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German Pages [475]
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski (Tübingen) · Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)
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Barbara Schmitz
Prophetie und Königtum Eine narratologisch-historische Methodologie entwickelt an den Königsbüchern
Mohr Siebeck
Barbara Schmitz, geboren 1975; Theologiestudium in Passau, Jerusalem und Münster, 2004 Promotion; seit 2005 Studienrätin im Hochschuldienst für den Bereich Altes Testament und Sprachen an der Universität Duisburg-Essen; 2007 Habilitation.
e-ISBN PDF 978-3-16-151101-1 ISBN 978-3-16-149665-3 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Die vorliegende Studie zu Prophetie und Königtum in den Königsbüchern wurde im Wintersemester 2007/2008 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg als Habilitationsschrift angenommen und für die Drucklegung geringfügig überarbeitet. Mein erster Dank gilt Prof. Dr. Christoph Dohmen, der diese Arbeit engagiert begleitet und gefördert hat. Seine Offenheit, sich auf die methodologischen wie inhaltlichen Fragestellungen zu den Königsbüchern einzulassen, sowie seine konstruktiven Anregungen haben sehr dazu beigetragen, das Profil dieser Arbeit zu schärfen. Prof. Dr. Heinz-Günther Schöttler und Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger danke ich für die Bereitschaft, die Gutachten zu übernehmen, und für ihre wertvollen Hinweise und Denkanstöße. Prof. Dr. B. Janowski, Prof. Dr. H. Spieckermann und Prof. Dr. M.S. Smith sei für die Aufnahme in die Reihe »Forschungen zum Alten Testament« ebenso gedankt wie dem Verlag Mohr Siebeck. Für interessiertes Zuhören, kritisches Mitdenken und anspornendes Nachfragen in vielen Diskussionen sowie für vielfältige kollegiale und freundschaftliche Unterstützung danke ich Dr. Judith Gärtner, Elisabeth Hennecke, Prof. Dr. Dr. Hubertus Lutterbach, Christina Nießen und Karolin Weber. Anne Büß und Marion Kauertz waren bei der Beschaffung der Literatur und beim Korrekturlesen eine große Hilfe. Für die Begleitung während der Arbeit an der Habilitation in den letzten Jahren danke ich besonders meiner Familie sowie meinen Freundinnen und Freunden für ihr stets offenes Ohr. Köln, im Juni 2008
Barbara Schmitz
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Einleitung ................................................................................................ 1
Kapitel I
Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie 1. Einleitung............................................................................................. 5 2. Das Kommunikationsmodell als Grundlage der Erzähltextanalyse ........ 9 3. Perspektivenstrukturen in erzählenden Texten .................................... 19 3.1. Die Erzählstimme ........................................................................ 21 3.1.1. Kategoriale Differenzierungen zur Beschreibung der Erzählstimme .............................................................. 24 3.1.1.1. Die Anwesenheit der Erzählstimme auf der Ebene der Erzählung ........................................................... 25 3.1.1.2. Die Anwesenheit der Erzählstimme auf der Ebene der Figuren .............................................................. 25 3.1.1.3. Der Grad der Involviertheit in das erzählte Geschehen ....... 27 3.1.1.4. Der Grad der Explizität ............................................... 27 3.1.1.5. Der Grad der Zuverlässigkeit ........................................ 28 3.1.1.6. Die Genderkonstruktion ............................................... 34
3.1.2. Die Funktionen der Erzählstimme ..................................... 34 3.1.2.1. Die erzähltechnische Funktion der Erzählstimme ............... 35 3.1.2.1.1. Die temporale Deixis .................................... 35 3.1.2.1.2. Die lokale Deixis ......................................... 37 3.1.2.1.3. Die personale Deixis ..................................... 39 3.1.2.1.4. Schilderung der Ereignisse ............................. 39 3.1.2.2. Die analytischen Funktionen der Erzählstimme ................. 39 3.1.2.3. Die synthetischen Funktionen der Erzählstimme ................ 41 3.1.2.4. Die vermittlungsbezogenen Funktionen der Erzählstimme ... 42 3.2. Die Fokalisierung ........................................................................ 43 3.2.1. Fokalisierung nach Gérard Genette ................................... 43 3.2.2. Fokalisierung nach Mieke Bal ........................................... 46 3.2.2.1. Externe und interne Fokalisierung .................................. 47 3.2.2.2. Das fokalisierte Objekt ................................................ 49 3.2.2.3. Wechsel von Fokalisierungsinstanzen ............................. 50 3.3. Die Figurenperspektive................................................................ 50 3.3.1. Faktoren der Figurenperspektive ....................................... 51
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3.3.2. Voraussetzungssystem der Figurenperspektive.................. 52 3.3.3. Figurenperspektive und Handlung..................................... 53 3.4. Etablierung von Perspektivenstrukturen in Texten ....................... 53 3.4.1. Pluralität der Figurenperspektiven..................................... 53 3.4.2. Handlung und Figurenperspektiven ................................... 54 3.4.3. Die Perspektive der Erzählstimme..................................... 56 3.4.4. Perspektivenstrukturen in erzählenden Texten................... 57 3.4.5. Perspektivenstrukturen und Lesende ................................. 57 3.5. Fazit ............................................................................................ 58 4. ›Autorfunktionen‹ und ›Autorfigurationen‹. Die Frage nach der Entstehung von Texten aus der Perspektive der Erzähltextanalyse.......................................................................... 58 4.1. Was ist ein ›Autor‹?..................................................................... 61 4.2. Der ›Autor‹ als die unbestrittene Größe der Textinterpretation .... 62 4.3. Der ›Autor‹ als bestrittene Größe der Textinterpretation .............. 65 4.3.1. ›Erzählstimme‹ statt ›Autor‹ (werkimmanente Methode)... 65 4.3.2. »Was wollte der Autor damit sagen?« Die Intention des Autors als methodischer Fehlschluss (William K. Wimsatt / Monroe C. Beardsley) ................... 66 4.3.3. Realer und impliziter Autor (Wayne Booth) ...................... 68 4.3.4. Der Tod des Autors (Roland Barthes) und »Was ist ein Autor?« (Michel Foucault) ................................................ 72 4.4. Ein Autorkonzept: Autorfunktionen als Autorfigurationen........... 78 4.4.1. Der ›Autor‹ als ein Auslegungskontext ............................. 79 4.4.2. Die ›Autorfunktionen‹....................................................... 81 4.4.2.1. Die Auswahlfunktion .................................................. 86 4.4.2.2. Die Gestaltungsfunktion .............................................. 87 4.4.2.3. Die Funktion der Selektion von Kontexten ....................... 87 4.4.2.4. Die Bedeutungs- und Intentionsfunktion .......................... 88 4.4.2.5. Die Erkenntnisfunktion ................................................ 93 4.4.2.6. Die Innovationsfunktion .............................................. 93 4.4.2.7. Die Funktion der raum-zeitlichen Fixierung ..................... 93 4.4.3. Definitionen: ›Autorfunktion‹, ›Autorfiguration‹, ›Autorfigurationen‹ und ›Autor‹........................................ 94 4.4.4. Die ›Autorfiguration‹ und die Erzählstimme ..................... 98 4.4.5. ›Autor‹ und Lesende als historisch plurale Größen .......... 100 4.4.6. Der ›auctor‹ Gott und die Rezeptionsgemeinschaft als theologische Größe .................................................... 104 4.4.7. Fazit................................................................................ 107
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Kapitel II
Lektüren in den Königsbüchern 1. Strukturen in den Königsbüchern...................................................... 109 2. Die Erzählstimme in den Rahmenformularen.................................... 112 3. 1 Kön 13 und 22 in den Königsbüchern ............................................ 115
Kapitel III
»Auch ich bin ein Prophet wie du!« (1 Kön 13,18). Eine Textlektüre von 1 Kön 13 1. Einleitung......................................................................................... 117 1.1. Der Kontext von 1 Kön 13......................................................... 117 1.1.1. Der Aufstieg und die Herrschaft Salomos (1 Kön 1–11) .. 118 1.1.2. Der Aufstieg Jerobeams (1 Kön 11) ................................ 121 1.1.3. Die Herrschaft Jerobeams (1 Kön 12).............................. 128 1.1.4. Das Ende Jerobeams (1 Kön 14)...................................... 135 1.2. Der Rahmen um 1 Kön 13 ........................................................ 142 1.3. Die Struktur der Erzählung von 1 Kön 13 .................................. 146 1.4. Die Figurenkonstellation in 1 Kön 13 ........................................ 151 2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre ............................................................... 154 2.1. Der Gottesmann aus Juda in Bet-El (1 Kön 13,1–10) ................. 154 2.1.1. Der Gottesmann aus Juda und der Altar von Bet-El (1 Kön 13,1–5)................................................................ 154 2.1.2. Der Gottesmann und der König Jerobeam (1 Kön 13,6a–10c) .......................................................... 165 2.2. Der Gottesmann und der Prophet: Erster Rückweg (1 Kön 13,11–19) ...................................................................... 173 2.2.1. Der Prophet und seine »Söhne« (1 Kön 13,11a–13d)....... 174 2.2.2. Der Prophet und der Gottesmann (1 Kön 13,14a–19c)..... 177 2.3. Der Gottesmann und der Prophet in Bet-El (1 Kön 13,20a–22g)................................................................... 192 2.4. Der Gottesmann und der Prophet: Zweiter Rückweg (1 Kön 13,23a–30c) ................................................................... 198 2.4.1. Der Gottesmann und der Löwe (1 Kön 13,23a–26i)......... 198 2.4.2. Der Prophet bringt den Gottesmann nach Bet-El (1 Kön 13,27a–30c)......................................................... 204 2.5. Der Prophet und sein Bestattungswunsch (1 Kön 13,31a–32d)................................................................... 207 3. Prophetische Konstellationen – Politische Konfrontationen in 1 Kön 13....................................................................................... 211
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3.1. Die prophetische Konstellation .................................................. 211 3.2. Die politische Konfrontation...................................................... 213 4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 13................ 214 4.1. Textinterne Perspektivenstrukturen (K V–II) ............................. 215 4.1.1. Die Perspektive JHWHs (K IV und V) ............................ 215 4.1.2. Die Perspektive der Figuren: Jerobeam, der Gottesmann und der Prophet (K III).................................................... 216 4.1.3. Die Perspektive der Erzählstimme: Die Präsentation der Handlung und der Figuren (K II) ............................... 218 4.2. Textextern: Autorfunktionen und Autorfigurationen (K I) ......... 221
Kapitel IV
»Gibt es nicht noch einen Propheten JHWHs?« (1 Kön 22,7). Eine Textlektüre von 1 Kön 22 1. Einleitung......................................................................................... 227 1.1. Der Kontext von 1 Kön 22......................................................... 227 1.2. Die Struktur der Erzählung von 1 Kön 22 .................................. 229 1.3. Die Figurenkonstellation in 1 Kön 22 ........................................ 233 1.4. Die Zeitkonstruktion in 1 Kön 22 .............................................. 234 1.5. Die Raumkonstruktion in 1 Kön 22............................................ 237 2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre ............................................................... 239 2.1. Hintergrundschilderung I: Drei Jahre Frieden (1 Kön 22,1) ....... 239 2.2. Der Plan des Königs von Israel (1 Kön 22,2–14) ....................... 240 2.2.1. Ahab und Joschafat (1 Kön 22,2–5) ................................ 240 2.2.2. Die Befragung der vierhundert Propheten (1 Kön 22,6–9)................................................................ 244 2.2.3. Hintergrundschilderung II: Die Szene in Samaria (1 Kön 22,10).................................................................. 254 2.2.4. Zidkija und die Propheten (1 Kön 22,11–12)................... 257 2.2.5. Der Bote und Micha (1 Kön 22,13–14)............................ 264 2.3. Micha in Samaria (1 Kön 22,15–28) .......................................... 267 2.3.1. Die Frage des Königs (1 Kön 22,15a–d).......................... 268 2.3.2. Die erste Antwort Michas und die erste Reaktion des Königs (1 Kön 22,15e–16) ........................................ 269 2.3.3. Die zweite Antwort Michas und die zweite Reaktion des Königs (1 Kön 22,17–18).......................................... 272 2.3.4. Die zweite Vision Michas (1 Kön 22,19–23) ................... 278 2.3.5. Die Antwort Zidkijas und die dritte Reaktion des Königs (1 Kön 22,24–28) ............................................................ 296 2.4. Der Kriegszug und das Ende Ahabs (1 Kön 22,29–40)............... 303
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2.4.1. Die Umsetzung des Plans (1 Kön 22,29–30).................... 305 2.4.2. Eine Rückblende: Die Anweisung des Königs von Aram (1 Kön 22,31).................................................................. 307 2.4.3. Das unterschiedliche Ergehen der Könige in der Schlacht (1 Kön 22,32–34) ............................................................ 308 2.4.4. Die Konsequenzen aus dem Tod von Ahab (1 Kön 22,35–38) ............................................................ 310 2.4.5. Das Rahmenformular (1 Kön 22,39–40).......................... 316 3. Prophetische Konstellationen – Politische Konfrontationen in 1 Kön 22....................................................................................... 317 3.1. Die prophetische Konstellation .................................................. 317 3.2. Die politische Konfrontation...................................................... 327 4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 22................ 329 4.1. Textinterne Perspektivenstrukturen (K V–II) ............................. 330 4.1.1. Die Perspektiven JHWHs, des Geistes und des Königs (K IV und V)................................................................... 330 4.1.2. Die Perspektiven der Figuren: Die Könige und die Propheten (K III)............................................................. 331 4.1.3. Die Perspektive der Erzählstimme (K II)......................... 333 4.2. Textextern: Autorfunktionen und Autorfigurationen (K I) ......... 337
Kapitel V
Die Funktionen von 1 Kön 13 und 1 Kön 22 in der Gesamtstruktur der Königsbücher 1. 1 Kön 13 und 1 Kön 22 im zweiten Abschnitt der Königsbücher (1 Kön 12–2 Kön 17)........................................................................ 343 1.1. 1 Kön 13 im zweiten Abschnitt der Königsbücher (1 Kön 12–2 Kön 17)................................................................. 343 1.2. 1 Kön 20,35–43 als Brücke zwischen 1 Kön 13 und 22.............. 345 1.3. 1 Kön 22 in der Mitte des zweiten Teils der Königsbücher ....... 348 1.3.1. Die Omriden. 1 Kön 22 im politischen Kontext von 1 Kön 16–2 Kön 13 .................................................. 352 1.3.2. Der Elija-Elischa-Zyklus. 1 Kön 22 im prophetischen Kontext von 1 Kön 16–2 Kön 13 .................................... 355 1.4. Das Ende des Nordreiches Israel (2 Kön 17).............................. 358 2. 1 Kön 13 und 1 Kön 22 im dritten Abschnitt der Königsbücher (2 Kön 18–25) .................................................................................. 364 2.1. 1 Kön 13 und der dritte Abschnitt der Königsbücher (2 Kön 18–25) ........................................................................... 364
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2.1.1. Joschija in Bet-El und das Grab des Gottesmannes (2 Kön 23,15–20) ............................................................ 365 2.1.2. Die Funktion von 1 Kön 13 für 2 Kön 23,15–20.............. 368 2.1.3. Erzählstrukturen aus der Perspektive von 1 Kön 13......... 371 2.2. 2 Kön 22 und der dritte Abschnitt der Königsbücher (2 Kön 18–25) ........................................................................... 373 2.2.1. Die Visionen Michas und das Ende der Königsbücher (2 Kön 25) ...................................................................... 373 2.2.2. Die Funktion von 1 Kön 22 in der Komposition der Königsbücher ........................................................... 375 2.2.3. Erzählstrukturen aus der Perspektive von 1 Kön 13 und 22.............................................................. 379 3. Autorfunktionen und Autorfigurationen in 1 Kön 13 und 2 Kön 23,15–20 sowie 1 Kön 22 und 2 Kön 25 ................................ 380 3.1. Die Frage nach der Autorfiguration: 1 Kön 13 und 2 Kön 23,15–20 .................................................................. 381 3.2. Die Frage nach der Autorfiguration: 1 Kön 22 und 2 Kön 25 ..... 387 3.2.1. Die Autorfiguration I von 1 Kön 22 in den Königsbüchern .................................................... 387 3.2.2. Die Autorfiguration II von 1 Kön 22 in den Königsbüchern .................................................... 389 3.3. Fazit: Autorfiguration I und II .................................................. 393 Ertrag.................................................................................................... 397 Anhang ................................................................................................. 399 Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 13,1–32 ....................... 400 Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 22,1–40 ........................ 408 Literaturverzeichnis .............................................................................. 419 Stellenregister ....................................................................................... 453 Namen- und Sachregister ...................................................................... 461
Einleitung Einleitung Einleitung
»Von Gott gepackt«1 – so charakterisiert Elie Wiesel prophetische Gestalten der Bibel. ›Von Gott gepackt‹ sind auch die Propheten, die in 1 Kön 13 und 1 Kön 22 auftreten. Sie sind Spezialisten der Gotteskommunikation und doch sind die von ihnen als Wort JHWHs wiedergegebenen Botschaften so mehrdeutig formuliert, dass sie sehr unterschiedlich verstanden werden können oder einander sogar widersprechen. Dies führt zu Kontroversen unter den Propheten, die miteinander um das authentische Wort JHWHs ringen. Dabei stehen diese Auseinandersetzungen jeweils im Kontext eines politischen Konflikts: Während in 1 Kön 13 die Einweihung des Altars in Bet-El im Kontext der staatlichen Verselbständigung des Nordreichs unter Jerobeam erzählt wird, wird in 1 Kön 22 von einem Krieg berichtet, den Israel und Juda gegen Aram führen. In diese politischen Konflikte sind verschiedene Gottesspezialisten involviert, die jeweils ihr Wort JHWHs vertreten. Mit 1 Kön 13 und 1 Kön 22 wird in der Mitte der Königsbücher die Frage nach dem einen, und doch jeweils ganz anders lautenden Wort JHWHs gestellt: Es geht nicht um die Superiorität von JHWH-Prophetie, auch nicht um die Unterscheidung zwischen ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie, sondern es geht um die grundlegende und brisante Frage, wie mit unterschiedlichen prophetischen Perspektiven auf das Wort JHWHs umzugehen sei. Die erzählerischen Orte, an denen diese fundamentale Frage gestellt wird, sind sowohl von der erzählten Handlung, als auch von ihrer Situierung in den Königsbüchern herausgehobene Wendepunkte in der Geschichte Israels: Die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Wort JHWHs werden zuerst unter Jerobeam im Zuge der Trennung von Israel und Juda, anschließend unter Ahab, einem der prägendsten Könige des Nordreichs, thematisiert. Außerdem sind die Erzählungen an besonderen Stellen in der Komposition der Königsbücher positioniert: Während 1 Kön 13 am Beginn des mittleren Abschnitts der Königsbücher (1 Kön 12–2 Kön 17) steht, markiert 1 Kön 22 genau ihr Zentrum. Zugleich sind beide Erzählungen
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WIESEL, Von Gott gepackt. Prophetische Gestalten.
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Einleitung
Schlüsseltexte, die wichtige Deutehorizonte für die Erzählungen im dritten Abschnitt der Königsbücher (2 Kön 18–25) eröffnen. In den folgenden Analysen der Königsbücher haben sich als Themen zum einen die Frage nach den Kommunikationsprozessen, zum anderen die Frage nach den unterschiedlichen Perspektiven, die in den Erzählungen durch unterschiedliche Textinstanzen facettenreich etabliert werden, herauskristallisiert. Weil sich diese Aspekte in der narrativen Gestaltung der Erzählungen als zentral erwiesen haben, ergeben sich aus ihnen die methodischen Fragen. Diese sind zu einem Konzept einer narratologischhistorischen Methodologie ausgebaut worden, das in einem ersten literarturtheoretischen Grundlagenkapitel (Kap. I.) erläutert wird. Diese Methodologie versteht sich nicht als ein Entwurf, der die Komplexität von Erzähltexten umfassend beschreiben, sondern der vielmehr exemplarisch bestimmte erzählanalytische Zugänge theoretisch profilieren will, die aus der Analyse von 1 Kön 13 und 1 Kön 22 resultieren. Grundlage für die methodologischen Reflexionen und Textanalysen ist ein Kommunikationsmodell erzählender Texte, das jedoch gegenüber den üblichen Modellen in vierfacher Weise modifiziert wird (Kap. I. 2.). Mit Hilfe dieses Modells kann die Komplexität der in einer Erzählung ablaufenden Kommunikationsprozesse analysiert werden. Mit den methodologischen Schlüsselkategorien, der ›Erzählstimme‹, der Fokalisierung und den Figuren, werden sodann drei Instanzen vorgestellt, durch die Perspektivenstrukturen in Erzähltexten erzeugt werden (Kap. I. 3.). Die Analyse der Erzählstimme, die in der biblischen Exegese bislang vernachlässigt worden ist, erweist sich dabei als besonders aufschlussreich. Daher werden Kategorien entwickelt, mit denen die unterschiedlichen Funktionen der Erzählstimme adäquat beschrieben werden können. Entgegen der in der Erzähltextanalyse vorherrschenden Beschränkung auf die textinternen Ebenen soll im dritten Schritt nach der textexternen Ebene gefragt werden (Kap. I. 4.). Mit der Einbeziehung der textexternen Ebene, auf der die Lesenden und der reale Autor angesiedelt sind, wird der entscheidende Schritt vollzogen, um den werkimmanenten Rahmen der Erzähltextanalyse zu überschreiten und zu einer narratologisch-historischen Methodologie zu gelangen. Dies erweist sich umso dringlicher, als in narratologischen Untersuchungen die Frage nach den Verfassern nicht gestellt wird. Weil diese in der literaturwissenschaftlichen Diskussion als methodologisch unreflektiert und als sogenannter ›Fehlschluss‹ gilt, wird die Frage nach dem Autor und der historischen Situierung eines Textes aus narratologischen Analysen ausgeblendet. Deshalb wird den werkimmanent konzipierten Textauslegungen vorgeworfen, ahistorisch zu arbeiten. Interessanterweise ist jedoch in den letzten Jahren in der Anglistik und der Germanistik die Frage nach dem ›Autor‹ als eine für die Auslegung eines
Einleitung
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Textes relevante Größe neu aufgeworfen worden. Diese Diskussion wird in der vorliegenden Studie aufgegriffen und für die Analyse biblischer Texte ausgewertet. Die alttestamentliche Forschungslandschaft selbst stellt sich hingegen anders dar: In ihr wird derzeit die Zuordnung von sogenannten ›synchronen‹ und ›diachronen‹ Methoden kontrovers diskutiert. Während die einen – in Anlehnung an literaturwissenschaftliche Ansätze – den ›Autor‹ und mit ihm die textexternen Ebenen aus der Analyse ausschließen, sind andere in erster Linie an der Frage nach der Entstehung und der historischen Verortung der Texte interessiert. Die hieraus resultierenden unterschiedlichen Frageperspektiven werden meist als einander ausschließend wahrgenommen und stehen häufig unverbunden nebeneinander. Dieser unbefriedigenden Situation trägt die vorliegende Studie Rechnung, indem sie einen Weg aufzeigt, wie aus der Perspektive der ›synchronen‹ Erzähltextanalyse die Frage nach dem Autor und nach der ›diachronen‹ Einordnung biblischer Texte gestellt werden kann. Hierzu wird eine narratologisch-historische Methodologie entwickelt, mit der eine Brücke von der ahistorisch wahrgenommenen Erzähltextanalyse zu historischkritischen Zugängen geschlagen wird. Ob sich methodologische Theorie tatsächlich bewährt, zeigt sich erst in der konkreten Textauslegung. Daher werden die methodologischen Überlegungen (Kap. I.) an Texten der Königsbücher (Kap. II.) erprobt und in einer detaillierten Analyse von 1 Kön 13 (Kap. III.) und 1 Kön 22 (Kap. IV.) umgesetzt, um auszuloten, wie eine narratologisch-historisch fundierte Methodologie in der konkreten Textauslegung angewendet werden kann. Diese wird im nächsten Schritt auf die Ebene der Königsbücher ausgeweitet, um die Funktion und konstitutive Bedeutung der beiden Erzählungen für die Gesamtkomposition aufzuzeigen (Kap. V.). Die narratologischen Untersuchungen erfolgen im Sinne eines close reading, das die Dynamik der Erzählungen im textnahen Lesen aufzeigt. Aus diesen Lektüren ergibt sich dann die Analyse der textexternen Ebene, um auf der Basis einer methodologisch reflektierten Narratologie die Frage nach der Produktionsseite der Texte stellen und literarhistorische Hypothesen bilden zu können. Mit der textexternen Ebene gewinnen die textinternen Perspektivenstrukturen der Erzählungen an historischer Tiefendimension und Dynamik. Auf diese Weise korrespondiert die zentrale Frage der Erzählungen, wie mit den unterschiedlichen Perspektiven auf das eine Wort JHWHs umgegangen werden kann, inhaltlich mit den theoretischen Grundlagen einer narratologisch-historischen Methodologie, die erläutert, wie die komplexen Perspektivenstrukturen der Erzählungen auf den verschiedenen Kommunikationsebenen analysiert werden können.
Kapitel I
Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie »Gegenstand der Erzähltheorie bzw. Narratologie sind die komplexen Strukturen, die das Erzählen einer Geschichte konstituieren. Das Erkenntnisinteresse der strukturalistischen, semiotisch-formalistisch ausgerichteten Narrativik ist primär theoretischer, taxonomischer und deskriptiver Natur. Ihr Bemühen ist auf systematische Modellbildung und rationale Beschreibung von Textstrukturen mittels eines eindeutigen metasprachlichen Bezugsrahmens gerichtet. Die dominant formalistische Ausrichtung erzähltheoretischer Arbeiten geht einher mit dem Bemühen, eine möglichst abstrakte, eindeutige und systematische Metasprache sowie schlüssige Beschreibungsmodelle zu entwickeln, mit deren Hilfe die Konstituenten von Erzähltexten und ihre Relationen zueinander präzise analysiert werden können.«1
1. Einleitung 1. Einleitung
Es hieße Eulen nach Athen tragen, eine grundlegende Einführung in die Erzähltextanalyse an den Beginn dieser Untersuchung zu stellen. Stattdessen sollen, bevor die Königsbücher in Oberflächensurvey und Tiefenbohrung in den Blick kommen, drei Fragen in den Mittelpunkt der methodologischen Reflexion gestellt werden: erstens das zugrunde gelegte Kommunikationsmodell, zweitens die Etablierung von Perspektiven in erzählenden Texten und drittens die Frage nach dem ›Autor‹. Erzähltexte als Inszenierung einer komplexen Kommunikationssituation zu verstehen, ist die Grundlage der folgenden Erzähltextanalyse. Um ihre praktische Durchführung theoretisch zu fundieren, wird ein modifiziertes und entschlacktes Kommunikationsmodell vorgestellt, mit dem Kommunikationsprozesse in Erzähltexten adäquat, differenziert und dennoch pragmatisch handhabbar beschrieben werden können (vgl. Kap. I. 2.).2 1
NÜNNING, Funktionen, 324–325. Zur Einführung und Grundlage in die Erzähltextanalyse vgl. B AL, Narratology; B AL, On Story-Telling; B OOTH, Rhetoric of Fiction; BOSSINADE, Poststrukturalistische Literaturtheorie; CHATMAN, Story and Discourse; CULLER , Literaturtheorie; CURIE, Postmodern Narrative Theory; EAGLETON, Literaturtheorie; GENETTE, Erzählung; J ANNIDIS, Figur und Person; GIBSON, Theory of Narrative; KAHRMANN / REISS / SCHLUCHTER, Erzähltextanalyse; LÄMMERT, Bauformen des Erzählens; L INK, Literaturwissenschaftliche 2
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Weil sich die Frage nach der Etablierung von ›Perspektive‹ und Perspektivenstrukturen in literarischen Texten für die Textanalyse von 1 Kön 13 und 22 als besonders ertragreich erweist, werden die methodischen Grundlagen hierfür in Kapitel I. 3. erläutert. Dass in einem Text verschiedene Perspektiven zu finden sind, verleiht dem Text eine komplexe Perspektivenstruktur. Dabei können drei verschiedene Ebenen unterschieden werden: Die grundlegende und wichtigste Perspektive wird durch die ›Erzählstimme‹3 etabliert; daher werden zuerst die Kategorien vorgestellt, mit denen die Instanz Erzählstimme dem Text grundlegende Perspektiven verleiht (vgl. Kap. I. 3.1.). Die zweite Strategie der Erzeugung von Perspektive ist die Fokalisation: Unter diesem Terminus werden jene Textstrategien subsumiert, die die Wahrnehmung in erzählenden Texten lenken (vgl. Kap. I. 3.2.). Eine dritte Möglichkeit, durch die Perspektive in Texte eingetragen wird, erfolgt auf der Ebene der Figuren, die in der fiktionalen Textwelt auftreten, handeln und sprechen (vgl. Kap. I. 3.3.). Im interdisziplinären Dialog mit der Germanistik und der Anglistik werden in diesem Kapitel Analysekategorien vorgestellt, um Textphänomene präzise beschreiben zu können. In Kapitel I. 4. steht eine der derzeit methodologisch interessantesten und zugleich brisantesten Fragestellungen der biblischen Wissenschaften im Mittelpunkt:4 die Frage nach der Zuordnung der sogenannten ›diachronen‹ und ›synchronen‹ Methoden. Die Begriffe ›diachron‹ und ›synchron‹ gehen auf Ferdinand de Saussure zurück, mit denen er unterschiedliche Grundbegriffe; MARTINEZ / SCHEFFEL, Erzähltheorie; MÜNKER / ROESLER, Poststrukturalismus; NÜNNING / NÜNNING, Neue Ansätze in der Erzähltheorie; PETERSEN, Erzählsysteme; PRINCE, Dictionary of Narratology; ONEGA / LANDA, Narratology; SCHMITZ, Moderne Literaturtheorie und antike Texte; SCHULTE-SASSE / WERNER, Literaturwissenschaft; SCHUTTE, Literaturinterpretation; STANZEL, Theorie des Erzählens; USPENSKY, Poetics; VOGT, Aspekte erzählender Prosa; VAN PEER / CHATMAN, New Perspectives on Narrative Perspective; W ENZEL, Erzähltextanalyse. Zur Lektüre biblischer Texte vgl. ALTER , The Art of Biblical Narrative; AMIT, Reading Biblical Narratives; BAR-EFRAT, Alttestamentliche Texte als literarische Kunstwerke; B ERLIN, Poetics and the Interpretation; CULLEY, Structure of Hebrew Narrative; FISCHER , Wege in die Bibel; FOKKELMAN, Reading Biblical Narratives; FRETHEIM / FROEHLICH, Bible as Word of God; GUNN / FEWELL, Narrative in the Hebrew Bible; J OBLING, Biblical Narrative; JOBLIN, / P IPPIN / SCHLEIFER , Postmodern Bible Reader; MCCONNELL, The Bible and the Narrative Tradition; P OWELL, Narrative Criticism; SKA, Hebrew Narratives; SEYBOLD, Poetik der erzählenden Literatur; STERNBERG, The Poetics of Biblical Narrative; T OLMIE, Narratology and Biblical Narratives; UTZSCHNEIDER / NITSCHE, Arbeitsbuch; W ESTERMANN, Erzählen und Erzählung, 50–55; WESTERMANN, Erzählung, 9–91. 3 Auch als ›Erzähler‹ oder ›Erzählinstanz‹ bezeichnet, vgl. zu diesem Terminus sowie ausführlich zur Beschreibung der ›Erzählstimme‹ Kap. I. 3.1. 4 Vgl. zur ›Bestandsaufnahme‹ der Exegese aus dem Jahr 1998: UTZSCHNEIDER, Autor – Leser – Text, 224–238.
1. Einleitung
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Zugangsweisen der von ihm konzipierten Linguistik bezeichnet: »Die synchronische Sprachwissenschaft befaßt sich mit logischen und psychologischen Verhältnissen, welche zwischen gleichzeitigen Gliedern, die ein System bilden, bestehen, so wie sie von einem und dem selben Kollektivbewußtsein wahrgenommen werden. Die diachronische Sprachwissenschaft untersucht dagegen die Beziehungen, die zwischen aufeinanderfolgenden Gliedern obwalten, die von einem in sich gleichen Kollektivbewußtsein nicht wahrgenommen werden, und von denen die einen an die Stelle der anderen treten, ohne daß sie unter sich ein System bilden.«5 Während es bei den Saussure’schen Definitionen um die Differenz zwischen Sprachwandel (›diachron‹) und der Gleichzeitigkeit sprachlicher Elemente in einer bestimmten historischen Situation (›synchron‹) geht und die ›synchronische Sprachwissenschaft‹ somit eine Momentaufnahme des (›diachronen‹) Sprachwandels darstellt, hat die alttestamentliche Exegese diese Unterscheidung umgeprägt:6 Der Begriff ›diachron‹ ist zu einem Etikett avanciert, mit dem die »Betrachtung biblischer Texte unter der Rücksicht ihrer Entstehung, Entwicklung und Fortschreibung« mit dem Ziel der Herausarbeitung verschiedener Textstadien beschrieben wird, während unter ›synchron‹ jene Textauslegungen subsumiert werden, die daran interessiert sind, nach »der uns vorliegenden Endfassung, ohne nach der historischen Entstehung und Fortschreibung einzelner Textschichten zu fragen.«7 Mit diesen beiden Begriffsdefinitionen ist der derzeitige Sprachgebrauch in der alttestamentlichen Exegese treffend umrissen. Zugleich wird deutlich, wie sehr sich dieser von Saussures Konzept entfernt hat.8 Da sich in der Exegese allerdings beide Begriffe eingebürgert haben, wird diese Terminologie in dem skizzierten Sinn in dieser Studie aus pragmatischen Gründen verwendet: Als ›diachron‹ werden historisch-kritische Textauslegungen bezeichnet, die in erster Linie an der Genese der biblischen Texte interessiert sind. Ihr Ziel ist es, die Entstehungsgeschichte zu rekonstruieren. ›Synchrone‹, meist narratologisch orientierte Auslegungen beschäftigen sich hingegen mit der Interpretation der heute vorliegenden Texte, die freilich in einem mitunter komplizierten Prozess über Jahrhunderte gewachsen sind. Beide Textzugänge gehen von methodologisch grundsätzlich differenten Fragehorizonten aus, haben ein anderes Erkenntnis leitendes Interesse und verwenden dementsprechend unterschiedliche Methoden. In der derzeitigen Wissenschaftslandschaft existieren sie meist unverbunden nebeneinan5
SAUSSURE, Grundfragen, 119, vgl. auch 96. Vgl. hierzu B ARR, The Synchronic, 1–14. 7 FISCHER, Wege in die Bibel, 183.186; vgl. ebenso UTZSCHNEIDER / NITSCHE, Arbeitsbuch, 20; NAUMANN, Verhältnis, 51–52. 8 Vgl. hierzu auch B LUM, Kategorie ›Synchronie‹, 16–30. 6
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
der, ignorieren einander oder stehen sich zum Teil sogar konfrontativ gegenüber. Dass beide Positionen nicht zu einem konstruktiven Gespräch finden,9 macht es umso dringlicher, Wege für einen möglichen Dialog aufzuzeigen.10 In dieser eher verfahrenen Wissenschaftssituation, die meist als ein Entweder-Oder verstanden wird,11 soll in dieser Studie exegetische Methodendiskussion erneut angegangen und eine Möglichkeit aufgezeigt werden, die beide methodologischen Ansätze miteinander verknüpft: »Im Blick auf die gemeinsame Sache – ein möglichst angemessenes Verständnis der Bibel – ist es im Grunde ein Unglück, dass beide Grundverfahren so oft unvermittelt nebeneinander, ja sogar gezielt gegeneinander betrieben werden. Denn an sich müssten sich eine Methodik, die literarästhetisch den vorliegenden Bibeltext zu fassen sucht, und eine solche, die literaturhistorisch nach seiner Entstehung fragt, nicht ausschließen.«12 Um eine Brücke zwischen ›diachronen‹ und ›synchronen‹ Fragestellungen bauen zu können, wird in dieser Studie ein ›synchroner‹, am vorliegenden Text orientierter narratologischer Zugang als Ausgangspunkt gewählt. Im Anschluss an die Frage nach den ›Autorfunktionen‹ bei Michel Foucault und in Anknüpfung an neuere Diskussionen in den Literaturwissenschaften um die Kategorie ›Autor‹ soll dargelegt werden, wie die bisher eher ahistorisch wahrgenommene und werkimmanent arbeitende Erzähltextanalyse als eine ›historisch-kritische‹ Narratologie konzeptualisiert 9
Vgl. hierzu der auf ZENGER zurückgehende Vorschlag einer »diachron reflektierten Synchronie«, ZENGER, Essentials, 213–238 sowie B ERGES, Synchronie und Diachronie, 249–252. Vgl. auch RENDTORFF, Theologie II, 280–297 sowie der Vorschlag einer »antiken Literaturtheorie« von OTTO, Mose, 98–103. 10 Dies mahnt auch die Päpstliche Bibelkommission in ihrem Dokument »Die Interpretation der Bibel in der Kirche« von 1993 an: »Keine wissenschaftliche Methode der Erforschung der Bibel kann dem Reichtum der biblischen Texte ganz gerecht werden. So kann auch die historisch-kritische Methode nicht den Anspruch erheben, allem zu genügen. Sie lässt unweigerlich zahlreiche Aspekte der Texte, die sie erforscht, im Dunkeln. [...] Die ›diachrone‹ Forschung wird für die Exegese immer unerlässlich sein. Die ›synchronen‹ Zugänge, so nützlich sie sind, können sie niemals ersetzen. Um auf eine fruchtbare Weise arbeiten zu können, müssen sie zunächst die Ergebnisse der historisch-kritischen Methode, wenigstens in den Hauptlinien, übernehmen. Unter dieser Bedingung vermögen die synchronen Zugänge [...] zur Erneuerung der Exegese beizutragen und die exegetischen Einsichten und Erkenntnisse zu erweitern. In der Tat kann die historischkritische Methode ja kein Monopol beanspruchen. Sie muss sich ihrer Grenzen bewusst werden und auch der Gefahren, denen sie ausgesetzt ist« (vgl. Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation, 36.115). Vgl. hierzu ebenso die Ansprache von Papst Benedikt XVI. an die Schweizer Bischöfe am 7. November 2006. 11 Vgl. NAUMANN, Verhältnis, 59. 12 DIETRICH, Synchronie und Diachronie, 12: »Jede hat (mehr oder weniger) gute Gründe und ihr (zumindest relatives) Recht für sich, jede hat auch ihre Lücken und Grenzen. Im günstigsten Fall könnten sie einander ergänzen, sich wechselseitig bereichern und sich gegenseitig vor zu großer Einseitigkeit schützen.«
2. Das Kommunikationsmodell als Grundlage der Erzähltextanalyse
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werden kann. Dabei spielt die Frage nach dem ›Autor‹ unter zwei Gesichtspunkten eine entscheidende Rolle: Im Sinne einer narratologischhistorischen Methodologie soll erstens ein Weg von einer narratologischen Auslegung eines Textes zu seiner kontextuellen Verortung aufgezeigt werden; zweitens soll gezeigt werden, welche Rolle die Instanz ›Autor‹ für die Konstitution von Textbedeutung in einer narratologisch-historischen Methodologie einnehmen kann. Es geht um die historische Fundierung einer narratologischen Methodologie, die den textimmanenten Analyserahmen in methodologisch reflektierter Weise überschreitet. Das im Folgenden entwickelte Konzept einer narratologisch-historischen Methodologie nimmt das Verhältnis von Text und außertextlicher Wirklichkeit in den Blick, reflektiert es und bezieht es als einen möglichen Deutehorizont in die Textauslegung mit ein. In dieser Studie wird daher ein Modell vorgeschlagen, wie die meist ahistorisch konzipierte Erzähltextanalyse zu einer narratologisch-historischen Methodologie weiterentwickelt werden kann. Damit soll eine Brücke zwischen ›diachroner‹ und ›synchroner‹ Exegese geschlagen werden, über die ein methodologisch reflektierter Weg von einer leserund textorientierten Erzähltextanalyse zu einer produktionsästhetischen Fragestellung führt, die im Text mit dem ›Autor‹ rechnet und die literarhistorische Genese des Textes in den Blick nimmt. Hierdurch wird der uns heute vorliegende biblische Text um seine historische Dimension und seiner damit verbundenen Dynamik ergänzt. Diese Form der historischen Verankerung ist jedoch keineswegs auf die Produktionsseite des Textes zu beschränken, sondern ist historisch doppelt zu verankern: So ist die Lektüre des Textes im Kontext einer narratologisch-historischen Methodologie sowohl in Bezug auf die Rezeptionssituation der Lesenden als auch in Bezug auf die Entstehungsgeschichte des Textes historisch zu differenzieren (Kap. I. 4.4.5.) und um die Ebenen einer genuin theologischen Lektüre zu ergänzen (Kap. I. 4.4.6.). Der Text hat somit nicht nur eine, sondern mindestens zwei historische Dimensionen, die der Entstehung und die der Lektüre.
2. Das Kommunikationsmodell als Grundlage der Erzähltextanalyse 2. Das Kommunikationsmodell als Grundlage der Erzähltextanalyse
Grundlage für die narratologische Theoriebildung ist die Annahme, dass Erzähltexte aus einem vielschichtigen Kommunikationsprozess bestehen.13 13
Vgl. zum dreigliedrigen Modell CHATMAN, Story and Discourse, 257 und R IMMONKENAN, Narrative Fiction, 86 sowie KAHRMANN / REISS / SCHLUCHTER , Erzähltextanalyse, 20–63; GENETTE, Erzählung, 162–165.249–256; NÜNNING, Grundzüge, 22–40. Vgl. zum inferenzbasierten Kommunikationsmodell J ANNIDIS , Figur und Person, 44–51.
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Ausgangspunkt der Kommunikation ist der schriftlich vorliegende Text, der in diatoper und diachroner Hinsicht Sprechhandlungen konserviert. Als ›Bote‹ dient er der Speicherung zweier nichtidentischer unmittelbarer Sprechsituationen. Herausgelöst aus der ›primären‹ Sprechsituation von Sender und Empfänger kann der in der Schrift gespeicherte Text für eine ›zweite‹ bzw. für eine immer wieder herzustellende, allmalige Sprechsituation aktualisiert und wieder verwertet werden. Diese sprechsituationsüberdauernde Stabilität kennzeichnet den Prozess der Überlieferung als ›zerdehnte‹ Sprechsituation.14 Auf diese Weise fungiert der Text als ›Bote‹, um eine Kommunikation zwischen dem realen Autor als Sender und den Lesenden als Empfängern zu ermöglichen. Wie die Kommunikation des ›Boten‹ im Einzelnen zu verstehen ist, wird zum Teil sehr unterschiedlich konzipiert. Für die folgenden Überlegungen wird die ›Basisversion‹15 eines Kommunikationsmodells zugrunde gelegt, das von drei Kommunikationsebenen ausgeht:16 Die erste Kommunikationsebene (K I) ist die textexterne Ebene, auf der die Leserinnen und Leser als empirische Personen angesiedelt sind, die den Text rezipieren. Ebenso gehört der reale ›Autor‹ oder die reale ›Autorin‹, der bzw. die den Text verfasst hat, der außertextlichen Ebene an.17 Weimar spricht in diesem Zusammenhang von einer ›doppelten Autorschaft‹: Ein ›Autor‹ produziert die von ihm geschaffene und niedergeschriebene Textwelt im Wissen darum, sie dem Lesenden zuzueignen. Der Lesende seiner-
Ein alternatives Modell, um Erzähltexte texttheoretisch zu erfassen, ist das sogenannte ›Zweiebenenmodell‹, das im ›Erzähltext‹ (narrative text) die Ebene der ›Geschichte‹ (story) von der Ebene des ›Erzähldiskurses‹ (discourse) grundlegend unterscheidet, vgl. hierzu WENZEL, Zu den übergreifenden Modellen des Erzähltextes, 15–19. 14 Vgl. EHLICH, Text und sprachliches Handeln, 32. Vgl. auch H IEKE, Neue Horizonte, 65–66; DOHMEN, Biblische Auslegung,179–180. 15 So WENZEL, Zu den übergreifenden Modellen des Erzähltextes, 6. 16 Für die eingehenden Textanalysen zu 1 Kön 13 und 22 werden die Erzählungen jeweils in segmentierter Form präsentiert (vgl. Anhang). Grundlage für die Segmentierung nach Redeebenen ist das Modell der Kommunikationsebenen. Ziel der Segmentierung ist lediglich eine arbeitspragmatische, optische Gliederung eines Textes, um erstens die in den Erzähltext eingefügten Reden und zweitens die syntaktische Struktur zu visualisieren. Dabei werden die in den Erzähltext (K II) eingefügten Figurenreden (K III) jeweils eingerückt; eröffnet eine Figur in ihrer Rede (K III) eine weitere Kommunikationsebene (K IV), so wird diese Rede in der Rede eigens eingerückt usw. Die syntaktische Struktur wird dadurch ersichtlich, dass jeder Satz innerhalb eines Verses durch die Buchstaben a, b, c, d etc. kenntlich gemacht wird. Ein Satz wird durch ein finites Verb definiert, auch Nominalsätze werden als ein Satz verstanden und abgegrenzt. Ebenso werden konjunktionale Nebensätze und Relativsätze, nicht aber Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen abgetrennt. Zur Praxis der Segmentierung vgl. SCHMITZ, Gedeutete Geschichte, 16–17. 17 Vgl. ausführlich zum ›Autor‹ Kap. I. 4.
2. Das Kommunikationsmodell als Grundlage der Erzähltextanalyse
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seits rezipiert die ihm zunächst fremde Textwelt, indem er im Rezeptionsvorgang die Textwelt im Lesen erst (mit)erschafft.18 Die zweite sowie die folgenden Ebenen sind textintern.19 Auf der zweiten Ebene (K II) wird die fiktionale20 Textwelt von der ›Erzählstimme‹ entworfen, die sich an einen ›fiktionalen Adressaten‹21 wendet und die die gesamte Handlung schildert: Sie ›spricht‹ nicht nur den Erzähltext, sondern lässt auch die Figuren22 auftreten, diese agieren und miteinander kommunizieren. Alles, was in der erzählten Textwelt geschieht, geht auf die Erzählstimme zurück. Lässt die Erzählstimme die Figuren sprechen, eröffnet ihre Kommunikation eine dritte Redeebene (K III). Dadurch werden im Text unterschiedliche Stimmen hörbar, die aber alle das Produkt der Erzählstimme sind: Die dritte Kommunikationsebene ist von der zweiten Kommunikationsebene abhängig und deshalb von der Erzählstimme zu verantworten: »Als übergeordnetem Orientierungszentrum kommt der Erzählerinstanz […] ein fiktives Informationsmonopol zu, obwohl sie selbst als ›figural‹ identifizierbare Sprechinstanz des Textes konstituiert sein kann.«23 Zugleich kann die Erzählstimme zu dem von ihr geschilderten
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Vgl. hierzu WEIMAR , Doppelte Autorschaft, 123–133. Weil sich die Eröffnung neuer Kommunikationsebenen – theoretisch – immer weiter fortsetzen kann, bietet es sich an, bei der Zählung der Kommunikationsebenen, anders als bei den üblichen Darstellungen, nicht in der Mitte (so etwa bei NÜNNING, Funktionen, 325), sondern mit der textexternen Ebene zu beginnen. 20 Der Begriff ›fiktional‹ bezeichnet insgesamt die von der Erzählstimme hervorgebrachte (fiktionale Text-)Welt des ›So-tun-als-ob‹, die nach ihrer eigenen Logik funktioniert und zu der Figuren, Orte und Handlungen gehören, während die einzelnen Elemente dieser (Text-)Welt erfunden und ›fiktiv‹ sind, vgl. zur Abgrenzung der Begriffe vgl. CURRIE, Nature of Fiction; W ALTON, Mimesis as Make-Believes; SCHMITZ, Narratologie, 138–139, zu den Termini im biblischen Bereich vgl. ALTER , Biblical Narrative, 23–24; STERNBERG, Poetics of Biblical Narrative, 24–30; LISS, Kanon und Fiktion, 7–38. Zur Entdeckung der Fiktionalität in der Antike (vgl. R ÖSLER, Fiktionalität in der Antike, 283–319) sowie im Mittelalter (vgl. K NAPP, Historische Wahrheit und poetische Lüge, 581–635). 21 Dieser Adressat wird, gemäß der zugrunde gelegten Definition, als ›fiktional‹ bezeichnet: Er ist ein wesentlicher Baustein, durch den die gesamte Textwelt als fiktionaler Raum konstituiert wird und insofern eben nicht mit den Figuren vergleichbar ist, die im einzelnen ›fiktiv‹, ›erfunden‹ sind. NÜNNING hingegen bezeichnet diesen als ›fiktiven‹ Adressaten (vgl. NÜNNING, Funktionen, 325). 22 In dieser Studie wird konsequent der Terminus ›Figur‹ verwendet, um zu markieren, dass es sich um fiktive Figuren der fiktionalen Textwelt handelt. Diese Distinktion besteht vor dem Hintergrund, dass in den Erzähltexten auftretende Figuren auch historische Personen gewesen sein können (wie etwa Jerobeam oder Ahab); gerade in diesen Fällen unterstreicht der Terminus ›Figur‹, dass es sich um einen im fiktionalen Text präsentierten homo fictus (so FORSTER, Aspects of the Novel), nicht aber um die historische Person handelt; vgl. hierzu PFISTER , Drama, 221–222. 23 NÜNNING, Grundzüge, 27. 19
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Geschehen Stellung nehmen, es bewerten und Figuren sowie deren Handlungen kommentieren. In der von der ›Erzählstimme‹ (K II) erzählten Handlung nehmen besonders die sprechenden Figuren eine aktive Rolle in der Gestaltung der fiktionalen Welt ein.24 In ihrer Rede (K III) kann eine Figur von einem Geschehen berichten, in dem weitere Figuren auftreten, die miteinander reden und interagieren können; dies ist zum Beispiel bei einer in einer Rede zitierten wörtlichen Rede oder bei einer in einer Rede geschilderten Erzählung der Fall. Diese bilden als eingebettete Sprechhandlung25 die vierte Kommunikationsebene (K IV). Damit werden die auf der dritten Ebene sprechenden Figuren selbst zu ›Erzählstimmen‹. Um allerdings terminologische Verwirrungen zwischen der Erzählstimme (K II) und der Figur als ›Erzählstimme‹ (K III) zu vermeiden, sollte man auf den Terminus ›Erzählstimme‹ für Figuren verzichten und stattdessen von ›erzählenden Figuren‹ sprechen. Als ›erzählende Figuren‹ verfügen sie auf der Ebene ihrer Rede über alle Eigenschaften und Freiheiten, die auch die Erzählstimme auszeichnet. Da sie als begrenzte Figuren auf der zweiten Kommunikationsebene auftreten, kann man sie als ›charactor-bound narrators‹26 bezeichnen. Weil jede Figurenrede grundsätzlich durch die Perspektive der jeweiligen Figur determiniert ist, ist der Handlungs- und Aktionsspielraum auf die physischen und psychischen Grenzen festgelegt, die innerhalb der geschilderten fiktionalen Welt gelten. Anders ist dies bei der Erzählstimme: Sie kann an mehreren Orten und zu unterschiedlichen Zeiten gleichzeitig präsent sein, kann sich durch Allwissenheit auszeichnen und kann Zugang zu normalerweise unzugänglichen Bereichen, wie beispielsweise zur Gefühlslage oder zu den Gedanken einer Figur, haben.27 Innerhalb der Grenzen der fiktionalen Textwelt sind die Figuren jedoch selbständig agierende und handelnde Subjekte, die jeweils für ihr Tun und Reden ›verantwortlich‹ sind. Damit ist die Rede einer Figur Ausdruck ihrer Perspektive und ihrer ›Weltsicht‹. Auf diese Weise trägt die Figurenrede zur Charakterisierung der Figur bei und muss keineswegs mit der Absicht oder dem Anliegen der Erzählstimme identisch sein. Deswegen darf weder von einer 24
Zur Figur vgl. Kap. I. 3.3. Vgl. ausführlich zur Frage der eingebetteten Sprechhandlungen B AL, Narratology, 44–75. 26 Vgl. B AL, Narratology, 44–47. 27 Diese Grenzen müssen nicht identisch sein mit den Grenzen der außertextlichen Realität. Es ist gerade die Kraft fiktionaler Texte Welten zu entwerfen, in denen die Grenzen dessen, was als ›Wirklichkeit‹ erlebt wird, gesprengt werden, um neue Welten zu imaginieren. Dennoch gelten auch innerhalb dieser fiktionalen Welt explizite und/oder implizite Gesetzmäßigkeiten, die für ein Funktionieren dieser Welt sorgen. Dabei können die in der fiktionalen Welt etablierten Grenzen thematisiert, übertreten oder verändert werden. 25
2. Das Kommunikationsmodell als Grundlage der Erzähltextanalyse
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Figur oder der Erzählstimme auf den Autor28 noch von einer der literarischen Figur auf ihr empirisch-historisches Pendant geschlossen werden.29 Gegenüber bisherigen Kommunikationsmodellen erzählender Texte ergeben sich aus der Theorie wie der textauslegenden Praxis vier Einwände. Diese werden im Folgenden erläutert und führen zu Modifikationen des Modells: Erstens steht der Inflation der textinternen Kommunikationsebenen und Sprecherinstanzen in der theoretischen Diskussion eine immer stärker zu beobachtende faktische Relevanzlosigkeit in tatsächlichen Textauslegungen gegenüber. Dies spricht deutlich für ein entschlacktes Kommunikationsmodell, das – wie oben beschrieben – aus drei basalen Ebenen besteht. Dieses erweist sich in der Textanalyse als pragmatisch, zweckmäßig und handhabbar. Zweitens werden literarische Texte durch artifiziell-elaborierte Kommunikationsmodelle mit vier, sechs und mehr Ebenen30 letztlich auf trichterförmig, nach innen geschachtelte Modelle mit Kippeffekt reduziert.31 28
Dass dies auch in der Literaturwissenschaft üblich ist, zeigt LAUER exemplarisch an den so unterschiedlichen Kafka-Interpretationen von Benno von Wiese und Gilles Deleuze / Félix Guattari, die beide jeweils von den Figuren der Werke Kafkas auf ihren Autor und Kafka als Mensch schließen, vgl. LAUER , Kafkas Autor, 222–224. 29 Der Jerobeam der Königsbücher ist eine literarische Figur und eine Konstruktion der Erzählstimme, nicht zu verwechseln mit dem historisch evtl. rekonstruierbaren Jerobeam. 30 Vgl. die Darstellung der immer elaborierter werdenden Modelle bei W ENZEL, Zu den übergreifenden Modellen des Erzähltextes, 10–14. Zu den Instanzen des Textes gehört auch der ›implizite Autor‹; dieses Textkonstrukt wird in Kap. I. 4.3.3. eigens diskutiert. 31 »Texte, so scheint es, sind recht bevölkerte Gegenden. Regelmäßig angetroffen, so sagt man, werden dort fünf Stämme: die impliziten Autoren (implied authors), die Erzähler (narrators), ihre Adressaten (narratees bzw. narrataires), die impliziten Leser (implied readers, lectores in fabula) und natürlich die Figuren (characters); ob noch andere vorhanden sind, ist umstritten« (WEIMAR , Wo und was ist der Erzähler?, 496). »Das topographische Modell wird in sich selbst eingelagert, an seiner Mittelstelle die Nachricht, aber befremdlicherweise nicht als Nachricht über das nächste Kommunikationsniveau, sondern als diese Kommunikation selbst. […] Der Text verwandelt sich aus einer schriftlich kodierten Nachricht innerhalb der Kommunikation zwischen Autor und Leser – nein: nicht etwa in eine mündlich kodierte Nachricht innerhalb der Kommunikation zwischen Erzähler und Hörer, vielmehr – in Kommunikation zwischen Erzähler und Adressat (narratee), in der wiederum keine kodierte Nachricht übermittelt wird, sondern das nächste Kommunikationsniveau usw.« (W EIMAR , Wo und was ist der Erzähler?, 498–499). Gegen diesen Einwand ist zu betonen, dass der Text in den Modellen narrativer Kommunikation beides zugleich ist: Er ist Element in der Kommunikation zwischen dem Autor und dem Leser sowie in der Kommunikation zwischen Erzähler und Zuhörer (so auch J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 544). Das Modell visualisiert daher die Kommunikationssituation in erzählenden Texten, die als »kommunizierte Kommunikation« (J ANIK, Kommunikationsstruktur des Erzählwerks, 12) verstanden werden kann.
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Damit stehen die einzelnen Kommunikationsebenen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander.32 Dies ist jedoch nicht als ein zwingendes Gesetz, sondern vielmehr als die ›Grundordnung‹ der literarischen Kommunikation zu begreifen. Statt einer starren Handhabung machen die Kommunikationsebenen vielmehr anschaulich, wie Kommunikationsprozesse in einem literarischen Text grundsätzlich ›funktionieren‹ und machen diese durch ihre Visualisierung leichter beschreibbar. Kommunikationsebenen können beispielsweise durch metakommunikative Äußerungen durchbrochen werden, es kann mit der Differenz von ›Erzählstimme‹ und ›Autorfiguration‹33 gespielt werden, es können durch den Wechsel von kommunikativen Ebenen Perspektivwechsel angezeigt oder multiperspektivisches Erzählen erzeugt werden etc. Daher sollte die Anordnung der Kommunikationsebenen als Basisordnung verstanden werden, die die Funktion hat, die prinzipielle Organisation der Kommunikation zu veranschaulichen und zugleich die Durchbrechungen ihrer Ordnung beschreibbar zu machen. Am wichtigsten jedoch ist der dritte Einwand: In den bisherigen Kommunikationsmodellen – so elaboriert ihre Ebenen auch sein mögen – ist zwar die textexterne Ebene stets benannt, aber nie tatsächlich in die Textauslegung einbezogen worden. Die Frage nach der Entstehungsgeschichte literarischer Texte ist eine Frage nach der Situierung des Textes in der außertextlichen Wirklichkeit und verweist auf den ›realen Autor‹. Analog zur Frage nach der Produktion des Textes rückt auch die Frage nach der realen Rezeption des Textes in den Mittelpunkt. Will narratologische Methodologie den Texten gerecht werden, so kann sie nicht zentrale Kommunikationsinstanzen ausblenden und einfach ignorieren. Es ist daher ein narratologisches Konzept zu entwickeln, dass vom literarischen Text ausgehend nach seinen textexternen Verankerungen fragt und diese in die Interpretation mit einbezieht (vgl. hierzu Kap. I. 4.). Es ist zu zeigen, dass mit der Einbeziehung der textexternen Ebenen kein methodologischer Fehlschluss vorliegt, sondern die bisher nur textintern beschriebenen Perspektivenstrukturen um ihre textexterne, historische Perspektive und damit um ihre textkonstitutiven Funktionen auf der Produktions- wie Rezeptionsseite erweitert werden. Aus dieser anstehenden Neukonzeptualisierung ergibt sich ein vierter Einwand gegenüber dem Kommunikationsmodell, das zu weiteren Modifikationen führt: Die Modelle für die Kommunikationssituation erzählender Texte haben ihren Ausgang von kommunikationstheoretischen Modellen der Alltagskommunikation genommen. Diese gehen in ihrer einfachsten 32
Vgl. GENETTE: »Jedes Ereignis, von dem in einer Erzählung erzählt wird, liegt auf der nächsthöheren diegetischen Ebene zu der, auf der der hervorbringende narrative Akt dieses Ereignisses angesiedelt ist«, GENETTE, Erzählung, 163. 33 Vgl. hierzu Kap. I. 4.4.4.
2. Das Kommunikationsmodell als Grundlage der Erzähltextanalyse
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Form von einem Sender aus, der eine Nachricht an einen Empfänger sendet (Sender ĺ >1DFKULFKW@ ĺ (PSIlQJHU . Dies hat zur Folge, dass in den bisher vorliegenden Modellen literarischer Kommunikation stets vom Autor aus gedacht wird.34 Alle Darstellungen der Kommunikationsebenen insinuieren durch den Aufbau ›Autor ĺ7H[Wĺ/HVHU½eine Kommunikation vom Autor als dem Sender zum Leser als dem Empfänger. Soweit ich sehe, ist weder in der Erzähltextforschung noch in der Rezeptionsforschung diese Konstruktion der Leserichtung vom Autor zum Leser überdacht worden, obwohl gerade letztere dezidiert von der Rezeptionssituation ausgeht. Wenn ein Modell die Kommunikationssituation literarischer Texte erhellen will, dann sollte es die tatsächliche Kommunikationssituation abbilden: Bei jeder Lektüre nimmt die Kommunikation ihren Ausgang von denen, die den Text real lesen. Statt produktionsästhetisch vom ›Autor‹35 muss daher von den real Lesenden aus gedacht werden:36 Sie sind die entscheidende Instanz, die den Kommunikationsprozess eröffnen. Die Rezipierenden lesen den ihnen vorliegenden Text. Erst durch und mit dem Text können die Lesenden dann die Frage nach der Produktionsseite stellen. Weil die gemeinsame Schnittmenge zwischen der Produktions- und der Rezeptionsseite nur der Text selbst ist, sollte dieser im Zentrum stehen. Dieser aber setzt ein real lesendes Subjekt voraus, das am Anfang des Kommunikationsprozesses steht. Dieses rezeptionsästhetisch modifizierte Kommunikationsmodell hat zudem zur Konsequenz, dass die Analyse der Kommunikationssituation eines Textes nicht ebenenspezifisch, sondern entlang der ›Leserichtung‹ des Modells erfolgt: So kommuniziert eben nicht der reale ›Autor‹ mit den real Lesenden auf der ersten Kommunikationsebene. Vielmehr sind die real Lesenden (K I) mit einem fremden Text konfrontiert (K II ff.); nur in, mit und durch den Text können die Lesenden nach der Produktionsseite fragen.37
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Es ist unnötig zu betonen, dass es sich bei Modellen dieser Art um eine idealisierte, schematisierende, abstrahierende und daher auch immer unvollständige, vereinfachte Darstellungsweise handelt, deren Funktion es nicht ist, das System vollständig zu erfassen, sondern die vorliegende Komplexität so zu reduzieren, dass über die Veranschaulichung Verständnis gefördert werden kann. 35 Bei diesem Modell beginnt man mit dem Faktor, zu dem man am schwierigsten Zugang hat und dessen Einbeziehung in die Bedeutungskonstruktion literarischer Texte am umstrittensten ist. 36 Das unten stehende Schema ist daher entsprechend unserer Leserichtung von links nach rechts zu lesen: Der Rezeptionsprozess beginnt mit den Lesenden. 37 Zur Terminologie ›Autorfiguration‹ vgl. Kap. I. 4.4.3. Die im Schema insinuierte Symmetrie von Rezipierenden und ›Autorfigurationen‹ bildet richtig ab, dass beide Instanzen der außertextlichen Wirklichkeit angehören; durch die unterschiedliche Positionierung von Rezipierenden und Autor im Schema soll jedoch angedeutet werden, dass beide erstens grundlegend unterschiedliche Funktionen im
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Mit den hier vorgenommenen Modifikationen, erstens der Reduktion der Kommunikationsebenen auf drei basale Ebenen, zweitens ihre flexible Handhabung, drittens die Einbeziehung der textexternen Instanzen und viertens eine dem Rezeptionsprozess angemessene Konzeptualisierung des Kommunikationsmodells vom Rezipierenden aus, erweist sich das Kommunikationsmodell als sinnvolle Grundlage für narratologische Analysen. Rezipient
außertextliche Wirklichkeit (K I) Erzählung (K II)
Erzählstimme
¿NWLRQDOHU$GUHVVDW
Figur A
Figur C:
Figur B
Figur D:
Rede (K III) Rede (K III) Figur X:
Rede in der Rede (K IV) $XWRU¿JXUDWLRQ Autor
Zudem ermöglicht dieses Kommunikationsmodell, unterschiedliche Zugänge und Interpretationsansätze zu kategorisieren, mit denen literarische Texte analysiert werden. Je nachdem, ob sie einen Schwerpunkt auf die Lesenden, den Text oder den ›Autor‹ legen, können sie den unterschiedlichen Positionen zugeordnet werden. Unter leserorientierten Ansätzen sind rezeptionsästhetische Modelle wie von Iser, Jauß, Warning etc. ebenso zu subsumieren wie poststrukturalistische oder dekonstruktive Lektüren wie beispielsweise von Lacan, Kristeva, Barthes, Foucault, Derrida u.a. Doch auch rezeptionsästhetische Ansätze, die dezidiert von einer Leserorientierung ausgehen, haben nur höchst selten den ›real Lesenden‹ im Blick. Ihnen ging es eher um die Konstruktion von ›Modell-Lesern‹ (Eco)38 oder von ›impliziten Lesern‹ (Iser)39, die aber textinterne Lese-Konstruktionen sind.40 Damit haben sie zwar einen wichtigen und zentralen Baustein für die textimmanente Kommunikation gelieKommunikationsmodell einnehmen und zweitens historisch aus ganz verschiedenen Zeiten und Kontexten stammen können. 38 Vgl. ECO, Lector in fabula. 39 Vgl. ISER, Der implizite Leser. 40 Vgl. den Vorschlag von RABINOWITZ, der zwischen einem authorial audience, einem narrative audience und einem ideal audience unterscheidet, vgl. RABINOWITZ, Truth in Fiction, 121–141.
