheidet daher „zwischen Gedächtnis, als einem körpereigenen Bildarchiv, und Erinnerung, als einer körpereigenen Bilderzeugung“. 52 Dabei ist allerdings eine Differenz zwischen der „Vitalisierung“ exogener materialer Bilder durch Verinnerlichung in mentalen Bildern zu ihrer rituellen „Animation“ durch Mundöffnung und Mundwaschung festzuhalten. Die Aufnahme materialer Bilder in den Bildspeicher des menschlichen Körpers und Gedächtnisses macht sie zu endogenen Bildern. Hingegen bleiben die materialen, rituell behandelten Bilder ein exogenes Gegenüber. 53 Leicht, Pflicht, 28. 50
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Es ist demnach davon auszugehen, dass die jeweiligen kulturell geprägten Bildpraktiken die Bildwahrnehmung steuern. Daraus ergibt sich die Problematik, dass ein materiales Objekt, welches wir unseren kulturellen Konventionen entsprechend als „Bild“ bezeichnen, durch das Abwesendes oder Unsichtbares repräsentiert wird, in anderen Kulturen keineswegs als solches wahrgenommen werden musste, sondern durchaus als präsente „lebensweltliche Realität“ betrachtet werden | konnte.54 Die Aufgabe, die sich daraus für unsere Fragestellung ergibt, wurde von Michael Leicht präzise beschrieben: Das „bedeutet zunächst einmal, dass wir nicht einfach von Bildern reden wollen nur aufgrund der Tatsache, dass wir solche wahrnehmen. Es bedeutet zudem, dass wir unsere Analyse auf den Aspekt des Sehen-als im historischen Kontext ausrichten, was nichts anderes heißt, als Möglichkeiten zu suchen, die Praxis der Objekte, welche sich uns als Bilder darstellen, zu rekonstruieren.“55
Versucht man das in den prophetischen Visionsberichten dargestellte Visionsgeschehen in seinem historischen Kontext zu rekonstruieren, dann ist zunächst einmal ernst zu nehmen, dass die in den Texten beschriebenen Visionen nicht als ein in der „Schreibstube“ kreierter literarischer Vorgang eingeführt werden,56 sondern als ein Ereignis, das dem Sprecher der Texte
54
Leicht, Pflicht, 30ff. Siehe zu dieser Problematik auch die Studie von H. Belting, der auf der Suche nach dem „echten Bild“ die Einsicht formuliert, dass dieses nur in der Aufhebung und Überwindung seines Charakters als „Bild“ zu finden sei: „Das echte Bild ist ein Widerspruch in sich, denn es dient als Platzhalter für etwas, das wir als wirklich ansehen. Deshalb suchen wir es auch nicht unter solchen Bildern, von denen jeder weiß, dass es sie nur als Bilder geben kann, weil sie in der Empirie keine Analogie besitzen. Sie machen sich von einer solchen Analogie frei und wollen sie sogar widerlegen“ (Belting, Das echte Bild, 13). Während demnach die Bilder mühelos die Grenze zum Reich des Unwirklichen passieren können, um sich in virtuellen Realitäten zu ergehen, besteht das „echte Bild“ auf seinem Anspruch, Repräsentant von Wirklichkeit zu sein. Exakt dieses Verständnis eignet, wie Berlejung, Theologie der Bilder, 414, gezeigt hat, den antiken Kultbildern: Dabei wurde „das Kultbild als ‚wirkliches Bild‘ und Epiphanie der Gottheit“ verstanden. „Das Kultbild war der lebendige, irdische Leib der personal verstandenen Gottheit; sein Aussehen glich dem eines menschlichen Körpers, war jedoch nicht mit ihm identisch (goldene ‚Haut‘). Als sichtbare Gestalt der unsichtbaren göttlichen Wirklichkeit war es ein Bild, das Unsichtbares sichtbar machte und die Realität des Göttlichen machtvoll dasein ließ. In diesem Zusammenhang konnte vom ‚performativen Charakter‘ der Bilder gesprochen werden.“ 55 Leicht, Pflicht, 33. 56 Das ist z.B. bei der Einführung des Moseliedes (Dtn 32) in Dtn 31,19ff der Fall, oder bei dem Bericht von der Schriftrolle Baruchs in Jer 36.
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widerfuhr.57 So setzt der Bericht der Nachtgesichte des Sacharja mit den Sätzen ein: | „Ich sah in der Nacht. Und siehe, da war ein Mann, der ritt auf einem roten Pferd. Und er stand zwischen den Myrten, die an der Meerestiefe sind. Und hinter ihm waren rote Pferde, fuchsige und weiße.“ (Sach 1,8)
Der mit diesem geschauten Geschehen eingeleitete Visionszyklus wird danach nicht lediglich als eine Abfolge von literarischen „Bildern“, sondern von „Ereignissen“ präsentiert. Die Visionsberichte haben eben nach dem Selbstverständnis ihrer Autoren das Erzählte nicht nur abgebildet, sondern im eigentlichen Sinne des Wortes repräsentiert, also wieder gegenwärtig gesetzt. „Repräsentation setzt die Existenz des Realen voraus, aber sie bringt es erst zum Bewusstsein, indem sie dieses behauptet und beschreibbar macht.“58
Die Einführung der Kategorie „Ereignis“ entspricht daher dem Selbstverständnis prophetischer Visionen am ehesten, weil sie an ihrem in den Texten vorausgesetzten und postulierten Realitätsbezug festhält.59 Der Visionsbericht tritt mit dem Anspruch auf, eben nicht nur eine literarische 57
In diesem Zusammenhang muss eine deutliche Unterscheidung zwischen den Autoren der prophetischen Visionsschilderungen und den von ihnen imaginierten Empfängern und Erzählern der Visionen gemacht werden. Autor und Erzähler können, aber müssen nicht in ein und derselben Person zusammenfallen. Ob also die jeweiligen prophetischen Visionsberichte von den in den Texten als Erzähler genannten Propheten selbst stammen, oder aus der Feder späterer Anhänger und Schüler als Autoren, die die Visionen ihren imaginierten Erzählern zugeschrieben haben, das ist eine Frage, die im Rahmen gründlicher | Textanalysen von Fall zu Fall zu entscheiden wäre. Für die Rekonstruktion antiker Visionspraktiken und ihrer historischen Kontexte ist diese literarhistorische Fragestellung aber nicht entscheidend. Vielmehr enthalten auch die Zuschreibungen von Visionen an die Propheten durch spätere Autoren ein bestimmtes Visionskonzept, das sich diese nicht einfach ausgedacht haben, sondern ihrer kulturellen Praxis und deren Kontexten entnommen haben dürften, in denen es den Autoren wie ihren Lesern plausibel erschien. 58 Belting, Das echte Bild, 17f. 59 Belting, Das echte Bild, 18, hat in diesem Zusammenhang auf den fundamentalen Unterschied zwischen Ereignis und Event aufmerksam gemacht: „Ein Event ist ein produziertes Ereignis, also etwas, was sich gerade nicht einfach ereignet, sondern für das Konsumverhalten inszeniert wird und also ein mediales Ereignis ist. Dagegen sind wir schockiert, wenn wir Zeuge eines Ereignisses werden, das über uns hereinbricht, ohne dass wir es geplant haben. Das ist dann der Einbruch des ‚Realen‘, das uns bereits fremd geworden ist. Bilder haben traditionell ein Ereignis reproduziert, so dass es für jene, die nicht daran teilgenommen haben, vorstellbar wurde. Dieses dokumentarische Wesen, das aller Bilderzählung zugrunde liegt, hat sich heute verschoben“.
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Produktion zu sein, sondern die Reproduktion eines Ereignisses! Wer dieses in den Texten zum Ausdruck kommende Selbstverständnis übergeht, setzt sich der Gefahr aus, die eigenen kulturellen Lesarten in die antiker Texte einzutragen. Der Ereignischarakter der mentalen Bildwelten in den Visionen manifestiert sich am ehesten in der Vitalisierung des Geschauten. Diese Vitalisierung von im | persönlichen Bildarchiv abgespeicherten Bildern besteht nicht nur darin, dass diese in Bewegung kommen, sondern dass sie zu sprechenden Bildern werden. Das gilt jedenfalls für die prophetischen Visionen. Man kann dies nicht treffender ausdrücken als das Totenbuch der Ägypter. Den vom Propheten geschauten mentalen Bildern „wird ihr Mund zurückgegeben“, sie beginnen zu reden.60 Vision und Audition verbinden sich in ihnen zu einer Einheit. Eine prophetische Vision beansprucht nicht nur das innere Auge, sondern auch das innere Ohr des Propheten. Er hört Unhörbares und oft genug Unerhörtes! Mentale Bilder verweisen damit, so paradox das auch erscheinen mag, entweder beglückend oder auch bedrängend anschaulich auf eine Welt von sichtbar-unsichtbarer Vitalität, die der Mensch nur mit geschlossenen Augen wahrzunehmen vermag. Sie mögen lange Zeit die Existenz eines „Schläfers“ führen, als leblose „Mumien“ in unserem persönlichen Bildgedächtnis abgespeichert sein. Irgendwann öffnet sich der Speicher, die Bilder erwachen mit, aber auch ohne und oft genug sogar gegen unseren Willen.61 Wir können sie uns rituell ins Gedächtnis rufen, das nennt man dann Erinnerungsarbeit. Aber sie kommen auch ungerufen in Tagträumen und Nachtträumen und überfallen uns als ungeladene Gäste. Auf diese Weise beleben sich die toten Bilder und die Bilder der Toten und konstituieren virtuelle Welten. Sie treten uns vor das innere Auge und beginnen ihr flüchtiges Eigenleben, obwohl sie doch Bilder unseres eigenen Körpers sind. Hans Belting spricht in diesem Zusammenhang von der Erfahrung einer mehrfachen „Besetzung“ des Körpers. 60
Vgl. Anm. 50. Visionen konnten durchaus mit Hilfe mantischer Techniken (Ekstase, Drogen, Inkubation u.a.) induziert werden (vgl. Num 22–24). Im Unterschied zu diesen im Alten Orient weit verbreiteten Techniken lassen die Visionsberichte der Propheten Israels davon nichts erkennen. Daher muss man sie eher der intuitiven Divination zurechnen, bei der der Prophet die geschauten Bilder nicht selbst induziert, sondern sein Körper von diesen besetzt wird, er als Medium in Dienst genommen wird. Stolz, Grundzüge der Religionswissenschaft, 182: „Ebenso mannigfaltig sind die Modelle für die Vorgänge, die eine Vision ausmachen. Nach dem Selbstzeugnis der Visionäre kann man sich der Vision nicht entziehen, normale Kontrollfunktionen des Bewusstseins sind ausgeschaltet. Offensichtlich handelt es sich um Mechanismen des Unbewußten, welche ähnlich wie beim Traum, aber mit weit größerer Intensität, arbeiten.“ Vgl. auch Kratz, Propheten, 21. 61
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„Der Körper ist also in solchen Fällen Ort wie auch Medium, wo immer auch die Bilder herkommen, die in ihm und von ihm ‚aufgeführt‘ werden. Das geschieht ohne seine Kontrolle und steht doch unter der Autorität von Erinnerungen und kulturellen Bildern, die sich dabei selbständig machen.“62 |
Trotz dieser kulturellen Steuerung und Normierung bleibt demnach die Unverfügbarkeit eine wichtige Signatur mentaler Bildwelten. Die Unterscheidung, die Ernst Bloch zwischen Nachtträumen und Tagträumen getroffen hat, dass nämlich die Nachtträume „halluzinierte Wunscherfüllungen“ seien,63 während der Tagtraum „in unserer Macht“ und damit uns zur Verfügung stünde, darf wohl nicht verabsolutiert werden.64 Mentale Bildwelten sind eben nicht nur Grenzgänger zwischen der Welt des Sichtbaren und des Unsichtbaren, sondern auch zwischen der Welt des Verfügbaren und des Unverfügbaren, des Vorhersehbaren und Unvorhersehbaren ob am Tag oder in der Nacht, im Traum oder im Wachzustand. Diese Doppelnatur mentaler Bilder bedarf der Interpretation. Man mag sie sich mit der komplexen Struktur unseres neuronalen Gedächtnisapparates, des Gehirns, erklären.65 Aber Erklärungen sind noch keine Interpretationen. Sie enthalten allenfalls eine erste Ebene der Interpretation dieses überaus komplexen, an biologische und kulturelle Voraussetzungen gebundenen mehrschichtigen Vorgangs der Kommunikation des Menschen mit seiner Welt durch das Medium materialer und mentaler Bilder. Im Vorgang der Interpretation wird ein Zusammenhang von Tradition und Innovation konstituiert.66 Die biologischen und die kulturellen Voraussetzungen, die | ein Mensch mitbringt, die Tradition, die er in sich verkör62
Belting, Bild-Anthropologie, 72. Bloch, Prinzip Hoffnung, 86ff. 64 Ebd., 96ff. 65 Vgl. dazu Hüther, Bedienungsanleitung. Im Rahmen der Beschreibung der „Stufenleiter der Wahrnehmung“ kommt er (ebd., 106) zu der bemerkenswerten Feststellung: „Was die wahren Propheten und Seher von den falschen unterscheidet, ist der Umstand, dass es ihnen im Laufe ihrer Entwicklung gelungen ist, all ihre Sinne, und zwar sowohl die zur Wahrnehmung von Veränderungen in ihrer äußeren Welt als auch die zur Wahrnehmung dessen, was in ihnen geschieht, gleichzeitig zu schärfen, und dass sie die Fähigkeit entwickelt haben, all diese Sinne gleichzeitig und gleichgewichtig zu gebrauchen. Sie haben damit die höchste Stufe der Wahrnehmungsfähigkeit eines menschlichen Gehirns erreicht. Dorthin kann nur jemand gelangen, dem es im Lauf seines Lebens immer wieder gelungen ist, ein Gleichgewicht zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Abhängigkeit und Autonomie sowie zwischen Offenheit und Abgrenzung zu finden.“ 66 Streng genommen verdankt sich bereits die Tradition als Einheit von traditum und traditio einem Prozess der innovativen Weitergabe von Texten und Bildern. Im Zuge der Überlieferung gingen aus Texten neue Texte und aus Bildern neue Bilder hervor, die ihre jeweiligen Vorgänger nicht nur kopierten und reproduzierten, sondern – mit neuen Erfahrungen angereichert – rezipierten. Für die Literaturwissenschaft wurde dieser Prozess von Eco, Lector in fabula, dargestellt. 63
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pert, trifft ständig auf Neues, Unbekanntes, Unbewältigtes, das in seiner überlieferten Weltordnung noch keinen Platz hat, ja mitunter quer zu ihr steht und sie stört. Es sind diese Unterbrechungen des Alltäglichen, die ausgehalten, bewältigt und verarbeitet werden wollen. Offensichtlich gehört es zu den anthropologischen Grundbedürfnissen, dieses Jenseitige, Neue in die Welt des Diesseits, des Überlieferten und Tradierten, das Unbekannte in die Welt des Bekannten zu überführen. Dieser Interpretationsund Integrationsprozess von Neuem in die mir vertraute Weltordnung ermöglicht Innovationen im Verstehen der Welt sowie der eigenen Existenz.67 An ihm haben die mentalen, körpereigenen Bilder einen entscheidenden Anteil. Der intuitive „Einfall“ des Unsichtbaren, Unbekannten, Ungeordneten in meine Weltordnung weckt die mentalen Bilder unseres Bildgedächtnisses und belebt sie. Sie stellen gleichsam einen Rahmen her, in dem sich das Verstehen von Neuem vollzieht. Das Entscheidende an den prophetischen Visionen besteht nun aber darin, dass sie das Neue nicht vollkommen im Alten aufgehen ließen, die Innovation nicht in den Rahmen der Tradition gepresst haben. Vielmehr haben sie sich ihr „geschlossenes Weltbild“ durch die sprechenden Bilder öffnen lassen und offen gehalten für die Welt des Unsichtbaren und Unerhörten.68 Das Künftige wurde nicht an die Kette des Gegenwärtigen gelegt, das, was jenseits meiner Wahrnehmung von Welt und Mensch liegt, nicht durch das Diesseits paralysiert.69 Man kann daher die | Botschaft der Propheten nicht allein auf sozialethische Programme für eine gerechtere Welt oder kultkritische Propaganda reduzieren, was häufig geschieht. Sie waren darüber hinaus auch Protagonisten einer geschärften Wahrnehmung, Em67
Wenn Stolz, Grundzüge der Religionswissenschaft, 181ff, im Zusammenhang seiner Überlegungen zu Innovationen in religiösen Symbolsystemen vor allem auf das Phänomen der Visionen verweist, dann hat er m.E. damit eine der wesentlichsten Leistungen mentaler Bilder erfasst, die sich auf visionäre Erfahrungen berufen. 68 Nach Hüther, Bedienungsanleitung, 106f, muss ein (prophetischer) Mensch „die Fähigkeit entwickeln, sich einer bestimmten Wahrnehmung voll und ganz zu widmen, sie in sich aufzunehmen und zu spüren, was die Wahrnehmung in ihm auslöst. Und er muß das dabei entstehende innere Bild mit all den dort bereits entstandenen Bildern zu einem einheitlichen ganzen Bild, das dann eher einer Empfindung gleicht, verschmelzen lassen. Dabei darf er nicht selbst vor Begeisterung über diese Empfindung ,dahinschmelzen‘, sondern muß sich wieder davon lösen können und sie doch fortan in sich bewahren. Nur so ist er später in der Lage, neue, andere Wahrnehmungen über andere Sinneseingänge aus seiner äußeren wie auch seiner inneren Welt mit der gleichen Intensität aufzunehmen und zu spüren, was dabei in ihm und mit ihm geschieht, und die dabei entstandenen ‚Empfindungsbilder‘ mit allen anderen, bereits abgespeicherten zu einem immer umfassenderen Bild seiner inneren und äußeren Wirklichkeit zusammenfügen.“ 69 Iser, Das Fiktive, hat diesen Vorgang als einen ständigen Prozess der Grenzüberschreitung vom „Realen“ zum „Imaginären“ in der Literatur beschrieben.
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pfindung und Erkenntnis von Neuem, einer von Tradition und Innovation, Bindung und Offenheit gleichermaßen geprägten Noetik. Und diese bestand im bleibenden Respekt vor der Welt des Unerkannten, Jenseitigen und Unsichtbaren, für die sie nur einen Namen zu nennen wussten, den JHWHs, des Gottes Israels.70 Dieser Respekt kommt in den Nachtgesichten des Sacharja am deutlichsten in der literarischen Gestalt des angelus interpres zum Ausdruck. Das, was es über die unsichtbare Welt und den unsichtbaren Gott zu sagen gab, für die die visionären Bilder lediglich Platzhalter waren, das konnte sich auch der Prophet nicht selber sagen, das musste ihm gesagt werden. Diesem Überschuss an Neuem, Jenseitigem, Unsichtbar-Sichtbarem, eben dem unsichtbaren Gott Israels, begegnet man daher auf Schritt und Tritt in den prophetischen Bild- und Hörwelten. Das macht das Bizarre dieser Bilder und Visionen aus: die Himmelstore mit den flankierenden Bäumen und den Erzbergen, die sich verselbständigenden auf ihren Symbolgehalt reduzierten Hörner, der jede Alltagsrealität sprengende Leuchter mit den Ölbäumen, die fliegende Schriftrolle, die Frau im Getreidemaß, die Frauen mit den Storchenflügeln. In ihnen allen entdecken wir Realien unserer Welt und doch zugleich auch Weltbruchstücke einer gänzlich anderen Welt. Es sind Grenzbilder, die die geschlossene Welt des Sichtbaren offen halten für den unsichtbaren Gott Israels. Bilder, die die Propheten nicht einfach machten, sondern die ihnen „einfielen“, ja in sie hineinfielen als Botschaften einer fremden Welt.71 |
4. Der Text als medialer Ort der Bilder Die Propheten Israels haben ihre Visionen nicht als Arkanum verstanden. Die Texte bezeugen, dass sie sich – oft genug gegen ihren Willen (Ex 4,10– 14; Jes 6,5; Jer 1,6) – gedrängt und beauftragt wussten, anderen ihre mentalen Bilder mitzuteilen. Dieses prophetische Selbstverständnis hat Anette von Droste Hülshoff in ihrer Ballade „Vorgeschichte“, die sie mit dem be70 In diesem Respekt gründet letztlich das biblische Bilderverbot. Vgl. dazu u.a. Dohmen, Bilderverbot; Uehlinger, Exodus; Wagner, Alttestamentlicher Monotheismus; Werbick, Trugbilder, und Krieg/Rüsch/Stückelberger/Zeindler, Das unsichtbare Bild. 71 Schnettler, Zukunftsvisionen, 69, spricht in seiner religionssoziologischen Studie von Visionen als „auferlegten Transzendenzerfahrungen“, die „nicht durch intentionale Bewußtseinstätigkeit hervorgerufen“ werden. „Die Erlebenden gewinnen den subjektiven Eindruck, dass die Vorgänge ihrer Imagination nicht auf die Autorschaft des eigenen | Bewusstseins zurückgehen, sondern durch andere Instanzen – übernatürlichen Ursprungs – verursacht werden. Imagination erscheint hier als eine ‚Sinnprovinz‘ eigenen Rechts.“
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zeichnenden Zusatztitel „Second sight“ versah, in uneinholbarer poetischer Präzision in die Sentenz gefasst: „Und der Prophet, ein verzweifelnd Wild, / kämpft gegen das mählich steigende Bild.“72 Zur Mitteilung von Visionen, von endogenen, mentalen Bildern stehen dem Menschen aber vor allem zwei Medien zur Verfügung. Er kann diese gleichsam wieder aus sich heraussetzen, in exogenen materialen Bildern verdichten und festhalten, oder er kann sie in das Medium von Sprache und Schrift überführen, also erzählen, „festschreiben“ und „fortschreiben“.73 Dann wird der Text zum neuen Ort und Trägermedium der mentalen Bilder und Visionen. Von dieser Möglichkeit einer Verortung der Bilder in Texten haben die Propheten reichen Gebrauch gemacht. Offensichtlich hatte das seinen Grund in dem ganz eigenen Charakter ihrer mentalen Bilder. Der Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Vilém Flusser hat den komplexen Vorgang der Umwandlung von Bildern in Texte sehr luzide beschrieben. Er geht von der inneren Dialektik des Mediums Bild aus, von seiner Besetzung der Grenze zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem. Bilder „stellen die Welt vor, aber sie stellen sich auch vor die Welt.“74 Sie haben demnach sowohl eine enthüllende als auch eine verhüllende Dimension. Solange die Bilder ihre Funktion der Enthüllung von Welt in hinreichender Form erfüllen, solange sprechen sie für sich selbst und dienen der Orientierung des Menschen in ihr. In dem Augenblick aber, in dem die verhüllende Funktion dominiert, werden Beschreibung und Erklärung notwendig. Flusser stellt im Verlauf seiner bildanthropologischen Betrachtungen fest: | „Die Schrift wurde erfunden, als die abschirmende Funktion der Bilder die orientierende zu überwuchern drohte. Die ersten Schreiber waren Ikonoklasten. Sie erklärten, das heißt sie durchbohrten die opak werdenden Bilder, damit sie wieder als Werkzeug zum Erkennen der Welt dienten und nicht mehr als verfremdende Verdeckung der Welt ‚angebetet‘ würden.“75 72
v. Droste-Hülshoff, Werke, 504. Vgl. Sals, Wehen, 45f: „Der Inhalt der Vision und seine mediale Übermittlungsform werden dazu häufig in einer Textgattung Visionsbericht wiedergegeben. Dabei ist eine mehrfache Übersetzungsleistung gefordert, vom Erleben hin zu Worten und zu Sätzen, von mündlicher zu schriftlicher Sprache, zu Text. Dieser Prozess verändert die übermittelten Informationen.“ 74 Flusser, Nachgeschichte, 75. 75 Ebd. Dieses Votum Flussers gilt auch für die frühen Formen der Bilderschriften, in denen die einzelnen Bildzeichen eben nicht mehr für sich stehen und nur das bezeichnen, was sie darstellen, sondern in ein Zeichensystem integriert wurden, in dem sie auch Funktionen wahrnehmen, die mit ihrem ursprünglichen Bildcharakter nichts mehr zu tun haben. So können z.B. die Hieroglyphen (ohne Determinativ) in der ägyptischen Schrift für einen bestimmten Buchstaben mit einem entsprechenden Lautwert stehen. 73
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Dieser „Ikonoklasmus“ vollzog sich im Prozess der Verschriftung bereits ganz äußerlich. „Der Text löst die Zweidimensionalität des Bildes in einer einzigen Dimension auf, um das Bild zu erklären. Der Text beschreibt das Bild, indem er die darin enthaltenen Symbole reihenförmig aufzählt. Er ordnet sie wie Steinchen (calculi) in einem Abakus, damit sie etwa wie Erbsen ‚gelesen‘ werden können. Texte sind Erzählungen, sind Kalkulationen der Inhalte von Bildern.“76
Was im Wahrnehmen und „Lesen“ von Bildern mit einem Blick erfasst werden kann, die Art und Weise, in der sich ganz unterschiedliche Weltbruchstücke wie in einer Laterna magica von unsichtbarer Hand gesteuert zu einem Ganzen ordnen, das löst der Text in ein Nacheinander auf. Er bringt das Bild „auf Linie“! Die von ihm beschriebene Wirklichkeit ist immer eine „Wirklichkeit im Werden: Die Frage ist, wie die Dinge sich ereignen. Das ist historisches Bewusstsein. Mit der Erfindung der Schrift beginnt Geschichte.“77
Dieser von Flusser hier beschriebene Prozess beginnt allerdings nicht erst mit der Umwandlung von Bildern in schriftliche Texte, sondern setzt bereits mit ihrer mündlichen Mitteilung ein. Für die Wiedergabe und Mitteilung des mentalen Bildes im Medium der Sprache ist der Modus des Nacheinander dominierend. Der „Augenblick“, mit und in dem ein Bild erfasst wird, erfährt eine Entfaltung in der Zeit. Exakt dieser Vorgang lässt sich im Prozess von Verschriftung und Fortschreibung der Visionen der Propheten beobachten. Wer die Visionen Sacharjas in ihrer reinen Bildhaftigkeit wahrnimmt, ohne die sie begleitenden Auditionen mit ihren Deutungen durch den angelus interpres, der steht vor diesen Bildern als einer stummen, zeitlosen Bildsequenz, die weniger einen Beitrag zur Orientierung und | Welterschließung ihrer Betrachter darstellt, sondern sich ihnen eher als „geheime Verschlusssache“ entzieht. Mit ihrer Überführung in Texte, ihrer Beschreibung, Erklärung und Deutung werden die „zeitlosen“ Bilder in die Geschichte implantiert. So ist z.B. in den Deutungen von den siebzig Jahren die Rede, die JHWH Jerusalem und Juda gezürnt habe (Sach 1,12), von den Hörnern, die Juda, Israel und Jerusalem zerstreuten, also der Erfahrung des Exils (Sach 2,1–4), vom Wiederaufbau der Stadt und des Tempels (2,5–9). Und schließlich erhält der gesamte Zyklus ein konkretes Datum, das die Visionen ihren Lesern aufschließt und mit einer besonderen Bedeutung versieht. So wird das zeitlose, reine Bild der Vision zur Orientierungshilfe für die Gegenwart des Lesers in der Zeit. Ja, auf diese Weise 76 77
Flusser, Nachgeschichte, 75. Ebd., 76.
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wird das zur Sprache gebrachte Bild zur appellativen Ansprache und Botschaft. „Am vierundzwanzigsten Tag des elften Monats, das ist der Monat Schebat, im zweiten Jahr des Dareios, erging das Wort JHWHs an Sacharja, den Sohn des Berechjahu, des Sohnes Iddos, den Propheten“ (Sach 1,7).
Dieses Datum, das im Rahmen der Verschriftung und Überlieferung den Nachtgesichten Sacharjas zugeordnet wurde, markierte für die ersten impliziten Leser die Endphase der von dem Magier Gaumata ausgelösten Aufstandsbewegung, die weite Teile des persischen Weltreiches in den Jahren 522–521 v. Chr. erfasst hatte.78
Abb. 8: Felsrelief von Bisotun (520–518 v. Chr.). Dareios I. setzt den Fuß zum Zeichen des Sieges auf den Magier Gaumata. Hinter ihm seine beiden Waffenträger Vindafarnah und Gaubarva, vor ihm die besiegten und gefesselten Lügenkönige, über ihm der Mann (Ahura Mazda ?) in der geflügelten Sonnenscheibe. |
In den Tagen, in denen der Perserkönig Dareios I. (522–486 v. Chr.) seine grandiosen Siege über die Völker und ihre „Lügenkönige“, die sich gegen die persische Vorherrschaft erhoben hatten, in den durch sein Siegesrelief berühmt gewordenen Felsen von Bisotun meißeln ließ, griff in Jerusalem der Prophet Sacharja zur Feder,79 um seine mentalen Bilder und Visionen vom Wiederaufbau und der Neuordnung Jerusalems nach annähernd siebzig Jahren von Exil und Depression niederzuschreiben. Dem Siegesbild 78
Vgl. Wiesehöfer, Aufstand. Die gegenwärtige Sacharjaforschung rechnet durchweg mit einem mehr oder weniger großen Grundbestand der Texte, die auf den Propheten selbst zurückgehen und späteren Fortschreibungen. Vgl. dazu Beuken, Haggai – Sacharja; Schöttler, Gott; Kratz, Judentum, 85–87. 79
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und den Siegesnachrichten, die gewiss auch in Jerusalem die Runde machten und alle Hoffnungen auf politische Autonomie und die Erneuerung der davidischen Dynastie durch den Davididen Serubbabel dämpften (vgl. Hag 2,20–23), stellte der an der westlichen Peripherie des gewaltigen Weltreiches tätige Prophet seine Sequenz von Hoffnungsbildern entgegen. Kontrafaktische Bilder, die sich durch die faktische Geschichte nicht fesseln ließen, sondern das noch Unsichtbare im Sichtbaren, das Unerhörte im Schlachtenlärm der Völker zu Gehör brachten, Bilder, die eine Vision darstellten und den Jerusalemern einen Weg wiesen, der nicht zur Flucht aus der Geschichte, sondern zu ihrer aktiven Gestaltung ermutigte. Insofern suchten die Bilder der prophetischen Visionen nicht allein den aufmerksamen, stillen Betrachter und wurden auch nicht nur in ein neues Trägermedium „Text“ umgegossen, sondern enthielten einen Anspruch, der auf mehr aus war als nur auf eine an orientierender Weltdeutung interessierten Bewusstseinserweiterung. Ihre kognitive Funktion enthielt einen pragmatischen Impuls. Die Visionen zielten ab auf eine Neuorientierung im „Handeln“. Im konkreten Falle Sacharjas stellten sie einen Weckruf zum äußeren und inneren Wiederaufbau Jerusalems dar, der Stadt und ihres Tempels.80
80
Vgl. dazu Lux, Der Zweite Tempel, 122–143.
Bilder in Texten Bild-anthropologische Aspekte der Nachtgesichte des Sacharja 1. Exegese und Bildwissenschaft In der historisch-kritischen Exegese des Alten Testaments ist das Postulat der Diskursfähigkeit gegenüber den Nachbardisziplinen, der Altorientalistik, der Ägyptologie, der Orientarchäologie, der Semitistik sowie anderer einschlägiger Philologien eine unbestrittene Selbstverständlichkeit. Damit trägt die Bibelwissenschaft der historischen Dimension der Texte Rechnung, die Gegenstand ihrer Untersuchung sind.1 Darüber hinaus setzt sich aber immer mehr die Einsicht durch, dass die Exegese biblischer Texte auch darauf achten muss, die Anschlussfähigkeit gegenüber der allgemeinen Text- und Literaturwissenschaft nicht zu verlieren. So unerlässlich es einerseits ist, den besonderen historischen Kontext der biblischen Texte und ihrer Genese zu beachten, soweit dieser sich überhaupt noch ermitteln lässt, so selbstverständlich ist es andererseits, dass die Texte den allgemeinen Regeln und Bedingungen literarischer Kommunikation und Textproduktion unterliegen und daher auch in diesem sehr viel weiteren literaturund kulturwissenschaftlichen Horizont zu bedenken sind.2 Der Jubilar, den ich mit diesen Überlegungen herzlich grüße, hat sich mit seinen Arbeiten zur Textpragmatik und Narratologie biblischer Texte wie kaum ein anderer darum bemüht, gegenwärtige text- und literaturwissenschaftliche Fragestellungen und Methoden für die historisch-kritische Bibelwissen-
1 Vgl. dazu Blum, Notwendigkeit, 33: „Ohne die historische Frage nach den konkreten Kommunikationssituationen der Einzeltexte (oder sagen wir etwas realistischer: nach den Rahmenbedingungen möglicher Rezeptionen der Texte in der Welt des Alten Testaments) fehlen für eine große Zahl alttestamentlicher Texte die Kriterien bereits für ihre Konstitution (Umfang, Anfang-Ende etc.), und für alle biblischen Texte fehlt das entscheidende, auf ihren Eigensinn ausgerichtete Regulativ. Biblische Exegese im wissenschaftlichen Kontext kann somit, will sie ihrem Gegenstand gerecht werden, nur historische Exegese sein.“ 2 Umfassende Berücksichtigung fand diese Forderung bei Utzschneider/Nitzsche, Arbeitsbuch.
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schaft fruchtbar zu machen und dieser im Haus der allgemeinen Kulturwissenschaften damit Gehör und Stimme zu verschaffen.3 | Neben Texten waren schon immer Bilder wesentliche Medien der Kommunikation. Auch die historisch-kritische Exegese hat sich dieser Einsicht nicht verschlossen, sondern – angeregt durch die immer zahlreicher werdenden Funde der Archäologie Palästinas und des Alten Orients – der Ikonographie Israels und seiner Nachbarn ein ständig wachsendes Gewicht für die Interpretation biblischer Texte zuerkannt.4 In den letzten Jahrzehnten war es vor allem Othmar Keel und seine Freiburger Schule, die in einer Fülle von Publikationen die in vielen Sammlungen und Museen vorhandenen Artefakte der materialen Bildkultur des syrisch-palästinischen Raumes gesichtet, gesammelt, analysiert und systematisiert haben.5 Auf diese Weise erwuchs der alttestamentlichen Forschung neben den biblischen und außerbiblischen Texten eine zusätzliche faszinierende Datenbasis für die Erforschung und Beschreibung der Religionsgeschichte Israels und seiner Bildkommunikation. Dabei wurden die materialen Bilder in einer früheren Phase der Forschung häufig dazu herangezogen, die biblischen Texte zu „illustrieren“ bzw. mit einer Aura des Visuellen zu versehen, um auf diese Weise zu ihrer Veranschaulichung sowie zu ihrer historischen und kulturgeschichtlichen Situierung beizutragen.6 Immer mehr wurde allerdings deutlich, dass es zunächst einmal „Das Recht der Bilder, gesehen zu werden“7 gibt, und zwar ein Eigenrecht, das diese als selbständige Kommunikationsmedien ernstnimmt und nicht vorschnell mit biblischen und außerbiblischen Texten korreliert. Bilder haben ihre eigene „Sprache“, „Syntax“ und „Semantik“, nach der sie „gelesen“ und erschlossen werden müssen. In dieser Hinsicht wurde in den vergangenen Jahrzehnten viel geleistet, wodurch uns die Religion Israels und des Frühjudentums nicht län-
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In diesem Zusammenhang möchte ich lediglich auf die beiden Bände hinweisen, in denen er seine zahlreichen Einzelarbeiten in dieser Hinsicht gesammelt und systematisiert hat: Hardmeier, Textwelten I/1 und I/2. 4 Lange Zeit waren in dieser Hinsicht die Bände von Gressmann, Bilder, und Pritchard, Pictures, die für den Alttestamentler zugängliche Grundausrüstung. Vgl. zur Forschungsgeschichte der altorientalisch-israelitischen Ikonographie Schroer/Keel, Ikonographie, 11–18. 5 Beispielhaft für die zahlreichen Studien sollen hier lediglich zwei Werke Keels genannt werden, die einen Anfangspunkt und den vorläufigen Höhepunkt seines Wirkens im Bereich der altorientalischen und israelitischen Ikonographie markieren: Keel, Bildsymbolik; Schroer/Keel, Ikonographie. 6 Vgl. dazu die lapidare Feststellung von Gressmann, Bilder, VII: „‚Bilder‘ sind eine notwendige Ergänzung zu ‚Texten‘“. 7 So der Titel einer Studie von O. Keel (Keel, Das Recht der Bilder), die sich den methodologischen Problemen der altorientalischen und biblischen Ikonographie widmet.
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ger allein als „Schriftreligion“ vor Augen gestellt worden ist, sondern auch als „Visible Religion“ mit ihren eigenen Medien und Kommunikationsgesetzen.8 Die Frage allerdings, wie es zu einer kontrollierten Korrelation zwischen Text und Bild kommt, ja, was eigentlich mit Bildern geschieht, wenn sie ihre Orte und Medien wechseln, wenn Bilder in Texte umgegossen werden und umgekehrt, bleibt eine Aufgabe ständiger Reflexion, die in der alttestament|lichen Wissenschaft bisher nur selten die notwendige Aufmerksamkeit gefunden hat.9 Für die hiermit angesprochene Problematik ist es unerlässlich, den breiten kulturwissenschaftlichen Diskurs über die Entwicklung einer interdisziplinären Bildwissenschaft zu berücksichtigen, der seit etwa zwei Jahrzehnten immer intensiver geführt wird, und sich u.a. um Skizzen und Entwürfe zu einer „Bild-Anthropologie“10 bemüht. Ein Strang dieser bildwissenschaftlichen Debatte widmet sich intensiv dem Verhältnis von Bild und Text.11 Die folgenden Überlegungen nehmen einige Aspekte dieses Diskurses auf, um sie in ihrer Bedeutung für das Verständnis alttestamentlicher Visionsberichte fruchtbar zu machen. Dabei geht es mir nicht um die Generierung und die vielfältigen Funktionen von Sprachbildern in Texten. Vielmehr widme ich mich einer Textgattung, für die die Mitteilung, etwas gesehen zu haben, konstitutiv ist.12 Es geht also nicht um die Visualisierung sprachlicher Sinngehalte, sondern um die Versprachlichung eines realen oder auch nur fiktiven visuellen Geschehens.
2. Visionen und ihre Trägermedien „Der Bericht von einer Vision ist nicht die Vision selbst. Es liegen eben ‚erzählte Visionen‘ vor [...]. Allerdings haben diese ‚Erzählungen‘ einen Eigenwert: Sie erfüllen als Texte eine ganz bestimmte kommunikative Leistung. Dem kann man mit einer Bestimmung von Textsorten samt der signifikanten, konstitutiven sprachlichen Eigenarten auf die Spur kommen. So kommt in den Blick, dass die Form der ‚erzählten Visionen‘ ganz bewusst von den Autoren eingesetzt wurde, die Texte also auch in dieser Hinsicht keinesfalls ‚unwahr‘ sind. Die Schilderungen haben als Texte gegenüber 8
Siehe hierzu die grundsätzlichen Überlegungen von Uehlinger, Religion, 165–184. Vgl. dazu Lux, Vision, 29–53. In dieser Skizze habe ich erste vorläufige Überlegungen zu dem hier angesprochenen Problemkreis behandelt. 10 Siehe dazu das richtungweisende Werk von Belting, Bild-Anthropologie. 11 Hier sind vor allem folgende Arbeiten und Sammelbände zu nennen: Muckenhaupt, Text; Harms, Text; Fix/Wellmann, Bild. Von theologischer Seite sei hierzu auch auf die jüngsten Überlegungen von Luz, Textauslegung, hingewiesen. 12 Siehe dazu die gattungsgeschichtliche Untersuchung von Behrens, Visionsschilderungen, 37ff. 9
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dem Erleben ein eigenes Gewicht.“13 Dieses Votum von Achim Behrens weist mit Nachdruck auf das Trägermedium Text hin, in dem uns die Visionsberichte der biblischen Propheten überliefert sind. Und da uns „das Erleben der Propheten (!) nicht unmittelbar zugänglich“ ist, „ebenso wenig wie ihre Persönlichkeit“,14 hat die Selbstbeschränkung von Behrens auf die Beschreibung und Analyse der Texte | alle Plausibilität für sich. Denn selbst wenn man mit der Möglichkeit rechnen muss, dass die Propheten das von ihnen Geschaute nicht allein in Texte, sondern auch in materiale Objekte15 oder Rituale und prophetische Zeichenhandlungen umsetzten,16 so liegen uns Letztere doch auch wiederum nur in der Gestalt von schriftlichen Berichten vor. Aus diesem Grunde ist der Text das dominierende Trägermedium von Visionen. Sie werden erinnert, erzählt und niedergeschrieben. Dieser Befund ändert allerdings nichts daran, dass wir es mit einer sprachlichen Kommunikation über etwas Gesehenes zu tun haben. Die Erzähler und Schreiber hatten Bilder vor Augen. Und ihre Aufgabe war es, diese Bilder in Texte zu übersetzen. Bevor also der Text zum Ort und Trägermedium von Bildern wurde, befanden sich diese an einem anderen Ort. Sie waren mentale Bilder im Körper derjenigen, die sie erinnert, erzählt und aufgeschrieben haben. Es ist vor allem Hans Belting, der in der gegenwärtigen Debatte um eine „Bild-Anthropologie“ auf die Bedeutung des „Ortes der Bilder“ aufmerksam gemacht hat. „Im anthropologischen Blick erscheint der Mensch nicht als Herr seiner Bilder, sondern – was etwas ganz anderes ist – als ‚Ort der Bilder‘, die seinen Körper besetzen: Er ist den selbst erzeugten Bildern ausgeliefert, auch wenn er sie immer wieder zu beherrschen versucht. [...] Die Bilder der Erinnerung und der Phantasie entstehen im eigenen Körper als einem lebenden Trägermedium.“17 Aus diesem Grunde ist es für unsere Fragestellung zunächst einmal unerheblich, ob es sich bei den einschlägigen Texten um Berichte von echten Visionen18 handelt, die auf ein authentisches Erleben der jeweiligen Propheten selbst zurückgehen, oder um Zuschreibungen von fiktiven Visionen, also 13
Behrens, Visionsschilderungen, 3. Behrens, Visionsschilderungen, 1. 15 In diesem Zusammenhang könnte man auf materiale Objekte verweisen, die den literarischen Berichten nach von den Propheten angefertigt wurden, um damit ihre Botschaft auch zu visualisieren. Man denke etwa an die eisernen Hörner des Hofpropheten Zedekia in 1 Kön 22,11 oder das Joch des Jeremia in Jer 27,2ff. 16 Siehe dazu Fohrer, Handlungen, und Lang, Prophet. 17 Belting, Bild-Anthropologie, 12f. 18 Diese Debatte müsste im Rahmen des bild-anthropologischen Diskurses noch einmal ganz neu aufgenommen werden. Orientiert man sich an Beltings, Bild, 7ff, Suche nach dem „echten Bild“, dann wird deutlich, dass auch die Frage nach der „echten Vision“ elementar nicht nur eine Glaubensfrage ist, sondern eine Frage des praktischen Umgangs mit Bildern und Visionen, eben der mentalen Bildpraxis. 14
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die gezielte Wahl einer literarischen Gattung im Prozess der Fortschreibung der Botschaft eines Propheten durch spätere Schülerkreise oder Redaktoren,19 die u.a. die Funktion der Legitimation der Propheten | erfüllen sollte.20 Wer immer und zu welchem Zweck auch immer die Visionen aufgeschrieben hat, er muss sie zuvor als mentale Bilder in sich selbst wahrgenommen und erinnert haben. Und damit stand er vor der Aufgabe, sie aus dem Trägermedium des eigenen Körpers in ein neues Trägermedium, in jenes von Sprache und Text zu übersetzen.
3. Der Autor und seine inneren Bilder Der hier skizzierte Problemkreis berührt die lebhafte Debatte, die seit einigen Jahren über mentale Bilder im Zuge einer Ablösung des linguistic turn durch den imagic turn geführt wird.21 So hat Ferdinand Fellmann auf der Suche nach einer angemessenen Beschreibung und Deutung von inneren Bildern die Auffassung vertreten, „daß äußeres und inneres Bild zur selben Klasse gehören und [...] letzteres mehr ist als eine bloße Veranschaulichung begrifflichen Wissens“. Vielmehr stellt das innere Bild eine selbständige, symbolische Form dar, „die im äußeren Bild ihre materiale Realisierung findet.“22 Das Problem der prophetischen Visionen als mentalen Bildern besteht allerdings darin, dass diese ihre materiale Realisierung in Texten gefunden haben. Zwar hat man immer wieder materiale Bilder herangezogen, um prophetische Visionsberichte zu entschlüsseln,23 aber diese Artefakte sind allenfalls ein Beleg dafür, dass die Autoren der Berichte die Bildprogramme ihres religiösen und kulturellen Symbolsystems kannten und zu aktivieren vermochten. In keinem der uns bekannten Fälle lässt sich belegen, dass sich das eine oder andere Artefakt unmittelbar einer prophetischen Vision verdankt und ihre
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So wird z.B. Sach 3 von der ganz überwiegenden Mehrzahl der Ausleger als eine spätere Hinzufügung zum Zyklus der Nachtgesichte betrachtet. Darüber hinaus rechnen u.a. Schöttler, Gott, 287ff; Uehlinger, Figurative Policy, 338f, und Kratz, Judentum, 68f.79ff, mit mehrstufigen Fortschreibungsprozessen der Nachtgesichte Sacharjas. 20 Dieses Problem muss bereits die ersten Rezipienten der Nachtgesichte des Sacharja bewegt haben. Daher erfuhren die eigentlichen Visionen eine Reihe von Zusätzen, die darauf verweisen, dass Jhwh selbst den Propheten gesandt habe (Sach 2,12f.15; 4,9; 6,15), um die in Visionen und Auditionen empfangene Botschaft zu künden. Vgl. dazu Lux, „... damit ihr erkennt ...“, 271ff. Zur Problematik siehe auch Vincent, Das Auge hört, 55ff. 21 Vgl. dazu die Beiträge in dem Sammelband Sachs-Hombach, Bilder. 22 Fellmann, Bilder, 23. 23 Siehe z.B. Keel, Jahwe-Visionen; ders., Zeichensysteme.
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materiale Realisierung darstellt.24 Die z.B. von Othmar Keel besprochenen Götterwagen25 oder Leuchterfragmente26 können zwar zur Veranschaulichung und Rekonstruktion des religiösen Symbolsystems herangezogen werden, mit dem | der Autor der Nachtgesichte des Sacharja lebte (vgl. Sach 4; 6,1–8), stellen aber nicht die „Übersetzung“ des mentalen Bildes des Propheten in ein materiales Bild dar. Vielmehr gilt umgekehrt, dass die vielfältigen ikonographischen Belege allenfalls Segmente enthalten, die in die mentale Bildwelt der Propheten Eingang fanden. Die Visionen der Propheten wurden eben nicht in materiale, sondern in verbale Bildtexte übersetzt. Daraus ergibt sich die Frage, ob und in welcher Weise Rückschlüsse von den verbalisierten Bildern auf die mentalen Bilder möglich sind. Was geschieht mit den mentalen, inneren Bildern, deren Bildträger ja der menschliche Körper ist, wenn diese in den neuen Bildträger Schrift übersetzt werden? Um sich einer Antwort auf diese Frage anzunähern, ist es notwendig, sich über das zu verständigen, was hier unter einem mentalen Bild verstanden wird. Ich schließe mich dabei der Annahme Ferdinand Fellmanns an, dass innere Bilder „Zeichen für Zustände“ sind, die dem gegenständlichen Denken vorausliegen.27 Sie sind „nichts als eine besondere Art und Weise, sich auf einen abwesenden Gegenstand“ oder Sachverhalt „zu beziehen“. Dabei entsteht ein „Gesamteindruck“, der auf Vorstellung und Vergegenwärtigung aus ist, „welche sich nicht restlos in begriffliches Wissen auflösen“ lassen. In ihnen „wird uns mehr sichtbar, als wir wissen und in Worten ausdrücken können. Hierin liegt die magische Wirkung des inneren Bildes, deren Macht die der Begriffe übersteigt.“ 28 Mentale Bilder sind daher unverfügbar und haben „weniger mit Erkennen und Wissen als vielmehr mit Gefühlen zu tun. [...] Ihre Unbestimmtheit und gegenständliche Armut werden ausgeglichen durch den emotionalen Reichtum, welcher darin besteht, daß Bilder die Bedeutung von Zuständen darstellen, in denen sich das Subjekt befindet. Das bestätigen Erinnerungsbilder sowie Phantasiebilder, welche mehr über das Subjekt aussagen als über den vorgestellten Gegenstand.“29 Man wird allerdings vorsichtig damit sein müssen, die inneren Bilder ganz und gar in der Selbstbezüglichkeit von Emotionen und Zu24 Theoretisch ist dies zwar nicht auszuschließen, ließe sich allerdings nur dann belegen, wenn es Artefakte gäbe, die durch eine ihnen beigegebene Legende den unmittelbaren Bezug zu einer prophetischen Vision erkennen ließen. Das bedeutet, dass auch das äußere Bild erst durch einen beigegebenen Text als Materialisierung eines inneren prophetischen Bildes identifizierbar würde. 25 Keel, Jahwe-Visionen, 180ff. 26 Ebd., 274ff. 27 Fellmann, Bilder, 24f. 28 Ebd. 29 Ebd., 26.
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ständen des Subjekts aufgehen zu lassen. Zustände und Emotionen gehen nicht allein aus sich selbst hervor, sondern bleiben auf die dem Subjekt vorgegebene Welt- und Lebenswirklichkeit bezogen. Sie werden durch diese provoziert und stellen bereits eine Art der Auseinandersetzung des Subjekts mit seiner Welt dar. Insofern stellen mentale Bilder nicht nur die Bedeutung von Zuständen dar, sondern enthalten wohl immer auch Momente kulturell geprägter Sinndeutungen von Welt sowie der in ihnen enthaltenen Figuren und Gegenstände. Im Folgenden soll an den Nachtgesichten des Sacharja gezeigt werden, ob und in welcher Weise sich die Deutung mentaler Bildwelten als „Zeichen von Zuständen“ sowie als Reflex auf vorgegebene Wirklichkeit auf prophetische | Visionsberichte anwenden lässt und welche sprachlichen Mittel ihre Verfasser gewählt haben, um die inneren Bilder aus sich heraus zu setzen und auf ein neues Trägermedium, Schrift und Text, zu übertragen.
4. Der Text als Appell an das „innere Auge“ Die Rede vom „inneren Auge“ bedient sich selbst der Bildsprache. Das äußere, physiologische Vermögen visueller Wahrnehmung von Welt wird auf ein inneres Vermögen übertragen. Eben auf diese Fähigkeit setzen die Verfasser von Visionsberichten, die in der Regel durch das Verb ėēī eröffnet werden (Sach 1,8; 2,1.5; 3,1; 4,2; 5,1.5; 6,1).30 Damit richten die Verfasser von Visionsberichten einen Appell an das visuelle Vorstellungsvermögen ihrer Leser. Verstärkt wird dieser Appell durch zusätzliche Hinweise auf die Augentätigkeit des fiktiven Erzählers: ĜģĜĥČĭē ē ĬēĘ/ĝĜģĜĥ ēģ ēĬ (2,1.5; 5,1.5; 6,1). Der Leser soll nicht nur den ihnen vorliegenden Text in Augenschein nehmen, sondern sich das im Text mitgeteilte Geschehen selbst vor seinem inneren Auge visualisieren. Fortgesetzt wird dieser Appell durch die Deixis ėģė(Ę) (Sach 1,8.11; 2,1.5.7.13.14; 3,8.9; 4,2; 5,1.7.9; 6,1), die als Präsentativ die folgenden Elemente des Bildes einführt. Darauf folgt schließlich in der Regel eine nominale Mitteilung, die Achim Behrens im Anschluss an Diethelm Michel31 als „Überraschungssatz“ deutet.32 In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass wir es bei den Nachtgesichten des Sacharja mit einem Visionszyklus zu tun haben. Die Kette der durch ėģėĘ + ėēī eingeführten Appelle an die visuelle Vorstellungskraft des Lesers macht deutlich, dass es dem Verfasser 30
Vgl. dazu Behrens, Visionsschilderungen, 37–43. Michel, Probleme, 215–222. 32 Behrens, Visionsschilderungen, 48–54. Vgl. auch Lanckau, Herr, 148f. 31
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darauf ankam, das visuelle Vermögen im Akt der Textwahrnehmung immer neu zu animieren und bis zum Ende der Lektüre zu aktivieren. Was dem Visionär nicht eigens gesagt werden musste, sondern sich einfach bei ihm einstellte, eine Abfolge von schwer zu entschlüsselnden Bildsequenzen, das galt es so in das neue Trägermedium Text umzusetzen, dass sich auch in der Wahrnehmung des Lesers eine Bildfolge einstellte, die der des Visionärs entsprach. Der Visionsbericht sollte den Vorgang der Imagination auslösen. Diesen kann man als „Rückübersetzung“ der verbalisierten mentalen Bilder des Autors in die mentalen Bildwelten seiner Leser beschreiben. Sie werden dazu angehalten, das Zeichensystem Text zu „durchschauen“, um hinter ihm ein überraschendes anderes Zeichensystem visuell wahrzunehmen, eben das einer mentalen Bilderfolge. „Dabei wird der Leser u.a. mittels des Aufmerksamkeitserregers | ėģėĘ in die Perspektive des Visionärs involviert“,33 ja mehr noch: Das verbale Moment der Überraschung simuliert den Zustand und die emotionale Befindlichkeit des Visionärs. Der Rezipient wird zwar nicht mit ihm identisch,34 aber die eingesetzten sprachlichen Mittel zielen intentional darauf ab, ihn in die visionären Bilder des Autors nicht nur kognitiv, sondern auch emotional mit hineinzunehmen. Dass das Visualisierungsvermögen der Leser auf mentale Bilder ausgerichtet werden soll, wird noch durch eine weitere Mitteilung des Autors gleich von Anfang an sichergestellt. Wenn uns der Verfasser im Stil des Ich-Berichtes mitteilt ėğĜğė ĜĭĜēī (Sach 1,8), dann wird bereits daran deutlich, dass es hier nicht um die optische Sinneswahrnehmung des leiblichen Auges geht, sondern um ein mentales Sehen. Denn die Nacht ist ja nicht 33
Behrens, Visionsschilderungen, 53. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Perspektiven von Visionär, Autor und Leser jemals voll zur Deckung kommen könnten. Es werden immer Differenzen in der Wahrnehmung bleiben, die bereits in der Differenz der Trägermedien begründet sind, über die der jeweilige Betrachter mit den mentalen Bildern in Berührung kam. Es macht eben einen Unterschied aus, ob ich innere Bilder meines eigenen Körpers wahrnehme oder Texte, die mir die inneren Bilder eines fremden Körpers zu erschließen suchen. Hier kann es immer nur Annäherungen, niemals Identitäten geben. Die sprachlich intendierte Involvierung in die Perspektive des Visionärs führt immer auch zu Perspektivverschiebungen. 34 Schon deswegen nicht, weil es wohl immer eine Differenz zwischen der Autorund der Leserperspektive geben wird. Die geographisch, sozial, religiös oder auch kulturell bedingten Wahrnehmungsdifferenzen generieren auch je eigene Bildwelten. Je nach der Situation und dem Ort, an dem sich das Subjekt in seiner Welt befindet, verschieben sich seine Perspektiven auf die Wirklichkeit. Und dies führt eben nicht nur zu unterschiedlichen Wahrnehmungsmodi, sondern auch zu differierenden Darstellungsmodi mit einem je eigenen Blick auf die Welt. Negativ formuliert könnte man sagen: Jeder verzerrt und verfälscht die Wirklichkeit auf seine Weise. Positiv formuliert: Jeder bereichert und präzisiert das allen gemeinsame Bild von der Welt durch seinen Blick auf diese.
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die Zeit der geöffneten, sondern der geschlossenen Augen. Das bedeutet allerdings nicht, dass dem Leser damit nahegelegt werden soll, es handle sich bei den Nachtgesichten des Sacharja um klassische Traumbilder, selbst wenn es zwischen den Visionsberichten und den Traumberichten eine Fülle von formalen Übereinstimmungen gibt.35 Bezeichnenderweise begegnen in den Nachtgesichten nicht die Lexeme ĠğĚ und ĠĘğĚ. Und in der Einleitung zur Leuchtervision in Sach 4,1, die im Zentrum des gesamten Zyklus steht, heißt es ausdrücklich, dass JHWH den Propheten geweckt habe wie einen Mann, der von seinem Schlaf geweckt worden ist (ČīĬē ĬĜēĞ ĜģīĜĥĜĘ ĘĭģĬġ ī ĘĥĜ). Offensichtlich legte der Verfasser Wert darauf mitzuteilen, dass es sich um ein inneres Sehen des Propheten im Wachzustand handelte.36 Auf diese Weise stimuliert er im Le|ser ein Wahrnehmungsmuster ganz eigener Art, das zwischen Traum und Wachzustand changiert. Einerseits wird durch die literarische Form und die Benennung der Nacht sowie die Rede vom Schlaf ein Traumerleben nahegelegt, andererseits wird mitten im Zyklus darauf verwiesen, dass die Vision im Wachzustand erging. Sollte der Visionsempfang als ein Vorgang rezipiert werden, in dem gerade nicht wie im Traum die Bilder des Unbewussten den menschlichen Körper als Trägermedium besetzten,37 sondern ein hellwaches prophetisches Bewusstsein aktiviert wurde? Falls diese Frage zu bejahen ist, dann hat sich der Verfasser der Nachtgesichte zur Darstellung des inneren Sehens zwar formal der Traumberichte als eines Analogon bedient, sie gleichsam in einen „Traum“ übersetzt, intentional aber eine bleibende Differenz zwischen Traum und Vision festgehalten.38 Während der Traum im Reich des Tiefschlafs und seiner unbewussten Mehrdeutigkeiten gefangen bleibt, zielen die Nachtgesichte auf die Herstellung bewusster Eindeutigkeit ab, eine benennbare prophetische Botschaft. Der Zustand des Propheten, seine wache Wahrnehmung, soll sich auf die der Leser übertragen.
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Vgl. dazu Behrens, Visionsschilderungen, 372ff, und Lanckau, Herr, 73f. Es liegt nahe, in der Vermeidung der Lexeme ĠğĚ und ĠĘğĚ einen Reflex der deuteronomistischen Kritik an allen Formen der induktiven und intuitiven Divination, insbe|sondere an der prophetischen Traum- und Orakelpraxis als Offenbarungsmedium zu sehen (vgl. Dtn 13; 18,9–12; Jer 23,16–22; 27,9). 37 Vgl. dazu die eindrückliche Beschreibung von Hi 4,12–16; 33,15f, die von Traumoffenbarungen im Zustand der ėġĖīĭ berichten, der durch die Ausschaltung des Bewusstseins gekennzeichnet ist (Gen 2,21; Ri 4,21). Dabei ist zu beachten, dass es sich in beiden Hiobtexten um Aussagen von Hiobs Freunden handelt, deren Reden ja am Ende des Buches durch Gott selbst eine Abfuhr erteilt wird. Werden damit auf der synchronen Leseebene nicht auch ihre Aussagen über die Offenbarungsträume abgewertet, sie gleichsam als „falsche Propheten“ entlarvt? 38 So auch Willi-Plein, Traum, NBL III, 919. 36
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5. Das Nachtgesicht als „Visiotyp“ War das visuelle Vorstellungsvermögen des Rezipienten erst einmal derartig „geweckt“, so konnte der Autor der Nachtgesichte zur Darstellung dessen übergehen, was man als das „Visionsmaterial“ bezeichnen könnte. 39 Dieses Visionsmaterial ist von besonderer Beschaffenheit, die ich mit dem Begriff des „Visiotyps“ charakterisieren möchte.40 Wir verdanken ihn Uwe Pörksen, für den durch Visiotype eine dem ersten Blick entzogene „Welt der Zweiten Anschauung“ wahrnehmbar wird. „Diese Zweite Anschauung gehört zum | alltäglichen Erfahrungshorizont und prägt den öffentlichen Blick.“41 Sie zielt also nicht nur auf ein individuelles Geschehen, sondern ist ein zuweilen recht individueller Ausdruck eines allgemeinen Erfahrungshorizontes, der durch die Zusammenstellung von unterschiedlichen Visiotypen repräsentiert wird. „Visiotype sind standardisierte, visuelle Zugriffe auf die Welt, die durch eine beigegebene Legende, eine Lesart in ihrer Bedeutung festgelegt werden. [...] Ihre Bedeutung wird auf dreifache Weise bestimmt: – durch den Ähnlichkeitsbezug zwischen Gestalt und Gehalt; diese Zeichen sind Mittel analoger Kommunikation; – durch ein eingeführtes Wahrnehmungsschema, den eingebürgerten, standardisierten, u. U. genormten Gebrauch, der durchgesetzt wird bzw. sich einspielt; – durch eine beigegebene sprachliche Erläuterung, eine Legende, welche die Bedeutung eindeutig festschreibt.“42 M.E. ist es sinnvoll, diesen Begriff des Visiotyps auch auf die mentalen Bildwelten der Visionen und ihre Verbalisierung in den Visionsberichten zu übertragen. Denn sie erfüllen alle drei Kriterien, die für Pörksen einen Visiotyp ausmachen, in unserem Falle allerdings im Medium der Sprache. Über das für Visionsberichte typische Wahrnehmungsschema, das die Texte einführt und ihre Rezeption normiert (Kriterium 2) wurde bereits im vorhergehenden Abschnitt das Notwendige gesagt. Der Ähnlichkeitsbezug zwischen Gestalt und Gehalt (Kriterium 1) scheint mir durchweg gegeben zu sein. 39 Ich schließe mich hier einer Begrifflichkeit an, die aus der tiefenpsychologischen Traumdeutung Sigmund Freuds stammt. Er unterscheidet zwischen Traummaterial und Traumgedanke. Ersteres besteht aus den Bild- und Wortelementen des Traumes, Letztere enthalten seine Thematik. Siehe zu dieser Unterscheidung auch Zgoll, Traum, 243f, und Lanckau, Herr, 24f. 40 Siehe dazu Pörksen, Weltmarkt. 41 Pörksen, Visiotype, 195. 42 Pörksen, Visiotype, 196.
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Betrachtet man zunächst die Bildteile der Nachtgesichte des Sacharja, so verweisen diese auf ein Repertoire innerweltlicher Gegenstände und Figuren: verschiedenfarbige Pferde und Reiter (1,8–11), Hörner und Schmiede (2,1.3), ein junger Mann mit der Messschnur (2,5f), ein goldener Leuchter zwischen zwei Ölbäumen (4,2f), eine Schriftrolle (5,2), ein Getreidemaß (5,6), verschiedenfarbige Pferde mit Wagen (6,1–3).43 Mit äußerst knappen „Pinselstrichen“ werden den Lesern diese mentalen Visiotype vor Augen gestellt. Es sind eher auf symbolische Figurationen und Konstellationen reduzierte Bildausschnitte, die gerade durch ihre Verkürzung einem Mehr an Bedeutung Raum geben. Darin mag einerseits der schon häufiger beobachtete Defizitcha|rakter mentaler Bilder44 deutlich werden, ihr mangelnder Informationsgehalt, Flüchtigkeit und schneller Wechsel.45 Aber sie haben andererseits einen Signalcharakter, der im Rezipienten eher Eindrücke hinterlässt und eingespielte Vorstellungsmuster abruft. Gegenüber materialen Bildern verfügen sie darüber hinaus über Vorzüge wie Spontaneität, Beweglichkeit und Lebendigkeit. Sie werden im Trägermedium des menschlichen Körpers regelrecht animiert. In flüchtigen, lebhaften Eindrücken verbinden sich die am inneren Auge vorüberziehenden Gestalten mit einem Gehalt, der zwar durch kulturelle Codes mitbestimmt ist, sich aber nicht in ihnen erschöpft. So stehen z.B. die Pferde und Reiter für ein Botensystem, das das gesamte persische Weltreich durchdrang,46 die Hörner für Aggressivität,47 der junge Mann mit der Messschnur für ein Bauvorhaben, der prächtige goldene Leuchter für eine außergewöhnliche Lichtquelle,48 die Schriftrolle für eine öffentliche Mitteilung, das Getreidemaß für einen Aufbewahrungsgegenstand und die Wagen mit den verschiedenfarbigen Pferden für ein Transportunternehmen. Alles dies lässt sich – isoliert betrachtet – auf den ersten Blick als immanente Inventarisierung der Welt des Visionärs lesen. Jedoch werden den oft verkürzt dargestellten Visiotypen Orte, Zustände, Gegenstände und Personen zugeordnet, die sie auf die „Welt der Zweiten Anschauung“ hin öffnen. So steht der 43
Sach 3 bleibt in dieser Aufzählung auf Grund seiner Besonderheiten unberücksichtigt. Zwar visualisiert auch dieses Nachtgesicht eine innerweltliche Figur, den Hohenpriester Joschua, unterscheidet sich aber gerade darin von den anderen Nachtgesichten, dass es sich hierbei um eine individuelle, historische Größe handelt, die als solche identifizierbar ist. Das gilt in vergleichbarer Weise für die Serubbabelworte in Sach 4,6–10a*, die darüber hinaus nicht Gegenstand des geschauten, sondern des gehörten Geschehens sind. 44 Schroer/Keel, Ikonographie, 20, sprechen auch im Blick auf materiale Bilder davon, dass es dem „stärker an die wahrnehmbare Realität gebundenen Bild schwer“ fällt, „über einen bestimmten Punkt hinaus zu differenzieren“, was die Sprache vermag. 45 Vgl. dazu Fellmann, Bilder, 25. 46 Mit Uehlinger, Figurative Policy, 339f. 47 Süring, Horn-Motif. 48 Vgl. dazu Keel, Jahwe-Visionen, 274–320.
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Reiter auf dem roten Pferd zwischen (zwei?)49 Myrten an der Meerestiefe (Sach 1,8), die ohne jeden Bildkontext benannten Hörner werden mit Schmieden konfrontiert (2,1.3), der junge Mann mit der Messschnur mit einem Engel (2,7f), der Leuchter steht zwischen zwei Ölbäumen (4,2f), die Schriftrolle fliegt (5,1), im Getreidemaß sitzt eine Frau (5,7) und die Wagen mit den Pferden kommen zwischen zwei Erzbergen hervor (6,1). Durch diese Zuordnungen entstehen eigenartige Konstellationen,50 die die immanente Alltagswelt der Dinge aufheben und transzendieren. Diese Konstellationen, die vor dem inneren Auge des Rezipienten aufgebaut werden, verweisen auf eine hintergründige Realität. Der vordergründige Gehalt der geschauten Dinge und Gestalten wird gleichsam verdoppelt und aufgebrochen für eine neue Sicht der Dinge, die nicht in der Immanenz des Betrachters aufgeht. Gerade | das, was nicht gezeigt wird, was allenfalls angedeutet ist, das Ausgesparte, 51 schafft einen offenen Raum für die Imaginationen der Rezipienten. Die Visiotype werden auf diese Weise zum Platzhalter einer Realität hinter der Realität, deren Wahrnehmung allerdings nicht beliebig, sondern kulturell geprägt ist. Auf diese Weise entdeckt z.B. der mit dem religiösen Symbolsystem seiner Zeit vertraute Betrachter in den rahmenden Nachtgesichten (1,8–17; 6,1–8) und der zentralen Leuchtervision (Sach 4) Himmelstorszenen, die – mehrfach ikonographisch belegt – vergleichbare Bildkonstellationen aufweisen.52 So empfängt der Reiter auf dem roten Pferd zwischen den Myrten als „himmlischer Wesir“ am äußersten Horizont- oder Himmelstor an der Meerestiefe die (am Abend?)53 von ihrem Inspektionsritt zurückkehrenden himmlischen Reiter (1,10f). Am nächsten Morgen fahren die Himmelswagen aus dem Himmelstor hervor, das durch die beiden Horizontberge aus Erz markiert wird (6,1–8). Im Zentrum schließlich steht in der nächtlichen Vision der jede irdische Realität übertreffende goldene, sieben mal siebenflammige Leuchter, der ein astral konnotiertes Gottessymbol darstellt (Sach 4).54 49
Protosacharja verwendet die Präposition ĢĜĔ in den Nachtgesichten immer in Bildkonstellationen, in denen sich eine zentrale Figur zwischen zwei gleichartigen oder aufeinander bezogenen Größen befindet. Vgl. neben 1,8.10.11 auch 5,9; 6,1.13. 50 Siehe dazu das knappe und treffende Votum von Schroer/Keel, Ikonographie, 20: „Alles Konstellative ist Domäne des Bildes.“ 51 So erfährt der Leser z.B. nicht, ob es sich bei den vier Hörnern in Sach 2,1–4 um Hörner von Tieren handelt, von Mischwesen, um die vier Hörner eines Altars oder auch um künstlich hergestellte Hörner an einem Hörnerhelm. Alle diese Möglichkeiten wurden in der Auslegung des Textes erwogen. 52 Vgl. dazu Lux, Himmelsleuchter, 156–158. 53 So die durchaus einleuchtende These von Gese, Anfang, 217ff. Allerdings ist nicht mit Sicherheit festzulegen, ob die vom Autor angegebene Zeit des Visionsempfangs (Sach 1,8) auch die in der Vision geschaute Zeit ist. 54 Siehe dazu auch die Debatte zwischen Keel, Grundsätzliches, 40–56, und Weippert, Siegel, 43–58. Es gelingt nicht in jedem Falle, die in den Nachtgesichten zur Darstel-
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Es zeigt sich, dass die mentalen Bilder des Verfassers der Nachtgesichte flüchtige Eindrücke und Konstellationen, wechselnde Zustände und Stimmungen evozieren, die den Betrachter der mentalen Visiotype zum Grenzgänger zwischen Erde und Himmel, Immanenz und Transzendenz, der Welt der Ersten und der Zweiten Anschauung werden lassen. Damit aber ist der Kriterienkatalog, den Uwe Pörksen für Visiotype zusammengestellt hat, noch unvollständig. Ihr Ähnlichkeitsbezug zwischen | Gestalt und Gehalt und ihre standardisierte Einführung der Wahrnehmung hinterlassen Eindrücke, wecken Emotionen und vermitteln eine bestimmte Atmosphäre, in unserem Falle die der in der Profanität aufscheinenden Sakralität. Sie bleiben aber noch unbestimmt und mehrdeutig, solange zum geschauten Bild nicht das gesprochene und geschriebene Wort hinzutritt, die beigegebene Legende (Kriterium 3).
6. „Visiotype“ in Wort und Schrift Die Wahrnehmung von Visiotypen durch eine innere Optik wird in den Nachtgesichten von einer inneren Akustik begleitet. Laut Selbstbericht hat der Visionär nicht allein etwas gesehen, sondern auch gehört. Zur Vision gehört wesenhaft die Audition. Das Gesehene verbindet sich mit dem Trägermedium Sprache. Die sprachliche Realisierung von Visionen vollzieht sich in drei voneinander zu unterscheidenden Phasen, der Darstellung oder Beschreibung des Gesehenen, seiner Deutung und – soweit es sich um aus der Vergangenheit überlieferte Visionsberichte handelt – seiner Verschriftung. Bereits die sprachliche Darstellung des Gesehenen verändert den Wahrnehmungsmodus. In ihr kommt zunächst nur das Visionsmaterial zur Sprache. Dieses transportiert zwar auch Stimmungen, Emotionen55 und In-
lung kommenden Bildkonstellationen in der Welt der Artefakte Palästinas und des Alten Orients zu verankern. Oft ist es nur noch möglich, einzelne Segmente ikonographisch zu entschlüsseln. Das liegt einerseits natürlich daran, dass das durch die Ausgräber ans Tageslicht gebrachte ikonographische Material nur einen mehr oder weniger zufälligen Ausschnitt aus den materialen Bildwelten der jeweiligen antiken Kulturen darstellt. Andererseits aber dürfte dies auch an der Differenz zwischen materialen und mentalen Bildern liegen. Erstere sind stärker an bestimmte Muster, Bildtraditionen und Vorgaben gebunden als Letztere. Über materiale Bilder kann der Mensch verfügen. Sie sind „festgeschrieben“. Mentale Bilder hingegen stellen sich ein und entziehen sich, sind flexibel, in ständiger Veränderung begriffen und dazu in der Lage, überraschende und durch die Tradition nicht gedeckte Kombinationen und Konstellationen an unserem inneren Auge vorüberziehen zu lassen.
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formationen,56 die allerdings noch weithin ungedeutet bleiben. Mehrfach wird der Visionär durch die Frage in ėēī ėĭē ėġ regelrecht dazu aufgefordert, das Geschaute mit Worten zu beschreiben (Sach 4,2; 5,2.5). Die Fähigkeit des äußeren sowie des inneren Auges, Gestalten, Gegenstände, Zustände und komplexe Konstellationen mit einem „Augenblick“ zu erfassen, ist der äußeren und inneren Stimme nicht gegeben. In ihr verwandelt sich die Simultaneität des Geschauten in ein Nacheinander des Gehörten. Während materiale und mentale Bilder bei der Betrachtung vor allem die Dimension des Raumes ansichtig machen, tritt in ihrer sprachlichen Wiedergabe die Dimension der Zeit hinzu.57 Das materiale Bild stellt den Strom der Zeit still, ist ihm entnommen. | Das mentale Bild verflüssigt sich im Augenblick seiner sprachlichen Wiedergabe zu einer Zeitfolge.58 Die im Bild erfassten Zustände werden in ein Geschehen überführt.59 Das Geschaute wird zur „Geschichte“. Dieser Vorgang wird in den Nachtgesichten syntaktisch dadurch realisiert, dass auf das den Bildteil einleitende Präsentativ ėģėĘ jeweils Nominalsätze folgen, die dann in durch Narrative eingeleiteten Verbalsätzen ihre Fortführung finden. Auf die verbale Wiedergabe der Visionsbilder der Nachtgesichte folgt ihre Deutung in durch verba dicendi eingeleiteten direkten Reden. Diese werden vom Visionär durchweg durch eine Frage (ĭēę/ėğē ėġ) an eine von ihm unterschiedene Deutungsinstanz eröffnet (1,9; 2.2.4; 4,4.11; 5,6; 6,4), die seine eigene prophetische Deutungskompetenz übersteigt, den ĝēğġė
55 So können z.B. die Hörner (Sach 2,2–4) Aggressivität, Gefahr und Angst signalisieren, der junge Mann mit der Messschnur Aufbruch, Tatkraft, Neubeginn (Sach 2,5–9), der Leuchter (Sach 4) Licht und Wärme. 56 Auf der mit dem Visionsmaterial gegebenen Informationsebene dominieren zunächst emotionale Aneignungsprozesse. Auch Emotionen stellen ja eine eigenständige Art der Informationsverarbeitung dar. Erst auf der nächst höheren Ebene der verbalisierten Visionsthematik kommt es im Vollzug der Deutung des Geschauten zu einer verstärkt kognitiven Aneignung und Durchdringung des Visionsmaterials, durch die sich eine höhere Informationsdichte einstellt. Diese ist charakterisiert durch sprachliche Differenzierung, Präzisierung und Definition des visuell Wahrgenommenen. 57 Auch von Luz, Textauslegung, 108, werden Raum und Simultaneität zur Grunddimension von Bildlichkeit erklärt. 58 Welche Mühe z.B. die altägyptische Ikonographie hatte, Bewegung und Zeitfolgen bildlich zu realisieren hat Brunner-Traut, Frühformen, 32ff, eindrücklich aufgezeigt. 59 Das erklärt die Unsicherheit in der Beurteilung des Charakters der Nachtgesichte als „Standbilder“ oder „bewegte Bilder“ in der Kommentarliteratur. Was ihre Visualität angeht, so handelt es sich um „Standbilder“, stillgestellte oder gar eingefrorene Bewegung, andererseits wird allein durch die Bilderfolge sowie durch ihre sprachliche Durchdringung ein Geschehensablauf evoziert.
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(1,9.13.14; 2,2.7; 4,1.4.5; 5,5.10; 6,4).60 In diesen Deutungen des Deuteengels wird der Visionsgedanke zur Sprache gebracht62 bzw. ihre Thematik entfaltet. Die Mitteilung, dass der Visionär offensichtlich nicht dazu in der Lage ist, sich und seinen Rezipienten die Bilder selbst zu deuten, stellt zwischen den mentalen Bildern und der inneren Stimme, von denen diese begleitet werden, eine Wahrnehmungsanalogie her. Beide, die Bilder und die Worte, sind seiner Verfügung entzogen. Der Leser soll wissen, dass sie nicht aus ihm selbst kommen, sondern ihn besetzt haben,63 sein Körper lediglich zu ihrem Trägermedium wurde. Damit wird das der Welt der Ersten Anschauung entnommene Visionsmaterial in Gestalt von Bildern und Worten wiederum zur Welt der Zweiten Anschauung hin geöffnet. Den ungewöhnlichen, nicht alltäglichen Bildkonstellationen, die die unsichtbare Hintergründigkeit der vordergründigen Realität visualisieren, werden ebenso ungewöhnliche Konstellationen der Kommunikation an die Seite gestellt, die eine in der Welt der Ersten Anschauung unhörbare Botschaft hörbar und lesbar werden lassen. | Dabei wird der Deuteengel auch nur als eine Mittlerinstanz oder als Mediator vorgestellt. Er nimmt Botschaften entgegen und gibt diese an JHWH weiter (1,12), oder er vermittelt Botschaften JHWHs an den Visionär (1,13–17). An dieser Kommunikationsstruktur, die das erste Nachtgesicht beherrscht, wird deutlich, auf welche Weise sich der Visionsgedanke erst im Zuge eines mehrstufigen Kommunikationsgeschehens Zug um Zug herausschält. Die himmlischen Reiter, die von ihrem durch JHWH angeordneten Inspektionsritt über die Erde zurückkehren (1,10), erstatten dem Deuteengel am „Himmelstor“ Rapport (1,11a).64 Ihre Botschaft lautet: „Siehe, die ganze Erde ruht und ist still“ (1,11b). Diese Botschaft trägt der Deuteengel in 1,12 JHWH vor, dies aber nicht wörtlich, sondern bereits in einer Deutung. Die irdische Ruhe wird als Ausdruck des zurückgehaltenen Erbarmens JHWHs und seines siebzigjährigen Zornes über Juda und Jerusalem interpretiert. Auf diese Weise wird die Welt der ersten Anschauung, Judas und Jerusalems jüngste Geschichte nach ihrem Fall im Jahr 587 ĜĔ īĔĖė
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Vgl. zur literarischen Struktur der Deutungen Lux, Himmelsleuchter, 144ff. Siehe Lux, Deuteengel, 293–301. 62 Siehe Anm. 39. 63 Religionspsychologisch wurde in der älteren Prophetenforschung dieser Zustand häufig pathologisiert und mit Phänomenen von Halluzination, Besessenheit oder Raserei in Verbindung gebracht. Vgl. dazu über die biblischen Befunde hinaus Schnettler, Zukunftsvisionen, 83–88. 64 Dass der in 1,11a angesprochene ėĘėĜ ĝēğġ kein anderer ist als der ĜĔ īĔĖė ĝēğġė, wird an ihrem gemeinsamen Standort ĠĜĤĖėė ĢĜĔ in 1,8.10.11 deutlich. Vgl. dazu Lux, Wer spricht mit wem?, 283ff. 61
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v. Chr. und während des Exils, nun auch in die Welt der Zweiten Anschauung hineingetragen. Der unsichtbare, transzendente JHWH wird auf dem Klageweg (1,12 ĜĭġČĖĥ)65 auf die sichtbare, immanente geschichtliche Wirklichkeit hingewiesen. Dies, dass die Welt vor Gott gebracht wird, hat zur Folge, dass Gottes Wort nun auch zur Welt kommt. JHWH teilt dem Deuteengel „gute und tröstliche Worte“ mit (1,13), die von diesem dann wiederum expressis verbis dem Visionär zur Weitergabe an seine Hörer/ Leser mitgeteilt werden (1,14–17). So, wie die mentalen Bilder des Visionärs durch den verbalen Appell (vgl. 4.) an das innere Auge des Lesers auf diesen übertragen werden, so auch seine innere Stimme als das Wort JHWHs, auf das die Visionen immer wieder hinaus laufen (1,14b–17; 2,4. 8b–17; 5,4. 6,8b66). Die direkten Reden in den mehrstufigen Deutungen simulieren für den Leser einen inneren Dialog zwischen dem Visionär und dem Deuteengel sowie zwischen diesem und JHWH, um diese zu indirekten Mithörern und Zeugen zu machen. Zum Moment der Simultaneität bei der visuellen Wahrnehmung des Bildmaterials durch den Betrachter tritt das der Gleichzeitigkeit in der Wahrnehmung des Lesers und Hörers hinzu.67 Die inneren Bilder sind vorbeigezogen. Sie werden nur durch einen Appell an das innere Auge des Betrachters wieder heraufbeschworen. Das innere Wort hingegen ist geblieben, | ja mehr noch, es wird überhaupt erst durch seine Veräußerung zum hörbaren Wort und als solches erneut zur Quelle mentaler Bilder. Was der Leser mit seinem leiblichen Auge nicht sehen kann, das kann er hören. Erst das Ohr macht ihn sehend.68 Mit der Verschriftung schließlich werden die Visionsberichte noch einmal einem neuen Trägermedium anvertraut und in ein gänzlich abstraktes Zeichensystem überführt. Die Wahrnehmung mentaler Bilder im Nacheinander der Worte wird durch die Schrift jetzt förmlich „abgebildet“. Der Schriftsteller stellt und schreibt die mentalen Bilder und Worte fest. Aber er tut dies nicht, damit es bei dieser „Feststellung“ bleibt. Vielmehr möchte er seine Leser damit animieren, dem Weg der aufgereihten Zeichen und Worte „nachzugehen“. So wie das Auge Zeile für Zeile einer Linie abtastet, so wird der Leser dazu instand gesetzt, die Geschichte der inneren Bilder und Worte zu wiederholen. Rolf Günter Renner hat in diesem Zusammen65 Vgl. zur Eröffnung der Klage durch die Frage „Wie lange noch?“ Ps 6,4; 74,10; 80,5; 90,13; 94,3; Jes 6,11; Jer 12,4; Hab 1,2. 66 Wahrscheinlich wird JHWH bereits von V. 7aƞ an als Sprecher vorzustellen sein (vgl. 1,10f). Damit erübrigt sich eine Änderung von ĜĚĘī in ĘĚĘī oder ėĘėĜ ĚĘī in V. 8b. 67 Vgl. zur Unterscheidung von Simultaneität in Bildern und Gleichzeitigkeit zwischen dem Bild und seinen Betrachtern Luz, Textauslegung, 113ff. 68 Eine Umformulierung des schönen Titels „Das Auge hört“ von J. M. Vincent in „Das Ohr sieht“ entspräche wahrscheinlich eher der Hermeneutik der Visionsberichte.
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hang einmal von der Dialektik von „Schrift und Bild als Orte(n) des Überlebens und des Abtötens von Leben“ gesprochen.69 Schrift ermöglicht eben nicht nur das Festhalten von Vergangenem, sondern auch Repetition. Repetition aber richtet sich an einem Vorgegebenen aus, einem Text, der „vorgeschrieben“ ist. Indem der Leser den vorgeschriebenen Text mit seinen mentalen Worten und Bildern wiederholt, bindet er sich an ihn, erkennt er ihm einen ersten Grad der Normativität zu, der zu Einstimmung und Widerspruch herausfordert. Im Text entfaltet die Vision ihre Wirksamkeit, auch, wenn sie sich nicht in ihm erfüllt, sondern über den Text hinausweist auf die Lebenswelt der Leser. Sie öffnet ihnen diese Welt des Wirklichen durch Hinweise auf das Mögliche, zuweilen sogar auf das ganz und gar unmöglich Erscheinende, das der Prophet aus der Welt der Zweiten Anschauung hinüberträgt in die Welt seiner Hörer und Leser.
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Renner, Ränder, 434.
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Juda – Erbteil JHWHs Zur Theologie des Heiligen Landes in Sach 2,14–16 Die Bezeichnung der syropalästinischen Landbrücke als „Heiliges Land“ signalisiert die außergewöhnliche Bedeutung, die dieses Gebiet für die drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam hat. In den mitunter blutigen Konflikten, die seit Jahrtausenden um dieses Land ausgetragen werden, fanden nicht nur geostrategische Interessen und tatsächliche oder vermeintliche Rechtsansprüche ihren Ausdruck. Vielmehr kam immer wieder die Frage der religiösen Identität mit ins Spiel. Da aber religiöse Identitäten in der Regel nicht an Ermessensfragen, sondern an Bekenntnisfragen gebunden sind, erleichtert die religiöse Grundierung des Konfliktes um das Land zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer nicht unbedingt dessen Lösung.1 Geht man der Frage nach, wann eigentlich die Bezeichnung dieses Landstriches als „Heiliges Land“ aufkam, dann stößt man bald auf Sach 2,16, einen Vers, der immer wieder als ältester und einziger Beleg in der Hebräischen Bibel genannt wird.2 Daher lohnt es sich, diesem Text in seinem Kontext einmal näher nachzugehen und nach dem semantischen Gehalt zu fragen, den die Bezeichnung „Heiliges Land“ in ihren Anfängen hatte.
1. Ein Aufruf zur Freude (2,14) Sach 2,16 steht in einer Reihe von drei prophetischen Sprucheinheiten (2,10–13.14–16.17), die sich an das dritte Nachtgesicht vom jungen Mann mit der Messschnur in 2,5–9 anschließen. Die Spruchreihe hebt sich bereits im Blick auf ihre Adressaten deutlich von dem vorhergehenden Nachtge1
Vgl. dazu die Beiträge in dem von G. Meggle herausgegebenen Band „Deutschland, Israel, Palästina“, der aus einer Leipziger Ringvorlesung hervorgegangen ist. 2 Sellin, Zwölfprophetenbuch, 493: „Es ist dies die älteste Stelle, an der Palästina als das heilige Land bezeichnet wird […]“. Vgl. auch Rudolph, Sacharja, 91; Nötscher, Zwölfprophetenbuch, 149; Biā, Sacharja, 41; Deissler, Sacharja, 277, u.a. Neben Sach 2,16 findet die Bezeichnung h` a`gi,a gh/ lediglich noch in 2 Makk 1,7 Verwendung.
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sicht ab. Während sich dort die Botschaft des angelus interpres an den jungen Mann richtet, der die Absicht hatte, Jerusalem in seiner Länge und Breite auszumessen (V. 8), richten sich die anschließenden Sprucheinheiten an kollektive Größen. Nachdem die Angehörigen der Gola zur Flucht aus Babel aufgefordert wurden (V. 10–13), ergeht in einem zweiten Prophetenspruch (V. 14–16) ein Aufruf zur Freude an die „Tochter Zion“. Juble und freue dich, Tochter Zion! Denn siehe, ich komme cund will in deiner Mitte wohnen. d– Spruch JHWHs – 14a b
In der „Aufforderung zur Flucht“3 aus dem Land des Nordens, die unserem Prophetenspruch vorausgeht (V. 10–13), wurde in V. 11a ĢĘĜĩ („Zion“)4 als „Zielort“ der Flucht benannt. Der doppelte Imperativ „Juble und freue dich!“ (V. 14a) markiert daraufhin einen deutlichen Neueinsatz. Mit diesem „Aufruf zur Freude“ (V. 14), der sich jetzt an die „Tochter Zion“ richtet, wird thematisch an den vorhergehenden Prophetenspruch angeknüpft. Die Flucht von Angehörigen der Gola aus dem Land des Nordens nach Zion wird verknüpft mit dem Jubel der „Tochter Zion“ über das Kommen JHWHs und seine Einwohnung in ihrer Mitte. Beide Prophetensprüche weisen darüber hinaus eine Reihe von formalen Gemeinsamkeiten auf. Sie sind zweigliedrig, bestehend aus einem Aufruf (V. 10–11/V. 14a) und einer durch Ĝģģė ĜĞ eingeleiteten Begründung (V. 13/V. 14b).5 Beide Aufrufe enthalten einen doppelten Imperativ (V. 10a/ 11a ĘĤģ/Ĝěğġė – V. 14a ĜĚġĬĘ Ęģī). Beide sprechen metaphorisch von einer geographischen Größe als weiblicher Gestalt (V. 11 ğĔĔČĭĔ – V. 14 ČĭĔ ĢĘĜĩ). Und schließlich knüpfen beide Prophetensprüche gezielt an zwei Schlüsselworte des vorausgehenden Nachtgesichtes (2,5–9) an (ĖĘĔĞ V. 9 Ƥ V. 12 / ĝĘĭĔ V. 9 Ƥ V. 14.15). Offensichtlich verstehen sie sich als Auslegungen der Zusagen JHWHs in 2,9. Nach Frank Crüsemann stellte der „Aufruf zur Freude“ eine ursprünglich eigenständige literarische Form dar, die sich vom Hymnus unterscheidet.6 Sie begegnet neben unserem Text in Jes 12,6; 54,1; 66,10; Joel 2,21ff; Zef 3,14f; Sach 9,9f; Thr 4,21. 7 Drei Formelemente sind für den „Aufruf 3
Vgl. dazu die gattungsgeschichtliche Analyse von Sach 2,10–13 durch Bach, Aufforderung, 15–50. 4 „Zion“ ist hier mit LXX (eivj Siwn „nach Zion“) nicht als Vokativ zu deuten (so S, V und T), sondern als accusativus directionis (vgl. Jes 35,10; 51,11; mit Beuken, Sacharja 318; Rudolph, Sacharja, 87; Meyers/Meyers, Zechariah, 164; Willi-Plein, Sacharja, 78). 5 Diese Zweigliedrigkeit liegt auch in dem dritten Prophetenwort in 2,17 vor, das die epexegetischen Zusätze zu 2,5–9 abschließt. Vgl. dazu Lux, Still alles Fleisch, 186f. 6 Crüsemann, Studien, 55–65. 7 Die Negation des Aufrufs findet sich in Jes 14,29; Hos 9,1; Mi 7,8.
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zur Freude“ charakteristisch: 1. Er wird durch ein oder mehrere Verben im Imp. Sg. f. eröffnet, die zur Freude aufrufen. 2. Häufig (nicht ausschließlich) richtet sich der Aufruf an eine weibliche Gestalt, die eine Personifizierung einer Stadt oder eines Landes darstellt. 3. Dem Aufruf folgt eine durch ĜĞ eingeleitete Begründung, die ein bevorstehendes Handeln JHWHs ansagt. V. 14 erfüllt alle drei dieser formalen Kriterien. Dem doppelten Imp. Sg. f. (ĜĚġĬĘ Ĝģī) folgt als Adressatin des Aufrufes die ĢĘĜĩČĭĔ (V. 14a). Schließlich wird ein durch ĜĞ-causalis eingeleitetes doppeltes Handeln JHWHs in Aussicht gestellt. Er verspricht sein „Kommen“ (V. 14b) und „Wohnen“ (V. 14c) inmitten von Jerusalem. Obwohl die beiden Prophetenworte 2,10–13.14 gattungsgeschichtlich zunächst einmal als eigenständige Einheiten zu betrachten sind,8 gibt es zwischen beiden einen deutlichen Sachzusammenhang. Im Hintergrund beider Prophetenworte steht ein militärisches Geschehen als „Sitz im Leben“. Für Sach 2,10–13 steht dies außer Frage.9 Die „Aufforderung zur Flucht“ an die Exulanten ergeht angesichts des bevorstehenden Gerichtshandelns JHWHs gegen die israelfeindlichen Völker.10 Dieser militärische Kontext wird im „Aufruf zur Freude“ (2,14) erneut eingespielt. Wahrscheinlich hatte er seinen ursprünglichen „Sitz im Leben“ in einer Siegesfeier nach einer erfolgreich geschlagenen Schlacht.11 Aufgerufen zum Jubel wurden vor allem Frauen anlässlich der öffentlichen Proklamation des Sieges (vgl. Ex 15,20f; 8
Vgl. dazu Bach, Aufforderung, und Crüsemann, Studien. Siehe dazu Bach, Aufforderung, 38ff. 10 Der Prophetenspruch nimmt damit die Thematik des zweiten Nachtgesichtes (Sach 2,1–4) wieder auf. Er fordert die Exulanten auf, sich aus dem drohenden militärischen Konflikt im Land des Nordens zurückzuziehen und nach Zion zu retten, um nicht selbst in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Wahrscheinlich stehen dabei die babylonischen Aufstände gegen die Perser im Hintergrund, die Darius I. in den Jahren 522–521 v. Chr. blutig niederwerfen ließ. 11 Mit Mansfeld, Ruf, 32ff, und Irsigler, Zefanja, 408ff. Die These von Crüsemann, Studien, 63ff, dass der ursprünglich Ort des „Aufrufs zur Freude“ im Fruchtbarkeitskult zu suchen sei, hat sich nicht bewährt. Ebenso wenig überzeugt die These von Graf Reventlow, Sacharja, 49f, der den „Aufruf zur Freude“ nicht in einer Siegesfeier beheimatet sieht, sondern in einem aus der Zionstradition hervorgegangenen Heroldsruf, der – den Königspsalmen vergleichbar – den Einzug, das Wohnen und die Anwesenheit des Gottkönigs in seinem Tempel ansagt. Beide Aspekte (JHWHs Wohnen im Tempel und der JHWH-Krieg) schließen sich keineswegs gegenseitig aus. So haben die von H. Graf Reventlow genannten Texte (Ps 74,2; Joel 4,21), die vom Wohnen JHWHs auf dem Zion sprechen, eine kaum zu übersehende militärische Komponente. Schließlich wird auch in den JHWH-Königs-Psalmen Gott als streitbarer Chaoskämpfer dargestellt (Ps 29; 93,3ff), der durch sein tatkräftiges Einschreiten die israelfeindlichen Völker in Angst und Schrecken versetzt. Daher lässt sich 2,14ff problemlos als thematische Anknüpfung an 2,10–13 verstehen. 9
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Ri 11,34; 1 Sam 18,6f; 2 Sam 1,20f).12 Ein Echo dieses Brauchtums klingt in den femininen Imperativen nach, die sich an die „Tochter Zion“ in V. 14a richten. Dem Aufruf folgt schließlich eine begründete Heilszusage an die Einwohner der Zionsstadt (V. 14b.c). Dass mit der Metapher ĢĘĜĩČĭĔ13 Jerusalem gemeint ist, geht nicht nur aus der analogen Bezeichnung ĠğĬĘīĜČĭĔ hervor,14 die mehrfach in einem Parallelismus mit der „Tochter Zion“ steht, sondern auch aus Sach 1,17. Diese Stadt hatte annähernd siebzig Jahre (vgl. 1,12) viel Grund zur Klage, die sich jetzt aber in Freude verwandeln soll (vgl. Jes 12,6; Zef 3,14; Sach 9,9). Die Personifikation der Stadt als Frau und Tochter ruft gerade in militärischen Kontexten eine Fülle von Assoziationen wach. „Frauen wie Städte können eine Mutterrolle einnehmen und so Schutz und Fürsorge symbolisieren. Frauen wie Städte können begehrt, besetzt und erobert werden.“15 In unserem Falle gewinnt die Metapher von der „Tochter Zion“ eine ganz besondere Bedeutung. Die Ansage des Kommens JHWHs in V. 14b (ēĔČĜģģė) setzt voraus, dass er sich noch nicht wieder in Zion befindet.16 Seine Abwesenheit wird im Korpus der Nachtgesichte durchweg negativ als Ausdruck seines Zorns und Gerichtshandelns bewertet (vgl. 1,12; 2,10) und als ausgesprochener Mangel empfunden, der dazu geführt hat, dass die Stadt nach wie vor wüst und schutzlos dahinvegetiert (2,5–9).17 Jerusalem ist also immer noch eine verlassene Tochter JHWHs. Wo dieser sich gegenwärtig aufhält und von wo aus er nach Jerusalem kommen wird, das lässt der Text offen. Der Lesezusammenhang mit der „Aufforderung zur Flucht“ lässt sowohl an eine himmlische als auch an eine irdische Präsenz abseits von Juda und Jerusalem denken.18 Mit dem doppelten „Aufruf zur Freude“ (so auch Jes 12,6; Zef 3,14), 12
Siehe auch Beuken, Sacharja, 324. Siehe auch Jes 1,8; 16,1; 62,11; Jer 4,31; 6,2.23; Mi 1,13; 4,10.13; Ps 9,15. Vgl. dazu vor allem Wischnowsky, Tochter, 158ff. 14 Vgl. 2 Kön 19,21; Jes 37,22; Klgl 2,13.15; Mi 4,8; Zef 3,14; Sach 9,9. 15 So Maier, Tochter, 167. 16 So treffend Wellhausen, Propheten, 180: „Also noch wohnt Jahve nicht in Sion; er kann auch nicht, weil der Tempel noch nicht gebaut ist.“ 17 Dass es sich dabei um Standardmotive des Vorstellungskomplexes von der „Rückkehr der Gottheit“ handelt, hat Ehring, Rückkehr, 102f.109, auf der Grundlage altorientalischer Vergleichstexte für DtJes überzeugend nachgewiesen. Zu diesen Motiven im Rahmen der Nachtgesichte Sacharjas vgl. Lux, Herrlichkeit, 193–222. 18 Die Rede von den „vier Winden des Himmels“ in 2,10 (ĠĜġĬė ĭĘĚĘī ĥĔīē) deutet auf eine himmlische Präsenz hin. Andererseits tritt JHWH in 2,10–13 als Kämpfer gegen die israelfeindlichen Völker auf, vor allem wohl gegen das „Land des Nordens“ (Ĩīē ĢĘħĩ), was an einen vorübergehenden Aufenthalt in Babel unter den Angehörigen der Gola denken lassen könnte. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Vorstellungen vom Aufenthalt und Wirken einer Gottheit im Himmel und auf der Erde keine sich gegensei13
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der eine öffentliche Siegesproklamation nach erfolgreich geschlagener Schlacht einleitet, wird die Überwindung dieser Notsituation in Aussicht gestellt. Der oberste Feldherr und Krieger kehrt zurück zu seiner „Tochter“ (vgl. Ri 11), die ihm jubelnd entgegen zieht und mit strahlender Freude empfängt.19 Die Trennung zwischen der Stadt und ihrem (Gott-) König wird aufgehoben. Sein Kommen ist der Anfang einer erneuerten Gemeinschaft und einer Zeit des Heils. Abgeschlossen wird die Sprucheinheit durch die Gottesspruchformel ėĘėĜČĠēģ (V. 14d).
2. JHWH, Zion und der „Völkerbund“ (V. 15) Sach 2,15 hat die Sacharjaexegese schon immer vor besondere Herausforderungen gestellt. Bereits formal hebt sich der in Prosa abgefasste Text, der von der Rede JHWHs in der 1. P. Sg. in die Rede über JHWH in der 3. P. Pl. wechselt, von dem in poetischer Sprache gehaltenen „Aufruf zur Freude“ in V. 14 ab. Er stellt offensichtlich eine Fortschreibung zu der vorausgehenden „Aufforderung zur Flucht“ (V. 10–13) und dem „Aufruf zur Freude“ (V. 14) dar. Dabei greift V. 15a das Stichwort ĠĜĘĕ („Völker“) aus V. 12 auf und kommt zu einer Neubestimmung des Verhältnisses JHWHs zu den Völkern, die in sachlicher Spannung zu dem in 1,15; 2,1–4 und 2,12 angesagten Gerichtshandeln steht. Und es werden sich viele Völker sammeln bei JHWH an jenem Tage. Und sie werden mein20 Volk sein.
15a b
tig ausschließenden Alternativen darstellen. Vielmehr galt ihre gleichzeitige Anwesenheit in der himmlischen und der irdischen Sphäre, ihrem himmlischen und irdischen Heiligtum, in dem sie durch Substitute (Götterbilder, Kultsymbole) vertreten werden konnten, im gesamten Alten Orient als selbstverständlich. Vgl. dazu Janowski, Himmel auf Erden, 232ff, und Schmid, Himmelsgott, 126ff. 19 Kultur- und militärgeschichtlich hat sich dieses Ritual bis in die Siegesparaden der Moderne hinein erhalten. In Ps 68 wurde es mythologisiert. Der Chaoskämpfer JHWH wird von „Freudenbotinnen“ (ĭĘīĬĔġ) angekündigt (V. 11) und die Frauen teilen Beute aus (V. 12). Schließlich hält der siegreiche Gottkönig in einer Dankprozession unter Mitwirkung von musizierenden jungen Frauen, die die Handpauke schlagen, wieder Einzug in sein Heiligtum. Siehe dazu Hossfeld/Zenger, Psalmen 51–100, 242ff. 20 In LXX wird der Wechsel von der 3. P. Pl. zur 1. P. Sg. korrigiert, indem in V. 15b an Stelle von Ĝğ „für mich“ auvtw/| „für ihn“ (hebr. Ęğ) gelesen wird. In V. 15c ersetzt sie das ĜĭģĞĬĘ „ich werde wohnen“ durch kai. kataskhnw,sousin „und sie werden wohnen“. Gegen Elliger, Sacharja, 117; Petersen, Zechariah, 173; Horst/Robinson, Kleine Propheten, 224; Nötscher, Zwölfprophetenbuch, 149; Willi-Plein, Sacharja, 77, u.a. ist mit Hanhart, Sacharja, 119f, MT beizubehalten. Der Wechsel in die 1. P. Sg. erklärt sich dadurch, dass innerhalb der Spruchzusammenstellung V. 14–16 mit der angedeuteten „Bundesformel“ in V. 15b (vgl. Ex 6,7; Lev 26,12; Jer 7,23; 11,4; 13,11; 24,7; 30,22; 31,1.33 u.ö.)
78 c
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Ich aber will in deiner Mitte wohnen, damit du erkennst, dass JHWH Zebaot mich zu dir gesandt hat.
d
Alle bisherigen Aussagen der Nachtgesichte über die Völker waren negativ konnotiert.21 Im Unterschied zu den räuberischen Völkern, gegen die der Krieger JHWH in V. 13 selbst vorzugehen versprach, und gegen die er in 2,3–4 seine „Waffenschmiede“ ausziehen ließ, sollen sich hier viele Völker „an jenem (unbestimmten) Tage“ (V. 15a ēĘėČĠĘĜĔ) an JHWH anschließen. Die Semantik der seltenen Wurzel ėĘğ I Nif. wird von Dieter Kellermann mit „‚sich anschließen‘ im Sinne von ‚sich verbünden‘, ‚sich vereinigen‘ bis zu der speziellen Bedeutung ‚sich (als Proselyt Israel) anschließen‘“ umschrieben.22 Letztere Bedeutung liegt in Jes 14,1; 56,3.6; Est 9,27 vor. Die durch den Wiederaufbau des Tempels gegebene Naherwartung einer Rückkehr JHWHs nach Jerusalem (Sach 1,16; 2,9.14) wird zu einer eschatologischen Heilsansage an „viele Völker“ erweitert. Der Zion wird nicht mehr allein Wohnort JHWHs und der geflohenen Gola sein (V. 11). Vielmehr wird eine regelrechte „Völkerwallfahrt“ nach Zion einsetzen (vgl. Jes 2,2–4; 60,1ff; Mi 4,1–3), die zu einem universalen Friedensreich unter dem Gottkönig JHWH führt.23 Es ist mit Händen zu greifen, dass hier die ursprünglich partikulare, auf die „offene Stadt“ Jerusalem bezogene Heilsaussage von Sach 2,8 eine eschatologische und universalisierende Interpretation erfahren hat.24 Die folgende Anspielung auf die „Bundesformel“ in V. 15b Ġĥğ Ĝğ ĘĜėĘ „und sie werden mein Volk sein“25 proklamiert die Hineinnahme der Völund der Aussage von V. 15c über JHWHs Wohnen inmitten von Israel (vgl. Ex 25,8; 29,45; 1 Kön 6,13; Jer 7,7; Ez 43,9; Sach 8,3) geprägte Selbstaussagen JHWHs aufgenommen und zitiert werden. Eine Verbindung zwischen der Bundesformel und der Zusage von JHWHs Wohnen in Israel findet sich auch in Ex 29,45; Lev 26,11f und Ez 37,27. 21 So auch die Tendenz in Hag 2,6–9.20–22. 22 Siehe Kellermann, ėĘğ I, ThWAT IV, 491. 23 Vgl. zur Situierung der einschlägigen Völkerwallfahrtstexte in der Zeit des persischen Weltreiches Beuken, Jesaja 1–12, 90ff, und Kessler, Micha, 178ff. 24 Diese Aussage geht weit über den „Universalismus“ von Hag 2,6–9 hinaus. Dort ist lediglich davon die Rede, dass nach einer universalen, den gesamten Kosmos erfassenden Erschütterung der „Reichtum aller Völker“ (ĠĜĘĕėČğĞ ĭĖġĚ), ihr „Silber und Gold“, in den Tempel von Jerusalem kommen soll (V. 7f). Dabei geht es wahrscheinlich um die in der altorientalischen Tradition übliche Darbringung von Tributgaben, wie sie in unübertroffener Weise am Treppenaufgang zum Apadana in Persepolis bildlich zur Darstellung gebracht worden ist. Vgl. Lux, „Mir gehört das Silber ...“, 165–179. Von einem freiwilligen Anschluss der Völker als Proselyten an JHWH ist in Hag 2,6–9 noch nicht die Rede. Anders Meyers/Meyers, Haggai, 53f.75f; Willi-Plein, Haggai, 33, und Kessler, Micha, 182. 25 Vgl. Ex 6,7; Lev 26,12; Jer 7,23; 11,4; 24,7; 30,22; 31,1.33 u.ö. Zum Wechsel von der Rede über JHWH in der 3. P. Sg in V. 15a zur Rede JHWHs in der 1. P. Sg in V. 15b–c siehe Anm. 20.
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ker (vgl. Jes 56,3ff) in das bisher exklusiv gedachte Bundesverhältnis zwischen JHWH und seinem Volk Israel. Interessanter Weise wird hier lediglich die zweite Hälfte der Bundesformel zitiert. Die reziproke Aussage, dass JHWH auch ihr Gott sein wolle, fehlt. Wird das als selbstverständlich vorausgesetzt?26 Es waren die Deuteronomisten, die die Bundesformel Mose in den Mund gelegt hatten (Dtn 26,16–19). Damit wurde sie zur „Eingangspforte in die israelitische Geschichte“.27 Wurde sie in ihrer „letzten Abwandlung“28 in Sach 2,15 zur Ausgangspforte aus der partikularen Geschichte Israels, die in die Heilsgeschichte JHWHs mit den Völkern hinüber weist? Während Sacharja (vgl. 8,7f) die Bundesformel noch ganz auf die Angehörigen der Gola bezogen hatte, wurde sie in der Fortschreibung in V. 15b auf die Völkerwelt übertragen, die damit ein „Bürgerrecht“ bei JHWH, dem Zionsgott, zugesprochen bekommt?29 V. 15c nimmt die Verheißung vom Wohnen JHWHs in der Mitte Jerusalems aus V. 14c wörtlich wieder auf und bindet auf diese Weise die Glosse in V. 15a–b in den Kontext ein. Dabei lässt sich eine inklusive als auch eine exklusive Lesart dieser Verheißung denken. Man könnte sie als eine Art Ersatz für die fehlende zweite Hälfte der Bundesformel lesen, wonach JHWH nun auch der Gott der Völker sein will, indem er in ihrer Mitte in Jerusalem Wohnung nimmt. Gegen diese Deutung spricht zunächst das Personalsuffix der 2. P. Sg. (ĝĞĘĭĔ), das sich – V. 14c entsprechend – zweifellos auf die „Tochter Zion“ in V. 14a zurück bezieht. Da allerdings Zion der Intention der Glosse folgend zu einer Metropole für die Völkerwelt avancieren soll, die sich JHWH anschließen wird (vgl. Sach 8,23), spricht zunächst einmal nichts dagegen, die Aussage von V. 15c im inklusiven Sinne zu interpretieren: Soll das künftige Jerusalem als Wohnsitz JHWHs die Mitte eines Vielvölkerstaates werden, in dem nicht nur Juda, sondern „an jenem Tage“ auch die Völker zusammenkommen?30 Ja, wird Jerusalem als Sitz eines künftigen „Völkerbundes“ proklamiert?
26
Mit dieser Verkürzung der Bundesformel steht Sach 2,15b in der Tradition der dtn.-dtr. Bundestheologie, die – anders als P (vgl. Lev 11,45; 22,33; 26,45; Num 15,41) – mehrfach nur die zweite Hälfte der Bundesformel zitiert, wonach Israel JHWHs Volk sei (vgl. Dtn 4,20; 7,6; 14,2; 26,18f). 27 So Smend, Bundesformel, 34. 28 Smend, Bundesformel, 39. 29 Siehe zu dieser Vorstellung die Ausführungen von Hossfeld/Zenger, Psalmen 51– 100, 556f, zu Ps 87,4–6, wonach der Zion nicht nur zur „Mutter der Israeliten“, sondern zur „Mutter der Völker“ avanciert. 30 In diesem Sinne interpretiert LXX den Text (vgl. Anm. 20). Ja sie verstärkt diese Aussage noch dadurch, dass sie nicht nur JHWH in der Mitte der Tochter Zion wohnen lässt, sondern auch die Völker.
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Liest man hingegen V. 15c als einen Adversativsatz („Ich aber will in deiner Mitte wohnen.“), dann legt sich eine exklusive Deutung nahe.31 Hinter der Wiederaufnahme der Verheißung von der Wiedereinwohnung JHWHs inmitten der Tochter Zion aus V. 14c in V. 15c könnte auch die Absicht stehen, eine bleibende Differenz zwischen Israel und den Völkern festzuhalten. Zwar werden sich viele Völker JHWH anschließen und zu ihm in ein Bundesverhältnis treten, aber die „Tochter Zion“ erhält ein dauerhaftes Privileg. Allein in ihr und in keiner anderen Stadt sowie in keinem anderen Volk wird JHWH seinen Wohnsitz nehmen. Zion wird zum „Nabel der Welt“ (Ez 38,12). Diese exklusive Lesart von V. 15c würde einerseits nahtlos an den „Aufruf zur Freude“ in V. 14 anschließen und andererseits der Aussagetendenz von V. 16 entsprechen. Abgeschlossen werden die Heilsansagen aus V. 15a–c mit der Erkenntnisformel (V. 15d), die der Legitimation des prophetischen Wortes dient.32 Da die Vorstellung von der (Wieder-) Einwohnung JHWHs inmitten der Tochter Zion eng mit der Jerusalemer Tempeltheologie verbunden ist (vgl. 1 Kön 8,13; Jes 8,18; Ps 46,5f; 68,17; 74,2; 76,3; 84,2ff)33 und seine Rückkehr an den Wiederaufbau des Tempels in der Stadt gebunden bleibt (Sach 1,16)34, wird der Tempelbau zu einem nachprüfbaren geschichtlichen Kriterium für die Legitimation des Propheten und die Zuverlässigkeit seines Wortes. Die wachsenden Mauern des neuen Tempelgebäudes sind ein sichtbares, prophetisches Zeichen für JHWHs Willen, in Jerusalem einzuziehen und Wohnung zu nehmen.
3. Juda, JHWHs Erbteil (Sach 2,16) V. 16 setzt den Gedanken von der Einwohnung JHWHs in Jerusalem konsequent fort und weitet ihn auf Juda aus. Und JHWH wird Juda als seinen Erbteil in Besitz nehmen auf heiliger Erde. Und Jerusalem wird er noch einmal erwählen.