2. Das Kommunikationsmodell als Grundlage der Erzähltextanalyse
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fert, haben aber, bei aller Unterschiedlichkeit der Modelle, nur selten die real Lesenden im Blick gehabt. Die real Lesenden sind auch im Bereich der biblischen Literatur weithin unentdeckt, dabei eröffnet sich gerade hier ein hochinteressantes Feld interdisziplinärer Forschung von der theoretischen Präzisierung der Rezipientenposition, über Leseverfahren biblischer Texte in der Geschichte41 bis hin zu Lektüregeschichten42 in individuellen Biographien43 unter Einbeziehung der situativen Lesekontexte. Hinzu kommen die höchst aufschlussreichen und bisher in die biblische Exegese nicht oder kaum integrierten textanalytischen Verfahren, wie die an der Kognitionstheorie orientierte Narratologie,44 das Konzept der Naturalisation45 oder konstruktivistischen46 Erzähltextanalysen. Unter einem zweiten Schwerpunkt können genuin textorientierte Analyseverfahren subsumiert werden. Darunter fallen Lektürestrategien wie die des Strukturalismus, des New Criticism, der werkimmanenten Methode oder auch das Vorgehen des close reading. In diese Kategorie gehören auch die sogenannten ›synchronen‹, am heute vorliegenden Text orientierten Lektüreverfahren in der biblischen Exegese. Ein dritter Schwerpunkt kann auf der Produktionsseite liegen. Diese Perspektive hat besonders in den letzten Jahrzehnten in der an Autorinnen interessierten feministischen Forschung neuen Aufschwung erfahren und ist in soziologisch oder psychologisch orientierter Literaturwissenschaft stets präsent geblieben. Mit der Frage nach der Entstehung der biblischen Texte hat auch die historisch-kritische Exegese seit der Aufklärung den Fokus auf die Frage nach den ›Autoren‹ der biblischen Texte gelegt. Mit 41
Vgl. GRIEPE, Geschichte des Lesens. Lektüre als »eine Art persönliches Gespräch, bei dem der Leser seinen Gesprächspartner möglichst genau kennenlernen möchte«, M ORSBACH, Wahrheit des Erzählens, 169. 43 Vgl. zur Bedeutung des Lesens in der eigenen Biographie und Sozialisation, vgl. REICHERT, Lesenlernen. 44 Vgl. hierzu die interessante Einführung in Textverarbeitungsprozesse aus der Sicht der Kognitionspsychologie für die Bedeutungskonstitutionen literarischer Texte vgl. CHRISTMANN / SCHREIER , Kognitionspsychologie, 246–285. Zur Kognitiven Narratologie vgl. PERRY, Literary Dynamics, 311–361; HARKE, Information Processing, 465–481; J AHN, Frames, 441–468; IBSCH, The Cognitive Turn in Narratology, 411–418; SCHNEIDE, Grundriß zur kognitiven Theorie der Figurenkonzeption; ZERWECK, Der cognitive turn in der Erzähltheorie, 243–264; STOCKWELL, Cognitive Poetics; HERMAN, Narrative Theory and Cognitive Science. 45 Vgl. hierzu FLUDERNIK (›Natural‹ Narratology), die das Konzept der ›Naturalisation‹ von CULLER ausgearbeitet hat. ›Naturalisation‹ definiert CULLER : »To naturalize a text is to bring it into relation with a type of discourse of model which is already, in some sense, natural or legible«, CULLER , Structuralist Poetics, 138. 46 Vgl. hierzu als Überblick mit textauslegendem Beispiel NÜNNING, Bausteine einer konstruktivistischen Erzähltheorie, 3–17. 42
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
der Genese der biblischen Texte, ihrer Entwicklung von der ältesten mündlichen oder schriftlichen Gestalt bis zu der heute vorliegenden Fassung hat sie die Produktionsseite in den Mittelpunkt ihres Forschungsinteresses gestellt. Keine der möglichen Zugangsweisen zu einem Text erweisen sich per se besser oder schlechter geeignet als andere. Vielmehr ändert sich mit jeder Schwerpunktsetzung die Perspektive, so dass mit dem gewählten Zugang jeweils spezifische Vorteile, aber auch eigene Schwierigkeiten verbunden sind. Anvisiert werden müssten daher Ansätze, um »ein tragfähiges literaturwissenschaftliches Begriffsinventar zu entwickeln, das dem Wechseltausch von Autor, Text und Leser auf die Spur käme.«47 Weil es das Interesse der vorliegenden Studie ist, eine Textanalyse zu explorieren, deren Angemessenheit an dem uns heute vorliegenden Textmaterial zu plausibilisieren ist, liegt das Achtergewicht der folgenden Textanalysen auf einem textorientierten Lektüreverfahren: Um den subtilen Differenzierungen auf die Spur zu kommen, bietet sich ein genaues, textnahes Lesen im Sinne eines kulturwissenschaftlich reflektierten close reading an.48 Geleitet sind die Textanalysen von der Einsicht, dass ›Texte‹ »nur scheinbar handfester im Vergleich zur psychologisierenden Spekulation sind. Tatsächlich sind sie aber kein mögliches Rückzugsgebiet für fröhliche Positivisten, sondern sie sind Zeichenträger in einem kommunikativen Prozess, der Existenz und Verwendung dieser Spekulation voraussetzt. Ohne die Spekulation gibt es nicht die Texte – nun erst richtig und ohne Täuschung gesehen –, sondern lediglich schwarze Flecken auf dem Papier.«49 Um einen Text lesen und verstehen zu können, ist die Lesearbeit und Sinnkonstruktion der Lesenden unabdingbare Voraussetzung. Daher bildet sie den entscheidenden Ausgangspunkt für einen textorientierten Zugang. Auf diese Weise rückt das rezipierende Subjekt neben dem Text in den Mittelpunkt, weswegen sich die hier anvisierte Erzähltextanalyse als leseorientiert und rezeptionsgebunden versteht. Der »wunde Punkt«50 der Rezeptionsästhetik »aber bestand und besteht darin, dass die Rezeptionsästhetik keine Handhabe dafür bietet, angemessenere von weniger angemessenen Deutungen zu unterscheiden, kein Regulativ kennt, um Textbedeutungen und Deutung voneinander zu differenzieren. Denn in letzter Konsequenz wird auf der Grundlage dieser rezeptionsästhetischen Prämissen 47
LAUER , Autorkonzepte in der Literaturwissenschaft, 166. Vgl. hierzu B AL, Close Reading Today, 19–40; WEITZ, Close Reading, 354–365; ARMSTRONG, Textual Harassment, 401–420. ROBERTSON nennt seine Lektüre von 1 Kön 22 »literary reading«: »I would like to put myself in a literary reference and give one kind of literary reading of this passage«, ROBERTSON, Micaiah, 143. 49 J ANNIDIS, Figur und Person, 23. 50 W ARNING, Rezeptionsästhetik, 12. 48
3. Perspektivenstrukturen
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jedwede Deutung immer schon zum Bestandteil der Bedeutung«.51 Deswegen ist in die rezeptionsorientierte Analyse die produktionsästhetische Seite zu integrieren, um aus dem spezifischen Blick der Rezeptionssituation der Leserinnen und Leser die historische Dimension in die Erzähltextanalyse zu integrieren. Das im Folgenden beschriebene analytische Instrumentarium dient dabei als eine Möglichkeit der Lektüre von Texten, die an 1 Kön 13 und 22 exemplarisch entfaltet wird. Eine Analyse, die sich als Lektüre versteht, versucht die generalisierende Metaperspektive zu vermeiden. Sie versucht vielmehr den Prozess nachzuvollziehen, in dem sich das Erzählte entfaltet. Ein Lesen, das aus der Dynamik des Textes resultiert,52 versteht sich als »reading with the grain«53. Diese Textlektüre findet zugleich in dem Bewusstsein statt, dass es mein Lesen ist, das, wie jedes Lesen, bereits durch meine Verortung, in der ich lese, fokalisiert ist. Die Frage »Wer liest?« ist Ausgangspunkt für jeden Lektüreprozess, um die nicht hintergehbare Gebundenheit des Lesenden aufzuzeigen, Transparenz im Lektüreprozesses zu ermöglichen und um zu vermeiden, dass die Lesenden das ›Eigene‹54 für das ›Eigentliche‹ und ›Objektive‹ halten.55 Die eigene Perspektivgebundenheit wahrzunehmen, ist zugleich von dem be(un)ruhigenden Wissen geprägt, dass Lesen nur vorläufig ist und nur aus pragmatischer Notwendigkeit beendet werden kann, die Lektüre eines Textes aber nie abgeschlossen ist. Texte sind nie zu ›verstehen‹, und sie sind nie zu domestizieren!
3. Perspektivenstrukturen in erzählenden Texten 3. Perspektivenstrukturen
Erzählende Texte sind ein Konglomerat von Perspektivenstrukturen. Verschiedene ›Perspektiven‹ (lat. perspicere ›hindurchschauen, deutlich sehen‹) ermöglichen unterschiedliche, divergierende, aber auch konvergierende Sichtweisen auf das in der fiktionalen Textwelt erzählte Geschehen. 51
KABLITZ, Objektivierbarkeit von Geschichtsschreibung, 226. Vgl. hierzu auch GRABES, Wie aus Sätzen Personen werden, 405–428. 53 HAMILTON, Nets of Prophecy, 653. 54 Dass jede Lektüre und jede wissenschaftliche Auseinandersetzung Spiegel ihrer Selbst ist, beleuchtet der vielsagende Buchtitel »Sie fanden, was sie kannten. Archäologie als Spiegel der Neuzeit« von REHORK. 55 Auch die, die Texte professionell als LiteraturwissenschaftlerInnen oder ExegtInnen lesen, sind in erster Linie LeserInnen. Auch wenn sie über historisches und kulturelles Hintergrundwissen, literaturtheoretische Fundierung, spezialisiertes Textwissen und Sprachkenntnisse verfügen, macht sie das vielleicht zu privilegierten LeserInnen, unterscheidet sie aber nicht grundlegend von ›NormalleserInnen‹. Ihnen ist daher keine Metaposition im Lektüreprozess einzuräumen. Anders JANNIDIS, Figur und Person, 27– 28. 52
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Der aus der Naturwissenschaft, speziell der Optik, stammende mittellateinische Terminus perspectiva bezeichnet die Wissenschaft vom Sehen, die sich nicht nur mit dem richtigen Sehen, sondern vielmehr mit dem Phänom optischer Täuschung auseinandergesetzt hat.56 In der Renaissance wurde der Begriff von der Malerei übernommen, die mit den Regeln der Optik die Technik der Zentralperspektive entwickelt hat, um einen dreidimensionalen Raumeindruck auf einer zweidimensionalen Fläche zu erzeugen. In der Philosophie bezeichnet ›Perspektivismus‹ eine Strömung, der die Erkenntnis, dass alle Wahrnehmung von der ausschnitthaften Wahrnehmung des Subjekts abhängt, zugrunde liegt und die einen subjektunabhängigen Wahrheitsbegriff negiert. In der Literaturwissenschaft hingegen wird der Terminus ›Perspektive‹ sehr unterschiedlich und recht unscharf verwendet. Um die Perspektivenstruktur in literarischen Texten zu erfassen, bedarf es der grundlegenden Unterscheidung zwischen dem, was erzählt wird, und dem, wie es erzählt wird. Während das Was nach den erzählten Ereignissen fragt, nimmt das Wie die Art und Weise des Erzählens in den Blick. Die Frage nach dem Wie des Erzählten kann auf zwei Ebenen angesiedelt sein: zum einen auf der Ebene der narration, auf der der Erzählvorgang selbst konstituiert wird, und zum anderen auf der Ebene der focalization, auf der die Wahrnehmungslenkung in der erzählten Welt thematisiert wird. Die erste Differenzierung betrifft den Erzählvorgang selbst. Daher steht zuerst die Frage, wie die Erzählstimme in literarischen Texten beschrieben werden kann, im Mittelpunkt (vgl. Kap. I. 3.1.). Paradoxerweise gehört gerade die Erzählstimme zu den in der Erzähltheorie lange vernachlässigten Instanzen, obwohl doch gerade sie es ist, die den Erzähltext konstituiert. Daher werden zunächst Kategorien zur Beschreibung der Erzählstimme erläutert, um die von der Erzählstimme etablierten Perspektivenstrukturen in erzählenden Texten analysieren zu können. Diese erweisen sich als weiterführend, sind aber in der biblischen Exegese bislang kaum rezipiert worden. Der zweite Aspekt der Erzeugung von Perspektivenstrukturen findet auf der Ebene der Fokalisierung, der Wahrnehmungslenkung in erzählenden Texten, statt (vgl. Kap. I. 3.2.). Neben der Ebene des Erzählvorgangs stellt sich drittens die Frage nach der Konstitution von Perspektiven durch die Figuren (vgl. Kap. I. 3.3.): Mit den in der fiktionalen Textwelt agierenden, sprechenden und denkenden Figuren ist jeweils eine eigene Perspektivierung des Erzählten verbunden, die sowohl von der Darstellung des Erzählten durch die Erzählstim-
56 Vgl. hierzu SURKAMP, Perspektive, 520–521 sowie grundlegend: SURKAMP, Perspektivenstruktur narrativer Texte; vgl. auch NÜNNING, Grundzüge, 65–69 sowie NÜNNING, Perspektivenübernahme und Perspektivenkoordinierung, 137–161.
3. Perspektivenstrukturen
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me, als auch von der Präsentation der Wahrnehmungslenkung unterschieden werden kann. 3.1. Die Erzählstimme Die Unterscheidung zwischen ›Erzähler‹ und ›Autor‹ ist heute in jeder narratologischen Theorie grundlegend. Diese hat sich aber erst durch die bedeutende Studie von Käte Friedemann »Die Rolle des Erzählers in der Epik« (1910)57 und den Vortrag von Wolfgang Kayser »Wer erzählt den Roman?« (1957)58 durchgesetzt.59 Vorher hat man meist recht unbefangen den (auktorialen) ›Erzähler‹ mit dem Autor identifiziert. Inzwischen ist der ›Erzähler‹ eine (weitgehend) unbestrittene Größe und zugleich zu der zentralen Instanz in der Erzähltextforschung avanciert. Umso mehr erstaunt es, dass gerade an dieser Stelle ein Defizit in der methodologischen Auseinandersetzung zu konstatieren ist: Während bei der Entwicklung der narratologischen Theorien ein ausgefeiltes Analyseinstrumentarium, z.B. im Hinblick auf die Zeit, entwickelt worden ist, ist gerade die für jede narratologische Lektüre so fundamentale Instanz des ›Erzählers‹ in der theoretischen Reflexion vernachlässigt worden.60 Lange waren die drei von Stanzel61 entwickelten Instanzen, ›Er-Erzähler‹ bzw. ›auktorialer Erzähler‹, ›personaler Erzähler‹ und ›Ich-Erzähler‹, die einzige Differenzierung. Häufig begnügte man sich mit dem dürren Hinweis, dass es sich bei dem zu analysierenden Text um eine ›auktoriale Erzählsituation‹ handele. So mangelte es sowohl an einer theoretischen Reflexion über die Erzählinstanz als auch an der Ausbildung einer anwendbaren und differenzierten Terminologie für die Analyse:62 »Aufgrund der Tatsache, daß alle Erkenntnis theoriegeleitet ist, ist dieser Mangel an adäquaten Kategorien für die Beschreibung von Erzählerfunktionen mehr als nur ein erzähltheoretisches Defizit«. Dieser Mangel stelle sich als umso gravierender heraus »als die Analysekategorien, die spezifische Optik des wissenschaftlichen Vorgehens aus57
FRIEDEMANN, Die Rolle des Erzählers. KAYSER , Wer erzählt den Roman?, 82–101. 59 Vgl. hierzu auch Kap. I. 4.3.1. 60 Eine ähnliche Situation ist für die Analyse des Raums – gerade angesichts des ausgefeilten Instrumentariums zur Analyse der Zeit – zu beobachten. 61 Vgl. zum Erzähler LUDWIG, Arbeitsbuch Romananalyse, 78–87; STANZEL, Theorie des Erzählens, 24–38. 62 Das Fehlen einer »Theorie deskriptiver Kategorien des Erzählverhaltens« (B AUER, Deskriptive Kategorien, 33) mache sich auch praktisch in der Analyse bemerkbar. B AUER schlägt daher zwei grundlegende Analysekategorien für das Erzählverhalten vor: »Sein des Erzählers« und sein Verhalten gegenüber den erzählten Figuren. Dabei versteht er den »Erzähler als Figur«, vgl. B AUER , Deskriptive Kategorien, 34–37. LANSER beklagt »the absence of a well-developed critical practice for analyzing narrative ›presence‹ in depth«, LANSER , Narrative Act, 233. 58
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machen«63, was sich unweigerlich in der Interpretation und ihrer Qualität niederschlage. Im Sinne einer präzisen Terminologie sei den theoretischen Grundlegungen zur Beschreibung der Erzählinstanz ein Nachdenken über die verwendete Terminologie vorgeschaltet: Der Begriff ›Erzähler‹ legt – in (missverständlicher) Analogie zum realen ›Autor‹ – nahe, dass es sich bei dem ›Erzähler‹ um eine Person handelt. Statt jedoch eine reale Person zu sein, ist der ›Erzähler‹ vielmehr eine Instanz des Erzählens auf der zweiten Kommunikationsebene und als solche eine Metapher zur Beschreibung eines textuellen Phänomens.64 Weil zu den Funktionen, die die ›Erzählstimme‹ im Text einnehmen kann, auch die Frage nach dem Grad ihres Erscheinens im Text, also ihrer potentiellen Personalisierbarkeit (z.B. durch geschlechtsspezifische Zuschreibungen) gehört,65 ist es umso entscheidender, bereits bei der Wahl des Begriffs für dieses textuelle Phänomen einen Terminus zu verwenden, der markiert, dass etwas personalisiert, geschlechtlich konnotiert etc. wird, was gerade keine Person, sondern eine Funktion des Textes ist. Aus diesem Grund schlage ich vor, den Begriff ›Erzählstimme‹ statt des Begriffs ›Erzähler‹ zu verwenden. Mit diesem Terminus sind verschiedene Vorteile verbunden: Erstens markiert der Terminus, dass es sich um eine identifizierbare Größe des Textes handelt, vermeidet aber zweitens anthropomorphe Assoziationen, wie dies der Begriff ›Erzähler‹ insinuiert. Drittens macht er – im Gegensatz zu dem Neutralität und vermeintliche Objektivität suggerierenden Begriff ›Erzählinstanz‹ – deutlich, dass die ›Erzählstimme‹ eine interessengeleitete Position im Text einnehmen kann. Dass die ›Erzählstimme‹ als textuelles Phänomen anders als eine Figur auftritt, hat dazu geführt, die Existenz einer Erzählstimme überhaupt zu leugnen: »Wie sehr man sich auch anstrengt und wie raffiniert man auch vorgeht – es ist völlig unmöglich und dementsprechend auch niemandem gelungen, einen Erzähler, wie man ihn sich denken mag, in einem Text zu finden.«66 Die Kritik, man treffe die Erzählstimme »weder in der Schrift an (denn da sind nur Buchstaben) noch in der Sprache bzw. récit (denn da 63
NÜNNING, Funktionen, 323. Vgl. hierzu auch die Definitionen von B AL: Der narrative Text, definiert als »a text in which a narrative agent tells a story«, zeichnet sich durch den »narrative agent«, den B AL als »narrator«, »Erzähler«, bezeichnet, aus, dessen Identität und Status zu klären ist. Der Erzähler ist keine Person, sondern ein linguistisches Subjekt, eine Funktion, »which expresses itself in the language that constitutes the text«. Der Erzähler unterscheidet sich zum einen vom Autor, um durch die Einführung dieser Instanz den Autor zu emanzipieren »from the stronghold of a misconceived interpretive authority« (B AL, Narratology, 16-17). 65 Vgl. hierzu Kap. I. 3.1.1.4. und 3.1.1.6. 66 WEIMAR , Wo und was ist der Erzähler?, 500–501. 64
3. Perspektivenstrukturen
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sind nur Wörter und Sätze) noch in Textwelt bzw. histoire (denn die ist das, was oder wovon erzählt wird)«67, greift die Unterscheidung der Textebenen histoire, récit und narration von Genette auf. Aber sie bezieht sich nur auf die Unterscheidung von histoire und récit und übergeht die narration (story).68 Doch gerade sie ist die entscheidende Ebene, auf der die ›Erzählstimme‹ zu situieren ist, statt sie – wie meist üblich – auf der Ebene der Darstellung, der fabula, zu verorten, »da natürlich die Informationen zum Erzähler in der Darstellung gegeben werden, aber ihre Aggregierung zu einer Instanz mit spezifischen Eigenschaften schon nicht mehr Teil der Darstellung sein kann.«69 Die Erzählstimme ist somit ein Teil der fiktionalen Textwelt, die die Lesenden aufgrund der im Text gegebenen Hinweise konstruieren, und ergibt sich somit aus der Rezeptionsleistung der Lesenden.70 Es ist daher irreführend, wenn die ›Erzählstimme‹ in den grafischen Aufbereitungen des Kommunikationsmodells71 als eine Instanz erscheint, die sie mit Figuren vergleichbar erscheinen lässt:72 »Es sind vielmehr Konzepte des Lesers, mit denen er Informationen aus dem Text durch Zuschreibungen verarbeitet. Selbstverständlich sind diese Konzepte nicht ins Belieben der Leser gestellt, sondern bilden als Konventionen die Grundlage für Strategien des Autors, die Lektüre des Lesers zu bedingen.«73 Bisher ist von ›der‹ Erzählstimme stets im Singular die Rede gewesen; allerdings ist in literarischen Texten damit zu rechnen, dass in einem Text mehrere, voneinander unterscheidbare Erzählstimmen auftreten können. Ebenso können Erzählstimmen innerhalb eines Textes wechseln oder auch gleichzeitig präsent sein. Lassen sich in einem Text mehrere Erzählstimmen ausmachen, dann wird das erzählte Geschehen jeweils aus verschiedenen Perspektiven geschildert; dies erzeugt Multiperspektivität.74 Weil dieses Phänomen v.a. in der modernen und postmodernen Literatur zu fin67
WEIMAR , Wo und was ist der Erzähler?, 501. In dieser Studie wird, statt des dreifachen Modells von GENETTE, das in histoire, récit und narration unterscheidet, das zweigliedrige Modell von BAL vertreten, das zwischen der Erzählung als der story und der Darstellung als der fabula differenziert; vgl. dazu die sehr hilfreiche Synopse der unterschiedlichen Verwendung der Termini bei MARTINEZ / SCHEFFEL, Erzähltheorie, 26. Vgl. hierzu auch Kap. I. 3.1.2.1.1. 69 J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 545; vgl. 546. 70 Vgl. J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 546. 71 Dies gilt analog für die ›fiktionalen Adressaten‹ und darüber hinaus jenseits der Figuren auch für alle anderen Instanzen, wie etwa den ›impliziten Autor‹, die in anderen narratologischen Kommunikationsmodellen zusätzlich angenommen werden. 72 Um dies zu indizieren, ist die Instanz ›Erzählstimme‹ und ›fiktionaler Adressat‹ in der grafischen Darstellung in einem eigenen Kasten grau hinterlegt und mit eckigen Klammern versehen. 73 J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 547. 74 Vgl. NÜNNING / NÜNNING, Multiperspektivität, 367–388.59–84; SURKAMP, Auflösung, 165–186 sowie den Sammelband NÜNNING, Multiperspektivisches Erzählen. 68
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den ist, werden diese Überlegungen für den Bereich der biblischen Exegese zurückgestellt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob sich die in der historisch-kritischen Exegese diagnostizierten Textbeobachtungen wie Spannungen, Brüche, Einschübe, redaktionelle Überabreitungen und Hinzufügungen, erzähltheoretisch als multiperspektivische Erzählstrukturen konzeptualisieren ließen. Im Folgenden werden die geforderten Präzisierungen in Bezug auf die Erzählstimme vorgestellt. Ziel ist es, ein kategoriales Instrumentarium zu entwickeln, mit dem »the narrator’s social identity«75 beschrieben werden kann. Herausgearbeitet werden soll dabei das fiktive Voraussetzungssystem der Erzählstimme, das den Informationsstand, die psychologischen Disposition, die Normen und Werten, die ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Bedingungen der Erzählstimme umfasst. Daher wird in Kap. I. 3.1.1. nach kategorialen Differenzierungen zur Beschreibung der Erzählstimme und in Kap. I. 3.1.2. nach ihren Funktionen gefragt. Die Beschreibung der Erzählstimme erfolgt dabei im Anschluss an das narratologische Modell von Gérard Genette,76 das von Shlomith Rimmon-Kenan und Mieke Bal differenziert worden ist.77 In Auseinandersetzung mit den Romanen von George Eliot hat Ansgar Nünning diesen Stand der Forschung in sein Modell zur Analyse der Erzählinstanz integriert und um eine Analyse der Funktionen der Erzählinstanz im Text erweitert.78 Diese Ansätze in der literaturwissenschaftlichen Forschung zeichnen sich sowohl durch die theoretische Reflektiertheit, Klarheit und Differenziertheit als auch durch ihre pragmatische Anwendbarkeit aus und erweisen sich zudem als geeignet zur Analyse von biblischen Texten. Daher werden im Folgenden die entwickelten Kategorien vorgestellt, um mit diesem Gerüst den Blick auf die Königsbücher und speziell auf 1 Kön 13 und 22 zu richten. 3.1.1. Kategoriale Differenzierungen zur Beschreibung der Erzählstimme Zu einer präzisen Bestimmung der Erzählstimme wird diese unter sechs Kategorien betrachtet: Auf der Ebene des Textes wird erstens nach der Anwesenheit der Erzählstimme in der Erzählung (Kap. I. 3.1.1.1.) und zweitens nach ihrer Identität mit einer der Figuren (Kap. I. 3.1.1.2.) gefragt. Analysiert werden zudem vier weitere Aspekte: der Grad der Involviertheit der Erzählstimme in das erzählte Geschehen (Kap. I. 3.1.1.3.), der Grad ihrer Explizität (Kap. I. 3.1.1.4.), ihrer Zuverlässigkeit (Kap. I. 3.1.1.5.) sowie ihrer Geschlechtszugehörigkeit (Kap. I. 3.1.1.6.). 75
LANSER, Narrative Act, 165. Vgl. hierzu GENETTE, Erzählung. 77 Vgl. v.a. RIMMON-KENAN, Narrative Fiction sowie B AL, Narratology. 78 Siehe hierzu grundlegend: NÜNNING, Grundzüge, 84–124; vgl. auch NÜNNING, Funktionen, 323–349. 76
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3.1.1.1. Die Anwesenheit der Erzählstimme auf der Ebene der Erzählung Die Erzählstimme kann in einem Text entweder extra- oder intradiegetisch beschrieben werden: Extradiegetisch ist eine Erzählung, wenn die Erzählstimme auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung (K II) auftritt und durch ihr Erzählen die fiktionale Textwelt konstituiert. Intradiegetisch ist eine Erzählung hingegen, wenn die Erzählstimme eine Figur des Textes ist und selbst zur Ebene der erzählten Handlung gehört. Die Unterscheidung in eine extra- oder intradiegetische Erzählsituation gilt nicht nur für die Erzählstimme auf der zweiten Kommunikationsebene, sondern kann sich auf allen Kommunikationsebenen der Textwelt wiederholen. So kann eine Figur in ihrer Rede zu einer erzählenden Figur werden; wie die Erzählstimme kann diese extra- oder intradiegetisch konzipiert sein.79 3.1.1.2. Die Anwesenheit der Erzählstimme auf der Ebene der Figuren Auf der Ebene der Figuren stellt sich die Frage, ob zwischen der Erzählstimme und der Figur der erzählten Welt eine Identität vorliegt. Es geht um die Frage, ob die Erzählstimme auf der Ebene der Figuren an- oder abwesend ist: Heterodiegetisch ist die Erzählstimme, wenn sie selbst nicht als Figur in der erzählten Welt auftritt, aber die gesamten für die erzählte Welt notwendigen Konstitutiva wie die räumliche, zeitliche, figurale Anordnung etc. liefert. Sie zeichnet sich durch Omnipräsenz und Allwissenheit aus. Ihre Allwissenheit bedeutet »[f]amiliarity, in principle, with the characters’ innermost thoughts und feelings; knowledge of past, present and future; presence in locations where characters are supposed to be unaccompanied […]; and knowledge of what happens in several places at the same time«80. Die Erzählstimme zeichnet sich durch drei Funktionen aus:81 Sie hat erstens das Privileg, Einblick in das Bewusstsein aller Figuren zu haben und mit all ihren Voraussetzungen, Gedanken, Emotionen und Stimmungen vertraut zu sein (psychologisch-kognitive Funktion).82 Zweitens kann die Erzählstimme überall unsichtbar und sogar gleichzeitig an mehreren Orten zugegen sein (lokale Funktion). Sie kann selbst dann auch anwesend sein, wenn eine Figur eigentlich allein ist und hat zudem in die Gedanken einer Figur Einblick. Drittens kann sie den vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Geschehensverlauf überblicken (temporale Funktion).83 79 Beispiele für extra- und intradiegetische sowie homo- und heterodiegetische Erzählsituationen vgl. Kap. I. 3.1.1.2. 80 R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 95. 81 Vgl. NÜNNING, Funktionen, 327. 82 Vgl. z.B. die Wiedergabe des Selbstgespräches Jerobeams in 1 Kön 12,26–27 durch die Erzählstimme. 83 Vgl. zur Gleichzeitigkeit in der Raum- und Zeitkonstruktion 1 Kön 22.
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Die Erzählstimme kann, muss aber ihre Metaposition nicht voll ausschöpfen. Sie gibt nur die Informationen preis, die sie preisgeben möchte. Dies trifft grundsätzlich auf jede Äußerung der Erzählstimme zu: Indem sie erzählt, wählt sie aus und schließt damit eine Fülle von potentiell Erzählbarem zugleich aus. Über das Nicht-Erzählte kann nur spekuliert werden. Daher ist signifikant, was die Erzählstimme erzählt und was nicht. Die Erzählstimme hat die Möglichkeit ihr Wissen oder aber auch ihr »Nichtwissen«84 explizit zu thematisieren, wobei letzteres echtes oder vermeintliches Nicht-Wissen sein kann. Desgleichen kann sie auch darauf verzichten, bestimmte Innenansichten von Figuren mitzuteilen.85 Auf diese Weise kann die Erzählstimme eine eigene Ökonomie ihrer Allwissenheit und Allgegenwart entfalten, die ihr erlaubt, Informationen dosiert und gezielt preiszugeben und mit ihnen unter Umständen auch spielerisch umzugehen. Tritt hingegen die Erzählstimme auf der Ebene der Figuren selbst auf und ist am fiktiven Geschehen der Handlung beteiligt, liegt eine homodiegetische Erzählung vor. In diese Kategorie gehört der Typ von Erzählungen, die Stanzel als ›Ich-Erzählungen‹ bezeichnet hat.86 Als homodiegetisch erzählende Stimme ist diese an die Grenzen ihrer Figur gebunden, die ihr durch die in der fiktionalen Welt etablierten Gesetzmäßigkeiten auferlegt sind. Diese Grenzen ermöglichen die Schilderung der eigenen Sicht, verunmöglichen aber, Gefühle oder Gedanken anderer Figuren zu schildern, es sei denn im Gestus der Beobachtung oder Vermutung. Ist die Erzählstimme als Augenzeugin anwesend, so verbürgt sie sich für die Faktizität des Erzählten. Wenn sie hingegen etwas erzählt, bei dem sie nicht dabei war, legt sie häufig ihre Informationsquelle offen, um das Erzählte zu plausibilisieren. Die Grenzen des Erzählbaren einer homodiegetischen Erzählstimme hängen zudem entscheidend davon ab, wo sie auf der Zeitachse angesiedelt ist: Erzählt sie etwas, was gerade geschieht, ist ihre Erzählperspektive notwendig auf ihre Wahrnehmung begrenzt; ist sie jedoch in der Position der retrospektiven Erzählerin, kann sie das vergangene Geschehen in anderem Maße überblicken und durch unterschiedliche Quellen informiert sein, so dass sich ihr Standpunkt dem des heterodiegetischen Erzählers annähern kann. Extra- und intradiegetische sowie homo- und heterodiegetische Erzählkategorien sind jeweils miteinander kombinierbar: Als Beispiel für eine extradiegetisch-heterodiegetische Erzählung nennt Genette Homer, der 84 Dieser Begriff stammt von FÜGER , Das Nichtwissen des Erzählers, 188–216; vgl. auch CHATMAN, Story and Discourse, 212. 85 Nach LANSER bedeutet »the axis of privilege«: »midpoints include texts where there are ›playful‹ limits on the omniscience of the authorial narrator […], and those in which access to characters’ minds is restricted to one more selected personae«, LANSER , Narrative Act, 161–162. 86 Vgl. STANZEL, Theorie des Erzählens.
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eine Geschichte erzählt, in der er nicht vorkommt; in diese Kategorie sind auch die Erzählungen von 1 Kön 13 und 22 einzuordnen. In einer extradiegetisch-homodiegetischen Erzählung erzählt die Erzählstimme ihre eigene Geschichte; Genettes Beispiel ist hier Gil Blas ›Marcel‹, ein weiteres Beispiel wäre Thomas Manns ›Felix Krull‹. Eine intradiegetisch-heterodiegetische Erzählung ist eine Erzählung innerhalb der fiktionalen Welt, in der die Erzählstimme selbst aber nicht vorkommt; ein Beispiel hierfür wären die Erzählungen von Scheherazade. Diesem Typus gehören auch die Visionen Michas in 1 Kön 22,17.19–23 an. Intradiegetisch-homodiegetisch liegt dann vor, wenn die Erzählstimme ihre eigene Geschichte erzählt; Genette nennt hier als Beispiel Odysseus in den Gesängen IX–XII.87 3.1.1.3. Der Grad der Involviertheit in das erzählte Geschehen Weiterhin ist »the degree of participation«88 der Erzählstimme an der erzählten Welt zu bestimmen. Hier lässt sich eine graduelle Abstufung durch zwei Extrempunkte festmachen (nicht-involviert bis autodiegetisch), auf der einen Seite die Schilderung von Ereignissen, an denen die Erzählstimme keinen Anteil hat und nicht involviert ist, und auf der anderen Seite das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte etwa in Form einer Autobiographie; letzteres bezeichnet Genette auch als ›autodiegetisch‹.89 3.1.1.4. Der Grad der Explizität Wie die Involviertheit kann auch die Explizität, mit der die Erzählstimme im narrativen Text auftritt, variieren (wahrnehmbar bis nicht-wahrnehmbar). So kann die Erzählstimme im Erzähltext unterschiedlich deutlich hervortreten. Es ist auch damit zu rechnen, dass die graduellen Abstufungen innerhalb eines Erzählzusammenhangs wechseln können. Dieses Mittel kann sehr gezielt eingesetzt werden und unterschiedliche Funktionen einnehmen. Zur Bezeichnung der möglichen Skala verwendet Chatman die Begriffe ›overt narrator‹ und ›overt narratee‹ bzw. ›covert narrator‹ und ›covert narratee‹,90 Nünning hingegen verwendet die Abstufungen ›explizit‹, ›neutral‹ und ›verborgen‹.91 Besonders die letzten beiden Begriffe erscheinen problematisch, weil durch bewusst ›neutrales‹ ein vermeintlich ›neutrales‹ Erzählen erzeugt werden kann, um auf diese Weise ›Objektivität‹ und Allgemeingültigkeit zu suggerieren. Hier entsteht der Verdacht, dass etwas ›verborgen‹ werden soll, was ›verborgen‹ werden will. Zudem insinuieren diese Kategorien Wertungen und wecken irreführende Konnotationen. Daher plädiere ich für die Übernahme der Terminologie von Bal, 87
Vgl. GENETTE, Erzählung, 178. R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 96. 89 Vgl. GENETTE, Erzählung, 176. 88
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die von ›wahrnehmbar‹ bzw. ›nicht-wahrnehmbar‹ spricht.92 Der Vorteil dieser Begriffe ist, dass sie eine graduelle Abstufung zulassen. Die Grade der Explizität, mit der sich die Erzählstimme zeigt und im Erzähltext beschreibbar wird, lassen sich unter drei Kategorien, Personalisierung, Individualisierung und Anthropomorphisierung, beschreiben. Eine explizite Erzählstimme tritt als individualisierbare Sprecherin und als fiktive Figur auf. Der Grad ihrer Wahrnehmbarkeit ist hoch, weil sie wie eine individuelle Person beschreibbar erscheint. Als solche wendet sie sich oft direkt an ihren (fiktionalen) Adressaten. Die explizit in Erscheinung tretende Erzählstimme ist auf der Ebene der Erzählung fassbar und meldet sich in ihr zu Wort, kommentiert das Geschehen, analysiert, beurteilt, deutet und wertet. Dadurch animiert sie die Lesenden, sich die Erzählstimme geradezu als Person mit Anliegen, Absichten, Charaktereigenschaften und Wertvorstellungen zu imaginieren. Der Kontrast hierzu ist die nicht-wahrnehmbare Erzählstimme, die anonym bleibt und die nicht als eine individualisierbare Figur beschrieben werden kann. Dies kann, muss aber nicht mit einem hohen Grad an Verlässlichkeit einhergehen, vielmehr kann sich eine eigentlich stark wertende Erzählstimme hinter vermeintlicher ›Neutralität‹ maskieren. Ein weiteres wichtiges Differenzierungskriterium ist die Frage, ob das explizite Hervorheben einer Erzählinstanz den Rezipienten näher zu den Figuren führt oder Distanz erzeugt: »The Narrator and the narratee may be close to each other but far from the character (the case of irony for example); narrator may be far, and has laced narratee and character in close contact […]. Narrator and character are close, and far from narratee (as in unreliable or naive first-person narration); all three are closed […]; all three are far.«93 3.1.1.5. Der Grad der Zuverlässigkeit Wayne Booth bezeichnet mit der Unterscheidung von ›reliable‹ bzw. ›unreliable‹94 »einen Erzähler als zuverlässig, wenn er für die Normen des 90
Vgl. CHATMAN, Story and Discourse, 33l. Vgl. NÜNNING, Funktionen, 329. 92 Vgl. B AL, Narratology, 27–29. 93 CHATMAN, Story and Discourse, 259–260. 94 Vgl. BOOTH, Rhetoric of Fiction, 158–159. Neben ›unzuverlässig‹ bzw. ›zuverlässig‹ wird auch ›unglaubwürdig‹ bzw. ›glaubwürdig‹ verwendet; vgl. den Vorschlag zur Unterscheidung von ›Glaubwürdigkeit‹ und ›Unzuverlässigkeit‹ bei H OF, Spiel, 55: Eine Erzählung kann unzuverlässig, aber dennoch glaubwürdig sein. »Im normalsprachlichen Gebrauch bezeichnet der Begriff Unzuverlässigkeit eine Eigenschaft, die einer Person bezüglich ihres sprachlichen oder nichtsprachlichen Verhaltens zugeschrieben wird. Unverläßlich (unzuverläßig) in nichtsprachlichem Verhalten ist jemand, der habituell zu spät kommt, Zusagen nicht einhält, geliehene Bücher nicht zurückgibt usw.; unverläßlich 91
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Gesamtwerks (d.h. für die Normen des impliziten Autors) eintritt oder in Übereinstimmung mit diesem handelt, und als unzuverlässig, wenn ein Widerspruch zwischen den Normen des impliziten Autors und denen des Erzählers auftritt.«95 Booth etabliert somit als entscheidendes Kriterium, um Zuverlässigkeit bzw. Unzuverlässigkeit zu ermitteln, die Differenz zwischen der Erzählstimme und dem von Booth beschriebenen ›impliziten Autor‹.96 Wenn eine Ich-Erzählstimme als Figur am Geschehen beteiligt ist, mit hoher Explizität auftritt und personal fassbar wird, die mit sehr subjektiven Kommentaren, eigenen Interpretationen und Stellungnahmen in das Geschehen eingreift, ist nach dem Grad der ›Zuverlässigkeit‹ der Erzählstimme gefragt. Als eine typische ›unzuverlässige‹ Erzählinstanz gilt der zwanghafte oder verrückte Monologist. Fast jeder Beitrag zum unzuverlässigen Erzählen jüngeren Datums bemängelt das fragwürdige theoretische Fundament der durch Booth etablierten Definition.97 Besonders zwei Grundannahmen werden kritisiert:98 Erstens sei es unzureichend, die Unzuverlässigkeit als ein rein textimmanentes Phänomen zu beschreiben, zweitens sei es höchst problematisch, den impliziten Autor zur entscheidenden Instanz für die Bewertung der Unzuverlässigkeit zu erheben, zumal dieser selbst Gegenstand der Kritik geworden ist: »Wenn man ein Phänomen dadurch zu definieren versucht, daß man es in Bezug zu einem schwer fassbaren, opaken und umstrittenen Konzept setzt, dann trägt dies wenig bis nichts zu dessen Präzisierung bei. Überspitzt und salopp formuliert könnte man sogar behaupten, daß die auf Booth zurückgehende und seitdem zigfach wiederholte Standarddefinition des unreliable narrator den Bock zum Gärtner macht, weil sie ein undefiniertes (und vielleicht sogar undefinierbares) Phantom heranzieht, um den Begriff, um den es geht, zu definieren.«99 Präzisionen in der Beschreibung von Erscheinungsformen und Textsignale für ›Unzuverlässigkeit‹100 gehen in sprachlichem Verhalten ist jemand, dessen Diskurs entgegen seinem Anspruch in Darstellung und Urteilsfähigkeit Defizite aufweist und daher nicht als glaubwürdig oder maßgeblich anerkannt werden kann«, J AHN, Package Deals, 82. 95 ZERWECK, Unzuverlässigkeit, 682. 96 Während STANZEL dem ›unzuverlässigen Erzähler‹ attestiert, »ein fester Bestandteil der Erzähltheorie und Interpretationslehre geworden zu sein« (S TANZEL, Theorie des Erzählens, 200), streift GENETTE dieses Phänomen nur am Rand (GENETTE, Erzählung, 283–294; vgl. die Definition eines zuverlässigen bzw. unzuverlässigen Erzählers bei R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 100). 97 Vgl. zum Konzept und zur Kritik am Konzept des ›impliziten Autor‹ Kap. I. 4.3.3. 98 Vgl. NÜNNING, Unreliable Narration, 8–9; vgl. darüber hinaus: NÜNNING, Reconceptualizing, 63–84. 99 NÜNNING, Unreliable Narration, 10. 100 Grundlegend NÜNNING, Unreliable Narration, 3–39; NÜNNING, Theory, 83–105; J AHN, Package Deals, 81–106; MARTINEZ / SCHEFFEL, Erzähltheorie, 95–107; R IGGAN,
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über die textimmanente Beschreibung von Booth hinaus. Im Kontext der Kognitiven Narratologie werden die Werte und Auffassungen der Lesenden zum Maßstab für die Frage nach der Unzuverlässigkeit bzw. der Unglaubwürdigkeit. Zudem wird danach gefragt, was die Rezipierenden dazu veranlasst, die Glaubwürdigkeit der Erzählstimme in Zweifel zu ziehen.101 Dies hat zur Folge, dass der ›implizite Autor‹ nicht mehr als archimedischer Punkt für unzuverlässiges Erzählen angesehen werden kann. »Im Gegensatz zur vorherrschenden Essentialisierung und Anthropomorphisierung dieser Kategorie wird eine Neukonzeptualisierung im Kontext der frame theory vorgeschlagen, derzufolge ein unreliable narrator als eine Projektion des Lesers zu verstehen ist, der Widersprüche innerhalb des Textes und zwischen der fiktiven Welt des Textes und seinem eigenem Wirklichkeitsmodell auf diese Weise auflöst.«102 Hatte Booth das Konzept des unzuverlässigen Erzählens als eine Kommunikation von Sender und Empfänger verstanden,103 bestimmt Nünning unzuverlässiges Erzählen als ein Erklärungsmodell für das, was in der Kommunikation der Ebene des Erzählers (K II) und der Ebene der real Lesenden (K I) als inkohärent wahrgenommen und als ›unzuverlässig‹ identifiziert wird:104 Ob etwas als zuverlässig oder als unzuverlässig eingeschätzt wird, ist somit eine Bewertung, die das beurteilende Subjekt vornimmt. Im Rahmen dieser Neukonzeptualisierung sind es die Lesenden, die statt des ›impliziten Autors‹ etwas als ›unzuverlässig‹ bewerten. In Aufnahme der Frage des Konstruktivismus »real, compared to what?« ist daher für die Diagnose ›zuverlässig‹ zu fragen: »unreliable, compared to what?«105 Die Bewertung ›unzuverlässig‹ setzt einen Bezugspunkt, ein Normen- und Wertesystem voraus, von dem aus etwas als ›unzuverlässig‹ erscheint. Daher werden aus der Lebenswelt vorgegebene Modelle und kognitive Bezugsrahmen (frames) herangezogen, um Unstimmigkeiten aufzuzeigen. Die Frage nach der Zuverlässigkeit resultiert aus dem lebensPicaros; HOF, Spiel; CHATMAN, Rhetoric of Narrative, 90–108; YACOBI, Fictional Reliability, 113–126; W ALL, Unreliable Narration, 18–42; vgl. auch OLSEN, Reconsidering Unreliability, 93–109; P HELAN, Living to Tell; ZERWECK, Historicing Unreliable Narration, 151–178. 101 Was als unzuverlässig gilt, hängt somit von dem Werte-und-Normen-Rahmen der Rezipierenden ab, vgl. hierzu auch NÜNNING, Historische Variabilität, 257–285. 102 NÜNNING, Unreliable Narration, 5. 103 Vgl. hierzu das Schema bei CHATMAN, Rhetoric of Narrative, 151. 104 Erweist sich ›Unzuverlässigkeit‹ als ein durch die Erzählstimme und die Rezipierenden konstituiertes Phänomen, stellt sich die Frage, ob auch die Reflektorfigur bzw. die internen Fokalisierungsinstanzen nach ihrer Zuverlässigkeit zu befragen sind; STANZEL plädiert dafür, die Frage nach der Zuverlässigkeit auf die Erzählstimme einzugrenzen (STANZEL, Theorie des Erzählens, 201, anders bei CHATMAN, Rhetoric of Narrative, 149). 105 NÜNNING, Unreliable Narration, 20.
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weltlichen, historischen, kulturellen und individuellen frame, in dem die Lesenden stehen und aus dem heraus sie etwas als ›zuverlässig‹ oder ›unzuverlässig‹ bewerten: »Den zur Ermittlung des unreliable narrator notwendigen Maßstab bieten somit einmal die zu einer bestimmten Zeit gültigen Auffassungen und Wertungen des Lesers, nach denen er Handlungen, also auch sprachliche Handlungen beurteilt und als glaubhaft, unverständlich, komisch oder widersprüchlich ansieht«106. Dabei lassen sich mannigfache Rezeptionskontexte heranziehen, die auf der diachronen Achse zu unterschiedlichen Zeiten situiert werden können. Zu dem frame der Rezipierenden gesellt sich zudem der literarische Bezugsrahmen, in dem ein Text steht und überliefert ist. Dass sich zwangsläufig Differenzen zwischen dem kulturellen, ethischen, politischen und theologischen Werteund Normensystem des Textes, der für die Rezipierenden nur sehr bedingt zu rekonstruieren ist, und den Lesenden ergeben, ist eine Schwierigkeit, die jedoch in keiner Weise die Frage der Zuverlässigkeit speziell trifft, sondern mit der sich jede Lektüre konfrontiert sieht. Ansatzpunkt für die Frage nach der Zuverlässigkeit sind meist Diskrepanzen, die sich zwischen dem von der Erzählstimme Vermittelten und weiteren Informationen in der Erzählung ergeben, die eine alternative Deutung des Geschehens nahe legen. Diese können von der Erzählstimme bewusst gelegt sein, können dieser aber auch nicht bewusst sein. In jedem Fall führen sie aber zu einem Informationsvorsprung der Lesenden: »Hat der Leser die mangelnde Zuverlässigkeit des Erzählers anhand bestimmter textueller Signale einmal durchschaut, dann erhalten aufgrund dieses Informationsvorsprungs die Aussagen des Erzählers eine diesem nicht bewußte und von ihm nicht beabsichtigte Zusatzbedeutung«107. Man kann somit zwischen zwei Bereichen unterscheiden, aus denen sich ›Korrektivinformationen‹108 ergeben können:109 Anzeichen für die Frage nach der Zuverlässigkeit können zum einen aus dem Text, zum anderen aber auch aus dem außertextlichen und kontextuellen Bezugsrahmen der Lesenden 106
HOF, Spiel, 422. Es handelt sich »um ein relationales bzw. interaktionales [Phänomen], bei dem die Informationen und Strukturen des Textes und das von den Rezipienten an den Text herangetragene Weltwissen und Werte- und Normensystem gleichermaßen zu berücksichtigen sind«, NÜNNING, Unreliable Narration, 23. 107 NÜNNING, Unreliable Narration, 17. 108 So J AHN, Package Deals, 83 nach BOOTH, Rhetoric of Fiction, 191; J AHN fügt den peritextlichen (distanzierenden Titel, Einleitungen, Vorworte etc.) als dritten Bereich hinzu. 109 PHELAN / MARTIN bestimmen Unzuverlässigkeit auf drei Achsen: facts-events, values-judgement und knowledge-perception. Dies ergibt sechs Typen der Unzuverlässigkeit: misreporting, misreading, misevaluating bzw. misregarding sowie underreporting, underreading und underregarding, vgl. PHELAN / MARTIN, The Lessons of »Weymouth«, 93–96.
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kommen.110 Signale, die sich im Text eruieren lassen, sind explizite Widersprüche der Erzählstimme, interne Unstimmigkeiten, Diskrepanzen zwischen den Aussagen der Erzählstimme und den erzählten Handlungen, Divergenzen zwischen der Selbstcharakterisierung der Erzählstimme und der Fremdcharakterisierung durch andere Figuren, Diskrepanzen zwischen der Wiedergabe der Ereignisse durch die Erzählstimme und ihren Erklärungen und Interpretationen des Geschehens, Häufung von sprecherzentrierten Äußerungen sowie linguistische Signale für Expressivität und Subjektivität, eingestandene oder situativ bedingte Parteilichkeit etc. Der historischkulturelle und literarische Bezugsrahmen der Rezipierenden als außertextlicher Bezugsrahmen ergibt sich zum einen aus deren allgemeinen Weltwissen, ihrem Wirklichkeitsmodell, dem Werte- und Normensystem, der individuellen Situation, zum anderen aus literarischen Konventionen, Gattungsspezifika, intertextuellen Bezügen und Referenzen, stereotypen Figurenmodellen usw. Meist wird das Problem der Zuverlässigkeit im Kontext einer homodiegetischen Erzählstimme diskutiert,111 bei der die Frage unmittelbar einleuchtet: Ihre Perspektive ist nur an ihre Wahrnehmung gebunden; ihre emotionale Involviertheit in das Geschehen produziert eine subjektive Situation, die unweigerlich auch zu Unzuverlässigkeiten führt. Umso schwieriger erweist sich die Frage, ob auch eine heterodiegetische Erzählstimme unzuverlässig sein kann:112 Die Perspektive der Allgegenwart und Allwissenheit der heterodiegetischen Erzählstimme lässt meist Vertrauen unhinterfragt entstehen, als sei die Fähigkeit, gleichzeitig an mehreren Orten präsent zu sein, den Überblick über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Zugriff in das Innerste aller Figuren zu haben etc., eine Garantie für Zuverlässigkeit:113 »The trouble is not that there are unreliable narrators but that we have endorsed the fiction of the ›reliable‹ narrator«114. Dabei verhält es sich genau umgekehrt: Während die homodiegetische Er110
Die im Folgenden genannten Textsignale orientieren sich an den bei NÜNNING (Unreliable Narration, 27–32) aufgezählten Aspekten, der diese im Anschluss an ALLRATH, Textuelle Signale, 70–72 und B USCH, Unreliable Narration, 41–58 zusammenfasst. 111 Auch im Kontext der Neukonzeptualisierung konzentrieren sich Analysen eher auf den Bereich der homodiegetischen (vgl. BUSCH, Unreliable Narration, 41–58) oder sogar autodiegetischen Erzählung (vgl. ALLRATH, Textuelle Signale, 59–79). 112 Ähnlich STANZEL, Theorie des Erzählens, 200–211, anders J AHN, Package Deals, 95–103. 113 W ALSH setzt in seiner Kommentierung von 1 Kön voraus, dass »the narrator« »reliable and authoritive« sei. »This means that we need not doubt either the factual information he gives us or he honesty of his judgement.« Dieses Urteil begründet er folgendermaßen: »The narrator’s factual reliability and moral authority are based on Omniscience« (WALSH, Kings, xviii). Angesichts der vorgenommenen Differenzierungen braucht nicht betont werden, dass diese Argumentation zu kurz greift. 114 KERMODE, Secrets, 140.
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zählstimme ihre Perspektivgebundenheit offen darlegt, erhöhen gerade die Privilegien, die mit einem auktorialen Erzählgestus verbunden sind, die Machtfülle und damit auch die Möglichkeit, intendiert oder nicht intendiert, unzuverlässig zu sein. Insofern trifft das Kriterium der Unzuverlässigkeit gleichermaßen die homodiegetische wie die heterodiegetische Erzählstimme.115 Signifikanterweise mangelt es gerade an Untersuchungen zur Unzuverlässigkeit auktorialer Erzählungen. Dies mag auch daran liegen, dass bei ihnen Unzuverlässigkeit wesentlich indirekter auftritt, und damit auch anfechtbarer ist als in homodiegetischen Texten. Bei der Frage nach der möglichen Unzuverlässigkeit der Erzählstimme erweist es sich weiterhin hilfreich, zwischen einer faktischen und einer evaluativen Unzuverlässigkeit zu unterscheiden. Auch hier können die Grade der Zuverlässigkeit wieder auf einer breiten Skala angesiedelt sein, die unterschiedliche Abstufungen ermöglichen: Faktische Unzuverlässigkeit können die Lesenden durch andere Informationen aus dem Text kritisch gegenlesen. Fakten können sich als verzerrt, grob einseitig oder falsch herausstellen. Evaluative Unzuverlässigkeit ergibt sich aus den Wertungen der Erzählstimme, die von den Lesenden in Zweifel gezogen werden. Bei beiden ist es das Ziel, Unzuverlässigkeit als Strategie der Erzählstimme zu durchschauen sowie ihre Funktion zu eruieren. Ein Weg, um eine solche Unzuverlässigkeit entdecken und dekodieren zu können, bietet das Konzept der dramatischen Ironie, das als pragmatisches Konzept über den rein textimmanenten Bereich hinausgeht. Dramatische Ironie resultiert aus dem unterschiedlichen Kenntnisstand und Bewusstseinsgrad der Figuren im Vergleich zu den Zuschauern.116 Überträgt man dies auf die Frage nach unzuverlässigem Erzählen, resultiert Ironie aus der Diskrepanz zwischen den Wertevorstellungen und Absichten der Erzählstimme auf der einen und den Normen und dem Wissensstand der realen Lesenden auf der anderen Seite.117 Dieses dissonante Aufeinandertreffen trifft nicht nur für spezifisch ironische Zusammenhänge, sondern grundsätzlich für alle Äußerungen zu, allerdings dürften diese im ironischen Kontext mitunter sichtbarer sein. Durch detektivische Entdeckungen der Unzuverlässigkeit können die Lesenden versuchen, eine ansatzweise oder gänzlich andere, alternative 115
J AHN formuliert es als Verdacht: Es sei daher in keiner Weise offenkundig, warum gerade auktoriale Erzähler gegen Unverlässlichkeit gefeit sein sollten; auktoriale Erzähler »bringen mit ihrem ausgeprägten Allwissenheitsanspruch, sowie einer gewissen Tendenz zur Selbstherrlichkeit und Rechthaberei allerbeste Unzuverläßlichkeitsvoraussetzungen mit«, J AHN, Package Deals, 95. 116 Vgl. MÜLLER , Ironie, 302–303. Das klassische Beispiel für dramatische Ironie: die Verfluchung der Mörder seines Vaters durch Ödipus in Sophokles’ Drama; je nachdem wie die Vorzeichen in der Handlung gesetzt werden, kann sich dramatische Ironie zu tragischer Ironie entwickeln, aber auch zu einem Stilmittel der Komödie werden. 117 Vgl. hierzu J AHN, Package Deals, 86–87.
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Geschichte zu konstruieren, mit der die Erzählstimme gegengelesen werden kann. Die Diskrepanzen von präsentierter und gegengelesener Erzählung können dazu beitragen, sich von der Erzählstimme zu distanzieren.118 3.1.1.6. Die Genderkonstruktion Der Grad der Personalisierbarkeit der Erzählstimme führt zur Frage ihrer Genderkonstruktion.119 Während Stanzel noch von einem »Erzähler ohne leibliche Determiniertheit«120 meinte sprechen zu können, wird immer deutlicher, dass auch eine Erzählstimme nicht als geschlechtsindifferent wahrgenommen werden kann: Sie kann sich als eine ›weiblich‹ oder ›männlich‹ konstruierte Stimme erweisen. Diese Geschlechtszuschreibung ist präzise zu beschreiben, um nicht stereotype Etikettierungen pauschal zu verwenden und fortzuschreiben. Zu beachten ist, dass die Erzählstimme keineswegs dem gleichen Geschlecht wie der reale ›Autor‹ oder die reale ›Autorin‹ angehören muss. Diese Differenzierung findet sich in dem Modell der male- und female-voice-Texte von Brenner und van Dijk Hemmes:121 Die Zuschreibung einer male- bzw. einer female voice impliziert auch hier keine Aussage über das Geschlecht des ›Autors‹ oder der ›Autorin‹ (sex). Es geht vielmehr darum, die der Erzählstimme zugrunde liegende kulturelle Genderkonstruktion zu eruieren. Besonders interessant erweist sich diese Fragestellung bei ›cross-gendered narrative‹.122 3.1.2. Die Funktionen der Erzählstimme Wenn mit den aufgezeigten Kategorien die Erzählstimme näher beschrieben werden kann, so ist zugleich zu fragen, welche Funktionen die Erzählstimme im Erzähltext einnimmt und wie sie in ihm wirkt. Hierzu hat Nünning in Anlehnung an Roman Jakobsons Unterscheidung der sechs 118 Zugleich stellt sich die kritische Anfrage, ob das eigentlich beunruhigend ›Unzuverlässige‹ durch Benennung und Integration in ein Gesamtbild nicht letztlich unzulässig entschärft und domestiziert wird. Dieser Einwand suspendiert jedoch die Frage nach unzuverlässigem Erzählen in keiner Weise, sondern stellt – genau umgekehrt – die Notwendigkeit eines theoretischen Gerüsts und eines praxisorientierten Kriterienkatalogs als umso bedeutender heraus. 119 Vgl. zur Frage des Geschlechts von Erzählinstanzen: LANSER , Towards a Feminist Narratology, 341–363; LANSER , Fictions of Authority; SCHABERT, The Authorial Mind, 312–328; SCHABERT, Englische Literaturgeschichte; WARHOL, Gendered Interventions; W ARHOL, Engaging Narrator, 811–818; vgl. hierzu auch den Forschungsbericht NÜNNING, Gender and Narratology, 101–121. 120 STANZEL, Theorie des Erzählens, 127. 121 Vgl. BRENNER / VAN DIJK HEMMES, Gendering Texts. 122 Ein Beispiel aus der biblischen Literatur in Bezug auf die Gender-Konstruktion auf der Ebene der Figuren findet sich in der Juditerzählung, vgl. hierzu SCHMITZ, Männlichkeit im Mückennetz, 21–26.
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Funktionen der Sprache (emotive bzw. expressive, appellative, referentielle, phatische, metasprachliche und poetische Funktion) vier Funktionen der Erzählstimme im Text herausgearbeitet:123 erstens die erzähltechnischen Funktionen der Erzählstimme als neutrales Erzählmedium, zweitens die analytischen Funktionen der Erzählstimme, drittens die synthetischen Funktionen der Erzählstimme und viertens die vermittlungsbezogenen Funktionen der Erzählstimme. Diese einzelnen Funktionen schließen einander nicht aus, sondern liegen stets in Abstufungen und Mischungen vor und können unterschiedlich dominant sein. Ebenso können sie sich überlagern, ergänzen oder verstärken und gleichzeitig präsent sein. 3.1.2.1. Die erzähltechnische Funktion der Erzählstimme Die grundlegende Funktion jeder Erzählstimme ist die Konstituierung der fiktionalen Welt, »deren vorrangige Aufgabe darin besteht, potentiell wertneutrale Informationen über die erzählte Welt zu vermitteln.«124 Die fundamentale Aufgabe der Erzählstimme, die Textwelt zu schaffen, lässt sich in vier Teilfunktionen näher beschreiben: Sie konstruiert die Zeit- und Raumstruktur der erzählten Welt, stattet diese mit Figuren aus und erzählt die Handlung. Zu diesen Kategorien müsste auch der Aspekt der Illusionsbildung in Erzähltexten integriert werden.125 3.1.2.1.1. Die temporale Deixis Die erste Funktion der Erzählstimme ist es, die zeitliche Struktur der Erzählung zu schaffen. Diese kann unter drei Grundkategorien von Ordnung, Dauer und Frequenz analysiert werden.126 Für die Analyse der Ordnung,127 also der Zeitkonstruktion in einer Erzählung, bietet sich die Unterscheidung zwischen ›story‹ als der Erzählab123 Vgl. zum Folgenden NÜNNING, Grundzüge, 84–124 und NÜNNING, Funktionen, 323–349; vgl. auch die Darstellung der vier Erzählfunktionen in einem Schema: NÜNNING, Grundzüge, 124; vgl. zudem NÜNNING, Funktionen, 342. 124 NÜNNING, Funktionen, 334. 125 Vgl. W OLF, Ästhetische Illusion und Illusionsdurchbrechung; vgl. auch W OLF, Aesthetic Illusion, 251–289. Vgl. ebenso NÜNNING, Great Wits Jump, 67–91; NÜNNING, Mimesis des Erzählens, 19–32 sowie BAUER / SANDER, Illusionsbildung und der Illusionsdurchbrechung, 197–222. 126 Die Analyse der Zeit orientiert sich an den von GENETTE etablierten und von B AL z.T. präzisierten Kategorien, vgl. GENETTE, Erzählung; B AL, Narratology. Vgl. zur Analyse der Zeit auch MARDSEN, Zeit, 89–110. Die mit diesen Kategorien untersuchten zeitlichen Relationen und Unstimmigkeiten in der ›Ordnung‹ der Erzählung subsumiert GENETTE unter dem Begriff ›Anachronie‹. Vgl. das dreigliedrige temporale Analyseraster (Zeit der Handlung, Zeit des Diskurses und Zeit der Lektüre) bei ECO, Wald der Fiktionen, 74–82. 127 Vgl. GENETTE, Erzählung, 21–59.205–211.