16a b
Der Vers unterstreicht die exklusive Beziehung JHWHs zu Juda und Jerusalem. Hinter dem Motiv, dass JHWH Juda als seinen ĪğĚ in Besitz neh31
Vgl. dazu Gesenius, Grammatik, § 112x, 348. Siehe dazu Lux, „… damit ihr erkennt ...“, 271ff. 33 Vgl. Lux, JHWHs Herrlichkeit, 193–222. Sacharja knüpft damit – wie auch Haggai – an die vorexilische Zions- und Tempeltheologie an, für die die Einwohnung JHWHs in seinem irdischen Tempel in Jerusalem in Gestalt seines ĖĘĔĞ eine zentrale Vorstellung war. Siehe dazu Janowski, Mitte, 122ff, mit weiterer Literatur. 34 Vgl. dazu auch das Konzept vom Auszug und Wiedereinzug des ėĘėĜ ĖĘĔĞ in Ez 10; 11,22–25; 43,1–5. 32
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men wird, steht die verbreitete mythologische Vorstellung von der Verteilung der Erde und ihrer Völker an die Göttersöhne eines Pantheons. Am deutlichsten lässt sich dieses Motiv noch in Dtn 32,8f greifen: Als Eljon den Völkern Erbbesitz zuteilte, indem er die Menschenkinder voneinander trennte, cda legte er die Grenzen der Völker fest dnach der Zahl der Söhne Israels. 9aDenn das Erbteil JHWHs ist sein Volk, bJakob ist die Messschnur seines Erbbesitzes. 8a b
In V. 8d liest LXX anstelle von ğēīĬĜ ĜģĔ „Söhne Israels“ avgge,lwn qeou „Engel Gottes“. Damit greift sie wahrscheinlich auf eine ältere Lesart des Textes zurück, die noch in 4QDeutj erhalten blieb, in der von den ĜģĔ ĠĜėĘğē „Söhnen Elohims“ die Rede ist.35 Die Änderung der Lesart in ĜģĔ ğēīĬĜ ist als eine monotheistische Korrektur späterer Abschreiber zu betrachten, denen die polytheistische Rede von den Gottessöhnen inakzeptabel erschien. Daher wurden in der rabbinischen Auslegung aus den 70 Völkern in Gen 1036, die nach Dtn 32,8 unter die Göttersöhne verteilt wurden, die 70 Söhne Jakob/Israels (Ex 1,5; Dtn 10,22). Ehemals jedoch hatte Eljon, der „Höchste“,37 der natürlich mit JHWH identifiziert worden ist, nach Dtn 32,8f das Land unter die „Göttersöhne“ verteilt, die hier nicht mehr als selbständige Gottheiten eines Pantheons vorgestellt werden, sondern als Angehörige seines himmlischen Hofstaates (vgl. 1 Kön 22,19ff; Hi 1,6ff; Sach 1,8ff; 3,1ff; 6,1ff).38 Dabei hatte er für sich selbst Jakob/Israel als seine ėğĚģ erwählt. Dieses mythologische Konzept der Landverteilung unter die „Göttersöhne“ steht auch noch hinter Sach 2,16a. Allerdings konzentriert sich der Vers lediglich auf den Erbteil JHWHs. Er, der nach Dtn 32,8f als höchster Gott die Erde unter den Göttersöhnen aufgeteilt hatte, nimmt, nachdem er sein Erbe Juda und Jerusalem im Zorn nun schon annähernd 70 Jahre verlassen hatte (Sach 1,12), dieses erneut in Besitz. Dabei werden mit den Lexemen ğĚģ und ĪğĚ Termini des Erb- und Bodenrechts eingespielt.39 JHWH hat einen Rechtsanspruch auf Juda, der mit dem Verlassen des Landes nicht hinfällig geworden war. Mit seiner bevorstehenden Rückkehr und Wohnungnahme inmitten der „Tochter Zion“ macht er diesen Rechtsanspruch sichtbar geltend. Er nimmt seine Altimmobilien wieder in Besitz. 35
Siehe dazu BHQ, DJD XIV, 90, und Meyer, Bedeutung, 125ff. Vgl. dazu Jacob, Genesis, 295f. 37 Siehe dazu Zobel, ĢĘĜğĥ, ThWAT VI, 139; Elnes/Miller, Elyon, DDD, 296. 38 So wahrscheinlich zutreffend Meyer, Bedeutung, 125; Rose, 5. Mose II, 568. Vgl. auch Nielsen, Deuteronomium, 288f, und Braulik, Deuteronomium II, 229. 39 Siehe Tsevat, ĪğĚ, ThWAT II, 1016ff; Lipiēski, ğĚģ/ėğĚģ, ThWAT V, 343ff, und Ebach, Bodenrecht, NBL I, 313f. 36
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Auch wenn sich fremde Völker, die Babylonier und in ihrer Rechtsnachfolge die Perser, Juda als Provinz unterworfen haben, so ändert das nichts daran, dass es JHWHs Land bleibt. Und als solches ist es eine ĬĖĪė ĭġĖē, ein „heiliges Land“. JHWH, der ja Eigentümer der ganzen Erde ist und sich Juda zum Eigentum erwählte,40 unterhält damit auch künftig – unabhängig von den politischen Herrschaftsstrukturen – eine besondere Beziehung zu seinem Land und seinem Volk. Daher ist die Bezeichnung „Heiliges Land“ austauschbar mit der Bezeichnung ėĘėĜ ĭġĖē „Land JHWHs“ (Jes 14,2).41 Die Heiligkeit des Landes ist eben nicht in einer besonderen Qualität begründet, sondern in der Gottesbeziehung. Im religiösen Symbolsystem des nachexilischen Israel gewinnt die Vorstellung von der Heiligkeit des Landes dann zunehmend tempeltheologische Züge.42 Zentrum des „Heiligen Landes“ ist das „Allerheiligste“ (ĬĖĪ ĠĜĬĖĪė) im Tempel, das als Wohn- und Thronsitz des unsichtbaren Gottes gleichsam einen Tresor der Heiligkeit darstellt.43 Von ihm strahlt die Heiligkeit konzentrisch auf das gesamte Gebäude aus, das daher auch als ĬĖĪġ „Heiligtum“ bezeichnet werden kann.44 Durch das Heiligtum wird sein Standort, der „heilige Berg“ (ĬĖĪė īė),45 aus dem Umland in besonderer Weise hervorgehoben.46 Vom Berg strahlt die Heiligkeit Gottes aus auf die ganze „heilige Stadt“ (ĬĖĪ[ė] īĜĥ),47 um schließlich das gesamte Land zu erfassen. Die nächste sprachliche Parallele zu der ĬĖĪė ĭġĖē begegnet in Ex 3,5. Mose wurde auf „heiligem Boden“ (ĬĖĪČĭġĖē) am Gottesberg berufen, um Israel in ein ganz bestimmtes Land zu führen.48 Kam es in der Rede vom „Heiligen Land“ in Sach 2,16 zu einer sukzessiven Übertragung der durch die Gegenwart JHWHs am Gottesberg haftenden Heiligkeit auf Jerusalem 40
Vgl. Ex 19,5; Ps 24,1; 50,12; 89,12. Nach Sach 8,3 ist auch der ėĘėĜ īė identisch mit dem ĬĖĪė īė. 42 Siehe dazu die Ausführungen in Keel/Küchler/Uehlinger, Orte, 285ff. 43 Siehe Ex 26,33; 1 Kön 6,16; 7,50; 8,6; Ez 41,4; 1 Chr 6,34; 2 Chr 3,8.10; 5,7. Zum Konnex von Tempel und Heiligkeit siehe auch Zwickel, Tempel, 95f, und Keel, Jerusalem, 289. 44 Vgl. Ex 15,12; 25,8; Lev 12,4; 16,33; 19,30; 20,3; Jes 60,13; 63,18; Jer 17,12; Ez 5,11; 8,6; 9,6; 23,38 u.ö. 45 Jes 11,9; 56,7; 57,13; 65,11.25; 66,20; Jer 31,23; Joel 4,17; Ob 1,16; Sach 8,3; Ps 2,6; Dan 9,20. 46 Die Vorstellung von den Bergen als Göttersitzen hat ihre Wurzeln in der mythischen Kosmologie des Alten Orients, nach der sich auf dem aus dem chaotischen Urozean aufgetauchten Urhügel das irdische Heiligtum der Gottheit befunden hat. Siehe dazu Janowski, Weltbild, 15ff; ders., Himmel auf Erden, 247f. 47 Siehe Jes 52,1; Ps 46,5; Dan 9,24; Neh 11,1.18. 48 Hier ist zu beachten, dass die Begriffsbildung „heiliges Land“ in Ex 3,5 im Unterschied zu Sach 2,16 indeterminiert vorliegt. 41
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und den Zion? Eine synchrone Lesung des Buches Exodus lässt dies vermuten. Die Aufnahme einschlägiger Terminologie in Ex 15,13.17, wo von „deinem (JHWHs) heiligen Weide-/Rastplatz“ (ĝĬĖĪ ėĘģ) die Rede ist, stellt ein deutliches Signal dar. Während nach Benno Jacob die „heilige Weide“ der erste Rastplatz Israels am Sinai war,49 weist die Wiederaufnahme von Ex 15,13 in V. 17 klare Bezüge zur Zionstheologie auf.50 Da ist vom „Berg deines (JHWHs) Erbbesitzes“ die Rede (ĝĭğĚģ īė), zu dem JHWH Israel bringen wird und auf dem er es einpflanzen will. Dort schließlich wird JHWHs „Heiligtum“ (ĬĖĪġ), „die Stätte deines (JHWHs) Wohnens“ stehen (ĝĭĔĬğ ĢĘĞġ). Die Heiligkeit der „Weide“ JHWHs wird nach diesem Konzept auf den heiligen Zionsberg übergehen. Trotz der kultischen Bezüge dieser Vorstellung51 wird die Heiligkeit des Landes aber nicht einseitig sakramental definiert. Entscheidend bleibt die Beziehung, in der JHWH zu ihm steht. Schließlich wird in Sach 2,16b die erneute Erwählung Jerusalems aus 1,17 noch einmal aufgegriffen. Die Vorstellung von der Erwählung einer Stadt bzw. Jerusalems (īĚĔ + īĜĥ/ĠĜğĬĘīĜ) stammt aus dem Umkreis des Deuteronomismus und steht in engem Zusammenhang mit dem Tempel (1 Kön 8,16.44.48). Darüber hinaus wird sie als Argument für den Erhalt der davidischen Dynastie nach der Reichsteilung ins Feld geführt (1 Kön 11,13.32.36; 14,21). Der Hinweis darauf, dass es zu einer „nochmaligen“ (ĖĘĥ) Erwählung kommen soll, setzt voraus, dass diese vorübergehend als aufgehoben oder ausgesetzt galt. Genau davon war in 2 Kön 23,27 in Verbindung mit dem JHWH-Zorn die Rede, der gegen König Manasse wegen seines maßlosen Gewalt- und Blutregimes und seiner Abgötterei entbrannt war (2 Kön 21,16).52 Die Aufkündigung der JHWH-Beziehung durch Juda und Jerusalem hatte eine vorübergehende Aufhebung der Erwählung zur Folge. Mit der Ansage, dass der Gottkönig JHWH erneut in die Stadt kommen wird, um in ihr Wohnung zu nehmen, ging die Zwischenzeit zu Ende, in der das herrenlose Land Juda sowie die verlassene „Tochter Zion“ schutzlos fremden Mächten preisgegeben waren. Daher der „Aufruf zur
49
So Jacob, Exodus, 446. Vgl. Scharbert, Exodus, 65f. 51 Diese kultischen Bezüge kommen vor allem in den Antonymen zur ĬĖĪė ĭġĖē zum Ausdruck, der Rede von der ėēġě ėġĖē (Lev 18,24–28; Ez 36,18; Am 7,17; Mi 2,10) bzw. der īĞģ ĭġĖē (Ps 137,4). Naaman muss etwas von der Erde ( ėġĖē) Israels mit nach Aram nehmen, um dort auf geheiligtem Boden anbeten zu können (2 Kön 5,17). 52 Die Chronik übernimmt die Vorstellung von der Erwählung Jerusalems (2 Chr 6,6.34.38; 12,13; 33,7) und überträgt sie auf den Tempel (2 Chr 7,12.16). Die Verwerfung der Stadt wird dabei ausgespart. 50
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Freude“ (Sach 2,14). Diese Preisgabe war Ausdruck einer Zeit des Zornes JHWHs, die nun rasch ihrem Ende entgegen eilen würde.53 Schon hat sich JHWH erhoben „von seinem heiligen Wohnsitz“. Es ist unverkennbar, dass die Rede vom ĬĖĪ ĢĘĥġ in Sach 2,17 einen bewussten Gegenpol zur ĬĖĪė ĭġĖē in 2,16 bildet. Wo sich der gegenwärtige „heilige Wohnsitz“ JHWHs befindet, darüber gibt V. 17 keine präzise Auskunft. Es ist jedenfalls der Ort, von dem er aufbricht, um sich Juda und Jerusalem wieder zuzuwenden.54 Wahrscheinlich ist dabei an seinen himmlischen Wohnsitz gedacht (vgl. Dtn 26,15; Jer 25,30; 2 Chr 30,27), von dem aus er im Begriff ist, sich wieder seinem irdischen Erbteil Juda zu widmen. 55
4. Das „Heilige Land“ – Land der Gottesgegenwart Die Analyse von Sach 2,14–16 hat gezeigt, dass das Theologumenon vom „Heiligen Land“ letztlich die Vorstellung von der irdischen Gottesgegenwart thematisierte. Diese Vorstellung war eng mit der Tempel- und Zionstheologie verknüpft. Die Heiligkeit der ėġĖē war nicht als solche, kraft ihrer sakramentalen Qualität gegeben, sondern ergab sich allein aus der Anwesenheit JHWHs an einem bestimmten Ort. Nach Ex 3,5; 15,13.17 war dies in der Frühzeit der Gottesberg in der Wüste und wurde später auf den Zion mit dem Tempel JHWHs übertragen. Verließ JHWH aus Zorn über den Abfall Judas und Jerusalems seine Stadt und seinen Tempel, dann war damit vorübergehend die Heiligkeit des Landes aufgehoben. Schutzlos war es den chaotischen Mächten der Natur und fremden Völkern ausgeliefert. Sacharja kündet mit dem Aufruf zur Freude (2,14) die Rückkehr JHWHs und seine Wiedereinwohnung in Jerusalem an. Voraussetzung für die Rückkehr des Gottkönigs zur „Tochter Zion“ war aber der Wiederaufbau des Tempels und der Stadt (1,16; 2,5–9). Die Wiedereinwohnung JHWHs in Zion, die mit der Vollendung des Tempelbaus greifbar nahe rückte, diente dem Propheten nicht nur als Legitimation und Geschichtsbeweis für seine eigene Sendung (2,15d), sondern wurde von ihm oder seinem Schülerkreis mit einem bleibenden Rechtsanspruch JHWHs auf Juda und Jerusalem verbunden (2,16). Dieser Rechtsanspruch galt unabhängig von den politischen Herrschaftsstrukturen. Wer immer auch Juda und Je53
Vgl. Anm. 17. Siehe dazu Lux, Still alles Fleisch, 185ff. 55 Für diese Sicht spricht auch die Wiederaufnahme der Wurzel īĘĥ III in Sach 4,1. Der Aufruf zur Stille in 2,17 erfolgte ursprünglich wohl um die Schau des goldenen Leuchters als einem himmlischen Gottessymbol einzuleiten (7 Lampen = 7 Augen JHWHs = Gestirne). Siehe dazu Lux, Himmelsleuchter, 149ff. Erst durch die spätere Einfügung von Sach 3 wurde dieser direkte Zusammenhang aufgehoben. 54
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rusalem zu seinem Herrschaftsbereich zählte, nur als JHWHs Land war es heilig. Und diese Heiligkeit fand ihren sichtbaren Ausdruck in seiner Anwesenheit im Tempel und in der Stadt Jerusalem. Die Heiligkeit des Landes konnte daher nicht durch fremde Völker, sondern allein durch das Fehlverhalten der Judäer und der Jerusalemer selbst aufgehoben werden, was in den zurückliegenden siebzig Jahren geschehen war, in denen sich JHWH im Zorn von seiner Stadt und seinem Land abgewendet hatte (1,12). Damit stellte die Rede vom „Heiligen Land“ in frühnachexilischer Zeit eher eine religiöse als eine politische Kategorie dar. Ein späterer Glossator hat der Rückkehr JHWHs zum Zion und seiner Einwohnung in Jerusalem (2,14) auch eine völkertheologische Bedeutung zugemessen (2,15a–c). In „jenen Tagen“ werden sich viele Völker JHWH anschließen und in seinen Bund aufgenommen werden. Die Überwindung nationaler Schranken verstärkt und weitet das theologische Konzept vom „Heiligen Land“ in 2,16 aus, das künftig jedem offen stehen soll, der die Gegenwart JHWHs sucht und willens ist, in eine Beziehung mit ihm einzutreten. Die Gottesbeziehung ist es, die letztlich nationale und politische Grenzen relativiert und aufhebt. Juda und Jerusalem bleibt lediglich ein Privileg, nämlich dies, dass sich JHWH an sein Volk und sein Land von Urzeit an gebunden hatte (vgl. Dtn 32,8), auch wenn er es vorübergehend im Zorn verließ. Diese ursprünglich exklusiv verstandene Bindung JHWHs an Juda und Jerusalem wurde von der eschatologischen Glosse in V. 15 universalisiert und damit zu einem inklusiven Bundeskonzept uminterpretiert.
Das neue und das ewige Jerusalem Planungen zum Wiederaufbau in frühnachexilischer Zeit Einen Monat nach der Einnahme Jerusalems im Jahr 587 v. Chr. startete Nebusaradan, der Oberste der Leibwache des Königs Nebukadnezar, eine Strafaktion gegen die eroberte Stadt, brannte den Tempel und große Teile der Stadt nieder und zerstörte mehrere Abschnitte ihrer Befestigungsmauer, um sie endgültig wehrunfähig zu machen (2 Kön 25,8f; Jer 52,12–14).1 Die Verwüstungen in der Stadt waren offensichtlich so dramatisch, dass diese nicht mehr dazu geeignet war, dem von den Babyloniern eingesetzten Statthalter Gedalja als Verwaltungszentrum zu dienen, weswegen dieser sein Quartier in Mizpa aufschlug (2 Kön 25,22–25; Jer 40,6–41,3).2 Aus der stolzen „Fürstin“ Jerusalem wurde eine klagende „Witwe“, die um ihre gefallenen, weggeführten und hungernden Kinder trauerte (Klgl 1; 2; 4).3 Bereits gegen Ende der Exilszeit wurden Hoffnungen auf einen Wiederaufbau Jerusalems geweckt, die einen lebhaften Diskurs bis weit in die nachexilische Zeit hinein ausgelöst haben (Ps 51,20; 69,36; 102,15ff; 147,2; Jes 44,26–28; 49,14–17; 52,7–9; 61,4; Jer 30,18; 31,38ff; Ez 36,33). Erste konkrete Pläne über die Wiederherstellung von Stadt und Tempel wurden geschmiedet (Ez 40–43*). Die Möglichkeit zu ihrer Realisierung ergab sich aber erst nach dem Untergang des neubabylonischen Reiches mit der Einnahme Babylons durch Kyros II. (539 v. Chr.). Jedoch hielten sich die Maßnahmen zum Wiederaufbau der Stadt auch in den ersten Jahrzehnten der Perserherrschaft über Palästina immer noch in Grenzen. Die Darstellung der Mission des „Statthalters“ Scheschbazzar in Esr 1,8–11; 5,13–16 macht – 1 Zu den chronologischen Differenzen zwischen 2 Kön 25,8 und Jer 52,12 siehe Hentschel, 2 Könige, 121, Albertz, Exilszeit, 69–73, und Fischer, Jeremia, 644f. 2 Der höchstwahrscheinlich mit dem Tell en-Na±be 12 km nordwestlich von Jerusalem zu identifizierende Ort war seit dem 9. Jh. v. Chr. Festungsstadt und bis in die persische Zeit hinein ein Verwaltungszentrum (Neh 3,15.19). Das am Ort gefundene Siegel mit der Inschrift ĝğġė ĖĔĥ ĘėĜģęēĜğ „Jaasanjahu, dem Knecht des Königs zugehörig“ könnte dem gleichnamigen in 2 Kön 25,23 erwähnten Offizier gehört haben, der sich mit anderen Gedalja anschloss. Vgl. Zorn, En-Nasbeh, 1098–1102. 3 Zur Stadt als Frau siehe Baltzer, Stadt, 137ff; Maier, Tochter, 157ff; Meyer, Bilder, 169ff.
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was immer auch historisch davon zu halten ist4 – deutlich, dass man über erste sehr bescheidene Anfänge kaum hinauskam.5 | Erst mit der Rückkehr einer nennenswerten Zahl von Angehörigen der Gola gegen Ende der Herrschaft Kambyses II. (530–522 v. Chr.) und in den Anfangsjahren Dareios I. (522–486 v. Chr.)6 setzte eine intensivere Bautätigkeit in Jerusalem ein (Hag 1,2ff). Die folgenden Überlegungen wollen in einer knappen Skizze zeigen, dass es dabei zu einem lebhaften Diskurs über unterschiedliche Städtebaukonzepte und ihre Realisierung kam.
1. Ezechiel Schuld und Vergebung, Fall und Wiederauferstehung, Unheil und Heil Jerusalems, das ist eines der großen Themen, das sich wie ein roter Faden 4 Vgl. dazu Japhet, Sheshbazzar, 66ff; Albertz, Exilszeit, 105, und vor allem Pola, Priestertum, 129–139. 5 Nach Esr 5,16 soll Scheschbazzar bereits die Fundamente für den Tempelneubau gelegt haben. Haggai und Sacharja wissen jedoch ca. 20 Jahre später nichts von solch einer Aktion. Offensichtlich liegt der Tempel z.Zt. dieser beiden Propheten immer noch in Trümmern (Hag 1,4). Und die Grundsteinlegung zum Zweiten Tempel wird von ihnen ausdrücklich mit der Person des Davididen Serubbabel in Verbindung gebracht (Hag 2,15–19; Sach 4,9). Kratz, Judentum, 105f, erwägt, ob es möglicherweise Scheschbazzar und eben nicht Serubbabel (Esr 3) war, der | zunächst den großen Brandopferaltar im Tempelareal wieder herstellte und damit die Wiederaufnahme eines provisorischen Kultbetriebes ermöglichte. 6 Galling, Exilswende, 125f, datiert die Rückwanderung der in den Heimkehrerlisten Esr 2; Neh 7 verzeichneten Judäer unter Führung Serubbabels und Joschuas in die Jahre 521/520 v. Chr. So auch Albertz, Exilszeit, 106. Damit fiele die Rückkehr aber genau in die Zeit, in der es infolge des Aufstandes des Gaumata noch im gesamten persischen Weltreich brodelte. Dareios I. hatte von der Ermordung des Aufrührers Gaumata im September 522 bis zum November 521 v. Chr. alle Hände voll zu tun, die Aufstände der „Lügenkönige“ mit äußerster militärischer Gewalt niederzuwerfen. Vgl. dazu die ikonographische und inschriftliche Darstellung der Ereignisse auf dem Bisotun-Relief (TUAT 1/4, 419–450) sowie Wiesehöfer, Aufstand, 175–225, und Koch, Dareios, 13–22. Die These, dass es in einer politisch derartig brisanten Situation zu größeren Rückwandererbewegungen gekommen sein soll, wird man mit einem Fragezeichen versehen müssen. Näher liegt es da, an die unmittelbar vorhergehende Zeit des Magiers Gaumata zu denken, der in der kurzen Zeit seiner Herrschaft gerade den weniger privilegierten Bevölkerungsschichten mit erheblichen Steuerentlastungen und einer Erweiterung ihrer politischen Rechte entgegenkam (vgl. Wiesehöfer, Aufstand, 77–167). Tat sich also gegen Ende des Regnums Kambyses II., der in der Zeit seiner Abwesenheit während des Ägyptenfeldzuges den Magier Gaumata als Reichsverweser in der Persis eingesetzt hatte, welcher sich schließlich gegen ihn erhob, ein Zeitfenster auf, das die Gelegenheit zur Rückkehr einer größeren Zahl von Judäern bot? Wirkliche Sicherheit lässt sich in dieser Frage angesichts der Quellenlage nicht mehr gewinnen.
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durch das gesamte Ezechielbuch zieht (4,1.7.16; 5,5; 9,1ff; 12,10.19; 13,16; 14,21f; 16,1ff; 21,7.27; 22,19ff; 26,2; 33,21; 36,38; 40–48) und für dieses strukturbildend geworden ist. Bereits die beiden Tempelvisionen (Ez 8–11; 40–48) bilden mit ihrer Schilderung vom Auszug des ėĘėĜ ĖĘĔĞ aus dem Tempel und der Stadt sowie seinem Wiedereinzug (Ez 10; 11,22–24; 43,1–5) die beiden Brennpunkte einer Ellipse, um die sich die anderen Themen des Buches gruppieren. Das Treiben dieser Stadt, das nicht folgenlos für sie bleiben sollte, hat den Propheten geradezu auf den Mund geschlagen und verstummen lassen (3,25f). Erst am Tage, an dem ihm ein Bote die Nachricht vom Fall Jerusalems bringt, wird ihm die Zunge wieder gelöst (24,26; 33,21f). Das Unheil, das der Stadt widerfuhr, wandelt sich in der Stunde ihrer tiefsten Erniedrigung zur Ankündigung künftigen Heils (36,38; 40–48). Vor allem der sogenannte „Verfassungsentwurf“ des Ezechiel (40–48) enthält dann umfangreiche und detaillierte Pläne für den Wiederaufbau des Tempels und eine Neuordnung der Stadt. | Es ist davon auszugehen, dass die Kapitel 40–48 nicht aus einer Feder stammen.7 Das haben auch zwei jüngere Studien bestätigt, die allerdings zu teilweise erheblich voneinander abweichenden Ergebnissen kamen. Nach T. A. Rudnigs redaktionsgeschichtlicher Analyse ist der Verfassungsentwurf das Produkt eines komplizierten Prozesses, der „von der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts bis zum frühen dritten Jahrhundert v. Chr., dauerte“8. Dabei ordnet er den Grundbestand des Verfassungsentwurfes seiner „golaorientierten Redaktion“ zu, die sich auf ein bereits bestehendes Ezechielbuch bezogen habe.9 M. Konkels synchrone und diachrone Analyse von Ez 40–48 arbeitet eine exilische Grundschicht heraus, die lediglich Textanteile von Ez 40–4310umfasste und durch zwei Fortschreibungen zum jetzigen Textbestand angewachsen sei. In der Grundschicht (40,1.3f) bildeten Tempel und Stadt noch – dem altorientalischen Weltbild entsprechend – eine konzentrische Einheit.11 Der 7
Vgl. dazu bereits Zimmerli, Ezechiel, 979: „Ez 40–48 sind kein Gebilde aus einem Guß. Die scharfsinnige Analyse von Gese, welche die Analysen der Vorgänger kräftig vorangetrieben hat, läßt erkennen, daß hinter dem vorliegenden Text ein bewegter Wachstums- und Redaktionsvorgang liegt.“ 8 Rudnig, Heilig, 344. 9 Rudnig, Heilig, 345. Zur Grundschicht von Ez 40–48 rechnet er 40,1.2b*.4*.17. 28aƝ; 40,47b–41,4*; 41,15b–20a*; 43,6a.7a; 44,5aƝ; 45,17a.21a.22–25; 46,4–7; 47,1.8*.9aƞbƞ. 12a; 47,13aƞ.15b–20*; 48,35b. Diese Grundschicht konkretisiere die Heilsansage in Ez 37,25–28*. Vgl. ders., Vision, 532f.538. 10 Siehe Konkel, Architektonik, 244ff. Seine Grundschicht umfasst 40,1.3f.5–37. 44–46a.47–49; 41,1–15a; 42,15.20aƞ.b; 43,1f.3b–10. 11 Diese Einsicht ergibt sich vor allem aus der sehr plausiblen Analyse von Ez 40,1–4 durch Konkel, Architektonik, 28–32; ders., Tempelvision, 161ff. Aber auch wenn man die Ergebnisse der Redaktionskritik von Rudnig, Heilig, 78ff, in die Überlegungen mit
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Tempel war Mittelpunkt der Stadt. Lediglich die unmittelbare Nachbarschaft zwischen Königspalast und Tempelbezirk, die in vorexilischer Zeit zur Verunreinigung des Tempels geführt hatte, soll unterbunden werden (43,7–9). In den beiden Fortschreibungen der Grundschicht kam es dann zu einer Radikalisierung dieser Trennung von Palast und Tempel. Jetzt wird sie im Rahmen der Landverteilungspläne (45,1–8; 48,1–29) auf eine Trennung der gesamten profanen Stadt von dem sakralen Tempelbezirk ausgeweitet. „Nicht mehr schützt der Tempel die Stadt, vielmehr muss der Tempel vor der profanen Stadt geschützt werden.“12 | Das beherrschende geometrische Strukturprinzip von Ez 40–48 ist das Rechteck. Die zahlreichen Maßangaben erfolgen in der Regel nach der Länge (ĝīē) und der Breite (ĔĚī) des vermessenen Raumes (Ez 40,7.11. 20.21.25.29.30.33.36.42 u.ö.). Der gesamte Tempelbezirk umfasste danach ein ideales Quadrat von 500 x 500 Ellen (42,15–20). Überblickt man die von Konkel herausgearbeitete Grundschicht der zweiten Tempelvision Ezechiels,13 dann kommt man zu dem Ergebnis, dass dieser zunächst lediglich an einem Wiederaufbau des von einer massiven Mauer umgebenen rechteckigen Temenos und einer Tempelanlage mit ihren Vorhöfen, Toren und Nebengebäuden interessiert war. Stadt und Umland wurden einfach als bestehende Größen vorausgesetzt, ohne dass man ihnen eine nähere Beschreibung widmete. Erst in den späteren Fortschreibungen wurde dann die geometrische Grundfigur Rechteck/Quadrat vom Tempelareal auch auf die Stadt Jerusalem und das gesamte Land übertragen (45,1–8; 48,9–22). Dass dieser Tempelbauplan Ezechiels mit seiner Grundfigur eines quadratischen Tempelbezirkes alles andere war als nur ein utopisches Konzept, sondern in den Palast- und Akropolisanlagen der vorexilischen Stadtarchitektur der EZ II Vorbilder hatte, wird von Konkel mit Recht betont.14 Daraus ergibt sich die Frage, ob nicht nur das von Ezechiel für den Temeinbezieht, die sich von denen Konkels erheblich unterscheiden, so kommt man in der Frage nach dem Verhältnis von Stadt und Tempel zu einem ähnlichen Ergebnis. Nach Rudnig gehören ja Ez 40,1.2b*.4* zur Grundschicht. Danach wurde der Prophet in die Stadt gebracht, auf einen sehr hohen Berg, auf dem sich der Bau einer Stadt befand, eben der Stadt, in der er seine visionäre Tempelbegehung erlebt. 12 Konkel, Tempelvision, 163. Eine Schlüsselstellung in der Verknüpfung dieser beiden Textebenen und der mit ihnen verbundenen unterschiedlichen Stadt-Tempel-Konzeptionen nimmt dabei der redaktionelle Vers 40,2 ein, der im Unterschied zu 40,1.3f das Ineinander von Stadt und Tempel in ein strikt getrenntes Nebeneinander auflöst. 13 Vgl. Anm. 10. 14 Konkel, Architektonik, 252–263, verweist vor allem auf die Bauphasen der Akropolis von Lachisch (Stratum V-III), die in die EZ IIB/C datiert werden (10.–6. Jh. v. Chr.). Vgl. dazu Ussishkin, Lachish, NEAEHL 3, 897–911. Aber auch Stratum IV von Megiddo (9. Jh.) mit seiner rechtwinklig angelegten „Wagenstadt“ (1576) und seinen Palästen (1482/1723) sowie Stratum III (8./7. Jh.) mit den in der Assyrerzeit angelegten quadrati-
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pelbezirk des Zweiten Tempels vorausgesetzte Quadrat, sondern auch seine Maße von 500 x 500 Ellen auf einer überlieferten Tradition ruhte. Da Grabungen im Bereich des Haram esh-Sharif ausgeschlossen sind und auch für bauarchäologische Untersuchungen des Geländes nur eingeschränkte Möglichkeiten bestehen, sind alle Aussagen über den vorexilischen Tempel in Jerusalem und die Ausmaße des ihn einschließenden Tempelbezirkes in hohem Grade hypothetischer Natur. Trotzdem haben sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten die Hinweise dahingehend verdichtet, dass bereits der vorexilische Tempel von einem 500 x 500 Ellen messenden Temenos umgeben war.15 Dieser Befund entspricht den altorientalischen Tempelbautraditionen, die sich im Falle der Wiederherstellung zerstörter Tempelanlagen häufig an den Maßen ihrer Vorgängerbauten | orientierten. In der „Architektonik des Heiligen“16 war vor allem Kontinuität gefragt.17 Die weiteren Überlegungen gehen aufgrund dieser Befunde davon aus, dass Ezechiel in der fortgeschrittenen Exilszeit, möglicherweise nach der Begnadigung Jojachins und seiner Aufnahme in die Tafelrunde des babylonischen Königs Awil–Marduk (562 v. Chr.),18 Pläne für einen Wiederaufbau des Tempelbezirkes von Jerusalem entwarf, die sich weitestgehend an seinem vorexilischen Vorbild orientierten. Eine der wesentlichsten Neuerungen dürfte dabei die strikte Trennung zwischen Palast- und Tempelbezirk gewesen sein (Ez 43,7–9).
2. Sacharja Offensichtlich blieben die Wiederaufbaupläne Ezechiels auch in frühnachexilischer Zeit im Gespräch. Es sind vor allem die beiden Propheten Haggai und Sacharja, die diesen Diskurs nicht nur fortgeführt haben, sondern auch zur Realisierung konkreter Baumaßnahmen aufriefen. Dem Haggaibuch sind über den Wiederaufbau der Stadt Jerusalem und des Tempels allerdings nur recht allgemeine Aussagen zu entnehmen. Außer der Tatsache, dass Haggai den Statthalter Serubbabel und den Hohepriester Joschua für schen insulae und öffentlichen Gebäuden führen dies eindrücklich vor Augen. Siehe dazu Shiloh, Megiddo, 1016ff. 15 Vgl. Ritmeyer, Temple Mount, 44ff; Bieberstein/Bloedhorn, Jerusalem, 373f; Zwickel, Tempel, 47f, und Reidinger, Tempelanlage, 25–31. Konkel, Architektonik, 262, vermutet, dass in vorexilischer Zeit die Palastanlage Salomos in dieses 500 x 500 Ellen umfassende Tempelgelände hineinragte, was die der deuteronomistischen Theologie und Königskritik nahestehenden Maßnahmen in Ez 43,7–9 zur Folge haben sollte. 16 So der Titel des Buches von M. Konkel. 17 Siehe dazu meine knappen Hinweise in Lux, Der Zweite Tempel, 131ff. 18 Das ist die begründete Vermutung von Konkel, Architektonik, 269.
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den Wiederaufbau des Tempels gewinnen konnte (Hag 1,12) und es am 24.9. im zweiten Jahr des Dareios (= 18.12.520 v. Chr.) zur Grundsteinlegung kam,19 erfahren wir kaum etwas. Vermutlich war mit der Rückkehr einer größeren Zahl von Angehörigen der babylonischen Gola nach Jerusalem und Juda zwischen 522–520 v. Chr.20 die Zeit reif geworden, über einen Wiederaufbau von Stadt und Tempel nicht nur nachzudenken. Nach dem Votum des Propheten verfügten die Rückkehrer auch über entsprechende Mittel, um für ihre eigenen Immobilien zu sorgen, während sie die Zeit für den Wiederaufbau des Tempels noch nicht für gekommen hielten (Hag 1,2–4). Die ökonomische Lage im Lande war nach wie vor angespannt. Dürre, Seuchen und Missernten taten ein Übriges (Hag 1,5–11; 2,15–19; Sach 8,10–12). Daher war das vorläufige Ergebnis des Tempelbaus wohl eher ein Anlass zum Weinen als zur Freude (Hag 2,3; Sach 4,9–10a*). Über die konkrete Gestalt der wieder aufzubauenden Stadt21 und des Tempels macht | Haggai keinerlei konkrete Aussagen. Darin unterscheidet er sich von Sacharja. Vor allem das dritte Nachtgesicht (Sach 2,5–9) lässt deutlich erkennen, dass um 520 v. Chr. konkrete Entwürfe für den Wiederaufbau von Stadt und Tempel zur Diskussion standen. Bereits in Sach 1,16 wird dem Propheten ein von ihm zu kündendes JHWH-Wort mitgeteilt, in dem dieser seine bevorstehende Rückkehr nach Jerusalem (ĠğĬĘīĜğ ĜĭĔĬ), den Bau des Tempels (ėģĔĜ ĜĭĜĔ) und das Ausspannen der Messschnur über der Stadt (ĠğĬĘīĜČğĥ ėěģĜ ėĘĪĘ) ankündigt.22 Diese Weissagung wird im dritten Nachtgesicht (2,5–9) wieder aufgenommen und weiter ausgeführt. Erst jetzt werden miteinander konkurrierende Vorstellungen über den Wiederaufbau Jerusalems erkennbar, die offenbar 19
Siehe zur Haggai-Sacharja-Chronologie Lux, Zweiprophetenbuch, 4ff. Siehe Anm. 6. 21 Auch für die Stadt Jerusalem darf man in den ersten Jahrzehnten der Perserherrschaft keineswegs mit einem Bauboom rechnen. Es gab wohl erste Baumaßnahmen auf dem Südostsporn der alten Davidsstadt und im sich anschließenden Bereich des Tempelberges, jedoch dürften sich diese sehr in Grenzen gehalten haben. Vgl. Otto, Jerusalem, 95f; Mare, Archaeology, 119–128; Shiloh, Jerusalem, 709; Bieberstein/Bloedhorn, Jerusalem, 86–94. Carter, Province, 134f, rechnet trotz des von Nehemia initiierten Synoikismos (Neh 7,4; 11,1) für das| Ende des 5. Jh. v. Chr. lediglich mit einer Einwohnerzahl von annähernd 1500 Personen. Und die von Nehemia erneuerte Stadtmauer umfasste wohl noch nicht einmal das gesamte Areal der Stadt, das diese z.Zt. Salomos hatte. 22 Eine Reihe von Auslegern hält Sach 1,16 für einen späteren Zusatz zum ersten Nachtgesicht (vgl. u.a. Rothstein, Nachtgesichte, 55; Beuken, Sacharja, 244; Schöttler, Gott, 57). Andere hingegen sehen in ihm einen integralen Bestandteil desselben (Biā, Sacharja, 25f; Rudolph, Sacharja, 79f; Hanhart, Sacharja, 91f) bzw. eine möglicherweise noch aus der Feder des Propheten selbst stammende Nachinterpretation (Graf Reventlow, Sacharja, 43f; Meyers/Meyers, Zechariah, 132f). M.E. gibt es keine hinreichenden Gründe dafür, den Vers dem Propheten abzusprechen. 20
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in der frühnachexilischen Zeit in Jerusalem zur Debatte standen. Im Unterschied zur Grundschicht von Ez 40–48 beschränken sich diese Wiederaufbaupläne bei Sacharja nicht mehr auf die Tempelanlage, sondern werden auf die gesamte Stadt ausgeweitet. Das mit der Einleitungsformel ēīēĘ ĜģĜĥ ēĬēĘ (vgl. 2,1; 5,1; 6,1) eröffnete Nachtgesicht gliedert sich in zwei Szenen (V. 5–6.7–9). Der Einsatz beider Szenen wird durch die Aufmerksamkeitspartikel ėģėĘ eröffnet (V. 5a.7a). Die erste Szene berichtet über ein immanentes, irdisches Geschehen in Jerusalem (V. 5–6), die zweite über ein transzendentes, himmlisches Geschehen (V. 7–9). Jeder Szene liegt ein eigenes Städtebaukonzept für Jerusalem zugrunde. „5Da erhob ich meine Augen und sah: Und siehe, da war ein Mann, und in seiner Hand war eine Messschnur. 23 Und er antwortete mir: Auszumessen Jerusalem, um 6Und ich sagte: Wohin gehst du? zu sehen, wie groß seine Breite und wie groß seine Länge ist.“ (Sach 2,5f)
Dem Propheten erscheint ein Mann (ĬĜē) mit einer Messschnur.24 Die thematische Nähe zu Ez 40,3 liegt auf der Hand.25 Allerdings weist bei Sacharja nichts | darauf hin, dass es sich bei diesem „Mann“ wie in Ezechiel um eine himmlische Gestalt handelt.26 Seine Identität interessiert offensichtlich wenig. Auf die Frage Sacharjas, wohin er gehe, gibt dieser die Aus23
Zur in BHS vorgeschlagenen Konjektur, anstatt ėĭē ein ėę oder ēĘė zu lesen, besteht keinerlei Anlass. Die Änderung setzt voraus, dass der Prophet seine Frage an den Deuteengel und nicht an den Mann mit der Messschnur selbst gerichtet habe. Der Deuteengel wird aber erst in V. 7 eingeführt. Außerdem wird damit der klare zweistufige Aufbau des Nachtgesichtes (immanent – transzendent) nivelliert. 24 Dass hier von dem ėĖġ ğĔĚ die Rede ist und nicht wie in 1,16 vom (ė)ĘĪ, ist noch kein hinreichender Grund dafür, 1,16 dem Propheten abzusprechen und als späteren Zusatz zu betrachten. Auch Ez 40,3 nennt zwei unterschiedliche Maßwerkzeuge nebeneinander. Variatio delectat! 25 Nach Delkurt, Nachtgesichte, 109ff, ist der Mann mit der Messschnur bei Sacharja kein anderer | als derjenige, „der die Planungen von Ez 48,15ff ausführt“ (ebd., 111). Er habe die Absicht, mit seinen Messungen die Trennung der profanen Stadt von dem sakralen Tempelbezirk festzulegen. Allerdings ist von solch einer Trennung zwischen Stadt und Tempelbezirk bei Sacharja mit keinem Wort die Rede. Im Gegenteil: Sach 2,9 macht mit der Verheißung der Anwesenheit JHWHs in der Mitte Jerusalems (ėĞĘĭĔ ėĜėē) eher den Eindruck einer Einheit von Stadt und Tempel. Delkurt begründet seine These u.a. mit der Abfolge der Maßangaben. Während bei den Angaben des Heiligtumsbezirks und der Tempelanlage immer das Längenmaß ( ĝīē) vor dem Breitenmaß (ĔĚī) mitgeteilt werde (Ez 40,7.11.20.21.25.29.30 u.ö.), verhalte es sich in den beiden auf die profane Stadt bezogenen Landaufteilungspassagen genau umgekehrt. Dort gehe immer das Breitenmaß dem Längenmaß voraus (Ez 45,6; 48,15). Darauf habe „Sacharja durch Imitation bewußt anspielen“ wollen. Diese reichlich überspitzte Begründung scheitert bereits an Ez 48,8. Dort werden die Maße für den Tempelbezirk ebenfalls in der Reihenfolge Breitenmaß – Längenmaß aufgeführt.
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kunft, er wolle Jerusalem in seiner Breite (ėĔĚī) und seiner Länge (ėĞīē) ausmessen. Die Antwort setzt nicht nur voraus, dass dieser die Absicht hat, die Ausmaße des neu zu errichtenden Stadtareals festzulegen. Darüber hinaus deutet die Angabe des Breiten- und des Längenmaßes auf ein rechteckiges Stadtterritorium hin. Es ist zwar nicht zwingend, dass immer dann, wenn von der Länge und der Breite einer Fläche die Rede ist, diese auch die Gestalt eines Rechtecks haben muss (vgl. Gen 13,17; Ijob 11,9). Aber der ganz überwiegenden Anzahl von Stellen, die ein Längen- und ein Breitenmaß nennen, liegt die Vorstellung von einem Rechteck zugrunde. 27 Dabei handelt es sich immer um durch menschliche Hand hergestellte Gegenstände, Bauten oder um abgegrenzte Flächen eines natürlichen Territoriums. Da auch der Mann mit der Messschnur im dritten Nachtgesicht den Plan eines Wiederaufbaus Jerusalems und seiner Mauern und Befestigungsanlagen28 verfolgt, liegt es nahe, dass auch hier an ein rechteckiges Stadtterritorium gedacht ist. | Das reale perserzeitliche Jerusalem, das sich noch bis weit in die nachexilische Zeit hinein auf das Gebiet der alten Davidsstadt und des Tempelberges beschränkte,29 näherte sich zwar in seiner länglichen Nord-Süd-Ausrichtung der Gestalt eines Rechtecks an, ohne ein solches wirklich zu bilden. Dies wäre wohl auch an den geographischen Realitäten gescheitert. Daher liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei dem ein Rechteck bildenden Jerusalem in Sach 2,6 eher um die Vorstellung einer am Reißbrett geplanten idealen künftigen Stadt handelt. Bei solch einer idealen Stadtpla26
Dass es sich bei dem Mann mit der Messschnur in Ez 40,3ff; 43,6; 47,3 um eine himmlische und keine irdische Gestalt handelt, wird aus seiner näheren Beschreibung in 40,3 (vgl. 1,7) geschlussfolgert: ĭĬĚģ ėēīġĞ Ęėēīġ „sein Aussehen war wie das Aussehen von Erz“ (so auch Zimmerli, Ezechiel, 998, und Rudnig, Vision, 542). 27 Gen 6,15; Ex 25,10.17.23; 6,2.8.16; 27,1.18; 28,16; 30,2; Dtn 3,11; 1 Kön 6,2.3.20; 7,2.6.27; Ez 40,7.11.18.20.21.25 u.ö. 28 Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass mit der Ausmessung Jerusalems nicht der Gedanke eines Mauerbaus verbunden gewesen sei (Rudolph, Sacharja, 84; Graf Reventlow, Sacharja, 47; Vincent, Herrlichkeit, 114). Als Grund wird u.a. angeführt, dass ja die Mauer Jerusalems nur teilweise zerstört gewesen ist und ihr Verlauf bekannt war, so dass eine neuerliche Ausmessung unnötig gewesen sei. Außerdem sei es erst Jahrzehnte später unter dem Statthalter Nehemia tatsächlich zum Mauerbau gekommen. Diese Gründe können schon deswegen nicht überzeugen, weil sich der Verlauf der von Nehemia errichteten Mauer erheblich von dem des vorexilischen Jerusalem unterschieden haben dürfte. Und dass es in Sach 2,5–9 sehr wohl auch um den Schutz und die Verteidigung der Stadt ging, wird aus V. 9 unübersehbar deutlich. Darüber hinaus übersieht eine solche Argumentation, dass es im dritten Nachtgesicht um ideale und nicht um reale Städtebaukonzepte geht. 29 Shiloh, Jerusalem, 709: „The city developed on the crest of the narrow spur of the City of David, over an even smaller area than in the tenth century BCE. The fortified area no longer included the eastern slope.“
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nung könnten durchaus sehr reale perserzeitliche Stadtanlagen Pate gestanden haben. Diese orientierten sich dem hippodamischen Prinzip folgend an einem idealen Rechteck mit quadratischen Wohnvierteln und sich rechtwinklig kreuzenden Straßen.30 Sollte im künftigen Jerusalem die rechteckige Struktur, die in den vorexilischen Stadtplänen vor allem die Palastund Tempelanlagen innerhalb der Städte prägte,31 im nachexilischen Jerusalem auf die gesamte Stadt übertragen werden? Dass eine derartige an realen Vorbildern orientierte Planung einer idealen Stadt nicht das einzige Konzept darstellte, das im frühnachexilischen Jerusalem im Gespräch war, geht aus der Fortsetzung des Nachtgesichtes hervor. „7Und siehe, der Engel, der mit mir redete, trat auf.32 Und ein anderer Engel trat ihm entgegen. 8Und er sprach zu ihm: Lauf! Sprich zu diesem jungen Mann: Offen soll Jerusalem bleiben vor Menge an Menschen und Vieh in seiner Mitte. 9Ich aber, ich will für es sein – Spruch JHWHs – eine Mauer aus Feuer ringsum. Und als Lichtglanz will ich in seiner Mitte weilen.“ (Sach 2,7–9)
Während sich in der ersten Szene der Prophet und der Mann mit der Messschnur einander gegenüberstanden, treten jetzt in der zweiten Szene zwei himmlische Gestalten auf: der bereits aus Sach 1,9.13.14; 2,2 bekannte „Deuteengel“ (ĜĔ īĔĖė ĝēğġ), der dem Propheten Rede und Antwort steht, und „ein | anderer Engel“ (īĚē ĝēğġ). Dabei erteilt wahrscheinlich der Deuteengel33 dem anderen Engel den Auftrag, „diesem jungen Mann“ (ęğė īĥģė) eine Botschaft mitzuteilen. Über die Identität dieses īĥģ wird 30 Vgl. dazu Stern, Culture, 47ff, Weippert, Palästina 698f, und Gerstenberger, Israel, 42. Ein Beispiel dafür ist der in der Küstenebene gelegene Tell Megadim. Vgl. Broshi, Megadim, 1001ff. 31 Vgl. Anm. 14. 32 Das Ptz. von ēĩĜ hat hier nicht die übliche Bedeutung „hinausgehen/ausziehen“, sondern „hervorkommen/erscheinen/auftreten“. Vgl. HAL, 406. Wallis, Nachtgesichte, 379ff, hat daraus weitreichende Schlussfolgerungen gezogen. Er gibt zu bedenken, dass es sich bei den Nachtgesichten in Anlehnung an ägyptische Vorbilder um eine Art „Mysterienspiel“ gehandelt haben könne, das in einem kultisch-rituellen Geschehen regelrecht theatralisch zur Aufführung gekommen sei. Die interessante Hypothese veranschlagt allerdings den Aspekt zu gering, dass es sich bei prophetischen Visionen zunächst einmal um mentale, körpergebundene Bilder gehandelt haben dürfte. 33 Welcher der beiden Engel in V. 8 Subjekt und welcher Objekt ist, lässt sich nicht zweifelsfrei klären. Wenn es aber zutrifft, dass der „Deuteengel“ im gesamten Zyklus der Nachtgesichte die Funktion eines himmlischen „Wesirs“ einnimmt, der die von Gott ausgesandten Reiter des himmlischen Heeres am Himmelstor empfängt (1,8–11) und deren auf dem Erkundungsritt gesammelte Informationen JHWH übermittelt (vgl. Lux, Wer spricht mit wem?, 286ff), dann liegt es nahe, dass dieser auch andere Botenengel am Himmelstor mit einem Auftrag ins Irdische entlässt.
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unterschiedlich geurteilt.34 Die plausibelste Lösung ist aber immer noch die von den meisten Kommentatoren vertretene, dass sich die Engelbotschaft an den Mann mit der Messschnur richtete. Denn diese Botschaft hat einen unmittelbaren Sachbezug zu seiner Tätigkeit. Seine Bezeichnung als īĥģ könnte ein Hinweis darauf sein, dass er mit seinem Vermessungsvorhaben nicht aus eigener Autorität, sondern in höherem Auftrag handelte, er also der „Knecht“ oder „Diener“35 einer übergeordneten Instanz gewesen ist.36 Das durch den Engel mitgeteilte JHWH-Wort enthält drei Verheißungen (V. 8b.9a.b). Jerusalem soll die künftige Menge an Mensch und Vieh gar nicht fassen können und daher als „offene“ (ĭĘęīħ) Stadt daliegen. Der irdische Plan einer an persischen Vorbildern orientierten idealen rechteckigen und von Mauern eingefriedeten Stadt37 sollte durch den Plan JHWHs überboten werden.38 Damit wird ein für antike Städte prägendes Baumerkmal aufgehoben, die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenbereich durch eine Stadtmauer. | Es ist nicht ausgeschlossen, dass Sacharja mit dieser Verheißung in eine in Jerusalem heftig geführte Debatte über die öffentlichen Bauvorhaben in frühnachexilischer Zeit eingegriffen hat. Welches Vorhaben sollte Priorität haben, der Tempel oder die Stadtmauer? Gab es Kräfte in der Stadt, die angesichts der mit dem Machtantritt Darei34 Das mit dem Nomen verbundene Demonstrativum ęğė hat anaphorische Bedeutung. Es weist entweder auf den Propheten oder den Mann mit der Messschnur zurück. Rignell, Nachtgesichte, 75, und Biā, Sacharja, 32, vertreten die Auffassung, dass mit dem īĥģ in Entsprechung zu Jer 1,6f der Prophet gemeint gewesen sei. Er solle die Botschaft des Engels entgegennehmen und weitersagen. Da aber Sacharja sonst nie so bezeichnet wird, ist dies wenig wahrscheinlich. Bauer, Zeit, 229f, denkt aus vermessungstechnischen Gründen (zum Ausspannen einer Messschnur sind zwei Personen notwendig) an einen Gehilfen des Vermessungsingenieurs. Dass die himmlische Botschaft aber ausgerechnet an einen Untergebenen und nicht an den Chef des Vermessungsvorhabens weitergegeben werden sollte, ist ebenso wenig plausibel. 35 Zu īĥģ in der Bedeutung von „Knecht“ siehe Fuhs, īĥģ, ThWAT V, und Gen 18,7; 22,3.5.19; 1 Sam 9,3; 25,8.14 u.ö. 36 Meyers/Meyers, Zechariah, 154, denken an einen „official“ im Dienste des Hofes oder Tempels. Wahl, Messen, 260, vermutet hinter dem namenlosen īĥģ einen Beamten der Gemeinde oder des Statthalters Serubbabel. 37 Dass in V. 6 an eine ummauerte Stadt gedacht gewesen sein muss, wird bereits durch die invertive Stellung des Lexems ĭĘęīħ in V. 8b deutlich. Wenn so betont davon die Rede ist, dass das künftige Jerusalem eine offene Stadt sein soll, dann müssen die bisherigen Pläne von einer durch eine Mauer eingefriedeten Stadt ausgegangen sein. Darauf deutet dann auch die zweite Verheißung in V. 9a hin. 38 Diese Verheißung einer offenen Stadt muss nicht zwingend als totaler Widerspruch JHWHs gegen das Vorhaben des Vermessungsingenieurs in V. 6 gelesen werden (so Wahl, Messen, 259ff, oder Elliger, Sacharja, 109f). Sie kann auch als himmlische Überbietung der irdischen Pläne gedeutet werden (mit Vincent, Herrlichkeit, 118f, und Delkurt, Nachtgesichte, 117).
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os I. im gesamten persischen Weltreich ausgebrochenen Unruhen (522/521 v. Chr.) so schnell wie möglich für einen hinreichenden Schutz durch die Wiedererrichtung der Stadtmauer eintraten? Hätte aber solch ein Unternehmen nicht von den Persern als Vorbereitung einer Sezession und Versuch der Wiederherstellung politischer Autonomie Judas missverstanden werden können?39 Trat Sacharja auch aufgrund solcher politischen Erwägungen dafür ein, zunächst einmal dem Wiederaufbau des Tempels Priorität einzuräumen (1,16; 4,6–10a*)? Oder war es eine rein ökonomische Debatte, da angesichts der wirtschaftlich angespannten Situation (Hag 1,6. 9–11; 2,15–17; Sach 8,10) die Mittel zur Realisierung von zwei derartigen Bauvorhaben schlicht nicht vorhanden waren? Angesichts der schmalen Quellenbasis ist eine eindeutige Antwort auf die hier gestellten Fragen nicht möglich. Dass aber hinter dem dritten Nachtgesicht konkrete Debatten über die künftige Gestalt Jerusalems stehen, ist offensichtlich. Und dass sich in diesen Debatten zunächst diejenigen prophetischen Kreise 40 durchsetzten, die dem Wiederaufbau des Tempels absolute Priorität einräumten, ist durch den geschichtlichen Verlauf der Ereignisse, wonach es eben erst unter Nehemia zur Ausbesserung und zum Wiederaufbau der Stadtmauer kam (Neh 2,11–4,17; 6,1–7,3), in sich plausibel. Die Vorstellung von einer „offenen Stadt“ war aber alles andere als eine Verlegenheitslösung.41 Vielmehr steht hinter ihr höchstwahrscheinlich das Konzept der persischen Residenzstadt. Und auch dieses Idealkonzept hatte realpolitische Vorbilder. So konnte P. Marinkoviü zeigen, dass der Plan einer idealen Residenz- und Gartenstadt ohne Mauern durch Kyros II. erst39
Dass ein derartiger mit dem Mauerbau verbundener Vorwurf nicht aus der Luft gegriffen war, wird noch in Neh 2,19f deutlich. Die Befestigung der Stadt wurde als Auflehnung gegen den persischen Reichskönig denunziert. 40 Siehe dazu Lux, Der Zweite Tempel, 133ff. 41 Niemann, Perizziter, 234–242, hat gezeigt, dass das Lexem ĭĘęīħ in Ri 5,7.11 zur „kollektiven Selbstbezeichnung der frühisraelitischen Bauern- und Hirten-Bevölkerung verschiedenartiger Siedlungsformen“ avancierte, die sich den oppressiven Herrschaftsstrukturen der kanaanäischen Stadtstaaten entzogen haben. Sie suchten außerhalb der von befestigten Stadtstaaten beherrschten Territorien in den dünner besiedelten Bergregionen ihr Auskommen. Handelt es sich daher im dritten Nachtgesicht – wie Niemann, Perizziter, 242, Anm. 28, vermutet – um ein sozialutopisches Programm der Rückkehr zur Frühzeit Israels? Sach 2,5–9 unterscheidet sich allerdings in seiner Intention deutlich von Ri 5. Das frühe Israel sah sich offensichtlich als Bevölkerung, die im Gegensatz zu den Bewohnern der kanaanäischen Stadtstaaten „draußen“ im offenen Land und nicht „drinnen“ siedelte. Es definierte sich über einen Stadt-Land-Konflikt. Im dritten Nachtgesicht wird dagegen mit der Verheißung einer offenen Stadt dieser Konflikt zwischen Stadt und Land, Residenz und Provinz sowie das damit verbundene Außen- und Innenbewusstsein aufgehoben (vgl. Vincent, Herrlichkeit 122f).
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malig in | Pasargadae verwirklicht worden ist.42 Solch ein Konzept setzte ein hohes Maß an politischer Stabilität voraus, das unter Kyros II. gegeben war.43 Dass unter der babylonischen Gola und den Rückkehrem in Jerusalem dieses Konzept der offenen Residenzstadt des persischen Weltreiches nicht unbekannt gewesen sein dürfte, liegt nicht nur angesichts des hervorragend ausgebauten persischen Nachrichtensystems nahe. Hier liefen die Fäden der Verwaltung zusammen. Hierhin brachten Delegationen der unterworfenen Völker – wie das Bildprogramm an der Osttreppe des Apadana von Persepolis eindrücklich vor Augen führt44 – regelmäßig dem Reichskönig ihre Gaben. Damit liegt es nahe, dass Sacharja mit der Verheißung eines vor Menge an Menschen und Vieh offenen Jerusalem nicht das Konzept irgendeiner persischen Stadt vor Augen hatte, sondern das der persischen Reichshauptstadt als dem Machtzentrum der damals bekannten Welt. D. L. Petersen hat nachdrücklich darauf hingewiesen, dass auch die Zusage in der zweiten Verheißung (V. 9a), wonach JHWH als „Feuermauer“ (Ĭē ĭġĘĚ) für den Schutz der Stadt sorgen wolle, auf persische Vorstellungen zurückgehe. So sei die Residenzstadt Kyros II. ringsum von Feueraltären umgeben gewesen, die den Schutz des Gottes Ahura Mazda symbolisiert hätten. 45 Die archäologischen Befunde sind allerdings in dieser Frage nicht eindeutig.46 Hier wird man wohl auch an die mit JHWH und seiner Epiphanie verbundene Feuersymbolik denken müssen, die in das Nachtgesicht Eingang fand (Ex 3,2; 13,21f; 19,18; 20,18; Num 9,15; 14,14 u.ö.). Der Feuersymbolik in Gestalt der Feuermauer, die die offene Residenzstadt JHWHs vor äußeren 42
Marinkoviÿ, Stadt, 113–140. Nach der Niederschlagung der Aufstände in den Jahren 522/521 v. Chr. hat Dareios I. dieses Konzept wohl auch für Persepolis übernommen. Siehe Koch, Dareios, 71. 44 Siehe dazu Koch, Dareios, 93–119. 45 Petersen, Zechariah, 171. 46 Es trifft zu, dass in der frühen Achämenidenzeit ein Feuerkult gepflegt wurde, der im Freien vollzogen wurde. So berichtet Herodot, Historien, 131–132, dass man keine Götterbilder, Altäre und Tempel errichtete, sondern die Opferhandlungen unter freiem Himmel vollzog. Die frühesten archäologischen Zeugnisse für diesen Feuerkult der Achämeniden sind zwei Steinsockel außerhalb von Pasargadae sowie das Relief mit der Darstellung Dareios I. vor einem Feueraltar über seinem Grab in Naqš-e Rustam. Hinsichtlich der beiden Steinsockel in Pasargadae (vgl. ihre Abbildung bei Koch, Dareios, 282) vermutet Hutter, Religionen, 233, dass in Entsprechung zu dem Relief in Naqš-e Rustam nur einer dieser Sockel als Feueraltar gedient habe, während auf dem gegenüberliegenden der König gestanden habe, um der im Feuer verehrten Gottheit zu bestimmten Anlässen seine Reverenz zu erweisen. Damit ist zwar ein Feuerkult in frühachämenidischer Zeit außerhalb der Residenzstadt belegt, ob es allerdings eine größere Zahl solcher Feueraltäre gab, die die Stadt umringten und daher die Assoziation einer Feuermauer nahe legten, das muss offen bleiben. 43
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Feinden schützen soll, entspricht schließlich die dritte Verheißung, wonach JHWH in Gestalt seines ĖĘĔĞ im Inneren der Stadt anwesend sein wird (V. 9b). Beide Verheißungen bauen auf einer ihnen gemeinsamen Metaphorik auf, in der JHWH mit Feuer-, Licht- und Glanzerscheinungen in Verbindung gebracht wird (vgl. Ex 24,17; Jes 4,5; 60,1f; Jer 13,16; Ez 1,4 u.ö.). | Diese Feuer-Licht-Metaphorik enthält zwei Aspekte: Heil und Unheil, Furcht und Glanz. Sie haben in der altorientalischen Metapher vom „Schreckensglanz“ (akk. pul¤u melammu), der Göttern und Königen vorausgeht, ihr Vorbild.47 So symbolisieren die „Feuermauer“ und JHWHs „Herrlichkeit“ nicht nur seine äußere und innere Anwesenheit in und um die göttliche Residenzstadt Jerusalem herum, sondern auch seine heilvolle, lichte Präsenz48 sowie sein aggressiv-unheilvolles Vorgehen gegen die Feinde der Stadt und gegen ganz Israel.49 Sacharja überbietet im dritten Nachtgesicht das ideale persische Städtebaukonzept einer rechteckigen mit einer Schutzmauer umgebenen Stadt durch das – von den persischen Reichskönigen entlehnte – Konzept einer offenen Residenzstadt JHWHs. Diese wird von ihm selbst als Feuermauer nach außen geschützt, während er in ihrer Mitte, in seinem Tempel, 50 anwesend sein wird. Dass diese Verheißung von JHWHs ĖĘĔĞ in der Mitte der Stadt unübersehbar an die beiden Tempelvisionen Ezechiels vom Auszug (Ez 10; 11,22–24) und seinem Wiedereinzug (Ez 43,1–5) in die Stadt und den Tempel anklingt, ist ein weiterer Hinweis auf die engen Verbindungen zwischen den Städtebaukonzepten Ezechiels und Sacharjas.
3. Die Ezechielschule So wie das dritte Nachtgesicht des Sacharja mit den Motiven vom „Mann mit der Messschnur“, der ein rechteckiges Tempel- bzw. Stadtareal in seiner Länge und Breite ausmisst, und mit der Verheißung vom Wiedereinzug bzw. von der erneuten Anwesenheit des ėĘėĜ ĖĘĔĞ in Stadt und Tempel al47 Siehe dazu Weinfeld, ĖĘĔĞ, ThWAT IV, 30f; Hartenstein, Unzugänglichkeit, 69–76; ders., JHWH, 86ff. 48 Vgl. Ex 40,34f; Num 17,7; 1 Kön 8,11; Jes 4,5; 24,23; 60,1f; Ez 10,4; 43,2–4; Ps 24,7ff; 26,8; 63,3; 96,8; 102,17; 2 Chr 5,14; 7,1ff. 49 Ex 9,32; 14,24; 20,18; Lev 10,2; Num 3,4; 11,13; Dtn 4,24; 9,3; 32,22; 2 Kön 1,10; Jes 9,18; 10,16 u.ä. 50 Wenn in V. 9b von der Anwesenheit JHWHs in der Mitte der Stadt (ėĞĘĭĔ) die Rede ist, dann bedeutet das nicht zwingend, dass damit sein Wohnen im Tempel gemeint sein muss. Allerdings deuten die Fortschreibungen des Nachtgesichtes in Sach 2,14f sowie Sach 1,16; 4,6–10a* darauf hin. Auch sonst suchte man das Heiligtum JHWHs in der Mitte (ĝĘĭĔ) seines Volkes (Lev 15,31; 16,16; 26,11; Ez 37,26.28; 43,7).
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ler Wahrscheinlichkeit nach an Ezechiel anknüpft, so hat die Ezechielschule wiederum die Nachtgesichte des Sacharja fortgeschrieben. In der Perikope von Gog aus Magog (Ez 38–39) 51 wird unübersehbar auf den Korpus der Nachtgesichte des Sacharja zurückgegriffen. Diese Perikope verdankt ihre gegenwärtige Gestalt einem intensiven Fortschreibungsprozess.52 Vor allem in den sekundären Zusätzen, aber auch darüber hinaus finden sich zahlreiche Lexeme, die in ganz ähnlichen thematischen Zusammenhängen | auch in den Nachtgesichten des Sacharja begegnen. Gog, der Feind aus dem „Norden“ (ĢĘħĩ), schmiedet unheilvolle Pläne „gegen ein offenes Land“ (ĭĘęīħ ĨīēČğĥ), gegen die „Stillen“ (ĠĜěĪĬė) und Friedlichen, die in Städten ohne „Mauer“ (ėġĘĚ) leben (Ez 38,11 Ƥ Sach 1,12; 2,8.9). Er will „Beute“ (ğğĬ) machen (Ez 38,12f), wird aber in seiner Gier schließlich selbst zur Beute der Beraubten (Ez 39,10 Ƥ Sach 2,13). Dann wird JHWH „eifern“ (ēģĪ) wie ein brennendes „Feuer“ (Ĭē) für sein bedrohtes Volk (Ez 38,19; 39,6 Ƥ Sach 1,14; 2,9). Die Stichworte ließen sich noch vermehren.53 Für die Abhängigkeit dieser Ezechieltexte von Sacharja spricht nicht nur der Befund, dass vor allem Ez 38,10–13 und 39,10 von den allermeisten Auslegern als sekundäre Stücke innerhalb der Gog-Perikope betrachtet werden.54 Auch sachlich setzt die Gog-Perikope eine andere Situation voraus als die Nachtgesichte. Nach Ez 38–39 hat JHWH bereits sein dem Schwert entronnenes und in die Gola zerstreutes Volk auf den Bergen Israels gesammelt, auf denen es in einem offenen, nur von ihm geschützten Land sicher und in Wohlstand lebt (Ez 38,8.12). „Ezechiel“ schaut damit auf ein Geschehen zurück, das von Sacharja noch als unmittelbar bevorstehend betrachtet wird (Sach 2,10ff; 6,15). Das von JHWH seinem Volk Israel gewährte, aber keineswegs unangefochtene Heil sollte nach der Ezechielschule auch im letzten großen Angriff des von Gog geführten Endzeitkampfes Bestand haben. Die Nachtgesichte des Sacharja richten ihren Blick auf das „Nächste“, die unmittelbare Jetztzeit. Die Ezechielschule hingegen wagt in 38–39 den „Schritt des hörenden Nachdenkens in das Nachnächste“55. Bei „Ezechiel“ geschieht dies, „damit die Völker mich (JHWH) erkennen“ (Ĝĭē ĠĜĘĕė ĭĥĖ Ģĥġğ) und somit als einzigen Gott anerkennen (Ez 38,16.22; 39,6f). Sacharja hingegen ringt in Juda und Jerusalem um sei51
Die Kapitel über Gog aus Magog, den Anführer einer israelfeindlichen Völkerkoalition, der zur großen Endzeitschlacht auf den Bergen Israels antritt, hat wahrscheinlich in dem lydischen König Alyattes (um 600 v. Chr.) eine historische Vorlage (vgl. Högemann, Gog, NBL 1, 897). Bei Ezechiel wird diese historische Figur mythisch aufgeladen und zur Endzeitgestalt ausgestaltet. 52 Siehe Zimmerli, Ezechiel, 933ff, und Pohlmann, Hesekiel, 509ff. 53 Vgl. zu weiteren Bezügen Bosshard-Nepustil, Rezeptionen, 380f. 54 So u.a. Zimmerli, Ezechiel, 954ff, und Pohlmann, Hesekiel, 509f. 55 Zimmerli, Ezechiel, 946.
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ne eigene offensichtlich in Frage gestellte Anerkennung (ėĘėĜČĜĞ Ġ ĭĥĖĜĘ ĜģĚğĬ ĭĘēĔĩ) als wahrer Prophet (Sach 2,13.15; 4,9; 6,15). Aus all den hier genannten Gründen kann man die Gog-Perikope als einen prophetischen Midrasch zum Korpus der Nachtgesichte lesen, der wichtige Motive und Lexeme aus diesen aufnimmt und in ein grandioses Endzeitdrama einzeichnet. Dabei werden die im dritten Nachtgesicht auf Jerusalem fokussierten Aussagen, nach denen es eine offene und von einer Feuermauer umgebene Stadt ist, auf das gesamte Land und die Völkerwelt ausgeweitet. Diese Ausweitung der Aussagen über Jerusalem auf das Land Israel finden sich schließlich auch in den ebenfalls sekundären Landverteilungsplänen im Rahmen des Verfassungsentwurfes des Ezechiel (Ez 45,1–6; 48,8–22). So wie die Gog-Perikope die Vorstellung von der offenen Residenzstadt Jerusalem (Sach 2,8) übernimmt und auf das Land überträgt (Ez 38,11), so übernehmen die Landverteilungspläne das Konzept des an persischen Vorbildern orientierten Städterechtecks (Sach 2,6) und weiten es aus auf die 25000 x 25000 Ellen | umfassende ėġĘīĭ (48,9–20), ein exakt abgegrenztes Quadrat, in dem der sakrale Bezirk von der profanen Stadt streng getrennt worden ist. Damit werden die bei Sacharja an realen Vorbildern orientierten idealen Städtebaukonzepte, auf deren innergeschichtliche Verwirklichung man hoffte, durch die Ezechielschule eschatologisiert und zu einer Utopie ausgebaut, die alle Dimensionen geschichtlicher Erfahrungen und Hoffnungen weit hinter sich ließ. M. Konkel hat zutreffend erkannt, dass die zweite Tempelvision Ezechiels (Ez 40–48) in der nachexilischen Zeit auch als „Kritik an der Kultpraxis des Zweiten Tempels“ gelesen worden ist. Um aber als dauerhaftes kritisches Korrektiv wirksam werden zu können, habe man dann der zweiten Tempelvision die Gog-Perikope (Ez 38–39) vorangestellt. Dieser neue literarische Zusammenhang eröffnete eine Endzeitperspektive, nach der es in Ez 40–48 nicht mehr um den zweiten in Jerusalem wieder zu errichtenden Tempel ging, sondern um einen idealen Endzeittempel, an dem sich jedes innergeschichtliche irdische Heiligtum künftig messen lassen müsse.56 Liest man den Gesamtzusammenhang Ez 38–48 auf dem Hintergrund der Nachtgesichte des Sacharja, dann gilt diese Feststellung Konkels nicht nur für den Tempel, sondern auch für die Stadt Jerusalem. Die Idealkonzepte vom neuen Jerusalem (Rechteck – offene Stadt), die in frühnachexilischer Zeit zur Debatte und zur künftigen Realisierung anstanden, werden erneut aufgegriffen und eschatologisiert. Das endzeitliche Jerusalem wird in die ĬĖĪė ĭġĘīĭ von 25000 x 25000 Ellen mit einbezogen (Ez 48,20), wobei es allerdings als profane Stadt vom sakralen, hochheiligen ĠĜĬĖĪ ĬĖĪ 56
Konkel, Ternpelvision, 164–175.
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Tempelbezirk (43,12; 45,3; 48,12) abgegrenzt bleibt. Das ewige Jerusalem liegt im heiligen Quadrat, und doch rücken – dem Prinzip gestaffelter Sakralität entsprechend – Stadt und Tempel auseinander, werden in sakrale und profane Sphären geschieden, in einen „weltlichen“ und einen „geistlichen“ Bereich.
Die Kinder auf der Gasse Ein Kindheitsmotiv in der prophetischen Gerichts- und Heilsverkündigung 1. Väter und Söhne am Ende des Prophetenkanons „22Gedenkt der Tora des Mose, meines Knechtes, die ich ihm befohlen habe am Horeb über ganz Israel, der Satzungen und der Rechte. 23Siehe, ich sende euch Elija, den Propheten, bevor der Tag JHWHs kommt, der große und der furchtbare. 24Und er wird das Herz der Väter zu den Söhnen umkehren lassen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern, damit ich nicht komme und schlage das Land mit einem Bann.“ (Mal 3,22–24)
Auf den ersten Blick hat dieser Anhang an das Maleachibuch 1 mit seinem eschatologischen Ausblick auf den Tag JHWHs nur sehr bedingt etwas mit der Frage nach der Rolle von Kindern und Kindheit in der prophetischen Literatur zu tun. Denn mit den Söhnen, von denen hier die Rede ist, sind ganz bestimmt keine Kinder im Sinne einer abgrenzbaren Altersgruppe gemeint, sondern Erwachsene, die bereits auf eine – wahrscheinlich durch die Hellenisierung im ausgehenden 3. Jh. v. Chr. forcierte2 – Verwerfung und Beziehungsstörung zu ihren Vätern zurückblicken. Der Plural der Nomina Ĕē und ĢĔ dient in diesem Falle – wie auch sonst häufig3 – der Beschreibung einer unaufhebbaren Relation der Generationen zueinander. Söhne und Töchter bleiben ja zeit ihres Lebens immer Kinder von Vätern und Müttern, auch wenn sie selbst bereits auf Kinder und Kindeskinder zurückschauen dürfen.4 | 1 Zur Begründung siehe Graf Reventlow, Maleachi, 160; Rudolph, Maleachi, 291; Meinhold, Mose, 30. 2 Vgl. Rudolph, Maleachi, 292, und Meinhold, Mose, 31f, mit Verweis auf den in Jub 23,16–21 angesprochenen Generationenkonflikt. 3 Vgl. Ex 20,5; 34,7; Num 14,18; Dtn 5,9; 24,16; 2 Kön 14,6; Jer 6,21; 13,14; 31,29; Ez 18,2 u.ö. 4 Am deutlichsten wird dieser Sachverhalt durch den häufigen Gebrauch der Filiation zum Ausdruck gebracht. Die Söhne definieren sich über ihre Väter und Vorväter. Ja,
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Und doch enthält diese kanontheologische summa5 einige Aspekte, die auch im Zusammenhang unseres Fragens nach dem Kind und der Kindheit von Bedeutung sein können. Da wird das Ganze der Geschichte Israels vom Erzpropheten Mose (Dtn 18,18; 34,10) bis zum Endzeitpropheten Elija in den Blick genommen. Mose soll als paradigmatischer Mittler und Lehrer der Tora, der am Anfang der Geschichte des Volkes stand, erinnert werden.6 In dieser Funktion nimmt er die vornehmste Pflicht an „ganz Israel“ (ğēīĬĜ ğĞ) wahr, die nach der deuteronomischen Lehr- und Lerntradition die Väter an ihren Kindern zu erfüllen hatten (Dtn 4,9f; 6,6f.20ff; 11,18ff; 31,12f; 32,46). Als erster Lehrer der Tora ist er, Mose, der „Vater“ Israels schlechthin.7 Und jeder Vater in Israel ist als Toralehrer seiner Kinder ein Abbild des Mose, repräsentiert seine Stimme. Die Tora ist das Band, das Eltern und Kinder miteinander verbindet und zur kollektiven Identitätsstiftung beiträgt.8 Wo sie nicht mehr erinnert wird, da zerfallen die Generationen – ein Zustand der Zwischenzeit, zwischen der fundierenden Frühzeit des Mose und dem Elija redivivus.9 Dieser Elija ist der Lehrer der Endzeit. Vor dem bereits in Mal 3,16–21 angekündigten Tag JHWHs, an dem Gott erscheint, um Gericht zu halten, kehrt Elija wieder. Er bereitet Israel auf diesen Gerichtstag durch die Umkehr der Väter zu den Söhnen und vice versa der Söhne zu den Vätern vor. Der Zusammenhalt der Generationen ist danach eine Voraussetzung für die Versöhnung Gottes mit seinem Volk, die in Mal 3,17 – unter Verwendung der Mann-Sohn-Metaphorik – am Tag JHWHs Wirklichkeit werden soll. Ziel dieser endzeitlichen Versöhnung der Generationen untereinander und mit ihrem Gott ist die Bewahrung Israels vor dem Bann, der Vernichtungsweihe, die dem Lande droht. Bereits in der Pädagogik des Deuteronomiums wurde dieser Konnex zwischen der die Generationen verbindenden Toraunterweisung der Kinder und einem langen und friedlichen Leben im Lande hergestellt. So heißt es in der letzten Weisung der Tora des Mose an Israel: | in | den Genealogien werden „durch Kinder Raum und Zeit“ geradezu erschlossen. Vgl. zu diesem Aspekt Fischer, Lust, 72f. 5 Siehe dazu die einschlägigen Kommentare, sowie Steck, Abschluß, 127ff, und Crüsemann, Elia, 149ff. 6 Vgl. die Wurzel Ėġğ Pi. mit Mose als Subjekt in Dtn 4,1.5.14; 5,31; 6,1; 31,22. 7 Lohfink, Glaube, 160: „Mose ist der große, archetypische Lehrer Israels.“ 8 Zum Lehren und Lernen der Tora im Dtn siehe Lohfink, Glaube, 144–166; Braulik, Deuteronomium, 14f; Assmann, Gedächtnis, 212–228, sowie Finsterbusch, Identität, 99–120, und Breitmaier, Lehren. 9 Die Vorstellung vom Elija redivivus fand in frühjüdischer Zeit breite Aufnahme. Vgl. zu seiner Geschichte und Funktion Beyerle, Erwägungen, 55–71, und Kellermann, Elia Redivivus, 72–84.
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„46Und er sprach zu ihnen: Nehmt euch zu Herzen alle Worte, die ich euch heute bezeugt habe, damit ihr sie euren Kindern (ĠĞĜģĔ) gebietet, auf dass sie bewahren und tun alle Worte dieser Tora. 47Denn das ist kein leeres Wort für euch, sondern es ist euer Leben. Und durch dieses Wort werdet ihr lange leben in dem Lande, in das ihr über den Jordan zieht, um es in Besitz zu nehmen.“ (Dtn 32,46f)10
Der Abschluss des Prophetenkanons ruft also mit seiner Mahnung zur Erinnerung der Mosetora vom Horeb und seiner Verheißung der – durch Elija gewirkten – endzeitlichen Versöhnung der Generationen als Voraussetzung für die Bewahrung des Landes vor der Vernichtungsweihe das Motivbündel „Mosetora – Väter und Söhne/Eltern und Kinder – Leben/ Tod im Lande“ noch einmal auf.11 Es gehörte offensichtlich zu der Überzeugung des anonymen Verfassers des Maleachiepilogs, dass das immer neue Vergessen und nicht die Erinnerung der Tora die Zeit der Propheten dominierte. Schon in der Anklage der Priesterschaft durch den Propheten Hosea wurde das auf die geradezu talioartige Formel gebracht: „Weil du die Erkenntnis verworfen hast, verwerfe ich dich als meinen Priester. Und weil du die Tora deines Gottes vergessen hast, vergesse ich deine Söhne, ja ich!“ (Hos 4,6)
Hans Walter Wolff hält es für „das Wahrscheinlichste, dass er [Hosea, R.L.] die Schuld des Priesters in der bewussten Vernachlässigung der Überlieferungs- und Lehraufgaben sah, die mit der frühen Offenbarung Jahwes als des Bundesgottes Israels gegeben waren.“12 Diese Gottvergessenheit Israels, die in der Tora- und Geschichtsvergessenheit konkret wurde, hatte schmerzliche Folgen. Sie führte nicht nur zu einer drohenden Auflösung der kollektiven Identität des Volkes. Sie forderte vielmehr darüber hinaus im Zuge des Gerichtshandelns JHWHs auch ihre Opfer, unter denen die Propheten der Kinder immer wieder in besonders hervorgehobener Weise gedenken. |
2. Das Gerichtshandeln JHWHs und die Kinder Die Propheten sprechen in vielfältiger Weise von Kindern. So dient die Eltern-Kind-Metaphorik der Beschreibung des Verhältnisses JHWHs zu sei10
Vgl. auch Dtn 11,18–25; 30,15–20 und die in Anm. 8 genannten Arbeiten. Zur damit verbundenen Kanontheologie siehe auch Rendtorff, Theologie I, 290f. 12 Wolff, Hosea, 97. Dass dieses priesterliche Vergessen der Tora nach Hosea schlimme Folgen für den familiären Zusammenhalt haben würde, darauf verweist er mit der Ankündigung des Unheils für die „Mutter“ und die „Söhne“ (4,5f). Siehe dazu Jeremias, Hosea, 65f. 11
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nem Volk Israel. Dabei kann JHWH sowohl väterliche als auch mütterliche Züge tragen. Er wird von den Israeliten als Vater (Ĕē)13 angerufen und anerkannt (Jes 63,16; 64,7; Jer 3,4.19; Mal 2,10) und besteht diesen gegenüber auf seiner Ehre (Mal 1,6), so wie nach dem Dekalog erwachsene Kinder (aber ganz bestimmt nicht nur diese!) ihre Eltern ehren sollen (Ex 20,12; Dtn 5,16).14 Nach Jes 1,2 hat er Söhne (ĠĜģĔ) – hier geschlechtsneutral im Sinne von Kindern – „großgezogen und hochgebracht“ (ĜĭġġĘīĘ ĜĭğĖĕ), eine Aussage, die deutlich mütterliche Konnotationen enthält.15 Und in Jesaja 66,13 wird er schließlich mit einer Mutter (Ġē) verglichen, die ihre Kinder tröstet.16 Diese auf JHWH bezogene Eltern-Kind-Metaphorik kann uns manchen Aufschluss über Sichtweisen und Wertungen sowie das Gelingen und Misslingen der Eltern-Kind-Beziehung im Israel des 1. Jt. v. Chr. geben. Dabei begegnet JHWH häufig in der Rolle des Erziehers, der seine Kinder straft (ĚĞĜ),17 zurechtweist und züchtigt (īĤĜ).18 Dass das Erziehungswerk JHWHs19 allerdings auch nur von begrenztem Erfolg gekrönt war, mag cum grano salis irdische Eltern trösten. So führt schließlich der Ungehorsam der Kinder Israels zu einem schweren Zerwürfnis zwischen ihnen und JHWH, ihrem Vater und Erzieher, das geradezu in der Katastrophe, dem Strafgericht, enden muss: „Und ich werde sie zerschlagen, einen am anderen, Väter und Söhne zusammen – Spruch JHWHs. Ich werde kein Mitleid haben (ğĘġĚē ēğ) und werde nicht verschonen (ēğĘ ĤĘĚē) und werde mich ihrer nicht erbarmen ( ĠĚīē ēğĘ), dass ich sie nicht verderbe.“ (Jer 13,14)20 |
Im Folgenden soll dieser Eltern-Kind-Metaphorik nicht weiter nachgegangen werden. Unsere Überlegungen konzentrieren sich vielmehr auf einen Aspekt, mit dem die Propheten das Geschick von realen und nicht meta-
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Zur metaphorischen Rede von Gott als Vater siehe vor allem Vanoni, Vater, 38ff, und Böckler, Gott. 14 Siehe die Wiederaufnahme der Wurzel ĖĔĞ Pi. in Mal 1,6. 15 Vgl. dazu Kessler, Söhne, 134ff, und Beuken, Jesaja 1–12, 70, mit weiteren Verweisen auf die Verwendung von ğĖĕ und ĠĘī im Kontext mütterlicher Verhaltensweisen in Jes 23,4; 49,12; 51,18; Hos 9,12. 16 Hier handelt es sich um die einzige Stelle, an der das Nomen Ġē expressis verbis auf JHWH bezogen wird. Wollte man ihn vor jeglicher Annäherung an den Typus der Muttergottheit schützen? Siehe Kühlewein, Ġē, THAT I, 177. In Hos 11 ist JHWH nicht zwingend als Mutter vorgestellt. Siehe dazu die unterschiedlichen Voten von Schüngel-Straumann, Gott, 119–134, und Kreuzer, Gott, 123–132. 17 Vgl. Jes 37,3f und Fischer, Lust, 80f. 18 Jes 8,11; 28,26; Jer 10,24; 30,11; 31,18; 46,28; Hos 7,12.15; 10,10. 19 Zu Gott als Erzieher siehe Delkurt, Erziehung, 248ff. 20 Siehe Fischer, Jeremia 1–25, 457.
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phorischen Kindern in dem hier angesagten Gerichtshandeln JHWHs beschreiben. 2.1. Kinder und ihre Lebensräume Die möglicherweise als „Hochzeitssegen“21 dienende Seligpreisung des Gottesfürchtigen in Ps 128, der sich von seiner Hände Arbeit ernährt, mündet in die Zusagen: „2Den Ertrag deiner Hände sollst du gewisslich essen, glücklich (bist) du und gut geht es dir. 3Deine Frau ist wie ein fruchtbarer Weinstock im Innern deines Hauses (ĝĭĜĔ ĜĭĞīĜĔ), deine Söhne/Kinder (ĝĜģĔ) sind wie Schösslinge des Ölbaumes rings um deinen Tisch (ĝģĚğĬğ).“22 (Ps 128,2f)
Hermann Gunkel kommentiert diesen Text mit den Worten: „Ja, in überschwenglichem Bilde wünscht der Psalm, daß des Frommen Weib so fruchtbar werde wie der Weinstock, der über und über mit köstlichen Früchten bedeckt ist [...], und daß seine Kinder so fröhlich gedeihen mögen wie die frischen Setzlinge vom Ölbaum; [...] Und freundlich ausmalend fügt der Dichter – das Bild verlassend – auch die Stätte hinzu, wo Weib und Kinder leben. Das Weib gebiert die Kinder im hintersten Winkel des Hauses [...], der etwa durch Tücher verhängt ist. Die lieben Kinderlein aber, die sich am Tage zum Spiel überallhin zerstreuen, mag man zählen, wenn es zum Essen geht; dann sitzen sie – so viele sind ihrer – ‚rings um den Tisch‘.“23 Auch für Rudolf Kittel handelt es sich bei Ps 128 um ein „überaus liebliches kleines Gemälde aus dem häuslichen Leben Altisraels: Vater und Mutter im stillen Frieden einer beglückenden Häuslichkeit. – Der Vater, befriedigt und mit den Früchten lohnender Feldarbeit vom Acker heimkehrend, die Mutter drinnen im Hause sittsam waltend, die Kinder, die Hoffnung des Hauses um den Tisch sitzend.“24 | Was die drei zitierten Bikola des Psalms beschreiben, ist aber mehr als nur ein „idyllisches Bild“ vom bürgerlichen oder auch bäuerlichen „Segensglück der Familie“.25 Die Wendung ĝĭĜĔ ĜĭĞīĜĔ im zweiten Bikolon kennzeichnet den hintersten bzw. innersten Raum des Hauses als primären Lebens- und Schutzraum der Frau(en)26 und im dritten Bikolon den ĢĚğĬ, 21
Seybold, Psalmen, 490. Zum Bildgehalt vgl. Weippert, Kinder, 163ff. 23 Gunkel, Psalmen, 557. 24 Kittel, Psalmen, 398. 25 So Kraus, Psalmen II, 863. 22
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den Tisch bzw. die ausgelegte „Tischmatte“27, als Sammelpunkt der Kinder und der ganzen Familie. Das Haus kommt damit vor allem als Binnenbezirk des täglichen Lebens der Frauen und Kinder in den Blick. Die Häuser waren in der Regel als Hofhäuser angelegt und verfügten in den Dörfern der frühen Eisenzeit einschließlich des Hofes über eine durchschnittliche Grundfläche von 50 bis 100m2,28 in den wohlhabenderen Vierteln der Städte bis zu 150m 2,29 auf denen nicht nur die Großfamilie, sondern auch noch Haustiere Platz finden mussten. Dass sie als privater Rückzugsraum für Frauen, Säuglinge und Kleinkinder dienten, versteht sich von selbst.30 Für heranwachsende Kinder mit ihrem natürlichen Bewegungsdrang dürften aber die öffentlichen Räume der Stadt, die Gassen und Plätze | an den Stadttoren31 schon bald eine wichtige Rolle gespielt haben und von besonderem Interesse gewesen sein. Zur Bezeichnung dieser öffentlichen Räume stehen fast durchweg zwei Begriffe zur Verfügung: ĔĚī, von LXX meist mit platei/a wiedergegeben, bezeichnet einen „öffentlichen Platz“ vor allem in Verbindung mit dem Stadttor, aber auch mit Tempel- und Palastanlagen, der für kommerzielle, 26
Weber, Psalmen II, 303, weist darauf hin, dass das Nomen ėĞīĜ „Hinterteil, Hinterseite“ auch eine sexuelle Konnotation haben könnte. Liegt damit ein Hinweis auf die Fruchtbarkeit der Frau in V. 3a vor? Wird der hinterste bzw. innerste Raum des Hauses auch als derjenige gekennzeichnet, der dem Intimleben von Mann und Frau vorbehalten ist? 27 So Seybold, Psalmen, 490, und KBL IV, 1407. 28 Siehe Zwingenberger, Dorfkultur, 205–267. 29 Vgl. Zwickel, Welt, 23. 30 Zu den archäologischen Befunden vom Haus als familiären Lebensraum siehe Meyers, Family, 14–17. Sie weist darauf hin, dass die sogenannten Drei- oder Vierraumhäuser der neugegründeten Dörfer im judäischen und samarischen Bergland der E-I-Zeit zutreffender als „pillared-houses“ bezeichnet werden sollten, die wahrscheinlich über weitere Räume im Obergeschoss verfügten. Diese dienten vor allem als Wohnbereich für die Familien, während das Untergeschoss die Wirtschafts- und Vorratsräume enthielt, in dem auch das Vieh untergebracht wurde. Darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass sich zahlreiche Kochstellen und Öfen außerhalb der Gebäude befanden. So kommt Meyers, Family, 16, zu dem Schluss: „The main courtyard areas of the Iron I dwellings [...] were probably outside the living-stabling-storage components of the house itself. In looking at the location on these external courtyard areas in relation to the domestic units, certain configurations of indoor and outdoor space become apparent: that is, the house appears in clusters of two or three, with one or more walls common, apparently sharing common space. Each group is separated from other ones, sometimes by enclosure walls, in other instances by pathways or passageways winding through the Iron I hillside hamlets.“ 31 Zum Stadttor und dem mit ihm verbundenen Areal als Ort von Handel, Kommunikation, Rechtsprechung und Kult siehe Herzog, Stadttor; Weippert, Palästina, 440f, 551ff; Bernett/Keel, Mond.
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Land – Stadt – Tempel
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administrative, judikative und sonstige gemeinschaftliche Angelegenheiten genutzt wurde.32 Mit dem Platz assoziiert man bereits von seiner Etymologie her (ĔĚī „weit, breit sein“) Weite, mit der Gasse (ĨĘĚ) hingegen Enge. Wer sich das vor allem durch die agglutinierende Bauweise eisenzeitlicher Städte33 entstandene Gewirr enger Gassen mit ihren unzureichenden hygienischen Bedingungen ins Bewusstsein ruft – immer wieder ist vom Dreck auf der Gasse die Rede34 –, den dürfte es nicht verwundern, dass das Nomen ĨĘĚ im Prophetenkorpus ganz überwiegend negativ konnotiert ist.35 Bei ihm handelt es sich ja um einen polysemen Begriff, der lediglich unterschiedliche Außenräume von Häusern oder Städten im Gegensatz zu den Innenräumen kennzeichnet. So wird das Nomen in LXX am häufigsten einfach mit e;xw, evxw,teroj, aber auch mit o`do,j, e;xodoj oder platei/a übersetzt. Auf den ĭĘĩĘĚ wurden Frauen vergewaltigt (Ri 19,25), Menschen von den Hufen der Kriegsrosse zerstampft und vom Schwert erschlagen (Ez 26,11), durch sie kriechen Seuchen, Pest und Blutvergießen (Ez 28,23), Leute werden ausgeraubt (Hos 7,1) und der Faule drückt sich vor der Arbeit, weil er einen Löwen auf der Gasse fürchtet (Spr 22,13). Und wenn die Gassenjungen außerhalb der Stadt den Propheten Elischa als Kahlkopf verspotten, dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn sie der wirkmächtige Fluch des Propheten trifft und zweiundvierzig Kinder (ĠĜĖğĜ) zur Strafe von zwei Bären zerrissen werden (2 Kön 2,23f).36 Außenräume werden überwiegend als bedrohlich und gefährlich empfunden, während Innenräume zwar keinen absoluten, aber doch wenigstens einen relativen Schutz gewähren (Jos 2,18ff). Gerade | aber in diesem öffentlichen Raum außerhalb der Häuser werden die Kinder in den Gerichtsansagen der Propheten angesiedelt. 2.2. Der Tod auf der Gasse In dem wahrscheinlich ältesten Abschnitt einer Strafpredigt Nahums gegen Ninive verweist der Prophet auf das Schicksal der Stadt Theben, die durch den Assyrerkönig Assurbanipal (668–626 v. Chr.) auf seinem zweiten Ägyptenfeldzug (664 v. Chr.) eingenommen werden konnte:37 32
Siehe Bartelmus, ĔĚī, ThWAT VII, 456ff. Vgl. dazu Fritz, Stadt, 61ff.117f. 34 Vgl. īħ in 2 Sam 22,43; Ps 18,43; ėĚĘĤ in Jes 5,25; īġĚ in Jes 10,6; ėĖĕ in Ez 7,19; ěĜě in Mi 7,10; Sach 9,3; 10,5. 35 Siehe Jes 15,3; 24,11; 51,20.23; Jer 6,11; 9,20; 51,4; Ez 7,15; 11,6; 26,11; 28,23; 34,21; Hos 7,1; Am 5,16; Nah 2,5; 3,10; Zef 3,6. Vgl. auch 1 Kön 21,19; Ps 31,12; 41,7; Spr 7,12; 22,13; Klgl 1,20; 2,19.21; 4,1.5.8.14. 36 Siehe zu dieser Prophetenanekdote, mit der die Wirksamkeit der Worte Elischas auch zum Unheil demonstriert wird Würthwein, Könige, 278. 33
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Die Kinder auf der Gasse
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„8Bist du (Ninive) denn besser als No-Amen (=Theben), das an den Strömen lag, Wasser rings um sie her, deren Heer ein Meer und Wasser38 ihre Mauer war? 9Kusch war ihre Stärke und Ägypten ohne Ende. Put und Lybier waren ihre39 Hilfe. 10Sogar sie musste in die Verbannung, sie ging in die Gefangenschaft. (Und) auch ihre Kinder (ėĜğğĥ) wurden zerschmettert an jeder Straßenecke (ĭĘĩĘĚČğĞ ĬēīĔ). Und über ihre Vornehmen warf man das Los, und all ihre Großen wurden in Ketten gelegt.“ (Nah 3,8–10)
Diese Schilderung des Schicksals von Theben wird man kaum als Augenzeugenbericht lesen dürfen. Die Darstellung der Einnahme der durch Wassergräben geschützten Stadt40 und der Verschleppung ihrer Oberschicht folgt literarischen Konventionen. Und zu diesen Konventionen gehört das | Motiv vom Tod der Kinder auf den Gassen und Plätzen einer Stadt. 41 Zwar boten – wie wir noch sehen werden – auch die Häuser im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen keine hinreichende Sicherheit, aber im öffentlichen Raum der Straßen und Plätze sowie nicht zuletzt außerhalb der Städte und Siedlungen gehörten Kinder auf grund ihrer Wehrlosigkeit in gesteigertem Maße zu den gefährdeten Personengruppen. 37 Zum geschichtlichen Hintergrund siehe vor allem Onasch, Eroberungen, 156–158; Schneider, Nahum, 63–73; Perlitt, Nahum, 32f; Veenhof, Geschichte, 271, und Assmann, Ägypten, 372f. Assmann weist darauf hin, dass diese Eroberung Thebens, der heiligen Stadt Amuns, ein überaus folgenreicher Schock gewesen sein muss, der allerdings kaum in ägyptischen Quellen einen Niederschlag fand. Die Wellen dieses ägyptischen Bebens wurden aber wohl noch im Jerusalem Manasses (699–643 v. Chr.) durch den Propheten Nahum registriert. 38 Lies mit LXX (u[dwr) und V (aquae) Ġ ĂĜ ąġ statt ĠĆĜġĂ . 39 Lies mit LXX bohqoi. auvth/j = Ţ ĆĭīĆ Ąĥşþ . 40 Zur Lage und Baugeschichte von Theben siehe Kees, Ägypten, 142–175, und Schneider, Nahum, 65. 41 Frau E. Feucht hat mich dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht, dass Motive aus Nah 3,8–10 bereits in den Mahnworten des Ipuwer (Ende des AR?) begegnen. In Admonitions 4,3 heißt es: „Forsooth, the children of princes are dashed against the walls“ (vgl. Nah 3,10aƞ); und Admonitions 2,7–8ƞ lautet: „Forsooth, the wealthy are in mourning. The poor man is full of joy. Every town says: let us suppress the powerful among us“ (vgl. Nah 3,10b). Übersetzung nach Gardiner, Admonitions, 26.36. Vgl. dazu auch den ersten Hinweis von Feucht, Kind, 367, Anm. 1827. Da das Motiv vom Zerschmettern der Kinder an Mauern oder auf den Straßen in zeitlich und geographisch weit voneinander entfernten Kulturräumen begegnet (vgl. auch Ps 137,8f; Jes 13,16; Hos 14,1), hat man es wohl eher mit einer konventionellen Darstellung von Kriegserfahrungen als mit der Schilderung eines konkreten geschichtlichen Geschehens zu tun.
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Land – Stadt – Tempel
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Die auf den Gassen getöteten Kinder Thebens sollten nicht nur Ninive als Warnung dienen. Auch Jerusalem würde diesem Geschick nicht entgehen. So klagt Jeremia JHWH die Wirkungslosigkeit seiner Predigt: „10Zu/gegen wem/ n42 soll ich reden? Und (wem) soll ich’s bezeugen, dass sie hören? Siehe, unbeschnitten ist ihr Ohr, sodass sie nicht vermögen aufmerksam zu sein. [...] 43 voll bin ich der Zornesglut JHWHs, 11Ich aber, zu müde bin ich (sie) zurückzuhalten. Gieß aus über dem Säugling auf der Gasse (ĨĘĚĔ ğğĘĥ) und über der Clique der jungen Männer (ĠĜīĘĚĔ ĖĘĤ)44 miteinander. Ja, auch Mann samt Frau sollen gefangen genommen werden und der Alte samt dem, dessen Tage erfüllt sind.“ (Jer 6,10–11)
Die Hörunwilligkeit und -unfähigkeit45 gegenüber dem Wort des Propheten führen dazu, dass dieser sich in seinem heiligen Zorn mit JHWH gleichsam zusammenschließt. Er kann den in ihm aufsteigenden Gotteszorn nicht | mehr zügeln. Und so folgt in V. 11aƞ die Aufforderung JHWHs an den Propheten (?)46, seinem Zorn doch freien Lauf zu lassen, ihn über den Kindern und Jugendlichen auf der Gasse auszugießen. Die Kinder werden in der Imagination des Propheten47 zu den ersten Opfern einer Bevölkerung, die nicht hören will. Das drohende Unheil, das in Jer 6 über Jerusalem heraufbeschworen wird, ist nach Jer 9 zur Wirklichkeit geworden. Wer nicht hören will, muss fühlen. Und es kam noch schlimmer als befürchtet: „19Ja, hört, Frauen, das Wort JHWHs, und euer Ohr nehme auf das Wort seines Mundes. Lehrt eure Töchter das Klagen und eine jede ihrer Freundin ein Leichenlied: 20Ja, aufgestiegen ist der Tod durch unsere Fenster. 42
Zur konfrontativen Bedeutung von ĜġČğĥ siehe Fischer, Jeremia, 267. Lies Ĝ ĂģĀēĘą statt ĭ ăē þĘ. Anders Fischer, Jeremia, 268. 44 Fischer, Jeremia, 269: „‚Kreis der Jünglinge‘ [...], die oft in Gruppen zusammenstehenden Jugendlichen.“ 45 Vgl. die „unbeschnittenen Herzen“ in Jer 4,4. Mit dem Unbeschnittensein wird ein Unvermögen angedeutet. 46 Dass JHWH hier Subjekt der Aufforderung an den Propheten ist, geht aus der Abschlussformel ėĘėĜ īġē in V. 15 hervor. Danach ist ungeachtet der redaktionellen Einschübe (V. 10b.12b.15a) V. 11aƞ–15 als Antwort JHWHs auf die Klage des Propheten in V. 10–11aƝ zu deuten. Siehe zu dieser Analyse Wanke, Jeremia I, 80. 47 Das vom Propheten geschaute heraufziehende Unheil der Vernichtung der jungen Generation, das einem allgemeinen Erfahrungswissen über das Schicksal von Kindern in militärischen Konflikten entnommen sein dürfte, wird als JHWH-Wort imaginiert. 43
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Die Kinder auf der Gasse
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Er kam in unsere Wohntürme,48 auszurotten den Säugling von der Gasse (ĨĘĚġ ğğĘĥ) und die jungen Männer von den Plätzen (ĭĘĔĚīġ ĠĜīĘĚĔ). 49 21Rede, so ist der Spruch JHWHs: Fallen wird der Leichnam der Menschen wie Dünger auf die Fläche des Feldes, wie ein Ährenbündel nach dem Schnitter, und keiner ist da, der sammelt.“ (Jer 9,19–21)
Die Jerusalemer Frauen werden möglicherweise im Kontext der Ereignisse der Erstürmung von Jerusalem durch die Babylonier (587 v. Chr.)50 ein letztes Mal zum Hören auf den ėĘėĜ īĔĖ aufgefordert. Sie werden in ihre öffentliche Funktion als Klageweiber eingewiesen (2 Sam 1,24; Jer 6,26; Ez 32,16), die die Totenklage auf allen Straßen und Plätzen anzustimmen haben (Jes 15,3; Am 5,16; Koh 12,5). Und sie bekommen den Auftrag, auch ihre Töchter diese ėģĜĪ zu lehren.51 Das mit V. 20 einsetzende Leichenlied | schreitet die Lebensräume der Jerusalemer von innen nach außen ab. Am Anfang stehen die mehrstöckigen Wohngebäude der wohlhabenden Oberschicht, durch deren Fenster der Tod eingestiegen ist. Es folgen die Gassen und Plätze, denen wieder die Kinder und Jünglinge zugeordnet werden. Schließlich verlässt der Blick das Innere der Stadt und schweift über das freie Feld vor ihren Mauern, auf dem die unbestatteten Leichen der Krieger liegen (vgl. Jes 5,25). Beklagt werden soll die Totalität der Niederlage und des Todes, der vor keinem Lebensraum der Jerusalemer Halt gemacht hat. Das Motiv vom Tod der Kinder auf der Gasse ist damit formgeschichtlich aus dem prophetischen Gerichtswort in die Klagepoesie Israels eingewandert, wo es von nun an einen festen Platz hat. In den Klageliedern Jeremias wird es wieder aufgenommen und ausgebaut: „19(Ī) Steh auf, klage in der Nacht, am Beginn der Nachtwachen. Schütte aus wie Wasser dein Herz vor dem Angesicht des Herrn. Erhebe zu ihm deine Hände, um des Lebens deiner Kinder (ĝĜğğĘĥ) willen, 48
LXX liest eivj th.n gh/n h`mw/n (= ĘģĭġĖēĔ) anstelle von ĘģĜĭĘģġīēĔ. Zu der ungewöhnlichen Einleitung eines neuen Prophetenspruchs vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 366. 50 Wanke, Jeremia I, 108. 51 Zur institutionellen Rolle der Klagefrauen siehe auch Fischer, Jeremia 1–25, 363f. In Jer 9,16 werden diese als ĭĘġĞĚė bezeichnet und bilden als solche wohl einen bewussten Kontrast zu den männlichen Weisen in Jer 9,22. Wird damit die „Kunst der Klage“, die an die Töchter weiterzugeben war, zu einem besonderen Kennzeichen weiblicher Weisheit und Spiritualität? Vgl. dazu auch 2 Sam 14,2. 49
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Land – Stadt – Tempel
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der Verschmachtenden (ĠĜħĘěĥė) vor Hunger an allen Straßenecken (ĭĘĩĘĚČğĞ ĬēīĔ). 20(ī) Sieh, JHWH, und merke auf, wem du solches angetan hast (ĭğğĘĥ). Sollen Frauen ihre (Leibes-)Frucht essen, die gehätschelten Kinder (ĠĜĚħě Ĝğğĥ)? Darf getötet werden im Heiligtum des Herrn Priester und Prophet? 21(Ĭ) Es liegen am Boden der Gassen (ĭĘĩĘĚ) Knabe (īĥģ) und Greis (ĢĪęĘ). Meine Jungfrauen (ĜĭğĘĭĔ) und meine Jünglinge (ĜīĘĚĔ), gefallen sind sie durch’s Schwert. Du hast getötet am Tag deines Zorns, du hast geschlachtet, nicht hast du verschont.“ (Klgl 2,19–21)
Dieses sicherlich nicht unmittelbar nach 587 v. Chr. entstandene,52 aber doch noch unter dem Eindruck dieser Ereignisse stehende durchgeformte | Akrostichon, stammt m.E. aus der Feder eines schriftgelehrten Poeten, der wohl auch seine „Propheten“ kannte. Die Ī-Strophe spielt mit der Wendung ĭĘĩĘĚČğĞ ĬēīĔ auf Nah 3,10a und das Schicksal der Kinder in den Gassen Thebens an. Die ī- und die Ĭ-Strophe nehmen Jer 6,10f; 9,19ff; 19,9 auf und bauen diese weiter aus. Die „Töchter Zions“ 53 hatten ganz offensichtlich ihre ėģĜĪ gelernt, welche die Frauen Jerusalems nach Jer 9,19 lehren sollten. Das bereits in der Ğ und ğ-Strophe (2,11f) eingeführte Motiv vom drohenden Hungertod der „Kinder und Säuglinge auf den Plätzen der Stadt“ (ėĜīĪ ĭĘĔĚīĔ ĪģĘĜĘ ğğĘĥ), die ihre Mütter verzweifelt nach Korn und Wein fragen, wird hier in gesteigerter Form wieder aufgenommen. Die Kinder sind nicht nur vom Hungertod bedroht. Den Verschmachtenden droht der kaum vorstellbare Tod durch Teknophagie (vgl. Klgl 4,10). 54 Obwohl neben den Kindern auch andere Opfergruppen wie Priester und Propheten (V. 20bƞ) benannt werden, stehen die Kinder als wohl „prominenteste“ Opfergruppe im Vordergrund (vgl. Klgl 4,1–5). Andreas Michel hat in einer eindrücklichen Analyse von Klgl 2,20–22 gezeigt, wie durch Alliterationen und Assonanzen das Geschick der Kinder mit dem Handeln JHWHs (V. 19bƝ.20bƝ ğ ăğŴĥ Ƥ V. 20aƞ Ćųğþ ąğŴĥ) verknüpft wird, das der Verschmachtenden und Gehätschelten mit seiner Schlächterei (V. 19aƞ 52
Albertz, Exilszeit, 130, glaubt, Klgl 2 zwischen 587 und 582 v. Chr., in die Zeit Gedaljas und seiner Ermordung datieren zu können. Zutreffender scheint mir dagegen das Votum von Berges, Klagelieder, 133, zu sein: „Eine Ansetzung in der Zeit nach | 587 v. Chr., nachdem sich die ersten Wogen der Katastrophe geglättet hatten und wieder literarisch gearbeitet werden konnte, wird in dieser Frage wohl das Richtige treffen.“ 53 Dem Zusammenhang nach lässt der Dichter von V. 20–22 Zion klagen, die hier als „Leidensfrau“ (Berges, Klagelieder, 130) bzw. als „Stadtfrau“ (ebd., 162) vorgestellt wird. 54 Siehe zu den Teknophagietexten des Alten Orients und des Alten Testaments ausführlich Michel, Gott, 200–245.
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Die Kinder auf der Gasse
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V. 20bƝ ĠĜĚĂ ĉŮěĂ Ƥ V. 21bƞ ųĆ Ěþ Ĕą Ćě).55 „YHWH als Metzger von Kleinkindern“,56 als Schlächter von Knaben und Greisen, Jungfrauen und Jünglingen, das ist die Botschaft des bedrückenden Textes.57 Allerdings wird man trotz der hervorgehobenen Position der Opfergruppe der Kinder in der Zusammenstellung | von Jungfrauen und Jünglingen, Knaben und Greisen einen Merismus zu sehen haben. Letztlich ist eben die Gesamtbevölkerung, männlich wie weiblich und jung wie alt von der Katastrophe betroffen. Diese geradezu ungeheuerliche Anklage des „Täters“ JHWH mündet in der letzten Strophe von Klgl 2 in seine Identifikation als Feind: ĠĜħţěĀ Ă ĥ Ćė Ƥ
„(ĭ) Du riefst wie zu einem Festtag meine Schrecken von ringsumher. Und nicht war da am Tage des Zornes JHWHs einer, der entkam und entronnen ist. Die ich gehätschelt (ĜĭĚħě) und großgezogen habe (ĜĭĜĔī), mein Feind hat sie vernichtet.“ (Klgl 2,22)
Mit den Verben Ěħě Pi. (vgl. ĠĜĚħě V. 20) und ėĔī Pi.58 wird noch einmal das Motiv der Kinder eingespielt, die die Tochter Zion hochgebracht hat, und um die sie klagt. Das aus der Gerichtsprophetie stammende Motiv vom Tod der Kinder auf der Gasse, das in die Klagepoesie Israels Eingang fand, wurde schließlich dem Erzpropheten Israels, Mose, in den Mund gelegt. Es begegnet uns im spätexilischen oder frühnachexilischen Moselied Dtn 32 wieder.59 55
Michel, Gott, 221f. Siehe auch Berges, Klagelieder, 164. Michel, Gott, 224. 57 Michel, Gott, 224, gibt zu bedenken, dass angesichts des in V. 22 ausgerufenen Festtages (ĖĥĘġ ĠĘĜ) der dann am Ende genannte Feind (ĔĜē) nicht zwangsläufig mit JHWH identifiziert werden muss, sondern auch einen zu dem großen Schlachtefest geladenen Gast bezeichnen könne. Damit vermeide es der Dichter, JHWH auf seine Rolle als Feind festzulegen und gebe ihm die Möglichkeit, sich doch noch als Nicht-Feind zu erweisen. Selbst wenn man dieser JHWH entlastenden Interpretation zustimmt und die Auffassung vertritt, dass es sich bei dem Feind in V. 22 um irdische Gegner, etwa Babylon handelt, so ändert das nichts daran, dass sich JHWH am „Tage des Zorns“ offensichtlich dieser Feinde Israels bedient, dass sein Zorn diese in Marsch setzt, um ihr blutiges Werk an Jerusalem zu vollbringen. Daher ist wohl Berges, Klagelieder, 167, zuzustimmen: „Was der Sprecher in 2,4a.5a noch als Vergleich umschrieb (Gott als ĔĜĘē ‚Feind‘), hat sich für Zion zur Sicherheit hin verdichtet.“ 58 Vgl. zur Semantik von ėĔī Pi. „großziehen“ Ez 19,2 und KBL IV, 31990, 1098. 59 Die Frage der Datierung von Dtn 32 ist nach wie vor umstritten. Seybold, Krise, 60, summiert die Forschungsgeschichte zu diesem Problem in dem Satz: „Immer noch scheint jedes Datum der Literaturgeschichte vom 11. bis zum 3. Jahrhundert möglich zu sein.“ Rose, 5. Mose II, 566, hält den Text in seiner vorliegenden Form für spät- oder nachexilisch. Preuß, Deuteronomium, 165ff, für spätexilisch; nach Kaiser, Einleitung, 136, „setzt das Exil den terminus non ante, und da es nach T. Veijola seine jetzige Stellung erst dem deuteronomistischen Nomisten (DtrN) verdankt, dieser den terminus ad 56
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Gleichsam in einer prophetischen Schau nimmt Mose das Unheil vorweg, das Israel wegen seiner Abgötterei treffen wird: „19JHWH sah und er verwarf wegen des Verdrusses (über) seine Söhne und Töchter (ĘĜĭģĔĘ ĘĜģĔ). 20Und er sprach: Ich will mein Angesicht vor ihnen verbergen, will sehen, was aus ihrer Zukunft wird. | Denn ein Geschlecht der Falschheiten sind sie, Kinder (ĠĜģĔ), an denen nichts Bewährtes ist. [...] 25Auf der Gasse (ĨĘĚġ – draußen) soll (sie) kinderlos machen (ğĞĬĭ) das Schwert und in den Kammern (ĠĜīĖĚġĘ – drinnen) das Entsetzen, sowohl den Jüngling (īĘĚĔ) als auch die Jungfrau (ėğĘĭĔ), den Säugling (ĪģĘĜ) samt dem Graukopf (ėĔĜĬ ĬĜē).“ (Dtn 32,19f.25)
Mit diesem „canticum cygneum Mosis“, dem Schwanengesang des Mose, wie Gerhard von Rad das Moselied bezeichnet hat,60 schließt sich ein erster Kreis, der die eingangs in Erinnerung gerufene Verknüpfung zwischen dem Prophetenkanon und der Tora des Mose im Maleachiepilog unterfüttert. Danach war es der Ur- und Erzprophet Mose, der hellsichtig im Angesicht seines nahenden Todes (Dtn 32,48–52) das Geschick der Kinder Israels auf den Gassen und Plätzen Jerusalems bereits geweissagt hatte.61 Hätten die Väter und Mütter in Israel der letzten Weisung des Mose gehorcht und ihre Kinder dieses Lied gelehrt (Dtn 31,19–22; 32,44–47), hätten sie es sich als letzte Warnung und Mahnung ihres großen Lehrers der Frühzeit des Volkes zu Herzen genommen (Dtn 32,46), dann freilich hätte die Geschichte Israels und das Geschick seiner Kinder einen anderen Lauf nehmen können.62 Da die Vätergenerationen aber diesen Pflichten nicht nachkamen, bedurfte es immer wieder der Propheten, eines Nahum und vor allem eines Jeremia, die das Volk eindringlich an die Worte des Mose, der Tora, erinnerten. Das in Todesnähe geschaute Unheil wurde zur Geschichquem.“ Neuere Arbeiten zu Dtn 32 (Thiessen, Form, 401–424; Seybold, Krise, 59–80) haben deutlich werden lassen, dass mit einer mehrstufigen Entstehung des Textes zu rechnen ist, einer älteren rib–Rede (V. 1–25), die einen Rückblick auf die Geschichte bietet, und einer weiteren Gottesrede, die sich mit Gegenwarts- und Zukunftsfragen auseinandersetzt (V. 26–43). Die Gerichtsrede, in der Gott mit seinem Volk einen Rechtsstreit führt (V. 4–25), verortet Seybold, Krise, 63, in einer liturgischen Klagefeier im Bet-El der frühnachexilischen Zeit. 60 V. Rad, Deuteronomium, 143. 61 V. 25a nimmt wohl Klgl 1,20 auf: „Auf der Gasse hat mich das Schwert kinderlos gemacht, im Hause gleicht es dem Tod“ (ĭĘġĞ ĭĜĔĔ ĔīĚČėğĞĬ ĨĘĚġ). 62 Das Moselied enthält eine weisheitliche Rahmung (Dtn 31,14–30; 32,44–47), in dem Mose dezidiert als „Lehrer der Tora“ in Blick genommen wird. Mit dieser Rahmung wird aber bereits das letzte Stadium der Literaturwerdung des Pentateuch und seiner Verknüpfung mit dem Prophetenkanon greifbar. Vgl. Seybold, Krise, 60f.
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Die Kinder auf der Gasse
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te, die nun nur noch von den Klageweibern und den Töchtern Israels öffentlich zu beklagen war. Weil die Kinder Israels das Lied des sterbenden Mose, die Tora, nicht lernen wollten und in Vergessenheit geraten ließen, deshalb schrieb JHWH, der Gott der Geschichte, den Töchtern Zions dieses Lied vom Tod der Kinder auf der Gasse selbst mit eisernem Griffel ins Gedächtnis ein. |
3. Das Heilshandeln JHWHs und die Kinder Das durch die schriftgelehrte Prophetie und das Deuteronomistische Geschichtswerk in Israel generierte Geschichtskonzept von einem Generationen übergreifenden Schuld-Strafe-Zusammenhang, dem selbst die Kinder auf den Gassen zum Opfer fielen und in dem die Krisen des Untergangs des Nordreiches Israel (722 v. Chr.) und des Südreiches Juda (587 v. Chr.) verarbeitet wurden,63 war aber nicht das letzte Wort der Prophetie zu diesem Thema. Bereits mit Ezechiel setzt eine theologische Neuorientierung ein, wonach jede Generation für sich selbst verantwortlich und gleich unmittelbar vor Gott stehe. Geschichte ist kein Schicksal, auch nicht die Geschichte der Schuld, sondern lässt für jede Generation die Möglichkeit der Umkehr offen:64 „Der Sohn soll nicht tragen an der Schuld des Vaters, und der Vater soll nicht tragen an der Schuld des Sohnes. Vielmehr soll die Gerechtigkeit des Gerechten über ihm sein und der Frevel des Frevlers über ihm.“ (Ez 18,20b)65
Auf diese Weise fand das Motiv von den Kindern auf der Gasse nicht nur Eingang in die Gerichts-, sondern auch in die Heilsprophetie. Zunächst gegen Ausgang der Exilszeit, in der sich mit dem Siegeszug des Persers Kyros II. und dem abzusehenden Ende der Herrlichkeit Babels eine Wende im Geschick Judas und Jerusalems abzuzeichnen begann. Noch stellt Deuterojesaja Jerusalem als eine in ihrer Trunkenheit schwankende Stadt vor, 63
Siehe dazu Kratz, Propheten, 52ff. Siehe zu diesem auch der deuteronomistischen Geschichtstheologie inhärenten Konzept Krüger, Geschichtskonzepte, 355ff. 65 Vgl. Greenberg, Ezechiel, 379ff. In Ez 18 und 33,10–20 geht es nicht – wie oft behauptet – um die Ablösung des Phänomens der Kollektivschuld durch die Proklamation von Individualschuld, sondern um Schuldzusammenhänge zwischen den Generationen. Es handelt sich bei dem Sprichwort von den „sauren Trauben der Väter und den Söhnen, denen davon die Zähne stumpf geworden seien“ (Ez 18,2), auch nicht um einen verzweifelten Vorwurf gegen Gottes ausbleibende Gerechtigkeit, sondern zunächst einmal um die nüchterne, von weisheitlichem Denken getragene Feststellung der kontaminatorischen Kraft von Sünde, die an den Grenzen der Generationen nicht Halt macht. Siehe dazu vor allem Schenker, Saure Trauben, 449–470. 64
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die den Becher des Zornes JHWHs (ĘĭġĚ ĤĘĞ), den Taumelbecher (ĤĘĞ ėğĥīĭė), bis zur bitteren Neige leeren musste.66 Der unbekannte Prophet schaut aber bereits auf diese finstere Zeit zurück: | „18Keinen gab es, der sie (die Stadt) führte, von allen Kindern (ĠĜģĔ), die sie geboren hatte. Und keinen gab es, der sie hielt an ihrer Hand, von allen ihren Kindern (ĠĜģĔ), die sie großgezogen hat. [...] 20Deine Kinder (ĝĜģĔ) wurden ohnmächtig und lagen an allen Straßenecken (ĭĘĩĘĚČğĞ ĬēīĔ) wie eine Antilope im Netz, voll vom Zorn JHWHs, dem Schelten deines Gottes.“ (Jes 51,18.20)
Diese Zeit, in der Jerusalem im Bilde einer trunkenen Frau dargestellt wird, die zwar viele Kinder geboren und großgezogen hat, aber keines davon mehr vorhanden ist, um die alte Mutter zu leiten und an der Hand zu halten, geht dem Ende zu.67 Noch einmal schweift der Blick zurück auf die ohnmächtigen, verschmachtenden Kinder an den Straßenecken (vgl. Nah 3,10; Klgl 2,19). Ihr Schicksal gleicht den im Netz gefangenen, zur Strecke gebrachten Antilopen, dem Wild, das dem Jäger zum Abschuss freigegeben wurde.68 Aber der Taumelbecher soll nicht länger in der Hand von Jerusalem verbleiben. JHWH will ihn weiterreichen an diejenigen, die über ihre Einwohner und ihre gekrümmten Rücken „wie auf einer Gasse“ ( ĨĘĚĞ) dahinschritten (Jes 51,23).69 Jetzt würde sich das Blatt wenden für Juda und Jerusalem, das Schicksal ihrer eigenen Söhne und Töchter würde nun den Feind treffen, der die Stadt zugrunde gerichtet hat, Babel und seine jungen Krieger: „3Nicht70 mehr vermag zu spannen der, der seinen Bogen spannt, und nicht mehr sich zu erheben in seinem Panzer. Und verschont nicht ihre Jünglinge (ėĜīĚĔ), vollstreckt den Bann an ihrem ganzen Heer, 4dass niederfallen die Durchbohrten im Lande der Chaldäer und die Erstochenen auf ihren Gassen (ėĜĭĘĩĚĔ).“ (Jer 51,3f)
66 Siehe zum Bechermotiv und seiner Verankerung in der Umwelt Israels Fuchs, Symbol, 65–84. 67 Baltzer, Deutero-Jesaja, 461; ders., Stadt, 142, denkt an eine Parodie des Motivs der Stadtgöttinnen der Antike, zu deren Ikonographie wohl auch Kinder gehört haben. 68 Zum Motiv der im Netz gefangenen Kriegsopfer und seinem Vergleich mit Bildern aus dem Jagdleben siehe Keel, Bildsymbolik, 78–84. 69 Auch das Motiv des Hinwegschreitens des (Gott-)Königs über seine Feinde hat weite literarische und ikonographische Verbreitung gefunden. Vgl. Ps 18,37–39; 47,4; 110,1; Jes 26,6; Klgl 3,34. Vgl. auch Keel, Bildsymbolik, 276ff. 70 Lies in V. 3aƝƞ jeweils ğ ąē statt ğ Ąē.
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Zwar ist hier nicht mehr expressis verbis von Kindern die Rede, sondern nur noch von den Jünglingen Babylons, die dem Kontext nach bereits erwach|sene, waffenfähige Kämpfer des Heeres sind. Sie aber, die einst die Kinder in den Gassen Jerusalems abschlachteten (vgl. Jes 51,22), soll jetzt das gleiche Geschick ereilen.71 Der Zorn JHWHs gegen sein Volk hatte sich gelegt, um nun mit ungebremster Wucht die Feinde Israels zu treffen. Daher verwundert es auch nicht, wenn nach dem Fall Babylons (539 v. Chr.) das Motiv von den Kindern auf den Gassen und Plätzen Jerusalems noch ein letztes Mal aufgenommen wird. Nun aber wandert es aus der Gerichtsprophetie und der Klagepoesie Israels aus und wird zu einem reinen Heilsbild. Der Prophet Sacharja zeichnet das künftige Jerusalem als Genrebild einer befriedeten Stadt: „4So spricht JHWH Zebaot: Noch einmal werden sitzen die Greise und die Greisinnen auf den Plätzen von Jerusalem (ĠğĬĘīĜ ĭĘĔĚīĔ), ein jeder mit seinem Stock in seiner Hand vor der Menge der Tage. 5Und die Plätze der Stadt ( īĜĥė ĭĘĔĚīĘ) werden sich füllen mit Knaben und Mädchen (ĭĘĖğĜĘ ĠĜĖğĜ), die auf ihren Plätzen (ėĜĭĘĔĚīĔ) spielen.“ (Sach 8,4f)
Das Geschrei der Klageweiber wird in der künftigen Heilszeit von den Straßen und öffentlichen Plätzen Jerusalems weichen. An seine Stelle treten scherzende, spielende (ĠĜĪĚĬġ) Knaben und Mädchen und plaudernde Greise und Greisinnen, die ihren Lebensabend friedlich beschließen dürfen.72 Gerade die beiden Bevölkerungsgruppen, die nach Jer 6,11; Klgl 2,10f.21 und Dtn 32,25 zu den wehrlosen Opfern der öffentlichen Räume gehört haben, nehmen diese jetzt wieder in Besitz. Leben zieht ein in die Stadt, das Leben der Kinder und der Alten soll den Tod vergessen machen, der durch | die Fenster stieg. Die Nennung der Alten und der Kinder ist wohl auch hier als Merismus zu deuten.73 Sie stehen für das Wohlergehen 71 Eine vergleichbare Umkehrung der Gerichtsbotschaft in eine Heilsbotschaft findet sich in dem Trostlied für Zion in Jes 49,14–26: „Könige werden deine Pfleger ( ĝĜģġē) sein und Fürstinnen deine Ammen (ĝĜĭĪĜģĜġ). Das Gesicht zur Erde fallen sie vor dir nieder, den Staub deiner Füße lecken sie.“ (V. 23) 72 Ob man diese Bilder vom friedlichen Alter und von spielenden Kindern in der Stadt hier als Symbol einer unvergänglichen endzeitlichen Erlösung, ja, eines „neuen Himmels und einer neuen Erde“ interpretieren darf (so Hanhart, Sacharja, 533), scheint fraglich. Eher wird man hier wohl eine ans Diesseits der künftigen, aber nicht mehr in weiter Ferne liegenden Geschichte gebundene aktualeschatologische Erwartung vor sich haben. Das von Idylle geprägte Genrebild illustriert damit nicht „unvergängliches“ durch „vergängliches“ Leben, sondern zeigt eher die erwartete Fülle und Friedlichkeit des Lebens im Rahmen des Vergänglichen auf, wie das auch in Jes 65,17–25 der Fall ist. 73 Siehe dazu Meyers/Meyers, Zechariah 1–8, 417.