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folge, in der die Ereignisse im Text präsentiert werden, und der ›fabula‹ als der rekonstruierten, chronologischen Abfolge dieser Ereignisse an.128 Weil die Lesenden an den in der story präsentierten und durch die Linearität des Textes vorgegebenen Lektüreprozess gebunden sind, ist das ›Neusortieren‹ der Ereignisse der story in der fabula eine Rekonstruktion nach den Gesetzen der Logik, des Alltags, des Weltwissens der Lesenden und bleibt daher immer hypothetisch. Dennoch ist diese terminologische Unterscheidung sehr sinnvoll, weil mit ihr die in der story geschilderte Ereignisfolge der fabula identifiziert und als Prolepse (Antizipation, Vorausdeutung) oder Analepse (Retrospektion, Rückgriff), die in Umfang und Reichweite divergieren können,129 differenziert beschrieben werden kann. Die Dauer (oder Rhythmus)130 in einer Erzählung definiert sich über die Relation zwischen der Zeit, die die erzählten Ereignisse in der fabula einnehmen, und ihrer Präsentation in der story, also dem Verhältnis zwischen ›time of the fabula‹ und ›time of the story‹. Hierzu zählen auch Raffungen, Zeitdehnungen etc.131 Die Analyse des Rhythmus kann nur ungefähr bestimmt werden, weil allein die beiden Größen ›time of the fabula‹ und ›time of the story‹ je für sich schwierig zu eruieren sind. Nur in Dialogen ohne einleitenden Kommentar sind beide annähernd deckungsgleich. In beschreibenden Sequenzen ist die Zeit der fabula kleiner als die der story. Umgekehrt ist die Zeit der fabula in Zusammenfassungen größer als die der story.132 Völlige Isochronie als Koinzidenz der Zeit von fabula und story kann es in der Sprache nicht geben.133 Zusammenfassung, Pause, Ellipse und Szene lassen sich als die vier Grundtempi bei der Relationsbestimmung der Erzählsequenzen, verstanden als »the order of events in the story and their chronological sequence in the fabula«134, unterscheiden: Während durch eine Zusammenfassung Zeit gerafft wird, wird in einer Pause, etwa für eine Beschreibung oder einen Kommentar, der Zeitverlauf unterbrochen. Bei der Ellipse lässt sich die explizite Ellipse, in der die ausgesparte Zeit angegeben wird, von der im128 Die Termini ›story‹ und ›fabula‹ folgen der Definition von B AL; GENETTE bezeichnet erstere als ›histoire‹, letztere als ›récit‹ und fügt die ›narration‹ als dritte Kategorie hinzu; vgl. B AL, Narratology, 6. 129 Ebenso können die Verweise und Bezüge außerhalb (extern) oder innerhalb (intern) des Erzählzusammenhangs liegen. 130 Vgl. GENETTE, Erzählung, 61–80. 131 Vgl. B AL, Narratology, 101–102. 132 Ähnlich W ALSH, Kings, 353. 133 Isochronie von Handlung und ›Lektüre‹ zeigt ECO am Beispiel pornographischer Filme auf: Das in ihnen intendierte Ziel der inszenierten Koinzidenz von erzählter Zeit und realer Zeit ist es, das ›textintern‹ Gezeigte real bei den Zuschauenden zu evozieren, um so das fiktional Erzählte mit der Realzeit zu synchronisieren, vgl. ECO, Wald der Fiktionen, 82–84. 134 B AL, Narratology, 80.
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pliziten unterscheiden, die nur erschlossen werden kann. Nur bei der Szene können sich die Zeit der fabula und der story annähernd gleichen, was einen ›dramatischen‹ Effekt erzielen kann. Bei der Analyse der Frequenz135 geht es um Wiederholungs- und Häufigkeitsbeziehungen sowie um die Frage, welche Funktionen die in der story mehrfach erzählten Ereignisse haben, die sich in der fabula nur einmal ereignet haben können. Dieses Phänomen der Wiederholung hat eine paradoxe Seite, können doch zwei wörtlich identische Texte eben nicht identisch sein, weil sich der zweite vom ersten allein dadurch unterscheidet, dass dieser als zweiter geschildert wird. Daher gilt es bei Wiederholungen, von denen immer nur eine die erste sein kann, nicht nur das Gleiche, sondern v.a. die Differenzen wahrzunehmen.136 Genette unterscheidet zwischen vier Frequenztypen: erstens eine singulative Erzählung, bei der einmal erzählt wird, was sich einmal ereignet hat, zweitens eine anaphorische Erzählung, bei der n-mal erzählt wird, was sich n-mal ereignet hat, drittens eine repetitive Erzählung, bei der n-mal erzählt wird, was sich einmal ereignet hat und viertens eine iterative Erzählung, bei der einmal erzählt wird, was sich mehrfach ereignet hat. 3.1.2.1.2. Die lokale Deixis Eine weitere Funktion der Erzählstimme besteht darin, den Raum der fiktionalen Welt zu konstituieren, in dem sich das Geschehen abspielt. Dazu gehören Schauplätze, Orte, Landschaften etc. Räume haben in Erzählungen keinen ornamental-dekorativen Charakter, sondern besitzen Erzählfunktion. Doch anders als bei der Zeitkonstruktion gibt es für die Raumdarstellung in der Erzähltheorie kein vergleichbar systematisiertes Analyseraster oder eine entsprechend ausgearbeitete Terminologie, obwohl gerade der erzählte Raum zentraler Baustein für den Aufbau der fiktionalen Textwelt ist.137 Wichtige Anregungen für die Raumanalyse in Erzähltexten sind im 135
Vgl. GENETTE, Erzählung, 81–114.217–218. Wiederholungen heben die perspektivische Veränderung hervor: »In der perspektivischen Distanz verändern sich die Ereignisse, die schon einmal erzählt, also vergangen sind und nun erneut aus dem Blickwinkel der Akteure angeschaut werden« (HARTMANN, Wiederholungen im Erzählen, 115). Die hierdurch erzeugte Dynamik ist in die Analyse der Leitworte in Erzählungen einzubeziehen, um die die Definition des Leitworts bei B UBER zu ergänzen ist: »Unter Leitwort ist ein Wort oder ein Wortstamm zu verstehen, der sich innerhalb eines Textes sinnreich wiederholt: wer diesen Wiederholungen folgt, dem erschließt sich ein Sinn des Textes oder wird auch nur eindringlich offenbar« (BUBER , Verdeutschung, 15); vgl. zur Präzisierung von Leitwortsystemen auf der Textoberfläche und der thematischen Tiefenstruktur U TZSCHNEIDER , Gottes langer Atmen, 17–19. 137 Vgl. NÜNNING, Raum/Raumdarstellung, 558–560; sowie SCHULTE-SASSE / WERNER, Literaturwissenschaft, 166–169; KAHRMANN / REISS / SCHLUCHTER , Erzähltextanaly136
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Folgenden der Dramentheorie entlehnt.138 Um die Konzeption, Struktur und Präsentation des Raumes in erzählenden Texten zu erfassen, kann man drei Aspekte unterscheiden: Erstens geht es um die Frage, wo ein Geschehen spielt. Häufig wird der Raum der fiktionalen Welt mit konkreten geographischen oder topographischen Orts-, Landschafts- oder Raumangaben (Orts- oder Städtenamen, Landschaftsbezeichnungen etc.) vorgestellt, die die Lesenden meist aus der ihnen vertrauten Lebenswelt kennen oder die sie sich vorstellen können. Auch wenn es sich um identifizierbare Orte handelt, bleiben sie doch Teil der fiktionalen Welt und sind mithin fiktiv. Auf die Frage nach dem Wo der Handlung kann der Raum zweitens im Hinblick auf seine Präsentation analysiert werden: Wie und an welcher Stelle der Raum in der Handlung beschrieben wird, gibt Aufschluss über seine Funktion in der Erzählung. Da die Darstellung von Räumen meist mit Beschreibungen verbunden ist, hat die Raumdarstellung eine bestimmte Zeitkonstruktion zur Folge: Raumbeschreibungen bedeuten eine Pause in der Erzählung; Zeit wie Handlung werden angehalten. Zudem ist nicht unbedeutend, welche Relationen die Räume zueinander haben, wie der Raum lokalisiert wird, ob an mehreren Orten gleichzeitig ein Geschehen geschildert wird, ob es teichoskopieähnliche Momente gibt (offstage-Situationen, Beiseitesprechen o.ä.), ob Grenzen erzählt, geschaffen oder durchbrochen werden etc. Neben den Interferenzen zwischen Raum und Zeit sowie Raum und Handlung können Räume drittens semantisiert und funktionalisiert sein.139 Als notwendiger Bedingungsrahmen für Handlungen können sie schlichtweg nur die für eine Handlung erforderliche Bühne sein, können aber auch zu Bedeutungsträgern werden: Sie können zum Spiegel der dargestellten Handlung, eines Konflikts oder der Figurenkonstellation werden, diese vorweg bereits abbilden oder veranschaulichend begleiten. Räumliche Oppositionen, Kontraste und Grenzziehungen erhalten auf diese Weise semantische Funktion. Hierzu ist aufschlussreich zu analysieren, durch welche Perspektive der Raum wahrgenommen und wie dieser fokalisiert wird. Dabei ist wichtig, dass die Lesenden erst in ihrem Lektüreprozess mit dem fiktionalen Raum vertraut werden und sich eine Vorstellung vom Raum erst sukzessiv aufbaut. Häufig spielt das Geschehen in Räumen, die entweder nicht oder erst im Laufe der Handlung beschrieben werden. Auf
se,158–160; B AR-EFRAT, Alttestamentliche Texte als literarische Kunstwerke, 199–212; MAATJE, Poetik des Raumes, 392–416; RITTER , Landschaft und Raum; HOFFMANN, Situation; BRONFEN, Der literarische Raum; W ENZ, Raum; J ÄGER , Erzählte Räume 1998; W ÜRZBACH, Erzählter Raum, 105–129; HAUPT, Analyse des Raumes, 69–87. 138 Vgl. P FISTER , Drama, 327–359; vgl. auch MAHLER , Weltmodell Theater, 1–45. 139 Zur Semantisierung des Raums sei auf die Theorie von LOTMAN hingewiesen, vgl. hierzu besonders LOTMAN, Struktur, 311–329; vgl. zu MARTINEZ / SCHEFFEL, Erzähltheorie, 140–144; SCHMITZ, Gedeutete Geschichte, 133–135.
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diese Weise werden Figuren und Handlung erst nachträglich im Raum lokalisiert. 3.1.2.1.3. Die personale Deixis Die Erzählstimme sorgt für die personelle Ausstattung der erzählten Welt: Figuren werden eingeführt und explizit oder implizit charakterisiert.140 Die Erzählstimme lässt sie agieren, interagieren und kommunizieren. Die Figuren verorten sich in unterschiedlichen Kontexten und gehören zu bestimmten sozialen Gruppen, Kollektiven und Gesellschaften. Es gibt Figuren, die handeln und sprechen, andere treten nur handelnd auf, manche werden nur erwähnt, auf andere wird nur verwiesen, ohne dass sie selbst im Text aufträten und können den Lesenden gänzlich unbekannt sein. Einige treten mit Eigennamen, andere anonym auf. 3.1.2.1.4. Schilderung der Ereignisse Neben der dritten Funktion, dem Figurenrepertoire der Erzählung, ist die vierte wichtige Funktion der Erzählstimme, dass sie die Ereignisse der Textwelt erzählt (K II). 3.1.2.2. Die analytischen Funktionen der Erzählstimme Die grundlegende Funktion der Etablierung der erzählten Welt, die meist im Gestus eines ›neutralen‹ Referierens geschieht, kann durch kommentierende Aussagen der Erzählstimme zur erzählten Welt ergänzt werden. Die Erzählstimme tritt hierbei als personalisierbare Sprecherin hervor. Kommentierende Textäußerungen werden meist unter dem Stichwort ›Erzählerkommentar‹ subsumiert, was zur Folge hat, dass sich dieses Etikett als sehr grob erweist und einer Differenzierung bedarf. Unter ›Erzählstimmenkommentar‹ werden all jene Aussagen der Erzählstimme verstanden, die nicht dazu dienen, die Handlung voranzutreiben, sondern sie zu kommentieren.141 Die Kommentierung hat einen unmittelbaren Bezug zur Welt der Figuren und analysiert das in ihr stattfindende Geschehen, bewertet einzelne Figuren bzw. deren Handlungen oder setzt sich mit ihnen kritisch auseinander. Die Kommentierungen können daher in solche mit eher explanativem oder solche mit eher evaluativem Charakter unterschieden werden. Dominant explanative Aussagen haben die Funktion, explizit oder implizit Erklärungen zu dem Geschehen in der erzählten Welt zu geben. Meist beziehen sich solche Erläuterungen auf Figuren, deren Handlungen dargelegt werden, besonders dann, wenn etwas geschildert wird, was über 140 141
Zur Analyse der Figuren und der Figurenperspektive vgl. Kap. I. 3.3. und 3.4. Vgl. zu non-narrative comments auch B AL, Narratology, 31–34.
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das hinausgeht, was eine Figur wissen kann. Daneben werden aber auch Kausalzusammenhänge hergestellt, oder es wird auf Konsequenzen und Auswirkungen verwiesen. Linguistisch werden explanative Kommentare mit Hilfe von kausalen Konjunktionen oder Verben eingeleitet. Die typische Form ist, dass die Erzählstimme auf die Begrenztheit einer Figur hinweist und diese durch zusätzliche Erklärungsangebote ergänzt. Damit fungiert die Erzählstimme als Übersetzerin der begrenzten Figurenperspektive mit dem Ziel, Sympathie oder Mitgefühl bei den Rezipierenden für eine Figur zu erzeugen. Darüber hinaus kann die Erzählstimme mit Hilfe eines Kommentars die Figuren korrigieren, falsche Informationen richtig stellen, Verdrängtes aufzeigen oder die Motive und die Intention für das Handeln einer Figur offen legen. Dominant evaluativen Charakter haben Kommentierungen dann, wenn sie, statt zu ergänzen oder zu erklären, bewerten.142 Damit distanziert sich die Erzählstimme kritisch zu der von ihr erzählten fiktionalen Welt. In diesen Wertungen kommen die Normen und Werte der Erzählstimme zum Ausdruck und machen die Subjektivität und Positionalität der Erzählstimme sichtbar. Bei den Wertungen kann zwischen direkten und indirekten Wertungen unterschieden werden: Erstere haben die Funktion, lobende Zustimmung oder scharfe Kritik zu äußern und wollen die Sympathie der Lesenden im Sinne der Erzählstimme lenken.143 Implizite Wertungen werden durch den Bewertungskontext geschaffen, der aus der Art und Weise resultiert, wie die fiktionale Welt konzipiert ist.144 Die Wertungen haben die Funktion, die Rezeption der Lesenden zu lenken. Diese erweisen sich als umso wirkmächtiger, als sich die Lesenden dem Werte- und Normensystem der Erzählstimme meist unhinterfragt anschließen. Weil die Erzählstimme in den Kommentaren explizit in Erscheinung tritt, bieten diese die mitunter seltene Möglichkeit, das Werte- und Normen-System der Erzählstimme zu rekonstruieren und ihre Weltkonstruktion zu erfassen. Auf diese Weise wird die Erzählstimme sichtbar und kann 142
Vergleichbar mit der von NÜNNING beschriebenen Funktion der explanativen Äußerung ist das, was Bal unter ›description‹ fasst: Beschreibungen sind nach B AL Äußerungen, die sich im Erzähltext durch eine privilegierte Fokalisierung auszeichnen und von großen ideologischen Auswirkungen und ästhetischen Effekten auf den Text sind; wesentliches Merkmal einer beschreibenden Sequenz ist, dass sie die fabula unterbricht. In Beschreibungen wird zum einen die rhetorische Strategie des Erzählers erkennbar und zum anderen haben sie die Funktion, den Inhalt wahrscheinlich, plausibel und glaubhaft zu machen, vgl. B AL, Narratology, 36–37. 143 Die in 1 Kön 22 zu findenden Beschreibungen haben explanativen Charakter, vgl. die Analysen zu 1 Kön 22,1.10.35. 144 »If novelist must work hard to establish their norms, they often must work even harder to make us judge their characters accurately in the light of those norms«, B OOTH, Rhetoric, 182–183.
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in ihren spezifischen Interessen und Intentionen wahrgenommen werden. Die Lesenden müssen sich die Wertungen der Erzählstimme jedoch nicht zu eigen machen, sondern können sich auch von ihr distanzieren. Potentiell müssen sie damit rechnen, dass ihnen wertende Urteile nahe gelegt werden, die zu prüfen sind. Die Chance zur Distanzierung ergibt sich auch aus den unterschiedlichen Adressaten, die auf verschiedenen Kommunikationsebenen angesiedelt sind: Empfänger der wertenden Erzählstimme ist der fiktionale Adressat (K II), nicht der real Lesende (K I). Daher gibt die Kommentierung der Erzählstimme auch darüber Aufschluss, welche Rezeptionshaltung sie für den fiktionalen Adressaten intendiert. Ein biblisches Beispiel für Erzählstimmenkommentare sind die jeweils in den Einleitungsformeln zu den einzelnen Königen zu findenden Bewertungen »recht bzw. schlecht in den Augen JHWHs« im Deuteronomistischen Geschichtswerk.145 Diese Einleitungsformeln sind direkte, explizite und dominant evaluative Wertungen, die den Lesenden eine antizipierende und proleptische Bewertung vorgeben, noch bevor diese etwas von den einzelnen Königen erfahren haben. 3.1.2.3. Die synthetischen Funktionen der Erzählstimme Im Gegensatz zu den kommentierenden Äußerungen der Erzählstimme mit direktem Bezug zur erzählten Welt gibt es auch solche ohne direkten Bezug, die »an das Erzählte abstrahierend und generalisierend anknüpfen.«146 Sie insinuieren einen hohen Grad von Allgemeingültigkeit und geben verallgemeinernde Kommentare und Reflexionen, weisen aber nur mittelbaren Bezug zur erzählten Welt auf. Sprachlich sind sie daran zu erkennen, dass sie weder zeitlich noch räumlich determiniert sind. Häufig wird in das Präsens gewechselt, oder es wird in der ersten Person Plural gesprochen.147 Dabei können sie – in unterschiedlicher Intensität – an das Erzählte anknüpfen, Handlungen unterbrechen oder Handlungszusammenhänge abschließen. »Im Gegensatz zu der vorherrschenden Tendenz, generalisierende Äußerungen auktorialer Erzählinstanzen nicht als integrale Bestandteile von Romanen anzusehen, verdient es hervorgehoben zu werden, daß auch solche Stellungnahmen wesentliche Aufgaben für die Rezeptionslenkung erfüllen können.«148 Diese Generalisierungen erfüllen vier wichtige Funktionen: Sie erhöhen erstens den Anspruch an die Allgemeingültigkeit. Zweitens dienen sie der Sicherung und Verstärkung des Kommunikationskanals zwischen der Erzählstimme und dem fiktionalen Adressaten (pha145
Vgl. hierzu auch Kap. II. 2. NÜNNING, Funktionen, 338. 147 Vgl. hierzu auch die Analyse der Erzählstimme in Kap. II. 2. 148 NÜNNING, Funktionen, 338. 146
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tische Funktion). Die Erzählstimme versucht über die generalisierenden Wertungen und die Ansprache der Adressaten, diese in das eigene Werteund Normensystem mit hineinzuziehen und für sich zu gewinnen. Daher zielen diese Wertungen drittens auf die Distanzverringerung zwischen Erzählstimme und dem fiktionalen Adressaten, um Gemeinsamkeiten zu erzielen. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Wertungen der Erzählstimme viertens implizit Aufschluss über ihre Positionen, Intentionen und Ziele geben. Bei der Analyse dieser Generalisierungen ist ihre Häufigkeit, ihr Ort im narrativen Kontext und ihre Streuung zu berücksichtigen. 3.1.2.4. Die vermittlungsbezogenen Funktionen der Erzählstimme Die vierte Funktion von Kommentaren ist es, einen primären Bezug zum Erzählvorgang selbst herzustellen. Als solche beziehen sie sich nicht auf die erzählte Welt, sondern thematisieren den Akt des Erzählens selbst. Sprachlich wird die Erzählstimme meist als ›Ich‹ sichtbar und spricht den fiktionalen Adressaten als ›Du‹ an. Hier können wieder vier Teilfunktionen ausgemacht werden: Erstens kann in diesen Kommentierungen die Erzählstimme etwas über sich selbst aussagen und so die Aufmerksamkeit auf sich ziehen (expressive Funktion). Daher verraten diese viel über die normgebundene und werteorientierte Selbstpositionierung der Erzählstimme. Zugleich dienen sie der Sicherung der Autorität der Erzählstimme, von der abhängt, wie der Grad ihrer Glaubwürdigkeit eingeschätzt wird. In ihrer appellativen Funktion wenden sich diese Kommentare zweitens auch direkt oder indirekt an den fiktionalen Adressaten. Sprachlich sind sie durch Anredeformen und Imperative gekennzeichnet. Drittens dienen diese Kommentare der Sicherung der Kommunikation zwischen Erzählstimme und Adressat (phatische Funktion), »gerade wenn aufgrund gestörter Kommunikation der Kontakt erst hergestellt werden muß oder wenn die ›Kontaktpflege‹ zum vorherrschenden oder gar einzigen Anliegen«149 wird. Formal sind diese besonders durch rhetorische Fragen zu erkennen. Die vierte Funktion kann als metanarrativ bezeichnet werden,150 unter die alle jene Äußerungen subsumiert werden, in denen der Erzählvorgang selbst erörtert wird. Sie thematisieren damit explizit den sich gerade vollziehenden Kommunikationsprozess.
149
P FISTER , Drama, 161. Zum Thema ›Metanarration‹ vgl. NÜNNING, Mimesis des Erzählens, 13–47, v.a. die Kategorisierung der Arten von Metanarration und die Beschreibung ihrer Kriterien, 36–37. 150
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3.2. Die Fokalisierung Nachdem die kategorialen Differenzierungen zur Beschreibung der Erzählstimme erläutert und die mit ihnen verbundenen Funktionen aufgezeigt wurden, soll in einem zweiten Schritt das Konzept der Fokalisierung151 vorgestellt werden. Es trägt dem Umstand Rechnung, dass alles stets aus einer bestimmten Perspektive wahrgenommen wird – egal ob es sich hierbei um die außertextliche ›Realität‹ oder um eine fiktionale Erzählung handelt: Wahrnehmung hängt immer von dem wahrnehmenden Subjekt ab. Daher ist zu fragen, durch wen oder was die Lesenden in einem Text die erzählte Welt wahrnehmen. Damit wird unterschieden zwischen der Erzählstimme, die die fiktionale Welt präsentiert, und den ›Augen‹, durch die die fiktionale Welt bzw. Ausschnitte aus dieser wahrgenommen werden.152 In der Erzähltheorie wird die Frage nach dem Perspektivzentrum als ›Fokalisierung‹ bezeichnet, mit dem die ›scharf gestellte‹ Wahrnehmung in erzählenden Texten bezeichnet wird. Mit diesem Begriff werden sowohl Reduktionen auf spezifisch visuell-optische Phänomene vermieden als auch psychologische Implikationen umgangen. ›Fokalisierung‹ bezieht sich vielmehr auf die Auswahl, die Sichtweise und die Art der Darstellung der fiktionalen Welt.153 Die Fokalisation fungiert sozusagen als methodische Verarbeitung eines Informationsdefizits: Alles, was die Lesenden über die erzählte Welt wissen, erfahren sie nur aus dem Text selbst, in dem die Informationen notwendigerweise perspektivisch gebunden sind. Die Lesenden erfahren nur das, was der Text selbst hergibt. Alles, was darüber hinausführt, ist Spekulation oder kann, methodologisch anders formuliert, als rezeptionsgebundene Ausfüllung einer Leerstelle beschrieben werden. 3.2.1. Fokalisierung nach Gérard Genette Gérard Genette hat mit seiner Unterscheidung zwischen narration und focalisation eine entscheidende Differenzierung in die Erzähltheorie einge-
151
Der Terminus ›Fokalisierung‹ (oder ›Fokalisation‹) ist dem Terminus point of view vorzuziehen, weil der Begriff point of view zwei Verkürzungen nahe legen kann: Erstens evoziert dieser optisch-visuelle Vorstellungen und impliziert zudem zweitens häufig psychologische Konnotationen wie etwa ›Meinung‹ oder ›Einstellung‹. Beides sind unzulässige Begriffsverengungen, weil vielmehr alles in den Fokus des Interesses geraten kann, vgl. B AL, On Story-Telling, 91. 152 Ein guter Vergleich für Fokalisierung ist die Funktion, die eine Kamera in einem Film einnimmt: Nur durch die Kamera können die Zuschauer die Welt des Gezeigten sehen, ohne dass die Kamera mit der ›Erzählstimme‹ des Films identisch wäre. 153 Vgl. NÜNNING, Grundzüge, 54.
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führt,154 während vorher perspektivisch gebundene Wahrnehmungsmuster unter dem unpräzisen Begriff point of view subsumiert wurden. Genette kritisiert das Konzept des point of view, weil es die Instanz der Erzählstimme mit den Figuren unzulässig vermische: »Die Frage Welche Figur liefert den Blickwinkel, der für die narrative Perspektive maßgebend ist? wird mit der ganz anderen Wer ist der Erzähler? vermengt – oder, kurz gesagt, die Frage Wer sieht? mit der Frage Wer spricht?«155 ›Wer spricht?‹ fragt jedoch nach der Erzählinstanz, der Erzählstimme, während ›Wer nimmt wahr?‹156 die Instanz der Fokalisierung ins Zentrum stellt.157 Mit letzterem hat Genette das Perspektivzentrum als eine eigenständige und gleichberechtigte Kategorie neben der Erzählstimme etabliert, die voneinander deutlich zu unterscheiden sind; die Differenz zwischen narration und focalisation fungiert somit als wichtige Grundlage der Erzähltextanalyse. Genette unterscheidet weiterhin zwischen drei Typen von Fokalisierungen: Der erste Typ ist die ›unfokalisierte Erzählung‹ bzw. die ›Nullfokalisierung‹,158 »wo der Erzähler also mehr weiß als die Figur, oder genauer, wo er mehr sagt, als irgendeine der Figuren weiß.«159 Diese Erzählstimme ist heterodiegetisch und verhält sich zu der von ihr erzählten Welt als Erzähl- und Fokalisierungsinstanz; fokalisierendes Subjekt ist die Erzählstimme, fokalisiertes Objekt ist der Erzählgegenstand. Typ 2 ist eine ›intern fokalisierte Erzählung‹ (›der Erzähler sagt nicht mehr, als die Figur weiß‹), in der aus der Perspektive von einer oder mehreren Figuren erzählt wird; fokalisierendes Subjekt ist eine Figur der fiktionalen Welt, deren fokalisiertes Objekt ebenfalls aus der fiktionalen Textwelt stammt. Bei einer intern fokalisierten Erzählung können Erzähl- und Fokalisierungs154 Vgl. GENETTE, Erzählung, 132–149. Zur Fokalisierung vgl. NÜNNING, Grundzüge, 41–63; NÜNNING, »Point of view« oder »focalisation«?, 249–268; MARTINEZ / SCHEFFEL, Erzähltheorie, 63–67. 155 GENETTE, Erzählung, 132 (Hervorhebungen im Original). 156 GENETTE hat die Frage »Wer sieht?« später präzisiert und mit der Formulierung »Wer nimmt wahr?« deutlich genauer erfasst (GENETTE, Erzählung, 235). Unter dem Oberbegriff ›Stimme‹ subsumiert GENETTE die mit der narration verbundene Frage nach der Erzählinstanz, während er die Frage nach der focalisation unter den Begriff ›Modus‹ stellt. 157 J AHN differenziert den Prozess der Wahrnehmung: »Perception, thought, recollection, and knowledge are often considered to be criterial features of focalization, and all these mental processes are closely related to seeing, albeit only metonymically or metaphorically«, J AHN, Windows of Focalization, 243. 158 Zur Kritik an der ›Nullfokalisierung‹ schreibt BERENDSEN: »Anyway, the term zero focalization (oder ›non-focalisé‹) is a contradictio in terminis since any text fragment contains focalization. […] Therefore this notion is completely redundant« B ERENDSEN, The Teller and the Observer, 141, vgl. auch TOOLAN, Narrative, 67–68. 159 GENETTE, Erzählung, 134 (Hervorhebungen im Original).
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instanz voneinander unterschieden werden. Diese als homodiegetisch zu identifizierende Fokalisierungsinstanz hat Stanzel auch als ›personales Orientierungszentrum‹ bzw. als ›Reflektor‹ bezeichnet.160 Nach Genette unterscheidet sich der zweite Typ weiterhin in eine ›feste‹, ›variable‹ oder ›multiple‹ Fokalisation. Der dritte Typ ist die ›extern fokalisierte Erzählung‹ (›der Erzähler sagt weniger, als die Figur weiß‹).161 Dies bedeutet lediglich, dass »der Fokus auf einer Figur liegt, die dadurch im Mittelpunkt des Interesses steht.«162 Mit dieser Differenzierung trägt Genette jedoch nur bedingt dazu bei, die Frage der perspektivisch gebundenen Wahrnehmung zu präzisieren. Während sich der erste und der zweite Typ durch das fokalisierende Subjekt unterscheiden, liegt vom zweiten zum dritten Typ ein Wechsel der Ebene vor: »In the second type, the ›focalized‹ character sees; in the third type, s/he does not see, s/he is seen«. 163 Die Dreigliederung vermischt unterschiedliche Kategorien (fokalisierendes Subjekt bzw. fokalisiertes Objekt), so dass durch verschiedene, voneinander zu trennende Ebenen Unklarheiten entstehen:164 Die Frage der Fokalisierung wird zudem mit der Frage nach der Anwesenheit der Erzählstimme auf der Ebene der Figuren (homo- bzw. heterodiegetisch) verschränkt. Genau dies verunklart die von Genette selbst eingeführte, sehr luzide Differenzierung zwischen der Ebene der Erzählinstanz und der der Wahrnehmung.165
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STANZEL, Theorie des Erzählens, 71. GENETTE ergänzt die Fokuswahl um die Figur der ›Paralepse‹, in der die Erzählstimme den Lesenden mehr mitteilt, als die Fokuswahl eigentlich erlaubt, und der ›Paralipse‹, in der die Erzählstimme den Lesenden Informationen vorenthält, die sie aufgrund ihrer Fokuswahl eigentlich geben müsste; vgl. Genette, Erzählung, 139–140. 162 NÜNNING, »Point of view« oder »focalisation«?, 257. 163 B AL, On Story-Telling, 83. 164 Vgl. B AL, On Story-Telling, 93; NÜNNING, Grundzüge, 53. 165 Alternativ zu B AL schlägt KABLITZ eine andere Differenzierung des GENETTEschen Fokalisationskonzepts vor: Mit den Begriffen der Aktualität und Potentialität sei die Unterscheidung von focalisation interne und externe neu zu durchdenken: »Ist ein Wahrnehmungsvorgang Teil des dargestellten Geschehens, bezeichnet er einen faktischen Erlebnisinhalt innerhalb der dargestellten Situation, so handelt es sich um eine focalisation interne. Davon zu unterscheiden ist eine Darstellung, die einem Wahrnehmungsvorgang entspricht, der nicht ein faktisches Erleben innerhalb der dargestellten Welt meint, sondern eine Möglichkeit, die außerhalb des Dargestellten verbleibt. […] Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Typen von focalisations besteht darin, daß im zweiten Fall nicht der Träger des Wahrnehmungsprozesses zum Bezugspunkt der handelnden Person werden kann«, KABLITZ, Erzählperspektive, 246. FÜGER folgt der Kritik von KABLITZ (FÜGER , Stimmbrüche, 43–60) und entwickelt eigene Kategorien, die NIERAGDEN (Focalization, 685–697) mit den von B AL entwickelten Kategorien verbindet; vgl. auch FLUDERNIK, Voices Focalization, 619–638. 161
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3.2.2. Fokalisierung nach Mieke Bal Mieke Bal hat die Theorie von Genette aufgegriffen und entscheidend weitergeführt,166 indem sie erstens die Art und Weise der Fokalisierung differenziert und zweitens die Relation zwischen einer Fokalisierung auf der zweiten und dritten Kommunikationsebene (sowie folgenden) thematisiert hat. Die erste Unterscheidung basiert auf der Definition der Fokalisierung als »the relation between the vision and that which is ›seen‹, perceived«167: »A says that B sees what C is doing.«168 Bal unterscheidet somit grundlegend zwischen dem, der sieht (Fokalisator; focalizer), und dem, was gesehen wird (das fokalisierte oder fokussierte Objekt; focalized). Die Differenzierung in eine Subjekt-Objekt-Relation ermöglicht es, erstens den Vorgang der Fokalisierung detailliert zu beschreiben, zweitens die beiden Ebenen dennoch strikt voneinander zu trennen und drittens die Fokalisierungsinstanzen analog zu den Erzählinstanzen zu beschreiben. Neben der Erzählstimme und den Figuren gibt es somit ein fokalisierendes Subjekt.169 Diesen drei Instanzen können jeweils Objekte zugeordnet werden: der Erzählstimme die erzählte Welt, dem fokalisierenden Subjekt ein fokalisiertes Objekt und den Figuren ihre Handlungen. Diese drei Instanzen sind im Kommunikationsmodell hierarchisch angeordnet.170 Deshalb können unterschiedliche Subjekt-Objekt-Relationen der drei Instanzen beschrieben werden, die sowohl auf unterschiedlichen Ebenen des Kommunikationsmodells (vertikal) als auch innerhalb einer Ebene (horizontal) angesiedelt sein können. Die grundlegende und wichtige Unterscheidung zwischen dem, der sieht, und dem, was gesehen wird, ist jedoch nicht allein auf den Akt des Sehens einzuschränken; vielmehr ist die Frage der Fokalisation auf alle Formen der Wahrnehmung und Wahrnehmungslenkung auszuweiten.171 Das fokalisierende Subjekt kann man weiterhin zum einen in Bezug auf die Art der Fokalisierung (intern oder extern) und zum anderen in Bezug auf die Variabilität (mono- oder multiperspektivisch) unterscheiden.
166
Vgl. zum Konzept der Fokalisation: BAL, Narratology, 142–161; B AL, On StoryTelling, 75–108; B AL, Death and Dissymmetrie; vgl. auch B ERENDSEN, The Teller and the Observer, 140–158; zur Kritik an dieser Kritik vgl. KABLITZ, Erzählperspektive, 248. 167 B AL, Narratology, 142. 168 B AL, Narratology, 146; zur Kritik an Bal vgl. KABLITZ, Erzählperspektive, 252– 254. 169 »The identity of the focalizer coincide with that of the narrator, but does not necessarily do so«, B AL, Notes on Narrative Embedding, 54. 170 B AL visualisiert diese drei Ebenen mit ihren Tätigkeiten und Objekten (vgl. B AL, On Story-Telling, 87). 171 Vgl. hierzu J AHN, Aspects of Focalization, 85–110.
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3.2.2.1. Externe und interne Fokalisierung Bei einer externen Fokalisierung (eF) steht die Fokalisierung außerhalb der erzählten Welt (heterodiegetische Fokalisierung), während bei einer internen Fokalisierung (iF)172 die Fokalisierung an eine Figur der Erzählung gebunden ist (homodiegetische Fokalisierung).173 Der Unterschied zwischen den beiden Fokalisierungsarten ist die Kommunikationsebene: Bei der externen ist diese auf der zweiten Ebene (K II), bei der internen auf der dritten Ebene (K III) angesiedelt. Beide Fokalisierungsmöglichkeiten sind variabel und keineswegs nur an eine Instanz gebunden, vielmehr können sich diese abwechseln. Bei der externen Fokalisierung (K II) ist die Fokalisierungsinstanz mit dem erzählenden Subjekt, der Erzählstimme, identisch. Daher kann man von einem ›narrator-focalizer‹, einer ›fokalisierenden Erzählstimme‹ bzw. von einer ›primären Fokalisierung‹ sprechen. Die Erzählstimme ist somit die erste fokalisierende Instanz: »Embedded focalization is only plausible if it includes a narrational level, that is, if a narrator […] sees that a character sees something«. 174 Bei einer internen Fokalisierung (K III) ist das erzählende Subjekt, die Erzählstimme, von der Fokalisierungsinstanz zu unterscheiden. Diese wird von den Figuren der erzählten Welt eingenommen, so dass man von einem ›character-focalizer‹, einer ›fokalisierenden Figur‹, sprechen kann. Weil diese in einen übergeordneten Erzählprozess eingebunden ist und von der höheren Kommunikationsebene K II, d.h. von der Erzählstimme, abhängig ist, kann diese als ›sekundäre Fokalisierung‹ bezeichnet werden. Das durch die fokalisierende Figur fokalisierte Objekt ist somit doppelt ›gefiltert‹:175 zuerst durch die Erzählstimme und in zweiter Instanz durch die fokalisierende Figur. Diese trichterförmige Einschränkung der Perspektive wird bei inneren Monologen, der Schilderung von Gedanken oder Selbstgesprächen etc. weiter verengt: Hier ist das fokalisierte Objekt der sekundär fokalisierenden Figur sie selbst.176 Wichtig ist – wie bei den eingebetteten Reden – auch hier, das hierarchische Einbettungsverhältnis und die Abhängigkeit der Kommunikationsebene von der nächst höheren, zu beachten.177 Bei 172
B AL benützt das Kürzel ›CF‹ für eine ›character-bound focalization‹. Vgl. B AL, Narratology, 146–149. 174 J AHN, Windows of Focalization, 261. 175 Zu den Termini filter und slant vgl. CHATMAN, Rhetoric of Narrative, 142–145. 176 Vgl. zu dieser Frage auch JAHN, Windows of Focalization, 246–248. 177 Die funktionale Abhängigkeit gilt für alle eingebetteten Sprechsituationen, auch für die Fokalisierung, weil »die Instanzen auf dem eingebetteten Niveau von der Art und Weise abhängig sind, wie durch die höher situierte Erzähl- und Fokalisierungsinstanz das Wort oder die Fokalisierung an sie delegiert wird, zeigt sich bei jedem Wechsel von primärer zu sekundärer Fokalisierung ebenso deutlich wie bei den eingebetteten Redesituationen«, NÜNNING, Grundzüge, 62. 173
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einer internen Fokalisierung wird die fokalisierende Figur gegenüber anderen Figuren privilegiert: Nur durch die Augen dieser Figur können die Lesenden das Geschehene wahrnehmen. Mit dieser perspektivischen Gebundenheit ist nicht nur die Begrenztheit der Wahrnehmung, sondern immer auch die Möglichkeit potentieller Verzerrungen verbunden. »If the focalizer coincides with the character, that character will have advantage over the other characters. The reader watches with the character’s eyes and will, in principle, be inclined to accept the vision presented by that character.«178 Statt den Blick der fokalisierenden Instanz für die fiktionale Text›Realität‹ zu halten, ist das Fokalisierte vielmehr nur der durch die Fokalisierung limitierte Zugang, den die Lesenden zur Textwelt erhalten. Diese Differenzierung ist zu beschreiben und offen zu legen. Die rezeptionslenkende Wirkung von Fokalisierungen ist dabei nicht nur in der Rede von Figuren wirksam, sondern auch bei der Wiedergabe direkter Rede festzustellen: Wenn in einer Rede eine weitere eingebettet ist, ist diese durch den jeweils Sprechenden fokalisiert.179 Dies gilt ebenso für indirekte Rede: Hier ist der Grad der Fokalisierung im Hinblick auf den Grad der semantischen und syntaktischen Transposition festzustellen, dessen Pole von der exakten Wiedergabe des Gesagten bis zu einer extremen Veränderung der Ursprungsäußerung variieren können; als Mitte dieser Skala sind die grammatische Transposition des Tempus, der Pronimina und der Deiktika anzusetzen.180 Eine spezielle Form der Fokalisierung ist die Erinnerung: »Memory is an act of ›vision‹ of the past, as an act, situated in the present of the memory.«181 Erinnerungen, gestaltet als erzählte Rückblenden, komplettieren häufig ›Lücken‹ in narrativen Zusammenhängen, um diese versteh- und deutbar zu gestalten. Erinnerungen fungieren als ein Bindeglied zwischen verschiedenen Zeiten und Räumen der Erzählung. Zugleich ist gerade bei Erinnerung Vorsicht geboten: »Memories are unreliable – in relation to the fabula – and when put into words, texts are rhetorically overworked so that they connect to an audience, for example, a therapist. Hence, the ›story‹ the person remembers is not identical to the one she experienced.« Eine weitere wichtige Unterscheidung ist die Variabilität der Fokalisierungsinstanz. Das fokalisierende Subjekt kann konstant oder variabel, mono- oder multiperspektivisch sein, weil Fokalisierungsinstanzen innerhalb einer Erzählung wechseln können. So kann zwischen interner als auch externer Fokalisierungen gewechselt werden. Im Falle der internen Fokalisierung kann diese innerhalb einer Erzählung an verschiedene Figuren ge178
B AL, Narratology, 146. Vgl. hierzu STERNBERG, Point of View, 67–117. 180 Vgl. NÜNNING, Grundzüge, 62. 181 B AL, Narratology, 147. 179
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bunden sein. Auf diese Weise finden sich innerhalb einer Erzählung mehrere Fokalisierungen, die sich im Erzählverlauf beliebig ändern können. Die Variabilität der Fokalisierung betrifft somit nicht nur die interne, sondern jede Form der Fokalisierung. Genette hingegen hatte die Möglichkeit der Variabilität auf die interne Fokalisierung beschränkt und drei Typen von Fokalisierung beschrieben: erstens die konstante, zweitens die variable Fokalisierung und drittens die mono- bzw. multiperspektivische Fokalisierung.182 Um die unterschiedlichen Ebenen, auf denen diese Kategorisierungen angesiedelt sind, deutlich zu unterscheiden, sollte das Anliegen von Genette modifiziert aufgegriffen werden:183 Erstens: Ist die Fokalisierung über den gesamten Textverlauf gleichbleibend oder ändert sie sich? Im ersten Fall liegt eine konstante, im zweiten Fall eine variable Fokalisierung vor. Zweitens: Wird das Geschehen auf der Kommunikationsebene der Figuren (K III) durch eine oder mehrere Figuren fokalisiert? Im ersten Fall liegt eine mono- und im zweiten eine multiperspektivische Fokalisierung vor. 3.2.2.2. Das fokalisierte Objekt Neben dem fokalisierenden Subjekt ist das fokalisierte Objekt zu untersuchen.184 Alles kann Objekt der Fokalisierung sein. Die Art und Weise, wie ein Objekt präsentiert wird, gibt dabei sowohl Informationen über das fokalisierte Objekt als auch über die Fokalisierungsinstanz selbst preis – manchmal mehr über den Fokalisator als über das Objekt selbst. Für diese Untersuchung sind drei Fragen nach dem Was, dem Wie und dem Wer relevant. Erstens: Was wird fokalisiert? Was wird wie gezeigt und dargestellt? Und was nicht? Was wird damit bezweckt und angezielt? Zweitens: Wie und mit welcher Haltung wird das Objekt fokalisiert? Wie wird der Blick der Lesenden gelenkt? Drittens: Wer fokalisiert? Welche Fokalisierung ist gewählt? Ändert diese sich, wenn ja, wie? Ist sie an bestimmte Figuren gebunden? Wie sich das fokalisierende Subjekt als variabel erwiesen hat, so kann sich auch das fokalisierte Objekt ändern. Diese Variabilität hat Bal mit Hilfe der Kategorie der Wahrnehmbarkeit beschrieben:185 Eine Fokalisierung kann erstens ›wahrnehmbar‹ sein, insofern das fokalisierende Subjekt etwas, was außerhalb von ihm selbst liegt, fokalisiert. Zweitens kann das fokalisierte Objekt ›nicht wahrnehmbar‹ sein, d.h. es ist nur für das fokalisierende Subjekt wahrnehmbar. Darunter sind innere Vorgänge in einer Figur, innere Monologe, Selbstgespräche oder Gedanken, innere Wirklich182
GENETTE, Erzählung, 134–135. Vgl. NÜNNING, Grundzüge, 56–58. 184 Vgl. B AL, Narratology, 149–150.157–160. 185 Vgl. B AL, Narratology, 149. 183
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keiten etc. zu subsumieren,186 so dass die Lesenden unter Umständen mehr wissen können als die Figuren. Nünning greift die Unterscheidung von Bal zwischen ›wahrnehmbar‹ und ›nicht-wahrnehmbar‹ auf, ersetzt aber die beiden Begriffe durch andere Umschreibungen:187 Als ›perzeptiv‹ bezeichnet er alle diejenigen fokalisierten Objekte, die den Sinnen zugänglich sind, als ›kognitiv-emotional‹ die nicht sichtbaren und nicht wahrnehmbaren ›Objekte‹ oder Bewusstseinsinhalte von Figuren. Mit dieser Terminologie kann man den Vorgang der Bewusstseinsdarstellungen über die Frage der visuellen Wahrnehmbarkeit hinaus erweitern und in diesen Ansatz integrieren. 3.2.2.3. Wechsel von Fokalisierungsinstanzen Fokalisierung wird verstanden als ein Bewusstseins- und Wahrnehmungsprozess, der – da es sich um einen Text handelt – nur sprachlich vermittelt und mithin verbal dargestellt werden kann. Als Indikatoren für einen Wechsel der Fokalisierungsperspektive188 fungieren v.a. Verben des Sehens und Wahrnehmens sowie der Wechsel von Eigennamen und Personalpronomen. Über einen Wechsel in der Zuordnung des Gesehenen, Empfundenen oder Gedachten zu einer Figur kann die Änderung der Fokalisierung besonders über Verben der Wahrnehmung und des Denkens indiziert werden; aber auch wertende Adjektive oder Adverbien oder Änderungen in Syntax und Lexis können als Hinweise dienen. 3.3. Die Figurenperspektive Zu der Frage nach dem Wie der erzählten Handlung, tritt das Was, das den Blick auf die erzählende Handlung und auf die Figuren selbst lenkt.189 Und auch hier stellt sich die Frage, wie auf der Ebene der Figuren in der Textwelt Perspektive erzeugt wird. Damit sind die Figuren als »être de papier«190 die dritte Instanz der Perspektivbildung in erzählenden Texten neben der Erzählstimme und der Fokalisierung.191 Alle auftretenden Figuren verfügen über eine eigene Perspektive, die eine dritte Form der Perspekti186
Vgl. hierzu auch COHN, Transparent Minds. NÜNNING, Grundzüge, 58–60. 188 Vgl. NÜNNING, Grundzüge, 57; B AL, Narratology, 157–158. 189 Zur Durchlässigkeit zwischen Autor(in) und Figur sagt Batya Gur: »Vieles von dem, was Inspektor Ochajon sagt oder denkt, stimmt mit meinen Ansichten überein. Aber eigentlich mag ich ihn lieber als mich selbst«, Welt online, 21. Mai 2005. 190 B ARTHES, Introduction, 19. 191 Vgl. zur ›Figur‹ in erzählenden Texten MARGOLIN, Structuralist Approaches to Character in Narrative, 1–24; NIERAGDEN, Figurendarstellung im Roman; SCHNEIDER, Grundriß zur kognitiven Theorie der Figurenkonzeption; J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 547. 187
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vierung in den Text einträgt. Dabei ist auch hier wieder deutlich zwischen dem Subjekt der Fokalisierung, also der Frage, wer wahrnimmt, auf der Ebene des Erzählten, und dem Objekt, also der Frage, was die Figuren jeweils wahrnehmen, zu unterscheiden. Dass in einem narrativen Text unterschiedliche Figuren auftreten, handeln, sprechen und (laut) denken, ist nur auf den ersten Blick eine Binsenweisheit. Jede Figur, die die Bühne der erzählten Handlung betritt, bringt ihre eigene Wahrnehmung und ihre eigene Sicht ein. Zu dem von der Erzählstimme etablierten Geschehen in der von ihr geschaffenen fiktionalen Welt und zu der durch Fokalisierungen gefilterten Wahrnehmung treten die Figuren als dritte Instanz hinzu, die mit ihrer Perspektive in das Geschehen involviert sind. Damit verfügt die erzählte Welt über eine »künstlerisch organisierte Redevielfalt«, die Michael Bachtin in Bezug auf den Roman folgendermaßen beschreibt: »Der Roman orchestriert seine Themen, seine gesamte abzubildende und auszudrückende Welt der Gegenstände und Bedeutungen mit der sozialen Redevielfalt und der auf ihrem Boden entstehenden individuellen Redevielfalt. Die Rede des Autors und die Rede des Erzählers, die eingebetteten Gattungen, die Rede der Helden sind nur jene grundlegenden kompositorischen Einheiten, mit deren Hilfe die Redevielfalt in den Roman eingeführt wird. Jede von ihnen begründet eine Vielzahl von sozialen Stimmen und eine Vielfalt von (immer mehr oder weniger dialogisierten) Verbindungen und Korrelationen zwischen den Aussagen und den Sprachen. Diese Bewegung des Themas durch Sprache und Reden, deren Aufspaltung in Elemente der sozialen Redevielfalt, ihre Dialogisierung: dies macht die grundsätzliche Stilistik des Romans aus.«192 Um die durch die Figuren wesentlich mitgeprägte soziale Redevielfalt zu analysieren, erweist sich das aus der Dramentheorie stammende Konzept der ›Figurenperspektive‹ als besonders ertragreich. Manfred Pfister hatte das ursprünglich romantheoretische Konzept der Perspektive auf das Drama übertragen und dieses so erweitert, dass es gewinnbringend in die Erzähltextanalyse reimportiert werden konnte. 3.3.1. Faktoren der Figurenperspektive Alle im Text auftretenden Figuren verfügen über ihre eigene, notwendigerweise begrenzte Sichtweise und ausschnitthafte Perspektive, aus der sie ihre individuelle Wirklichkeitswahrnehmung konstruieren.193 Diese bezeichnet Pfister als die ›Figurenperspektive‹ und benennt drei Faktoren, durch die die Perspektive der Figuren determiniert wird: der Informationsstand einer Figur, ihre psychologische Disposition und ihre Normen und 192 193
B ACHTIN, Ästhetik des Wortes, 157. Vgl. zum Folgenden P FISTER , Drama, 90–103; NÜNNING, Grundzüge, 64–83.
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Werte.194 Der erste Faktor, der Informationsstand einer Figur, kann aus den Angaben des Textes ermittelt werden, um das, was eine Figur weiß bzw. nicht weiß, zu konturieren. Hierzu zählen neben dem Wissen, die Kenntnisse und Fähigkeiten, die einer Figur zugeschrieben werden. Die psychologische Disposition der Figur lässt sich aus dem Eigenschaftsspektrum einer Figur erheben. Damit kann ein affektiv-kognitives Bild der Figur gewonnen werden. Dabei ist zwischen figureninterner und figurenexterner Charakterisierung zu unterscheiden.195 Unter die figureninterne Charakterisierung fallen all jene Aspekte, die von der Figur selbst ausgehen: wie sie sich verhält und auftritt, wie sie redet, wie sie sich unter Umständen selbst charakterisiert etc. Unter figurenexterne Porträtierung können jene Aspekte subsumiert werden, die die Figur von außen beschreibt. Hierzu zählen Äußerungen anderer Figuren über sie ebenso wie Charakterisierungen der Figur durch die Erzählstimme. Über diese Aspekte lässt sich die individuelle Weltsicht und Wirklichkeitskonstruktion der porträtierten Figur ermitteln, die Aufschluss über die Werte und Normen einer Figur gibt. Die Figurenperspektive ist somit die Summe aller kognitiven, emotionalen und perzeptiven Konstitutiva einer Figur. Jede Figur ist ›autonom‹, weil »jede sprachliche Äußerung streng der Perspektive der jeweils sprechenden Figur zugeordnet ist, die nur artikulieren kann, was ihrer Disposition und ihrer Situation glaubhaft entspricht.«196 3.3.2. Voraussetzungssystem der Figurenperspektive Aus der Figurenperspektive als dem Merkmalsbündel der Werte, Einstellungen und Wahrnehmungen einer Figur ergibt sich das ›Voraussetzungssystem‹, das alle Bedingungsfaktoren umfasst, die die Perspektive einer Figur zu einem bestimmten Zeitpunkt ausmachen: »Dieses System umfaßt das jeweilige Wirklichkeitsmodell eines Aktanten, die von ihm internalisierten Werte, Normen und Konventionen, sprachliche und enzyklopädische Kenntnisse ebenso wie Handlungsbeschränkungen politischer, ökonomischer und sozialer Natur«. 197 Die drei Faktoren der Figurenperspektive werden im Voraussetzungssystem um die ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Bedingungen der fiktionalen Welt ergänzt, in
194
Vgl. P FISTER , Drama, 90. Während P FISTER von der »ideologischen Orientierung« einer Figur spricht, ersetzt NÜNNING den durch vielfältige Konnotationen problematischen Begriff ›Ideologie‹ durch den soziologisch geprägten Terminus ›Werte und Normen‹, vgl. NÜNNING, Grundzüge, 69–70. 195 Vgl. direkte und indirekte Charakterisierungen bei B AR-EFRAT, Alttestamentliche Texte als literarische Kunstwerke, 57–106. 196 P FISTER , Drama, 91. 197 HAUPTMEIER / SCHMIDT, Empirische Literaturwissenschaft, 63.
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der die Figuren situiert sind und die ihre Lebensumstände und Wirklichkeit bestimmen. 3.3.3. Figurenperspektive und Handlung Von der Figurenperspektive und dem Voraussetzungssystem ist die ›Handlung‹ zu unterscheiden, die »als eine von Aktanten im Rahmen ihres Voraussetzungssystems ausgeführte, subjektiv sinnhafte Zustandsveränderung oder -aufrechterhaltung […], die von vier Faktoren – Fähigkeiten, Bedürfnissen, Motivationen und Intentionen – bestimmt ist«198 definiert werden kann. Das zentrale Merkmal von Handlung ist ihr Optionalitätscharakter, der sich in der intentionalen Entscheidung des Handelnden für eine bestimmte Möglichkeit ausdrückt: »Alles Handeln ist daher prinzipiell kontingent. Diese Definition von Handlung impliziert, dass jede Handlung personal zurechenbar ist und daß sich das handelnde Subjekt seiner Handlung bewußt ist. Deshalb ist ein Aktant für seine Handlungen und deren Folgen verantwortlich, gleichgültig ob er sein subjektives Handlungsziel erreicht oder nicht.«199 3.4. Etablierung von Perspektivenstrukturen in Texten Die Perspektivenstruktur im Text ergibt sich aus einem dreifachen Spannungsverhältnis: Dies besteht erstens aus unterschiedlichen Figurenperspektiven (Kap. I. 3.4.1.), zweitens aus der Spannung zwischen Handlung und Figuren (Kap. I. 3.4.2.)und drittens aus der Perspektive der Erzählstimme (Kap. I. 3.4.3.). Diese unterschiedlichen Faktoren ergeben zusammen die komplexe Perspektivenstruktur in einem Text (Kap. I. 3.4.4.), die in einem korrelativen und interdependenten Verhältnis zueinander stehen und eine eigene Dynamik im Prozess des Lesens entfalten (Kap. I. 3.4.5.). 3.4.1. Pluralität der Figurenperspektiven Die miteinander kommunizierenden und interagierenden Figuren können als »Arrangement miteinander korrespondierender und kontrastierender Figurenperspektiven«200 verstanden werden, die zusammen ein »polyperspektivisches« Ensemble ergeben: »Die einzelnen Figuren sind einander gleichgeordnet, d.h. sie besitzen denselben Fiktionalitätsgrad und für den Rezipienten prinzipiell den gleichen Grad der Verbindlichkeit.«201 Wegen des geltenden Prinzips der Perspektivität kann daher keiner der einzelnen 198 NÜNNING, Grundzüge, 72; NÜNNING formuliert dies in Anlehnung an SCHMIDT, Grundriß, 20–37. 199 NÜNNING, Grundzüge, 73. 200 P FISTER , Drama, 91. 201 P FISTER , Drama, 92.
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Figurenperspektiven von vornherein größere Bedeutung für die Konstitution der Rezeptionsperspektive zukommen. Zugleich aber beeinflussen sich die verschiedenen Figurenperspektiven gegenseitig. Die Relation der Figurenperspektiven zueinander kann paradigmatisch und syntagmatisch beschrieben werden:202 Auf der paradigmatischen Achse wird quantitativ und qualitativ nach dem Umfang und der Streuung der Figurenperspektiven gefragt. Je höher die Anzahl der dargestellten Perspektiven, umso komplexer ist die Perspektivenstruktur und umso höher das Maß an perspektivischer Brechung. Auf der syntagmatischen Achse wird die Zuordnung und Korrelation von Figurenperspektiven thematisiert. Diese stehen in Kontrast- oder Korrespondenzrelationen zueinander und können diametral gegeneinander stehen, miteinander konvergieren oder symmetrisch angeordnet sein. Ebenso sind die unterschiedlichen Figurenperspektiven konkret zu beschreiben. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Detailliertheit der Informationen und v.a. der Sympathielenkung der Lesenden203, die bewirken kann, dass Figurenperspektiven privilegiert oder diskreditiert werden. Der Grad der Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der Figurenperspektive, die Autorisierung einer Figur und der Grad ihrer Verbindlichkeit ist nicht nur durch die Relationen der Figuren untereinander bestimmt, sondern wird auch von der übergeordneten Erzählstimme determiniert. 3.4.2. Handlung und Figurenperspektiven Figurenperspektive und Handlung stehen in einem reziproken Verhältnis: Zum einen werden Handlungen im Rahmen des individuellen Voraussetzungssystems einer Figur und ihrer begrenzten Perspektive ausgeführt. Die Handlungen sind intentional von der Figur gesteuert und von ihr zu verantworten. Zum anderen wirken Handlungen auf die Perspektive einer Figur zurück, weil sich mit jeder Handlung der Informationsstand, Fähigkeiten und Bedürfnisse einer Figur verändern. »Erfahrungen gehen in ihr Voraussetzungssystem ein und können zu späteren Zeitpunkten die Handlungen einer Figur beeinflussen. Bestimmte Parameter einer Figurenperspektive können aufgrund der Entwicklung einer Figur im Textverlauf an Bedeutung gewinnen oder verlieren. Die Dynamik einer Figurenperspektive wird auch an der sich ändernden Einschätzung der Vergangenheit deutlich; ebenso wie die Beurteilung der jeweiligen Gegenwart sind auch Erinnerungen von Figuren subjektabhängig und variabel. Die Vergangenheit wird von einer Figur je neu konstruiert auf der Basis ihres gegenwärtigen Systems von Voraussetzungen; daher kann aufgrund der Dynamik 202
Vgl. P FISTER , Drama, 96–99; NÜNNING / NÜNNING, Multiperspektivität, 383–388. Leider gibt es zur Frage der Sympathielenkung in Erzähltexten bisher keine entsprechenden Analysen; zum Drama vgl. P FISTER , Sympathielenkung im Drama, 20–34. 203
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jeder Figurenperspektive die Intersubjektivität von Erinnerungen an die Vergangenheit im Lauf der Zeit verloren gehen.«204 Neben der Interdependenz der Figuren untereinander und der Interdependenz von Figur und Handlung, die jeweils auf der Ebene der erzählten Handlung angesiedelt sind (Was), liegen Figuren und Erzählstimme auf unterschiedlichen Ebenen. Anders als im Drama, in dem die Rezipierenden direkt mit den Figuren konfrontiert sind, ist in narrativen Texten die Ebene der erzählerischen Vermittlung zwischengeschaltet, so dass die Figuren nicht direkt zu den Rezipierenden sprechen, sondern die Handlung durch die Erzählstimme vermittelt wird. Für die Ermittlung der Figurenperspektive ist es daher erforderlich, zwischen der Form der erzählerischen Vermittlung und der Handlung zu differenzieren. »Im Gegensatz zu dem Begriff ›Erzählperspektive‹, der meist synonym mit ›Erzählsituation‹ gebraucht wird, bezieht sich das Konzept der Erzählerperspektive205 nicht auf das ›Wie‹ der erzählerischen Vermittlung, sondern auf das Persönlichkeitsbild, das Rezipienten auf der Grundlage der im Text enthaltenen Informationen von der Erzählinstanz entwerfen. Die Perspektive einer Erzählinstanz läßt sich demzufolge als das fiktive Voraussetzungssystem des Sprechers definieren, das auf der erzählerischen Vermittlungsebene situiert ist.«206 Die Erzählstimmenperspektive ist – wie die Figuren – durch ein Voraussetzungssystem gekennzeichnet, das Informationsstand, Normen und Werten, ökonomische, soziale, politische und kulturelle Bedingungen umfasst. Durch dieses Voraussetzungssystem wird die Perspektive der Erzählstimme konstituiert, so dass zwischen Erzähl- und Figurenperspektive unterschieden werden muss.207 Obwohl autonom, sind die Figuren zugleich Produkt der Erzählstimme, ohne jedoch ihr verlängerter Arm oder ihr alter ego zu sein – im Gegenteil: Die Erzählstimme verfügt über die Steuerungstechnik208 und kann sich auch gegen eine Figur stellen, zu ihr auf Distanz gehen, sie kritisieren oder sie in ein zwielichtiges Licht rücken. Umgekehrt 204
NÜNNING, Grundzüge, 74. Der Terminus ›Erzählerperspektive‹ wird im Folgenden als ›Erzählstimmenperspektive‹ bezeichnet. 206 NÜNNING / NÜNNING, Multiperspektivität, 382. 207 Neben dieser Relation ist zudem die Beziehung zwischen der Figurenperspektive und der Fokalisierung zu beachten: »Ebensowenig wie die Thematisierung einer bestimmten Figurenperspektive etwas über den jeweiligen Modus ihrer Vermittlung im Vorgang des Erzählens präjudiziert, legt eine bestimmte Fokalisierungstechnik fest, welche Figur oder welches Ereignis das fokalisierte Objekt ist. […] Eine Information über eine bestimmte Figurenperspektive kann von verschiedenen Instanzen – auch von der Figur selbst – stammen, und jede Erzähl- oder Fokalisierungsinstanz kann sich potentiell auf verschiedene Perspektiven beziehen. Zwischen der Selektion bestimmter Figurenperspektiven und den jeweiligen Darstellungsmodalitäten der Informationsvergabe besteht somit keine eindeutige und feste Korrelation«, NÜNNING, Grundzüge, 71. 208 Vgl. hierzu P FISTER , Drama, 95. 205
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kann die Erzählstimme eine Figur aber auch privilegieren und so die Lektüre der Lesenden lenken oder auch manipulieren. »Kritische Erzähleräußerungen ändern nichts an der Figurenperspektive oder an den Handlungen einer Figur, weil sich die Figuren der Existenz des Erzählers und der Tatsache, Mitteilungsgegenstand des Erzählvorgangs zu sein, nicht bewußt sind. Indem sich eine Erzählinstanz analysierend und kritisch mit den Perspektiven und Handlungen der Figuren auseinandersetzt, vermittelt sie eine Vielzahl von zusätzlichen Informationen über die Perspektive der Figuren, die die Gesamtinformationsmenge des Textes erhöhen. Darüber hinaus verleihen die Äußerungen einer Erzählinstanz aus deren Perspektive Ausdruck. […] Daß auch die Perspektive des Erzählers zum Gegenstand des Erzählens gemacht werden kann, wird deutlich, wenn eine Erzählinstanz ihre eigenen Einstellungen, Erfahrungen oder Werte thematisiert.«209 Die Perspektive der Erzählstimme kann prinzipiell immer eruiert werden, auch wenn sie bei einer expliziten und personalisierbaren Erzählstimme leichter zu konturieren ist. Bei einer homodiegetischen Erzählstimme (›ich‹) ist zwischen der aus der Retrospektive erzählenden Instanz (Erzählstimmenperspektive) und ihrer früheren Perspektive als Figur (Figurenperspektive) sowie zwischen ihrem früheren und gegenwärtigen Voraussetzungssystem zu differenzieren.210 3.4.3. Die Perspektive der Erzählstimme Aus der Bestimmung der Erzählstimme (vgl. Kap. I. 3.1.) ergibt sich ihre spezifische Perspektive. Um die Erzählstimmenperspektive zu analysieren, ist die Frage zu stellen, aus welchen textuellen Hinweisen und Informationen die Perspektive der Erzählstimme eruiert werden kann, die in gradueller Abstufung beantwortet werden kann: »Der jeweilige Grad an Ausgestaltung einer Erzählstimmenperspektive ist wichtig für die Perspektivenstruktur narrativer Texte, weil der Erzähler als übergeordneter Orientierungspunkt eine wesentliche Integrationsinstanz darstellt. Die privilegierte Position des Erzählers drückt sich unter anderem in seinem überlegenen Informationsstand aus, der es ihm ermöglicht, die Pläne oder Wünsche von Figuren zu analysieren, zu kommentieren oder sogar durch zukunftsbezogene Vorausdeutungen als subjektive Illusionen aufzudecken.«211
209
NÜNNING, Grundzüge, 75. Weitere Differenzierungen in Bezug auf die Erzählstimme ergeben sich dann, wenn das Geschehen von verschiedenen Erzählstimmen erzählt wird, die jeweils ihre eigene Perspektive in das Geschehen einbringen, so dass sich auf diese Weise eine auf der Ebene der Erzählstimme multiperspektivisch geschilderte Erzählung ergibt. 211 NÜNNING, Grundzüge, 81. 210
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3.4.4. Perspektivenstrukturen in erzählenden Texten Um die Perspektivenstruktur narrativer Texte kategorial beschreiben zu können, ist das Verhältnis der Figurenperspektiven, der Handlung sowie der Perspektive der Erzählstimme in ihrem Verhältnis zueinander zu bestimmen. Das Verhältnis der Figurenperspektiven untereinander bzw. das Verhältnis zwischen den einzelnen Perspektiven lässt sich in Bezug auf ihre Integrativität in unterschiedlichen Graden bestimmen und auf der paradigmatischen wie syntagmatischen Achse beschreiben.212 Die Übereinstimmung bzw. Diskrepanz der unterschiedlichen Perspektiven kann auf einer Skala in gradueller Abstufung als Konvergenzpunkt bzw. als diametrale Entgegensetzung beschrieben werden. Die dazwischen liegenden Nuancen sind durch die unterschiedlichen Perspektiven, ihre verschiedenen Standpunkte und Wahrnehmungen, ihre Wirklichkeitserfahrung und Heterogenität, aber auch durch ihre unterschiedliche Informiertheit, psychologische Disposition oder Unterschiede im Werte- und Normensystem bestimmt. Je mehr Perspektiven übereinstimmen umso höher ist die Akzeptanz der Perspektiven, die sich in sozialen Gruppen zusammenschließen, die so Konventionen erzeugen und darin übereinkommen können, was in Folge in der fiktionalen Welt akzeptiert wird und als ›normal‹ und ›richtig‹ gilt. 3.4.5. Perspektivenstrukturen und Lesende Die Frage von Perspektivenübernahme und Perspektivenkoordinierung im Prozess des Lesens schließt an Jean Piagets Arbeiten zur kognitiven Entwicklungspsychologie und die Beobachtung, dass in der Entwicklung erst relativ spät die Differenzierung eigener und fremder Erkenntnisperspektiven auftritt, an.213 Unterscheiden lassen sich hierbei verschiedene Typen von Differenzierung: »(a) Perspektivendifferenzierungen, d.i. das Wissen um die Differenz zweier Perspektiven; (b) Perspektivenübernahme, d.i. die inhaltliche Ausgestaltung der fremden Perspektive und (c) Perspektivenkoordinierung, d.i. die auf einer Meta-Ebene vollzogene Integration inhaltlich unterschiedlicher Perspektiven«.214 Für die Pragmatik eines Lektüreprozesses ist diese dreifache Bestimmung der Perspektivenstruktur in doppelter Weise interessant: Erstens liegt die in einem Werk entworfene Figuren- und Erzählstimmenperspektive nicht einfach vor, sondern entwickelt sich im Prozess des Lesens. Lesen entfaltet sich in einem Prozess der Iden212 Vgl. ›geschlossene‹ und ›offene‹ Perspektivenstruktur bei PFISTER (vgl. P FISTER , Drama, 99–103); dies übernimmt NÜNNING (vgl. Grundzüge, 80–83). 213 Vgl. EDELSTEIN / KELLER / W AHLEN, Entwicklung sozial-kognitiver Prozesse, 182. 214 EDELSTEIN / KELLER / W AHLEN, Entwicklung sozial-kognitiver Prozesse, 182.
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
tifizierung, Differenzierung und Koordinierung der in einem Text entworfenen Figuren- und Erzählstimmenperspektiven. Es ist an den Rezipierenden, die textuellen Perspektiven zu entdecken, miteinander in Beziehung zu setzen und verstehbar zu machen. Dies bedingt zweitens, dass Lesende und Text in einem Verhältnis wechselseitiger Beeinflussung stehen: Die Normen und Werte und das Weltwissen der Lesenden wird in dem Lektüreprozess zur Geltung gebracht, indem sie ihre Positionalität in den Lektüreprozess eintragen und mit dem, was sie denken, wissen, fühlen etc. die Perspektiven im Text wahrnehmen, differenzieren, sich zu ihnen verhalten, sie gegebenenfalls übernehmen und miteinander koordinieren. Andererseits werden die Lesenden nicht nur durch die unterschiedlichen Perspektiven im Text, sondern vielmehr durch den Anspruch, mit verschiedenen Perspektiven im Text umzugehen, herausgefordert und können aus der Lektüre in ihrem Weltwissen und ihren Normen und Werten verändert herausgehen. Die Perspektivenstruktur im Text und die Perspektivenstruktur der Rezipierenden stehen somit in einem reziproken Prozess. In welchem Maße und Umfang Lesende diesen Prozess der Sinnkonstitution gestalten, hängt zum einen von den Vorgaben des Textes, zum anderen von den Rezeptionsmöglichkeiten ab, die sich durch die Lesenden ergeben.215 3.5. Fazit Wenn Stanzel die Eigenschaft der ›Mittelbarkeit‹ als ein entscheidendes Gattungsmerkmal narrativer Texte bezeichnet,216 gerät die Frage nach der Art und Weise, wie diese Mittelbarkeit erzeugt wird, in das textauslegende Interesse. Deshalb ist die Frage nach der Perspektive ins Zentrum gestellt worden, um den Blick theoretisch und methodisch-pragmatisch dafür zu schärfen, wie auf den unterschiedlichen Ebenen Perspektivierungen vorliegen und analysiert werden können.
4. ›Autorfunktionen‹ und ›Autorfigurationen‹. Die Frage nach der Entstehung von Texten aus der Perspektive der Erzähltextanalyse 4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
Dass ›der Autor tot‹ sei, gehört zu den bekanntesten Schlagworten der Literaturwissenschaft im 20. Jh. So war und ist es der sicherste Weg, sich im Kontext narratologischer Analysen dem Verdacht theoretischer Naivität auszusetzen, wenn man den ›Autor‹ als konstitutive Größe in die Textauslegung einbezieht. Die Erzähltextanalyse der vergangenen Jahrzehnte 215 216
Vgl. hierzu auch NÜNNING, Perspektivenübernahme, 137–161. Vgl. STANZEL, Theorie des Erzählens, 15–38.
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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zeichnet sich durch konsequente und methodologisch breit begründete ›Autorlosigkeit‹ aus. Wirkmächtige Positionen im 20. Jh. haben aus unterschiedlichen Gründen und aus ganz verschiedenen Begründungszusammenhängen dazu beigetragen, den ›Autor‹ als Bezugsgröße der Textinterpretation in Misskredit zu bringen.217 So galt und gilt es nicht nur als längst überholt, sondern auch als höchst naiv, wenn man für die Textinterpretation die Frage nach dem Autor stellt. So gehört die (richtige und sinnvolle) korrigierende Entgegnung, es sei nicht der Autor, sondern die Erzählstimme, die erzähle, in das Standardrepertoire in Methodenseminaren. Sucht man nach methodologisch gesichertem Rückhalt für die Frage nach dem ›Autor‹, wird man in den Standardwerken zur Erzähltextanalyse entweder nicht fündig oder es wird lediglich darauf hingewiesen, dass es den ›realen Autor‹ gebe. Die Rückfrage nach dem Autor erscheint damit obsolet. In den vergangenen Jahren zeichnet sich jedoch in der Literaturwissenschaft eine höchst interessante neue Entwicklung ab, die mit großer Neugier wieder die Frage nach dem ›Autor‹ stellt. Diese findet sich im englisch-, französisch- und deutschsprachigen Raum.218 Die neue Beschäftigung mit dem ›Autor‹ in Form von Diskussionen,219 die neue Fragestellungen aufwerfen, um an »offene Fragen und noch nicht zu Ende gedachte Positionen anzuknüpfen«220. Der Stand der Forschung gleicht Zwischenfazits,221 ohne dass mit umfassenden, neuen Paradigmen aufgewartet werden könnte. 217
Vgl. Kap. I. 4.2. Vgl. hierzu I SEMINGER , Intention; B URKE, Death and Return of the Author; B IRIOTTI / M ILLER , What is an Author?; W OODMANSEE / J ASZI, Construction of Authorship; COUTURIER , La figure de l’auteur; INGOLD / W UNDERLICH, Fragen nach dem Autor; KLEINSCHMIDT, Autor; J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rückkehr des Autors; J ANNIDIS, Theorie der Autorschaft; DETERING, Autorschaft. Diese Entwicklung ist auch an den Veränderungen des Eintrags »Autor, historischer« in Metzler’s Lexikon der Literatur- und Kulturtheorie abzulesen: Der von ANTON stammende Eintrag der ersten Auflage (1998) wurde nicht nur durch einen neuen, von NÜNNING geschriebenen Artikel in der zweiten Auflage (2001) und dritten Auflage (2004) ersetzt, sondern das Lexikon wurde auch um weitere, neue Einträge zum Thema ›Autor‹ ergänzt. 219 Die Frage der Tagung »Rückkehr des Autors?« in Kloster Irsee 1997 hat sich in der Publikation zu dem programmatischen Titel des Sammelbands »Rückkehr des Autors« (ohne Fragezeichen) entwickelt (J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rückkehr des Autors). Vgl. auch die Sammelbände mit den wichtigsten Texten zum Thema ›Autor‹: B URKE, Authorship; J ANNIDIS, Theorie der Autorschaft. 220 W INKO, Autor und Intention, 42. 221 Die in der methodologischen Reflexion und Theorie der Narratologie neu entflammte Diskussion trägt auch der merkwürdigen Diskrepanz Rechnung, die sich einerseits zwischen der grundsätzlichen Ablehnung des ›Autors‹ in der Theorie und andererseits dem unbefangenen Rekurs auf den ›Autor‹ und dem Entstehungskontext in der praktischen Analyse von Erzähltexten auftut. 218
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Die Situation in der Literaturwissenschaft ist mit der der biblischen Exegese nicht vergleichbar: In der Exegese ist die Frage nach den Verfasserkreisen nie obsolet geworden, sondern stand und steht vielmehr als ein zentrales Interesse im Mittelpunkt historisch-kritisch orientierter Textanalysen. Durch die zeitlich versetzte Aufnahme der Erzähltextanalyse gerade in der deutschsprachigen Exegese ist die Unterscheidung zwischen ›Erzählstimme‹ und ›Autor‹ erst allmählich ins textauslegende Bewusstsein gelangt. Im Kontext von erzähltextanalytischen Auslegungen spielt die Frage nach dem Autor kaum oder gar keine Rolle. Auf diese Weise ist derzeit eine Differenz zwischen der an den Verfasserkreisen interessierten, historisch-kritischen Exegese und einer diese Frage für nachgeordnet erachtenden Erzähltextanalyse zu konstatieren. Während für erstere die Frage nach dem Autor und dem Entstehungskontext das zentrale Interesse darstellt, hält letztere die Frage nach dem Autor aus methodologischen wie historischen Gründen für nicht einholbar. Diese wissenschaftliche Konstellation führt nur selten zu einem wirklich konstruktiven Gespräch zwischen beiden Textzugängen. Beide stehen einander eher konfrontativ gegenüber und werden als einander ausschließend wahrgenommen, was von der Sache her keineswegs nahe liegen müsste. Sie könnten auch als in sich jeweils legitime, weil unterschiedliche Fragen in den Vordergrund stellende Textauslegungsstrategien mit eigenen Interessensschwerpunkten verstanden werden. Diese – um ihrer klaren Kontur willen – sicherlich etwas überzeichnete Situation scheint doch recht klare Grenzziehungen in der derzeitigen exegetischen Landschaft zur Folge zu haben. Die Konstellation von der in den Literaturwissenschaften wieder aktuell werdenden Frage nach dem ›Autor‹ und der in der Exegese immer noch aktuellen Frage nach den Verfasserkreisen fordert geradezu heraus, beide miteinander in ein methodologisches Gespräch zu bringen. Für die biblische Exegese hat es sich immer als höchst lohnend erwiesen, sich von den Literaturwissenschaften interdisziplinär inspirieren zu lassen und dort entwickelte Ansätze und Fragestellungen zu integrieren. Entsprechend der sich im Fluss befindlichen konzeptionellen Arbeit in den Literaturwissenschaften kann kein fertiges Konzept präsentiert werden, sondern es sollen vielmehr die Diskussionen vorgestellt und für exegetische Fragestellungen fruchtbar gemacht werden. Dabei geht es darum, aus methodologischer Perspektive systematisch nach dem ›Autor‹ zu fragen. Statt diese Frage in ihren historischen Dimensionen von Schreiben, Schreibern und Textproduktion anzugehen, soll ein Weg aufgezeigt werden, wie aus der Perspektive der Erzähltextanalyse historisch nach der Genese von Texten gefragt und wie die Kategorie ›Autor‹ in die Textinterpretation integriert werden kann. Dabei wird zunächst die Diskussion aus den Literaturwissenschaften aufgezeigt, die nach dem ›Tod des Autors‹ diesen aus dem Totenreich zu-
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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rückgeholt haben. Anschließend werden die Möglichkeiten eruiert, wie aus der Erzähltextanalyse nach der historischen Entstehung der Texte gefragt werden kann. Hier bieten sich als ein möglicher Weg die von Michel Foucault in seinem Vortrag »Was ist ein Autor?« aufgeworfenen Frageperspektiven nach den ›Autorfunktionen‹ als höchst aufschlussreich an. Neu gefasst können diese einen Weg von der rein textimmanenten, eher ahistorisch konzipierten Narratologie zu einer historisch verorteten Erzähltextanalyse aufzeigen. Anvisiert ist eine narratologisch-historische Methodologie, die die Frage nach dem ›Autor‹, nach den Verfasserkreisen und der Genese des Textes reflektiert und die eine Verbindung zwischen Erzähltextanalyse und textgenetischer Verortung methodologisch ermöglicht. 4.1. Was ist ein ›Autor‹? ›Autor‹ bezeichnet in einem umfassenden Sinn den Verfasser von Texten, ihren geistigen Urheber und »den geistigen Erzeuger vor allem von Texten jeglicher Art«222. Das Wort ›Autor‹ leitet sich vom Lateinischen auctor ›Förderer‹, so dann ›Urheber‹ und ›Schöpfer‹ eines Schriftwerks, ab. Im deutschen Sprachraum setzt sich der Begriff ›Autor‹ erst im Laufe des 18. Jh. durch und wird parallel zu dem Terminus ›Schriftsteller‹ verwendet.223 Die Vorstellung von einem ›Autor‹ bzw. einem Schriftsteller unterliegt dem historischen Wandel, wie beispielsweise die gegensätzlichen Konzepte des ›Autors‹ im Klassizismus und in der Romantik zeigen.224 Dabei geht es in keiner Weise darum, ein modernes Autorkonzept auf antike Texte zu übertragen, deren Textproduzenten nichts ferner gelegen haben dürfte, als sich als ›Autoren‹ im spezifisch modernen Sinn zu verstehen. Der Begriff ›Autor‹ bezeichnet hier nicht ein modernes Autorkonzept, das sich in der heutigen Form erst ab dem 18. Jh. in Europa entwickelt hat. Vielmehr steht der Terminus ›Autor‹ als Chiffre für die Funktion, die dem Produzenten des Textes innerhalb eines methodologischen Zugangs zugesprochen werden kann, in dem systematisch nach der Funktion der Produktionsinstanz für die Größe ›Text‹ gefragt wird. 222 KLEINSCHMIDT, Autor, 176; vgl. auch B ÄUMER , Autor, 33–40 und J APP, Ort des Autors, 223–234. Vgl. hierzu auch die Differenzierungen bei FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 245. Vgl. zur Geschichte des Autorenbegriffs GELLHAUS, Textgenese, 11–24 und auch die sozialgeschichtlichen Implikationen der Autorenschaft als ›Urheber‹ in B OSSE, Autorschaft. 223 Vgl. KLEINSCHMIDT, Autor, 177; vgl. hierzu auch E IBEL, ›Autor‹ als biologische Disposition, 57–58. 224 Zu den Facetten und Stationen in der Entwicklung und Geschichte des europäischen Autorbegriffs, vgl. J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO (Rede über den Autor, 4–11), die als Stationen die Begriffe Inspiration, Kompetenz, Autorität, Individualität, Stil, Intention sowie Copyright nennen. Damit verbunden sind unterschiedliche Konzepte des ›Autors‹ vom Dichtergenie bis zum Textarbeiter mit Urheberrechten.
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Der ›reale Autor‹ ist ein Individuum der außertextlichen, realen Welt und unterscheidet sich damit von der Erzählstimme und den Figuren der von ihm geschaffenen fiktionalen Textwelt. Der ›reale Autor‹ ist auf derselben, außertextlichen Kommunikationsebene wie die Rezipierenden angesiedelt. In der Erzähltextanalyse ging mit der Verortung des Autors auf der außertextlichen Ebene meist seine Ausgrenzung einher, die analog zur Ausgrenzung des realen Lesers erfolgte. Interessanterweise findet sich in den in die Erzähltheorie einführenden Werken zwar gelegentlich der Hinweis auf den ›realen Autor‹, nur aber um zu erläutern, was der Autor nicht sei. Die gestellte Frage nach dem Autor bleibt weitgehend unbeantwortet. Der ›Autor‹ wird (nur) gebraucht, um an ihm andere Instanzen, wie den ›impliziten Autor‹ oder die ›Erzählstimme‹, zu profilieren.225 Dies hat de facto nicht nur zu einer Ausblendung und Ignorierung der außertextlichen Ebenen, sondern auch zur strikten Trennung von den textinternen Ebenen geführt. 4.2. Der ›Autor‹ als die unbestrittene Größe der Textinterpretation Der ›Autor‹ hat als Bezugsgröße in der Textinterpretation eine steile Karriere und einen ebenso rasanten Fall hinter sich. Im Folgenden werden exemplarisch sechs Bereiche skizziert, die ein spezifisches Interesse am ›Autor‹ entwickelt haben. Im Anschluss daran werden im nächsten Kapitel vier unterschiedliche Anfragen an die autororientierten Interpretationsansätze ausführlicher erläutert.226 Der ›Biographismus‹ ist erstens die Position, die am ausgeprägtesten von einem engen Bezug zwischen Autor und Werk ausgeht: Autor und Werk stünden in einem so engen Verhältnis zueinander, dass die Biographie des Autors wesentliche Aufschlüsse für die Bedeutung des Textes ergebe und andererseits Rückschlüsse aus dem Werk auf den Autor, seine Person und sein Leben möglich seien.227 Diese Richtung wurzelt in der in 225 Vgl. z.B. CHATMAN, Story and Discourse, 147–151; PRINCE, Dictionary of Narratology, 8. LINK (Rezeptionsforschung, 39–40) reduziert die Frage nach dem Autor auf dessen Bedeutung für Literaturgeschichtsschreibung und Editionsfragen, für die Interpretation von Texten sei er nicht relevant. KAHRMANN / REISS / SCHLUCHTER (Erzähltextanalyse, 39) erwähnen den Autor nur im Unterschied zum Erzähler. Bei STANZEL (Theorie des Erzählens), SCHULTE-SASSE / W ERNER (Literaturwissenschaft), GENETTE (Erzählung) und MARTINEZ / SCHEFFEL (Erzähltheorie) findet sich beispielsweise kein Kapitel, das die Frage nach dem Autor thematisiert. 226 Vgl. zum Folgenden J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / WINKO, Autor und Interpretation, 7–29. 227 Als ein aktuelles Beispiel für den ›Biographismus‹ kann die Auseinandersetzung um das Buch »Bruchstücke« von Binjamin Wilkomirski (1995) gelten, das nicht, wie behauptet, eine autobiographische Erinnerung an die Kindheit im Konzentrationslager sei, sondern eine fiktive Geschichte; interessanterweise hat der Text »augenblicklich die
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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der Romantik entwickelten Genieästhetik und ist im 19. Jh. methodisch weiterentwickelt worden. In Frankreich ist dieser Ansatz v.a. in der explication de texte wirksam geworden, gegen die sich dekonstruktive und poststrukturalistische Ansätze kritisch abgegrenzt haben.228 Heute wird ein naiver Biographismus kaum mehr vertreten: Dass ›die richtige‹ Textinterpretation aus der Biographie des Autors gewonnen werden könne, darf – zu Recht – als überholt gelten. Die Strategien der Literarisierung wie Fiktionalität, literarische Muster, Formvorgaben und Traditionen lassen keine einfache wechselseitige Ableitung und Kausalität von Werk und Biographie zu. Weniger radikal, im Ansatz jedoch ähnlich, konzipieren zweitens hermeneutische Positionen das Verhältnis von Leben und Werk eines Autors. Einflussreich wurde hier v.a. Diltheys Werk »Das Erlebnis und die Dichtung« (1906). Dilthey hat einen ›Erlebnis‹-Begriff entwickelt, der zu einer zentralen Instanz avancierte, die den hermeneutischen Schlüssel zur Interpretation von Leben und Werk zu bieten schien. In dieser Tradition ordnen sich auch Hirschs Versuche in Abgrenzung gegenüber dem an Strukturen orientierten New Criticsm ein: Hirsch meint, in Orientierung am Autor die ›Originalbedeutung‹ eines Werks als ›die‹ Interpretation aufzeigen zu können und unterscheidet zwischen der durch den Autor festgelegten Intention (›meaning‹) und der nach Lesepublikum und Epoche variierenden Bedeutung (›significance‹).229 Es gälte daher, die Absichten des realen Autors zu rekonstruieren, die dem Autor selbst sowohl bewusst als auch unbewusst sein können. Aus dieser Konzeption ergibt sich auch die Vorstellung vom Sinnüberschuss des Textes gegenüber dem Autor, die es ermögliche, ›einen Autor besser zu verstehen, als er sich selbst verstanden hat‹.230 Literatur als Ort psychischer oder existentieller Auseinandersetzung des Autors mit sich selbst, ist die Grundlage sowohl der Literaturtheorie Sigmund Freuds (drittens) als auch der von Jean-Paul Sartre (viertens). Im literarischen Schaffen des Dichters sei ›hinter dem Rücken des Autors‹, so Freud, Zugang zu seinen sublimierten Phantasien zu finden, die Freud in Parallele zur Phantasietätigkeit im Tagtraum versteht. Die Gestaltung eines literarischen Textes ermögliche einen ersten Lustgewinn, über den Zugang zu tieferen Schichten der Psyche ermöglicht werde.231 Sartre versteht den
Aura des Authentischen ein[gebüßt], ohne dass auch nur ein Wort verändert worden wäre«, J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Autor und Interpretation, 7. 228 Vgl. hierzu Kap. I. 4.3.4. 229 Vgl. HIRSCH, Prinzipien der Interpretation. Zur Auseinandersetzung mit den Thesen von HIRSCH vgl. KALERI, Werkimmanenz und Autor, 235–254. 230 Vgl. zur Auseinandersetzung mit dieser Formel, STRUBE, Über verschiedene Arten, 135–155. 231 Vgl. FREUD, Der Dichter und das Phantasieren, 169–179.
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
literarischen Text als Ergebnis der intentionalen Anstrengung aus der existentiellen Auseinandersetzung eines Autors. Der Text des Autors sei ein Angebot an die Lesenden, sich existentiell auf die Welt des Autors und seiner im Text geschilderten Auseinandersetzungen einzulassen.232 Sowohl bei Freud als auch bei Sartre fungiert der Autor nicht als der Ansatzpunkt der Interpretation, vielmehr wird die Intention des Autors und seine historisch fixierbare Verortung als ein nicht unentscheidender Zugang zur fiktionalen Textwelt und ihrer Interpretation verstanden. Zu einer Renaissance der Kategorie ›Autor‹ als interpretationskonstituierende Größe haben fünftens die (frühen) Theorien aus dem Bereich der feministischen Literaturwissenschaft geführt. Gegen die automatische Identifizierung ›Autor = Mann‹ sind die sozialen, kulturellen und politischen Settings aufgezeigt worden, in denen Schreiben von Frauen stattfand bzw. die Schreiben von Frauen verhindert haben. Ausgehend von der Vorstellung, dass Geschlechterbeschreibungen und entsprechende Typisierungen soziale und kulturelle Konstrukte sind, wird es in der feministischen Literaturwissenschaft als ein entscheidender Unterschied verstanden, welches biologische Geschlecht der Autor bzw. die Autorin habe. Es mache einen deutlichen Unterschied, ob ein Buch von einem Mann oder einer Frau verfasst worden sei.233 Wie in der Literaturwissenschaft wird auch in der feministischen Exegese die Frage diskutiert, ob ein biblisches Buch von einer Frau verfasst sei.234 Ein sechster Bereich, in der der ›Autor‹ die entscheidende, den Diskurs organisierende Kategorie ist, ist die Organisation der Literaturgeschichte nach Autoren. Nur selten sind Literaturgeschichten nach anderen Kriterien, z.B. nach der Textsorte, angeordnet. Ein Beispiel für eine sozialgeschichtlich strukturierte Literaturgeschichte ist »Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur«. In dieser Übersicht zeigt sich, dass die Frage, wie die Autorkonzepte im Einzelnen konzipiert und begründet werden, weniger mit dem ›Autor‹ selbst, als vielmehr mit dem größeren theoretischen Rahmen weltanschaulicher Annahmen und Normen zusammenhängt, in den hinein die Frage 232
Vgl. SARTRE, Warum schreiben?, 36–55. Vgl. als ein »erneuter Versuch über die Autorin«, wie es im Untertitel heißt, den Artikel von NIEBERLE, die auch den konstatierten ›Tod des Autors‹ unter der Perspektive feministischer Literaturwissenschaft diskutiert: NIEBERLE, Rückkehr einer Scheinleiche?, 255–272. 234 Vgl. z.B. die Diskussion in Bezug auf das Buch Rut, vgl. JOST, Freundin; BRENNER, Feminist Companion to Ruth; vgl. die Zusammenfassung der Diskussion in F ISCHER , Rut 2001, 93–94. Vgl. hierzu auch das differenzierte Modell der male- und female-voice-Texte: BRENNER / VAN D IJK HEMMES, Gendering Texts. Zur Hermeneutik des Verdachts vgl. SCHÜSSLER FIORENZA, Zu ihrem Gedächtnis; DIES., Brot statt Steine; D IES., Entscheiden aus freier Wahl, 148–161. 233
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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nach dem ›Autor‹ gestellt wird. Die Vorgaben des theoretischen Bezugsrahmens bestimmen und beeinflussen das jeweilige Autorkonzept. Dies gilt sowohl für die den ›Autor‹ affimierenden als auch für die den Autor ablehnenden Stimmen. Je nachdem ergeben sich daraus die Auffassungen über die Bedeutung des Autors von ›gar nicht‹ bis ›zentral‹.235 4.3. Der ›Autor‹ als bestrittene Größe der Textinterpretation Auf diese steile Karriere der Kategorie ›Autor‹ als maßgeblicher und entscheidender Faktor der Textauslegung folgt der ebenso steile Sturz in der Literaturtheorie des 20. Jh.s, deren unterschiedliche Stationen im Folgenden in vier Anfragen skizziert werden. 4.3.1. ›Erzählstimme‹ statt ›Autor‹ (werkimmanente Methode) Die grundlegende Unterscheidung zwischen ›der Erzählstimme‹ und dem ›Autor‹ findet sich erstmals in der 1910 publizierten Studie von Käte Friedemann »Die Rolle des Erzählers in der Epik«: »Es handelt sich nicht um den Schriftsteller Soundso […], sondern ›der Erzähler‹ ist der Bewertende, der Fühlende, der Schauende. […] Also nicht um einen außerhalb des Kunstwerks stehenden Schriftsteller handelt es sich, der seine Gestalten, denen er versäumt hätte, ein selbständiges Leben einzuhauchen, nachträglich zurechtrücken und erläutern müßte, sondern um den Erzähler, der selbst als Betrachtender zu einem organischen Bestandteil seines eigenen Kunstwerks wird.«236 In der Erzähltextanalyse hat sich die Unterscheidung zwischen ›Autor‹ und ›Erzählstimme‹ aber erst mit dem Vortrag von Wolfgang Kayser »Wer erzählt den Roman?« (1957) durchgesetzt, der einer der Hauptvertreter der werkimmanenten Methode in Deutschland gewesen ist:237 »Ein Erzähler ist in allen Werken der Erzählkunst da, im Epos wie im Märchen, in der Novelle wie in der Anekdote.«238 Aus dem Umstand, dass die Erzählstimme im Unterschied zum Autor ihre Sätze mit Wahrheitsanspruch behauptet, folgert Kayser, »daß der Erzähler in aller Erzählkunst niemals der bekannte oder noch unbekannte Autor ist, sondern eine Rolle, die der Autor erfindet und einnimmt.«239 Daraus, dass »der Erzähler eines Romans nicht der Autor« ist, folgert Kayser nicht, dass »der Erzähler eine gedichtete Person
235
Vgl. hierzu J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 19. FRIEDEMANN, Die Rolle des Erzählers, 26. 237 Dazu hat v.a. das 1948 publizierte Standardwerk von KAYSER (Das sprachliche Kunstwerk) beigetragen. 238 KAYSER , Wer erzählt den Roman?, 90. 239 KAYSER , Wer erzählt den Roman?, 91. 236
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
[ist], in die sich der Autor verwandelt hat«240, sondern er betont: »Der Erzähler des Romans – das ist nicht der Autor, das ist auch nicht die gedichtete Gestalt, die uns so oft vertraut entgegentritt. Hinter dieser Maske steht der Roman, der sich selber erzählt, steht der Geist dieses Romans, der allwissende, überall gegenwärtige und schaffende Geist dieser Welt. Die neue, erstmalige Welt entsteht, indem er Gestalt annimmt und zu sprechen beginnt, indem er sie mit seinem schöpferischen Wort selber hervorruft. Er selber schafft sie, und in ihr kann er allwissend und überall gegenwärtig sein. Der Erzähler des Romans, in einer Analogie verdeutlicht, ist der mythische Weltschöpfer.«241 Anders als Wimsatt / Beardsley setzt Kayser mit der Unterscheidung zwischen Erzählstimme und Autor den ›Autor‹ als legitime Bezugsgröße der Interpretation keineswegs außer Kraft: »Es ist eine verbreitete, aber unzutreffende Annahme, Kaysers Methode der sogenannten ›werkimmanenten Interpretation‹ weise textexternen Sachverhalten bei der Interpretation eine ähnliche geringfügige Rolle zu wie der immanente Ansatz des New Criticism.«242 Vielmehr erklärt Kayser explizit, »daß die rechte Erfassung eines Werks sehr oft von der Kenntnis seines Verfassers abhängt«243. Kayser wurde aber meist so rezipiert, dass die Relevanz des Autors bei der Erklärung literarischer Texte immer weiter eingeschränkt wurde. Die häufig sehr strikt gehandhabte Trennung von ›Erzählstimme› und ›Autor‹ ist sicherlich ein großer Verdienst der in Deutschland so wirkmächtig gewordenen werkimmanenten Textauslegung: Die Unterscheidung ermöglicht es, Textphänomene differenziert zu beschreiben und keine voreiligen Identifikationen vorzunehmen. »Kayser zog damit methodologische Konsequenzen aus einem Sachverhalt, der implizit zum Umgang mit fiktionalen Texten gehört, seit sich das Phänomen der Fiktionalität kulturell etabliert hat, so etwa seit der Antike, und erneut, unter den Bedingungen einer christlichen Poetik, seit dem 12. Jahrhundert.«244 4.3.2. »Was wollte der Autor damit sagen?« Die Intention des Autors als methodischer Fehlschluss (William K. Wimsatt / Monroe C. Beardsley) Einspruch gegen die an der Autorintention orientierten Interpretation kommt neben der Rezeptionsästhetik v.a. aus den USA und wird im Kontext des New Criticism von William K. Wimsatt und Monroe C. Beardsley (1946) geäußert. Sie haben den Begriff der intentional fallacy in die Dis-
240
KAYSER , Wer erzählt den Roman?, 91. KAYSER , Wer erzählt den Roman?, 98. 242 J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 12–13. 243 KAYSER , Das sprachliche Kunstwerk, 36. 244 J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 13. 241
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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kussion eingebracht. Die Kurzform ihrer These lautet: Jede Interpretation, die sich in der Konstitution der Bedeutung eines literarischen Textes auf die Intention des Autors bezieht, unterliegt einem ›intentionalen Fehlschluss‹. Sie wenden sich konsequent gegen jede Form der Einbeziehung der Intention des Autors in die Interpretation literarischer Texte. Eine »an der Intention des Autors orientierte Bewertung und Interpretation literarischer Werke ist unmöglich, wenn die Autorintention nicht rekonstruiert werden kann, d.h. nicht verfügbar (›available‹) ist – sie wäre aber auch selbst dann nicht wünschenswert (›desirable‹), wenn die Autorintention verfügbar sein sollte.«245 Die Herstellung eines Bezugs von Autor und Werk gilt Wimsatt / Beardsley als Fehlschluss und wird als methodisch naiv gegeißelt. Ihre höchst wirkungsvoll vorgebrachte und stark rezipierte Opposition gegen die Einbeziehung der Intention des Autors kam einem Verbot gleich und hatte zur Folge, dass zur Ermittlung der Bedeutung eines Textes nicht mehr nach der Intention des Autors gefragt wurde. Wimsatt / Beardsley sehen den ›Fehlschluss‹ darin, dass der Text ein eigenständiger Bedeutungsträger und völlig unabhängig von seinem Verfasser sei. Obwohl der Autor der Urheber des Textes sei, ist seine Intention für die Bedeutung des Textes irrelevant: »The poem is not the critic’s own and not the author’s (it is detached from the author at birth and goes about the world beyond his power to intend about it or control it).«246 Wimsatt / Beardsley erweisen sich mit dieser Haltung als (strukturalistische) Vertreter eines codebasierten Kommunikationsmodells. Es gibt in ihren Augen keinen Grund, warum die Rezipierenden herausfinden sollten, was ›der Autor ihnen habe sagen wollen‹: »If the poet succeeded in doing it, then the poem itself shows what he was trying to do. And if the poet did not succeed, then the poem is not adequate evidence, and the critic must go outside the poem – for evidence of an intention that did not become effective in the poem.«247 Damit etablieren sie den Text als den einzigen legitimen Bezugspunkt. Dies resultiert weniger aus der tatsächlich gegebenen historischen und psychologischen Unmöglichkeit, herauszufinden, was der Autor ›wirklich‹ intendiert habe, sondern vielmehr aus dem zugrunde gelegten Literaturbegriff: Das literarische Kunstwerk ist, einmal veröffentlicht, autonom und verfügt über eine eigene ästhetische Wirkweise; damit ist es von seinem Urheber getrennt und gehört fortan der Öffentlichkeit.248 Die Lesenden brauchen nur Zugang zu Lexikon und Grammatik, um eigenständig die Bedeutung eines Textes zu ermitteln. Zur Bestimmung der ›In245
DANNEBERG / MÜLLER , Der ›intentionale‹ Fehlschluß, 104. W IMSATT / BEARDSLEY, The Intentional Fallacy, 5. 247 W IMSATT / BEARDSLEY, The Intentional Fallacy, 4. 248 »The poem belongs to the public«, W IMSATT / BEARDSLEY, The Intentional Fallacy, 5. 246
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
tention‹ eines Textes braucht nicht auf den Autor oder auf Informationen aus dem Entstehungskontext zurückgegriffen werden, sondern nur auf textinterne Evidenzen: »through the semantics and syntax of a poem, through our habitual knowledge of the language, through grammar, dictionaries, and all the literature which is the source of dictionaries, in generell through all that makes a language and culture.«249 Während in Deutschland die Thesen von Wimsatt / Beardsley als ein wissenschaftlich gesichertes Ergebnis festgehalten wurden, galten sie im englischsprachigen Raum schnell als weitgehend entkräftet und überholt.250 Danneberg / Müller haben eingehend die intentionalen Bedeutungsund Interpretationskonzeptionen untersucht und können als Fazit festhalten, dass sie »weder schlechthin inadäquat noch so inakzeptabel [sind] wie die Literaturwissenschaft – und hier besonders die deutsche – vermutet.«251 Danneberg mahnt zudem zur Vorsicht, den Rekurs auf die Autorintention als »Fehlschluß« zu bezeichnen und schlägt vor, lieber von einer Empfehlung zu sprechen, nicht in dieser Art und Weise mit Texten umzugehen.252 4.3.3. Realer und impliziter Autor (Wayne Booth) Als dritter Anlauf, den ›Autor‹ als Größe der Interpretation zu bestreiten und ihn zugleich durch andere zu ersetzen, ist der von Wayne Booth (1961) in seinem Werk »The Rhetoric of Fiction« etablierte und sehr einflussreiche Begriff des ›implied author‹. Diesen fügt Booth als eine Kommunikationsebene zwischen den realen Autor und die Erzählstimme ein. Diese zusätzliche Kommunikationsebene stellt ein hypothetisches Konstrukt dar, um den textinternen Bereich als höhere Abstraktionsstufe gegenüber den einzelnen textinternen Kommunikationsebenen zu markieren. Booth liefert für den ›impliziten Autor‹ keine einheitliche Begriffsbestimmung, sondern nennt eine Reihe von Kennzeichen: Der ›implizite Autor‹ sei die Gesamtbedeutung des literarischen Textes, sein moralischer, ethischer und emotionaler Gehalt, die Summe der künstlerischen Entscheidungen des Autors und der Sinn des Textganzen. Zugleich sei der ›implizite Autor‹ das zweite Selbst des Autors, als der er uns im Erzähltext entgegentritt.253 Der ›implizite Autor‹ sei somit das Textimplikat, mit dem sich der Autor im Text ausdrücke. 249
W IMSATT / BEARDSLEY, The Intentional Fallacy, 10. So DANNEBERG / MÜLLER , Der ›intentionale‹ Fehlschluß, 104. 251 DANNEBERG / MÜLLER , Der ›intentionale‹ Fehlschluß, 103–137; im zweiten Teil ihrer Analysen (376–411) setzen sie sich mit einigen Vorschlägen zur Beseitigung der zur Sprache gebrachten Mängel auseinander. 252 DANNEBERG, Autorkonstrukt, 80. 253 Vgl. hierzu v.a. B OOTH, Rhetorik der Erzählkunst, 77–84.162–163. »Implied author. The Author’s second self, mask, or persona as reconstructs from the text; the 250
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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Mit dem ›impliziten Autor‹ hat Booth eine Instanz geschaffen, mit der er die normativen Werte der Textwelt bestimmen und so eine ethische Bewertung des Textes ermöglichen möchte.254 Im Sinne der Symmetrie des Kommunikationsmodells sah man sich aufgrund des ›impliziten Autors‹ genötigt, neben der Position des Senders auch die des Empfängers auf der neu etablierten Kommunikationsebene zu besetzen und schuf den ›impliziten Leser‹255 bzw. den ›abstrakten Adressaten‹256 als Empfänger. Bis heute ist das Konzept des ›impliziten Autors‹ höchst umstritten. Anhänger und Gegner stehen einander – mit jeweils guten Argumenten – gegenüber. Befürworter sehen mit der Ebene des ›impliziten Autors‹ die Chance, einen Text gegenzulesen. Einer der stärksten Kämpfer für den ›impliziten Autor‹ ist Chatman: Während er sich via implizitem Autor dem ›eigentlichen‹ Textverständnis nähern möchte, um auf diese Weise die Normen und Werte des historischen Autors aufzuspüren,257 sehen andere in dieser Instanz die Chance, einen Maßstab für erzählerische Zuverlässigkeit
implicit image of an author in the text, taken to be standing behind the scenes and to be responsible for its design and for the values and cultural norms it adheres to (Booth). The implied author must be distinguished from its real author. […] The implied author of a narrative text must also be distinguished from the narrator: the former does not recount situations and events (but is taken to be accountable for their selection, distribution, and combination); furthermore, he or she is inferred from the entire text rather than inscribed in it as a teller. […] implied reader. The audience presupposed by a text; a real Reader’s second self (shaped in accordance with the implied author’s values and cultural norms)«, PRINCE, Narratology, 42.43. 254 Es ist B OOTH ein wichtiges Anliegen, ein Kriterium zu haben, um Texte ethisch bewerten zu können. Dies beabsichtigt er über den impliziten Autor zu garantieren. Als Impetus führen K INDT / MÜLLER Booths Herkunft aus einer Mormonengemeinde in Utah an, die seine ethische Grundhaltung auch später als Literaturwissenschaftler prägte: »My most overt missionary work, from the time when I was literally a missionary fort the Mormon church on, has largely been centered, […] on how persons, characters, and selves, real or literary, are made and improved or debased by rhetoric. In the hierarchy of goods served or harmed by rhetoric, the quality of rhetors and their hearers has indeed my center«, zitiert nach KINDT / MÜLLER , Der ›implizite Autor‹, 278; vgl. auch 279–280. Diese Erklärung für Entstehung und Funktion des impliziten Autors in der Theorie von B OOTH, so interessant es auch ist, ist jedoch genau jene methodologische Grenzüberschreitung, die zur Erklärung auf das Leben des Autors zurückgreift. 255 Auf ISER geht der Begriff des ›impliziten Lesers‹ zurück, vgl. ISER, Der implizite Leser. Zum impliziten Leser bzw. fiktionalen Adressaten vgl. W ILSON, Readers in Texts, 848–863; GOETSCH, Lesefiguren, 199–215; WOLFF spricht vom ›intendierten Leser‹ vgl. W OLFF, Der intendierte Leser, 139–166. 256 Zu diesem Begriff vgl. P FISTER, Drama, 21. 257 CHATMAN, Rhetoric of Narrative, 86; CHATMANS Plädoyer für den impliziten Autor vgl. 74–89.
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zu gewinnen.258 Mit der durch den ›impliziten Autor‹ zusätzlich entstandenen Kommunikationsebene könnten darüber hinaus »implizite, abstrakte Phänomene, die vom empirischen Rezipienten als Rezeptionsleistung ausgearbeitet werden müssen«259, benannt werden. Heute stellen Kritiker die heuristische Ergiebigkeit und interpretatorische Nützlichkeit des Konzepts in Frage.260 Ein wichtiger Kritikpunkt ist die Bezeichnung, die das Missverständnis nahelegt,261 dass es sich um eine personalisierbare Größe handelt, auch wenn stets betont wird, dass es sich sowohl beim ›impliziten Autor‹ als auch beim ›impliziten Leser‹ um abstrakte Instanzen handele.262 Grundlegender jedoch ist, dass die »›Existenz‹ [des ›impliziten Autors‹] bislang weder theoretisch begründet noch empirisch überprüft worden ist.«263 Nünning schlägt daher eine Neukonzeptualisierung mit dem von Pfister übernommenen Begriff des ›Werkganzen‹264 vor. Damit nimmt er Abschied von den Sender- und Empfängerinstanzen als personalisierbare Größen und stellt den Text selbst in den Vordergrund, behält aber das ›Werkganze‹ als eine eigene Kommunikationsebene bei. Diese versteht er als hypothetisches Konstrukt, das durch »die Summe aller strukturellen Kontrast- und Korrespondenzbezüge« gekennzeichnet ist und das »durch seine Struktur, d.h. durch die formalen Beziehungen seiner Elemente, determiniert ist«. Dabei ist »nicht irgendein konkreter Bestandteil des Textes entscheidend, sondern die Form der 258
Vgl. u.a. DIENGOTT, Implied Author, 181–193; DIENGOTT, The Implied Author Once Again, 68–75; NELLES, Historical and Implied Authors, 22–46. Dass dem impliziten Autor auch noch das Konzept des ›Unzuverlässigen Erzählers‹ in seiner Boothschen Definition zugemutet werde, verdichte den Verdacht, dass es sich bei dem ›impliziten Autor‹ um ein Sammelbecken für all jene Aspekte handelt, die sich nicht in ein kohärentes, erzähltheoretisches Modell integrieren ließen, so NÜNNING, Unreliable Narration, 14. 259 NÜNNING, Grundzüge, 31. 260 Vgl. z.B. J UHL, Life, 177–203; GENETTE, Erzählung, 283–294; RIMMON-KENAN, Narrative Fiction, 87–89. 261 Vgl. zum impliziten Autor als »undefinierte Verlegenheitsformel«, NÜNNING, Unreliable Narration, 13. 262 »Die Begriffe wurden entwickelt, um innerhalb rezeptionsästhetischer Untersuchungen den ›Aktcharakter des Lesens‹ (Iser) und des Schreibens bezeichnen zu können. Sie stellen Hinsichten des Lesers auf den Text dar, und ihre Relation ist komplementär zu sehen in der Beziehung zwischen Autor und Adressat«, SCHUTTE, Literaturinterpretation, 130. Vgl. auch SCHOLZ, Leser, 266: Der implizite Leser »besitzt keine reale Existenz, sondern verkörpert ›den im Text vorgezeichneten Aktcharakter des Lesens‹, wodurch die von einem bekannten Horizont abweichende Intention des Textes als dessen Sinn konstituiert wird. Der L. hat dem Text gegenüber die Funktion der ›Entdeckung‹, indem er dessen ›Unbestimmtheitsstellen‹ (Ingarden) oder ›Leerstellen‹ (Iser) durch seine Vorstellung besetzt«. 263 NÜNNING, Grundzüge, 31. 264 Vgl. P FISTER , Drama, 21.
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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Struktur selbst, d.h. das Gesamt aller Elemente und ihrer potentiellen Relationen.«265 Auf dieser Ebene sind z.B. Buch- und Kapiteleinteilungen und Überschriften angesiedelt.266 Bal hingegen bezeichnet den impliziten Autor als »a remainder category, a kind of passepartout that serves to clear away all the problematic remainders of a theory« und macht den Vorschlag »to speak of the interpretation, or the overall meaning of the text.«267 Am Konzept des ›impliziten Autors‹ wird ferner kritisiert, dass es sich »nicht um personalisierbare und pragmatische Sprecherinstanzen handelt, die deiktisch faßbar sind, sondern um semantische Kategorien (die Gesamtbedeutung bzw. das Werte- und Normensystem eines literar. Werkes), die sich in den formalen Relationen der Textstruktur manifestieren«268. Daher halten Kindt / Müller den ›impliziten Autor‹ schlichtweg für eine »Transsubstantiation«269 des Autors, die aus Zeiten stamme, in denen es inopportun war, sich auf die Kategorie ›Autor‹ zu berufen. Sie zeigen auf, dass das Konzept eine Kompromisslösung in einer spezifischen wissenschaftsgeschichtlichen Situation darstellt, in der der Rückgriff auf das Konzept ›Autor‹ als Fehler galt, aber die Intentionalität eines Textes und ihre ethische Verortung nicht aufgegeben werden sollte. Kindt / Müller machen daher den Vorschlag, den Begriff ›impliziter Autor‹ schlicht fallenzulassen, weil »die deskriptiv orientierte Narratologie keine Verwendung für ihn hat«; daher sei der Begriff durch den Begriff author zu ersetzen. »Dieser Vorschlag legt die Verwender lediglich auf eine intentionalistische Bedeutungskonzeption, nicht aber auf eine bestimmte Interpretationsmethodologie, spezifisches Belegmaterial, konkrete ästhetische Annahmen etc. fest.«270 Jannidis hingegen plädiert dafür, den Begriff des impliziten Autors mit folgender Definition beizubehalten: »›implied author‹ ist das Konstrukt eines Autors durch den Leser, d.h. seiner Intention, seiner Merkmale usw. aufgrund eines bestimmten Textes. Auf diese Weise kann man terminologisch recht einfach zwischen Autorkonstrukten aufgrund von biographischen Quellen (Briefwechseln, Zeugnissen über persönliche Begegnungen
265
NÜNNING, Grundzüge, 34–35; vgl. ausführlich NÜNNING, Renaissance, 18–23. Vgl. NÜNNING, Grundzüge, 37. Diese können aber ebenso gut dem realen Autor zugeschrieben werden, J UHL, Life, 177–203. 267 B AL, The Laughing Mice, 209; vgl. auch NÜNNING, Renaissance, 1–25, der die Rede vom »anthropomorphisierten Passepartouts« in seinen Titel integriert. 268 NÜNNING, Autor, 37; vgl. auch NÜNNING, Renaissance, 6–7 sowie NÜNNING, Anmerkungen zur Rückkehr des Autors, 366–381. 269 KINDT / MÜLLER , Der ›implizite Autor‹, 273. 270 KINDT / MÜLLER , Der ›implizite Autor‹, 285–286. 266
72
Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
etc.), von mehreren Texten – sozusagen der Werkautor oder ›career author‹ (Booth) – oder eben aufgrund von einem Text unterscheiden.«271 Statt den ›impliziten Autor‹ für existent oder für nicht-existent, für lebendig oder für tot zu halten, sollte über die Brauchbarkeit dieses hypothetischen Konstrukts vielmehr die Praxis der Textauslegung entscheiden. Im Bewusstsein um diese Kategorie kann diese herangezogen werden, wenn sich der ›implizite Autor‹ konkret als ein geeigneter Terminus erweisen sollte, mit dem ein Textphänomen adäquater als mit anderen Termini beschrieben werden kann. Allerdings sollte unter der Kategorie des ›impliziten Autor‹ nicht etwas subsumiert werden, was besser dem ›realen Autor‹ zugeschrieben werden sollte. Die Kategorie ›impliziter Autor‹ sollte gerade nicht dazu dienen, die Möglichkeit der Frage nach dem im Erzähltext greifbar werdenden ›realen‹ Autor zu verstellen. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Skepsis gegenüber dem von Weimar unter »Phantomverdacht«272 gestellten ›impliziten Autor‹ ist darauf verzichtet worden, ihn in die schematische Darstellung des Kommunikationsmodells zu integrieren. 4.3.4. Der Tod des Autors (Roland Barthes) und »Was ist ein Autor?« (Michel Foucault) Die wirkmächtigste Kritik am Konzept des ›Autors‹ stammt von Roland Barthes und Michel Foucault aus dem Umfeld poststrukturalistischer und diskursanalytischer Fragestellungen. Stark rezipiert worden ist der Artikel von Roland Barthes »Der Tod des Autors« (1968), dessen Titel geradezu zu einem Schlagwort avanciert ist, ohne damit aber unbedingt immer die von Barthes anvisierte Position zu meinen. In das Entstehungsumfeld von Barthes’ Artikel gehört in erster Linie der im Jahr zuvor publizierte berühmte Aufsatz von Julia Kristeva »Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman« (1967), in dem Kristeva den Autor zugunsten einer universalen Intertextualität verabschiedet.273 Diesen Ansatz von Kristeva nimmt Barthes auf und führt ihn fort. Zugleich bezieht sich Barthes aber auch auf Schriftsteller wie Stéphane Mallarmé,274 die selbst die Kategorie ›Autor‹ attackieren und zum Verschwinden bringen möchten: »Das reine Werk verlangt das Verschwinden des Autors, der die Worte nur durch den Zusammenstoß ihrer Ungleichheit einmal in Bewegung versetzt und ihnen dann die Initiative überlässt; wie der Schein eines Feuerwerks das Geschmeide aus Edelsteinen überläuft, so entzünden sie sich in wechselseitigen Reflexen, und dieser Vorgang ersetzt sowohl den Rhythmus des Atems, von dem das alte lyrische Gesicht getragen wurde, wie auch die pathetisch überhöhte perso271 272
J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 548. WEIMAR , Wo und was ist der Erzähler?, 499.
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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nelle Führung der Phrase. Die Anordnung des Versbuches eliminiert überall den Zufall; dieser Ordnung bedarf es auch noch, um den Autor auszusparen.«275 Nach Barthes ist der Autor in einem Text nicht nur abwesend, sondern seine Abwesenheit verwandele den Text von Grund auf: »Der Text wird von nun an so gemacht und gelesen, dass der Autor in jeder Hinsicht verschwindet.«276 Der moderne ›Schreiber‹ (scripteur) hingegen werde im selben Moment mit seinem Text geboren und löse den Autor ab. Der moderne ›Schreiber‹ »zeichnet seine Hand, abgelöst von jeder Stimme und geführt von einer reinen Geste der Einschreibung (nicht des Ausdrucks), ein Feld ohne Ursprung«, in dem Wissen, »dass ein Text nicht aus einer Reihe von Wörtern besteht, die einen einzigen, irgendwie theologischen Sinn enthüllt (welcher die ›Botschaft‹ des Autor-Gottes wäre), sondern aus einem vieldimensionalen Raum, in dem sich verschiedene Schreibweisen [écritures], von denen keine einzige originell ist, vereinigen und bekämpfen. Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur.«277 Aus dem angeblich unvermeidlichen Kompilations- und Zitatcharakter der Schrift ersetzt Barthes den ›Autor-Gott‹ durch den ›Schreiber‹ und konzipiert diesen als bloßen Verknüpfer von Zitaten (›mêler les écritures‹). Bei Kristeva hingegen erscheint der Autor als diese ›Verknüpfung‹ (›enchaînement‹) selbst.278 Die einzige Aufgabe und Macht des modernen ›Schreibers‹ bestehe darin, »die Schriften zu vermischen und sie miteinander zu konfrontieren, ohne sich jemals auf eine einzelne von ihnen zu stützen. Wollte er etwas ausdrücken, sollte er wenigstens wissen, dass das innere ›Etwas‹, das er ›übersetzen‹ möchte, selbst nur ein zusammengesetz273
Zur Kritik an einem autorlosen Konzept der Intertextualität vgl. MARTINEZ, Autorschaft und Intertextualität, 465–479; MARTINEZ, Dialogizität, 430–445, vgl. die Kritik an Martinez, W OLF, Wie viele Leben hat der Autor?, 390–405. 274 Vgl. B ARTHES, La mort de l’auteur, 187. 275 STÉPHANE MALLARMÉ, Krise des Verses, zitiert nach P LUMPE, Autor und Publikum, 383. 276 B ARTHES, La mort de l’auteur, 189. 277 B ARTHES, La mort de l’auteur, 190. Vgl. als Gegenpol die Beschreibung des Erzählers als dem »Weltenschöpfer« durch KAYSER , Wer erzählt den Roman?, 98. Vgl. auch die Definition eines Textes bei B ARTHES, Die Lust am Text, 94: »Text heißt Gewebe; aber während man dieses Gewebe bisher immer als ein Produkt, einen fertigen Schleier aufgefasst hat, hinter dem sich, mehr oder weniger verborgen, der Sinn (die Wahrheit) aufhält, betonen wir jetzt bei dem Gewebe die generative Vorstellung, dass der Text durch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet; in diesem Gewebe – dieser Textur – verloren, löst sich das Subjekt auf wie eine Spinne, die selbst in den konstruktiven Sekretionen ihres Netzes aufginge. Wenn wir Freude an Neologismen hätten, könnten wir die Texttheorie als eine Hyphologie definieren (hyphos ist das Gewebe und das Spinnennetz)«. 278 So J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 14.