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der gesamten Bevölkerung Jerusalems. Wer aber die Gerichtsworte der Propheten und die Klagelieder noch im Ohr hat, nimmt im Duktus der Aussagen und der Terminologie Sacharjas zwei Eigentümlichkeiten wahr. Konsequenter als diese differenziert Sacharja die beiden Gruppen der Alten und der Kinder in Paare von Greisen und Greisinnen bzw. Jungen und Mädchen. Warum werden die maskulinen Nomina durch ihre femininen Äquivalente ergänzt? Carol L. und Eric M. Meyers vermuten hinter dieser „gender-gerechten“ Sprache Sacharjas einen sozioökonomischen Aspekt. Der Wert eines Menschen wurde ja nach Lev 27,2–7 sowohl im Blick auf sein Alter als auch auf das Geschlecht unterschiedlich festgesetzt. Die arbeitsfähigen Altersgruppen zwischen 20 und 60 sowie 5 und 20 Jahren hatten dabei den höchsten Wert, während die Gruppe der Kleinkinder von einem Monat bis zum fünften Lebensjahr und der über 60-Jährigen ganz am Ende der Werteskala standen. Der Wert der Frauen wurde dabei in sämtlichen Altersgruppen durchweg niedriger angesetzt als der der Männer.74 Gerade aber die in ihrem Wert am niedrigsten eingestuften Gruppierungen der Alten und der Kinder und zwar beiderlei Geschlechts, die keiner Arbeit mehr nachgehen oder noch nicht nachgehen können, sondern sich der Muße und dem Spiel hingeben, stehen in Sacharjas Bild vom künftigen Heil Jerusalems für die Stadt als ganze. 75 Sie bilden dann quasi den Reichtum Jerusalems.76 Steht hinter dieser Heilsweissagung bereits die Vision von einer Gleichwertigkeit aller Jerusalemer unabhängig von Arbeitskraft, Alter und Geschlecht? Man mag in dieser Interpretation eine modernistische Eintragung sehen. Ohne Zweifel aber wurde – wie noch zu zeigen ist – das Geschick gerade dieser in besonderer Weise gefährdeten Altersgruppen von der nachexilischen Heilsprophetie mit erhöhter Aufmerksamkeit betrachtet. Zuvor aber soll noch eine zweite Eigenheit der Sacharjaweissagung erwähnt werden. Während in den bisher besprochenen einschlägigen Texten vorrangig vom Geschick der Kinder auf den Gassen (ĨĘĚ) die Rede war, spricht Sacharja konsequent nur noch von den Plätzen (3 x ĭĘĔĚī) der Stadt. Ist das ein Zufall oder hat das seine Hintergründe in realen Lebensbedingungen in den Städten Palästinas der ausgehenden Eisenzeit und den Städte|konzeptionen der frühen Perserzeit?77 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das den Außenbereich von Häusern oder Städten kenn74
Zur „Preistabelle“ der einzelnen Altersstufen vgl. Gerstenberger, Leviticus, 402. Meyers/Meyers, Zechariah 1–8, 417. 76 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass es sich die altorientalischen Kulturen kaum leisten konnten, die Kinder und die Alten ganz und gar von den täglichen Arbeitsvorgängen zu befreien. Das Bild von der Muße der Alten und vom Spiel der Kinder steht daher für außergewöhnlichen Wohlstand und weitreichende Prosperität der Stadt. 77 Siehe dazu Marinkoviÿ, Stadt, 109ff. 75
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zeichnende Nomen ĨĘĚ überwiegend negativ konnotiert ist. Wenn Sacharja lediglich von den öffentlichen in der Regel an den Stadttoren und im Tempelbereich bewusst angelegten Plätzen des künftigen Jerusalem spricht und das Nomen ĨĘĚ vermeidet, dann steht dahinter vielleicht auch die Konzeption einer Stadt, die vom Dreck der engen Gassen frei sein wird, einer Stadt, in der die Schwachen, die Alten und die Kinder nicht nur gefahrlos die Muße und das Spiel pflegen dürfen, sondern auch zu ihrem Recht kommen.78 Die Klage – „Alte (ĠĜģĪę) bleiben fern vom Tor (īĥĬġ) und Jünglinge (ĠĜīĘĚĔ) von ihrem Saitenspiel.“ (Klgl 5,14)79
– erfährt in der Heilsweissagung Sacharjas gleichsam eine Revision. Sie werden sich wieder einfinden und sitzen, die Alten, auf den Plätzen (am Tor) und Anteil haben an den öffentlichen administrativen und judikativen Angelegenheiten der Stadt (vgl. Hiob 29,7). Sie werden wieder spielen, die Kinder, und musizieren, die Jünglinge, auf den Plätzen. Wurde dieses künftige Heil Jerusalems, das Glück der Alten und der Kinder, nur um den Preis des Untergangs seiner Feinde, Babels und seiner Kinder, als partikulares Heilskonzept konzipiert (vgl. Sach 1,15; 2,1–4)? 80 Bereits in Sach 8,20–23 wird dieses zunächst durchaus partikulare Heilskonzept von der idealen alten- und kinderfreundlichen Stadt Jerusalem in eine universalistische Konzeption eingebunden, nach der auch andere Völker und Einwohner fremder Städte an diesem Heil Jerusalems beteiligt werden.81 Vor allem Tritojesaja hat dann aber eine Universalisierung dieses Heilskonzeptes im Blick, das mit der Verheißung eines „neuen Himmels und | einer neuen Erde“ eine totale Verwandlung des alten Himmels und der alten Erde anstrebt, die einer Neuschöpfung mit Jerusalem als Zentrum gleichkommt: 78
Bartelmus, Ĕ ąĚīĆ , 456, hat darauf hingewiesen, dass das Nomen überwiegend in der spätnachexilischen Literatur begegnet, was etwas „mit der persisch-hellenistischen Förderung der Stadtkultur“ zu tun haben könnte. 79 Siehe dazu die Interpretation von Berges, Klagelieder, 291: „Bleiben die Ältesten dem Tor fern, dann bedeutet das nicht nur ihren Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben, sondern auch das Ende der zivilen Gerichtsbarkeit.“ Und „was ist Jugend ohne Musik?“ 80 In Sach 2,1–4 ist das Gericht JHWHs an denjenigen Völkern im Blick, die Juda, Israel und Jerusalem zerstreut, d.h. in die Verbannung geführt haben. Damit werden die israelfeindlichen Völker in Sach 1,15, die Beihilfe zum Bösen leisteten und denen nunmehr der Zorn JHWHs gilt, klar umschrieben. Es dürfte sich in erster Linie um Assur und Babel handeln, darüber hinaus aber wohl auch um all diejenigen Nachbarn Judas und Israels, die dabei mitwirkten, so u.a. Edom. 81 Vgl. dazu Lux, „Wir wollen mit euch gehen ...“, 259ff.
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„Nie mehr wird kommen von dort ein Säugling (ğĘĥ) von einigen Tagen,82 und ein Greis (ĢĪę), der seine Tage nicht voll durchlebt hat, sondern der Jüngste (īĥģė)83 wird als Hundertjähriger sterben und der Sünder wird (erst?) als Hundertjähriger vom Fluch getroffen.“ (Jes 65,20)
Diese nicht ganz einfach zu übersetzende Verheißung ist wohl dahingehend zu deuten, dass in V. 20a der vorzeitige und frühe Tod von Säuglingen und Alten, die ihre Tage noch nicht erfüllt haben, im neuen Jerusalem unter dem neuen Himmel und auf der neuen Erde ausgeschlossen wird.84 Vielmehr wird ein Hundertjähriger, der stirbt, wohl noch als junger Knabe gelten, und selbst den Sünder trifft der Fluch erst mit hundert Jahren. Mit dieser Verheißung knüpft Tritojesaja an die ur- und vorgeschichtlichen Lebensalter (Gen 5) an85 und evoziert damit geradezu paradiesische Lebensverhältnisse, die durch das in Jes 65,25 aus Jes 11,6–8 aufgenommene Bild vom Tierfrieden explizit gemacht werden: „6Dann ist Gast der Wolf bei dem Lamm und der Panther lagert bei dem Böckchen, Kalb und Junglöwe und Mastvieh86 (sind) beisammen, und ein kleiner Knabe (ĢěĪ īĥģ) wird sie treiben. 7Rind und Bärin werden (miteinander) weiden und ihre Jungen lagern beieinander. Der Löwe frisst wie das Rind Stroh, 8ein Säugling (ĪģĘĜ) ergötzt sich am Loch der Viper, und nach der Höhle der Otter streckt das Kleinkind (ğĘġĕ) seine Hand.“ (Jes 11,6–8)87 |
Ist es ein Zufall, dass in dieser paradiesischen Utopie vom Naturfrieden88 nicht nur zwischen den Tieren als Vegetariern, sondern darüber hinaus auch zwischen Mensch und Tier, die deutlich auf das gestörte Verhältnis vor allem zwischen dem Menschen und der Schlange (Gen 3,14f), aber auch auf die generelle Feindschaft zwischen Mensch und Tier (Gen 9,2f) zurückverweist, nur der kleine Knabe als Hütejunge, der Säugling und das 82
Vgl. den Plural von ĠĘĜ in Gen 24,55 im Sinne von einigen (weniger als zehn) Ta-
gen. 83 Wahrscheinlich ist der Artikel hier als Bezeichnung des Superlativs aufzufassen. Siehe Ges.-K. § 133g und Duhm, Jesaja, 449. 84 Vgl. u.a. Westermann, Jesaja, 325. 85 So Duhm, Jesaja, 449. 86 Der Vorschlag in BHS, statt ēĜīġĘ „und Mastvieh“ ĘēīġĜ „sie werden sich mästen“ zu lesen, würde das fehlende Verb ersetzen und legt sich auch aufgrund von 1QJesa nahe. Allerdings ist eine Korrektur von M nicht zwingend erforderlich. 87 Zu den unterschiedlichen Deutungen siehe Beuken, Jesaja, 313f, und Kaiser, Jesaja, 245f. 88 So auch die einleuchtende Interpretation von Bartelmus, Tierwelt, 304–306.
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entwöhnte Kleinkind erwähnt werden? Und ist es ein Zufall, dass sie gerade in solche Kontexte hineingestellt werden, in denen sie besonderen Gefährdungen ausgesetzt waren, in den Außenbereichen der Häuser und Städte? Hier werden die kleinen, spielenden Kinder, die in der alttestamentlichen Gerichtsprophetie immer wieder als Opfergruppe in besonderer Weise hervorgehoben wurden, dem – zwar auf den heiligen Berg, den Zion, zentrierten (Jes 11,9; 65,25), aber keineswegs auf ihn beschränkten – universalen Heilswillen JHWHs anvertraut. Der Zion wird zum Kinderparadies. Sie sind die ersten, die – um neutestamentlich zu sprechen – das „Himmelreich“ auf Erden schauen (Mt 18,3f; 19,14 par.).
Der Zweite Tempel von Jerusalem Ein persisches oder prophetisches Projekt? 1. Der Problemhorizont Die Frage, von wem eigentlich die Initiative zum Wiederaufbau des Zweiten Tempels von Jerusalem ausging, findet in den Darstellungen zur Geschichte Israels und den uns zur Verfügung stehenden Quellen recht unterschiedliche Antworten. Zur Debatte stehen in der Regel entweder Kyros II. und sein nach Jerusalem entsandter Statthalter Scheschbazzar (Esra 1), der dann auch den Grund zum Neubau gelegt habe (Esra 5,16), oder Dareios I. und dessen Statthalter Serubbabel sowie der Hohepriester Joschua (Esra 3,8ff; 5,1f). Die Alternative ergibt sich aus den widersprüchlichen Mitteilungen des Esrabuches, das ganz offensichtlich zwei voneinander abweichende Traditionen kennt und große Mühe hat, sie miteinander in Einklang zu bringen.1 Häufig stellt man sich den Sachverhalt so vor, dass Kyros zwar ein Edikt zum Wiederaufbau des Tempels erlassen habe (Esra 1,2f; 6,3–5),2 das aber aus unterschiedlichen Gründen erst ca. zwanzig Jahre später unter Dareios I. zur Ausführung gekommen sei. Einerseits | hätten größere Teile der Gola sich nur langsam aus ihrem Umfeld in Babylonien herauslösen können, in dem sie fest eingebunden waren. Andererseits machte eine Rückkehr nach Juda die Regelung offener Immobilien- und Vermögensfragen notwendig, die nicht von heute auf morgen möglich ge1
Vgl. dazu die präzise Darstellung des Problems durch Albertz, Exilszeit, 102ff. Für Esra 1 wird die Authentizität des Textes als persisches Reichsdokument mit guten Gründen ausgeschlossen. Dass die babylonische Bevölkerung die potenziellen Rückkehrer mit Silber, Gold, Vieh und anderen Gütern ausstatten sollte, erscheint wenig glaubhaft. Das Motiv ist wohl aus Ex 3,21f; 11,2; 12,35f entnommen und beabsichtigt, die Rückkehr aus dem Exil zum zweiten Exodus zu stilisieren. Vgl. Gunneweg, Esra, 44. Dagegen wird der von Esra 1 abweichenden aramäischen Fassung des Kyrosediktes (6,3–5) immer wieder weitestgehendes Vertrauen geschenkt: „Nun unterliegt nicht dem geringsten Zweifel und wird auch von niemandem bestritten, daß das aramäische Edikt die Kopie eines authentischen Dokumentes aus dem Archiv der persischen Schatzverwaltung in Ekbatana ist“ (Donner, Geschichte, 408). Vorsichtiger, aber doch im Großen und Ganzen zuversichtlich urteilt Albertz, Exilszeit, 104. Nach ihm handele es sich „um eine interne Aktennotiz der persischen Verwaltung“. Dafür spreche schon die Überschrift ėģĘīĞĖ „Memorandum“ in | 6,2 sowie die „lokale Ausnahmeregelung“ für blutige Schlachtopfer in 6,3, die im persischen Staatskult sonst nicht vorgesehen waren. 2
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wesen sei (Jer 39,10; Ez 11,15).3 Weiterhin habe es in Juda und Jerusalem selbst erhebliche Widerstände des „Am-ha-arez“ sowie der mit diesem „verbündeten hohen Provinzialbeamten“ gegen die Rückkehrer und das hauptsächlich von ihnen getragene Tempelbauprojekt gegeben.4 Die literarische Gesamtkonzeption des Esrabuches lässt allerdings trotz der inneren Unstimmigkeiten keinen Zweifel daran, dass dennoch Kyros II. der eigentliche Initiator des Tempelbaues gewesen sei (Esra 6,3), auch wenn es bei der Verwirklichung seines Ediktes zu Schwierigkeiten und Verzögerungen kam (Esra 4). JHWH selbst habe den Geist des Kyros erweckt, um dieses Tempelbauwerk in Gang zu setzen (Esra 1,2ff).5 Das dritte Buch Esra,6 das im Wesentlichen die Textpassagen 2 Chr 35–36; Esra 1–10 und Neh 7,72–8,13 enthält, folgt zunächst dieser Tradition und lässt den Befehl zum Neubau ebenfalls von Kyros ausgehen (3 Esra 2,1–14). Die als Sondergut sekundär eingeschobene Pagenerzählung (3 Esra 3,1–5,6)7 verlässt allerdings die vorgegebenen Bahnen der biblischen Stoffe und weiß von einem etwas anderen Hergang der Dinge zu berichten. Serubbabel, ein Leibpage Dareios’ I., habe einen Wettstreit gewonnen. Dareios gab ihm, dem weisesten der drei Pagen, daraufhin einen Wunsch frei, der folgendermaßen lautete: „Gedenke (Dareios) des Gelübdes, das du damals, als du deine Krone erlangtest, getan hast, nämlich Jerusalem (wieder) zu befestigen und alle die Geräte, die aus Jerusalem weggenommen wurden, zurückzusenden, die Kyros ausschied, als er gelobte, Babel zu zerstören, und dorthin zurückzusenden gelobte. Auch gelobtest du (Dareios), den Tempel (wieder) zu bauen, den die Idumäer in Brand steckten, als Juda von den Chaldäern verwüstet wurde. Das ist es nun, was ich fordere, | o Herr König, und um was ich dich bitte! Das ist die herrliche Tat, die von dir geschehen möge! Ich flehe, du mögest das Gelübde erfüllen, dessen Erfüllung du dem König des Himmels mit deinem Munde gelobtest.“ (3 Esra 4,43–46)
Die Angaben dieser Pagenerzählung stehen in erheblicher Spannung zur Darstellung des Esrabuches über die Anfänge des Zweiten Tempels sowie zu den Rahmenkapiteln, in die sie selbst eingebettet wurde. Offensichtlich hat sich darin eine eigene Tradition erhalten, wonach es eben nicht Kyros II., sondern doch erst Dareios I. gewesen sei, von dem die Initiative zur Befestigung Jerusalems und zum Neubau des Tempels ausging. Dieser habe anlässlich seiner Thronbesteigung ein entsprechendes Gelübde abgelegt, woran er nun von Serubbabel erinnert wurde. Auf Kyros II. hingegen wird 3
Donner, Geschichte, 411. Siehe Sasse, Geschichte, 52f, und Willi, Juda, 30ff. 5 Vgl. dazu Bach, Esra 1, 41ff. 6 Zu den literaturgeschichtlichen Problemen des Verhältnisses von 3 Esra zu Esr 1–6 vgl. u.a. Pohlmann, Studien, 14ff; Böhler, Stadt, 2ff, und Grätz, Edikt, 5–34. 7 Siehe dazu Näheres bei Pohlmann, Studien, 35ff, und Böhler, Stadt, 69ff. 4
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lediglich die Rückgabe der kostbaren Tempelgeräte zurückgeführt, wovon ja auch in Esra 1,7–11 die Rede ist.8 Dass diese Darstellung den historischen Sachverhalten sehr viel näher kommen dürfte als die Initiierung des Tempelbauprojektes durch Kyros II. liegt auf der Hand, da es nach dem klaren Zeugnis der Prophetenbücher Haggai und Sacharja tatsächlich erst unter Dareios I. und unter tatkräftiger Mitwirkung Serubbabels und Joschuas zum Wiederaufbau kam (Hag 1,1–2,19; Sach 4,7–10a), was indirekt ja auch durch Esra 3,8ff; 5,1ff bestätigt wird.9 Wen auch immer man zum Initiator des Wiederaufbaus erklärt, Kyros II. und seinen Statthalter Scheschbazzar, oder Dareios I. und Serubbabel sowie Joschua, beide Traditionen setzen voraus, dass das Tempelbauprojekt vom persischen Reichskönig initiiert und kräftig gefördert wurde. Zwar wird immer wieder angenommen, dass dieser wohl kaum selbst auf die Idee gekommen sein könne, den Befehl für den Wiederaufbau eines aus seiner Sicht am Rande des Weltreiches liegenden unbedeutenden Heiligtums zu geben. Vielmehr müsse ihm dieses Anliegen von den Führungspersönlichkeiten der Gola vorgetragen worden sein, woraufhin dieser es sich aber zu eigen gemacht | habe.10 Nach Albertz und Sasse sei diese Zustimmung Dareios I. zum Tempelbauprojekt auch kein reiner Gnadenakt gewesen, sondern habe dem politischen Interesse und Kalkül der Perser gedient, die im Zusammenhang mit dem Ägyptenfeldzug des Kambyses (525 v. Chr.) die strategisch wichtig gewordene Westflanke ihres Reiches abzusichern und zu befrieden suchten.11 Für derartige Annahmen, die durchaus plausibel klingen, fehlt allerdings jegliche Quellenbasis.12 Das Esrabuch, auf das die meisten Darstellungen der Geschichte Israels derartige Überle8
So auch Albertz, Exilszeit, 104: „Wahrscheinlich ist, daß der Gnadenakt des Kyros sehr viel bescheidener ausfiel, er beschränkte sich wohl auf die Rückgabe der Gerätschaften, die Nebukadnezar 597 und 587 aus dem Jerusalemer Tempel verschleppt und in den Tempeln Babylons deponiert hatte.“ 9 Es ist daher nicht uninteressant, dass die jüngste Darstellung der Zeit des Zweiten Tempels von Sasse, Geschichte, 52, als Quellen für den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels die Prophetenbücher Hag und Sach sowie die Pagenerzählung 3 Esra 3,1–5,6, nicht aber das Esrabuch benennt. 10 Donner, Geschichte, 406f; Albertz, Exilszeit, 106; Sasse, Geschichte, 50; WilliPlein, Tempel, 65. 11 Siehe die Arbeiten von Albertz und Sasse in Anm. 10. 12 Willi-Plein, Tempel, 64ff, rechnet – obwohl auch sie die Historizität des KyrosEdiktes mit einem Fragezeichen versieht (ebd., 61) – nicht mit der Initiierung, sondern lediglich mit der „Autorisierung“ des Tempelbauprojektes durch den persischen Reichskönig. Und sie begründet dies mit der persischen „Akkulturationsbereitschaft“, die in der Wiederherstellung gestörter Kulte und Heiligtümer zum Ausdruck gekommen sei wie sie u.a. durch den Kyros-Zylinder belegt werden könne.
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gungen nach wie vor gründen, entwirft eben ein anderes Bild.13 Danach hatte JHWH, der Gott Israels, Kyros II. zum Tempelbauwerk inspiriert (Esra 1,1f). Von JHWH, dem Herrn der Geschichte also ging die Initiative aus. Und dieser wählte sich wie in Jes 44,28; 45,1ff Kyros, den persischen Reichskönig, zu seinem Werkzeug,14 der dann alles Weitere veranlasste (Esra 1,3–5; 6,3–5). Und in der Pagenerzählung in 3 Esra 3,1–5,6 war es zunächst der Perserkönig Dareios I., der mit einem Gelübde die Initiative zum Tempelbau übernahm, an das er sich dann allerdings von seinem Leibpagen Serubbabel erinnern lassen musste. In jedem Falle wurde in der Esraliteratur dem persischen Reichskönig eine Schlüsselrolle für den Wiederaufbau zuerkannt. Um so mehr verwundert es, dass in derjenigen Quelle, die unbestritten den Ereignissen um den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels am nächsten stehen dürfte, in den Büchern der Propheten Haggai und Sacharja 1–8, von einer derartigen Initiative des persischen Reichskönigs mit keinem Wort die Rede ist. Bereits Wellhausen er|kannte mit der ihm eigenen Klarsicht diese merkwürdig widersprüchliche Quellenlage: „Die Verbannten durften sich bei ihrer Rückkehr nicht über ein weiteres Gebiet zerstreuen, sie mußten sich bei einander halten. Sie siedelten sich in und bei Jerusalem an. Man denkt, sie hätten nichts eiliger zu tun gehabt, als den Tempel wieder aufzubauen. Aber sie errichteten zunächst nur einen Altar auf der heiligen Stätte. Sie hatten alle Hände voll zu tun, um sich selber einzurichten und über Wasser zu halten. Die Ernten waren schlecht und andere Misstände machten sich fühlbar, die einer jungen Kolonie selten erspart bleiben [...] Von Fürsorge der Perser war nichts zu merken, die Abgaben dagegen waren nicht niedrig und bedrückten die ärmere Bevölkerung (Neh. 5,4). Unter diesen Umständen war die Stimmung trübe, Mut und Freude konnten nicht aufkommen.“15
Mit dieser Darstellung dekonstruierte er das immer wieder auf der Grundlage des Esrabuches entworfene Bild von der frühnachexilischen Geschichte der Provinz Jehud kräftig. Von einer wie auch immer gearteten Mitwirkung oder gar Initiative des persischen Reichskönigs für den Tempelbau in Jerusalem ist bei Wellhausen nicht die Rede. Ganz zu schweigen von für den Kult bestimmten finanziellen und materiellen Zuwendungen (Esra 1,4–6; 6,4.8–10; 7,12–26). Das hat seinen Grund in der quellenkritischen 13 Siehe dazu die Darstellung von Willi, Juda, 66–76, der das an der persischen Reichs- und Königsideologie orientierte Tempelbaukonzept in Esr/Neh überzeugend herausgearbeitet hat. Diese perserorientierte Perspektive ist nach Willi wohl noch nicht ein Produkt der persischen Frühzeit, sondern stellte ein späteres Deutekonzept der Entstehung der Provinz Jehud dar. 14 Siehe zu den intertextuellen Bezügen vor allem Kratz, Kyros, 84ff. 15 Wellhausen, Geschichte, 155.
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Analyse, die seiner Rekonstruktion dieser frühnachexilischen Epoche zugrunde liegt: „Dies (die Auffassung, dass die Rückkehrer von Anfang an den Tempelbau im Sinn hatten [R.L.]) ist die Vorstellung von Esd. 5 und die damit in diesem Punkte ganz übereinstimmende von Esd. 1 und 3, die indessen dem authentischen Zeugnis von Haggai und Zacharia widerspricht. Mit dem Bericht in Esd. 5 fällt auch das Edikt des Cyrus in Kap. 6. Überhaupt sind alle persischen Königsurkunden im Buche Esd. ebenso unecht wie die bei Jos. Ant. 11,118 s. Die Form (z.B. das beständige Fehlen des Patronyms bei den Königsnamen) ist verdächtig und der Inhalt unmöglich.“16
Mit dem grundsätzlichen Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit der sogenannten „Dokumente“ aus dem Reichsarchiv der persischen Großkönige hat Wellhausen eine Einsicht vorweggenommen, die sich | in der Esraforschung – trotz gegenteiliger Stimmen17 – seit einigen Jahren immer mehr durchsetzt.18 Die begründeten Zweifel an der Historizität dieser „achämenidischen Dokumente“ in Esra 1–6 haben schließlich zu der Empfehlung von L. L. Grabbe geführt, „we should cease to write the history of Judah in the first part of the Persian period by lightly paraphrasing the book of Ezra“19. P. R. Bedford folgt in seinen Arbeiten dieser Empfehlung 16
Wellhausen, Geschichte, 155. Vgl. Schaper, Priester, 62, der der festen Überzeugung ist, „daß in Esr 4–6 aramäische Originaldokumente aus dem offiziellen Schriftverkehr der achämenidischen Verwaltung verarbeitet worden sind“, und sogar die hebräische Fassung des sogenannten KyrosEdiktes in Esra 1,2–4 für „eine echte achämenidische Proklamation“ hält (ebd., 74). Auch Pola, Priestertum, 133, setzt voraus, dass das Kyros-Edikt (Esra 6,3–5) authentisch sei und Scheschbazzar nicht nur mit der Rückführung der Tempelgeräte, sondern auch mit dem Tempelbau beauftragt gewesen sei, der dann aus mehreren Gründen nicht zustande kam. 18 Vgl. Gunneweg, Esra, 41ff.105ff, der in dem Kyros-Edikt sowie den anderen „Dokumenten“ des Esrabuches chronistische Fiktionen sieht. Darüber hinaus konnte Schwiderski, Handbuch, 381f, zeigen, dass die in Esra 4–6 formulierten Briefe in ihrem formalen Grundmuster einem hellenistischen Briefformular nahe stehen. Grätz, Edikt, 212ff, kommt nach einer überaus sorgfältigen Analyse von Esra 7,12–26 zu dem Ergebnis, dass die im Esrabuch verarbeiteten Dokumente lediglich die literarische Funktion haben, historische Authentizität zu imaginieren, also ein Stilmittel darstellen, das für Esra 7,12–26 ebenfalls auf einen hellenistischen Hintergrund verweist, das Institut der „königlichen Schenkung“. 19 So Grabbe, History, 105. Finkelstein/Silberman, Posaunen, 39ff, haben für die vorexilische Zeit eine überaus kritische Darstellung der Geschichte Israels geschrieben, die mit gutem Recht konsequent auf die neuesten Ergebnisse der biblischen Archäologie zurückgreift. Dabei vermitteln sie uns ein Bild, das erheblich von dem „offiziellen Selbstbild“ abweicht, welches sich Israel von seiner Geschichte in den kanonischen Schriften des Alten Testaments gegeben hat. Um so mehr verwundert es, dass sie die nachexilische Zeit vollkommen unkritisch, nahezu biblizistisch durch eine schlichte Nacherzählung von Esra 1–6 nachzeichnen (ebd., 317ff). Greifen sie in diesem Fall dann doch wieder ver17
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und kommt zu dem Ergebnis, dass „neither social conflict nor a specific Achaemenid Persian administrative policy is the context in which to understand the purpose and timing of the rebuilding of the Jerusalem temple of Yahwe“.20 |
2. Altorientalische Voraussetzungen Die folgenden Überlegungen versuchen auf der Grundlage des bisher skizzierten Problemhorizontes unter Verzicht von Esra 1–6 die Anfänge des Zweiten Tempels von Jerusalem zu skizzieren. Dabei wird vorausgesetzt, dass beim Wiederaufbau des Tempels auch Vorstellungen der allgemeinorientalischen Tempelbautheologie wirksam wurden. Es könnte daher erhellend sein, einige Aspekte dieser verbreiteten Tempelbautheologie in Erinnerung zu rufen, um auf ihrem Hintergrund das besondere Profil der Darstellung in den Büchern Haggai und Sach 1–8 herauszuarbeiten. Die altorientalischen Tempelbauberichte folgen – abgesehen von individuellen Ausprägungen – häufig einem relativ feststehenden Handlungsmuster,21 das wahrscheinlich auf die rituellen Begleitumstände von Tempelbauunternehmungen zurückzuführen ist.22 Die mit den Tempelbautexten verbundene „Symbolik gehört zu den ältesten Konstanten der vorderasiatischen Kulturen, die sich bei allen zeitlichen und regionalen Unterschieden bis in das späte 1. Jt. v. Chr. als erstaunlich stabil erweist“.23 Aus dem umfangreichen Komplex altorientalischer Tempelbauideologie sollen hier nur drei Aspekte herausgegriffen werden, die für unsere Themenstellung von großer Bedeutung sind, Tempelbau als Initiative der Götter, die Verpflichtung des Königs zur Ausführung der göttlichen Initiative und die Kontinuität der Ortslage. | stärkt, ja ausschließlich auf die biblischen Texte als historische Quelle zurück, weil die Archäologie und die von ihr ans Tageslicht gebrachten Artefakte für die frühe Perserzeit im judäischen Bergland als Quellenbasis kaum von Gewicht sind? 20 Bedford, Temple, 32. Vgl. ders., Time, 71–94. 21 Vgl. dazu den kurzen Vergleich der Handlungsstruktur zwischen dem tempeltheologischen Konzept des Ezechielbuches und der Marduk-Prophetie in Lux, Konditionierung, 229ff. Dieselbe Struktur ließe sich im Bericht Nabonids über den Wiederaufbau des Echulchul in Harran (TUAT II/4, 493–496), oder in der für unsere Thematik in vielerlei Hinsicht höchst ergiebigen Inschrift Asarhaddons über den Wiederaufbau des Esagila in Babel aufzeigen (Borger, Inschriften, 10–31). Damit liegen nur drei Beispiele für altorientalische Tempelbauberichte aus dem ausgehenden 12., dem 7. und dem 6. Jh. v. Chr. vor, die eine vergleichbare Handlungsstruktur enthalten. 22 Zu den rituellen Handlungsmustern siehe Ellis, Deposits, 5–34. 23 Hartenstein, Tempelgründung, 498ff.
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2.1. Tempelbau als Initiative der Götter Die altorientalische Tempelbausymbolik hat vielfältige Bezüge zum Thema Schöpfung, worauf schon häufiger aufmerksam gemacht worden ist.24 So wurde der aus den Urwassern aufsteigende Urhügel (duku) mit der Symbolik der Tempeltürme Mesopotamiens, den Ziqqurats, ebenso verbunden wie mit den Pyramiden Ägyptens.25 Die altorientalische Mythologie korrelierte die Erschaffung des Kosmos mit dem Tempelbau.26 Denn in der Urzeit waren es ja die Götter selbst, auf die nicht nur die Errichtung des Kosmos, sondern auch die der Heiligtümer zurückgeführt wurden. So errichten im Enuma Elisch die Anunnaki dem Götterkönig Marduk ein Heiligtum in Babylon. Marduk gibt ihnen den Auftrag: „,Erbaut Babylon, die Aufgabe, die ihr gesucht habt. Laßt Ziegel dafür geformt werden und errichtet das Heiligtum!‘ Ein Jahr lang strichen sie die nötigen Ziegel. Als das zweite Jahr herankam, errichteten sie den First von Esagil, eine Nachbildung des Apsu. Sie erbauten den hohen Tempelturm des Apsu, und richteten sein(en) [...] für Anu, Enlil und Ea als Wohnstätte ein. Er saß majestätisch vor ihnen und musterte seine Hörner, die mit der Basis von Escharra eben waren. Nachdem sie die Arbeit an Esagil vollendet hatten, errichteten die Anunnaki alle ihre eigenen Heiligtümer.“27
Der in der Mythologie verankerte göttliche Ursprung von Heiligtümern legt es nahe, dass Bau und Wiedererrichtung von Tempeln nicht allein im Belieben der Menschen standen, sondern sakrale Akte von höchster Dignität waren und keineswegs jedermann zustanden. Tempelbau war Schöpfungswerk, imitatio deorum! Und wenn es um den Wiederaufbau eines zerstörten oder verfallenen Tempels ging, dann setzte der Mensch ein Werk fort, das bei den Göttern in der Urzeit seinen Anfang nahm. Daher versteht es sich von selbst, dass solch ein Unternehmen ein Votum der Götter unabdingbar erforder|lich machte (vgl. 2 Sam 7). Denn die Tempelbauer griffen mit ihrem Werk ja nicht allein in die kultische Ordnung ihrer Stadt und ihres Landes ein, sondern trugen damit zur Stabilisierung und irdischen Verankerung der kosmischen Ordnung bei.28 So verwundert es nicht, dass einige Tempelbauinschriften ausdrücklich darauf hinweisen, dass der 24 Vgl. dazu vor allem die Arbeiten von Janowski, Tempel, 214ff; ders., Himmel, 229ff; ders., Wohnung, 24ff. Keel/Schroer, Schöpfung, 107, haben diesen Zusammenhang in ihrer graphischen Rekonstruktion des biblischen Weltbildes eindrucksvoll zur Anschauung gebracht. 25 Siehe ausführlicher dazu Keel, Bildsymbolik, 100ff, und Janowski, Tempel, 216ff. 26 Vgl. für den biblischen Bereich z.B. die Verknüpfung von Schöpfungs- und Tempeltheologie in Ps 93 in der Auslegung von Zenger, Anfang, 49ff. 27 TUAT III/4, 593. 28 Die Gründungsnägel oder -pflöcke, die die kosmische Verankerung der Tempelfundamente mit der Symbolik der axis mundi verbinden, führen dies eindrucksvoll vor Augen. Vgl. dazu Ellis, Deposits, 46ff; Hartenstein, Tempelgründung, 501f.
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Befehl zu Tempelbau und Tempelerneuerung von den Göttern selbst ausging: Als „ich (Nabopolassar) den Subaräer schlug (und) sein Land umwandelte in Ruinenhügel und Ödland, damals befahl mir der Herr Marduk, Etemenankis, des Stufenturms von Babylon, Fundament, das vor meiner Zeit sehr baufällig gemacht (und) eingestürzt war, in der Tiefe des Untergrundes fest zu begründen und seine Spitze mit dem Himmel wetteifern zu lassen."29
Zumindest versicherte man sich vor Beginn der Bauarbeiten der Zustimmung der Götter, die man sich durch die Beobachtung günstiger astraler Konstellationen sowie durch Mantik und Opferpraxis einholte. Asarhaddon teilt uns, um nur ein Beispiel zu geben, im Zusammenhang des Wiederaufbaus des Assur-Tempels mit: „Mars, der die Entscheidung über Amurru fällt, strahlte hell im Wege der Sterne des Ea; er zeigte seine Satzung (?), die dem König und seinem Lande Stärke verlieh, als seine Vorzeichen; Botschaften der Ekstatiker wurden mir beständig geschickt. Es traten günstige ,Kräfte‘ ein, die mir Gründung des Fundamentes meines priesterlichen Thrones für ewige Zeit verhiessen; in Traum und Segensformeln wurden sie mir immer wieder zuteil und verhiessen mir Gründung des karru und Regierung bis ins hohe Alter. [...] (Anfangs) ängstigte ich mich, scheute ich mich und zauderte ich, jenen Tempel zu erneuern, doch bei der Opferspeisenschüssel der Opferbeschauer antworteten Šamaš und Adad mir | ein verlässiges Ja, und betreffs des Baues jenes Tempels und der Erneuerung seiner Cella liessen sie ein Leberorakel schreiben.“30
Auf diese Weise wurde die Errichtung von Heiligtümern zu einer „genuine(n) Gemeinschaftsaufgabe von Göttern und Menschen“.31
29
TUAT II/4, 491f. Auch Nebukadnezar II. wusste sich von Marduk beauftragt, die Heiligtümer zu erneuern. „Die Bauarbeit an den Kultstätten der Götter und Göttinnen, zu der der große Herr Marduk mich beauftragt und das Herz erregt hatte, führte ich ehrfürchtig (und) ununterbrochen zur Vollendung“ (TUAT Erg., 15). 30 Borger, Inschriften, 3. 31 Hartenstein, Tempelgründung, 507. Dass die einseitige Bauankündigung JHWHs im sogenannten Ecksteinwort Jes 28,16 „abgründig“ erscheine, ja geradezu als „fremdes Werk“ qualifiziert werden könne, halte ich aufgrund der altorientalischen Tempelbauideologie nicht für zwingend. Die Ankündigung sagt ja noch nichts über die Art der Verwirklichung, darüber, ob JHWH selbst Hand anlegt, oder einen irdischen Mandatar dazu veranlasst. Beachtet man darüber hinaus die mythologischen Anspielungen in Jes 28, die sich bereits in der von Hartenstein herausgearbeiteten Flutmetaphorik zeigen (ebd., 496ff), dann dürfte wohl auch der Tempelbau als Werk der Götter, wie ihn z.B. Enuma Elisch darstellt, einem Israeliten des 1. Jt. v. Chr. kein ganz und gar abgründiger oder gar fremder Gedanke gewesen sein.
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2.2. Der König als Tempelbauer Tempelbau war im gesamten Alten Orient das Recht und die Pflicht des Königs als Mandatar der Götter.32 Er betrieb damit das, was von Uehlinger als „figurative policy“ bezeichnet worden ist.33 Die literarische und ikonographische Selbstdarstellung des Königs als Tempelbauer gehört zu den Standardmotiven altorientalischer Königsideologie. Hier ist vor allem auf das Motiv des „Königs als Korbträger“ (Kanephoren) zu verweisen, das vom ausgehenden 3. Jt. v. Chr. bis ins 7. Jh. v. Chr. mehrfach belegt ist.34 Es stellt die rituelle Beteiligung des Königs an den Tempelbauarbeiten dar. So heißt es in der Babelinschrift Asarhaddons (681–669 v. Chr.) über den Wiederaufbau des Esagila: „Um seine große Gottheit den Leuten zu zeigen und sie zu lehren, seine Herrschaft zu fürchten, trug ich einen Tragkorb (?) auf meinem Haupte und setzte ihn mir selbst auf.“35
Und einem Bericht Nabopolassars (625–605 v. Chr.) ist auch literarisch zu entnehmen, was archäologisch mehrfach nachgewiesen wer|den konnte, dass derartige Kanephoren als Gründungsfiguren in die Tempelfundamente eingebracht worden sind. „Ein Bildnis von mir als König, der den Ziegelkorb trägt, stellte ich her und stellte es auf den Grundstein. Für Marduk, meinen Herrn, beugte ich den Nacken. Das gute Gewand, meine königliche Bekleidung, rollte ich ein, und Ziegel und Lehm trug ich auf meinem Haupte.“36
Der Tempelbau diente dabei in besonderer Weise der Legitimation und Absicherung von Macht.37 Nicht selten werden die Tempelbauprojekte der vorderorientalischen Könige unmittelbar mit ihrer Thronbesteigung in Verbindung gebracht: „Am Anfang meiner (Asarhaddons) Regierung, in meinem ersten Regierungsjahre, nachdem ich mich feierlich auf meinen königlichen Thron gesetzt hatte, gab es gute ,Kräfte‘ im Himmel und auf Erden; betreffs Bewohnbarmachung der Stadt und Erneuerung ihrer Kulträume schickte er sie fortwährend als sein Vorzeichen.“38 32
Vgl. Kapelrud, Temple, 56ff; Lux, König, 99ff. Uehlinger, Figurative Policy, 297ff. 34 Derartige Kanephoren wurden als Gründungsfiguren in die Fundamente der Tempel eingebracht. Vgl. dazu Keel, Bildsymbolik, 248ff; Hartenstein, Tempelgründung, 502f, und Ellis, Deposits, 60ff. 35 Borger, Inschriften, 20. 36 TUAT II/4, 492. 37 Lux, König, 101ff. 38 Borger, Inschriften, 16. In der Adad-guppi-Inschrift erfährt die Mutter Nabonids, nachdem dieser zum Königtum berufen wurde, im Traum vom Mondgott Sin: „Mit dir ist die Rückkehr der Götter, in die Hand deines Sohnes Nabonid lege ich (ihr) Wohnen 33
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Und ganz selbstverständlich erhoffte man sich vom Bau und von der Unterhaltung der Heiligtümer eine Festigung der Macht. Die nahezu stereotypen Schlusspassagen der Tempelbauinschriften stellen häufig einen Konnex zwischen dem König als Tempelbauer und Kriegsherrn her. Der König verspricht sich von der Heiligtumspflege den Sieg über seine Feinde und eine dauerhafte Herrschaft. So bittet Nabonid (556–539 v. Chr.) den Mondgott Sin als Gegenleistung für die Wiedererrichtung des Echulchul in Harran: „Mich, den Nabonid, den König von Babylon, der diesen Tempel vollendet hat, möge Sin, der König der Götter von Himmel und Erde, mit dem Erheben seiner gütigen Augen froh anblicken! Monatlich beim Aufleuchten und Untergang möge er die Vorzeichen für mich günstig gestalten! Meine Tage möge | er verlängern, meine Jahre vermehren (und) festigen meine Regierung! Meine Feinde möge er besiegen, meine Gegner fällen, vernichten meine Widersacher!“39
Aber nicht allein für sich selbst und seine Dynastie erbittet der König als Gegengabe für den Tempelbau Kriegsglück, Wohlstand und Segen, sondern auch für sein gesamtes Land und seine Untertanen: „Marduk und Sarpanitu, meine göttlichen Helfer, mögen meine guten Werke freudig anblicken und fest entschlossen mein Königtum beständig segnen. [...] Mein Königtum möge wie das ,Lebenskraut‘ den Leuten wohlgefällig sein. In Recht und Gerechtigkeit möge ich ihre (sc. der Götter) Untertanen hüten [...] Ein ,gerechtes‘ Zepter, das das Land erweitert, einen ,zornigen‘ Herrscherstab, der die Unbotmäßigen unterwirft, mögen sie (sc. die Götter) mir in die Hand geben; meine Waffen mögen sie sich erheben lassen, meine Feinde mögen sie töten und mich mit Triumph und Sieg über meine Feinde stellen. Regengüsse und Hochwasser, Gelingen der Ernte, Reichlichkeit des Getreides, Fülle und Überfluss mögen sie in meinem Lande bewirken; sie mögen das Getreide haufenweise aufschütten.“40
Wenn der Tempelbau im Alten Orient ideologisch derart fest mit der Institution, der Installation und dem Bestand des Königtums verbunden war, dann ergab sich daraus für die frühnachexilische Zeit ein Problem. Musste in diesem Falle nicht der persische Reichskönig stellvertretend für den nicht mehr vorhandenen judäischen Lokalkönig in diese Funktion eines Tempelbauers für Juda und Jerusalem eintreten, wie dies dann auch in Jes 44,28 und in Esra 1–6 dargestellt wird?
in Harran! Echulchul wird er bauen, vollenden dessen Rekonstruktion“ (TUAT II/4, 482). Vgl. dazu auch den Hinweis auf den Traum Nabonids in TUAT II/4, 494. 39 TUAT II/4, 496. 40 Borger, Inschriften, 26f.
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2.3. Die Kontinuität der Ortslage Die Errichtung oder Wiedererrichtung eines Tempels war nicht an jedem beliebigen Ort möglich. Immer wieder werden die Auffindung des Tempelortes und der Beginn der Tempelbaumaßnahmen mit Traumgesichten oder speziellen Offenbarungen (vgl. Gen 28,10ff; 2 Sam 24,16ff) sowie rituellen Vollzügen, die diese herbeiführten, in Zu|sammenhang gebracht: ,,(Gleich) zu Anfang meines ewigen Königtums ließen sie mich einen Traum sehen. Marduk der große Herr, und Sin, die Leuchte von Himmel und Erde, standen beide da. Marduk sprach zu mir: Nabonid, König von Babylon, mit deinen Wagenpferden transportiere Ziegel, Echulchul baue und laß den großen Herrn Sin darin seine Wohnung nehmen!“41
Wenn die Orte der Heiligtümer als Orte der Offenbarung der Gottheit betrachtet wurden, dann versteht es sich von selbst, dass man den Neubau eines Tempels nicht an irgendeinem beliebigen Ort vornehmen konnte. Vielmehr wusste man sich streng an den Ort des Vorgängerbaues gebunden und legte höchsten Wert darauf, den Neubau nach Möglichkeit exakt an den Maßen der alten Grundmauern auszurichten. Daher gehören die Hinweise über die Auffindung der Fundamente und Gründungssteine der Vorgängerbauten zu den Standardmotiven altorientalischer Tempelbauberichte. „In einem günstigen Moment, an einem Tag der Erhörung, den Schamasch und Adad durch eine Opferschau bestimmt hatten, legte ich in der Weisheit von Ea und Asalluchi mit Beschwörungskunst (und) mit der Kunst des Kulla, des Herrn des Fundaments und der Ziegel, mit Silber, Gold, kostbaren auserlesenen Steinen, Hartholz des Waldes (und) Zederparfüm in Freuden und Jubel auf den Grundstein des Assyrerkönigs Assurbanipal, der (noch) den Grundstein des Salmanassar, des Sohnes des Assurbanipal, gesehen hatte, sein Fundament und festigte seine Ziegel.“42
Dieser Zusammenhang von (Traum-) Offenbarung und betonter Kontinuität von Tempelortslagen wird sich für unsere Fragestellung als wichtig erweisen. Alle hier nur an wenigen Beispielen vorgestellten Aspekte der altorientalischen Tempelbautheologie werden auch im Kontext des Wiederaufbaus des Tempels von Jerusalem thematisiert. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass den Verfassern der Texte über die Anfänge des Zweiten Tempels das hier in Auszügen vorgestellte Textmaterial bekannt gewesen sein muss. Vielmehr wird man wohl annehmen dürfen, dass die hinter den Texten ste41
TUAT II/4, 494. TUAT II/4, 495. Vgl. auch Borger, Inschriften, 21: „In einem günstigen Monate, an einem geeigneten Tage, habe ich auf sein altes Fundament, ohne auch nur eine Elle zu vernachlässigen oder eine halbe Elle hinzuzufügen, ganz nach seinem alten Plane, das neue gelegt.“ 42
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henden rituellen Vollzüge, | die derartige Tempelbaumaßnahmen flankierten, trotz einer erheblichen Variationsbreite einen allgemeinorientalischen Erfahrungshorizont widerspiegeln, der auch die biblischen Tempelbauberichte nicht unwesentlich geprägt haben wird. Daher wird man diese Aspekte altorientalischer Tempelbautheologie beim Versuch der Rekonstruktion der Anfänge des Zweiten Tempels von Jerusalem nicht außer Acht lassen dürfen.
3. Tempelbau in Haggai und Sacharja 1–8 Die Propheten Haggai und Protosacharja berichten weder etwas von einer Anordnung Kyros II. zum Wiederaufbau des Tempels, noch scheinen sie etwas davon zu wissen, dass Scheschbazzar die Tempelgeräte zurückgeführt und die Fundamente zum Tempel bereits gelegt habe. Das chronologische System, das beide Prophetenbücher miteinander verklammert (Hag 1,1.15; 2,10; Sach 1,1.7; 7,1),43 datiert das dort dargestellte Geschehen in die ersten Regierungsjahre Dareios’ I., genauer zwischen dem 29.08.520 und dem 07.12.518 v. Chr. Obwohl die Haggai- und Sacharjaüberlieferung nachträglich durch dieses Datierungssystem zusammengebunden worden ist, wird in der Forschung kaum44 daran gezweifelt, dass das Zeitfenster, in welches es die ihm vorgegebenen Prophetentexte – abgesehen von redaktionellen Erweiterungen – gestellt hat, im Wesentlichen zutreffend gewählt wurde. Versucht man daher auf dem Hintergrund dieser Quelle, die den Ereignissen chronologisch am nächsten stehen dürfte, diese zu deuten, dann ergibt sich folgendes Bild: 3.1. JHWH, der Initiator, und sein Prophet als Proklamator des Wiederaufbaus Nach guter altorientalischer Tempelbautradition ging die Initiative zum Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels von der Gottheit selbst, von JHWH aus: „Da erging das Wort JHWHs durch Haggai, den Propheten: Ist es für euch Zeit, zu wohnen in euren getäfelten Häusern, | während dieses Haus wüst daliegt? ... Geht auf das Gebirge und schafft Holz herbei und baut das Haus, dass ich Gefallen daran habe und mich herrlich erweise, hat JHWH gesprochen.“ (Hag 1,4.8)
43
Siehe Näheres dazu bei Lux, Zweiprophetenbuch, 4–9. Zu dem wenig einleuchtenden Versuch von Dequeker, Darius, 21ff, den Wiederaufbau des Zweiten Tempels erst in das 5. Jh. v. Chr. unter Dareios II. (424–404 v. Chr.) zu datieren, hat Uehlinger, Figurative Policy, 337, bereits das Notwendige gesagt. 44
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Zwar datiert das Haggaibuch die Worte des Propheten in das zweite Regierungsjahr Dareios’ I. (Hag 1,1 u.ö.), sagt aber mit keinem Wort, dass der persische Reichskönig in irgendeiner Weise in das Tempelbauunternehmen involviert gewesen sei. Der Auftrag JHWHs zum Tempelbau, der nach Jes 44,28 und Esra 1,1f an Kyros II. erging, wird hier zu einer rein innerjudäischen Angelegenheit erklärt, die von JHWH initiiert und von seinem Propheten proklamiert worden ist. Es handelte sich danach um eine durch eine Wortoffenbarung JHWHs angestoßene prophetische Aktion. Verstärkt wird dieser prophetische Akzent durch eine spätere Redaktion des Sacharjabuches, die dem Komplex der Nachtgesichte (Sach 1,7–6,8) den Sacharjaprolog voranstellte (Sach 1,1–6). 45 Zusätzlich zu Haggai ernannte der Prologverfasser Sacharja zum zweiten prophetischen Initiator des Tempelbaus. Dieser habe im 8. Monat des 2. Jahres des Dareios (Sach 1,1), also ca. einen Monat vor der Grundsteinlegung am 24.09. desselben Jahres (Hag 2,10.18.20), den Judäern und Jerusalemern eine kräftige Umkehrpredigt gehalten, die – nimmt man ihren chronologischen Ort im Zweiprophetenbuch Hag 1 – Sach 8 ernst – dann offensichtlich das Tempelbauwerk mit in Gang setzte.46 Wenn es zutrifft, dass die Verfasser von Esra 1–6 die Prophetenbücher Haggai und Sacharja als Quelle für ihre eigene Geschichtsdarstellung nutzten,47 dann verwundert es kaum, dass auch sie noch mit Esra 5,1; 6,14 um den Tempelbau als einer prophetischen Initiative wissen. Dieser Befund ist im Vergleich mit der altorientalischen Tempeltheologie von Interesse. Auch in ihr geht – wie sich zeigen ließ – die Initiative zum Tempelbau | häufig von den Göttern aus. An die Stelle der Initiativkette „Gottheit Ƥ König Ƥ Tempelbau durch das Volk“ tritt bei Haggai die Abfolge „JHWH Ƥ Prophet Ƥ Repräsentanten des Volkes (Serubbabel, Joschua) Ƥ Tempelbau durch das Volk“. Die Differenz fällt zunächst weniger ins Gewicht, wenn man bedenkt, dass sich auch die altorientalischen Könige ihrer Spezialisten in der Omina- und Orakelkunde bedienten, der Mantiker und Himmelskundigen, die den jeweils günstigsten Termin für die in Angriff zu nehmenden Tempelbauarbeiten zu ermitteln hatten. Das Haggaibuch vermittelt dagegen allerdings den Eindruck, 45
Vgl. die Einzelheiten dazu bei Lux, Konditionierung, 226ff. Die Redaktoren des Prologs, die Sacharja in die Reihe der vorexilischen Umkehrprediger einordneten und darin ganz dem deuteronomistischen Prophetenverständnis verpflichtet waren (vgl. dazu die Rezeption von Jer 25 und 2 Kön 17, die zu Stichwortgebern für Sach 1,3f geworden sind), konnten dabei an die ihnen vorgegebene Sacharjaüberlieferung in 1,16; 2,5–9; 4,6–10a; 8,9 anknüpfen. Zwar stammen wohl auch die hier erwähnten Texte nicht alle aus der Feder des Propheten, lagen aber wohl dem Verfasser des Prologs bereits vor, so dass es für diesen kaum eine Frage war, dass auch Sacharja an den Anfängen des Zweiten Tempels mitgewirkt hat. 47 So u.a. Willi, Juda, 66. 46
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dass nicht die Repräsentanten des Volkes, der Davidide und persische Statthalter Serubbabel oder der Hohepriester Joschua, die Initiative ergriffen und sich der Propheten Haggai und Sacharja zur ideologischen Unterstützung des Tempelbauwerkes lediglich bedienten, wie dies die altorientalischen Könige mit ihren Vorzeichenspezialisten getan haben. Vielmehr mussten auch diese erst von den Propheten aktiviert und mehrfach neu motiviert werden, um für JHWHs Wort und Geist empfänglich zu sein (Hag 1,1.12–14) und die Lust an dem begonnenen Werk nicht zu verlieren. „Jetzt aber bleibe fest, Serubbabel, Spruch JHWHs, bleibe fest, Joschua, Sohn Jehozadaks, Hoherpriester, bleibe fest, alles Volk des Landes, Spruch JHWHs, und tut’s, denn ich bin mit euch, Spruch JHWH Zebaots.“ (Hag 2,4)
Also nicht die Repräsentanten des Volkes bedienten sich der Propheten, sondern umgekehrt, die Propheten bedienten sich der Repräsentanten, um ihrem Vorhaben zum Erfolg zu verhelfen. Es bleibt dabei: Nach der Botschaft Haggais war der Bau des Zeiten Tempels eine von JHWH initiierte und von seinem Propheten proklamierte Initiative. 3.2. Die Bauherren und Bauleute des Zweiten Tempels Gegen die hier aufgestellte Hypothese, dass sich der Zweite Tempel einer prophetischen Initiative verdanke, könnte eingewendet werden, dass damit sowohl die Rolle des Statthalters Serubbabel als auch die des Hohepriesters Joschua marginalisiert würde. Immer wieder wird fast selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Zweite Tempel das eigentliche Werk dieser beiden Persönlichkeiten gewe|sen sei.48 Und dass diese, da ja Serubbabel den offiziellen Titel eines ėĚħ, eines von den Persern eingesetzten „Provinzstatthalters“ trug (1,2.14; 2,2.21), 49 im Auftrag und im Einverständnis mit dem persischen Reichskönig handelten, wird dann stillschwei-
48 Vgl. neben Donner, Geschichte, 405–416; Sasse, Geschichte, 52–57; Finkelstein/ Silberman, Posaunen, 318–321, u.v.a. auch Meinhold, Serubbabel, 200–209. 49 Obwohl die Anfänge einer eigenständigen Provinz Jehud noch in vielen Details ungeklärt sind und im Dunkeln liegen, gibt es wenig Grund für die von Alt, Samaria, 333, aufgestellte Annahme, dass es sich bei ėĖĘėĜ ĭĚħ ğēĜĭğēĬČĢĔ ğĔĔĘīę „Serubbabel, Sohn Schealtiels, dem Statthalter Judas“, lediglich um einen von den Persern eingesetzten Kommissar mit zeitlich befristeten Sonderaufgaben gehandelt habe (so auch noch Donner, Geschichte, 410). Willi, Juda, 30, gibt mit Recht zu bedenken, dass dessen Wirken zugunsten Judas einen „Eingriff in Samarias Hoheitsrechte“ bedeutet hätte, der schwer vorstellbar sei. Darüber hinaus bieten neuere Textfunde deutliche Hinweise darauf, dass die Provinz Jehud bereits vor Nehemia eine eigenständige politische Verwaltungseinheit neben der Provinz Samerina gewesen ist, die auch von einem eigenen Statthalter (ėĚħ) angeführt wurde. Siehe zu den Einzelheiten Meinhold, Serubbabel, 194–200.
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gend vorausgesetzt,50 bzw. aus Esra 1,2f; 3,7;51 4,3; 6,752 entnommen. Davon steht allerdings weder bei Haggai, noch bei Sacharja irgendein Wort. Vielmehr wird in Hag 1,12 deutlich gesagt, dass „Serubbabel, der Sohn Schealtiels, Joschua, der Sohn Jehozadaks, der Hohepriester, und der ganze Rest des Volkes auf die Stimme JHWHs ihres Gottes und auf die Worte Haggais des Propheten hörten, den JHWH, ihr Gott, gesandt hatte“. Nach dem Buch Haggai stellt sich die Sache demnach so dar, dass die beiden Bauherren des Tempels, Serubbabel, der Provinzstatthalter, und Joschua, der Hohepriester, sowie die Bauleute, die mit ihnen aus der Gola zurückgekehrt waren („der Rest des Vol|kes“, Ġĥė ĭĜīēĬ)53, erst nach ihrer Rückkehr nach Jerusalem von dem Propheten Haggai zu diesem Unternehmen ermuntert und überredet werden mussten. Der Prophet hatte dabei ganz offensichtlich erhebliche Widerstände aus dem Weg zu räumen (Hag 1,2–11),54 bis er diese beiden Führungskader und die Rückkehrer zu diesem Schritt bewegen konnte.55 Von einer persischen Initiative dazu, die Serubbabel und Joschua bereitwillig umsetzten, ist nicht die Rede. Nach Haggai und Sacharja war dies ein rein national-religiöses Projekt und eben kein Projekt des persischen Reichskönigs. Offensichtlich konnte und wollte sich Serubbabel nach seiner Rückkehr diesem von einer aktualeschatologisch gestimmten nationalen Heilsprophetie56 angestoßenen Projekt nicht entziehen. Als Enkel des vorletzten judäischen Königs Jojachin (1 Chr 50
So Albertz, Exilszeit, 106, u.a. Esra 3,7 stellt aller Wahrscheinlichkeit nach einen Reflex von 1 Kön 5,20–32 dar und steht in Spannung zu Hag 1,8. Schon aus diesem Grunde ist die Nachricht über den von Kyros gestatteten Holzeinkauf auf dem Libanon kaum zuverlässig. Vielmehr wird mit ihr der Bau des Zweiten Tempels in das Licht des Tempelbaus Salomos gerückt, dem der Tempel Serubbabels und Joschuas natürlich in keiner Weise nachstehen sollte. Vgl. zu dem literarischen Motiv der phönizischen „Holzauktion“ Kunz-Lübcke, Komposition, 109–123. 52 Eine ausdrückliche Anweisung an den Statthalter Jehuds (ēĜĖĘėĜ ĭĚħ) ergeht lediglich in Esra 6,7, wobei interessanterweise hier Serubbabel namentlich nicht genannt ist. Gunneweg, Esra, 103, sieht in der Wendung einen späteren Zusatz, der einen Ausgleich zu 5,2 schaffen wolle. 53 Zur Kennzeichnung der Rückkehrer aus der babylonischen Gola nach Juda und Jerusalem als Ġĥė ĭĜīēĬ siehe Wolff, Haggai, 34f, und Clements, īēĬ, ThWAT VII, 947. 54 Dass es in Jerusalem selbst erheblichen Gegenwind gegen das Tempelbauprojekt gab, geht aus Jes 66,1f hervor. Dort wird der Tempelbau mit Verweis auf den Schöpfer strikt abgelehnt. Vgl. dazu Albani, Haus, 39ff. 55 Die Forderung zur Um- und Rückkehr in Sach 1,3 soll – obwohl aus späterer Zeit stammend (vgl. Anm. 45) – ihrem chronologischen Kontext nach zwischen Hag 2,9 und 10 eingeordnet werden. Damit nimmt sie offensichtlich Bezug auf die vor der Grundsteinlegung zum Tempelbau herrschenden Probleme und Widerstände gegen das Unternehmen. 51
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3,19) ruhten auf ihm die Hoffnungen einer Wiedererrichtung des davidischen Königtums. Jedenfalls sagt ihm Haggai dieses am Tag der Grundsteinlegung zum Zweiten Tempel, dem 24.09. im 2. Jahr des Dareios, zu: „An jenem Tag – Spruch JHWH Zebaots – will ich dich nehmen, Serubbabel, Sohn Schealtiels, meinen Knecht, – Spruch JHWHs – und will dich wie einen Siegelring anlegen, denn dich habe ich erwählt, – Spruch JHWH Zebaots.“ (Hag 2,23)
Haggai nimmt hier das berühmte Siegelwort aus Jer 22,24f über Jojachin auf. Dort ist es ein Gerichtswort über den judäischen König, den sich JHWH wie einen Siegelring von seinem Finger ziehen wird, um ihn zu verwerfen.57 Hier wird dieses Gerichtswort in ein Heilswort umgewandelt. Die verworfene Dynastie wird in Serubbabel mit dem Tempelbau neu erwählt. Als erster Anwärter auf den Jerusalemer Thron sollte nach dem Propheten Haggai er und eben nicht | der persische Reichskönig, also ein Judäer und Davidide – möglicherweise zunächst nur zögernd und vom Propheten dazu getrieben – die in der altorientalischen Königsideologie verankerte Funktion des Tempelbauers übernehmen.58 Dass damit auch die Hoffnung auf eine Erneuerung des realen Königtums in Jerusalem verbunden war, legt Hag 2,23 nahe.59 Denn von dem Tempelbauer erwartete man ja nicht allein die Gründung des Heiligtums, sondern der allgemeinorientalischen Tempeltheologie entsprechend auch die Übernahme von Verpflichtungen zur dauerhaften Aufrechterhaltung des Kultbetriebes.60 56 Vgl. zu dieser zutreffenden Charakterisierung der Prophetie Haggais und Sacharjas Koch, Profeten, 163–179. 57 Vgl. dazu Wanke, Jeremia, 201f. 58 Dahingehend spricht sich auch Pola, Priestertum, 157–170, aus. 59 Pola, Priestertum, 166ff, vertritt allerdings die Auffassung, dass der offene Schluss des Haggaibuches mit seiner präsentischen Eschatologie ein realpolitisches Verständnis der Serubbabelweissagung in Hag 2,23 ausschließe. Serubbabel werde in Ermangelung eines „rechtmäßig inthronisierten Davididen“ lediglich gebraucht, um die „Schirmherrschaft“ für den Tempelbau zu übernehmen und damit die „Legitimität des Tempels“ zu sichern. Serubbabel nehme „nur für die Grundsteinlegung die Rolle eines vollgültigen Davididen ein. Er behält sie aus der Sicht Haggais nicht dauerhaft personenbezogen bzw. im Sinne einer mit ihm erneut etablierten politischen Institution, sondern sie besitzt einen auf die Grundsteinlegung zugespitzten funktionalen Charakter“ (ebd., 168f). Von einer auf den Akt der Grundsteinlegung begrenzten Erwählung Serubbabels ist in Hag 2,23 allerdings nicht die Rede. Dagegen spricht m.E. auch die Logik von Sach 4,9. Die Charakterisierung des gesamten Abschnittes Hag 2,20–23 als präsentische Eschatologie schließt die Deutung von V. 23 als einer realpolitischen Erwartung m.E. nicht aus. 60 Dies gilt auch für den Verfassungsentwurf des Ezechiel, der ja bekanntlich großen Wert auf eine strikte Trennung von Palast- und Tempelbezirk legt, den zum ēĜĬģ depotenzierten (?) König aber nach wie vor für die Eintreibung der Kultussteuern in die Pflicht nimmt (Ez 45,17), obwohl er im Unterschied zu den vorexilischen Königen keine priesterlichen Funktionen im Rahmen des Opferkultes mehr ausüben durfte. Wenn die
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Das Haggaibuch ist also peinlichst darauf bedacht, das Projekt des Wiederaufbaus des Zweiten Tempels von allen nichtjudäischen, fremden Einflüssen fernzuhalten. Was aus der Perspektive einer keineswegs durchweg toleranten, sondern allenfalls pragmatischen per|sischen Religionspolitik61 durchaus denkbar war, war den national und aktualeschatologisch gestimmten Prophetenkreisen um Haggai und Sacharja (?) wohl nur schwer vorstellbar.62 Man kann sogar fragen, ob das Tempelbauprojekt des Haggai nicht geradezu mit einer antipersischen Note versehen wird. Der Prophet kündet ja am Tag der Grundsteinlegung einen weltweiten politischen Umsturz an, in dessen Verlauf die Völker ihre Reichtümer und Gaben zum Jerusalemer
plausible These von Konkel, Tempelvision, 164ff, zutrifft, dass Ez 40–48 als programmatische Kritik am Kult des Zweiten Tempels zu lesen sei, dann setzt der Verfassungsentwurf die in Haggai und Sacharja dargestellten Anfänge des Jerusalemer Heiligtums voraus. Die Vermeidung des ĝğġ-Titels würde sich in diesem Falle als ein Reflex auf die Weissagung in Hag 2,23 erklären. Zwar wurde die Wiedererrichtung des davidischen Königtums keine politische Realität, an dem Anspruch einer eigenen politischen Führungsfigur wurde aber wie in Sach 6,9–15 festgehalten. Die Unterhaltung des Tempelkultes war danach eben eine Aufgabe des judäischen ēĜĬģ und nicht der persischen Reichskönige. 61 Dass – wie häufig angenommen – die Religionspolitik der Achämeniden keineswegs durchweg von Toleranz gekennzeichnet war, wurde in jüngerer Zeit mehrfach betont. Vgl. dazu Albertz, Exilszeit, 100; Pola, Priestertum, 9; Grätz, Edikt, 263. 62 Als Beispiel dafür sei auf Hag 1,8 verwiesen. Dort teilt der Prophet seinen Hörern ein JHWH-Wort mit: „Steigt auf das Gebirge und bringt Bauholz herbei und baut das Haus, damit ich Gefallen an ihm finde und mich als herrlich erweise, spricht JHWH.“ M.E. spielt Haggai hier auf den ersten Tempelbaubericht an, auf die Bestellung von Zedern durch Salomo bei Hiram von Tyros (1 Kön 5,15ff). Vgl. dazu Kunz-Lübcke, Komposition. Bediente sich Salomo noch ausländischer Handelspartner und Handwerker, um seinen Tempel zu bauen, so soll der für den Bau notwendige Holzeinschlag jetzt allein von den Judäern getätigt werden, und zwar nicht im Ausland, sondern wohl auf dem judäischen Gebirge. Immerhin hatte Salomo ja für seinen Holzhandel einen gehörigen Preis an Naturalien (1 Kön 5,25) und zwanzig galiläische Städte (1 Kön 9,10–14) an den fremden Herrscher Hiram abtreten müssen. Über derartige ökonomische und politische Möglichkeiten verfügte Serubbabel nicht und sollte er wohl auch nicht verfügen. Im Gegensatz zum international angelegten Tempelbau Salomos beschränkte sich der Tempel Haggais und Serubbabels als nationalreligiöses Projekt auf die nationalen Ressourcen. Und gerade diese Selbstbeschränkung wird mit der Verheißung verbunden, dass JHWH an einem solchen Haus Gefallen finden wird, d.h. es als seine Wohnstatt annehmen wird und sich in ihm als herrlich erweisen wird. Gerade darin liegt ein deutlicher Unterschied zu Esra 3,7. Auch dort wird auf 1 Kön 5,15ff zurückgegriffen, der Bezug des Bauholzes aus Phönizien aber gerade nicht wie in Hag 1,8 getilgt, sondern bewusst beibehalten. Wo die Tempelgründung als Werk der Perserkönige betrachtet wurde, da bereitete es offensichtlich auch keinerlei Probleme, den internationalen Holzhandel für das Tempelbauwerk in Anspruch zu nehmen.
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Tempel bringen würden (Hag 2,6–9). 63 In der Folge dieses Umsturzes soll es dann auch zum Sturz „des Thrones der Königreiche“ (ĭĘĞğġġ ēĤĞ) kommen und zur Vernichtung ihres militärischen Potenzials, womit m.E. auf den Thron des persischen | Reichskönigs angespielt wird (2,22).64 In dieser Verheißung Haggais klingen möglicherweise noch die Hoffnungen nach, die durch den Aufstand des Magiers Gaumata ausgelöst wurden (522 v. Chr.), der beim Übergang der Regierung von Kambyses auf Dareios zu einem Fanal für eine Reihe weiterer nationaler Aufstände wurde, die das multinationale Perserreich in eine schwere Krise stürzten.65 Erst mit der Niederwerfung des Aufstandes der Skythen und Elamer (519/518 v. Chr.), also ein bis zwei Jahre nach dem Beginn des Tempelbaus in Jerusalem am 29.08.520 (Hag 1,1) gelang es Dareios, sein Reich wieder endgültig zu befrieden.66 Die Herausgeber von Hag und Sach 1–8 haben dieses Zweiprophetenbuch genau in die Endphase dieser Aufstandsjahre datiert. Wollten sie damit darauf hinweisen, dass auch Haggai als Erbe der altorientalischen Tempelbautheologie mit dem Unternehmen Tempelbau die Vorstellung von der künftigen Vernichtung der Feinde des Königs verband?67 3.3. Der Tempelbau zwischen Verheißung und Verwirrung Schon recht früh muss dieses nationalreligiöse Projekt in eine tiefe Krise geraten sein. Erste Spuren dieser Krise 68 finden sich im Buch Protosacharja.69 Auf Tempelbau und Tempelkult in Jerusalem gehen mehrere Sacharjatexte ausdrücklich ein.70 Nicht alle gehören dem ur|sprünglichen Sacharja63
Hinter dieser Erwartung steht das literarisch und ikonographisch häufig belegte Motiv der Tributdarbringung unterworfener Völker, das in den Reliefs der Osttreppe des Apadana von Persepolis unter Dareios I. in vollendeter Form begegnet. Vgl. die Darstellung bei Koch, Dareios, 93ff. 64 Vgl. dazu Lux, „Wir wollen mit euch gehen ...“, 248f. 65 Siehe dazu Wiesehöfer, Aufstand, 43ff. 66 Siehe dazu die Darstellung der Ereignisse in Wort und Bild auf dem Felsrelief von Behistun bei Koch, Dareios, 13ff, und Wiesehöfer, Aufstand, 3ff. 67 Dabei erwartete er diese Vernichtung allerdings nicht so sehr vom künftigen judäischen König, seinem Kriegsglück, sondern von JHWH selbst, der den Aufruhr herbeiführen und dafür Sorge tragen würde, dass die feindlichen Völker selbst das Schwert gegeneinander führen und sich auslöschen würden (Hag 2,21f). 68 Anders van der Woude, Serubbabel, 138ff. 69 Weitere Spuren dieser Krise mögen sich in Esra 4f erhalten haben. 70 Das mag verwundern, da nach Marinkoviÿ, Tempel, 281ff, von Protosacharja zum Zweiten Tempel nichts zu erfahren sei, ja Sacharja eher kultkritisch eingestellt gewesen sei (so Delkurt, Sacharja, 27ff). Die Thesen von Marinkovic und Delkurt haben in der Tendenz durchaus Richtiges gesehen. Ihnen ist darin zuzustimmen, dass Sacharjas Botschaft nicht in dieser Ausschließlichkeit auf das Tempelbauprojekt ausgerichtet ist wie die des Haggai. Sacharja ist an einer Neuordnung des gesamten judäischen Gemein-
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corpus an, sondern enthalten sehr frühe Bearbeitungen der Nachtgesichte, in denen sich die Krise des Tempelbauprojektes spiegelt. Ich rechne im Wesentlichen mit zwei Redaktionen, wobei es sich bei der ersten „Redaktion“ um eine Erweiterung der Leuchtervision handelt, die noch vom Propheten Sacharja selbst stammen könnte.71 Sacharja 1,16; 7,2f; 8,3
1. Redaktion 4,6–10a*
2. Redaktion 3; 6,9–15; 8,9ff
Die Erwähnung des Tempels in Sach 1,16; 7,2f und 8,3 und die gezielte Wiederaufnahme des Themas in einer Reihe der späteren Bearbeitungen (Sach 3; 4,6–10a*; 6,9–15; 8,9) macht deutlich, dass die ersten Leser diesen Propheten und seine Botschaft mit dem Tempelbauprojekt in einen Zusammenhang brachten. Nur dies erklärt schließlich auch seine enge Verbindung mit dem Buch des Propheten Haggai. | 3.3.1. Die Verheißung der Rückkehr JHWHs Die älteste sacharjanische Grundschicht bietet zunächst eine Verheißung, dass JHWH nach Jerusalem zurückkehren wolle und der Tempel daher in Jerusalem gebaut werden soll (1,16; 8,3).72 In 8,3 ist zwar nicht ausdrücklich vom Tempel die Rede, sondern lediglich vom Zion und vom „Berg JHWHs“ (ėĘėĜČīė), dem Tempelberg, womit aber im Zusammenhang mit der Rückkehrverheißung eindeutig der Tempel im Blick sein dürfte. Dawesens orientiert. Die Schwachpunkte ihrer Thesen liegen allerdings darin, dass sie diese a) auf sehr umstrittene redaktionsgeschichtliche Entscheidun|gen gründen, b) nicht wirklich alle Äußerungen in Sach 1–8 zum Kult und Tempel eingehend untersuchen, sondern lediglich diejenigen, die ihrer Sicht der Dinge scheinbar entsprechen, und c) den durch die Herausgeber des Zweiprophetenbuches Haggai-Sach 1–8 hergestellten Lesezusammenhang in ihren Überlegungen vollkommen ausklammern. Es gilt in der Forschung als opinio communis, dass die frühesten Herausgeber der beiden Bücher Haggai und Sach 1–8 diese durch ihr chronologisches System zu einem Zweiprophetenbuch verknüpft haben. Damit wurde die Chronologie zur Leseanweisung. Die Herausgeber wollten, dass wir Sacharja vom Haggaibuch her lesen, ja dass das Sacharjabuch eine Fortsetzung der Geschichte beschreibt, die mit der Grundsteinlegung zum Zweiten Tempel am 24.09. des zweiten Jahres des Dareios endet. So wird dann auch gleich im 1. Nachtgesicht das Thema Tempelbau expressis verbis wieder aufgenommen (1,16). Die Deutung des Nomens „Haus“ (ĭĜĔ) in 1,16a als Soziomorphem durch Marinkoviÿ, Tempel, 288ff, scheitert an der Parallelaussage über die Messschnur in V. 16b. Dadurch wird sichergestellt, dass es in 1,16a um den realen Tempelbau und nicht etwa um den Bau einer idealen JHWH-Gemeinschaft geht. 71 Siehe dazu die ausführliche Analyse bei Pola, Priestertum, 107–172. 72 Das Perfekt ĜĭĔĬ ist hier als perfectum propheticum „ich kehre zurück“ zu deuten (anders Hanhart, Sacharja, 54.56f). Zwar ist die Rückkehr JHWHs beschlossene Sache, ihre Realisierung ist aber an den Bau des Tempels gebunden, der noch aussteht.
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rüber hinaus schweigen die Nachtgesichte über den Tempel. Erst in der Fastenpredigt Sach 7,2f wird das Thema am 04.09. im vierten Jahr des Dareios (= 07.12.518 v. Chr.) wieder aufgenommen. Eine Delegation pilgert nach Jerusalem, um dort am Tempel, der sich noch im Bau befindet, einen Kultbescheid einzuholen. Sie fragen an, ob sie die Klagegottesdienste und Fastenriten weiterhin halten müssten (vgl. Jer 41,4f). Die Frage kommt zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht von ungefähr. Das Ende der Straffrist von siebzig Jahren, von dem in Sach 1,12f die Rede war, und die für Sacharja wohl mit der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels 587 v. Chr. begonnen hatte,73 stand zwei Jahre nach dem Beginn der Arbeiten am neuen Tempel unmittelbar bevor. Durfte man nicht spätestens jetzt mit einer Wende zum Heil rechnen und daher das Fasten und Klagen sein lassen? Derartige Klage- und Fastenriten gehörten offensichtlich zum festen Repertoire von Kult- und Tempelkrisen und dienten ihrer Bewältigung. Sie hatten die Funktion, den Zorn der Götter über die Zerstörung ihrer Heiligtümer, den Verlust ihrer irdischen Heimstatt und die Einschränkung oder gar Unterbrechung des Kultes zu beruhigen. Dabei hat Berlejung nachgewiesen, dass sich die Klagegottesdienste und Trauerriten nicht nur unmittelbar an die Zerstörung von Heiligtümern angeschlossen haben, sondern ihren Ort auch in einem fe|sten rituellen Muster hatten, das bei der Restaurierung von Tempeln und der Wiederaufnahme des Kultes zu vollziehen war.74 Damit gehört die Fastenpredigt in Sach 7 wohl auch in diese Anfangsphase des Tempelbaus. Man will im Angesicht des wachsenden Gebäudes und der ablaufenden Straffrist von siebzig Jahren wissen, wie lange man mit den einschlägigen Riten noch fortzufahren habe. 3.3.2. Verwirrung um Serubbabel Eine Krise um Serubbabel spiegelt sich offensichtlich in einer ersten, frühen Redaktion in Sacharja 4. Die in das Zentrum der Nachtgesichte eingefügten Worte an Serubbabel75 lassen deutlich erkennen, dass Zweifel daran aufgekommen waren, ob Serubbabel das Tempelbauwerk auch noch zu Ende bringen würde. Gegen diese Zweifel hält Sach 4,6–10a* fest, dass Se73
Auch die Vorstellung von einer siebzigjährigen Straffrist, in der die Götter ihre Heiligtümer und ihr Land verlassen und sich in den Himmel zurückgezogen haben, ist in einer Tempelbauinschrift Asarhaddons über den Wiederaufbau des Tempels Esagila in Babylon belegt. Borger, Inschriften, 13f.15. Sie begegnet wieder in Jer 25,11f; 29,10, wird dort aber auf die Epoche der Herrschaft Babels (605–539 v. Chr.) bezogen, während Sach 1,12; 7,5 wohl auf die Zeit von 587–517 v. Chr. anspielen. 74 Vgl. dazu Berlejung, Notlösungen, 208f. 75 Vgl. Pola, Priestertum, 109ff, der mit Recht neuere Versuche, die Einheitlichkeit des Kapitels zu retten, als unhaltbar erweist.
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rubbabel es gewesen sei, der unter Jubelrufen den „Grundstein“ ĢĔēė ėĬēīė hervorgebracht habe (4,7). Damit hat er – der altorientalischen Tempelbautradition entsprechend – als der von Haggai designierte Thronanwärter (Hag 2,23) einen die Kontinuität des Ortes und seines Heiligtums garantierenden Gründungsstein aus den Fundamenten des ersten Tempels sichergestellt.76 Wenn schließlich ausdrücklich festgestellt werden musste, dass seine Hände, die den Tempel gegründet hätten, diesen auch vollenden würden (V. 8), dann stand wohl genau diese Vollendung durch Serubbabel in Frage.77 Und wenn alle, die den Tag dieser geringen Anfänge verachteten, schließlich doch noch den „Schlussstein“ ğĜĖĔė ĢĔēė in seiner Hand sehen würden (V. 10a), dann unterstreicht diese Aussage die Krise, die zwischenzeitlich eingetreten sein muss. In dieser Krise ging es wohl nicht allein um die Position Serubbabels und seine Funktion als Tempelbauer, sondern auch um die Glaubwürdigkeit der Propheten Haggai und Sacharja, was durch die an Serubbabel gerichtete | Erkenntnisformel in V. 9b unterstrichen wird.78 Das Projekt solle allerdings nicht durch Heer oder Kraft, also durch gewaltsamen Umsturz geschehen, sondern durch den Geist JHWHs (V. 6b). Der Duktus dieser Serubbabelworte, die durchaus noch von Sacharja aus einer späteren Phase des Bauprojektes stammen können, ist auf dem Hintergrund der Botschaft Haggais höchst eindrücklich. Offensichtlich gab es Stimmen, die am Gelingen des Tempelbauwerkes Serubbabels zweifelten. Hatte sich die nationalreligiöse und vor allem antipersische Spitze dieses prophetischen Projektes als gefährlich erwiesen? Drohte gar ein von persischer Seite verhängter Baustopp? Wir wissen es nicht. Wir können nur noch erschließen, dass es zu einer Krise um Serubbabel gekommen sein muss. Und wir wissen, dass Sacharja oder seine Schüler bemüht waren, das in Gefahr geratene Tempelbauwerk, das Haggai ja in einen weltumspannenden militärischen Kontext gestellt hatte (Hag 2,20–22), deutlich zu pazifizieren. Der unverwüstliche Optimismus, mit dem der Prophet in Sach 4,6–10a* nach wie vor auf den in die Krise geratenen Tempelbauer Serubbabel setzte, bewahrheitete sich ganz offensichtlich nicht. Aus diesem Grunde haben 76
So zutreffend Pola, Priestertum, 115ff. Die altorientalischen Tempelbauberichte gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass die von den jeweiligen Königen eingeleiteten Baumaßnahmen auch von diesen zum Abschluss gebracht werden konnten. Das hängt bereits mit ihrem „Sitz im Leben“ zusammen. Sie dienten ja der Verherrlichung der großen Taten der königlichen Bauherren. Daher konnte ein Zweifel daran, dass sie ihre Baumaßnahmen auch erfolgreich beenden würden, keinen Platz in ihnen finden. 78 Die Formel ist hier ganz bewusst singularisch formuliert, da sich die Worte des Propheten wohl direkt an Serubbabel gerichtet haben. Waren sie der letzte – freilich vergebliche – Versuch, Serubbabel in seinem Tun zu ermutigen? 77
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spätere Redaktoren (im Zusammenhang mit der Tempelweihe?) ihre Hoffnungen nicht mehr auf Serubbabel gesetzt, sondern allein auf den Hohepriester Joschua, der die Krise um Serubbabel offensichtlich unbeschadet überstanden hat (Sach 3; 6,9–15). Die Erinnerung an Serubbabel wurde nur noch indirekt in der Verheißung eines künftigen „Sprosses“ ( Ěġĩ) gepflegt (Sach 3,8; 6,12),79 dessen Identität bewusst offen gelassen wurde, und mit dem man vorläufig jedenfalls keine reale Figur mehr auf der Bühne der politischen Geschichte verband. Hatte sich damit der mit dem Tempelbauprojekt verbundene prophetische Enthusiasmus, der den Wiederaufbau in Gang brachte, in den politischen Realismus priesterlicher Kreise um Joschua transformiert?
79 Vgl. Jer 23,5. Dass der verheißene Ěġĩ im Sacharjabuch mit Serubbabel identisch sei, wird öfters vermutet, scheint aber weniger wahrscheinlich. Die Wahl des Titels mag allerdings eine nachträgliche Anspielung auf den babylonischen Namen Serubbabels (Zer-Babili = Sämling Babels) sein, dessen Erbe als Tempelbauer in der Hoffnung auf eine künftige Heilsgestalt fortdauerte. Vgl. Lux, Zweiprophetenbuch, 17ff.
Himmelsleuchter und Tempel Beobachtungen zu Sacharja 4 im Kontext der Nachtgesichte In einer frommen Legende erklärt der weise Jüngling und Leibpage des Königs Dareios, Serubbabel: „Der Wein ist ungerecht, der König ist ungerecht, die Weiber sind ungerecht, alle Menschenkinder sind ungerecht, und alle ihre Werke sind ungerecht ...“ (3 Esra 4,37). Wie der Jüngling zu dieser „Erleuchtung“ kam, das bleibt ein Geheimnis des apokryphen Erzählers, welches den 70-jährigen Jubilar und Weinliebhaber, den ich mit diesem Beitrag herzlich grüße, nicht über Gebühr beunruhigen sollte. Schließlich muss die apokryphe himmlische Wahrheit, die Serubbabel im Gegensatz zur Ungerechtigkeit alles Irdischen preist (3 Esra 4,33–41), mit der biblischen Wahrheit nicht identisch sein. Denn diese kennt nicht nur den Widerstreit zwischen göttlicher Gerechtigkeit und irdischer Ungerechtigkeit, die unendliche Distanz, sondern auch das Wechselspiel und die große Nähe zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch. Dabei darf der Mensch durchaus auch auf einen Platz unterm Weinstock hoffen (Sach 3,10). In den folgenden Überlegungen soll dieses heilsame Zusammenspiel von irdischer und himmlischer Wirklichkeit im Rahmen der Leuchtervision von Sach 4 näher in Blick genommen werden.
1. Zur Struktur der Leuchtervision Im Korpus der Nachtgesichte des Sacharja nimmt die Leuchtervision (Sach 4,1–14) eine zentrale Position ein.1 Sie lässt eine vollkommen klare dreiteilige Struktur erkennen: A) Einleitung: V. 1 B) Bild: V. 2–3 1) Leuchter V. 2 2) Ölbäume V. 3 |
1 Zur konzentrischen Struktur der Nachtgesichte siehe neben den meisten neueren Kommentaren (Hanhart, Sacharja, 50f; Graf Reventlow, Haggai, 39f; Meyers/Meyers, Haggai, Zechariah, LVIf) vor allem Gese, Anfang, 217ff; Jeremias, Nachtgesichte, 12f; Seidel, Prophetie, 58f; Butterworth, Structure, 299.
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C) Deutung: V. 4–14 1) Leuchter V. 4–10 2) Ölbäume V. 11–14
Dabei ist vor allem zu beachten, dass die beiden Abschnitte der Deutung (Teil C) präzise voneinander abgesetzt sind. Beide setzen sie mit einer Frage des Propheten an den Deuteengel ein: V. 4a V. 11:
ĜģĖē ėğēČėġ ėğēė ĠĜĭĜęė ĜģĬČėġ
īġēğ ĜĔ īĔĖė ĝēğġėČğē īġēĘ ĢĥēĘ ĘĜğē īġēĘ ĢĥēĘ
Wird diese Struktur2 ernstgenommen, dann sind die Worte über Serubbabel (V. 6aƞ–10a*) eindeutig Bestandteil der Deutung des Leuchters und sollten zunächst auch auf diesen und nicht – wie häufig angenommen3 – auf einen der beiden Ölbäume (=Ölsöhne) bezogen werden. Um deren Deutung geht es ja erst in V. 11–14.4 Schließlich ist es wenig wahrscheinlich, dass der Abschnitt V. 6aƞ–10a* seine jetzige Stellung einem reinen Zufall oder Versehen verdankt.5 Geht man von diesem formalen Befund aus, dann ist die Frage zu klären, in welchem literarischen und sachlichen Verhältnis die Serubbabelworte zu dem von Sacharja geschauten Leuchter stehen.
2. Der Ort der Serubbabelworte in Sacharja 4 Die Frage Sacharjas an den Deuteengel, was das geschaute Bild zu bedeuten habe (V. 4), beantwortet dieser mit der Gegenfrage, ob er denn nicht um die Bedeutung des Geschauten wisse (V. 5a). Und erst nachdem der Prophet sein Nichtwissen eingestanden hat (V. 5b), folgt in V. 6ff die erbetene Auskunft des Deuteengels.6 Diese Auskunft unterscheidet sich aber in ihrer Frage-Antwort-Struktur von anderen Nachtgesichten. Immer dann, 2
Siehe zu dieser Strukturbestimmung auch Tigchelaar, Prophets, 20. Gegen Robinson/Horst, Kleine Propheten, 231; Rudolph, Sacharja, 107ff; Jeremias, Nachtgesichte, 184; Gese, Anfang, 210f; Hanhart, Sacharja, 295ff; Conrad, Zechariah, 109; Meyers/Meyers, Zechariah, 275f, u.a. 4 Dass die Serubbabelworte in V. 6aƞ-10a* ursprünglich auf einen der beiden Ölsöhne verweisen wollten, ist schon deswegen unwahrscheinlich, weil damit eben nur einer der beiden eine Deutung erfahren hätte. Die Bedeutung des anderen bliebe im Rahmen von Kap. 4 völlig ungeklärt, zumal dann, wenn man mit der Mehrheit der Ausleger davon ausgeht, dass Sach 3 einen späteren Einschub im Zyklus der Nachtgesichte darstellt, also wohl erst als Nachinterpretation von Sach 4 zu deuten ist. 5 So u.a. Marti, Dodekapropheton, 412f, und Seybold, Bilder, 14f. 6 Dasselbe Schema wiederholt sich bei der Deutung der Ölbäume (Die V. 4–5 entsprechen den V. 11–13). 3
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wenn der Visionär den angelus interpres nach der Bedeutung des Geschauten fragt, lässt der Text eine gleichbleibende Struktur erkennen: | 1,9. 10 2,2 2,4 4,4.6a.10a* 4,11.14 5,6 6,4.5
... ĢĥĜĘ ... īĬē ... ėğē Ĝğē īġēĜĘ ... ėğē īġēğ īġēĜĘ ... ėğē ėĥĔĬ ... Ĝğē īġēĜĘ ĢĥĜĘ ... ĜģĬ ėğē īġēĜĘ ... ĭēę īġēĜĘ ... ėğē Ĝğē īġēĜĘ ... ĢĥĜĘ
ėğē
...
Ĝğē
īġēĜĘ
ĜģĖē ėğēČėġ īġēĘ ėğē ėġ ... īġēĘ ėğē ėġ īġēĘ ĜģĖē ėğēČėġ ... īġēĘ ĢĥēĘ ĜģĬČėġ ĘĜğē īġēĘ ĢĥēĘ ēĜėČėġ īġēĘ ĜģĖē ėğēČėġ ... īġēĘ ĢĥēĘ
Auf die durch ėġ eingeleitete Frage an den Deuteengel folgt in der Regel direkt die durch die Pronomina ėğē/ĭēę eingeleitete Antwort.7 Lediglich in der Leuchtervision wird dieses Schema aufgebrochen, indem zwischen die Frage ėğēČėġ in V. 4 und die Antwort in V. 10a*.b ėğē ėĥĔĬ8 zwei Serubbabelworte treten. Angesichts dieses Befundes kann man der bereits von Wellhausen aufgestellten These, in „die Mitte hat sich ein anderes Stück eingedrängt“9, die von vielen Auslegern übernommen wurde,10 nur schwer ihre Plausibilität absprechen. Vergleichbare Zusagen und Verheißungen stehen sonst durchweg am Ende der Nachtgesichte (1,14b–17; 2,8b– 9.10–17; 3,7.8–10), deuten diese weiter aus, haben aber ihre Position nie zwischen der Frage nach dem geschauten Bild und seiner unmittelbaren Deutung.11 Diese Durchbrechung der üblichen Frage-Antwort-Struktur in Sach 4 fand unterschiedliche Erklärungen. Beuken möchte das Problem durch teilweise Textumstellungen lösen.12 Er sieht in 4,6–7 die eigentliche „Pointe“ der Leuchtervision, die ursprünglich hinter V. 10 gestanden habe.13 Lediglich die V. 8–10a.11–14 seien spätere Zusätze zur zentralen Leuch-
7 Abweichungen von dieser Grundstruktur im 3. und 6. Nachtgesicht (2,6; 5,2f) sind kontextbedingt. 8 Dass hier das Zahlwort ėĥĔĬ vor dem Demonstrativpronomen steht, hat wahrscheinlich etwas mit der Arbeit des Redaktors zu tun, der V. 6aƞ-10a* eingefügt hat. Mit der invertiven Stellung des Zahlwortes „sieben“ stellt er den durch den Einschub unterbrochenen Zusammenhang zwischen dem Bildwort (V. 2) und seiner Deutung (V. 10b) wieder her. Die Besonderheit der Formulierung spricht daher gerade nicht für die ursprüngliche Einheitlichkeit des Textes (gegen van der Woude, Serubbabel, 144). 9 Wellhausen, Skizzen, 176. 10 Siehe u.a. Horst/Robinson, Kleine Propheten, 231f; Biā, Sacharja, 59ff; Rudolph, Sacharja, 110ff; Meyers/Meyers, Zechariah, 241ff; Graf Reventlow, Haggai, 60ff. 11 Das wird auch von Hanhart, Sacharja, 271ff, betont, der daraus allerdings nicht den Schluss zieht, dass es sich in 4,6aƞ-10a* um einen redaktionellen Einschub handelt. 12 Beuken, Haggai – Sacharja, 261ff. 13 Nowack, Propheten, 329f, möchte die Serubbabelworte sogar erst an V. 14 anschließen.
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tervision.14 Da eine derartige Umstellungshypothese mehr Probleme schafft als löst, wurde in letzter Zeit mehrfach der Versuch unternommen, trotz der klaren formalen Befunde an der Einheitlichkeit von Sach 4 festzuhalten. | A. S. van der Woude spricht sich ungeachtet der genannten Probleme für die Einheitlichkeit des Kapitels aus. Neben inhaltlichen Argumenten15 spräche vor allem der literarische Sachverhalt gegen die Annahme eines späteren Einschubes von V. 4,6aƞ–10a*. Danach handele es sich bei den Serubbabelworten zumindest auf „literarischer Ebene“ um Worte des angelus interpres und eben nicht des Propheten, die hier nachträglich platziert worden wären.16 Das trifft zwar zu, kann aber die Beweislast für die Einheitlichkeit von Sach 4 kaum tragen.17 Hanhart weist darauf hin, dass nicht nur die unmittelbaren Bilddeutungen, sondern auch die darüber hinausgehenden ausdeutenden Verheißungen in Sach 1,16f; 2,10–17; 3,8– 10 integraler Bestandteil der jeweiligen Nachtgesichte seien. Dass diese in der Leuchtervision in die „Zäsur zwischen Bildhälfte und Sachhälfte eingegliedert“ wurden und nicht – wie üblich – die Vision beschließen, sei mit „der Intention des Zeugen“ zu erklären, „eine Verkündigung auszusprechen, ohne deren vorgängige Mitteilung die Deutung des Gesichts in der Form, wie sie anschließend bezeugt ist, nicht oder nur falsch verstanden werden könnte.“18 Es trifft wohl zu, dass der „Zeuge“, wer immer es auch gewesen sein mag, die Serubbabel betreffenden Verheißungen ganz bewusst an ihren jetzigen Ort setzte. Auch Redaktoren arbeiten überlegt! Die Einheitlichkeit des Textes von Sach 4 ließe sich mit diesem Argument aber erst dann begründen, wenn die folgenden Deutungen der 14
Beuken kann allerdings keinen plausiblen Grund dafür benennen, warum die „ursprüngliche“ Textfolge derartig in Unordnung geraten sein könnte. Mit der These, dass die V. 11–14 ein späterer Zusatz seien, wird der klaren Struktur des Nachtgesichtes kaum Rechnung getragen, außerdem wäre damit die Deutung der flankierenden Ölbäume von V. 3 ursprünglich vollkommen ausgefallen. 15 Bei einer Ausklammerung der V. 6aƞ-10a* fänden nach van der Woude, Serubbabel, 144, lediglich die Lampen des Leuchters und die Ölbäume eine Deutung, nicht aber die ėīĘģġ, der Ständer des Leuchters, und die auf ihm angebrachte ėğĕ, die Lampenschale. Diese deutet er in seinem Kommentar (ders., Zachariah, 81ff) auf den Tempelberg (= ėīĘģġ) und den Tempel selbst (=ėğĕ). Ob allerdings ein solcher Zwang zur quasi allegorischen Ausdeutung aller Bildelemente für den Autor bestand, das darf bezweifelt werden. Auch in den vorhergehenden und folgenden Nachtgesichten bleiben viele Details ungedeutet (so z.B. die Pferdefarben in 1,8; 6,2f, die ėğĩġ zwischen den Myrten in 1,8, die Maße der fliegenden Buchrolle in 5,2, das Getreidemaß mit dem Bleideckel in 5,6f und die Erzberge in 6,1). 16 Van der Woude, Serubbabel, 143f. 17 Hatten potentielle Redaktoren angesichts der vorgegebenen literarischen Struktur der Nachtgesichte und ihrer Kommunikationskonzeption (Deuteengel – Prophet) überhaupt eine andere Möglichkeit als die, den angelus interpres und eben nicht den Propheten als erste Mittlerinstanz der JHWH-Worte einzusetzen, ihm diese also in den Mund zu legen? Schließlich war er es doch, von dem der Prophet alle seine Informationen erhielt. Erst in Sach 6,9ff, also nach dem Abschluß des Visionszyklus, ergeht ein direktes JHWH-Wort an den Propheten. Die Tatsache also, dass der Sprecher aller JHWH-Worte in Sach 1,7–6,8 der Deuteengel ist, kann angesichts der formalen Auffälligkeiten die literarische Einheitlichkeit nicht wirklich begründen. 18 Hanhart, Sacharja, 271ff.
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sieben Lampen des Leuchters auf die sieben Augen JHWHs (V. 10b) und der Ölbäume, die für die Ölsöhne stehen (V. 14), ohne die vorausgehenden Serubbabelweissagungen wirklich nicht zu verstehen wären. Das darf aber mit gutem Grund bezweifelt werden.19 | Tigchelaar geht von der Annahme aus, dass es sich bei Sach 4 um eine ehemals „independet vision“ gehandelt habe.20 Im Anschluss an van der Woude votiert er ebenfalls für die Einheitlichkeit dieser ursprünglich selbständigen Vision, wobei ihn allerdings die formalen Auffälligkeiten zu dem Zugeständnis zwingen, dass auch frühere Versionen des Kapitels denkbar seien.21 Die Hypothese von der ursprünglichen Selbständigkeit der Leuchtervision ist allerdings aufgrund der klaren strukturellen und lexematischen Einbindung22 des zentralen Nachtgesichtes in den Zyklus wenig wahrscheinlich. Eine nur annähernd vergleichbare Einbindung der V. 6aƞ–10a* in ihren unmittelbaren Kontext 4,1– 6aƝ.10b–14 lässt sich dagegen nicht aufzeigen. Sowohl von seiner formalen Stellung her als auch in seiner Lexematik23 erweist sich der Abschnitt als Fremdkörper in Sach 4.24 19 So muss z.B. festgestellt werden, dass die Aussagen über Serubbabel im Rahmen von Kap. 4 die Deutung der Ölbäume als Ölsöhne eher problematisieren, da eben in V. 3 und 14 von je zwei Ölbäumen=Ölsöhnen die Rede ist, während in V. 6aƞ-10a* nur Serubbabel als alleinige Führungsfigur begegnet. Erst in der Kombination mit dem sehr wahrscheinlich späteren Kapitel Sach 3 ergäbe dies einen – wenn auch nicht unproblematischen – Sinn. Dass nämlich die Deutung eines Teiles des Bildes Leuchter und Ölbäume durch eine Größe im vorhergehenden Nachtgesicht (Josua) bereits vorweggenommen worden wäre, ist kaum anzunehmen. Zwar stellen die Nachtgesichte insgesamt einen Sachzusammenhang her. Dabei wird aber die Deutung eines Bildes nie von einem Sachverhalt abgeleitet, von dem in einem ganz anderen Nachtgesicht die Rede war. Vielmehr erfährt jedes Nachtgesicht nicht erst im Rahmen des Gesamt|zyklus seine Deutung, sondern stellt auch in sich selbst eine gedeutete Einheit dar. Zur Sonderstellung von Sach 3 im Zyklus der Nachtgesichte vgl. die Zusammenstellung der Argumente bei Jeremias, Nachtgesichte, 201f, und Meyers/Meyers, Zechariah, 213–215. 20 Das mache nach Tigchelaar, Prophets, 17f, bereits die ungewöhnliche Einleitung in V. 1–2a deutlich. Wahrscheinlicher ist es m.E. immer noch, dass mit dieser Einleitung die außergewöhnliche Zentralstellung der Leuchtervision hervorgehoben werden sollte. Geht man davon aus, dass es sich bei dem Visionszyklus um die Gesichte einer Nacht handelt (mit Gese, Anfang, 219; Koch, Profeten, 170ff u.a.) dann lässt der Leuchter gleichsam die mitternächtliche Stunde aufstrahlen, zu der der Prophet geweckt wurde. 21 Tigchelaar, Prophets, 23ff: „This, however, does not mean that there was never an earlier version of the vision. On the contrary, the indications that this vision was created as an independent vision, which only afterwards became the central part of the series, allow us to presuppose prior versions of this chapter“ (24). 22 ĜĔ īĔĖė ĝēğġė: 1,9.13.14; 2,2.7; 4,1.4.5; 5,5.10; 6,4 / ėēī ėĭē ėġ: 4,2; 5,2 / īġēĘ ĢĥēĘ: 4,4.11; 6,4 / ėğē ėġ: 1,9; 2,2.4; 4,4.13; 6,4 / ĢĘĖē: 1,9; 2,2.4; 4,4.13.14; 6,4.5 / Ĩīēė ğĞĔ: 4,10.14; 5,6. 23 Die wenigen lexematischen Bezüge (ėĘėĜ: 4,6a.b.8.9.10b; īġē: 4,2. 4. 5. 6. 8. 11. 12. 13. 14; Ĭēī: 4,2.7) sind keineswegs so signifikant, dass von ihnen her ein ursprünglicher Zusammenhang begründet werden könnte. 24 Auch der von Beuken, Haggai – Sacharja, 261ff, und van der Woude, Serubbabel, 144, gegebene Hinweis auf die ungewöhnliche Wortereignisformel ğē ėĘėĜ īĔĖ ėę, die die Serubbabelweissagungen einleitet (V. 6aƞ), kann die Einheitlichkeit des Kapitels letztlich
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Es ist daher davon auszugehen, dass V. 6aƞ–10a* eine erste Fortschreibung der Leuchtervision darstellt. Da diese Fortschreibung in den Ab|schnitt über die Deutung des Leuchters (V. 4–10) eingebaut wurde, ist sie wohl zunächst auch nur auf diesen zu beziehen und nicht auf die beiden Ölsöhne (V. 11–14).
3. Der Leuchter und die Augen JHWHs Der Leuchter (ėīĘģġ) mit der aufgesetzten Schale (ėğĕ) und den sieben siebenflammigen (ĭĘĪĩĘġ ėĥĔĬĘ ėĥĔĬ)25 Lampen (ĭĘīģ) erfuhr also in V. 10 seine ursprüngliche Deutung.26 Hier wird sichergestellt, dass sich die Aussage über die Augen JHWHs (V. 10b) auf die Lampen des Leuchters (V. 2) bezieht und auf nichts sonst im Bild. Von diesen Augen JHWHs (= Lampen des Leuchters)27 wird gesagt, dass sie die ganze Erde durchschweifen (ĠĜěěĘĬġ). Damit nehmen sie eine den himmlischen Reitern im ersten nicht erweisen. Eine im strengen Sinne formale Entsprechung zu dieser Gestalt der Wortereignisformel gibt es nicht. Die von Beuken zum Vergleich herangezogenen Belege (Jes 16,13; 37,22; 2 Kön 9,36; 15,12; Ri 3,20) entsprechen unserer Formel sachlich, nicht aber im Wortlaut. Wohl ist es zutreffend, dass in den genannten Textstellen immer auf eine im zeitlichen Sinne vorausgegangene Offenbarung verwiesen wird. Dabei handelt es sich aber durchweg um Wortoffenbarungen JHWHs. Wenn Beuken, Haggai – Sacharja, 263, in Sach 4 als Ganzem das vorausgegangene Offenbarungsereignis sieht, auf das die ungewöhnliche Wortereignisformel verweisen wolle, dann übersieht er, dass in diesem Kapitel außer eben in V. 6aƞb-10a* eine solche Wortoffenbarung gerade nicht vorliegt. Das Bildmaterial der Leuchtervision und seine Ausdeutung durch den angelus interpres kann für eine derartige Wortoffenbarung Gottes nicht in Anspruch genommen werden. Hier geht es um das Sehen des Propheten und das Gesehenwerden durch die von dem Leuchter symbolisierten Augen Gottes. Es bleibt daher nach wie vor am naheliegendsten, das Demonstrativpronomen ėę hier in kataphorischer Funktion allein als Verweis auf die folgenden Serubbabelworte zu beziehen. Für eine einheitliche Lesung von Sach 4 plädieren auch Merrill, Haggai, 149ff, und Fournier-Bidoz, Des mains de Zorobabel, 538–540. Bruehler, Seeing, differenziert zwischen den beiden Serubbabelworten. Während er im ersten (V. 6–7) einen originären Bestandteil von Sach 4 sieht, hält er das folgende (V. 8–10) für sekundär. 25 Dass auch Distributiva durch Waw-cop. verbunden sein können, hat Rudolph, Sacharja, 104, mit Verweis auf 2 Sam 21,20 und 1 Chr 2,6 gezeigt. 26 Zu der ungewöhnlichen invertiven Stellung von ėĥĔĬ in V. 10a siehe Anm. 8. Weiterführende Überlegungen finden sich bei Tigchelaar, Prophets, 30f, der zutreffend darauf hinweist, dass „syntactically ėğē ėĥĔĬ is equivalent to a demonstrative pronoun“. 27 Für die Verbindung Augen Gottes – Lampen finden sich auch, wie Keel, JahweVisionen, 314ff, zeigen konnte, ikonographische Belege. So wird in der 19./20. Dynastie das Udjat-Auge mit Armen dargestellt, die eine Lampe tragen. Auge und Lampe werden im Bild miteinander identifiziert.
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Nachtgesicht (1,7–17) und den himmlischen Wagengespannen28 im letzten Nachtgesicht (6,1–8) vergleichbare Funktion wahr.29 Die nächste Parallele zu unserer Aussage findet sich in 2 Chr 16,9.30 Dort schweifen die Augen JHWHs auf der ganzen Erde umher (ĨīēėČğĞĔ ĭĘěěĘĬġ ĘĜģĜĥ ĜĞ), um sich denen gegenüber stark zu erweisen, die ihm mit ungeteilten Herzen dienen. Wenn die Augen Gottes eine den himmlischen Boten vergleichbare Aufgabe haben, dann kann man sie mit Tigchelaar zutreffend als „heavenly informers“ be|zeichnen,31 ohne dass sie damit eigenständige himmlische Wesen verkörpern. Dass es sich allerdings bei der Augensymbolik der Götter vorrangig um eine Himmelssymbolik handelt, wird bereits aus der astralen Konnotation32 deutlich, die häufig mit ihr verbunden war.33 Im Ge28
Dass es sich bei den Reitern in 1,7–17 und den Wagengespannen in 6,1–8 um himmlische Erscheinungen handelt, wird allgemein angenommen, obwohl das Nomen ĠĜġĬ in diesen Nachtgesichten als Ortsangabe nicht begegnet. Dafür spricht einmal, dass es sich in den beiden Rahmenvisionen wahrscheinlich um Himmelstorszenen handelt (siehe dazu u.a. Jeremias, Nachtgesichte, 110ff). Und selbst wenn man das für 1,7–17 nicht gelten lassen möchte (vgl. z.B. die allerdings recht gewagten traditionsgeschichtlichen Deutungen zu 1,8–11 von Delkurt, Nachtgesichte, 22ff, oder die Deutung der ėğĩġ als „Gebetsstätte auf dem ehemaligen Vorhof neben der Tempelruine“ durch Rudolph, Sacharja, 75), so spricht doch die Figurenkonstellation der beiden Nachtgesichte deutlich dafür, „dass hier das im Alten Testament mehrfach vorkommende Motiv der himmlischen Versammlung begegnet“ (Jeremias, Nachtgesichte, 117 u.a.). 29 Dabei findet allerdings in 1,10.11; 6,7 nicht die Wurzel ěĘĬ Pil., sondern ĝğė Hitp. Verwendung. In Hi 1,7 stehen beide Verben parallel, um die irdischen Ausflüge des Satans zu beschreiben, der zum himmlischen Hofstaat gehört. Vgl. dazu Mitchell/Smith/ Bewer, Haggai, 163, und Delkurt, Nachtgesichte, 211f. 30 Galling, Chronik, 117, hält die Chronikstelle für ein Sacharjazitat. So jüngst auch Nurmela, 200f, der den Wechsel vom Ptz. m. in Sach 4,10 zum Ptz. f. in 2 Chr 16,9 als eine bewusste Korrektur des Chronisten betrachtet. 31 Tigchelaar, Prophets, 31. Ob sie sich gleichsam in eigenen Wesen verselbständigen konnten und den „Augen des Königs“ im persischen Weltreich vergleichbar als Beamte des Secret Service des himmlischen Hofstaates betrachtet wurden, ist ein naheliegender aber nur schwer zu beweisender Gedanke. Siehe dazu, im Anschluss an Oppenheim, Eyes; Seybold, Bilder, 82f; Helck, Augen des Königs, LexÄg I, 560, und die kritischen Anmerkungen dazu von Keel, Jahwe-Visionen, 316, Anm. 134. 32 Vgl. Stendebach, ĢĜĥ, ThWAT VI, 32f, und vor allem Kees, Götterglaube, 241–246. So konnten Sonne und Mond als rechtes und linkes Auge des Horus bezeichnet werden. Das von Seth geraubte und verletzte und von Thot wieder geheilte Mond- oder Horusauge war als Udjatauge („das Heile“) eines der verbreitetsten Amulette in Ägypten und erfreute sich auch in der EZ II in Palästina größter Beliebtheit, wobei es häufig in einem solaren Kontext begegnet (siehe dazu Keel/Uehlinger, Göttinnen, 293f). 33 Handelt es sich aufgrund der Siebenzahl der Lampen (ĭĘīģ) um eine Anspielung auf die Plejaden? Albani, Siebengestirn, 202, hält dies für möglich: „Wenn nicht alles täuscht, ist das Siebengestirn bei dem auch sonst auffallend an mesopotamischen Vorstellungen orientierten Propheten Sacharja in Gestalt der ‚sieben Augen Jahwes‘ [...], die alle Lande durchziehen (Sach 4,10) und den damit assoziierten sieben Lampen (Sach 4,2) als
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gensatz zu den im ersten und letzten Nachtgesicht ausgeschickten Reitern und Wagen, die für ihre irdischen Streifzüge die Sphäre des Himmels verlassen, bleibt die anthropomorphe Metaphorik von den Augen JHWHs weitestgehend an den Himmel als seinen Wohnsitz gebunden. Vor allem in exilisch-frühnachexilischer Zeit, in der nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels die Vorstellung von JHWHs Einwohnung im Zionsheiligtum erhebliche Transformationen erfuhr,34 JHWH selbst zu seiner irdischen Wohnstatt auf Distanz gegangen war (vgl. Ez 10,18–22; 11,22f),35 gewinnt die Augenmetaphorik zunehmend an Gewicht. Darauf hat Beate Ego mit einleuchtenden Beobachtungen aufmerksam gemacht.36 Sie stellt fest, dass sich die Vorstellung von den Augen JHWHs und seinem Herabblicken aus der Höhe, die sich vor allem in den Psalmen findet (Ps 14,2; 33,13; 53,3; 80,15; 102,20; 113,5f), mit der Vorstellung vom himmlischen Thronen Gottes37 verbunden hat. Der im Himmel Thronende ist aber nicht nur – wie man meinen könnte | – der ferne und unerreichbare Gott. Vielmehr überwindet sein „Augen-Blick“ die Distanz zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch, und signalisiert sowohl sein machtvolles Eingreifen in die Geschichte (Ps 33,13ff; 102,20ff; Jes 63,15ff; 2 Chr 16,9) als auch seine liebevolle Zuwendung zu seinem Volk, sowie zu den Armen und Bedrückten (Ps 113,5ff; Jes 57,15ff).38 Wenn man daher davon ausgehen darf, dass es sich bei der Rede von den Augen JHWHs um eine geprägte Vorstellung handelt, die mit JHWHs himmlischer Präsenz zu tun hat, dann liegt es nahe, dass auch die Hörer oder Leser Sacharjas die Leuchtervision als Himmels-
Symbol der göttlichen Allgegenwart und Allmacht in das monotheistische Gottesbild integriert worden. Die Abbildungen des auf Stempelsiegeln über der ikonographischen Szenerie schwebenden Siebengestirns könnten als konkrete Anschauung für die sieben Augen JHWHs gedient haben [...] Doch auch hier wird die mesopotamische Vorstellung nicht einfach übernommen, sondern [...] gewissermaßen via eminentiae überboten.“ Diese an sich naheliegende Deutung ist allerdings angesichts der änigmatischen Aussagen von Sach 3,9; 4,2.10 mit Unsicherheiten verbunden. 34 Siehe dazu vor allem Janowski, Schekina-Theologie, 122ff. 35 Zur Vorstellung vom Auszug des ėĘėĜ ĖĘĔĞ aus dem Jerusalemer Tempel als einer Gerichtsaussage und vergleichbaren altorientalischen Texten siehe Pohlmann, Hesekiel, 153f, und Greenberg, Ezechiel, 232f. 36 Ego, Der Herr, 559ff; dies., Tempeltheologie, 44ff. 37 Vgl. dazu auch Metzger, Wohnstatt, 139ff, und Hartenstein, Wolkendunkel, 126f. 38 Ego, Der Herr, 569, kommt zu dem Ergebnis: „Der im Himmel Thronende greift [...] zugunsten der Armen und Frommen ein und lässt diesen sein Rettungshandeln zukommen. Durch die Verbindung mit der Aussage, dass Gott von seinem himmlischen Thron auf die Erde niederblickt [...] wird der räumlichen Ferne Gottes ein Motiv entgegengesetzt, in dem die Distanz zwischen Gott und Mensch überbrückt wird.“
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vision deuteten.39 Sacharja schaute eben gerade nicht den Leuchter des Jerusalemer Tempels, der ja noch gar nicht wieder errichtet war, sondern einen Himmelsleuchter als Symbol der unsichtbaren Gottheit. Und die jede irdische Realität übersteigende Lichtfülle, die die sieben mal siebenflammigen Lampen des Leuchters ausstrahlten (V. 2), war auch nicht nur dazu geeignet, den irdischen Tempelraum (vor dem Allerheiligsten?) auszuleuchten (Num 8,2f), sondern hatte kosmische Reichweite. Sie durchleuchteten gleichsam als Augen JHWHs die gesamte Erde, über die er sie schweifen ließ (V. 10b).40 Der Himmelsleuchter repräsentiert damit die wirksame Allgegenwart der Augen Gottes, wofür auch weitere Beobachtungen sprechen.41 | 39
Dass die Vorstellung von Gottes himmlischer Wohnstatt auch in Ez 1 und Ex 24,10 mit „Glanzphänomenen“ verbunden wurde (so ist z.B. in Ez 1,4.27 vom Auge/ Glanz des Bernsteins/Elektrons [?] die Rede, ğġĬĚ ĢĜĥ), hat Hartenstein, Wolkendunkel, 144f, auf dem Hintergrund altorientalischer Parallelen überzeugend herausgearbeitet. Wenn der Leuchter für die sieben Augen JHWHs als Symbol seiner himmlischen Präsenz steht, dann ist es nicht ratsam, ihn vorschnell mit dem Tempel zu identifizieren, wie es u.a. Willi-Plein, Tempel, 69, tut, obwohl sie 4,6–10a, den einzigen Abschnitt in Sach 4, der ausdrücklich vom Tempel spricht, als sekundären Zusatz (vom Propheten selbst?) offensichtlich nicht zur ursprünglichen Leuchtervision rechnet. Siehe dazu auch WilliPlein, Sacharja, 540. Auch für Bruehler, Seeing, 440f, ist der Leuchter mit den sieben Lampen ein Fall von Metonymie. Er stehe pars pro toto für den Tempel. 40 Otto, ĥĔĬ, ThWAT VII, 1015: „Das Quadrat der Siebenzahl drückt die Totalität der im Blick manifestierten Herrschaft Gottes über die Welt aus.“ Zur Augensymbolik und ihrer Bedeutung siehe auch Stendebach, ĢĜĥ, ThWAT VI, 46. 41 Keel, Jahwe-Visionen, 274ff, hat Sach 4 ikonographisch von dem verbreiteten Motiv der Mondsichelstandarte her gedeutet, die von zwei Bäumen bzw. Adoranten flankiert wurde. Dabei verglich er vor allem die auf der ėīĘģġ angebrachte ėğĕ mit der Neumondsichel. Sein Ergebnis lautet: „Der große Leuchter mit seinen 7 x 7 Lichtern kündet von der unerschöpflichen Lebenskraft Jahwes, der einmal mehr unverbraucht wie der Neumond über (Hervorhebung vom Vf.) der Welt erscheinen, und dessen wirksame Allgegenwart die kleinmütige Gemeinde in Kürze erfahren wird “ (317). Zur sachlichen und methodischen Kritik an dieser These von Keel siehe Weippert, Siegel, die die Bildkomposition von den Realien eines Höhenkultes unter freiem Himmel her | deutet (vgl. Hos 4,13 u.ö.). Keel, Grundsätzliches, 40ff, aber hat seine Interpretation mit zusätzlichen Argumenten untermauert. Die Kritik von Hanhart, Sacharja, 256f, an der von Keel erwogenen Analogie Leuchter – Mondsichelstandarte, wonach es dort um den „Mondkult der Sin-Religion“ gehe, hier um das „Bekenntnis zu dem Gott, für den der Leuchter seines Heiligtums nur ein verhüllendes Symbol sein kann“, und wonach eben „ein Leuchter kein Mond und eine ėğĕ keine Mondsichel“ sei, wird der These von Keel m.E. nicht gerecht. Ebensowenig die allerdings ein wenig zurückhaltendere Kritik von Delkurt, Nachtgesichte, 207f. Keel behauptet ja nicht, dass JHWH in Sach 4 gleichsam als Mondgott figuriere. Vielmehr betreffen die ikonographischen Analogien bei ihm lediglich die Bildelemente und ihre besondere Konstellation zueinander. Eine sachliche ldentität der Bildelemente mit denen von Sach 4 wird nicht behauptet. JHWH erscheint eben nach Keel wie und nicht als der Neumond.
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Immer wieder wurde der Versuch unternommen, den Leuchter in Sach 4 mit den konkreten Leuchtern im Tempel Salomos oder im Zweiten Tempel in Verbindung zu bringen. 42 Die damit verbundenen Probleme wurden noch einmal in der jüngsten Studie von Holger Delkurt in aller Deutlichkeit sichtbar. 43 Keine Beschreibung der Leuchter im Jerusalemer Tempel (1 Kön 7,49) sowie im Zeltheiligtum (Ex 25,31–40; 37,17–24; Num 8,1–4) entspricht in vollem Umfang dem Leuchter von Sach 4. Zwar gibt es Übereinstimmungen, wie z.B. das Material, Gold, aus dem die jeweiligen Leuchter gefertigt waren (Ex 25,31; 37,17; Num 8,4; 1 Kön 7,49), oder auch die Anzahl von sieben Lampen (Ex 25,37; 37,23; Num 8,2), aber die Differenzen sind damit nicht aus dem Weg zu räumen. 44 Dass der Autor von Sach 4 mit dem geschauten Leuchter ein „Modell“45 vor Augen gehabt haben könnte, von dem es konkrete „Abbilder“ möglicherweise auch im vorexilischen Tempel gegeben haben mag, soll als denkbare Hypothese hier nicht ausgeschlossen werden.46 Hat man aber einmal erkannt, dass der geschaute Leuchter in unserem Text als Symbol einer jede irdische Wirklichkeit transzendierenden himmlischen Realität fungierte, der Augen JHWHs, dann ergeben sich daraus die Differenzen zu seinen irdischen „Abbildern“ wie von selbst. | Für die daraus zu schließende Lokalisierung der Leuchtervision im Himmel könnte zusätzlich die Deutung der beiden flankierenden Ölbäume als Ölsöhne sprechen. Nach V. 14 stehen sie als dienende Wesen47 (gegen)über dem (thronenden) Herrn der ganzen 42 Vgl. dazu die vielfältigen Studien zur Rekonstruktion des sacharjanischen Leuchters und seiner möglichen Vorbilder von Galling, Beleuchtungsgeräte; Möhlenbrink, Leuchter; Goldberg, Leuchter; North, Lampstand; Keel, Jahwe-Visionen; Voss, Menora, und die Kommentare z.St., vor allem Hanhart, Sacharja, 257ff, und Meyers/Meyers, Zechariah, 229ff. 43 Delkurt, Nachtgesichte, 198ff. 44 Das Problem wird letztlich auch nicht durch die literarkritischen Operationen zu Ex 25,31–37a gelöst, die Voss, Menora, 25ff, vornimmt, und denen sich Delkurt, Nachtgesichte, 203f, anschließt. Voss rechnet mit einer Grundschicht in Ex 25,31.37a.38.40, die einen Leuchtertypus des vorexilischen Tempels darstelle, der aus einem einfachen Ständer mit sieben aufgesetzten Lampen bestanden habe. Derselbe Typus begegne wohl auch in Num 8,1–4. Vgl. dazu auch Hanhart, Sacharja, 259f. Damit ist allerdings weder die aufgesetzte ėğĕ auf der ėīĘģġ zu erklären, noch der Umstand, dass jede der ĭĘīģ über je sieben ĭĘĪĩĘġ verfügte. Beide Details begegnen nur in Sach 4. 45 Interessanterweise wird Mose aufgefordert, den Leuchter und die dazugehörigen Geräte nach einem himmlischen Modell (ĭĜģĔĭ) fertigen zu lassen, das ihm auf dem Berg Sinai gezeigt wurde (Ex 25,40). 46 Das liegt schon deswegen nahe, weil nach der altorientalischen Tempeltheologie im Tempel die himmlische Realität in die irdische Welt hineinragte. Vgl. dazu vor allem Janowski, Tempel, 216ff; ders., Himmel auf Erden, 229ff, und Meinhold, Serubbabel, 200ff. Tempel und Himmel, irdischer und himmlischer Thronsitz der Götter, fielen aber nicht vollkommen ineinander, sondern blieben trotz aller Berührungspunkte voneinander unterschieden. Der Tempel war Kontaktzone zum Himmel (Babel, akk. BĄb-ilģ= Tor der Götter), aber nicht der Himmel selbst. So betont auch Keel, Jahwe-Visionen, 52: „Die Präsenz Gottes im Himmel ist mit der im Tempel nicht schlicht identisch.“ Das gilt auch für Ägypten, wie Janowski, Himmel auf Erden, 243, gezeigt hat. 47 Zu ğĥ Ėġĥ im Sinne von „dienen“ vgl. Jer 36,21; 1 Kön 22,19.21 lassen erkennen, dass ğĥ Ėġĥ und Ĝģħğ Ėġĥ promiscue gebraucht werden kann. Vgl. dazu Dörfel, Engel,
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Erde.48 Sah Sacharja die Ölbäume als symbolische Repräsentanten des himmlischen Hofstaates JHWHs?49 Über die bisherigen Überlegungen hinaus legt auch die Einbindung der Leuchtervision in ihren ursprünglichen Kontext ihre Deutung als Himmelsvision nahe. Geht man davon aus, dass Sach 3 nicht zum ursprünglichen Zyklus der Nachtgesichte gehörte,50 dann schloss Sach 4 ehemals an die Vision vom Mann mit der Messschnur (2,5–9) und die sich daran anschließende Spruchreihe (2,10–17) an. Diese Spruchreihe schließt mit dem an eine Kultformel 51 erinnernden Ruf: „Still alles Fleisch vor JHWH, denn er macht sich | auf52 von seiner heiligen Wohnstatt“
117f, und Rost, Bemerkungen, 216–221. Besonders signifikant sind die Parallelen in Sach 3,1.3.4.5. Sachlich entspricht die Aussage über die Ölsöhne auch dem ğĥ ĔĩĜĭėğ in Hi 1,7; 2,1. 48 Siehe die parallele Formulierung in Sach 6,5, wo allerdings nicht das Verb Ėġĥ, sondern ĔĩĜ Hitp. („sich aufstellen“) verwendet wird. Auch Hanhart, Sacharja, 288, wehrt mit Recht eine einfache Gleichsetzung des Leuchters mit dem Tempel ab: „Das Bildelement, das das Wesen von Israels Gott bedeutet, ist das Symbol des jerusalemischen Heiligtums. Dieses Symbol kann nicht das Bild für das Heiligtum selbst bedeuten [...].“ Er sei vielmehr Symbol für den das Ganze der Schöpfung überschauenden Gott im Tempel. Da allerdings der Tempel noch nicht wieder errichtet war, liegt es m.E. näher, dass der Vf. von Sach 4 sein aus dem Tempelkult bekanntes Symbol und vor allem denjenigen, den es repräsentierte, den allwissenden JHWH, eben nicht im Tempel, sondern im Himmel als verborgenen Gott schaute. 49 Die teilweise identischen oder zumindest vergleichbaren Formulierungen in Sach 3,1.3.4.5.7; 6,5; Hi 1,7; 2,1; 1 Kön 22,19.21 legen diesen Schluss durchaus nahe. Liest man Sach 3 als aktualisierende Fortschreibung zu Sach 4, dann verstärkt sich dieser Eindruck noch. Ganz offensichtlich wird dort die umstrittene Position des Hohenpriesters (gegenüber der des Statthalters [Serubbabel]?) aufgewertet, indem dieser nun nicht nur einen Blick in den himmlischen Hofstaat werfen darf, sondern auch selbst Zugänge zu den ĠĜĖġĥė haben soll (siehe die Wiederaufnahme des Stichwortes ĠĜĖġĥė aus 4,14), die zum himmlischen Hofstaat gehören. Vgl. dazu Hanhart, Sacharja, 189ff. Falls man überhaupt an einer personalen Interpretation der beiden Ölsöhne festhalten möchte (vgl. dagegen Schöttler, Gott, 243–256 und Delkurt, Nachtgesichte, 213–223, die in den Ölbäumen die beiden Reiche Israel und Juda bzw. die Fruchtbarkeit des von Gott gewährten Landes verkörpert sehen), dann leuchtet jetzt am ehesten der Vorschlag von Bosshard-Nepustil, Rezeptionen, ein. Er macht darauf aufmerksam, dass es sich bei den īėĩĜė ĜģĔ um eine Anspielung auf die īėĩĜė ĜģĔ handeln könne (Ex 6,21; 1 Chr 23,18) bzw. auf die levitische Sippe der Jizhariter (Num 3,27; 1 Chr 24,22; 26,23.29), die unter anderen Tempeldiensten nach Num 3,27–32 auch den Dienst am Leuchter (V. 31: ėīĘģġ) versehen haben. Stellen die īėĩĜė ĜģĔ so etwas wie ein „himmlisches Urbild “ für die levitische Sippe der īėĩĜ ĜģĔ dar, die auch zum Dienst am Leuchter im irdischen Tempel berufen waren? 50 Vgl. dazu die in Anm. 19 erwähnten Arbeiten und das Votum der meisten Sacharjaexegeten. 51 Vgl. Am 6,10; Hab 2,20; Zef 1,7. 52 Das Pf. īĘĥģ ist hier (wie übrigens auch das ĜĭĔĬ in 1,16) nicht als tempus historicum, sondern als perf. confidentiae bzw. propheticum zu deuten (Ges.-K. § 106n). Hanhart, Sacharja, 155, geht davon aus, dass „die beschlossene Rückkehr (1,16) jetzt gesche-
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(2,17).53 Der hier erwähnte ĘĬĖĪ ĢĘĥġ, „seine heilige Wohnung“, steht in bewusstem Kontrast zur vorher erwähnten ĬĖĪ ĭġĖē, „dem heiligen Land“, auf dem JHWH Juda wieder als seinen Erbteil empfängt (2,16). V. 17 hält demnach fest, dass JHWH sich bereits erhebt (īĘĥģ) von seiner himmlischen heiligen Wohnung54, um sein irdisches heiliges Land in Besitz zu nehmen.55 An diese Aussage schloss sich ursprünglich wohl unmittelbar die Leuchtervision an. So, wie sich JHWH von seiner himmlischen Wohnstatt aufmacht (īĘĥ Ni.), so wird nun Sacharja seinerseits vom Deuteengel aufgeweckt (īĘĥ Hif.), um diesen von seiner himmlischen Wohnstatt aufbrechenden Gott im Symbol des sieben mal siebenflammigen Leuchters zu schauen.56 Die folgende Vision von der fliegenden Buchrolle, auf der ein Fluch gegen alle Diebe und Meineidigen verzeichnet ist (5,1–4), könnte schließlich zur Darstellung bringen, in welcher Gestalt sich der im Symbol des Leuchters geschaute hene Rückkehr“ sei. Diese Sicht widerspricht aber nicht nur den meisten Auslegern, sondern m.E. auch dem Duktus des Gesamtzyklus der Nachtgesichte. Die Verwirklichung des in den Nachtgesichten angekündigten Geschehens hebt u. E. erst mit der stürmischen Ausfahrt der ėĘėĜ ĚĘī im 7. Nachtgesicht (6,1–8) an. Zwar ist die Rückkehr bei Gott bereits beschlossene Sache (so zutreffend Hanhart, Sacharja, 57), aber eben als Beschluss noch keine erfahrbare Wirklichkeit. So auch Delkurt, Nachtgesichte, 65, Anm. 197. Anders Meinhold, Serubbabel, 203. 53 Dabei ist es keineswegs ausgemacht, dass es sich bei den an einige Visionen anschließenden JHWH-Worten (1,16f; 2,10–17) durchweg um sekundäre Zusätze zu den Nachtgesichten handelt. Meyers/Meyers, Zechariah, LIX: „In reality, all of these oracular sections not already incorporated into the actual visions are nonetheless integral to the visions.“ Es mag sein, dass eine Reihe dieser JHWH-Worte eine erste möglicherweise vom Propheten noch selbst oder von einem frühen Redaktor vorgenommene Bearbeitung der Nachtgesichte darstellen. In jedem Falle dienten sie mit ihren Vor- und Rückverweisen auch der intensiveren Verklammerung der einzelnen Visionen untereinander. 54 Zum ĢĘĥġ als irdischer (Tempel) und himmlischer Wohnstatt Gottes siehe Preuss, ĢĘĥġ, ThWAT IV, 1029f. Er lässt hier die Frage offen, ob es sich um JHWHs himmlische oder irdische Wohnstatt handelt. Ebenso Marinkoviÿ, Stadt, 68f. Der Bezug zur ĭġĖē ĬĖĪė in 2,16 und die Tatsache, dass der Jerusalemer Tempel als irdische Wohnstatt JHWHs noch gar nicht wieder zur Verfügung stand, legen aber die Deutung des ĬĖĪ ĢĘĥġ als himmlische Wohnstatt JHWHs in 2,17 nahe. Auch Meyers/Meyers, Zechariah, 171f, nehmen an, dass wir es bei dem ĢĘĥġ hier mit „a celestial locus“ zu tun haben. Ebenso Houtman, Himmel, 347, und Bartelmus, Himmel, 97ff. Bezeichnenderweise übersetzt LXX mit evxegh,gertai evk nefelw/n a`gi,wn auvtou/. 55 So die plausibelste Deutung von Hanhart, Sacharja, 155; Graf Reventlow, Haggai, 50; Rudolph, Sacharja, 91 u.a. Die Verbindung zwischen dem ĬĖĪ ĢĘĥġ als Wohnsitz Gottes und dem Himmel begegnet auch in Dtn 26,15; 2 Chr 30,27. In Dtn 26,15 ist sie außerdem verbunden mit dem Motiv des Herabblickens JHWHs, von dem man sich Segen für das Land erhofft. 56 Dieser Zusammenhang wurde wahrscheinlich wegen des sekundär eingefügten Kap. Sach 3 häufig übersehen. Dabei kann kaum ein Zweifel daran sein, dass zwischen 2,17 und 4,1 eine Stichwortanknüpfung besteht. Und selbst dann, wenn diese Anknüpfung redaktionell sein sollte, so vermag sie immer noch zu zeigen, dass der „Redaktor“ Sach 4 von Sach 2,17 her las und wie den ĘĬĖĪ ĢĘĥġ nun auch den Leuchter als Gottessymbol im Himmel lokalisierte.
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JHWH (Kap. 4) von seiner himmlischen Wohnstatt aufgemacht hat (2,17), um auf der Erde zu wirken. Er kommt gleichsam vom Himmel her in seinem heilsamen und richtenden (Fluch-) Wort, das sich in den Häusern der Frevler einnistet und diese zerstört. | Letztlich ist auf Sach 3 hinzuweisen, das sich in mancherlei Weise als Fortschreibung von Sach 4 zu erkennen gibt57 und jetzt gemeinsam mit der Leuchtervision das Zentrum des gesamten Visionszyklus bildet. Offensichtlich hat der Vf. von Sach 3, der Sach 4 aufnahm und fortschrieb, die Leuchtervision ebenfalls als eine Himmelsvision betrachtet und daher auch das Geschehen von Sach 3 konsequent im himmlischen Thronrat lokalisiert.
Die Deutung von Sach 4 als Himmelsvision, in der Sacharja JHWH im Symbol eines jede irdische Realität überstrahlenden Leuchters58 schaut, unterstreicht zusätzlich die konzentrische Komposition des gesamten Zyklus’ der Nachtgesichte. Wenn es zutreffen sollte, dass es sich bei dem ersten und dem letzten Nachtgesicht um „Himmelstorszenen“ handelt,59 dann 57 Vgl. Anm. 19 und vor allem die Wiederaufnahme der Rede von den „Dienstengeln“ aus 4,14 in 3,1.3.4.5, die mit Hilfe der ¥Ėġĥ zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Anm. 47). Signifikant ist darüber hinaus die Wiederkehr des Motivs von den sieben Augen in Verbindung mit einem besonderen Stein im Tempel in 3,9, das deutlich 4,10b und den sekundär eingefügten Abschnitt 4,6aƞ-10a* voraussetzt. 58 In dieselbe Richtung denkt offensichtlich Willi-Plein, Sacharja. 540. 59 Für das letzte Nachtgesicht (6,1–8) liegt diese Annahme trotz der Skepsis von Hanhart, Sacharja, 389, und der Zurückhaltung von Delkurt, Nachtgesichte, 284ff, doch recht nahe. Die Beschreibung der vier Wagen, die die vier Winde des Himmels symbolisieren und zwischen den beiden Erzbergen hervorkommen, stellt eine typische Himmelstorszene dar, für die es auch Vorbilder in der altorientalischen Umwelt gibt (siehe u.a. Jeremias, Nachtgesichte, 111f). So ist das Motiv des aus den beiden östlichen Horizontbergen aufsteigenden Sonnengottes Šamaš in der Akkadzeit (2350–2150 v. Chr.) weit verbreitet. Siehe dazu Janowski, Rettungsgewißheit, 48ff. Mit der Sonnengottheit war wiederum das Motiv von Pferd und Wagen fest verbunden. Vgl. Keel, Jahwe-Visionen, 180ff. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Keel, JahweVisionen, 186f, auf die leeren Götterwagen, die als „Realsymbol göttlicher Gegenwart“ vor allem in persischer Zeit an Bedeutung gewonnen haben. Und dass die in 2 Kön 23,11 erwähnten Sonnenrosse am Eingang des Tempels (der irdischen Entsprechung zur Himmelspforte) untergebracht waren, spricht für sich. Offensichtlich hatten sie genau dort ihren Platz, wo der Vision Ezechiels entsprechend der ėĘėĜ ĖĘĔĞ nach der Wiederherstellung des Tempels erneut in diesen Einzug halten sollte, nämlich an der Ostpforte (Ez 43,2.4; 44,2). Lipiēski, Shemesh, DDD, 765, vertritt im Blick auf die genannten Texte und Ez 8,16 die Auffassung, „that the sun’s chariot was Yahweh’s vehicle and that the men seen by the prophet were not sun-worshippers, but devotees of Yahweh“. Zur Solarisierung des JHWH-Glaubens in vorexilischer Zeit und ihrer exilisch-frühnachexilischen Folgegeschichte bis hin zur Bezeichnung JHWHs als Sonne (Ps 84,12; Mal 3,20) siehe Janowski, Sonnengott, 221ff.238ff. Sicherlich wurde JHWH in Sach 6,1–8 nicht als Sonnengott verehrt, aber die einzelnen Motive wie auch die Bildkonstellation als ganze legen es nahe, dass sie vom JHWH-Glauben adaptiert wurden. Schwieriger ist es, die erste Vision als eine Himmelstorszene zu identifizieren. Doch ist auch hier die Vorstellung von einem
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stünden zwischen den beiden Randvisionen und der zentralen Leuchtervision jeweils zwei Visionen, die Vorgänge auf der Erde beschreiben.60 | I Himmelstor (1,7–17)
II Erde (2,1–4) III Erde (2,5–17)
IV Himmel (4,1–14)61
V Erde (5,1–4)
VII Himmelstor (6,1–8)
VI Erde (5,5–11)
Aus diesem Befund ergeben sich schließlich zwei Fragen: Was hat einen späteren Bearbeiter dazu veranlasst, die Vision vom Himmelsleuchter durch die Einfügung V. 4,6aƞ–10a* auf Serubbabel und den Wiederaufbau des Tempels zu beziehen? Und warum hat er seinen redaktionellen Einschub unmittelbar vor die Aussage über die „sieben Augen JHWHs“ gesetzt?
4. JHWHs Präsenz im Himmel und auf Erden Die erste der beiden Fragen beantwortet sich am plausibelsten damit, dass der Bearbeiter Sach 4 eben nicht von Sach 3 her las, sondern von dem ihm ursprünglich voraufgehenden Nachtgesicht 2,5–9.10–17. In diesem ging es um den Wiederaufbau Jerusalems, seine künftige Größe und den Schutz der „Stadt ohne Mauern“.62 Die Vision endet mit der Zusage, dass Gott selbst als Feuermauer (Ĭē ĭġĚ) um die Stadt her und zu ihrem Lichtglanz
Himmelstor, gekennzeichnet durch die Myrten in der Tiefe, zwischen denen der Reiter steht (1,8), nicht ausgeschlossen. Vgl. Gese, Anfang, 217, der an den äußersten Westpunkt am Horizont der Okeanostiefe (Mittelmeer?) denkt. Ebenso Koch, Profeten, 170f. Dörfel, Engel, 91ff, nimmt auch hier aufgrund altorientalischer Vorbilder einen östlichen Himmelseingang an. In jedem Falle war das Motiv eines von zwei Bäumen flankierten Himmelstores recht verbreitet. Siehe die zahlreichen Beispiele bei Keel, Jahwe- Visionen, 296ff. 60 Dabei muss beachtet werden, dass keine der Visionen rein himmlische oder irdische | Vorgänge beschreibt. In allen geht es um eine Interaktion zwischen Himmel und Erde. Dass allerdings die geschauten Bilder den Propheten in den Nachtgesichten I, IV und VII vorrangig an den Himmel bzw. in den Grenzbereich zwischen Himmel und Erde verweisen, während es in den Nachtgesichten II, III, V und VI um ein Geschehen handelt, das sich auf der Erde abspielt, ist kaum zu übersehen. 61 Durch die sekundäre Hinzufügung von Sach 3 standen letztlich im Zentrum des gesamten Zyklus’ zwei Himmelsvisionen. 62 Siehe dazu die wichtigen Beobachtungen von Marinkoviÿ, Stadt, 147, der die interessante These vertritt, dass wir es hier mit einer Transformation des vor allem von Kyros in Pasargadae verfolgten Konzepts der „offenen Residenzstadt“ auf Jerusalem zu tun haben könnten.
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(ĖĘĔĞğ)63 in ihrer Mitte sein wolle.64 V. 9 überträgt demnach die FeuerLicht-Metaphorik auf den im künftigen Jerusalem gegenwärtigen JHWH. Sein Feuer ist um die Stadt her (ĔĜĔĤ)65 und sein | Glanz ist in ihrer Mitte (ėĞĘĭĔ).66 Die sich an die Vision anschließenden Weissagungen nehmen dieses Thema auf und verheißen der Tochter Zion (ĢĘĜĩ ĭĔ) in V. 14f: „Ich will in deiner Mitte wohnen (ĝĞĘĭĔ ĜĭģĞĬĘ)!“ Wie der Leser sich die Einwohnung JHWHs in Jerusalem konkret vorzustellen habe, ob im Tempel, was immer noch am wahrscheinlichsten ist, oder nicht67 bleibt zunächst offen.68 V. 17 beschreibt dann als Ausgangsort dieser irdischen Einwoh63 Siehe dazu die Hinweise in Anm. 39. Zu ĖĘĔĞ als göttlichem Feuer- und Glanzphänomen vgl. vor allem Podella, Lichtkleid, 206ff; Hartenstein, Unzugänglichkeit, 66ff; Vincent, Das Auge hört, 125ff; Weinfeld, ĖĘĔĞ, ThWAT IV, 27f, und Ex 24,16ff; Lev 9,23f; Ez 10,4; 43,2; Ps 104,2; 2 Chr 7,1ff. 64 Das doppelte ėĜėē in V. 9 ist wahrscheinlich eine deutliche Anspielung auf die Verbindung zwischen der Feuersymbolik und der Offenbarung des JHWH-Namens in Ex 3,1–15. 65 Falls die Hypothese von Marinkoviÿ (vgl. Anm. 62) zutrifft, dass die Vision von Jerusalem als offener Residenzstadt auf ein persisches Konzept zurückzuführen ist, dann könnte es naheliegen, auch die Vorstellung von JHWH als Feuermauer mit den zahlreichen Feueraltären dieser Städte (z.B. Pasargadae) zu verbinden. So Petersen, Haggai, 171: „The royal city of Achaemenid kings, Pasargadae, was built without benefit of walls. In and around it were a number of fire altars that symbolized the cosmic god Ahura Mazda.“ Siehe auch Graf Reventlow, Haggai, 47. Zu den Feuerheiligtümern im Zoroastrismus siehe Hutter, Religionen, 232ff, und Koch, Dareios, 280f. 66 Das Nomen ĝĘĭ bezieht sich mit seinem Suffix der 3. P. Sg. fem. zunächst einmal auf die Mitte der Stadt Jerusalem. Dabei bleibt offen, ob mit dieser „Mitte“ bereits auf den künftigen Tempel angespielt wird (so Jeremias, Nachtgesichte, 175) oder ob gerade durch das Fehlen der Termini ĭĜĔ bzw. ėĘėĜ ğĞĜė ein Tempelbezug bewusst vermieden wird (so Delkurt, Nachtgesichte, 122). Dass hier von „ihrer (Jerusalems) Mitte“ in einem „explizit profanen Kontext “ die Rede sei (so Delkurt, ebd.), kann man wohl angesichts der Erwähnung von JHWHs ĖĘĔĞ kaum behaupten. 67 Wahl, Messen, 259ff, interpretiert Sach 2,5–9 dahingehend, dass dem Jüngling mit der Messschnur, der auszog, um Jerusalem zu vermessen, ausschließlich an dem Wiederaufbau der Stadtmauern und damit an der Sicherheit Jerusalems vor dem Neubau des Tempels lag. Dieses kleingläubige Unternehmen sei ihm von JHWH verwehrt worden, der sich selbst zum Schutz der Stadt erklärt habe (V. 8f). Demnach sei Sacharja wie Haggai daran gelegen gewesen, die Vorrangigkeit des Tempelbaus zu unterstreichen. Delkurt, Kult, 29ff, weist auf die zahlreichen Anspielungen auf die Tempelbauvision Ezechiels (40–48) hin, die Sach 2,5–9 enthält, und macht gleichzeitig auf mögliche konzeptionelle Unterschiede aufmerksam. Siehe zu der Debatte auch die differenzierten Erwägungen von Vincent, Das Auge hört, 126ff, der mit Recht darauf verweist, dass in der Vision vom Tempel direkt noch nicht die Rede sei. 68 Janowski, Schekina-Theologie, 122ff, hat gezeigt, dass die Rede vom Wohnen Gottes, die sich in vorexilischer Zeit auf den Tempel bezog (1 Kön 8,12f), sich nach der Tempelzerstörung von diesem löste, um auf die Israeliten selbst übertragen zu werden. Allerdings ist zu beachten, dass selbst noch in Ex 25,8; 29,45f (P); 1 Kön 6,12f (Dtr); Ez 43,7.9
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nung den sich von seinem himmlischen Heiligtum (ĘĬĖĪ ĢĘĥġ) erhebenden (īĘĥ Ni.)69 JHWH. Unmittelbar daran schloss sich ursprünglich Sach 4,1 an.70 Der Aufbruch JHWHs von seiner himmlischen Wohnstatt darf nicht verschlafen werden. Deswegen weckt (īĘĥ Hif.) der angelus interpres den Propheten wie einen Mann, der vom Schlaf geweckt wird ( īĘĥ Ni., Stichwortanknüpfung!). Auf diese Weise wird der Prophet Zeuge eines Vorganges, der in der | himmlischen Wohnstatt JHWHs seinen Ausgang nimmt (2,17), aber in Jerusalem sein Ziel hat (2,8f.14f). Damit waren für den Bearbeiter, der die beiden Serubbabelworte Sach 4,6aƞ–7.8–10a*71 in die Leuchtervision einfügte, die entscheidenden Themen und Stichworte vorgegeben. Die Messschnurvision hatte den Wiederaufbau Jerusalems im Blick und die künftige Einwohnung JHWHs inmitten der Stadt. Wenn schließlich in 2,17 vom himmlischen Wohnsitz JHWHs (ĢĘĥġ ĘĬĖĪ) gesprochen wurde, von dem dieser im Begriff sei aufzubrechen, dann lag die Frage nach seinem irdischen Wohnsitz gleichsam in der Luft. Offensichtlich empfand der Bearbeiter es als Defizit, dass vom Tempel JHWHs in 2,5–17 noch nicht expressis verbis die Rede war.72 Und so bezog er das Bild von der himmlischen Präsenz JHWHs in der symbolischen Gestalt des sieben mal siebenflammigen Leuchters auf den Wiederaufbau seiner irdischen Wohnstatt in Jerusalem. Dem Aufbruch JHWHs von oben her setzte er einen Aufbruch von unten entgegen, das Aufbauwerk Serubbabels an JHWHs irdischem Haus.73 Der Wiederaufbau des Tempels wurde für den Autor von V. 6aƞ–10a* offensichtlich zur entscheidenden Vorvon diesem Wohnen JHWHs unter den Israeliten im Zusammenhang mit der Errichtung eines Heiligtums bzw. des künftigen Tempels gesprochen wird. Vgl. zu der Problematik auch Görg, Ģ ąĞ ĆŘ, 1347. In Sach 8,3.8 ist expressis verbis vom Wohnen JHWHs in Jerusalem (ĠĜğĬĘīĜ ĝĘĭĔ ĜĭģĞĬĘ) die Rede, dort allerdings mit Verweis auf den ĢĘĜĩ und den Čīė ėĘėĜ, die wohl als Sitz des JHWH-Tempels (vgl. 8,9) fungieren. 69 Die Grundbedeutung der Wurzel īĘĥ ist nach Schreiner, īĘĥ, ThWAT V, 1185, „‚erregen‘, im Sinn von ‚aktiv werden bzw. machen, so dass jemand oder etwas in Tätigkeit kommt und darin verbleibt‘“. Immer geht es – ob im Kontext von Schlafphänomenen (Sach 4,1) oder ohne diese – um ein Aufbruchs- und Aktivierungsgeschehen, dem eine Phase der Ruhe bzw. Inaktivität vorausging. 70 Dabei ist es für unsere Fragestellung unerheblich, ob es sich hier um einen von Sacharja selbst hergestellten Zusammenhang handelt, oder ob dieser redaktioneller Natur ist. Siehe Anm. 56. Wichtig ist lediglich der Befund, dass offensichtlich ganz bewusst eine Brücke zwischen dem sich von seiner heiligen Wohnstatt erhebenden Gott zu der Leuchtervision geschlagen wurde. 71 Der Einschub 4,6aƞ-10a* besteht aus zwei Serubbabelworten, V. 6aƞ-7 und V. 8–10a*, das von dem ersten Wort deutlich durch die Wortereignisformel (V. 8) abgesetzt ist. Beide Worte ergingen direkt an den Propheten (V. 6a.8 Ĝğē), wobei das erste Wort von diesem an Serubbabel weiterzusagen war (V. 6aƞ), während das zweite Wort Aussagen über Serubbabel macht. 72 Vgl. dazu die Arbeiten in Anm. 67.
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aussetzung dafür, dass der Deus praesens coeli wieder zum Deus praesens Jerusalems werde. Der ĘĬĖĪ ĢĘĥġ von 2,17 sollte seine Entsprechung in dem ĭĜĔ fin|den, zu dem Serubbabel bereits den Grund gelegt hatte und das er auch vollenden würde (4,9). Diese Verbindung zwischen himmlischer Wohnstatt und irdischem Tempel legte sich aber nicht nur aufgrund der altorientalischen Tempeltheologie nahe,74 vielmehr hatte auch die mit der Leuchtersymbolik verbundene Rede von den Augen JHWHs ganz offensichtlich in der nachexilischen Jerusalemer Tempeltheologie einen festen Ort. Dass die Augen des im Himmel thronenden JHWH in besonderer Weise dem Jerusalemer Tempel zugewandt bleiben sollten, geht deutlich aus den deuteronomistischen Fortschreibungen des Tempelweihberichtes in 1 Kön 8,14–6675 hervor: „Fürwahr, wohnt Gott wirklich auf der Erde? Siehe, der Himmel und des Himmels Himmel76 können dich nicht fassen, geschweige denn dieses Haus, das ich gebaut habe. Wende dich zu dem Gebet deines Knechtes und zu seinem Flehen, JHWH, mein Gott, damit du hörst auf das Rufen und auf das Gebet, das dein Knecht heute vor dir spricht, damit deine Augen offen sind zu diesem Hause hin des nachts und 73
Dabei ist allerdings nicht eindeutig zu klären, ob bereits das erste Serubbabelwort V. 6aƞb einen Bezug zum Thema Tempelbau hat. Die Rede davon, dass es nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch JHWHs ĚĘī geschehen solle (V. 6bƝ), ist durch die Zwischenformel ĭĘēĔĩ ėĘėĜ īġē (V. 6bƞ) deutlich von V. 7 abgesetzt. Was soll durch JHWHs ĚĘī geschehen? Das Wort könnte einmal unter Aufnahme des letzten Nachtgesichtes 6,1–8, in dem die ėĘėĜ ĚĘī von himmlischen Pferden und Wagen im Nordland zur Ruhe gebracht wird, eine Korrektur der Serubbabelweissagung Haggais (2,20–23) darstellen. Der von Haggai noch erwartete universale Sturz des Thrones der Königreiche samt ihres militärischen Potentials an Pferden und Streitwagen erfährt hier eine „Pazifizierung“ (?), in der ein Handeln mit Hilfe militärischer Optionen (ğĜĚ und ĚĞ) ausgeschlossen wird. Unsicher bleibt, wie dem dann die Aussage von V. 7 zuzuordnen ist. Dieser Vers bezieht sich mit dem folgenden Serubbabelwort V. 8–10a klar auf die Tempelbauproblematik. Zu den denkbaren altorientalischen Hintergründen der speziellen bautechnischen Terminologie im Rahmen von Kultbauten siehe Laato, Zachariah, 56ff. Galling, Serubbabel, 141f, denkt bei der ĚĘī in V. 6 weniger an den Geist JHWHs, sondern an seinen Sturmwind, der nach altorientalischen Tempelbauberichten Nebukadnezars und Nabonids auf wunderbare Weise den Staub und die Sandmassen fortwehte, die die Trümmerhügel der Vorgängertempel bedeckten. Ebenso würde die ĚĘī JHWHs (V. 6b) den großen (Trümmer-) Berg wegblasen, der vor Serubbabel zur Ebene werden soll (V. 7a). Diese Interpretation rettet – falls sie zutrifft – das Serubbabelwort V. 6b-7 als thematische Einheit, die sich dann insgesamt auf das Tempelbauunternehmen bezieht. 74 Siehe dazu die Arbeiten in Anm. 46. 75 Zu den literarischen Schichtungen in 1 Kön 8,14–66 siehe u.a. Braulik, Spuren, 39; Würthwein, Könige, 95ff; Hentschel, 1 Könige, 57ff, und die kurze Zusammenfassung von Dietrich, Königszeit, 92. 76 Siehe zur Konzeption vom mehrfach geschichteten Himmel vor allem Hartenstein, Wolkendunkel, 135f.143ff.
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am Tage, hin zu dem Ort, von dem du gesagt hast: Mein Name soll dort anwesend sein.“ (1 Kön 8,27–29a; vgl. 2 Chr 6,18–20a)77
Der spätdeuteronomistische Abschnitt aus dem Tempelweihgebet Salomos teilt – wenn unsere Interpretation von Sach 4 als Himmelsvision zutrifft – mit dieser die Auffassung von der Präsenz JHWHs im Himmel und der besonderen Ausrichtung seiner Augen auf den Jerusalemer Tempel.78 Der Zusammenhang begegnet mehrfach in der spätexilischen und nachexilischen Literatur Israels. Hier ist zunächst auf die Wiederaufnahme von 1 Kön 8,29 in 1 Kön 9,3 zu verweisen.79 In dem „in den letzten Jahrzehnten des 6. Jh.“80 entstandenen Gebet Hiskijas in 2 Kön 19,14–19 (= Jes 37,14–17) breitet dieser einen ihm von Boten des Assyrerkönigs überbrachten Brief vor JHWH im Tempel aus und bittet Gott, doch sein Gebet zu erhören, die Augen zu öffnen und zu sehen (V. 19). Der Tempel war daher nicht nur Gebetsstätte, sondern auch ein Ort, auf den Gott mit seinen Augen schaute, und das in derartig hervorgehobener | Weise, dass man seinen Ohren und Blicken dort einen Brief präsentieren konnte.81 Als weitere Belege für die Verbindung der Augen JHWHs mit den Frommen und Gerechten im Tempel kann auf Jes 1,15; Sach 9,8; Dan 9,17f; 2 Chr 6,40; 7,15f; Ps 32,8; 33,18; 34,16; 102,20; 113,6 82 verwiesen werden.
Die Rede von den Augen JHWHs lässt damit eine eigentümliche Dialektik von dem im Himmel fernen und doch auf der Erde nahen und fürsorglichen Gott erkennen. Seine Augen überbrücken, einerseits, die Distanz zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch. Sie geben JHWH die Möglichkeit der Ortsunabhängigkeit, die Fähigkeit jeden Ort der Erde als Allgegenwärtiger und Allwissender mit seinen Blicken zu durchschweifen
77
Siehe auch 1 Kön 8,52f. Nach Würthwein, Könige, 95, bilden die V. 29 und 52f einen spätdtr. Rahmen, der an Dtn 4,1–40 orientiert ist. Veijola, 151ff, sieht ebenfalls die rahmende Funktion der V. 29f/52f.59f und ordnet sie einem spätdtr. Redaktor am Ende der Exilszeit zu. 78 Nach der dtr. Konzeption ist dieser jetzt „in erster Linie Gebetsstätte, an der der Name Jahwes anwesend ist“ (Janowski, Schekina-Theologie, 131). 79 Siehe zu dem literarischen Zusammenhang Würthwein, Könige, 105. 80 So die aufgrund sprachlicher Indizien naheliegende Datierung durch Hentschel, 2 Könige, 93. 81 Dahinter verbarg sich möglicherweise die aus mesopotamischer Tradition bekannte Tradition der „Gottesbriefe“, die z.B. im Zusammenhang mit militärischen Aktionen im Tempel verlesen und deponiert wurden. So Kaiser, Jesaja, 312, und Wildberger, Jesaja, 1424f. 82 Zwar wird der Tempel selbst nicht in allen diesen Psalmen expressis verbis erwähnt, wohl aber durch die Situation der Beter vorausgesetzt, die JHWH im Tempel bitten, seine Augen auf sie zu richten. Siehe dazu Hossfeld/Zenger, Psalmen, 200ff.205ff, und Weber, Werkbuch, 157ff.160ff.
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(Sach 4,10b).83 Allerdings ist dies nur ein Aspekt der Gottesvorstellung Sacharjas. Denn andererseits geht ja gerade eine Stoßrichtung seiner Verkündigung dahin, dass dieser allgegenwärtige und allwissende JHWH sich entschlossen hat, zum Zion zurückzukehren und in Jerusalem erneut Wohnung zu nehmen (1,16; 2,9.14.15; 8,3.22). Die Freiheit JHWHs besteht daher nicht allein in der Freiheit von etwas, seiner grundsätzlichen Ortsunabhängigkeit, sondern nach Sacharja auch in der Freiheit zu einer neuen lokalen Bindung an Jerusalem und den Zion. Ihm gilt sein besonderes Augenmerk. Und dieser Sachverhalt kann im Verkündigungszusammenhang von Haggai und Sacharja wohl kaum ohne den Neubau seines Tempels gedacht werden. Deswegen fühlte sich der Bearbeiter von Sach 4 wohl dazu veranlasst, das in 2,5–17 noch fehlende Moment des Tempelbaus in Sach 4 nachzutragen. Dadurch entstand ein Zusammenhang von geprägten Vorstellungen und Motiven, die ganz offensichtlich noch Jahrzehnte später ihre Wirkung taten. In der aramäischen Tempelbauerzählung 5,1–5 wird hinsichtlich der Konflikte um den Tempelbau in V. 5 ausdrücklich festgehalten: „Aber das Auge ihres Gottes ( Ġėėğē ĢĜĥĘ) war über den Ältesten der Juden, so dass sie sie nicht (vom Tempelbau) abhalten konnten ...“84 |
Wie immer man auch das literarische Verhältnis zwischen Sach 4 und Esra 5,1–5 beurteilen mag, die Texte weisen unübersehbare thematische Querverbindungen auf: Beide Texte sind von ihrem Kontext her auf das zweite Jahr Dareios’ I. datiert worden (Sach 1,7; Esra 4,24). In beiden Texten spielen neben Haggai und Joschua auch Sacharja und Serubbabel für den Wiederaufbau des Tempels eine Schlüsselrolle (Sach 4,7ff; Esra 5,2). Beide Texte wissen ganz offensichtlich von massiven Problemen, die es im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des Tempels gab (Sach 4,7.9.10a; 85 Esra 5,3).86 Sowohl in Sach 4 als auch in Esra 5,5 hat man das Gelingen die83
Diese Freiheit JHWHs von jeder lokalen Bindung hat Willi-Plein, Tempel, 60, mit Recht unterstrichen: „Gott selbst ist zwar grundsätzlich ortsunabhängig, aber die Menschen sind es nicht. Nach diesen prophetischen Zeugnissen [Haggais und Sacharjas, Zus. v. Vf.] ist der Tempel um der Menschen willen nötig, als Ort der öffentlichen Huldigung und Ansprechbarkeit Gottes.“ 84 Zum Quellenwert und den literarischen Problemen von Esra-Nehemia allgemein siehe Talmon, Esra-Nehemia, 218ff, und speziell zu Esra 5 vgl. Gunneweg, Esra, 95f, und Willi, Juda, 66ff. 85 Die Rede von dem „großen Berg“, der noch vor Serubbabel liegt (4,7a), wird ergänzt durch offensichtliche Zweifel daran, ob denn Serubbabel das begonnene Tempelbauwerk auch noch vollenden werde (4,9) und die Verachtung, die den bescheidenen Anfängen dieses Werkes entgegengebracht wurde (4,10a; vgl. auch Hag 2,3f). 86 Diese Probleme hängen ganz offensichtlich mit einer Krise zusammen, in die die Statthalterschaft Serubbabels – aus welchen Gründen auch immer – geraten sein muss.
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Himmelsleuchter und Tempel
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ses Wiederaufbauwerkes von der gnädigen Zuwendung der Augen JHWHs abhängig gemacht, die dieser eben nicht nur über die ganze Erde schweifen ließ, sondern die – so wohl die Intention des Bearbeiters, der die V. 6aƞ– 10a* einfügte – in besonderer Weise an Serubbabel und dem künftigen Tempel in Jerusalem hafteten. Die hier zusammengestellten Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass sich ein früher Bearbeiter der Nachtgesichte, möglicherweise Sacharja selbst, durch eine Krise, in die das vorrangig von Serubbabel betriebene Tempelbauwerk geraten war, dazu veranlasst sah, die in dem Zyklus nur am Rande (1,16) oder allenfalls implizit begegnende Tempelbauproblematik (2,5–9) durch die Einfügung von V. 6aƞ–10a* in Sach 4 explizit zu machen. Ausgelöst wurde diese Krise – und damit die Tätigkeit des Bearbeiters der Nachtgesichte – wahrscheinlich durch ein (vorübergehendes oder endgültiges?) Verschwinden Serubbabels von der Bühne des politischen Geschehens in Jerusalem.87 | Durch diese Bearbeitung wurde die Vision vom Himmelsleuchter gleichsam geerdet. Die über die ganze Erde schweifenden sieben Augen JHWHs (V. 10b) wurden auf den wieder erstehenden Jerusalemer Tempel und auf Serubbabel als Schlüsselfigur in diesem Geschehen fokussiert.88 Die Wirkungsgeschichte dieses komplexen Zusammenhangs zwischen himmlischer und irdischer Realität, dem neuen Jerusalem von Sach 2,5–17, Sach 3 und 6,9–15 erwähnen diesen nicht mehr namentlich, sondern spielen in 3,8 und 6,12 im besten Falle noch mit dem Titel Ěġĩ auf ihn an. Letzteres gilt nur dann, wenn man in diesem Titel die hebräische Übertragung des ersten Elements des akkad. PN ZƝrBƗbili (Sämling/Spross Babels) sieht. So Lemaire, Zorobabel, 48ff. Kritisch dazu Uehlinger, Figurative Policy, 335. Zu Ěġĩ als PN in Arad (Ostrakon 49,11) sowie in Ugarit und im Reichsaramäischen siehe Renz/Röllig, Handbuch I, 155, und dies., Handbuch II/1, 82. Vgl. zu der Problematik auch Beyse, Serubbabel, 70ff; Reddit, Zerubbabel, 250ff; Rose, Zemah, 91ff, und Meinhold, Serubbabel, 208f. 87 So zutreffend die Vermutung von Willi-Plein, Sacharja, 541. Siehe dazu auch Meinhold, Serubbabel, 208f, der mit Recht darauf hinweist, dass die Texte über das weitere Geschick Serubbabels schlicht nichts mehr hergeben. Allerdings machen die späteren Bearbeitungen der Nachtgesichte (Sach 3; 4,6aƞ-10a*; 6,9–15) nicht nur den Eindruck, dass die Person Serubbabels aus den Texten verschwunden sei, sondern lassen die begründete Vermutung zu, dass dieses Verschwinden etwas mit einem – wodurch auch immer – erzwungenen oder freiwilligen Rückzug aus Jerusalem zu tun hat. Vgl. dazu auch Willi, Serubbabel, TRE 31, 1835f. Darüber hinaus trugen zu der Krise wohl nicht allein äußere, politische Anstöße bei, sondern auch innerjudäische theologische Kontroversen über die Sinnhaftigkeit dieses Tempelbauunternehmens und seine schöpfungs|theologische Infragestellung, was deutlich aus Jes 66,1f hervorgeht. Siehe dazu vor allem Albani, Schöpfung, 42ff, mit weiterer Literatur. 88 Erst diese Bearbeitung und die spätere Einfügung von Sach 3 konnte dann spätere Ausleger auf den Gedanken bringen, die beiden Ölsöhne des himmlischen Hofstaates in 4,14 mit dem Hohenpriester Joschua und dem Statthalter Serubbabel zu identifizieren.
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dem Himmelsleuchter und dem irdischen Tempel in Sach 4 ist noch in der Offenbarung des Johannes (21,3.22–26) mit Händen zu greifen.89
89
Siehe dazu auch Vincent, Das Auge hört, 133f. In gewisser Weise geht der in tempelloser Zeit schreibende Autor der Offb wieder auf die erste, tempellose Fassung von Sach 2,5–17; 4 zurück. In Offb 21,3 spricht er in bewusster Anspielung auf das Ideal der Wüstenzeit Israels vom „Zelt Gottes“ (skhnh. tou/ qeou/) bei den Menschen und in 21,22 betont er, dass in der Stadt kein Tempel mehr zu sehen sei, weil Gott und das Lamm selbst ihr Tempel (nao,j) seien. Schließlich wird die kosmische Dimension dieses Geschehens dadurch unterstrichen, dass das neue Jerusalem nicht mehr Mond und Sonne brauchen, weil sie durch die do,xa tou/ qeou/ und das Lamm als ihren Leuchter (lu,cnoj) beschienen werden.
„Mir gehört das Silber und mir das Gold – Spruch JHWH Zebaots“ (Hag 2,8) Überlegungen zur Geschichte eines Motivs Der Jubilar, dem dieser Beitrag gewidmet ist, hat in seiner Studie „Juda – Jehud – Israel“ überzeugend dargelegt, dass die zweite Hälfte des 5. Jh. v. Chr. zu einer entscheidenden Zäsur im Selbstverständnis des nachexilischen Israel geworden ist. Nicht das Exil und die frühnachexilische Zeit bildeten den eigentlichen Grabenbruch zwischen einst und jetzt. In ihnen war man vielmehr trotz der politischen Wirren und Umbrüche immer noch um Kontinuität bemüht. „Nach dem Selbstverständnis und dem Traditionsbewusstsein der Literatur der frühen Perserzeit geht es in erster Linie um Bewahrung vor dem Vergessen, um eine Weiterführung, die Vorgegebenes aufnimmt und aktualisiert. Als Trägerin solcher Kontinuität kommt nicht einmal in erster Linie die in Palästina verbliebene Restbevölkerung in Betracht, sondern mehr noch die judäische Diaspora [...]“1 Auch die in Jerusalem wirkenden Propheten Haggai und Sacharja gehören – wie sich zeigen lässt – „im Rahmen der Prophetie eindeutig in eine Linie mit den vorexilischen und exilischen Propheten.“2 Erst mit der Herausbildung der persischen Provinz Jehud beginnt etwas vollkommen Neues, „die Phase der Identität des jüdischen Volkes in – und außerhalb Jehuds. Diese neue Phase ist von zweierlei bestimmt: a) durch Abgrenzung und Auseinandersetzung mit den überlieferten Zeugnissen der eigenen Vergangenheit in Form von Auslegung, und im Zusammenhang damit b) durch bewusste Integration ins Achämenidenreich [...]“3 Die folgenden Überlegungen skizzieren die Geschichte eines Motivs, das geradezu als Testfall für diese Sicht der Dinge betrachtet werden kann.
1
Willi, Juda, 34f. Willi, Juda, 59. Das ist im Sacharjaprolog (1,1–6) mit Händen zu greifen, in dem Sacharja mit seiner Umkehrpredigt vollkommen in die Tradition der ĠĜģĬēīė ĠĜēĜĔģė eingereiht wird. 3 Willi, Juda, 36. 2
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1. Die Beraubung der Ägypter In der Exoduserzählung begegnet zweimal eine Notiz, wonach die Israeliten unmittelbar vor ihrem Auszug von den Ägyptern silberne und goldene Geräte sowie Gewänder ,erbitten‘ bzw. ,einfordern‘ sollten: | „Und ich (JHWH) will diesem Volk Gunst in den Augen der Ägypter geben. Und es soll geschehen, wenn ihr geht, dann sollt ihr nicht leer (aus-)gehen. Sondern es fordere4 eine (jede) Frau von ihrer Mitbewohnerin und ihrer Hausgenossin silberne und goldene Gerätschaften (Ĕėę ĜğĞĘ ĦĤĞČĜğĞ) sowie Gewänder. Und ihr sollt sie euren Söhnen und euren Töchtern anziehen und (auf diese Weise) den Ägyptern wegnehmen“ (Ex 3,21f; vgl. 11,2f5).
Diese Forderung, die dann in Ex 12,35f eingelöst wird, erging als ausdrückliche und wiederholte Anweisung JHWHs. In der Regel wird darin eine ,Beraubung‘ oder ,Ausplünderung‘ der Ägypter gesehen. Dabei berufen sich die Ausleger vor allem auf die Aufforderung in Ex 3,22bƞ – Čĭē ĠĭğĩģĘ ĠĜīĩġ „und ihr sollt die Ägypter berauben“ – sowie auf die Ausführungsnotiz zu dieser Aufforderung in Ex 12,36b – ĠĜīĩġČĭē ĘğĩģĜĘ „und sie beraubten die Ägypter“.6 Bevor auf die Bedeutung des Motivs im Rahmen der Exodusüberlieferung7 einzugehen ist, stellt sich zunächst einmal die Frage nach seiner Her4
Dass das Verb ğēĬ hier wie in Ex 22,13; 2 Kön 4,3; 6,5 die Bedeutung ,ausleihen‘ habe (so Noth, 2. Mose, 73; Fuhs, ğēĬ, ThWAT VII, 919, u.a.), ist vom Kontext her wenig wahrscheinlich. Siehe dazu auch Jacob, Exodus, 347ff. Vielmehr legt sich eher die Übertragung mit ,verlangen‘, ,fordern‘ nahe. 5 In 11,2 ist im Unterschied zu 3,21f; 12,35f lediglich von silbernen und goldenen Gerätschaften, nicht aber von Gewändern die Rede. Vgl. zu der Trias auch Gen 24,53. 6 Diese Deutung steht auf den ersten Blick allerdings in Spannung zu der mit dem Motiv verbundenen Aussage in 12,36a: ĠĜīĩġ ĜģĜĥĔ Ġĥė ĢĚČĭē Ģĭģ ėĘėĜĘ „JHWH aber hatte dem Volk Gunst in den Augen der Ägypter gegeben“ (vgl. 3,21a; 11,3a). Hatten die Hebräer eine Ausplünderung der Ägypter überhaupt nötig, wenn sie sich doch ĢĚ „Gunst“, ja „Zuneigung“ und „Freundlichkeit“ der Ägypter mit JHWHs Hilfe erworben hatten? Jacob, Exodus, 357, begegnet dieser Schwierigkeit mit dem Hinweis, dass das Verb ğĩģ im Pi. und Hif. zwar die Bedeutung ,berauben‘, ,ausplündern‘ haben könne, sich aber in diesem Falle immer auf die Gegenstände der Beute selbst beziehe, die das Objekt der Ausplünderung sind (vgl. Gen 31,9.16; 1 Sam 30,22; 2 Chr 20,25), nie auf Personen. Bei Personen habe ğĩģ im Pi. und Hif. stets die Bedeutung ,retten‘ (vgl. Ez 14,14). Geht es also in Ex 3,22 und 12,36 um die „Rettung“ der Ägypter? Abgesehen davon, dass dieser Befund für 2 Chr 20,25 so nicht zutrifft (dort werden die gefallenen Feinde der Judäer ausgeplündert), bereitet diese Deutung vom Kontext her ebenso große Probleme. Auch LXX überträgt drei von den vier Stellen, an denen ğĩģ im Pi. begegnet, mit skuleu,w (Ex 3,22; 12,36; 2 Chr 20,25). In Ez 14,14 ist wohl nicht Pi., sondern Ni. zu lesen. Vgl. dazu Zimmerli, Ezechiel I, 316, sowie Hossfeld/Kalthoff, ğĩģ, ThWAT V, 576. So muss es wohl doch bei der „Beraubung“ der Ägypter bleiben. Vgl. auch bBer 9b. 7 Vgl. die Wiederaufnahme des Motivs in Gen 15,14 und Ps 105,37.
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kunft und Verwurzelung in ihr. In der Forschung gehen die Auffassungen hierüber weit auseinander. Während eine Reihe von Auslegern das Motiv auf eine nachpriesterliche Redaktion oder gar die Endredaktion des Pentateuch zurückführt,8 haben sich in letzter Zeit wieder | Stimmen zu Wort gemeldet, die von seiner Verankerung in der ältesten Exodustradition ausgehen und es auf jeden Fall der vorpriesterlichen Überlieferung zuordnen. 9 Für die zuletzt genannte Position sprechen nicht nur literar- und redaktionsgeschichtliche Beobachtungen, sondern auch motivgeschichtliche Hinweise. So hat Ernst Axel Knauf auf eine Passage im Papyrus Harris I (75,2– 6) hingewiesen, in der die Wirren beim Übergang von der 19. auf die 20. Dynastie beschrieben werden, die durch Pharao Sethnacht (1188–1186 v. Chr.) beendet wurden: „Danach kam eine Zeit von leeren Jahren und ’ir(i)su, ein Syrer war wr (Großer). Er beherrschte das Land; Gesinnungsgenossen plünderten den Besitz Ägyptens. Sie behandelten die Götter wie Menschen und brachten keine Opfer in die Tempel.“10
Danach war das Ende der 19. Dynastie davon gekennzeichnet, dass fremde Usurpatoren nach der Macht in Ägypten griffen und die Ägypter ausraubten. Dass es sich dabei um einen fremdenfeindlich eingefärbten Propagandatext handelt, wird durch die Verbindung des Motivs von der Ausplünderung der Ägypter mit einer religiösen Polemik deutlich. Die fremden Plünderer haben ein gebrochenes oder gar ablehnendes Verhältnis zu den ägyptischen Göttern und ihrem Kult.11 Sie sind nicht nur Räuber, sondern auch Religionsfrevler. Auch auf der Elephantine-Stele des Sethnacht, die sich wohl auf dieselben Ereignisse bezieht, begegnet das Motiv von der Beraubung der Ägypter durch fremde Asiaten: „8... [Es fallen 9die Geg]ner vor ihm, denn die Furcht vor ihm hat ihre Herzen gepackt. Sie fliehen zurück [wie | 10kleine Vögel], wenn der Falke hinter ihnen ist. Sie lassen (nieder)fallen Silber, Gold [(und) Kupfer,12 8
Hier wären vor allem Weimar, Berufung, 347ff, und | Römer, Gen 15, 37, zu nen-
nen. 9
So Blum, Studien, 38; Gertz, Abraham, 67f; ders., Tradition und Redaktion, 303f, und zuletzt Ziemer, Abram – Abraham, hinsichtlich der Wiederaufnahme des Motivs in Gen 15,14. 10 Übersetzung nach Knauf, Midian, 99. Vgl. auch Görg, Beziehungen, 64; ders., Ausweisung. 11 Zum ,Fremden als Religionsfrevler‘, einem Phänomen, das dann in spätägyptischer Zeit dominierend wurde, vgl. Assmann, Herrschaft und Heil, 238–242. 12 Seidlmayer, Epigraphische Bemerkungen, 375, ergänzt den am Übergang von Zeile 10 zu Zeile 11 schadhaften Text durch ,,[Kupfer (?)] (11) [und Leinen (?)]“. Das käme
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11den Besitz von] Ägypten, das sie diesen Asiaten geben wollten, um die nhtw (-Krieger) zu ihnen herbeieilen zu lassen ...“13
Man sollte sich davor hüten, aus den hier zur Darstellung gebrachten Vorgängen vorschnelle Rückschlüsse auf irgendwie geartete historische Verbindungen zu dem biblischen Exodusgeschehen zu ziehen.14 Dafür lassen sowohl die ägyptischen als auch die biblischen Texte zu viele Fragen offen. Was die Texte allerdings gemeinsam haben, ist das Motiv von der Flucht oder Vertreibung von Fremden aus Ägypten in Verbindung mit einer Ausplünderung der Ägypter, wobei es nicht um Kleinigkeiten ging, sondern um ausgesprochene Wertgegenstände wie Silber und Gold. Darf man daraus den Schluss ziehen, dass das Erzählmotiv von der Beraubung der Ägypter durch Fremde zum Repertoire von Flucht- und Vertreibungsgeschichten aus Ägypten gehörte15 und auf diese Weise auch in die biblische Exoduserzählung Eingang fand? Dass diese fremdenfeindliche Propaganda nicht in jedem Falle aus der Luft gegriffen war, sondern sich auf schmerzliche historische Erfahrungen berufen konnte, dafür steht nicht nur die Epoche der Hyksos in der zweiten Zwischenzeit (1650–1540 v. Chr.), sondern auch der um 1200 v. Chr. einsetzende Seevölkersturm, in dessen Verlauf vorübergehend fremde Usurpatoren nach der Krone Ägyptens griffen. Wenn die hier vorgetragene Überlegung zutreffen sollte, dann liegt es in der Tat nahe, dieses Motiv als ursprünglichen Bestandteil der biblischen Exodusüberlieferung zu betrachten und es nicht erst einem nachpriesterlichen Redaktor oder gar der Endredaktion des Pentateuch zuzuschreiben. Damit stellt sich aber die weiterführende Frage nach der Bedeutung des Motivs im Rahmen von Flucht- und Vertreibungserzählungen. Die ägyptischen Texte sind für uns in diesem Zusammenhang deswegen aufschlussreich, weil sie mit dem Motiv aus einer nichtisraelitischen, ägyptischen Sicht operieren. Aus dieser Perspektive handelt es sich wahrscheinlich um einen Standardvorwurf aus der Rüstkammer der | fremdenfeindlichen Propaganda der Ägypter.16 Ausländer wurden zum Bedrohungspotenzial der Trias „silberne und goldene Gerätschaften sowie Gewänder“ aus Ex 3,22; 12,35 noch näher. 13 Übersetzung nach Drenkhahn, Die Elephantine-Stele des Sethnacht, 64. Vgl. auch Seidlmayer, Epigraphische Bemerkungen, 375, sowie Görg, Beziehungen, 66. 14 Vgl. dazu die berechtigten Hinweise von Galpaz-Feller, Silver and Gold, 202ff. 15 Für Seidlmayer, Epigraphische Bemerkungen, 384, ist das Motiv auf der „Ebene politischer Deutungskonstruktionen“ anzusiedeln, die auf die propagandistische Stilisierung der traumatischen Hyksos-Erfahrung zurückgehen. 16 Vgl. zur kulturellen Konstruktion von Fremdheit im alten Ägypten Assmann, Herrschaft und Heil, 217–242. Eine hilfreiche Übersicht zum Thema des Fremden im alten Ägypten bietet Bresciani, Der Fremde, 260–295.
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erklärt, weil sie mit den Feinden Ägyptens gemeinsame Sache machen könnten,17 sich Einfluss und Machtpositionen zu verschaffen wussten,18 am Hab und Gut der Ägypter vergriffen19 und als potenzielle „Religionsfrevler, Tabuverletzer und Tempelschänder“ firmierten.20 Daher gehörte es zu den vornehmsten Aufgaben des Pharao, sie zur Flucht zu nötigen und zu vertreiben. „Draußen halten und unterwerfen“21 war die Maxime. Pnina Galpaz-Feller hat auf weitere ägyptische Bezüge des Motivs aufmerksam gemacht. Sie geht von der mit ihm verbundenen Wendung aus, dass JHWH den Israeliten ,Gunst‘ (ĢĚ) in den Augen der Ägypter gegeben habe (Ex 3,21a; 11,3a; 12,36a), und stellt fest: „The phrase ,give favor‘ also appears in Egypt in the opening salutations in letters and on monuments as a form of blessing.“22 Wie segensreich sich solche durch Gott oder den König gewährte Gunst ,in klingender Münze‘ auswirken könne, das werde in der Josefsgeschichte demonstriert. Nachdem Josef durch JHWHs Hilfe Gunst in den Augen des Gefängnisverwalters gefunden hatte (Gen 39,21), beginnt sein unaufhaltsamer Aufstieg, der schließlich mit seiner Erhöhung durch den Pharao zum zweiten Mann im Staate endet. Diese Erhebung ist mit kostbaren Gaben verbunden, einem Siegelring, Byssusgewändern und einer goldenen Kette (Gen 41,42). Die Gaben des Pharao symbolisieren Josefs sozialen Statuswechsel vom Gefangenen zum Freien.23 Was hier erzählt wird, habe in ägyptischen Texten zahlreiche Vorbilder. „The giving of silver, gold and garments as a gift from the king is a motif that is familiar mainly from the period of the New Kingdom.“24 Dieses Motiv wird in der Exoduserzählung in einer interpretatio israelitica aufgegriffen. Daher lautet ihr Ergebnis: „Different sources indicate the motif of accepting gifts of silver, gold and garments from Egypt could be a form of literary expression of a |
17
Vgl. Ex 1,10. Paradigmatisch hierfür steht die Josefsgeschichte (Gen 37–50). 19 Dass sich der Erzähler der Josefsgeschichte indirekt noch mit diesem Vorwurf auseinander setzte, geht deutlich aus Gen 47,13–26 hervor. Dort kommt es zu einer groß angelegten Enteignungsaktion der Ägypter durch Josef, die allerdings – so die Verteidigungsstrategie des Erzählers – dazu diente, das Überleben der Ägypter zu sichern und den Reichtum des Pharao zu mehren. 20 So Assmann, Herrschaft und Heil, 224f. 21 Vgl. Assmann, Herrschaft und Heil, 93ff. 22 Galpaz-Feller, Silver and Gold, 205. 23 Eine Variante des Motivs begegnet auch in Gen 13,1f. Dort kehrt der durch eine Hungersnot nach Ägypten vertriebene Abraham mit reichem Viehbesitz, Silber und Gold in den Negev zurück. 24 Galpaz-Feller, Silver and Gold, 207. 18
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common Egyptian custom symbolizing a new status adapted by the Bible and used for theological purposes.“25 So sehr die von Galpaz-Feller vorgelegte Interpretation auch einleuchtet, sie vermag nicht zu erklären, warum die Gewährung von Gaben der Ägypter an die Israeliten durch den biblischen Erzähler als Beraubung interpretiert wird. Lässt sich diese Spannung damit erklären, dass das Motiv bereits in Ägypten durch seine Aufnahme in Flucht- und Vertreibungsgeschichten einen neuen ,Sitz im Leben‘ erhielt? Die Gewährung kostbarer Gaben demonstrierte ja nicht nur den sozialen Statuswechsel der Empfänger (aus Sklaven wurden freie Bürger), sondern gleichzeitig auch das generöse Verhalten ihrer Geber. Sollte durch die Einbeziehung des Motivs in Flucht- und Vertreibungsgeschichten gezeigt werden, dass es immer wieder zum undankbaren Missbrauch dieser ägyptischen Großzügigkeit durch Fremde kam, dass diese ihren sozialen Aufstieg nutzten, um nun selbst nach der Macht zu greifen und gegen ihre Wohltäter zu agieren? Durch die Einbeziehung des Motivs in Flucht- und Vertreibungsgeschichten gewinnt dieses eine eigentümliche Ambivalenz. Einerseits bediente man sich der Fähigkeiten und Kompetenzen von Ausländern, holte sie in Führungspositionen und entlohnte sie reich, andererseits neidete man ihnen ihren Erfolg, sah in ihnen eine Gefahr, die sprichwörtlich gewordene Natter, die man am eigenen Busen genährt hatte. Dieser Gefahr suchte man durch eine von Zeit zu Zeit stattfindende Austreibung von Fremden zu begegnen. Die biblische Überlieferung präsentiert uns das Motiv von der Beraubung der Ägypter aus der umgekehrten Perspektive der in Ägypten lebenden fremden Hebräer. Aus ihrer Sicht handelten sie auf eine ausdrückliche Anweisung JHWHs hin. Ja, JHWH ermöglichte ihnen überhaupt erst die Aneignung ägyptischen Silbers und Goldes, indem er ihnen Gunst in den Augen der Ägypter verschaffte. Die Ausplünderung der Ägypter war daher kein Unrechts-, sondern ein Gehorsamsakt gegenüber dem Gott Israels. Die ausziehenden Hebräer waren keine Religionsfrevler, sondern nach Hilfe rufende und auf Hilfe angewiesene JHWH-Verehrer. Die Auseinandersetzung mit den Ägyptern wurde damit auch zu einem Kampf der Religionen zwischen dem Gott-Pharao und Sklavenhalter einerseits, sowie JHWH, dem Sklavenbefreier andererseits erklärt. Der Gott Israels selbst hatte dafür gesorgt, dass die hebräischen Sklaven nicht leer ausgingen.
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Galpaz-Feller, Silver and Gold, 197.
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2. Neue Kontexte: Sklavenrecht und Kult Mit der Integration der Exodusüberlieferung in die größeren literarischen Zusammenhänge des Pentateuch sind dem Motiv von der Beraubung der | Ägypter neue Sinngehalte zugewachsen. So wurde vor allem über das Leitwort ĠĪĜī „leer, mit leeren Händen“ (Ex 3,21) eine Verbindung zur biblischen Sozial- und Kultgesetzgebung hergestellt. Der Sklave (ĖĔĥ) soll nicht mit „leeren Händen“ (ĠĪĜī) aus der Knechtschaft entlassen werden (Gen 31,42; Dtn 15,13).26 Offensichtlich soll ihm ein ,Startkapital‘ für die geleistete Arbeit mit auf den Weg in die Freiheit gegeben werden. 27 JHWH selbst lässt Israel das zukommen, was ihm nach dem Gesetz zusteht. Damit hält das Motiv von der Beraubung der Ägypter Einzug in einen Rechtskontext. Die theologische Rechtfertigung des Erzählers, dass die Beraubung der Ägypter auf eine Anweisung JHWHs hin geschah, 28 erfährt jetzt in Dtn 15,12–15 zusätzlich eine rechtliche Absicherung mit einem direkten Hinweis auf Israels Aufenthalt in Ägypten und seinen Auszug (V. 15).29 Darüber hinaus wird auf Ex 23,15; 34,20; Dtn 16,16 verwiesen, wonach der Israelit nicht ĠĪĜī „mit leeren Händen“ vor JHWH treten solle, ihm also Opfergaben schuldig sei. Allerdings ist in keinem der bisher ge|nann26 Anders Ex 21,2. Hier wird lediglich gefordert, dass der hebräische Sklave ĠģĚ „umsonst“, d.h. ohne Entgelt für den Kaufpreis, den sein Besitzer für ihn entrichtet hatte, im siebten Jahr zu entlassen sei. 27 Vgl. dazu Schmidt, Exodus, 181. So bereits Daube, Rechtsgedanken, 36. Vgl. auch Morgenstern, Despoiling; Coats, Despoiling; Vriezen, Reinterpretation. 28 So auch in Gen 31,9.16. 29 Das hat Gradwohl, Nissal und hissîl, 187–195, zu der These veranlasst, dass das Verb ğĩģ im Pi. und Hif. in Ex 3,22; 12,36 keine pejorative Bedeutung habe, sondern ein Rechtsterminus sei, der im Sklavenrecht Anwendung gefunden habe. Dieser markiere „den finanziellen Anspruch eines Knechts an seinen Herrn für die geleistete Arbeit am Ende der Dienstzeit“ (ebd., 194). Allerdings begegnet das Verb gerade nicht in der Sklavengesetzgebung. Der einzige Zusammenhang, auf den sich Gradwohl neben Ex 3,22; 12,36 berufen kann, findet sich in Gen 31,9.16. Dort stellen sowohl Jakob als auch Lea und Rahel fest, dass Gott den Viehbesitz und den gesamten Reichtum Laban „weggenommen“ habe (ğĩĜĘ / ğĜĩė), um ihn Jakob, seinen Frauen und Kindern zu geben. Zwar steht im Hintergrund von Gen 31 ein Rechtskonflikt, damit wird aber der in der Erzählung gebrauchte Terminus ğĩģ Hif. noch lange nicht zu einem Rechtsbegriff mit der Grundbedeutung ,jemanden zum Bezahlen des geschuldeten Lohnes veranlassen‘, bzw. ihn zu einer rechtmäßigen Transaktion auffordern. Die Grundbedeutung von ğĩģ beschreibt einen ,Trennungsvorgang‘, der im Hif. zunächst ganz neutral mit ,wegnehmen‘, ,abnehmen‘ wiederzugeben wäre. Vgl. dazu auch Hossfeld/Kalthoff, ğĩģ, ThWAT V, 572f. Jacob, Exodus, 348, denkt im Falle der ausziehenden Hebräer aus Ägypten daran, dass es sich aus der Sicht des Erzählers bei den wertvollen Gaben aus Silber, Gold und Gewändern auch um eine Entschädigung für die zurückgelassenen Immobilien handeln könne.
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ten Rechtstexte unmittelbar von Gold und Silber die Rede, die dem entlassenen Sklaven oder Gott zu übergeben seien.30 Gold und Silber spielen im Exodusbuch vor allem dort eine Rolle, wo es um die Herstellung von legitimen, aber auch illegitimen Kultobjekten geht. So werden die Israeliten einerseits im Rahmen der priesterschriftlichen Anordnungen für den Bau des Zeltes der Begegnung aufgefordert, Spenden an Gold und Silber (ĦĤĞĘ Ĕėę) sowie kostbare Stoffe und andere Wertsachen zur Verfügung zu stellen (Ex 25,3ff; 35,4ff.32). Und genau in diesem Zusammenhang ist dann auch von neu zu schaffenden „goldenen Geräten“ (Ĕėę ĜğĞ) für das Zeltheiligtum die Rede (Ex 35,22). Eine synchrone Lektüre der Tora kommt daher nicht um die Einsicht herum, dass das Motiv von der Beraubung der Ägypter jetzt einen tempeltheologischen Bezug erhält. Das eigentliche Ziel der Beraubung besteht nicht mehr in einer materiellen Entschädigung der Hebräer für ihre Sklavenarbeit oder für zurückgelassene Güter, auch nicht in einer mit List und Tücke erwirkten Selbstbereicherung, sondern in der Herstellung des künftigen JHWH-Heiligtums und der zu ihm gehörenden Kultgeräte.31 Zwischen den Anweisungen zum Heiligtumsbau (Ex 25–31) und ihrer Ausführung (Ex 35–40) steht die Perikope vom Bundesbruch und der Bundeserneuerung (Ex 32–34). Die Abschnitte sind thematisch und kompositorisch eng miteinander verzahnt.32 Hier wird mit der Anfertigung des Goldenen Kalbes dem jetzigen Lesezusammenhang nach ein Gegenbild zum Bau des legitimen JHWH-Heiligtums präsentiert. Daher wurde das den Ägyptern geraubte Gold immer wieder auch mit dieser Erzählung in eine thematische Verbindung gebracht.33 Die Israeliten verwendeten einen Teil der von den Ägyptern geraubten Edelmetalle zunächst nicht wie in Ex 25,3ff angeordnet zur Errichtung der Stiftshütte, sondern missbrauchten sie zur Abgötterei.34 Erst mit der vollständigen Vernichtung des Goldenen Kalbes durch Mose (Ex 32,20)35 und dem Ablegen des den Israeliten verbliebenen Schmuckes (Ex 33,6) wurde der Hurerei mit einem fremden
30 Aus diesem Grund bleibt die Frage bestehen, ob das Stichwort ĠĪĜī allein ausreicht, um die genannten Rechtssätze als Bezugstexte zu identifizieren. 31 Auf diesen Zusammenhang wird auch von Weimar, Berufung, 349, und Schmidt, Exodus, 181, hingewiesen. 32 Siehe dazu vor allem Dohmen, Exodus 19–40, 281ff. 33 So u.a. Zimmerli, Spendung von Schmuck, 518; Blum, Studien, 54; Schmidt, Exodus, 181; Zenger, Exodus, 56; Weimar, Berufung, 349. Blum, Studien, 60, weist auf das singuläre ğĩģ Hit. in Ex 33,6 hin: „Und die Kinder Israels legten ihren Schmuck ab, vom Berg Horeb.“ Er sieht darin einen deutlichen Bezug zu ğĩģ Pi. in 12,36. 34 Vgl. auch Jes 2,20; 30,22; 31,7; 40,19; Jer 10,4.9; Ez 16,17; Hos 2,10; 8,4. 35 Vgl. Dtn 7,25.
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Gott und dem Abfall von JHWH ein Ende | gesetzt.36 Daraus ergibt sich die Möglichkeit, die verbliebenen Edelmetalle und Kostbarkeiten nunmehr als freiwillige Spende (ĔĜĖģ) dem Bau des legitimen JHWH-Heiligtums und seiner Ausstattung zur Verfügung zu stellen (Ex 35,5ff; Num 7).
3. JHWH-Krieg, Tempelschatz und Tempelbau Die bisherigen motivgeschichtlichen Erwägungen haben deutlich gemacht, dass das Motiv von der Beraubung der Ägypter durch die priesterschriftlichen Texte einen tempeltheologischen Bezug bekommen hat. Zwar äußern diese sich nicht expressis verbis zu der Frage, woher die entlaufenen hebräischen Sklaven die kostbaren Gaben hatten, die sie als freiwillige Spende dem Bau des JHWH-Heiligtums zugute kommen ließen. In Verbindung mit der vorpriesterlichen Pentateuchüberlieferung drängt sich allerdings dem Leser der Eindruck auf, dass es sich dabei nur um das Gold, das Silber und die kostbaren Gewänder handeln könne, die sie bei ihrem Auszug den Ägyptern weggenommen hatten. Da die Priesterschrift aber – unabhängig davon, ob man sie in das ausgehende 6. oder erst in das 5. Jh. v. Chr. datiert – die Verhältnisse des werdenden bzw. bereits existierenden Zweiten Tempels von Jerusalem reflektiert, stellt sich die weitergehende Frage, ob mögliche Anklänge an das Motiv auch in zeitnahen Texten außerhalb des Pentateuch begegnen. Dass der Jerusalemer Tempel wie andere antike Tempel auch die Funktion einer Bank bzw. eines Schatzhauses hatte, geht aus zahlreichen Texten hervor.37 Dabei kam es immer wieder zur Einlagerung von Edelmetallen und anderen Wertsachen, die Israel im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen erbeuten konnte und JHWH weihte (vgl. Jos 6,19.24; 2 Sam 8,10f), Daraus ergibt sich ein traditionsgeschichtlicher Hintergrund für die Tempelschätze von Jerusalem, der sich zwar sachlich mit dem Motiv von der Beraubung der Ägypter berührt, aber auf die eigenständige Tradition der JHWH-Kriege Israels zurückgehen dürfte.38 Dien|te das Motiv der Beraubung der Ägypter im durch P erweiterten Lesezusammenhang des Penta36
Dohmen, Exodus, 333f, hat herausgearbeitet, dass es sich bei dem rituellen Ablegen des Schmuckes nicht um einen Trauerritus handelt, sondern um das Ende der im Bild der Prostitution gezeichneten Fremdgötterverehrung. 37 Vgl. dazu 1 Kön 7,51; 15,15.18; 2 Kön 12,14ff; 14,14; 16,8; 24,13; 25,15; Jer 52,19. Zum Zweiten Tempel von Jerusalem als Finanz- und Wirtschaftszentrum siehe auch Bauer, Zeit des Zweiten Tempels, 296ff, sowie Schaper, Priester und Leviten, 137ff; ders., The Jerusalem Temple, 528–539. 38 Siehe dazu v. Rad, Der heilige Krieg, und Stolz, JHWHs und Israels Kriege. Die sachliche Berührung des Motivs von der Beraubung der Ägypter mit der JHWH-Kriegs-
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teuch dazu, den Bau der Stiftshütte und ihrer Kultgeräte mit kostbaren Materialien durch die geflohenen Hebräer plausibel zu machen, so stellte die JHWH-Kriegs-Erzählung in Jos 6 exemplarisch dar, wie es zur Anlage und Akkumulation des späteren Jerusalemer Tempelschatzes kam.39 Es ist wohl in frühnachexilischer Zeit zunächst einmal diese JHWHKriegstradition, die von Haggai wieder aufgegriffen wird. Er erwartet im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels eine den gesamten Kosmos umfassende Erschütterung. Infolge dieses Aufruhrs sollten die Kostbarkeiten der Völker in den neu gebauten Tempel von Jerusalem strömen: „6Fürwahr, so spricht JHWH Zebaot, noch eine kleine Weile wird es sein, dann will ich erschüttern den Himmel und die Erde und das Meer und das Trockenland. 7Ich werde alle Völker erschüttern, und es werden die Kostbarkeiten40 aller Völker (zusammen-)kommen, und ich werde dieses Haus mit Herrlichkeit füllen, hat JHWH Zebaot gesprochen. 8Mir gehört das Silber und mir das Gold, Spruch JHWH Zebaots. 9Größer wird die künftige Herrlichkeit dieses Hauses sein als die frühere, hat JHWH Zebaot gesprochen. Und an diesem Ort will ich Frieden geben, Spruch JHWH Zebaots.“ (Hag 2,6–9)
Das universale Ausmaß der von Haggai erwarteten Erschütterung der Völker macht deutlich, dass der Prophet ein unmittelbar bevorstehendes, endgültiges Eingreifen JHWHs in die Geschichte zugunsten Israels erwartet. Dabei wird mit dem Lexem Ĭĥī ein Geschehen umschrieben, das sich häufig im Rahmen von Theophanieschilderungen vollzieht: JHWHs Erscheinen als Herr von Natur und Geschichte führt zur Erschütterung | von Himmel und Erde sowie ihrer Bewohner (Ri 5,4ff; Ps 68,8ff; 77,17ff; Joel 2,10f; 4,16; Nah 1,2ff).41 Im Zuge dieser ,Weltrevolution‘ fließen die GabenTradition ergibt sich aus der Ver|knüpfung der Exodustradition in Ex 12 mit der nach dem Muster eines JHWH-Krieges stilisierten Schilfmeertradition in Ex 14. 39 Zu Jos 6 vgl. Bieberstein, Josua – Jordan – Jericho, 301.427. Für ihn gehen Jos 6,19.24 auf einen späten chronistischen Redaktor zurück. Vgl. dazu auch Fritz, Josua, 73f. Zum Tempelschatz siehe darüber hinaus 1 Kön 7,51; 14,26; 15,18; 2 Kön 12,19; 14,14; 16,8; 24,13; 25,15; Jer 52,19; 1 Chr 9,26; 26,20ff; 28,12; 2 Chr 5,1; 12,9, Texte, die die Mehrung und den Verlust des Tempelschatzes sowie die Zuständigkeiten dafür reflektieren. 40 LXX liest den Plural ta. evklekta. (= ĭćĖ ĉġĀĚ). Da das Nomen ėĖġĚ hier als Kollektivbegriff steht, ist eine Änderung des Sg. nicht notwendig. Vgl. Gesenius/Kautzsch, Hebräische Grammatik, § 145b–e. 41 Schmoldt, Ĭĥī, ThWAT VII, 612ff.
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ströme der Völker nicht länger in die Schatzkammern der persischen Reichskönige in Pasargadae oder Persepolis, sondern in das Haus des Weltenkönigs JHWH nach Jerusalem (vgl. Jes 60,9.17; Sach 14,14). 42 Er selbst wird also dafür sorgen, dass der aufgrund der sehr beschränkten ökonomischen Möglichkeiten recht bescheidene Bau des Zweiten Tempels (vgl. Hag 2,3; Sach 4,10a) den Tempel Salomos an Herrlichkeit schließlich doch noch übertreffen wird. Wenn JHWH sich in diesem Zusammenhang als der eigentliche Eigentümer von Silber und Gold bezeichnet, dann bedeutet dies, dass die Kostbarkeiten der Völker, die diese sich möglicherweise unrechtmäßig angeeignet haben (Joel 4,5; Nah 2,10), zu ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückkehren sollen. Alle Güter der Welt sind lediglich ein von JHWH anvertrautes Gut, das dieser wieder einfordern kann.43 Es ist mit Händen zu greifen, dass die Erwartung Haggais trotz mancher Berührungspunkte einen anderen traditionsgeschichtlichen Hintergrund hat als das Motiv von der Beraubung der Ägypter, das fest in die Exodustradition eingebunden ist. Haggais Weissagung ist verknüpft mit der Vorstellung von einem alles entscheidenden letzten JHWH-Krieg zugunsten Israels. Während das Motiv von der Beraubung der Ägypter im Exodusbuch mit einem tempeltheologischen Bezug versehen wurde, ist die Vorstellung von der Darbringung der kostbaren Gaben der Völker im Zuge einer kosmischen Welterschütterung bei Haggai genuin mit dem Tempelbau verbunden. Juda und Jerusalem haben nicht die Aufgabe, die Völker zu berauben, sondern den Jerusalemer Tempel wieder aufzubauen. Für dessen prachtvolle Ausstattung und seinen reichen Tempelschatz wird JHWH selber sorgen. Es liegt nahe, dass die hochgespannten Erwartungen Haggais von der ,Weltrevolution‘ JHWHs einerseits ihren realpolitischen Hintergrund in der durch den Magier Gaumata ausgelösten Aufstandsbewegung hatten, die im Rahmen des Machtwechsels von Kambyses zu Dareios I. vom Dezember 522 bis zum November 521 v. Chr. das gesamte persische Weltreich erschütterte.44 Andererseits aber gehörten derartige Hoffnungen auf ein umfassendes Heil zum literarischen Muster altorienta|lischer Tempelbauberichte.45 Daher ist damit zu rechnen, dass in der Weissagung Haggais 42 Es liegt nahe, dass der Text auch durch die breit belegte und weit in die Geschichte zurückreichende ikonographische Tradition von der Darbringung der Gaben der Völker an den Großkönig inspiriert ist. Ihre höchste Vollendung fand diese Tradition am Treppenaufgang des Apadana von Persepolis, den Xerxes ausführen ließ. Siehe dazu Koch, Es kündet Dareios, 133ff. 43 Zu JHWH als Eigentümer der gesamten Erde siehe Ps 24,1; 50,10–12. 44 Siehe dazu Wiesehöfer, Aufstand. 45 Siehe dazu Lux, Der Zweite Tempel, 130f.
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zeitgeschichtliche Konstellationen und literarische Konventionen eine enge Verbindung eingegangen sind. Die weitreichenden Erwartungen Haggais sind hinter den bescheidenen politischen Realitäten der frühnachexilischen Zeit weit zurückgeblieben. Möglicherweise wollte aber der Verfasser von Sach 6,9–1546 andeuten, dass sie keine reine Fiktion geblieben sind, sondern auf ganz eigene Art und Weise in einem symbolischen Akt wenigstens ansatzweise verwirklicht wurden. Wenn dort berichtet wird, dass eine Delegation aus der Gola in Jerusalem mit „Silber und Gold“ (ĔėęĘČĦĤĞ) eingetroffen sei (V. 10f), dann kann man darin eine Anspielung auf Hag 2,8 sehen.47 Bringen die wirtschaftlich potenteren Angehörigen der Gola das Gold und das Silber der Völker nach Jerusalem, um damit den Bau und die Ausstattung des Zweiten Tempels zu fördern?
4. Das Kyrosedikt Der Leser des Esra-Nehemia-Buches wird gleich am Eingang unübersehbar an das Motiv von der Beraubung der Ägypter sowie die bei Haggai erwähnten Gabenströme der Völker für den Tempel von Jerusalem erinnert. „1Und im ersten Jahr des Kyros, des Königs von Persien, – um zu erfüllen das Wort JHWHs aus dem Munde Jeremias – erweckte JHWH den Geist des Kyros, des Königs von Persien. Und er ließ durch sein ganzes Königreich einen Ruf ergehen und auch durch ein Schreiben verkünden: 2So spricht Kyros, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat mir JHWH, der Gott des Himmels, gegeben. Und er hat mir aufgetragen, ihm ein Haus in Jerusalem zu bauen, das in Juda (liegt). 3Wer unter euch von seinem gesamten Volk ist, mit dem sei sein Gott. Und er möge nach Jerusalem hinaufziehen, das in Juda (liegt). Und er soll das Haus JHWHs, des Gottes Israels, bauen. Das ist der Gott, der in Jerusalem ist. 4Und jeder, der übrig geblieben ist, an allen Orten, an denen er sich als Fremdling aufhält, den sollen die Leute seines Ortes unterstützen mit Silber und mit Gold und mit Habe und Vieh neben der freiwilligen Gabe für das Haus des Gottes, der in Jerusalem ist.“ (Esra 1,1–4)
Es ist im Rahmen dieser Ausführungen nicht möglich, aber auch nicht notwendig, den gesamten Text des Kyros-Ediktes eingehend zu bespre|chen. Thomas Willi hat in seiner eingangs erwähnten luziden Studie Wesentliches zum Verständnis des Textes und seiner aramäischen Parallelen (Esra 46
Bei diesem Abschnitt handelt es sich um eine sekundäre Hinzufügung zum ursprünglichen Zyklus der Nachtgesichte, die mit ihrer Ěġĩ-Weissagung auf einer literarischen Ebene mit Sach 3 liegt. Beide Texte sind daran interessiert, die Position des Hohenpriesters Joschua zu legitimieren und zu stärken sowie die des davidischen „Sprosses“ für die Zukunft offen zu halten. 47 Eine unübersehbare Wiederaufnahme von Hag 2,8 findet sich in Sach 14,14.
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5,13–15; 6,3–5) beigetragen.48 Mit Recht hat er auf die Programmatik dieser Eingangspassage des Esra-Nehemia-Buches für das Selbstverständnis des Judentums in persischer Zeit hingewiesen. Diese Programmatik lässt sich auch an der Wiederaufnahme und Umprägung des Motivkomplexes ,Beraubung der Ägypter – Tempelbau‘ deutlich machen. Die deutliche Anspielung von Esra 1,4 auf das Motiv von der Beraubung der Ägypter (Ex 3,21f; 11,2f; 12,35f) ist bereits mehrfach aufgefallen.49 Ein synoptischer Vergleich der Fassungen des Kyros-Ediktes in Esra 1,1–4 mit seinen aramäischen Fassungen in 5,13–15 und 6,3–5 beseitigt in dieser Hinsicht auch den letzten Zweifel. In den aramäischen Fassungen ist lediglich davon die Rede, dass Kyros II. die Rückführung der durch Nebukadnezar geraubten goldenen und silbernen Tempelgeräte veranlasste (5,14f; 6,5), und dass die „Kosten“ (ēĭĪħģ) für den Bau „aus der Staatskasse“ (ĭĜĔČĢġ ēĞğġ) zu bestreiten seien (6,4). Davon, dass die fremde Bevölkerung die Angehörigen der Gola direkt mit reichen Gaben ausstatten sollte, wird kein Wort gesagt.50 Esra 1,1–4 verfolgt damit ganz deutlich die Absicht, die Rückkehr von Angehörigen der Gola nach Jerusalem zum Zwecke des Tempelbaus als einen zweiten Exodus erscheinen zu lassen. Dass darüber hinaus der Verfasser des Esra-Nehemia-Buches mit der Haggai- und Sacharjaüberlieferung bestens vertraut gewesen ist, geht aus der expliziten Erwähnung dieser Zwillingspropheten hervor (Esra 5,1; 6,14). Daher liegt es nahe, dass ihm auch Texte wie Hag 2,6–9 oder Sach 6,9–15 bekannt gewesen sind, die sich mit dem materiellen Beitrag der Völker und der Diaspora zum Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels beschäftigten.51 Die Übereinstimmungen zwischen den dem Verfasser des Esra-Nehemia-Buches vorgegebenen Texten und dem von ihm gestalteten Prolog Esra 1,1–4 liegen auf der Hand: – ganz Israel ist aufgerufen zum Tempelbau; – die Erstinitiative zu diesem Projekt geht von JHWH aus; | – zur Realisierung des Projektes werden die fremden Völker mit ihrem „Silber und Gold“ herangezogen.
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Willi, Juda, 47–65. Vgl. Bertholet, Esra, 2; Myers, Ezra – Nehemia, 8; Gunneweg, Esra, 44; Blum, Studien, 38; Bach, Esra 1, 51. 50 Über die in der Forschung nach wie vor umstrittene Frage der Historizität des Kyros-Ediktes ist damit noch nichts gesagt. Siehe dazu die kurzen Hinweise bei Lux, Der Zweite Tempel, 125–127. Deutlich wird allerdings, dass es sich bei Esra 1,1–4 um eine interpretatio israelitica der aramäischen Fassungen des Kyros-Ediktes in 5,13–15; 6,3–5 handelt. 51 Vgl. Willi, Juda, 55. 49
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Die in Esra 1,1–4 geschilderte Verwirklichung dieses Projektes unterscheidet sich allerdings grundlegend von ihren Vorlagen: – Während im Rahmen der Exodusüberlieferung der Pharao des Auszugs der schärfste Kontrahent JHWHs und Israels ist, der danach trachtet ihre Pläne zu vereiteln, avanciert in Esra 1,1–4 der persische Reichskönig Kyros II. zum Mandatar JHWHs,52 der alle, die von seinem Volk übrig geblieben sind, zum Tempelbau in Jerusalem auffordert. Kyros II. ist das positive Gegenstück zum negativ gezeichneten Pharao. Der Tempelbau ist damit nicht mehr eine alleinige Angelegenheit Israels, ein rein nationales Projekt, das es gegen den Willen von Fremden durchzusetzen galt, sondern steht unter der Schirmherrschaft und Förderung des nichtisraelitischen persischen Reichskönigs, er ist eine Reichsangelegenheit.53 – Kyros II. versuchte nicht wie der Pharao den Exodus Israels mit allen Mitteln zu verhindern, sondern ordnete diesen für die Angehörigen der babylonischen Gola selbst an, damit diese gemeinsam mit den im Lande verbliebenen Judäern54 ihrer von JHWH initiierten Verpflichtung zum Tempelbau nachkommen können. – Daher müssen die Angehörigen der Diaspora die Völker, unter die sie zerstreut wurden, auch nicht berauben, wie das die Hebräer beim Exodus mit den Ägyptern taten (Ex 3,22; 12,36). Und JHWH hat es auch nicht nötig, eine ,Weltrevolution‘ zu inszenieren, um die Kostbarkeiten der Völker, ihr Gold und Silber, in den Jerusalemer Tempel umzuleiten (Hag 2,6–9). Er handelt vielmehr, indem er sich der staatlichen Administration des persischen Großreiches und seines Königs bedient. Ein vom Reichskönig ausgehender Ukas in mündlicher und schriftlicher Gestalt reichte aus, um die materiellen Grundlagen für den Tempelbau in Jerusalem zu schaffen. Die Völker, bei denen Angehörige der Gola lebten, werden administrativ dazu aufgefordert, die Rückkehrer mit reichen Gaben auszustatten. Und es wird ausdrücklich | betont, dass es sich dabei neben den Abgaben, die wohl für die Rückkehrer selbst bestimmt waren, auch um eine „freiwillige Spende“ (ėĔĖģė) für das zu bauende 52
Hier greift der Verfasser von Esra-Neh Jes 44,28 auf. Bach, Esra 1, 52, und Willi, Juda, 56, haben in diesem Zusammenhang auf 1 Kön 9,11 aufmerksam gemacht, die Unterstützung Salomos beim Tempelbau durch Hiram von Tyros, ein Text, der hier zusätzlich als Vorlage gedient haben könnte. 54 Willi, Juda, 56.71, hat zutreffend darauf hingewiesen, dass in Esra 1,1–4 nicht nur die Angehörigen der Diaspora, sondern zunächst „das ganze Volk“ (V. 3) angesprochen wird. Durch die Aufnahme des Motivs von der Beraubung der Ägypter in V. 4 fokussiert sich der Blick allerdings auf die Gola, was durch den Relativsatz ĠĬ īĕ ēĘė īĬē zum Ausdruck gebracht wird. Daher wird die finanzielle Unterstützung des Tempelbauwerks wohl vor allem von der Gola, nicht aber von den im Lande verbliebenen Judäern erwartet. 53
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Haus Gottes in Jerusalem handelte. Das bedeutet, dass die Angehörigen der Völker weder durch eine List, noch durch militärische Gewalt zu solchen Abgaben gezwungen werden mussten, sondern bereitwillig der ihnen auferlegten Verpflichtung nachgekommen sind. Dass wir es hier mit einem idealisierten Konzept zu tun haben, liegt auf der Hand. JHWH selbst sorgte dafür, dass die durch’s Exil hindurchgegangenen Judäer ihre Existenz und ihren religiösen Mittelpunkt, den Tempel von Jerusalem, nicht mehr den fremden Völkern abtrotzen mussten, sondern dass letztere im Rahmen des persischen Weltreiches von sich aus und bereitwillig zum Wohle der Einwohner der persischen Provinz Jehud und ihres Tempelkultes beitrugen. Hier wird eine neue Eigensicht und Weitsicht formuliert, die in frühpersischer Zeit bei den Propheten Haggai und Sacharja so noch nicht gegeben war. Damit bestätigt sich die These Thomas Willis, dass das neue Selbstverständnis des Judentums im persischen Zeitalter sich vor allem an zwei Punkten festmachen lässt, an einer kreativen Auslegung vorgegebener Überlieferung und einer bewussten Integration in das persische Weltreich. Ja, sie lässt sich vielleicht sogar dahingehend zuspitzen, dass die Schriftauslegung in den Dienst dieser Integration gestellt worden ist.
„Still alles Fleisch vor JHWH ...“ Das Schweigegebot im Dodekapropheton und sein besonderer Ort im Zyklus der Nachtgesichte des Sacharja 1. Das Heilige und das Schweigen Die Annäherung an das Heilige gehört zu den in Jahrhunderten und Jahrtausenden gewachsenen religiösen Kulturtechniken. Eine dieser Techniken ist das Schweigen.1 Gerhard Teerstegen, Kaufmann, Bandwirker, Laientheologe, Mystiker und Erweckungsprediger des reformierten Pietismus hat dieses Wissen in das evangelische Liedgut eingeschrieben: „Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten. Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge. Wer ihn kennt, wer ihn nennt, schlag die Augen nieder; kommt, ergebt euch wieder.“ (EG 165,1)
Auch wenn sich zuweilen der Eindruck aufdrängt, dass diese von einer auf die andere Generation übertragene und gewachsene Kulturtechnik des religiösen Schweigens im Schwinden begriffen ist, so erzwingt das Halbdunkel der Kathedralen, der kultische Raum, doch immer noch fast wie von selbst ein ehrfürchtiges Flüstern, Stille inmitten der lärmenden Städte. Religionspsychologisch hat diese Stille ihre Wurzeln im tremendum, dem Gefühl „jenes tiefst innerlichen Erzitterns und Verstummens der Seele bis in ihre letzten Wurzeln hinein“, von dem nach Rudolf Otto der Mensch in der Begegnung mit dem Heiligen ergriffen wird.2 Dieser Aspekt des kultischen Schweigens hat sich im Alten Testament in einer formelhaften | Wendung verdichtet, die vor allem im Dodekapropheton begegnet (Am 6,10; 8,3; Hab 2,20; Zef 1,7; Sach 2,17).
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Vgl. Mensching, Schweigen. Otto, Das Heilige, 19f.
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2. Das Schweigegebot als Unheilsansage In all diesen Texten fordern die Propheten ihre Adressaten zum Schweigen auf. Die Interjektion Ĥė „pst, still!“ (vgl. ėĤė Hif. in Num 13,30 „beschwichtigen/beruhigen“)3 leitet das Schweigegebot ein. In einem Gerichtswort gegen Samaria wird in Am 6,8–11 der Stadt der Untergang angesagt. Die Folgen dieses Vernichtungsschlages werden in einer kurzen Erzählung beschrieben: „9Und es wird geschehen, wenn zehn Männer in einem Haus übrig bleiben, so müssen sie doch sterben. 10Hebt dann einen sein Onkel oder sein Verwandter (?)4 auf, um die Gebeine aus dem Haus zu schaffen, und spricht er zu einem, der im hintersten Winkel des Hauses ist: ,Ist noch einer bei dir?‘ Dann wird dieser antworten: ,Keiner!‘ Und jener wird sagen ,Still (Ĥė), bloß nicht JHWH beim Namen nennen!‘“ (Am 6,9–10)5
Das Schweigegebot ergeht hier im Rahmen der Vorbereitung einer Bestattungszeremonie. Das Samaria angedrohte Gericht wird vollständig sein. JHWH will die gesamte Stadt bis aufs letzte Haus mit allem, was sie erfüllt, dem Tod ausliefern (V. 8). Und wenn dann die Verwandten ihrer Bestattungspflicht nachkommen und doch noch einen Lebenden im hintersten Winkel eines Hauses finden, so beschwören sie diesen, sich nur nicht bei | JHWH durch die Nennung seines Namens in Erinnerung zu bringen.6 Die Anrufung des JHWH-Namens in der Klage um die Toten könnte das Ende bedeuten. Die letzten Überlebenden könnten damit das Gericht JHWHs auch noch auf sich selbst herab beschwören. JHWHs Nähe wird als tödliche Gefahr gefürchtet.7 Daher zielt alles auf den eindringlichen Ruf Ĥė „Still!“ ab.8 Exakt dieses Motivbündel „Gericht JHWHs – Totenklage – unbestattete Leichen“ bildet auch in Am 8,3 den Anlass für das Schweigegebot: 3
Vgl. HAL, 242, und Ges18 283. Nach Maag, Text, 164ff, handelt es sich bei dem Ptz. Pi. ĦīĤġ (vgl. ĦīĬ) um einen Verwandten des Verstorbenen, der die Pflicht zur Bestattung bzw. Verbrennung des Leichnams habe. Diese Deutung ist nicht unumstritten, da Leichenverbrennungen in Israel – soweit sie überhaupt vorkamen (vgl. 1 Sam 31,12, dazu Stoebe, 1 Samuelis, 531f) – nicht üblich waren. Sie galten im Gegenteil als äußerster Frevel (vgl. Am 2,1). Aus diesem Grund bleibt die Deutung von ĦīĤġ problematisch. LXX liest kai. lh,myontai oi` oivkei/oi autw/n kai. parabiw/ntai. Siehe zu den vorgeschlagenen Konjekturen Rudolph, Amos, 222, und Wolff, Amos, 324f. 5 Nach Jeremias, Amos, 91, handelt es sich bei den beiden Versen um eine sekundäre Erweiterung aus der Amosschule. 6 Zu īĞę Hif. als verbum dicendi siehe Ges18 , 301. 7 Gross, Gottesnähe, 65ff, hat eindrücklich das Motiv der bedrohlichen Gottesnähe in den Psalmen dargestellt. 8 So Jeremias, Amos, 91. 4
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„2bUnd JHWH sprach zu mir: Gekommen ist das Ende zu meinem Volk Israel! Ich will nicht weiterhin (verschonend) an ihm vorübergehen. 9 3Wehklagen werden die Palast-Sängerinnen an jenem Tage – Spruch des Herrn JHWH. Eine Fülle an Leichen, an jeden Ort wirft man (sie). Still (Ĥė)!“ (Am 8,2b–3)
Wieder läuft alles auf das Schweigegebot Ĥė in der Endstellung von V. 3 hinaus. Das Ende Israels ist gekommen.10 Was bleibt? Das Klagegeheul professioneller Palastsängerinnen, Leichen, Stille! Die Wucht des Gerichtes JHWHs, das die Existenz Israels vernichtet, endet in einem Aufruf zum Trauer-Schweigen. Dass das Klagegeschrei der Palastsängerinnen und der Aufruf zum Schweigen nicht in Widerspruch zueinander stehen, hat Norbert Lohfink deutlich machen können. Vielmehr gehörte zu den antiken Trauerriten neben der Klage in der Regel auch eine Phase des Schweigens (Hi 2,13; Jer 47,5; Ez 24,16f; Klgl 2,10; 3,28).11 Somit ist das Schweigegebot im | Amosbuch ein integrativer Bestandteil der in ihm enthaltenen Gerichtsbotschaft. Es richtet sich an potenzielle Einzelne, die den Untergang Samarias zufällig überleben könnten (6,10), sowie an ganz Israel, dem – das Ende und die eigenen Toten vor Augen – nichts als Schweigen bleibt (8,2f). In jedem Falle ist es Reaktion auf ein Eingreifen JHWHs. Zum Schweigen wird aufgefordert, um der totalen Vernichtung zu entgehen bzw. um diese wortlos zu begehen. In Hab 2,18f begegnet eine Zusammenstellung bekannter Topoi der Götzenbildpolemik aus Jes 40,19f; 41,6f; 44,9–20; 46,6f; Jer 10,1–16.12 Dabei liegt die Spitze der Polemik darin, dass die Götzen stumm und leblos sind. Auf diese Götzenbildpolemik folgt eine Aussage, die zu dem Gebet Habakuks in Hab 3 überleitet, der Theophanie des ganz und gar nicht stummen und leblosen Gottes Israels. Die Überleitung13 lautet:
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Lies mit BHS ĭŴī ĆŘ statt ĭŴīĜŘĂ . Für Smend, Nein, 95ff, gipfelt die Botschaft des Amos geradezu in diesem „Nein“ JHWHs zur weiteren Existenz seines Volkes. 11 Lohfink, Klageriten, 261f; Lang, Schweigen, 541. In der Erzählung des Sinuhe ist dieses Trauerschweigen auch für Ägypten belegt: „Die Residenz war in Schweigen ...“ (TUAT III/5, 888 § 2.7). 12 Perlitt, Habakuk, 78f. 13 Wellhausen, Propheten, 170; Sellin, Zwölfprophetenbuch, 404. Allerdings hatte Hab 2,20 nicht immer die Funktion der Überleitung. Vgl. dazu Anm. 20. 10
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„JHWH aber14 ist in seinem heiligen Tempel: Stille (Ĥė) vor ihm alle Welt!“ (Hab 2,20)15
Hier wird das Schweigegebot zum Bestandteil der Tempeltheologie. Ob dabei an JHWH in seinem himmlischen ğĞĜė gedacht ist (vgl. Ps 11,4; 18,7ff; Mi 1,2f), von dem aus er dann in Hab 3,3ff in das irdische Geschehen eingreift, lässt sich nicht eindeutig ausmachen. Die Gegenüberstellung der toten Götzen in Hab 2,18f mit dem in seinem heiligen Tempel anwesenden lebendigen JHWH lässt eher an das irdische Zionsheiligtum denken.16 Die Götzenbilder sind nichts als vom Menschen gefertigte irdische Hüllen, in denen keinerlei ĚĘī, kein Lebensatem ist (Hab 2,19). Der ğĜĞė ĘĬĖĪ hingegen ist die irdische Hülle und Wohnung des lebendigen Gottes, vor dem alle Welt schweige. Allerdings ist es ohnehin verfehlt, das himmlische und das irdische Heiligtum in eine sich gegenseitig ausschließende Alternative zu | bringen, da für die altorientalische Tempeltheologie die Übergänge zwischen dem irdischen und dem himmlischen Heiligtum fließend waren. Beide richteten sich gleichsam an der axis mundi aus.17 Deutlich ist jedenfalls, dass ehrfurchtsvolle Stille die angemessene menschliche Haltung gegenüber dem in seinem (irdischen und/oder himmlischen) Tempelheiligtum gegenwärtig geglaubten JHWH ist. Ob Hab 2,20 ehemals eine liturgische Formel gewesen ist, die „überlieferungsgeschichtlich auf eine gottesdienstliche Lesung“ von heiligen Texten hinauslief und damit auf einen – wie auch immer gestalteten – nachexilischen Wortgottesdienst,18 das bleibt unsicher. Neh 8,11, ein Text, mit dem diese Hypothese immer wieder begründet wird, hat jedenfalls eine ganz andere Aussageintention.19 Für die Deutung des Schweigegebots als li14
Das den Nominalsatz einleitende waw-copulativum sollte mit Rudolph, Habakuk, 20, adversativ übertragen werden, um den intendierten Gegensatz zwischen den leblosen Götzenbildern und dem lebendigen Gott deutlich zu machen. 15 Von Perlitt, Habakuk, 80f, u.a. wird dieser Zwischensatz von der vorausgehenden Götzenpolemik abgelöst und einem späteren Glossator zugeschrieben. 16 So auch Perlitt, Habakuk, 80. Anders Rudolph, Habakuk, 230. 17 Vgl. dazu Janowski, Tempel, 216ff; ders., Himmel auf Erden, 238ff; ders., Wohnung, 32ff. 18 So u.a. Perlitt, Habakuk, 43. 19 Neh 8,1–12 enthält nach Kellermann, Nehemia, 29f, eine gewisse Nähe zu späteren synagogalen Gottesdienstformen, die durch eine Rückdatierung auf Esra legitimiert werden sollten. Die Aufforderung der Leviten an die Teilnehmer der Toralesung (Neh 7,72b–8,8) zum Schweigen (8,11 Ƥ ĘĤė) ergeht aber gerade nicht – was bei dieser Deutung zu erwarten gewesen wäre – vor der „gottesdienstlichen Lesung“ sondern folgt ihr. Sie belehrt die Angesprochenen über den festlichen Charakter dieses Tages der Gesetzesverlesung, bezieht sich also auf die folgende Feier. Diese sollen nicht trauern, sondern fröhlich sein und die Gaben miteinander teilen (8,9f). Der Imp. Pl. ĘĤė ist daher eher mit „beruhigt euch“ zu übersetzen. Offensichtlich gab es unter den Angesprochenen nicht wenige,
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Land – Stadt – Tempel
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turgische Leseformel könnte allenfalls sprechen, dass Hab 2,20 ursprünglich wahrscheinlich einmal den Abschluss des Prophetenbüchleins bildete.20 Während also das Schweigegebot bei Amos seinen Ort im Umkreis von Tod und Bestattung fand, Stille als Geste des Selbstschutzes vor der tödlichen Nähe JHWHs und als Geste der Trauer, wird das Schweigen hier zu einer Verhaltensanweisung im Tempelkult. Aber auch in Hab 2,20 steht | dieses tempeltheologische Schweigegebot am Ende einer Reihe von Weherufen (Hab 2,6–8.9–11.12–14.15–17) samt der sich anschließenden Götzenbildpolemik (2,18–19). In allen bisherigen Texten signalisiert es demnach weniger die „heilvolle kultische Präsenz JHWHs“21 als vielmehr seine gefährliche Nähe, der am angemessensten durch Schweigen zu begegnen sei.22 Dies ist schließlich auch in Zefanja 1,7 der Fall. Dabei ist zunächst einmal der kompositorische Ort des Schweigegebotes bei Zefanja von Interesse. So wie ihm in Hab 2,18f eine Götzenbildpolemik vorausging, so geht ihm in Zef 1,2–6 eine Gerichtsansage gegen alle voraus, die von JHWH abgefallen sind und sich dem Götzendienst hingeben. Darauf folgt der Ruf: „Still (Ĥė) vor dem Herrn, JHWH, denn nahe ist der Tag JHWHs. Ja, JHWH hat ein Schlachtopfer bereitet, geheiligt hat er seine Geladenen.“ (Zef 1,7)
die in der Verlesung der Tora eher einen Anlass zu Buße und Trauer sahen (vgl. 2 Kön 22,11; 2 Chr 22,11) als zu Festfreude und Feier. Diese sollten in ihrer Besorgnis beruhigt und zur fröhlichen Feier (also gerade nicht zum Schweigen!) ermuntert werden. Vgl. Gunneweg, Esra, 113. 20 Dass das Gebet Habakuks eine spätere wohl nachexilische Erweiterung darstellt, geht nicht nur aus dem Fehlen von Hab 3 im Habakuk-Kommentar aus Qumran hervor, sondern auch aus seinem sich von Hab 1–2 zu unterscheidenden eigenständigen theologischen Profil. Vgl. Perlitt, Habakuk, 82f. 21 Irsigler, Zefanja, 124, geht offensichtlich davon aus, dass das Schweigegebot im Tempelkult ursprünglich eine heilvolle Nähe JHWHs angezeigt habe und begründet dies mit Neh 8,11. Bei den prophetischen Aufnahmen des Gebotes handele es sich um eine „Verfremdung des alten heilvollen Kultrufs“. Ob dieser Kultruf aber wirklich ursprünglich nur die heilvolle Nähe JHWHs signalisierte und nicht auch das Moment seiner gefährlichen Präsenz? Neh 8,11 jedenfalls kann nur schwerlich eine solche Begründung tragen (vgl. Anm. 19). Und die überwiegende Einbindung des Schweigegebotes in Kontexte der prophetischen Gerichtsbotschaft lässt eine solch einseitige Festlegung der Bedeutung dieser Formel kaum zu. 22 Eine narrative Explikation der gefährlichen Nähe JHWHs im Ladekult findet sich in 2 Sam 6,1–11. Vgl. auch Jes 6,5 mit seinem Weheruf ĜğČĜĘē. Kaiser, Jesaja, 130: „Die Schau des himmlischen, allmächtigen Königs ist für die sündige Kreatur kein Anlaß zu froher Gewissheit, sondern sie löst das Gefühl schuldiger Todverfallenheit aus [...].“
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„Still alles Fleisch vor JHWH ...“
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Während in den bisherigen Texten der Grund für das Schweigegebot sich nur aus den Kontexten erschließen ließ, findet die Aufforderung zum Schweigen (V. 7a) hier eine doppelte Begründung, jeweils eingeleitet durch ĜĞ-causalis bzw. ĜĞ-affirmativum. Das Schweigegebot (V. 7a) wird begründet mit der Nähe des „Tages JHWHs“ (V. 7bƝ) und einem Schlachtopfermahl, das JHWH für seine Geladenen bereitet hat (V. 7bƞ). Dass mit dem Schweigegebot sowie der Ankündigung der Nähe des Tages JHWHs für die Adressaten Zefanjas zunächst positive Erwartungen verbunden gewesen | seien, die von diesem dann verfremdet und in ihr Gegenteil gewendet wurden,23 ist keineswegs sicher. Denn bereits seit der Prophetie des 8. Jh. war die Vorstellung vom „Tag JHWHs“ ja nicht mehr ausschließlich eine Chiffre für Heil. Vielmehr richtete sich dieses ursprünglich wohl in der JHWH-Kriegstradition beheimatete Theologumenon vom heilsamen Eingreifen Gottes zugunsten seines Volkes jetzt gegen dieses Volk selbst.24 Er kommt nicht zur Rettung, sondern zum Gericht (Am 5,18–20; Jes 2,12–17). Die kompositorische Einbindung von Zef 1,7 als Vorbereitung von 1,8aƝ.10aƝ.14–16; 2,1–3 macht deutlich, dass hier ganz offensichtlich bereits diese negative Konnotation des „Tages JHWHs“ als einem großen Schlachtefest und dies irae vorausgesetzt wird. Als bisheriges Fazit kann festgehalten werden, dass in allen erörterten Fällen das kultische Schweigegebot in die Gerichtsprophetie eingebunden wurde. Dass mit ihm ursprünglich heilvolle Erwartungen verbunden gewesen seien, lassen die Texte selbst nicht erkennen. Vielmehr hat es seinen Ort im Begräbniskult, in dem dazu aufgerufen wird, der tödlichen Nähe JHWHs mit Schweigen zu begegnen (Am 6,10; 8,3) sowie im Kampf gegen den falschen Gottesdienst (Hab 2,18f; Zef 1,2–6). Dieser soll mit dem Schweigegebot zum Verstummen gebracht werden (Hab 2,20; Zef 1,7), da durch Götzenbilder und Götzendienst JHWHs gefährliche Nähe heraufbeschworen wird, der Tag des Schlachtopferfestes JHWHs, der Tag der Heimsuchung (Zef 1,8ff).
3. Das Schweigegebot als Heilsansage Die letzte zu besprechende Stelle, in der das Schweigegebot begegnet, findet sich in Sach 2,17: „Still (Ĥė) alles Fleisch vor JHWH, denn er hat sich erhoben von seiner heiligen Wohnung.“ 23 24
So Seybold, Prophetie, 23ff; Irsigler, Zefanja, 130ff. Vgl. die knappe und präzise Darstellung von Müller, Jahwetag, 266f.
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Land – Stadt – Tempel
[105–107]
Der Vers bildet den Abschluss des dritten Nachtgesichtes (N 3) vom Mann mit der Messschnur, in dem der Prophet die künftige Größe und das künftige Heil Jerusalems schaut. Dabei sind sich die Kommentatoren weitestgehend | darin einig, dass N 3 ursprünglich lediglich Sach 2,5–9 umfasste und 2,10–17 eine Fortschreibung desselben darstellt.25 Dass diese Fortschreibung noch einmal ein in sich gewachsener Text ist, an dem sowohl die Feder Sacharjas26 als auch die einer – wie auch immer vorzustellenden – „Sacharjaschule“ beteiligt war, gilt ebenfalls weithin als Konsens der Forschung.27 Umstritten ist hingegen die innere Gliederung und Struktur der einzelnen Sprucheinheiten Sach 2,10–17. Die Masoreten gliedern den Abschnitt in drei Einheiten: V. 10–11.12–13.14–17 (vgl. die Setumot hinter V. 11.13.17). Einige Ausleger sehen in dem Abschnitt lediglich zwei Sprucheinheiten: V. 10–13.14–17.28 Formgeschichtliche Beobachtungen führen m.E. aber zu der zwingenden Einsicht, dass erstens eine Abtrennung der V. 12–13 von V. 10–11 nicht sachgerecht ist und zweitens V. 17 noch einmal deutlich von V. 14–16 als eigenständiger Spruch abgesetzt werden muss. Wir gehen daher davon aus, dass sich der Abschnitt in drei selbständige Sprucheinheiten V. 10–13.14–16 und 17 gliedert. Es handelt sich um eine „Aufforderung | zur Flucht“ (V. 10–13),29 einen „Aufruf zur Freude“ (V. 14–16)30 und einen „Aufruf zum Schweigen“ (V. 17). 25
Vgl. dazu die Kommentare von Sellin, Zwölfprophetenbuch, 490; Elliger, Sacharja, 118f; Horst/Robinson, Kleine Propheten, 225; Rudolph, Sacharja, 89; Beuken, Sacharja, 317ff; Graf Reventlow, Sacharja, 48. 26 Meyers/Meyers, Zechariah, 176ff, nehmen an, dass es sich bei dem gesamten Abschnitt um „a commentary upon the first three visions and a climax to them“ handelt, die vollständig auf Sacharja zurückgehe. Auch Hanhart, Sacharja, 120ff, liest 2,10–17 als Interpretation von N 3 aus der Hand des Propheten selbst. 27 Vgl. dazu die in Anm. 25 genannten Kommentare. Für einen späteren, nachsacharjanischen Einschub halte ich die V. 10b.15abƝ. Der in Prosa gehaltene V. 10b unterbricht den poetisch geformten parallelismus membrorum von V. 10a.11. Außerdem lässt er ein eigenes sich deutlich von den Nachtgesichten unterscheidendes theologisches Profil erkennen. Während in N 2 die Völker bestraft werden, weil sie Israel gnadenlos zerstreut haben, übernimmt JHWH in V. 10b selbst die Verantwortung für die Zerstreuung (vgl. auch den unterschiedlichen Sprachgebrauch: 2,2.4 ėīę ĺ 2,10 Ĭīħ). Das liegt ganz auf der Linie der sekundären dtr. Zusätze in Sach 1,1–6 und 7,7–14. Dort ist in der Tat JHWH bzw. sein Zorn verantwortlich für das Gericht an den ungehorsamen Vätern. Außerdem dürfte V. 15abƝ sekundär sein, in dem die auf die Angehörigen der Gola bezogene Bundesformel aus Sach 8,8 auf die Völker ausgeweitet wird. Auch dieser in Prosa gehaltene Zusatz unterscheidet sich formal von dem poetisch geformten V. 14. 28 Horst/Robinson, Kleine Propheten, 225f; Rudolph, Sacharja, 89 u.a. 29 Siehe dazu die formgeschichtliche Analyse der Verse durch Bach, Aufforderungen, 15–50. 30 Vgl. Crüsemann, Studien, 55–65, und Mansfeld, Aufruf, 11–101.
[107/108] Spruch
„Still alles Fleisch vor JHWH ...“ Aufforderung
Begründung
V. 10–13
zur Flucht V. 10–11
V. 12–13
II
V. 14–16
zur Freude V. 14a
V. 14b–16
III
V. 17
zum Schweigen V. 17a
V. 17b
I
187
Die Einleitung der Aufforderung besteht aus – V. 10 Interjektion + Imperativ (ĘĤģĘ ĜĘė ĜĘė), – V. 14 doppeltem Imperativ (ĜĚġĬĘ Ĝģī), – V. 17 Interjektion (Ĥė). Dem folgt jeweils die Begründung, eingeleitet durch ĜĞ-causalis (V. 12a.14b. 17b). Bereits die gemeinsame Grundstruktur spricht dafür, dass es sich um drei und eben nicht nur um zwei Sprucheinheiten handelt. Während sich in den Sprucheinheiten I und II (V. 10–13.14–16) jeweils die Erkenntnisformel ĜģĚğĬ ĭĘēĔĩ ėĘėĜČĜĞ (Ġ)ĭĥĖĜĘ (damit ihr/du erkenn[s]t, dass mich JHWH Zebaot gesandt hat [V. 13b.15bƞ]) findet,31 fehlt diese in der knappen dritten Sprucheinheit, dem Aufruf zum Schweigen. Schon aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob V. 17 einer anderen literarischen Ebene zuzuordnen ist als die beiden Sprucheinheiten in V. 10–13.14–16. Dieser Befund lässt drei Erklärungsmöglichkeiten zu: a) V. 17 ist trotz der fehlenden Erkenntnisformel derselben Fortschreibungsschicht zuzuweisen wie die Sprucheinheiten I und II. b) Das Schweigegebot wurde in einem weiteren Fortschreibungsschub den Sprucheinheiten I und II nachträglich als liturgische Formel (?) angehängt. | c) Die Sprucheinheit III gehört zum Grundbestand von N 3 (2,5–9.17), in den zu einem späteren Zeitpunkt die Sprucheinheiten I und II (V. 10– 16) eingefügt wurden. Folgende Gründe sprechen für Lösung c: 1. In N 3 kündigt ein Engel im Auftrag des angelus interpres dem jungen Mann mit der Messschnur an, dass das künftige Jerusalem aufgrund seiner Menge an Mensch und Vieh eine offene Stadt bleiben werde (V. 8). 31 Die „Erkenntnisformel“ (vgl. dazu W. Zimmerli, Erkenntnis, 77f) gibt einen Hinweis auf die Ursachen, die die Fortschreibung von N 3 (2,5–9) erforderlich machten. Sie findet sich noch in Sach 4,9b; 6,15aƞ, durchweg Texte, die in der Forschung als sekundäre Erweiterungen angesehen werden. Die mit dieser Formel versehenen Fortschreibungen dienten der Legitimation und dem Nachweis der | Authentizität der Sendung des Propheten, die offensichtlich (aufgrund der Krise um Serubbabel?) angezweifelt wurden. Vgl. dazu bereits Marti, Zweifel, 179ff.