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
tes Wörterbuch ist, dessen Wörter sich immer nur durch andere Wörter erklären lassen […]. Als Nachfolger des Autors birgt der Schreiber keine Passionen, Stimmungen, Gefühle oder Eindrücke mehr in sich, sondern dieses riesige Wörterbuch, dem er seine Schrift entnimmt, die keinen Aufenthalt kennt. Das Leben ahmt immer nur das Buch nach, und das Buch ist selbst nur ein Gewebe von Zeichen, eine verlorene, unendliche entfernte Nachahmung.«279 Mit der Abwesenheit des Autors verändert sich auch die Lektüre von Texten grundlegend: »Die Abwesenheit des Autors macht es ganz überflüssig, einen Text ›entziffern‹ [›dechiffer‹] zu wollen.«280 Während der Begriff des Autors den Text nur domestiziere und auf Erklärungen einenge, müsse der neuen Schrift ein neues Leseverfahren entsprechen: »Die vielfältige Schrift kann nämlich nur entwirrt, nicht entziffert werden. Die Struktur kann zwar in allen ihren Wiederholungen und auf allen ihren Ebenen nachvollzogen werden (so wie man eine Laufmasche ›verfolgen‹ kann), aber ohne Anfang und ohne Ende. Der Raum der Schrift kann durchwandert, nicht aber durchstoßen werden. Die Schrift bildet unentwegt Sinn, aber nur, um ihn wieder aufzulösen. Sie führt zu einer systematischen Befreiung von Sinn.«281 Der wahre Ort der Schrift sei daher die Lektüre. Damit stellt Barthes die Lesenden ins Zentrum: »Der Leser ist der Raum, in dem sich alle Zitate, aus denen sich eine Schrift zusammensetzt, einschreiben, ohne dass ein einziges verloren ginge.«282 Dies bedingt nicht nur Veränderungen bei den Lesenden, sondern verschiebt auch die Funktion des Autors, der als Autor zum Leser wird: »Schreibt ein Autor seinem Text Bedeutung zu, dann tut er dies nur als ein Leser und keineswegs als privilegierter Interpret.«283 Japp weist darauf hin, dass Barthes mit dem »metaphorischen Überschwang« der Rede vom ›Tod des Autors‹ speziell das mythologische Wesen Autor-Gott im Blick hatte und Barthes die Ohnmacht des Autors gegen die Macht der Sprache und des Schreibens ausgespielt habe.284 Statt des von ihm propagierten Netzes von Bedeutungen ohne Ort, Ursprung und Ziel hat Barthes mit dieser Entgegensetzung vielmehr ein binäres Organisationsmuster eingetragen. Barthes’ Analysen enden mit der Aussage, dass die Geburt des Lesers mit dem Tod des Autors zu bezahlen sei.285 Doch genau dies erscheint keineswegs zwingend. »Gegen die einseitige Fixierung auf jenes gottgleiche Wesen, das freilich in dieser Stilisierung selbst erst erfunden werden mußte, wurde die Eigen-
279
B ARTHES, La mort de l’auteur, 190–191. B ARTHES, La mort de l’auteur, 191. 281 B ARTHES, La mort de l’auteur, 191. 282 B ARTHES, La mort de l’auteur, 192. 283 J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 19–22. 284 So J APP, Ort des Autors, 233. 285 Vgl. B ARTHES, La mort de l’auteur, 193. 280
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
75
dynamik des Diskurses bzw. die Sprache in Erinnerung gebracht: allerdings mit dem Resultat einer ebenso einseitigen Parteinahme.«286 Barthes’ Analysen bilden den Ausgangspunkt für die titelgebende Frage von Michel Foucault »Was ist ein Autor?«: 287 Auch Foucault geht vom konstatierten Tod des Autors aus und versteht das (neue) Schreiben (écriture) als ein Spiel von Zeichen, das sich vom Ausdruck befreit habe.288 Gegenüber dieser Neupositionierung merkt er jedoch kritisch an, dass der neue scripteur mit seinem Schreiben (écriture) statt den Autor wirklich überflüssig zu machen, ihn im Begriff des Schreibens (écriture) wach und damit im Verlöschen existent halte.289 Foucault gehe es keineswegs darum zu behaupten, dass ein Autor nicht existiere, wie er eigens betont290 – das wäre ja auch merkwürdig –, vielmehr hält er den Begriff ›Autor‹ als Kategorie der Textauslegung für obsolet und kann daher für die Verabschiedung des ›Autors‹ plädieren. Während die historischen und stark kritisierten291 Analysen Foucaults für die hier im Zentrum stehende Frage nach dem Autor nicht weiterführend sind, erweisen sich jedoch seine Überlegungen zum Phänomen ›Autor‹ als aufschlussreich. Die »sonderbare Frage«292 im Titel des Vortrags, was ein Autor sei (nicht wer!), deutet bereits den Weg der Analyse Foucaults an, die er selbst unter die Frage von Beckett »Was liegt daran, wer spricht?«293 stellt: Der Autor gelte aufgrund der Einheit von Autor und Werk als »Angelpunkt der Individualisation in der Ideengeschichte.«294 In diesem Setting habe der Name des Autors drei wichtige Aspekte:
286
J APP, Ort des Autors, 233. FOUCAULT hat diesen Vortrag zweimal gehalten: am 22. Februar 1969 vor den Mitgliedern der Société français de Philosophie, berühmter jedoch wurde sein zweiter Vortrag am 2. Dezember 1970 am Collège de France (vgl. J APP, Ort des Autors, 230). Eine erweiterte Fassung mit Varianten hat Foucault 1970 an der Universität in Buffalo gehalten, die 1979 publiziert wurde. Diese sind neben der sich anschließenden Diskussion in der Société français de Philosophie abgedruckt in: FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 234–270. 288 Vgl. hierzu FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 238–239. 289 Vgl. hierzu FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 241–242. 290 Vgl. hierzu seine Klarstellung gegenüber GOLDMANN in der sich anschließenden Diskussion, FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 266. 291 Vgl. zur Kritik an FOUCAULT aus historischer und texttheoretischer Perspektive VAN P EER , Absicht und Abwehr 1999, 110–114, der die von F OUCAULT vertretene Position als »pure Spekulation« (114) zurückweist. Vgl. auch die Auseinandersetzung mit dem historischen Teil von Foucaultschen Aufsatz in Bezug auf frühneuzeitliche Autorkonzepte, SCHOLZ, Alciato als emblematum pater et princeps, 321–351. 292 FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 236. 293 Vgl. FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 234.238. 294 FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 237. 287
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Der erste Aspekt ist der Autorname als Eigenname, den Foucault nicht als ein Element des Diskurses versteht, sondern als eine den Diskurs organisierende Funktion: Er garantiert die Einteilung der Diskurse, verleiht diesen Namen, sorgt für ihre Einteilung und Abgrenzung und setzt sie gegenseitig in Beziehung.295 Der Autor ist dabei ein Konstrukt, das der Reglementierung und Disziplinierung von Diskursen dient, und mit dessen Hilfe bestimmte Texte als ›Werke‹ klassifiziert und mit besonderen Eigenschaften versehen werden können. Der zweite Aspekt ist, dass mit der Verabschiedung des Autors – und das ist das weiterführende an Foucaults Analysen – noch keineswegs die Funktion, die der ›Autor‹ einnehme, verabschiedet ist – im Gegenteil. Der von Foucault in die Diskussion eingeführte Begriff ›Autorfunktion‹ erweist sich für die im Zentrum dieser Studie stehende Frage nach der Entwicklung einer narratologisch-historischen Methodologie als weiterführend. In der Analyse der Autorfunktionen ordnet Foucault dem Konstrukt ›Autor‹ vier verschiedene Funktionen zu: Die erste Funktion des Autors sei, dass er an ein Rechts- und Staatensystem gebunden sei, das seine Rolle als Autor mit bestimmten Eigentums- und Urheberrechtsbestimmungen verbinde, schütze und sanktioniere.296 Das zweite Merkmal der Autorfunktion bestehe darin, dass der Autor weder in allen Diskursen einer Kultur noch in einem Diskurs immer vorhanden sein müsse.297 Das dritte Merkmal dieser Autorfunktion sei, dass sie sich nicht spontan als Zuschreibung eines Diskurses zu einem Individuum bilde, sondern »das Resultat einer komplexen Operation ist, die ein bestimmtes vernünftiges Wesen konstruiert, das man als Autor bezeichnet.«298 Tatsächlich sei jedoch das, was man als ›Autor‹ bezeichne, »nur die mehr oder weniger psychologisierende Projektion der Behandlung, die man den Texten angedeihen lässt, der Annäherungen, die man vornimmt, der Merkmale, die man für wichtig hält, der Kontinuitäten, die man zulässt, oder der Ausschlüsse, die man vornimmt.«299 Unter Rekurs auf die Schrift De viris illustribus liber von Hieronymus benennt Foucault für die Zuschreibung eines Diskurses zu einem Individuum vier Kriterien, die es erlauben, mehrere Texte einem ›Autor‹ bzw. einer Autorfunktion zuzuschreiben: Dies sind erstens das konstante Wertniveau, zweitens ein bestimmtes Feld eines begrifflichen und theoretischen Zusammenhangs, drittens die stilistische Einheit und viertens ein historischer Augenblick als Schnittpunkt von Ereignissen.300 Das vierte Merkmal für die Au295
Vgl. FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 243–245. Vgl. FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 245–246. 297 Vgl. FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 246–247. Vgl. zum Widerspruch zwischen dem ersten und dem zweiten Merkmal JANNIDIS, Der nützliche Autor, 355. 298 FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 247. 299 FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 248. 300 Vgl. FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 249. 296
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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torfunktion sei, dass Foucault drei verschiedene, in einem Text vorkommende Ichs unterscheidet; eines dieser drei ist das Ich des fiktionalen Sprechers.301 Der dritte Aspekt, den der ›Autor‹ einnehme, sei der des Diskursivitätsbegründers, die Foucault auf die Moderne begrenzt sieht.302 Der Einwand in der sich anschließenden Diskussion von d’Ormesson, Foucault habe »das, was er dem Autor, das heißt seinem Werk, weggenommen hat, diesem in einer Art von äußerst brillantem Taschenspielertrick unter dem Namen des Diskursivitätsbegründers sogar mit Zinsen zurückerstattet«303, ist nicht nur nicht ganz von der Hand zu weisen, sondern macht auch die bleibende Bedeutung des ›Autors‹, nicht als empirische Person, sondern als eine Funktion eigens deutlich. Die Kritik von Barthes und Foucault hat sich als ungeheuer wirkmächtig erwiesen. Sie hat eine breite Rezeptionsgeschichte erfahren, obwohl die Kritik am Autor auch aus anderen theoretischen Perspektiven, so etwa aus dem Konstruktivismus, ähnlich radikal geäußert wurde: »Autorintentionen sind unzugänglich, da Autorkommunikat und Autortext nicht einfach identifiziert werden könnte.«304 Die Kritik des Poststrukturalismus aber hat die Interpretationskategorie ›Autor‹ so nachhaltig desavouieren können, dass der ›Autor‹ am Ende tatsächlich ›tot‹ war. Dieser Erfolg scheint wissenssoziologisch aus dem politischen Umfeld der 68er-Bewegung erklärt werden zu können:305 Dass in dieser 68er-Bewegung ausgerechnet die Interpretationskategorie ›Autor‹ zu einem Kampffeld wurde, wird erst dann verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die an der Autorintention orientierte »explication de texte«306 die führende Methode an den Universitäten Frankreichs war; konnte man den ›Autor‹ zum Verschwinden bringen, so sollte das nicht ohne Auswirkungen auf die die Methode tragende Institution bleiben, da man von einer Wechselwirkung von theoretischer Kritik und gesellschaftlichem Umbruch ausging. Daher war die Vision von einer Kultur, deren Diskurse ohne Autorfunktion auskomme, so wichtig: »Foucaults Text kann damit als eine der vielen wirkmächtigen Utopien des 20. Jahrhunderts gelten, deren Realisierung inzwischen weder wahrscheinlich noch unbedingt wünschenswert erscheint.«307 301
Vgl. FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 250–251. Vgl. auch Kap. I. 4.4.4. Vgl. FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 251–257. Er stellt seine Überlegungen unter die leitenden Fragen: »Wie bestimmt sich in unserer Kultur ein Diskurs, der Träger der Autor-Funktion ist? Worin unterscheidet er sich von anderen Diskursen?« (245). 303 So D’ORMESSON wiedergegeben in: FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 261. 304 SCHMIDT, Der Radikale Konstruktivismus, 67. 305 So J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 15–16. 306 Vgl. hierzu Kap. I. 4.2. sowie T HIEKÖTTER , Explication de texte, 371–374. 307 J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 354. 302
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
4.4. Ein Autorkonzept: Autorfunktionen als Autorfigurationen Trotz all der Unkenrufe, die den ›Tod des Autors‹ proklamiert haben, war er nie so tot, wie es schien. Im Strukturalismus ist der Autor stets als Codierer von Bedeutungen präsent geblieben, der durch Differenzen im Sprachsystem einen Text konstituiert hat. Dem Autor als Text-Codierer kam daher die Bedeutung zu, einen Text in Raum und Zeit zu verorten. Trotz der grundlegenden Leserorientierung ist der Autor auch in der Rezeptionsästhetik als ein Maßstab erachtet worden, um die ›Angemessenheit‹ einer Textbedeutung beurteilen zu können: Obwohl die Textebedeutung primär durch den Leser bestimmt werde, können über den Autor historisch nicht adäquate Rezeptionsergebnisse ausgeschlossen werden.308 Neben der Resistenz des Konzepts ›Autor‹ in verschiedenen literaturtheoretischen Ansätzen rekurriert die textauslegende Praxis auch immer wieder auf den Autor, was Winko in ihrer empirischen Untersuchung aktueller Interpretationen aufzeigen konnte.309 Interessanterweise kann die Bedeutung der Kategorie ›Autor‹ gerade bei autorkritischen Autoren Wimsatt / Beardsley, Barthes und Foucault aufgezeigt werden: In ihren Analysen verwenden sie selbst Hintergrundwissen über den Autor für ihre Interpretation, womit sie selbst einen (wohl unbeabsichtigten) intentionalistischen ›Fehltritt‹ begehen.310 Vor diesem Hintergrund kann man als Fazit ziehen: »Interpreten literarischer Texte beziehen sich auf den Autor, um die oder eine Textbedeutung zu ermitteln und / oder Texte gesellschaftlich, geistesgeschichtlich, medial etc. zu kontextualisieren. Dabei kann der Autorbegriff die empirische Person bezeichnen, eine intentionsfähige und intentionale Instanz oder die Funktion eines Sprechers, einer ›Ich-Origo‹ im Text. Die Bezugnahme auf die Äußerung des empirischen Autors – seien es Aussagen oder Handlungen – dient dann dazu, Interpretationshypothesen zu belegen beziehungsweise zu plausibilisieren und die Vielzahl potentiell einbeziehbarer Kontexte zu begrenzen.«311 So wird deutlich, dass »der Autorbegriff weder unreflektiert verwendet werden kann noch pauschal zu verabschieden ist. Der Bezug zwischen Autor und Text ist solange als sinnvolle Analysekategorie anzuerkennen, bis das Gegenteil erwiesen ist und dieser Nachweis nicht mit den kaum konsensfähigen philosophischen Prämissen der autor-
308
Vgl. hierzu J AUSS, Literaturgeschichte als Provokation, 173–199. W INKO, Autor-Funktionen, 334–354. 310 Vgl. LAUER , Kafkas Autor, 212–219. 311 J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 25. 309
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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kritischen Position belastet ist.«312 Mit anderen Worten: »L’Auteur est mort. Vive l’auteur!«313 Vor dem Hintergrund, dass die Entwicklung einer konsistenten Theorie für die Kategorie ›Autor‹ ein Desiderat in den Literaturwissenschaften ist,314 soll im Folgenden der ›Autor‹ als Auslegungskontext vorgestellt werden (Kap. I. 4.4.1.). Im Anschluss daran soll zweitens ein Autorkonzept entwickelt werden, das ausgehend von Foucaults Überlegungen zur ›Autorfunktion‹ sieben Autorfunktionen bestimmt (Kap. I. 4.4.2.). Die Termini ›Autor‹, ›Autorfiguration‹ und ›Autorfunktion‹ werden sodann begrifflich präzisiert werden (Kap. I. 4.4.3.). Anschliessend ist das Verhältnis von ›Autorfiguration‹ und Erzählstimme in den Blick zu nehmen (Kap. I. 4.4.4.). Die historische Tiefendimension eines solchen Modells kann dann im Hinblick auf die beiden Größen, ›Autorfiguration‹ und die real Lesenden, als historisch plurale Größen aufgezeigt werden (Kap. I. 4.4.5.). Was in den Schritten zuvor methodologisch vorbereitet wurde, kann nun als Brücke zu einer literarhistorisch interessierten Textauslegung konzeptualisiert werden. Abschließend wird dieses Modell der Textauslegung in einen genuin theologischen Bezugsrahmen gestellt, indem offenbarungstheologisch nach ›Gott‹ als auctor der biblischen Schriften gefragt und die Lesegemeinschaft ›Kirche‹ als Rezeptionsort in den Blick genommen wird (Kap. I. 4.4.6.). Das hier vorgestellte Modell einer narratologisch-historischen Methodologie nimmt seinen Ausgang von narratologischen Textanalysen und zielt darauf, die historischen Kontexte in die Bedeutungskonzeption des Textes einzubeziehen. 4.4.1. Der ›Autor‹ als ein Auslegungskontext Wenn im Folgenden die Frage nach der Autorintention als berechtigt aufgezeigt werden soll, so geschieht das nicht, um die Interpretation des Textes zu finden. Das Konzept ›Autor‹ ist wie ›Text‹ oder ›Rezipient‹ kein Anker gesicherter Bedeutung. Aber »Texte erhalten einen intentionalen Charakter zugesprochen, indem sie in einen Kontext gestellt werden, der im Blick auf ihre Entstehungsgeschichte eine Verknüpfung mit ›Intention‹ erlaubt.«315 Bedeutungszuschreibung entsteht, indem einem Text eine Bedeutung zugesprochen wird, die sich zum einen aus seinem primären, mehr oder weniger genau umrissenen Kontext ergibt, und dem weiteren Kontext, in
312
J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 34. Nach J APP, Ort des Autors, 223. Barthes spielt in seinem Aufsatz ›La mort de l’auteur‹ mit dem kleingeschriebenen Begriff ›auteur‹ und der Großschreibung ›Auteur‹. 314 So etwa KLEINSCHMIDT, Autorschaft, 11. 315 DANNEBERG, Autorkonstrukt, 84. 313
80
Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
den der Text gestellt wird:316 Dabei ist der Text selbst als primärer Kontext nicht kontingent, sondern bildet den Fluchtpunkt, an dem sich die Interpretation ausrichtet. Darüber hinaus gesellt sich zu dem primären Kontext eine Fülle weiterer potentieller Kontexte, in die hinein der Text gestellt werden kann.317 Diese potentiellen Kontexte sind an sich unendlich und durch den primären Kontext ›Text‹ selbst nicht zu begrenzen. Das bedeutet, dass es für jeden Text keinen ›natürlichen‹ Kontext gibt, der andere mögliche Kontexte nahe legen, andere ausgrenzen oder beschränken würde. Vielmehr sind es die Rezipierenden, die diese Kontexte festlegen: »Es gibt keinen in irgendeinem spezifischen Sinn natürlichen Kontext für einen zu interpretierenden Text, der diese Kontextfülle beschränkt; ein Text läßt sich grundsätzlich mit allem verbinden, was dem Interpreten einfallen mag.«318 Daher muss der umfassende Kontext durch Unterscheidung von Kontextsegmenten sowie die Bestimmung ihrer Beziehung individualisiert werden: »Segmente aus dem umfassenden Kontext als homogen auszugrenzen und verschiedene von ihnen in bestimmter Weise miteinander zu verknüpfen, erfordert identifizierende und verknüpfende Annahmen, die immer kontingent und veränderlich bleiben.«319 Dabei richten sich die sekundären, weiteren Kontexte am primären aus, der für die sekundären der Maßstab ist: »Den Text als Gegenstand der Bedeutungszuweisung und seinen über Definitionen zugewiesenen primären Kontext umlagern entsprechend der kontingenten Annahmen in größerer oder geringerer Entfernung weitere Segmente des umfassenden Kontextes: Bestimmt und aufeinander bezogen werden sie durch die Interpretationskonzeption.«320 Einer dieser gewählten Kontexte kann die Frage nach den Autorintentionen sein,321 die man auch bei einer nicht-autorintentionalen Bedeutungskonzeption wählen kann, so dass man neben anderen Kontextsegmenten auch die Autorintention einbeziehen kann, ohne dass man diese mit dem primären Kontext verwechselt.322 Die Frage nach der Autorintention im Rahmen einer an sich nichtautorintentionalen Bedeutungskonzeption zu verstehen, hat zur Konsequenz, die Frage nach dem Autor nicht zu dem primären Kontext ›Text‹ zu 316
Vgl. DANNEBERG, Autorkonstrukt, 101–102. »The possible contexts within which a passage may be read are numerous. Yet interpretation is a function of context as much as of text. Different readings of the same passage may emerge when we advert to different unifying horizons, whether these horizons be source documents, redactional levels, or narrative or poetic units«, W ALSH, The Contexts of 1 Kings XIII, 355. 318 DANNEBERG, Autorkonstrukt, 101. 319 DANNEBERG, Autorkonstrukt, 102. 320 DANNEBERG, Autorkonstrukt, 102. 321 So auch B ÜHLER, Autorabsicht und fiktionale Rede, 62. 322 Vgl. DANNEBERG, Autorkonstrukt, 103. 317
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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zählen, sondern sie unter dem weiteren, sekundären Kontext zu subsumieren. Die Frage nach der Autorintention ist damit sehr minimalistisch bestimmt, steckt aber dennoch das Bezugsfeld bei der Frage nach dem ›Autor‹ sehr präzise ab. Innerhalb dieser Konzeption kann nun die Frage nach den ›Autorfunktionen‹ entwickelt werden. 4.4.2. Die ›Autorfunktionen‹ Statt nach der Autorintention soll nach den Funktionen gefragt werden, die das Konzept ›Autor‹ für eine Textinterpretation einnehmen kann.323 Ausgangspunkt sind die Linien, die Foucault in seinem Vortrag »Was ist ein Autor?« vorgezeichnet hat: Statt sich auf die Suche nach einer realen Person zu begeben und sich damit methodologisch dem Biographismus zu nähern, sollen vielmehr die Funktionen in den Mittelpunkt gestellt werden, die ein ›Autor‹ in einem Text haben kann. Damit wird dezidiert die Perspektive des Textes eingenommen und von ihr aus nach ihrer Produktionsund Entstehungssituation gefragt. Dies ist eine wichtige Abgrenzung gegenüber solchen Versuchen, die – meist unausgesprochen oder unreflektiert – die Perspektive des Autors und seines Lebenskontextes einnehmen und von dort den Text auslegen. Den Text in das Zentrum zu stellen, entspricht auch der ›Text-Situation‹ biblischer Exegese, die über weite Strecken keine expliziten Informationen bezüglich des Autors oder der Entstehungssituation hat. Aus dieser Lage erweist sich die Frage von Foucault nach den Autorfunktionen als methodologisch und inhaltlich innovativ. Daher ist es weiterführend, dieser von Foucault gelegten Fährte der funktionalen Problematisierung des traditionellen Autorkonzepts zu folgen324 und ein Konzept der Autorfunktionen für die biblischen Texte zu entfalten.325 Im Folgenden soll daher mit Jannidis an die Analyse des analytischen Instrumentariums von Foucault angeknüpft werden, um aufzuzeigen, wie dies für die Frage nach dem ›Autor‹ bzw. dem Entstehungskontext in einer narratologisch-historischen Methodologie fruchtbar gemacht werden kann.326 Eine der zentralen Thesen von Foucault ist, dass der Autor ein Konstrukt der Lesenden sei, den diese aus den Texten als ein konstruiertes Vernunftswesen annehmen, das so nicht existiere, sondern als Konstrukt eine 323
Vgl. zur Abgrenzung vom ›impliziten‹ Autor Kap. I. 4.3.3. Ähnlich J APP, Ort des Autors, 229. 325 Vgl. auch die auf FOUCAULT basierende Narratologie COUTURIER , La figure de l’auteur, der nicht nach dem ›realen Autor‹ fragt, der nur ein Leser sein kann (vgl. 242), sondern nach der ›figure de l’auteur‹ im Text (vgl. 244). 326 Vgl. hierzu J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 353–354; sowie W OLF, Wie viele Leben hat der Autor?, 405. 324
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Projektion der Lesenden sei.327 Diese Analyse erweist sich dann als höchst ertragreich, wenn man die beiden in dieser Aussage miteinander verbundenen Vorannahmen voneinander trennt: Es ist das eine, den ›Autor‹ als Konstruktion der Lesenden aufgrund der im Text gewonnenen Einsichten zu verstehen, und das andere, ihn als Projektion zu qualifizieren. Während die erste Annahme im Folgenden aufgegriffen wird, ist die zweite jedoch abzulehnen: Die Frage nach dem ›Autor‹ ist keine verkappte Selbsttäuschung der Rezipierenden, wie dies Foucault suggeriert, indem er annimmt, dass die Lesenden ihren Umgang mit dem Text auf den Autor projizieren und so erst das Individuum erfinden, das sie dann ›Autor‹ nennen. Den Autor hingegen als ›Konstrukt‹ zu konzipieren, entspricht den Überlegungen zum Kommunikationsmodell: Ausgangspunkt sind die Rezipierenden, die »aufgrund ihres Wissens und anderer Kontextfaktoren Annahmen über Zeichenverwender bilden, sich also einen ›Autor‹ konstruieren. Das wissen, so lautet die entscheidende Pointe, auch die Zeichenverwender, also die ›Autoren‹. Sie verwenden die Zeichen auf solche Weise, daß das Bild, das sich die Rezipienten von ihren Intentionen konstruieren, ihren Absichten entspricht.«328 Foucault beschreibt aus der Perspektive des Rezipierenden, was aus der Perspektive des ›Autors‹ anders zu beschreiben wäre: »Die Regeln zur Konstruktion des Autors sind ja den Autoren ebenfalls bekannt und werden von ihnen in der Kommunikation vorausgesetzt und verwendet, um ihre kommunikativen Ziele zu erreichen, zu denen in vielen Formen literarischer Kommunikation übrigens nicht zuletzt die Vermittlung eines bestimmtes Autorbilds gehört.«329 Ein Text ist somit ein doppelter Ort: Er ist zum einen der Ort, an dem die Rezipierenden Erkenntnisse über die Textaussage ziehen und von dem her sie Vermutungen über den ›Autor‹ anstellen und damit einen ›Autor‹ konstruieren, zum anderen ist der Text aber auch der Ort, an dem der (nie zu fassende, stets nur a posteriori zu konstruierende) ›Autor‹ mit Blick auf seine Rezipierenden sein Material so gestaltet, dass es für die von ihm anvisierten Lesenden potentiell dekodierbar ist. Während also für das Verständnis des ›Autors‹ als Konstrukt auch die Überlegungen aus der Kommunikationstheorie sprechen, ist damit keineswegs die Konsequenz verbunden, dass die Vorstellung vom Autor als ›Konstrukt‹ notwendig auch eine Projektion sei, wie dies Foucault annimmt. Mehr noch: Foucault hat vorausgesetzt, dass diese Projektion den 327
Vgl. FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 248. J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 356 unter Hinweis auf KELLER , Zeichentheorie. 329 J ANNIDIS, Figur und Person, 22. Vgl. auch zur Selbststilisierung von Autoren im 20. Jh., MARX, Self-Fashioning-Strategien, 107–120. Aktuelle Modelle von Autorenschaft in der öffentlichen Diskussion zeigt LOHMEIER anhand des deutsch-deutschen Literaturstreits Anfang der 90er Jahre (vgl. LOHMEIER , Schriftstellers »Verantwortung« und Autors »Tod«, 557–569). 328
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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Blick auf den eigentlichen Vorgang der Rezeption verstelle, der beim Leser liege. Vor dem Hintergrund der Kommunikationstheorie erweist sich vielmehr genau das Gegenteil: Der Blick auf das Konstrukt ›Autor‹ geht vom Lesenden, vom Rezipierenden aus. Zugleich aber verfügt der ›Autor‹ über das Wissen dieses Prozesses und kann daher den ›Text‹ so gestalten und das Material so selektieren, dass bestimmte Rezeptionsprozesse näher liegen als andere. Dies berechtigt zu der Suche nach den vom ›Autor‹ hinterlassenen Spuren im Text. Dabei ist bei einer Analyse, die nach den Spuren des Autors im Text fragt, zu beachten, dass sich die vom ›Autor‹ seiner Zeit anvisierten Rezeptionsprozesse signifikant von denen unterscheiden können, die von den real Lesenden heute geleistet werden. Dies hängt mit den historischen, politischen, kulturellen, sozialen und theologischen Differenzen zusammen, mit unterschiedlichem Lese- und Hörverhalten, Sprachkompetenzen etc. Zugleich zeigt dies die Notwendigkeit einer historischen Erforschung der Rezeptionssituationen im weitesten Sinn auf. Vor diesem Hintergrund erweist sich erneut die grundlegende Bedeutung der Rezipierenden für das Zustandekommen von Sinn und Bedeutungskonzeptionen als die zentrale Instanz. Daher kann »Foucaults These von der Konstruktion eines Vernunftswesens Autor […] nur zugestimmt werden. Seine Annahme, es handele sich hierbei lediglich um eine Projektion, also um eine Konstruktion, deren Beschaffenheit ganz in das Belieben des Rezipienten gestellt sei, übersieht jedoch deren Abhängigkeit vom gemeinsamen Weltwissen der Kommunikationsteilnehmer.«330 Foucaults konstatierte Verabschiedung des ›Autors‹ und sein Traum vom ›autorlosen‹ Diskurs, erscheint heute jedoch wenig attraktiv, weil sich erstens die Organisationsform ›Autor‹ als höchst stabil erweist. »Die Autorfunktion ist, ganz im Gegensatz zu Foucaults These, eine anthropologische Konstante in Schrift-Kulturen.«331 Zweitens stellt die Frage nach den Verfasserkreisen und der Entstehungssituation von Texten als sekundärer Kontext einen wichtigen Faktor zur Eruierung angemessener Bedeutungskonzeptionen dar. Aus den Überlegungen Foucaults kann somit »weder geschlossen werden, eine Kultur ohne Autor-Diskurse sei in absehbarer Zeit möglich, noch daß diese Kultur wünschenswert sei. Es läßt sich vielmehr zeigen, warum die Autorfunktion in einigen Diskursen unserer Gesellschaft so wahrscheinlich und ihre Verwendung so stabil ist, daß sie sich auch noch dann, wenn der Autor als Begriff abgeschafft ist, in den Begriffen, die zum Ersatz herangezogen werden, finden lässt, sei es nun ›Werk‹, ›Schreiben‹ oder eben auch ›Diskurs‹.«332
330
J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 356–357. VAN P EER , Absicht und Abwehr, 114. 332 J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 357. 331
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Entkernt man Foucaults Überlegungen von »seiner Entlarvungs- und Befreiungsrhetorik, denn diese suggeriert […], daß ein Verzicht auf das Konzept ›Autor‹ in irgendeiner Weise besser und dem Gegenstand adäquater wäre und die Verwendung des Begriffs auf einer Art Täuschung beruhe«333, bleiben Foucaults Analysen zu den Funktionen eines ›Autors‹ weiterhin aufschlussreich, die von der Überlegung ausgehen, dass eine Kultur den Begriff ›Autor‹ zwar verabschieden, in ihren Diskursen aber auf seine Funktionen nicht verzichten kann.334 Um Autorfunktionen in einem Text zu eruieren, schlagen sowohl Jannidis als auch Winko ein vergleichbares, empirisch orientiertes Vorgehen vor:335 Beide untersuchen, welchen Stellenwert in Analysen der ›Autor‹ einnimmt, wo und wie auf ihn rekurriert wird, um die Funktionen, die einem ›Autor‹ zugesprochen werden, zu bestimmen und zu kategorisieren. Die tatsächliche textauslegende Praxis wird auf diese Weise nicht als ein Anwendungsfeld der Theorie degradiert, sondern als ein Ort der Erkenntnis verstanden, aus dem theoretisch-konzeptionelle Positionen gewonnen werden. Während Jannidis den Autorbegriff bei Herder, Lukács und Greenblatt analysiert,336 untersucht Winko, in welcher Form auf den ›Autor‹ in 385 unterschiedlichen Artikeln aus fünf verschiedenen, renommierten germanistischen Fachzeitschriften337 der letzten Jahre tatsächlich und unabhängig von ›autor‹-theoretischen Grundannahmen rekurriert wurde. Winko konnte dabei sechs ›Operationen‹ unterscheiden, in denen die Kategorie ›Autor‹ herangezogen wurde: Erstens sei dies die raumzeitliche Fixierung als Minimalfunktion, mit der die Beziehung auf den Autor in Interpretationen verwendet wird und zweitens die Bildung von Differenzen. Bei der Sicherung der Einheitlichkeit eines Werks würden drittens die Texte eines Autors als eine in sich abgeschlossene Einheit betrachtet, die sich durch bestimmte, thematische oder strukturelle Eigenschaften auszeichnen. Diese als typisch für das Werk eingestuften Eigenschaften würden in der Regel jedoch nicht bewiesen, sondern würden behauptet und nur z.T. untermauert, so dass es faktisch nicht das Merkmalsset sei, das die Einheitlichkeit des Werkes garantiere, sondern Name und Person des Au333
J ANNIDIS, Figur und Person, 22. So auch J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 18; vgl. ebenso J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 389. 335 Vgl. J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 22–24; unter Rekurs auf STRUBE, Analytische Philosophie der Literaturwissenschaft, 67–96. 336 J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 360–378. 337 W INKO hat die Beiträge folgenden Zeitschriften entnommen: ›Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte‹, ›Euphorion‹, ›Internationales Archiv für die Sozialgeschichte der deutschen Literatur‹, ›Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft‹ und der ›Zeitschrift für Germanistik‹; vgl. W INKO, Autor-Funktionen, 339. 334
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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tors. Das Wissen über den Autor werde viertens noch häufiger eingesetzt, um Bezugs- oder Paralleltexte zu sichern. Dabei werde unterschieden zwischen Texten, die der Autor selbst geschrieben habe, und solchen, auf die er sich explizit oder implizit bezogen habe. Fünftens geht es um die Sicherung von Kontexten, die dem Autor bekannt gewesen sein dürften. Sechstens werde Autorwissen herangezogen, um die eigenen interpretativen Thesen zu bilden oder zu rechtfertigen; selten hingegen würden Annahmen zum Selektionsspielraum des Autors thematisiert.338 Diese (empirischen) Ergebnisse von Winko koinzidieren zum Teil mit den von Jannidis kategorisierten sieben Autorfunktionen. In Anlehnung an die von ihm beschriebenen Funktionen eines ›Autors‹339 soll im Folgenden ein für die Exegese biblischer Texte spezifizierter Katalog an ›Autorfunktionen‹ vorgestellt werden. Dieser ist nicht vollständig und umfassend, sondern je nach Text zu variieren und unter Umständen um weitere Kategorien zu erweitern. Ausgangspunkt sind die Spuren im Text, die dem ›Autor‹ als Verfasser und Textproduzenten zugesprochen werden können. Vier Voraussetzungen sind für die im Folgenden aufgeführten ›Autorfunktionen‹ grundlegend: Erstens sind alle hier beschriebenen Funktionen Leistungen des Rezipierenden.340 Zweitens ist der materiale Bezugsrahmen der ersten sechs Funktionen ausschließlich bzw. in erster Linie der vorliegende Text. Drittens können die Funktionen in unterschiedlicher Abstufung auf den Autor zurückgeführt werden. In gradueller Abstufung sind sie ›notwendig‹ bis ›möglicherweise‹ an einen ›Autor‹ gebunden: Die ersten drei Funktionen (Auswahl, Gestaltung und Kontext) sind dabei notwendig auf den Autor zurückzuführen, während die nächsten drei (Bedeutung, Erkenntnis und Innovation) dem Autor zugeschrieben werden können, aber nicht exklusiv an ihn gebunden sind. Sie können auch anderen Instanzen des Textes zugeordnet werden, z.B. der Erzählstimme, den Diskursen, der Intertextualität,341 dem Schreiben.342 Viertens kann erst im letzten Schritt, der raum-zeitlichen Fixierung, der Übergang zur außertextlichen Kommunikationsebene stattfinden, indem der textuelle Rahmen überschritten und der Text in einem außertextlichen Rahmen situiert wird.343
338
Vgl. W INKO, Autor-Funktionen, 343–347. Vgl. J ANNIDIS, Autorfunktion, 38 sowie J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 378–388; hier beschreibt J ANNIDIS nur fünf Autorfunktionen. 340 So auch COUTURIER , La figure de l’auteur, 243. 341 Zum Konzept der Intertextualität vgl. STEINS, Die »Bindung Isaaks«. 342 Vgl. J ANNIDIS, Autorfunktion, 38. Vgl. zur Abgrenzung von ›Autor‹ und Erzählstimme Kap. I. 4.4.4. 343 Vgl. hierzu auch DANNEBERG, Autorkonstrukt, 103–104. 339
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
4.4.2.1. Die Auswahlfunktion Für jeden Text wird eine bestimmte Menge von Textmerkmalen (Buchstaben, Phoneme, Stilmittel, rhetorische Figuren, Figurenkonstellationen, Textsorten etc.) aus einem potentiell unendlichen Pool an Zeichen ausgewählt. Diese getroffene Auswahl ist auf den ›Autor‹ zurückzuführen, weswegen die Selektionsfunktion notwendig dem ›Autor‹ zuzusprechen ist. Der Autor kann dabei aus dem Gesamt der ihm zur Verfügung stehenden Zeichen Textmerkmale auswählen.344 Weil die der Autorfunktion zugesprochene Auswahl historisch möglich sein muss, kann die Art und Weise der Auswahl die historische Situierung des Textes und ihren historischen Kontext eingrenzen. Daher erlaubt die Art der Auswahl Rückschlüsse auf den Entstehungskontext. Dieser Rückschluss erscheint gerade dann möglich, wenn die Texte aus einer Erzählkultur wie der altorientalischen und antiken stammen, die größeren Wert auf kulturelle Kontinuität, formelhafte Wiederholung und Wiedererkennbarkeit legt, als dies in jenen Epochen der Fall ist, die an schöpferischem Geniekult und Innovationen interessiert sind. Gerade weil in altorientalischen Kulturen die Speicherung von Texten im Medium der Schrift und entsprechender Datenträger kein Allgemeingut ist, sondern ein hohes Maß an Spezialisierung voraussetzt, darf davon ausgegangen werden, dass bei der Verfassung des Textes und seiner Sicherung in der Schrift die in diatoper und diachroner Hinsicht sprachhandlungsaufbewahrende Funktion als ›Bote‹ im Blick war.345 Daher ist damit zu rechnen, dass der Text bewusst so verfasst worden ist, dass er die ›primäre‹ Sprechsituation überdauern kann. Daher ist die Verschriftung aus einer bestimmten historischen Situation heraus nicht nur für eine bestimmte historische Situation, sondern auch über diese hinaus konzipiert worden. Texte können durchaus im Wissen um die zerdehnte Sprechsituation für den Prozess der Überlieferung mit einem ›Überschuss für die Zukunft‹ bewusst entstanden sein.346
344
Das Gesamt der dem Autor zur Verfügung stehenden Zeichen ist als Referenzpunkt für die Rezipierenden allerdings nur in Ausnahmefällen, so etwa bei großer zeitlicher Nähe, annähernd zu rekonstruieren. Mit Blick auf die Auswahlfunktion, aber auch auf die Selektion von Kontexten, müssen die Rezipierenden das, was sie als ›Ganzes‹ ansetzen und von dem sie ausgehen, dass aus diesem Pool selektiert wurde, zunächst einmal (re)konstruieren. Dabei ist es an den Rezipierenden, den von ihnen gewählten Kontext transparent zu machen. 345 Vgl. hierzu die texttheoretische Grundlage von EHLICH, Text und sprachliches Handeln, vgl. Kap. I. 1. 346 Dass der Prozess der Auswahl sehr sorgfältig vorgenommen wurde, ist besonders für jene biblischen Texte vorauszusetzen, denen im Kontext eines Erzählzusammenhangs oder im Prozess der Endredaktion und der Kanonisierung der Bibel eine zentrale Stellung bzw. Funktion zukommt.
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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4.4.2.2. Die Gestaltungsfunktion Die selektierten Textmerkmale müssen in einer bestimmten Weise zu einem Text zusammengefügt und angeordnet werden. Auch dieser Vorgang ist notwendig als eine Autorfunktion auf den ›Autor‹ zurückzuführen, der sich in der Art und Weise der Gestaltung des Textes zu erkennen gibt. Diese Gestaltungsfunktion hat die Aufgabe, eine bestimmte Ordnung in einem Text zu schaffen: So können ausgewählte Textmerkmale zu einem Sonett oder auch zu einer Botenformel angeordnet werden. Diese Ordnung stiftenden Modelle müssen historisch wahrscheinlich sein und setzen zugleich ein Publikum voraus, das diese Schemata verstehen und einordnen kann. Um das reale Publikum genauer fassen zu können, sind weitere historische Studien nötig. Innerhalb des hier vorgeschlagenen Vorgehens muss an dieser Stelle mit Plausibilitätsargumenten operiert werden. Die dem Autor zuzuschreibende Gestaltungsfunktion kann auch als »Verschnürungsfunktion«347 bezeichnet werden: Durch die Art der Gestaltung eines Textes erzeugt der Autor Kohärenz und ›verschnürt‹ damit den Text. 4.4.2.3. Die Funktion der Selektion von Kontexten Die Selektion von Zeichen und ihre Gestaltung situieren den Text in einem erzählerischen Kontext, der zwar fiktional ist, aber über eine wie auch immer geartete Schnittmenge mit der Lebenswirklichkeit verfügen muss, um von den Rezipierenden, ihrem Weltwissen und ihrer Imaginationsfähigkeit verstanden zu werden. Dabei ergibt sich notwendigerweise eine Schnittmenge zwischen den im Text präsentierten Konstellationen und den lebensweltlichen Kontexten, aus denen heraus der ›Autor‹ geschrieben hat und die er bei seinem anvisierten Publikum annehmen durfte. Die Funktion der Selektion von Kontexten ist damit notwendig auf den ›Autor‹ zurückzuführen und ermöglicht eine historische Fixierung im Sinne einer epochenspezifischen Einordnung. Gesellschaftliche und kulturgeschichtliche Faktoren können auf diese Weise rekonstruiert werden, die zu bestimmten Zeiten und Orten gewisse Anordnungsmuster und Normen wahrscheinlich, möglich oder unwahrscheinlich machen. Die Einordnung in einen Kontext ist dabei stets die Rezeptionsleistung der Lesenden: Sie sind es, die kontextuell verorten.348 347
Vgl. EIBEL, ›Autor‹ als biologische Disposition, 56. Dies weist VAN P EER an zwei unterschiedlichen Rezeptionsgeschichten auf, zum einen an einem Gedicht von Lord Byron und zum anderen an einem Gedicht von Osip Mandel’stam, in denen der reale Autor jeweils unterschiedliche Funktionen einnimmt. Wie er am Beispiel von Mandel’stam zeigt, ist es nicht gut möglich, den Text ohne Rekurs auf den Kontext des ›Autors‹ zu interpretieren, während die Lesenden ein Gedicht von Lord Byron in einem Kontext situiert haben, in dem sie es gegen die von Byron explizit formulierte Intention gelesen haben. Dies zeigt, dass die vom ›Autor‹ intendierten 348
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
4.4.2.4. Die Bedeutungs- und Intentionsfunktion Die ersten drei Funktionen führen zur vierten Funktion, der Frage nach der Bedeutung (Bedeutungsfunktion) bzw. der Intention des ›Autors‹. Man braucht nicht der Theorie von Wimsatt / Beardsley anzuhängen, um zu wissen, dass die ›Autorintention‹ nie zuverlässig ermittelt werden kann.349 Dies macht die Frage nach dem Autor keineswegs unzulässig, zumal gezeigt werden konnte, dass die Frage nach dem Autor und seinen möglichen Intentionen als unreflektiert abgewertet wurde, um in anderen Gewändern, als ›Textintention‹ (Bal) oder als ›impliziter Autor‹ (Booth), zurückzukehren. Auf diese Weise wurde die Funktion, die einem ›Autor‹ zugesprochen werden kann, beibehalten, ohne vom ›Autor‹ zu sprechen. Dies zeigt die zentrale Bedeutung der Kategorie ›Autor‹, weil mit ihr eine Instanz identifiziert werden kann, der die Gestaltung des Textes sowie die Auswahl der Elemente zugeschrieben werden können. Angesichts der Gratwanderung zwischen der Frage nach der Feststellbarkeit von ›Autorintentionen‹ in einem Text und einem intentionalen Fehlschluss hilft der Vergleich mit Alltagskommunikation weiter:350 Auch in direkter Kommunikation ist dem Empfänger einer Botschaft die ›eigentliche‹ Intention des Senders unzugänglich. Dennoch konstruiert der Empfänger aus dem Gesagten oder Gehörten eine Aussage, eine Intention, die er unter Einbeziehung aller Kontextinformationen für das ›Gemeinte‹ und ›Intendierte‹ halten kann. Dies bedeutet umgekehrt, dass der Sender seine Botschaft so gestaltet, dass die von ihm anvisierte Intention vom Empfänger dekodierbar ist. Alltagspragmatische Regelhaftigkeit und Konventionen helfen dabei, diesen Vorgang so zu automatisieren, dass er ohne große Reibungsverluste und Verständnisschwierigkeiten internalisiert wird. Dies kann sich die Sendeinstanz auch dann zu Nutze machen, wenn sie beispielsweise eine bewusst manipulierende oder falsche Information zur Täuschung des Empfängers einsetzen will. Sie kennt die Regeln, wie sie die Botschaft zu vermitteln hat, um in einer bestimmten Art (miss)verstanden zu werden. Dieses Beispiel zeigt, dass die Senderintention bewusst den KommunikationsKontexte von den Kontexten abhängig sind, in die die Lesenden sie stellen und in denen sie die Texte lesen. So zeigt sich, dass »die (Ir)Relevanz der Absicht eines Verfassers beim Interpretieren literarischer Werke nicht kontextunabhängig erschlossen werden kann«, (VAN P EER, Absicht und Abwehr 1999, 121). 349 KALERI zeigt in Auseinandersetzung mit H IRSCH auf, dass es bei der Frage nach dem Autor nicht um die richtige Interpretation geht; die Autorintention ist eben nicht die bedeutungsbestimmende Instanz im Text, sondern eine, allenfalls ›wahrscheinliche‹, KALERI, Werkimmanenz und Autor, 241. 350 Der Vergleich von literarischen Texten und Alltagskommunikation findet man im Kontext der Frage nach dem Autor auch bei BÜHLER (Autorabsicht und fiktionale Rede, 61–75), sowie bei CHRISTMANN / SCHREIER (Kognitionspsychologie, 264) aus der Perspektive der Rezeptionssituation.
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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prozess steuern, aber Bedeutungskonzeptionen nur nahe legen, nie aber herstellen kann. Die Bedeutungs- und Sinnkonstruktion erfolgt durch die Rezipierenden, die auf der Grundlage des Textes erfolgt. Daher kann die Empfängerseite nur aus dem Text die von ihr konstruierte Bedeutung als mögliche Intentionsfunktion erheben, ohne dass sie jemals an die vom Sender intendierte Bedeutung herankommen könnte. Die Gedanken des ›realen Autors‹ und seine Aussageintention bleiben dem Empfänger verschlossen. Es bleibt nur die Botschaft, der Text als Referenz, in dem man Spuren des ›Autors‹ aufspüren kann. Erzähltexte unterscheiden sich von der Alltagskommunikation nicht grundlegend, haben aber eine komplexere Struktur, weil es neben dem Autor als Sender auch noch die von diesem zu unterscheidende Erzählstimme gibt. Aber der Vergleich mit der Alltagskommunikation zeigt die Berechtigung und Legitimität der Frage nach der ›Intention‹ als einer ›Autorfunktion‹ – und zwar sowohl auf der Seite der Lesenden als auch auf der Seite des ›Autors‹ als Textproduzenten. »Eine historisierende Literaturinterpretation hat zumeist das Ziel, die Bedeutung des Textzeichens als Teil einer historisch konkreten Kommunikationssituation zu ermitteln und dabei die konstituierenden und limitierenden Kontextbedingungen zu erfassen.«351 Die so konzipierte Frage nach der Bedeutungsfunktion ist dezidiert von den vom Biographismus inspirierten Interpretationen und jenen abzugrenzen, die sich selbst unter die schlichte Frage ›Was wollte uns der Autor damit sagen?‹ stellen: Es geht hier nicht um eine von einem ›Autor‹ vorgegebene Bedeutung, sondern um die Bedeutung, die vom Rezipienten ermittelt werden kann, die aber auch nicht seine persönliche, gegenwärtige Interpretation ist, »sondern eine, die einer Instanz in der Vergangenheit, zumeist dem Autor, zugeschrieben werden kann und auch deren Regeln der Bedeutungskonstitution unterliegt.«352 Welcher Raum in der Bedeutungskonstitution dem Autor beigemessen wird, kann durchaus variieren: Er kann dabei sowohl als eine oder auch als die entscheidende Instanz erachtet werden, aus der Bedeutung resultiert. Unabhängig davon ist jedoch die Voraussetzung, dass die Bedeutung vom Rezipierenden aus konstruiert wird, ohne dabei der poststrukturalistischen Radikalthese anhängen zu müssen, die davon ausgeht, dass es keinen Weg zur Autorintention gebe. Dies widerspricht bereits der Kommunikationssituation: Bereits die Alltagskommunikation würde nicht funktionieren, könnte man nicht davon ausgehen, dass das eigene Verständnis des Gehörten oder Gelesenen einer intendierten Bedeutung des Senders entspräche. Bedeutung resultiert nicht aus den sprachlichen Zeichen. Diese haben selbst keine Intention. Sie sind vielmehr Mittel für Sprechhandlungen. Im 351 352
J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 381. J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 381.
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Sinne der Unterscheidung zwischen der Bedeutung und dem Sinn eines Zeichens, bezieht sich die Bedeutung nur auf die Gebrauchsregeln eines Zeichens, referiert aber nicht auf Sachverhalte oder mentale Zustände. Der Sinn der Zeichen ergibt sich daraus, was Rezipierende über die Gebrauchsregeln der Zeichen wissen und über welches Welt- und Situationswissen sie verfügen.353 Umgekehrt bedeutet dies freilich auch, dass der Sender bzw. der Zeichenverwender ein bestimmtes Wissen bei seinen Rezipienten voraussetzt und er daher die Selektion und Gestaltung seiner Zeichen so anordnet, dass die von ihm intendierte Bedeutung zumindest potentiell dekodierbar ist. Nicht nur der Empfänger, sondern auch der Zeichenverwender arbeitet mit der Konstruktion seines potentiellen bzw. intendierten Rezipienten.354 Was für Kommunikationsprozesse im Allgemeinen gilt, trifft auch für fiktionale Texte zu. »Zur Rekonstruktion literarischer Kommunikation wird vielmehr die Rekonstruktion nicht nur der historischen Wortbedeutung und der Sprachverwendungsweisen im allgemeinen gehören, sondern auch der jeweiligen Praktiken im Textumgang, der Konstitutionsweisen von Textbedeutung und eventuell der besonderen Modelle der Konstitution sekundärer Bedeutung durch Literatur sowie ihrer Relationierung auf ein spezifisches Autorkonzept.«355 Die Möglichkeit, von der Textinterpretation auf eine mögliche ›Autorintention‹ zu schließen, kann mit Bühler auch um die Elemente der bedeutungstragenden Strukturen eines literarischen Textes erweitert werden: Strukturorientierte Interpretationen fragen nach textinternen Beziehungen und den ihnen zugrunde liegenden Strukturen und stellen damit gerade den Text selbst, nicht aber den ›Autor‹, in den Mittelpunkt. Die sich aus der Strukturanalyse ergebenden Bedeutungskonzeptionen können auch als ›Autorfunktion‹ gewertet werden, weil der Einsatz der speziellen strukturellen Elemente als das Resultat des ›Autors‹ plausibel gemacht werden kann. Strukturelemente können intentional und damit Ausdruck von Autorfunktionen sein.356 Mit diesen kann von der ›Autor‹-Seite eine fiktionale Textwelt als eine Welt des Als-Ob produziert und erschaffen werden, die zwar von einer Erzählstimme berichtet wird, die aber vom ›Autor‹ in kommunikativer Absicht an die Rezipierenden gerichtet ist. Sowohl von der Erzählstimme als auch von der Autorfiguration kann dabei die Aufforderung ausgehen, in das Spiel des Als-Ob einzusteigen.357 353
Vgl. hierzu KELLER , Zeichentheorie, 129–130. Dies ist auch die kommunikationstheoretische Voraussetzung und Basis für formund gattungsgeschichtliche Fragestellungen; daher ergibt sich von dem hier vorgestellten kommunikationstheoretischen Modell der Erzähltextanalyse eine Brücke zur Form- und Gattungsgeschichte. 355 J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 384. 356 So BÜHLER , Autorabsicht und fiktionale Rede, 73. 357 Vgl. hierzu B ÜHLER , Autorabsicht und fiktionale Rede, 69–70.74. 354
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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Die Analyse der ›Autorfunktion‹ ist eine Konstruktionsleistung der Lesenden, die, je nach ihren Möglichkeiten, eine Intention aus den im Text auffindbaren Zeichen konstruieren. Diese schreiben sie dann dem von ihnen konstruierten ›Autor‹, ihrem ›Autorbild‹, zu. Dieser ist nicht identisch mit dem ›realen Autor‹: »Wie die Praxis zeigt, ist die Auskunft des Autors über die Bedeutung eines Textes mitunter sehr schwierig mit den Textbeobachtungen zu vereinbaren, so daß man sich bereits im Altertum veranlaßt sah, eine Instanz im Autor zu vermuten, die der Auskunft nicht zugänglich, aber unter anderem für Selektion, Gestaltung und Bedeutung teilweise oder ganz verantwortlich ist.«358 Die Lesenden und der reale Autor stehen in einem prinzipiell asymmetrischen Verhältnis359 zueinander: »Der Autor eines Textes mag noch wissen, was er sich bei der Niederschrift gedacht hat, und Verweise auf widersprechende Textmerkmale als nicht bewußt markieren können. Der Leser eines Textes hat diese Möglichkeit nicht. Er kann lediglich im jeweiligen Einzelfall Anhaltspunkte für eine solche Zuschreibung sammeln. Die prinzipielle Unmöglichkeit einer vollkommen gesicherten Zuschreibung spricht aber nicht gegen Brauchbarkeit der Zuschreibung überhaupt.«360 Damit wird auch die Differenz dieses Autorkonzepts zu der, auf den ersten Blick, sehr ähnlichen »intentio operis«361 im Sinne Ecos deutlich: Während es im Konzept von Eco aber nach der Niederschrift des Textes keine Verbindung mehr zwischen dem Text und dem Autor gibt, ist vielmehr von der Möglichkeit auszugehen, aus der Textstrategie Annahmen über den ›Autor‹ ermitteln zu können: Wichtiger Baustein hierfür ist der von Eco übernommene Begriff der ›Enzyklopädie‹, des gesamten Netzwerks von Hintergrundannahmen und Hintergrundwissen, um die Verwendungsweise der Zeichen rekonstruieren zu können. Unter ›Enzyklopädie‹ ist ein Pool an Wissensvorräten und Vorstellungen zu verstehen, die abhängig von Zeit, Raum, Geschlecht, Alter, Sozialstruktur, Bildung etc. sind: »Einen Text historisch zu kontextualisieren bedeutet zunächst nichts weiter, als die für ihn adäquate Enzyklopädie zu rekonstruieren.«362 Hinweise wie Lebenszeit, Alter, Sozialisation des Autors, Entstehungsituation des Textes etc., die hier weiterhelfen können, die Enzyklopädie zu rekonstruieren, fallen bei den alttestamentlichen Texten weitgehend aus. Das macht die Frage jedoch keineswegs obsolet. »Ein wesentlicher Vorteil des Autorkonzepts besteht demnach darin, daß das Wissen um die Gebrauchsregeln und um das Weltwissen bedeutungslimitierend eingesetzt werden kann. Das schränkt zwar die Freiheit des wissen358
J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 385. Zum asymmetrischen Verhältnis vgl. auch COUTURIER , La figure de l’auteur, 242. 360 J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 385. 361 Vgl. hierzu ECO, Grenzen der Interpretation. 362 J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 386. 359
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schaftlichen Lesers im Umgang mit dem Text ein, aber eben diese Einschränkung könnte den Widerstand bilden, der Ausgangspunkt von Erkenntnis ist.«363 Die Frage nach der ›Autorintention‹ zu stellen, kann somit nicht nur als ein sich lohnender, sondern auch als ein methodologisch legitimer Weg aufgezeigt werden. Dieser gestaltet sich als eine Gratwanderung zwischen zwei ›Abgründen‹: Erstens handelt es sich bei der Frage nach der ›Autorintention‹ nicht um die Rekonstruktion ›der‹ Meinung des Autors; die Interpretation des Autors ist nicht ›die objektive‹ Textinterpretation. So schildert Eco in seiner Reflexion über den Entstehungsprozess seines Romans ›Der Name der Rose‹,364 dass ein Rezensent eine Bedeutungslinie über die Wiederaufnahme des Lexems ›Eile‹ hervorgehoben hat, die Eco selbst beim Schreiben nicht im Blick gehabt habe. Im Gegenteil: Der von ihm geschilderte Entstehungsprozess – Eco hat die zweite Erwähnung des Lexems ›Eile‹ erst bei der Korrektur der Druckfahnen eingefügt, ohne die vom Rezensenten hervorgehobene Sinnverbindung im Blick gehabt zu haben – zeigt, dass die Sinnkonzeptionen des ›Autors‹ und die Bedeutungskonstruktionen der Rezipierenden zwei gleichermaßen legitime und voneinander autonome Zugänge darstellen, die ihren Ausgang jeweils von dem Text als ›Boten‹365 nehmen. Die Spuren der Sinnkonzeptionen des ›Autors‹ aufzuspüren, ist das Ziel der Frage nach den Autorfunktionen. Statt einer Rekonstruktion der Bedeutungskonzeption des ›Autors‹, die als limitierend verstanden wird,366 geht es um die Konstruktion der Bedeutung, die die Rezipierenden in ihrer Textlektüre aufgrund der Indizien des Textes der von ihnen konstruierten ›Autorfunktion‹ zuweisen können. Dies ist jedoch zweitens nicht mit einer ›subjektivistischen‹ Auslegung zu verwechseln. Vielmehr ist der Text als ein Begegnungsort zu verstehen, der in der Spannung zwischen Rezeptionsleistung der Lesenden und anvisierten Bedeutungskonzeptionen eines ›Autor‹ steht. Textauslegung bedeutet dann, dieses Spannungsfeld auszuloten.
363
J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 386. Vgl. ECO, Nachschrift, 12–14. 365 Vgl. hierzu die texttheoretische Grundlage von EHLICH, Text und sprachliches Handeln, vgl. Kap. I . 1. 366 ECO selbst betont, dass die von ihm unbeabsichtigte Sinnverbindung auch auf ihn »beunruhigend« (ECO, Nachschrift, 13) gewirkt habe. Diese Sicht des Autors ergänzt aber ECO als Literaturwissenschaftler: »Der Text ist da und produziert seine eigenen Sinnverbindungen. Ob ich es beim Schreiben gewollt hatte oder nicht, man steht jetzt vor einer Frage, vor einer mehrdeutigen Provokation, und ich selbst habe Schwierigkeiten, den Gegensatz zu interpretieren, obwohl ich begreife, daß er einen Sinn enthält (vielleicht viele). Der Autor müßte das Zeitliche segnen, nachdem er geschrieben hat, damit er die Eigenbewegung des Textes nicht stört«, ECO, Nachschrift, 13–14. 364
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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4.4.2.5. Die Erkenntnisfunktion Aus der ermittelten Bedeutung eines Textes resultiert die Erkenntnis, die von den Lesenden als die Erkenntnisfunktion identifiziert werden kann: In einem Text wird den Lesenden eine ›Erkenntnis‹ präsentiert, die nicht das ist, was sie für sich entdeckt haben, sondern was ihnen vom Text als Erkenntnisangebot präsentiert und daher von den Lesenden als eine ›Autorfunktion‹ identifiziert wird. Dieses Erkentnisangebot kann sich mit dem Wissen der Rezipierenden decken, sie können es für gut bewerten und übernehmen oder auch ablehnen. Diese ›Erkenntnis‹ kann an die Autorfunktion rückgebunden werden, so dass diese als intendiert aufgefasst werden kann. Freilich ist diese Konstruktion der ›Erkenntnis‹ stark von den Rezipierenden, von ihrer Lesefähigkeit, ihrem Wissensstand, ihrer Empathie etc., abhängig. Zugleich baut diese Funktion auch auf der Konstruktion der Bedeutungsfunktion auf und ist von dieser (teil)abhängig: Nur wenn die Lesenden eine Bedeutung ›erkennen‹, kann entsprechend die Frage nach der ›Erkenntnis‹ gestellt werden. 4.4.2.6. Die Innovationsfunktion Ähnlich verhält es sich mit der Innovationsfunktion: Die innovatorische Leistung eines Textes ist zum einen an einen ›Autor‹ rückgebunden, ist aber zugleich viel grundlegender vom Rezipierenden abhängig, der Zeichen und Textmerkmale als innovativ identifizieren muss. Dies setzt voraus, dass er ›Altes‹ kennt, um Anderes als ›neu‹ qualifizieren zu können. Die Bestimmung als ›neu‹ lässt sich dabei nur aus dem Vergleich mit anderen Texten erheben. Für literarhistorische Modelle sind dabei nicht in erster Linie die Neuerungen an sich interessant, sondern vielmehr ihr Erfolg, der es bewirkt hat, etwas als Neuerung zu verstehen, um daraus dann wieder eine (literarische) Konvention entstehen zu lassen. 4.4.2.7. Die Funktion der raum-zeitlichen Fixierung Die siebte Funktion nimmt die raum-zeitliche Fixierung eines Textes in den Blick: Über den ›Autor‹ ist der Text in einer historischen Situation und an einem bestimmten Ort situierbar. Im Sinne des strukturalistischen Verständnisses eines ›Autors‹ als Codierer von Zeichen dient die Bezugnahme auf den Autor dazu, einen Text historisch verorten zu können. Weil diese die einfachste und minimalste Funktion eines ›Autors‹367 sei, wird sie bei Jannidis und Winko als erste und bei Danneberg als die einzige Funktion
367
Vgl. hierzu auch den Abschnitt zum Autor als Urheber von sprachlichen Artefakten: EIBEL, ›Autor‹ als biologische Disposition, 53–54.
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präsentiert:368 Die Autorfunktion »besteht in nicht mehr als der, dem zu interpretierenden Text eine raum-zeitliche Markierung zu geben«369, ihn also historisch zu verorten. »Der im Text wiedergegebene Name des Autors wäre die einzige unzweifelhafte direkte außertextuelle Referenz des Textes (neben der Angabe des Druckorts, der Jahreszahl, des Verlagsnamens und so weiter), wenn es nicht Pseudonyme und Fälschungen gebe. Alles andere sind Elemente eines mehr oder weniger üppig ausgestalteten Autorkonstrukts; selbst die Autorintention wird mit dieser Markierung des Texts keineswegs zwangsläufig als relevanter oder sogar primärer Kontext angenommen.«370 Autorname, Erscheinungsjahr, Publikationsort etc. sind aber genau jene Angaben, die bei biblischen Texte, wie auch bei anderen anonym überlieferten Texten, nicht gegeben sind: Weil uns Informationen zur raum-zeitlichen Fixierung eines biblischen Textes nicht vorliegen, kann diese Funktion aufgrund der fehlenden Informationen nicht an den Anfang, sondern muss an den Schluss gestellt werden. Dies ist mehr als nur eine Verschiebung der Frage, vielmehr ändert sich mit ihr der Status der Aussagen grundlegend: Statt von den auf den ersten Seiten eines Buches genannten, paratextlichen Rahmendaten zur historischen Einordnung eines Textes ausgehen zu können, ist man bei biblischen Texten auf ein Rückschlussverfahren am Ende der Analyse angewiesen: Für dieses ist zunächst aus der Summe der textimmanent bestimmten Autorfunktionen eine ›Autorfiguration‹ zusammenzufügen. Von dieser können sich dann Schlüsse auf die außertextliche, raum-zeitliche und historische Verortung ergeben. Mit dieser Vorgehensweise werden die textinternen Ebenen zur textexternen Realität hin überschritten: Aus der Summe der textuell fassbaren Autorfunktion(en) und der sich aus ihr ergebenden Autorfiguration kann auf die außertextliche Realität geschlossen werden.371 4.4.3. Definitionen: ›Autorfunktion‹, ›Autorfiguration‹, ›Autorfigurationen‹ und ›Autor‹ Ausgehend von den Überlegungen zu den Autorfunktionen bei Foucault finden sich die Termini ›Autorfunktion‹, ›Autorfiguration(en)‹ und ›Autor‹ bei Winko, Danneberg und Jannidis, die die Begriffe jedoch uneinheitlich und z.T. unscharf verwenden. Daher werden die Begriffe im Folgenden definiert und in einer Weise präzisiert, um sie auf die spezifische Situation biblischer Texte zuzuspitzen.
368 Vgl. J ANNIDIS, Autorfunktion, 38; W INKO, Autor-Funktionen, 343; DANNEBERG, Autorkonstrukt, 103–104. 369 DANNEBERG, Autorkonstrukt, 103–104. 370 DANNEBERG, Autorkonstrukt, 104. 371 Vgl. hierzu auch DANNEBERG, Autorkonstrukt, 103–104.
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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Unter ›Autorfunktion‹ werden jene Textphänomene subsumiert, die als kognitive Operationen dem ›Autor‹ als der im Text auffindbaren »Redeorigo«372 zugeschrieben werden können. Diese lassen sich den oben vorgestellten Funktionen zuordnen.373 Diese textinternen ›Autorfunktionen‹ lassen sich zu einer ›Autorfiguration‹ zusammenfassen:374 Unter ›Autorfiguration‹ sind jene spezifischen Merkmale zu subsumieren, die als ›Autorfunktionen‹ in einem Text erkennbar sind. Diese Autorfunktionen lassen sich zu einem Bild zusammensetzen und ergeben zusammen die ›Autorfiguration‹.375 Die Autorfiguration ist ein Begriff auf der Grenze zwischen der textinternen und textexternen Ebene: Sie kann nur aus dem Text gewonnen werden, trifft aber Aussagen, die die textinternen Beobachtungen (›Autorfunktionen‹) im Hinblick auf eine textexterne Größe (›Autor‹) auswerten. Insofern ist die Kategorie ›Autorfiguration‹ eine Bezeichnung, die genau diese Grenze zu beschreiben sucht. Die Autorfunktionen und mit ihnen die Autorfiguration sind nicht als eine statische Beschreibung zu verstehen, sondern als Kategorien, die aus der textauslegenden Praxis zu gewinnen sind. Die ›Autorfiguration‹ ist somit die »Instanz der Kommunikation, die der Leser aufgrund seines Wissens und des Textes (re-)konstruiert«376. Der Terminus ›Autorfiguration‹ bietet sich deshalb an, weil er die Variabilität der Funktionen anzeigt und unterschiedlichen Graden der Ausgestaltung und der Differenzierung 372
Vgl. EIBEL, ›Autor‹ als biologische Disposition, 55. Vgl. ähnlich W INKO, Autor-Funktionen, 339. 374 Der Begriff ›Autorfiguration‹ wird von J ANNIDIS im Plural verwendet (vgl. J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 359); er spricht auch von »Autorkonfiguration« (vgl. J ANNIDIS, Autorbild, 29). Für den Kontext der biblischen Exegese bietet sich allerdings die oben vorgenommene Definition im Singular an, um präzise verschiedene Autorfigurationen in einem Text unterscheiden zu können. 375 Die hier definierte ›Autorfiguration‹ kann verstanden werden als »Zuschreibungsinstanz für die aufgrund von Codes und Konventionen ermittelte Bedeutung sowie auch für die […] vom Leser erst genauer zu ermittelnde Umgangsweise mit den sprachlichen Zeichen im Text. Anders formuliert: es gibt eine unaufhebbare Spannung zwischen Einzelwerk und Vorgaben, die auch beim durchschnittlichsten Produkt noch wahrnehmbar ist, weil auch dieses noch aus dem Angebot aller möglichen Muster nur eine Auswahl in einer ganz spezifischen Gattung präsentiert. Man kann diese Auswahl und Gestaltung auf den Text beziehen, aber das sind bei genauerem Hinsehen metonymische Verwendungen, da es ja zumeist um die Wahrnehmung von Handlungen und Intentionen geht, die im Text kommuniziert, aber nicht ihm zugeschrieben werden. Es bietet sich daher an, diese Entscheidung einer eigenen Instanz, eben dem ›Autor‹ zuzuschreiben. Sie stellt, als Teil der Kommunikationsebene ›realer Autor – realer Leser‹, ein wesentliches Verbindungsglied zwischen textbezogenen Informationen und solchen Informationen dar, die sich aus der Kommunikationssituation und von dort aus im Kontext ermitteln lassen, um den Text nicht etwa zu monosemieren, sondern die Informationen überhaupt erst zur Bedeutung zu machen«, J ANNIDIS, Figur und Person, 27. 376 J ANNIDIS, Figur und Person, 251. 373
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Rechnung trägt: »Welche Funktionen zusammentreten, in welchen Diskursen sie erscheinen, wie lange die Figuration stabil bleibt, all das wird wohl von dem jeweiligen Diskurs und dessen diskursiven und realgesellschaftlichen Kontexten bestimmt.«377 Den Plural ›Autorfigurationen‹ schlage ich vor, dann zu verwenden, wenn sich die in einem Text beschreibbaren Autorfunktionen nicht zu einem kohärenten Konzept ›Autorfiguration‹ zusammenfügen lassen, sondern mehrere, in sich unterschiedliche ›Autorfigurationen‹ erkennen lassen.378 Mit der Pluralform ›Autorfigurationen‹ kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Texte nicht von einem ›Autor‹ stammen müssen, sondern in einem unter Umständen jahrhundertelangen Prozess entstanden und von unterschiedlichen Personen bearbeitet sein können. Daher ist damit zu rechnen, dass sich in einem Text nicht nur eine Autorfiguration, sondern verschiedene ›Autorfigurationen‹ finden lassen. Die Arten der Textbearbeitung können sich im Einzelnen sehr voneinander unterscheiden: Neben der Erstverfassung von Texten sind Überarbeitungen, Einfügungen, Textumstellungen und Kontextveränderungen etc. denkbar. Können in einem Text mehrere Autorfigurationen aufgezeigt werden, dann kann man dies als einen Hinweis dafür verstehen, dass die Produktionsseite eine historisch gewachsene Größe sein und wahrscheinlich ein komplexer Entstehungsprozess vorliegen könnte. Für die Analyse empfiehlt es sich, den Text zuerst anhand der oben erläuterten Kategorien der Autorfunktionen zu untersuchen. Anschließend sind diese Autorfunktionen zu einer Autorfiguration zusammenzufassen. Können die unterschiedlichen Autorfunktionen jedoch nicht als eine kohärente Autorfiguration beschrieben werden, sind in einem dritten Schritt die disparaten Beobachtungen zu erläutern. Im vierten Schritt ist dann zu prüfen, ob sich diese zu unterschiedlichen Autorfigurationen zusammenfügen lassen. Wenn dem so ist, sind die Zuordnung dieser Autorfigurationen zueinander und ihre Abhängigkeit voneinander in einem fünften Schritt zu beschreiben. Mit anderen Worten: Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die Autorfunktionen nicht zu einer, sondern zu mehreren Autorfiguration(en) ›verschnürt‹ werden können (vgl. vierte Autorfunktion). Weil sich jede dieser Autorfigurationen aus unterschiedlichen, im Text eruierbaren Autorfunktionen zusammensetzt, ist die von ihnen erzeugte Kohärenz im
377
J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 359. Dabei ist genau zu überlegen, ob die Beobachtungen tatsächlich als unterschiedliche Autorfigurationen oder ob diese nicht z.B. auch als Kommentare der Erzählstimme oder als multiperspektivisches Erzählen verstanden werden können. 378
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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Text aufzuzeigen. Diese Autorfigurationen können sich gegenseitig beeinflusst haben und in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen.379 Die ›Autorfiguration‹ ist deutlich vom ›Autor‹ zu unterscheiden: Der Terminus ›Autor‹ bezieht sich auf den realen Autor als eine empirische Person bzw. auf ein Autorenkollektiv. Der ›Autor‹ ist als empirische Person eine reale Größe. Die ›Autorfiguration‹ hingegen ist nicht mit dem realen ›Autor‹ als historischer Person identisch, sondern ist ein Konstrukt aus dem Text. Ob und in welchem Maß die ›Autorfiguration‹, die die Lesenden aufgrund des Textes konstruiert haben, Gemeinsamkeiten mit dem realen ›Autor‹ und seinen mentalen Vorgängen aufweist, kann nicht beurteilt werden.380 Die Unterscheidung zwischen dem Terminus ›Autorfiguration‹ als der aus dem Text ersichtlichen Größe und dem realen ›Autor‹ dient dazu, zwischen den aus dem Text rekonstruierten Spuren der ›Autorfiguration‹ und dem realen ›Autor‹ zu unterscheiden. Das, was als ›Autorfiguration‹ beschrieben werden kann, und das, was man ›Autor‹ nennt, bezeichnet jeweils grundsätzlich unterschiedliche Phänomene: Während sich die ›Autorfiguration Thomas Mann‹ aus der Lektüre der ›Buddenbrocks‹ ergibt, beziehen sich die Informationen über den ›Autor Thomas Mann‹ gerade nicht aus seinen Werken, sondern aus anderen Lexika, zeitgenössischen Dokumenten, Briefen etc. Im Fall der biblischen Schriften wissen wir aus paratextlichen Quellen jedoch nichts über den ›realen Autor‹ bzw. die ›realen Autoren‹: Die Schriften sind anonym überliefert, zeitlich und räumlich nicht fixiert und unterscheiden sich darin grundlegend von jenen literarischen Texten bei denen Autor, Titel, Erscheinungs- und Entstehungsjahr angegeben sind und bei denen Kenntnisse über die Lebensdaten und die Biographie des Autors vorliegen.381 Ist der ›reale Autor‹ unbekannt, können die 379
Eine Autorfiguration muss nicht ausschließlich auf der Produktionsseite, sondern kann auch auf der Rezeptionsseite des Kommunikationsmodells angesiedelt sein, wenn sie als Leserin eines bereits vorliegenden Textes diesen bearbeitet. Nach ihrer ›Lektüre‹ ›wechselt‹ sie auf die Produktionsseite, um als Produzentin den vorliegenden Text zu bearbeiten, zu verändern, zu ergänzen etc. Das Interessante an diesem Modell ist, dass die Produktion des Textes bereits als ein reziproker Prozess von Produktion und Rezeption konzeptualisiert ist. 380 Vgl. J ANNIDIS, Figur und Person, 27. 381 Daher kann die Definition und Funktion des aus anderen Quellen bezeugten und bekannten ›Autors‹ präziser ausfallen: »Der Autor regelt offenbar dominant den Textzugang gegenüber anderen Hinweisen wie etwa Annahmen über die Gattung eines Textes oder sein Erscheinungsjahr. Er gruppiert das Verhältnis von Texten untereinander, wie er sie hierarchisiert und in Beziehung zur dargestellten Welt setzt. Er ist eine Art Kurzzeichen für ein sehr viel komplexeres Hintergrundwissen, mit dem jede Interpretation arbeitet, ohne daß dieses Wissen allein mit biographischen Kenntnissen identisch wäre. Es spricht daher einiges für die These, daß in der Person des Autors dieses Wissen und die damit verbundenen Wertungen gebündelt, zu einem Konzept verdichtet werden und da-
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Lesenden ihn nur über die aus dem Text eruierte ›Autorfiguration‹ konstruieren. Aus diesen begrifflichen Unterscheidungen von ›Autorfunktion‹, ›Autorfiguration(en)‹ und ›Autor‹ ergibt sich ein methodisches Vorgehen, das es ermöglicht, nach der historischen Verankerung des heute vorliegenden Textes zu fragen, ohne sich dem Biographismus, der von einer Identität von Leben und Werk ausgeht, noch den Konzepten, die die Frage nach dem ›Autor‹ für obsolet erklären, zuordnen zu müssen.382 4.4.4. Die ›Autorfiguration‹ und die Erzählstimme Weil die ›Autorfiguration‹ nur aus dem Text heraus erkennbar ist, stellt sich die Frage, wie sie von der textinternen Größe ›Erzählstimme‹ zu unterscheiden ist. Die Verhältnisbestimmung von Autorfunktion und Erzählstimme beschäftigte bereits Foucault als Frage nach der Unterscheidung von Erzähler und Schriftsteller. Dabei geht er von einem Verhältnis gegenseitiger Einwirkung aus: Die Erzählstimme verweise nie exakt auf den Schriftsteller, sondern auf ein alter ego, »dessen Distanz zum Schriftsteller mehr oder minder groß sein kann und im selben Werk auch variieren kann. Es wäre also ganz falsch, wollte man den Autor beim wirklichen Schriftsteller oder beim fiktionalen Sprecher suchen; die Autor-Funktion vollzieht sich gerade in der Spaltung selbst – in dieser Trennung und in dieser Distanz.«383 In der Tat ist die Abgrenzung von Erzählstimme und Autorfiguration komplex.384 Dies liegt sowohl an der schwierigen praktischen Unterscheimit ein Funktionsäquivalent zum Hintergrundwissen bilden, wie wir es aus der Alltagskommunikation kennen«, LAUER , Kafkas Autor, 224. 382 So auch J ANNIDIS, Der nützliche Autor, 389. Damit grenzt sich das hier präsentierte Modell zur Eruierung der Autorfunktion deutlich von solchen Versuchen ab, den ›realen Autor‹ zu rekonstruieren. Vgl. z.B. den ›Autor‹ als Verfasser des DtrG bei NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 11–12.87 (vgl. hierzu auch FREVEL, Deuteronomistisches Geschichtswerk, 64–65). Vgl. auch STIPP, Gedalja, 155–171; anders ALBERTZ, Die Intentionen und die Träger, 37–53; ALBERTZ, Wer waren die Deuteronomisten?, 319–338; ALBERTZ, Le milieu des Deutéronomistes, 377–407; vgl. auch DUTCHER-WALLS, The Social Location of the Deuteronomists, 77–94. 383 FOUCAULT, Was ist ein Autor?, 250. 384 Vgl. hierzu J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 541.550–556. Die Frage »Was muß nur dem Erzähler und was kann auch dem Autor zugeschrieben werden?« zeigt J ANNIDIS am Beispiel vom Umgang mit CHRISTIAN KRACHTS Roman »Faserland« v.a. in deutschen Feuilletons auf, in denen die Zuschreibung von Attributen der Erzählstimme in großer Unbefangenheit gegen die zum Allgemeingut gehörende Einsicht der Trennung von Erzählstimme und Autor auf den Autor appliziert wurden. Umgekehrt spielt T HOMAS GLAVINICS in seinem Roman »Das bin doch ich« mit der Identität von ihm als Autor und dem von ihm geschaffenen Ich-Erzähler, der auch Thomas Glavinic heißt und der, wie der Autor, ein Werk mit dem Titel »Die Arbeit der Nacht« geschrieben
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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dung von Autorfiguration und Erzählstimme in einem konkreten Text als auch an der Abhängigkeit der Erzählstimme von der Autorfiguration:385 Der Erzählstimme sind alle Eigenschaften des narrativen Textes zuzuschreiben. Sie ist als textinterne von dem ›Autor‹ als textexterner Größe zu unterscheiden.386 Zugleich ist die Erzählstimme wie alle weiteren Ebenen des Textes das Produkt des ›Autors‹, der den fiktionalen Text geschaffen hat, und die insofern als Textkonstrukt vom ›Autor‹ abhängig sind. Der ›Autor‹ hingegen ist eine lebensweltliche, außertextliche Größe, derer man nur als ›Autorfiguration‹ im Text, der von der Erzählstimme erzählt wird, habhaft werden kann. ›Autorfiguration‹ und ›Erzählstimme‹ sind insofern beide aufeinander bezogene Textgrößen, was die Frage ihrer Verhältnisbestimmung schwierig macht. Um das Verhältnis genauer zu bestimmen, bietet es sich an, den ›einfachsten‹ Fall einer zuverlässigen, heterodiegetischen Erzählstimme als Ausgangspunkt zu wählen. Zu untersuchen ist, welche Rückschlüsse die Erzählstimme auf die ›Autorfiguration‹ zulässt, welche konstruktiven Interferenzprozesse parallel ablaufen und wie diese einander zuzuordnen sind.387 Die Grenze für die Merkmale und Kompetenzen der Erzählstimme bildet der Grad der Autorkompetenz, weil die Erzählstimme dem Autor untergeordnet ist: »Die Erzählinstanz kann nicht eine andere Sprache sprechen, mehr Wissen haben, dauerhaft witziger und intelligenter sein als der Autor.«388 Es handele sich nicht so sehr um eine Äquivalenzbeziehung, sondern eher um eine Inklusions- bzw. eine Subordinationsbeziehung: »Der Autor kann die Sprache mindestens so gut sprechen wie der Erzähler. Über welche sprachlichen Kompetenzen er sonst verfügt, kann nichts ausgesagt werden.«389 In einem Text gibt es spezifische Orte, an denen eine Autorfiguration am ehesten erkennbar ist: Diese sind direkte Erzählerkommentare, explizite Wertungen, der Wechsel von Wahrnehmungsinstanzen, zuverlässige Äußerungen einer Figur, erkennbare persönliche Züge, literarische Anspielungen oder farbige Metaphern, mythologische oder symbolische Muster im Text, Anzeichen für Eingriffe in die natürliche Folge, Proportion oder Dauer von Ereignissen und die Auswahl dessen,
hat, vgl. hierzu auch MÜLLER , Ich und ich, wir zwei: FAZ vom 19. Januar 2008. In den Kontext der Frage nach der Grenzziehung zwischen außertextlicher Realität und fiktionaler Textwelt ist auch die aktuelle Auseinandersetzung um MAXIM B ILLERS Roman »Esra« einzuordnen. 385 Vgl. zum Folgenden J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 540–556. 386 Vgl. die Überlegungen von Martinez zum Verhältnis von Autor und lyrischem Ich in der Dichtung, MARTINEZ, Das lyrische Ich, 376–389. 387 Vgl. J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 548. 388 J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 549. 389 J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 549.