188
Land – Stadt – Tempel
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Zu ihrem Schutz werde JHWH selbst als Feuermauer um die Stadt herum sein und sein ĖĘĔĞ werde in ihrer Mitte sein (V. 9). JHWHs Präsenz in Gestalt von Feuer und Lichtglanz wird die Stadt von außen und im Inneren schützen. Das Schweigegebot in V. 17 kündigt diesen unmittelbar bevorstehenden Aufbruch JHWHs nach Jerusalem an. Er, JHWH, ist bereits aufgebrochen (īĘĥ Ni. Pf.) von seiner „heiligen (himmlischen)32 Wohnung“ (ĘĬĖĪ ĢĘĥġ). Thematisch schließt sich damit das Schweigegebot bestens an V. 9 an. 2. Dieser Anschluss wird noch plausibler, wenn man sich die Frage stellt, warum diese Aufforderung zum Schweigen nur hier (!) an īĬĔ ğĞ (alles Fleisch) erging.33 Darf man in dieser Mensch und Tier umfassenden Formulierung (Gen 6,12f.17; 7,21; 8,17; 9,11.15ff; Lev 17,14; Num 18,15; Hi 12,10)34 eine Anspielung auf 2,8bƞ sehen? Das ganze – in seiner Menge an Mensch und Vieh alle Grenzen sprengende (2,8) – Jerusalem soll in Erwartung des Einzugs des ĖĘĔĞ JHWHs (2,9) in ehrfürchtigem Schweigen verharren (2,17)!35 Deutet man das kultische Schweigegebot in dieser Weise, dann spricht kaum etwas gegen die Annahme, dass V. 17 ursprünglich einmal unmittelbar auf V. 9 folgte | und den Schluss von N 3 bildete. Danach erhielt der in V. 8a ausgesandte Engel den Auftrag, dem jungen Mann mit der Messschnur das jedes menschliche Maß überbietende Heil Jerusalems anzusagen (V. 8b.9) und alle Kreatur aufzufordern, angesichts des unmittelbar bevorstehenden Einzugs der Herrlichkeit JHWHs zu schweigen, weil dieser sich bereits von seiner himmlischen Wohnung erhoben habe (V. 17). 3. Aber nicht nur mit dem vorausgehenden N 3 ist V. 17 sachlich verbunden, sondern auch mit N 5, der Vision JHWHs im Symbol eines Himmelsleuchters (Sach 4).36 Da sich die Kommentatoren mit guten Gründen weitestgehend darüber einig sind, dass es sich bei N 4 (Sach 3), der Vision von der Reinigung des Hohepriesters Joschua im himmlischen Thronrat, um ein nachträglich in den Zyklus eingefügtes Nachtgesicht handelt,37 folgte auf N 3 ursprünglich N 5. Dabei wurde bisher fast durchweg übersehen, dass Sach 2,17b und 4,1b deutlich durch Stich32 Aus Dtn 26,15; Jer 25,30; 2 Chr 30,27 geht deutlich hervor, dass der ĬĖĪ ĢĘĥġ JHWHs himmlische Wohnung bezeichnen kann. Vgl. dazu auch Preuß, ĢĘĥġ, ThWAT IV, 1029. 33 Vgl. Hab 2,20. Dort richtet sie sich an ĨīēėČğĞ. 34 Es ist allerdings einzuräumen, dass die Wendung auch eingeschränkt auf die Menschen gebraucht wird (Dtn 5,26; Ps 65,3; 145,21; Jes 40,5; 49,26 u.ö.). 35 Dass die Einbeziehung des Viehs in ein kultisches Ritual für israelitische Leser keine Unmöglichkeit darstellte, geht aus Jona 3,7f hervor. Dort sollen sich Mensch und Vieh einem Bußritus unterziehen. 36 Vgl. zur Deutung der Leuchtervision Lux, Himmelsleuchter, 144ff.
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„Still alles Fleisch vor JHWH ...“
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wortanknüpfung miteinander verbunden sind. So wie sich JHWH in 2,17b von seiner heiligen Wohnung „erhoben hat“ (īĘĥ Ni.), so wurde der Prophet in Sach 4,1b vom Deuteengel „geweckt“ (īĘĥ Hif.) wie ein Mann, der vom Schlaf „geweckt wird“ (īĘĥ Ni.), um die Präsenz JHWHs in ihrem unermesslichen Lichtglanz zu schauen. In einer ersten Bearbeitung der Nachtgesichte, die sich mit der angefochtenen Legitimation des Visionärs Sacharja auseinander zu setzen hatte (vgl. die Erkenntnisformeln in V. 13b.15bƞ) wurden in diesen Zusammenhang dann die beiden Sprucheinheiten I und II (V. 10–13.14–16) eingefügt. Dadurch entstand eine neue Textfolge mit einer eigenen inneren Logik: Spruch I (V. 10–13) fordert die babylonische Gola angesichts des drohenden Völkergerichtes auf, aus dem Land des Nordens (ĢĘħĩ Ĩīēġ = Babel) als Ausgangsort der Flucht in Richtung38 Zion als Zielort zu fliehen. Spruch II (V. 14–16) ruft die in der Tochter Zion personifizierte Gesamtbevölkerung Jerusalems am Zielort auf, nach dem erfolgten Gericht JHWHs über die israelfeindlichen Völker (V. 12f) und in Erwartung der Rückkehr des siegreichen Gottkönigs | sowie seiner Einwohnung in ihrer Mitte zu jubeln und sich zu freuen (V. 14). Spruch III (V. 17) lässt dem Aufruf zum Jubel eine Aufforderung zum Schweigen in Erwartung der nunmehr heilvollen praesentia dei folgen, die der Prophet dann in N 5 schauen darf.
4. JHWHs Gegenwart und das Schweigen der Menschen Damit hat sich herausgestellt, dass das Schweigegebot im Dodekapropheton seinen Ort vor allem im Rahmen der prophetischen Gerichtsverkündigung gefunden hat. In Am 6,10; 8,3; Hab 2,20; Zef 1,7 stellte es die geforderte menschliche Haltung gegenüber der bedrohlichen Nähe JHWHs im Gericht dar. Dass die Formel ihren ursprünglichen „Sitz im Leben“ im Tempelkult hatte, legen Hab 2,20 (Tempel), Zef 1,7 (Opferkult) und Sach 2,17 (heilige Wohnung) nahe. Wir haben es demnach mit einer sekundären Verwendung der Formel in der prophetischen Verkündigung zu tun. Allerdings war sie wohl nicht auf den Tempelkult beschränkt, sondern konnte auch im Toten- und Bestattungskult Verwendung finden (Am 6,10; 8,3). Dass es sich aber um eine liturgische Formel in Verbindung mit der gottes37 Die Gründe hierfür wurden immer wieder benannt und müssen hier nicht noch einmal im Einzelnen aufgezählt werden. Vgl. ihre Zusammenstellung bei Jeremias, Nachtgesichte, 201–203, und Delkurt, Nachtgesichte, 147. 38 Zu ĢĘĜĩ in V. 11a als accusativus directionis vgl. Rudolph, Sacharja, 86f. Anders (Zion als Vokativ) Hanhart, Sacharja, 117.
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Land – Stadt – Tempel
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dienstlichen Lesepraxis heiliger Texte gehandelt habe, können die Belegstellen einschließlich Neh 8,11 nicht bestätigen. In Sach 2,17 wandelt sich die sonst durchweg Unheil signalisierende Schweigeformel zur Heilsansage. Jetzt gilt das geforderte Schweigen der Erwartung des heilvollen Eingreifens JHWHs zugunsten seines erwählten Volkes Israel nach der siebzigjährigen Strafzeit (Sach 1,12) des Exils. Sein Zorn trifft nunmehr die Völker, die Juda und Jerusalem übel mitgespielt haben und sie in die Verbannung schleppten (1,15; 2,1–4). Über ihnen schwingt JHWH bereits seine Hand (2,13), um sie in ihre Grenzen zu verweisen. Jerusalem aber steht als „offene Stadt“ unter dem persönlichen Schutz JHWHs, der in seiner Mitte in Gestalt seines ĖĘĔĞ Wohnung nimmt (2,8f). Dieses Heil ist keine ferne Zukunftsmusik, sondern hat sich bereits vor dem Auge des Propheten vollzogen. Er fordert daher mit dem dritten Nachtgesicht seine Hörer auf, dem von seiner himmlischen Wohnung aufgebrochenen JHWH in ehrfurchtsvollem Schweigen zu begegnen, dessen Lichtglanz bereits jetzt im Symbol des himmlischen Leuchters (Sach 4) geschaut werden darf. Da die Leuchtervision astrale Konnotationen hat | (Lampen = Augen JHWHs = Gestirne),39 ist es nicht auszuschließen, dass der Prophet mit dem Schweigegebot auf die Erscheinung JHWHs am nächtlichen Himmel verwies.40 Nicht ohne Grund ergeht die Leuchtervision, die auf das Schweigegebot folgte in der Nacht (4,1). Am Himmel wurde der noch ferne und doch schon gegenwärtige JHWH sichtbar, der sich aufgemacht hat, um mit seinem Lichtglanz im Zionsheiligtum, dem in Bau befindlichen Tempel, einzuziehen.
39 40
Vgl. dazu Keel, Jahwe-Visionen, 316f; Lux, Himmelsleuchter, 150f. Siehe zur Astralisierung des JHWH-Glaubens Albani, Gott, 123ff.
Gott – Gottesvolk – Völker
JHWHs „Herrlichkeit“ und „Geist“ Die „Rückkehr JHWHs“ in den Nachtgesichten des Sacharja 1. Tendenzen der Forschung Die Sacharjaforschung wird gegenwärtig von zwei Tendenzen bestimmt. Einerseits rechnet man damit, dass der Korpus der Nachtgesichte nicht in einem Zuge entstanden ist, obwohl dies ja seine präzise Datierung in einer Nacht in Sach 1,7 nahe legt, die eine Leseanweisung darstellt. Bereits Alfred Jepsen hatte die methodische Forderung erhoben, sich von dieser Datierung frei zu machen „und den Nachtgesichten selbst die Situation zu entnehmen, in der sie empfangen sind“.1 Kurt Galling hat diese Forderung übernommen. Im Ergebnis ordnete er die Nachtgesichte – abgesehen von redaktionellen Zusätzen – zwei Wirkungsphasen des Propheten Sacharja zu, einer Frühphase seiner Verkündigung, in der er noch in Babylon weilte (Sach 1,8–15; 2,1–4.5–9; 6,1–8), und einer Phase nach seiner Rückkehr nach Jerusalem, in der der Bau des Zweiten Tempels in Angriff genommen wurde (Sach 3; 4; 5,1–4.5–11).2 Neuere redaktionsgeschichtliche Untersuchungen von Hans-Günther Schöttler,3 Christoph Uehlinger4 oder Reinhard 1
Jepsen, Beiträge, 99. Galling, Studien, 123. 3 Schöttler, Gott, 164–168.448, rechnet mit einem Fünf-Visionen-Zyklus als Grundschicht. Zu ihr gehörte ein Grundbestand der Visionen Pferde (1,8*.9abƝ.10b.11b), Messschnur (2,5–8), Leuchter (4,1.2*.3a.4–6aƝ.14*), Efa (5,5*.6a.8aƝ.9*.10.11*) und Wagen (6,1a.2.3*.4abƞ.5abƞ*.7aƝ*b). In einer ersten Überarbeitung sei dieser Zyklus zu einem Sieben-Visionen-Zyklus erweitert worden, indem in ihn die Visionen Werkleute (2,3.4*) und Joschua (3,1aƝb.2ab.3a.4.9bƞ) eingefügt wurden. Schließlich habe es eine zweite Bearbeitung gegeben, die den bisherigen Text zu einem Acht-Visionen-Zyklus erweiterte, indem sie das Motiv der Hörner in der zweiten Vision ergänzte (2,1.2*.4b*), die Vision Buchrolle hinzufügte (5,1.3a.4aƞ.b*) sowie weitere redaktionelle Ergänzungen vornahm. Später kamen weitere Zusätze hinzu. Insgesamt rechnet Schöttler mit einem Entstehungszeitraum der Nachtgesichte vom ausgehenden 6. bis in das 3. Jh. v. Chr. 4 Auch Uehlinger, Figurative Policy, 338f, rechnet ursprünglich mit einem Fünf-Visionen-Zyklus (Reiter, Hörner, Messschnur, Schriftrolle, Wagen), der schon recht früh um zwei weitere Visionen (Leuchter, Efa) erweitert wurde, und schließlich durch die Einfügung der Joschua-Vision ihre endgültige Gestalt bekam. So auch Keel, Geschichte, 1010ff. 2
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Gott – Gottesvolk – Völker
Gregor Kratz5 kamen ebenfalls zu dem Ergebnis eines sukzessiven Wachstums des Visionszyklus. Im Unterschied dazu gehen viele neuere Untersuchungen6 und Kommentare7 davon aus, dass – abgesehen von Sach 3 und einer Reihe von späteren epexegetischen Zusätzen (Sach 1,16f; 2,10–17; 4,6aƞ–10a; 6,9–15) – mit einem ursprünglichen Sieben-Visionen-Zyklus gerechnet werden kann (Sach 1,7–15; 2,1–4.5–9; 4,1–6aƝ.10b–14; 5,1–4.5–11; 6,1–8), der eine sorgfältig gestaltete Komposition darstellt, die ihr Zentrum in der Leuchtervision in Sach 4 hatte.8 Die Frage, ob wir es bei den Nachtgesichten des Sacharja ursprünglich mit einem Siebener-Zyklus zu tun haben (ohne Sach 3)9, der von Anfang an als eine Gesamtkonzeption angelegt gewesen ist, oder mit einem sukzessive um mehrere Nachtgesichte gewachsenen Textkomplex, lässt sich nicht nur auf der Grundlage von Beobachtungen zu ihrer Sprache und Form entscheiden. Wenn sich allerdings nachweisen ließe, dass ihr Verfasser seine Bilder und Motive nicht aus ganz unterschiedlichen und voneinander
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Kratz, Judentum, 85ff, geht ebenfalls von einem sukzessiven Wachstum des gesamten Zyklus sowie der einzelnen Visionen aus. Am Anfang habe das Paar Reiter (Sach 1,8.9a.10b.11b) und Messschnur (2,5–6) gestanden. Zu ihnen seien dann die Visionen Leuchter (4,2b*.3.4.14) und Wagen (6,1–5*.7) hinzugetreten. Darauf folgten die Visionen Hörner (2,1–4), Schriftrolle (5,1–4) und Efa (5,5–11) als nächster Schritt der Erweiterung. 6 Siehe dazu u.a. die Arbeiten von Beuken, Haggai-Sacharja 1–8, 230ff; Jeremias, Nachtgesichte, 10ff; Delkurt, Nachtgesichte, 12; Seybold, Bilder, 23; Behrens, Visionsschilderungen, 272ff. Die Strukturanalyse von Bauer, Zeit, 81ff, die von einem planvoll gestalteten Zehn-Visionen-Zyklus ausgeht hat in der Forschung kaum Aufnahme gefunden. 7 So die Kommentare von Rudolph, Sacharja, 62f; Deissler, Propheten 267; Meyers/Meyers, Haggai, LIVff; Reventlow, Haggai, 39 (in seinem Aufsatz zu Sach 6,1–8 [Reventlow, Tradition, 180f] hatte Graf Reventlow noch an einer en bloc-Abfassung des Siebenerzyklus gezweifelt und sich eher der Sicht von Jepsen und Galling angenähert); Hanhart, Sacharja, 50ff; Willi-Plein, Sacharja, 61; Petersen, Haggai, 124f. Conrad, Zechariah, 16ff, verfolgt mit seiner Analyse der „final form“ des Prophetenbuches ohnehin einen anderen methodischen Ansatz, der von einer Rekonstruktion seiner diachronen Entstehung absieht. 8 Auch Boda, Research, 4f, hat in seinem Forschungsbericht auf die Tendenz hingewiesen, die redaktionellen Überarbeitungen und Fortschreibungen in Hag und Sach 1–8 nur sehr gering zu veranschlagen: „[…] recent work on the redaction of Haggai and Zechariah reveals a trend toward simplicity.“ 9 Im Blick auf Sach 3 gibt es einen weitgehenden Konsens der Forschung, dass es sich hier um einen späteren Zusatz handelt. Die Argumente hierfür wurden durch Jeremias, Nachtgesichte, 201–203, und Delkurt, Nachtgesichte, 147, zusammengestellt und müssen hier nicht noch einmal rekapituliert werden.
JHWHs „Herrlichkeit“ und „Geist“
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unabhängigen Traditionen schöpfte, um diese zu einer eigens von ihm geschaffenen thematischen Gesamtkomposition zusammenzubinden,10 sondern dass er sie bereits einem fest geprägten Vorstellungszusammenhang entnommen hat, der ihm vorgegeben war, dann ließe sich damit die These von der ursprünglichen Einheitlichkeit des Siebener-Zyklus plausibilisieren.
2. Abwendung und Rückkehr der Götter Die folgenden Überlegungen gehen von der Annahme aus, dass sich der Verfasser des Zyklus der Nachtgesichte an einem Muster der theologischen Geschichts- und Daseinsdeutung orientierte, das mehrfach in der altorientalischen Geschichtsschreibung und Mythologie begegnet. Der für unsere Fragestellung relevante Vorstellungskomplex diente der religiösen Deutung und Bewältigung von Krisensituationen. Er bringt die Krise und ihre Überwindung mit dem Gedanken der Abwesenheit und Anwesenheit eines Gottes bzw. der Götter in ihrem Heiligtum, ihrer Stadt und ihrem Land in Verbindung. Sie werden als elementarer Ausdruck ihres Zornes und ihres Wohlwollens gedeutet.11 Dieser inneren Gemütsverfassung der Götter korrespondiert ein Raum- und Zeitkonzept. Sie spiegelt sich in Ferne und Nähe, Zugänglichkeit und Unzugänglichkeit, Sichtbarkeit und Ver-
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So geht z.B. Delkurt, Nachtgesichte, davon aus, dass Sacharja direkt und indirekt auf eine Fülle von ursprünglich eigenständigen Traditionen und Motiven seiner prophetischen Vorgänger Bezug genommen habe. Derartige Textbezüge sollen im Einzelnen nicht bestritten werden. Sie bleiben allerdings isoliert, solange es nicht gelingt, das eigentliche Leitthema zu bestimmen, das für die innere Organisation und Struktur des Zyklus verantwortlich ist. 11 Stolz, Grundzüge, 87f, hat im Anschluss an Th. H. Gaster auf die binäre Struktur dieser Strategie der Krisenbewältigung in den natürlichen Rhythmen des Jahreskreises verwiesen: „Auf eine Phase der Kenosis, der Entäußerung, des Rückzugs vom Leben, folgt eine Phase der Plerosis, der Annahme, der Neuzuwendung zum Leben.“ In den uns interessierenden Texten wurde diese Binärstruktur aus dem Bereich der Natur auf die Geschichte übertragen. Mit dieser Übertragung wurde der Bereich der Natur allerdings nicht ausgeblendet. Vielmehr kam es zu einer gegenseitigen Durchdringung von Natur und Geschichte. Die geschichtliche Krise, die auf der symbolischen Ebene als Rückzug und Wiederkehr eines Gottes gedeutet wurde, hatte in der Regel erhebliche Auswirkungen negativer und positiver Art auf die Vegetation des Landes sowie die Fruchtbarkeit von Mensch und Vieh.
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borgenheit,12 Vergangenem und Künftigem.13 Damit erweist sich die Krise letztlich als eine bedrohliche Störung oder gar Unterbrechung der religiösen Kommunikation.14 Christina Ehring15 hat jüngst überzeugend nachgewiesen, dass dieser geprägte Vorstellungskomplex auch im Hintergrund von Jes 40,1–11* und 52,7–10 steht und damit das Profil der Botschaft Deuterojesajas entscheidend mitbestimmt hat.16 In diesem Zusammenhang hat sie neben dem Ezechielbuch auch auf Sach 1,3 und 8,3 verwiesen,17 ist aber nicht auf den Zyklus der Nachtgesichte eingegangen, was eigentlich nahe gelegen hätte. Nach einer Analyse einschlägiger mesopotamischer Texte18 fasst sie den Vorstellungskomplex wie folgt zusammen: Die Texte „konstatieren die in der Vergangenheit geschehene Abwendung der Gottheit von ihrem Wohnsitz, deren Ursache immer ihr Zorn ist, welcher zumeist durch ein Fehl12
Berlejung, Götter, 120, ist unterschiedlichen Konzepten der Verborgenheit von Göttern in der altorientalischen Tempeltheologie nachgegangen: „War ein Gott innerhalb seines irdischen Tempels/seiner Stadt nicht nur immanent, sondern auch verborgen, so war die Verborgenheit wie das Tempeldunkel Symbol und Marker der göttlichen Transzendenz. Sie verwies auf die göttliche Wirklichkeitssphäre, die außerhalb menschlichen Erkennens und Zugriffs war. War eine Gottheit außerhalb eines Tempels/ihrer Stadt verborgen, so stand ihr ‚Wohnen im Verborgenen‘ für ihre Abwesenheit und Unzugänglichkeit. Verborgenheit war dann als aufgehobene Immanenz zu verstehen, aus der für den Funktionsbereich des betroffenen Gottes Unheil und Not resultierte, da seine segensreiche Wirkung und Zuwendung beendet war.“ 13 Zur Raum-Zeit-Erfahrung im alten Israel siehe Weippert, Welterfahrung. Auch wenn ihre Überlegungen nicht näher auf die Problematik der geschichtlichen Zeit eingehen, so ist die von ihr (ebd., 194ff) eingeführte Kategorie „gewerteter Raum und gewertete Zeit“ hilfreich, um das prophetische Raum- und Zeit-Verständnis angemessen zu beschreiben. Die in unserem Falle vorliegende Krisensituation wird so gedeutet, dass die vergangene Zeit eine negative Wertung erfährt, da sie den Zorn der Götter provozierte. Die Folge davon war auch eine Entwertung des Raumes durch Devastierung und Verlust an Fruchtbarkeit. Die mit der Gegenwart anhebende Zukunft erfährt dagegen eine positive Wertung, die sich in der Wiederzuwendung der Götter manifestiert. In der Folge erfährt der Raum eine Aufwertung durch natürliche, kulturelle und kultische Wiederbelebung. Vgl. zur biblischen Raum-Zeit-Konzeption auch die Arbeiten von Janowski, Füße, und ders., Doppelgesicht. 14 Hartenstein, Unzugänglichkeit, 166, hat darauf im Zusammenhang mit der Berufungsvision Jesajas (Jes 6,1–4) hingewiesen. Die Verborgenheit Gottes im Rauch des Tempelhauses signalisiert eine „Unterbrechung der Kommunikation mit JHWH“. 15 Ehring, Rückkehr, 191–203, hat diesen Vorstellungskomplex auch als Vorgabe für den aus- und wieder einziehenden ėĘėĜ ĖĘĔĞ in den Tempelvisionen Ezechiels nachgewiesen. 16 Auch Höffken, Mardukinterpretation, 11–23, und Rudnig, Jahwe, 276, hatten bereits auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht. 17 Ehring, Rückkehr, 84ff.
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verhalten der Bevölkerung ausgelöst wurde. Mit der Aufhebung der Präsenz der Gottheit an ihrem Wohnort verliert das dazugehörige Land ringsum den Schutz der Gottheit und wird anfällig für das Eindringen von bösen Kräften, die sich je nach Kontext in Gestalt von Dämonen, Naturkatastrophen oder feindlicher militärischer Eroberung zeigen. In fast allen Texten wird die Abwendung der Gottheit in einem zweiten Schritt sichtbar vollzogen, indem ihr Kultbild entweder zerstört oder von Eroberern geraubt wird.18 Nach einer zum Teil von Anfang an festgesetzten, zum Teil unbestimmten Zeit der Not wendet sich die Gottheit ihrem früheren Wohnsitz wieder zu. Als Ursache für die Wiederzuwendung wird in einigen Texten auf die eindringlichen Gebete des jeweiligen königlichen Verfassers verwiesen, während andere vor allem das Erbarmen des betreffenden Gottes betonen. Erkennbar wird die Wiederzuwendung der Gottheit vor allem in den Königsinschriften, zunächst in ihrer Kontaktaufnahme mit dem König, sei es in Form einer Berufung zur Königsherrschaft oder einer Beauftragung zu bestimmten Maßnahmen, die eine Wiedergutmachung der zuvor erlittenen Katastrophe bedeuten. Auf diesen ersten Schritt der Wiederzuwendung folgt immer die Schilderung der sichtbaren Rückkehr der Gottheit an ihren früheren Wohnort in Gestalt ihres Kultbildes, das – restauriert, neu erschaffen oder zurückerobert – in einer feierlichen Prozession unter Leitung des Königs in den zumeist neuerrichteten Tempel einzieht.“19
Es lässt sich zeigen, dass die Nachtgesichte des Sacharja diesen Vorstellungskomplex vom verschwundenen und wieder zurückkehrenden Gott20 teilweise bis in Details hinein aufgenommen haben.21 Dass sie ihn dabei ihrer historischen Situation, dem mit dem JHWH-Glauben der frühnachexilischen Zeit verbundenen religiösen Symbolsystem sowie der eigenen literarischen Gattung der „Vision“ anpassten und entsprechend modifizierten, versteht sich von selbst.
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Dabei geht sie methodisch sorgfältig von zur Wirksamkeit Deuterojesajas zeitnahen Texten aus, den Nabonid-Inschriften, und zieht danach auch älteres Textmaterial mit hinzu, die Babylon-Inschriften Asarhaddons, das Erra-Epos sowie Texte über den Verlust der Mardukstatue an die Elamer und ihre Rückführung durch Nebukadnezar I. Siehe dazu Ehring, Rückkehr, 96–154. 19 Ehring, Rückkehr, 154f. 20 Hinsichtlich der altorientalischen Mythologie hat Hartenstein, Unzugänglichkeit, 150–161, dieses narrative Muster vor allem am hethitischen Telipinu-Mythos aufgezeigt. 21 Für das erste Nachtgesicht (Sach 1,7–17) wurde dies auch von Berges, Jesaja 40–48, 106, erkannt, weswegen er die Grundschicht des Deuterojesajaprologs (Jes 40,1–2.3–5) mit Albertz, Exilszeit, 300f, in die Anfangsjahre der Herrschaft Darius I. (519 v. Chr.) datiert. Sollte dies zutreffen, dann drängt sich der Schluss geradezu auf, dass das Motiv „Rückkehr einer Gottheit“ den prophetischen Diskurs in Jerusalem z. Zt. Sacharjas dominierte. Und da Sach 1,7–17 und nicht 1,1–6 den ursprünglichen Prolog für den Zyklus der Nachtgesichte darstellte (vgl. dazu Lux, Zweiprophetenbuch, 3–26; ders., Konditionierung, 223–240), ist es geradezu geboten, den gesamten Zyklus auf diesen Vorstellungskomplex hin zu befragen.
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3. Die Kommunikation der Rückkehrbotschaft In welchen Kommunikationsvorgängen kam die Botschaft von der Rückkehr einer Gottheit zur Sprache, und wie wurden diese beschrieben? Hin und wieder wird wie in der Marduk-Prophetie22 lediglich der Sachverhalt als solcher mitgeteilt: „12Ich erfüllte meine Tage, ich erfüllte meine Jahre. 14Dann sehnte ich mich 13nach meiner Stadt Babylon 14und zum Tempel Sagila. 15Ich rief die Göttinnen alle [und] 16befahl: ‚Bringt eure Abgaben, 17ihr Länder, nach Babylon …“23
Die Feststellung Marduks, dass die Tage und Jahre seines Zorns „erfüllt“ seien, dass er Sehnsucht nach Babel und seinem Tempel Esagila habe und sich der Stadt wieder zuwenden wolle, ist hier ein Gegenstand innergöttlicher Kommunikation. Marduk enthüllt selbst als Sprecher des Textes vor dem Forum der Götter sein Vorhaben. Wie der Verfasser des Textes zu seinem Wissen kam, bleibt offen. Dem assyrischen König Asarhaddon (681–669 v. Chr.) teilten sich die „guten ‚Kräfte‘ im Himmel und auf Erden“ durch entsprechende „Vorzeichen“ mit.24 Dabei handelte es sich um die Anwendung von Praktiken der induktiven Mantik, in unserem Falle der Beobachtung des Sternenhimmels, an dem man den Willen der Götter abgelesen hat: „34Der funkelnde Jupiter, 35der die Entscheidung über Akkad trifft, näherte sich im Monat Siwan 36der Stelle, wo die Sonne 37…, stand da, strahlte hell 38und leuchtete mit überragender Lichtstärke; sein Aufleuchten war wie das Aufleuchten der Sonne vollkommen. Infolgedessen versöhnten die erzürnten Götter sich mit Akkad …“25
Es ist daher davon auszugehen, dass Offenbarungen über die Rückkehr der Götter auch auf mantische und andere rituelle Kultpraktiken zurückgeführt wurden.26 Das bedeutet, dass sich die altorientalischen Könige in der 22
Nach Hecker (TUAT II/1, 65) geht die Marduk-Prophetie auf die Zeit Nebukadnezars I. von Babylon im letzten Viertel des 12. Jh. v. Chr. zurück. 23 TUAT II/1, 67. 24 Siehe Borger, Asarhaddon, 16f, § 11, Ep.12, Fassung a: A, D und G so wie Fassung e: B. 25 Borger, Asarhaddon 17, § 11, Ep. 13, A,B,C. 26 Auch im hethitischen Telipinu-Mythos nimmt ein Kultritual die Schaltstelle in der Kommunikation zwischen den Göttern selbst sowie zwischen ihnen und den Menschen ein. Die Götter begeben sich verzweifelt auf die Suche nach dem verschwundenen Gott Telipinu. Sie senden Boten aus, einen Adler, eine Biene, die Telipinu schließlich finden. Durch ein Entsühnungs- und Evokationsritual, das von der Göttin Kamruschepa vorgenommen wird (TUAT III/4, 818f, A III), wird Telipinu von seinem Zorn befreit. Dem Reinigungsritual der Göttin Kamruschepa entspricht ein irdisches Ritual eines Priesters des Wettergottes, das im Heiligtum vollzogen wird (TUAT III/4, 820, A IV 4–19). Daraufhin kehrt Telipinu zurück, der geregelte Tempelkult kommt wieder in Gang, das ver-
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Kommunikation mit den Göttern religiöser Spezialisten bedienten, die für sie die notwendigen Vorzeichen einholten.27 Darüber hinaus ist aber auch von einer direkten Kommunikation der Götter mit den Menschen die Rede, die ihnen ihre Absichten offenbaren. So wird im Erra-Epos aus dem 7. Jh. v. Chr., in dem der Vorstellungszusammenhang von der Abwendung und der Rückkehr der Götter eine breite Aufnahme findet,28 am Ende festgehalten, dass der Text seinem Verfasser im Traum offenbart worden sei: „Der Dichter seiner Tafel ist Kabti-ilani-Marduk, Sohn des Dabibu. Er offenbarte es ihm in der Nacht, und als der (die Dichtung) im Morgenschlummer rezitierte, ließ er keine (Zeile) aus, keine einzige fügte er hinzu.“29
Die abschließende Kanonformel (vgl. Dtn 4,2; 13,1; Spr 30,5) unterstreicht den Offenbarungscharakter des Textes und die Autorität seines Verfassers. In einigen Königsinschriften schließlich wird dem König oder einer Figur in seinem Umfeld der Rückkehrbeschluss der Gottheit ebenfalls im Traum mitgeteilt. So erzählt der Bericht Nabonids (556–539 v. Chr.) über den Wiederaufbau des Echulchul in Harran, dass der Mondgott Sin, den Nabonid favorisiert hatte, einst über seine Stadt und den Tempel erzürnt war. Infolge seines Zornes ließ er den Tempel durch die Meder zerstören. Mit der Herrschaft Nabonids erfolgte schließlich die heilvolle Wende: „16(Gleich) zu Anfang meines ewigen Königtums ließen sie mich 17einen Traum 16sehen. 18Marduk, der große Herr, und Sin, die Leuchte von Himmel und Erde, 19standen beide da. Marduk sprach zu mir: 20‚Nabonid, König von Babylon, mit deinen Wagenpferden 21transportiere Ziegel, Echulchul baue und 22laß 21den großen Herrn Sin 22darin seine Wohnung nehmen!‘“30
Auf dasselbe Geschehen bezieht sich die Adad-guppi-Inschrift, der Mutter Nabonids. Nachdem ihr Sohn König geworden war, wendet sie sich im ödete Land blüht auf, und Telipinu kümmert sich erneut um Leben, Gesundheit und Zukunft von König und Königin (TUAT III/4, 820, A IV 20–26). Güterbock, Literatur, 243, und Hartenstein, Unzugänglickeit, 151, weisen darauf hin, dass der weit verbreitete Erzählstoff in der Regel mit solch einem Ritual für die Rückführung der Gottheit verbunden war. Vgl. als weitere Beispiele den Mythos vom verschwundenen Wettergott Kuliwischna (CTH 329, TUAT III/4, 821f) und den Mythos vom Verschwinden der Schicksalsgöttin Hannahanna (CTH 334, TUAT III/4, 822–824). 27 Dass diese nicht den Vorstellungen der Könige entsprechen mussten und die mit der Rückkehr der Götter verbundenen Tempelbauprojekte auch verzögern oder verhindern konnten, hat Weißflog, König, 203ff, gezeigt. 28 Vgl. die ausführliche Besprechung bei Ehring, Rückkehr, 128–135. 29 TUAT III/4, 801, 42–44. 30 TUAT II/4, 494.
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Gebet an Sin und bittet ihn eindringlich um die Wiederherstellung des Tempels Echulchul. Schließlich antwortet er auch ihr im Traum: „5Während seine [Sins, R.L.] Hände in einem Traum, den ich hatte, (mir) aufgelegt waren, 6sagte 5Sin, der König der Götter, 6zu mir: ‚Mit dir ist die Rückkehr der Götter, 7in die Hand deines Sohnes Nabonid lege ich (ihr) Wohnen in Harran!‘“31
Die Nachtgesichte des Sacharja stehen in einer gewissen Nähe zu diesen zuletzt genannten Traumoffenbarungen.32 Das wird dem Leser vor allem durch ihre Einleitung in Sach 1,8 (ėğĜğė ĜĭĜēī – „ich sah heute Nacht“) nahe gelegt.33 Allerdings gilt es zu beachten, dass das Lexem ĠğĚ – „träumen“ im gesamten Zyklus nicht begegnet.34 Legte Sacharja Wert darauf, seinen Visionsbericht von den Träumereien der „Lügenpropheten“ zu unterscheiden (vgl. Dtn 13,2ff; Jer 23,25ff), obwohl er formal in mancherlei Hinsicht den Traumberichten nahe stand?35 Die auffälligste Differenz zwischen den Nachtgesichten und den altorientalischen Königsinschriften betrifft allerdings die Kommunikationspartner selbst. In den Königsinschriften wird die Mitteilung von der Rückkehr der Gottheit über den König kommuniziert.36 Er ist ihr bevorzugter Adressat sowie die Schlüsselfigur, über die die Botschaft an seine Untertanen vermittelt und in Gestalt der Inschriften dokumentiert wurde.37 Dement31
TUAT II/4, 482. Vgl. dazu auch Ehring, Rückkehr, 114. Zum Traum und zu nächtlichen Erscheinungen als Medium der Offenbarung siehe auch Gen 20,3; 31,24; 46,2; 1 Kön 3,5; Jes 29,7; Hi 4,13; 20,8; 33,15. 33 Nach Stiglmair, ğĜğ/ėğĜğ, ThWAT IV, 561, ist „ein nächtliches Gesicht bzw. eine nächtliche Schauung […] ein Traumgesicht“. Siehe dazu für den mesopotamischen Bereich auch Zgoll, Traum, 71. Zu den formalen Gemeinsamkeiten von Traum- und Visionsberichten vgl. Richter, Traum, 215ff; Nidtich, Symbolic Vision, 134; Seybold, Bilder, 45f; Marinkoviÿ, Stadt, 64f; Hanhart, Sacharja, 47f. 34 Darauf und auf weitere gravierende formgeschichtliche Unterschiede zwischen Traum- und Visionsberichten hat Behrens, Visionsschilderungen, 279f, Anm. 27, mit Recht hingewiesen. 35 Dass Sacharja denjenigen deuteronomistischen Kreisen nahe stand, die sich kritisch mit der induktiven und intuitiven Divination auseinander setzten, ist nicht auszuschließen. Vgl. Lux, Vision, 30f. 36 Zwar konnten diese sich auch religiöser Spezialisten bedienen, die für sie durch mantische Praktiken und Rituale einschlägige Orakel einholten, doch bleiben diese anonym. Eigentlicher Adressat ist der König und sein Wirken. 37 Dass die entsprechenden Inschriften ein fester Bestandteil der Königsideologie waren und der Propaganda des Herrschers dienten, wird bereits daran deutlich, dass sie häufig mit der Thronbesteigung des jeweiligen Königs verbunden wurden und das Wirken seiner Vorgänger massiv abwerten. So kann man in den Babylon-Inschriften Asarhaddons nach seiner Selbstvorstellung lesen: „18bVormals 19unter der Regierung eines früheren Königs 20gab es in Sumer und Akkad 21böse ‚Kräfte‘“ (Borger, Asarhaddon 12, § 11, Ep. 2: A und D). Diese führten zum Verfall der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen und dazu, dass die Götter voller Zorn Stadt und Land verließen. Die Wende zum Guten trat 32
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sprechend hatte auch er dafür zu sorgen, dass alle baulichen und sonstigen Voraussetzungen für eine Rückkehr der abwesenden Gottheit erfüllt wurden.38 In den Nachtgesichten des Sacharja hingegen übernimmt der Prophet die Rolle des Königs im Rahmen der religiösen Kommunikation. 39 Das wird bereits mit der Datierung des Zyklus (Sach 1,7) durch seine(n) Herausgeber auf den 24.11. im zweiten Jahr des Dareios (= 15.2.519 v. Chr.) deutlich. Sie stellt eine Leseanweisung dar. Der folgende Text soll zwar aus der Zeit eines konkreten Herrschers heraus verstanden werden, des Perserkönigs Dareios I. (522–486 v. Chr.).40 Der Beschluss JHWHs zur Rückkehr wird aber nicht über den Reichskönig kommuniziert, sondern über einen Propheten an der westlichen Peripherie des Imperiums. 41 Ihm wird nach dem vorliegenden literarischen Konzept die Botschaft offenbart (Sach 1,16). Und er erhält den Auftrag, diesen Beschluss seinen Hörern mitzuteilen (Sach 1,14ff). Mit dem Datum und dem Namen des Königs wird lediglich ein zeitgeschichtlicher Hintergrund eingespielt. In welchem Verhältnis mit dem Regierungsantritt Asarhaddons ein: „9Am Anfang meiner Regierung, in meinem ersten 10Regierungsjahre, nachdem 11ich mich feierlich auf meinen königlichen Thron gesetzt hatte, 12gab es gute ‚Kräfte‘ 13im Himmel und auf Erden; betreffs Bewohnbarmachung der Stadt und Erneuerung der Kulträume […]“ (ebd., 16, § 11, Ep. 12, Fassung a: A,D und G. Vgl. auch Fassung e: B). Damit waren die Voraussetzungen für die Rückkehr der Götter und die Wiederherstellung der kultischen, natürlichen und sozialen Ordnung gegeben. 38 Zum König als Tempelbauer siehe Lux, König, 99ff. 39 Das gilt auch für Dtjes und Ez. Zur besonderen Problematik der Sprecher- und Adressatenfrage bei Dtjes siehe Ehring, Rückkehr, 23ff, und Berges, Jesaja 40–48, 89f. 40 Die alternativen Versuche, den Bau des Zweiten Tempels im 5. Jh. v. Chr. Dareios II. (424–404 v. Chr.) zuzuordnen (so Dequeker, Darius, 67ff, und Becking, Zerubbabel, 270f), können die Differenzen in der Darstellung der geschichtlichen Ereignisse durch Hag/Sach 1–8 einerseits sowie Esra/Neh andererseits nicht wirklich lösen. Vielmehr schaffen sie eine Fülle neuer Probleme. Vgl. Uehlinger, Figurative Policy, 337. Unter welchem Dareios hätten dann Serubbabel und Joschua gewirkt? Das Zeugnis der Bücher Haggai und Sacharja, von dem Esra 5,1f abhängig zu sein scheint, spricht eher für Dareios I. Darüber hinaus gibt es außerbiblische Indizien für eine Wirksamkeit Serubbabels unter Dareios I. Siehe dazu Meinhold, Serubbabel, 194ff. Auch Kratz, Judentum, 79ff, kommt in seiner literarischen Analyse der Befunde zu dem Ergebnis, dass es nach Hag 1,1*.4.8; 2,1.3.9b bereits z. Zt. Dareios I. zu Bemühungen um den Wiederaufbau des Tempels kam. Ob dabei Serubbabel und Joschua wirklich nur in redaktionellen Texten mit dem Tempelbauprojekt in Verbindung gebracht wurden, scheint mir mit Blick auf Hag 2,4 fraglich zu sein. 41 Ein völlig anderes Kommunikationsmuster weist das sogenannte Kyros-Edikt in Esra 1,1–4 auf. Hier ist der persische Reichskönig Kyros diejenige Gestalt, die – von JHWH inspiriert – die Rückkehr der Exulanten (nicht JHWHs selbst!) und den Tempelbau veranlasst.
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der Perserkönig selbst zu den in den Nachtgesichten angesprochenen Vorgängen stand, bleibt völlig offen. Dieses veränderte Kommunikationskonzept verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass es in prophetischen Kreisen in frühnachexilischer Zeit zwar konkrete Hoffnungen auf eine Wiedererrichtung der davidischen Dynastie unter Serubbabel gab (Hag 2,21–23; Sach 4,6aƞ–10a), die aber wohl schon recht früh gescheitert sind.42 So blieb die Position des judäischen Königs vakant. Daher ging die mit dem Rückkehrbeschluss JHWHs verbundene Initiative zum Wiederaufbau des Tempels von Jerusalem nach dem Zeugnis der Zwillingspropheten Haggai und Sacharja weder vom Statthalter Judas (ėĖĘėĜ ĭĚħ), Serubbabel, und dem Hohenpriester (ğĘĖĕė ĢėĞė), Joschua aus, noch von der persischen Reichsregierung,43 sondern allein von JHWH und seinen Propheten. Sie mussten die zuständigen Institutionen und maßgeblichen Personen erst dazu bewegen, das Tempelbauprojekt in Angriff zu nehmen.44
4. Die Nachtgesichte Nachdem erste Gemeinsamkeiten und Differenzen in der Darstellung der Kommunikation des Beschlusses der Rückkehr einer Gottheit in ihr „Eigentum“45 deutlich geworden sind, gilt es jetzt, den Zyklus der Nachtgesichte selbst eingehender zu betrachten. Welche Elemente des angesprochenen Vorstellungskomplexes werden rezipiert? 42 Darauf verweisen die redaktionellen Texte in Sach 3,8b; 6,12, die nur noch von einem „Spross“ (Ěġĩ) reden, nicht aber mehr von Serubbabel selbst. Zwar liegt es nahe, dass auch diese Texte noch auf die Person Serubbabels anspielen ( ğĔĔīę = akkad. Zer-Babili = Spross Babels). Jedoch bleibt diese Vermutung unsicher, solange nicht schlüssig erklärt werden kann, warum die späteren für israelitische Leser schreibenden Redaktoren eben nicht mehr den Namen ğĔĔīę verwendeten, sondern die Bezeichnung Ěġĩ. WilliPlein, Sacharja, 88, vermutet, dass es sich um eine Art „Deckname“ gehandelt habe. Wozu soll der aber notwendig gewesen sein, wenn – wie Willi-Plein (ebd., 37f) – selbst betont – Serubbabel für den persischen Reichskönig keinerlei politische Gefahr darstellte? 43 So Jes 44,28; 45,13 und das Kyrosedikt in Esra 1,2f; 6,3f; 2 Chr 36,23. Zur Quellenlage und umstrittenen Historizität des Kyrosediktes siehe Lux, Der Zweite Tempel, 122–127. 44 Vgl. Hag 1,1.12–14; 2,1f und Lux, Der Zweite Tempel, 133ff. Zum König als Tempelbauer siehe Lux, König, 99ff. 45 Die Begriffe ėğĕĤ und ėęĚē begegnen in den einschlägigen Texten nicht, stehen aber sachlich im Hintergrund der Vorstellung. Die Rückkehr der Götter in ihr angestammtes Land und Volk, ihre Stadt und ihren Tempel impliziert ein dauerhaftes Besitzverhältnis, das durch die vorübergehende Abwesenheit nicht erloschen ist.
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4.1. Die Programmvision – JHWHs Reiterei Das erste Nachtgesicht (Sach 1,8–17) kann als „Programmvision“ 46 für den gesamten Zyklus gelesen werden. In ihm erfährt der Prophet etwas über den Sinneswandel JHWHs und seinen Entschluss, nach Jerusalem zurückzukehren. Die folgenden Visionen beschreiben dann die einzelnen Schritte, in denen sich diese Rückkehr vollzieht. In der Vision sieht Sacharja einen Reiter auf einem roten Pferd, der zwischen den Myrten an der Meerestiefe steht, sowie weitere Reiter auf verschiedenfarbigen Pferden (V. 8). Sacharja befragt den Reiter auf dem roten Pferd, was es mit den anderen Reitern auf sich habe (V. 9). Daraufhin antwortet dieser ihm, dass die Reiter von JHWH ausgesandt worden seien, um die Ĩīē („Erde/Land“)47 zu durchziehen (V. 10). Bereits diese ersten Informationen setzen ein bestimmtes Raumkonzept voraus. Zwischen JHWH und der Erde besteht offensichtlich eine räumliche Distanz. Über die Vorgänge auf ihr lässt er sich durch reitende Boten informieren. JHWH selbst befindet sich danach nicht auf der Erde bzw. in dem zu inspizierenden Land. Die Boten kehren in der Nacht (V. 8a) von ihrem Inspektionsritt zurück und erstatten dem Reiter auf dem roten Pferd Rapport (V. 11a). Sie nähern sich also wieder der Sphäre JHWHs an, von dem sie ausgesandt worden waren. Das lässt Rückschlüsse auf den Ort zwischen den Myrten an der Meerestiefe zu, an dem sich der Reiter auf dem roten Pferd befindet. Er steht auf der Grenze zwischen der Ĩīē und dem Bereich JHWHs. Aller Wahrscheinlichkeit nach sollten die Leser damit keinen irdischen Ort im Umfeld des Jerusalemer Tempelareals assoziieren,48 sondern einen mythischen Ort. Die Bildkonstellation legt ein Horizont- oder Himmelstor nahe,49 das von einem himmlischen Wesir, dem Reiter auf dem roten Pferd, bewacht wird. Die Ikonographie des Alten Orients bietet zahlreiche Belege der Bild46
Ob es sich beim ersten Nachtgesicht um die „Berufungsvision“ Sacharjas handelt (so Delkurt, Nachtgesichte, 71ff, und Pola, Priestertum, 44f), bleibt fraglich, da eine frühere Phase der Wirksamkeit des Propheten in Babylon nicht ausgeschlossen werden kann. Vgl. dazu Lux, „… damit ihr erkennt ...“, 277ff. 47 Der Text lässt keine eindeutige Entscheidung zu, ob hier von der Erde als ganzer oder nur von einem bestimmten Land die Rede ist, etwa dem persischen Großreich. In Sach 2,4.10; 5,11; 6,6.8; 7,5; 8,7 wird die Ĩīē als ein bestimmtes „Land“ durch einen Eigennamen oder ein anderes Nomen näher bestimmt. Wenn dagegen in 1,11; 4,10.14; 5,3; 6,5 lediglich von ĨīēėČğĞ die Rede ist, kann sowohl „die ganze Erde“ oder „das ganze Land“ gemeint sein. Die Entscheidung ist nur vom jeweiligen Kontext her zu treffen. 48 So u.a. Rudolph, Sacharja, 75. 49 So auch Horst/Robinson, Kleine Propheten, 219; Hanhart, Sacharja, 71ff; Jeremias, Nachtgesichte, 113ff; Keel, Jerusalem, 1012f; Lux, Vision, 36ff, u.a. Unentschlossen bleibt Willi-Plein, Sacharja, 62.
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konstellation „Himmelstor, flankiert von zwei Bäumen und einem oder zwei Wächterfiguren“.50 Unterstützt wird diese Annahme dadurch, dass es sich bei den Reitern auf den verschiedenfarbigen Pferden um JHWHs himmlische Reiterei handelt, die in seinem Auftrag auf der Erde unterwegs ist. Das irdische Vorbild für dieses Bildmotiv mag die berühmte persische Reiterei abgegeben haben, die mit ihren Botenreitern in einem präzise durchorganisierten Postwesen jedermann im persischen Weltreich sichtbar vor Augen stand und auch in der Ikonographie zahlreiche Spuren hinterließ.51 Die räumliche Distanz zwischen JHWH und der Erde, die seine Abwesenheit signalisiert, wird nicht nur durch dieses Bildprogramm in Szene gesetzt, sondern zusätzlich auch dadurch unterstrichen, dass der Mann auf dem roten Pferd zwischen den Myrten aus V. 8 in V. 9b mit dem angelus interpres (ĜĔ īĔĖė ĝēğġė) und in V. 11a eindeutig mit dem dort erwähnten Boten/Engel JHWHs (ėĘėĜ ĝēğġ) identifiziert wird.52 Zwischen JHWH und seinem Propheten gibt es demnach keine direkte, sondern nur eine indirekte über den Deuteengel vermittelte Kommunikation. JHWH selbst hat sich ganz hinter einen undurchschaubaren Vorhang in die Transzendenz zurückgezogen. Er ist abwesend, für die Bewohner des Landes unzugänglich. Wo er sich befindet, lässt der Text offen, jedenfalls nicht diesseits, sondern jenseits des Tores oder der mit ihm markierten Grenzlinie. Mit dieser ins Bild gesetzten Abwesenheit JHWHs wird ein erstes wichtiges Motiv eingespielt, das den Vorstellungskomplex „Rückkehr der Gottheit“ konstituiert. Die Botschaft, die die Reiter von ihrem Inspektionsritt mitbringen, lautet: „Siehe, die ganze Erde liegt da und ist ruhig“ (V. 11b). Das Verb ěĪĬ, „ruhig/still sein“, begegnet vor allem „im Kontext von Kriegsereignissen“.53 Dabei bezeichnet es die ruhigen, friedlichen Phasen vor54 oder nach55 einer militärischen Auseinandersetzung. Möglicherweise spielt die Nachricht der Reiter auf die Situation nach der Niederwerfung der durch den Magier 50 Diese These wird durch die zentrale Leuchtervision in Sach 4 und die Schlussvision in 6,1–8 gestützt, die – wie sich noch zeigen wird – ebenfalls als Himmelstorszenen zu deuten sind. Die Kombination der Myrten mit der Meerestiefe (ėğĩġ) erinnert an die babylonische Weltkarte aus Borsippa. Auch auf ihr bildet das Meer den Horizont der Erdscheibe und damit den Übergang vom „historisch-realen Raum in den mythischen Raum“. Vgl. dazu Pongratz-Leisten, mental map, 274ff. 51 Vgl. dazu Uehlinger, Figurative Policy, 339f. 52 Siehe zu den unterschiedlichen Bezeichnungen des Mannes auf dem roten Pferd im ersten Nachtgesicht und ihrer literarischen Funktion Lux, Wer spricht mit wem?, 286ff. 53 Siehe Bons, ěĪĬ, ThWAT VIII, 450ff. 54 Vgl. Ri 18,27; Jer 48,11ff; Ez 38,10f. 55 Siehe Jos 11,23; 14,25; Jes 14,7; Jer 30,10; 46,27.
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Gaumata ausgelösten Serie von Aufständen an, die 522/21 v. Chr. große Teile des persischen Weltreiches erschüttert hatten, und über die uns die Bisotun-Inschrift ausführlich informiert.56 Im Februar 519 v. Chr. (= 24.11. im 2. Jahr des Dareios) galt das persische Weltreich weitestgehend als befriedet.57 Dareios I. hielt die Zügel der Macht wieder fest in der Hand. Für den Engel JHWHs, der die Botschaft der Reiter entgegennahm, war das allerdings kein Grund zur Beruhigung. Vielmehr bewegt ihn die Frage, wie es nun mit Jerusalem und den Städten Judas an der westlichen Peripherie des Weltreiches weitergehen solle. Die missliche Lage Jerusalems und Judas führt er auf den Zorn JHWHs zurück, der nun schon annähernd siebzig Jahre anhalte (V. 12). Mit dieser Frage spielt der Verfasser der Nachtgesichte zwei Standardmotive ein, die den Vorstellungszusammenhang „Rückkehr der Gottheit“ entscheidend prägen: den der Rückkehr vorausgehenden Zorn der Gottheit sowie die Angabe einer Frist für diesen Zorn.58 So heißt es in der BabylonInschrift Asarhaddons: „34Da ergrimmte der Enlil (Herr) 35der Götter, Marduk; um das Land niederzuwerfen 59 36und seine Bewohnerschaft zu verderben, 37sann er Böses.“
Daraufhin verlassen die Götter die Stadt und das Land. Sie entfernen sich aus ihren Heiligtümern und fliegen „wie die Vögel zum Himmel“.60 Die Bewohner der Stadt flüchten in fremde Länder und geraten in Gefangenschaft und Sklaverei. In dem Bericht Nabonids über den Wiederaufbau des Echulchul in Harran kann man lesen: „I 8Echulchul war der Tempel des Sin in Harran, 9in dem seit ewigen Zeit Sin, der große Herr, 10eine angenehme Wohnung begründet hatte: 11Über diese Stadt und diesen Tempel war sein Herr erzürnt geworden, 12und er hatte den Meder aufgeboten, und (d)er hatte diesen Tempel zerstört und 13ihn zur Ruine werden lassen. Während meiner rechtmäßigen Regierungszeit 15wurde 14Sin, der große Herr, aus Liebe zu meinem Königtum 15mit dieser Stadt und diesem Tempel (wieder) freundlich (und) bekam Erbarmen.“61
Der durch schweres Fehlverhalten ausgelöste Zorn der Götter führt also zu ihrer Abwesenheit und katastrophalen Folgen für die Landesbewohner. Nach einer bestimmten, meist mit dem Regierungsantritt eines neuen Kö56
Siehe dazu Wiesehöfer, Aufstand, sowie die Übersetzung der Inschrift durch Borger/Hinz (TUAT I/4, 419–450). 57 Allerdings sah sich Dareios I. auch noch im zweiten und dritten Jahr seiner Regentschaft mit Aufständen der Elamer und der Skythen konfrontiert (vgl. § 71–76 der Bisotun-Inschrift in TUAT I/4, 448f). 58 Vgl. auch Ehring, Rückkehr, 102f.109. 59 Borger, Asarhaddon, 13, Episode 5, Fassung a: A und D. 60 Borger, Asarhaddon, 14, Episode 8, Fassung a: A, B und D. 61 TUAT II/4, 494.
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nigs gegebenen Frist, wendet sich das Blatt. Die Gottheit wird – wie im Falle Nabonids – wieder milde gestimmt und wendet sich der Stadt erneut zu.62 In der Babel-Inschrift Asarhaddons entspricht die Strafzeit sogar exakt der in Sach 1,12 und 7,5 genannten Zeitspanne: „2bObgleich er (Marduk) 70 Jahre 3als die Frist seiner Entvölkerung 4(auf die Schicksalstafeln) geschrieben hatte, hat der barmherzige 5Marduk, nachdem sein Herz alsbald 6zur Ruhe gekommen war, 7die Ziffern vertauscht, 8und seine Wiederbebauung im 11. Jahre 63 9befohlen.“ „… er (Marduk) fasste Erbarmen und sprach: ‚Friede!‘“64
Marduk hatte Babylon eine Straffrist von 70 Jahren zugedacht, diese aber in seiner Barmherzigkeit auf 11 Jahre verkürzt.65 Wahrscheinlich handelte es sich bei den 70 Jahren um eine im Alten Orient bekannte symbolische Zeitspanne von Unheil und Strafe. Als solche wird sie auch in Jes 23,15 für Tyros sowie in Jer 25,11f; 29,10; Dan 9,2 und 2 Chr 36,21 als Straffrist für Juda und Jerusalem genannt.66 Auch JHWH kündigt nach Sach 1,13ff offensichtlich das Ende dieser Frist für Juda und Jerusalem an. Er antwortet dem angelus interpres mit „guten und tröstlichen Worten“ (1,13). Der Inhalt der „guten und tröstlichen Worte“ wird dem Propheten dann in den drei JHWH-Worten Sach 1,14b–15.16 und 17 mitgeteilt. Dabei bezieht sich das erste JHWH-Wort ganz und gar auf den ersten Schritt der Wiederherstellung Judas und Jerusalems, die innere Wandlung JHWHs vom Zorn zum Erbarmen:67 „14bIch eifere68 für Jerusalem und für den Zion einen großen Eifer69. 62
Für Harran währte diese Frist 54 Jahre. Vgl. Ehring, Rückkehr, 109. Borger, Asarhaddon, 15, Episode 10, Fassung a: A und D. 64 Borger, Asarhaddon, 15, Episode 10, Fassung b: B. 65 Vgl. dazu Albani, 70-Jahr-Dauer. 66 Ob Sacharja; Jer 25,11f; 29,10 als Vorlage rezipiert hat (so Rudolph, Sacharja, 78; Hanhart, Sacharja 59f; Delkurt, Nachtgesichte, 60, u.a.) oder umgekehrt (so Wanke, Jeremia, 226.265ff), ist eine schwer zu entscheidende Frage. Wahrscheinlich handelt es sich bei den 70 Jahren um eine allgemein bekannte Symbolzahl, so dass weder Sacharja auf Jeremia, noch Jeremia auf Sacharja Bezug genommen haben muss. Vgl. Kratz, Translatio, 260ff; Willi-Plein, Sacharja, 66; Fischer, Jeremia, 741f. 67 Vgl. Ehring, Rückkehr, 116. 68 ĜĭēģĪ ist hier als perfectum propheticum wiederzugeben (siehe Gesenius/Kautzsch/Bergsträsser, Grammatik, 323, § 106n), da ja die Vergangenheit nach V. 12 ganz und gar von dem 70-jährigen Zorn JHWHs gekennzeichnet war, der bis zur Stunde anhielt. 69 ēģĪ Pi. + ğ kennzeichnet hier den leidenschaftlichen Einsatz JHWHs für Jerusalem im ganz und gar positiven Sinne. Vgl. HAL, 1037. 63
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15Aber einen großen Zorn zürne ich über die selbstsicheren Völker, denen ich nur wenig gezürnt habe. Sie aber halfen zum Bösen.“
Der 70-jährige Zorn JHWHs hat sich in einen leidenschaftlichen Eifer und Einsatz für Jerusalem und den Zion gewandelt. Dieser Eifer wird konkret im großen Zorn über die selbstsicheren Völker. Diese hatten offenbar als Werkzeuge JHWHs ihren Strafauftrag gegenüber Israel und Juda überzogen70 und auf diese Weise zum Bösen beigetragen. Die innere Wandlung der Gottheit vom Zorn zum Erbarmen bildet die unabdingbare Voraussetzung für die äußere Rückkehr der Gottheit in ihre Stadt und ihren Tempel. So wie in der Babylon-Inschrift Asarhaddons ist auch in den Nachtgesichten die Schicksalswende Jerusalems und Judas allein in der Barmherzigkeit der jeweiligen Gottheit begründet, dort Marduks, hier JHWHs.71 Das zweite JHWH-Wort der Programmvision (V. 16) kündet nach der inneren Wandlung nun als zweiten Schritt die äußere, sichtbare Rückkehr JHWHs nach Jerusalem und in seinen Tempel an:72 „Darum, so spricht JHWH: Ich kehre zurück nach Jerusalem mit Erbarmen. Mein Haus möge in ihm gebaut werden – Spruch JHWH Zebaots – und die Messschnur soll ausgespannt werden über Jerusalem.“
JHWH hat seine Rückkehr nach Jerusalem beschlossen. 73 Für deren Realisierung ist allerdings ein umfangreiches Bauprogramm notwendig, das die Herrichtung von Tempel und Stadt betrifft. Die Ankündigung der Rückkehr tangiert das Raumkonzept der Vision. JHWH will offensichtlich nicht länger hinter der für den Menschen unpassierbaren Grenze seines kosmologisch-mythologischen Bereiches verbleiben, in den er sich zurückgezogen hat. Vielmehr kündigt er die Überschreitung dieser Grenze aus der Transzendenz in die Immanenz an, aus seinem jenseitigen Heiligtum 70
Vgl. Jer 20,4ff; 21,7; 27,6; Jes 10,5ff; 43,28; 47,6 u.ö. Siehe Ehring, Rückkehr, 124.153. 72 Der klare thematische Zusammenhang zwischen der inneren Wandlung der Gottheit (V. 14b–15) und ihrer äußeren Rückkehr (V. 16), der in nahezu allen altorientalischen Belegtexten gegeben ist, widerspricht jedem Versuch in Sach 1,16–17 einen sekundären epexegetischen Zusatz eines Redaktors zum 1. Nachtgesicht ausmachen zu wollen. Anders Schöttler, Gott, 56ff; Uehlinger, Figurative Policy, 338; Reventlow, Sacharja, 43ff; Kratz, Judentum, 83, u.a. Ebenfalls widerspricht er den Versuchen von Marinkowiÿ, Tempel, 281ff, und Delkurt, Sacharja, 27ff, alle Bezüge auf den Jerusalemer Tempel und den Kult der Verkündigung Sacharjas abzusprechen. 73 Hier liegt ebenfalls wie in V. 14b ein perfectum propheticum vor. Vgl. Anm. 68. 71
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in seinen irdischen Tempel, in dem sich die Sphären des himmlischen und des irdischen Wohnens der Gottheit überschneiden.74 Auch die altorientalischen Vergleichstexte verbinden die Rückkehrthematik immer mit solchen Wiederaufbaumaßnahmen verfallener Städte und Tempel. So heißt es in der Babylon-Inschrift Asarhaddons: „29bDie erzürnten Götter 30...31zeigten betreffs des Wiederaufbaus von Babel 32und der Erneuerung von Esagila 33beständig günstige ‚Kräfte‘.“75
Nach der Fertigstellung der Tempel kommt es dann zu einer Heimholung der verschleppten Götterbilder: „5Die geraubten Landesgötter 6habe ich aus 7Assyrien 8und Elam 9an ihren Ort zurückgebracht, 10und in allen Kultstätten 11habe ich das notwendige Zubehör hergestellt.“76
Als weiteres Beispiel sei wieder auf die Harran-Inschrift Nabonids verwiesen. Der Wiederaufbau des Echulchul und die Rückführung seiner Götterbilder gehören zur zentralen Botschaft der Inschrift: „IMarduk sprach zu mir: 20‚Nabonid, König von Babylon, mit deinen Wagenpferden 21trasportiere Ziegel, Echulchul baue und 22lass 21den großen Herrn Sin, die Leuchte von Himmel und Erde, 22darin seine Wohnung nehmen.“77
Nach der Fertigstellung des Tempels erfolgt dann mit der Rückführung der Götterbilder seine Indienstnahme: „II 19Die Hand von Sin, Ningal, Nusku und Sadarnunna 20ergriff ich 19von Babylon, meiner Königsstadt, aus und 21ließ (sie) 19in Freuden und Jubel 20eine angenehme Wohnung darin nehmen. 22Ein reines Prachtopfer brachte ich dar und 23bot Begrüßungsgeschenke an. Echulchul füllte ich mit Jubel, und 24den Glanz von Harran 25machte ich 24für sein ganzes Gebiet 25hell wie den Aufgang des Mondes.“78
Der Konnex zwischen Wiederaufbau und sichtbarer Rückkehr der Götterbilder gab – wie noch zu zeigen ist – auch das Vorbild für die Rückkehr des bilderlosen JHWH in den Nachtgesichten ab. Dass davon nicht nur die Stadt und der Tempel profitierten, zeigt schließlich das dritte JHWH-Wort in V. 17: „Noch einmal künde! So spricht JHWH Zebaot: Noch einmal sollen meine Städte überfließen von Gutem. Und trösten wird JHWH noch einmal Zion, und erwählen wird er noch einmal Jerusalem.“ 74
Vgl. dazu Janowski, Himmel auf Erden, 229ff; ders., Wohnung, 27ff. Borger, Asarhaddon, 16, Episode 12, Fassung a: A, D und G. 76 Borger, Asarhaddon, 25, Episode 36: C und F. Vgl. Zum Motiv der Rückführung der Götter auch Berlejung, Notlösungen, 219f. 77 TUAT II/4, 494. 78 TUAT II/4, 496. 75
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JHWHs Trost und Erwählung gelten nicht allein dem heiligen Berg Zion (vgl. Sach 8,3) mit seinem Tempel und der Gottesstadt. Vielmehr wird der Wiederaufbau Jerusalems und des Tempels auf das Wohlergehen aller Städte Judas positiv ausstrahlen. Dass die Strahlkraft des Tempels und der Gottesstadt positive Auswirkungen auf die Dynastie des Königs und das gesamte Land haben würde, ist ebenfalls ein fester Topos in den Texten von der Rückkehr einer Gottheit: „1Ein ‚gerechtes‘ Zepter, 2das das Land erweitert, 3einen ‚zornigen‘ Herrscherstab, 4der die Unbotmäßigen unterwirft, 5mögen sie (sic. die Götter) mir in die Hand geben; 6meine Waffen 7mögen sie sich erheben lassen, 9meine Feinde 8mögen sie töten 10und mich mit Triumph 11und Sieg 12über meine Feinde 13stellen. 14Regengüsse und Hochwasser, 15Gelingen der Ernte, Reichlichkeit 16des Getreides, Fülle 17und Überfluss mögen sie in meinem Lande 18bewirken; 19f sie mögen das Getreide haufenweise aufschütten.“79
Damit dürfte hinreichend deutlich geworden sein, dass das erste Nachtgesicht das gesamte Programm von der Abwendung und erneuten Wiederzuwendung einer Gottheit, von ihrem Zorn und ihrer Barmherzigkeit enthält. Keines der konstituierenden Motive fehlt. Sacharja hat mit dem geprägten Vorstellungskomplex ein altorientalisches Muster der theologischen Geschichtsdeutung und Krisenbewältigung übernommen. Die Zerstörung Jerusalems, des Tempels und der Städte Judas war nicht die Folge der Ohnmacht JHWHs gegenüber den Göttern der Babylonier. Vielmehr waren sie zurückzuführen auf JHWHs Zorn über den Ungehorsam des Landes, der Stadt und ihrer Bewohner. JHWH selbst hatte das Land, die Stadt und den Tempel verlassen, sie fremden Völkern preisgegeben und sich für die festgesetzte Frist von 70 Jahren hinter einen undurchsichtigen und unzugänglichen Vorhang der Transzendenz zurückgezogen. Nach Ablauf dieser Frist hat er sich aus freien Stücken und lauter Barmherzigkeit zur Rückkehr entschlossen. Dieses verbreitete Konzept der theologischen Geschichtsdeutung ermöglichte es Israel auch in der Katastrophe an seinem Glauben an die Geschichtsmächtigkeit JHWHs festzuhalten.80 Die folgenden Nachtgesichte gestalten dieses Konzept der Programmvision weiter aus und entfalten einzelne Aspekte der Rückkehr. 4.2. Vier Hörner und vier Schmiede Im zweiten Nachtgesicht (Sach 2,1–4) sieht der Prophet vier Hörner und vier Schmiede. Seine Frage an den angelus interpres, was dies zu bedeuten habe, wird damit beantwortet, dass die Hörner die Völker seien, die Juda, Israel und Jerusalem zerstreut haben (V. 2). Die Schmiede hingegen seien gekommen, um die Hörner in Panik zu versetzen und abzuschlagen. Im 79 80
Borger, Asarhaddon, 27, Episode 39, Fassung a: A, C und AC. So auch Ehring, Rückkehr, 157.
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Horn (ĢīĪ) verdichtet sich im gesamten Alten Orient und im Alten Testament symbolisch das Potenzial einer aggressiven militärischen Macht (vgl. Dtn 33,17; 1 Kön 22,11; Ez 29,21; Ps 148,14; 112,9; Hi 16,15; Klgl 2,3.17). 81 Besonders eindrücklich sind die gehörnten Löwenmonster in den Türlaibungen im Palast Dareios I. in Persepolis, die den königlichen Helden als Chaosbezwinger darstellen.82 Die Vierzahl83 der Hörner bringt die Gesamtheit84 der Feinde Judas und Israels zum Ausdruck, die (aus allen vier Himmelsrichtungen kommend?) zu ihrer Exilierung beigetragen haben; in erster Linie sicherlich die Assyrer und die Babylonier,85 darüber hinaus aber auch alle anderen, die gegen JHWHs Volk Krieg geführt haben. Am Anfang der Rückkehr JHWHs nach Jerusalem steht also die Vernichtung der Feinde Judas. Genau damit beginnt auch in den altorientalischen Rückkehrtexten häufig das angesagte Heil. Nabonid erhebt im Traum einen Einwand gegen den Auftrag zum Wiederaufbau des Echulchul: „23Ehrfürchtig sprach ich zum Enlil der Götter, Marduk: 24‚Diesen Tempel, den zu bauen du befahlst, 25umstreift der Meder, und dessen Macht ist sehr stark.‘ 26Marduk sprach zu mir: ‚Der Meder, von dem du sprachst: 27Ihn, sein Land und die Könige, die ihm zur Seite gingen, gibt es nicht (mehr).‘ 28Als das dritte Jahr kam, 29boten sie gegen ihn den Kyros auf, den König von Anzan, seinen jungen Sklaven. 30Mit seinen wenigen Truppen 31zerstreute er 30die zahlreichen Meder.“86
Und in der Babylon-Inschrift Asarhaddons begann das Ende der Straffrist ebenfalls mit dessen Berufung zum König und der Auslöschung seiner Feinde: „9bEben mich, 10Asarhaddon, 11hast du, um jenen Übelstand 12abzuhelfen, 13inmitten meiner älteren Brüder 14getreulich berufen 15und deinen wohltuenden Schirm über mich ausgebreitet. 16Alle meine Feinde 17hast du wie ein Wogenschwall niedergeworfen und alle 87 18meine Gegner getötet.“
81
Siehe dazu Süring, Horn-Motif, und Boda, Horns, 22ff. Siehe die Abbildung in Koch, Es kündet Dareios, 131. 83 Vgl. Kreuzer, Zahl, 1160. 84 Auch sonst verwendet Sacharja die „Vier“ als Begriff für die Gesamtheit der vier Wind- und Himmelsrichtungen (Sach 2,10; 6,1.5, vgl. auch Gen 2,10; Jer 49,36; Ez 37,9; 42,20; Dan 7,2; 8,8; 11,4). Siehe dazu auch Kreuzer, Zahl, 1160. 85 Wenn man die Vierzahl als zwei Hörnerpaare deutet, dann könnte man auch nur an diese beiden mesopotamischen Großmächte denken. So Good, Vision, 56ff, und Boda, Horns, 26. 86 TUAT II/4, 494f. 87 Borger, Asarhaddon, 16, Episode 11: A und D. 82
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Dieser erste Schritt für die Rückkehr JHWHs ist bereits vollzogen. Der äußere Feind, die fremden Völker sind besiegt. Die Schmiede 88 „kamen“ (V. 4b: ĘēĔĜĘ), um die Hörner zu vernichten. Sacharja hatte eine Botschaft, die nicht nur aus Zukunftsmusik bestand, er konnte auf bereits geschehene Fakten verweisen: auf das Ende der Bedränger Israels. Gleichzeitig ist auch mit diesem Nachtgesicht ein Raumkonzept verbunden, das von außen nach innen, von der Peripherie ins Zentrum führt. Nach der Niederwerfung der äußeren Feinde können die Vorbereitungen im Inneren, in Jerusalem, für die Rückkehr JHWHs getroffen werden. 4.3. Der Wiederaufbau Jerusalems Davon berichtet das dritte Nachtgesicht, in dem der Visionär einen jungen Mann mit einer Messschnur sieht, der das neue Jerusalem in seiner Breite und seiner Länge ausmessen will (2,5–9.17).89 In ihm werden offensichtlich unterschiedliche Wiederaufbaukonzepte für die Stadt thematisiert, die sich an persische Vorbilder anlehnen. 90 Während der junge Mann möglicherweise für Jerusalemer Kreise steht, die ein rechteckiges perserzeitliches Städtebaukonzept mit einer Stadtmauer favorisieren, votiert Sacharja für eine „Stadt ohne Mauern“, die dem Konzept der offenen persischen Residenzstädte entspricht.91 JHWH selbst will als feurige Mauer die Stadt schützen und in Gestalt seines ĖĘĔĞ in ihrer Mitte sein (V. 9). Noch handelt es sich bei dieser Zusage JHWHs um den künftigen Status der Stadt.92 JHWHs „Herrlichkeit“ ist noch nicht wieder in ihrer Mitte 88
Ebenso wie es letztlich offen bleibt, welche konkreten geschichtlichen Mächte hinter den vier Hörnern stehen, so lässt sich auch nicht mehr mit Sicherheit ausmachen, wen Sacharja und seine Leser mit den vier Schmieden verbunden haben. Waren damit – wie in Dan 10,11ff – „Engelfürsten“ gemeint (so Hanhart, Sacharja, 106f.111), oder geschichtliche Mächte (Babylon, Persien?) die als „divine agents“ den Willen JHWHs vollstreckten (Meyers/Meyers, Sacharja, 139), oder verbarg sich hinter dem Bild eine Anspielung auf die ĠĜĬīĚ, die 597 v. Chr. mit Jojachin nach Babel verbannt wurden (2 Kön 24,14.16; Jer 24,1; 29,1)? 89 Die V. 10–16 sind kein ursprünglicher Bestandteil des Nachtgesichtes. Sie richten sich nicht mehr an die Jerusalemer, sondern an die Angehörigen der Gola. Wahrscheinlich stellen sie eine Nachinterpretation aus der Hand des Propheten oder seiner Schüler dar, mit der dieser seine prophetische Autorität verteidigt und dabei auf ältere Worte aus einer früheren Wirkungsphase unter den Exulanten zurückgreift. Vgl. dazu Lux, „… damit ihr erkennt ...“, 271ff. V. 17 hingegen könnte durchaus den ursprünglichen Abschluss des Nachtgesichtes gebildet haben und stellt bereits den Übergang zur Leuchtervision in Sach 4 her. Dazu Lux, „Still alles Fleisch ...“ , 185ff. 90 Vgl. Lux, Das neue und das ewige Jerusalem, 90ff. 91 Als Beispiele dafür können Pasargadae, Persepolis und Susa genannt werden. So mit guten Argumenten Marinkoviÿ, Stadt, 109ff. 92 Vgl. das doppelte Impf. von ėĜė in V. 9a und b.
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(seinem Tempel?)93 anwesend. Er ist noch nicht zurückgekehrt,94 aber er sagt seine künftige Anwesenheit zu. Vor seiner „Einwohnung“ in Jerusalem bedarf es dem altorientalischen Rückkehrkonzept entsprechend offensichtlich der Realisierung der in 1,16 angesprochenen und in 2,5–6 in Angriff genommenen Bauprojekte.95 Dieses Nachtgesicht gibt uns wichtige Informationen darüber, wie man sich im vor- und frühnachexilischen Juda die Anwesenheit JHWHs in seiner Stadt und seinem Tempel vorstellte.96 Eine Rückführung durch den König in Gestalt der Götterbilder kam natürlich bei einer bildlosen JHWH-Verehrung nicht in Betracht. Gleichwohl repräsentiert das Bildwort von der „Feuermauer“ (Ĭē ĭġĘĚ)97 und die Rede von der „Herrlichkeit“ (ĖĘĔĞ) die sichtbare Gestalt des unsichtbaren Gottes JHWH. Mit beiden Topoi kommen Licht- und Glanzphänomene zur Sprache. Die Feuermauer bringt die verbreitete Feuersymbolik zur Sprache, die mit der Epiphanie JHWHs verbunden ist.98 Sie demonstriert die wehrhafte Seite des Gottes Israels.99 Auch der ĖĘĔĞ kann die Erscheinung JHWHs im Feuer und in einer Rauchwolke100 bezeichnen, bringt aber auch seinen Lichtglanz als heilvolle Präsenz in seinem Heiligtum zum Ausdruck. 101 Die Nähe unseres Textes zur Tempelvision des Ezechiel vom Auszug (Ez 10; 93 Wenn sich JHWH in Gestalt seines ĖĘĔĞ in Ez 11,23 „aus der Mitte der Stadt“ (īĜĥė ĝĘĭ ğĥġ) entfernt, dann bezeichnet diese Mitte offensichtlich das Tempelareal. Auf dieses dürfte sich demnach auch die Zusage in Sach 2,9b beziehen. So auch Ehring, Rückkehr, 192. 94 Auch dieser Sachverhalt spricht für eine Übersetzung des ĜĭĔĬ in 1,16 als perfectum propheticum. Vgl. Anm. 73. 95 Das entspricht ganz und gar dem Konzept des Verfassungsentwurfes Ezechiels. Auch dort erfolgt die Rückkehr des ėĘėĜ ĖĘĔĞ erst nach der Wiederherstellung des Tempels (vgl. Ez 40,1–43,12). 96 Siehe dazu Ehring, Rückkehr, 168ff.191ff. 97 Das Bildwort erinnert an die „eherne Mauer“ (ĭĬĚģ ĭġĘĚ) in Jer 1,18; 15,20. 98 Siehe z.B. Gen 19,24; Ex 3,2; 13,21f; 19,18; 20,18; 24,17; Num 9,15; 14,14; Dtn 4,12.15.33.36; 1 Kön 18,38; 2 Kön 1,10.12; Am 1,4.7.10.12.14; 2,2.5; Jes 29,1ff; 30,27.30; Jer 17,27; 49,27; Ps 46,10; 104,4. 99 Ein zeitgeschichtlicher Bezug auf die Feueraltäre der Residenzstadt Pasargadae (so Petersen, Zechariah, 171; Reventlow, Sacharja, 47), die als Vorbild gedient haben könnten, muss angesichts der schmalen Basis der archäologischen Befunde offen bleiben. Vgl. dazu Lux, Das neue und das ewige Jerusalem, 97f. 100 Ex 9,32; 14,24; 20,18; 24,17; Lev 10,2; Num 3,4; 11,13; Dtn 4,24; 9,3; 32,22; 2 Kön 1,10; Jes 9,18; 10,16; Ez 1,4; 2 Chr 7,1ff u.ö. 101 Ex 40,34f; Num 17,7; 1 Kön 8,11; Jes 4,5, 24,23; 60,1f; Ez 10,4; 43,2–4; Ps 24,7ff; 26,8; 63,3; 96,8; 102,17; 2 Chr 5,14; 7,1ff. Hartenstein, Unzugänglichkeit, 69–76; ders., JHWH, 86ff, hat darauf aufmerksam gemacht, dass die beiden Aspekte der Feuer-LichtMetaphorik, Heil – Unheil, Schrecken – Glanz, in der mesopotamischen Metapher vom „Schreckensglanz“ (akk. pul¤u melammu) in einer coniunctio oppositorum vorliegen.
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11,22–24) und Wiedereinzug der „Herrlichkeit JHWHs“ in den Jerusalemer Tempel liegt auf der Hand. Wahrscheinlich hat aber der Verfasser der Nachtgesichte die mit der „Feuermauer“ und der „Herrlichkeit JHWHs“ verbundene Glanz- und Licht-Metaphorik nicht grundlos gewählt, sondern sich auch darin an seine altorientalischen Vorbilder angelehnt. So ist in einer Inschrift Sanheribs vom „Schreckensglanz“ der Stadtmauern die Rede. Und von den Götterbildern in den Tempeln geht immer wieder ein ganz außerordentlicher Lichtglanz aus.102 Dass dieser Lichtglanz bei der Rückkehr der restaurierten Götterbilder in die für sie wieder hergestellten Tempel von besonderer Strahlkraft gewesen sein muss, wird mehrfach betont. So berichtet Nebukadnezar II. über seine Baumaßnahmen in Babylon: „I 46In Esagila, der ehrfurchtgebietenden Kultstadt, 47dem Palast von Himmel und Erde (und) prächtigen Wohnsitz, 50verkleidete ich 48Ekua, die Zella, des Enlils der Götter Marduk, 49Kachilisu, den Wohnsitz der Sarpanitu, (und) 50Ezida, den Wohnsitz des Königs der Götter von Himmel und Erde, 51mit glänzendem Gold und 52ließ sie taggleich glänzen.“103
Nabonid stellt bei der Rückführung von Sin, Ningal, Nusku und Sadarnunna in den Echulchul fest: „II 13Seine (Echulchuls) Wände bekleidete ich (Nabonid) mit Silber und Gold und ließ ich leuchten wie die Sonne.“104
Schließlich fährt er fort: „23Echulchul füllte ich mit Jubel, und 24den Glanz von Harran 25machte ich 24für sein ganzes Gebiet 25hell wie den Aufgang des Mondes.“105
Der vom neuen Tempel ausgehende Glanz erfüllt die gesamte Stadt und ihr Umland. Und Asarhaddon rühmt sich: „18Esagila, 19den Palast der Götter, 20nebst seinen Kulträumen 21baute ich von seinem Fundamente 22bis zu seiner Zinne 23neu auf; 25ich machte es größer, 26höher und herrlicher 24als zuvor. 27Wie die ‚Schrift des Firmaments‘ 28machte ich es glänzend. 29 Zum Anstaunen für alle Leute 30füllte ich es mit verschwenderischer Pracht.“106
Diese Licht- und Glanzphänomene der neu hergerichteten Götterbilder und Tempel wurden wohl von Sacharja in die Vorstellung vom ėĘėĜ ĖĘĔĞ hinein übersetzt. In seiner „Herrlichkeit“, und d.h. in diesem Falle dann wohl auch in der Herrlichkeit seines wieder errichteten Tempels, würde seine Präsenz visuell vermittelt. Die folgende zentrale Leuchtervision gibt 102
Textbelege bei Römer, Lichterscheinungen, 65ff.85; Ehring, Rückkehr, 149. TUAT Erg., 14. 104 TUAT II/4, 496. 105 TUAT II/4, 496. 106 Borger, Asarhaddon, 22, Episode 26, Fassung e: E. 103
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dieser visuellen kultischen Präsenz JHWHs dann darüber hinaus noch eine konkrete Gestalt. Aber noch ist von dieser „Herrlichkeit“ in Jerusalem nicht viel zu sehen.107 Jedoch lange kann es nicht mehr dauern. Die Rückkehr JHWHs steht unmittelbar bevor. Daher der Aufruf zur Stille in 2,17. Denn JHWH, der Gott Israels, hat sich bereits „von seinem heiligen Wohnsitz“ (ĢĘĥġġ ĘĬĖĪ) erhoben. Der Vers knüpft wieder an das Raumkonzept des Zyklus der Nachtgesichte an. Er gibt uns keine näheren Informationen darüber, wo sich „sein heiliger Wohnsitz“ befindet. Handelt es sich um sein himmlisches Heiligtum?108 Der Tempel von Jerusalem jedenfalls ist es noch nicht. Er soll ja erst wieder zur Wohnstatt der „Herrlichkeit JHWHs“ werden, zum Zentrum seiner Königsherrschaft, in das er zurückkehrt. 4.4. Der Leuchter und die Ölbäume Die Vision von dem goldenen Leuchter und den beiden flankierenden Ölbäumen, die den Leuchter mit Frischöl versorgen, nimmt die vorausgehende Vision von der künftigen Anwesenheit des ėĘėĜ ĖĘĔĞ in Jerusalem auf. Othmar Keel hat plausibel machen können, dass sich das Bildprogramm auch dieses Nachtgesichtes an altorientalische Himmelstordarstellungen anlehnt, in denen immer wieder die Sichelmondstandarte flankiert von zwei Bäumen und Adoranten zu sehen ist.109 Jetzt also darf der Prophet gleichsam einen Blick durch das Himmelstor hindurch auf den Leuchter als Symbol der Gottheit werfen. Der Visionär sieht dabei nicht die Sichelmondstandarte als Symbol des Mondgottes Sin,110 sondern wahrscheinlich in bewusster Absetzung davon einen sieben mal siebenflammigen Leuchter 107
Vgl. dazu Hag 2,3, wo von dem ĖĘĔĞ des früheren Tempels die Rede ist. Vgl. auch Sach 4,10a. 108 So eindeutig die Näherbestimmung des Nomens ĢĘĥġ in Jer 25,30 und 2 Chr 30,27. Dass die Texte nicht immer eine sichere Unterscheidung zwischen irdischer und himmlischer Wohnstatt JHWHs zulassen, liegt in der Natur der Sache, da sich beide in der altorientalischen Tempeltheologie überschneiden. So Preuß, ĢĘĥġ, ThWAT IV, 1029. Vgl. dazu auch Janowski, Himmel auf Erden; ders., Wohnung. Dass in unserem Falle der himmlische Wohnsitz JHWHs im Blick sein könnte, legt sich aus der Opposition der Formulierung zur ĬĖĪė ĭġĖē in 2,16 nahe. Während dort davon die Rede ist, dass JHWH Juda als seinen Erbanteil auf „heiligem Boden“ in Besitz nehmen wird und Jerusalem noch einmal erwählen wird (2x Waw-Pf.), bricht er in V. 17 von seinem „heiligen Wohnsitz“ im Himmel auf. 109 Siehe Keel, Jahwe-Visionen, 274ff; ders., Jerusalem, 1017ff. Die Frage nach der Bedeutung der beiden Ölbäume, die in 4,14 als „Söhne des Frischöls“ ( īėĩĜė ĜģĔ) bezeichnet werden, kann hier ausgeklammert bleiben. Am ehesten ist darin mit Bosshard-Nepustil, Rezeptionen, 383, eine Anspielung auf die levitische Sippe der Jizhariter zu sehen, die nach Num 3,27–32 im Tempeldienst u.a. auch für den Dienst am Leuchter zuständig waren.
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als JHWH-Symbol. Was könnte den ėĘėĜ ĖĘĔĞ visuell besser repräsentieren als dieser in seinem Material aus reinem Gold und in seiner Lichtfülle ganz und gar außergewöhnliche JHWH-Leuchter?111 Während der Prophet in Sach 2,5–9 etwas über die künftige „Herrlichkeit JHWHs“ in Jerusalem erfährt, darf er in Sach 4 bereits JHWHs gegenwärtigen Lichtglanz im Symbol des Leuchters schauen. Fragt man danach, wie sich diese Vision in das Raumprogramm des Gesamtzyklus einordnet, dann legt die Bildkonstellation „Himmelstor“ es nahe, an einen „Himmelsleuchter“ zu denken.112 Die Vermutung wird durch die im Nachtgesicht selbst gegebene Deutung der sieben113 „Lampen“ (ĭĘīģ) des Leuchters gestützt. Diese werden in V. 10b als die „Augen JHWHs“ (ėĘėĜ ĜģĜĥ) bezeichnet, die „die ganze Erde durchstreifen“. Othmar Keel konnte zeigen, dass es sich bei den Lampen wie in Gen 1,14–19 um Astralsymbole handelt.114 Damit fügt sich das Nachtgesicht in die seit der Assyrerzeit zunehmende Tendenz der Astralisierung des JHWH-Glaubens ein, in der es zu einer verbreiteten Darstellung von Gottheiten durch astrale Symbole kam.115 Wenn in V. 10b festgestellt wird, dass diese Augen JHWHs die Erde durchstreifen, dann nehmen sie funktional die gleiche Aufgabe wahr, die im ersten Nachtgesicht die Botenreiter hatten.116 Ist es ein Zufall, dass in den mesopotamischen Rückkehrtexten astronomische Phänomene ebenfalls eine bedeutende Rolle spielen? So stellte Asarhaddon fest: „5bZum Zweck tüchtiger Leistung und zu vortrefflichen Taten, 6zeigte er mir ein günstiges Omen betreffs seines Einzugs in Esagila. Die Sterne des Himmels zogen in ihren (norma110
Auf die kritischen Anfragen von Weippert, Siegel, 43ff, hin hat Keel, Grundsätzliches, 40ff, die nötigen Klärungen vorgenommen. Vgl. dazu auch Uehlinger, Figurative Policy, 342ff. 111 Insofern kann man das vierte Nachtgesicht als Auslegung und Intensivierung des im Zyklus ursprünglich vorausgehenden dritten Nachtgesichtes in 2,5–9.17 lesen. Das muss jedoch noch nicht zu dem Schluss führen, dass es sich dabei um eine sekundäre Erweiterung handelt. Vgl. dazu die in Anm. 3–5 genannten Arbeiten. 112 Siehe dazu Lux, Himmelsleuchter, 149ff. 113 Bezieht sich die Siebenzahl auf das in der Ikonographie immer wieder begegnende Sternbild der Plejaden, das auf diese Weise in den monotheistischen JHWH-Glauben integriert wurde? Vgl. dazu Albani, Siebengestirn, 202. 114 Keel, Jahwe-Visionen, 315ff; ders., Jerusalem, 1018. 115 Vgl. zur Astralisierung in Mesopotamien und Israel Albani, Gott, 41ff.124ff; ders., Sternbilder, 207ff. Zu den ikonographischen Belegen dieser Tendenz siehe auch Keel/Uehlinger, Göttinnen, 322ff. 116 Das lässt vermuten, dass mit den „Augen JHWHs“ eine Anspielung auf das astrale Himmelsheer vorliegt, das im Auftrag JHWHs die Erde durchleuchtet. Vgl. dazu Albani, Gott, 186ff; ders., Sternbilder, 201ff.
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len) Stationen 7dahin; sie zogen den richtigen und verließen den unrichtigen Weg. Monat für Monat antworteten Sin und Šamaš 8fbei ihrem Erscheinen einander ein festes Ja betreffs der Erneuerung der Götter(statuen), Vollendung der Kulträume der Kultstädte …“.117
Offensichtlich gehörte die Beobachtung des Himmels und seiner Gestirne zum Zwecke der Einholung günstiger Omina für den richtigen Zeitpunkt zur Rückführung der Götterbilder zur üblichen Praxis. Es ist gut denkbar, dass diese verbreitete und wohl im gesamten Alten Orient bekannte Praxis als Bildgeber die Leuchtervision in Sach 4 angeregt hat. Die Gestirne des Himmels, die entsprechende Omina lieferten, fanden in Gestalt von Astralsymbolen in den mesopotamischen Tempeln eine irdische Entsprechung. Stellte auch Sach 4 eine solche Entsprechung her? Sollte der visionär geschaute Himmelsleuchter mit den sieben Augen JHWHs das Vorbild für das künftige Kultsymbol JHWHs im wieder aufgebauten Jerusalemer Tempel sein? Vieles spricht für diese Deutung, nicht zuletzt der redaktionelle Einschub in Sach 4,6aƞ–10a, der die Leuchtervision eindeutig auf den Tempelbau bezieht.118 4.5. Die fliegende Schriftrolle Eine „fliegende Schriftrolle“ (īħĥ ėğĕġ) von riesigen Ausmaßen (20 Ellen lang und 10 Ellen breit) bildet den Bildteil des fünften Nachtgesichtes (5,1– 4). Auf der Schriftrolle steht ein „Fluch“ (ėğē) geschrieben, der sich gegen jeden Dieb des Landes/der Erde richtet und gegen jeden der (falsch) schwört, die bisher für unschuldig gehalten wurden (V. 3). Die Folge des Fluches wird die Zerstörung der Häuser dieser Frevler sein (V. 4). Diese Vision lenkt den Blick des Lesers an den Himmel mit der außergewöhnlichen fliegenden Schriftrolle. Darin knüpft sie an Sach 4 an. Das Bild mutet merkwürdig an. Die Schriftrolle erinnert zunächst einmal an Ez 2,9. 119 Aber die dort geschaute Rolle fliegt nicht und hat keine ungewöhnlichen Maße. Hat sich der Verfasser des Nachtgesichtes auch hier eher von dem religiösen Symbolsystem Mesopotamiens anregen lassen, in dem die „Schrift des Firmaments“120 oder die „Tafeln der Himmelsschrift“121 als Bezeichnung für die gesetzmäßigen Zyklen der Bewegungen der Gestirne üb117
Borger, Asarhaddon, 18, Episode 14, Fassung b: B und AsBbA. Schließlich geht aus Ex 25,31–40; 37,17–24 hervor, dass im Zweiten Tempel wohl nur noch eine Menora als siebenarmiger Leuchter stand. In der äußeren Gestalt unterschied dieser sich von dem Leuchter in Sach 4. In der Siebenzahl der „Lampen“ entspricht er ihm. Siehe dazu auch Voss, Menora, 43; Uehlinger, Figurative Policy, 342ff. 119 Die Bezüge, die Delkurt, Nachtgesichte, 230f, zu Jer 36 herstellt, sind m.E. weniger evident. 120 Borger, Asarhaddon, 22, Episode 26, Fassung e: E. 121 So z.B. in dem Traum des Gudea von Lagasch in TUAT II/1, 25. 118
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lich war?122 Diese Vermutung würde jedenfalls bestens zur Deutung des Bildes in den V. 3–4 passen. Das astral konnotierte Bild von der „Himmelsschrift“ wird im Zuge einer interpretatio israelitica in eine „fliegende Schriftrolle“ übersetzt. Der in der Himmelsschrift ablesbaren Gesetzmäßigkeit des kosmischen Sternenlaufs entspricht die Wiederherstellung der Rechtsordnung auf der Erde, die sich mit der Rückkehr JHWHs nach Jerusalem vollziehen wird.123 Auch dieses Motiv der Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit gehört in die Abfolge der altorientalischen Rückkehrtexte. So kann man wiederum in der Babylon-Inschrift Asarhaddons lesen: „18Die Verkauften (?), welche in 19Sklaverei geraten 20und den Banden 21und den Fesseln anheimgefallen waren, 22sammelte ich 23und machte sie wieder zu Babyloniern; 24ihr geraubtes Eigentum 25gab ich ihnen zurück. 26Die Nackten 27bekleidete ich. Dann ließ ich sie den Weg nach Babel 28einschlagen. 32Ich ermunterte sie, 29sich in der Stadt niederzulassen, Häuser zu bauen, 30Baumpflanzungen anzulegen 31und Kanäle zu graben. 33Ihre kidinnŎtu, 34die aufgehört hatte und abhanden 35gekommen war, 36stellte ich wieder her. 124 37Ihre zakŎtu beurkundete ich aufs neue.“
Die Rückführung der Götter durch den König war demnach auch mit der Rückführung verschleppter Einwohner Babylons verbunden, die in ihr Eigentum, ihre Privilegien und ihre Rechte wieder eingesetzt wurden. Das spricht für die schon mehrfach geäußerte Vermutung, dass auch hinter den in Sach 5,1–4 angesprochenen Missständen ein Konflikt um Landrechte und Privilegien zwischen den Rückkehrern aus der Gola und den in Juda verbliebenen Einwohnern stehen könnte, die sich das herrenlose Land unrechtmäßig angeeignet hatten (vgl. Ez 11,15).125 4.6. Die Frau im Efa Die vorletzte Vision von der Frau im Efa (Sach 5,5–11) knüpft wieder an ihre Vorgängervision an. Ging es in 5,1–4 um die Wiederherstellung der Rechtsordnung, so wird uns hier ein Eliminationsritus vor Augen geführt, der die Ausweisung der ėĥĬī aus Juda schildert.126 Diese sitzt in Gestalt einer Frau in einem Efa, einem Getreidemaß, das mit einem Bleideckel verschlossen ist (V. 6–8). Das fest verschlossene Fass wird schließlich von zwei Frauen mit Storchenflügeln nach Schinear ausgeflogen (V. 9). Dort wird 122
Vgl. dazu Albani, Gott, 63f. Auch Willi-Plein, Sacharja, 104f, und Delkurt, Nachtgesichte, 235ff; ders., Zusammenfassung, 193ff, betonen, dass es in Sach 5,1–4 vor allem um diese Wiederherstellung der gestörten Rechtsordnung geht. 124 Borger, Asarhaddon, 25, Episode 37, Fassung a: AC und F. Unter den kidinnŎtu und zakŎtu sind bestimmte „Privilegien“ zu verstehen. 125 So u.a. Jeremias, Nachtgesichte, 190f; Albertz, Religionsgeschichte, 480; Graf Reventlow, Sacharja, 64; Keel, Jerusalem, 1016, u.a. 126 Siehe zu den Eliminationsriten Frey-Anthes, Unheilsmächte, 234ff. 123
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für die eigentümliche Luftfracht ein Haus gebaut, in dem es zu ihrer Aufstellung kommt (V. 11). So wie es in 5,1–4 um die Beseitigung von zwei gesellschaftlichen Grundübeln, des Diebstahls und des Meineides ging, so ist hier mit der Beseitigung der ėĥĬī wohl an eine umfassende Reinigung des Landes vom Bösen gedacht. Christoph Uehlinger hat die Frau im Fass, die das personifizierte Böse darstellt, mit einem Göttinnenkult127 in Verbindung gebracht, der in der privaten Frömmigkeit auch in den Hauskulten Judas eine bedeutende Rolle spielte und in den bekannten Pfeilerfigurinen zur Darstellung gekommen sei.128 Gegen diese Deutung hat sich Widerspruch erhoben, da die zahlreichen Figurinen eher Votivgaben und nicht Darstellungen von Göttinnen gewesen seien.129 Trotz der berechtigten Zweifel an der Deutung Uehlingers lässt es sich m.E. nur schwer bestreiten, dass es sich bei der als ėĥĬī gedeuteten Frau im Fass um eine numinose Größe handelt. Dafür sprechen textinterne wie auch textexterne Argumente. Bei den beiden Frauen mit den Storchenflügeln, die das Getreidemaß mit dem gefährlichen Inhalt ausfliegen, handelt es sich um mythologische Mischwesen. Offensichtlich kann das Land von der Bosheit nicht allein durch Menschen, z.B. einen energisch regierenden König, befreit werden. Es bedarf übermenschlicher Kräfte, um diese zu bezwingen.130 Darüber hinaus ist bei dem Haus, das dem Getreidemaß mit der ėĥĬī in Schinear gebaut werden soll, wahrscheinlich an einen Kultbau, einen Tempel gedacht. Jedenfalls handelt es sich bei der ėģĘĞġ in V. 11 um einen „Sockel“ oder ein „Gestell“ für kultische Objekte.131 Auch textextern findet die Deutung der ėĥĬī als numinose Größe eine Bestätigung. In dem weit verbreiteten hethitischen Telipinu-Mythos wird 127
Aufgrund der sitzenden Haltung der Frau im Fass denkt er an die ebenso dargestellte „Dea Tyria Gravida“. Uehlinger, Frau, 96ff. 128 Vgl. dazu Keel/Uehlinger, Göttinnen, 370ff. 129 So Frevel, Aschera, 529ff. 130 Dass die Mischwesen, die das Fass ausfliegen, Storchenflügel haben (ėĖĜĤė ĜħģĞ) ist sicherlich kein Zufall. In dem Namen für den „Storch“ steckt das Nomen ĖĤĚ. Der Storch ist der „Treue, Gütige“. Damit bilden die beiden Mischwesen den Gegenpol zu der Frau im Fass. Die außergewöhnlich gefährliche, das gesamte Land kontaminierende „Bosheit“ kann nur durch eine ebenso außergewöhnliche „Güte“ und „Treue“ überwunden und eliminiert werden. 131 Vgl. 1 Kön 7,27.28.30.32.34f.37–39; 2 Kön 16,17; 25,13.16; Jer 27,19; 52,17.20; Esra 3,3; 2 Chr 4,14. Willi-Plein, Sacharja, 111, denkt an das königliche Archiv in Babylon, in dem die Erlasse des Königs sowie einschlägige Rechtsurkunden in Körben auf Regalen aufbewahrt worden seien. Dort habe man die Gesetzlosigkeit „hinter Schloss und Riegel“ gebracht. Der Gedanke ist reizvoll, wirft aber zwei Fragen auf: 1. Warum soll ausgerechnet die Gesetzlosigkeit im „Rechts- und Gesetzesarchiv“ deponiert werden? 2. Warum begegnet das Nomen ėģĘĞġ sonst ausschließlich in kultischen Kontexten?
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das Verschwinden und die Rückkehr des Gottes Telipinu thematisiert, der in Zorn geraten war. Die Folge davon war eine Verödung des Landes, das seine Fruchtbarkeit einbüßte. Schließlich wird er beschworen, von seinem Zorn abzulassen, der den Weg des Sonnengottes in die Unterwelt gehen soll. Von dieser Unterwelt heißt es: „A IV 14Der Pförtner hat (schon) die 7 Türflügel geöffnet, er hat die 7 Riegelhölzer zurückgezogen. 15Unten in der dunklen Erde stehen kupferne Kessel; ihre Deckel 16sind aus (schwerem) Blei, ihre Handgriffe sind aus Eisen. Was (auch immer) dort hinein gerät, 17findet niemals einen Ausgang, (vielmehr) vergeht es darinnen. 18Und lass Telipinus Wut, Zorn, 19kriminelle Gesinnung (und) Groll darinnen festgehalten sein, so dass sie nicht zurückkommen können.“132
Diese Vorstellung, dass der Zorn der Gottheit, der zu ihrem Verschwinden führte, in Kesseln oder Fässern mit schweren Bleideckeln eingeschlossen und schließlich in der Unterwelt deponiert werden sollte, ist mehrfach belegt.133 Handelt es sich um einen Zufall, dass auch Sacharja von einem Fass mit einem „Deckel aus Blei“ (ĭīħĥ īĞĞ) spricht, in dem die Bosheit eingeschlossen wurde? Damit soll nicht angedeutet werden, dass Sacharja den hethitischen Telipinu-Mythos gekannt haben muss. Es kann sich bei derartigen Gefäßen mit einem Bleideckel auch um allgemein gebräuchliche Gefäße zur Aufbewahrung von gefährlichen Gütern gehandelt haben. Und dass in ihnen der Verderben bringende Zorn der Götter eingeschlossen wurde, mag – man denke nur an die Büchse der Pandora 134 – eine verbreitete Vorstellung gewesen sein. Wenn aber damit gerechnet werden muss, dass diese Vorstellung als solche bekannt war, dann spricht alles dafür, dass auch in Sach 5,5–11 mit der ėĥĬī eine numinose Größe in den Blick kommt. In der Frau im Fass sah der Prophet offenbar keine Verkörperung des Zornes JHWHs, sondern ein Bild für jede nur denkbare Gestalt der Widergöttlichkeit, numinoser Gegenmächte,135 die seinen Zorn erregten und die endgültig beseitigt werden mussten. Während es also in 5,1–4 um die Wiederherstellung der Rechtsordnung ging, wird in der Vision von der Frau im Fass die Eliminierung aller nur denkbaren Übel thematisiert, die Reinigung des Landes von numinosen Gegenkräften durch „treue Dienerinnen“ JHWHs.136
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TUAT III/4, 820. Vgl. auch den Mythos vom Verschwinden der Schicksalsgöttin Hannahanna in TUAT III/4, 822ff. Siehe dazu Hartenstein, Unzugänglichkeit, 156ff. 134 Siehe dazu Harder, Pandora, 236f. 135 Keel, Jerusalem, 1023, spricht vom „Götzenwesen“. 136 Vgl. die Deutung der Frauen mit den Storchenflügeln in Anm. 130. 133
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4.7. Die Ausfahrt des Geistes JHWHs Das letzte Nachtgesicht (Sach 6,1–8) will bewusst als Gegenstück zu der einführenden Programmvision gelesen werden.137 Der Prophet sieht vier Wagen mit verschiedenfarbigen Pferden, die zwischen zwei Erzbergen hervorkommen (V. 1–3). Diese Wagen werden mit den vier Winden des Himmels identifiziert, die nun hinausfahren, nachdem sie vor dem Herrn der ganzen Erde gestanden haben (V. 5). Dabei widmet der Sprecher seine besondere Aufmerksamkeit den beiden Wagen mit den schwarzen und den weißen Pferden, die in die ĢĘħĩ Ĩīē ziehen. Ihre Aufgabe ist es, im „Land des Nordens“ den „Geist“ (ĚĘī) JHWHs zur Ruhe kommen zu lassen (V. 6a.8). Wie in der ersten und in der zentralen Leuchtervision handelt es sich auch hier um eine Himmelstor-Darstellung. Die beiden Erzberge symbolisieren aller Wahrscheinlichkeit nach die aus der Ikonographie des Alten Orients bekannten Horizontberge, aus denen die Himmelswagen hervorbrausen. Diese Schlussvision ist noch einmal für das Raumkonzept des gesamten Zyklus von Bedeutung. In 1,16f hat JHWH seine Rückkehr nach Jerusalem zugesagt. Nach 2,5–9 sagt er die Anwesenheit seines ĖĘĔĞ in Jerusalem zu. Die Stadt soll das künftige Zentrum seines weltweiten Königtums sein. In 2,17 erhebt er sich von seinem (himmlischen?) Wohnsitz. Im letzten Nachtgesicht zieht er offensichtlich aus seinem himmlischen Heiligtum aus, um in Gestalt seiner ĚĘī auch im Land des Nordens, also an der Peripherie wirksam zu werden. Während der ĖĘĔĞ seine sichtbare Anwesenheit im Zentrum symbolisiert, erweist sich seine ĚĘī als Instrument seiner universalen Wirksamkeit138 bis hin an die äußerste Peripherie der überschaubaren Welt, für die das Land des Nordens steht. „Herrlichkeit“ und „Geist“ symbolisieren danach zwei Erscheinungsweisen JHWHs, seine sichtbare Anwesenheit und seine universale Wirksamkeit. Was aber ist mit dem Wirken des Geistes im Land des Nordens gemeint, wenn davon die Rede ist, dass er dort zur Ruhe gebracht werden 137 Zwar betont Reventlow, Tradition, 181, mit Recht die Differenzen zwischen der Eingangs- und der Schlussvision. Diese nötigen allerdings nicht dazu, die beiden Visionen völlig unabhängig voneinander zu betrachten. Die Unterschiede liegen vielmehr in der Sache begründet. Während JHWH in der Eingangsvision seine himmlischen Botenreiter zum Inspektionsritt ausgesandt hat, verlässt er in der Schlussvision in Gestalt seiner ĚĘī selbst seinen Aufenthaltsort, um in das irdische Geschehen im Land des Nordens einzugreifen. Dabei bedient er sich dem Vorbild des persischen Reichskönigs und seiner Spitzenbeamten entsprechend eines himmlischen Wagenparks (vgl. dazu Uehlinger, Figurative Policy, 341f, und Keel, Jerusalem, 1016). 138 In diesem Sinne einer eher pazifizierenden Wirksamkeit ist von dem „Geist“ JHWHs auch in dem Serubbabel-Wort Sach 4,6b die Rede.
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soll? Steht die ĚĘī hier für JHWHs Zorn? Die Septuaginta hat V. 8 offensichtlich in diesem Sinne verstanden. Sie übersetzt ĚĘī mit qumo,j.139 Wollte JHWH danach am Land des Nordens seinen Zorn auslassen, von dem in 1,15 die Rede war? Vielleicht helfen in dieser Frage ein letztes Mal die altorientalischen Rückkehrtexte weiter. In ihnen ist regelmäßig davon die Rede, dass der Rückkehr der Gottheit eine Beruhigung ihres Zorns vorausgegangen war. So ist in der Babylon-Inschrift Asarhaddons davon die Rede, dass das Ende der 70-jährigen Straffrist begonnen habe, „5nachdem sein (Marduks) Herz alsbald 6zur Ruhe gekommen war …“.140
In der Adad-guppi-Inschrift, die die Wiedererrichtung des Echulchul in Harran im Blick hat, heißt es: „I 36Er (Sin) erhörte mein Reden, der Zorn 37seines Herzens beruhigte sich, und mit Echulchul, dem Tempel des Sin 38in Harran, der Wohnung, die sein Herz erfreut, wurde er (wieder) freundlich und fasste er 39Erbarmen.“141
Geht man davon aus, dass auch in Sach 6,8 die im Alten Orient weit verbreitete Vorstellung von der Rückkehr der Götter wirksam geworden ist, dann wird mit der Beruhigung der ĚĘī JHWHs im Land des Nordens weniger sein Wüten gegen die Fremdvölker in Babylon zur Sprache gebracht, das Austoben seines Zornes, als vielmehr die innere Wende JHWHs vom Zorn zu seiner Barmherzigkeit, mit der eine neue Zeit des Heils beginnt. Dass diese innere Wende JHWHs sich in der ĢĘħĩ Ĩīē vollziehen soll, also im Land der Gola, ist sicherlich von Bedeutung. Ging von dort, von den Einwohnern der Gola, zu denen Sacharja selbst einmal gehört haben dürfte (vgl. Neh 12,16), die Initiative zum Wiederaufbau des Tempels aus, die die Voraussetzung für die Rückkehr JHWHs nach Jerusalem war? Waren es danach Angehörige der Gola, unter denen der Beschluss JHWHs zur Rückkehr und die Beruhigung seines Zorns zuerst wirksam wurde?142
139 Vgl. zu dieser emotional-aggressiv eingefärbten Bedeutung von ĚĘī Ri 8,3; Jes 25,4; Ps 139,7; Hi 15,13. 140 Borger, Asarhaddon, 15; Episode 10, Fassung a: A und D. Vgl. dazu auch Ehring, Rückkehr, 103. 141 TUAT II/4, 481. 142 In diesem Sinne haben Texte wie Sach 6,9.15; 8,7f das letzte Nachtgesicht offensichtlich interpretiert.
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5. Fazit Wir stehen am Ende unseres Durchgangs durch die Nachtgesichte des Sacharja. Es hat sich bestätigt, dass das im Alten Orient weit verbreitete geschichtshermeneutische Konzept von der Abwendung und der Wiederzuwendung der Gottheit, das Christina Ehring eindrucksvoll für Deuterojesaja und Ezechiel nachgezeichnet hat, auch den Zyklus der Nachtgesichte weitgehend geprägt hat. Mit der Ankündigung von der Rückkehr JHWHs nach Jerusalem (1,16) wurde dem 70-jährige Zorn JHWHs, den der Deuteengel in 1,12 beklagt hatte, das Ende angesagt. Der abwesende Gott, der sich hinter einen unüberwindbaren Vorhang der Transzendenz zurückgezogen hatte, lässt den Jerusalemern und der Gola seine Wiederzuwendung verkündigen. Sacharja schaut diese Heilswende in einer Abfolge von sieben Bildern, die das Programm der Rückkehr Schritt für Schritt entfalten. Dabei lässt das Bildprogramm eine doppelte Bewegung erkennen. Die Nachtgesichte 1–3 sind bestimmt von der Ausrichtung auf das Zentrum in Jerusalem. Die Bewegung führt von außen, von den israelfeindlichen Völkern, die Juda zerstreut haben (2,1–4), in das Innere der Stadt (2,5–9), in der JHWH in Gestalt seines ĖĘĔĞ sichtbar anwesend sein will. Die Nachtgesichte 5–7 lassen eine Bewegung vom Zentrum zur Peripherie erkennen, vom Land Juda, in dem die Rechtsordnung wieder hergestellt (5,1–4) und das von allen Spielarten der Bosheit gereinigt werden soll (5,5–11), hin in das Land des Nordens, der Gola, in dem JHWH in Gestalt seiner ĚĘī wirksam werden will.143 ĖĘĔĞ und ĚĘī stehen damit für JHWHs Anwesenheit in Stadt und Tempel wie auch für seine Wirksamkeit bis an die Enden der Erde. Die Botschaft, die die himmlischen Reiter bei ihrer Rückkehr von dem Inspektionsritt am Abend mitgebracht hatten, führte am Ende dazu, dass der Geist JHWHs in den Himmelswagen (am nächsten Morgen?)144 ausfährt, um seine innere Wende und seine Rückkehr unter den Angehörigen der Gola beginnen zu lassen. Im Zentrum dieses Zyklus aber stand die Leuchtervision, Sinnbild der reinen Gottesschau, die dem nächtlichen Visionär gewährt wurde. In ihr wurde das Hervortreten des transzendenten Gottes aus seiner Verborgenheit in die Immanenz der nächtlichen Welt des Visionärs zu einer Erfahrung, für die es nur eine angemessene Haltung des Menschen gibt (Sach 2,17): „Still alles Fleisch vor JHWH!“ 143 Willi-Plein, Sacharja, 111, weist mit Recht darauf hin, dass die Nachtgesichte 1–3 von dem Verb ĔĘĬ und die Nachtgesichte 5–7 von dem Verb ēĩĜ dominiert werden. 144 Vgl. zu dieser Konzeption der Nachtgesichte, die ein Geschehen vom Abend in 1,8–17 über die Stunde der Mitternacht in 4,1–14 bis zum nächsten Morgen in 6,1–8 beschreiben, Gese, Apokalyptik, 218.
Die doppelte Konditionierung des Heils Theologische Anmerkungen zum chronologischen und literarischen Ort des Sacharjaprologs (Sach 1,1–6) Der Sacharjaprolog fasst die Botschaft des Propheten in einem doppelten Umkehrwort zusammen: „So spricht JHWH Zebaot: Kehrt um zu mir – Spruch JHWH Zebaots – und ich will umkehren zu euch – spricht JHWH Zebaot.“ (Sach 1,3)
In seiner Sacharjaauslegung aus dem Jahr 1527 schreibt Martin Luther dazu: „Da last uns sehen, Warumb der Prophet, der den armen erschrocken hauffen trösten sol, aller erst noch mehr schreckt und mit drewen anfehet und die rute zeyget. Aber es ist des heyligen geysts art und weyse also, das er zuerst scharff und hart anfehet und hernach freundlich und susse wird. Widderumb der teuffel gehet sanfft ereyn und fehet susse an, Aber hernach lesst er seynen stanck hinder sich und gehet saur hynaus. Gleych wie ein vater sein kind zu erst hart und scharff zeucht, Aber darnach ists das liebe kind und eyttel susse liebe furhanden, Also ist auch: weyl dieser Prophet viel trost geben will, hebt er hart und ernstlich an.“1
Die Intention dieser Aussage liegt auf der Hand. Nach Luther hat Sacharja die Aufgabe zu trösten. Dem Trost jedoch geht das Gesetz voraus, eine harte Forderung. Er zeigt die Rute: „Kehrt um zu mir!“ Auf die Forderung, das Gesetz, folgt die Verheißung, das süße Evangelium: „Und ich will umkehren zu euch!“ Wie ist diese Abfolge von Forderung und Verheißung, Gesetz und Evangelium bei Sacharja zu bestimmen? Robert Hanhart hat der Sacharjaexegese die Aufgabe mit auf den Weg gegeben, eine Entscheidung in der „Wesensbestimmung des Verhältnisses zwischen der Umkehr Jahwes zu Israel zur Umkehr Israels zu Jahwe“2 zu treffen. Es geht also um die theologisch sachgerechte Zuordnung des Handelns Gottes an seinem Volk und des | Handelns Israels vor Gott.3 Hanhart sieht den Ausleger dabei vor eine klare Alternative gestellt: 1
Luther, Der Prophet Sacharja ausgelegt, 505, 13–21. Hanhart, Sacharja, 39. 3 Vgl. dazu auch Delkurt, Sacharjas Nachtgesichte, 13f. 2
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„Entweder steht nach seiner Intention die Verheißung der Umkehr Jahwes zu Israel unter der Bedingung von Israels Gehorsam, oder die Umkehr Israels zu Jahwe steht auf dem Grund der Verheißung seiner Zuwendung zu ihm. [...] Entweder ist die Zuordnung von geschehenem Gericht, geschehender Umkehr und kommendem Heil in die Macht des Geschöpfes gestellt, oder sie ist Offenbarung der Allmacht des Schöpfers. Die eine Alternative entspricht dem Verständnis des Aufrufs zur Umkehr als Rückfall in das Gesetzesdenken, die andere seinem Verhältnis als Vertrauen auf sein Gebot.“4
Nachdem diese Alternative einmal aufgestellt ist, versteht es sich fast von selbst, für welche Option sich der dem Gesamtzeugnis der biblischen Schriften und dem reformatorischen Erbe verpflichtete Schriftausleger entscheidet. Da der Rückfall in das negativ konnotierte Gesetzesdenken nicht sein darf, wird diesem ein positiv konnotiertes Vertrauen auf Gottes Gebot gegenübergestellt, in dem letztlich der Umkehrruf Israels wurzelt. „Das, wozu Israel im Prooimion aufgerufen ist, was damals noch ungeschehen war, ist jetzt – nicht durch die Kraft Israels, sondern durch den Beschluß Jahwes – geschehen.“5
Der Beschluss JHWHs also, zu seinem Volk Israel zurückzukehren, das Evangelium, geht – und das hat Hanhart m.E. zutreffend erkannt – der Umkehr Israels, dem Gesetz, voraus. Israels Umkehr kommt von einer offenbarten Verheißung her. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, ob JHWHs Beschluss auch unabhängig vom Gehorsam Israels zur Ausführung kommt, ob also die Erfüllung der Verheißung unabhängig vom Tun Israels geschieht, oder ob Israels Umkehr die Bedingung für die verheißene Rückkehr JHWHs ist. Nach Hanhart kann Letzteres nicht sein, da nach dem sacharjanischen Gesamtzeugnis JHWH seine Verheißung längst erfüllt habe (Sach 1,16; 8,3), seine Rückkehr spätestens mit der Grundsteinlegung zum Zweiten Tempel bereits vollzogen worden sei.6 Dieser Sicht schließt sich Henning Graf Reventlow ausdrücklich an, indem er feststellt: | „Daß die Umkehr des Volkes dafür [für die Rückkehr JHWHs, Zus. R.L.] die Bedingung sein soll, ist angesichts der unbedingten Zusage 1,16; 8,3 nicht anzunehmen [...] Gott tut den ersten Schritt zum neuen Heil!“ 7 4
Hanhart, Sacharja, 39. Hanhart, Sacharja, 40. 6 Konsequenterweise übersetzt Hanhart das perfektische ĜĭĔĬ in Sach 1,16; 8,3 nicht mit den maßgeblichen Textzeugen (S,T,G,V) futurisch als perfectum propheticum, sondern als echte Vergangenheitsaussage: „Zurückgekehrt bin ich ...“ (siehe Hanhart, Sacharja, 54 mit Anm. 511 und ebd., 56f mit Anm. 513). Allerdings begründet Hanhart die perfektische Übersetzung auch hier lediglich damit, dass JHWH seine Rückkehr beschlossen habe, ohne zwischen dem Beschluss und seiner Ausführung zu differenzieren. Die Übersetzung suggeriert, dass der Beschluss – unabhängig vom Handeln Israels – bereits ausgeführt worden sei. 7 Graf Reventlow, Haggai, 37. 5
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Die folgenden Überlegungen gehen der Frage nach, ob die von Hanhart aufgestellte und von Graf Reventlow noch einmal zugespitzte theologische Alternative – Umkehr des Volkes als Bedingung für die Rückkehr JHWHs (Forderung/Gesetz) contra Rückkehr JHWHs als Grund der Umkehr des Volkes (Verheißung/Evangelium) – dem Textbefund gerecht wird.
1. Literarische Struktur und Kohärenz von Sach 1,1–6 Die chronologische Eröffnungsnotiz (V. 1) – auf die später noch kurz einzugehen ist – weist den gesamten Sacharjaprolog durch die Wortereignisformel (ėĜīĞęČğē ėĘėĜČīĔĖ ėĜė) als JHWH-Wort aus, das an den Propheten Sacharja ergeht. Dabei bildet der einleitende V. 2 eine Art Mottovers, der zunächst nur dem Propheten gegenüber knapp und präzise die Situation benennt, in die hinein seine mit V. 3 anhebende Prophetenrede ergehen soll.8 Die Mitteilung vom Zorn Gottes über „eure Väter“ 9 begründet dem angesprochenen Propheten gegenüber den folgenden Umkehrruf und gibt ihm das für den Leser notwendige Maß an Plausibilität. In V. 3–6a wird dem Propheten, einsetzend mit dem Redeauftrag, eine JHWH-Rede in den Mund gelegt. Sprecher der Rede ist dem literarischen Konzept nach immer noch JHWH. Sechs metakommunikative Sätze (Redeauftrag V. 3a, Botenformel V. 3a.4a, JHWH-Spruchformel V. 3a.4b, Schlussformel V. 4b) weisen die Prophetenrede als durch JHWH selbst autorisiertes Gotteswort aus. Dieses gliedert sich in einen Umkehrruf mit folgender Verheißung (V. 3), eine Mahnung, die das Negativbeispiel der Väter in Erinnerung ruft (V. 4), und ein sich daran anschließendes Diskussionswort (V. 5–6a). Am Ende steht ein kurzes Fazit, das die Wirkung der Rede des Propheten unter seinen Hörern festhält (V. 6b). Danach weist der Sacharjaprolog, abgesehen von der chronologischen Notiz in V. 1, folgende Struktur auf: | A Motto
Voraussetzung der Prophetenrede (V. 2) B1 Umkehrruf und Verheißung (V. 3)
B Prophetenrede
B2 Mahnung: das Negativbeispiel der Väter (V. 4) B3 Diskussionswort (V. 5–6a)
C Fazit
Wirkung der Prophetenrede (V. 6b)
8 Vgl. van der Woude, Seid nicht wie eure Väter, 164; Schöttler, Gott, 43; Graf Reventlow, Sacharja, 36f, u.a. Tigchelaar, Prophets, 79, spricht von einem „opening statement“. 9 Dabei bezieht sich das Suffix der 2.P.Pl. (ĠĞĜĭĘĔē) auf die Vätergeneration des Propheten und seiner Hörer.