100
Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
was erzählt wird.390 Besonders die Anspielungen und Metaphern (vgl. die Gestaltungsfunktion) sowie die Auswahl (vgl. Auswahlfunktion) sind zur Eruierung der Autorfiguration hervorzuheben. Inwiefern diese im Hinblick auf die Unterscheidung von Erzählstimme und Autorfiguration ausgewertet werden können, ist im Einzelfall zu prüfen und kann unterschiedlich beurteilt werden. So kann beispielsweise eine literarische Anspielung »so vermittelt werden, daß sie vom Leser etwa als staubiger Bildungsballast, als Ausdruck sozialen Aufstiegswillens oder eben als gebildete Anspielung verstanden wird.«391 Bei den ersten beiden Interpretationen wird eine Differenz zwischen Erzählstimme und Autorfiguration erkennbar, nicht aber bei der dritten. Kann, wie bei den ersten beiden Interpretationsmöglichkeiten, eine Differenzierung zwischen Erzählstimme und Autorfiguration im Text ausgemacht werden, bricht dies die Kommunikationsebenen des Textes auf und führt zu den Spuren, die auf den ›Autor‹ hinweisen können. Dabei ergibt sich die schwierige Frage, ob die beobachteten Textphänomene der Erzählstimmen (und damit auch der Autorfiguration) oder nur einer der beiden Größen zuzuschreiben ist. Diese Zuweisung ist voraussetzungsreich und dementsprechend hypothetisch. Daher ist Vorsicht bei der Attributierung von Merkmalen zur Erzählstimme bzw. zu der Autorfiguration oder den Autorfigurationen geboten; »es ist im Alltagsgeschäft wohl ganz vernünftig, diese Komplexität nur dann auf sich zu nehmen, wenn es notwendig ist.«392 Damit zeigt sich zum einen, dass eine Unterscheidung zwischen Erzählstimme und Autorfiguration(en) möglich ist, zum anderen aber auch, wie schwierig diese vorzunehmen ist. Zudem ist die Zuschreibung zu einer Erzählstimme bzw. einer Autorfiguration einer sich wandelnden historischen Praxis narrativer Kommunikation unterworfen. Daher ist von Fall zu Fall zu prüfen, ob und in welcher Weise Textphänomene der Erzählstimmen oder den Autorfiguration zugeschrieben werden können. 4.4.5. ›Autor‹ und Lesende als historisch plurale Größen Weil die Entstehungssituation ein möglicher und von den Lesenden für die Interpretation zu wählender Kontext sein kann (vgl. Kap. I. 4.4.1.), ist die Frage nach der Entstehung eines Textes auch innerhalb eines eher ›synchronen‹ und narratologisch orientierten Zugangs legitim. Hierzu ist ein Modell vorgestellt worden, das ermöglicht, aus der textinternen Analyse der Autorfunktionen eine oder mehrere Autorfigurationen der erzählten 390 Bei dieser Auflistung ergeben sich interessante Übereinstimmungen mit den Merkmalen, die Booth zur Identifizierung des impliziten Autors entwickelt hat; vgl. u.a. B OOTH, Rhetoric of Fiction, 158–159. 391 J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 550. 392 J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 550.
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
101
Textwelt zu beschreiben. An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Beschreibung dieser Prozesse auf rein textimmanenten Beobachtungen beruht. Das Spezifikum dieses Modells besteht gerade darin, keinen ›Autor‹ bzw. keine Verfasserkreise zu eruieren, sondern die im Text auffindbaren Spuren der Autorfunktionen als Autorfiguration(en) zu beschreiben. Die Autorfiguration ist somit die Summe der Spuren, die als Spuren eines ›Autors‹ im Text beschrieben werden können. Allein diese bilden die Grundlage, um Aussagen über die textexterne Ebene, über den Autor oder Verfasserkreise, zu treffen: So kann es sich nahelegen, hinter der Autorfiguration einen realen Autor anzunehmen. Ergeben sich in einem Text mehrere Autorfigurationen, ist es möglich, diese tatsächlich auf verschiedene Autoren zurückzuführen – das muss aber nicht zwingend der Fall sein. Aus der Situation mehrerer Autorfigurationen kann sich die Vermutung nahe legen, dass sich der heute vorliegende Text in verschiedenen Entstehungsstufen entwickelt hat. Das könnte bedeuten, dass mehrere Autoren(gruppen) zu unterschiedlichen Zeiten an den Texten gearbeitet haben. Aufgrund unterschiedlicher Autorfigurationen kann sich die Produktionsseite somit als historisch gewachsene, in sich plurale Größe erweisen. Aus der Perspektive eines methodologischen Zugangs, der den vorliegenden Text ins Zentrum stellt, kann die Identifizierung einer textintern eruierten Autorfiguration mit einem realen Autor lediglich vermutet und entsprechend plausibilisiert werden, nie aber mit Entschiedenheit gewusst und behauptet werden. Zu betonen ist daher, dass die im Text eruierte Autorfiguration keineswegs identisch mit dem realen Autor sein muss, aber sein kann. In welcher graduellen Abstufung dies tatsächlich der Fall ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Daher ist der Schluss von der Autorfiguration auf den Autor möglich, aber nicht zwingend. Genau diese methodologische Unsicherheit teilt die narratologisch-historische Methode mit der historisch-kritischen Exegese: Jeder Rückschluss von textinternen Ebenen auf textexterne Wirklichkeiten und jede Auswertung des textintern Erzählten für die textexterne Genese und Produktion eines Textes sind stets hypothetisch.393 Gesichert würde man erst dann Aufschluss über die Textentstehung erhalten, wenn entsprechende Texte aus den Stufen gefunden würden, die dem Endtext vorausliegen. 393 Dennoch ist es legitim, eine Theorie der Textgenese in dem Wissen, dass sie eine Hypothese ist, zu entwickeln. Dabei nimmt der Grad des Hypothetischen in dem Maße zu, wie der Text als Bezugsgröße selbst erst rekonstruiert werden muss. Vielleicht können Anregungen zum Verstehen der antiken Textentstehungsprozesse durch moderne Textproduktionen gewonnen werden: Im World Wide Web entstehen Texte, die von mehreren, anonymen oder unter Pseudonymen auftretenden ›Schreibern‹ in einem nicht im einzelnen protokollierten Prozess sukzessive geschrieben, gelesen und fortgeschrieben werden; vgl. LANDOW, Hypertext; KLEPPER / MAYER / SCHNECK, Hyperkultur. Vgl. zum Autorkonzept in den neuen Medien W INKO, Lost in hypertext?, 511–533.
102
Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
außertextliche Wirklichkeit (K I) 5H]LSLHQW± Erzählung (K II) Erzählstimme
¿NWLRQDOHU$GUHVVDW
Figur A
Figur C:
Figur B
Figur D:
Rede (K III) Rede (K III) Figur X:
Rede in der Rede (K IV) $XWRU¿JXUDWLRQ, ± ,,, Autor 1–3
Wie auf der Produktionsseite über die Autorfiguration(en) verschiedene mögliche Entstehungskontexte differenziert werden können, lassen sich auch auf der Seite der Rezeption verschiedene (Lese-)Positionen unterscheiden:394 Wenn es die Funktion des Textes ist, in diatoper und diachroner Hinsicht sprachhandlungsaufbewahrend als ›Bote‹ der Speicherung zweier nichtidentischer unmittelbarer Sprechsituationen zu dienen, dann kennzeichnet diese sprechsituationsüberdauernde Stabilität den Prozess der Überlieferung.395 Durch die ›zweite‹ bzw. jede weitere Sprechsituation in der Tradierung des Textes ist der direkte Kontakt in der Kommunikation zwischen dem realen Autor als Sender und den Lesenden als Empfängern unterbrochen. Daher zeichnet sich die Kommunikationssituation in der Überlieferung vielmehr durch eine zerdehnte Sprechsituation aus, so dass die in der Praxis der Überlieferung garantierte Kontinuität des Überlieferten die Voraussetzung für immer neue Sprechsituationen ist. Weil sich die Tradierung der Texte sowohl gegenüber der ursprünglichen Senderinstanz als auch gegenüber den Tradenten verselbständigt, ist jede sekundäre Sprechsituation ›neu‹ und erstmalig gegenüber dem Text. Zugleich steht diese in der Tradition sekundärer Sprechsituationen, so dass sich die aktuell den Text Lesenden unter Umständen in einer Jahrhunderte alten Tradition der Lektüre befinden. Auch auf der Rezeptionsseite kann daher zwischen historisch unterschiedlich zu situierenden Lesenden differenziert werden: Texte werden in bestimmten historischen, kulturellen, sozialen
394
Um die variable historische Positionierung von Rezipienten und Autor(en) anzudeuten, sind die beiden Größen der außertextlichen Wirklichkeit im Schema auf derselben Ebene, nicht aber derselben Höhe angesiedelt. 395 Vgl. hierzu EHLICH, Text und sprachliches Handeln, 32.35.39.
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
103
und theologischen Situationen und in ganz spezifischen Kontexten gelesen. Dies ist im Schema durch die Position des (realen) Rezipienten 1–3 angedeutet. Zudem können diese verschiedenen Positionen nicht nur von verschiedenen, sondern auch von einer Person eingenommen werden, der zu verschiedenen Zeiten oder in unterschiedlichen persönlichen Situationen und Stimmungen liest. Diese Lektüren finden in einem bestimmten Kontext, in Einzellektüre, selbst gewählten Lektürezirkeln oder in normierenden, identitätsstiftenden Gemeinschaften statt, durch die die Lektüre beeinflusst wird. So unterscheidet sich z.B. der wissenschaftliche Lektürekontext mit seinen spezifischen Spielregeln von einem in einem Gottesdienst vorgegebenen Lektürerahmen. In diesen pluralen Rezeptionssituationen spielen viele Faktoren eine Rolle. Es macht einen Unterschied, ob ein Text in einem exegetischen Hauptseminar oder in einem Bibliodrama ausgelegt wird, ob er wohl situiert in Europa oder in einem Slum gelesen wird etc. Die mit Zeit und Ort, Kontext und Funktion der Lektüre verbundenen Veränderungen können nicht mit dem Hinweis auf die unterschiedliche Kontextgebundenheit der Lesenden abgetan werden, sondern verändern die Lese- und Rezeptionsprozesse des Textes so grundlegend, dass sich ihrer bewusst zu werden, integraler Bestandteil der Textanalyse ist.396 Sich des eigenen Lesens bewusst zu werden, macht den Lektüreprozess zu einer ›LesArt‹, einer Lesekunst.397 Auf zwei besondere Lesesituationen sei eigens hingewiesen: Die Lektüre muss nicht erst mit dem (End)Text einsetzen, sondern kann noch im Entstehungsprozess eines Textes erfolgen: So kann der reale Rezipient 1 den Text lesen, der über die Autorfiguration I einem Autor I zugeschrieben wird. Auf diese Weise kann man den realen Rezipienten 1 historisch (frühestens) der Autorfiguration I zuordnen. Damit würde dieser Leser in der Entstehungsgeschichte des Textes zu verorten sein. Eine zweite besondere Lesesituation besteht im Hinblick auf den masoretischen Text: Der masoretische Text selbst ist deutlich durch die Spuren, die die Lektüre der Masoreten hinterlassen hat, gekennzeichnet. Weil bei diesen die Art, wie der Text gelesen wurde, dokumentiert ist, sind die uns heute als (End)Text der hebräischen Bibel vorliegenden masoretischen Texte eine Mischung aus alter Textproduktion und jüngerer Lektüretradition, in denen Lesespuren hinterlassen wurden. Diese Lesespuren der verschiedenen masoretischen
396
Eine genaue Analyse dieser Rezeptionsprozesse steht im Mittelpunkt der Kognitiven Narratologie, die sich in den Literaturwissenschaften bereits etabliert hat. Ihre Auswertung für die Exegese biblischer Texte steht noch aus. 397 Vgl. hierzu SCHÖTTLER , Monopolverlust und Gotteskrise, 116–149. Zur rezeptionsästhetischen Lektüre biblischer Texte vgl. Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation, 48–50.
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
Gruppen sind für uns heute als Produktionsspuren der Textüberlieferungsgeschichte sichtbar.398 4.4.6. Der ›auctor‹ Gott und die Rezeptionsgemeinschaft als theologische Größe Der Pluralisierung der Produktions- und Rezeptionsseite sind in einem theologischen Rahmen noch zwei weitere Größen hinzuzufügen: Wird die Bibel im Kontext von Glaubensgemeinschaften gelesen,399 verändert sich die Frage nach der Produktions- und Rezeptionsseite des Textes eigens. Im Rahmen der Glaubensgemeinschaft wird der Text ›Bibel‹ als ›Heilige Schrift‹ verstanden. Die Lesenden verorten sich selbst als synchrone und diachrone Glaubensgemeinschaft400 in einem Interpretationsrahmen, in dem sie die Bibel als Dokument des Glaubens und als inspirierte Schrift lesen, die sie zu ›Hörern des Wortes‹ macht: »Das Buch der Bücher ist die Bibel, insofern Menschen sie als Heilige Schrift lesen und so an dieses Wort Gottes glauben, d.h. in diesem Buch eine Begegnung mit Gott vermittelt sehen, die sie in die Aussage fassen, daß die Bibel Gottes Wort in Menschenwörtern sei.«401 Offenbarung wird dabei als »ein dynamischer Vorgang zwischen Gott und Mensch, der immer wieder nur in der Begegnung Wirklichkeit wird«402 verstanden. In diesem dynamischen Prozess werden permanent Grenzen überschritten: »Das biblische Wort bezeugt die Offenbarung, faßt sie aber nicht so, daß sie darin aufginge und nun wie ein Ding 398
Vgl. hierzu DOHMEN, Biblische Auslegung, 183. Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit der Textkritik sowohl auf der Rezeptions- als auch auf der Produktionsseite zu verankern: Sie ist ein Produkt von Lektüren, die aber zugleich – unter bestimmten Regeln – ›neue‹ Texte produziert. Zur Diskussion um historisch-kritische Editionen in der Literaturwissenschaft: NOWAK, Umbruch-Zeiten, 1–24; SCHEIBE, Probleme der Autorisation, 57–72; vgl. auch das Sonderheft der Zeitschrift für Deutsche Philologie. Sonderheft 116 (1997); J ANNIDIS / LAUER / MARTINEZ / W INKO, Rede über den Autor, 25–28 sowie B OHNENKAMP, Autorschaft und Textgenese, 62–79. 399 Unter ›Glaubensgemeinschaften‹ sind alle Glaubensgemeinschaften zu verstehen – die christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften genauso wie das Judentum und ihre unterschiedlichen Lesegemeinschaften. Wenn im Folgenden immer von ›der Kirche‹ die Rede ist, steht diese für die Vielzahl an Glaubensgemeinschaften, in denen die Bibel als ›Heilige Schrift‹ gelesen und rezipiert wird. Vgl. zur Frage der Bedeutung von Rezeptionsgemeinschaften für die Textinterpretation auch FISH, Authority of interpretive Communities. 400 So DOHMEN, Vom vielfachen Schriftsinn, 25; vgl. auch DOHMEN, Rezeptionsforschung, 123–134. 401 DOHMEN, Die Bibel und Ihre Auslegung, 29–30. Vgl. zum Folgenden auch RAHNER , Schriftinspiration; RAHNER , Grundkurs, 143–177; SCHMITZ, Offenbarung; LOHFINK, Irrtumslosigkeit, 161–181; GABEL, Inspirationsverständnis; GABEL, Inspiration, 535–542; HOFF, Offenbarung Gottes. 402 RATZINGER , Schriftauslegung, 41.
4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
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in die Tasche gesteckt werden könnte. Die Bibel bezeugt die Offenbarung, aber der Begriff der Offenbarung als solcher reicht weiter. Praktisch bedeutet dies: Ein Text kann mehr besagen, als sein Autor selbst sich dabei zu denken vermochte. […] Es gibt einen Sinnüberschuss des Einzeltextes über seinen unmittelbaren historischen Standort hinaus, und darum bestand die Möglichkeit, ihn in einem neuen historischen Kontext aufzugreifen und in größere Bedeutungszusammenhänge zu stellen – das Recht der relecture.«403 Zugleich entstehen durch den gewählten Rezeptionsrahmen (neue) Grenzen, die durch die Spielregeln des jeweiligen Diskurses entstehen: Dies gilt für wissenschaftliche Analysen genauso wie für Lektüren im Rezeptionsraum ›Kirche‹. Die Lesegemeinschaft404 ›Kirche‹ eröffnet dabei sowohl neuen Interpretationsraum, der sich offen für den nicht von Menschen herzustellenden Sinnüberschuss zeigt, und setzt als normorientierte und normierende Gemeinschaft zugleich dem Auslegungshorizont Grenzen. Insofern entsteht ein neuer, breiter, aber eben nicht grenzenloser Interpretationsraum, der bestimmte Bedeutungskonzeptionen favorisiert.405 Innerhalb dieses Rezeptionsrahmens zielt die Bibelauslegung nicht allein auf persönliche Erbauung, sondern auf gemeinschaftliche, generationenübergreifende Glaubensvollzüge.406 Dieser Lektürerahmen bedeutet nicht nur eine veränderte Rezeptionssituation, sondern ist die Konsequenz einer im theologischen Rahmen vorgenommenen Interpretation der Autorenseite: Grundlage und Basis der Lesegemeinschaft ›Kirche‹ ist es, die ›Heilige Schrift‹ in Gott selbst gegründet zu sehen und Gott als ›auctor‹ der biblischen Schriften zu verstehen. Die biblischen Texte werden nun nicht mehr nur als ein Stück antiker Literatur, sondern als ›Gotteswort in Menschenworten‹ und Zeugnis vom Offenbarungsgeschehen Gottes verstanden: »Alle Schriftworte sind Menschenworte und zunächst als solche auszulegen. Aber sie beruhen auf ›Offenbarung‹, d.h. auf dem Berührtwerden von einer Erfahrung, die über den eigenen Erfahrungsvorrat des Verfassers hinausgeht. In Menschenworten spricht Gott, und so entsteht die eigentümliche Inkongruenz des konkreten Wortes gegenüber dem, wovon es kommt.«407 Damit wird die Frage nach 403
RATZINGER , Schriftauslegung, 41. Vgl. zu dem Terminus STEINS, Lesewesen Mensch, 689–699. 405 So kann beispielsweise als ein (sekundärer) Kontext (vgl. Kap. I. 4.4.1.) für die Auslegung des Hohenliedes die allegorische Deutung in Anschluss an GREGOR VON NYSSA gewählt werden (vgl. hierzu SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER , Das Hohelied, 83– 91). Entscheidend ist, dass die Wahl des Auslegungskontextes transparent gemacht wird und damit als Wahl sichtbar wird. Dies gilt nicht nur für Kirchenväterlektüren, sondern ganz grundsätzlich für alle Auslegungen; so ist auch die Wahl des sekundären Kontextes ›Autorintention‹ als eine solche Wahl offenzulegen. 406 Vgl. hierzu DOHMEN, Vom vielfachen Schriftsinn, 52–53. 407 RATZINGER , Schriftauslegung, 41. 404
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
der Produktionsseite um eine Ebene erweitert: Statt wie bisher nur menschliche auctores anzunehmen, werden diese aus der Perspektive einer glaubenden Rezeptionsgemeinschaft von ihrem göttlichen auctor ›verschnürt‹, wie auch immer man die Zuordnung von göttlicher Autorenschaft und menschlicher Verfasserschaft im Einzelnen konzeptualisiert.408 Dabei ist es höchst aufschlussreich, dass Dei Verbum 11 die plurale Verfasserlage – Gott und Menschen – in Bezug auf die biblischen Schriften mit dem gleichen Lexem auctor bezeichnet: Sowohl die ›menschlichen Verfasser‹ als auch Gott als ›Urheber‹ werden im lateinischen Text als auctor(es) bezeichnet.409 Daher stellt sich innerhalb dieses Interpretationsrahmens die Frage nach der im Text erkennbar werdenden Spur ›Gott‹ und der mit ihr verbundenen Frage nach der intentio auctoris. Glaubenserfahrungen von Menschen kristallisieren sich zum einen in der spannungsvollen Einheit von Glaubenstext, Lebenstext und Bibeltext heraus, zum anderen verhilft der Bibeltext als geronnene Glaubenserfahrung den eigenen (Glaubens-) Erfahrungen zu einer Sprache und profiliert diese Erfahrung.410 Dies ist bereits schon innerhalb der biblischen Überlieferung angelegt, wenn Mose als der erste Ausleger der Tora beschrieben wird; damit wird deutlich, dass zur biblischen Überlieferung die Auslegung gehört.411 Damit müssen den ›inspiriert‹ verstandenen Verfassern der Bibel ›inspirierte‹ Leserinnen und Leser412 entsprechen, um in das dynamisch-kreatorische Geschehen413 ›Offenbarung‹ eintreten zu können.414 Das hier vorgestellte Kommunikationsmodell kann also nicht nur im Hinblick auf seine historischen Entstehungs- und Lektüregeschichten erweitert, sondern auch um theologische und spirituelle Tiefendimensionen bereichert werden. Diese brauchen nicht als eine (exegetisch-literatur408 Vgl. das Konzept der ekklesiologischen Verankerung der doppelten Verfasserschaft der biblischen Schriften bei RAHNER , Schriftinspiration; vgl. hierzu DOHMEN, Exeget, 6–11. 409 Dei Verbum 11: »... Deum habent auctorem atque ut tales ipsi Ecclesiae traditi sunt. In sacris vero libris conficiendis Deus homines elegit, ... ut Ipso in illis per illos agente, ea omnia eaque sola, quae Ipse vellet, ut veri auctores scripto traderent« bzw. »... weil sie Gott zum Urheber (auctorem) haben und als solche der Kirche übergeben worden sind. Zur Abfassung der heiligen Bücher hat Gott Menschen erwählt, die ihm durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten und Kräfte dazu dienen sollten, all das und nur das, was er – in ihnen und durch sie wirksam – geschrieben haben wollte, als echte Verfasser (veri auctores) schriftlich zu überliefern«. Zu Dei Verbum 12 vgl. auch LOHFINK, Der weiße Fleck in Dei Verbum, 20–35. 410 Vgl. hierzu SCHÖTTLER , Rezeptionsästhetik und Schriftauslegung, 13–33. 411 Vgl. OTTO, Mose, 98. 412 Vgl. KÖRTNER , Der inspirierte Leser. 413 Vgl. RATZINGER , Schriftauslegung, 41. 414 Vgl. hierzu auch das Kapitel »Sinn der inspirierten Schrift«, Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation, 68–74.
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4. ›Autorfunktion‹ und ›Autorfigurationen‹
wissenschaftlich) inadäquate Frage außen vor zu bleiben, sondern können als ein möglicher Bezugsrahmen in die Textauslegung integriert werden.415
Rezeptionsgemeinschaften außertextliche Wirklichkeit (K I) 5H]LSLHQW± Erzählung (K II) Erzählstimme
¿NWLRQDOHU$GUHVVDW
Figur A
Figur C:
Rede (K III)
Figur B
Figur D:
Figur X:
Rede (K III) Rede in der Rede (K IV) $XWRU¿JXUDWLRQ, ± ,,, Autor 1–3 Gott
4.7. Fazit Mit dem hier vorgestellten Konzept der Autorfiguration(en) kann ein theoretischer Rahmen etabliert werden, der es erlaubt, in die bislang ahistorisch und textimmanent konzeptualisierte (Erzähltext-)Analyse der biblischen Texte die historische Fragestellung methodologisch reflektiert zu integrieren. Textgenetische Reflexionen können in ein prinzipiell am vorliegenden Text, meist als ›synchron‹ bezeichnetes Modell über die Frage der Autorfigurationen eingebracht werden. In einer narratologisch-historischen Methodologie kann dem Anliegen der historisch-kritischen Exegese ein Ort zugewiesen werden, indem in einem integrativen Modell ein Dialog zwischen beiden Textzugängen initiiert wird. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass das hier vorgeschlagene Modell einer narratologisch-historischen Methodologie auf der Produktions- und Rezeptionsseite historisch verankert ist. Beide können als sekundäre Kontexte Interpretationsräume für den primären Kontext ›Text‹ ermöglichen. Daher eröffnet die Frage 415
Hier ist noch umfassende Forschungsarbeit nötig, um die Frage der Bedeutung von Normen setzenden Rezeptionsgemeinschaften methodologisch und methodisch differenziert in den Kontext der Textauslegung einzuordnen; entsprechende Perspektiven konnten hier nur angedeutet werden.
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Kap. I: Der Entwurf einer narratologisch-historischen Methodologie
nach den Autorfigurationen nicht nur den Weg von der Erzähltextanalyse in die Entstehungsgeschichte, sondern auch in die Rezeptionsgeschichte. Beide Perspektiven liegen im genuinen Interesse der Exegese: »Schriftauslegung muß sich folglich in der Korrespondenz von Geschichte und Gegenwart vollziehen: Sie hat immer mit ›mehreren Sinnen‹ der Schrift zu tun, und sie bleibt nur dann lebendig, wenn in ihr die Synchronie und die Diachronie der Glaubensgemeinschaft sichtbar bleiben.«416
416
DOHMEN, Vom vielfachen Schriftsinn, 66.
Kapitel II
Lektüren in den Königsbüchern Kap. II: Lektüren in den Königsbüchern »Mit ›wörtlicher Lektüre‹ meinen wir hier die Lektüre des hebräischen Originaltextes. Weder aufgrund der Aura, die ihm sein hohes Alter verleiht, noch weil er sämtlichen Übersetzungen vorausgeht, sondern vor allem, weil die Bedeutung dieses Textes bis in die kleinsten Einzelheiten eben vom Gewebe der Sprache getragen wird, kommt ihm der Vorrang zu. Nichts ist hier gleichgültig: weder die Wahl der Worte, noch ihre grammatische Form, noch ihre syntaktische Anordnung, nicht einmal ihre Klanggestalt und noch weniger das weitläufige Netz von Entsprechungen – Echos, Parallelismen, Gegensätze –, die diese mannigfaltigen Bestandteile der Sprache untereinander verbinden. Wie in einem Gedicht ist hier jede sprachliche Einzelheit bedeutsam, und diese poetische Dimension gewährt dem Text die ganze Fülle seines Sinns. Für die jüdische Tradition ist dieser Sinn darum unerschöpflich: Innerhalb des Netzes aus Zwängen, das von den Sprachzeichen des Textes gebildet wird, ist die Auslegung frei, die leeren Stellen und Ränder zu füllen und in jeder Generation neue Lesarten vorzulegen. Im Gegensatz zu aller dogmatischen Sicht ist es genau dieses ständige Erfinden eines neuen Sinnes, das für die jüdische Tradition das Wesen der Offenbarung ausmacht.«1
1. Strukturen in den Königsbüchern 1. Strukturen in den Königsbüchern
Das erste und das zweite Buch der Könige sind keine zwei getrennten ›Bücher‹, sondern bilden einen Buchzusammenhang, wie die Schlussmasora in 2 Kön 25,30 bestätigt.2 Die Trennung in zwei Bücher ist erst von der LXX aufgrund des beträchtlichen Umfangs vorgenommen worden, die später von der Vulgata und erst im 15. Jh. n. Chr. von hebräischen Bibelausgaben übernommen wurde. Weil die Teilung in zwei Bücher pragmatische Gründe hat, hat diese keine wegweisende Funktion, wenn man nach der internen Erzählstruktur der Königsbücher fragt. Die siebenundvierzig Kapitel der Königsbücher haben keinen zentralen Protagonisten, der die Handlung durchgehend tragen würde oder um den der Stoff arrangiert wäre. Stattdessen vereinen sie höchst unterschiedliches Material und eine Fülle von Themen: Die wechselvolle politische Ge1
MOSÈS, Eros und Gesetz, 7. Beide Bücher zusammen haben die Länge einer handhabbaren Schriftrolle, vgl. WALSH, Kings, 368. Zur Struktur des DtrG vgl. auch BARNHART, Fabrications, 231–236; HARVEY, Structure of Deuternomist History, 237–258. 2
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Kap. II: Lektüren in den Königsbüchern
schichte der beiden staatlichen Einheiten mit ihren jeweiligen Königshäusern ist von prophetischen Überlieferungen durchzogen, Eingang- und Schlussformeln zur Präsentation der einzelnen Könige rahmen in sich stehende Erzählkomplexe etc. Will man diese verschiedenen, zum Teil disparaten Erzähllinien strukturieren, werden bei jedem Gliederungsvorschlag automatisch bestimmte Merkmale dominant gesetzt, denen andere untergeordnet werden.3 Richtet man den Blick auf die staatlichen Strukturen, dann kristallisieren sich in den Königsbüchern drei große Abschnitte entsprechend der drei unterschiedlichen ›staatlichen‹ Gebilde heraus:4 Der erste Abschnitt erzählt die Geschichte des einen ›Staates‹ unter König Salomo (1 Kön 1–11), der zweite die unterschiedliche Geschichte der beiden getrennten Staaten bis zum Untergang des Nordreiches (1 Kön 12–2 Kön 17) und der dritte die Geschichte Judas bis zum Ende des Südreiches (2 Kön 18–25). Diese Dreiteilung kann sowohl linear als auch konzentrisch gelesen werden: Im Sinne einer linearen Lektüre erzählen die Königsbücher die Geschichte von der Blüte der Staatlichkeit unter Salomo über ihren sukzessiven Verfall bis zum zeitverzögerten Ende der staatlichen Selbstständig3
Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl anderer Gliederungsvorschläge der Königsbücher, drei seien exemplarisch genannt: NELSON gliedert die Königsbücher in fünf Abschnitte: 1. A Kingdom of Shalom (1 Kön 1–10); 2. Shalom is broken (1 Kön 11–16); 3. Israel under the Prophetic Word (1 Kön 17–2 Kön 8,15); 4. Israel’s Last Chance and the End (2 Kön 8,16–17); 5. Judah: Paradox of Promise and Punishment (2 Kön 18–25); vgl. NELSON, Kings, vii–viii. Mehrere Aspekte dieser Struktur sind problematisch: 1. Die Abgrenzung zwischen 1 Kön 10 und 11 zerreißt die salomonische Ära; 2. die Überschrift des dritten Abschnitts privilegiert Elija und Elischa gegenüber den vielen anderen Propheten, die in den Königsbüchern auftreten; 3. die Abgrenzung zwischen 1 Kön 8,15 und 8,16 trennt sowohl den ElischaTeil, als auch die Omridenzeit. WISEMAN beschreibt fünf Abschnitte; dabei stellt er jeweils den Aspekt der Staatsgeschichte in den Vordergrund: 1 Kön 1–2 (»The Last Days of David and Salomon’s Accession«); 2 Kön 3–11 (»The reign of Solomon«); 1 Kön 12–2 Kön 10 (»The History of the Divided Kingdom«); 2 Kön 11–17 (»The History of Judah and Israel to the Fall of the Northern Kingdom«); 2 Kön 18–25 (»The History of Judah to the Fall of Jerusalem«); vgl. WISEMAN, Kings, 60–66. HOUSE hingegen gliedert in sieben Abschnitte: 1. The Rise of Salomo (1 Kön 1–2); 2. Salomo’s Reign (1 Kön 3–11); 3. The Divided Kingdom and the Rise of Idolatry (1 Kön 12–15,32); 4. Elijah’s Opposition to Idolatry and Oppression (1 Kön 17–2 Kön 1); 5. Elisha’s Work as Prophet, Miracle Worker, and Kingsmaker (2 Kön 2–13); 6. Israel Disintegrates (2 Kön 14–17); 7. Judah Disintegrates (2 Kön 18–25); vgl. HOUSE, Kings, 60–61. Zu fragen ist, ob erstens die Abgrenzung zwischen 1 Kön 2 und 3 die gleiche Qualität hat wie die anderen Einschnitte in der Erzählung; ferner ist anzumerken, dass die »Idolatry« bereits in 1 Kön 11 unter Salomo beginnt und drittens die beiden Überschriften »Israel / Judah Disintegrates« zum einen zu negativ sind und zum anderen der unterschiedlichen Entwicklung in den beiden Staaten durch die Parallelisierung nicht gerecht werden. Vgl. auch HOBBS, 2 Kings, 327–334. 4 Vgl. u.a. GRAY, Kings; HENTSCHEL, Königsbücher, 240; WERLITZ, Könige, 14; HENSPIAZZA, 1–2 Kings, 5.
1. Strukturen in den Königsbüchern
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keit in Israel und anschließend in Juda. Deutliche Strukturmarker hierfür sind die Einleitungs- und Schlussformeln,5 mit denen die Regentschaft eines jeden Königs gerahmt wird: Wie ein Gitter markieren diese Rahmenstücke mit ihren chronologischen Angaben den erzählten Stoff durch die Regierungsdaten der einzelnen Könige und legen damit Gliederungsschneisen in den Text. Sie unterbrechen den Erzählfluss und eröffnen bzw. schließen Handlungszusammenhänge. Ihre stereotypen Formulierungen und ihre fast immer gleiche Form rhythmisieren die Erzählungen. Inhaltlich stellen sie den einzelnen König vor und bewerten seine Leistungen und ›Verfehlungen‹. Zugleich schaffen sie durch die von ihnen hergestellten genealogischen Zusammenhänge familiäre Bande und verknüpfen damit die einzelnen Erzählungen miteinander. Durch diese erzählerische Kohärenz wird politische Kontinuität erzeugt, vor der dynastische Brüche dann deutlich hervortreten. Neben der linearen Lektüre kann die Dreiteilung der Königsbücher auch konzentrisch gelesen werden:6 Bei dieser steht der mittlere Teil als der längste im Zentrum. In ihm wird die Geschichte der getrennten ›Staaten‹ Israel und Juda erzählt. Anders als in den beiden äußeren Abschnitten finden sich in ihm zahlreiche prophetische Gestalten: der Gottesmann aus Juda und der Prophet aus Bet-El in 1 Kön 13, Ahija in Schilo in 1 Kön 14, Micha ben Jimla und die anderen Propheten in 1 Kön 22 und natürlich Elija und Elischa. Die prophetischen Erzähllinien treten zu der politischen Geschichte der israelitischen und judäischen Königshäuser hinzu. Zudem wird die konzentrische Struktur dadurch verstärkt, dass der mittlere Abschnitt seinerseits konzentrisch gegliedert ist: Die Erzählungen über die Verselbständigung des Nordreiches unter Jerobeam (A: 1 Kön 12–14) korrespondieren mit den Erzählungen über das staatliche Ende des Nordreiches (A’: 2 Kön 17). Summarische Berichte über die Könige von Juda und Israel (B: 1 Kön 15–16,22; B’: 2 Kön 14–16) rahmen den mittleren Teil im Zentrum (C: 1 Kön 16–2 Kön 13), der sich durch drei markante Themen auszeichnet: erstens die Herrschaft der Omriden, zweitens das Auftreten einer Vielzahl von Propheten v.a. Elija und Elischa und drittens Aufstieg und Ende des Baalskultes.
5 Vgl. hierzu ausführlich T IMM, Dynastie Omri, 14–52; vgl. die gute Übersicht in BURNEY, Notes, ix–xii; vgl. ebenso KAISER, Einleitung, 163–164; HENTSCHEL, Königsbücher, 242. 6 Vgl. die gesamtkonzentrische Struktur der Königsbücher bei SAVRAN, 1 and 2 Kings, 148: A. Salomon / United Monarchy (1 Kön 1–11); B: Jeroboam / Rehoboam (1 Kön 12–14); C: Kings of Judah / Israel (1 Kön 15–16,22); D: Omride Dynastie; rise and fall of Baal cult in Israel and Judah (1 Kön 16,23–2 Kön 12); C’: Kings of Judah / Israel (2 Kön 13–16); B’: Fall of the Nothern Kingdom (2 Kön 17); A’: Kingdom of Judah (2 Kön 18–25) Dieser Gliederung schließt sich WALSH (Kings, 373–374) mit nur wenigen Änderungen an.
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Kap. II: Lektüren in den Königsbüchern
A: Rehabeam und Jerobeam (1 Kön 12–14) B: weitere Könige von Juda und Israel (1 Kön 15–16,22) C: Die Omridendynastie und der Elija-Elischa-Zyklus (1 Kön 16,23–2 Kön 13) B’: weitere Könige von Juda und Israel (2 Kön 14–16) A’: Das Ende des Nordreiches Israel (2 Kön 17)
Da keine der beiden Lektüreperspektiven die andere ausschließt, können die Königsbücher in ihrer doppelten Struktur sowohl linear als auch konzentrisch gelesen werden: In den linearen Verlauf der Geschichte ist eine konzentrische Struktur integriert, in dessen Zentrum das Haus der Omriden und prophetische Gestalten stehen.
2. Die Erzählstimme in den Rahmenformularen 2. Die Erzählstimme in den Rahmenformularen
Die Rahmenformulare bestehen aus einer Einführungs- und einer Schlussformel: Die Einführungsformel hat idealtypisch fünf Elemente: erstens die synchronistische Datierung des Regierungsantritts, zweitens die Angabe des Alters bei Thronbesteigung (nur bei den judäischen Königen), drittens die Feststellung der Regierungsdauer, viertens der Name der Königinmutter (nur bei den judäischen Königen) und fünftens das abschließende Urteil über den König. Die Schlussformel besteht aus vier Elementen: erstens der Hinweis auf ausführlichere Quellen, zweitens die Nachricht des Todes, drittens die Nachricht über die Bestattung (nur bei den judäischen Königen) sowie viertens die Nennung des Nachfolgers. In den Königsbüchern nehmen die Rahmenformulare eine zentrale narrative Funktion ein. Aus der Perspektive des Kommunikationsmodells sind die Rahmenformulare auf der zweiten Kommunikationsebene angesiedelt und insofern Ausdruck der Erzählstimme. Weil die Rahmenformulare die Königsbücher nicht nur deutlich strukturieren, sondern die Figuren und das Geschehen auch stark bewerten, eignen sie sich besonders, um an ihnen den Charakter der Erzählstimme zu analysieren. Im Rahmenformular ist die Anwesenheit der Erzählstimme als extradiegetisch und heterodiegetisch zu bestimmen. Sie tritt als explizite Sprecherin auf, was – auf den ersten Blick – im Kontrast zu dem formelhaften Charakter des Rahmenformulars steht, das vermeintlich ›Objektivität‹ und ›Neutralität‹ insinuiert. Das gesamte Rahmenformular ist ein Erzählstimmenkommentar, der nicht die Funktion hat, die Handlung voranzutreiben, sondern diese zu reflektieren. Fast alle Elemente der Einleitungs- und Schlussformeln haben explanative Funktion: Sie erscheinen rein informativ, um die fiktionalen Adressaten und damit die Lesenden mit den wichtigen und notwendigen Angaben zu versorgen. Nur die Bewertung des jeweiligen Königs hat deutlich evaluativen Charakter. Als letztes Element der Einleitungsformel leitet die Bewertung in die Erzählung über. Damit
2. Die Erzählstimme in den Rahmenformularen
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perspektiviert die Erzählstimme die Lektüre durch das Urteil ›recht‹ bzw. ›schlecht‹ und gibt auf diese Weise eine Bewertung vor, mit der die folgende Geschichte über den jeweiligen König gelesen wird. Die geschieht, bevor die Lesenden sich ein eigenes Urteil über den König bilden können. Die Bewertung der Erzählstimme wird erzählerisch nicht als ›ihre‹ Bewertung präsentiert, sondern diese wird explizit aus der Perspektive JHWHs fokalisiert: Die Erzählstimme gibt wieder, was »in den Augen JHWHs« »gut« und was »schlecht« sei.7 Damit präsentiert die explizit auftretende Erzählstimme die Wertung als die Perspektive Gottes. Trotz des numerischen Übergewichts an explanativen Elementen hat das Rahmenformular dominant evaluative Funktion, ist doch das Entscheidende an dieser Formel die proleptische Rezeptionslenkung durch die direkt wertende Beurteilung der Könige, bevor sich die Lesenden ein eigenes Urteil bilden können. Mit der am Anfang stehenden Wertung tritt die Erzählstimme klar als explizite Sprecherin auf und fungiert somit sowohl analytisch, als auch synthetisch: Ohne direkten Bezug knüpft sie antizipierend an das noch zu Erzählende an und fasst aus ihrer späteren Perspektive das noch zu Erzählende am Anfang abstrahierend, generalisierend und wertend zusammen. Mit dem nur mittelbaren Bezug zur erzählten Welt insinuiert sie einen hohen Grad von Allgemeingültigkeit. Mit dieser Rezeptionslenkung stärkt die Erzählstimme zugleich den Kommunikationskanal zu den fiktionalen Adressaten und Lesenden, denen sie zugleich ihr durch JHWHs Augen fokalisiertes Werte- und Normensystem als das Werte- und Normensystem präsentiert. Auf diese Weise erzeugt sie eine Gemeinsamkeit mit den Rezipierenden, was die Funktion hat, Distanz zu verringern. Zugleich erfüllt das Rahmenformular eine vermittlungsbezogene Funktion: Das erste Element der Schlussformel, das in Form einer rhetorischen Frage auf weitere Quellen verweist, gehört zu den wenigen Beispielen in den Königsbüchern, wo das ›Ich‹ der Erzählstimme durch die Form der Frage, die sich an das ›Du‹ des fiktionalen Adressaten richtet, sprachlich sichtbar wird. Damit wird der Akt des Erzählens selbst thematisiert, indem die Erzählstimme den Kontakt zu ihren Adressaten durch die sprachliche Gestalt der Frage pflegt. Darüber hinaus dient der Verweis auf ihre quellengestützte Darstellung der Sicherung ihrer Autorität. Auf diese Weise schließt die Schlussformel mit ihrem ersten Element an das letzte, höchst evaluative Element der Eröffnungsformel an. Beide haben die Funktion, die Glaubwürdigkeit der Erzählstimme zu erhöhen.
7
»NN tat, was recht bzw. schlecht in den Augen JHWHs war« (hw"hy>
rv'Y"h; hf[). Vgl. auch KRATZ, Die Komposition, 163–167.
ynEy[eB. [r;h' bzw.
114
Kap. II: Lektüren in den Königsbüchern
Dass die Erzählstimme aus judäischer Perspektive erzählt,8 zeigt sich erstens an dem erweiterten Einleitungsformular für den judäischen König und zweitens an der positiven Bewertung dynastischer Kontinuität, die nur Juda aufweisen kann. Drittens wird durch die die ganzen Königsbücher durchziehenden Rahmenformulare für die Könige von Juda verdeckt, dass das Südreich Juda de facto im zweiten Abschnitt der Königsbücher jenseits der Rahmenformulare und ihrer Überkreuzdatierungen kaum eine Rolle spielt. Durch die Rahmenformulare ist Juda im Erzählverlauf regelmäßig präsent, ohne dass Erzählungen, die in Juda spielen würden, berichtet werden. Dies bedeutet, dass der mittlere Teil der Königsbücher keine Erzählung über die Staaten Juda und Israel ist, sondern de facto die Geschichte des Nordreiches Israel erzählt.9 Durch das regelmäßig vorkommende Rahmenformular erscheinen beide Staaten als gleichwertig, was sie aber eigentlich nicht sind. Viertens zeigt sich in den abschließenden Urteilen der Einleitungsformeln, aus welcher Perspektive das Geschehen bewertet wird. So werden mehr Könige Judas als Könige aus dem Nordreich positiv bewertet, was zeigt, dass die Bewertungen der Könige aus einer ›judäischen‹ Perspektive erfolgt. Hierfür spricht auch eine fünfte Beobachtung: Die Erzählstimme rekrutiert ihren evaluativen Maßstab aus dem Erzählkontext des ersten Abschnitts der Königsbücher (1 Kön 1–11). Die die Königsbücher durchziehenden Bewertungen gehen auf die letzte Rede des sterbenden König Davids an seinen Sohn zurück (1 Kön 2,2–4): In dieser verpflichtet David Salomo auf alles, was JHWH zu halten angewiesen hat (^yh,l{a/ hw"hy> tr,m,v.mi-ta, T'r>m;v'w>; 1 Kön 2,3): erstens auf den Wegen JHWHs zu gehen (wyk'r'd>Bi tk,l,l'), zweitens sich an alle seine Gebote zu halten (wyt'wOd>[ew> wyj'P'v.miW wyt'wOc.mi wyt'Qoxu rmov.li) und drittens verpflichtet David seinen Sohn auf die Tora des Mose (hv,mo tr;AtB. bWtK'K;). Werden die zukünftigen Generationen auch ›auf diesen Wegen gehen‹ (1 Kön 2,4), sieht David den Bestand der Königsdynastie als gesichert an. Damit bindet er den Bestand der Dynastie an das Handeln der künftigen Könige. Am Beginn der Königsbücher, in denen es nicht mehr wie in den Samuelbü8
DANELIUS spricht von einem »Judaean narrator« (DANELIUS, Sins of Jerobeam, 95). Fast alle Erzählungen sind im Nordreich verortet. Es gibt kaum Erzählungen, die im Südreich Juda spielen oder explizit von diesem berichten (nur 2 Kön 11; 12; 14,17–22); ein eigener Blick auf den Süden erfolgt erst, als Atalja, eine Frau aus dem Norden, Juda ›aufmischt‹ und dort die politischen Strukturen verändert. Abgesehen von 2 Kön 11 haben die (wenigen) Erzählungen, die nur in Juda spielen, weder ein politisches noch ein prophetisches Thema, sondern handeln vom Tempel und zwar stets von überfälligen Renovierungsarbeiten (vgl. in 2 Kön 12; 16,10–18). Dass die große Leistung Salomos, der Tempelbau, offensichtlich vernachlässigt und höchst baufällig sowie die Priesterschaft korrupt ist, ist kein gutes Zeugnis für Juda. Zudem nimmt Juda in den Erzählungen, in denen es denn auftritt, eine sekundäre Rolle ein und fungiert als Juniorpartner, der mitmacht, während die eigentliche Aktivität vom Nordreich Israel ausgeht (vgl. 1 Kön 22; 2 Kön 3). 9
2. Die Erzählstimme in den Rahmenformularen
115
chern um die Etablierung des Königtums, sondern um dessen Verstetigung geht, stattet die Erzählstimme die Rede der Figur David an seinen Sohn und Nachfolger mit einer genauen Anweisung aus, die für alle Generationen gilt. In seiner Rede bindet David die bedingungslose Verheißung des Königtums, die er von Natan erhalten hat (vgl. 2 Sam 7,5–16), an die Erfüllung der Tora des Mose. So wird aus der unkonditionierten Zusage Natans eine konditionierte Zusage. In Salomos Traum in der Kulthöhe von Gibeon bestätigt JHWH die Instruktion Davids (1 Kön 3,14), wobei er David als Maßstab ergänzt. Damit wird David als ›der‹ König zur der Norm und zu dem Kriterium, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. JHWH bestätigt dies erneut im Kontext des Tempelbaus (1 Kön 6,11–13), indem JHWH betont, dass nicht der Kult, sondern der Lebenswandel die entscheidende Norm ist. Dieser Bewertungsmaßstab durchzieht den ersten Teil der Königsbücher und hat die Funktion, positiv zu würdigen (1 Kön 8,25.56–61; 9,4–5.6), aber auch negativ zu urteilen (1 Kön 11,32–34). Die narrative Etablierung des Bewertungssystem wird in der Erzählung über Jerobeam fortgesetzt, indem der Prophet Ahija Jerobeam auf die Norm verpflichtet (1 Kön 11,37–39). Als stereotype Formel wird das Rahmenformular erst in der auf Salomo und Jerobeam folgenden Generation10 ab Abija von Juda (1 Kön 15,3) bzw. Nadab von Israel (1 Kön 15,25–26) auf alle in Israel oder Juda herrschenden Könige angewendet.
3. 1 Kön 13 und 22 in den Königsbüchern Im Zentrum dieser Untersuchung stehen die beiden Erzählungen in 1 Kön 13 und 22. Sie sind jeweils an herausgehobener Stelle in den Königsbüchern situiert: 1 Kön 13 steht am Beginn des mittleren Abschnitts und in der Mitte von Teil A (1 Kön 12–14). 1 Kön 22 markiert genau das Zentrum des mittleren Abschnitts und bildet damit die Mitte11 der gesamten Königsbücher. Zugleich ist 1 Kön 22 eine der wenigen Erzählungen im ElijaElischa-Zyklus, in der weder Elija noch Elischa vorkommt. 1 Kön 13 und 22 gehören beide zu den wenigen Erzählungen, in denen Propheten auftreten, die königs- und systemkritisch sind. In den Königsbüchern gibt es Propheten, die so gut wie durchgehend nur auf der Seite der Könige stehen, diesen mit ihrer Prophetie beistehen oder ihnen sogar an die Macht 10 Bei Rehabeam ist die Bewertung statt auf den König selbst noch auf »Juda« bezogen, vgl. 1 Kön 14,22. Für Salomo und Jerobeam finden sich nur die Schlussformeln (1 Kön 11,41; 14,19). 11 Die Masoreten haben zwischen 1 Kön 22,5–6 die Mitte der Königsbücher markiert (~yqwspb rpsh ycx).
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Kap. II: Lektüren in den Königsbüchern
verhelfen: Natan (1 Kön 2), der namenlose Prophet (1 Kön 20), der Gottesmann im ersten Teil (1 Kön 20,28), Elischa (z.B. in 2 Kön 6,8–23; 6,24–7,20; 9,1–3; 13,14–21) und der Prophet Jona (2 Kön 14,25) im zweiten Teil sowie Jesaja (2 Kön 19–20) und Hulda (2 Kön 22,14–20) im dritten Teil der Königsbücher. Daneben gibt es Propheten, die sowohl auf der Seite des Königs stehen und diesen unterstützen und sich zugleich auch kritisch gegenüber diesem verhalten; hierzu zählen Ahija (1 Kön 11; 14) und Elija (1 Kön 17–19; 21; 2 Kön 2). In den Königsbüchern gibt es interessanterweise nur wenige Gottesspezialisten, die sich nur königskritisch verhalten; dies sind der Gottesmann aus Juda (1 Kön 13) und Micha ben Jimla (1 Kön 22). Das macht diese beiden Erzählungen zu einem besonderen Spezifikum der Königsbücher. Interessanterweise sind die Juda-orientierten rahmenden Abschnitte der Königsbücher (Abschnitt I und III) von einer Prophetie gekennzeichnet, die dem Königtum positiv gegenüber steht, während sich nur im zweiten Abschnitt der Königsbücher Propheten finden, die zum Teil bzw. ausschließlich königskritisch sind. Dass sich die systemdestabilisierende Prophetie just am Anfang des zweiten Abschnitts und in der Mitte der gesamten Königsbücher finden, ist kein kompositorischer Zufall; vielmehr zeigt dies an, dass die Mitte der Königsbücher nicht von dem einvernehmlichen Miteinander von Macht und Prophetie gekennzeichnet sind, wie dies der Anfang und das Ende insinuieren, sondern von konfrontativer Auseinandersetzung.
Kapitel III
»Auch ich bin ein Prophet wie du!« (1 Kön 13,18). Eine Textlektüre von 1 Kön 13 Kap. III: 1 Kön 13 »I Kings 13 is one of the most puzzling prophetic legends in the OT. The most cursory reading of the history of its interpretation is witness to its perplexity, for no two interpreters agree in their exegesis. If Roland Barthes is correct when he states that those narratives in which meaning ›flees‹ paradoxically have the most significance for human life, then 1 Kings 13 should not be quick condemned as religiously and morally inferior.«1
1. Einleitung 1. Einleitung
Im Zentrum der ersten Textlektüre steht die Erzählung von 1 Kön 13, die mit den beiden Protagonisten, dem Gottesmann aus Juda und dem Propheten aus Bet-El, eine erste Konstellation des Prophetischen schildert. Zugleich wird in ihr auf politischer Ebene die Verurteilung der von Jerobeam initiierten Einweihung des Altars von Bet-El erzählt. 1 Kön 13 gilt als eine »strange story«2, die als eine der »much misinterpreted narrative«3 bezeichnet wird und äußerst unterschiedliche Bewertungen erfahren hat. So äußert sich Wellhausen negativ über die »geistliche Mache der ganzen Geschichte«4, und Greßmann urteilt: »Die Legende ist, religiös und sittlich betrachtet, minderwertig.«5 Karl Barth hingegen hält 1 Kön 13 für »die vielleicht ausdruckvollste und jedenfalls umfassendste und reichste Prophetengeschichte des Alten Testaments«6. 1.1. Der Kontext von 1 Kön 13 Die Erzählung von 1 Kön 13 ist in den Erzählungen über Jerobeam, den ersten König des Nordreiches Israels, situiert und wäre unzureichend charakterisiert, wenn man sie auf den Gottesmann aus Juda und den Prophet 1
DOZEMAN, The Way of the Man of God, 379. RICE, Nations, 110. 3 DE VRIES, Prophet against Prophet, 60. 4 WELLHAUSEN, Die Composition, 277. 5 GRESSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung, 247. 6 BARTH, Kirchliche Dogmatik, 452. 2
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Kap. III: 1 Kön 13
aus Bet-El reduzieren würde. Als Jerobeam-Erzählung, die in Bet-El spielt und von einem der wichtigsten Innovationen Jerobeams, der Einweihung des Altars berichtet, ist der narrative Kontext, in dem 1 Kön 13 steht, zum Verständnis und zur Verortung der Erzählung selbst wichtig. Daher ist die Erzählung von 1 Kön 13 nicht nur in sich, sondern auch in ihrem Jerobeam-Kontext zu betrachten. Um 1 Kön 13 zu kontextualisieren, wird zuerst der erste Abschnitt der Königsbücher (1 Kön 1–11; Kap. III. 1.1.1.), sodann die endende Herrschaft Salomos (1 Kön 11; Kap. III. 1.1.2.) und der Aufstieg Jerobeams zum König (1 Kön 12; Kap. III. 1.1.3.) beleuchtet. Während der Prophet Ahija Jerobeam in 1 Kön 11 zur Macht verholfen hat, tritt dieser in 1 Kön 14 wieder auf und kündigt das Ende Jerobeams und seines Hauses an (Kap. III. 1.1.4.). 1.1.1. Der Aufstieg und die Herrschaft Salomos (1 Kön 1–11) Der erste Abschnitt der Königsbücher (1 Kön 1–11) berichtet in seinem Hauptteil (1 Kön 3–10) von der glanzvollen Herrschaft Salomos, die von Weisheit und der Erfüllung der Gebote geprägt ist. Gerahmt wird dieser von Texten, die als Überleitungen das Erzählte mit seinem Kontext verbinden: So werden in 1 Kön 1–2 die Erzählungen über den König David zum Abschluss gebracht (2 Sam 10–1 Kön 2) und der Aufstieg seines Sohnes Salomo zum König erzählt (1 Kön 1–11). In 1 Kön 11 wird von den letzten Jahren Salomos und dem Aufstieg Jerobeams berichtet.7 Wie Salomo zum König wird, wird in den Königsbüchern als ein komplexes Wechselspiel aus politischen und prophetischen Bemühungen dargestellt, das sich in ähnlicher Form bei Jerobeam wiederholt: Adonija, der ältere Sohn Davids, hat bereits zu Lebzeiten seines Vaters die Übernahme der Regierung mit militärischen Maßnahmen und in politischen Gesprächen vorbereitet (1 Kön 1,5–10). Gegenspieler von Adonija ist der Prophet Natan, der Salomos Mutter Batseba, die Worte, die sie vor David sagen soll, in den Mund legt (1 Kön 1,11–14). Dabei nimmt Natan eine Reihe von Umdeutungen vor: Entgegen dem bisher Erzählten behauptet er, dass Adonija bereits König sei (1 Kön 1,11), und spricht von einem aus den bisherigen Erzählzusammenhängen unbekannten Schwur Davids, mit dem dieser Salomo die Königsherrschaft versprochen hätte (1 Kön 1,15). Als dann nacheinander Batseba und Natan bei David in raffinierter Rhetorik ihr Anliegen vortragen (1 Kön 1,15–21.22–27), indem sie eigene Akzentsetzungen und fast unbemerkbare, jedoch entscheidende Ergänzungen vornehmen, nötigen sie David, Salomo zu seinem Nachfolger einzusetzen 7 Vgl. zur Struktur von 1 Kön 1–11: WALSH, Kings, 151–156; anders die vierteilige Strukturanalyse (1 Kön 3,4–4,19; 4,20–9,23.24–25; 9,26–10,29; 11,1–40) von PORTEN, Structure, 93–128; STOEBE, Überlegungen, 97–108
1. Einleitung
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(1 Kön 1,28–37). Vom Propheten Natan und Priester Benaja gesalbt, gelingt es Salomo, die Königsherrschaft gegen seinen Halbbruder Adonija zu behaupten (1 Kön 1,38–53). Signifikanterweise ist Salomo selbst nach der erzählerischen Darstellung der Königsbücher an keiner Stelle in die Machenschaften um seine Thronfolge verwickelt. So wird Salomo, obwohl er nicht der Älteste ist, durch den politisch aktiven Propheten Natan zu dem vom Vater David ernannten und damit rechtmäßigen König. Erst nach dem Tod Davids tritt Salomo als handelnde Figur mit vier Morden auf (1 Kön 2,13–46).8 Der mittlere Teil des ersten Abschnitts der Königsbücher (1 Kön 3–10) dient der Konsolidierung der Herrschaft Salomos, der nun selbst aktiv auftritt: Nach der innenpolitischen Ausschaltung seiner Gegner (1 Kön 2,13– 46) festigt er seine Herrschaft außenpolitisch durch internationale Heiraten (1 Kön 3,1) und durch die Neuorganisation der Verwaltungsstruktur (1 Kön 4,1–5,8). Darauf folgt ein absolutes Novum in der Geschichte Israels: der Bau eines Tempels in Jerusalem (1 Kön 5,15–32; 8). Dies ist das zentrale Ereignis während der salomonischen Herrschaft und ist zugleich die größte Kultinnovation der bisherigen israelitisch-jüdäischen Geschichte. In der Darstellung der Königsbücher wird dies positiv als größte Leistung Salomos bewertet. Dieser epochale Einschnitt in der Kulttradition wird dadurch gerechtfertigt, dass Salomo als Vollender dessen präsentiert wird, was sein Vater David begonnen hat und was ihm zu realisieren verwehrt war. Über David erhält damit das Tempelbauprojekt allerhöchste Rechtfertigung (vgl. 1 Kön 5,17–19). Salomos glanzvolle Herrschaft (1 Kön 3–10) steht jedoch nicht ungebrochen da: Die ausführlichen Schilderungen über seine Weisheit und Klugheit, sein »hörendes Herz« und seine Treue gegenüber den Verpflichtungen seines Vaters, die seine Herrschaftsjahre durchziehen, werden von den politischen Morden am Anfang (1 Kön 2,13–46) und seinem Abfall von JHWH am Ende (1 Kön 11) gerahmt. Diese Darstellung hat die Funktion, von den negativen Seiten Salomos abzulenken und seine Talente und Fähigkeiten ins Zentrum zu stellen. Diese die Lektüre lenkende Darstellung lässt die Morde als eine unschöne Notwendigkeit am Anfang erscheinen. Dabei nehmen Salomos Vergehen am Ende (1 Kön 11,1–8) seine früheren Vorzüge mit umgekehrten Vorzeichen auf und spiegeln sie ironisch (vgl. 1 Kön 3,3; 8,58.61): So ist Salomos zentrale Verfehlung die Verehrung anderer Gottheiten (1 Kön 11,4–8), denen er eigene Kult- und Opferstätten errichtet. Dabei wird Salomo entschuldigt, weil er im Alter den 8 Diese gehen zum Teil auf die letzte Rede Davids vor seinem Tod (1 Kön 2,1–12) zurück, in der er seinen Sohn als den neuen König nicht nur auf die Tora des Mose verpflichtet (1 Kön 2,1–4), sondern auch zur Verfolgung bzw. Würdigung seiner alten Gegner aufgefordert hat (1 Kön 2,5–9).