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Das klare Redekonzept legt nicht unbedingt nahe, in dem Prolog des Sacharjabuches lediglich eine Zusammenstellung von „fragmentarisch überlieferten Sprüchen“ des Propheten zu sehen.10 Dagegen spricht außerdem der deutlich zu beobachtende Leitwortstil des Textes mit den Nomina ĠĞĜĭĘĔē (V. 2.4a.5a.6a), ĠĜēĜĔģė (V. 4.5) und dem Verb ĔĘĬ (V. 3a.b.4a.6b). Das Thema Umkehr wird auf dem Hintergrund der Väter und der früheren Propheten zur Sprache gebracht. V. 2 V. 3 V. 4 5–6a V. 6b
Motto: ĠĞĜĭĘĔē Umkehrruf und Verheißung: ĔĘĬ Mahnung: ĠĞĜĭĘĔē/ ĠĜēĜĔģė / ĔĘĬ Diskussionswort: ĠĞĜĭĘĔē / ĠĜēĜĔģė Fazit: ĔĘĬ
Die sorgfältige Verknüpfung der V. 2–6 durch Leitworte lässt die immer wieder angenommenen Kohärenzprobleme, die zu Textänderungen und Textumstellungen führten, in einem anderen Licht erscheinen. 11 Die vermeintlichen | Probleme lassen sich m.E. auch ohne Eingriffe in den Text lösen, wenn beachtet wird, dass Sach 1,1 ein sekundärer Zusatz zu dem die Prophetenbücher Haggai und Protosacharja (Sach 1–8) verknüpfenden chronologischen System darstellt, der sich deutlich von den übrigen chronologischen Notizen abhebt.12 Dieser Zusatz kann nur die Funktion gehabt haben, den Sacharjaprolog (V. 2–6) in einen bereits vorgegebenen grö10
So Stendebach, Prophetie und Tempel, 24, u.a. Nach Elliger, Sacharja, 102, sei der Text im Anschluss an V. 1 „verstümmelt“, Einmal enthalte V. 2 nicht das nach der Wortereignisformel von V. 1 zu erwartende JHWH-Wort, das erst mit V. 3 einsetze. Zum anderen wird am Anfang des Sacharjabuches (V. 1ff) die ausdrückliche Nennung der Adressaten des Propheten vermisst, wofür es im gesamten prophetischen Schrifttum „keine Parallele“ gibt (Rudolph, Sacharja, 66). Das erste Problem glaubte man, durch eine Umstellung von V. 2 hinter V. 3aƝ (Budde, Text, 4f) oder V. 6a (Horst/Robinson, Kleine Propheten, 216f; Chary, Aggée-ZacharieMalachie, 54) lösen zu können. Das zweite Problem sei möglicherweise durch die redaktionelle Einfügung von V. 2 hinter V. 1 entstanden, wodurch ein ursprünglicher Text mit der Adressatenangabe verdrängt worden sei. V. 2 könne daher „als Lückenbüßer eingesetzt“ oder „ungeschickte Redaktion“ sein (Elliger, Sacharja, 102). Daher wird vorgeschlagen, den Text hinter V. 1 durch īġēğ ėęė Ġĥğ ēĔģė (Rudolph, Sacharja, 66) oder einen einfachen Imperativ wie ēīĪ (Budde, Text, 5), īĔĖ (Mitchell/Smith/Bewer, Haggai, 110 |) bzw. ĝğ (Horst/Robinson, Kleine Propheten, 216) zu ergänzen. Dass damit neue Probleme geschaffen werden (z.B. die Verdoppelung der Beauftragung von V. 3 Ġėğē ĭīġēĘ), wurde dabei billigend in Kauf genommen. 12 Zur Begründung siehe Lux, Zweiprophetenbuch, 4ff. Sach 1,1 ist das einzige Datum in der Reihe der chronologischen Notizen, das keine präzise Tagesangabe enthält und hinter das bereits in Hag 2,10.18.20 benannte Datum des 24.9. im zweiten Jahr des Dareios zurückfällt. Außerdem unterscheidet es sich in der Orthographie der nomina propria von dem konkurrierenden Datum in 1,7. 11
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ßeren literarischen Zusammenhang (Hag 1 – Sach 8) nachträglich einzubetten.13 Daher ist der Sacharjaprolog auf zwei Ebenen zu interpretieren. Chronologisch ist er unmittelbar vor der Grundsteinlegung zum Zweiten Tempel einzuordnen. Literarisch hingegen eröffnet er den Zyklus der Nachtgesichte und will den Leser auf diese hin orientieren.14
2. Zum chronologischen Ort des Sacharjaprologs Chronologisch haben die Redaktoren des Zweiprophetenbuches (Hag 1 – Sach 8) den Sacharjaprolog zwischen den in Hag 2,1–9 und 2,10ff berichte|ten Ereignissen platziert. Damit geht ihm die Weissagung von der künftigen Herrlichkeit des Tempels (ėęė ĭĜĔė ĖĘĔĞ) voraus, die Haggai am 21.7. kündete (Hag 2,9). In der Folge einer weltweiten Erschütterung von kosmischen Ausmaßen würden die Kostbarkeiten der Völker zum Haus JHWHs nach Jerusalem gebracht werden, um dort als Edelmetallspenden von Gold und Silber zur Herrlichkeit des Tempelbaues beizutragen. Etwa einen Monat später, im achten Monat des zweiten Jahres des Dareios (Sach 1,1) habe dann der Prophet Sacharja sich mit seiner kräftigen Umkehrpredigt zu Wort gemeldet (Sach 1,3–6a), die schließlich auch zur Umkehr seiner Hörer, der Jerusalemer, geführt habe (Sach 1,6b).15 13
Beuken, Haggai – Sacharja, 84ff, und Schöttler, Gott, 401ff, haben durch gründliche Analysen auf den sekundären Charakter des Sacharjaprologes aufmerksam gemacht. Kaiser, Einleitung, 288; Blenkinsopp, Geschichte, 207; Lescow, Sacharja 1–8, 95ff, u.a. haben sich diesem Urteil angeschlossen. Als redaktionell unter Verwendung echter Sacharjaworte betrachten ihn Petitjean, Oracles, 1ff; Rudolph, Sacharja, 71, und zuletzt Pola, Priestertum, 43. Durchweg echtes Spruchgut des Propheten glauben Horst/Robinson, Kleine Propheten, 210f; van der Woude, Väter, 173; Hanhart, Sacharja, 26, und Tigchelaar, Prophets, 71ff, im Prolog wiedererkennen zu können. Graf Reventlow, Sacharja, 38, sieht in V. 2–6 „die erste öffentliche Äußerung Sacharjas“ die spätere Redaktoren, denen wir die Komposition des Prophetenbuches verdanken, mit Sach 7,7–14 als eine Art Rahmen um das Korpus der Nachtgesichte legten. 14 Sach 1,1 wurde mit der Einfügung des Prologs (V. 2–6) nötig, um einerseits die Grenze zwischen der Überlieferung Haggais und Sacharjas neu zu ziehen, die ursprünglich mit 1,7 gegeben war. Andererseits sorgte der Vers für die unmissverständliche Zuschreibung des Prologs an Sacharja, der damit zum Mitinitiator des Tempelbaus gemacht wurde. 15 In der Sacharjaexegese ist umstritten, ob sich 1,6b auf die Generation der Väter bezieht (so Schöttler, Gott, 47f, und Hanhart, Sacharja, 31, oder auf die Hörer des Propheten (Graf Reventlow, Sacharja, 31). Der Gesamtduktus des Prologs spricht dafür, dass die Hörer des Propheten Subjekt der Umkehr sind. An sie, die gegenwärtige Generation, richtet sich der Umkehrruf in V. 3, der auf dem Hintergrund des Zornes Gottes über die Väter (V. 2) und der Aufforderung, nicht ihrem Negativbeispiel zu folgen (V. 4), erging. In V. 5–6a werden mögliche oder auch tatsächliche Einwände aus dem Weg ge-
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Wiederum einen Monat später, am 24.9. ergreift erneut der Prophet Haggai das Wort. Die Einholung einer priesterlichen Tora führt zu der Feststellung, dass alles, was das Volk tut (ĠėĜĖĜ ėĬĥġČğĞ) und alles, was sie dort (wahrscheinlich auf dem bereits neu errichteten Brandopferaltar16) darbringen, bisher noch (!) unrein sei (2,10–14). Der unübersehbare Zeitmarker ėĭĥĘ | in Hag 2,15 signalisiert dann, dass sich dies von diesem Tage an, dem 24.9., dem Tag der Grundsteinlegung zum Tempel, grundsätzlich ändern würde. Die dreimalige Nennung dieses Datums (2,10.18.20) markiert unübersehbar die Wende vom Unheil zum Heil. Sie steht unter der Verheißung JHWHs: „Von diesem Tage an will ich segnen!“ (2,19b)
Neben der Grundsteinlegung zum Zweiten Tempel verbindet Haggai mit diesem Tag dann auch die Erwählung des persischen Statthalters ( ėĚħ) Serubbabel (Hag 1,1.14; 2,2.21),17 eines Davididen (1 Chr 3,19), zum Siegelring JHWHs (Hag 2,23). Wenn die Redaktoren des Zweiprophetenbuches Hag 1 – Sach 8 den Sacharjaprolog chronologisch in diese Ereigniskette eintakteten, dann verbanden sie damit wohl folgendes Umkehrkonzept: räumt. Das Gerichtswort Gottes hat die Väter erreicht. Diese Erinnerung an die Geschichtsmächtigkeit des Wortes Gottes führte die gegenwärtige Generation schließlich zu der Einsicht von der Notwendigkeit der Umkehr in V. 6b. Dafür spricht auch Sach 7,7– 14, ein Text, der thematisch und lexematisch auf 1,1–6 bezogen ist. Auch in ihm ist mit keinem Wort von einer Umkehr der Väter die Rede. 16 Vgl. Esr 3,1–7. Es ist weithin eine ungeklärte Frage, wann der Opferdienst im Jerusalemer Tempel wieder aufgenommen wurde, und ob er nach der Zerstörung des Tempels überhaupt vollkommen zum Erliegen kam. Nach Jer 41,5 wurden auch weiterhin Speiseopfer und Weihrauch nach Jerusalem gebracht. Willi-Plein, Tempel, 61, rechnet mit der Wiedererrichtung eines (provisorischen?) Brandopferaltars spätestens zu Beginn der Tempelbaumaßnahmen, evtl. bereits unmittelbar nach 587 v. Chr. (so auch Japhet, The Temple in the Restoration Period). Dass man nach der Zerstörung von Kultstätten bemüht war, einen wenigstens eingeschränkten Kultbetrieb möglichst bald wieder aufzunehmen und dabei auch pragmatische Lösungen fand, hat Berlejung, Notlösungen, 196–230, gezeigt. Sie weist allerdings darauf hin, dass im Falle der vollkommenen Zerstörung von Tempeln derartige pragmatische Lösungen schwieriger waren, da ein geregelter Kultbetrieb eine Wiederherstellung des Tempels und seine Weihe zur Voraussetzung hatte (ebd., 212). 17 Ob es sich bei dem Amt eines ėĚħ, das Serubbabel innehatte, um die offizielle Funktion des Statthalters einer bereits bestehenden Provinz Jehud handelt (so zuletzt mit wichtigen Argumenten Meinhold, Serubbabel, 194ff, u.a. oder doch eher um einen lediglich mit der Rückführung von Exulanten und dem Tempelbau beauftragten „Repatriierungskommissar“ (Alt, Die Rolle Samarias, 335; Donner, Geschichte, 411), wofür sich jüngst wieder Pola, Priestertum, 12f.131, ausspricht, darüber ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.
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1. Sie wollten sicherstellen, dass der Wiederaufbau des Tempels und mit ihm die Wende zum Heil nicht allein auf eine Wiederaufbauinitiative des Propheten Haggai zurückzuführen sei, sondern auch auf die Umkehrpredigt des Sacharja.18 2. Sie legten damit ein Verständnis von Umkehr nahe, wonach diese sich praktisch in der Wiederaufnahme der Arbeiten am Tempel und chronologisch in unmittelbarer Vorbereitung auf seine Grundsteinlegung vollzog.19 3. Dies impliziert eine Deutung der Verheißung von JHWHs Umkehr (Sach 1,3b) als Rückkehr nach Jerusalem in „sein Haus“, das sich bereits im Bau befand.20 | Wenn dies zutrifft, dann stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt diese Rückkehr JHWHs möglich war: noch vor und während der Bauarbeiten am Tempel, oder erst mit dessen Fertigstellung und Wiedereinweihung? Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Seitenblick auf das tempeltheologische Konzept des Ezechielbuches hilfreich.21 Danach verlässt der ĖĘĔĞ ėĘėĜ Jerusalem, die Stadt und den Tempel (Ez 11,22–25), am fünften Tag im sechsten Monat des sechsten Jahres (Ez 8,1) nach der Wegführung Jo18
Diese Sicht der Dinge fand dann auch in Esra 5,1f Eingang. Dabei ist davon auszugehen, dass dem Vf. von Esra 5 das Zweiprophetenbuch Hag 1 – Sach 8 einschließlich des Prologs Sach 1,1–6 bereits als Quelle vorgelegen hat. 19 So auch Hanhart, Sacharja, 35: „Die Umkehr Israels zu Jahwe besteht innerhalb des ganzen Zeugnisses in einem geschehenen Akt des Gehorsams: dem Beginn des Tempelbaus [...]“ 20 Ebenso Hanhart, Sacharja, 35. Willi-Plein, Tempel, 59, interpretiert die Wurzel ĔĘĬ in V. 3 ebenfalls als Ausdruck der Rückkehr JHWHs zum Zion und entsprechend dazu möglicherweise auch der babylonischen Gola nach Jerusalem (ebd., Anm. 11). Letzteres halte ich für weniger wahrscheinlich, da der Sacharjaprolog von seiner literarischen Kon|zeption und seiner chronologischen Verortung her eher ein Aufruf an die Jerusalemer ist, die bereits das Tempelbauwerk in Angriff genommen hatten. Das schließt allerdings nicht aus, dass sich spätere Leser des Sacharjabuches in der Gola durch diesen Umkehrruf auch zur Rückkehr aufgerufen wissen sollten. Es ist daher zwischen dem literarischen Konzept und seiner möglichen Wirkung zu unterscheiden. 21 Dabei betrachte ich für meine weiteren Überlegungen dieses Tempelbaukonzept des Ezechielbuches synchron in seiner vorliegenden Endgestalt. Meine Absicht ist es, damit lediglich auf ein theologisches Konzept von Tempelzerstörung und Tempelerneuerung hinzuweisen, das in seiner vorliegenden Gestalt im Ezechielbuch ohne Zweifel Produkt eines diachronen Fortschreibungsprozesses ist, in seinen wichtigsten Elementen aber auf ein sehr viel älteres altorientalisches Konzept zurückgeht, welches die Krise und Erneuerung von Tempelkulten theologisch verarbeitet. Zu Ezechiel siehe vor allem Rudnig, Heilig; ders., Ezechiel 40–48, 527–631; Konkel, Architektonik; ders., Tempelvision. Dabei gehe ich mit Konkel davon aus, dass es sich bei der Tempelvision in Ez 40–48 um eine theologische Kritik an der Kultpraxis des bereits bestehenden Zweiten Tempels handelt, die das Programm eines Idealtempels der Endzeit entwirft.
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jachins, also noch vor ihrer Zerstörung. Es ist davon auszugehen, dass dieser Auszug des ėĘėĜ ĖĘĔĞ die Preisgabe der Stadt, ihrer Einwohner und des Tempels impliziert. JHWH selbst soll durch die spätere Zerstörung nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Fünf Jahre später erhält der Prophet dann die Nachricht vom tatsächlichen Fall Jerusalems (Ez 33,21f), mit dem die ihm in Ez 24,27 auferlegte Verstummung aufgehoben wird. Wiederum vierzehn Jahre nach der Eroberung Jerusalems (Ez 40,1) empfängt der Prophet schließlich im Rahmen des sogenannten Verfassungsentwurfes (Ez 40–48) seine große Tempelvision. In göttlichen Gesichten wird er – fast wie ein Heimwehtourist – in das Land Israel auf einen hohen Berg entführt, wo ihm ein „himmlischer Vermessungsingenieur“ (Ez 40,3f) 22 den künftigen Tempel schauen lässt. | Dieser wird in Ez 40,5–42,20 detailliert beschrieben.23 Ezechiel sieht ihn aber nicht als eine Art Architekturmodell, einen ĭĜģĔĭ, wie ihn Mose von der anzufertigenden Stiftshütte zu sehen bekam (Ex 25,9.40).24 Vielmehr entführt ihn die Vision in eine vorweggenommene „virtuelle Wirklichkeit“, in der er sich wie in der Realität bewegt. Er schreitet das komplette Tempelgelände ab. Diese visionäre Führung durch den in der Vision bereits bestehenden und fertiggestellten Tempel schließt in Ez 43,1–12 mit der Schau der Rückkehr des ėĘėĜ ĖĘĔĞ in den Tempel. Dem schließen sich dann mit der Weihe des großen Brandopferaltars (43,13ff) und der Vermauerung des Osttores, durch das der ėĘėĜ ĖĘĔĞ Einzug hielt (Ez 44,1–3), weitere Ordnungen an, die den künftigen Tempel22 Nach Rudnig, Ezechiel 40–48, 538, gehört Ez 40,3f zu einer sogenannten „MannBearbeitung“ aus einer Spätphase der Fortschreibung des Verfassungsentwurfes. Wenn diese redaktionsgeschichtliche Zuordnung richtig ist, dann diente der Text nicht als Vorlage für das dritte Nachtgesicht des Sacharja (Sach 2,5–9), das die Vermessung Jerusalems und die Einwohnung des ėĘėĜ ĖĘĔĞ in der Mitte der Stadt im Blick hatte, sondern knüpfte eher an dieses Nachtgesicht des Sacharja an und bezog es auf einen künftigen | Idealtempel. Von einer Aufnahme von Ez 40–48 durch Sacharja geht neben den meisten Kommentaren auch noch Delkurt, Nachtgesichte, 138ff, aus. Für ihn enthält Sach 2,5–9 eine „Korrektur der Erwartungen von Ez 40–48“, die den stark kultisch eingefärbten Tempelplan des Ezechiel auch auf den Profanbereich der Stadt Jerusalem bezogen habe. Liest man allerdings mit Konkel, Tempelvision, 164ff, den Verfassungsentwurf des Ezechiel eher als eine Kritik an dem real existierenden Zweiten Tempel, dann dürfte Ez 40–48 wohl eher eine an der Heiligkeitstheologie orientierte Interpretation und Korrektur der Konzeption von Sach 2,5–9 enthalten, wonach die Stadt als profaner Lebensraum und der heilige Tempel noch nicht als Sonderbereiche ausgewiesen und getrennt worden waren, sondern ganz und gar miteinander verzahnt gewesen sind. Vgl. zu diesem sacharjanischen Konzept auch die redaktionelle Fortschreibung der Nachtgesichte in Sach 6,13, die wahrscheinlich noch von einem unmittelbaren Nebeneinander von Tempel und Palast sowie priesterlichem und königlichem Thron ausgeht. 23 Vgl. dazu den Tempelplan bei Rudnig, Ezechiel 40–48, 631. 24 Zur Bedeutung des Nomens ĭĜģĔĭ siehe Schroer, In Israel gab es Bilder, 336f. Zu den archäologischen Befunden vgl. Bretschneider, Architekturmodelle.
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dienst und das Gemeinwesen betreffen. Der Tempel selbst wird durch den von ihm ausgehenden Tempelstrom zu einer Quelle der Fruchtbarkeit des Landes (Ez 47,1–12).25 Die tempeltheologische Konzeption des Ezechielbuches lässt damit deutlich erkennen, dass sich die Verfasser des Verfassungsentwurfes eine Rückkehr JHWHs in sein Haus wohl erst nach dessen Fertigstellung vorstellen konnten. Zwischen diesem tempeltheologischen Konzept des Ezechielbuches und der gemeinorientalischen Tempeltheologie gibt es eine Fülle von Berührungspunkten, die in ihrer Gesamtheit fast so etwas wie eine Strukturanalogie darstellen. Angelika Berlejung hat in einer Arbeit über den Tempelkult in | Nachkriegszeiten26 zeigen können, dass man im Falle von kriegerischen Auseinandersetzungen, durch die auch der Kultbetrieb der Besiegten in Mitleidenschaft gezogen wurde, häufig mit einer doppelten Bewältigungsstrategie rechnen muss. Für entweihte, geplünderte, um ihre Schätze und Götterbilder beraubte und teilweise auch beschädigte Heiligtümer fanden die Unterworfenen recht bald nach der Katastrophe pragmatische Lösungen, die eine wenigstens eingeschränkte Fortsetzung des Kultbetriebes ermöglichten. Die ideologische Bewältigung solcher Katastrophen folgte hingegen oft einem ganz anderen Muster.27 Beispielhaft dafür soll hier die Marduk-Prophetie aus der Zeit Nebukadnezars I. (1124–1103 v. Chr.) erwähnt sein. Zwar handelt es sich dabei um einen Text aus dem 2. Jt. v. Chr., aber er dürfte – so Angelika Berlejung – wohl auch für die Bewältigungsstrategie späterer Jahrhunderte exemplarisch sein. Danach wurde die Marduk-Statue infolge kriegerischer Auseinandersetzungen mehrfach aus ihrem Tempel in Babylon entführt. So kam es z.B. zu einer Verschleppung der Statue um 1160 v. Chr., als die Elamiter die Kassiten-Dynastie von Babylon beseitigten. Diese Verschleppung der Statue, die Zwischenzeit in Babylon und ihre Rückkehr wird wie folgt beschrieben: „18Ich bin Marduk, der große Herr, 19Der Herr der Geschicke und der Entscheidungen bin ich. [...] 22Ins Land Elam ging ich. 23Daß alle Götter (mit)gingen habe ich selbst befohlen. 24Die Speiseopfer in den Tempeln unterband ich selbst. 25Schakkan und Nisaba ließ ich zum Himmel emporsteigen. Kol. II 1Siris machte das Herz des Landes krank. 2Die 25
Siehe dazu Zwickel, Tempelquelle, 140–154, und vor allem Ego, Wasser der Gottesstadt, 361–389. 26 Berlejung, Notlösungen, 196–230. 27 Berlejung, Notlösungen, 223: „Während die kultische Realität von pragmatischem Katastrophenmanagement mit zügig betriebener Rückkehr zur Normalität des konventionellen Kultes geprägt ist, kennzeichnet die theologische Interpretation die Zeit bis zur offiziellen Wiederweihe eines Tempels als Ausnahme und Unheilszeit, in der um ein (wieder) intaktes Gottesverhältnis gerungen, oder auf den König, der dasselbe wieder herstellen kann, gewartet werden muß.“
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Leichen der Menschen verstopften die Tore. 3Einer aß den andern, 4Freunde erschlugen einander mit der Waffe, 5Die Freigeborenen 6legten Hand 5an die Abhängigen. 7Das Szepter wurde kurz, das Land war in großen Schwierigkeiten. 8Rebellenkönige verkleinerten das Land. 9Löwen versperrten den Weg, 10Hunde [wurden toll] und bissen die Menschen, 11wen sie bissen, der gesundete nicht, sondern starb. 12Ich erfüllte meine Tage, ich erfüllte meine Jahre. 14Dann sehnte ich mich 13nach meiner Stadt Babylon 14und zum Tempel Sagila. 15Ich rief die Göttinnen alle [und] 16befahl: ‚Bringt eure Abgaben, ihr Länder, nach Babylon, 18 [...]!‘ 19Ein König von Babylon wird aufkommen und 20das staunenswerte Haus, 21den Tempel Sagila erneuern, 22Die Pläne von Himmel und der Erde 23wird er im Tempel Sagila aufzeichnen. 24Dessen Höhe wird er vergrößern. Steuerfreiheit 25wird er meiner Stadt Babylon gewähren. 26Meine Hand wird er ergreifen und in meine Stadt Babylon 27und in den ewigen Tempel Sagila [mich] eintreten lassen. [...] Kol. III 7’[Dieser Fürst] wird einen gnädigen [Go]tt sehen, 8Seine Regierungsj[ahre] werden lang sein. [...] Kol. IV [...] 4Dieser Fürst wird mächtig sein und [seines]gleichen [nicht bekommen]. [...] | 12Dieser Fürst wird das Land seine üppigen Kräuter essen lassen. 13Seine Tage werden lang sein.“28
Die Bewältigungsstrategie der hier geschilderten Kultkatastrophe besteht aus sechs Sequenzen, die unter Berücksichtigung der noch zu benennenden Differenzen auch die Tempeltheologie des Ezechielbuches prägen: Marduk-Prophetie
Ezechiel
1. Die Gottheit verlässt aus eigenem Entschluss (und im Zorn) ihren Tempel und ihre Stadt, um diese zu bestrafen.
1. Götzendienst im Tempel (Ez 8) führt dazu, dass JHWH Jerusalem und seiner Führungsschicht das Gericht ankündigt (Ez 9; 11) und seine Herrlichkeit die Stadt und den Tempel aus freiem Entschluss verlässt (Ez 11,22–25).
2. Mit dem Auszug der Gottheit bricht eine Unheilszeit an, die ein natürliches und gesellschaftliches Chaos zu Folge hat.
2. Dieser Preisgabe Jerusalems folgt eine Unheilszeit, die von gesellschaftlichem Chaos bestimmt ist, von Deportation (Ez 12), falscher Prophetie (Ez 13), Götzendienst (Ez 14; 16) und Blutschuld (Ez 22). Sie findet mit dem Fall Jerusalems ihren Höhepunkt (Ez 33,21f).
3. Nach einer durch die Gottheit festgesetzten Frist beschließt diese ihre Rückkehr.
3. Nach dem Ende der Straffrist verheißt JHWH, dass er sich wieder seinem Volk und seinem Land zuwenden wolle (Ez 36f; 39,25ff), um die Notzeit zu beenden.
4. Voraussetzung für diese Rückkehr ist die Erneuerung und der Wiederaufbau des geschändeten und entweihten Heiligtums durch einen neu aufkommenden König.
4. Auf diese Verheißung hin erfolgt die Vision von der Errichtung des künftigen Tempels (Ez 40–42). |
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Übersetzung nach K. Hecker (TUAT II/1, 66f).
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5. Den Abschluss findet die mit dem Verlassen von Stadt und Tempel anhebende Unheilszeit endgültig mit einem feierlichen Rückkehrritual der Gottheit in ihren Tempel.
5. Diese findet ihren Höhepunkt in der Schau des erneuerten Einzugs der Herrlichkeit JHWHs in den Tempel (Ez 43).
6. Die Folge der wieder hergestellten Präsenz der Gottheit im Tempel besteht in einer Bewahrung und Förderung der königlichen Dynastie und einer wirtschaftlichen Prosperität seines Landes.
6. Abgeschlossen wird die Tempelvision mit der Schau der Tempelquelle, die sich in das ganze Land ergießt und es mit reicher Fruchtbarkeit segnet (Ez 47,1–12).
Die Gemeinsamkeiten sind unübersehbar. Da diese Sequenz nicht nur in der Marduk-Prophetie, sondern teilweise oder auch ganz in anderen altorientali|schen Tempelbautexten begegnet,29 dürfen wir vermuten, dass auch die frühnachexilische Tempelbautheologie daran partizipierte.30 Die Differenzen zum Tempelkonzept Ezechiels sind wohl vor allem auf die Eigenart des exilischen und frühnachexilischen JHWH-Glaubens zurückzuführen. Das Verlassen von und die Rückkehr nach der Stadt und ihrem Tempel durch die Gottheit hatte keinen materiellen Anhalt an der Verschleppung und Heimholung einer Götterstatue, die für den mesopotamischen Bereich als selbstverständlich vorauszusetzen ist.31 Die hinter der Marduk-Prophetie stehende Realie Götterbild wird ersetzt durch den ĖĘĔĞ ėĘėĜ.32 Und so vollzieht sich sein Aus- und Einzug eben auch „nur“ in der 29 Als weiteres Beispiel soll hier lediglich der Bericht Nabonids über den Wiederaufbau des Echulchul in Harran (TUAT II/4, 493–496) genannt sein, ein Text, mit dem wir uns in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Wiederaufbau des Zweiten Tempels befinden. Danach zürnte der Mondgott Sin der Stadt Harran (1.), was die Zerstörung von Stadt und Tempel durch die Meder zur Folge hat (2.). Nach einer Zeit erbarmt sich Sin aus Liebe zu Nabonids Königtum seiner Stadt und seines Tempels (3.). In einem Traum beauftragt er den König mit dem Wiederaufbau des Tempels (4.), den dieser umgehend in Angriff nimmt. Nach der Fertigstellung führt Nabonid (die Götterbilder von) Sin, Ningal, Nusku und Sadarnunna in einem feierlichen Akt in den wieder hergestellten Tempel, in dem diese Wohnung nehmen (5.). Als Folge davon verspricht sich Nabonid Gutes für die Stadt Harran und die Festigung seiner Dynastie (6.). 30 Damit wird selbstverständlich nicht irgendeine Form der literarischen Abhängigkeit der biblischen Tempelbauberichte des Ezechielbuches oder Haggais von den altorientalischen Tempelbautexten behauptet. Vielmehr wird man von einem gemeinorientalischen Vorstellungsmuster ausgehen können, das je nach Bedarf literarisch individuell gestaltet werden konnte. Von einer derartigen altorientalischen „temple-building typology“ gehen auch Meyers/Meyers, Haggai, viii, aus. 31 Siehe dazu weitere Belege bei Spieckermann, Juda unter Assur, 348f, und Berlejung, Notlösungen, 199, Anm. 15. 32 Der ėĘėĜ ĖĘĔĞ ist als Ausdruck der Präsenztheologie auch sonst eng mit JHWHs sichtbar/unsichtbarer Anwesenheit im Heiligtum verbunden. Vgl. dazu Weinfeld, ĖĘĔĞ, ThWAT IV, 30ff; Janowski, Sühne als Heilsgeschehen, 303ff; Struppe, Herrlichkeit; Kai-
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visionären Schau. Ob der Prophet damit die Vorstellung von einem konkreten Kultritual | verband, das ganz sicherlich hinter der Mardukprophetie stand, ist eine offene Frage.33 Darüber hinaus verband Ezechiel (im Unterschied zu Haggai) mit dem Wiederaufbau des Tempels und der Rückkehr des ėĘėĜ ĖĘĔĞ keinerlei königliche Initiative. Vielmehr fällt auf, dass an die Stelle des ĝğġ im Verfassungsentwurf des Ezechiel der ēĜĬģ tritt, der zwar auch im künftigen Tempelkult bestimmte Rechte und vor allem Pflichten wahrzunehmen hat (Ez 45,7ff.13ff; 46), nicht aber als Tempelbauer in Aktion tritt.34 Trotz dieser Differenzen lässt sich festhalten, dass sowohl für die altorientalische Tempeltheologie als auch für Ezechiel eine endgültige Rückkehr der Gottheit in ihr Land und ihre Stadt erst nach der vollständigen Wiederherstellung und Erneuerung ihres Tempels möglich war. Bezieht man in diese Überlegungen das Zweiprophetenbuch Hag 1 – Sach 8 ein, dann fällt auf, dass wohl auch Haggai und in geringerem Maße Sacharja35 an dieser im Alten Orient verbreiteten Tempelideologie partiziser, Gott, 183–198. Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich beim ĖĘĔĞ ėĘėĜ um ein Feuer-, Licht- und Glanzphänomen handelt (siehe dazu u.a. Ex 24,17; Lev 9,23f; Dtn 5,24; 2 Chr 7,1.3; Ps 97,3ff; Jes 58,8; 60,1; Ez 1,28; 10,4 und bes. Podella, Lichtkleid, 212ff). Die damit verbundene Metaphorik assoziiert im Falle der Anwesenheit des ĖĘĔĞ den Zustand von Licht, Heil und Leben, im Fall seiner Abwesenheit Finsternis, Unheil und Tod (vgl. exemplarisch dazu Ps 104!). Vgl. für den altorientalischen Raum Janowski, Rettungsgewißheit, 56ff. 33 Siehe zu dieser Problematik die instruktiven Überlegungen von Ronning, Ritual. Der rituelle Hintergrund der gemeinorientalischen Tempelbausequenz steht außer Frage, da sie ein stark formalisiertes Handeln noch deutlich erkennen lässt. Das besagt allerdings nicht, dass jeder Text, der sich an diesem formalisierten Handlungsmuster orientiert, die Wiedergabe eines konkreten Rituals darstellt. Vielmehr können Rituale auch in Texte abwandern und schließlich nur noch ein literarisches Nachleben führen. 34 Darin unterscheidet sich die Rolle des ēĜĬģ in Ez 40–48 deutlich von der Rolle Serubbabels bei Haggai oder in Sach 4,6b–10. Zur Problematik bei Ezechiel siehe Rudnig, Heilig, 137–164. 35 Im Unterschied zu Haggai spielt die Tempelbauthematik im Sacharjabuch eine untergeordnete Rolle. Expressis verbis ist davon lediglich in Sach 1,16; 4,6–10 und 8,9 die Rede. Alle drei Stellen sind in ihrer ursprünglichen Zugehörigkeit zu Sach 1–8 umstritten. Das hat Marinkoviÿ, Tempel, und in seiner Folge dann auch Delkurt, Sacharja und der Kult, zu der These veranlasst, Sacharja habe ursprünglich zum Wiederaufbau des Tempels weder Stellung genommen, noch in irgendeiner Weise beigetragen (P. Marinkoviü) und dem Kult insgesamt eher mit kritischer Reserve gegenübergestanden (H. Delkurt). An dieser Hypothese ist sicherlich so viel richtig, dass man die Nachtgesichte des Sacharja nicht durchweg als „Bilder vom Tempelbau“ lesen sollte, wie das etwa noch von Seybold, Bilder, und der älteren Forschung getan wurde. In ihnen geht es sehr viel umfassender um die „Neuordnung des Gottesvolkes“ nach dem Exil, was von Schöttler, Gott, im Untertitel „Die Neuordnung des Gottesvolkes nach Sacharja 1–6“ zutreffend zum Ausdruck gebracht worden ist. Allein die Tatsache allerdings, dass spätere Bearbeiter der
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pier|ten. Dabei ist allerdings die geschichtliche Stunde der beiden frühnachexilischen Propheten zu berücksichtigen. Haggai und Sacharja übernehmen die hier kurz skizzierte Tempelbausequenz nicht vollständig, sondern passen sie ihrem besonderen Ort in diesem Geschehensablauf an. Sie berichten nicht explizit, sondern allenfalls implizit darüber, dass JHWH Tempel und Land verlassen habe (Sequenz 1).36 Haggai setzt mit der Klage über den immer noch in Trümmern liegenden Tempel und über die Zögerlichkeit der Judäer ein, diesen wieder aufzubauen (Hag 1,2–4). Die Folge dieses kultischen Desasters besteht in der Andauer einer Unheilszeit, die gekennzeichnet ist durch Mangel an Nahrung, Kleidung und ausreichendem Lohn (Sequenz 2: Hag 1,5–11.16f). Diese Schilderung impliziert zumindest, dass JHWH dem Volk seine heilvolle Zuwendung entzogen hat. Doch der historische Ort Haggais und Sacharjas ist das Ende dieser Unheilsepoche. JHWH hält die Zeit für eine Rückkehr seines ĖĘĔĞ für gekommen (Sequenz 3: Hag 1,8; 2,7; Sach 2,9)37 und bindet diese an die Wiedererrichtung seines Tempels (Hag 1,8), für die nach Haggai und Sacharja vor allem der nach Jerusalem zurückgekehrte Davidide Serubbabel und der Hohepriester Joschua verantwortlich zeichneten (Sequenz 4: Hag 1,1.12.14; 2,2; Sach 4,6–10a). Da das Zweiprophetenbuch uns lediglich in die Anfänge des Tempelbaus unter Serubbabel führt, verwundert es nicht, dass über die Fertigstellung des Baus, seine feierliche Einweihung und die Rückkehr des ĖĘĔĞ noch nicht berichtet wird (Sequenz 5), sondern dass diese für die Zukunft erst noch erwartet werden. Gegen alle Entmutigungen (2,1–4) verheißt aber Haggai als Folge des Wiederaufbaus, dass sich die Notsituation vom Tag der Grundsteinlegung an ändern werde. 38 Dann würde JHWH seinen Segen nicht mehr zurückhalten (Sequenz 6: Hag 2,15–19).39 Haggai- und Sacharjaüberlieferung das Sacharjabuch chronologisch, literarisch und lexematisch derartig eng mit der „Tempelbauchronik“ des Haggai verknüpft haben, sollte Warnung | genug sein, die ursprüngliche Sacharjaüberlieferung vollkommen von der Tempelbauproblematik abzukoppeln. 36 Ausdruck der Verlassenheit des Landes durch JHWH ist die Unfruchtbarkeit und der daraus folgende Nahrungsmangel (Hag 1,6.9–11.16f; Sach 8,10). 37 Zum Niederschlag der ĖĘĔĞ-Theologie bei Haggai und Sacharja siehe Pola, Priestertum, 57f. 38 Haggai erwartete die Wende zum Heil offensichtlich nicht erst mit der Fertigstellung des Bauwerkes und der feierlichen Rückkehr des ėĘėĜ ĖĘĔĞ, sondern bereits mit der Grundsteinlegung. Es scheint so, dass die Nachtgesichte die Zeitperspektive dieser (ein wenig übereilten?) Erwartung korrigieren und auf die unmittelbar bevorstehende Zukunft übertragen. Möglicherweise hatte Sacharja dabei die absehbare Fertigstellung des Tempelbaus und seine Einweihung im Blick (vgl. Sach 4,9f; 7,1–6; 8,19). 39 Sach 8,9–12 (wahrscheinlich eine redaktionelle Verklammerung mit Hag 2,15ff) nimmt diese mit der Grundsteinlegung verbundene Heilserwartung (der chronologischen
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Auch für Haggai ist demnach die tempellose Zeit als Unheilszeit qualifiziert, in der JHWH seinem Volk seinen Segen entzogen hat. JHWH selbst | drängt auf eine Beendigung dieser Zeit durch den Wiederaufbau des Tempels. Er beauftragt damit durch seinen Propheten40 den Davididen Serubbabel und Joschua den Hohenpriester. Und er verheißt für den Fall des Gehorsams das Ende der Unheilszeit, Fruchtbarkeit und reichen Segen. Der Wiederaufbau des Tempels ist damit die klare Bedingung für diese erneute Zuwendung JHWHs zu seinem Volk. Wenn nun ein späterer Redaktor den Sacharjaprolog chronologisch noch vor dem Tag der Grundsteinlegung einordnete und den Visionär der Nachtgesichte damit eindeutig der Tempelbauthematik Haggais zuordnete, dann sollen wohl Gebot und Verheißung von Sach 1,3 auch in diesem Kontext interpretiert werden. Das Gebot umzukehren, das praktisch die Wiederaufnahme der Arbeiten am Tempel bedeutete,41 bildete demnach die Voraussetzung und | wohl auch Bedingung für die Erfüllung der Verheißung, dass Gott seinerseits sich den Seinen wieder zuwenden würde, um in seiner Stadt und seinem Tempel erneut Wohnung zu nehmen.42 Gottes BeEinordnung nach, vgl. Sach 7,1) zwei Jahre später noch einmal auf und bezieht sie nunmehr auf die unmittelbar bevorstehende Jetztzeit. Vgl. das betonte ėĭĥĘ in 8,11! 40 In diesem Aspekt unterscheidet sich das Tempelbaukonzept Haggais deutlich von anderen altorientalischen Tempelbaukonzepten. Während im Alten Orient die Initiative zur Wiederherstellung eines Heiligtums ganz deutlich in der Hand des Königs liegt, der damit seiner herrschaftlichen Funktion als Tempelbauer nachkommt (vgl. Lux, König), wird hier die Rolle der Propheten zur unabdingbaren Voraussetzung für den Wiederaufbau. Sie, Haggai (und Sacharja), erscheinen der Überlieferung nach als die eigentlichen Initiatoren des Wiederaufbaus und nicht etwa der persische Reichskönig, wie das nach Esr 1,2ff; 6,3ff der Fall zu sein scheint. Da die Historizität des sogenannten Kyros-Ediktes überaus umstritten ist (vgl. zur Problematik Kaiser, Einleitung, 180f; Gunneweg, Esra, 40ff.105f), sollte man Haggai und Sacharja auch nicht von dem dort begegnenden Geschichtskonzept her interpretieren, sondern zunächst einmal aus sich selbst heraus zu verstehen suchen. Diese methodische Forderung wird mit gutem Recht von Bedford, Temple Restoration, erhoben. Er erklärt: „It will be argued that neither social conflict nor a specific Achaemenid Persian administrative policy is the context in which to understand the purpose and timing of the rebuilding of the Jerusalem temple of Yahweh“ (ebd., 32). Vgl. ders., Discerning. Jüngst kommt auch Grätz, Edikt, zu dem Ergebnis, dass es sich beim Esrabuch (vor allem in Kap. 7ff) um eine „Geschichtsfiktion“ handle, was auch die dort verwendeten Urkunden und Dokumente einschließe (279f). Nach alledem haben wir es bei Haggai und Sacharja wohl eher mit einem prophetischen und weniger mit einem königlichen Tempelbaukonzept zu tun, da es erst einer energischen Überzeugung des Davididen Serubbabel durch Haggai bedarf. Ähnlich Japhet, Sheshbazzar and Zerubbabel. Auch sie geht davon aus, dass die Initiative zum Tempelbau nach dem Scheitern unter Sheshbazzar später vor allem von Haggai ausging. 41 So auch Hanhart, Sacharja, 35. 42 Allein diese durch den sekundären Einschub des Sacharjaprologs bewirkte Zusammenschau des Wirkens Haggais und Sacharjas sollte Mahnung genug sein, hinter die The-
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schluss zur Rückkehr geht dem Gebot zur Umkehr voraus. Das Gebot steht im Zeichen der Verheißung! Aber damit aus dem Beschluss JHWHs auch Wirklichkeit werden kann, will das Gebot erfüllt sein, will der Grundstein gelegt und der Bau errichtet werden.
3. Zum literarischen Ort des Sacharjaprologs Werfen wir abschließend noch einen Blick auf den literarischen Ort, den der Prolog einnimmt. Denn wenn es zutrifft, dass der Sacharjaprolog nachträglich in ein bereits bestehendes Zweiprophetenbuch eingebettet wurde, dann legten die Redaktoren offensichtlich auch Wert auf eine doppelte Lektüre, die nicht nur den chronologischen Ort des Textes, sondern auch seinen literarischen Kontext ernst nimmt. Literarisch folgt er auf die Verkündigung Haggais, die in der Erwählungszusage an Serubbabel als Siegelring JHWHs gipfelte (Hag 2,23) und leitet den Zyklus der Nachtgesichte ein (Sach 1,7–6,8). Darf man in dieser literarischen Verortung mehr sehen als nur die deutliche Separierung der Verkündigung Sacharjas von der Haggais?43 Offensichtlich beabsichtigten die Redaktoren damit, dass die Umkehrpredigt des Sacharja auch als ein Präludium der Nachtgesichte gelesen werden sollte. Die mit dem Tempelbau vollzogene Umkehr der Hörer des Sacharja (1,6b) bildet damit zugleich auch die Voraussetzung für das Geschehen, das der Prophet etwa zwei Monate später, am 24.11. im zweiten Jahr des Dareios, schauen durfte. Die eigentliche Intention der Nachtgesichte (Sach 1,7–6,8) besteht m.E. darin, die gespannte Erwartung, die mit der feierlichen Grundsteinlegung zum Tempel verbunden war, aufzunehmen und mit einem späteren Zeitpunkt | (dem der noch ausstehenden Tempelweihe?44) zu verknüpfen.45 Sacharja entwirft gleichsam ein visionäres Programm, das zur endgültigen se von P. Marinkoviü und H. Delkurt, dass Sacharja ursprünglich nichts Wesentliches zum Bau des Zweiten Tempels zu sagen hatte (vgl. Anm. 35), ein Fragezeichen zu setzen. Es ist kaum annehmbar, dass spätere, von der ursprünglichen Botschaft des Propheten nicht all zu weit entfernte Redaktoren diesen mit einem ihm völlig fremden Thema und Anliegen in Verbindung brachten. 43 Es liegt auf der Hand, dass mit der Einfügung des Prologs Sach 1,2–6 in das Zweiprophetenbuch Hag 1 – Sach 8 eine neue Überschrift fällig wurde, die jetzt an die Stelle der ursprünglicheren in Sach 1,7 trat, da aus dem Prolog sonst ein Epilog zum Haggaibuch geworden wäre. Den Redaktoren lag also daran, die Umkehrpredigt dem Traditionsgut Sacharjas zuzuordnen. Deswegen darf sie nicht allein in ihrer chronologischen Abfolge gelesen werden. 44 In diese Richtung denken auch C. L. Meyers und E. M. Meyers. Sie vermuten, dass das Zweiprophetenbuch „was intended to be presented to the people in time for the rededication ceremony“ (Haggai, Zechariah 1–8, xliii).
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Überwindung der Unheilszeit und dem Anbruch umfassenden Heils führt. Dieser Anbruch umfassenden Heils ist elementar mit JHWHs Aufbruch von seiner heiligen (himmlischen) Wohnung (ĬĖĪ ĢĘĥġ) verbunden (Sach 2,17) und seiner Zusage, in Gestalt seines ĖĘĔĞ in der Mitte der Stadt Jerusalem, und das heißt wohl im Tempel, wieder Wohnung zu nehmen (Sach 2,9).46 So fordert er die Tochter Zion zu Freude und Jubel auf mit der Ankündigung: „Siehe, ich bin im Kommen und will in deiner Mitte wohnen, Spruch JHWHs.“ (Sach 2,14)47
Wenn dieser von Sacharja geschauten unmittelbar bevorstehenden Rückkehrbewegung JHWHs der Sacharjaprolog durch einen Redaktor vorangestellt wurde, dann sollte er wohl auch die Funktion haben, die Leser der Nachtgesichte daran zu erinnern, dass JHWHs Rückkehr und mit ihr seine gnädige Zuwendung zu seinem Volk nicht unabhängig vom Verhalten dieses Volkes gesehen werden kann (vgl. Sach 5,1–4). Deswegen erinnert er sie eindringlich an die Väter und die früheren Propheten. Der Prophet Sacharja wird demnach mit Sach 1,4 heimgeholt in die Reihe der vorexilischen Umkehrprediger, indem ihm der Prolog ein freies Jeremiazitat (Jer 25,4f) in den Mund legt.48 Der Auftrag der gegenwärtigen Generation, also der Leser der Nachtgesichte, bestand danach eindeutig darin, sich von dieser verfehlten Geschichte der Väter zu lösen, die hier lediglich noch als negatives exemplum historiae fungiert. Nur eine Umkehr von den bösen Wegen und Taten der Väter (Sach 1,4) könne aus dem Beschluss JHWHs, zu seinem Volk zurückzukehren, auch Wirklichkeit werden lassen. Daher ist die | Feststellung, dass die Hörer des „Umkehrpredigers“ Sacharja seiner Aufforderung auch wirklich nachkamen (Sach 1,6b),49 im gegenwärtigen literarischen Zusammenhang das auslösende Moment für die Vision vom großen Aufbruch JHWHs zu seinem Volk. Dieser wird 45
Dieser Zeitpunkt ist ganz offensichtlich bereits in Sach 4,9f im Blick, einem Text, der zwar sekundär in Sach 4 eingefügt wurde, aber durchaus noch aus der Feder des Propheten stammen dürfte. Vgl. dazu Kaiser, Einleitung, 288. 46 Zur mit der Wurzel ĢĞĬ verbundenen Einwohnung JHWHs im Tempel und in seinem Volk siehe Janowski, „Ich will in eurer Mitte wohnen“. 47 Dabei ist allerdings nicht mit Sicherheit zu klären, ob es sich bei Sach 2,14–17 um einen redaktionellen Zusatz handelt. 48 Dass es sich bei Jer 25,1–13 und auch 2 Reg 17,7–18.21–23 um Texte aus dtr. Feder handelt, wird bereits daran deutlich, dass sie bestimmte Geschichtsepochen in einem deutlich identifizierbaren Sprachduktus zusammenfassen. Siehe zu Jer 25 Wanke, Jeremia I, 224, und Albertz, Exilszeit, 236f. Zu 2 Reg 17,7ff vgl. Würthwein, Könige, 395ff. 49 Hanhart, Sacharja, 31ff, geht mit anderen davon aus, dass in V. 6b von einer Umkehr der Väter die Rede sei. Diese These steht allerdings in Widerspruch zu der klaren Aussage von V. 4, nach welcher die Väter in toto die Umkehr verweigert haben.
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im ersten Nachtgesicht (Sach 1,7–17), einer Art Berufungsvision des Propheten,50 ursprünglich bedingungslos angekündigt (Sach 1,16; 8,3). Mit der Vorschaltung des Prologs wird JHWHs Rückkehr aber unauflöslich an die Umkehr des Volkes gebunden. Während in den Nachtgesichten JHWH selbst das alleinige Subjekt des Handelns ist – er sendet seinen Spähtrupp aus, die himmlischen Reiter, um die Lage auf der Erde zu inspizieren (Sach 1,7ff), er lässt die feindlichen Hörner der Völker durch die Schmiede zerschlagen (Sach 2,1–4), er lässt dem Jüngling mit der Messschnur den Weg verstellen (Sach 2,5–9), er lässt seine sieben Augen in Gestalt eines himmlischen Leuchters über die ganze Erde schweifen (Sach 4,1–14), von ihm geht die fliegende Buchrolle aus mit dem Fluch gegen alle Diebe und Meineidigen (Sach 5,1–4), er sorgt dafür, dass das Getreidemaß, in dem die widergöttliche ėĥĬī sitzt, außer Landes transportiert wird (Sach 5,5–11), und er ist es, dessen ĚĘī schließlich in Gestalt der vier Winde auf dem himmlischen Wagen ausfährt, um nun zu wirken, was der Prophet geschaut hat (Sach 6,1–8) – während also die Theologie Sacharjas ganz und gar vom souveränen und alleinigen Handeln JHWHs bestimmt ist, hat sie der Sacharjaprologist an das Handeln der Hörer und Leser, an ihre Umkehr rückgebunden. Und diese Aufforderung zur Umkehr galt eben nicht nur im Rückblick auf den Tempelbau, sie war vielmehr der beständige und bleibende Ruf der Propheten, damals, an die Generation der Väter, als der Tempel Salomos stand, damals auch, als Haggai zum Wiederaufbau des Tempels drängte, in den sich auch Sacharja mit einer kräftigen Umkehrpredigt eingeschaltet haben soll, und von nun an weiterhin für jeden Leser des Sacharjabuches.51 JHWH, der Gott Israels, ist im Kommen. Seine Rückkehr ist beschlossene Sache. Aber er wartet mit seinem Kommen auf Israels Umkehr, darauf, dass auch sie ihm entgegenkommen. Vielleicht ist ja die theologische Alternative, die bei Hanhart und Graf Reventlow aufgestellt worden ist, unbedingte Verheißung der Rückkehr JHWHs contra bedingte Verheißung durch die Umkehrforderung an Israel, eher an der lutherischen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium orientiert als an der Wirklichkeit der Texte. Diese sprechen mir eher für ein | gegenseitiges Aufeinanderzugehen JHWHs auf sein Volk und Israels auf JHWH. Beides, die bleibende, heilsame Erfahrung, dass JHWHs Heil bereits beschlossene Sache ist, und die dauerhaft notwendige Mahnung, dass der Mensch sich aufmachen und umkehren soll, um das be50
Vgl. zu diesem Verständnis Pola, Priestertum, 44f. In diese Richtung weisen schließlich ganz deutlich die ethischen Mahnungen, die im Zusammenhang mit der wieder aufgenommenen Rede von den früheren Propheten und dem Väterthema in Sach 7,7–14; 8,14–17 begegnen. Sie stammen wohl auch aus der Hand des Sacharjaprologisten. 51
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schlossene Heil zu empfangen, bleibt eine Wirklichkeit, in der eben Gesetz und Evangelium unauflöslich miteinander und ineinander verwoben sind. Man mag das als einen Synergismus brandmarken. Ob das freilich die Redaktoren des Sacharjabuches erschüttert hätte, die sich zu einer anderen geschichtlichen Stunde mit anderen Problemen auseinander zu setzen hatten als einst Haggai und Sacharja? Möglicherweise war ihre Zeit wieder reif dafür, das Evangelium, die Verheißung, durch eine doppelte Konditionierung an das Gesetz anzubinden, an eine Umkehr in kultischen Fragen ebenso wie im sozialen und ethischen Verhaltenskodex.52
52 Man mag da an die sozialen Verwerfungen in der Zeit Esras und Nehemias denken (Neh 5), die zu einer Neuakzentuierung der Sacharjalektüre Anlass gaben. Die Verbindung zwischen Sach 1,3; Mal 3,7 und 2 Chr 30,6ff deutet auf kultische Missstände als einen weiteren Impuls für die Neudeutung von Sach 1–8 hin.
„Wir wollen mit euch gehen ...“ Überlegungen zur Völkertheologie Haggais und Sacharjas1 1. Kyros ante portas Im Jahr 539 v. Chr. vollzog sich ein Epochenwechsel im Alten Orient. Kyros II. von Anschan (559–530 v. Chr.), der Begründer des persischen Weltreiches, nahm Babylon kampflos ein. Nach dem Kyros-Zylinder wurde er von der Bevölkerung und den Oberen der Metropole geradezu enthusiastisch als eine Art „Osterfürst“ mit dem Huldigungsruf begrüßt: „Der Herr, der durch seine Hilfe die Toten lebendig gemacht hat, der in Not und Unheil allen wohlgetan hat.“2
Es waren wohl vor allem seine kultpolitischen Maßnahmen und seine Politik gegenüber den verschiedenen Ethnien des persischen Weltreiches, die ihn in der Erinnerung mancher zu einer Heilsgestalt aufsteigen ließen. Im Kyros-Zylinder ließ er die entsprechenden Grundsätze wie in einem Regierungsprogramm festschreiben: „[Auf seinen (Marduks)] erhabenen [Befehl] brachten mir alle Könige, die auf Thronen sitzen, aus allen Weltsektoren, vom Oberen Meere bis zum Unteren Meere, welche [ferne Distrikte] bewohnen, alle Könige von Amurru, die in Zelten wohnen, ihren schweren Tribut, und sie küßten in Babel meine Füße. Von Ninive, Assur und Susa, Akkad, Eschunnak, Zamban, Meturnu und Der bis zum Gebiet von Gutium, die Städte jenseits des Tigris, deren Wohnsitz von alters her verfallen war – die dort wohnenden Götter brachte ich an ihren Ort zurück und ließ sie eine ewige Wohnung beziehen. Alle ihre Leute versammelte ich und brachte sie zurück zu ihren Wohnorten.“3
Danach verfolgte Kyros eine dreifache Strategie gegenüber fremden Ethnien, mit der er versuchte, den von ihm begründeten Vielvölkerstaat zusammenzuhalten: |
1
Eine erste Fassung des Aufsatzes wurde am 23.4.98 an der Theologischen Hochschule Friedensau als Gastvorlesung vorgetragen. Eine knappe und hilfreiche Einführung in die wissenschaftliche Diskussion zur Völkerproblematik gibt Bauer, Israel und die Völker. 2 TUAT I/4, 408. 3 TUAT I/4, 409f.
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– Ökonomisch und politisch wurden sie der persischen Reichsverwaltung unterstellt und mit entsprechenden Tributleistungen in ihr straff durchorganisiertes Steuersystem eingegliedert.4 – Religiös wurde die Wiederherstellung der von Nabonid5 und seinen Vorgängern6 beeinträchtigten oder zerstörten Lokalkulte verfügt und weitestgehende Autonomie gewährt. – Ethnisch wurde der Politik der Exilierung, Entwurzelung und Vertreibung ein Ende gesetzt. Den Vertriebenen wurde ein Recht auf Rückkehr eingeräumt.7 Mit dieser differenzierten Strategie eines ökonomischen und politischen Zentralismus8 einerseits und der Förderung eines religiösen sowie der Duldung eines ethnischen Pluralismus andererseits setzte sich Kyros II. vom Verhalten der Assyrer und Babylonier ab, die – wenigstens für die Eliten einzelner unterworfener Völker (2 Kön 24,24ff; 25,11f) – ein gegenteiliges Konzept der nationalen Marginalisierung verfolgt hatten.9 Es verwundert daher kaum, daß er auch unter den in | Babylon im Exil lebenden Judäern zu einer geradezu messianischen Heilsgestalt avancierte: „So spricht JHWH zu seinem Gesalbten (ĘĚĜĬġğ), zu Kyros, dessen Rechte ich ergriffen habe ...“ (Jes 45,1)10
4
Vgl. dazu Dandamaev, Persien; Koch, Dareios, 29ff; Wiesehöfer, Persien, 89ff; Kippenberg, Religion, 42ff; Kreissig, Situation. 5 Nabonid (556–539 v. Chr.), der letzte neubabylonische König, stammte aus Harran und favorisierte den dortigen Mondgott Sin, was zu Konflikten mit der Marduk-Priesterschaft in Babylon führte, die wohl mit Kyros konspirierte und sich umgehend nach der Einnahme Babels auf seine Seite schlug. 6 Hier ist u.a. an die Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch die Truppen Nebukadnezars II. (587 v. Chr.) zu erinnern. 7 Vgl. Esr 1,1–6; 5,11–16; 6,1–5; 2 Chr 36,23. 8 Zur Verwaltungsstruktur des Perserreiches und seiner Aufgliederung in Satrapien und Provinzen vgl. die Arbeiten in Anm. 4. Als Wirtschafts- und Verwaltungszentrum des Reiches dienten zunächst Babylon und Susa, später wohl auch die in der Persis neu errichteten Metropolen Pasargadae und vor allem Persepolis. Nach Xenophon residierte Kyros im Winter sieben Monate in Babylon, im Frühjahr drei Monate in Susa und im Sommer zwei Monate in Ekbatana. Siehe dazu Wiesehöfer, Persien, 66. Da der oberste Chef der Reichsverwaltung unter Dareios I., der Hofmarschall Farnaka, die jahreszeitlichen Residenzwechsel des Königs teilte (so Koch, Dareios, 36ff), ist davon auszugehen, dass das Reich über mehrere zentrale Verwaltungsmetropolen verfügte. 9 Dabei ist allerdings davon auszugehen, dass die Quellen, die uns etwas über den Machtwechsel in Babylon von Nabonid zu Kyros II. berichten, zu einem erheblichen Teil als Tendenzschriften abgefasst wurden, die auch Zwecke der politischen Propaganda zu erfüllen hatten. Vgl. dazu von Soden, Kyros. 10 Siehe dazu Kratz, Kyros.
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Stieß diese persische Reichspolitik auch bei den Judäern durchweg auf Zustimmung? Oder gab es hier Differenzierungen etwa zwischen den in Babel Verbannten und den in Juda und Jerusalem Verbliebenen? Wie definierten die Judäer ihr Verhältnis zu den ĠĜĘĕ und vor allem zur Perserherrschaft, nachdem die Perser wohl nicht nur in der Staatsideologie, sondern auch in der politischen Praxis einen wesentlichen Kurswechsel vollzogen hatten? Konnten sie mit der persischen Doppelstrategie leben oder versuchten sie, diese zu unterlaufen? Wer diesen Fragen nachgeht, wird bald feststellen, daß sich damit auch die Frage nach dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie im persischen Großreich stellt. Wie gestaltete sich das Verhältnis zu den Völkern aus der Zentralperspektive der persischen Großkönige und wie aus der Randperspektive Judas im Westen des Vielvölkerstaates? Die hier gestellten Fragen sollen im Lichte der Botschaft der Propheten Haggai und Sacharja11 näher erörtert werden.
2. Haggai und die Neuordnung der Welt Im Buch Haggai wird das Verhältnis Judas zu den Völkern in zwei „Auftrittsskizzen“12 über das Wirken des Propheten thematisiert (Hag 2,3– 9.21b–23). In beiden Auftrittsskizzen stellt die Völkertheologie nicht das Hauptthema dar, sondern ist anderen Themen zu- oder auch untergeordnet. Den scopus von 2,3–9 bildet die Tempeltheologie. Nachdem der Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels im zweiten Jahr des Königs Dareios (520 v. Chr.) endlich wieder in Gang gekommen war,13 gab es offensichtlich unter den Judäern, | die den vorexilischen Tempel noch kannten, wehmütige Erinnerungen. Sie beklagten die bescheidenen Ausmaße des wachsenden Neubaus gegenüber der Pracht des früheren Tempels (2,3–5). Gegen diese 11
Dabei beschränke ich mich in diesem Zusammenhang auf die Texte Protosacharjas (Sach 1–8). Dass dieser gerade in der Völkerproblematik durch einschlägige Texte in Sach 9–14 eine intensive Fortschreibung erfahren hat, wäre eigens darzustellen. 12 So die Charakterisierung des Grundbestandes der Haggaiüberlieferung durch Wolff, Haggai, 3f. 13 Es bleibt eine offene Frage, ob es mit der Mission Scheschbazzars, der unmittelbar nach dem Ergehen des Kyrosediktes mit der Rückführung der geraubten Tempelgeräte von Babel nach Jerusalem betraut worden war (Esr 1,7–11), zu einem ersten Versuch des Wiederaufbaus des | Jerusalemer Tempels kam. Nach Esr 5,16 hatte Scheschbazzar bereits mit der Errichtung der Fundamente begonnen. Diese Mitteilung steht in Spannung zu Hag 1,9; 2,18; Sach 4,9; Esr 3,10; 5,2, die nahe legen, dass erst unter Serubbabel und dem Hohenpriester Joschua das Aufbauwerk in Angriff genommen werden konnte. War Scheschbazzar mit einem ersten Versuch gescheitert? Und wenn ja, worin war dieses Scheitern begründet?
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Mißachtung der ,,kleinen Anfänge“14 setzt Haggai eine alle Zögerlichkeit überwindende Heilsverheißung: „6Denn so spricht JHWH Zebaoth: Noch eine kleine Weile (dauert) es,15 und ich erschüttere den Himmel und die Erde, das Meer und das Festland. 7Und ich erschüttere alle Völker. Dann kommen die Kostbarkeiten16 aller Völker (zusammen), und ich fülle dieses Haus mit Glanz, spricht JHWH Zebaoth 8Mir gehört das Silber und mir das Gold, Spruch JHWH Zebaoths. 9Größer wird der künftige Glanz dieses Hauses sein als der frühere, spricht JHWH Zebaoth. Und an diesem Ort gebe ich Schalom, Spruch JHWH Zebaoths.“17 (Hag 2,6–9) Die Verheißungen des künftigen Heils gliedern sich in vier Sprucheinheiten. Eingeleitet werden sie von dem durch die Botenformel (V. 6aƝ.7bƞ) gerahmten Wort über die bevorstehende Welterschütterung durch JHWH (V. 6–7). Dem folgt mit V. 8 ein mit der Gottesspruchformel abgeschlossener „Lehrsatz“18, der einen ‚Kommentar‘ zu dem angesagten ĖĘĔĞ des neuen Tempels darstellt. V. 9a nimmt das Stichwort ĖĘĔĞ aus V. 7 wieder auf und sagt eine Überbietung der Herrlichkeit des früheren Tempels durch die des künftigen voraus. In V. 9b mündet der | gesamte Abschnitt in eine Verheißung des ĠĘğĬ, von dem dieser Ort erfüllt sein wird. Das Ende beider Schlußverheißungen wird wiederum durch Gottesspruchformeln markiert.
Die Botschaft ist deutlich: Aus der Perspektive der Judäer nahm sich der Wiederaufbau wohl mehr als bescheiden aus. Offensichtlich waren die wirtschaftlichen Möglichkeiten auch zwanzig Jahre nach dem Machtwechsel in Babylon und seit dem Ergehen des Kyrosediktes, das den Wiederaufbau des Tempels zu Jerusalem verfügt hatte (Esr 1,1–6; 6,1–5; 2 Chr 36,23), immer noch recht begrenzt. Die aus der Staatskasse angewiesenen Gelder flossen – wenn überhaupt – nicht so reichlich wie nötig (Esr 6,4.8–10). 19 14
Siehe Sach 4,10. LXX liest hier e;ti a[pax. Vorausgesetzt wird wahrscheinlich nur die Kurzform ĖĘĥ ěĥġ (vgl. Ex 17,4; Jes 10,25; 29,17; Jer 51,33; Hos 1,4; Ps 37,10). 16 Schon Wellhausen, Skizzen, 169, hat vorgeschlagen, hier wegen ĘēĔĘ den Plural von ĖĘġĚ zu lesen. Ein Eingriff in den Vokalbestand würde dadurch (scriptio defectiva wie in Dan 11,38.43 vorausgesetzt) nicht erforderlich. 17 LXX schränkt den ĠĘğĬ (eivrh,nh) durch einen Zusatz auf all diejenigen ein, die am Bau des künftigen Tempels mitwirken. 18 Wolff, Haggai, 52. 19 Dies gilt unabhängig von der Frage, ob es sich bei den in Esr 1–6 erwähnten Texten um authentische oder fiktive Dokumente aus der persischen Reichsverwaltung handelt. Angesichts der Konfliktlage, die die Jerusalemer Tempelbauer mit den Verwaltungs15
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Mißernten und Naturkatastrophen trugen zu der schwierigen ökonomischen Lage bei (Hag 1,5–7.10f). In dieser Situation erwartet Haggai eine unmittelbar bevorstehende Erschütterung des gesamten Kosmos, die alle Völker erfaßt. Sah er in der Niederwerfung des Aufstandes des Magiers Gaumata20 und der Aufstände, die im Zusammenhang mit der Thronfolge von Kambyses auf Dareios I. weite Teile des persischen Weltreiches erschütterten (522–521 v. Chr.), lediglich den Auftakt zu einem Umbruch, der die gesamte Weltordnung erfassen sollte? Wenn ja, dann verband er wohl diese Erwartung mit der Wiedererrichtung und Fertigstellung des Jerusalemer Tempels. Mit seinem Neubau konstituierte – so die Hoffnung Haggais – JHWH Zebaoth, der Gott Israels, auch eine neue Weltordnung. In ihr würde es zum Positionswechsel21 | zwischen Zentrum und Peripherie kommen. Das am westlichen Rand des Großreiches gelegene Jerusalem würde mit seinem Tempel zum neuen Zentrum der Welt, in das die Güter der Völker (durch diese selbst?) gebracht werden, um das Haus JHWHs mit Kostbarkeiten anzufüllen. Damit würden gleichsam die Warenströme, die bisher in die Macht- und Wirtschaftszentren des persischen Großkönigs flossen, nach Babylon und Susa, später auch nach Pasargadae und Persepolis, in den neuen Jerusalemer Tempel umgelenkt.22 Und die bislang noch beklagenswerte Unansehnlichkeit des Tempelgebäudes würde dann erstrahlen vom ĖĘĔĞ, von Silber und Gold. Dabei ist es von erheblichem Interesse, daß die neue Weltordnung in ihrem Vorstellungsgehalt bis in behörden der Provinz Samerina und der persischen Satrapie Transeuphratene und ihrem Statthalter Tattenai hatten (Esr 5,3; 6,6ff), ist eine nennenswerte materielle Unterstützung aus den Steuereinkünften der Satrapie und damit aus der Staatskasse nur schwer vorstellbar. Wenn die in Esr 4–6 geschilderten Konflikte einen historischen Kern haben, dann deuten die Aussagen der Gegner der Jerusalemer, mit denen sie beim persischen Großkönig vorstellig werden, eher daraufhin, dass diese einen Verlust an Steuereinnahmen aus dem Jerusalemer Gebiet befürchteten (Esr 4,13). Und das sicherlich nicht ganz ohne Grund, denn Willi, Juda, 66ff, hat überzeugend deutlich machen können, dass in der Konzeption von Esr 1–6, die den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels durchweg als Angelegenheit des persischen Großreiches propagiert, sehr wohl ein politischer Anspruch auf den Status einer selbständigen Provinz und damit auf das Recht der eigenständigen Steuereinziehung deutlich wird. 20 Vgl. dazu vor allem Wiesehöfer, Aufstand, 108ff. 21 Die Vorstellung vom Positionswechsel zwischen Arm und Reich, Mächtigen und Ohnmächtigen, Herren und Knechten etc. gehört zu den impliziten Axiomen, die die gesamte biblische Überlieferung strukturieren. Siehe Huber/Petzold/Sundermeier, Axiome, und | Theißen, Bibel, 4–23, bes. 10ff. 22 Über die Wirtschaftsstruktur des persischen Großreiches und sein bis ins Detail geregeltes Abgabenwesen informieren uns die elamischen Verwaltungstäfelchen von Persepolis. Vgl. dazu die schöne Einführung von Koch, Dareios, 25ff, und Wiesehöfer, Persien, 89ff, sowie die anderen in Anm. 4 genannten Arbeiten.
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Einzelheiten hinein der persischen Reichsideologie entspricht.23 Diese fand in einigen Inschriften und vor allem im späteren Bildprogramm der Palastanlagen von Persepolis ihren gültigen Ausdruck. Schon im Kyros-Zylinder wird die Darbringung von Gaben an Kyros durch die Könige und Repräsentanten der unterworfenen Völker betont. 24 Diese Darbringung von Gaben25 durch Vertreter der in das persische Großreich eingegliederten Ethnien läßt sich auch eindrücklich am ikonographischen Programm der Osttreppe des Apadana von Persepolis, der von Dareios I. und seinen Nachfolgern errichteten Metropole des Perserreiches, demonstrieren. Im Zentrum des Reliefs war ursprünglich der persische Großkönig auf seinem Thronsessel zu sehen. Über ihm die geflügelte Sonnenscheibe, das Symbol des unmittelbaren himmlischen Schutzes, unter dem er stand, und seiner Legitimation durch die Gottheit. Auf diesen König bewegen sich von beiden Seiten unterschiedliche Gruppierungen zu. Von rechts kommen die führenden Militärs der elamischen, medischen und persischen Elitetruppen des Königs und Vertreter der Beamtenaristokratie. Von links kommen| Repräsentanten von 23 Nationen in den für sie typischen Landestrachten, geführt von einem persischen Beamten, die dem Großkönig ihre Gaben bringen (Abb. 1). Die Symbolsprache der Komposition ist aussagekräftig. In ihr wird uns das Idealbild der persischen Reichsordnung vor Augen geführt. Im Zentrum des Vielvölkerstaates steht der religiös legitimierte Großkönig. Seine Macht ruht auf zwei Säulen, auf der Loyalität der Militärs und der Aristokratie einerseits und auf der Loyalität der von ihm beherrschten Nationen und ihrer ökonomischen Prosperität andererseits, die sich dem Großkönig zuwenden. Dabei handelt es sich aber um mehr als nur um eine Reichsordnung. Die Szene ist offen für eine religiöse Deutung der Weltordnung im persischen Sinne überhaupt. Klaus Koch stellt in diesem Zusammenhang die Fragen: „Bringen die Völker ihre Gaben überhaupt zum Großkönig? Oder bringen sie, da ihr Zug auf die
23 Siehe dazu die ausführliche Analyse und Darstellung von K. Koch in: Frei/Koch, Reichsidee, 137ff. 24 TUAT I/4, 409. Derselbe Sachverhalt wird in § 7 der berühmten Behistun-Inschrift Dareios’ I. festgehalten, die z.Zt. Haggais im gesamten persischen Weltreich in vielen Übersetzungen als Propagandaschrift durch öffentliche Verlesungen Verbreitung fand. Siehe TUAT I/4, 424. Zur Behistun-Inschrift und ihrer Analyse siehe ausführlich Dandamaev, Persien, 1–90. 25 Die Frage, ob es sich hierbei um Geschenke an den Großkönig handelte, die etwa zum Neujahrsfest dargebracht wurden, oder um obligatorische Tributleistungen, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Vgl. dazu Wiesehöfer, Persien, 98ff, und Koch, Dareios, 64ff.
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Treppe zuführt, sie womöglich in eine Art himmlischen Palast jenseits der (geflügelten) Sonne, den das Apadana symbolisch abbildet?“26 Sollten sich diese Fragen bejahen lassen, dann sind die Bezüge zu der Erwartung des Propheten Haggai mit Händen zu greifen. So wie die Völker ihre kostbaren Gaben in den Apadana des persischen Großkönigs von Persepolis bringen, so werden in der durch die Erschütterung des gesamten Kosmos durch JHWH in Kürze heraufgeführten neuen Weltordnung die Gabenströme gleichsam umgeleitet, um im Hause JHWHs in Jerusalem zusammenzufließen.27 Das Motiv der Huldigung und Darbringung von Gaben für den König oder eine Gottheit hat eine lange ikonographische Tradition und ist nicht erst in Persepolis zu belegen.28 Das heißt, daß Haggai natürlich nicht das erst nach seiner Zeit geschaffene Relief aus Persepolis vor Augen hatte, als er seine Heilsweissagung formulierte. Vielmehr hatte er Anteil an einer im gesamten Alten Orient bekannten Tradition, die sich in der persischen Reichsideologie einen besonders hervorgehobenen Platz erobert hat.29 Darüber hinaus war er eingebunden in ein Kommunikationssystem, das Christoph Uehlinger „figurative policy“ genannt hat. Darunter versteht er alle Bereiche ,,königlichstaatlicher Tätigkeit“, die „in prägnanter Weise die Aspekte Sichtbarkeit, Symbolik und Öffentlichkeit“ integrieren.30 Daß die Herrschaftsideologie der | Achämeniden recht bald im ge26
Frei/Koch, Reichsidee, 163. Vgl. dazu Ps 45,13f; 68,30; 72,10; 96,8; Jes 60,5ff. 28 Siehe weitere Beispiele dazu in Keel, Bildsymbolik, 282ff. 29 Vgl. dazu auch Wiesehöfer, Persien, 47. 30 Uehlinger, Figurative policy, 299. Uehlinger lehnt sich damit an die Begrifflichkeit von Porter, Images, an. Er stellt ganz zutreffend fest: „Altorientalische Propaganda operiert nicht nur im Medium von Texten, sondern auch vermittelt von Architektur (sogen. public buildings), | Infrastruktur – und Bildern (von Miniatur- bis Monumentalkunst)“ (ebd.). Im Blick auf die figurative policy im Juda der frühen Achämenidenzeit kommt Uehlinger allerdings zu dem Ergebnis: „Insgesamt ist unverkennbar, daß die Achämeniden jedenfalls in der frühen Perserzeit in Palästina noch weniger sichtbar waren als vor ihnen die Assyrer (und Babylonier) [...] Für Juda ist, was Bilder und Bildprogramme angeht, im ausgehenden 6. und 5. Jh. fast prinzipiell ein Fundausfall zu vermelden“ (ebd., 334). Das wird auch in dem vergleichsweise kurzen Kapitel zur Perserzeit bei Weippert, Palästina, 682ff, deutlich. Standardwerk zu dieser Epoche ist nach wie vor Stern, Material Culture. In scheinbarem Gegensatz zu der Feststellung Uehlingers steht dann der Ertrag seiner Untersuchungen der Nachtgesichte des Sacharja und ihres Bildprogramms: „Alles weist darauf hin, daß in den Sacharja- Visionen ein Autor oder verschiedene Autoren am Werk sind, die in direktem Kontakt mit den persischen Autoritäten stehen; die wissen, was in der Propaganda Darius’ I. in verschiedenen (!) Teilen des Reiches angesagt ist“ (Uehlinger, Figurative policy, 347). Scheinbar ist dieser Gegensatz nur deshalb, weil wir annehmen dürfen, dass Sacharja selbst zu der Gruppe der Rückkehrer unter Serubbabel gehört hat (Neh 12,16). Vgl. dazu auch Uehlinger, Frau. Darüber hinaus ist auf einen für unsere Fragestellung erwähnenswerten Fund eines Möbelbein27
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samten persischen Großreich und damit wohl auch in Juda wenigstens in ihren Grundzügen bekannt gewesen sein dürfte, ist vor allem wegen der vielfältigen Kontakte zwischen der babylonischen Gola, den Rückkehrern und den in Juda Verbliebenen wahrscheinlich.31 Damit es zu dieser Wende von kosmischen und welthistorischen Ausmaßen kommen konnte, brauchte JHWH aber zunächst einmal ein neues Haus, einen Tempel in Jerusalem, um dort auch die Schätze der Völker entgegennehmen zu können. Dann erst würde die bisherige Peripherie zum Zentrum werden, zu einer neuen „axis mundi“32, um die sich die Völker gruppieren. Daß in dieser Erwartung eine zwar nicht ausgesprochene, aber wohl doch implizite Kritik Haggais an der persischen Reichspolitik aufblitzte, liegt | nahe.33 Klaus Koch stellt fest, daß Haggai und Sacharja „mit ihrer auf eine bevorstehende israelitische Weltherrschaft zielenden Aktualeschatologie den Sturz der Achämeniden implizit voraussetzen.“34 Diese Kritik wird nun allerdings unüberhörbar im zweiten Text, in dem Haggai die Völkerproblematik erneut aufnimmt: fragmentes aus Samaria zu verweisen. Es entspricht mit seinem Löwenfuß und den darüber befindlichen Wulstringen weitestgehend den Füßen der Thronsessel von Persepolis. Gab es im Perserreich unter den wohlhabenden Schichten zumindest ein modisches Möbeldesign, das auch in der entfernten Provinz bevorzugt wurde? Vgl. dazu Tadmor, Fragments, und Weippert, Palästina, 710. 31 Dass die babylonische Gola viel intensiver mit der persischen Reichsideologie sowie ihrer symbolischen und propagandistischen Vermittlung vertraut gewesen sein dürfte als Restjuda, liegt auf der Hand, nachdem Babylon und Susa nach ihrer Eroberung durch Kyros II. zu Residenzmetropolen der Achämeniden wurden. Über die Zugehörigkeit Haggais lässt sich kaum etwas Sicheres ausmachen. Möglicherweise gehörte er zu den in Juda Verbliebenen (vgl. Wolff, Haggai, 3). Aber auch dann hat er ganz sicherlich durch seine Kontakte gerade mit den Führungskräften der Rückkehrer, die ja, wie Serubbabel, teilweise persische Staatsbeamte waren, Kenntnisse über die persische Reichspropaganda und Reichsideologie besessen. 32 So die Begrifflichkeit bei Frei/Koch, Reichsidee, 159. 33 Dies wird um so deutlicher, wenn wir dieses Konzept Haggais mit dem von Esr 1– 6 vergleichen. Bei Haggai ist mit keinem Wort die Rede davon, dass es sich beim Wiederaufbau des Tempels um eine persische „Reichssache“ handelt, wie das im Esrabuch der Fall ist (Willi, Juda, 67ff). Für Haggai ist der Tempelbau allein eine Angelegenheit der Judäer. Alles hängt an ihrer Initiative und Mobilisierung. Ja, er erhofft sich vom Tempelbau eine Umpolung der Macht zwischen Zentrum und Peripherie. Jahrzehnte später waren diese weitgehenden Erwartungen offensichtlich auf ein realistischeres Maß geschrumpft. Wohl ist der Tempel nach Esr 1–6 für das gesamte persische Großreich von Bedeutung, aber er fügt sich jetzt gleichsam in die vom Gott Israels selbst sanktionierte persische Reichsideologie und Großmachtpolitik ein, während er bei Haggai in Opposition zu ihr zu stehen scheint. 34 Frei/Koch, Reichsidee, 140. Dass dabei der persische Großkönig gar nicht im Blick sei, wie Koch (ebd.) meint, ist – wie sich noch zeigen wird – zumindest fraglich.
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„20Und es erging das Wort JHWHs zum zweiten Mal an Haggai am 24. des Monats folgendermaßen: 21aSprich zu Serubbabel, dem Statthalter Judas folgendermaßen: Ich erschüttere den Himmel und die Erde. Ich werde umstürzen den Thron35 der Königreiche36 und werde niederstoßen die Stärke (der Königreiche)37 der Völker. Ich werde umstürzen den Streitwagen und seine Fahrer, und es werden fallen Rosse und ihre Reiter, ein jeder durch das Schwert seines Bruders. 21b 22
23An jenem Tage, Spruch JHWH Zebaoths, nehme ich dich, Serubbabel, Sohn Schealtiels, meinen Knecht, Spruch JHWHs, und ich mache dich zum Siegelring, | denn dich habe ich erwählt, Spruch JHWH Zebaoths.“ (2,20–23)
In Hag 2,20–23 handelt es sich um die letzte Auftrittsskizze des Prophetenbüchleins, die in V. 20 durch die Wortereignisformel und eine Notiz des Haggaichronisten eingeleitet wird. V. 21a benennt den Adressaten der beiden folgenden JHWH-Worte. Dabei ist das zweite JHWH-Wort (V. 23) vom ersten (V. 21b–22) deutlich durch die dreifache Gottesspruchformel38 in der Eingangs-, Mittel- und Endstellung abgehoben. Obwohl es sich in beiden Worten um JHWH-Sprüche handelt, soll dieses massierte Auftreten der Gottesspruchformel im zweiten JHWH-Wort wohl den inhaltlichen Schwerpunkt der letzten Auftrittsskizze deutlich unterstreichen. Es geht Haggai um Serubbabel als den künftigen (Welten-?) König in Jerusalem.
Das erste JHWH-Wort wiederholt zunächst die Ankündigung des kosmischen Umsturzes (V. 21–22), von dem bereits in 2,6f die Rede war.39 Diesmal geht es aber nicht um die ökonomischen Folgen des Geschehens, sondern um seine machtpolitischen Konsequenzen. Auch darin kommt es zu einem Positionswechsel. Der „Thron der Königreiche“ wird zur Disposition gestellt. Es ist denkbar, daß hinter dieser singularischen Formulierung40 35
LXX liest hier den Plural qro,nouj basile,wn. Auch das Hebräische erlaubt die pluralische Lesart, wenn nur das nomen rectum im Plural steht. Vgl. Gesenius, Hebräische Grammatik, § 124 r. Dies ist aber keineswegs zwingend. So gibt es für einige Kommentatoren – wie noch zu zeigen ist – gute Gründe, den Singular beizubehalten. So auch Rudolph, Haggai, 52f. 36 Statt ĭĘĞğġġ liest LXX ĠĜĞğġ. Sie redet also von den „Thronen der Könige“. Möglicherweise nahm sie diese Änderung vor, weil ihr der spezifische Sinn der Wendung „Thron der Königreiche“ nicht mehr in vollem Umfang verständlich war. 37 Die Streichung von ĭĘĞğġġ, die vom Herausgeber aus metrischen Gründen empfohlen wird, ist zu erwägen. 38 Zur Verwendung der Gottesspruchformel bei Haggai siehe den Exkurs bei Wolff, Haggai, 78f. 39 Zur thematischen Zusammengehörigkeit beider Abschnitte siehe Beyse, Serubbabel, 52ff.
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wiederum das persische Reichsmodell steckt.41 Danach ruhte der Thron des persischen Großkönigs gleichsam auf den Vertretern der Nationen, in denen lediglich Vasallenkönige herrschten, die dem Großkönig unterstellt waren. Die Völker trugen den Thron des Persers gleichsam auf Händen. Diese Harmonie einer vertikalen Solidarität und Loyalität42 von den Vasallenkönigtümern über den persischen Großkönig bis hin zum himmlischen Königtum wurde regelrecht in Stein gehauen. In den Türlaibungen des Süd- und des Nordeinganges des Hundertsäulensaales von Persepolis finden sich Reliefs, die Throngestelle des persischen Großkönigs zeigen (Abb. 2). Sein eigentlicher | Thron steht auf einem von unbewaffneten Vertretern der Vasallenvölker erhobenen Throngestell. Über ihm ein Baldachin und darüber der himmlische König (?) in der geflügelten Sonnenscheibe (Ahura Mazda?)43, der für ihn den Ring der Herrschaft bereithält. Haben wir uns so den „Thron der Königreiche“ vorzustellen, dessen Sturz der Prophet Haggai ankündigt?44 Natürlich gilt auch hier wieder, daß Haggai diesen Völkerthron aus Persepolis selbst nicht vor Augen hatte. Aber auch dieser steht wohl in einer längeren ikonographischen Tradition.45 Ein mögliches Modell, das den Thronträgerpodesten aus Persepolis und Naqsch-i Rustam recht nahe kommt, ist der Sanheribthron auf einem Relief der Palastfassade von Ninive (Abb. 3).46 In Parallele dazu ist dann von der Niederwerfung „der Stärke [der Königreiche] der Völker“ (ĠĜĘĕė [ĭĘĞğġġ] ĪęĚ) die Rede. Die Macht und die Stärke eines Volkes, eines Königtums, machen nicht zuletzt seine Soldaten 40
Für die singularische Formulierung spricht auch das folgende Glied im parallelismus membrorum, in dem ebenfalls das nomen rectum im Pl. steht und das nomen regens im Sg. (ĠĜĘĕė [ĭĘĞğġġ] ĪęĚ). 41 Meyers/Meyers, Haggai, 67: „Perhaps this is an oblique reference to the Persian dynasty, the rulers of an empire composed of many political entities, and the sovereign power in the ancient world at this time.“ Ebenso Elliger, Haggai, 97: „[...] ‚der Thron der Königreiche‘, wohl die persische Zentralregierung, wird in dem allgemeinen Chaos untergehen.“ 42 Vgl. zu diesem antiken Gesellschaftsmodell Assmann, Ma'at, 103ff. 43 Zur Diskussion um den Mann in der geflügelten Sonnenscheibe siehe Frei/Koch, Reichsidee, 181f. 44 Vergleichbare Völkerthrongestelle finden sich auf den Grabfassaden der Achämenidenkönige in Naqsch-i Rustam. Siehe dazu Frei/Koch, Reichsidee, 184ff. 45 Hier ist vor allem auf die in Ägypten und im Vorderen Orient häufig dargestellten Thronpodeste und Tragethrone zu verweisen. Vgl. dazu die vielen Belege bei Metzger, Königsthron und Gottesthron. Siehe auch Keel, Jahwe-Visionen, 174ff. 46 Darauf weist bereits Walser, Völkerschaften, 51, hin. Vgl. auch Keel, Jahwe-Visionen, 178, und Metzger, Thron als Manifestation, bes. 261f. Zur Kombination von Throndarstellungen und Tributdarbringungen durch die Völker, die in der thematischen Verknüpfung von Hag 2,6ff und 2,22 ebenfalls vorliegt, siehe Metzger, Thron der Herrlichkeit, bes. 246f.
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aus. Und so verwundert es kaum, wenn als Gegenstück zum Völkerthrongestell in der Südtür in der Laibung der Nordtür ein Relief zu sehen ist, nach dem der persische Großkönig gleichsam auf den Lanzenspitzen seiner Militärs getragen wird (Abb. 4).47 Der | von Haggai angekündigte Umsturz trifft vor allem die gefährlichsten Waffengattungen der Perser, ihre Streitwagentruppe48 und ihre Kavallerie (V. 22b). Natürlich ist hier nicht nur von der militärischen Stärke der Perser die Rede, sondern von der der Völker überhaupt. Aber gerade diese universale Formulierung impliziert ja wiederum auch die Vernichtung der persischen Truppen. Und wenn Haggai von der Vernichtung von „Rossen und Reitern“ spricht, dann wird damit möglicherweise auch auf den Anfang der Geschichte Israels rekurriert, auf das Mirjamlied, in dem die Vernichtung der ägyptischen Kavallerie besungen wurde: „Das Roß und seinen Reiter warf er ins Meer.“ 49 „Urzeit“ und „Endzeit“ der Geschichte werden in Entsprechung zueinander gesetzt. So wie JHWH mit der Rettung am Schilfmeer eine Heilswende einleitete, so würde er es auch in der unmittelbar bevorstehenden eschatologischen Endzeit tun. Und daß diese für Haggai bereits im Anbruch war, das wird durch die nachklappende Bemerkung „ein jeder durch das Schwert seines Bruders“ deutlich, die wahrscheinlich auf die ganz konkreten Ereignisse beim Herrschaftswechsel von Kambyses auf Dareios I. anspielt, die einem Bruderkrieg sehr nahe kamen. Sollte das Machtvakuum, das durch den zu erwartenden Sturz des Thrones der Völker entstehen würde, dann durch den Davididen Serubbabel, den Siegelring JHWHs, den dieser als seinen Knecht erwählt hat,50 aufgefüllt werden?51 Mit V. 23 liegt eine deutliche Anspielung auf Jer 22,24–30 vor. Dort wird Jojachin, der vorletzte Davidide, der ins Exil ziehen mußte, als Siegelring (ĠĭĘĚ) bezeichnet, den JHWH sich von der Hand reißen würde. Hier wird der verworfene Siegelring, das Geschlecht der Davididen, erneut erwählt.52
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Streng genommen handelt es sich hierbei nicht um ein von den Militärs getragenes Throngestell, wie dies bei den Völkerthrongestellen der Fall ist. Die in vier Registern unter dem Thron dargestellten Lanzenträger sind wohl auf gleicher Ebene mit dem thronenden König zu denken. Die Parallelität der Darstellungen von Völkerthrongestell und Huldigung des thronenden Königs durch das Militär möchte aber sicherlich analoge Assoziationen wecken: So wie der Thron des Königs einerseits von den Völkern getragen wird, so ruht er andererseits auf der Stärke seiner Soldaten. 48 Besonders gefürchtet waren die von den Persern erfundenen (?) Sichelwagen. Siehe dazu Koch, Dareios, 262. Zum pers. Militär insgesamt vgl. Wiesehöfer, Persien, 132–139. 49 Ex 15,21: ĠĜĔ ėġī ĘĔĞīĘ ĤĘĤ. 50 Vgl. 2 Sam 7,8; Ez 34,23; 37,24; Ps 78,70. 51 Zu Serubbabel siehe die Arbeit von Beyse, Serubbabel, 39.
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Haggais Völkertheologie lebt von dem heißen Atem der Erwartung eines universalen Umsturzes von kosmischen Ausmaßen, der das endgültige Heil für Juda heraufführen würde. Im Zuge dieses Umsturzes wird das an der Peripherie des persischen Großreiches gelegene Jerusalem mit dem wiedererbauten Haus JHWHs zum Zentrum der Völker und Empfänger ihrer Gaben. Der Völkerthron des persischen Großkönigs würde (als Spitze der Throne der Völker?) gestürzt, seine militärische Macht vernichtet und seine Funktion vom Davididen Serubbabel als dem erwählten Knecht JHWHs übernommen.53 |
3. Sacharja und das Völkergericht JHWHs Der Zeitgenosse Haggais, Sacharja, teilte auf den ersten Blick diese mit dem Tempelbau verbundene Naherwartung. In seinem Zyklus der Nachtgesichte wird im ersten Nachtgesicht (Sach 1,7–17) mitgeteilt, daß JHWH himmlische Reiter ausgeschickt habe, um die Lage auf der Erde zu erkunden. Diese kehren zurück und melden an der Hirnmelspforte: „Die ganze Erde liegt ruhig und still.“ (Sach 1,11 )
Diese Ruhe spiegelt wohl die pax persica, die Dareios I. wiederhergestellt hatte, indem er die Aufstände der neun „Lügenkönige“ binnen eines Jahres (522/521 v. Chr.) mit blutiger Gewalt niedergeworfen hatte. Das berühmte Relief an der Felswand von Behistun hält gleichsam diesen Augenblick der Grabesruhe fest.54 Neue Bewegung ist nur von JHWH zu erwarten, der dann auch durch den Deuteengel künden läßt: „14bIch eifere für Jerusalem und für den Zion (mit) großem Eifer. 15Aber einen großen Zorn zürne ich über die sorglosen Völker, denen ich nur wenig gezürnt hatte. Sie aber leisteten Beihilfe zum Unheil.“ 52 Den Hinweis verdanke ich dem unveröffentlichten Vortrag von Georg Christian Macholz, Die Zämach-Verheißung in Jer 23,5, ihre Umdeutung in Jer 33,15 und ihre Aufnahme in Sach 3,8; 6,12. 53 An dieser nicht gerade perserfreundlichen Einstellung Haggais würde auch die pluralische Lesung „Throne der Königreiche“ (V. 22) grundsätzlich nichts ändern, die die Mehrzahl der | Ausleger wählt, da Haggai einen weltumspannenden Umsturz von kosmischen Ausmaßen erwartet, der das Perserreich und seinen König nicht unberührt lassen würde. 54 Vgl. dazu die Abbildungen bei Koch, Dareios, Tafel 1–3, und die dazugehörige Inschrift in TUAT I/4, 419ff.
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Hierbei handelt es sich um das erste von drei JHWH-Worten (1,14b–15/16/17), die als Heilsverheißungen das erste Nachtgesicht beschließen. Die universale Perspektive, mit der das Haggaibuch schließt, prägt auch das erste Nachtgesicht und den gesamten ihm folgenden Zyklus.55 Dabei wird ebenfalls wie bei Haggai sofort ein Antagonismus zwischen Jerusalem/Juda einerseits und den von Sacharja angesprochenen Völkern andererseits hervorgehoben.56
Deutlich ist hier davon die Rede, dass der JHWH-Zorn die Völker erfasst, während er für Jerusalem und den Zion mit leidenschaftlichem Eifer eintritt. Aber es geht im Unterschied zu Haggai nicht um die gesamte Ökumene, die Völkerwelt schlechthin, sondern nur um eine Gruppe von Völkern, die näher bestimmt wird als | ĠĜģģēĬė ĠĜĜĘĕė, als die (selbst-) sicheren Völker. Sie waren bisher weithin vom Zorn JHWHs verschont geblieben (V. 15bƝ). Das führte allerdings nicht dazu, dass sie sich auch entsprechend verhielten. Vielmehr leisteten sie Beihilfe zur ėĥī (V. 15bƞ). Es wird mit keinem Wort gesagt, an welche Völker Sacharja dabei dachte. Die Fortsetzung des JHWH-Wortes in V. 16f macht es aber sehr wahrscheinlich, dass es sich um diejenigen handelt, die Juda und Jerusalem nicht freundlich gesonnen waren. Im zweiten Nachtgesicht (2,1–4) wird dann auch sofort mitgeteilt, welche Völker Sacharja im Blick hatte und was ihnen widerfahren wird: „1Da erhob ich meine Augen und sah, und siehe vier Hörner. 2Da sagte ich zu dem Engel, der mit mir redete: Was bedeuten diese? Und er sprach zu mir: Das sind die Hörner, die Juda, (Israel)57 und Jerusalem zerstreut haben. 3Und JHWH ließ mich vier Schmiede sehen. 4Und ich sprach: Was sind diese gekommen zu tun? Und er sprach folgendermaßen: Das sind die Hörner, die Juda zerstreut haben, 58 dass niemand mehr sein Haupt erhob. Und diese kamen, um sie aufzuschrecken und die Hörner derjenigen Völker abzuschlagen, die ein Horn erhoben hatten gegen das Land Juda, es zu zerstreuen.“ 55
Vor allem wird durch die Rahmung im ersten (1,7–17) und letzten (6,1–8) Nachtgesicht deutlich, dass es auch Sacharja um ein weltumspannendes Geschehen geht. 56 Die Interdependenz im Verhältnis von Jerusalem und den Völkern wird formal durch den Chiasmus V. 14b.15a zum Ausdruck gebracht: – ėğĘĖĕ ėēģĪ – ğĘĖĕ ĦĩĪ – ĦĩĪ ĜĭēģĪ. 57 Das zwischen Juda und Jerusalem asyndetisch eingefügte ğēīĬĜČĭē stellt wahrscheinlich eine spätere Ergänzung des Nordreiches dar, die von einem Glossator hier vorgenommen wurde. In V. 4 ist nur von Juda die Rede. Vgl. Rudolph, Sacharja, 81; Graf Reventlow, Haggai, 45, u.a. Dagegen allerdings mit Hinweis auf Mal 2,11 Hanhart, Sacharja, 97. 58 Die Wiederholung der Deutung der Hörner aus V. 2b ist stilistisch bedingt. Der ihr folgende Vergleich macht sie erforderlich. In ihm werden die Folgen der Zerstreuung für Juda beschrieben. Ohne diese Wiederholung hinge dieser Vergleich in der Luft und müsste ebenfalls durch textkritische Operationen beseitigt werden. Vgl. dazu auch Hanhart, Sacharja, 98.
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Das zweite Nachtgesicht ist zweiteilig (V. 1–2/3–4). Die einzelnen Teile weisen einen streng parallelen Aufbau auf. Auf das jeweilige Bild, das der Prophet zu sehen bekommt (V. 1.3), folgen die entsprechenden Deutungen (V. 2.4). Dabei ist der zweite Teil des Gesichtes, die Vision von den vier Schmieden, inhaltlich und lexematisch59 derartig vom ersten Teil abhängig, dass es verfehlt wäre, in beiden Teilen eigenständige Nachtgesichte zu sehen.60 |
Jetzt erfahren wir also, worin das Unheil bestand, zu dem die sorglosen, selbstsicheren Völker Beihilfe leisteten. Sacharja hatte diejenigen im Blick, die Juda und Israel aus ihrem Land vertrieben und zerstreut hatten. Das Horn galt im gesamten Alten Orient als Symbol äußerster Aggressivität.61 Vor allem in persischer Zeit wurden häufig gehörnte Mischwesen dargestellt, gegen die ein königlicher Held zu kämpfen hatte, wie in den Türlaibungen des Hundertsäulensaales von Persepolis (Abb. 5).62 Auch Sacharja kannte sich offensichtlich wie sein Mitstreiter Haggai im religiösen Symbolsystem seiner Zeit aus.63 Die feindlichen Völker werden mythologisiert. Das Horn repräsentiert pars pro toto die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Wenn Sacharja dezidiert davon redet, dass es sich um die Völker handelt, die zur Diasporaexistenz wenigstens eines Teils von Juda und Israel beigetragen haben, dann wird er damit nicht die Perser im Blick gehabt haben.64 Denn diese hatten ja gerade mit dem Kyrosedikt die Rückkehr und den Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels ermöglicht (Esr 1,1ff; 6,1ff). Hatte daher das Völkergericht für Sacharja im Unterschied zu Haggai zwar für eine Reihe von Israel feindlich gesinnten Völkern (Assur und Babylon) unangenehme Konsequenzen, nicht aber für das persische Großreich insge59
Vgl. nur die Wiederaufnahme der wichtigsten Leitworte ĥĔīē, ĢīĪ, ėīę aus den V. 1–2 in V. 3–4. 60 Gegen Bauer, Zeit, 80ff. Die Strukturanalyse, die er vornimmt, kommt im Ergebnis zu zehn Nachtgesichten, dabei werden allerdings die strukturbildenden Elemente ohne jegliche Berücksichtigung der inhaltlichen Aussagen zugrunde gelegt. 61 Siehe dazu Kedar-Kopfstein, ĢīĪ, ThWAT VII, 181–189. 62 Siehe Frei/Koch, Reichsidee, 175ff. 63 Interessanterweise handelt es sich auch in Persepolis um vier gehörnte Mischwesen in den Türlaibungen, die wahrscheinlich die in allen vier Weltsektoren lauernden chaotischen Mächte repräsentieren. Vgl. dazu auch Uehlinger, Figurative policy, 340. 64 Gegen Hanhart, Sacharja, 107ff. Für die Annahme Hanharts, dass sich hinter Babel in 2,11 „jetzt Persien“ verberge (ebd., 108.111), gibt es m.E. kein wirklich überzeugendes Argument. Natürlich leben die Diasporajuden jetzt im Bereich des persischen Großreiches, aber eben doch weiterhin im Einzugsbereich des ehemaligen Babylon. Daher auch ihre völlig korrekte Bezeichnung als ğĔĔČĭĔ ĭĔĬĘĜ. Hierbei handelt es sich zunächst einmal um eine Ortsangabe und nicht um eine verdeckte Chiffre für die widergöttliche Macht der Perser. Deswegen entspricht die Fluchtaufforderung in 2,11 durchaus den realen Verhältnissen z.Zt. Sacharjas. Die Diasporaexistenz der Judäer wurde nicht von den Persern verursacht. Die Intention von Sach 2,1–4 geht aber eindeutig dahin, eben diese Verursacher im Gericht JHWHs zur Verantwortung zu ziehen.
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samt und seinen Herrscher?65 Sah Sacharja möglicherweise sogar eine Entsprechung zwischen dem Handeln JHWHs und dem | des persischen Großkönigs? So wie der königliche Held die vier gehörnten Mischwesen, die ins Mythische gesteigerten Feinde des Reiches, niederstößt, so auch JHWH, der die vier Hörner der Feinde Israels abschlagen lässt? Im Rahmen der persischen Reichsideologie gehörte es neben der Ausgrenzung der chaotischen Mächte aus der im Reich selbst sich abbildenden kosmischen Schöpfungsordnung zu den vornehmsten Aufgaben des Großkönigs, jedem Volk seinen gathu-, seinen von der Gottheit vorherbestimmten Platz, zukommen zu lassen. Schon Kyros lässt sich im Kyros-Zylinder rühmen: „Alle ihre Leute versammelte ich und brachte sie zurück zu ihren Wohnorten.“66
Die Zerstreuung der vom persischen Großreich beherrschten Völkerschaften und ihre Entwurzelung widersprach damit nicht nur dem Willen JHWHs, sondern auch der offiziellen Reichsideologie.67 Abgesehen von der Frage, wie vertraut Sacharja mit dieser gewesen sein mag, lässt sich immerhin so viel sagen, dass er als Rückkehrer aus Babylon (Neh 12,16) ihre praktischen Auswirkungen am eigenen Leib erfahren durfte. In den Heilsworten, die sich an das dritte Nachtgesicht anschließen (2,10–17), melden sich wahrscheinlich spätere Stimmen zu Wort, erste Leser des Sacharja, die seine Botschaft für ihre Zeit neu interpretierten.68 So sind es nach 2,10 nämlich nicht mehr die Völker, die Juda und Israel zerstreut haben, sondern JHWH selbst ist es gewesen:
65 Davon ist auch deswegen auszugehen, da die Weltmächte, die ihr Horn gegen Israel und Juda erhoben hatten und es zerstreuten, Assur und Babylon, ja längst zu Boden gestoßen waren. Die Vision deutet kein künftiges Geschehen, sondern erfahrene Geschichte. Aber sie deutet diese Geschichte als Handeln JHWHs, des Gottes Israels. Er war es, der in dieser Geschichte handelte, die nicht nur auf Völkerantagonismen reduziert werden kann. Dass Sacharja in diesem Zusammenhang von vier Hörnern redet, ist wohl lediglich ein Hinweis auf die Endgültigkeit und Totalität des Gerichtshandelns JHWHs an den Feinden Israels. So, wie es Assur und Babylon erging, so würde es jedem Volk in allen vier Weltsektoren ergehen, das sich vergleichbarer Verbrechen schuldig machte. 66 TUAT I/4, 409f. Vgl. ähnl. Passagen aus der Behistun-Inschrift Dareios’ I.: „Ich setzte das Volk wieder an seinen Platz – Persien, Medien und die sonstigen Länder“ (TUAT I/4, 427). 67 Zum in der persischen Reichsideologie verankerten Heimatrecht der Nationen vgl. ausführlicher Frei/Koch, Reichsidee, 149–153. Dies ist ein Grund mehr, die Perser nicht mit in die Reihe der angeklagten Völker des zweiten Nachtgesichtes zu stellen. 68 Das gilt allerdings nicht für die Gesamtheit der Verse. Vgl. dazu neben der Diskussion in den neueren Kommentaren auch die Einleitungen von Kaiser, Einleitung, 288; Zenger, Einleitung, 580f; und die Analyse durch Schöttler, Gott, 76ff.
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„Hoi, hoi, flieht aus dem Land des Nordens, Spruch JHWHs, denn gleich den vier Winden des Himmels habe ich euch zerstreut69, Spruch JHWHs.“ |
Die Diasporaexistenz wird jetzt als Strafe JHWHs interpretiert. Das liegt ganz auf der Linie von Sach 7,14 und 8,9–13, Texten, die ebenfalls der deuteronomistisch-chronistischen Sacharjaredaktion zugerechnet werden.70 Auch dort wird wie im DtrG überhaupt die Zerstreuung Israels und Judas unter die Völker als Strafe für den Ungehorsam der Väter gedeutet. Diese galt aber offensichtlich als abgebüßt. Deswegen kommen die Völker jetzt unter anderem Vorzeichen in den Blick: „12Denn so spricht JHWH Zebaoth, nachdem71 (seine)72 Herrlichkeit mich gesandt hat, gegen73 die Völker, die euch ausbeuten: Ja, wer euch anrührt, rührt seinen74 Augapfel an. 13Ja, siehe, ich schwinge meine Hand gegen sie, und sie werden zur Beute ihrer Knechte, damit ihr erkennt, dass JHWH Zebaoth mich gesandt hat.“ (Sach 2,12–13) Das durch kausatives ĜĞ und die Botenformel eingeleitete JHWH-Wort wird gerahmt durch die ĜģĚğĬ-Aussagen in V. 12aƞ.13b.75 Im Zentrum der Sprucheinheit stehen zwei
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Dass wir es hier möglicherweise mit einer redaktionellen Schicht zu tun haben, deutet sich neben den inhaltlichen Differenzen zum zweiten Nachtgesicht auch in der veränderten Lexematik (Ĭīħ statt ėīę) an. 70 Die einzelnen sorgfältig aufgelisteten Nachweise dazu hat Beuken, Haggai – Sacharja, 119ff.156ff, herausgearbeitet. Zu weiteren Textbezügen vgl. Nurmela, Prophets. 71 Zum Verständnis von īĚē als Konjunktion und zu dem schwierigen textkritischen Problem von V. 12aƞ überhaupt siehe Hanhart, Sacharja, 117f. 72 Die Ergänzung des Suffixes der 3. Sg. hat zwar keinen Anhalt in den Textzeugen, bringt aber möglicherweise den Sinn der schwierigen Wendung zum Ausdruck, wonach ĖĘĔĞ hier ein Substitut für JHWH darstellt. Zu den möglichen Vorstufen in der Exodustradition vgl. Ex 33,18.22f. 73 ğē hier mit adversativer Konnotation (vgl. Ges18, 58). Eine Änderung in ğĥ, wie von BHS vorgeschlagen, erübrigt sich. 74 Die meisten Kommentatoren ändern hier mit einigen Textzeugen in ĜģĜĥ. Sie beziehen damit das Suffix auf JHWH. Die Aussage wird von Dtn 32,10 und Ps 17,8 her gedeutet, wobei dort für den Augapfel nicht das Nomen ėĔĔ, sondern ĢĘĬĜē steht. Es ist aber ebensogut möglich, das Suffix auf den ĥĕģė zu beziehen. Dann wäre mit dem Wort eine Selbstschädigung desjenigen ausgesprochen, der sich an Israel vergreift. Er würde sich selbst an einer seiner empfindlichsten Stellen verletzen. So Bauer, Zeit, 233. 75 Schon dieser formale Befund mahnt zur Zurückhaltung im Blick auf eine Ausscheidung der beiden Rahmenstücke. Die Aussage selbst signalisiert, dass die Prophetie Sacharjas mit Legitimationsproblemen zu kämpfen hatte. Versuchten seine ersten Leser und Interpreten die Legitimität und Autorität der Botschaft Sacharjas gerade dadurch zu retten, dass sie sie fortschrieben?
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durch affirmatives ĜĞ eingeleitete Aussagen, die das Verhältnis JHWHs (?)76 zu seinem Volk einerseits (V.| 12b) und zu den Völkern andererseits (V. 13aƝ) definieren. Um diese beiden Kernaussagen77 legt sich ein innerer Rahmen, der die Frage von Ausbeutern und Ausgebeuteten thematisiert (V. 12aƟ.13aƞ).78
Jetzt geht es also um die Völker, die Juda und Israel ausgeraubt und geplündert haben. An die Stelle der ĠĜģģēĬė ĠĜĘĕė (1,15) treten die ĠĜĘĕė ĠĜğğĬė. Die Schuld der Völker besteht danach nicht in der Zerstreuung Judas – dafür zeichnet JHWH verantwortlich (2,10) –, sondern in der Bereicherung und ökonomischen Ausbeutung. Sie sollen wissen, dass derjenige, der Juda anrührt, den Augapfel seines Gottes (bzw. sich selbst?) antastet. Polemisieren diejenigen, die die Botschaft des Sacharja fortgeschrieben haben, gegen das ökonomische System des persischen Großreiches, das den von ihm beherrschten Völkern erhebliche wirtschaftliche Lasten auferlegte?79 Hatten sie eine eher kritische Sicht, die der Haltung Haggais gleichkam? Denn auch sie erwarteten offensichtlich so etwas wie einen Positionswechsel im Wirtschaftsgefüge des persischen (?) Großreiches. JHWH würde dafür sorgen, dass die Räuber und Ausbeuter nun ihrerseits zur Beute ihrer (ehemaligen) Knechte werden (V. 13).80 Die Waren und Tributzahlungen, die bisher in die Metropolen, die Satrapien und Provinzen abgeführt werden mussten, kämen jetzt den Geknechteten zugute. Aus den bisher besprochenen Texten schälen sich drei Haltungen der nachexilischen Judäer gegenüber den Völkern im allgemeinen und den Persern im besonderen heraus: 1. Haggai erwartet einen umfassenden, den gesamten Kosmos ergreifenden Umsturz, durch den auch der persische Großkönig vom Thron gefegt wird, die Heere der Völker vernichtet werden und das Haus JHWHs 76
Vgl. Anm. 72. Die Parallelität von 12b und 13a(Ɲ) hat auch Hanhart, Sacharja, 118, erkannt. 78 Die kunstvolle chiastische Struktur dieses Wortes wurde wohl aufgrund der schwierigen textkritischen Probleme bisher übersehen: ĭĘēĔĩ ėĘėĜ īġē ėĞ ĜĞ Einleitung A ĜģĚğĬ ĖĘĔĞ īĚē B ĠĞĭē ĠĜğğĬė ĠĜĘĕė ğē C ĘģĜĥ ĭĔĔĔ ĥĕģ ĠĞĔ ĥĕģė ҋҍ C’ ĠėĜğĥ ĜĖĜČĭē ĦĜģġ Ĝģģė ĜĞ B’ ĠėĜĖĔĥğ ğğĬ ĘĜėĘ A’ ĜģĚğĬ ĭĘēĔĩ ėĘėĜČĜĞ ĠĭĥĖĜĘ 79 Siehe dazu die in Anm. 4 und 22 genannten Arbeiten. Die ökonomischen Hintergründe des Haggai-Sacharja-Maleachi-Komplexes werden auch von Bauer, Zeit, in besonderer Weise bearbeitet. Er liest den gesamten Komplex auf dem Hintergrund der Ptolemäerzeit. Dabei kommt m.E. die Textgenese selbst zu wenig in den Blick. 80 Man achte auf das Wortspiel mit der Wurzel ğğĬ, das ein strenges Vergeltungsdenken impliziert. 77
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zum neuen Völker|zentrum avanciert, in dem die Gabenströme der Nationen für JHWH zusammenfließen.81 2. Sacharja schaut ebenfalls eine Erschütterung der Völkerwelt. Diese sollte jedoch nur diejenigen Völker treffen, die sich der Exilierung und Zerstreuung Judas und Israels schuldig gemacht haben. Ihr aggressives Potential, ihre Hörner, werden von JHWHs Schmieden abgeschlagen. Sie werden durch Entwaffnung pazifiziert. Da die Perser für die Diasporaexistenz Israels keine Verantwortung trugen, sondern die Rückführung der Exilierten förderten, waren sie für Sacharja wahrscheinlich keine vorrangigen Adressaten des Völkergerichtes. Hatte Sacharja (im Gegensatz zu Haggai?)82, der wohl selbst zu den in Babel Verbannten gehörte und unter Serubbabel zurückkehren konnte (Neh 12,16), ein freundlicheres Perserbild, das noch näher an den Heilserwartungen des Exilspropheten Deuterojesaja orientiert war? 3. Die in Juda und Jerusalem wirkenden Schüler und Leser des Sacharja, die wohl bereits zu einer neuen Generation gehörten, erfuhren offensichtlich den immer schwerer lastenden ökonomischen Druck der persischen Reichsverwaltung. Sie erhofften vor allem eine Umkehrung der wirtschaftlichen Lage, durch die die Ausbeuter nun selbst zur Beute ihrer Knechte werden sollten. Verkehrten die Erwartungen Haggais und der Sacharja-„Schüler“ aber nicht lediglich die bestehenden Machtverhältnisse in ihr Gegenteil, indem sie die Peripherie zum Zentrum machten und das Zentrum zur Peripherie, die Ausbeuter zu Knechten und die Knechte zu Ausbeutern? War ein Denken auf der Basis des sogenannten Positionswechselaxioms nicht unfähig, den Teufelskreis von Macht und Ohnmacht zu durchbrechen? |
81 Von daher stellt sich die Frage nach der Datierung der Haggai-Worte noch einmal neu. Als allgemein anerkannt gilt, dass es sich bei den Daten des Haggai- und Sacharjabuches (Hag 1,1.15; 2,1.10.20; Sach 1,1.7; 7,1) um die Arbeit eines späteren Chronisten handelt, der ihm vorliegende Texte in eine chronologische Abfolge einordnete. Insgesamt gelten die Daten als weithin zuverlässig. Sind die aus Hag 2 besprochenen Texte aber vielleicht doch ein Reflex der Ereignisse, die noch unmittelbar in die Wirren um die Thronfolge von Kambyses auf Dareios I. verweisen? Oder stammen sie wirklich erst aus der Zeit, in der Dareios I. seine Herrschaft weithin abgesichert hatte? Reflektieren sie dann die Niederwerfung der vielen Völkeraufstände durch Dareios I. in dem Sinne theologisch, dass die große weltgeschichtliche Wende eben nicht durch die „Revolution“ herbeigeführt werden kann, wie sich ja gezeigt hat, sondern allein durch einen Umsturz JHWHs? 82 Siehe dazu Wolff, Haggai, 3.
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4. Die Völker am Gewandzipfel Israels Als Antwort auf diese Frage wird eine weitere Position von Judäern zu den Völkern im Sacharjabuch thematisiert, die die differenzierte Haltung Sacharjas zu den Völkern aufnimmt und universalistisch ausbaut: „14Juble und freue dich, Tochter Zion! Ja, siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte, Spruch JHWHs. 15Und es werden sich versammeln viele Völker bei JHWH an jenem Tage, und sie werden mir83 zum Volk werden. Und ich werde in deiner Mitte wohnen, damit du erkennst, dass JHWH Zebaoth mich zu dir gesandt hat.“ (Sach 2,14–15a) Der vorliegende JHWH-Spruch setzt ein mit einer „Aufforderung zur Freude“. 84 Adressat ist die Tochter Zion (V. 14a). Grund der Freude ist die Zusage vom Wohnen JHWHs in ihrer Mitte,85 die als Rahmen (V. 14b.15bƝ) die Aussage über JHWH und die Völker (V. 15a)86 einschließt. Sie bildet das innerste Zentrum der Verse. Als Abschluss steht wiederum die ĜģĚğĬ-Formel (V. 15aƞ).87 Schon der Umstand, dass sich dieses JHWH-Wort fast vollständig aus geprägten Formelementen zusammensetzt, spricht dafür, dass es sich um ein schriftgelehrtes Interpretament handelt.
Die Sprucheinheit greift das in Sach 2,8 und 9 jeweils in Endstellung stehende ėĞĘĭĔ auf und legt es im Blick auf das Verhältnis JHWHs zu den Völkern aus. | Die künftige Stadt Jerusalem, so lautete die Vision Sacharjas, würde wegen der Menge an Menschen und Vieh in ihrem Inneren (ėĞĘĭĔ) eine offene Stadt bleiben (V. 8b). In ihrer Mitte (ėĞĘĭĔ) würde JHWH selbst in seiner Herrlichkeit anwesend sein (V. 9b). Die Menge der im künftigen Jerusalem ansässigen Bevölkerung wird jetzt mit der Völkersammlung am Zion erklärt.88 Viele Völker werden sich JHWH anschließen. Das seltene Verbum ėĘğ I Nif. kann geradezu die spezielle Bedeutung des 83 Eine Änderung von Ĝğ in Ęğ ist nicht notwendig. Der Wechsel zwischen 1. und 3. P. Sg. innerhalb der Sprucheinheit geht wahrscheinlich auf die Aufnahme unterschiedlicher geprägter Formen zurück. Vgl. dazu auch Hanhart, Sacharja, 119f. 84 Vgl. Ps 35,27; 118,24; Zeph 3,14; Jes 54,1; Sach 9,9. 85 So auch in Ex 25,8; 29,45.46; 1 Kön 6,13; Jes 33,5; Ps 78,60; Ez 43,7.9. Siehe dazu die Aufarbeitung der Traditionsgeschichte dieser Formel durch Janowski, „Ich will in eurer Mitte wohnen“. Janowski unterscheidet zwischen drei Phasen der Schekina-Theologie: 1. In der vorexilischen Zeit war sie ein Bestandteil der vertikal orientierten Jerusalemer Tempeltheologie. 2. Die Exilszeit bringt mit der Zerstörung des Tempels eine eher horizontal-,ekklesiologisch‘ orientierte Schekina-Theologie hervor. Jetzt wohnt Gott inmitten seines Volkes. 3. In der frühnachexilischen Zeit wird diese zu einer ,Theologie der Stadt‘ transformiert, indem sie vom Wohnen JHWHs in Jerusalem spricht. Vgl. dazu jetzt auch Janowski, Der eine Gott, bes. 18ff, und Owczarek, Vorstellung. 86 In ihr wird ein Teil der Bundesformel aufgenommen. Vgl. zur Sache und den Belegen Smend, Bundesformel. 87 Vgl. Sach 2,12.13; 4,9; 6,15.