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Kap. III: 1 Kön 13
theologischen »Verführungen« (hjn; 1 Kön 11,4) seiner Frauen erlegen sei, denen nun Salomos Liebe gelte (1 Kön 11,1.2), die früher ungeteilt JHWH gegolten habe (1 Kön 3,3).9 In seiner Rede betont JHWH (1 Kön 11,11–13), dass Salomo die von ihm aufgestellten Regeln missachtet hat und dem Maßstab ›David‹ nicht gerecht geworden ist (1 Kön 11,11 vgl. 9,4): »Because Salomon has deliberately failes to keep God’s covenant, the conditional promise of the throne of Israel is aborted«10 (vgl. 1 Kön 2,4; 8,25; 9,4–5). Salomos Verstöße haben den Schalom, der zwischen Salomo und JHWH geherrscht hat, gebrochen.11 Das Spezifikum des ersten Abschnitts der Königsbücher ist, dass nur ein König präsentiert wird, der als einziger König nach David über Juda und Israel geherrscht hat. Mit diesem Auftakt der Königsbücher wird die Lektüre gelenkt, so dass alles Folgende unter einer ›salomonischen Perspektive‹ gelesen werden kann. Mit dieser sind Motive, Erzähllinien und Wertungen verbunden, mit denen die Rolle von Prophetie und Königtum in den Königsbüchern perspektiviert und evaluiert wird. Prophetie erscheint als politisches Instrument, das sich aktiv in die Gestaltung der Politik einmischt und eine interessengeleitete Größe in der politischen Landschaft ist. Der Prophet Natan hat dabei eine Doppelrolle: Er arrangiert nicht nur die Thronfolge, sondern sorgt selbst dafür, dass sich seine eigene Prophetie (2 Sam 7,5–16) erfüllt: Das von ihm in Form einer Botenrede übermittelte Wort JHWHs (2 Sam 7,8) interpretiert er, indem er die Frage, welcher Sohn mit der in der JHWH-Rede offen gelassenen Formulierung »dein eigener Same« (2 Sam 7,12) gemeint ist, mit der Protegierung Salomos in seinem Sinne beantwortet. Dies ist im wörtlichen Sinn sich selbst erfüllende Prophetie.12 Prophetie erweist sich hier als eine politische Kraft, die ihre Spielräume aktiv nutzt. Dieser Zusammenhang von Prophetie und Politik schärft den Blick für alle weiteren Erzählungen, in denen Prophetie in politischen Machtkonstellationen aktiv wird.
9 Damit wird Salomo in Parallele zu seinem Vater David dargestellt, der im Alter mit dem die Geschicke lenkenden Propheten Natan und seiner Frau Batseba konfrontiert war, die Salomo auf den Thron gebracht haben. 10 NELSON, Kings, 70. 11 NELSON überschreibt 1 Kön 1–10 mit »A Kingdom of Shalom« und 1 Kön 11–16 mit »Shalom is broken«, vgl. NELSON, Kings, 69–70. 12 Der Eindruck der sich selbst erfüllenden Prophetie wird zudem dadurch verstärkt, dass Natan an nur drei Stellen der biblischen Überlieferung als zentrale Figur in Erscheinung tritt: bei der Weissagung an David (2 Sam 7,5–16), im Kontext von Davids Verhalten gegenüber Batseba (2 Sam 12) und bei der Thronfolge (1 Kön 1).
1. Einleitung
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1.1.2. Der Aufstieg Jerobeams (1 Kön 11) Jerobeam, ein hoher Beamter Salomos (hmol{v.li db,[,; 1 Kön 11,26), genießt als junger und begabter Mann13 das Vertrauen des Königs, der ihn zum Aufseher über das Gebiet des späteren Nordreiches einsetzt (vgl. 1 Kön 11,27–28).14 Wie der Aufsteiger Jerobeam zu beurteilen ist, wird im Text ambivalent geschildert: Zum einen wird er positiv dargestellt, weil Salomo ihm wichtige Aufgaben übertragen hat und er zudem mit dem Namen seiner Mutter vorgestellt wird (1 Kön 13,26), was eine Auszeichnung ist, die sich später nur bei den Königen von Juda, nicht aber bei den Königen von Israel findet.15 Andererseits wird er durch den erzählerischen Kontext in die Reihe der (außenpolitischen) Gegner Salomos eingeordnet, von denen explizit gesagt wird, dass sie Israel aufgrund des Willen JHWHs gefährlich werden (1 Kön 11,14–22.23–25). Für die Einschätzung der Figur Jerobeam, ist die Interpretation des Satzes »und er erhob eine Hand gegen den König« zentral (1 Kön 11,26; fehlt in der LXX). Dieser wird meist als ›Rebellion‹ gedeutet.16 Obwohl dieser Satz im Waw-PK steht und er sich damit in die Erzählfolge einzuordnen scheint, fungiert er zusammen mit der Einführung der (neuen) Figur Jerobeam als eine Überschrift über der folgenden Erzählung.17 Die eigentliche Handlung beginnt erst nach der Wiederholung der Überschrift in 1 Kön 11,27: »Diese Sache der Erhebung Jerobeams verhielt sich so: …«. Damit setzt die Handlung nicht mit der ›Erhebung‹ Jerobeams, sondern mit dem Bau des Millo in Jerusalem und der Einsetzung Jerobeams durch Salomo ein.18 Am Beginn von Jerobeams Auftreten steht somit keine ›Rebellion‹, sondern eine Überschrift, mit der die Erzählstimme die folgende Erzählung 13 Jerobeam wird als lyIx' rABGI, als ein wehrfähiger, vollberechtigter Grundbesitzer bezeichnet, der damit ein freier Mann sein dürfte. Vgl. GRAY, Kings, 293; WÜRTHWEIN, 1. Könige, 142. 14 Vgl. die vom MT abweichende Schilderung in der LXX z.B. in Bezug auf Jerobeams Aufstieg; vgl. HOUSE, Kings, 49; WEVERS, Exegetical Principles, 300–322; vgl. den Exkurs zu 1 Kön 12,24 a–z (LXX) bei COGAN, 1 Kings,355–356. 15 Der Name der Mutter Zeruah (h['Wrc.) bedeutet jedoch »Aussätzige« (1 Kön 11,26); es ist offen, ob dies bewusst pejorativ gemeint ist und der evtl. ursprüngliche Name ›Zeruja‹ gelautet haben mag, was die ›Mastixduftende‹ bedeuten würde; vgl. hierzu COGAN, 1 Kings, 337–338; aber auch GRAY, Kings, 290; WÜRTHWEIN, 1. Könige, 142. 16 So betont WÜRTHWEIN, dass die Formulierung »die Hand gegen ihn erhob« »allgemein als die Anzettelung eines Aufstands gegen Salomo« gedeutet werde, WÜRTHWEIN, 2. Könige, 142; vgl. ähnlich WALSH, Kings, 143; FRITZ, Könige, 127; BAUMGART, Bücher der Könige, 594. 17 Eine ähnliche Funktion hat der als Überschrift fungierende erste Satz der Erzählung in 2 Kön 2; vgl. ähnlich: COHN, Literary Technique in the Jeroboam Narrative, 26: Mit 1 Kön 11,26 werde signalisiert, dass eine neue Einheit beginne. Ähnlich WERLITZ, Könige, 119. 18 Vgl. zur unklaren Bedeutung von 1 Kön 11,27 vgl. GRAY, Kings, 226 und NOTH, Könige, 252.
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Kap. III: 1 Kön 13
prägt. Die Formulierung, die man als ›machtvolle Erhebung‹ (dy" + ~wr) übersetzen kann, lässt im Hebräischen offen, ob es sich um eine durch Jerobeam angezettelte Rebellion gegen den König oder um eine mit Macht ausgestattete Bewegung gegen Fehltendenzen im Königreich Salomos handelt. Die Konstruktion (b + dy" + ~wr) ist in der Hebräischen Bibel singulär und lässt die Möglichkeiten einer negativen wie positiven Lektüre zu.19 Angesichts dessen, was von Jerobeam tatsächlich erzählt wird, kann man nicht von einer ›Rebellion‹ sprechen. Er wird im Gegenteil durch den Propheten Ahija gerechtfertigt (1 Kön 11,29–39):20 Ahija übermittelt Jerobeam ein JHWH-Wort, mit dem er noch zu Salomos Lebzeiten zum neuen Herrscher über das Haus Israel legitimiert wird.21 Anders als Salomo, der sich durch die Verehrung anderer Gottheiten diskreditiert hat (vgl. 1 Kön 11,1–13), soll er sich als wahrer und theologisch würdiger Nachfolger Davids an diesem orientieren (1 Kön 11,37–39). Damit wiederholt Ahija den Maßstab ›David‹ als verbindliche Größe, den JHWH gegenüber Salomo etabliert hatte (1 Kön 3,14; 9,4) und an dem Salomo gescheitert ist (1 Kön 11,9). Die Rede Ahijas zu Jerobeam (1 Kön 11,29–39) ist als Wiederaufnahme der Rede JHWHs zu Salomo (1 Kön 11,11–13) gestaltet.22 Weil JHWH diese Rede allein zu Salomo gesprochen und Ahija sie daher nicht kennen kann, erhöht dies die Glaubwürdigkeit von Ahijas Aussagen. Die Rede Ahijas (1 Kön 11,29–39)23 gliedert sich in zwei (ungleich) 19 Vgl. die Vergleichsstellen (dy" + ~wr), die beide Konnotationen erlauben: Gen 14,22; 41,44; Ex 14,8; 17,11; Num 15,30; 20,11; 33,3; Dtn 32,27 etc. 20 Vgl. zu 1 Kön 11,29–39 auch SEEBASS, Teilung. 363–376 sowie auch PLEIN, Überlieferung, 8–24. 21 Eine ähnliche Konstellation liegt bei den Salbungen von Saul (1 Sam 9,27–10,2), die im Verborgenen geschehen, vor: erstens von David (1 Sam 16,3) durch Samuel zu Lebzeiten Sauls und zweitens von Jehu auf Initiative des Propheten Elischa zu Lebzeiten des Königs Joram (2 Kön 9,1–15). Mit letzerer Salbung wird der Auftrag JHWHs, der an Elija ergangen war, erfüllt (1 Kön 19,16). 22 JHWH spricht ein drittes Mal (1 Kön 11,11–13) nach 1 Kön 3,4–15 und 9,1–9 zu Salomo. Dieses Mal wird die Kommunikation zwischen JHWH und Salomo nicht wie zuvor als »Erscheinen« JHWHs vor Salomo bezeichnet (har im Nifal; 1 Kön 3,5; 9,2 vgl. 11,9), sondern JHWH kommt im »Zorn« (@na; in den Königsbüchern nur in 1 Kön 8,43; 11,9; 2 Kön 17,18. Es scheint, dass die Erscheinung JHWHs Heilszusagen vorbehalten ist und in Strafankündigung nicht verwendet wird. 23 Vgl. zur Literarkritik und Datierungsvorschlägen WEIPPERT, Ätiologie des Nordreiches, 344–345. WEIPPERT vertritt die These einer dreistufigen Entstehung: Die Kernüberlieferung (11,29–31.37.38bab.40a.ba) sei eine Legitimationslegende für Jerobeam I. von Israel, die durch Korrekturen (in 11,34a.35a.36a.40bb) vor Bascheas Aufstand dem tatsächlichen Geschehen angepasst wurde. Ein zur Zeit Joschijas arbeitender Redaktor, der die Erzählung in sein Geschichtswerk übernahm, habe 11,32.34b. 36b.38a.bg hinzugefügt; Nachträge (11,33. 38.39) erklären, wie es zum Abfall des Nordreiches kommen konnte, vgl. WEIPPERT, Ätiologie des Nordreiches, 344–375. Einen etwas anderen Vorschlag unterbreitet DIETRICH: In 1 Kön 11 gebe es zwei Schichten: In der ersten werde die Trennung der Nordstämme von der davidischen Dynastie thematisiert und das Königtum Jerobeam legitimiert (11,29–31.33a.34a.
1. Einleitung
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große Abschnitte: Im ersten Abschnitt spricht Ahija (K III: 1 Kön 11,31a) und fordert Jerobeam auf, zehn Teile seines gerade in zwölf Teile zerrissenen »neuen« (vdx)24 Mantels zu nehmen ([rq; 1 Kön 11,30). Der Mantel fungiert als Symbol für Israel (vgl. 1 Sam 15,18–28; 24,5) und steht für die Einheit des Großreiches.25 Mit dieser Zeichenhandlung inszeniert Ahija das, was JHWH Salomo angekündigt hat: Das gerade erst etablierte, neue Königtum werde JHWH entrissen (hk'l'm.m; [rq; 1 Kön 11,11–13).26 Darauf folgt der lange zweite Abschnitt der Rede Ahijas, in der er JHWH in Form einer Botenrede zitiert (K IV; 1 Kön 11,31b–39).27 Der zweite Abschnitt 35aba.37abgb), in der zweiten wird die Frage behandelt, warum die Davidsdynastie trotz der Untreue Salomos überlebte (11,32.33b.34b,35bb.36.37aa.38aba; vgl. DIETRICH, Prophetie und Geschichte, 15–20); dieser Literarkritik schließt sich WÜRTHWEIN an (vgl. WÜRTHWEIN, 1. Könige, 141.144); ebenso FRITZ, Könige, 128. 24 Viele Kommentare setzen voraus, dass es sich hier um einen magischen Akt handelt; für einen solchen benötige man neue, ungebrauchte Materialien (vgl. hierzu auch Ri 17,7–11; 1 Sam 6,7; 2 Kön 2,20; vgl. GRAY, Kings, 295; WALSH, Kings, 143). »The symbolic act of a prophet was thought to have an actual effect on coming events, triggering the future it imitated. That is why the narrative asserts that the cloak was a new one, appropriate for such a quasi-magical act«, NELSON, Kings, 72. 25 Vgl. WERLITZ, Könige, 121. 26 Das Verb »zer- / entreißen« ([rq) findet sich in der Rede JHWHs an Salomo (1 Kön 11,11.12.13) und in der Ahija-Verheißung (1 Kön 11.30.31) sowie in 1 Kön 14,8. Dies bildet den Rahmen um die narrative Weiterführung dieses Motivs in 1 Kön 13,3.5. 27 LOHFINK hat überzeugend die Funktion des Ahija-Orakels, das er Dtr 1 zuschreibt, aufgezeigt (LOHFINK, Orakel, 147–152): Die Natan-Verheißung (2 Sam 7) lag Dtr 1 vor, die dieser wahrscheinlich weitgehend unverändert übernommen hat und auf die dieser rekurrieren konnte; so bezieht sich Salomo auf ein Wort JHWHs (1 Kön 2,4), das sich nur auf die NatanVerheißung beziehen kann. Diese Bezüge aber führen nicht zu einer einfachen Wiederholung oder Neuauflage der Natan-Verheißung, sondern zu einer »eigenen Version«, der bedingten Dynastieorakel, die sich ausschließlich vor dem Tod Salomos finden (1 Kön 2,4; 8,25; 9,4–5): In ihnen wird das Natan-Orakel aufgegriffen, aber in dreifacher Weise interpretiert: Erstens wird nur ein Aspekt der Dynastiezusage herausgegriffen, zweitens wird als Bedingung der gute Wandel des Königs mit David als Maßstab eingeführt und drittens bezieht sich der als »Israel« bezeichnete Herrschaftsbereich auf alle zwölf Stämme Israels. Dies hat zur Folge, dass das Orakel auch für die Stämme des Nordreiches erledigt ist, wenn diese abfallen (vgl. hierzu NELSON, Double Redaction, 99.105; FRIEDMAN, From Egypt to Egypt, 175–176). »Daraus folgt nun […], daß im Sinne von Dtr 1 die Natan-Verheißung, insofern sie Dynastieund panisraelitische Herrschaftszusage für die Davididen war, mit dem Tod Salomos und der Spaltung des Reiches ihre Geschichtskraft verloren hat« (LOHFINK, Orakel, 149). Insofern ist es folgerichtig, dass es nach Salomo im Dtr 1 keinen Verweis mehr auf 1 Sam 7 gibt. »Alles muß nach dem Abfall Salomos von JHWH neu geregelt werden« (LOHFINK, Orakel, 150). Die Dynastiezusage, die verwirkt ist, muss neu geregelt werden. Die in der Natan-Verheißung wurzelnde Anweisung zum Tempelbau war ja bereits von Salomo voll realisiert worden. Die dynastische Neureglung jedoch steht an und geschieht im Ahija-Orakel: Diese Neuregelung sieht nun so aus, dass das Königtum an Jerobeam, als dem Nachfolger Salomos, übergeht (1 Kön 11,38*), der sowohl eine Dynastiezusage enthält, die an die Zusage an die Dynastie Davids erinnert, als auch an die Bedingung der Beachtung der JHWH-Gebote geknüpft ist. Eingeschränkt wird diese Neuregelung durch eine Bestandsgarantie an Juda, die aber eben nicht mit einem Rückgriff auf die Natan-Verheißung begründet wird, sondern in Form der
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Kap. III: 1 Kön 13
wird durch einen Einleitungs- und einen Abschlusssatz gerahmt (1 Kön 11,31b.39); die Mitte lässt sich in zwei Teile gliedern, in deren ersten Salomo (1 Kön 11,32–36) und in deren zweiten Jerobeam (1 Kön 11,37–38) im Zentrum stehen.28 In der durch Ahija übermittelten Rede wiederholt JHWH, dass er Salomo das Königtum entreißen werde ( hk'l'm.m; [rq; 1 Kön 11,31b), um Jerobeam zehn Stämme zu geben. Dies wird im ersten Teil (1 Kön 11,32–36) erläutert. Im zweiten Teil (1 Kön 11,37–39) werden die daraus erwachsenden Konsequenzen, die Übertragung des Königtums an Jerobeam, geschildert. In 1 Kön 11,11 hatte JHWH gegenüber Salomo unbestimmt von deinem »Gefolgsmann« (db,[,) gesprochen,29 dem er das Königtum »geben« (!tn) werde. Dieser Unbekannte wird nun von Ahija als Jerobeam identifiziert, womit Ahija deutlich über das von JHWH Angekündigte hinausgeht. Wie 1 Kön 11,11 in 1 Kön 11,31wörtlich aufgegriffen wird (db,[, und !tn), wird im zweiten Teil (1 Kön 11,37–38) die Zeichenhandlung aufgenommen: Während in dieser Jerobeam aufgefordert wurde, sich die zehn Mantelteile zu »nehmen« (xql; 1 Kön 11,31: ^l.-xq;), wird nun in chiastischer Umkehrung angekündigt, dass Jerobeam selbst von JHWH »genommen« werde (xql; 1 Kön 11,37: xQ;a, ^t.aow>),30 damit er als König über Israel herrscht (%lm) »wie es seine Näfäsch begehrt« (^v,p.n: hWr; lAq-ta, 1 Kön 14,6 vgl. 2 Kön 6,32), so dass ihre Verkleidung ihre Identität nicht zu verbergen vermag.84 Ahija lässt sie gar nicht erst zu Wort kommen, sondern empfängt sie mit einer langen Rede (1 Kön 14,6–16), ohne mit nur einem Wort auf den erkrankten Sohn einzugehen und macht sie zur Botin seiner Botschaft, die er von JHWH mitgeteilt bekommen hat und die sie ihrerseits in Form einer JHWH-Botenrede Jerobeam mitteilen soll. Von der Frau selbst wird keine Reaktion geschildert: Nach den Worten Ahijas steht sie nur auf und geht (1 Kön 14,17).85 In dem Moment, in dem sie zu Hause ankommt, stirbt ihr Kind, so dass Ahija sie nicht nur zur Wort-Botin, sondern auch zur Todes-Botin gemacht hat (1 Kön 14,17–19).86 Ahijas Rede ist zweigeteilt: Im ersten Teil gibt er in Form einer Botenrede die Worte JHWHs wieder (1 Kön 14,7–11), deren Ende deutlich markiert wird (1 Kön 14,11). Im zweiten Teil (1 Kön 14,12–16) spricht er in eigenem Namen.87 Seine Rede ist in den Königsbüchern intensiv vernetzt, indem 1 Kön 14 zum einen auf 1 Kön 11 und 1 Kön 13 zurückweist und zum anderen auf das Ende der Omriden-Dynastie und des Nordreiches Israel (2 Kön 17) vorausweist: 1 Kön 11 und 14 bilden einen Rahmen um den gesamten JerobeamAbschnitt (1 Kön 11–14): Wie Ahija damals Jerobeam angewiesen hat, zehn Stücke seines Mantels zu »nehmen« (xql; 1 Kön 11,31), um so vorzubilden, dass er das Königtum erhalten werde, dass JHWH aus der »Hand« (dy") Salomos »nehmen« werde (xql; 1 Kön 11,34.35; 11,31), so
83 So COHN, Literary Technique in the Jeroboam Narrative, 35. Die Frau Jerobeams wird weder mit ihrem Eigennamen präsentiert, noch ist ihre Stimme zu vernehmen. Sie wird als eine Frau ohne eigenes Profil und Emotionen geschildert. 84 Vgl. ähnlich Saul in En-Dor (1 Sam 28,8–19). 85 Die Frau Jerobeams wird als passives Ausführungsorgan von Jerobeam und Ahija dargestellt, die die Anweisungen beider jeweils genau umsetzt: Auf Anweisung ihres Mannes »steht sie auf, geht und kommt« (aboT'w: hl{vi %l,Tew: ~q'T'w:; 1 Kön 14,2–3.4), ebenso »steht sie auf, geht und kommt« (aboT'w: hl{vi %l,Tew: ~q'T'w:; 1 Kön 14,12.17) auf Befehl Ahijas. Diese Abfolge wird in den Königsbüchern bei dem Propheten Elija geschildert, als er die Witwe und ihren Sohn rettet (1 Kön 17,10), sowie als er flieht (1 Kön 19,3; vgl. in weniger strenger Wortfolge darüber hinaus 1 Kön 2,40; 2 Kön 8,1; 10,12). 86 Dies wird in der Erzählung noch dadurch gesteigert, dass Abija nicht, wie es Ahija angekündigt hatte, stirbt, sobald sie die Stadt betritt (1 Kön 14,12), sondern erst in dem Moment, in dem sie das Haus betritt (vgl. 1 Kön 14,17). Damit ist zudem ein Wortspiel verbunden: »the phrase ›threshold of the house‹ (sap habbayit) and ›ending of the house‹ (sôp habbayit) differ only by one vowel«, WALSH, Kings, 199. 87 Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Prophet nichts als der Mund JHWHs sei (vgl. WÜRTHWEIN, 1. Könige, 175).
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Kap. III: 1 Kön 13
weist nun Jerobeam seine Frau an, zehn Brote88 in ihre »Hand« (dy") zu »nehmen« (xql; 1 Kön 14,3).89 Die Erzählung endet damit, dass dem Paar nicht nur der Sohn, sondern auch das Königtum genommen wird. Weiterhin betont JHWH, dass er es war, der Jerobeam erhoben habe (~wr; 1 Kön 14,7). Damit wird die Überschrift über den gesamten Jerobeam-Erzählungen (~wr; 1 Kön 11,26.27) aufgegriffen und umgedeutet: Nicht Jerobeam hat sich selbst erhoben, sondern es war JHWH, der ihn zum »Fürsten« (dygIn") über das Volk gemacht hat (1 Kön 14,7). Daher erscheint Jerobeam als zweiter David (1 Sam 25,30; 2 Sam 6,21; 7,8; u.ö.). Ebenso bildet 1 Kön 11 den Hintergrund für die Vorwürfe, die JHWH in 1 Kön 14,8 formuliert.90 Neben dem Rahmen von 1 Kön 11 und 14 um 1 Kön 12–13 ergeben sich zudem interessante Bezüge zwischen 1 Kön 13 und 14: Beides sind Erzählungen über alt gewordene Propheten (1 Kön 13,11; 14,4), die jedoch beide sehr ›klar‹ sehen und beide im Namen JHWHs (1 Kön 13,17; 14,7.11) sprechen.91 Während der eine sein JHWH-Wort dem Gottesmann mitteilt (1 Kön 13,21–22), das dem Gottesmann den Tod bringt, übermittelt Ahija der Frau Jerobeams ein Wort JHWHs, das ihrem Sohn den Tod bringt. Ihre Botschaften wurzeln in JHWH. Die Parallelität in der Schilderung wird jedoch von der Erzählstimme durchbrochen, die das JHWH-Wort des Propheten aus Bet-El als »Lüge« (1 Kön 13,17) bezeichnet, während sie beim JHWH-Wort des Propheten aus Schilo explizit dessen Erfüllung thematisiert (vgl. 1 Kön 15,29). Mit dieser unterschiedlichen Wertung erweist sich die Erzählstimme als judäische, indem sie dem Nordreich-Propheten, der einem Gottesmann aus Juda den Tod bringt, der Lüge bezichtigt, während sie die Erfüllung der Prophetie Ahijas gegen die erste Dynastie des Nordreiches explizit thematisiert. Darüber hinaus beinhalten beide Erzählungen eine Totenklage (um den Gottesmann aus Juda in 1 Kön 13,29.30 und den Sohn Jerobeams in 1 Kön 14,13.18). Neben diesen Bezügen weist 1 Kön 14 durch Wiederaufnahme des Vorwurfs der Fremdgötterverehrung und der Erstellung von Gussbilden (vgl. 1 Kön 12) auf die Erzählung über das Ende der Omriden-Dynastie (2 Kön 9) und über den Untergang des Nordreiches (2 Kön 17) voraus: 88
Die Brote, Kuchen und Honig (vb;D> qBuq.b;W ~ydIQunIw> ~x,l, hr'f'[]) sind Bezahlung für Propheten (vgl. 2 Sam 9,6–8; 2 Kön 8,8). 89 Vgl. auch die Wiederaufnahme von »entreißen« ([rq) von 1 Kön 14,8 zu 1 Kön 11,11.12.13.30.31 vgl. 13,3.5. 90 »Ich habe das Königtum vom Haus David weggerissen« (vgl. 1 Kön 11,31), »und ich habe es dir gegeben« (vgl. 11,35); »wie mein Knecht David, der meine Gebote bewahrt hat« (vgl. 11,34.38), »tun, was recht ist in meinen Augen« (vgl. 11,33). 91 In den Königsbücher sind es die ›Alten‹, die ›klar‹ sehen: Ahija (1 Kön 14), der alte Prophet aus Bet-El (1 Kön 13) und die alten Berater Salomos (~ynIqeZ>h;; 1 Kön 12,6); zum Motiv der sehenden Blinden vgl. auch Teiresias oder Bartimäus.
1. Einleitung
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Die Verehrung anderer Götter und die Anfertigung von Gussbildern ist der zentrale Vorwurf von Ahija gegenüber Jerobeam (1 Kön 14,9). Vor dem Hintergrund des bisher Erzählten erweisen sich jedoch beide Vorwürfe als gegenstandslos: An keiner Stelle wird erzählt, dass Jerobeam »andere Götter« (~yrIxea] ~yhil{ a/) verehrt habe. Dies wird vielmehr Salomo vorgeworfen (1 Kön 11,4bis.10), obwohl er eindringlich davor gewarnt worden war (1 Kön 9,6.9bis). Ebenso findet sich das Lexem »Gussbilder« (tAkSem;), die Jerobeam angeblich habe anfertigen lassen, in 1 Kön 12–13 nicht. Diese Vorwürfe, die Ahija in den Mund gelegt werden, können daher nur als ein Vorausverweis der Erzählstimme auf den Untergang des Nordreiches gedeutet werden, weil die in 1 Kön 14 geäußerten Anschuldigungen erst wieder in 2 Kön 17 genannt werden (»andere Götter« ~yrIxea] ~yhil{ a/ in 2 Kön 17,7bis.35.37.3892 sowie »Gussbilder« tAkSem; in 2 Kön 17,16).93 Insofern ist es eine Interpretation Ahijas in seiner JHWHRede in 1 Kön 14, die Gottesdarstellungen in den Heiligtümern von Bet-El und Dan als »andere Götter« und »Gussbilder« zu bezeichnen (vgl. 1 Kön 12,28–29). Diese Interpretation hat die Funktion, im Ahija-Rahmen von 1 Kön 11 und 14 um 1 Kön 12–13 eine Deutung zu etablieren, die das Ende des Nordreiches erzählerisch als bereits in den Anfängen angelegt interpretiert. Das einzige Verbot, gegen das Jerobeam verstoßen hat, wäre das Kultzentralisationsverbot (Dtn 12,4–7), das allerdings erstmals unter Hiskija umgesetzt wird (vgl. 2 Kön 18,4.22). Erst Joschija zerstört die anderen Kultstätten in Jerusalem, Juda und Israel, die bis dahin bestanden haben (2 Kön 23). Der Gedanke der Erwählung Jerusalems, um darin JHWHs Namen wohnen zu lassen, ist im Kontext von Salomos Tempelbau zwar angeklungen, aber noch nicht in seiner Exklusivität formuliert worden (vgl. 1 Kön 8,16.44.48; 11,13.32.34.36). Damit liegt bei dem Tun Jerobeams in 1 Kön 12 kein Vergehen vor; zu dem wird es erst aus der Perspektive von 2 Kön (18 und) 23. Ähnlich verhält es sich mit den Ascherim: In 1 Kön 14,15 werden erstmals in den Königsbüchern die Ascherim erwähnt, von denen zuvor noch nie die Rede war. Weil diese aber in den Kontext der Vergehen Jerobeams gestellt werden, wird insinuiert, dass sie in Jerobeams Tun wurzeln oder zumindest als logische Folge aus diesen erscheinen. Aus diesem Grund werden sie wohl in 2 Kön 17,16 (vgl. 17,10) in einem Atemzug mit den »Gussbildern« genannt.94 Damit ergibt sich eine eklatante Differenz zwischen der Perspektive der Figur Jerobeam und der 92 Mit Ausnahme von 2 Kön 5,17, das aber einen anderen Kontext hat, weil es sich auf die »anderen Gottheiten« bezieht, die am königlichen Hofe von Aram verehrt werden. 93 Zu den Bezügen von 1 Kön 14 auf 2 Kön 17 zählt auch, dass die Rede Ahijas mit dem Ausblick auf das Ende des Nordreiches Israel und der Zerstreuung der Bevölkerung endet (1 Kön 14,15–16 vgl. 2 Kön 17). Vgl. Kap. V. 1.4. 94 Vgl. auch die Wiederaufnahme von »hart, halsstarrig« (hv,q') von 1 Kön 14,6 in 2 Kön 17,14.
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Kap. III: 1 Kön 13
Perspektive der Erzählstimme: Was die Erzählstimme im Folgenden immer wieder als »Verfehlung (Jerobeams)« (ajx; 1 Kön 14,16) in den Bewertungen der Könige wiederholt, ist aus der Perspektive der Figur Jerobeam keine ›Verfehlung‹. Während in 1 Kön 12 an keiner Stelle explizit die Kultanlagen in Bet-El und Dan mit der Verehrung »fremder Götter« konnotiert sind, geschieht dies erst durch die Deutung der JHWH-Rede in der Rede des Propheten Ahija. Erst aus dieser Deutung kann der Schluss erfolgen, dass Jerobeam schlimmer gehandelt habe, als alle vor ihm (1 Kön 14,9), was den Schuldspruch zur Folge hat (1 Kön 14,10–16). Aus dem zentralen Vorwurf der Verehrung »anderer Götter« und der Erstellung von »Gussbilder« resultiert die Ankündigung des Endes der Dynastie Jerobeams: JHWH selbst kündigt an, »das Böse« über das Haus Jerobeam (h['r' awb im Hifil) zu bringen. Dabei wird JHWH eine vulgäre Sprache in den Mund gelegt: JHWH kündigt an, »alle, die gegen die Wand urinieren«95 sowie »Mündige und Unmündige«96 auszurotten (trk) und das ganze Haus Jerobeam »wegzufegen« bzw. »zu verbrennen« (r[b)97 wie einen »Haufen Kot« (ll'G"; 14,10). Diese Ankündigung JHWHs werden so erzählt, dass sie sich für das Haus Jerobeam erfüllen: Zum einen stirbt Abija, als seine Mutter zurückkehrt (1 Kön 14,18), zum anderen endet die Dynastie Jerobeams bereits in der nächsten Generation. Ahija präzisiert in seiner Rede (1 Kön 14,14), dass die »Ausrottung« (trk) durch einen König geschehen wird, den JHWH erstehen lassen wird. Damit wird auf 1 Kön 15,27–30 vorausverwiesen, wo erzählt wird, dass Nadab, der Sohn und Nachfolger Jerobeams, durch eine »Verschwörung« (rvq) Baschas98 ermordet wird, der sich selbst daraufhin zum König macht. So endet tatsächlich bereits eine Generation nach Jerobeam seine Dynastie. Damit wird 95
Der Satz lae_r'f.yIB. bWzà['w> rWcï[' ryqiB. !yTiäv.m; ~['b.r'y")l. yTiÛr;k.hiw> in 1 Kön 14,10 ist schwierig zu übersetzen, ist doch seine Bedeutung völlig unsicher: ryqiB. !yTiäv.m; »Wandpinkler« ist wohl eine Bezeichnung für »Männer« (vgl. im AT nur 1 Sam 25,22.34; 1 Kön 16,11; 2 Kön 9,8; vgl. hierzu COGAN / TADMOR, 2 Kings, 107). 96 Es ist unsicher, was der Ausdruck bWz['w> rWc['w> bedeutet; zudem ist unklar, ob die lautmalerische Alliteration synonym oder antithetisch zu verstehen ist; daher finden sich sehr unterschiedliche Übersetzungen: »bis auf den letzten Mann« (EÜ und Luther); »Behaltenes und Belassenes« (Buber); »unmündig und mündig« (Elberfelder); »Bewahrtes und Befestigtes« (Zunz); »kultunfähig und kultfähig« (wegen Jes 36,5), vgl. hierzu NOTH, Könige, 316–317; WÜRTHWEIN, 1. Könige, 177; COGAN / TADMOR, 2 Kings, 107 sowie SCHMITT, Elisa, 226. Diese Formulierung findet sich in der Hebräischen Bibel neben 1 Kön 14,10 nur noch in Dtn 32,36; 1 Kön 21,21; 2 Kön 9,8, 14,26. 97 Das Verb r[b (Piel) kann sowohl als I r[b »(ver-)brennen«, als auch als II r[b »wegschaffen, wegfegen« bedeuten; vgl. GESENIUS, Handwörterbuch, 108; zu »Kot; Dung« als Brennstoff vgl. Ez 4,12. 98 Signifikanterweise wird die Aktion Baschas dezidiert als »Revolte, Verschwörung« (rvq) beschrieben und z.B. mit der Revolte Jehus parallelisiert (vgl. 2 Kön 9,14; 10,9), damit aber auch deutlich von den Anfängen Jerobeams (vgl. 1 Kön 11,26.27) unterschieden; vgl. zudem 2 Kön 14,19; 15,10.15.25.39; 17,4; 21,23.24.
1. Einleitung
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Jerobeams Herrschaft, der selbst von dem Propheten Ahija zum Nachfolger Salomos designiert worden ist, mit Salomo parallelisiert, dessen Herrschaft über das Nordreich auch bereits unter seinem Sohn Rehabeam ein Ende gefunden hat. In 1 Kön 15,29.30 wird die »Ausrottung« (trk) des Hauses Jerobeam unter explizitem Rückverweis auf Ahija aus 1 Kön 14,10.14 wörtlich aufgegriffen und mit den ›Verfehlungen‹ Jerobeams begründet. Diese konkret auf das Haus Jerobeam bezogene »Ausrottung« ist allerdings durch lexematische Wiederaufnahme zugleich transparent auf das Ende der künftigen Dynastien: Die von Ahija angekündigten Strafen (1 Kön 14,10–11) sind keineswegs auf die Dynastie Jerobeams beschränkt, sondern die Rede von dem »Haus Jerobeam« erscheint vielmehr als Chiffre für alle künftigen Könige des Nordreiches, die Jerobeams Erbe zu tragen haben werden. So werden die Ankündigungen im Lauf der Königsbücher wieder aufgegriffen, um das Ende anderer Könige zu schildern: Die gänzliche »Ausrottung« des Hauses Jerobeam (trk; 1 Kön 14,10) wird auch für das Ende der Dynastie Ahabs verwendet (trk vgl. 1 Kön 21,21; 2 Kön 9,8), das Verb »wegfegen« (r[b) verweist auf die Dynastie Baschas (1 Kön 16,3)99 und Ahabs (1 Kön 21,21), die beide »hinweggefegt« werden und das Motiv des Gefressenwerdens durch Hunde und Vögel wird für die Dynastie Baschas (1 Kön 16,4) und Ahabs (1 Kön 21,24) angekündigt und an Isebel realisiert (vgl. 1 Kön 21,23–24; 2 Kön 9,10.35–37). Das Festhalten der Könige Israels an den von der Erzählstimme als ›Verfehlung‹ Jerobeams bezeichneten Institutionen spricht weniger gegen die Könige, sondern vielmehr dafür, dass sich die Einrichtung der Kulte in Bet-El und Dan bewährt haben. Wie wichtig Bet-El ist, zeigt gerade 2 Kön 17,28, als auch nach dem Untergang der Nordreiches Israel die von Assur neu angesiedelte Bevölkerung nach einem Priester100 verlangt, um den Kultbetrieb in Bet-El wieder aufzunehmen. Wie bei Salomo (1 Kön 11,41–43) werden die Jerobeam-Erzählungen mit der Schlussformel abgeschlossen (1 Kön 14,19–20); die Einleitungsformel fehlt bei beiden Königen, weil aus ihrem Leben erst die Bewertungskategorien für die Einleitungsformel entwickelt werden. Nach 1 Kön 14,19–20 ist Jerobeam eines natürlichen Todes gestorben und wurde, anders als Ahijas dies in 1 Kön 14,13 angekündigt hatte, bestattet. Damit können folgende Ergebnisse festgehalten werden: 1 Kön 11 und 14 bilden erstens einen Rahmen um 1 Kön 12–13 und binden auf diese Weise die mit Jerobeam verbundenen Geschichten zusammen.101 Dabei 99
1 Kön 16,3 unter Rückbezug auf Jerobeam, dessen Dynastie Bascha selbst einst »ausgerottet« hatte, vgl. 1 Kön 15,27–30. 100 In 2 Kön 17,27–28 finden sich Singular- und Pluralformen, so dass unklar ist, ob es sich um einen oder um mehrere Priester handelt. 101 Vgl. zu diesem Rahmen in den Königsbüchern Kap. V. 1. und 2.1.3.
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Kap. III: 1 Kön 13
sind 1 Kön 11 und 14 Wegerzählungen: Die erste erzählt die Begegnung von Jerobeam und Ahija auf dem Weg, die zweite von Jerobeams Frau, die sich zu Ahija auf den Weg macht. Es ist kein Zufall, dass beide Erzählungen mit dem Motiv des Weges spielen, thematisieren beide in unterschiedlicher Funktion und Konnotation den Weg Jerobeams und mit ihm den Weg des Nordreiches. Nicht zuletzt ist das Motiv des Weges ein wichtiges Element in den Rahmenformularen der Könige. Auf diese Weise korrespondiert der erzählte Raum mit dem erzählten Inhalt. Ahija erfüllt zweitens eine doppelte Funktion: Mit ihm wird zum einen die Trennung von Norden und Süden gerechtfertigt, in der Jerobeam zum rechtmäßigen König des Nordreiches Israel wird, zum anderen kann mit ihm die Verwerfung Jerobeams thematisiert werden. Mit dieser doppelten Struktur kann erklärt werden, dass JHWH das Königtum an das Nordreich gegeben und dem Haus Juda nur ein Königtum-›Rest‹ erhalten hat (1 Kön 11,34–36). Damit kann die untergeordnete Rolle des Südens erklärt werden. Drittens hat der Ahija-Rahmen (1 Kön 11 und 14) innerhalb der Königsbücher die Funktion den weiteren Weg des Nordreiches und die Erzählung über den Untergang des Nordreiches Israel in 2 Kön 17 vorzubereiten: »This story reflects the intention of the Book of Kings as a whole: to explain the tragic events of history as God’s justifiable judgment on a sinful people. More specifically, it gives the rationale for the fall of the Northern Kingdom and the exile of the people.«102 Für diesen Untergang wird bereits am Anfang eine Deutung etabliert, die nicht nur den Untergang des Nordreiches, sondern auch das Überleben Judas zu erklären sucht. Die Elemente, aus denen sich die Wertungen in der Einleitungsformel der Könige speisen, resultieren aus dem ›Maßstab‹ David, der an Salomo und Jerobeam entwickelt wird und der sich gebündelt in den von Ahija übermittelten Reden JHWHs findet. Daher bilden die Ahija-Geschichten nicht nur den Rahmen um die Erzählungen über Jerobeam, sondern haben auch die Funktion, zu schildern, dass weder Salomo noch Jerobeam dem Maßstab ›David‹ entsprechen, so dass nach dem idealen König weiter Ausschau gehalten werden muss.103 1.2. Der Rahmen um 1 Kön 13 Die Erzählung über die Auseinandersetzung zwischen dem Gottesmann aus Juda und König Jerobeam in Bet-El, in dessen Folge der Gottesmann auf den alten Propheten trifft, ist mit den vorangegangenen Erzählungen verwoben:104 Jerobeam betritt erst in 1 Kön 11 die Bühne der Handlung 102
NELSON, Kings, 90. Vgl. hierzu Kap. V. 2.1.3. 104 Vgl. hierzu WALSH, The Contexts of 1 Kings XIII, 355–370. 103
1. Einleitung
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und wird von JHWH zum Herrscher über zehn Stämme Israels legitimiert.105 Als König etabliert er den Kult in Bet-El (1 Kön 12), der der Anlass der in 1 Kön 13 erzählten Auseinandersetzung ist. Innerhalb des engeren Erzählzusammenhangs ist 1 Kön 13 als eine in sich stehende Erzählung über einen Gottesmann aus Juda und einen Propheten aus Bet-El (1 Kön 13,1–32) zu lesen, die sich in Stil und Inhalt deutlich von ihrer Umgebung abhebt.106 Um diese legt sich ein Rahmen (1 Kön 12,25–33 und 13,33–34),107 der durch zahlreiche Stichwortverbindungen miteinander verknüpft ist.108 105 Die Erzählungen von 1 Kön 11 und 13 weisen eine Reihe von strukturellen Parallelen auf: Sie beginnen beide mit dem vorangestellten Figurennamen (1 Kön 11,26; 13,1), einem Verb der Bewegung im AK und der Herkunftsangabe (!mi mit Ortsname), so dass durch die beiden parallelen Erzählanfänge die analoge Grundsituation geschildert wird: Beide Male macht sich ein Gottesspezialist auf, um Jerobeam zu treffen. Doch bereits hier ist der fundamentale Unterschied zwischen beiden Erzählungen in der Raumkonstruktion vorgebildet: Das erste Mal jedoch kommt Jerobeam aus der Stadt Davids und Salomos, Jerusalem, und Ahija aus Schilo, das auf dem Gebiet des späteren Nordreiches liegt. Beim zweiten Mal ist es umgekehrt: Jerobeam ist in einer seiner wichtigsten Städte seines Staatsgebietes, in Bet-El, und der Gottesmann aus Juda kommt zu ihm. Ebenso bildet das Verb »finden« in 1 Kön 11,29; 14,13 (acm) einen Rahmen um die Erzählung von 1 Kön 13, in der es exakt aufgegriffen wird (13,14.24.28): Wie Ahija Jerobeam auf dem Weg findet (1 Kön 11,29: %r,D,B; aybiN"h; ynIl{yVih; hY"xia] Atao ac'm.YIw): , so findet auch der Prophet den Gottesmann aus Juda (1 Kön 13,14); die deutlichere sprachliche Parallele ergibt sich allerdings zum Löwen, der den Gottesmann aus Juda auf dem Weg findet (1 Kön 13,24: %r,D,B; hyEr>a; Whaec'm.YIw:) und zum Propheten, der auf seinem zweiten Weg den Gottesmann findet (1 Kön 13,28: %r,D,B; tk,l,v.mu Atl'b.nI-ta, ac'm.YIw): . 106 Vgl. ähnlich SIMON, I Kings 13, 99. Vgl. hierzu auch Kap. V. 1.1. 107 So auch BRIEND, Du message au messager, 15–16, der diesen Rahmen entstehungsgeschichtlich auswertet. Zu dieser Abgrenzung vgl. VAN WINKLE, 1 Kings xii 25–xiii 34, 102–104. WALSH setzt den Beginn in 1 Kön 12,26 wegen der Wiederholung des Eigennamens Jerobeam in 1 Kön 12,15.16 an, vgl. WALSH, Contexts, 362. Andere sehen den Beginn der Erzählung in 1 Kön 12,32 (vgl. GRESSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung, 245 [nur 1 Kön 12,32]; LANDERSDORFER, Könige, 87; MONTGOMERY, Kings, 259–260; KLOPFENSTEIN, 1 Könige 13, 651, Fußnote 38; CRENSHAW, Prophetic Conflict, 41; ROBINSON, 1 Kings, 156–158; GRAY, Kings, 259 unter Verweis auf âANDA und STADE), andere in 1 Kön 12,33 (vgl. REHM, Könige, 46; KETTER, Königsbücher, 108; JEPSEN, Quellen, 6; NOTH, Könige, 295; WÜRTHWEIN, Könige, 166). Unter redaktionsgeschichtlicher Perspektive plädiert DIETRICH dafür, dass die eigentliche Prophetenlegende 1 Kön 13,1–32 umfasse; 1 Kön 12,33 und 13,33–34, letztere als Wiederaufnahme von 12,33, sind redaktionelle Hinzufügungen, um die Erzählung im Kontext zu verankern; vgl. DIETRICH, Prophetie und Geschichte, 115–116. 108 Das Verb »machen« (hf[) findet sich elfmal im Rahmen (1 Kön 12,27.28.31bis. 32quarter.33bis; 13,33 vgl. 13,11). Die Formulierung »Priester aus dem gesamten Volk« (~['h' tAcq.mi ~ynIh]Ko 1 Kön 12,31 vgl. tAmb' ynEh]Ko ~['h' tAcq.mi 1 Kön 13,33) mit dem Ausdruck ~['h' tAcq.mi findet sich neben diesen beiden Stellen nur noch in der Schilderung über den Untergang des Nordreiches Israel und verwendet die Formulierung im Kontext der »Sünde Jerobeams« (2 Kön 17,32). Ebenso sind die »Höhenpriester« (tAmb' ynEh]Ko 1 Kön 12,32; 13,33bis vgl. 13,2) darüber hinaus nur noch an drei weiteren Stellen in der Hebräischen Bibel und ausschließlich in den Königsbüchern vertreten (2 Kön 17,32; 23,9.20). Vgl. LEMKE, Way
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Kap. III: 1 Kön 13
Über den Anfang und das Ende der Erzählung ist immer wieder diskutiert worden, weil eine Erzählung kaum mit »und siehe« (hNEhiw> + PK) beginnen könne.109 Weil aber die Satzeröffnung einen »leichten Neueinsatz«110 markiert, kann 1 Kön 13,1 durchaus einen neuen Abschnitt eröffnen, zumal neue Figuren auftreten und auch das masoretische Petucha in 1 Kön 12,33 auf einen Neueinsatz in 1 Kön 13,1 hinweist.111 Die Eröffnung der Erzählung in 1 Kön 13,1 stellt ein ineinander verzahntes Netz dar:112 Zum einen markiert 1 Kön 13,1a durch die Neueinführung der bisher noch nicht aufgetretenen Figur des Gottesmannes aus Juda einen deutlichen Einschnitt und Neueinsatz der Erzählung, zum anderen aber verweist der syndetische Anschluss auf das zuvor in 1 Kön 12,33 Erzählte und nimmt diesen Erzählfaden in 1 Kön 13,1b wieder auf, so dass 1 Kön 12,33 als Brücke zwischen dem Rahmen (1 Kön 12,25–33) und der mit 1 Kön 13,1a beginnenden, neuen Erzählung gelten kann. Das in 1 Kön 12,33 und 13,1 weitgehend identisch berichtete Geschehen ist keine unzulässige oder überflüssige Wiederholung,113 sondern hat die Funktion, den Wechsel des fokalisierenden Subjekts anzuzeigen:114 In beiden Versen ist of Obedience, 304–306 sowie VAN WINKLE, 1 Kings xii 25–xiii 34, 102–103. Gegen 1 Kön 12,25–33 und 13,33–34 als Rahmen wird angeführt, dass sich die im Rahmen erwähnten Goldenen Kälber (1 Kön 12,28.32) in der Erzählung von 1 Kön 13 an keiner Stelle finden; so SIMON, I Kings 13, 99, der daraus folgert, dass der jetzige Rahmen nicht der originale Beginn der Erzählung sein kann. 109 Vgl. GROSS, Lying Prophet, 100–102; SIMON, I Kings 13, 99; entsprechend kann daher hNEhiw> mit Partizip in 1 Kön 13,25a den zweiten Teil innerhalb des vierten Abschnitts eröffnen. 110 GROSS, Verbform, 73. 111 Vgl. ähnlich HERR, Der wahre Prophet, 69. 112 Der 1 Kön 12,32 wiederholende Vers 33 liefert das neue Stichwort der Räucherhandlung Jerobeams, das in 13,1b aufgegriffen wird, während in 1 Kön 13,1a der Gottesmann aus Juda neu eingeführt wird, wobei zentrale Lexeme aus 1 Kön 13,1a in 13,2a wiederholt werden; damit ergibt sich eine ineinander greifende Struktur: der opfernde Jerobeam (12,32 ĺ 12,33) ĺ der ankommende Gottesmann (13,1a) ĺ der opfernde Jerobeam (13,1b) ĺ der Gottesmann (13,2a). 113 Vgl. hierzu auch die Überlegungen von COHN, Literary Technique in the Jeroboam Narrative, 22 im Horizont von TALMONs Überlegungen zur Synchronizität, vgl. TALMON, Synchroneity and Simultaneity, 12–17. 114 Dass in beiden Fokalisierungen betont wird, dass Jerobeam »rauchopfert« (1 Kön 12,33; 13,1) hat eine doppelte Funktion, die – einmal positiv, einmal negativ – die Parallele zwischen Salomo und Jerobeam verstärkt: Erstens wird hiermit Jerobeams Bemühen angezeigt, Bet-El (und Dan) als echte Alternativen zu Jerusalem darzustellen, indem er in Analogie zu Salomo, der dreimal im Jahr Rauchopfer am Jerusalemer Tempel dargebracht hat (vgl. 1 Kön 9,25), das Heiligtum von Bet-El durch seine Rauchopferhandlungen einweiht. Zweitens sind mit der Sinnlinie ›Rauchopfer‹ die Vorstellung von falschen Opfern verbunden, die von Salomo ihren Ausgang nehmen: Salomo bringt nicht nur Rauchopfer an falschen Kultorten, den »Höhen« (1 Kön 3,3), sondern er baut Kultorte für seine ausländischen Frauen, damit diese ihren falschen Gottheiten (1 Kön 11,18) rauchopfern können. Damit insinuiert die Erzählstimme, dass der JHWH-Kult in Bet-El mit den Fremdgötterkulten vergleichbar sei. Diese Linie wird in 1 Kön 13,2 fortgesetzt, indem die angekündigte Profanierung des Heilig-
1. Einleitung
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der Altar das perzeptiv fokalisierte Objekt, dessen Wahrnehmung in 1 Kön 12,33 durch Jerobeam als fokalisierender Figur gelenkt wird. In 1 Kön 13,1 wechselt die Wahrnehmungsperspektive auf den unbekannten Gottesmann aus Juda, durch dessen Augen die Lesenden erneut auf das Geschehen um den Altar von Bet-El blicken. Mit ihm sehen die Lesenden, wie Jerobeam gerade am Altar steht und mit Opferhandlungen beschäftigt ist. Dass am Beginn dieser Erzählung das gleiche Geschehen zweifach fokalisiert wird, stimmt die Lesenden darauf ein, dass keine eindimensionale, sondern vielmehr eine perspektivenreiche Erzählung folgt. Die Wiederaufnahme der Rahmenschilderung in 1 Kön 13,32 setzt mit einem deutlichen sprachlichen Neueinsatz gegenüber der Erzählung von 1 Kön 13,1–32 (»Nach dieser Sache ...« hZh;; 1 Kön 13,11c1.d und 13,11c2.e) legt, so dass die »Taten« und »Worte« im Zentrum stehen. Hat die (merkwürdige) Betonung »ein Prophet« (dx'a, aybin") evtl. etwas mit dem »einen Sohn« zu tun? Oder wird hier eine bewusste Differenz zwischen »seinem Sohn« und den vielen »Söhnen« aufgemacht? Eine Deutung der zu beobachtenden Differenz zwischen dem Singular- und Pluralgebrauch erweist sich als schwierig und soll als widerständige Textbeobachtung stehen bleiben. 146 BROER, der ›political allegory‹ als Deutungskategorie auf dem Hintergrund der Arbeiten von JOEL ROSENBERGS und FREDERIC JAMESON in der Hebräischen Bibel aufzeigt, liest 1 Kön 13 als eine politische Allegorie und versteht die beiden Protagonisten, den alten Prophet, der für Israel, und den Gottesmann, der für Juda stehe, als allegorische Figuren, in denen das spätere politische Schicksal abgebildet wird, vgl. BROER, National Allegory, 95–116.
153
1. Einleitung
dern auch, dass der Prophet als ›Sieger‹ aus der Auseinandersetzung hervorgeht: Abschnitt I Jerobeam Gottesmann
Abschnitt II
Abschnitt III
Abschnitt IV
Abschnitt V
Gottesmann Prophet
Gottesmann Prophet
Gottesmann Prophet
Prophet
Während im ersten Abschnitt die beiden Figuren Gottesmann und Jerobeam deutlich kontrastiert werden, ist dies in Bezug auf den Gottesmann und den Propheten nicht eindeutig. Beide Protagonisten haben keinen Eigennamen – sie werden konsequent nur über ihre ›Berufsbezeichnung‹ als »Prophet« bzw. als »Gottesmann« bezeichnet, mit der sie sich jeweils beide selbst identifizieren: Der Gottesmann bestätigt auf die Frage des Propheten (1 Kön 13,14d.e), dass er »der Gottesmann« sei (1 Kön 13,14h), und der Prophet bezeichnet sich selbst gegenüber dem Gottesmann als »Prophet« (1 Kön 13,18b). Der Gottesmann147 wird nur an zwei Stellen in der Erzählung näher spezifiziert: in 1 Kön 13,1a.12d als der aus Juda Kommende und in 13,26d.e als der dem Wort Gottes gegenüber Widerspenstige. Ähnlich wenig wird auch der Prophet148 charakterisiert: Er wird in 1 Kön 13,11a.25d dreifach beschrieben als »ein« (dx'a,) Prophet, als »in Bet-El wohnender« und »alter« Prophet. Hinzu kommt die Spezifizierung des Propheten als der, der den Gottesmann hat umkehren lassen (vgl. 1 Kön 13,20b.23c.26b).149 Trotz dieser Erläuterungen bleiben beide Figuren in Bezug auf ihre Charakterisierungen auffallend unprofiliert. Gerade vor dem Hintergrund anderer Gottesspezialisten in den Königsbüchern wie Elija oder Elischa erscheinen sie vielmehr als Typen, denn als elaborierte Figuren mit individuellen Persönlichkeitsstrukturen.
147
Die Bezeichnung »Gottesmann« (~yhil{a/h' vyai) findet sich in dieser Erzählung in 1 Kön 13,1a.4a.5c.6b.f.7a.8a.11d.12d.14a.26d.29a.31d. 148 Die Bezeichnung »Prophet« (aybin") findet sich in dieser Erzählung in 1 Kön 13,11a. 18b.20b.23c.25d.26b.29a. 149 Vgl. hierzu auch DOZEMAN, The Way of the Man of God, 389–390.