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„Sichanschließen(s) der Fremden als Proselyten ... an JHWH“ annehmen (Jes 14,1; 56,3.6; Est 9,27).89 Jedoch ist dieser Anschluss vieler Völker an JHWH kein einseitiger Akt. Nicht nur sie werden sich ihm anschließen, auch er wird sich ihrer annehmen. Mit einer „letzten Abwandlung der Bundesformel“90 wird ihre künftige Aufnahme in den ėĘėĜ Ġĥ angezeigt.91 Es bleibt nicht beim Völkergericht. Auch für die Völker gibt es den Weg durch’s Gericht zur Gnade. Was hier angedeutet wird, das ist die Aufhebung der Völkervielfalt hinein in die Gemeinschaft des einen Volkes Gottes. Zu JHWH, dem Gott Israels, in dessen Mitte ER Wohnung nimmt, sollen dann (ēĘėė ĠĘĜĔ) viele Völker gleich unmittelbar sein. Sie gehören „an jenem Tage“ zum ėĘėĜ Ġĥ, zur Sippschaft JHWHs.92 Nur wenn ER die Mitte der Völker in Jerusalem ist, wird der ständige irdische Wechsel von Macht und Ohnmacht durchbrochen werden. Wird dann Israel ein Volk unter Völkern sein? Wird „an jenem Tage“, an dem die Völker zum Zion wallfahrten,93 seine besondere Position aufgehoben, die Erwählung Israels ihr Ende finden? Auf diese Frage geht der Schlussabschnitt des Protosacharjabuches ein (Sach 8,20–22). „20So spricht JHWH Zebaoth, Noch werden Völker kommen und Bewohner vieler Städte. 21Und die Einwohner der einen werden gehen zu der anderen und sprechen: | Lasst uns gehen, gehen zu besänftigen JHWHs Angesicht und aufzusuchen JHWH Zebaoth. – Auch ich will gehen! 22Und es werden viele Völker kommen und starke Nationen, um aufzusuchen JHWH Zebaoth in Jerusalem und zu besänftigen JHWHs Angesicht.“ Das durch die Botenspruchformel eingeleitete JHWH-Wort kündigt zunächst in V. 20b das eigentliche Thema der Sprucheinheit, die „Völkerwallfahrt“, an. In V. 21 wird dann das Zustandekommen derselben beschrieben: Die Einwohner von Städten gehen aufeinander zu (V. 21aƝ) und fordern sich gegenseitig auf, JHWH aufzusuchen (V. 21aƞƟ). Schließlich erhält die Selbstaufforderung eine positive Antwort (V. 21b). V. 22 wiederholt
88 Begünstigt wurde diese die Völker mit einbeziehende Interpretation von Sach 2,8 wohl auch durch die Verwendung des Nomens ĠĖē, das frei ist von ethnischen Konnotationen. 89 So Kellermann, ėĘğ I, ThWAT IV, 490–492. Alle diesbezüglichen Stellen gehören wohl noch nicht in die frühnachexilische Zeit. Zu Jes 14,1 siehe Kaiser, Jesaja, 22f, und Wildberger, Jesaja 13–27, 524ff. Zu Jes 56,1–8 vgl. jetzt vor allem Lau, Prophetie, 262ff. 90 So Smend, Bundesformel, 39. 91 Zur Verbindung von Bundestheologie und Völkerwallfahrt siehe jetzt auch Lohfink/Zenger, Der Gott Israels. Lohfink weist dabei einen Zusammenhang der Themen in Ps 25 und 33 nach (ebd., 37ff.84ff). Zenger arbeitet einen engen thematischen Zusammenhang zwischen Ps 87 und Sach 2,14–16 heraus. 92 Zu dieser Bedeutung von Ġĥ siehe Lipiąski, Ġĥ, ThWAT VI, 178ff. 93 Vgl. auch Jes 2,2–4; Mi 4,1–3; Jes 60; Ps 68,29f; 72,10f; Jer 3,17 u.ö.
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daraufhin mit leichten Erweiterungen die Ansagen von V. 20b.21a. Der Abschnitt ist in sich chiastisch verschränkt.94
Das Wort liegt zunächst ganz auf der Ebene von 2,15. Und doch enthält es einige Besonderheiten. In seinem Zentrum steht das Bekenntnis eines einzelnen: „Auch ich will gehen!“ Weist das daraufhin, dass sein Autor in der künftigen Völkerwallfahrt nach Jerusalem keine Selbstverständlichkeit gesehen hat? Bedurfte die grundsätzliche universale Offenheit JHWHs auch für die Völker der individuellen Entscheidung von einzelnen aus ihnen? Die Entscheidungen vieler einzelner aber würde schließlich dazu führen, so die Zuversicht des Autors, dass „viele Völker und starke Nationen“ 95 JHWH in Jerusalem aufsuchen (V. 22). Auch hier handelt es sich sehr wahrscheinlich um das Votum eines späteren Sacharjainterpreten.96 Auf die Frage nach der besonderen Rolle des Gottesvolkes gegenüber den Völkern wird expressis verbis noch nicht eingegangen. Aber das Wort zentriert wie auch 2,15 mit der betonten Erweiterung der Wendung ĭĘēĔĩ ėĘėĜČĭē ĬĪĔğ durch ĠğĬĘīĜĔ in V. 22aƞ die Völkerwallfahrt auf den besonderen Ort JHWHs in der Welt. Es bleibt also auch für diejenigen aus den Völkern, die sich JHWH anschließen, bei der geschichtlichen Bindung an einen Ort, die dieser Gott Israels eingegangen ist. Um dies gleichsam noch einmal zu unterstreichen, wird der Protosacharjakomplex durch eine der bewegendsten prophetischen Verheißungen überhaupt abgeschlossen (8,23): | „So spricht JHWH Zebaoth: In jenen Tagen greifen zehn Männer aus allen Zungen der Völker, sie ergreifen einen judäischen Mann am Gewandzipfel und sprechen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist.“
Jetzt findet die Frage nach der künftigen Funktion des Gottesvolkes für die Völker ihre Antwort. Auch dort, wo die Vielfalt der Völker gleichsam eingeholt wird in den einen ėĘėĜ Ġĥ (2,15), da behalten die Angehörigen der
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Vgl. die Abfolge der Infinitive ĭĘğĚğ – ĬĪĔğ – ĬĪĔğ – ĭĘğĚğ in V. 21f. Wahrscheinlich liegt hier ein Bezug auf Mi 4,3 vor, wo ebenfalls das Begriffspaar ĠĜġĘĩĥ ĠĜĘĕĘ ĠĜĔī ĠĜġĥ im Zusammenhang mit der Völkerwallfahrt begegnet. 96 Die Wiederaufnahme der Wendung ėĘėĜ Ĝģħʚĭē ĭĘğĚğ aus Sach 7,2 verbindet 8,20– 22 mit der Problematik der Fastenfrage, die in 8,18f, also unmittelbar vor unserem JHWH-Wort ihre Antwort findet. Es leuchtet ein, wenn Nogalski, Literary Precursors, 269ff, daraus den Schluss zieht: „This same phrase describes the action of the delegation in Zech 7:2. When one notes that 8:20–22 follows the response to that delegation in 8:19, the logic of the unit’s position makes sense. It affords a deliberate device to parallel the action of the delegation from Bethel, only it accents the action by applying it to many nations“ (ebd., 271). 95
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persischen Provinz Jehud97 wie auch die Diasporajuden98 ihre besondere, allein ihnen zugedachte Rolle. Sie werden zum Führer der Völker zu JHWH. An einem Judäer hängen zehn Männer aus den Völkern. Sie lassen sich von ihm mitnehmen auf seine Wallfahrt zum Zionsgott. Nur durch einen Judäer finden sie ihren künftigen Weg. Die Vorstellung erinnert – trotz aller Differenzen – noch einmal an die Darstellung der Völkertreppe zum Apadana in Persepolis. Auch dort ist es ja jeweils ein an seiner Tracht zu erkennender persischer Hofbeamter, der die unterschiedlichen Völkerdelegationen an der Hand nimmt und zum Großkönig führt. 99 Typologisch gehört das Motiv wohl zu den sogenannten „Entführungsszenen“, die vielfältig im Alten Orient belegt sind.100 Insofern ist auch dieser letzte Vers aus dem Protosacharjabuch ein Ausdruck von figurative policy. Wollte Sach 8,23 eine Korrektur an dem schrankenlosen Universalismus von 2,15; 8,22 anbringen?101 Liegt hier die | ernüchterte Stimme eines späteren Lesers vor, 97 So wohl die Bedeutung des Gentilicium ĜĖĘėĜ. Vgl. Jer 43,9; Neh 1,2; 3,33; 4,6; Est 2,5; 3,4; 5,13. 98 Auf sie verweist die Wendung ĭĘģĬğ ğĞġ! 99 Vgl. Abb. 1. 100 Siehe dazu eine Fülle von Beispielen und Abbildungen bei Metzger, Königsthron und Gottesthron, und seine Zusammenfassung ebd., 295. An diese typologische Nähe zu den Entführungsszenen denken möglicherweise auch Meyers/Meyers, Haggai, 441: „The taking hold of the hem of a Yehudite’s robe by ten men of foreign nations of all tongues conjures up a picture of rapprochement, submission, and loyalty. A well-known gesture of the ancient world [...]“. Dabei hat die Aussage über das Ergreifen des Mantelsaumes eines Judäers auch eine rechtliche Konnotation. Vgl. dazu Horst/Robinson, Kleine Propheten, 245. Stendebach, Prophetie und Tempel, 43, trifft die Aussage des Verses mit der Feststellung: „Der Anschluß von Heiden an die Jahwegemeinde geschieht durch den Eintritt in ein persönliches Schutzverhältnis zu einem Mitglied dieser Gemeinde, das im Ergreifen des Gewandes seinen symbolischen Ausdruck findet.“ 101 So die Vermutung von Nogalski, Literary Precursors, 272: „The verse is surely aware of Zech 8:20–22, but whether it should be understood as a correction or a clarification of those verse cannot be decided with certainty, although the former seems more likely on the basis of the parallels in Mic 4:1ff, Isa 2:2ff and Zech 2:15 which argue for a more radical universal soteriology.“ Die einleuchtende Interpretation durch Stendebach, Prophetie und Tempel (vgl. Zitat Anm. 100), spricht eher für eine engere Deutung des Universalismus in V. 23. Eine partikularistische Interpretation von Sach 8,23 schlägt Bauer, Zeit, vor. Er stellt die Frage: „Wenn nun ,Menschen aus allen | Sprachen der Völker‘ in Jerusalem erwartet werden, kann, ja muß das nicht sinnvollerweise bedeuten, daß Angehörige der Diaspora aus ,aller Herren Länder‘ angesprochen werden sollen und gerade nicht die gesamte Menschheit“ (ebd., 95)? Leider bleibt uns Bauer aber eine eingehende Begründung seiner These schuldig. Gegenüber diesen Interpretationen, die in V. 23 eher eine Begrenzung der vorhergehenden Heilsweissagung sehen, postulieren Meyers/Meyers, Haggai, 444, eine Bedeutung des Verses, die auf eine letzte und äußerste Entgrenzung der Vorstellung von der Völkerwallfahrt nach Jerusalem hinausläuft: „The most inclusive perspective is that of verse 23, where ‚ten‘ and ‚all tongues‘ combine with ‚nations‘ to
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der aufgrund des Ausbleibens der weitgespannten Erwartungen von Völkerwallfahrten nach Jerusalem allenfalls damit rechnete, dass die Zionswallfahrten der Diasporajuden auf einzelne Gruppen aus den Völkern ihre Wirkung nicht verfehlen würden? Spricht hier das Zeitalter eines beginnenden „Proselytismus“ zu uns? Oder zieht dieser ,,Minjan aus den Völkern“ als repräsentative Delegation stellvertretend für diese in ihrer ganzen Fülle nach Jerusalem? Wie auch immer diese Fragen zu beantworten sind,102 es bleibt die Überzeugung des Autors: Ohne die ĠĜĖĘėĜ wären die Völker wie ohne Weg und ohne Richtung, orientierungslos dem Pluralismus der vielen Sprachen, verlockenden Stimmen und den unterschiedlichen Ansprüchen der Macht ausgesetzt. Ohne sie blieben die Völker wie ohne Gott. Diese Überlegungen sind Werner Vogler zu seinem 65. Geburtstag gewidmet. Er hat sich in seiner Lehrtätigkeit immer wieder um die Frage nach dem Verhältnis des Volkes Gottes zu den Völkern bemüht. Dabei wurde er nicht müde, auf den ĜĖĘėĜ aus Nazareth zu verweisen, den die christliche Gemeinde als ihren Mittler und HERRN „am Gewandsaum ergriffen hat“103, um mit ihm zu gehen.104 |
symbolize global participation in the acknowledgement of Jerusalem as the legitimate terrestrial seat and symbol of Yahweh’s universal rule.“ 102 Das hängt nicht zuletzt auch von der Deutung der Zahl „zehn“ ab. Hat sie hier, was die meisten Kommentatoren annehmen – und was wohl auch naheliegt – eine symbolische Qualität? Zehn als Ausdruck der Vollständigkeit und Vollkommenheit? 103 Vgl. Mk 5,25ff; Mt 9,20f; 14,36; Lk 8,43ff. Auch hier drückt die Berührung des Gewandes Jesu sowohl einen Akt der Demut als auch des unbedingten Vertrauens aus, auf diese Weise der Heilung und des Heils teilhaftig zu werden. Vgl. auch bTaan 23b. 104 Die Wahrnehmung Jesu als Juden ist ein ständiges Forschungsthema Werner Voglers gewesen, das u.a. in der wichtigen Studie „Jüdische Jesusinterpretationen in christlicher Sicht“ (Weimar 1988) ihren Niederschlag fand.
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Abb. 1: Die Gesandtschaft der Syrer auf der Osttreppe des Apadana in Persepolis
Abb. 2: Völkerthrongestell in der Südtür des Hundertsäulensaales von Persepolis
Abb. 3: Sanherib-Thron in Ninive |
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„Wir wollen mit euch gehen ...“
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Abb. 4: Huldigungsszene der Armee in der Abb. 5: Königlicher Held kämpft gegen ein Nordtür des Hundertsäulensaales Löwenmonster (West- und Osttür des Hundertsäulensaales) |
Summary This paper focuses on the relationship between Israel and the nations in Haggai and Zechariah 1–8. Both prophets are motivated by the hope for a process of universalisation, but their message was later subjected to editing. A Deuteronomistic editor was of the opinion that the Diaspora from Judah was a punishment by YHWH (2:10), but that YHWH will in the future restore Israel to its rightful fate. Another editor speaks in Zech 2:14–15 and 8:20–22 of an eschatological pilgrimage of the nations to YHWH, the God of Zion in Jerusalem. Then the nations will become a part of the people of YHWH (2:15). The last expression of the theology of the nations in Zechariah 1–8 can be found in 8:23, where it is said that ten men (representatives?) from nations of all languages will say to a Yehudite: „Let us go with you ...“ Does this represent a reduction of the universal and eschatological hope expressed in 2:15 and 8:20–22? Is the advent of an age of „proselytism“ being announced?
Propheten – Engel – Prediger
„... damit ihr erkennt, dass JHWH Zebaot mich gesandt hat“ Erwägungen zur Berufung und Sendung des Propheten Sacharja In den klassischen Berufungsberichten der Propheten (Ex 3; Jes 6; Jer 1; Ez 1–3)1 bilden deren Berufung und Sendung eine Einheit, 2 was nicht verwunderlich ist, da die Berufung in der Regel ihren Grund in der Sendung hat. Sie ergeht in der Gestalt von Auditions- und Visionserlebnissen, die das prophetische Bewusstsein wecken und die künftige prophetische Wirksamkeit allein auf JHWHs Initiative zurückführen.3 So verwundert es nicht, dass man auch in solchen prophetischen Schriften nach Spuren von Berufungserfahrungen gesucht hat, die selbst keine ausgeführten Berufungserzählungen enthalten. Texte wie Hos 1,2ff; Am 7,15; Jes 40,6ff wurden immer wieder als Reflexe prophetischer Berufungserlebnisse gedeutet. Intensiv wurde diese Frage auch im Blick auf das erste Nachtgesicht des Sacharja (Sach 1,7–17) erörtert, das häufig als „Berufungsvision“ beschrieben worden ist.4 Es sind vor allem drei Argumente, die für diese Interpretation angeführt worden sind: 1. Auch die Berufungserzählungen Jesajas, Jeremias und Ezechiels sind mit visionären Erlebnissen verbunden. 2. Sacharja erhält in 1,14 einen klaren Verkündigungsauftrag (ēīĆ Īþ ).5 3. Der Prophet habe für sich in Anspruch genommen, durch seine Berufung der Maxime des Jeremiabuches vom wahren Propheten | entspre1
Siehe dazu Long, Berufung I, TRE 5, 676ff. So begegnet in allen das Lexem ĚğĬ (Jes 6,8; Jer 1,7; Ez 3,5f), das in Ex 3 (V. 10.12. 13.14.15.20) geradezu zum Leitwort wird. 3 Hilfreich für die formgeschichtliche Analyse von Berufungsberichten ist nach wie vor die Unterscheidung von zwei Typen durch Zimmerli, Ezechiel, 16–21. Prototypisch für die erste Gestalt ist Jer 1,4–10, ein ganz als „Wortereignis“ ausgeformter Bericht, zu dem die Gegenrede des Propheten, deren Abweisung durch JHWH, ein Sendungsauftrag, eine Beistandszusage und eine als „Ordinationsvorgang“ zu deutende Zeichenhandlung gehören. Die zweite in 1 Kön 22 und Jes 6 begegnende Form hingegen ist elementar mit einer Visionserfahrung sowie einem Blick in den himmlischen Thronrat verbunden. 4 So u.a. Preß, Nachtgesicht, 46; Jepsen, Beiträge, 98; Beuken, Sacharja, 242; Delkurt, Nachtgesichte, 68ff; Pola, Priestertum, 44f. 5 Auf dieses Argument stützt sich vor allem Delkurt, Nachtgesichte, 68f, mit Verweis auf Jes 40,1–8. 2
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chend (Jer 23,16ff), Zugang zum „himmlischen Thronrat“ (ėĘėĜ ĖĘĤ) bekommen zu haben.6
1. Das erste Nachtgesicht eine Berufungsvision? Das erste Argument trifft ohne Zweifel zu, ist für sich allein allerdings wenig aussagekräftig, da über visionäre Erfahrungen nicht nur am Anfang prophetischer Wirksamkeit berichtet wird.7 Darüber hinaus widerspricht die literarische Konzeption des Zyklus der Nachtgesichte (1,7–6,15) einer isolierten Sonderstellung von Sach 1,7–17 als Berufungsvision, der später weitere Visionen gefolgt seien. Die Datierung in 1,7 stellt in Verbindung mit der Zeitangabe ėğĜğė in 1,8 eine klare Leseanweisung dar. Der Zyklus soll als Geschehen einer einzigen Nacht wahrgenommen werden. Auf der Ebene der Komposition bildet demnach Sach 1,7–17 zusammen mit den folgenden Nachtgesichten eine unauflösliche Einheit. Wer nach Spuren der Berufung und Sendung Sacharjas sucht, der dürfte diese Suche daher nicht auf das erste Nachtgesicht beschränken, sondern müsste zunächst einmal den gesamten Zyklus in Blick nehmen. War die Nacht des 24.11. im zweiten Jahr des Dareios (= 15. 02. 519 v. Chr.) die Berufungsnacht Sacharjas, in der ihm in einer Reihe von abgründigen Visionen und ihren Deutungen durch den angelus interpres die Augen für das künftige Heilswerk JHWHs an Juda und Jerusalem geöffnet worden sind? Es ist wiederum die literarische Komposition des Protosacharjabuches, die einer klaren Bejahung dieser Frage im Wege steht. Denn nach dem Prolog in Sach 1,1–6 war Sacharja bereits wenige Monate zuvor, im achten Monat im zweiten Jahr des Dareios (= Nov./Dez. 520), zum Empfänger eines JHWH-Wortes geworden (V. 1: ėĜīĞęČğē ė ĘėĜČīĔĖ ė Ĝė), das er seinen Hörern mitteilen sollte (V. 3: ĭĘēĔĩ ėĘėĜ īġē ėĞ Ġėğē ĭīġēĘ). Nimmt man diese Gesamtkomposition von Sach 1–8 ernsthaft zur Kenntnis, dann könnte man allenfalls noch im Prolog 1,1–6 nach Spuren der Berufung des Propheten suchen. Der Zyklus der Nachtgesichte hingegen würde für solch eine Spurensuche ausscheiden. Verlässt man hingegen in der Betrachtung von Sach 1–8 die Ebene der literarischen Komposition und fragt nach der/n Redaktion(en) des Buches, dann verliert dieser Befund an Eindeutigkeit. Denn mehrfach ist darauf 6
Pola, Priestertum, 44f, macht dieses Argument stark, indem er Sach 1,7–17 ganz von Sach 3 her interpretiert. 7 Hier gilt immer noch das Votum Rignells, Nachtgesichte, 59f: „Dass die Vision eventuell Ähnlichkeiten mit Berufungsvisionen bei anderen Propheten aufweist, liegt nicht daran, dass es sich um eine Berufung handelt, sondern daran, dass es sich um eine Vision handelt.“
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hingewiesen worden, dass es sich bei dem Sacharjaprolog 1,1–6 um | einen redaktionellen Abschnitt schriftgelehrter Prophetie handelt, der dem Zyklus der Nachtgesichte erst später vorangestellt worden ist.8 Damit bleibt der Zyklus der Nachtgesichte auch weiterhin ein Kandidat für die Suche nach einem Berufungsbericht.9 Das zweite Argument, das für die Deutung des ersten Nachtgesichtes als Berufungsvision in Anspruch genommen wurde, ist der mit dem Imp. ēīĆ Īþ eingeleitete Verkündigungsauftrag (1,14). Auffällig ist allerdings, dass dieses Verb mit Ausnahme von Jes 40,6; Jona 1,2; 3,2 gerade nicht in den klassischen prophetischen Berufungsberichten begegnet10 und schon gar nicht auf diese beschränkt ist, um einen Verkündigungsauftrag einzuleiten. Vielmehr kann der Prophet zu jeder Zeit seiner prophetischen Wirksamkeit mit dem Aufruf ēīĆ Īþ zur Verkündigung eines JHWH-Wortes aufgefordert werden (vgl. Jes 58,1; Jer 2,2; 3,12; 7,2; 11,6; 19,2; Sach 7,7.13). Der durch die Wurzel ēīĪ eingeleitete Verkündigungsauftrag ist daher nicht so signifikant, dass sich von ihm her zwingend ein Berufungsbericht bzw. eine Berufungsvision ableiten ließe. Bleibt schließlich das dritte Argument, dass sich Sacharja nach 1,7–17 im ėĘėĜ ĖĘĤ befunden habe und daher nach Jer 23,16ff seine Sendung als wahrer Prophet für sich in Anspruch nehmen könne. Dazu ist zu bemerken, dass im ersten Nachtgesicht vom ėĘėĜ ĖĘĤ nicht die Rede ist. Vielmehr handelt es sich bei dem dort entfalteten Geschehen wahrscheinlich um eine Himmelstorszene,11 in der der angelus interpres die Botschaft der himmlischen Reiter am Tor entgegennimmt, um sie als „himmlischer Wesir“ vor JHWH zu tragen und im Gegenzug dazu dessen Aufträge und Befehle zu empfangen und weiterzuleiten.12 Dem literarischen Konzept | nach ist er offensichtlich der einzige, der direkten Zugang zu dem unsichtbaren, trans8 Vgl. dazu Beuken, Sacharja, 84ff; Schöttler, Gott, 401ff; Lux, Konditionierung, 226f. Anders Hanhart, Sacharja, 26, u.a. 9 Es bleibt allerdings die Frage bestehen, ob derjenige Redaktor, der dem Zyklus den Prolog 1,1–6 vorangestellt hat, den Nachtgesichten nennenswerte Informationen über die Berufung und die erstmalige Sendung des Propheten entnehmen konnte. Wäre dies der Fall gewesen, dann hätte er mit der Gestaltung von 1,1–6 als einem prophetischen Wortereignis samt Verkündigungsauftrag die Berufung Sacharjas eigenmächtig vordatiert. Ein solches Vorgehen ist zwar denkbar, aber angesichts der Autorität, die das prophetische Zeugnis für den Redaktor gehabt haben dürfte, kaum wahrscheinlich. Näher liegt es hingegen, dass er den Nachtgesichten seinen Prolog voranstellen konnte, weil diese für ihn eben nicht das früheste Zeugnis der Wirksamkeit Sacharjas darstellten. 10 Vielmehr finden dort neben dem klassischen Lexem für die Sendung ( ĚğĬ) die eher unspezifischen verba dicendi īġē (Ex 3,16; 4,22; Jes 6,9; Ez 2,4; 3,11.27) und īĔĖ (Jer 1,7.17; Ez 2,7; 3,4.11) Verwendung. 11 Siehe zu dieser seit langem vertretenen These u.a. Jeremias, Nachtgesichte, 112, und Hanhart, Sacharja, 79.
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zendenten JHWH hat.13 Aus Sach 1,13 lässt sich jedenfalls nicht zwingend ableiten, dass Sacharja unmittelbar Zeuge der „guten und tröstlichen Worte“ JHWHs geworden sei, mit denen dieser die Klage des Deuteengels aus 1,12 beantwortete, also selbst im ėĘėĜ ĖĘĤ gestanden habe. Vielmehr müssen auch diese Worte dem Propheten erst durch den Deuteengel übermittelt werden (1,14).14 Die Überprüfung der drei Argumente, die für die Deutung von Sach 1,7–17 als Berufungsvision des Propheten angeführt worden sind, hat sie damit als wenig tragfähig erwiesen. Bleibt es daher bei dem negativen Ergebnis, das Klaus Baltzer nüchtern für die beiden nachexilischen „Zwillingspropheten“ formuliert hat, „Haggai und Sacharja haben keinen Einsetzungsbericht.“15? Grundsätzlich wird man dieser Feststellung zustimmen müssen. Allerdings ist im Zyklus der Nachtgesichte des Propheten mehrfach von seiner Sendung die Rede. Lassen sich aus diesen Sendungsvermerken Rückschlüsse auf die Anfänge der Prophetie Sacharjas ziehen?
2. Der literarische Ort von Sacharja 2,10–13 Fünfmal verweist der Prophet unmittelbar auf seine Sendung durch JHWH: 2,12 2,13 2,15 4,9 6,15
ĠĞĭē ĠĜğğĬė ĠĜĘĕėČğē ĝĜğē ĠĞĜğē ĠĞĜğē 12
ĜģĚğĬ ĜģĚğĬ ĜģĚğĬ ĜģĚğĬ ĜģĚğĬ
ĖĘĔĞ īĚē ĭĘēĔĩ ėĘėĜČĜĞ ĠĭĥĖĜĘ ĭĘĔĩ ėĘėĜČĜĞ ĭĥĖĜĘ ĭĘēĔĩ ėĘėĜČĜĞ ĭĥĖĜĘ ĭĘēĔĩ ėĘėĜČĜĞ ĠĭĥĖĜĘ
Vgl. zu den Personenkonstellationen des ersten Nachtgesichtes Lux, Wer spricht mit wem?, 283ff. 13 Gegen Pola, Priestertum, 44f. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Nachtgesichte konzeptionell von Sach 3, das sich auch aus diesem Grunde als spätere Ergänzung zu dem Zyklus erweist. Man sollte daher Sach 1,7–17 nicht vorschnell im Lichte von Sach 3 interpretieren und damit die Vorstellung vom himmlischen Thronrat in das erste Nachtgesicht eintragen. 14 Literarisch handelt es sich bei V. 13 um eine Substitution auf Metaebene, die die in 1,14b–17 wörtlich zitierten JHWH-Worte summarisch vorwegnimmt. Der Vers spiegelt die Ebene der Autor-Leser-Kommunikation wider. Er orientiert die Leser auf die folgenden JHWH-Worte hin, die als Zitat eingeführt werden und folglich einer anderen Kommunikationsebene, nämlich der zwischen JHWH und dem Deuteengel zuzuordnen sind. Wenn der literarischen Konzeption nach Sacharja selbst im himmlischen Thronrat gestanden hätte, dann hätte es einer Vermittlung der JHWH-Worte 1,14b–17 durch den angelus interpres nicht bedurft. 15 Baltzer, Biographie, 178. So auch Rignell, Nachtgesichte, 59f, und Rudolph, Sacharja, 80.
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Alle fünf Stellen, die das Lexem ĚğĬ enthalten, begegnen in Texten, die nach der Auffassung der ganz überwiegenden Mehrheit der Ausleger | nicht ursprünglich zum Zyklus der Nachtgesichte gehört haben, sondern Nachinterpretationen derselben darstellen.16 Während es sich in 2,13.15; 4,9; 6,15 um die in den jeweiligen Kontext eingepasste Erkenntnisformel 17 handelt, fällt 2,12 aus dem Rahmen der Belege heraus. Im Folgenden soll begründet werden, dass der Sendungshinweis in 2,12 nicht zufällig an der Spitze der fünf Sendungsaussagen steht. Vielmehr diente er wohl mit der Form ĜģĚğĬ als Stichwortgeber für die viermalige Erkenntnisformel, die ihm folgt. 2,12 wurde schon immer als eine besondere crux interpretum empfunden.18 Das hat bereits Julius Wellhausen zu dem knappen aber nicht weiter begründeten Votum veranlasst, der Satz sei „hier nicht am Orte“.19 Viele sind ihm in diesem Urteil gefolgt und haben entsprechende Konjekturen und Textumstellungen vorgenommen, die allerdings neue Probleme aufwerfen.20 Das führte zur Suche nach Lösungen, die eine weitestgehende Beibehaltung von MT erlauben.21 Mit Albert Petitjean,22 Carol L. und Eric M. Meyers23 sowie Robert Hanhart24 ist īĚē hier als Konjunktion mit „nachdem“ zu übersetzen (vgl. Lev 14,43; Jer 41,16; Ez 40,1; Hi 19,26; 42,7).25 Das absolut gebrauchte Nomen ĖĘĔĞ kann als Metonym für das in 16
Über deren Verfasserschaft gehen allerdings die Meinungen weit auseinander. Während man sie einerseits noch der Feder des Propheten selbst zuschreibt (so Hanhart, Sacharja, z. St.; Pola, Priestertum, 110ff, u.a.), sehen andere in ihnen teilweise oder insgesamt spätere Redaktoren am Werk (z.B. Reventlow, Sacharja, z. St.; Kratz, Judentum, 79ff, u.a.). 17 Siehe dazu Zimmerli, Erkenntnis, 77f. 18 Die umfangreichsten Überlegungen zu 2,12 bietet Petitjean, Oracles, 109–117. 19 Wellhausen, Propheten, 180. 20 So hat Vriezen, Cruces, die Vermutung geäußert, dass die Worte ĖĘĔĞ īĚē eine versehentlich in den Text geratene Glosse darstellen würden, die den Hinweis gegeben habe, dass der Text von V. 12 ursprünglich hinter ĖĘĔĞğĘ von V. 9 gestanden habe, also noch unmittelbarer Bestandteil des dritten Nachtgesichtes gewesen sei. Rudolph, Sacharja, z. St., ist ihm auf dieser Spur gefolgt und hat die Auffassung vertreten, die gesamte Sendungsaussage in V. 12a sei eine in den Haupttext gerutschte Glosse, die mit dem Stichwort ĜģĚğĬ darauf aufmerksam machen wollte, dass die Erkenntnisformel von V. 13b hinter V. 9 gehöre. So auch Schöttler, Gott, 79. Jedoch schaffen derartige Textumstellungen nur neue Probleme. Eine Umstellung von V. 12 hinter ĖĘĔĞğĘ in V. 9 würde den dortigen Textzusammenhang zerstören. Und bei einer Umstellung von V. 13b hinter V. 9 hätte man von einem Glossator eher das Stichwort ĝĘĭĔ, nicht aber ĖĘĔĞ erwartet. 21 So z.B. auch Kloos, crux, 729ff. 22 Petitjean, Oracles, 117. 23 Meyers/Meyers, Zechariah, 164. 24 Hanhart, Sacharja, 118. 25 Siehe Ges18, 40.
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der Botenformel vorausgehende ĭĘēĔĩ ėĘėĜ gedeutet werden.26 | Es repräsentiert die sichtbare irdische Präsenz und Wirksamkeit des in den Nachtgesichten ganz in der himmlischen Transzendenz verborgenen Gottes JHWH.27 Entsprechend ist V. 12a wie folgt zu übersetzen: „Denn so hat JHWH Zebaot gesprochen, nachdem die Herrlichkeit mich zu den Völkern gesandt hat, die euch beraubt haben.“28 Damit stellt sich die Frage, wie sich dieser Sendungshinweis in seinen näheren Kontext einfügt. Sach 2,12 gehört zu einer prophetischen Spruchsammlung (2,10–13.14–16.17), die nur lose an das vorhergehende dritte Nachtgesicht angehängt worden ist.29 Während sich die Heilszusagen in 2,8f an den jungen Mann richten (ęğė īĥģė), der ausgezogen war, das künftige Jerusalem in seiner Breite und seiner Länge zu vermessen, sprechen die anschließenden Sprüche vollkommen unvermittelt die Angehörigen der babylonischen Gola (V. 11: ğĔĔČĭĔ ĭĔĬĘĜ),30 die „Tochter Zion“ (V. 14: ČĭĔ ĢĘĜĩ) sowie „alles Fleisch“ (V. 17: īĬĔČğĞ) an.31 Die erste Sprucheinheit (2,10–13) gliedert sich in eine Aufforderung an die Angehörigen der Gola, 26
Anders van der Woude, Zacharia, 52ff. Ein vergleichbarer Gebrauch liegt in Ps 106,20 vor. Dort verwechseln die Israeliten „ihren Kabod“ (ĠĖĘĔĞ) mit dem „Abbild“ (ĭĜģĔĭ) eines Stieres, der Kraut frisst. Einfaches ĖĘĔĞ für ėĘėĜ ĖĘĔĞ findet sich auch in Jes 4,5; 24,23; und Jer 2,11. Da das indeterminierte ĖĘĔĞ vom Kontext her eindeutig für die „Herrlichkeit JHWHs“ steht, ist eine Übersetzung mit „die Herrlichkeit“ sachgerecht und erlaubt. Vgl. Brockelmann, Syntax, § 20b, 17, und Hanhart, Sacharja, 114. 28 In diesem Sinne übersetzt auch LXX: dio,ti ta,de le,gei ku,rioj pantokra,twr ovpi,sw do,xhj avpe,stalke,n me evpi. ta. e;qnh ta. skuleu,santa u`ma/j. 29 Dabei wird in dem ersten Spruch (2,10–13) das Stichwort ĖĘĔĞ (V. 12) und im zweiten Spruch (2,14–16) das Stichwort ĝĘĭĔ (V. 14f) aus V. 9b wieder aufgenommen. 30 Die Formulierung ğĔĔČĭĔ ĭĔĬĘĜ (V. 11) könnte Jer 46,19; 48,18 entsprechend auf die gesamte Einwohnerschaft Babels bezogen werden und eine universale Heilsperspektive einleiten (so Biā, Sacharja, 36), was allerdings dem näheren Kontext widerspräche. Die Begründung der in V. 10f ausgesprochenen Aufforderung zur Flucht in den V. 12f weiß nichts von einer gemeinsamen Rettungsperspektive für Israel und die israelfeindlichen Völker. Die in BHS und den Kommentaren vorgeschlagenen Konjekturen sind unnötig, wenn beachtet wird, dass ĔĬĜ mit dem Akkusativ stehen kann, der den Ort kennzeichnet, an dem jemand wohnt (vgl. Gen 4,20; Ps 22,4). Siehe dazu Gesenius/Kautzsch, Grammatik, § 117bb.118g, 385.389f. 31 MT gliedert die Spruchsammlung durch Setumot in 2,10–11.12–13.14–17. Die meisten Kommentare nehmen eine Zweiteilung in die V. 10–13 und 14–17 (Rudolph, Sacharja, 86ff; Reventlow, Sacharja, 48f) oder in Anlehnung an MT eine Dreiteilung in V. 10– 11.12–13.14–17 vor (Sellin, Zwölfprophetenbuch, 490ff; Biā, Sacharja, 34). Formal handelt es sich allerdings um drei selbständige Sprucheinheiten, die jeweils aus einer Aufforderung (2,10–11.14a.17a) und einer darauf folgenden durch ĜĞ eingeleiteten Begründung (2,12–13.14b-16.17b) bestehen. Diese Dreiteilung wird auch durch die drei unterschiedlichen Adressatengruppen bestätigt. Vgl. dazu Lux, „Still alles Fleisch ...“, 185ff. 27
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aus Babel nach Zion zu fliehen (2,10f), und eine ausführliche Begründung (2,12f). | „10Auf, auf, flieht aus dem Land des Nordens! – Spruch JHWHs – [Denn gleich den vier Winden habe ich euch zerstreut. – Spruch JHWHs –]32 33 Zion, rette dich, 11Auf, nach 34 Bewohnerin (bei) der Tochter Babels! 12Denn so hat JHWH Zebaot gesprochen, nachdem die Herrlichkeit mich gesandt hat zu den Völkern, die euch beraubt haben: Fürwahr, wer euch anrührt, 35 rührt an seinen (eigenen) Augapfel. 13Denn siehe, ich schwinge meine Hand gegen sie. | 32 Im Unterschied zu den beiden poetisch geformten und durch ĜĘė eingeleiteten Aufforderungen zur Flucht in V. 10a.11 stellt V. 10b einen in Prosa gehaltenen Satz dar, der die erste Aufforderung damit begründet, dass JHWH die Angesprochenen in alle vier Winde (= Himmelsrichtungen) zerstreut habe. Während die Aufforderung zur Flucht durch die Zwischenformel ėĘėĜ Ġēģ deutlich als ein durch den Propheten vermitteltes JHWH-Wort markiert wird, tritt JHWH in V. 10b selbst als Sprecher auf (1. Sing.). Nicht nur formal unterbricht damit V. 10b den Parallelismus V. 10a.11, sondern auch inhaltlich ergeben sich Spannungen zum näheren und weiteren Kontext. So war die Zerstreuung Judas nach 2,1–4 das Werk der israelfeindlichen Völker und eben nicht JHWHs, die damit zum Bösen beitrugen (1,15) und den Bogen überspannten, wofür sie jetzt ihre gerechte Strafe empfangen sollten. Hier hingegen ist das Exil wie in 7,14 Werk JHWHs. Damit entspricht V. 10b der theologischen Aussagetendenz des sekundären Rahmens der Nachtgesichte in 1,1–6; 7,7–14 und dem dort erwähnten Zorn Gottes über die Generationen der Väter. Aus diesem Grunde dürfte V. 10b ein redaktioneller Zusatz sein. Dafür spricht auch, dass der Redaktor mit der Aufnahme des Bildes von den „vier Winden“ aus 6,5 wohl bereits den vollständigen Zyklus der Nachtgesichte vorliegen hatte. 33 ĢĘĜĩ ist hier mit LXX (eivj Siwn) nicht Vokativ, sondern accusativus directionis (vgl. Jes 35,10; 51,11), der den Zielort der Flucht bezeichnet. Mit Beuken, Sacharja, 318; Rudolph, Sacharja, 87; Meyers/Meyers, Zechariah, 164. 34 Siehe Anm. 30. 35 LXXW, Tert und V. ändern ĘģĜĥ zu ĜģĜĥ. Die Stelle gehört zu den tiqqune sopherim. Eine Entscheidung hängt davon ab, auf wessen Auge sich das Suff. 3. Sing. mask. bezieht. Geht es um die Gola als den Augapfel Gottes, dann liegt die Änderung des Suffixes von der 3. in die 1. Sing. nahe, um den möglicherweise als anstößig empfundenen Anthropomorphismus zu mildern. Diese Lesart wird häufig mit Verweis auf Dtn 32,10 gewählt, wo allerdings ĢĘĬĜē und nicht das hapax legomenon ėĔĔ steht. MT wird häufig auch deswegen korrigiert, weil mit dem Suff. 3. Sing. mask. nicht mehr JHWH als Sprecher von V. 12b vorausgesetzt sei, sondern ein Prophetenwort in Parenthese zu dem in 12a eingeleiteten JHWH-Wort stehe (so Schöttler, Gott, 80; Hanhart, Sacharja, 118). Sieht man als Bezugswort zu dem Suff. 3. Sing. mask. das Subjekt des Satzes, ėĕģė, dann handelt es sich hier um keine metaphorische Aussage über die Gola als den Augapfel JHWHs, son-
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Und sie werden zum Raub ihrer Knechte, damit ihr erkennt, dass JHWH Zebaot mich gesandt hat.“
Formal entspricht die Sprucheinheit den fünf Elementen, die Robert Bach für die Gattung „Aufforderung zur Flucht“ herausgearbeitet hat: – Aufforderung zur Flucht (V. 10a.11, eingeleitet durch einen Imp. der Verben ĤĘģ und ěğġ Nif.) – Ausgangsort der Flucht (V. 10a ĢĘħĩ Ĩīēġ) – Zielort der Flucht (V. 11a ĢĘĜĩ) – Adressaten der Aufforderung (V. 11b ğĔĔČĭĔ ĭĔĬĘĜ) – Begründung der Aufforderung (V. 12f)36 Die Begründung der Aufforderung zur Flucht (V. 12–13) wird durch ĜĞcausalis mit folgender Botenformel ĭĘēĔĩ ėĘėĜ īġē ėĞ eingeleitet. Der thematische Kern der Begründung ist die durch ĜĞ-affirmativum eingeführte Aussage in V. 12b–13a, wonach jeder, der Israel anrührt, sich selbst an seiner empfindlichsten Stelle, seinem eigenen Augapfel, trifft und JHWH als himmlischer König bereits seine Hand gegen die potentiellen Feinde Israels schwingt.37 Diese Kernaussage wird von einem Temporal- und einem Finalsatz gerahmt, die beide die Sendung des Propheten thematisieren. Der Temporalsatz (V. 12aƞ) unterrichtet den gegenwärtigen Leser der Nachtgesichte über ein in der Vergangenheit liegendes Geschehen,38 in dessen Rahmen die Aufforderung zur Flucht mit ihrer Begründung erging, nämlich anlässlich der Sendung des Propheten durch den ĖĘĔĞ unter die räuberischen Völker. Der Finalsatz (V. 13b) kennzeichnet mit der Erkenntnisformel die Funktion, die die gesamte Sprucheinheit V. 10–13 für die gegenwärtigen Leser haben soll. Sie sollen an dem einst gekündeten Wort jetzt erkennen, dass JHWH selbst den Propheten gesandt hat. Die Rahmung der Begründung in V. 12b–13a durch den Temporalsatz in V. 12aƞ sowie den Finalsatz in V. 13b führt damit zu der zwingenden Erkenntnis, dass sich der Prophet hier auf ein JHWH-Wort beruft, das in einer früheren Phase seiner Wirksamkeit erging. Dieses Wort wird von ihm argumentativ wieder aufgegriffen, damit seine gegenwärtigen Leser seine Sendung durch JHWH anerkennen und nicht weiter in Zweifel ziehen. Er benutzt seine in der Vergangenheit liegende Sendung sowie ein mit ihr gegebenes JHWH-
dern über die israelfeindlichen Völker, die sich durch ihr Verhalten selbst empfindlich schädigen. Mit Bauer, Zeit, 233. 36 Bach, Aufforderung, 36. 37 Zu den ikonographischen Belegen für das Schwingen der Hand von Göttern und Königen im Kampf gegen die Feinde siehe Keel, Bildsymbolik, 198ff, Abb. 300–302. 38 Zur Vorzeitigkeit von īĚē + ĚğĬ Perf. vgl. Meyer, Grammatik, § 121.3b, 108f.
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Wort, um sich in der Gegenwart damit als Prophet zu legitimieren.39 Der literarische Werdegang von | Sach 2,10–13 lässt sich daher wie folgt darstellen: Ursprünglich umfasste die Aufforderung zur Flucht den Grundbestand (G) V. 10a.11.12aƝ.b.13a. In einer ersten Bearbeitung (B), die wahrscheinlich noch auf den Propheten selbst zurückgehen dürfte, greift er dieses in der Vergangenheit an ihn ergangene JHWH-Wort wieder auf und integriert es mit Hilfe der beiden Sendungsvermerke V. 12aƞ.13b in den Korpus der Nachtgesichte. Ein späterer Redaktor (R) fügte V. 10b ein. R
B
G
ėĘėĜČĠēģ ĢĘħĩ Ĩīēġ ĘĤģĘ ĜĘė ĜĘė
10
ėĘėĜČĠēģ ĠĞĭē ĜĭĬīħ ĠĜġĬė ĭĘĚĘī ĥĔīēĞ ĜĞ
11 ĭĘēĔĩ ėĘėĜ īġē ėĞ ĜĞ 12
ğĔĔČĭĔ ĭĔĬĘĜ Ĝěğġė ĢĘĜĩ ĜĘė ĠĞĭē ĠĜğğĬė ĠĜĘĕė ğē ĜģĚğĬ ĖĘĔĞ īĚē ĘģĜĥ ĭĔĔĔ ĥĕģ ĠĞĔ ĥĕģė ĜĞ ĠėĜĖĔĥğ ğğĬ ĘĜėĘ ĠėĜğĥ ĜĖĜ ĭē ĦĜģġ Ĝģģė ĜĞ
13
ĜģĚğĬ ĭĘēĔĩ ėĘėĜ ĜĞ ĠĭĥĖĜĘ
Aus diesem Befund ergibt sich die Aufgabe, danach zu fragen, ob sich noch mehr über die Situation herausfinden lässt, in der die frühere, wohl noch vor dem Empfang der Nachtgesichte erfolgte Sendung des Propheten sowie der mit ihr ergangene Aufruf zur Flucht erging.
3. Der geschichtliche Ort von Sacharja 2,10–13 Die Tatsache, dass sich der Prophet mit seinem Aufruf zur Flucht an die babylonische Gola wendet sowie der Hinweis, dass dieser Aufruf erging, nachdem ihn JHWH unter die räuberischen Völker gesandt hatte, die Juda und Jerusalem beraubt haben, legt den Schluss nahe, dass es bereits vor der Verkündigung der Nachtgesichte in Jerusalem eine Phase der Wirksamkeit im babylonischen Exil gab. Damit bestätigt sich für Sach 2,10–13 ein Vorschlag, den bereits Kurt Galling gemacht hatte.40 Darüber hinaus dürfte die 39
Bereits Marti, Zweifel, 281ff, hat die legitimatorische Funktion der Erkenntisformel zutreffend erkannt und deutlich gemacht, dass sie eine Glaubwürdigkeitskrise der Prophetie Sacharjas impliziere. 40 Galling, Exilswende, 110f. Es bleibt allerdings fraglich, ob man über 2,10–13 hinaus noch weitere Texte aus Sach 1–8 in diese babylonische Wirkungsphase des Propheten datieren darf. Galling macht sich von der redaktionellen Datierung der Nachtgesichte in 1,7 frei und möchte in diese Frühzeitverkündigung des Propheten noch die ersten drei Nachtgesichte verlegen. Einen zwingenden Anhalt in den Texten kann ich dafür allerdings nicht erkennen. Vielmehr lässt die kompositionelle Geschlossenheit des Zyklus
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Notiz in Neh 12,16, wonach ein gewisser Sacharja Angehöriger des Priestergeschlechtes Iddo gewesen sei (vgl. Esr 5,1; 6,14), das gemeinsam | mit dem Statthalter Serubbabel und dem Hohenpriester Joschua nach Jerusalem zurückkehrte (Neh 12,1ff), wohl doch auf den gleichnamigen Propheten zu beziehen sein.41 Wann also kann der Prophet Sacharja in Babel zur Flucht nach Zion aufgerufen haben? Die Zeit unmittelbar nach der Einnahme Babels durch Kyros II. (539 v. Chr.) kommt dafür kaum in Frage. Zwar stimmen der Kyroszylinder und das Kyrosedikt (Esr 1,2–4; 6,3–5) darin überein, dass Kyros den unter Babel vertriebenen und verbannten Bevölkerungsgruppen das Recht zur Rückkehr eingeräumt habe,42 aber bei ersterem handelt es sich wohl in erheblichem Maße um eine Propagandaschrift, die traditionelle Vorgaben aufgreift,43 und letzterem wird in der Forschung immer mehr die Historizität abgesprochen.44 Außerdem hätte es wohl kaum eines Aufrufes zur Flucht bedurft, wenn die Rückkehr der judäischen Gola nach Juda und Jerusalem durch den persischen Reichskönig selbst angeordnet worden wäre. Darüber hinaus hielt sich die Rückkehr nach allem, was wir wissen, in der frühpersischen Zeit wohl sehr in Grenzen, weil sich ein Großteil der Judäer in der babylonischen Diaspora etabliert hatte45 und die ökonomischen Verhältnisse in Palästina so bescheiden gewesen sind, dass die alte Heimat (mit Ausnahme von Sach 3) eher darauf schließen, dass er insgesamt in Jerusalem entstanden sein dürfte. Das schließt nicht aus, dass in ihm auch Bilder und Erfahrungen verarbeitet worden sind, die sich auf ein früheres Geschehen beziehen. Hier wäre vor allem das zweite Nachtgesicht (2,1–4) zu nennen. 41 Mit Pola, Priestertum, 45, und den meisten Kommentatoren gegen Reventlow, Sacharja, 32. Letzterer nimmt an, dass es sich bei dem Priester Sacharja in Neh 12,16 nicht um den gleichnamigen Propheten handeln könne, da jener erst unter dem Hohenpriester Jojakim, dem Nachfolger Joschuas, tätig gewesen sei. Da wir allerdings keine genauen Daten über die Amtsperiode Joschuas und den Zeitpunkt der Übergabe des Hohepriesteramtes an Jojakim haben, bleibt diese Annahme Spekulation. Die Tradition jedenfalls hat keinerlei Bedenken gehabt, in dem Propheten und dem Priester aus Neh 12,16 ein und dieselbe Person zu sehen (Esr 5,1; 6,14, Sach 1,1.7). 42 Vgl. dazu die Übersetzung des Kyros-Zylinders durch R. Borger in TUAT I, 409f: „Alle ihre Leute versammelte ich und brachte sie zurück zu ihren Wohnorten.“ In der aramäischen Fassung des Kyrosediktes in Esr 6 fehlt ein Hinweis auf die Erlaubnis der Rückkehr. 43 Siehe dazu Ahn, Herrscherlegitimation, 134ff, und Kratz, Judentum 46ff. 44 So schon Wellhausen, Geschichte, 155. Vgl. auch Gunneweg, Esra, 41ff.105ff, und Kratz, Judentum, 10ff. Albertz, Exilszeit, 104, hält es für möglich, dass es sich in Esr 6,3–5 um eine teilweise authentische „interne Aktennotiz“ aus dem Archiv der persischen Großkönige handelt, spricht aber der ersten Fassung des Ediktes in Esr 1,2–4 jede Authentizität ab. Gerade die aramäische Fassung in Esr 6 enthält allerdings keinerlei Hinweis auf eine Rückkehrerlaubnis. 45 Siehe dazu auch Gerstenberger, Israel, 103.
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wenig Anziehungskraft ausgeübt haben dürfte (vgl. Hag 1,5ff; 2,15ff; Sach 8,10). Sehr viel wahrscheinlicher hingegen ist der Aufruf Sacharjas zur Flucht in einer Periode, in der die judäische Gola in Babel fürchten musste, in Bedrängnis zu geraten. Eine solche Situation ergab sich mit dem | Aufstand des Gaumata beim Übergang der Herrschaft von Kambyses auf Dareios I. Der Aufstand und seine blutige Niederschlagung löste eine Welle von Rebellionen gegen den persischen Reichskönig aus, gegen die sich Dareios am Anfang seiner Herrschaft zwischen Dezember 522 und November 521 v. Chr. zu wehren hatte.46 Zweimal erhoben sich auch die Babylonier im Zuge dieser Aufstandsbewegung gegen die Perser. So versuchten im Dezember 522 Nidintu-Bel als Nebukadnezar III. und im November 521 der Armenier Araxa als Nebukadnezar IV. die Fremdherrschaft zu brechen.47 Dass diese Rebellionen und ihre blutigen Niederschlagungen auch die Bevölkerung des Landes erheblich in Mitleidenschaft gezogen haben dürften, versteht sich von selbst. Ein prophetischer Aufruf zur Flucht ist daher vor diesem geschichtlichen Hintergrund sehr gut denkbar. Robert Bach hat darüber hinaus zeigen können, dass die vor allem im Jeremiabuch begegnende Gattung „Aufruf zur Flucht“ (Jer 6,1; 48,6–8.28; 49,8.30; 50,8–10; 51,6.45) ihren eigentlichen Sitz im Leben im Krieg hatte. Dabei richtete sich die Aufforderung, das Land zu verlassen, immer an eine besondere Bevölkerungsgruppe, der die militärische Bedrohung im Grunde nicht galt. Vielmehr zielte diese auf die Mehrheitsbevölkerung ab, in deren Mitte die Aufgeforderten als Minderheit lebten. Die durch ein von JHWH ausgehendes Unheil Bedrohten und die vom Propheten zur Flucht Ermutigten, die vor dem anrückenden Feind bewahrt bleiben sollten, waren also nicht miteinander identisch.48 Exakt diese Situation ergab sich im Rahmen der babylonischen Aufstände gegen Dareios für die in Babel lebenden Judäer in den Jahren 522/21 v. Chr. Sie mussten befürchten, mit in den Sog der kriegerischen Auseinandersetzung hineingezogen zu werden. War das die Stunde des Sacharja, in der er angesichts der Überlegenheit der Perser die Aussichtslosigkeit der babylonischen Erhebungen ahnte und die Niederlage der Aufständischen mit all ihren bitteren Folgen für die Bevölkerung voraussah? Interpretierte er die Ereignisse des Entscheidungsjahres für Dareios I. und seine Herrschaft im Lichte des weltgeschichtlichen Handelns JHWHs, das er hinter diesem Geschehen sah?49 Wusste er sich durch JHWH zu den räuberischen Völkern gesandt, um die dort lebenden Judäer aufzufordern, sich dem dro46
Siehe dazu Wiesehöfer, Aufstand, 220, und Dandamaev, Persien, 108–214. Vgl. dazu Borger/Hinz, Behistun-Inschrift III, § 18–20; V § 49–50, 428f.441f. 48 Bach, Aufforderung, 34–40. 47
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henden Unheil durch Flucht zu entziehen und sich in Sicherheit zu bringen? | Angesichts der schmalen Quellenbasis wird man in der Beantwortung dieser Fragen kaum über Vermutungen hinauskommen. Sach 2,10–13 spricht allerdings recht deutlich dafür, dass es sich dabei durchaus um begründete Vermutungen handelt. Danach erfuhr Sacharja seine Berufung und seine Sendung nicht erst in Jerusalem im Zusammenhang mit dem Empfang der Nachtgesichte, sondern bereits im babylonischen Exil.
4. Die Geschichte als Legitimation des Propheten Der einst durch den Propheten ergangene Aufruf zur Flucht wird von diesem seinen Lesern in Erinnerung gerufen, damit sie daran erkennen, dass er auch jetzt nicht aus eigener Vollmacht prophetisch agiert, sondern von JHWH gesandt worden ist (V. 13b). Solcher Erinnerung und Erkenntnis hätte es nicht bedurft, wenn es an der Sendung des Propheten zu jener Zeit keinerlei Zweifel gegeben hätte.50 Diese Zweifel sollen offensichtlich dadurch ausgeräumt werden, dass sich bereits die einst in Babel gekündeten Worte des Propheten erfüllt haben. Diejenigen, die seinem Aufruf Folge leisteten und wahrscheinlich mit einer größeren Gruppe von Exulanten, unter denen sich möglicherweise auch Serubbabel und Joschua befanden (Esr 2,2ff; Neh 7,7ff; 12,1ff),51 nach Juda und Jerusalem zurückkehrten, können gleichsam an der jüngsten Geschichte studieren, dass das, was der Prophet einst gekündet hatte, auch eingetroffen ist. Damit unterwirft er die Geschichte ganz deutlich einer interpretatio israelitica. Der babylonisch-persische Konflikt wird vom Lichtkegel der Geschichte des Gottesvolkes Israel erfasst. Die weltgeschichtlichen Auseinandersetzungen haben ihren eigentlichen Fokus im Verhältnis Israels zu den Völkern und umgekehrt. Wer Israel beraubt und antastet, wie das die Babylonier getan haben, gegen den wird JHWH mit schwingender Hand zu Felde ziehen. Dass er 49 Auch Albertz, Exilszeit, 106, datiert die erste größere Rückwanderungswelle in die Anfangsjahre des Dareios. 50 Vgl. dazu Marti, Zweifel, 284ff, der allerdings nicht davon ausgeht, dass die Erkenntnisformel, mit der der Prophet sich gegen Zweifler und Kritiker zur Wehr setzt, noch auf den Propheten selbst zurückgeht, sondern sie aufgrund ihrer lockeren Kontexteinbindung als späteren Zusatz betrachtet. 51 Dass es sich bei den Rückkehrerlisten in Esr 2 und Neh 7 nicht um historische Dokumente, sondern um eine gelehrte theologische Tradition handelt, haben bereits Gunneweg, Esra, 56ff; Karrer, Verfassung, 36ff, u.a. gezeigt. Das bedeutet allerdings nicht, dass die gelehrte Tradition, was das Führungspersonal der frühnachexilischen Zeit angeht, rein fiktiv, durch keinerlei Erinnerung gestützt ist.
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sich dabei auch der persischen Reichskönige als Werkzeug bedienen kann, dürfte in der ausgehenden Zeit des Exils sowie in frühpersischer Zeit keine unbekannte Vorstellung gewesen sein (vgl. Jes 44,24–45,7),52 die bei Sacharja aber unausgesprochen im | Hintergrund stehen bleibt, da für ihn letztlich eben JHWH Herr der Geschichte ist. Damit steht der Prophet aber nicht nur in der Tradition der deuterojesajanischen Verkündigung,53 sondern auch in der der deuteronomistischen Prophetentheologie, wonach nur derjenige ein wahrer JHWH-Prophet sei, dessen Worte sich auch erfüllen (Dtn 18,21f; Jer 28,9). Wurde das erfüllte Prophetenwort zur „Beglaubigungsurkunde“ Sacharjas, mit der er versuchte, die in den Nachtgesichten geschauten weitgespannten Erwartungen gegen seine Zweifler und Kritiker zu verteidigen? Und an welchem geschichtlichen Ereignis sollten seine gegenwärtigen Hörer erkennen, dass JHWH den Propheten nicht nur damals in der Gola, sondern auch jetzt in Jerusalem gesandt hat? Nimmt man die der Sprucheinheit 2,10–13 folgenden drei Erkenntnisformeln (2,15; 4,9; 6,15) in ihrem Kontext wahr, dann liegt die Antwort auf der Hand. Alle drei Formeln begegnen in Sprüchen, die eindeutige tempeltheologische Bezüge haben. 2,14 eröffnet mit seinem „Aufruf zur Freude“54 an die „Tochter Zion“ die Reihe der Belege. Die Freude hat ihren Grund in der Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Ankunft des siegreichen JHWH (ēĔČĜģģė) und seiner Einwohnung in der Mitte Jerusalems (ĜĭģĞĬĘ ĝĞĘĭĔ), wofür die „Tochter Zion“55 steht (2,14b). Bernd Janowski hat die tempeltheologischen, auf den Zion orientierten Bezüge der Schekina-Theologie eindrücklich herausgearbeitet.56 In den Serubbabel-Sprüchen in Sach 4,6aƞ–10a* kommt der Tempelbau expressis verbis zur Sprache. An seiner Vollendung durch Serubbabel, die offensichtlich gefährdet scheint und da52 Zu den literarischen Schichtungen siehe Kratz, Kyros, 175ff.216f, der seine KyrosErgänzungsschicht ebenfalls in die Zeit Dareios I. datiert. 53 Jes 44,24–45,7 enthält mit den Hinweisen, dass JHWH das Wort seiner Knechte (der Propheten) erfüllt, dass Jerusalem und sein Tempel sowie die Städte Judas wieder bewohnt und aufgebaut werden sollen (V. 26.28), eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten mit der Verkündigung Sacharjas. 54 Siehe dazu Crüsemann, Studien, 55ff, und Mansfeld, Ruf, 32ff. 55 Zur Metaphorik von ĢĘĜĩČĭĔ siehe Wischnowsky, Tochter, XXX. 56 Janowski, Mitte, 119ff. Wenn Janowski zu dem überzeugenden Ergebnis kommt, dass die vorexilische Verbindung von Schekina- und Tempeltheologie aufgrund der Zerstörung des Tempels 587 v. Chr. in der Exilszeit aufgelöst worden sei und es zunehmend zu einer Übertragung der Vorstellung vom Wohnen Gottes im Tempel auf sein Wohnen in der Mitte Israels gekommen ist, so scheint Sacharja an die vorexilische Tradition wieder anzuküpfen. Die nationale Komponente der Schekina-Theologie in der Exilszeit (ebd., 144) wird jetzt wieder verstärkt an die Tempeltheologie gebunden, da die Metapher „Tochter Zion“ für die Einheit von Stadt und Tempel steht.
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her Zweifel und Fragen aufkommen lässt, sollen die Einwohner Jerusalems erkennen, dass JHWH den Propheten gesandt hat und er keinen eigenmächtigen Phantastereien erlegen ist. Und | schließlich wird auch in Sach 6,15 geweissagt, dass die Fernen kommen werden, um an dem noch unvollendeten Tempelbauwerk mitzuwirken. Auch daran soll die Sendung des Propheten durch JHWH erkennbar werden. So wie der Aufruf zur Flucht an einem – für den heutigen Leser allerdings nicht mehr zweifelsfrei identifizierbaren – geschichtlichen Ereignis festgemacht worden ist, das offenbar in Erfüllung ging, so wurde für Sacharja nach seiner Rückkehr nach Jerusalem das Tempelbauwerk und seine Vollendung die entscheidende geschichtliche Zäsur, die die in den Nachtgesichten angesagte Neuordnung des Gemeinwesens und damit den Propheten selbst in seiner Sendung durch JHWH beglaubigen sollte. Damit wird deutlich, dass die Nachtgesichte, denen man mitunter wohl mit Zurückhaltung und Zweifeln begegnete, eine tempeltheologische Bearbeitung erfahren haben, die sie an ein konkretes geschichtliches Ereignis knüpfte. Da diese Bearbeitung durchweg von dem noch in Bau befindlichen, unvollendeten Tempel ausgeht, liegt es nahe, sie noch in die Jahre zwischen 520 und 515 v. Chr. zu datieren. Es spricht daher grundsätzlich nichts dagegen, die tempeltheologische Bearbeitung auf den Propheten selbst zurückzuführen.57 Man wird deswegen doch noch einmal fragen müssen, ob wir über den Zweiten Tempel durch den Propheten Sacharja wirklich nichts mehr erfahren können.58 Seine Berufung und seine erstmalige Sendung hat der Prophet wohl nicht erst in Jerusalem erfahren. Aber dort trat der Visionär erneut auf, um sich gegen alle Zweifler und Kritiker zu verteidigen. Der Lauf der Geschichte selbst hatte sein einst in Babel gekündetes JHWH-Wort wahr gemacht. Und so würde es auch in Zukunft geschehen. Der Bau und die Vollendung des Zweiten Tempels sollte dabei zum entscheidenden Erkenntniskriterium werden. Darauf baute er seine ganze Autorität.
57 58
So auch Pola, Priestertum, 110ff. So die These von Marinkowiÿ, Tempel, 281ff.
Wer spricht mit wem? Anmerkungen zur Angelologie in Sach 1,7–17 1. Das Problem Das erste Nachtgesicht des Sacharja hat seinen Auslegern schon immer darin große Probleme bereitet, dass es schwierig war festzustellen, wer in ihm eigentlich mit wem spricht. Das hat den Bearbeiter des Dodekaprophetons in der BHS, Karl Elliger, dazu bewogen, vor allem in Sach 1,9–12 durch eine ganze Reihe von Konjekturen Ordnung in das vermeintliche Personenwirrwarr zu bringen.1 Im Kern geht es um die Frage, wie viele Boten (JHWHs) in diesem Nachtgesicht eigentlich auftreten und mit wem sie sprechen. Im Text begegnen nach der redaktionellen chronologischen Notiz in V. 72 folgende Personen und Sprecher: 1. Der Prophet Sacharja als Ich-Erzähler (V. 8.9.13.14). 2. Ein „Mann auf einem roten Pferd, der sich zwischen den Myrten an der Meerestiefe“ befindet (V. 8: ĠĜĤĖėė Ģ ĜĔ Ė ġĥ ē ĘėĘ Ġ Ėē Ĥ ĘĤČğĥ Ĕ Ğī Ĭ Ĝē ėğĩġĔ īĬē). 3. Eine Person, die der Prophet als „mein Herr“ (ĜģĖē) bezeichnet (V. 9a). 4. Ein angelus interpres (V. 9b.13.14: ĜĔ īĔĖė ĝēğġė). 5. Ein „Mann der zwischen den Myrten steht“ (V. 10: ČĢĜĔ Ė ġĥė Ĭ Ĝēė ĠĜĤĖėė ). | 6. Eine Reihe von „berittenen“3 Pferden (V. 8: ĠĜĤĘĤ), die die Erde durchstreiften (V. 10.11). 7. Ein „Engel JHWHs“ (V. 11.12: ėĘėĜ ĝēğġ). 8. JHWH (V. 12–17).3 1
Siehe dazu auch Elliger, Sacharja, 103f. Dass das Überschriftensystem in Hag 1,1.15; 2,1.10.18.20; Sach 1,1.7; 7,1 von den Herausgebern der Haggai- und Sacharjaüberlieferung stammt, die damit ein „Zweiprophetenbuch“ (Hag 1–Sach 8) schufen, wird kaum bestritten. Vgl. dazu Lux, Zweiprophetenbuch, 4ff. Unterschiedlich fallen lediglich die Antworten auf die Frage aus, wer als Herausgeber diese Chronistenpflicht auf sich nahm. 3 Delkurt, Engelwesen, 34f; ders., Nachtgesichte 50ff, geht davon aus, dass es sich hier ursprünglich um unberittene Pferde gehandelt habe. Und da die Pferde nun einmal nicht wie im Märchen der menschlichen Sprache mächtig gewesen sein dürften und das Nomen ĤĘĤ an keiner Stelle im AT den Reiter mitbezeichne, müsse der Text hier ur2
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Unklarheit besteht in der Auslegung des Nachtgesichts darin, ob es sich bei den unter 2.–5. und 7. erwähnten Sprechern und Personen um ein und dieselbe Gestalt handelt, die lediglich mit verschiedenen „Titeln“ benannt wird, oder ob wir es dabei mit mindestens zwei unterschiedlichen Boten JHWHs zu tun haben. Über die Auffassung, dass wir hier einem in verschiedenen Funktionen auftretenden ėĘėĜ ĝēğġ begegnen, der mit dem angelus interpres identisch ist,4 und das Postulat, dass in dem Text mit mehreren JHWH-Engeln zu rechnen sei,5 wird nach wie vor debattiert. Während die erste Auffassung am vorgegebenen masoretischen Text festhält, ist die zuletzt genannte, die von mehreren JHWH-Engeln ausgeht, gezwungen, diesen durch Konjekturen zu ändern, obwohl es für solche Änderungen keinerlei Textzeugen gibt. M.E. lässt sich das Problem nur lösen, wenn man die Struktur des Nachtgesichtes, seine unterschiedlichen Kommunikationsebenen und die wechselnden Kommunikationspartner genau beachtet. |
2. Struktur und Aufbau von Sach 1,8–17 Das erste Nachtgesicht des Sacharja, das man auch als seine Berufungsvision bezeichnen könnte,6 zerfällt formal in zwei Teile, einen Visionsbericht (V. 8–11) und einen Auditionsbericht (V. 12–17), in dem der Prophet einen Wortauftrag erhält. In der nächtlichen Vision Sacharjas wurden eine Bildund eine Deuteebene kunstvoll miteinander verwoben. Der Ich-Erzähler führt seine Leser in V. 8 in die Bildebene ein und benennt die Handlungsträger dieser Ebene. Es sind ein „Mann auf einem roten Pferd zwischen den Myrten an der Meerestiefe“ und weitere (Reiter auf)7 verschiedenfarbige(n) Pferde(n). Mit V. 9 wechselt der Erzähler sofort auf die Deuteebene und führt die Dialogpartner dieser Ebene ein, den ansprünglich anders gelautet haben. Die Argumentation bleibt allerdings brüchig. Wie sollen die Texte mit militärischer Konnotation interpretiert werden, in denen von „Rossen“ und „Wagen“ die Rede ist, die in Aktion sind (Dtn 20,1; Jos 11,4; Ri 5,22; 1 Kön 20,1; 2 Kön 6,14f; Ps 76,7; Nah 3,2)? Zwar wird dort das zugehörige Personal an Reitern und Wagenlenkem expressis verbis nicht erwähnt, implizit muss es aber ganz sicherlich mitgedacht werden, da es sich kaum um selbsttätiges Kriegsgerät handeln dürfte. 4 So u.a. Horst/Robinson, Kleine Propheten, 219; Mason, Books, 36; Meyers/ Meyers, Zechariah, 110; van der Woude, Zacharia, 32ff; Hanhart, Sacharja, 76ff; Graf Reventlow, Sacharja, 41. 5 Diese Auffassung wird u.a. vertreten von Stier, Gott, 74ff; Dörfel, Engel, 89ff; Delkurt, Engelwesen, 31f, u.a. Delkurt, Engelwesen, 22–27, referiert ausführlich die wichtigsten Lösungsvorschläge des Problems. 6 Siehe dazu Pola, Priestertum, 44f. 7 Vgl. Anm. 3.
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gelus interpres, von dem er, der Prophet und Ich-Erzähler, sich eine Deutung des Geschauten erbittet. Die vom Propheten erbetene Deutung ergeht dann zunächst wieder auf der Bildebene, zu der in V. 9bƞ mit der Wendung „ich will dich sehen lassen (ĝēīē), was diese bedeuten“ übergeleitet wird. Das hat zur Folge, dass sich die Bild- und Deuteebene in V. 10 überlappen. V. 11 ist dann wieder ganz und gar auf der Bildebene angesiedelt. Bild
V. 8
Deutung
V. 11 V. 9
V. 10
In äußerster Knappheit und Präzision wird das in V. 8 eingeführte Bild in zwei Redegängen mit wechselnden Kommunikationspartnern aufgenommen: Redegang I (V. 9–10):
Prophet
Ʀ
Deuteengel
Redegang II (V. 11):
Reiter
Ƥ
Engel JHWHs
V. 12 verlässt das in V. 8–11 geschaute und gedeutete Bild. Der Prophet wird jetzt Ohrenzeuge einer neuen Kommunikationssituation.8 Der (uns | bereits aus V. 11 bekannte) ėĘėĜ ĝēğġ nimmt nunmehr unmittelbar mit JHWH das Gespräch auf, das sich aus der Mitteilung der Reiter in V. 11 ergibt. Er stellt ihm eine Frage, die in V. 13 mit der Wendung „gute Worte, tröstliche Worte“ (ĠĜġĚģ ĠĜīĔĖ ĠĜĔĘě ĠĜīĔĖ) die eigentlich erst in V. 14–17 vorliegende Antwort JHWHs resümierend vorwegnimmt und substituiert. An den in Prosa gehaltenen Auditionsbericht (V. 12–13) schließen sich dann drei poetisch geformte JHWH-Worte an (V. 14–17), die eine direkte und wörtliche Wiedergabe der in V. 13 resümierend vorweggenommenen JHWH-Rede darstellen.
Auditionsbericht: V. 12–13
JHWH-Wort I:
V. 14–15
JHWH-Wort II:
V. 16
JHWH-Wort III:
V. 17
8 Ob dieser Wechsel literarkritische Operationen erforderlich macht, was Uehlinger, Figurative Policy, 337, Anm. 154, vermutet, ist fraglich. Zwischen | Vision und Audition gibt es nicht nur eine Reihe von lexematischen Verknüpfungen. Vielmehr bliebe die in V. 8–11 beschriebene Vision ohne die ihr folgende Intervention des Engels bei JHWH und den daraufhin ergehenden Wortauftrag an den Propheten recht kryptisch. Eine ähnliche Kommunikationssituation könnte auch im letzten Nachtgesicht (Sach 6,1– 8) vorausgesetzt sein, wenn in V. 8 JHWH als Sprecher angenommen werden kann.
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Im Auditionsbericht und den JHWH-Worten liegen wiederum zwei Redegänge mit wechselnden Kommunikationspartnern vor: Redegang III (V. 12–13): Engel JHWHs
Ʀ
JHWH
Redegang IV (V. 14–17): Deuteengel
Ƥ
Prophet
Beachtet man diese Struktur des ersten Nachtgesichtes mit seinen wechselnden Kommunikationssituationen und Kommunikationspartnern, dann – das sei hier als These vorweggenommen – lässt sich zeigen, dass sich die für den Leser zunächst verwirrende Personenvielfalt sehr schnell lichtet und der vorliegende masoretische Text keinerlei Konjekturen erforderlich macht, um Ordnung in das vermeintliche Personenchaos zu bringen. |
3. Der angelus interpres und seine unterschiedlichen Bezeichnungen Der in V. 8 eingeführte ĬĜē auf dem roten Pferd zwischen den Myrten an der Meerestiefe wird von dem Propheten in V. 9a als „mein Herr“ (ĜģĖē) angesprochen9 und in V. 9b mit dem ĜĔ īĔĖė ĝēğġė identifiziert. Es ergibt sich dadurch eindeutig die Gleichung ĠĜĤĖėė ĢĜĔ Ėġĥė ĬĜē (V. 8) = ĜģĖē (V. 9a) = ĜĔ īĔĖė ĝēğġė (V. 9b). Diesen in V. 8 eingeführten Mann, der in V. 9 als angelus interpres näher gekennzeichnet wird, hat der Textautor über seinen Standort zwischen den Myrten (ĠĜĤĖėė ĢĜĔ) dann wiederum eindeutig mit dem Mann (ĬĜēė) aus V. 10 und dem Engel JHWHs (ĝēğġ ėĘėĜ) in V. 11 identifiziert. Danach handelt es sich bei der in unterschiedlicher Weise angesprochenen (ėĘėĜ ĝēğġ, ĜĔ īĔĖė ĝēğġė, ĜģĖē, ĬĜē) und in verschiedener Weise agierenden und kommunizierenden Gestalt um ein und dieselbe Person. Gegen die Identifizierung des angelus interpres in V. 9.13.14 mit dem JHWH-Engel in V. 11.12 wurde der Einwand erhoben, dass der Deuteengel auch in den anderen Nachtgesichten immer „außerhalb der visionären Geschehnisse“ stehe und daher immer auf der Deuteebene des Textes, nicht aber auf der Bildebene begegne.10 Diese Behauptung kann schon aufgrund der klaren Identifizierung des in V. 8 auf der Bildebene eingeführten Mannes mit dem in V. 9 auf der Deuteebene begegnenden angelus interpres 9
Eine Differenz zwischen dem in V. 8 geschauten „Mann“ und dem in V. 9a angesprochenen „Herrn“ ist nicht anzunehmen, da ein anderer potentieller Gesprächspartner des Propheten bisher noch nicht eingeführt wurde. V. 9a geht also davon aus, dass sich Sacharja mit seiner Frage an eine Person in dem von ihm geschauten Bild wendet. Und diese kann nach Lage der Dinge nur jener ĬĜē sein. 10 So u.a. Stier, Gott, 75, und Delkurt, Engelwesen, 31.
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nicht stimmen. Auch im dritten Nachtgesicht (Sach 2,5–9) und wahrscheinlich wohl auch im letzten Nachtgesicht (Sach 6,1–8) agiert der Deuteengel sowohl auf der Bild- als auch auf der Deuteebene.11 In 2,7 wird er mit Hilfe des Präsentativs ėģėĘ in das bewegte Bildgeschehen eingeführt, in dem er „auftritt“ (ēĩĜ). In Sach 6,7aƞ kann als Sprecher der Deuteengel zumindest nicht ausgeschlossen werden, der der himmlischen Streitwagentruppe den Befehl zum Auszug erteilt. | Wenn es sich also bei all den in Sach 1,8–17 unterschiedlich benannten Wesen um ein und dieselbe Person handelt, dann stellt sich natürlich die Frage, warum der Textautor es seinem Leser so schwer gemacht hat, dies zu erfassen. Wahrscheinlich steht dahinter das Bestreben des Autors, das Geheimnis um den in V. 8 eingeführten Mann auf seinem roten Pferd zwischen den Myrten an der Meerestiefe nur zögernd, Schritt für Schritt zu lüften. Seine literarische Technik ist – wie in den anderen Nachtgesichten auch – häufig das Wechselspiel zwischen Verhüllung und Enthüllung, mit dem er das Geheimnis der Offenbarung umspielt. Immer wieder drängt sich dem Leser der Eindruck auf, dass der Ich-Erzähler für einen kurzen Moment den Vorhang lüftet, der vor der Geschichte hängt, um ihn sogleich wieder sorgsam herabzulassen und auf diese Weise die Geheimnisse der Offenbarung dem vorschnellen Zugriff und dem falschen Bescheidwissen seines Publikums zu entziehen. Auch in anderen biblischen Engelerzählungen des Alten Testaments begegnet uns diese stufenweise und immer nur partielle Dechiffrierung einer zunächst ganz allgemein als ĬĜē bzw. ĠĜĬģē eingeführten Person oder Personengruppe als ėĘėĜ (ĠĜ)Ğēğġ (Gen 18,2.16.22; 19,5.8.10.12.16; Ri 13,3.9.12ff; Jos 5,15; Dan 10,5ff).12 Diese literarische Technik der stufenweisen Dechiffrierung einer eingeführten Person dient nicht nur der Erhöhung der Spannung des erzählten Geschehens. Sie ist sowohl theologisch als auch rezeptionsästhetisch von einigem Gewicht. Der Textautor manövriert seine Leser gleichsam in die Position des Ich-Erzählers und Propheten hinein. So, wie dieser zunächst nicht genau weiß, was und wen er da eigentlich in seinem nächtlichen Gesicht schaut und sich ihm die erscheinenden Gestalten erst Zug um Zug erschließen, so sollen auch die Leser an diesem Erschließungsprozess beteiligt werden.13 11
So auch völlig zutreffend Hanhart, Sacharja, 78f. Vgl. Bratsiotis, ĬĜē, 249. 13 Setzt man diesen Befund als ein bewusst eingesetztes literarisches Konzept voraus, dann bleibt es eine offene und letztlich auch sekundäre Frage, ob der angelus interpres den Lesern des Sacharja bereits eine bekannte Figur aus dem Reich der Angelologie gewesen ist, die daher auch gar nicht erst eigens eingeführt werden musste. So Stier, Gott, 73. Entscheidend ist, dass der in V. 8 zunächst recht unbestimmte Mann den Lesern von V. 9 an in seiner Funktion als Deuteengel erschlossen wird. 12
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Über dieses literarische Erschließungskonzept hinaus finden die wechselnden Funktionen und Personenbezeichnungen in Sach 1,8–17 ihre plausibelste Erklärung durch eine präzise Beachtung der unterschiedlichen | Kommunikationsebenen und Kommunikationspartner.14 So ist es durchaus plausibel, dass der in V. 8 vorgestellte Reiter zwischen den Myrten auf den unterschiedlichen literarischen Ebenen des Textes und gegenüber wechselnden Kommunikationspartnern auch wechselnde Funktionen wahrnimmt. Auf der Bildebene von V. 8 sieht der Prophet zunächst einmal einen noch nicht näher beschriebenen „Mann“ auf einem roten Pferd. In V. 9a wechselt der Erzähler auf die Deuteebene. Der Prophet eröffnet die Kommunikation mit diesem Reiter aus V. 8 und spricht ihn als seinen „Herrn“ an. Von V. 9b an wird dieser „Herr“ des Propheten dann aus der narrativen Rückschau konsequent als „Engel, der mit mir redete“ bezeichnet.15 Mit V. 9bƞ leitet der Erzähler dann wieder zur Bildebene über, die sich in V. 10 mit der Deuteebene überlappt. Der angelus interpres will den Propheten die Antwort auf seine Frage „sehen lassen“ (ėēī Hif.). Daher ist in V. 10 dann auch wieder ganz folgerichtig von dem „Mann zwischen den Myrten“ die Rede wie in V. 8. Mit der weiteren Ausmalung des Bildes gibt er dem Propheten die Antwort auf seine Frage nach der Bedeutung des Geschauten. Damit schließt der erste Redegang dieser Vision zwischen dem Propheten und dem Deuteengel. V. 11 bleibt auf der Bildebene. Gleichzeitig wird in diesem Vers ein neuer Redegang mit anderen Kommunikationspartnern eröffnet. Jetzt ergibt | sich ein Gespräch zwischen den in V. 8 bereits eingeführten (Reitern auf 14 Im Grundsatz wurde das auch von Dörfel, Engel, 89ff, erkannt. Sie unterscheidet drei literarische Ebenen des Textes: 1. die Visionsebene (V. 8–12*), 2. die Auditionsebene (V. 14b–17) und 3. eine Dialogebene zwischen dem Propheten und dem angelus interpres, die mit V. 9.14a in die beiden anderen Ebenen eingewoben worden sei. Daraus schließt sie allerdings, dass diese drei Ebenen die Identifizierung des in V. 8 eingeführten „Mannes“ mit dem in V. 9.13.14 benannten Deuteengel und dem in V. 11.12 auftretenden Engel JHWHs nicht zulassen würden, da auf diesen Ebenen deutlich abgestufte „Zuständigkeitsbereiche“ der einzelnen Figuren zu erkennen seien. Die Beobachtung ist im Grundsatz nicht falsch, sondern nur die Schlussfolgerungen, die sie daraus zieht. Die unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche und Funktionen können eben auch den unterschiedlichen Ebenen geschuldet sein, auf denen der „Mann“ aus V. 8 agiert. Während er auf der Deuteebene konsequent als angelus interpres, bezeichnet wird, agiert er auf der Bildebene schlicht als „Mann“ oder auch als „Engel JHWHs“. Die Probleme der These von D. Dörfel werden bereits daran erkennbar, dass sie V. 13 keiner ihrer Ebenen eindeutig zuzuweisen vermag. 15 Auch in anderen Nachtgesichten wird der angelus interpres als ĜģĖē vom Propheten angesprochen (Sach 4,5.13; 6,4). Ob es ein Zufall ist, dass die Anrede des Deuteengels als „mein Herr“ nur im ersten, im zentralen mittleren und im letzten Nachtgesicht begegnet?
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den) verschiedenartigen Pferden und dem Mann zwischen den Myrten. Wiederum vollkommen konsequent wird dieser seinen jetzigen Kommunikationspartnern gegenüber als ĠĜĤĖėė ĢĜĔ Ėġĥė ėĘėĜ ĝēğġ bezeichnet. Denn für die Reiter ist er ja nun nicht mehr der Deuteengel des Propheten, sondern, wie sich inzwischen herausgestellt hat, ganz allgemein ein Engel JHWHs, der freilich ihnen gegenüber eine hervorgehobene Funktion wahrnimmt. Falls es sich bei dem ersten Nachtgesicht um eine Himmelstorszene handeln sollte,16 dann könnte der Engel JHWHs, der dem Propheten gegenüber die Funktion des Deuteengels wahrnimmt, jetzt in seiner Funktion als Torwächter zur Sprache kommen, indem er im ersten Nachtgesicht die heimkehrenden Reiter am Himmelstor empfängt (1,8) und im letzten Nachtgesicht die Streitwagen mit der ėĘėĜ ĚĘī aus diesem entlässt (6,7). Er nimmt ihren Rapport von ihrem irdischen Streifzug entgegen (1,11b), um ihn schließlich in Gestalt einer Intervention vor JHWH zu tragen (1,12).17 Derartige Himmelstorszenen gehören zum festen Repertoire der altorientalischen Ikonographie, wobei die Himmelstore häufig von zwei Bäumen und ein oder zwei Wächter- und Türöffnerfiguren flankiert werden.18 | Mit V. 12 setzt der Auditionsbericht ein. Die Botschaft der himmlischen Reiter veranlasst den „Torwächter-Engel“ dazu, nunmehr bei JHWH vorstellig zu werden und zu intervenieren. Offensichtlich hat er eine zentrale Mittlerrolle nicht nur zwischen JHWH und dem Propheten wahrzunehmen, sondern auch zwischen JHWH und den übrigen „Reiter-Engeln“ auf den verschiedenfarbigen Pferden. Aus diesem Grund wird er auch jetzt nicht als ĜĔ īĔĖė ĝēğġė bezeichnet, sondern lediglich als ėĘėĜ ĝēğġ. Der Prophet wird Ohrenzeuge eines dritten Redeganges zwischen JHWH und 16
Davon gehen u.a. Jeremias, Nachtgesichte, 112; Hanhart, Sacharja, 79 aus. Bei Uehlinger, Figurative Policy, 339f, changiert das Bild zwischen den irdischen Farben, die auf den Reiter Dareios und seinen Nachrichtendienst verweisen, und den himmlischen Farben, die Vorstellungen vom Sonnengott, seinen Sonnenpferden und dem Himmelsheer einspielen. 17 Das Bild wird m.E. von Hanhart, Sacharja, 79, zutreffend nachgezeichnet: „Der Deuteengel ist damit als mitleidendes Wesen in das Bildgeschehen mit einbezogen. Als Reiter zwischen den Myrten in der Tiefe, am Eingang des himmlischen Bereiches, wartet er auf die Botschaft der in die Welt ausgesandten Mitengel.“ 18 Vgl. Keel, Bildsymbolik, 18f; ders., Jahwe-Visionen, 296ff. Keel hat das entsprechende Bildmaterial vor allem im Blick auf Sach 4 ausgewertet. Seine Sicht der Dinge wird dadurch gestützt, dass die konzentrische Komposition der Nachtgesichte damit am Anfang (1,8–17), in der Mitte (4,1–14) und am Ende (6,1–8) von einer Himmelstorszene beherrscht wird. Ähnlich aber unbestimmter Gese, Anfang, 207ff, der das erste und letzte Nachtgesicht im Grenzbereich zwischen Diesseits und Jenseits ansiedelt und die zentrale Leuchtervision mit ihrer Lichtsymbolik als Epiphanie der Gottheit deutet. Vgl. zu Sach 4 als Himmelsvision auch Lux, Himmelsleuchter, 149ff.
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seinem Engel. Die Antwort, die JHWH seinem Engel gibt, ist keine Geheimbotschaft. Sie soll vielmehr über den Propheten öffentlich kundgetan werden. Genau dies wird in V. 13 angedeutet, der daher auch folgerichtig wieder vom angelus interpres spricht und ein Resümee der Botschaft JHWHs vorwegnimmt, die eben er, der Deuteengel, jetzt dem Propheten weiterzugeben hat.19 Der konkrete Inhalt der Botschaft JHWHs wird dann in Gestalt der drei JHWH-Worte (V. 14–17) vom Deuteengel dem Propheten mitgeteilt. Als Ergebnis unserer Textbefragung stellen wir fest, dass das vermeintliche Personenchaos des ersten Nachtgesichtes so chaotisch, wie es auf den ersten Blick erscheinen könnte, nicht ist. Vielmehr hat sich zeigen lassen, dass sich das am Anfang aufgezählte Personaltableau erheblich reduziert, da der in V. 8 eingeführte Mann auf dem roten Pferd zwischen den Myrten sowohl mit dem Deuteengel als auch mit dem in V. 11 und 12 benannten Engel JHWHs identisch ist. Die unterschiedlichen Bezeichnungen ein und derselben Engelfigur verdanken sich sowohl der vom Textautor intendierten Unterscheidung zwischen Bild- und Deuteebene, als auch den unterschiedlichen Kommunikationssituationen und Kommunikationspartnern im Text. So stehen sich auf der Bildebene des Textes lediglich ein JHWHEngel auf einem roten Pferd zwischen den Myrten an der Meerestiefe (am Himmelstor?) und eine Reihe weiterer verschiedenfarbiger Pferde (mit ihren Reitern) gegenüber. Auf der Deuteebene und in dem sich an den Visionsbericht (V. 8–11) anschließenden Auditionsbericht (V. 12–17) übt dieser Torwächterengel die Funktion des Deuteengels aus. Damit wird deutlich, dass dieser hervorgehobene Engel JHWHs/Deuteengel die zentrale Funktion eines himmlischen Mittlers inne hat. Er nimmt Botschaften der (ihm unterstellten?) himmlischen Reiterei in Empfang, um sie an JHWH weiterzuleiten, und er sorgt dafür, dass JHWHs Botschaft in Bild und Wort | an seine irdischen Propheten vermittelt und auf der Erde bekannt gemacht wird.
4. Sacharjas Offenbarungshierarchie Theologisch ist dieses Phänomen in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Was uns hier begegnet ist die Entwicklung einer Offenbarungshierarchie, die einerseits Erfahrungen „zunehmender Gottesferne und einer wachsenden Transzendentalisierung“ widerspiegelt, andererseits Ausdruck einer 19 Bei der Wendung ĠĜġĚģ ĠĜīĔĖ ĠĜĔĘě ĠĜīĔĖ von V. 13 handelt es sich um die Substitution der in V. 14–17 zitierten JHWH-Worte auf einer sprachlichen Metaebene.
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„zunehmenden Ausdifferenzierung der Gotteserfahrung“ sind.20 Klaus Koch spricht in diesem Zusammenhang von einem sich in der Perserzeit sukzessive entwickelnden gestuften Monotheismus.21 Ein unmittelbarer Kontakt zwischen Gott und seinen Propheten war nicht mehr gegeben. Auf dem langen Weg des Wortes Gottes zu seinem Volk stand jetzt nicht mehr nur der Prophet als dessen Künder. Vielmehr wurden auch diesem die geschauten Bilder (und die gehörten Worte) zunehmend zu einer Größe, die der Deutung bedurften, weil sie sich nicht mehr von selbst verstanden. So schob sich zwischen den Propheten und JHWH eine weitere Mittlerinstanz, der angelus interpres.22 Er sorgte dafür, dass JHWHs Wort und Wille auf dem langen Weg zu seinem Volk nicht vollkommen unverstanden blieb und verloren ging, sondern sein Ziel erreichte (vgl. Sach 1,6). Das literarische Konzept der sukzessiven Enthüllung der Engelgestalt ist damit mehr als nur eine literarische Technik. Es bringt auch zum Ausdruck, dass Gottes Wort und Weisung, wenn sie ihre Adressaten erreichen will, nur als vermitteltes und gedeutetes Wort erfahrbar wird. Die Quelle selbst bleibt im Verborgenen und entzieht sich jedem dreisten Zugriff ihrer Interpreten. Für Theologen und Theologinnen mag dies in ihrem oft auch vergeblichen Bemühen um ein Verstehen des Wortes Gottes und seiner Propheten ein tröstlicher Gedanke sein, dass dort, wo auch ihre Gaben und exegetischen Methoden versagen, Gott immer noch einen Deuteengel zur Verfügung hat, einen himmlischen Hermeneuten, der unserem vorwitzigen sowie gebrechlichen Verstand aufzuhelfen vermag. Für einen christlichen Theologen liegt es nahe, den angelus interpres dem Thema Pneumatologie zuzuordnen. Vielleicht sind ja die „Einfälle“, mit denen der in der Gestalt eines angelus interpres wirkende Heilige Geist den einen oder anderen | Ausleger der Schrift von Zeit zu Zeit beglückt, mehr als nur der Ausdruck „wilder Exegese“. Es könnte ja sein, dass unsere irdische Hermeneutik aus der Perspektive des von JHWH eingesetzten himmlischen Hermeneuten hin und wieder das ist, was der Philosoph Odo Marquard hinter diesem Geschäft als solchem wittert: „Hermeneutik ist die Kunst, aus einem Text herauszukriegen, was nicht drinsteht: wozu – wenn man doch den Text hat – braucht man sie sonst?“23 Methode ist nicht alles in der Exegese, aber man kann doch viel mit ihr erreichen (auch viel Langeweile!). Ohne Intuition und Inspiration als einer himmlischen Gegenhermeneutik, über die der Ausleger nicht verfügt, sondern die ihm zukommt, kommt menschliches Sehen, Wahrnehmen und Verstehen von biblischen Texten immer im 20
Koch, Profeten II, 177. Koch, ebd., und ders., Monotheismus, 219ff. 22 Vgl. dazu Lux, Deuteengel, 297ff. 23 Marquard, Hermeneutik, 72. 21
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Bettlergewand daher. Wenn dieses Gewand einmal königlichen Glanz annimmt, wenn die Texte zu sprechen beginnen, und zwar so, dass wir uns ihnen nicht nur als Exegeten, sondern als Menschen stellen müssen und nicht mehr ausweichen können, weil wir von ihnen gestellt werden, dann ist da mehr als Methodik, Exegese und Hermeneutik im Spiel. Der Deuteengel ist daher ein unablässiges Plädoyer dafür, dass alles Exegesieren und Verstehen des Wortes Gottes immer nur von vorläufiger, begrenzter und endlicher Gestalt sein kann. Er mag als Appell zur hermeneutischen Bescheidenheit begriffen werden, die – wenn schon den Propheten verordnet – wohl auch den Exegeten und Exegetinnen sowie den Predigern und Predigerinnen als theologische Tugend empfohlen sei.24 Ich grüße mit diesen Überlegungen eine Kollegin auf der Schwelle zum Eintritt in ihren Ruhestand. Sie gehört ganz sicherlich zu jenen, denen diese Tugend kein Fremdling war.
24
Zur Predigt der Propheten vgl. Lux, Seher, 302ff.
Der Deuteengel und der Prophet Biblisch-hermeneutische Aspekte der Angelologie 1. Engel – Grenzgänger zwischen den Welten Von Rabbi Mosche von Kobryn wird erzählt, dass er einst gen Himmel gerufen habe: „Englein, Englein, das ist keine besondre Kunst, so in den Himmeln als Engel zu bestehen, du brauchst nicht zu essen und zu trinken und Kinder zu zeugen und Geld zu erwerben. Spring du nur mal auf die Erde nieder und gib dich mit Essen und Trinken und Kinderzeugen und Gelderwerb ab, da wollen wir sehen, ob du ein Engel bleibst. Gelingt es dir, dann magst du dich berühmen, jetzt aber nicht!“1
Himmel und Erde repräsentieren danach zwei Welten, die ihrer je eigenen Gesetzlichkeit folgen. Die Verstrickung ins Irdische erlaubt es dem Menschen nicht, nach den Gesetzen des Himmels zu leben. Der Mensch bleibt – solange er auf dieser Erde lebt – ein Gefangener seiner Leiblichkeit. Essen, Trinken, Kinder zeugen, Geld verdienen halten ihn davon ab, ein Engel zu sein. Das ließe sich in gelassener Heiterkeit ertragen, wenn da mit der Differenz zwischen Himmel und Erde, Menschen und Engeln nicht eine fundamentale Differenz des Verstehens verbunden wäre, die in der biblischen Überlieferung immer wieder thematisiert wird. Die Engel sind Repräsentanten und Boten eines Wissens, das nicht von dieser Welt ist. Es bleibt dem Menschen verborgen. Er kann es sich nicht von sich aus erschließen, sondern ist darauf angewiesen, dass es ihm von den Engeln offenbart wird. Weil es sich dabei aber um ein Wissen für diese Welt handelt, ist der Mensch nicht nur mit Blindheit für den Himmel, die Welt der Engel, geschlagen, sondern vermag er auch sich selbst und seine irdische Lebenswelt nicht zu verstehen. Wem die Engel nichts mehr sagen, dem bleibt auch zunehmend seine Lebenswelt stumm. Denn sie hat ihm ja in ihrer unendlichen Beredsamkeit nur noch das zu sagen, was er sich auch selber sagen kann und daher ohnehin schon weiß. Deswegen sind die Engel in der Bibel letztlich durch niemanden und nichts zu ersetzen, selbst durch das religiöse Genie nicht, das man zuwei-
1
Buber, Werke III, 550.
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len in den Propheten sah.2 Obwohl Engel und Propheten in der Bibel gleichermaßen als Überbringer göttlicher Botschaften betrachtet und daher auch mit ein und demselben Wort ĝēğġ (Bote) | bezeichnet werden können (2 Chr 36,15f; Jes 44,26; Ez 30,9; Hag 1,13),3 lassen die Propheten hin und wieder schwere Defizite erkennen. Diese können nur dadurch behoben werden, dass ihnen ihrerseits ein Engel an die Seite tritt und Augen und Ohren öffnet. Drei Beispiele für dieses notwendige Zusammenspiel von Engel und Prophet sollen hier kurz vorgestellt werden.
2. Bileam oder wer war der Esel? In Num 22–24 wird uns voller hintergründigem Humor vom „Seher“4 Bileam erzählt, der doch nichts sah. Weil der Moabiterkönig Balak sich vor dem Durchzug der Israeliten durch sein Land fürchtete, sandte er Boten zu dem Mantiker Bileam. Der sollte die ausgehungerten Israeliten (22,4) mit einem kräftigen Fluch derart bannen, dass es dem König ein Leichtes sei, sie siegreich zu schlagen und aus dem Lande zu vertreiben (22,6). Bileam holt ein nächtliches Traumorakel ein, in dem ihm Gott verwehrt, den Auftrag anzunehmen (22,8–13). Schließlich aber lässt er sich doch überreden. Es folgt als burleske Episode mit märchenhaften Zügen5 die Erzählung von Bileam und seiner treuen Eselin (22,21–34). Nachdem er sie früh am Morgen sattelte und loszog, verstellte ihm Gott in seinem Zorn durch einen Engel mit einem Schwert in der Hand den Weg. Die Eselin sah den Engel, aber der Seher Bileam – so spottet der Erzähler – sah nichts. Und nun beginnt ein geradezu verzweifeltes Ringen Bileams mit seiner Eselin. Diese versucht dem Engel JHWHs auszuweichen, jener prügelt sie. Das Ausweichmanöver gelingt, doch schon steht der Engel wieder in einer engen Hohlgasse zwischen zwei Mauern. Die Eselin drückt sich an der Mauer vorbei, quetscht ihrem Herrn das Bein und wird erneut geschlagen. Schließlich stellt sich der Engel mit dem Schwert ein drittes Mal in den Weg, wo er am engsten ist. Da gibt es kein Ausweichen mehr. Die Eselin geht in die Knie und der blinde „Esel“ Bileam prügelt hemmungslos auf sie ein. Dieses Bild – die geprügelte, sehende Eselin und der jähzornige, blinde 2 Zum Verständnis des Propheten als religiösem Genie siehe Baeck, Das Wesen des Judentums, 62ff. 3 Siehe dazu Freedman/Willoughby, ĝēğġ, ThWAT IV, 895. 4 Bileam selbst wird in Num 22–24 nirgends als ėęĚ (Seher) oder ēĜĔģ (Prophet) bezeichnet. Aus der betonten Verwendung der Wurzel ėęĚ in 24,4.16 geht aber deutlich hervor, dass man ihn in dieser Tradition sah. 5 Vgl. die Zusammenstellung der Märchenmotive bei Gunkel, Das Märchen im Alten Testament, 43f.
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Prophet – jammert nicht nur den Leser, sondern Gott selbst. JHWH öffnet das Maul der Eselin (V. 28) und die Augen des Propheten (V. 31). Das Tier spricht – wie im Märchen – mit ihm und jener sieht nun auch den Engel JHWHs mit dem gezückten Schwert. Der blinde Prophet wird sehend. Er bereut mit den Worten: „Ich habe gesündigt, denn ich hab’s ja nicht gewusst ...“ (V. 34). Und daraufhin darf Bileam seinen Weg gehen. Aber er darf nicht den Willen Balaks, des Moabiterkönigs, vollstrecken. An die Stelle des geforderten Fluches über Israel tritt der dreifache Segen JHWHs (22,36–24,25). Dieses Kleinod hebräischer Erzählkunst ist für die Frage nach dem Verhältnis zwischen Engel und Prophet aufschlussreich. Bileam ben Beor, der einzige in der Bibel erwähnte Prophet aus Aram, der uns auch als „Seher der Götter“ aus einer nichtbibli|schen Inschrift des 8. Jh. v. Chr. bekannt ist, die in Deir ‘Alla gefunden wurde,6 ist ein Spezialist für nächtliche Offenbarungen. Im Schlaf teilt ihm die Gottheit mit, was er zu tun und zu lassen hat (22,8.20). In der Nacht also hört er und sieht er, wovon am Tage nichts zu sehen ist. Im Schlaf überschreitet er die Grenzen der sichtbaren Welt, um Botschaften aus dem Reich des Unsichtbaren einzuholen. Merkwürdigerweise verlässt ihn diese Fähigkeit am Tage und geht auf seine hellsichtige Eselin über. Sie schaut, was der Prophet nicht sieht. Dem im Dunkel der Nacht sehenden und im Licht des Tages blinden Propheten wird von einem Engel der Weg verstellt. Der Engel ist hier, wenn man so will, die Tages- oder auch Lichtgestalt Gottes, für die uns aber die Augen und Ohren erst geöffnet werden müssen. Von uns aus sind wir blind und taub für sie, blinder als eine Eselin, aber von Gott her kann diese Blind- und Taubheit vorübergehend aufgehoben werden. Man kann wohl sagen, dass in den Engeln der allmächtige und selbst von den Himmeln nicht zu fassende Gott (1 Könige 8,27) seine Gottheit für einen Augenblick drangibt, und zu einem Gott für den Menschen wird, ohne jedoch seine Exklusivität und Göttlichkeit zu verspielen. Michael Welker hat diesen Sachverhalt treffend formuliert, wenn er die Engel „als eine Selbstzurücknahme, eine Selbstkontraktion, Selbstkonkretion Gottes zu Gunsten einer Offenbarung an bestimmte Menschen in bestimmten Situationen“ beschreibt.7 Doch auch für den Gott Israels, der sich in den Engeln selbst zurücknimmt, sich als Unsichtbarer vorübergehend auf das Reich des Sichtbaren einlässt, gibt es immer noch ein gehöriges Maß an Irritationen und menschlichen Wahrnehmungsstörungen. Die Offenbarung des Boten-Engels tritt nur zögerlich, schrittweise aus der Verborgenheit hervor. Sie ist nicht jedem und nicht zu jeder Zeit sichtbar und hörbar. „Engel 6 7
Siehe dazu die Übersetzung von J. Hoftijzer in TUAT II/1, 138–148. Welker, Über Gottes Engel, 195.
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erscheinen, aber sie werden nicht sesshaft.“8 Ihre Wahrnehmung verdankt sich wie die Wahrnehmungen Gottes auch keiner spezifischen Fähigkeit, Ausbildung oder Leistung des Menschen. Man sieht sie nicht und spricht sie nicht an, ohne zuvor von ihnen gesehen und angesprochen worden zu sein. Selbst dem hellsichtigen Propheten der Nacht müssen am lichten Tage erst die Augen und die Ohren für den Engel geöffnet werden. In alledem wird nicht nur ein narratives Nachdenken über die Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Gott und Mensch erkennbar. Hinter solch einem Erzähltext stehen wohl auch Erfahrungen von Komplikationen, Brüchen und Abgründigkeiten, von Kommunikations- und Wahrnehmungsstörungen zwischen JHWH und Adam, dem Menschen. Gott redete nicht mehr unmittelbar zu ihm wie im Garten Eden. Gen 3 mag als Symbol für diesen Verlust an Nähe und Direktheit stehen. Zwischen Gott und Mensch stehen jetzt die ĠĜĔĘīĞ9 mit dem zuckenden Flammenschwert und verwehren | den Zugang zum verlorenen Paradies (V. 24). Der Weg wurde weiter. Dem direkten Gespräch sind Grenzen gesetzt, Grenzen allerdings, die Gott von sich aus überschreitet. Da er weiterhin am Tun und Lassen seines Geschöpfes Mensch Anteil nimmt, ihn ins Gespräch zieht, bedient er sich besonderer, auserwählter irdischer ĠĜĞēğġ, der Propheten. Mose, der Prophet par excellence (Dtn 34,10), mit dem JHWH noch wie ein Mann mit seinem Freund von Angesicht zu Angesicht redete (Ex 33,11), galt als Idealfall der Prophetie in Israel. Der Normalfall hingegen dürfte anders ausgesehen haben. Auch die Propheten hatten zunehmend Anteil an den menschlichen Kommunikations- und Wahrnehmungsstörungen zwischen Gott und Mensch. Und das betraf beileibe nicht nur die „Eseleien“ des aramäischen Sehers Bileam. Jeremia konnte in den Finsternissen der Anfechtung, in die ihn sein prophetisches Amt geführt hat, den Tag seiner Geburt verfluchen (Jer 20,14–18). Und der Prophet Jona versteht selbst nach seiner Rettung aus dem Bauch des Walfisches Gott, die Welt und sich selbst nicht mehr, weswegen er sich lieber den Tod als das noch einmal geschenkte Leben wünscht (Jona 4,3–8).10 Israel wusste wohl nicht nur um eine Grenze im allgemeinen menschlichen Verstehen Gottes, sondern auch um die Grenzen der Prophetie.
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Ebd., 196. Ursprünglich handelte es sich dabei um Mischwesen bestehend aus Menschenkopf, Löwenkörper und Flügeln, die sakrale Wächterfunktionen wahrnahmen. In spätnachexilischer Zeit lösten sich die Keruben|vorstellungen von ihren ikonographischen Vorgaben und fanden Eingang in die Welt der Engel, in der sie die Position von Engelfürsten einnehmen. Siehe dazu Görg, Kerub, 467f. 10 Siehe dazu Lux, Jona, 151ff.189ff. 9
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3. Ezechiel und ein himmlischer Vermessungsingenieur Im Exil und in der frühnachexilischen Zeit hat sich dieses Wissen um die Grenzen der Prophetie noch einmal in besonderer Weise zugespitzt. Während JHWH in den Visionen der vorexilischen Propheten noch direkt mit diesen spricht (Am 7,1–3.4–6.7–9; 8,1–3; 9,1–10; Jes 6,1–13; Jer 1,11f.13ff), tritt in späterer Zeit eine himmlische Gestalt zwischen Gott und seinen Propheten, um diesem zu erklären und aufzuschließen, was er sieht. So wird der in Babylon am Fluss Kebar weilende Ezechiel im Rahmen einer nächtlichen Vision nach Jerusalem entführt. Dort begegnet ihm ein Mann, dessen Aussehen wie das von Erz ist, der eine Messschnur und ein Maßrohr in der Hand hält. Dieser himmlische Vermessungsingenieur inszeniert für den Visionär eine regelrechte Tempelführung (Ez 40–42). Er weiht ihn ein in die Ausmaße des künftig wieder zu errichtenden Tempels. War Mose auf dem Sinai von JHWH noch direkt ein Architekturmodell des künftigen Heiligtums gezeigt worden (Ex 25,8f), so übernimmt diese Aufgabe jetzt eine subordinierte Gestalt, die wohl zum himmlischen Hofstaat gehört. Noch hielt den Propheten die Welt des Exils, war er ein Gefangener dessen, was ist: eingeschlossen in seinem Haus, gefesselt, stumm (Ez 3,24– 26). Von sich aus war er nicht dazu in der Lage, diese Hermetik zu brechen und in eine neue Dynamik zu überführen. Nur von außen, durch Gott und seinen Boten, konnte er aus diesem geschlossenen System herausgeholt werden. Der anonyme Mann, der den Visionär Ezechiel wie einen „Heimwehtouristen“ durch die künftige Tempelanlage führte, sie | vor ihm aufmaß und genau beschrieb, wurde zu seinem Begleiter in die Welt des künftigen Israel. Er eröffnete ihm mitten in dem, was ist, das, was sein wird. Offensichtlich – so jedenfalls das literarische Konzept, das hinter diesen Texten erkennbar wird – war selbst der Prophet in seinem geschlossenen Gehäuse des Exils nicht mehr dazu in der Lage, sich die ihm visionär gezeigte Zukunft ohne fremde Hilfe zu erschließen und zu deuten. Eine himmlische Gestalt musste ihm an die Seite treten, um das eingeschränkte Wahrnehmungsvermögen für die Zukunft zu schärfen.
4. Sacharja und ein Engel als Hermeneut Was in der Prophetie des Ezechiel erstmalig begegnet und nur verhalten angedeutet wird (der Mann mit dem Aussehen von Erz wird noch nicht als ĝēğġ bezeichnet!), das erscheint bei Sacharja in frühnachexilischer Zeit als
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ausgeprägtes Konzept. In dem Zyklus der Nachtgesichte (Sach 1,7–6,8)11 wird der Prophet zum Zeugen von Vorgängen, die ganz offensichtlich im Himmel ihren Ausgang nehmen, aber in der Neuordnung der irdischen Verhältnisse Jerusalems und der persischen Provinz Jehud ihren Zielpunkt haben. In diesen nächtlichen Visionen begegnen mehrere Engelgestalten, von denen eine durchweg als ĜĔ īĔĖė ĝēğġ (Engel, der mit mir redet) bezeichnet wird (1,9.13f; 2,2.5.7.10 u.ö.). Die Ausleger haben ihm seiner Funktion entsprechend den Namen angelus interpres (Deuteengel) gegeben. Über ihn läuft die Kommunikation zwischen JHWH und dem Propheten. Er teilt diesem Botschaften JHWHs mit (1,14ff), beantwortet aber vor allem die Fragen des Propheten (1,9f; 2,2.4; 4,4ff.11f), der wohl sieht, aber nicht versteht, was er sieht. Hin und wieder muss er sich die verwunderte Gegenfrage des angelus interpres gefallen lassen: „Du weißt nicht, was diese (Dinge) bedeuten?“ Worauf er nur mit dem Eingeständnis antworten kann: „Nein, mein Herr“ (4,5.13). Zwar hat der Prophet noch Visionen, woran es ihm aber mangelt, das ist die Kraft ihrer Deutung. Das mag einerseits an den Visionen selbst liegen, die ihm ihre Botschaften nur in einer verschlüsselten Symbolik vor Augen stellen. Gleichsam wie in einem Film zieht an seinem Auge eine Abfolge von ungewöhnlichen Bildkonstellationen vorüber: himmlische Reiter auf verschiedenfarbigen Pferden (1,8–15); vier Hörner, die von vier Schmieden zerschlagen werden (2,1–4); ein Mann mit einer Messschnur (2,5–9); ein sieben mal siebenflammiger Leuchter mit zwei flankierenden Ölbäumen (4,1–14); eine fliegende Buchrolle (5,1–4); ein Getreidemaß, das von zwei Frauen mit Storchenflügeln außer Landes geschafft wird (5,5–11); himmlische Wagen mit verschiedenfarbigen Rossen, die in alle vier Windrichtungen ausfahren (6,1–8). 12 Offensichtlich waren diese Bilder bereits dem antiken Leser reichlich kryptisch. Wohl nicht zu Unrecht hat Martin Luther dann in seiner Sacharjaauslegung von 1527 eindringlich davor gewarnt, in | diese bizarre Bilderwelt zu viel hineinlesen zu wollen. Derartige Ausleger verführen mit den Texten „gleich wie die Gans den Psalter“ liest.13 Manch einen modernen Leser mögen solche Texte an die Surrealisten erinnern, bei denen „Weltbruchstücke zu traumhaften Konstellationen zusammentreten“.14 Ja, sie begegnen dem Propheten als Momentaufnahmen einer „virtuellen Realität“, die in Televisionen und Transvisionen wahrgenommen wird und nicht im pejorativen Sinne als Pseudowirklichkeit oder 11
Vgl. dazu die neuste Studie von Delkurt, Sacharjas Nachtgesichte. Zum ikonographischen Gehalt der Nachtgesichte siehe Uehlinger, Figurative Policy. 13 Luther, Der Prophet Sacharja, 486, 12f. 14 Stock, Bildersturm und Augenweide, 16. 12
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Scheinwelt missverstanden werden darf. Sie ist vielmehr aufgeladen mit virtus, enthält Möglichkeiten und Potenzen, die in ihr angelegt, aber noch nicht entdeckt, entschlüsselt und verwirklicht sind. Derartige Visionen machen den Propheten und sein Publikum darauf aufmerksam, dass die Grenzen der Realität nicht mit denen unseres menschlichen Wahrnehmungsvermögens, Denkens und Handelns identisch sind. Daher spiegeln derartige Visionen nun andererseits auch die eingeschränkte Wahrnehmungs- und Deutungsfähigkeit des Menschen, einschließlich des Propheten, der das, was er sieht, nicht versteht. Prophetische Visionen sind – wie übrigens auch die Bilder des Malers vor der Leinwand oder des Schriftstellers vor dem weißen Blatt Papier – nicht einfach machbar. Sie fallen ihm ein, kommen oft wie ein Überfall über ihn. Es ist keineswegs so, dass nur er von den Bildern Besitz ergreift, vielmehr ergreifen diese auch ihn. Es zeigt sich ja gerade in den Nachtgesichten des Sacharja, dass dieser nur sehr begrenzt dazu in der Lage ist, sich die Bilder zu erklären, sie zu „beherrschen“.15 Dieses Geschehen von visionären Einund Überfällen mag ein Indiz dafür sein, dass menschliche Rationalität an einer größeren, übergreifenden Rationalität partizipiert, in die wir einbezogen sind. Man mag diese übergreifende Rationalität tiefenpsychologisch als den Zusammenhang von Bewusstem und kollektivem Unbewussten beschreiben,16 oder soziologisch als Wechselspiel zwischen der Gesamtheit der geistigen und religiösen Äußerungen einer Gemeinschaft sowie ihrer gesellschaftlichen und religiösen Symbolsysteme einerseits und ihren jeweiligen Individuen andererseits.17 Biblische Sprache und biblisches Denken haben sich diesem Phänomen auf ihre eigene Weise angenähert und unterschiedliche Wahrnehmungskonzepte bereitgestellt. Die beiden wichtigsten Konzepte sind die der Pneumatologie und der Angelologie. Die Teilhabe der begrenzten menschlichen Rationalität an einer übergreifenden Rationalität, die sich u.a. in Gestalt von prophetischen Visionen zur Sprache bringt, wird als Partizipation an der ĚĘī JHWHs (Geist JHWHs) erfahren (Num 11,26; Ez 2,2; 3,12.24; 8,3; 11,1; Mi 3,8; Dan 4,5f u.ö.).18 | Neben den Geist JHWHs treten die Engel als Mittler des göttlichen Wortes und Willens und ermöglichen auf diese Weise die Teilhabe an einem menschliche Einsicht übersteigenden Geschichtsplan und Sinnhori15 Eine gewisse Analogie dazu lässt sich in der nur zu verständlichen Zurückhaltung und Scheu vieler Künstler wahrnehmen, ihre (Bild-)Werke dem Betrachter zu deuten. Steht dahinter neben dem berechtigten Wunsch, das Werk möge selber für sich sprechen, nicht auch das Wissen um die Grenzen des eigenen Interpretationsvermögens? 16 Stolz, Grundzüge der Religionswissenschaft, 156–175. 17 Ebd., 64ff. 18 Siehe dazu Schmidt, Geist, TRE 12, 170ff.
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zont.19 Damit markieren sie auf der einen Seite die Grenzen menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit, heben diese aber andererseits auch auf. Die Engel verhelfen auf ihre Weise zu einer erweiterten, differenzierteren und veränderten Sicht auf die Wirklichkeit.20 Das gilt nun in ganz besonderer Weise für den Deuteengel in der Prophetie des Sacharja, der dann im apokalyptischen Danielbuch einen eigenen Namen erhält, Gabriel.21 Der angelus interpres ist nicht nur ein Wortmittler, sondern ein himmlischer Hermeneut. Seine Notwendigkeit ist dadurch gegeben, dass die Propheten, in unserem Falle Sacharja, ihre Visionen offensichtlich selbst nicht mehr verstehen. D.h., die bisher professionellen Deuter göttlicher Gesichte sind in nachexilischer Zeit selbst auf Deutung und Interpretation angewiesen. Sie werden sich ihrer hermeneutischen Defizite bewusst. Diese sind nur von Gott selbst her zu beheben, der dem Propheten in diesem Falle einen angelus interpres an die Seite stellt. Dieser Vorgang ist gerade für die frühnachexilische Zeit nicht uninteressant. Die alttestamentliche Wissenschaft hat ja in den letzten Jahrzehnten zunehmend erkannt, dass wir es hier mit einer Epoche zu tun haben, in der sich immer deutlicher eine Kultur des Umgangs mit heiligen Schriften herausgebildet hat. Man denke nur an die Darstellung des schriftkundigen Esra (Esra 7,6.10; Neh 8).22 Diese religiöse Schriftkultur wurde offensichtlich begleitet vom Erwachen einer hermeneutischen Bescheidenheit. Hinter der Vorstellung vom Deuteengel wird damit zweifellos ein Krisenbewusstsein im Umgang mit Visionen und ihren Interpretationen deutlich. Die Gottesbeziehung des Propheten hat an Direktheit verloren. Seine Offenbarungen in Wort und Bild sind unverständlicher geworden. Ihre Interpretation unterliegt nicht allein menschlicher Autonomie. Der Kirche und ihren professionellen Auslegern der Bibel, Pfarrerinnen und Pfarrern, Religionslehrerinnen und Religionslehrern stünde eine derartige hermeneutische Bescheidenheit gut zu Gesicht. Es sind eben nicht nur die Visionen und die Auditionen, die sich nicht einfach produzieren oder gar herbeizwingen lassen, auch ihre Interpretationen bleiben letztlich der all zu forschen Kompetenz ihrer Hermeneuten entzogen. Niemand hat ihn nötiger, den angelus interpres, als der Schriftausleger auf der Kanzel und in der Schulklasse. Wer um das Phänomen des Predigteinfalls weiß, und diesen nicht unter der Rubrik des Predigtzufalls oder gar Predigtunfalls verbucht (gleiches | gilt für den Unterrichtseinfall), der tut gut daran, über 19
Siehe zu den Engeln im Alten Testament allgemein Westermann, Gottes Engel, und Hirth, Gottes Boten. 20 Welker, Über Gottes Engel, 201f. 21 Zum Deuteengel vgl. Hirth, Gottes Boten, 101ff, und vor allem Dörfel, Engel, 93ff.255ff. 22 Näheres dazu bei Lux, „Und sie legten ...“.
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die Schriftauslegung in pneumatologischer und angelologischer Perspektive neu nachzudenken. Denn was für die Englein in den Himmeln keine besondere Kunst ist, das bleibt für die Schriftausleger auf der Erde ein mühevolles und zugleich beglückendes Handwerk. Dieses Handwerk lebt aber nicht nur davon, dass ein Mensch die Werkzeuge der Interpretation beherrscht, mit denen er sein Material „Text“ bearbeitet. Vielmehr kommt es darauf an wahrzunehmen, wie der Text an ihm arbeitet. Damit es aber zu dieser hermeneutischen Kehre kommt, bedarf es mitunter eines kräftigen Wehens des Geistes, oder auch eines hilfreichen Engleins, das unserem eingeschränkten Verstehen auf die Beine hilft.
„... und auf die Seher folgen die Prediger“ Erwägungen zum Verhältnis von Prophetie und Predigt Mitten in das Nachdenken über „Prophetie und Predigt“ im Rahmen des Kongressthemas „Das Alte Testament und die Kultur der Moderne“ drängten sich irritierende Bilder. Der in New York geborene jamaikanische Künstler Michael Richards setzte sich seit einiger Zeit in seinen Plastiken immer wieder mit einem Motiv auseinander: der menschliche Körper attackiert und durchbohrt von Flugzeugen, Raketen und anderen Wurfgeschossen. Am 10. September arbeitete er mit einer Kollegin bis spät in die Nacht hinein in seinem Atelier in der 92. Etage in Turm 1 des World Trade Centers. Die Kollegin ging nach Hause, er entschloss sich, im Atelier zu übernachten. Am Morgen des 11. September kurz vor 9 Uhr bohrte sich die erste Terrormaschine in den Turm, in dem auch Michael Richards sein Leben ließ. 2. Mai 1922, Eintragung im Tagebuch Franz Rosenzweigs: „Das wäre ein schöner Profet, der selbst vor dem, was er profezeit, gerettet würde! Er als erster hat den Tod zu sterben, den er geweissagt hat.“1
War Michael Richards ein Prophet der Moderne, der seine Weissagung durch sein Leben und Sterben bezeugte? Ist das prophetische Charisma heute „vor allem auch in der Gestalt der Kunst“ zu suchen, „die konstant in Reibung mit dem ist, was allgemein gilt“?2 Die Haut des Künstlers, eine übersensible Membran, die | Gefahren, Botschaften aus der Welt des Künftigen geradezu wittert und aufnimmt, wie ein gehetztes Tier in der Treibjagd?3 Der Leib des Künstlerpropheten, Resonanzboden von Stim1 Rosenzweig, Mensch, 778. Ganz ähnlich hat von Rad, Wege Gottes, 224, auf dieses Geschick der Propheten hingewiesen: „Aber nun ist zu sagen, daß diese Männer zuerst und vor allem sich selbst unter das Gericht des Abbruchs gestellt haben. Sie sind arm geworden, einsam, ja verlacht, bespieen und geschlagen, und dabei haben sie nicht stolz ihre Seele in philosophischer Unberührbarkeit herausgehalten. Nein, sie sind hineingegangen in das Leid und haben sich von ihm überfluten lassen; Stufe um Stufe sind sie hinabgestiegen in die Nacht der Gottverlassenheit und haben schon die Bahn beschritten, auf der Jesus in der Nacht da er verraten ward, hinabgestiegen ist in den untersten Grund der Finsternis und Gottverlassenheit.“ 2 So z.B. Lohfink, Propheten, und ganz ähnlich Stendebach, Rufer, 10, u.ö. 3 A. von Droste-Hülshoff hat dem in ihrer Ballade „Vorgeschichte“ (Droste-Hülshoff, Werke, 504) einen gültigen Ausdruck gegeben: „Und der Prophet, ein verzweifelnd Wild, Kämpft gegen das mählich steigende Bild.“
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men, Spiegel von Bildern, die nur er hört und sieht, auch und gerade dann, wenn er sie gar nicht hören und sehen will? Steht er unter dem unausweichlichen „muss“, das schon Amos und seine Zunftgenossen zu spüren bekamen? „Der Löwe hat gebrüllt! Wer fürchtet sich nicht? Der Herr, JHWH, hat geredet! Wer weissagt nicht?“ (Am 3,8)
Bereits in biblischer Zeit schlossen sich ja Kunst und Prophetie nicht gegenseitig aus. Der Prophet Ezechiel, den man häufiger als pathologischen oder auch parapsychologischen Fall abtat,4 wusste sich beauftragt, eine Art Architekturmodell von Jerusalem herzustellen. Er sollte auf einem Ziegelstein einen Stadtplan einritzen, einen Belagerungswall ringsherum aufschütten, Sturmböcke aufstellen und eine eiserne Mauer errichten. Und dann muss er eine regelrechte Performance vollziehen. 390 Tage soll er als Belagerer der Stadt auf der linken Seite liegen und 40 Tage auf der rechten Seite und die Schuld des Hauses Israel und Juda abtragen, ein Tag für jedes Jahr; insgesamt 430 Jahre, die Zeit vom Tempelbau Salomos bis zum Beginn des Exils (Ez 4,1–6).5 Sicherlich hatten sich Kunst und Religion in den antiken Gesellschaften noch nicht in unterschiedliche und voneinander unabhängige Subsysteme ausdifferenziert. Religion und Kunst, Prophetie und symbolische Aktion, bildeten noch ein unauflösliches Amalgam. Die neuzeitliche Differenz zwischen Religion und Kunst spricht allerdings nicht gegen die oft geradezu bestürzende Nähe der Phänomene. Schon im alten Israel hatte ja trotz aller Domestizierungsversuche das Charisma der Schriftpropheten seinen Ort gerade nicht in den religiösen Institutionen des Kultes. Vielmehr operierten die Propheten am Rande, jenseits und auch gegen die Kultinstitutionen und ihre Pervertierung. Religionssoziologisch lässt sich ihr Ort und ihre Funktion daher durchaus mit dem des Künstlers in der Moderne korrelieren.6 Wittern die Propheten wie auch die Künstler, wie Gerhard von Rad das einmal unübertroffen zum Ausdruck brachte, dass „hinter dem Vorhang, der vor der Geschichte hängt, [...] nicht die Lösungen“ stehen, „sondern noch viel dunklere Probleme, von denen der Mensch nichts ahnt“?7 |
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Siehe dazu Koch, Profeten II, 97ff. Vgl. dagegen Greenberg, Ezechiel, 127ff. Siehe dazu Fohrer, Handlungen. 6 Darauf hat vor allem Lohfink, Propheten, verwiesen. 7 von Rad, Wege Gottes, 225. 5
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1. Prophetische Predigt zwischen Charisma und Institution8 Für manchen Zeitgenossen ist das prophetische Charisma weniger in den großen Einsamen der Moderne greifbar, den Künstlern, als in den wichtigen Erklärungen des „Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ oder des „Club of Rome“, in den Aktionen der Friedensbewegung, unter den Ostermarschierern, in Lichter- und Menschenketten, unter den Globalisierungsgegnern, die die Herrschaft der G 8 das Fürchten lehren. Hier sei Prophetie fast schon wieder zu einem Massenphänomen geworden.9 Eine eindeutige Gesellschafts-, Politik- und Ökonomiekritik, Kirchen- und Religionskritik,10 bis hin zur stets notwendigen „Prophetie als Selbst-Kritik des Glaubens“11 seien in diesen Basisbewegungen herangereift. Kann man daher neben den bedeutenden Einzelgestalten der Künstlerpropheten von einer Demokratisierung der „Prophetie heute“ sprechen?12 Sind es diese Gruppen und Bewegungen, die die endzeitliche Weissagung Joels einlösen? „ ... eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.“ (Joel 3,1)13
Sind sie es, die den Stoßseufzer des Mose Wirklichkeit werden lassen? „Wollte Gott, dass alle im Volk JHWHs Propheten wären und JHWH seinen Geist über sie kommen ließe!“ (Num 11,29)
Wenn derartige Basisbewegungen schließlich mit ihrer eigenen durchaus berechtigten und auch immer wieder notwendigen Institutionenkritik energisch eine prophetische Predigt der Kirche einklagen, dann verknüpfen sich für mich mit dieser Forderung zwei Fragen: a) Müssten sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass die „wahren Propheten“ ihren Ort gerade nicht in den Institutionen, sondern allenfalls am Rande oder gar | jenseits dieser hatten?14 Erwarten sie damit nicht etwas 8
Vgl. dazu Wolff, Prophet und Institution. Siehe die Voten von Stendebach, Rufer, und Albrecht/Baldermann, Prophetie. 10 Diese werden von den genannten Basisbewegungen nicht nur selbst geübt, sondern auch immer wieder von den Kirchen als Institutionen eingefordert. Siehe dazu Barth, Prophetie und Weisheit. 11 Auf diesen Aspekt der prophetischen Verkündigung in Israel hat Schmidt, Prophetie, hingewiesen. 12 Siehe zum Begriff und zur Sache Wolff, Prophet und Institution, 64. 13 Dass es in dieser eschatologischen Erwartung weniger um eine allgemein verbreitete Fähigkeit zur prophetischen Verkündigung als um die durch Geistbegabung aller begründete Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung geht, hat Wolff, Dodekapropheton 2, 78f, plausibel gemacht. 14 Siehe dazu Wolff, Prophet und Institution. 9
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von der Institution Kirche mit ihren Predigern und Predigerinnen, was diese schlicht nicht zu leisten vermögen?15 Sind ihre Erwartungen an die Kirche damit recht und billig? b) Warum erwarten sie ausgerechnet von der Institution Kirche etwas, wozu sie sich doch selbst berufen fühlen und angetreten sind, nämlich ein prophetisches Zeugnis? Trauen sie ihrem eigenen prophetischen Charisma vielleicht doch nicht so recht über den Weg? Spüren sie instinktiv, dass Gesellschafts- und Kirchenkritik allein noch keinen Propheten machen? Ahnen sie selbst ein schwer zu beschreibendes Defizit, von dem sie hoffen, dass dies nur die gleichzeitig von ihnen kritisierte und doch auch wieder heftig umworbene Kirche mit ihrer Institution Predigt einlösen könnte? Und wenn ja, welches Defizit könnte das sein? Dass sich das Phänomen der Prophetie nicht auf ein Votum zur sozialen Frage oder – gegenwärtig besonders aktuell – zur militärischen Bündnispolitik reduzieren lässt, dass es derartige Voten, Haltungen und Taten einschließt, aber nicht in ihnen aufgeht,16 daran erinnerte mit Nachdruck Leo Baeck, für den ja das Ju|dentum die „prophetische Religion“ schlechthin 15
Auch Lohfink, Propheten, macht darauf aufmerksam, dass die Kirche(n) spätestens seit der konstantinischen Wende an ihrem prophetischen Auftrag gescheitert sind. Weniger die Institution als Einzelpersönlichkeiten in der Kirche haben diesen Auftrag im Bewusstsein gehalten und sind ihm treu geblieben. Die Kirche selbst hat diese Einzelpersönlichkeiten oft verketzert oder versucht, sie durch Integration zu domestizieren. 16 Das wird hin und wieder gerade von denjenigen übersehen, die energisch eine „prophetische Predigt heute“ einfordern und darunter vor allem die Fortschreibung der Sozialkritik und der Kultkritik der Propheten verstehen. Diese Forderung mag ihr Recht haben. Sie wird allerdings dann problematisch, wenn ihre Protagonisten allein auf die unmittelbare Evidenz dieses Teils der Botschaft setzen und die Taue kappen, die die Gesellschafts- und Institutionenkritik der Propheten mit ihrer jeweiligen Lebenswelt einerseits, also ihrer historischen Einbettung, und ihrer heilsgeschichtlichen Perspektive andererseits verbinden. Der Tendenz nach wird dieses verkürzte Prophetenverständnis u.a. von Albrecht/Baldermann, Prophetie, 515f, vertreten: „Die bis heute wirksame Evidenz der prophetischen Botschaft gründet nicht in ihren heilsgeschichtlichen Voraussagen, sondern in der Unbeirrbarkeit, mit der sie Gerechtigkeit einklagt und damit das Bewusstsein sozialer Ungerechtigkeit und die Sensibilität für Unmenschlichkeit schärft. Ohne diese prophetische Sprache der Gerechtigkeit ist keine glaubwürdige Hoffnung für die Menschheit zu gewinnen [...] Diese Hoffnung steht nicht wie die Botschaft der falschen Propheten im Dienste eines beschwichtigenden Optimismus; sie schärft den Blick für das, was der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung im Wege steht. Sie entlarvt die Gleichgültigkeit einer Gesellschaft, die das Unmenschliche zur Gewohnheit werden lässt, die gelernt hat das Ungeheuerliche als gegeben hinzunehmen und sich so in der Katastrophe einrichtet. Gerade so aber sprechen die Worte der Propheten unmittelbar, ohne zeitgeschichtliche Erklärungen oder andere Umwege in unsere Gegenwart.“ Hier soll weder die Möglichkeit unmittelbarer Evidenz und Potenz der propheti-
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ist.17 In einem Aufsatz mit dem Titel „Predigt und Wahrheit“18 stellt er ausdrücklich fest: Die Propheten „waren daher auch nicht, als was man sie bisweilen ansah, gewissermaßen vortragende Professoren für Ethik und soziale Arbeit, und auch nicht, wie man gemeint hat, Männer der demokratischen Gabe, Menschen zu ergreifen und festzuhalten. Nicht Männer dieses am Tage Liegenden waren sie, sondern Männer des Geheimnisses. Sie alle waren daher im Letzten ,schwerer Zunge und schwerer Lippen‘. Keiner von ihnen war wohl ein Redner, ein Orator, er wäre sonst kein Prophet gewesen [...] Predigen kann ein Martyrium sein, wie in dem wörtlichen, so in dem schmerzlichen Sinne des Wortes, nicht ein Zeugnis nur, das man ablegen soll, sondern ein Leiden daran, daß man sprechen muß, von dem sprechen muß, was man im tiefsten doch nicht aussprechen kann.“19
Wer die prophetische Predigt von diesem Geheimnis abkoppelt, von dem man reden muss, ohne es wirklich jemals aussprechen zu können, der löst sie – und sei sie auch noch so engagiert und gut gemeint – in purer Beredsamkeit auf und verspielt das ganz eigene Moment des Prophetischen. Worin aber besteht nun dieses besondere Moment oder Geheimnis, aus dem die Propheten leben und von dem sie künden? |
2. Was macht den Propheten zum Propheten und den Prediger zum Prediger? Drei Aspekte des überaus komplexen Phänomens der Prophetie sind dafür – soweit ich sehe – konstitutiv:
schen „Sprache der Gerechtigkeit“ bestritten werden, noch das Recht, von ihr Gebrauch zu machen. Wird allerdings der Bibelgebrauch allein auf dem | Pfeiler ihrer Unmittelbarkeit aufgebaut, dann entzieht man ihn letztlich jeglicher (selbst-) kritischen Kontrolle durch eine reflektierte Annäherung an den ursprünglichen Sinn und die vom jeweiligen Autor intendierte Aussageabsicht. Und diese lassen sich nun einmal nur durch geduldige historische Rückfrage und unter Beachtung seiner (heils-) geschichtlichen Einbettung in stets neuen Annäherungen bestimmen. Unmittelbarkeit allein ist noch keine Garantie für einen sachgemäßen Bibelgebrauch. Es gibt ja auch das Phänomen der vermeintlichen, eingebildeten Unmittelbarkeit, bei der mich nicht die Sprache des Textes packt, sondern ich ihm mein Denken und Sprechen aufzwinge, ohne zu merken, dass der Text eigentlich in eine ganz andere Richtung weist. Siehe zu dem Problem der „direkten Einlesung in die Bibel“ jetzt auch das energische Votum von Steck, Gott in der Zeit, bes. 146–149. 17 Baeck, Wesen des Judentums, 62: „Das Wesen der Religion kann am ehesten an dem religiösen Genie erforscht werden, ganz wie das Wesen der Kunst in den großen Künstlern und ihren Werken fasslich wird. Wenn wir das Judentum begreifen wollen, müssen wir daher seine Propheten verstehen lernen.“ 18 Baeck, Wege im Judentum, 232–240. 19 Ebd., 232f.
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a) der Aspekt des von Baeck bereits genannten „Martyriums“20, die Bereitschaft also, sich selbst zu riskieren, einschließlich des eigenen Lebens und – was noch bedrückender ist – der eigenen Angehörigen. Hosea wird genötigt eine Dirne zu heiraten (Hos 1,2f), Jesaja muss drei Jahre lang nackt auftreten (Jes 20,2f), Jeremia auf Frau und Kinder verzichten (Jer 16,1ff), ist Mordanschlägen ausgesetzt (Jer 11,18ff; 15,15), der Gottesknecht bei Deuterojesaja wird geschlagen und bespuckt (Jes 50,6), ist von Krankheit und Schmerzen gezeichnet (Jes 53,4).21 b) das Moment der Gottunmittelbarkeit, das vor allem in den prophetischen Berufungsberichten exemplarisch zum Ausdruck kommt (Jes 6; Jer 1; Ez 1–3; Jes 40,1–8; Hos 1,2f; Am 7,14f); 22 aber auch in den einleitenden Wortereignisformeln (...ğē ė ĘėĜČīĔĖ Ĝ ėĜĘ – „und es erging das Wort JHWHs an ...“) der Prophetenbücher23 und einzelner Stücke aus ihnen, in der die Prophetenworte einleitenden Botenspruchformel (ėĞ ėĘėĜ īġē – „so hat JHWH gesprochen“)24 oder in den Zwischen- und Schlussformeln (ĭĘēĔĩ ėĘėĜ Ġēģ – „Spruch JHWH Zebaots“). c) das ganz eigengeprägte Geschichtsbewusstsein und die damit verbundene überaus wache Zeitgenossenschaft der Propheten. Der kürzlich verstorbene von Rad-Schüler Odil Hannes Steck hat diesen Aspekt mit dem Titel seines letzten Buches „Gott in der Zeit entdecken“25 exemplarisch umschrieben. Das erste Moment, das Martyrium, sucht sich keiner selbst und darf niemand einem anderen abverlangen. Wohl gab und gibt es Prediger und Predigerinnen, die um ihrer Botschaft willen sich selbst, Person und Leben riskieren. Aber das werden immer die großen Ausnahmen bleiben und es kann nicht die Regel sein. | Ja, man möchte ihnen ja gerade wünschen, dass ihnen diese äußerste Konsequenz ihres Auftrages erspart bleibt. Das zweite Moment der Gottunmittelbarkeit ist eine Frage der Vollmacht, des Charismas.26 Sie kann menschlicherseits weder hergestellt, noch institutionell abgesichert werden. Gottunmittelbarkeit kann man nicht für sich beanspruchen, sie nimmt den Menschen in Anspruch, ist also unserer Verfügungsgewalt entzogen und will erbeten sein. In der Erfahrung der 20 Der Begriff wird von mir hier im doppelten Sinne gebraucht, in dem er auch bei Baeck Verwendung findet. Im Vordergrund steht das Bezeugen einer Botschaft, das nur im äußersten Falle zur Blutzeugenschaft führen kann, den eigenen Leib und das eigene Leben mit einbezieht. 21 Siehe dazu auch das Votum bei von Rad, Wege Gottes, 224 (siehe Zitat Anm. 1.). 22 Siehe dazu nach wie vor die schöne Darstellung von von Rad, Theologie II, 58–78. 23 Siehe dazu zuletzt Koch, Profetenbuchüberschriften. 24 Vgl. zur Funktion und zum Sitz im Leben Rendtorff, Botenformel. 25 Vgl. Steck, Gott in der Zeit. 26 Siehe zum biblischen Befund Scholtissek, Vollmacht.
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Gottunmittelbarkeit ist der Mensch ganz einem Geschehen von Gott her ausgesetzt. Das dritte und letzte Konstitutivum der Prophetie, Geschichtsbewusstsein und wache Zeitgenossenschaft kann und muss man hingegen sehr wohl den Predigern und Predigerinnen abverlangen.27 Schließlich sind sie zu allererst Kinder einer geschichtlich gewachsenen Tradition, auf die sie sich verpflichtet haben, die in Bibel und Bekenntnis ihren formativen und normativen Ausdruck fand.28 Als Teilhaber dieser Tradition haben sie in erster Linie die Aufgabe ihrer öffentlichen Weitergabe durch Lebenszeugnis und Verkündigung.29 Die Mitteilung persönlicher religiöser Erfahrungen ist dabei nur insofern von Interesse, als sie im Lichte dieser Tradition gedeutet werden. Prophetisches Geschichtsbewusstsein und wache Zeitgenossenschaft, das ist der anhaltende Versuch, die eigene Gegenwart und Zukunft im Lichte der überlieferten Tradition zu entziffern und zu durchdringen. Da aber die normative und formative Bibeltradition die fundierende und handlungsleitende Geschichte als eine Geschichte der Offenbarung Gottes bekennt, steht die prophetische Predigt vor keiner anderen Aufgabe als der, die vergangene, gegenwärtige und künftige Geschichte gleichsam mit den Augen Gottes zu lesen. | Für Gerhard von Rad, den Leser und Prediger der Propheten Israels,30 bestand deren Proprium, ihr Geheimnis, aus dem sie lebten und das sie kündeten, weniger im „sittlichen Monotheismus“, der durch sie zum Durchbruch kam, noch im „Sichtbarwerden der geistigen und gottunmit-
27 Die Reihenfolge der hier zusammengestellten Konstitutiva prophetischer Verkündigung ist nicht als Hierarchie zu verstehen, in dem Sinne, dass Geschichtsbewusstsein und Zeitgenossenschaft am wenigsten wichtig seien. Vielmehr sind alle drei Momente von gleicher Bedeutung und können je nach Person oder Situation im Vordergrund stehen oder auch zurücktreten. 28 Den Begriff der formativen und normativen Texttradition hat Assmann, Fünf Stufen, eingehend beschrieben. Vgl. dazu auch die Beiträge in dem Sammelband von Assmann/Assmann, Kanon und Zensur. Unter formativen Texten versteht er solche, die die geschichtliche Existenz eines Volkes oder einer Gemeinschaft fundieren, z.B. die Exoduserzählung in Israel. Normative Texte bestimmen darüber hinaus die Handlungs- und Verhaltensmuster einer Gemeinschaft. 29 Zur zentralen Bedeutung des Traditionsbegriffs für die Überlieferung der Bibel und eine an ihr orientierte Verkündigung siehe das nachdrückliche Votum von Steck, Gott in der Zeit, 34ff. 30 Man vgl. dazu nicht nur seinen nach wie vor glänzenden zweiten Band der Theologie des Alten Testaments (von Rad, Theologie II), sondern auch die Auswahl von Predigten zu Prophetentexten in: von Rad, Predigten. Darüber hinaus ist auf den Vortrag aus den vierziger Jahren „Die Wege Gottes in der Weltgeschichte nach dem Zeugnis der Propheten“ (von Rad, Wege Gottes) zu verweisen.
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telbaren religiösen Persönlichkeit“,31 die in ihnen aufleuchtete.32 Das große Thema der Propheten war vielmehr Gott und die Geschichte. Er schreibt: „Wir gingen von einer Tatsache aus, die als exegetischer Befund einfach feststeht, daß nämlich die Propheten selbst, jeder in einer ganz bestimmten, aber für seine Botschaft entscheidenden Weise in der Geschichte Gottes mit Israel Stellung bezogen haben und daß ihr ganzes Reden nur von diesem ihrem Standort her zu verstehen ist. Sie wissen sich in einen Geschichtszusammenhang mit weiten Perspektiven nach rückwärts und nach vorwärts gestellt. Innerhalb dieses Geschichtszusammenhanges aber steht jeder Prophet sozusagen an dem Schnittpunkt, da die schon fast zum Stehen gekommene Gottesgeschichte mit einem Mal dramatisch wieder in Bewegung kommt.“33
Nimmt man das ernst, dann ist es nicht die jeweilige und ohne Zweifel immer wieder notwendige Gesellschafts- und Kultkritik, die den Seher zum Propheten und die Predigt zu einer prophetischen Predigt werden lässt. Es ist vielmehr die Gewissheit, dass die Geschichte nicht nur eine Geschichte des Menschen, son|dern vor allem Gottes Geschichte ist, die Zeit nicht nur Zeit des Menschen, sondern Gottes Zeit, in der er sich als redender und handelnder Gott offenbart.34
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Diese von der protestantischen Exegese im ausgehenden 19. und 20. Jh. breit vertretene Position, für die u.a. der Name Duhm, Propheten, steht, wurde auch von jüdischer Seite geteilt. Vgl. Baeck, Wesen des Judentums, 62ff. 32 von Rad, Theologie II, 309. 33 von Rad, Theologie II, 309. Koch, Profeten I, 21ff, hat für diese im eigentlichen Sinne des Wortes theologische Wahrnehmung der Geschichte durch die Propheten den Begriff der Metahistorie eingeführt. Er versteht darunter „eine Metatheorie zum Verlauf der Geschichte [...], welche ihre menschlich-sittlichen wie übermenschlichen Vernetzungen thematisiert“ (ebd., 21). Obwohl Koch immer wieder darauf hinweist, dass nach dem Selbstverständnis der biblischen Autoren Historie und Metahistorie nicht voneinander ablösbar sind, eben in einer unauflöslichen Vernetzung vorliegen, halte ich den Begriff für wenig glücklich, da er letztlich doch ein dualistisches Missverständnis von Geschichte nahe legt, die dann zu schnell in Geschichtliches und Übergeschichtliches auseinanderdividiert wird. Dem Selbstverständnis der Propheten dürfte solch eine dualistische Sicht der Geschichte nicht entsprechen. Für sie war das Handeln Gottes in der Geschichte eine ebensolche geschichtliche Realität wie etwa das der Könige und Völker. Sie deuteten die Geschichte auch nicht nur theologisch, sie erfuhren sie vielmehr als Geschichte Gottes mit Israel. Ja, das Wirken Gottes in der Geschichte war für sie überhaupt erst eine Voraussetzung ihrer gesamten Wahrnehmung, um sich die Geschichte zu deuten. 34 Conrad, Überlegungen, fragt vor allem nach der Aktualität der Propheten für die Kirche. Damit wird – bei aller Berechtigung dieser Frage – aber der Horizont, in den die Botschaft der Propheten Israels einwandern möchte, zu eng gezogen. Auch wenn sich deren Botschaft vor allem an JHWHs auserwähltes Volk Israel wendet, so ist dabei implizit und häufig auch explizit immer eine universale und weltgeschichtliche Perspektive im Blick. Wenn es um Israel geht, geht es eben nicht nur um das Unheil oder Heil dieses Volkes, sondern um Gottes Geschichte mit der ganze Menschheit und um die ganze
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Die kanonisierte Prophetie und die prophetische Predigt heute können allerdings nicht einfach miteinander identifiziert werden. Eine prophetische Predigt ist noch keine Prophetie in dem Sinne, dass sie den drei genannten Konstitutiva entsprechen müsste. Zwischen beiden Größen ist eine bleibende Differenz festzuhalten. Leo Baeck hat 1912 seine Antrittsvorlesung an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin zu dem Thema „Griechische und jüdische Predigt“ gehalten.35 Gleich am Anfang weist er darauf hin, dass eigentümlich wache, suchende und bewegliche Epochen der menschlichen Geistesgeschichte mit weniger fruchtbaren und inspirierenden Zeiten wechseln. „Es ist in der Tat, wie wenn die Schöpferhand dann und wann die Ideen über die Erde hin ausstreute.“36
Eine dieser fruchtbaren Epochen der Geistesgeschichte waren für Baeck die wenigen Jahrhunderte von Elia bis zur Heimkehr aus dem Exil, also das Zeitalter der Propheten Israels. Vieles von dem, was damals nicht nur in Israel, sordern von Asien bis nach Europa gedacht und gekündet wurde, fand Aufnahme im Kanon der klassischen religiösen und philosophischen Literaturen der Menschheit. Die Bibel Israels selbst ist nur ein Teil davon. Solchen Epochen einer ungewöhnlichen Fruchtbarkeit folgen – wenn es denn gut geht – Zeiten der Erinnerung und Aneignung des Gewachsenen durch Forschung, Erläuterung und Auslegung. „Auf die Suchenden, welche göttliche Gesichte schauten und Stimmen aus der Höhe vernahmen, folgen jetzt die Sprechenden, die ihr Buch besitzen, auf die Seher und Sehergenossen folgen die Prediger – denn der Begriff der Predigt in seinem eigentlichen Sinne darf | nicht auf das prophetische Wort, sondern nur auf diese nachschaffende Beredsamkeit angewandt werden.“37
Dieser Unterscheidung zwischen Prophetie und prophetischer Predigt als „nachschaffender Beredsamkeit“ soll im Folgenden in einigen Aspekten weiter nachgegangen werden.38 Weltgeschichte, in der Israel eine eigene und bestimmte Position und Funktion wahrnimmt. Die Prophetie transzendiert daher die Grenze vom Volk Gottes hin zur Ökumene im eigentlichen Sinne des Wortes als der einen Menschheit. 35 Baeck, Griechische und jüdische Predigt. 36 Ebd., 151. 37 Ebd., 152. 38 Unterscheidung meint in diesem Falle ja nicht Trennung. Ohnehin Getrenntes muss nicht erst voneinander geschieden werden. Zusammengehöriges hingegen macht Unterscheidungen notwendig. Baeck hat diese Zusammengehörigkeit in dem Begriff der „Beredsamkeit“ festgehalten. Hier wie dort geht es also um ein Redegeschehen. Die Unterscheidung deutet er hingegen mit dem Attribut „nachschaffend“ an. Die Predigt ist für ihn keine direkte, sondern – wenn sie sich an der vorgegebenen Stimme der Propheten orientiert – immer „nur“ abgeleitete Prophetie. Prophetische Predigt als nachschaffende
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3. Die Prophetenbücher als eine Voraussetzung prophetischer Predigt Eine Unterscheidung zwischen Prophetie und prophetischer Predigt ist in gleicher Weise hilfreich und auch notwendig. Hilfreich ist sie, weil sie eine Entlastung und Entkrampfung für alle Prediger und Predigerinnen darstellt. Sie dürfen bei den Propheten in die Schule gehen, aber sie müssen sich nicht selbst als Propheten gerieren.39 Insofern ist die Unterscheidung vor allem ein Akt der Selbstbescheidung. Notwendig ist sie, weil es in der prophetischen Predigt der Kirche nicht um die Deutung von gesellschaftlichen, politischen Vorgängen schlechthin geht, nicht um eine Zeitdiagnose als solcher, sondern um die Wahr|nehmung und Deutung der eigenen Zeit und Geschichte in einer ganz bestimmten Perspektive. Prophetische Predigt kommt von Voraussetzungen her, die sich Prediger und Predigerinnen nicht selbst gewählt haben. Sie sind ihnen vorgegeben. Zu diesen Voraussetzungen gehört nicht nur die durch die Propheten Israels gleichsam vorgegebene Perspektive auf die Geschichte, sondern die Geschichte der Propheten selbst. Christliche Predigt der Propheten knüpft also nicht an der Geschichte an, sondern an einer ganz bestimmten Geschichte. Für sie ist daher auch nicht die Geschichte schlechthin eine Geschichte der Offenbarung Gottes, sondern eben diese bestimmte Geschichte Gottes mit seinem Volk und dem Nazarener, den die Kirche als Christus bekennt. Christliche Predigt der Propheten bedeutet daher, Beredsamkeit, das macht Baeck mit dem Attribut deutlich, ist demnach ein kreativer Akt. Sie erschöpft sich weder in der Repetition der Worte der Propheten, noch darin, dass der Prediger lediglich eine Nachhut an der Front bildet, an der sich der Prophet bereits verkämpfte. Er wandert vielmehr mit dem Wort der Propheten in neue Zeiten ein, in denen sich neu Fronten bilden können, die dann auch ein neues Denken, neue Worte und – wenn es an der Zeit ist – eine neue Sprache erfordern. Beständigkeit und Variabilität sind Voraussetzungen für jeden fruchtbaren Traditionsprozess. Daher wird bei Steck, Gott in der Zeit, 34–45, auch immer wieder von der Notwendigkeit einer „beweglichen Tradition“ gesprochen. Ihre Beständigkeit hat die Tradition durch ihre Kanonisierung erfahren. Ihre Beweglichkeit muss sich im Prozess der Weitergabe unter jeweils veränderten Bedingungen erweisen. Der Kanon verlangt daher notwendig nach der Kommentierung, die die jeweilige Aneignung ermöglicht. Siehe dazu auch Assmann, Text und Kommentar. 39 Barth, Prophetie und Weisheit, 274: „Nichts ist lächerlicher als der leere Gestus der Prophetie. Niemand kann Prophet sein wollen. Prophetische Rede ist eine Frage der Vollmacht.“ Dem gibt es nichts hinzuzufügen außer dem einen, dass man hingegen ein Ausleger der prophetischen Schriften in „nachschaffender Beredsamkeit“ sehr wohl sein wollen kann und darf, ohne sich dabei selbst zu überheben. Auslegung und Anwendung ist eine Frage der Kenntnis. In ihnen kann man sich üben. Prophetie ist eine Frage des Charismas.
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Wahrnehmung und Deutung der eigenen Zeit und Geschichte im Zusammenhang mit dieser bestimmten Geschichte Gottes. Wie aber kann dies verantwortlich geschehen, in Freiheit und Bindung an die Tradition zugleich? In der Bindung an die Tradition geschieht dies schlicht durch die Wahrnehmung dessen, was uns vorgegeben ist. Vorgegeben sind uns aber zunächst nicht die großen einsamen Gestalten der Gottunmittelbarkeit, sondern Prophetenbücher, nicht nur die Stimme, sondern auch das Echo, das der Prophet in Israel fand. Nicht mehr die Propheten selbst, sondern die in der Bibel kanonisierten Prophetenbücher bilden damit die Voraussetzung für eine prophetische Predigt heute. Damit nehme ich einen Ansatz auf, der zuletzt von Odil Hannes Steck energisch vorgetragen wurde.40 Die Prophetenbücher sind aber nun ihrerseits bereits ein Produkt der Tradition. Der sich teilweise über Jahrhunderte erstreckende Entstehungs-, Verschriftungs- und Überlieferungsprozess dieser Bücher spiegelt nicht nur die Botschaft der Propheten wider, sondern enthält bereits das Ringen vieler Generationen mit dieser Botschaft. Beides zusammen, die Stimme des Propheten und die Stimmen, die ihm Antwort gaben, wurden zur Tradition. Nicht nur die ipsissima verba der Propheten wurden kanonisiert, sondern auch die „Kommentare“41, die sich ihnen in diesem großen Traditionsstrom der Hebräischen Bibel anlagerten. | Mit seiner abschließenden Kanonisierung wurde dieser lebendige Traditionsstrom in seinem Wortlaut festgestellt und unterbrochen, aber nicht abgebrochen. Diese Unterbrechung haben wir ernst zu nehmen. Von ihr an ist keine Fortschreibung mehr, sondern nur noch Auslegung des kanonisierten Textgutes möglich. Damit erlangten die Prophetenbücher in ihrer Normativität und in ihrer Formativität einen neuen Status. Sie wurden für diejenigen, die sich auf sie bezogen, verbindlich gemacht. Der Text wird, wie Aleida und Jan Assmann das bezeichnet haben, exkarniert. Er wird zum Machtwort, zu einer performativen Sprachhandlung, die nicht nur etwas mitteilt, sondern den Anspruch erhebt, das Mitgeteilte auch durchzu40
Vgl. dazu Steck, Prophetenbücher, und ders., Gott in der Zeit. Das Wort „Kommentar“ wird hier in einem weiteren und allgemeinen Sinne als Äußerung, die sich auf eine vorhergehende Äußerung bezieht, gebraucht. Im strengen Sinne des Wortes setzt der Kommentar einen kanonisierten, im Wortlaut festliegenden Text voraus, auf den er sich bezieht und den er auslegt. Da man aber die Kanonisierung der hebräischen Bibel nicht als einmaligen Akt, sondern als einen sich über Jahrhunderte erstreckenden Prozess betrachten muss, ist es durchaus angebracht, bereits die Fortschreibungen der Prophetenworte zu Prophetenbüchern als Schritte in diesem Prozess der Kanonisierung zu verstehen. Diese Fortschreibungen setzen ja voraus, dass die Texte, auf die sie sich beziehen, bereits eine formative und normative Größe darstellten, die jeweils neu zur Geltung zu bringen war. 41
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setzen, zu bewirken.42 Eine prophetische Predigt partizipiert an diesem Anspruch. Sie hat die Aufgabe, die performative Sprachhandlung zu vollziehen. In ihr geht es nicht nur um eine interessierte Verwendung des Prophetenkanons, sondern um seine Anwendung, um applicatio. Damit stehen Prediger und Predigerin aber wie ein Richter vor der Aufgabe, durch Anwendung des kanonisierten Gesetzes (bzw. Prophetentextes) auf einen gegenwärtig aktuellen Rechtsfall dieses Gesetz auch zu vollziehen, ein Urteil zu sprechen. Prophetische Predigt ist somit allemal eine Frage der Urteilskraft. Urteilskraft aber gewinnt man nicht allein aus der kanonisierten Tradition. Zu dieser muss vielmehr eine präzise Wahrnehmung dessen hinzukommen, was an der Zeit und was Sache ist. Zur genauen Textkenntnis muss also eine wache Zeitwahrnehmung und Sachkenntnis treten. Die Prophetenbücher selbst sind ein Zeugnis solcher Urteilskraft. Wer sie einschließlich ihrer Fortschreibungen für sich verbindlich werden lässt, der findet in ihnen reiche Belehrung über eine weniger wort- als sachgerechte applicatio prophetischer Tradition. Allerdings bieten die Prophetenbücher damit nicht nur ein mehr oder weniger zufälliges Sammelsurium von exempla einer sachgerechten applicatio der Worte der Propheten. Vielmehr enthalten sie selbst, also die Stimmen der Propheten und ihre Fortschreibungen, bereits so etwas wie einen Richtungssinn. Dieser Richtungssinn der Prophetenbücher schützt die prophetische Tradition davor, dass sich ihre Auslegungen in Beliebigkeit verlieren. |
4. Zeitgenossenschaft als andere Voraussetzung prophetischer Predigt Das kanonische Textmodell setzt demnach nicht nur die verschriftete und kanonisierte Prophetentradition voraus, also einen Text der vergangenen Historie. Seine Intention zielt letztlich auf eine „Enthistorisierung“ der Texte ab.43 Enthistorisierung aber nicht in dem Sinne, dass den Texten ihre 42 Vgl. dazu Assmann, Fünf Stufen, 84. Im Blick auf die Kanonisierung der Tora stellt er fest: „Die eine Funktion der Schrift ist die Speicherung im Sinne einer Extension und Exteriorisierung des Gedächtnisses, die andere ist die verbindliche Veröffentlichung im Sinne einer Extension und ,Exkarnation‘ [...] des höchstrichterlichen (legislativen oder judikativen) Machtworts. Im einen Fall unterstützt die Schrift das Gedächtnis, im anderen die Stimme. [...] Die eine Funktion könnte man ,informativ‘ nennen; sie dient zur Sicherung und Vermittlung relevanten juristischen Wissens. Die andere Funktion wäre demgegenüber als ,performativ‘ zu bezeichnen: Hier wird mit den Mitteln der Schrift eine sprachliche Handlung vollzogen.“ 43 Assmann, Fünf Stufen, 83: „Kanonkritik arbeitet [...] die Tendenzen heraus, die das Werden, Wachsen, Zusammenwachsen und Heiligwerden der Texte vorantreibt. Hier
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Geschichtlichkeit entzogen wird, dass sie zu zeitlosen, überzeitlichen Texten erklärt werden. Vielmehr soll den geschichtlich gewordenen Texten ihr Verfallsdatum genommen werden. Sie sollen durch explicatio und applicatio immer wieder neu in die Geschichte implantiert werden, um diese zu durchleuchten, zu inspirieren, zu stimulieren und zur Urteilskraft anzuleiten.44 Der Kanon enthält daher in sich die implizite Nötigung, mit den historischen Texten in jeweils neue Zeithorizonte einzuwandern. Er ist mehr als ein Text- und Gedächtnisspeicher. Man könnte ihn als einen Generator verstehen, der eine Spannung erzeugt zwischen dem vorgegebenen Text und der jeweils gegebenen Zeit. Ihm liegt daran, dass der Funke überspringt vom Text zur Zeit und von der Zeit zum Text. Daher ist Zeitgenossenschaft der notwendige zweite Pol, auf den eine prophetische Predigt angewiesen bleibt. So aber wie uns ein voraussetzungsloses Verstehen und Auslegen der kanonisierten Texte verwehrt ist, so gibt es auch kein voraussetzungsloses Verstehen unserer jeweiligen geschichtlichen Stunde. Jedes Urteil basiert auf einer Fülle von „Vorurteilen“, die wir uns gebildet haben, und die es immer neu kritisch zu sichten, zu verifizieren oder zu falsifizieren gilt. Zeitgenossenschaft bestünde demnach zu einem nicht geringen Teil in der stetigen Arbeit an unseren Vorur|teilen. Zeitgenossenschaft verlangt vom Prediger, von der Predigerin, dass sie zwar dicht an der Zeit dran sind, ihre Predigt aber nicht ganz in der Zeit aufgehen lassen. Sie muss um der jeweiligen Zeit und Geschichte willen etwas Widerständiges behalten. Fehlt ihr dieser Widerstand, dann steht die Predigt in der Gefahr, die Zeit mit Hilfe interessieren nicht die ursprünglichen Autoren und ihre Intentionen, sondern die Redaktoren und insbesondere die Letztredaktion, die das Ganze zum Kanon zusammenschließt.“ 44 Das wäre gegen Assmann, Fünf Stufen, festzuhalten. Im Zuge der „Enthistorisierung“ von Texten durch Kanonbildung geht es m.E. weniger um die Alternative Autor versus Redaktor. Und es ist auch nicht so, dass sich dabei der Autor mit seinen ursprünglichen Intentionen durch die Fülle der redaktionellen Bearbeitungen vollkommen verflüchtigt. Autor und Redaktor(en) bilden vielmehr gemeinsam eine Tradition aus, in der der Autor vom Redaktor nicht vollkommen verschluckt wird, sondern auch jeweils neu zur Geltung gebracht werden kann. Der Autor redet ja in den Redaktoren weiter. Aber er redet eben jetzt in einer neuen Zeit und hat deswegen – gerade wenn er sich treu bleiben will – immer wieder auch Neues und Anderes zu sagen. So jedenfalls haben diejenigen den Prozess der Kanonisierung von Prophetenbüchern verstanden, die die Stimmen der Propheten und der Redaktoren in einem Buch zusammenfließen ließen, ohne sie voneinander zu scheiden. Alles, was da in dem jeweiligen Buch steht, ist geschriebenes Wort und Stimme des einen in den Prophetenbuchüberschriften genannten Propheten. Von dieser Buchkonzeption her gilt umgekehrt: nicht die Redaktoren verschlucken den Autor, sondern der Autor die Redaktoren. Sie haben kein anderes Gesicht und keine andere Stimme und daher auch keine andere Intention als die des Propheten selbst.
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der eigenen Vorurteile immer nur zu salvieren, dann fehlt ihr die Urteilskraft und damit die Kraft des Prophetischen. Es war wiederum Leo Baeck, der dies in seinem Aufsatz „Predigt und Wahrheit“ den Predigern und Predigerinnen eindrücklich ins Stammbuch schrieb: „Denn die, sehr wohl verständliche, Neigung aller Predigt ist, dass sie ,modern‘ und ,von heute‘, dass sie zeitgemäß, ,up to date‘ sein will. Aber wenn der Religion, in ihrem Wesentlichsten und Innerlichsten, irgend etwas widerspricht, so ist es dieses Attribut ,von heute‘ oder wie sonst es heißen mag. Religion ist immer die Ablehnung der drei ,M‘, vor denen Friedrich Nietzsche gewarnt hat: Moment, Meinung, Mode. Eine zeitgemäße Religion, ein zeitgemäßes Judentum, das wäre ein Widerspruch in sich, eine contradictio in adjecto [...] Die große schwere Aufgabe, die vor der Religion steht, ist nicht die, daß sie es suche, wie sie mit dem Tage in Übereinstimmung komme, um Menschen von heute anzuziehen. [...] Das Gebot, durch das allein sie lebt, ist das umgekehrte: das ganze Leben durch jeden seiner Tage in Übereinstimmung zu bringen mit der Religion, ,die Welt‘, wie das alte Wort unseres Gebetes sagt, ,zu ordnen durch das Gottesreich‘.“45
Um nicht mehr und nicht weniger als die Neuordnung der Welt, der eigenen Zeit und Geschichte, durch das Gottesreich, also durch die Geschichte Gottes mit der Welt, ginge es in der prophetischen Predigt. Diese Neuordnung der Welt durch das Gottesreich macht den Richtungssinn aus, von dem ich sprach. Sie nimmt der Zeit ihre Zufälligkeit und Beliebigkeit und rückt unsere Vorurteile zurecht. Damit wird ein zuweilen verborgener Zusammenhang hergestellt, von dem die Propheten wussten und den sie immer wieder aufzuzeigen suchten. Und dieser Richtungssinn weist schließlich auch hinüber in das Neue Testament. Denn die Ansage des Reiches Gottes in der Zeit, das war ja die Aufgabe, in der sich der Nazarener als Erbe der Propheten seines Volkes wusste.46 Die Geschichte des Gottesreiches, sein Regiment inmitten der Regimente der Welt, das zu bezeugen die Propheten nicht müde wurden, und das von ihren Schülern über Jahrzehnte und Jahrhunderte fortgeschrieben wurde, gibt der prophetischen Predigt einen festen Standort in der Zeit. Sie weiß um ein Vorher und ein Nachher, um Umwege und Abwege, um Ursprung und Ziel. Nur dieser Richtungssinn des Gottesreiches bewahrt eine notwendig zeitnahe Predigt davor, | sich an die Weltreiche und ihre wechselnden Zeiten zu verlieren.47 45
Baeck, Wege im Judentum, 233f. Miskotte, Wenn die Götter schweigen, 290: „Wohl kennt auch das Neue Testament am Rande, unter den Charismatikern der Gemeinde, ,Propheten‘; sie sind aber eher Begleiter und Ausleger des apostolischen Wortes; und es ist anzunehmen, daß diese Gestalten beim Schwinden der Naherwartung ganz in den Hintergrund geraten sind. Die Prophetengestalt des Alten Testaments hat denn auch eher in dem Christus selbst ihren vollen Wuchs erreicht.“ 47 Da für L. Baeck das Judentum die prophetische Religion schlechthin war, hat er ihm insgesamt diese Aufgabe angetragen: „,Wir sind die Dichter einer Tragödie‘ – das ist 46
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Ein biblisches Beispiel soll abschließend zeigen, wie prophetische Predigt durch „nachschaffende Beredsamkeit“ und unter Beachtung der doppelten Voraussetzung des Prophetenkanons einerseits und der Zeitgenossenschaft andererseits wahrgenommen wurde.
5. Die „Bilder“ des Propheten Die Namen der beiden Propheten Haggai und Sacharja sind bleibend mit dem Projekt des Wiederaufbaus des Jerusalemer Tempels48 nach dem Exil und der Neuordnung der Verhältnisse in der persischen Provinz Jehud verbunden. Die Überlieferung beider Propheten wurde wahrscheinlich schon sehr früh nach deren Auftreten in Jerusalem verschriftet und zu einem „Zweiprophetenbuch“ zusammengestellt, das zunächst lediglich Hag und Sach 1–8 umfasst haben dürfte.49 Das beide Bücher zusammenbindende Überschriftensystem besteht | aus chronologischen Notizen, die einen Zeitraum von exakt 2 Jahren, drei Monaten und 8 Tagen im Blick haben.50 Mit diesem chronologischen System von Teilüberschriften wird aber nicht der letzte Sinn unseres Judentums. Wie ein großes Drama in der Welt ist das Judentum, und wir sind die Dichter dieses Dramas. Um der Welt willen in der Welt leben, um der Welt willen der Welt widersprechen, um der Welt willen anders sein, das Nein gegen so vieles sprechen, um das große Ja sprechen zu können, um des Einen willen, des einen Gottes, des einen Gebotes, des einen Menschentums wegen gegen so vieles, ja gegen alles sonst sein können, um der Zukunft willen so manchen Erfolg ablehnen, jedem Tag seinen Platz und sein Recht geben und doch, um die Idee zu wahren, gegen jeden Tag sein können, zu jedem Anfang bereit sein und doch immer des ,Endes der Tage‘ bewußt bleiben – das ist das Drama, dem wir zugehören, das wir gleichsam dichten“ (Baeck, Wege im Judentum, 239). 48 Marinkovic, Tempel, versucht den Nachweis zu führen, dass bei Protosacharja der Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels – wenn überhaupt – dann nur am Rande eine Rolle gespielt habe. Delkurt, Nachtgesichte, hat sich dieser Auffassung angeschlossen und meint darüber hinaus in Sach 1–8 eine kultkritische Tendenz festmachen zu können. Siehe dagegen meinen Aufsatz (Lux, Zweiprophetenbuch, 3–26), in dem ich versuche, deutlich zu machen, dass eine derartige Sicht der Dinge der Kompositionsstruktur beider Prophetenbücher kaum entsprechen dürfte. 49 Siehe dazu Lux, Zweiprophetenbuch, 3–26. Für diese Zusammenstellung zu einem Zweiprophetenbuch Hag 1–Sach 8 spricht unübersehbar die redaktionelle Chronologie in Hag 1,1.15a.b; 2,1.10.18.20; Sach 1,1.7; 7,1, die sicherstellt, dass die entsprechenden Buchteile nicht nur in einer sachlichen, sondern auch in der chronologischen Abfolge gelesen werden sollen, in der sie R präsentiert. Von Sach 9,1 an wird von einem anderen Teilüberschriftensystem (ēĬġ in 9,1; 12,1; Mal 1,1) Gebrauch gemacht. Damit wird das in Hag 1–Sach 8 vorliegende Zweiprophetenbuch noch einmal erheblich erweitert | und in einen noch weiteren Lesezusammenhang gestellt, der hier aber unberücksichtigt bleiben muss.
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nur festgehalten, dass das Wort der beiden Propheten fest an Zeit und Stunde gebunden war, sie gewähren uns auch einen Einblick in ihr Zeitverständnis: „Im zweiten Jahr des Königs Dareios, im sechsten Monat, am ersten Tage des Monats, erging das Wort JHWHs durch Haggai, den Propheten an Serubbabel, den Sohn Schealtiels, Statthalter von Juda, und an Joschua, den Sohn Jehozadaks, den Hohenpriester, folgendermaßen ...“ (Hag 1,1)
Der in diesem und den anderen Teilüberschriften benannte jeweilige Termin wird vor allem von zwei Größen definiert, vom Perserkönig Dareios I. (522–486 v. Chr.) und vom ėĘėĜČīĔĖ, dem „Wort JHWHs“. Zeit, das macht die Königssynchronie in der Überschrift deutlich, ist nach dem Selbstverständnis des Autors wie im ganzen Alten Orient immer Königszeit, die nach Regierungsjahren gezählt wird. Er, der weltliche Herrscher verkörpert nicht nur das Gesetz, sondern auch die Geschichte.51 Diese Geschichte ist mit dem Kommen und Gehen ihrer Herrscher aber keine autonome Größe. Das Kontinuum weltlicher Herrschaft wird immer wieder durchbrochen von der Kontingenz des Wortes JHWHs, durch das die Weltgeschichte zur Geschichte Gottes wird. Durch seine Boten, die Propheten, greift er von Zeit zu Zeit in die Geschichte ein. Dieser Eingriff stellt so etwas wie eine Unterbrechung der Geschichte, ein Innehalten in der Zeit dar. Er schafft Raum, das, was an der Zeit ist, mit anderen Augen zu sehen. An der Zeit war für die Adressaten Haggais und Sacharjas die Sorge um das eigene tägliche Ein- und Auskommen. Die Zeiten waren mäßig, die Ernten dürftig, Wohlstand und Erfolg ließen auf sich warten (Hag 1,5ff; 2,16; Sach 8,10). Die ökonomische Lage ließ offensichtlich noch nicht den Wiederaufbau des Tempels zu (Hag 1,2). Dieser verbreitete Zeitgeist wurde durch den Eingriff des Wortes Gottes, das Haggai auszurichten hatte, auf den Kopf gestellt. Die wirtschaftliche Misere, so der Prophet, sei kein Grund, den Wiederaufbau zu verzögern, sie sei vielmehr die Folge dieser Verzögerung selbst. Weil die Bewohner Jerusalems selbst in überdachten Häusern wohnten (1,4), ein jeder nur rannte, um für sein eigenes Haus zu sorgen (1,9), aber JHWHs Haus wüst da lag, deswegen sei ihre Arbeit bisher vergeblich gewesen (1,10f), habe JHWH seinen Segen zurückgehalten. Daher wäre der Tempelbau kein lästiger Störfak|tor, sondern läge im ureigensten Interesse der Jerusalemer selbst. Mit dem Tag seiner Grundsteinlegung, dem 24.9.,52 würde sich die Situation schlagartig wandeln. Von diesem Tage an würde JHWH seinen Segen geben (2,19). Ja es würde eine 50 Das erste Datum in Hag 1,1 ist der 1.6. im zweiten Jahr des Königs Dareios ( = 29.8.520 v. Chr.), das letzte Datum in Sach 7,1 der 4.9. im vierten Jahr desselben Königs ( = 7.12.518 v. Chr.). 51 Siehe dazu Assmann, Fünf Stufen, 84f.
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weltweite Erschütterung ausgelöst, in deren Folge die Völker kostbare Gaben zum Tempel nach Jerusalem brächten (2,7), der Thron der Königreiche umgestürzt, sein militärisches Machtpotential vernichtet würde (2,22), und der Davidide Serubbabel von JHWH schließlich wieder den Siegelring der Herrschaft empfinge (2,23).53 Diese geschichtliche Perspektive der Hoffnung, die Haggai mit der Grundsteinlegung des Tempels verband, wurde in den Nachtgesichten des Sacharja (1,7–6,8) wieder aufgenommen.54 In einer Abfolge von sieben55 mentalen Bildern schaut der Prophet gleichsam die himmlischen Vorbereitungen für das irdisch-geschichtliche Geschehen, das sein Zeitgenosse Haggai angesagt hat.56 Sacharjas Bilderzyklus kann man wie einen Flügelaltar betrachten. 57 | Auf der mittleren Tafel schaut der Prophet den sieben mal siebenflammigen Leuchter als Symbol der sichtbaren und gleichzeitig verborgenen Präsenz JHWHs in seinem himmlischen Heiligtum (Sach 4). Die mittlere Tafel hat jeweils drei Seitentafeln. Die äußeren Seitentafeln stellen 52
Dass dieses für die Chronisten des Zweiprophetenbuches die entscheidende Wende zum Heil markierte, wird schon daran deutlich, dass es das einzige mehrfach genannte Datum ist und gleich dreimal den Lesern eingeschärft wird (Hag 2,10.18.20). 53 Siehe zu den universalen Aspekten der Tempel- und Serubbabelweissagung Lux, „Wir wollen mit euch gehen ...“, 241–265. 54 Nogalski, Literary Precursors, hat auf das „Catchword Phenomenon“ hingewiesen, nach dem im Dodekapropheton die einzelnen Prophetenbücher an ihren Rändern durch charakteristische Stichworte miteinander verknüpft sind. Das trifft auch bei Haggai und Sacharja zu, wobei allerdings die Verbindung zu Sach 1,7ff weitaus deutlicher ist als zu Sach 1,1–6. Das erste Nachtgesicht (Sach 1,7–17) knüpft mit den Leitworten Ĩīēė (1,10f), ĤĘĤ (1,8) und ĔĞī (1,8) exakt an die Serubbabelweissagung in Hag 2,21f an! 55 Die überwiegende Zahl der Ausleger ist sich darin einig, dass Sach 3 nachträglich in diesen Bilderzyklus des Sacharja eingefügt wurde. Sowohl seine formale Gestalt als auch sein sachlicher Gehalt legen dies nahe. Siehe zur Begründung die Auflistung der Argumente bei Delkurt, Nachtgesichte, 145ff. 56 Zu einzelnen dieser mentalen Bilder und ihren Motiven des Sacharja finden sich materiale Entsprechungen in der Ikonographie des Alten Orients. Siehe dazu z.B. Uehlinger, Frau. Eine wirkliche Deckungsgleichheit zwischen dem altorientalischen Bildmaterial und denen der Nachtgesichte lässt sich allerdings kaum erreichen. Das liegt wohl an der besonderen Art dieser Nachtgesichte, die ich als mentale Bilder bezeichne. Damit meine ich Bildsplitter der realen Außenwelt des Menschen, die dieser ständig aufnimmt, die sich in ihm aber zu neuen, ganz eigenen und oft bizarren Bildkompositionen und Collagen zusammenfügen. Hier könnte man am ehesten einen Zusammenhang zwischen der Geistestätigkeit der Seher und der der bildenden Künstlern postulieren. Während aber der bildende Künstler seine Gesichte auf der Leinwand oder im Stein materialisiert, übersetzten die Seher Israels ihre Bilder in das Medium der Sprache, waren also Sprachkünstler. 57 Zum konzentrischen Bildaufbau der Nachtgesichte siehe die nach wie vor überzeugende Interpretation von Gese, Anfang und Ende der Apokalyptik.
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Himmelstorszenen dar. Im ersten Nachtgesicht (1,7–17) kommen die berittenen Boten JHWHs am Abend von einem Streifzug über die Erde zurück und melden Grabesruhe. Die ganze Erde liegt stille. Auf die Frage des Deuteengels, wie lange denn noch JHWH sich Jerusalems nicht erbarmen will, bekommt dieser zur Antwort, dass JHWHs Eingreifen zugunsten Judas und Jerusalems unmittelbar bevorstehe. Er eifert für Jerusalem, zürnt all denjenigen Völkern, die übel an seinem Volk handelten, und kündigt seine Rückkehr nach Jerusalem an, die ja mit der Grundsteinlegung zum Tempel auch in greifbare Nähe gerückt ist. Im letzten Nachtgesicht (6,1–8) lässt JHWH seine himmlischen Streitwagen wie die Sturmwinde in alle Himmelsrichtungen brausen. Wobei der Geist JHWHs von einem der Wagen selbst nach Norden gebracht wird, ausgerechnet in das Land, mit dem traditionell der Mythos vom „Feind aus dem Norden“ verbunden war (vgl. Jer 1,13f; 4,6; 6,1.22). Wird dieser Geist den Erzfeind Judas endgültig niederwerfen und befrieden? Zwischen diesen beiden äußeren Tafeln und der zentralen Tafel in der Mitte steht jeweils eine Doppeltafel. Den nächsten Ring um die zentrale Tafel bilden das zweite und das sechste Nachtgesicht, die den Außenaspekt des Gottesvolkes im Blick haben. Im zweiten Nachtgesicht (2,1–4) werden die im Symbol von vier Hörnern verdichteten aggressiven Völker dargestellt, die Israel zerstreut haben. Diese Hörner werden von vier Schmieden zerschmettert. Im sechsten Nachtgesicht (5,5–11) wird die ėĥĬī, die „Gottlosigkeit“ in Gestalt der fremden Göttin in einem Efa außer Landes geschafft.58 Das letzte Bildpaar, das die mittlere Tafel rahmt, beschäftigt sich mit inneren Aspekten Judas und Jerusalems. Nachtgesicht drei (2,15–17) zeigt einen Mann mit einer Messschnur, der ausgezogen ist, den Neubau der Stadtmauern (?) von Jerusalem auszumessen. Ihm wird bedeutet, dass Jerusalem künftig wegen seiner Menge an Mensch und Vieh eine offene Stadt sein wird, für deren Schutz JHWH als Feuerwall selbst einsteht. Nachtgesicht fünf (5,1–4) macht eine fliegende Schriftrolle sichtbar, auf der ein Fluch steht, der alle Diebe und Meineidigen im Lande trifft. Soweit die Bilder des Propheten. Was er uns in seinem Flügelaltar vor Augen führt, ist die Nacht des Umbruchs, der sich im Himmel bereits vollzieht. Diese Wende ist ganz und gar Gottes Tat. Alles, was geschieht, geschieht von ihm her. Bei Sacharja ist mit keinem Wort die Rede davon, dass Juda oder die Jerusalemer für dieses Eingreifen JHWHs irgendeine Vorleistung zu erbringen hätten. Der Umbruch entspringt dem freien Entschluss und Willen JHWHs. Sein er|neuerndes Handeln an Juda und Jeru58 Siehe dazu vor allem den bereits erwähnten Aufsatz Uehlinger, Frau, mit seiner weithin überzeugenden Interpretation.
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salem ist ein Akt der freien Gnade und des Erbarmens.59 Wenn man die Nachtgesichte, die den Kernbestand der Botschaft Sacharjas ausmachen, für sich liest, dann lassen sich diese nur so verstehen: Gott vollzieht die Wende, die Umkehr zu seinem Volk, und keiner sonst. Durch ihre chronologische Verknüpfung mit dem Haggaibuch, wird dieser Bilderzyklus des unbedingten Heils aber mit einer klaren Bedingung verknüpft, dem Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels, also mit der Ermöglichung zur vollständigen Wiederaufnahme des JHWH-Kultes in Jerusalem. Tempel und Kult werden zu den Bedingungen des Heils erklärt. Was bei Sacharja die erwartete Folge der Umkehr JHWHs zu seinem Volk ist (1,16), der Tempelbau, das ist bei Haggai die Voraussetzung. Diese Beobachtung ist lehrreich. Zwei JHWH-Propheten treten in Jerusalem fast gleichzeitig auf. Sie setzen offensichtlich beide ihren ganz eigenen theologischen Akzent. Während der eine, Haggai, appelliert und aktiviert zum Neubau, verharrt der andere ganz in der Schau dessen, was er von JHWH her erwartet. Haggai der Praktiker und Sacharja der Visionär, der Propagandist und der Seher, sie haben beide dieselbe geschichtliche Stunde vor Augen und beurteilen doch das, was an der Zeit ist, auf je eigene Weise. Das hängt wohl von der Perspektive ab, mit der sie sich ihrer Lebenswelt annähern. Haggai betreibt – wenn man so will – eine Theologie von unten. Erst muss die verwüstete irdische Wohnstatt JHWHs in Ordnung gebracht werden, damit dieser wieder einen Ort hat in der Welt, an dem er angebetet werden kann und von dem aus sich sein Segen über das Land ergießt. Sacharja betrachtet hingegen die Welt vom Ort des himmlischen Herrschers aus. Der ist nicht angewiesen auf das Tun der Menschen, aber er nimmt teil an ihm, greift immer wieder überraschend, gleichsam über Nacht ein, um einen neuen Anfang zu setzen. Diejenigen, die die Überlieferung dieser beiden Propheten in eine chronologische Abfolge gebracht haben, indem sie sie zu einem Zweiprophetenbuch verknüpften, haben damit zunächst einmal beiden ihren Respekt gezollt. Keiner der beiden fiel der theologischen Zensur zum Opfer. Daraus ist für eine prophetische Predigt in nachschaffender Beredsamkeit zu lernen, dass es unterschiedliche prophetische Blickwinkel und Einsichten in das gibt, was an der Zeit ist. Prophetische Predigt verträgt Vielstimmigkeit und unterschiedliche Theologien, Mehrperspektivität, ohne dabei in der Beliebigkeit zu verkommen. Gleichzeitig aber hat die Vorordnung des Haggaibuches vor den Propheten Sacharja ein theologisches Lese- und Deutungskonzept angeboten, in dem nun doch – das mag dem protestantischen Theologen missfallen oder nicht – das Handeln der Menschen dem Gottes vorgeordnet wurde. Vom aktiven Tun der Jerusalemer am Tempel 59
Vgl. vor allem Sach 1,12–17.
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würde ihr Ergehen abhängen. Die Nacht des Aufbruchs Gottes, die Sacharja in seinem großartigen Bilderzyklus schaute, ist nicht die Voraussetzung, sondern die Folge der menschlichen Tat am lichten Tage, durch die der Mensch Gott einen Ort in der Welt bereitet. | Dieser theologische Richtungssinn ist von einer späteren Redaktorengeneration noch einmal aufgenommen worden. Sie fügte zwischen der Überlieferung Haggais und den Nachtgesichten den sogenannten Sacharjaprolog ein (Sach 1,1–6).60 Man kann diesen Prolog als ein Predigtsummarium61 verstehen. Er möchte aber nicht nur eine Zusammenfassung der Botschaft Sacharjas bieten, sondern diesen kühnen Visionär heimholen in die Traditionskette aller „früheren Propheten“, die den Vätern predigten. 62 Den Kern dieses Prologes bilden eine Umkehrforderung und eine Verheißung: „Kehrt um zu mir, Spruch JHWH Zebaots, denn63 ich will umkehren zu euch, spricht JHWH Zebaot.“ (Sach 1,3)
Was der Prophet Sacharja nach diesem Prolog im Auftrage JHWHs von seinen Hörern gefordert habe, das sei schon immer die Botschaft aller früheren Propheten gewesen, nämlich die Umkehr der Väter von ihren bösen 60
Die Zugehörigkeit des Sacharjaprologes zum Überlieferungsgut des Propheten selbst ist umstritten. In letzter Zeit häufen sich allerdings die Stimmen derer, die in diesem Prolog ein sekundäres Stück sehen. Siehe zur Diskussion vor allem Schöttler, Gott, 41ff.401ff. Da Sach 1,1 sich deutlich von den anderen Teilüberschriften im Zweiprophetenbuch unterscheidet und das einzige Datum ist, das in der Chronologie noch einmal hinter ein bereits genanntes Datum, den 24.9., zurückgreift, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass diese Teilüberschrift nachträglich in das System der anderen eingefügt wurde. Wenn dies aber der Fall ist, dann kann Sach 1,1 nur die Funktion gehabt haben, auch den Sacharjaprolog nachträglich in das bereits vorgegebene Zweiprophetenbuch einzuführen. Siehe zur ausführlichen Begründung meinen Aufsatz Lux, Zweiprophetenbuch, 3–26. 61 So die zutreffende Charakterisierung von Tigchelaar, Prophets, 72f: „A Summary of Sermon“. 62 Mit diesem Prolog stehen wir in der Nähe derjenigen Stimmen, die das Ende der Prophetie einläuten (vgl. Sach 13,3–5). Hier wird bereits die Geschichte der Prophetie summiert und als ganze überblickt. 63 Über die Bedeutung der Kopula Ę, die den Zweizeiler verbindet (ĔĘĬēĘ) herrscht keine Einigkeit. Hanhart, Sacharja, 39, u.a. vertritt die Auffassung, dass es offen sei, ob die Kopula mit „denn“ oder „auch“ wiedergegeben werden müsse. Da er Sach 1,1–6 nicht einer nichtsacharjanischen Redaktion zurechnet, interpretiert er 1,3 vom Gesamtzeugnis des Prophetenbuches her, wonach die Umkehr Israels als Bedingung für die Umkehr JHWHs zu seinem Volk ausgeschlossen sei, das heilvolle Handeln JHWHs dem Handeln des Volkes im Tempelbau vorausgehe. Damit wird aber m.E. sowohl die Leserichtung von Haggai zu Sacharja 1–8, als auch die von V. 3a zu b und V. 16 umgekehrt. Nimmt man den chronologisch geordneten Ablauf der Ereignisfolge ernst, dann muss die Umkehr Israels als Bedingung für eine Rückkehr JHWHs verstanden werden. Dafür spricht auch das Sinngefälle in 1,4ff.
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Wegen und Taten (1,4). Diese aber hatten nicht gehört, weswegen sie der Zorn Gottes traf (1,2). Erst Sacharja habe mit seiner Predigt einer ethischen Umkehr Erfolg gehabt (1,6). Erst die vollzogene Umkehr – so die neue Lesekonzeption – löste | also das himmlische Geschehen aus, das dem Sacharja dann in seinen nächtlichen Gesichten widerfuhr und löste damit auch die Verheißung der Umkehr JHWHs zu seinem Volk ein. Der nachexilische Künder des bedingungslosen Erbarmens JHWHs mit seinem Volk, Sacharja, wurde heimgeholt in die Gemeinschaft der vorexilischen Umkehrprediger.64 Es ist davon auszugehen, dass der Redaktor, der diesen Prolog vor die Nachtgesichte stellte, in einer anderen geschichtlichen Stunde wirkte als Sacharja, die sich vor ihre eigenen Fragen und Notwendigkeiten gestellt sah. Der Zweite Tempel stand. Die kultischen Voraussetzungen für ein gedeihliches Gottesverhältnis waren gegeben. Die ethischen Voraussetzungen waren dagegen wohl in eine erneute Krise geraten: „Böse Wege und böse Taten“ bestimmten wie bei den Vätern die Gegenwart. Daher lässt Gott seinem Volk nicht zu jeder Zeit dasselbe sagen. Es gibt geschichtliche Stunden, in denen das Trostwort vom Erbarmen sein uneingeschränktes und bedingungsloses Recht behält, in dem die visionären Bilder der Hoffnung den dunklen Vorhang der Geschichte für einen Moment zur Seite schieben und einen Blick in das Geschehen gewähren, mit dem der verborgene Gott den Seinen unabhängig von ihrem Tun schon jetzt entgegen kommt, aus reinem Erbarmen! Und es gibt Stunden, die die strenge Mahnung zur ethischen Umkehr brauchen. Nicht die immer und zu jeder Zeit „richtige Theologie“ macht demnach den Propheten zum Propheten, ob er nun das Erbarmen Gottes dem Gebot vorordnet oder das Gebot der Umkehr dem Erbarmen, es ist vielmehr die zeitwache Wahrnehmung dessen, mit welchem Wort Gott in der jeweiligen geschichtlichen Stunde zur Sprache kommen will. Gottes Wort entzieht sich den menschlichen Richtigkeiten, um gerade darin dem Menschen richtend und rettend in der Zeit nahe zu bleiben. Dieses Wort aber, das nicht in menschlichen Richtigkeiten aufgeht, behält bei aller Variabilität und Verflochtenheit in die Zeit doch einen Richtungssinn. Und der ging auch durch die unterschiedlichen theologischen Akzentuierungen bei der Entstehung des Zweiprophetenbuches Haggai – Sacharja 1–8 nicht verloren. Die bleibende Erwartung, das bleibende Ziel der Geschichte ist nicht der Rückzug Gottes aus dem Zeitgeschehen sondern sein Kommen und Eingreifen. Dies wäre in der Auseinandersetzung mit den Prophetenbüchern für eine prophetische Predigt heute zu lernen. Die prophetische Predigt, die 64 Das wird auch daran deutlich, dass der Redaktor in 1,4 Jer 25,4–7 als älteres prophetisches Zeugnis zitiert.
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„den Sehern und Sehergenossen“ folgt, ist auf Urteilskraft und Richtungssinn angewiesen. Die Kraft zum rechten Urteil wächst ihr nur aus dem aufmerksamen Hören auf die Vielfalt der vorgegebenen prophetischen Zeugnisse und die aufmerksame Wahrnehmung der ebenso vielfältigen Lebenssituationen und geschichtlichen Konstellationen zu. Der Richtungssinn stellt sich ein, wenn der Prediger – um im Bilde zu sprechen – Witterung aufnimmt und einer Fährte folgt, die die Seher und Sehergenossen ausgelegt haben. Eine Fährte, die sich nicht in der | Dunkelheit der Geschichte verliert, sondern – wie Gerhard von Rad das ausgedrückt hat – etwas erkennen lässt „von dem Hinströmen der Geschichte auf die große Manifestation Gottes in der Geschichte“.65
65
von Rad, Wege Gottes, 223.
Abbildungen Was ist eine prophetische Vision? (29–53) Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8:
Keel, Jahwe-Visionen, 298. Keel, Bildsymbolik, 18. Ebd., 19. Ebd., 34. Keel, Jahwe-Visionen, 290. Ebd., 288. Keel/Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole, 347. Koch, Es kündet Dareios, 17.
„Wir wollen mit euch gehen ...“ (241–265) Abb. 1: Koch, Es kündet Dareios, 107. Abb. 2: Frei/Koch, Reichsidee, 172; vgl. Wiesehöfer, Persien, Tafel V, und Koch, Es kündet Dareios, 142. Abb. 3: Keel, Jahwe-Visionen, 176; vgl. auch Metzger, Königsthron, 211. Abb. 4: Frei/Koch, Reichsidee, 173; vgl. Koch, Es kündet Dareios, 140. Abb. 5: Koch, Es kündet Dareios, 131; vgl. Frei/Koch, Reichsidee, 177.
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Juda, das Erbteil JHWHs. Zur Theologie des Landes in Sacharja 2,14–16 bisher unpubliziert
Das neue und das ewige Jerusalem. Planungen zum Wiederaufbau in frühnachexilischer Zeit erstmals veröffentlicht in: S. Gillmayr-Bucher/A. Giercke/Chr. Nießen (Hg.), Ein Herz so weit wie der Sand am Ufer des Meeres. FS G. Hentschel (EThS 90), Würzburg 2006, 255–271
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JHWHs „Herrlichkeit“ und „Geist“ in Sacharja 1–8 bisher unpubliziert
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Register Stellenregister 1. Biblische Texte Genesis 1,14–19 2,10 2,21 3 3,14f 4,20 5 6,12f 6,17 7,21 8,17 9,2f 9,11 9,15ff 10 13,1f 13,17 15 15,14 18,2 18,7 18,16 18,22 19,5 19,8 19,10 19,12 19,16 19,24 20,3 22,3 22,5 22,19 24,53
215 210 62 296 120 274 120 188 188 188 188 120 188 188 81 169 93 167 166f 287 95 287 287 287 287 287 287 287 212 200 95 95 95 166
28,10ff 31,9 31,16 31,24 31,42 37–50 39,21 41,42 46,2 47,13–26
132 166, 171 166, 171 200 171 169 169 169 200 169
Exodus 1,5 1,10 3 3,1–15 3,2 3,5 3,21f 3,21 3,22 4,10–14 6,7 6,21 9,32 11,2f 11,2 11,3 12 12,35f 12,36 13,21f 14 14,24 15,12
81 169 269 158 97, 212 84 122, 166, 177 169, 171 168, 171, 178 49 77 154 98, 212 166, 177 122 169 174 122, 166, 168, 177 169, 171, 178 97, 212 174 98, 212 82
350 15,13 15,17 15,20f 15,21 19,5 19,18 20,4–6 20,5 20,12 20,18 21,2 22,13 23,15 24,10 24,16ff 24,17 25–31 25,3ff 25,8f 25,8 25,9 25,31–40 25,31 25,37 25,40 26,33 29,45f 29,45 29,46 32–34 32,20 33,6 33,11 33,18 33,22f 34,7 34,20 35–40 35,4ff 35,5ff 35,22 35,32 37,17–24 37,17 37,23 40,34f
Register 83f 83f 75 251 82 97, 212 34 102 105 97f, 212 171 166 171 152 158 98, 212, 234 172 172 297 78, 82, 158, 259 230 153, 216 153 153 230 82 158 78, 259 259 172 172 172 296 256 256 102 171 172 172 173 172 172 153, 216 153 153 98, 212
Levitikus 9,23f 10,2 11,45 12,4 14,43 15,31 16,16 16,33 17,14 18,24–28 19,30 20,3 22,33 26,11f 26,11 26,12 26,45 27,2–7
158, 234 98, 212 79 82 273 98 98 82 188 83 82 82 79 78 98 77 79 118
Numeri 3,4 3,27–32 3,27 7 8,1–4 8,2f 8,2 8,4 9,15 11,13 11,26 11,29 14,14 14,18 15,41 17,7 18,15 22–24 22,21–34
98, 212 154, 214 154 173 153 152 153 153 97, 212 98, 212 299 304 97, 212 102 79 98, 212 188 46, 294f 294
Deuteronomium 4,1–40 4,1 4,2 4,5
161 103 199 103
351
Stellenregister 4,9f 4,12 4,14 4,15 4,20 4,24 4,33 4,36 5,8–10 5,9 5,16 5,24 5,26 5,31 6,1 6,6f 6,20ff 7,6 7,25 9,3 10,22 11,18ff 11,18–25 13 13,1 13,2ff 14,2 15,12–15 15,13 16,16 18,9–12 18,18 18,21f 20,1 24,16 26,15 26,16–19 26,18f 30,15–20 31,12f 31,14–30 31,19ff 31,19–22 31,22 32 32,8f 32,8 32,10
103 212 103 212 79 98, 212 212 212 34 102 105 234 188 103 103 103 103 79 172 98, 212 81 103 104 62 199 200 79 171 171 171 31, 62 103 281 284 102 84, 155, 188 79 79 104 103 114 44 114 103 44, 113f 81 85 256, 275
32,19f 32,22 32,25 32,44–47 32,46f 32,46 32,48–52 33,17 34,10
114 98, 212 114, 117 114 104 103, 114 114 210 103, 296
Josua 2,18ff 5,15 6 6,19 6,24 11,4 11,23 14,25
108 287 174 173 173 284 204 204
Richter 3,20 4,21 5,4ff 5,7 5,11 5,22 8,3 11 11,34 13,3 13,9 13,12ff 18,27 19,25
149 62 174 96 96 284 221 77 76 287 287 287 204 108
1. Samuel 9,3 18,6f 25,8 25,14 30,22 31,12
95 76 95 95 166 181
2. Samuel 1,20f
76
352 1,24 6,1–11 7 7,5 7,8 7,19 7,21 7,25 7,29 8,10f 14,2 21,20 22,43 24,16ff
Register 111 184 128 13 13, 251 13 13 13 13 173 111 149 108 132
1. Könige 3,5 5,15ff 5,20–32 5,25 6,12f 6,13 6,16 7,13–22 7,27 7,28 7,30 7,32 7,34f 7,37–39 7,49 7,50 7,51 8,6 8,11 8,12f 8,13 8,14–66 8,16 8,27 8,27–29 8,29 8,44 8,48 8,52f 9,3 9,10–14
200 138 136 138 158 78, 259 82 41 218 218 218 218 218 218 153 82 173f 82 98, 212 158 80 160 83 295 161 161 83 83 161 161 138
9,11 11,13 11,32 11,34 11,36 11,38 14,21 14,26 15,15 15,18 18,38 20,1 21,19 22 22,11 22,19ff 22,19 22,21
178 13, 83 13, 83 13 13, 83 13 83 174 173 173f 212 284 108 269 57, 210 81 153 153
2. Könige 1,10 1,12 2,23f 4,3 5,17 6,5 6,14f 9,36 12,14ff 12,19 14,6 14,14 15,12 16,8 16,17 17 17,7–18 17,21–23 19,14–19 19,21 19,34 20,6 21,16 22,11 23,11 23,27 24,13
98, 212 212 108 166 83 166 284 149 173 174 102 173f 149 173f 218 134 238 238 161 76 13 13 83 184 156 83 173f
353
Stellenregister 24,14 24,16 24,24ff 25,8f 25,8 25,11f 25,13 25,15 25,16 25,23
211 211 242 86 25, 86 242 218 173f 218 86
Jesaja 1,2 1,8 1,15 2,2–4 2,12–17 2,20 4,5 5,25 6 6,1–13 6,1–4 6,5 6,8 8,2 8,11 8,18 9,18 10,5ff 10,6 10,16 11,6–8 11,9 12,6 13,16 14,1 14,2 14,7 14,29 15,3 16,1 16,13 20,2f 21,1–10 24,11 24,23
105 76 161 78, 260 185 172 98, 212, 274 108, 111 269 297 196 49, 184 269 7 105 80 98, 212 207 108 98, 212 120 82, 121 74, 76 109 78, 260 82 204 74 108, 111 76 149 307 33 108 98, 212, 274
25,4 28,16 28,26 29,1ff 29,7 30,22 30,27 30,30 31,7 33,5 35,10 37,3f 37,14–17 37,22 40,1–11 40,1–8 40,1–2 40,3–5 40,5 40,6ff 40,6 40,19f 40,19 41,6f 43,28 44,9–20 44,24–45,7 44,26–28 44,26 44,28 45,1ff 45,1 45,13 46,6f 47,6 49,14–26 49,14–17 49,26 50,6 51,11 51,18 51,20 51,22 51,23 52,1 52,7–10 52,7–9 54,1
221 129 105 212 200 172 212 212 172 259 74 105 161 76, 149 196 269, 307 197 197 188 269 271 182 172 182 207 182 281 86 294 125, 131, 134, 178, 202 125 242 202 182 207 117 86 188 307 74 116 108, 116 117 108, 116 82 196 86 74, 259
354 56,3ff 56,3 56,6 56,7 57,13 57,15ff 58,1 58,8 60 60,1ff 60,1f 60,1 60,5ff 60,5 60,9 60,11 60,12 60,13 61,4 61,6 62,11 63,15ff 63,16 63,18 64,7 65,11 65,17–25 65,20 65,25 66,1f 66,10 66,12 66,13 66,1f 66,20
Register 79 78, 260 78, 260 82 82 151 271 234 260 78 98, 212 234 247 15 175 15 175 15, 82 86 15 76 151 105 82 105 82 117 120 82, 120f 163 74 15 105 136 82
Jeremia 1 1,4 1,6f 1,6 1,7 1,11f 1,13ff 1,13f 2,2 2,11
269, 307 269 95 49 269 297 297 319 271 274
3,4 3,12 3,17 3,19 4,4 4,6 4,31 6,1 6,2 6,10f 6,11 6,21 6,22 6,26 7,2 7,5 7,6 7,7 7,13 7,23 9 9,16 9,19ff 9,19–21 9,20 9,22 10,1–16 10,4 10,9 10,24 11,4 11,6 11,18ff 12,4 13,11 13,14 13,16 15,15 16,1ff 17,12 17,27 19,2 19,9 20,4ff 20,14–18 21,7 22,24–30 22,24f
105 271 260 105 110 319 76 279, 319 76 110, 112 69, 108, 117 102 319 111 271 24 24 78 24 77 110 111 112 111 108 111 182 172 172 105 77 271 307 69 77 102, 105 98 307 307 82 212 271 112 207 296 207 251 137
355
Stellenregister 23,5f 23,5 23,16ff 23,16–22 23,16 23,25ff 24,1 24,7 25 25,1–13 25,4–7 25,4f 25,11f 25,30 26,6 27,2ff 27,6 27,9 27,19 28,9 29,1 29,10 30,10 30,11 30,18 30,22 31,1 31,18 31,29 31,38ff 33,3 33,14ff 33,15 33,21f 33,26 33,33 35,15 36 36,21 39,10 40,6–41,3 41,4f 41,5 41,16 43,9 46,19 46,27 46,28
13f 13, 143 270f 31, 62 31 200 211 77 134 24, 238 322 238 141, 206 84, 188, 214 116 57 207 31, 62 218 281 211 141, 206 204 105 86 77 77 105 102 86 24 13 13f 13 13 77 24 44, 216 153 123 86 141 228 273 262 274 204 105
47,5 48,6–8 48,11ff 48,18 48,28 49,8 49,27 49,30 49,36 50,8–10 51,3f 51,4 51,6 51,45 52,12–14 52,12 52,17 52,19 52,20
182 279 204 274 279 279 212 279 210 279 116 108 279 279 86 86 218 173f 218
Ezechiel 1–3 1 1,4 1,28 2,2 2,9 3,5f 3,12 3,24–26 3,24 3,25f 4,1–6 4,1 4,7 4,16 5,5 5,11 7,15 7,19 8 8,1 8,3 8,6 8,16 9 9,1ff
269, 307 152 98, 212 234 299 216 269 299 297 299 88 303 88 88 88 88 82 108 108 232 229 299 82 156 232 88
356 9,6 10 10,4 10,18–22 11 11,1 11,6 11,15 11,22–25 11,22–24 11,22f 11,23 12 12,10 12,19 13 13,16 14 14,14 14,21f 16 16,1ff 16,17 18,2 18,20 19,2 21,7 21,27 22 22,19ff 23,38 24,16f 24,26 24,27 26,2 26,11 28,23 29,21 30,9 32,16 33,21 33,21f 34,21 34,23 36,18 36,33 36,38 36f
Register 82 80, 88, 98, 212 98, 158, 212, 234 151 232 299 108 123, 217 80, 229, 232 88, 98, 213 151 212 232 88 88 232 88 232 166 88 232 88 172 102 115 113 88 88 232 88 82 182 88 230 88 108 108 210 294 111 88 88, 230, 232 108 13, 251 83 86 88 232
37,9 37,24 37,26 37,27 37,28 38–39 38,8 38,10–13 38,10f 38,11 38,12f 38,12 38,16 38,19 38,22 39,6f 39,6 39,10 39,25ff 40–48 40–43 40–42 40,1–4 40,1 40,2 40,3ff 40,3f 40,3 40,1–43,12 40,5–42,20 41,4 42,15–20 42,20 43 43,1–12 43,1–5 43,2–4 43,2 43,4 43,6 43,7–9 43,7 43,9 43,12 43,13ff 44,1–3 44,2 45,1–8
210 251 98 78 98 99f 99 99 204 99f 99 80, 99 99 99 99 99 99 99 232 88f, 92, 100, 138, 229f, 234 86, 88 232, 297 88 88f, 230, 273 89 93 88f, 230 92 212 230 82 89 210 233 230 80, 88, 98 98, 212 156, 158 156 93 89f 98, 158, 259 78, 158, 259 101 230 230 156 89
357
Stellenregister 45,1–6 45,3 45,7ff 45,13ff 45,17 46 47,1–12 47,3 48,1–29 48,8–22 48,9–22 48,9–20 48,12 48,15ff 48,20 8–11
100 101 234 234 137 234 231, 233 93 89 100 89 100 101 92 100 88
Hosea 1,2ff 1,2f 2,10 4,6 7,1 7,12 7,15 8,4 9,1 10,10 11 14,1
269 307 172 104 108 105 105 172 74 105 105 109
Joel 2,10f 2,21ff 3,1 4,5 4,16 4,17 4,21
174 74 304 15, 175 174 82 75
Amos 1,4 1,7 1,10 1,12 1,14
212 212 212 212 212
2,1 2,2 2,5 3,8 5,16 5,18–20 6,8–11 6,10 7,1–3 7,4–6 7,7–9 7,14f 7,15 7,17 8,1–3 8,2f 8,3 9,1–10
181 212 212 303 108, 111 185 181 154, 180, 182, 185, 189 297 297 297 307 269 83 297 182 180, 185, 189 297
Obadja 1,16
82
Jona 1,2 3,2 3,6 3,7f 4,3–8
271 271 13 188 296
Micha 1,2f 1,13 2,2ff 2,10 3,8 4,1ff 4,1–3 4,3 4,8 4,10 4,13 7,8 7,10
183 76 262 83 299 262 78, 260 261 76 76 76 74 108
Nahum 1,2ff
174
358 2,5 2,10 3,2 3,8–10 3,10
Register 108 175 284 109 108, 112, 116
Habakuk 1–2 1,2 2,6–8 2,9–11 2,12–14 2,15–17 2,18f 2,19 2,20 3 3,3ff
184 69 184 184 184 184 182–185 183 154, 180, 183–185, 188f 182, 184 183
Zephanja 1,2–6 1,7 1,8ff 1,8 1,10 1,14–16 2,1–3 3,14f 3,14
184f 10, 154, 180, 184f, 189 185 185 185 185 185 74 76, 259
Haggai 1f 1,1–2,19 1,1 1,2ff 1,2–12 1,2–11 1,2–4 1,2 1,4 1,5ff 1,5–11 1,5–7 1,6 1,8
90, 138 124 5, 18, 133–135, 139, 201f, 228, 258, 283, 316f 87 20 136 91, 235 135, 317 87, 133, 201, 317 279, 317 91, 235 23, 245 96, 235 133, 136, 138, 201, 235
1,9–11 1,9 1,10f 1,12–14 1,12 1,13 1,14f 1,14 1,15–2,9 1,15 1,6f 2,1–9 2,1–4 2,1 2,2–9 2,2 2,3–9 2,3–5 2,3 2,4–8 2,4 2,6ff 2,6–9 2,6f 2,6 2,7f 2,7 2,8 2,9 2,10ff 2,10–23 2,10–19 2,10–14 2,10 2,15ff 2,15–19 2,15–17 2,15 2,16 2,18 2,19 2,20–22 2,20 2,21–23
23, 96, 235 243, 317 245, 317 135, 202 18, 91, 136, 235 294 14 18, 135, 228, 235 14 4f, 133, 258, 283, 316 235 16, 227 235 5, 201, 258, 283, 316 20 18, 135, 228 243 243 14, 91, 175, 201 15 18, 135 250 21, 78, 139, 174, 177f 249 9f, 15f 22 235, 318 15, 176 16, 136, 201, 227, 235 227 5, 9 21 5f, 228 5, 133f, 136, 226, 258, 283, 316, 318 235, 279 5f, 23, 87, 91, 235 96 228 317 4f, 134, 226, 243, 283, 316, 318 228, 317 5, 8, 10, 12–14, 16, 21, 53, 78, 137, 142, 160, 249 4f, 134, 226, 258, 283, 316, 318 10, 202, 243
Stellenregister 2,21f 2,21 2,22 2,23
12, 16, 139, 249, 318 9, 15, 18, 135, 228 9f, 13, 139, 250, 318 8, 12f, 18, 21, 137f, 228, 237, 318
Sacharja 1–8 1,1–6
1,1f 1,1 1,2–6 1,2 1,3–6 1,3f 1,3 1,4 1,6 1,7–6,15 1,7–6,8 1,7ff 1,7–17 1,7–15 1,7–11 1,7
1,8–6,8 1,8ff 1,8–17 1,8–15 1,8–11 1,8 1,9ff 1,9–12 1,9f 1,9 1,10f 1,10 1,11 1,12–17
3, 140, 243 7f, 22, 24, 134, 165, 186, 197, 223, 225, 228f, 270f, 275, 318, 321 125 5, 7, 133f, 225–227, 258, 278, 283, 316, 321 8, 24, 226f 8, 24, 225 225, 227 134 136, 196, 223, 236, 240, 321 24f, 238 8, 25, 227, 238, 291, 322 10, 16, 270 8, 21f, 134, 147, 237, 298, 318 10 37, 150, 157, 197, 239, 252f, 269–272, 283, 318f 11, 16, 194 8 5, 7, 22, 30, 52, 133, 162, 193, 201, 226f, 239, 258, 270, 277f, 283, 316 29 81 203, 222, 284, 287–289 193, 298 64, 94, 284, 290 9, 45, 60f, 65, 68, 147, 200, 270 31 283 298 67f, 94, 146, 298 9, 65 65, 68, 146 9, 11, 16, 60, 65, 68, 203, 252 284, 290, 320
1,12f 1,12 1,13ff 1,13–17 1,13f 1,13 1,14ff 1,14–17 1,14f 1,14 1,15 1,16f 1,16
1,17 2,1–4
2,1 2,2–4 2,2 2,3f 2,3 2,4 2,5–17 2,5–9
2,5f 2,5 2,6 2,7–9 2,7f 2,7 2,8f 2,8 2,9 2,10ff 2,10–17 2,10–13 2,10f 2,10
359 141, 285 51, 68f, 76, 85, 99, 141, 190, 206, 222, 272 206 68 298 68f, 94, 272 201, 298 18, 69, 146, 272, 285, 290 207 68, 94, 99, 269, 271f 24, 77, 119, 190, 221, 257, 275 147, 194, 207, 220 78, 80, 84, 91, 96, 98, 134, 140, 162f, 201, 207, 212f, 224, 234, 239, 320 76, 83, 208 51, 65, 75, 77, 119, 157, 190, 193f, 209, 222, 239, 253f, 275, 278, 298, 319 60, 64f, 92 67 31, 67f, 94, 146, 298 78 64f 31, 67, 69, 146, 203, 298 29, 157, 162f 4, 51, 67, 73f, 84, 91, 93, 96, 134, 154, 157f, 163, 186f, 193f, 211, 215, 220, 222, 230, 239, 287, 298 64, 92, 212 60, 298 93, 100, 146 92, 94 65 60, 68, 298 18, 99, 146, 159, 190, 274 69, 78, 100, 188, 259f 74, 78, 92, 99, 162, 188, 212, 238, 259 99 18, 146f, 154, 157, 186, 194, 211, 255 73–76, 189, 272f, 276, 280f 186f, 275 76, 203, 210, 255, 257, 298
360 2,11 2,12f 2,12 2,13 2,14–17 2,14–16 2,14f 2,14
Register
4,1–6 4,1
254 58, 186f, 256, 275 31, 77, 259, 273f 31, 60, 78, 99f, 190, 259, 273 186f, 238 73–84, 189, 260, 274 98, 159, 259 60, 73, 75f, 78, 84f, 162, 238, 281 319 31, 58, 77–79, 100, 162, 261f, 273 73, 80–85, 214 73f, 84, 155f, 158–160, 180, 185, 187–190, 211, 214f, 220, 222, 238, 274 10, 13, 20, 21, 58, 64, 84, 140, 143, 145, 148, 154–157, 163, 176, 188, 193f, 270, 272, 278, 318 81 29 4 60, 154 154 154 18, 146 18, 146f 13f, 18, 21, 60, 143, 202 60, 156 144 29, 10, 17, 21, 37, 39, 59, 65, 67, 141, 145–149, 152–154, 156f, 161f, 188, 190, 193f, 204, 211, 216, 222, 239, 289, 298, 318 148, 194 62, 68, 84, 155, 159, 188f
4,2f 4,2 4,4ff 4,4–10 4,4f 4,4 4,5
64f 60, 67, 150 298 149 31 67f, 146 68, 288
2,15–17 2,15 2,16 2,17
3
3,1ff 3,1–10 3,1–7 3,1 3,3 3,5 3,7 3,8–10 3,8 3,9 3,10 4
4,6–10
4,6f 4,6 4,7ff 4,7–10 4,7 4,8–10 4,9f 4,9 4,10–14 4,10 4,11ff 4,11–14 4,11 4,12f 4,13 4,14 5,1–4 5,1 5,2f 5,2 5,3 5,4 5,5–11 5,5 5,6 5,7 5,9 5,10 5,11 6,1ff 6,1–15 6,1–8
6,1–3 6,1 6,2f 6,4 6,5 6,6
17–19, 64, 96, 98, 134, 140– 142, 145, 147f, 157, 163, 194, 202, 216, 234f, 281 17, 146, 159 146, 220 162 124 162 17, 159 235, 238 19, 31, 58, 87, 91, 100, 137, 162, 187, 243, 259, 273 148, 194 41, 146, 150, 156, 162, 175, 203, 244 298 149 67, 146 31 288 146, 163, 203, 214 29, 155, 157, 193f, 216–219, 238, 298, 319 60, 65, 92 146 64, 67, 147 203 69 29, 157, 193f, 217, 219, 239, 298, 319 60, 67f 31, 64, 67, 146 60, 65 60, 65 68 203 10, 81 16 11f, 22, 29, 37, 59, 65, 150, 155–157, 160, 193f, 204, 220, 222, 239, 253, 285, 287, 289, 319 64 60, 65, 92, 147, 210 147 31, 67f, 146, 288 17, 146, 154, 203, 210 203
361
Stellenregister 6,7 6,8 6,9ff 6,9–15 6,9 6,10f 6,11 6,12ff 6,12 6,13 6,14 6,15 7–8 7 7,1–6 7,1 7,2–6 7,2f 7,2 7,5 7,7–14 7,7 7,9f 7,12 7,13 7,14 8,1–8 8,3 8,4f 8,7f 8,7 8,8 8,9ff 8,9–13 8,9–12 8,9 8,10–12 8,10 8,14–17 8,18f 8,19 8,20–22 8,22 8,23
287, 289 11, 69, 203, 221 147 12–14, 19, 21f, 138, 140, 143, 163, 176f, 194 221 16f 13, 15f 21 13, 18, 143, 202 13, 16, 20, 65, 230 16 32, 58, 99f, 187, 221, 259, 273, 282 22 141 235 5, 23, 133, 236, 258, 283, 316f 23 25, 140f 261 141, 203, 206 24f, 186, 227f, 239, 275 24, 271 26 24 271 256, 275 23 78, 82, 140, 159, 162, 196, 209, 224, 239 117 221 203 159, 186 140 23f, 256 235 23, 134, 234 91 96, 235, 279, 317 239 23, 261 235 119, 260f 162, 262 79, 261f
9–14 9,1 9,3 9,8 9,9f 9,9 10,5 12,1 13,3–5 14,14
3, 243 3, 316 108 161 74 76, 259 108 3, 316 321 175f
Maleachi 1,1 1,6 2,10 2,11 3,7 3,16–21 3,17 3,20 3,22–24
3, 316 105 105 253 240 103 103 156 102
Psalmen 2 2,6 6,4 9,15 11,4 14,2 17,8 18,7ff 18,37–39 18,43 22,4 24,1 24,7ff 25 26,8 29 31,12 32,8 33 33,13 33,18 34,16 35,27 41,7
14 82 69 76 183 151 256 183 116 108 274 82, 175 98, 212 260 98, 212 75 108 161 260 151 161 161 259 108
362 45,13f 46,5f 46,5 46,10 47,4 50,10–12 50,12 51,20 53,3 63,3 65,3 68 68,8ff 68,17 68,29f 68,30 69,36 72 72,10f 72,10 74,2 74,10 76,3 76,7 77,17ff 78,60 78,70 80,5 80,15 84,2ff 84,12 87 87,4–6 89 89,12 90,13 93 93,3ff 94,3 96,8 97,3ff 102,15ff 102,17 102,20 104 104,2 104,4 105,37
Register 247 80 82 212 116 175 82 86 151 98, 212 188 77 174 80 260 247 86 14 260 247 75, 80 69 80 284 174 259 251 69 151 80 156 260 79 14 82 69 128 75 69 98, 212, 247 234 86 98, 212 151, 161 234 158 212 166
106,20 110,1 112,9 113,5f 113,6 118,24 128 128,2f 137,4 137,8f 139,7 145,21 147,2 148,14
274 116 210 151 161 259 106 106 83 109 221 188 86 210
Hiob 1,6ff 1,7 2,1 2,13 4,12–16 4,13 11,9 12,10 15,13 16,15 19,26 20,8 29,7 33,15f 33,15 42,7
81 150, 154 154 182 62 200 93 188 221 210 273 200 119 62 200 273
Sprüche 7,12 22,13 30,5
108 108 199
Kohelet 12,5
111
Klagelieder 1 1,20 2 2,3
86 114 86, 112 210
363
Stellenregister 2,10f 2,10 2,11f 2,13 2,15 2,17 2,19–21 2,19 2,20–22 2,21 2,22 3,28 3,34 4 4,1 4,5 4,8 4,10 4,14 4,21 5,14
117 182 112 76 76 210 112 108, 116 112 108, 117 113 182 116 86 108 108 108 112 108 74 119
Ester 2,5 3,4 5,13 9,27
262 262 262 78, 260
Daniel 4,5f 7,2 8,8 9,2 9,17f 9,20 9,24 10,5ff 10,11ff 11,4
299 210 210 206 161 82 82 287 211 210
Esra 1–10 1–6 1 1,1ff 1,1–6
123–125 123, 126f, 131, 134, 248 122, 126 254 244
1,1–4 1,1f 1,2ff 1,2–4 1,2f 1,3–5 1,4–6 1,4 1,6 1,7–11 2 2,2ff 3 3,3 3,7 3,8ff 3,10 3,12 4 4–6 4,3 4,13 4,24 4f 5 5,1ff 5,1–5 5,1f 5,1 5,2 5,3 5,5 5,13–15 5,16 6 6,1ff 6,1–5 6,3ff 6,3f 6,3–5 6,3 6,4 6,6ff 6,7 6,8–10 6,14 7,6 7,10
176–178, 201 134 123, 236 126, 278 122, 136, 202 125 125 17, 177 17 124, 243 87, 280 280 87, 126 218 136, 138 122, 124 243 14 123 126 136 245 3, 162 139 126 124 162 122, 229 3, 7, 134, 177, 278 136, 162, 243 162, 245 162 177 87, 122, 243 126, 278 254 244 236 202 122, 125f, 177, 278 123 125, 244 245 136 125, 244 3, 7, 134, 177, 278 300 300
364 7,12–26
Register 125f
Nehemia 1,2 2,11–4,17 2,19f 3,15 3,119 3,33 4,6 5 5,4 6,1–7,3 7 7,4 7,7ff 7,72–8,13 7,72–8,8 8 8,9f 8,11 11,1 11,18 12,1ff 12,4 12,16
262 96 96 86 86 262 262 240 125 96 87, 280 91 280 123 183 300 183 183f, 190 82, 91 82 280 7 7, 42, 221, 247, 255, 258, 278
2. Chronik 3,8 3,10 4,14 5,1 5,7 5,14 6,15f 6,18–20 6,40 7,1ff 7,1 7,15f 12,9 12,15 13,22 16,9 20,25 22,11 30,6ff 30,27 35–36 36,15f 36,21 36,23
82 82 218 174 82 98, 212 13 161 161 98, 158, 212 234 161 174 7 7 150f 166 184 240 84, 155, 188, 214 123 294 206 202, 244
Matthäus 1. Chronik 2,6 3,19 6,34 9,26 17,4 17,17ff 21,8 23,18 24,22 26,20ff 26,23 26,29 28,12
149 137 82 174 13 13 13 154 154 174 154 154 174
9,20f 14,36 18,3f 19,14
263 263 121 121
Markus 5,25ff
263
Lukas 8,43ff
263
Offenbarung 21,3 21,22–26
164 164
365
Stellenregister
2. Apokryphen und Pseudepigraphen 3. Esra 2,1–14 3,1–5,6 4,33–41 4,37 4,43–46
2. Makkabäer 123 123–125 144 144 123
1,7
73
Jubiläenbuch 23,16–21
102
Sach- und Namensregister Abbilder 35 Abgötterei 114 Abwesenheit 35, 196 Abwesenheit Gottes 195 Abwesenheit JHWHs 204 Achämeniden 138, 247f Achämenidenzeit 247 Adad 132 Adad–guppi–Inschrift 130, 199, 221 Ägypter 166f, 170, 172, 176–178 Ahura Mazda 97, 158, 250 Akkad 198 Akrostichon 112 Aktualeschatologie 248 Akustik, innere 66 Allegorie 30 Allerheiligstes 82 Allgegenwart 152 Alltagskultur 36, 65 Alte 118–120 Amos 303 Angelologie 283, 287, 293, 299 angelus interpres 31, 49, 51, 74, 146f, 159, 187, 204, 206, 209, 270–272, 283–288, 290f, 298, 300 Anwesenheit Gottes 35, 189, 195, 212, 222 Apadana 97, 139, 246f, 262 applicatio 313f Araxa 279 Asarhaddon 129f, 141, 198, 200, 205f, 208, 215, 217, 221 Assur 119, 254 Assurbanipal 108, 132
Assyrer 210 Astralsymbole 215 Audition 51, 66, 285, 300 Auditionsbericht 284 Aufruf zur Flucht 74–77, 276f, 282 Aufruf zur Freude 74f, 77, 80, 84, 281 Augapfel Gottes 275 Auge, inneres 60 Augen des Königs 150 Augen JHWHs 41, 149, 151–153, 160f, 163, 190, 215 Augensymbolik 150 Ausbeutung 257 Außenräume 108 Autor 45 Autorperspektive 61 Awil–Marduk 90 axis mundi 183 Babel 76, 116, 119, 189, 198, 279 Babylon 117, 128, 213, 231, 245, 254 Babylonier 210 Baeck, Leo 305, 310, 315 Barmherzigkeit 209, 221 Behistun-Inschrift 9, 52, 87, 139, 205, 252 Berechja 7 Berg, heiliger 82 Berufung 269f, 282 Berufungsbericht 269, 271, 307 Berufungsvision 270f Bestattung 184 Bestattungskult 189 Bet–El 114
366
Register
Bild 29, 34, 42, 44, 46f, 50f, 54, 56, 58–61, 66f, 69f Bild–Anthropologie 34, 56f Bildarchiv 43, 46 Bilderverbot 34 Bildgedächtnis 36, 43, 46 Bildkommunikation 42, 55 Bildpraktiken 44 Bildsprache 60 Bildtraditionen 36 Bildwahrnehmung 44 Bildwissenschaft 56 Bileam 294, 296 Bisotun s. Behistun-Inschrift Bleideckel 217, 219 Boas 41 Bodenrecht 81 Bosheit s. ėĥĬī Boten JHWHs s. Engel Brandopferaltar 228 Buchrolle 36, 155 Büchse der Pandora 219 Bundesformel 78f, 260 Bundestheologie 79, 260 Charisma 304f, 307, 311 Christentum 73 Chronologie 7, 140 Darbringung 15 Darbringung v. Gaben 246 Dareios I. 5, 12, 52, 75, 87, 95, 97, 123–125, 133, 139, 162, 175, 197, 201, 210, 237, 242f, 245, 247, 251f, 258, 270, 279, 281, 289, 317 Dareios II. 3, 133, 201 Darstellung 66 Datierung 5 Davidide 16, 18, 21, 137 Deuteengel 17, 31, 68f, 94, 145, 222, 252, 272, 287, 289, 292f, 300, s. auch angelus interpres Deuterojesaja 222, 258 Deutung 66 Diasporajuden 262 dies irae 185 Diesseits 289 Divination 31
Divination, induktive 62 Divination, intuitive 46, 62 Echulchul 131f, 199, 205, 208, 210, 213, 221, 233 Edelmetalle 15 Edom 119 Efa 217 Eifer 207, 253 Einwohnung 80, 151, 158f, 212, 238, 281 Ekstase 32 Elija 103 Elija redivivus 103 Eliminationsritus 217 Eljon 81 Eltern 105 Eltern–Kind–Metaphorik 104f Endzeit 251 Endzeittempel 100 Engel 65, 94, 283f, 289f, 294f, 299f Entführungsszenen 262 Enthistorisierung 313 Enuma Elisch 128f Epha 36 Epiphanie 212 Erbarmen 68, 207, 320, 322 Erbrecht 81 Erde 293 Ereignis 45f Erinnerungszeichen s. ĢĘīĞę Erkenntisformel 277 Erkenntnisformel 80, 142, 187, 189, 273, 280 Erleben, visionäres 31 Erra–Epos 199 Erwählung 7, 21, 83 Erzähler 45 Erzberge 65, 220 Erzieher 105 Esagila 130, 141, 198, 213, 215 Esra 300 Evangelium 223–225, 239f Exil 69, 179, 190, 297, 316 Exoduserzählung 166, 168 explicatio 314 Ezechiel 222, 232, 297, 303 Ezechielschule 98, 100
Sach- und Namensregister
367
Fastenfrage 23 Fastenpredigt 22, 141 Festfreude 23 Feuer–Licht–Metaphorik 98 Feueraltäre 97, 158 Feuerkult 97 Feuermauer 97, 158, 188, 212 figurative policy 247 Fleisch 180, 188 Fluch 6, 23 Flucht 74, 168f Fortschreibung 77, 79, 312 Freude 74 Frieden 16 Friedensrat 16
Gottesberg 82, 140 Gottesbeziehung 85 Gottesbriefe 161 Gottesreich 315 Gottesvolk 260f, 263 Göttinnenkult 218 Gottvergessenheit 104 Götzenbilder 183 Götzenbildpolemik 184 Grenzbilder 49 Großfamilie 107 Großkönig 139, 251, 255, 257 Grundstein 5, 20, 132, 134, 137, 140, 142, 229, 235, 237, 318 Gründungsfiguren 130
Gaben 15 Gabriel 300 Gasse 107f, 111, 118 Gaumata 9, 52, 87, 139, 175, 205, 245, 279 Gedächtnis 43 Gedalja 86, 112 Gegenwart Gottes 84 Geist 193, 220 Geist JHWHs 220, 222, 299, 319 Gericht JHWHs 181 Gerichtshandeln 11, 104 Gerichtsprophetie 185, 189 Gerichtswort 137 Geschichte 51, 309, 311, 317 Geschichte der Prophetie 24 Geschichtsbewusstsein 307f Gesellschaftskritik 309 Gesetz 223–225, 239f Gestirne 190, 216 Getreidemaß s. ėħĜē Gnade 320 Gog 99 Gola 16f, 74, 76, 78f, 87, 91, 97, 136, 176, 178, 189, 211, 221f, 248, 274, 277–279, 281 Gold 14–17, 22, 78, 122, 132, 153, 165, 167–169, 171–178, 213, 215, 227, 244f, 326 Götterbild 208, 212f, 216, 233 Göttersöhne 81 Götterwagen 59
Haggai 125, 133, 136, 138, 257 Haggai–Sacharja–Chronologie 3f, 11, 16f Haram esh–Sharif 90 Harran 131 Haus 107 Hebräer 170, 172, 178 Heiligkeit 82, 85 Heiligtum 77, 82f, 195 Heilsgeschichte 25 Heilshandeln 115 Heilsprophetie 115, 136 Heilswort 137 Herrlichkeit 98, 188, 193, 211, 212–214, 220, 233, s. auch ĖĘĔĞ Himmel 12, 29, 120, 293 Himmelsleuchter 144, 152, 164, 188, 215 Himmelspforte 11 Himmelsschrift 216 Himmelstor 10, 29, 37, 65, 94, 151, 154, 156, 203, 214f, 220, 271, 289, 319 Hochzeitssegen 106 Hofstaat, himmlischer 81, 154 Hohepriester 12, 16, 136, 154 Horizontbäume 39 Horizontberge 36, 38f, 65, 220 Horn 35, 64f, 67, 209, 211, 254, 258, 319 Hungertod 112 Hyksos 168 Iddo 7f Ikonographie 55
368
Register
Ikonoklasmus 51 imagic turn 58 Imagination 49, 61, 65 imitatio 35 Immanenz 65f, 196, 207, 222 Innenraum 108 Innovation 47–49 Institution 304f Islam 73 Jachin 41 Jehud 13, 125, 135f, 165, 262, 316 Jenseits 289 Jerusalem 17, 68, 74, 76, 78–83, 86, 90, 92f, 95–97, 100f, 110f, 115, 117f, 120, 122, 158, 162, 188–190, 205, 207, 209, 227, 230, 247, 253, 259, 319 Jojachin 90, 136, 137, 211, 229, 251 Joschua 12f, 20, 29, 64, 87, 90, 122, 124, 134–136, 143, 148, 162f, 176, 188, 201f, 235f, 243, 278, 280 Juda 68, 73, 76, 79–81, 83, 116, 205, 209, 212 Judentum 73 Jugendliche 110 Jünglinge 117 Kambyses 87, 124, 139, 175, 245, 251, 258, 279 Kanephoren 130 Kanon 314 Kanonformel 199 Kanonisierung 312, 314 Kinder 102, 104, 107, 110, 112, 118f Kinder, spielende 117 Kindheit 102 Kindheitsmotiv 102 Kirche 305, 309, 311 Klagegeschrei 182 Klagegottesdienste 141 Klageweiber 111, 115, 117 Kommentar 312 Kommunikation 196, 198, 202, 204, 296, 298 Kommunikation, literarische 54 Komposition 9 König 130f, 197, 199f, 209, 217f, 236, 246 Königsideologie 130, 137, 200
Körper 47, 59, 68 Kosmos 128 Kostbarkeiten 14 Krieg, JHWHs 173, 175 Kriegsherr 131 Krise 19 Krone 16, 19 Krönung 13, 22 Kult 4, 171, 234, 320 Kultbild 44, 197 Kultkritik 305, 309 Kunst 303 Künstler 302 Kyros II. 86, 97, 115, 122f, 125, 133f, 177f, 241f, 248, 255, 278 Kyros–Edikt 122, 124, 126, 176f, 201, 236, 243f, 254, 278 Kyros–Zylinder 15, 241, 246, 255, 278 Lampen 215 Land des Nordens 11, 74, 76, 220–222 Land JHWHs 82 Land, heiliges 82, 85, 155 Land, Heiliges 73 Landverteilung 81 Lehrer 103 Lehrer der Tora 114 Leichenlied 111 Leitwortstil 226 Leserperspektive 61 Leuchter 10, 17, 29, 36, 64f, 67, 146, 148f, 153, 214, 318 Loyalität 250 Lügenpropheten 31 Luther, Martin 30, 223, 298 Mantik 31, 129, 134, 198 Marduk 128f, 131, 132, 198f, 207, 208 Marduk–Prophetie 232f Martyrium 307 Medium 35, 50 Meerestiefe 29, 37, 65 Messschnur 29, 64f, 67, 92f, 95, 98, 158, 187, 211, 297 Metahistorie 309 Militär 251 Minjan 263 Mirjamlied 251
Sach- und Namensregister Mischwesen 218 Mizpa 86 Mondgott 152 Mondsichelstandarte 152 Monotheismus 291, 308 Mose 103, 113f, 296f, 304 Moselied 113f Mutter 105 Myrten 29, 65 Nabonid 130–132, 160, 199, 200, 205, 208, 210, 213, 233, 242 Nabopolassar 130 Nachtgesichte 10, 21, 62, 134 Nachtträume 47 Naherwartung 252 Naqsch–i Rustam 97, 250 Nebukadnezar I. 198, 231 Nebukadnezar II. 86, 129, 160, 177, 213, 242 Nebusaradan 86 Nehemia 91, 93, 96, 135 Neues Testament 315 Nidintu–Bel 279 Ninive 110, 250 Nut 39 Ölbäume 29, 36, 65, 145, 148, 153f, 214 Ölsöhne 145, 148, 153, 163 Ominawissenschaft 31, 134 Opferpraxis 129 Orakelwissenschaft 31, 134 Pagenerzählung 123, 125 Palast 89f Pantheon 81 Parusieverzögerung 11 Pasargadae 97, 157, 158, 175, 211f, 245 Peripherie 220, 222, 243, 245, 248, 252, 258 Persepolis 15, 78, 97, 175, 210f, 245f, 250, 254, 262 Pfeilerfigurinen 218 Pferd 64f Pharao 169, 178 Phönizien 138 Platz 107, 118f Plejaden 150, 215
369
Pneumatologie 291, 299 praesentia dei s. Anwesenheit Gottes Predigt 302, 304–306 Predigt, prophetische 310f, 313, 320 Priesterschrift 173 Programmvision 203, 220 Propaganda 48 Prophet 33, 201, 294f, 297, 312 Propheten, frühere 226 Prophetenbuch 33, 311–313 Prophetenkanon 104, 114 Prophetie 302, 310f Prophetie, schriftgelehrte 115 Proselyten 260 Protosacharja s. Sacharja Pyramiden 128 Realien 36, 49 Realität 65 Rechtsordnung 217, 219 Reichsideologie 247, 248, 255 Reichsideologie, persische 246 Reichskönig s. Großkönig Reiter 29, 64, 65, 203f Religion 303 Residenzstadt 96–98, 100, 157, 158 Restauration 9 Rezipient 61 Richards, Michaels 302 Richtungssinn 315, 322 Rituale 57 Rosenzweig, Franz 302 Rückkehr 81, 84, 220, 229, 232–235, 237, 239 Rückkehr der Gottheit 76, 78, 195, 197, 207f, 224f, 231, 239 Sacharja 8, 125, 134, 136, 138, 258, 269f, 297 Sacharjaprolog 8, 25, 223, 225f, 321 Salmanassar 132 Salomo 138 Samerina 135 Sammlung der Völker 259 Sanherib 213 Schamanen 32 Schamasch 132, 156 Schatzhaus 173
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Register
Schekina–Theologie 259, 281 Scheschbazzar 19, 86f, 122, 124, 133, 243 Schinear 217f Schlachtopfermahl 185 Schlussstein 142 Schmiede 29, 65, 209, 211, 258 Schöpfung 128 Schreckensglanz 98, 212f Schrift 50f, 59f, 66, 69f Schriftreligion 56 Schriftrolle 29, 64f, 216, 319 Schweigeformel 181–185, 188, 190 Seevölkersturm 168 Segen 6, 23 Sendung 269f, 276f, 280, 282 Serubbabel 5, 7, 10, 15, 17f, 20, 53, 87, 90, 95, 122–125, 134–138, 141–144, 147f, 159f, 163, 201f, 228, 235–237, 243, 247, 249, 251f, 278, 280f, 318 Sethnacht 167 Sichelmondstandarte 40, 214 Siebzig Jahre 141, 205f, 209, 221 Siegesfeier 75 Silber 14–17, 22, 78, 122, 132, 165, 167–169, 171–177, 213, 227, 244f Sin 40, 41, 130–132, 152, 199f, 205, 214, 233 Sitz im Leben 75, 142 Sklave 171, 173 Solidarität, vertikale 250 Sonne 156 Sonnengott 38 Sozialkritik 305 Spross s. Ěġĩ Stadt 89, 94, 96, 207 Stadt, heilige 82 Stadtgöttinnen 116 Stadtmauer 95 Stadttore 107 Statthalter 9, 135f, 154 Storchenflügel 218 Susa 211, 245 Symbolsystem 36, 41, 58f, 61, 69 Tag JHWHs 102f, 185 Tage des Zorns s. Zorn Taumelbecher 116 Teerstegen, Gerhard 180
Teknophagie 112 Telipinu–Mythos 197f, 218 Tempel 4, 41, 82, 84, 89f, 95, 133, 144, 153f, 158, 160f, 164, 174, 176, 190, 197, 207–209, 213, 218, 227, 232, 234–236, 245, 248, 282, 316–318, 320 Tempel, Zweiter s. Zweiter Tempel Tempelbau 5, 80, 128, 131, 134, 136, 139, 173, 175, 177f, 252, 281 Tempelbauberichte 128, 130–132, 137, 234, 236 Tempelbezirk 89f Tempelkult 139, 184 Tempelquelle 231, 233 Tempelschatz 173, 175 Tempelsteuer 15 Tempeltheologie 80, 127, 132–134, 137, 139, 160, 183, 231f, 234, 243 Tempeltore 41 Tempelweihe 161, 237 Theben 108f, 112 Thron 9, 13, 16, 19, 130, 249, 250 Thronrat, himmlischer 10, 156, 270, 272 Tierfrieden 120 Tochter Zion s. auch Zion Tod 109, 111, 113, 184 Tora 103, 114 Toralehrer 103 Torwächter 289 Totenklage 111, 181 Tradition 47–49, 308, 311f Trägermedium 56, 61f, 64, 68f Transzendenz 66, 196, 204, 207, 209, 222 Trauer 182, 184 Traum 32, 47, 62, 132, 199f, 294 Traumgedanke 63 Traummaterial 63 Tributdarbringung 139 Türwächter 38 Udjat–Auge 149f Umkehr 8, 25, 115, 223–226, 229, 237–240, 321f Unheilszeit 25, 236, 238 Urhügel 128 Urzeit 251 Vasallenkönig 19, 250
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Sach- und Namensregister Väter 105, 226 Verfassungsentwurf 137f, 230 Verschriftung 66, 69 Vertreibung 168 Vielvölkerstaat 246 Vier 76, 210, 220, 275 Visible Religion 56 Vision 29, 44, 50, 56f, 66–68, 70, 285, 298–300 Visionär 61, 67–69 Visionsbericht 29, 32, 44f, 50, 56, 60–63, 284 Visionszyklus 60 Visiotyp 63–66 Völker 77–80, 82, 85, 257f, 261, 263 Völkerbund 77, 79 Völkergericht 12, 260 Völkertheologie 243, 252 Völkerthron 250, 252 Völkerwallfahrt 78, 260–263 Wagen 64f, 220 Weltordnung 48, 246, 247 Wiederaufbau 208, 211, 229, 234, 244 Wiedereinwohnung 84 Wohnen Gottes 79, 158
Wohnsitz Wohnung 155, 189, 214 Wort JHWHs 317 Wortereignisformel 5 Wortgottesdienst 183 Xerxes 175 Zeichenhandlung 13, 57 Zeichensystem s. Symbolsystem Zeit 67, 196 Zeitgenossenschaft 313f Zeltheiligtum 172 Zentrum 220, 222, 243, 245, 248, 252, 258 Zion 74–78, 80, 83f, 113, 121, 140, 162, 189, 207, 209, 238, 253, 259, 274, 281, s. auch ĢĘĜĩ ĭĔ Ziqqurat 128 Zorn 11, 24, 68, 76, 81, 84, 110, 113, 116f, 141, 195, 196, 199f, 205f, 209, 219, 221, 225, 253, 275 Zweiprophetenbuch 3, 23f Zweiter Tempel 3, 122, 127, 132, 134f, 137f, 153, 173, 175, 233, 282, 322
Lexeme und Kontextformen ėħĜē ĢĘĜĩ ĭĔ ĢĘīĞę ĠĭĘĚ ĠğĚ ĢĚ ĖĘĔĞ
29, 64f 74, 76, 79–81, 83f, 113, 158, 189, 238, 259, 274, 281 16, 19 7, 10, 21, 137, 169, 228, 237, 249, 251, 318 62, 200 166, 169 15, 74, 88, 98, 158, 188, 190, 211–215, 220, 222, 227, 229f,
ĢĘĥġ ēĜĬģ Ěġĩ ĢīĪ ĚĘī ėĥĬī ėġĘīĭ
233–235, 238, 244f, 272f, 276f 84, 155, 159f, 188, 214, 238 137f, 234 13, 16–22, 143, 176, 202 210 11, 22, 69, 155, 160, 183, 220–222, 239, 289, 299 217–219, 239, 319 100