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Kap. III: 1 Kön 13
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre 2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
2.1. Der Gottesmann aus Juda in Bet-El (1 Kön 13,1–10) Der erste Abschnitt (1 Kön 13,1a–10c) besteht aus zwei Teilen (1 Kön 13,1–5.6–10), in denen zunächst der Altar von Bet-El, dann aber die Hand und Macht des Königs als fokalisiertes Objekt im Zentrum stehen.150 2.1.1. Der Gottesmann aus Juda und der Altar von Bet-El (1 Kön 13,1–5) Mit dem Gottesmann aus Juda tritt eine neue Figur in die Erzählung ein, der – so die Erzählstimme – nicht aus sich heraus, sondern »im Wort JHWHs«151 nach Bet-El gekommen ist (1 Kön 13,1a). Die Formulierung »im Wort JHWHs« (hw"hy> rb;d>Bi) ist ungewöhnlich und findet sich an keiner Stelle der Hebräischen Bibel so häufig wie in dieser Erzählung (siebenmal: in 1 Kön 13,1a.2a.5c.9a.17a.18c.32b). Jenseits von 1 Kön 13 gibt es diese Formulierung nur noch an zwei weiteren Stellen: in 1 Sam 3,21 und 1 Kön 20,35.152 Daher fällt der Gebrauch dieser Formulierung in 1 Kön 13 besonders auf: »The motivic phrase ›but he word of Yahwe‹ (in Hebrew is, literally, ›in the word of Yahwe‹) means something like ›in the power of/by the authority of the word of Yahwe‹. The word is not simply something passive, entrusted by Yahweh to the man of God and delivered by the man of God like an inert message. It is active; it is power and authority. The man of God speaks and acts ›in the word of Yahweh‹ as in a cloud of divine energy. And nothing succeeds in derailing the momentum of that power.«153 Die Formulierung »im Wort JHWHs« (hw"hy> rb;d>Bi) oszilliert zwischen »gemäß dem Wort JHWHs«, »durch das Wort JHWHs« (vgl. 1 Kön 13,9a) und »mit dem Wort JHWHs« (vgl. 1 Kön 13,18c).154 Die Formulierung ist im Hebräischen offen und mehrdeutig. Dass die Erzählung gleich im ersten Vers mit einer so ungewöhnlichen und seltenen Formulierung eröffnet wird, stellt die auffallende Formulierung wie ein Motto über die ganze Erzählung. In der Tat ist die Frage nach dem Wort Gottes das zentrale Thema dieser Erzählung, die in dieser schillernden Formulierung bereits anklingt: Sprechen die Gottesspezialisten »im Wort 150
Zu 1 Kön 13,1 als Beginn der Erzählung vgl. Kap. III. 1.2. Das Wortfeld »sprechen / Wort« (rbd / rb'D') wird in der Erzählung sowohl in Bezug menschlicher Kommunikation gebraucht (1 Kön 13,4a.7a.11c.e.12a.18c.25d.27a), bezeichnet aber auch das Sprechen JHWHs (1 Kön 13,3c.22d.26i) und das Wort JHWHs (1 Kön 13,17a.20b bzw. »gemäß dem Wort JHWHs« 1 Kön 13,26h). 152 In 2 Sam 16,23 und Jer 8,9 ist die Präposition b durch das Zeitwort gefordert bzw. es liegt ein anderer Sinn vor, vgl. Ps 33,6, vgl. REHM, 1 Könige, 143. 153 WALSH, Kings, 191. 154 Die Formulierung ist für deuteronomistischen Sprachgebrauch nicht charakteristisch; vgl. auch hierzu LEMKE, Way of Obedience, 314–315. 151
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
155
JHWHs«? Verkünden sie tatsächlich »gemäß dem Wort JHWHs« und »durch das Wort JHWHs«? Diese Spannung bleibt in der ganzen Erzählung erhalten und wird nicht aufgelöst. Stattdessen wird diese vielmehr an die Lesenden weitergegeben, die sich dieser Frage stellen müssen. Der Inhalt des Wortes JHWHs wird nicht wiedergegeben, sondern muss außerhalb der Erzählung ergangen sein und bleibt den Lesenden daher unbekannt. Dadurch, dass der Gottesmann »im Wort JHWHs« kommt (awb), wird er als Gegenbild des nicht aus Gott, sondern aus sich heraus handelnden Jerobeam eingeführt. Durch die unterschiedlichen Wertungen der beiden Figuren ist die Optik der Lesenden voreingestellt. Ihre Begegnung findet in dem Moment statt, als der König gerade an seinem Altar mit dem Opfer beschäftigt ist. In diese Situation »ruft« der Gottesmann das »Wort JHWHs« (1 Kön 13,2e–h; K III) und zitiert es in wörtlicher Rede (K IV). Die Rede des Gottesmannes wird eröffnet durch eine doppelte155 und in dieser Art in der Bibel einzigartige156 Anrede des Altars als unbelebtes Objekt (1 Kön 13,2c). Auf diese Anrede folgt die mit der Botenformel eingeleitete Gottesrede (1 Kön 13,2e–h). Damit wird der Gottesmann zu einer erzählenden Figur auf der dritten Kommunikationsebene. Weil der Gottesmann das »Wort JHWHs« zitiert, das analeptisch vor Einsetzen der Erzählung an den Gottesmann ergangen sein muss und den Lesenden unbekannt ist, ist offen, ob seine Worte tatsächlich dem ursprünglichen Gotteswort entsprechen (1 Kön 13,1a). Weil die Lesenden die Richtigkeit der Worte des Gottesmannes nicht überprüfen können,157 hat die Botenformel die Funktion, das Vertrauen in die vom Gottesmann wiedergegebene Gottesrede zu stärken und die Autorität seiner Worte zu erhöhen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, weil aus diesem Gotteswort die weiteren Aktionen des Gottesmannes resultieren. Dass mit Differenzen zwischen dem ursprünglichen Wort Gottes und seiner Wiedergabe durch Propheten zu rechnen ist, wird gerade in dieser Erzählung besonders deutlich, vergleicht man die verschiedenen Versionen der JHWH-Rede im Laufe der Erzählung (vgl. 1 Kön 13,7–9.15–17.21–22). Der namenlose Gottesmann spricht den Altar an und richtet seine Worte an ihn. Dabei übergeht er den König, als ob dieser gar nicht anwesend sei. Damit bringt der Gottesmann die eigentlichen Dialogpartner, JHWH und 155
Vgl. hierzu HOCHBERG / ROSENBERG, Kings, 144 und COGAN, 1 Kings, 367. »Nowhere else in Hebrew narrative does someome address words to an inanimate object«, WALSH, Kings, 177; vgl. auch WALSH, The Contexts of 1 Kings XIII, 358; etwas anders vgl. HOUSE, Kings, 188: Der Gottesmann schreie gegen den Altar, weil er in den Augen Gottes keine Legitimität habe. 157 Als ›vertrauensbildende Maßnahme‹ kann man auch die Anonymität des Gottesmannes begreifen; durch seine Namenlosigkeit tritt er als Figur in den Hintergrund und erscheint als irgendein von Gott geschickter Gottesmann, der nicht sich, sondern seinen Auftrag in den Vordergrund stellt. 156
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Kap. III: 1 Kön 13
den Altar von Bet-El, miteinander ins Gespräch, was dem Altar personenhafte Qualität verleiht. Zugleich ist damit eine Abwertung des Königs verbunden, der übergangen wird: Nicht nur, dass Gott es vorzuziehen scheint, lieber mit dem Altar, einem unbelebten Objekt, als mit dem König zu kommunizieren, sondern dass JHWH auch die Kommunikation mit dem König in der Situation ablehnt, als dieser gerade als opfernder oberster Priester am158 Altar JHWHs für die Kommunikation zwischen Gott und Menschen sorgen will, ist ein Skandal, durch den der König sich zutiefst provoziert und angegriffen fühlen muss. Zudem ist damit zu rechnen, dass die Opferszene öffentlich stattfindet und die Untertanen Jerobeams, die ihn gerade erst zum König gemacht haben, nun hören,159 wie der fremde Gottesmann den König im Auftrag JHWHs übergeht. Allein zur Sicherung seiner gerade erst eroberten Macht muss Jerobeam reagieren. Der Gottesmann kündigt dem Altar die Geburt eines Sohnes aus der Davidsdynastie im Südreich an (1 Kön 13,2e).160 Dieser wird – so der Gottesmann – den dreimal mit »du« direkt angesprochenen Altar entweihen, indem er auf ihm Priester opfern und Gebeine von Menschen verbrennen wird (»auf dir«; ^yl,['; 1 Kön 13,2f–h). Signifikanterweise ist die Aussage nicht zukünftig (›ein Sohn wird geboren werden‹) formuliert, sondern wird als ein proleptischer fait accompli angegeben (»ein Sohn ist geboren«), so als sei er bereits geboren. Damit wird ein in ferner Zukunft liegendes Ereignis bereits als Gegenwart dargestellt. So wird dem Altar seine Entweihung und kultische Verunreinigung in dem Moment seiner Einweihung angekündigt. Dies trifft nicht nur den Altar, sondern auch Jerobeam, der von der Ankündigung doppelt betroffen ist: als den Kult stiftender König und als Priester, der gerade das Opfer vornimmt. Zugleich wird dem König Jerobeam und seinem Werk das vernichtende Ende angekündigt: Das Land, von dem er sich gerade losgesagt hat, wird seinen Untergang herbeiführen und zwar an dem Ort, an dem er gerade die Stätte seines theologisch-politischen Wirkens einweiht. Die Ankündigung der Geburt eines Thronfolgers für das Südreich im Nordreich in Anwesenheit des Königs des Nordreiches sowie die öffentliche Ankündigung der Vernichtung der aktuellen politischen und theologischen Maßnahmen des Königs bei einer offiziellen Feier – größer kann man sich die Provokation kaum vorstellen. Dabei ist die vom Gottesmann 158
Die Präposition l[; findet sich in dieser Erzählung häufig und in sehr unterschiedlichen Funktionen vgl. 1 Kön 13,1b.2a.f.f.h.3f.4b.c.g.13d.30b.32b.b. 159 Dafür spricht auch, dass die »Söhne« des Propheten die Worte des Gottesmannes gehört haben und sie ihrem Meister wiedergeben (vgl. 1 Kön 13,11). 160 Die Partikel »siehe« (hNEhi; vgl. 1 Kön 13,3d) kann auch einen Bedingungssatz einleiten; vgl. hierzu BROCKELMANN, Grundriß, § 423. Um allerdings die Verwendung der Partikel »siehe« in 1 Kön 13,1a.2e.3d deutlich werden zu lassen, wird auch in der Übersetzung die Grundbedeutung beibehalten.
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
157
übermittelte Ankündigung JHWHs sehr detailliert: Sie nennt nicht nur den Namen des zukünftigen Königs, sondern beschreibt auch genau, was in ferner Zukunft geschehen wird. Signifikanterweise wird aber nicht gesagt, wann mit dem beschriebenen Strafszenario zu rechnen ist.161 Von der narrativen Konstruktion her lässt die Erzählung den Gottesmann aus Juda als einen mutigen Botschafter JHWHs erscheinen, der sich unerschrocken in eine höchst gefährliche öffentliche Konfrontation begibt. 1 Kön 13,3 und 13,5 gehören zu den schwierigen Versen der Erzählung, bei denen die einzelnen Deutungen am stärksten differieren.162 Der Umgang mit den grammatischen, syntaktischen und temporalen163 Fragen stellt bereits entscheidende Weichen für das Verständnis der beiden Verse sowie die zeitliche Verortung, die Frage nach dem Subjekt und dem Sprecher von 1 Kön 13,3. Ist 1 Kön 13,3 (we-AK-Anschluss) futurisch oder vergangenheitlich zu verstehen?164 Beide Möglichkeiten finden sich schon in antiken Übersetzungen.165 Und: Wie ordnen sich 1 Kön 13,3 und 13,5 in den Kontext von 1 Kön 13,2.4.6 ein? Im Wesentlichen erscheinen mir drei Lösungsmöglichkeiten interessant, der ich eine weitere hinzufügen möchte:166 Erstens: Die vergangenheitliche Deutung (»und er gab an diesem Tag ein Zeichen« !t;n"w>) würde bedeuten, dass man mit 1 Kön 13,3a auf die Ebene der Erzählstimme zurückkehrt,167 so dass mit 1 Kön 13,3b–f eine zweite Rede des Gottesmannes eröffnet wird und das »Zeichen« zur Zeit Jerobeams im Kontext dieser Erzählung erfolgt, wovon 1 Kön 13,5 berichtet. Damit kann ein sinnvoller Zusammenhang zwischen 1 Kön 13,3 und 13,5 hergestellt werden, allerdings ergibt sich dann die Schwierigkeit, dass weder in 1 Kön 13 noch in einer der folgenden Erzählungen der Altar in BetEl tatsächlich zerstört ist.168 161
Vgl. hierzu Kap. V. 2.1. Vgl. NELSON, Kings, 86: 1 Kön 13,5 sei »awkward both grammatically and dramatically«. 163 Ein Überblick über die Tempora bei AHUIS, Ihr habt gehört, 52–54. 164 Vgl. hierzu auch STIPP, Elischa, 387–388. 165 Vgl. NOTH, Könige, 290. 166 Weitere Möglichkeiten, den Problemen zu begegnen, sind einen Aramaismus (vgl. GESENIUS, Grammatik, § 112pp und 122tt; WÜRTHWEIN, Die Erzählung vom Gottesmann, 183) oder einen Textfehler anzunehmen: So rechnet GESENIUS mit einem Textfehler (vgl. GESENIUS, Grammatik, § 112tt); dies führt zur einer Textkorrektur mit Hilfe der LXX: statt !t;n"w> liest man mit der LXX (kai. e;dwken) !TeYIw:; vgl. BENZINGER, Bücher der Könige, 91. 167 So z.B. BENZINGER, Bücher der Könige, 91. 168 »Aufgrund realhistorischer Daten läßt sich fragen, ob mit der Beschädigung oder Zerstörung des Altars in v 5 überhaupt auf irgendeiner Überlieferungsstufe der Einheit die dauerhafte Unterbindung des Kultes in Bet-El gemeint gewesen sein konnte. Denn archäologisch hat sich vom Beginn der Eisen-I-Zeit bis zur Zerstörung Bet-Els an der Wende von der babylonischen zur persischen Epoche keine signifikante Veränderung der Besiedlungsstruktur nachweisen lassen, die als Folge einer längeren Unterbrechung des Kultbetriebs interpretierbar ist«, STIPP, Elischa, 389. 162
158
Kap. III: 1 Kön 13
Zweitens: Die futurische Deutung hat v.a. Noth vertreten; seine literarkritische Lösung sei hier exemplarisch für ähnliche Positionen genannt: Das Verb !t;n"w> in 1 Kön 13,3a ist als Futur zu verstehen und setzt die in Form der Botenrede zitierte Gottesrede aus 1 Kön 13,2 fort; damit ist Joschija Subjekt von !t;n"w>, der zum Sprecher der auf der zweiten Redeebene zitierten wörtliche Rede wird (1 Kön 13,3b–f), so dass sich dann die in ihr zitierte Rede JHWHs (1 Kön 13,3d–f) auf die dritte bzw. vierte Redeebene verschiebt. Noths Übersetzung169 von 1 Kön 13,2.3, optisch in Redebenen gegliedert, lautet: 13,2
13,4
und er
170
rief gegen den Altar im Auftrag Jahwes aus und sagte: »Altar, Altar! So hat Jahwe gesagt: [›Ein Sohn wird dem Haus Davids geboren sein, mit Namen Josia, der wird auf dir die Höhen-Priester schlachten, die auf dir (das Opfer) anzünden und] Menschengebeine wird man auf dir verbrennen. 13,3 [Und er wird an jenem Tage ein Wunderzeichen bieten und sagen: 13,4 ›Dies ist das Wunderzeichen, das Jahwe angesagt hat: ,Der Altar wird plötzlich zerrissen sein, so dass das Fett, das sich auf ihm befindet, verschüttet wird.‘‹«] Als der König…
Noth begründet diese Deutung mit dem »Kontext«, »der nur die letztere [futurische, B.S.] Möglichkeit in Frage«171 kommen lässt. Noth begreift 1 Kön 13,3 als sekundär eingefügten, »seltsamen Einschub, über dessen Herkunft nichts mehr zu ermitteln ist«, in dem Joschija ein Wunderzeichen »zur Legitimierung seines eigenen Handelns« angekündigt wird.172 Dieses für die Zeit Joschijas173 angekündigte Wunderzeichen erfolge – laut Noth – bereits in 1 Kön 13,5. Dieser Vers gehöre aber nicht zur ursprünglichen Erzählung, sondern sei, wie 13,3, ein sekundärer Einschub: »Er konnte wohl nicht anders untergebracht werden.«174 Dieser sehr späte Einschub sei nach dem Einfügen von 13,3 erfolgt und habe 13,3 vergangenheitlich 169 NOTH, Könige, 288. Mit den eckigen Klammern markiert NOTH die späteren Hinzufügungen. 170 Gemeint ist der Gottesmann. 171 NOTH, Könige, 290. 172 NOTH, Könige, 297. 173 An der Frage, welches Tempus hier vorliegt, entscheidet sich auch die Frage, was der Bezugspunkt von »an jenem Tag« (aWhh; ~AYB;) ist: Wenn 1 Kön 13,3 nach der ersten Möglichkeit vergangenheitlich zu verstehen ist, dann bezieht sich »an jenem Tag« auf den Tag, an dem die Erzählung stattfindet und kann daher auch als »an diesem Tag« übersetzt werden, während nach der zweiten Möglichkeit »jener Tag« der in ferner Zukunft liegende Tag Joschijas ist, der dann aber in 1 Kön 13,5 dennoch plötzlich zum »heutigen« Tag wird. 174 NOTH, Könige, 297.
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
159
(miss)verstanden, weswegen dieser Einschub das Wunderzeichen nicht in die Zeit Joschijas, sondern in der Erzählung selbst situiert und auf den Gottesmann bezogen habe.175 Die Beobachtung, dass 1 Kön 13,3.5 die Erzählung unterbreche, ist Anlass für eine literarkritische Operation, die mit zwei Einfügungen rechnet: Der erste Einschub 1 Kön 13,3 hat das spätere Hinzufügen von 13,5 zur Folge.176 Ohne 1 Kön 13,3.5 ergibt sich eine ›glatte‹ Erzählung, bestehend aus 13,2.4.6. Allerdings wird der Grund und die Funktion der Hinzufügung (v.a. der von 1 Kön 13,5, bei der Noth ein Missverstehen von 13,3 voraussetzen muss) nicht erläutert. Diese ›Lösung‹ schafft zwar einen ›glatten‹ Text, verschiebt aber nur die Probleme auf die Ebene späterer Einfügungen. Drittens: Walsh schlägt eine andere Lösung vor, die versucht, den diskutierten Problemen auf ›synchroner‹ Ebene zu begegnen. Seine Deutung ist deswegen so interessant, weil sie nicht nur die beobachteten Phänomene deuten kann, ohne vermeintlich ›störende‹ Sätze zu eliminieren, sondern weil seine Lösung vielmehr eine große Nähe zu dem literarkritischen Lösungsvorschlag von Noth bietet; man könnte sagen, dass er die Nothschen Klammern in einem narratologischen Horizont neu deutet. Diese zunächst unerwartete Nähe zwischen einem literarkritischen und einem ›synchronen‹ methodischen Ansatz ist interessant. Walsh klammert, wie Noth, 1 Kön 13,3 und 13,5 ein, die er aber als Erzählerkommentare versteht, die außerhalb der Erzählung liegen und daher von den Figuren der Textwelt nicht gehört werden können, sondern vielmehr an die Lesenden gerichtet sind: Es sind zwei »parenthetical Asides by the narrator to the reader«177: »In verse 3 the narrator breaks frame to direct a parenthetical remark to the reader. Both the Hebrew grammatical form and the unnecessary introductory words show that we are not to read this statement as a continuation of the oracle in verse 2. […] This parenthetical sign is not part of the scene; we hear it but Jerobeam does not. […] It is rather the narrator’s affirmation to us that the man of God’s prophecy in verse 3 was fulfilled by the time of the narrator. […] In addition to prolonging the suspense, this parenthesis 175 Vgl. NOTH, Könige, 298. Der Position NOTHS kann COGAN zugeordnet werden: »The unusual syntax, with verb in perfect tense, indicates that the verse along with its complement in v. 5 are not original to the story. In the present context, the syntax produces a foreshadowing effect referring to another act associated with Josiah. Far-off signs are not entirely unusual, as seen by YHWH’s sign to Moses concerning the assured success of his mission in Exod 3:12 fulfilled later at Mt. Sinai. But in the present instance, the sign is almost immediately realized (v. 5)«, Vers 5 sei dann »intrusiv, inserted by an annotator who could not wait for Josiah to tear down the sinful installation« (COGAN, 1 Kings, 367–368.374). Eine kritische Position zu NOTH bei SIMON, I Kings 13, 88. 176 Vgl. WÜRTHWEIN, Die Erzählung vom Gottesmann, 93–101; DOZEMAN, The Way of the Man of God, 383–384; EYNIKEL, Prophecy and Fulfillment, 228; BRIEND, Du message au messager, 17–18.20; COGAN, 1 Kings, 374 u.a. 177 WALSH, Kings, 176.
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has other effects on a reader. It confirms the reliability of God’s word and draws an immediate connection from the scene of the story to the reader’s own world. ›Go the Bethel,‹ says the narrator to us, ›and look yourself. The shattered altar is there for all to see, just as the man of God said would happen‹.«178 Der Lösungsvorschlag setzt allerdings voraus, dass sich das Vergangenheitstempus in 1 Kön 13,5 auf die Vergangenheit der Erzählstimme bezieht. Viertens: Neben diesen schlage ich eine weitere Lektüre vor, die die Textphänomene ›synchron‹ deutet (vgl. 3.), die Schwierigkeit der ›Tempora‹ in 1 Kön 13,3 und 13,5 textlich unangetastet lässt (vgl. 1.) und darüber hinaus der Semantik von »Zeichen« (tpeAm) Rechnung trägt: Die als Botenrede gestaltete JHWH-Rede endet in 1 Kön 13,2h. Mit 1 Kön 13,3a kehrt die Erzählung wieder auf die Erzählebene zurück, so dass 13,3a der Erzählstimme zuzuordnen ist (K II). Weil das im Verb implizit enthaltene Subjekt von 13,3a (»und er gab an diesem Tag ein Zeichen« !t;n"w>)179 der Gottesmann ist, kündigt die Erzählstimme für diesen Tag, an dem die erzählte Handlung stattfindet, an, dass der Gottesmann zeitgleich180 zu seinem Sprechen ein nicht näher spezifiziertes »Zeichen« »gibt« (1 Kön 13,3a).181 Die in 13,3b–f folgende wörtliche Rede ist die Rede des Gottesmannes (K III), in der er JHWH zitiert (1 Kön 13,3d–f; K IV). Das in 1 Kön 13,3a angekündigte »Zeichen« wird in dieser Rede des Gottesmannes (1 Kön 13,3b–c) lexematisch aufgegriffen und inhaltlich mit der folgenden, vom Gottesmann zitierten JHWH-Rede identifiziert (13,3d–f). In dieser wird die Zerstörung des Altars und das Zerstreuen der Fettasche182
178
WALSH, Kings, 178.179. Das we-AK hat aber im Anschluss an BARTELMUS die Funktion, eine einzelne, punktuelle Handlung nachzeitig als Progress in prospektiver Ausrichtung zu beschreiben (vgl. BARTELMUS, HYH, 74–77). 180 »Vielmehr ist awhh ~wyb !tnw bedeutungsgleich mit !tny za, m.a.W., das Perf.Cons. ist – wie auch sonst – hinsichtlich der ›Tempora‹ äquivalent mit dem Impf. und bezeichnet hier die relative Gleichzeitigkeit zu dem erzählten Hauptvorgang«, BLUM, Die Lüge des Propheten, 40. 181 Darüber hinaus ist ein intertextueller Verweis für das Verständnis der Erzählung höchst aufschlussreich: Die Formulierung »ein Zeichen geben« (tpeAm !tn) findet sich in der Hebräischen Bibel insgesamt nur elfmal. Es ist mit der Exodustradition verbunden (vgl. Ex 7,9; Dtn 6,22; Neh 9,10) oder hat die Funktion, eine Aussage oder eine Zusage zu bestätigen oder zu beglaubigen (vgl. Ex 7,9; 2 Chr 32,34; vgl. darüber hinaus Joel 3,3) und hat auch warnende und mahnende Funktion (Jes 8,18; Ez 12,6). Für den Kontext von 1 Kön 13 ist Dtn 13,2 besonders aufschlussreich: Das Geben von Zeichen, die tatsächlich eintreffen, muss nach Dtn 13,2 nicht dafür sprechen, dass der Prophet tatsächlich ein Prophet JHWHs sei. 182 Die »Fettasche« (!v,D,) ist ein Terminus Technicus des Opferkultes (vgl. z.B. Lev 1,16; 4,12; 6,3.4) und bezeichnet die Asche des auf dem Altar verbrannten Opferfleisches und -fettes. »Die fettige Altarasche sollte nach Lev 6,3f sorgfältig eingesammelt, neben den Altar geschüttet und dann an einen reinen Ort außerhalb des Tempels gebracht werden. Es mußte 179
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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angekündigt, die sich auf dem Altar befindet (1 Kön 13,3d–f). Die zitierte Rede JHWHs (1 Kön 13,3d–f) wird durch »siehe« (hNEhi) mit folgendem Partizip im Nifal ([r'q.nI) eingeleitet. Die Hauptfunktion des Partizips ist Gleichzeitigkeit:183 Das, was geschildert wird, ereignet sich gleichzeitig zum Relationspunkt, hier also zum Zeitpunkt des Sprechens. Wie in einem performativen Akt vollzieht sich der Inhalt der Rede im Moment des Sprechens, wofür auch der Aufmerksamkeitsruf »siehe« (hNEhi) spricht. Das bedeutet: Während der Gottesmann die Rede JHWHs wörtlich wiedergibt, vollzieht sich gleichzeitig die Zerstörung des Altars. Damit ereignet sich die Zerstörung des Altars nicht erst in 1 Kön 13,5, sondern bereits im Vollzug des Sprechens in 1 Kön 13,3 und zwar als ein verbaler, performativer Akt. Damit verändert sich der Status des Altars durch die Rede des Gottesmannes grundlegend, ohne dass dies äußerlich sichtbar wird. Mit diesem performativen Akt wird die Perspektive JHWHs als eine weitere Perspektive in die Erzählung eingetragen. Die Perspektive JHWHs ist dreifach fokalisiert: Die Erzählstimme lässt die Figur des Gottesmannes sprechen, die als erzählende Figur ihrerseits JHWH zitiert. Wie es die Erzählstimme via Gottesmann präsentiert, vollziehen sich aus der Perspektive JHWHs gleichzeitig zwei performative Akte am Altar von Bet-El: Während Jerobeam gerade dabei ist, den Altar einzuweihen, wird dieser zeitgleich von JHWH durch den Gottesmann entweiht. Während der Altar von Bet-El einerseits ›zerrissen‹184 und profaniert wird, ist Jerobeam andererseits gerade dabei, den Altar von Bet-El einzuweihen. Die von JHWH ausgehende Entweihung vollzieht sich in 1 Kön 13,3 aber nicht als ein wundersames »Zeichen« (tpeAm) und spektakuläres Ereignis, sondern als ein verbaler Akt in der Rede des Gottesmannes. Das Lexem »Zeichen« (tpeAm), das in 1 Kön 13 in den Königsbüchern singulär ist und daher hier sehr exponiert steht, qualifiziert diesen performativen Akt:185 In 1 Kön 13 handelt es sich um eine Verwendung des Lexems »Zeichen« (tpeAm), wie sie für als Entweihung des Altares verstanden werden, wenn die Asche verschüttet wurde«, HENTSCHEL, 1 Könige, 89; ähnlich ROBINSON, 1 Kings, 159. 183 Vgl. BARTELMUS, HYH, 51. 184 Mit den Motiven »zer- / entreißen« ([rq) und der »Hand bzw. Macht« (dy") wird auf die 1 Kön 13 rahmenden Erzählungen verwiesen, in denen berichtet wird, dass das »Königtum« aus der »Hand« (dy") Judas (1 Kön 11,12.31.34) entrissen und Jerobeam gegeben werde (1 Kön 11,11.12.13.30.31 vgl. 1 Kön 14,8). Das Juda »entrissene« und Jerobeam unter Konditionen gegebene Königtum wird nicht nur während der Einführung von Bet-El »zerrissen«, sondern deutet vielmehr an, dass das Königtum auch Jerobeam aufgrund des Kultorts Bet-El »entrissen« werde. Jerobeam hat sich wie Salomo – so die Darstellung – nicht an die Konditionen gehalten; dies wird in 1 Kön 13 mit der plötzlichen Erstarrung der »Hand« Jerobeams symbolisiert, die Jerobeam ohnmächtig macht und nur durch einen Gottesmann aus Juda wieder geheilt werden kann. 185 Vgl. die Deutung von 1 Kön 13 unter der Perspektive der Wunder bei SIMON, I Kings 13, 81–117.
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Kap. III: 1 Kön 13
prophetische Kontexte typisch ist.186 Diese haben gemeinsam, dass – auf unterschiedliche Art und Weise und zu unterschiedlichen Zwecken – Propheten oder Menschen ihres Umfelds selbst zu Zeichen werden, was oft von Aufsehen erregenden Zeichenhandlungen begleitet ist (vgl. Jes 8,18; 20,3; Ez 12,6.11; 24,24.27; Sach 3,8). So werden Jesaja und seine Kinder in Jes 8,18 zu »Vorbedeutungen« und sind »verkörperte Antizipation der Zukunft«187. Daher hat das Lexem »Zeichen« ( tpeAm) in prophetischen Kontexten nicht die Bedeutung ›Wunder‹, sondern bezeichnet als »Sinnzeichen« ein »vergewisserndes Zeichen der prophetischen Botschaft«188. Die Propheten, die zu Sinnzeichen werden, verkörpern ihre Botschaft und stehen für ihre Botschaft ein. Der Altar von Bet-El wird somit durch das Lexem »Zeichen« (tpeAm) zur verkörperten Antizipation der Zukunft, indem der intakte und gerade in Betrieb genommene Altar von Bet-El zwar für die Anwesenden noch nicht sichtbar, aber aus der Perspektive JHWHs bereits entweiht ist. Dies ermöglicht ein neues Verständnis von 1 Kön 13,5: 1 Kön 13,5 ist nicht die spektakuläre Realisierung von 1 Kön 13,3, sondern bestätigt auf der Ebene der Erzählstimme, dass sich das, was in 1 Kön 13,3 in der Figurenebene erzählt wurde, tatsächlich ereignet hat, ohne dass sich an dem Altar sichtbare Veränderungen vollzogen haben. Dafür sprechen drei Beobachtungen: erstens die wortgenauen Wiederholungen von 1 Kön 13,3d–f in 13,5a–b,189 zweitens die fast unbemerkte Veränderung bei den Verbalformen und drittens die Identifikation »gemäß dem Zeichen« (tpeAMK;) in 1 Kön 13,5b mit 1 Kön 13,3a.b durch die Erzählstimme. So wird in 1 Kön 13,5 konstatiert, was sich in 1 Kön 13,3 ereignet hat: »siehe« (hNEhi) wird weggelassen. [r'q.nI ist als AK-Nifal-Form zu verstehen (formgleich zum Partizip), die als syndetisch angeschlossenes x-AK nach einer Folge von Waw-PK-Sätzen mit anderem Subjekt die Funktion hat, eine Handlung zu bezeichnen, die parallel zur Handlung des vorangegangenen Satzes erfolgt ist. Damit liegt das in 1 Kön 13,5 bestätigte »Zeichen« zeitgleich zu dem, was in 1 Kön 13,4 geschildert wurde. Das »Zeichen« wird somit in eine große Nähe zu der plötzlich erstarrten Hand Jerobeams gebracht. Das un186 Bei der Semantik von »Zeichen« (tpeAm) muss man zwischen deuteronomisch bzw. priesterschriftlich imprägnierten Texten unterscheiden: Das Lexem steht als Binom »Zeichen und Wunder« (~ytip.AmW ttoa)o in deuteronomischen Texten (Dtn 4,34; 6,22; 7,19; 13,2–3; 26,8; 29,2; 34,11) sowie in der priesterschriftlichen Literatur, v.a. im Kontext der Exoduserzählungen (Ex 4,21; 7,3.9; 9,9–10). 187 DUHM, Jesaja, 60. 188 WAGNER, tpeAm, 751. BRIEND versteht tpeAm als prophetische ›Vorhersage‹: »il designe non pas tant un prodige ou un miracle qu’un présage dont la réalisation accrédite la parole prophétique, ce qui suppose une parole antérieure qui ne peut être que celle du v. 2bg«, BRIEND, Du message au messager, 19. 189 Beachtet sei auch die Veränderung von wyl'[-' rv,a] in 1 Kön 13,3c in x;Bze M > hi -; !mi in 13,5b.
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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sichtbare »Zeichen« als das Eigentliche findet seinen Ausdruck in der äußerlich sichtbaren plötzlichen und unerklärbaren Erstarrung der Hand, von der in 1 Kön 13,4 berichtet wird: Provoziert durch die Worte des Gottesmannes streckt der König die Hand gegen den Gottesmann aus, um ihn verhaften zu lassen,190 kann dann aber seine Hand, die erstarrt ist, nicht mehr zurückziehen (1 Kön 13,4).191 Lähmungserscheinungen können Zeichenhandlungen sein, durch die die körperliche Lähmung zur Veranschaulichung und zum Symbol wird (vgl. Ezechiel in Ez 3,22–27). Die plötzliche Erstarrung der Hand Jerobeams wird damit zu einer Zeichenhandlung, in der die einschneidenden Veränderungen, die gerade in Bet-El im Gange sind, ihren Ausdruck finden: Im Moment souveräner Machtfülle, in dem Jerobeam seine Hand ausstreckt und den Befehl zur Verhaftung des Gottesmannes gibt,192 ist seine Hand gelähmt. Die »Hand« (dy") bezeichnet im Hebräischen nicht nur das Körperteil, sondern bedeutet im übertragenen Sinn auch ›Macht‹. In Konfrontation mit dem Gottesmann erstarrt somit Jerobeams Macht; er wird bewegungsunfähig zu einem Ohnmächtigen gerade in der Szene, in der die Machfülle Jerobeams dadurch noch gesteigert ist, weil er in doppelter Funktion als König (politische Macht) und oberster Priester (kultisch-religiöse Macht) auftritt. Der König, der aktiv die politische und religiöse Situation des Nordreiches umgestaltet hat, ist bewegungs- und handlungsunfähig geworden. In diesem Zustand kontrastiert Jerobeam, was in der Überschrift (1 Kön 11,26), mit der die Erzählungen über Jerobeam eröffnet werden, angekündigt wird: Statt machtvoller Erhebung (dy" + ~wr) steht Jerobeam nun als ohnmächtiger König am Altar mit erstarrter Hand (vby + dy") und kann nur durch den Gottesmann aus dem Südreich (!) seine Bewegungsfähigkeit und damit seine Machtfülle wiedererlangen.193 Wie bereits in 1 Kön 12,33–13,2a auf der Ebene der story zwei Erzählfolgen, der opfernde König und der ankommende Gottesmann, ineinander verschachtelt erzählt werden, die aber in der fabula gleichzeitig stattfinden, lässt sich ein ähnliches Vorgehen in 1 Kön 13,3–5 finden: 190
»Der König war über die Worte des Gottesmannes erzürnt. Es mag sein, daß er ihnen wie einem Fluch eine selbständig wirkende Kraft zuschrieb, die das Unglück nicht nur ankündigt, sondern auch herbeiführt und daher Strafe verdient«, REHM, 1 Könige, 143. 191 Interessanterweise wird in 1 Kön 13,4a, wo auf das Hören der (ersten) Worte des Gottesmannes rekurriert wird, der Titel »der König« verwendet, während er einfach mit seinem Eigennamen »Jerobeam« bezeichnet wird, als seine daraufhin geschilderte erste Aktion in dieser Erzählung beschrieben wird (1 Kön 13,4c). 192 Wie der Gottesmann vorher den König nicht angesprochen hat, wendet sich nun der König auch nicht an den Gottesmann, sondern spricht über ihn in dritter Person mit offensichtlich anwesenden Untergebenen des Königs, die bisher noch nicht genannt worden sind. 193 Ein weiterer intertextueller Verweis ist aufschlussreich: Jerobeam agiert in dieser Szene als oberster Priester, dessen Hand vertrocknet, was auf den in der zweiten Zeichenhandlung in Sach 11,15–17 geschilderten Hohepriester verweist, der als nichtsnutziger Hirte seine Herde im Stich lässt und dessen Arm vertrocknet (Sach 11,17).
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Kap. III: 1 Kön 13
Während sich auf der Ebene der fabula die in 13,4 und 13,5 geschilderten Ereignisse zeitgleich ereignen, werden auf der Ebene der story zwei ineinander verzahnte Ereignisketten geschildert. Zuerst wird ein »Zeichen« angekündigt (1 Kön 13,3d–f), dann folgt als zweites das Erstarren der Hand Jerobeams (1 Kön 13,4), als drittes wird das »Zeichen« konstatiert (1 Kön 13,5), um dann als viertes wieder auf Jerobeam zu sprechen zu kommen, der um Heilung bittet und diese erhält (1 Kön 13,6–7).194 Durch die ineinander verschachtelte Erzählfolge erscheint die erstarrte Hand den Figuren der Erzählung als das »Zeichen«, von dem der Gottesmann sprach. Welche Wirkungen erzielt diese erzählerische Konstruktion? Erstens wirkt das JHWH-Zeichen in der sehr viel ausführlicher erzählten plötzlichen Erstarrung der Hand Jerobeams wie eingeschoben. Damit wird das zuvor Angekündigte vom eigentlich Wichtigen, dem Altar und seiner Einweihung, auf Jerobeam verschoben, der nun im Zentrum des Interesses steht und der von einer bisher nur handelnden zu einer sprechenden Figur wird. Insgesamt lässt sich daher im ersten Abschnitt der Erzählung eine Verschiebung innerhalb der Figurenkonstellation ablesen: Während im ersten Teil der Gottesmann und der von ihm angesprochene Altar im Mittelpunkt stehen, wird der erzählerische Raum, den Jerobeam einnimmt, immer größer, so dass sich das Gewicht vom Altar auf Jerobeam verschiebt.195 Zweitens führen die Ineinanderschachtelung und das erzählerische Übergewicht der erstarrten Hand zu einer Nivellierung des eigentlichen, unsichtbaren »Zeichens«, obwohl letzteres nicht nur der Grund und das Zentrum für die Feierlichkeiten, sondern auch das Ereignis ist, das eindeutig auf JHWH zurückgeführt wird (1 Kön 13,3b.c.5b.c). Stattdessen geraten der Altar sowie damit der eigentliche Grund für das Kommen des Gottesmannes und seine Botschaft merkwürdiger Weise völlig aus dem Blickfeld. Die die Perspektive vorgebende Fokalisierung wendet sich von dem eigentlichen Hauptgeschehen um den Altar ab und rückt die Nebenereignisse um die bewegungsunfähig gewordene Hand als Symbol für die Ohmacht des Königs ins Zentrum. Damit geht drittens eine Aufwertung der wundersamen Erstarrung der Hand Jerobeams einher. Anders als beim »Zeichen«, dessen Herkunft eindeutig JHWH ist, »vertrocknet« die Hand (Subjekt) wie von alleine (1 Kön 13,4e). Wer dies bewirkt hat, bleibt offen.196 Dadurch, dass der Gottes194
Der Altar (13,3) ĺder opfernde Jerobeam (13,4) ĺGHU$OWDU13,5) ĺGHURSIHUQGH Jeroebam (13,6–7). Die Verzahnungen von 1 Kön 12,33–13,2 und 13,4–7 sind zudem miteinander verlinkt, indem in 1 Kön 13,4 auf 1 Kön 13,2a zurückverwiesen wird. 195 Während am Anfang die Fokalisierung zwischen Jerobeam und dem Gottesmann gewechselt hat, schwenkt nun der Blick zwischen dem Altar und Jerobeam. 196 Das plötzliche Erstarren und ebenso plötzliche Wiederbeweglichwerden der Hand Jerobeams erscheint als ein Wunder, das sich gerade darin auszeichnet, dass der Gang des
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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mann die Funktionsfähigkeit der Hand auf wundersame Weise wiederherstellen kann (1 Kön 13,6f–h), wird die Perspektive von dem eigentlich fokalisierten »Zeichen« JHWHs auf das vermutlich durch den Gottesmann bewirkte oder initiierte, aber weniger wichtige ›Wunder‹ gelenkt. Damit ergibt sich eine Doppelbewegung von dem theologisch Zentralen (Altar und JHWH) zu menschlichen Protagonisten (Jerobeam und der Gottesmann), die in den Vordergrund gestellt werden. Die in der Erzählkonstruktion vorgenommene Verschiebung von dem unsichtbaren »Zeichen« JHWHs am Altar zum sichtbaren ›Zeichen‹ an Jerobeam lässt den bei seiner Einweihung unsichtbar entweihten Altar, der über dreihundert Jahre seinen Zweck erfüllen wird, in den Hintergrund treten. Dass damit alle auf ihm stattfindenden Opfer eigentlich ungültig sind, könnte implizit die Rechtmäßigkeit des Jerusalemer Altars insinuieren. So tritt die Erzählstimme als aus dem Südreich Juda fokalisierte Erzählstimme wahrnehmbar hervor. Die in den Vordergrund geschobene Jerobeam-Gottesmann-Geschichte eröffnet die Reihe der Übertretungen durch den Gottesmann, die zu seinem Tod führen und somit den ersten und den fünften Abschnitt dieser Erzählung verbinden. Das gemeinsame Grab des Gottesmannes und des Propheten ist erzählerisch notwendig, um am Ende der Königsbücher bei der Zerstörung des Kultes in Bet-El (2 Kön 23,15–20) über das Grab des Gottesmannes auf die Anfänge des Kultes zurückzuverweisen. Im Licht der Maßnahmen Joschijas von 2 Kön 23 profiliert sich dann das in der Erzählung 1 Kön 13 marginalisierte »Zeichen« JHWHs umso deutlicher: JHWH hat den Kult in Bet-El von Beginn an nicht gewollt; schon bei der Einweihung hat JHWH in einem unsichtbaren, performativen Akt den Altar von Bet-El entweiht und damit eine unsichtbare, aber wirkmächtige Gegenwart geschaffen, die äußerlich sichtbar erst in ferner Zukunft eintreten wird. Wenn auch noch unsichtbar, so vollzieht sich der gesamte Kult in Bet-El an einem bereits unsichtbaren, aber dennoch wirksam zerstörten und entweihten Altar. 2.1.2. Der Gottesmann und der König Jerobeam (1 Kön 13,6a–10c) Der zweite Teil des ersten Abschnitts besteht in erster Linie aus einem Gespräch zwischen Gottesmann und König, das vom König eröffnet wird. Während der König bislang nur anwesend und passiv war und bisher nur ›Normalen‹ und die Naturgesetzlichkeiten außer Kraft gesetzt werden; daher ist es gar nicht nötig, nach ›natürlichen‹ Erklärungen zu suchen und medizinische Spekulationen anzustellen, wie dies WISEMAN tut, der »muscular spasm or nervous rigidity« und »hemiphlegia, a sudden blocking of the main artery, or the result of a cerebral haemorrhage or embolism of which the clot dispersed« diagnostiziert (WISEMAN, Kings, 146; vgl. WISEMAN, Medicine, 28). KLOSTERMANN erklärt das Wunder »durch Berührung mit dem durch elektrischen Schlag zerspaltenem Altar«, zitiert nach BENZINGER, Bücher der Könige, 91–92.
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Kap. III: 1 Kön 13
an ihm gehandelt wurde, nimmt er jetzt eine aktive Rolle ein. Der zweiteilige Redegang des Königs (1 Kön 13,6c–e und 13,7b–d) ist unterbrochen durch einen Einschub der Erzählstimme, die von der Heilung der Hand des Königs durch den Gottesmann berichtet (1 Kön 13,6f–h). Dann erst antwortet der Gottesmann dem König in einer längeren Rede (1 Kön 13,8b– 9e), in der er in wörtlicher Rede die Worte Gottes wiedergibt (1 Kön 13,9b–e). Abgeschlossen wird der erste Abschnitt durch die Rückkehr des Gottesmannes nach Juda (K II). Der König reagiert auf die plötzliche Unbeweglichkeit seiner Hand (und Macht), indem er direkten Kontakt mit dem Gottesmann aufnimmt (1 Kön 13,6a–b). In seiner Rede bittet der König den Gottesmann um zwei Dinge: Erstens solle er JHWH besänftigen (1 Kön 13,6c). Offensichtlich rechnet der König aus seiner Perspektive damit, dass sein Tun eine ›Kränkung‹ Gottes (hlx im Qal) hervorgerufen habe, so dass der Gottesmann dafür sorgen soll, dass JHWH durch ein Bittgebet 197 ›besänftigt‹ (hlx im Piel) werde (1 Kön 13,6c). Dabei fällt auf, dass der König den Gottesmann bittet, sich an »JHWH, deinen Gott« (^yh,l{a/ hw"hy>) zu wenden; ob damit eine Differenz zwischen dem Gott Jerobeams und dem Gott des Gottesmannes anvisiert ist, bleibt offen. Zweitens soll der Gottesmann für den König beten (1 Kön 13,6d), dass »meine Hand wieder zu mir zurückkehre« (1 Kön 13,6e). Damit charakterisiert der König zugleich auch den Gottesmann als Propheten, indem er ihm mit der Bitte um Heilung und Fürbitte genuin prophetische Aufgaben anträgt. Die Heilung der Hand wird dann zum Bestätigungszeichen für den Propheten. Paradoxerweise bittet der König den Gottesmann um das, was er als Opfernder eigentlich gerade selbst tut: nämlich zu Gott zu beten. Damit wird die Wirkungslosigkeit seines Betens und Opferns am Altar von Bet-El augenfällig demonstriert. Seine Ohnmacht geht somit weit über seine bewegungsunfähige Hand hinaus. Nach der Wiederherstellung der Hand (1 Kön 13,6f–h) ist diese zwar beweglich wie zuvor – doch der Machtverlust des Königs bleibt. Nach dieser ›Heilung‹ schließt sich ein Gespräch zwischen König und Gottesmann an, in dem der König diesen bittet, in ein Haus zu kommen, um sich zu »stärken« und ein »Geschenk« (tT'm;) anzunehmen (1 Kön 13,7). Diese Einladung des Königs wird sehr unterschiedlich gedeutet: Handelt es sich bei der Einladung um ein ehrliches Bedanken-Wollen des Königs?198 Will der König etwaige unheilvolle Folgen seines Haftbefehls abwenden oder will er die Wirkung des Drohwortes gegen den Altar abschwächen?199 Handelt es sich um sehr konkrete Geschäftsverhandlun-
197
Vgl. SEYBOLD, Reverenz und Gebet, 12–13. So LANDERSDORFER, Könige, 89. 199 So NOTH, Könige, 298. 198
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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gen,200 oder um berechnendes Wiedergutmachen gegenüber dem Gottesmann und seinem mächtigen Gott und um einen Bestechungsversuch oder gar um einen Hinterhalt, der für den Gottesmann lebensgefährlich sein könnte? Will der König den unbequemen Gottesmann ›entschärfen‹, indem er ihn in seinen Einflussbereich integriert, ihn finanziell abhängig macht und er ihn damit unter Kontrolle hat? Dafür sprechen jedenfalls die verwendeten Lexeme, »Geschenk« (tT'm;)201 und »stärken« (d[s)202, die neben einer wörtlichen Bedeutung immer auch ein Abhängigkeitsverhältnis indizieren. Interessanterweise wird der Ort, zu dem der König einlädt, als »ein Haus« (1 Kön 13,7b vgl. 13,15b) bezeichnet.203 In der biblischen Überlieferung ist kein ›Haus‹ des Königs in Bet-El bekannt. Daher könnte er entweder zu einem Haus einladen, in das er sich einquartiert hat, oder es wäre der Tempel von Bet-El gemeint, in den bzw. in dessen Nebenräume204 der
200 Entgegen der in den Kommentaren üblichen Interpretation, dass der Gottesmann in 1 Kön 13,8–9 das Angebot des Königs ablehne, hält REIS dies für »the second stage of a mutually desired commercial transaction. Jerobeam offers a reward, and the man of God suggests the amount of the reward. For half of Jerobeam’s kingdom, he will transgress God’s express command and go to work for the king of Bethel. A talented prophet from Judah who might seem to the populace to confer a southern seal of approval upon Jerobeam’s idolatrous practice, […] is an expensive commodity. The man of God starts the haggling at a high figure, but he may expect to take less than half the kingdom for his services; this is the beginning of the bargaining« (REIS, Vindicating God, 377). Der Gottesmann führe seine Verhandlungen nach der »no means yes«-Methode, wobei »the terms of a deal are formulated negatively so that either party may withdraw without loss of dignity or prestige. […] Employment was the delicately couched message of the king’s ouverture and the man of God’s response when the offer of reward is abandoned« (Ebd., 377–378). Daher handele es sich bei dem Angebot des Königs nicht um ein Geschenk, wie meist angenommen wird, sondern um ein Anstellungsangebot, das aber der König nicht wiederholt, weil »Jerobeam recognizes the man of God’s greedy loy and withdraws from the transaction. He may have been willing to pay the prophet by the job, or even to employ him at a more modest wage, but so hefty a retainer is out of the question« (Ebd., 379–380). 201 tT'm; (bzw. die gebräuchlichere Form hn"T'm;) bezeichnet ein »Geschenk« oder eine »Gabe«; diese Form findet sich in der Hebräischen Bibel nur noch in Ez 46,5.11; Spr 25,14; Koh 3,13; 5,18. Es war üblich, einem Propheten oder Gottesmann, der einem zu Diensten war, durch ein angemessenes Geschenk zu entlohnen vgl. 1 Kön 14,3; 1 Sam 9,7–8. 202 Das Verb »stärken« (d[s) findet sich in der Hebräischen Bibel insgesamt nur zwölfmal und bezeichnet im wörtlichen Sinne die Stärkung durch Nahrung für einen Weg, der noch vor einem liegt (vgl. Gen 18,5; Ri 19,5.8; Ps 104,15); von diesem leitet sich ein übertragener Gebrauch ab, der den Vorgang der Stützung und Unterstützung durch eine (mächtigere) Person bezeichnet, in deren Einflussbereich man gehört und unter deren Schutz man sich stellt (vgl. Ps 18,38; 20,3; 41,4; 94,18; 119,117; Spr 20,28; Jes 9,6). 203 COGAN vermutet, dass die Einladung des Königs eine Einladung nach Sichem sei und damit das Angebot verbunden sei, den Gottesmann am Königshof anzustellen, vgl. COGAN, 1 Kings, 368. 204 So NOTH, Könige, 298.
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Kap. III: 1 Kön 13
König den Gottesmann einlädt.205 Dann würde der König mit seiner Einladung den Versuch unternehmen, der Botschaft des Gottesmannes die Spitze zu nehmen. Der Gottesmann aber lehnt das Angebot des Königs rundweg ab, selbst wenn er die Hälfte des Königshauses erhalten würde.206 Mit den futurisch-prospektivisch formulierten Sätzen (x-PK; 1 Kön 13,8c– e: »ich werde nicht…«) weist er das Angebot des Königs zurück. Seine Antwort resultiert vielmehr aus dem ihm zuvor bekannten, den Lesenden und dem König aber erst im Anschluss mitgeteilten Wort JHWHs (1 Kön 13,9b–e; (A: Kommen 1 Kön 13,8c; B: Brot essen und Wasser trinken 1 Kön 13,8d–e).207 Das in seiner Rede zitierte »Wort JHWHs« (C: 1 Kön 13,9a) ist in drei Prohibitiven gestaltet (B’: kein Brot essen und kein Wasser trinken 1 Kön 13,9b–c; A’: keine Rückkehr auf demselben Weg 1 Kön 13,9d–e). In diesem wird die Anweisung an den Propheten in invertierter Reihenfolge genannt, so dass sich eine chiastische Struktur ergibt: %M"+[i aboßa' al{ï 8c A ~x,l, lk;aoÜ-al{)w> 8d B1 `hZ rb;d>Bi) unwahrscheinlich. Die erste Möglichkeit ist, dass durch die offene Formulierung ein unbekannter Dritter eingeführt wird, der dem Gottesmann »im / gemäß dem Wort JHWHs« ein bestimmtes Verhalten befohlen hat. Dann wäre der Gottesmann nicht der direkte Empfänger des Gotteswortes, sondern er hätte es nur durch einen Dritten vermittelt erhalten.220 Dann wäre der Gottesmann tatsächlich nur ein Bote – aber von wem ist er geschickt worden? Wer ist der Auftraggeber, aus welchen Kreisen stammt er, und mit welcher politischen oder theologischen Motivation ist der Gottesmann entsendet worden? Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass es sich um eine passivische Formulierung handelt »denn so ist mir durch das Wort JHWHs befohlen worden«. 221 Doch wer ist dann das indi-
mehr wie ein Deus ex machina kommen und wieder verschwinden«, LANDERSDORFER, Könige, 89. 217 Vgl. hierzu in diesem Kapitel weiter unten, in Kap. III. 2.2.2. zu 1 Kön 13,18 sowie in Kap. III. 2.4.1. zu 1 Kön 13,26. 218 So WERLITZ, Könige, 138. 219 Vgl. hierzu auch das Motiv des Weges (mit den Lexemen bwv + %r,D, + awb) in 2 Kön 19,33. 220 So REHM, Könige, 46. 221 Die LXX übersetzt mit evnetei,lato.
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rekte Subjekt?222 So muss die Herkunft des dreifachen Verbotes an den Gottesmann offen bleiben. Der erste Abschnitt endet mit dem Aufbruch zur Rückkehr (bwv) des Gottesmannes nach Juda, der einen anderen Weg (%r,D,) als den Hinweg einschlägt (%lh; 1 Kön 13,10a–c). Damit wird am Ende des ersten Abschnittes die Fokalisierung des Anfangs (1 Kön 13,1) wieder aufgenommen: Die Lesenden verlassen mit dem Gottesmann Bet-El. Durch diese Wahrnehmungslenkung wird Nähe zwischen den Lesenden und der Figur des Gottesmannes geschaffen, die den Lesenden nahe legen soll, die Perspektive des Gottesmannes zu übernehmen. Zwischen dem Gebrauch der Verben »kommen« (awb) und »gehen« (%lh) lässt sich in der Erzählung eine klare Abgrenzung erkennen: Das Verb »kommen« (awb) bezeichnet erstens den Hinweg, den der Gottesmann, aus Juda kommend, genommen hat (1 Kön 13,1a.10c.12e.14e.21b), und zweitens den Rückweg, der nicht mit der Anweisung JHWHs kompatibel ist (1 Kön 13,8c.16b vgl. 13,7b) und der vom Gottesmann abgelehnt wird. Entsprechend dieser Logik werden die Ankündigungen, dass der Gottesmann nicht im Grab seiner Väter begraben wird (1 Kön 13,22g), und das finale Kommen des Gottesmannes in die Stadt als Toter (1 Kön 13,29d) mit dem Verb »kommen« (awb), das den falschen Weg bezeichnet, ausgedrückt.223 Der Rückweg nach Juda aber, der sich als »anderer Weg« (vgl. 1 Kön 13,10a) vom Hinweg unterscheidet, ist mit dem Verb »gehen« (%lh) verbunden.224 So sind in dieser Abschlussnotiz drei Leitworte der Erzählung vereint: erstens das Verb »zurückkehren, umkehren« (bwv), zweitens das Nomen »Weg« (%r,D,) und drittens das Verb »gehen« (%lh). Das Verb »zurückkehren, umkehren« (bwv)225 tritt, abgesehen von Jer 3, an keiner Stelle der Bibel in größerer Konzentration als in dieser Erzählung auf. Dabei kann man zwei Bedeutungen von »zurückkehren« unterscheiden: zum einen »die Hand zurück222 In der späteren Wiederholung dieser JHWH-Anweisung in 1 Kön 13,22d durch den Propheten in Form einer Botenrede vermittelten Gottesrede ist genau diese Frage vereinfacht: Hier wird JHWH eindeutig zum Sprecher der Anweisung, der sich mit ihr direkt an den Gottesmann gewandt hat. Aber 1 Kön 13,22d lässt als perspektivisch gebundene Figurenrede nur bedingt Rückschlüsse auf 1 Kön 13,9a zu: Handelt es sich tatsächlich um ein Gotteswort, dann könnte sich von hierher eine vereindeutigende Lektüre für 1 Kön 13,9a ergeben; wenn aber Zweifel an der Echtheit dieses Gotteswortes bestehen, dann hilft 1 Kön 13,22d für die Fragen von 1 Kön 13,9a nicht weiter. 223 Neben diesem Gebrauch wird es auch verwendet, um die beiden Figurengruppen, die Söhne des Propheten und die Männer (1 Kön 13,11b.25c), zu bezeichnen, die in den parallel gestalteten Abschnitten II und IV strukturell in analoger Position geschildert werden. 224 Vgl. 1 Kön 13,10a.12b.d.14a.15b.17d.24a.28a. Eine Ausnahme ist die als Gotteszitat gestaltete Formulierung in 1 Kön 13,9e.17e. 225 Es findet sich vierzehnmal in dieser Erzählung (13,4g.6e.g.9d.10b.16d.17c.18d.19a. 20c.22a.23c.26b.29c) sowie fünfmal im Rahmen (1 Kön 12,26.27bis; 13,33bis). Vgl. auch zur Verteilung von Qal und Hifil bei »zurückkehren, umkehren« (bwv) Kap. III. 2.2.
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Kap. III: 1 Kön 13
ziehen« (1 Kön 13,4g.6e.g), zum anderen »an einen Ort zurückkehren« oder »auf einem Weg zurück gehen«. Viermal ist das Verb mit dem Nomen »Weg« (%r,D, 13,9d.10b.17c.26b) verbunden. Das zweite Leitwort, das Nomen »Weg« (%r,D,)226 ist, außer in 1 Kön 13,14a.15b, immer mit dem dritten Leitwort, dem Verb »gehen« (%lh),227 verbunden. »Zurückkehren, umkehren« (bwv) und »einen Weg gehen« (%r,D, + %lh) haben in der Erzählung sowohl eine wörtliche als auch eine übertragene Bedeutung, die auf die zentralen theologischen Anliegen der Erzählung hinweist: JHWH hat dem Gottesmann die Anweisung gegeben, auf einem anderen Weg als dem Hinweg zurückzukehren. Auf der reisepraktischen Ebene mag diese Anweisung zur Gewährleistung der Sicherheit des Gottesmannes erfolgt sein, die er – wie bereits oben erläutert – preisgibt. Liest man diese Anweisung als Aufforderung JHWHs, erhält sie einen übertragenen Sinn: Es ist JHWH selbst, der empfiehlt, einen anderen Weg einzuschlagen und umzukehren. Und weil der Gottesmann dieser Mizwah JHWHs nicht konsequent gefolgt ist, ist er umgekommen (vgl. v.a. 1 Kön 13,26).228 An keiner Stelle der Königsbücher und des DtrG finden sich diese Leitwörter, die zentrale Theologumena im DtrG sind, in einer solchen Konzentration wie in 1 Kön 13. Dabei zeichnet sich diese Erzählung gerade dadurch aus, dass sie das Thema der zu gehenden Wege und der Umkehr zunächst als ein pragmatisches Thema behandelt. Die im DtrG theologisch hoch aufgeladenen Begriffe werden auf eine lebenspraktische Frage herunter gebrochen: Welchen Weg soll der Gottesmann nehmen? Da die Anweisung zur alternativen Rückreiseroute von JHWH zu stammen scheint, ist in der Erzählung selbst diese Frage bereits mehr als ›nur‹ ein (sicherheits-)technisches Problem, das als Vorsichtsmaßnahme zum persönlichen Schutz des Gottesmannes gedacht ist. Dieses ›Mehr‹ tritt umso deutlicher durch den Kontext von 1 Kön 13 und seine Situierung in den Königsbüchern hervor: 1 Kön 13 wird zu einer Beispielgeschichte,229 in der die Frage nach den einzuschlagenden Wegen vor JHWH in dem Moment und an dem Ort thematisiert wird, an dem gerade eine für das Schick226
Das Nomen »Weg« (%r,D,), findet sich elfmal in der Erzählung (1 Kön 13,9d.10a.b. 12b.c.17d.24a.d.25b.26b.28b vgl. 13,33). In 1 Kön 13,10 wird das Nomen »Weg« (%r,D,), das sowohl mit maskulinem, als auch femininem Geschlecht gebildet werden kann, zuerst maskulin (»ein anderer Weg« Hb' aB' rv,a] %r,D,B);> , dann feminin (»der Weg, auf ›der‹« rxea; %r,d,B). konstruiert. 227 Das Verb »gehen« (%lh) findet sich in dieser Erzählung zehnmal (13,9e.10a.12b.d. 17d.24a.28a). 228 Vgl. Kap. III. 2.4.1. zu 1 Kön 13,26. 229 Diese Interpretation würde die Funktion der Erzählung über die Begegnung zwischen dem Gottesmann und dem Propheten mitten in den Erzählungen über Jerobeam erläutern und eine Antwort auf die Fragen von WALSH geben: »Above all, we wonder why such a tale is told and why it is told here, in the middle of the story of Jerobeam« (Kings, 182).
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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sal des Nordreiches entscheidende Weichenstellung mit der Einweihung eines neuen Altars geschieht. Die in 1 Kön 13 ausgefeilte Semantik wird in dem um 1 Kön 13 gelegten Rahmen erneut aufgegriffen: In Jerobeams Selbstgespräch wird das Nachdenken über (seine) neuen Wege von der Erzählstimme (1 Kön 12,25–33: A) als »Verfehlung« (taJ'x;) bezeichnet (1 Kön 12,30: B), nach der Erzählung über den Gottesmann und den Propheten wird im Bewertungsformular konstatiert, dass Jerobeam von seinen »bösen Wegen« nicht umgekehrt sei (1 Kön 13,33), um dann über das Stichwort »Verfehlung« (taJ'x;) auf den Untergang des Hauses Jerobeams zu verweisen (1 Kön 13,34). Diese Bewertung der Erzählstimme bildet einen Rahmen um 1 Kön 13. Dazwischen ist die Erzählung von 1 Kön 13 geschaltet, die die Frage nach den für das Nordreich einzuschlagenden Wegen in einer Erzählminiatur abbildet: Das Nordreich soll einen eigenen Weg ohne das Südreich gehen. Dazu war Jerobeam in der Begegnung mit Ahija legitimiert worden (1 Kön 11,29–39). Die Erzählstimme engt diesen Weg aber nur auf den politisch, nicht aber auf den kultisch-religiös selbständigen Weg ein. Auf diese Weise erscheint der Weg, den Jerobeam nun einschlägt, als ein selbst erdachter Weg, zu dem er keine Legitimierung hat (vgl. 1 Kön 12,28): Mit der Einweihung des Altars in Bet-El begeht Jerobeam in den Augen der Erzählstimme die entscheidende »Verfehlung« (vgl. 1 Kön 12,30), die bereits am Beginn des Nordreiches den Keim für seinen Untergang legt. Von nun an werden in jeder Generation durch den stereotypen Verweis auf die »Verfehlung« Jerobeams die in den Königsbüchern marginalen Kultstätten in Bet-El und Dan aktualisiert und die nicht erfolgte Umkehr der Könige wachgehalten, an der die Könige des Nordreiches gemessen werden:230 »The constant repetition of ›the way‹ (derek) is a literary device meant to prepare the reader for a motif which becomes central to the remainder of the narrative.«231 2.2. Der Gottesmann und der Prophet: Erster Rückweg (1 Kön 13,11–19) Zu Beginn des zweiten Abschnitts der Erzählung »voller Ungereimtheiten«232 (1 Kön 13,11–19) treten neue Figuren an einem neuen Ort auf: »Der zweite, höchst befremdliche Teil der Geschichte schildert den Tod des Gottesmannes, belogen von einem Propheten aus Bet-El, welcher am Ende von seiner Lüge auch noch profitieren soll.«233
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Vgl. hierzu auch Kap. III. 1.2. DOZEMAN, The Way of the Man of God, 387. 232 WÜRTHWEIN, Die Erzählung vom Gottesmann, 185. 233 WERLITZ, Könige, 135. 231
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Kap. III: 1 Kön 13
2.2.1. Der Prophet und seine »Söhne« (1 Kön 13,11a–13d) In einer expositionellen Hintergrundschilderung234 wird ein neuer Gottesspezialist eingeführt, der – namenlos wie der erste – als »ein Prophet« (dx'a, aybin")235 vorgestellt wird (1 Kön 13,11). Der Prophet ist bereits betagt und wohnt offenbar schon lange in Bet-El.236 Die Betonung des Alters erzeugt das Gefühl, dass es sich um einen weisen und erfahrenen Propheten handeln könnte. So ist man auf sein Handeln gespannt, zumal er nicht an den Opferhandlungen Jerobeams teilnimmt, sondern in seinem Haus geblieben ist: Seine Nicht-Teilnahme am kultischen Geschehen könnte aus seinem Alter resultieren,237 aber auch als königskritische Haltung, gerade im Kontext der späteren gastlichen Aufnahme des Gottesmannes in sein Haus, gedeutet werden.238 Von dem, was bei der Einweihung des Altars von Bet-El geschieht, erfährt der Prophet nur durch seine »Söhne«, die zu ihm »kommen« (1 Kön 13,11b). Diese müssen nicht seine leiblichen Söhne, sondern können vielmehr seine Schüler sein.239 Dann wäre der Prophet ein Lehrer wie z.B. Elischa, der auch von einem Kreis von Prophetenschülern umgeben ist.240 Der Beginn des ersten und des zweiten Abschnittes sind in szenischer Analogie gestaltet: Die »Söhne« »kommen« zum Propheten, wie zuvor der Gottesmann zu Jerobeam »gekommen« ist (awb vgl. Rahmung des ersten Abschnitts 1 Kön 13,1a.10c und 13,11b). Ähnlich verhält es sich mit der Fokalisierung: Während im ersten Abschnitt der Altar das fokalisierte Objekt und das fokalisierende Subjekt der Gottesmann, der nach Bet-El kommt, ist, so ist in 1 Kön 13,11a zunächst die Kamera auf den Propheten als fokalisiertem Objekt scharf gestellt; interessanterweise wechselt mit dem Kommen der Söhne das Objekt der Fokali234 Zum Partizip als Mittel der Hintergrundschilderung vgl. GROSS, Verbform, 74. Wie bereits 1 Kön 13,1a schließt auch 13,11a syndetisch an den vorangehenden Vers an. 235 Für das Porträt des Propheten ist es signifikant, dass er als »ein Prophet« (dx'a, aybin") eingeführt wird: Diese Bezeichnung ist uneindeutig und eröffnet direkt bei der Einführung des Propheten bewusst mehrere Lektüremöglichkeiten, für die Figur, die sich im Folgenden als höchst ambivalent und schimmernd herausstellen wird: Das Lexem »ein« (dx'a,) kann als ein »gewisser« (vgl. HOUSE, Kings, 189) oder ein »einzigartiger« gelesen werden, könnte aber auch unbestimmt als »irgendeiner« gelesen werden und damit eine Abwertung beinhalten oder als »ein anderer« die Differenz zum Gottesmann betonen, obwohl in der Erzählung eine Verwechslung beider durch eine konsequente Verwendung der Termini »Gottesmann« und »Prophet« eigentlich ausgeschlossen ist und der »Gottesmann« bisher nie als »Prophet« bezeichnet wurde. 236 Dies wird durch das Partizip angezeigt. 237 Diese Deutung schlägt DE VRIES, 1 Kings, 171 vor. 238 So auch REHM, Könige, 46 (etwas vorsichtiger REHM, 1 Könige, 144: »Über seine Stellung zu dem dort gepflegten Kult wird nichts mitgeteilt«); ähnlich LANDERSDORFER, Könige, 89; NOTH, Könige, 299. 239 Vgl. 1 Kön 13,11b.12c.13a.27a.31b. So auch WÜRTHWEIN, Könige, 167. 240 Vgl. z.B. 2 Kön 4,38; 6,1; 9,1.
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sierung: Nun wird das zurückliegende Geschehen zum fokalisierten Objekt. Dadurch, dass der Prophet nur durch »seinen Sohn«241 bzw. seine Söhne erfährt, was sich am Altar von Bet-El zugetragen hat (1 Kön 13,11), ergibt sich eine Informationsinkongruenz zwischen den Lesenden und dem Propheten, weil man einerseits nicht weiß, was die Söhne dem Propheten erzählen, andererseits diese aber auch nicht wissen, was die Erzählstimme den Lesenden zuvor nicht mitgeteilt hat. Dabei wird das Geschehene in zwei, asyndetisch nebeneinander gestellte Kategorien, als »alle Taten« (hf,[]M;h;-lK') und als »die Worte« (~yrIb'D>h;), eingeteilt (1 Kön 13,11c1.c2). Was die Söhne dem Propheten genau berichtet haben, wird nicht erzählt; die »Worte« des Gottesmannes werden als die Worte spezifiziert, die er zum König (%l,M,h; la,) gesprochen hat (1 Kön 13,11c2.d). Die einzige Rede, die der Gottesmann speziell an den König gerichtet hat, ist die dritte Rede des Gottesmannes (1 Kön 13,8b–9e), in der der Gottesmann die Einladung des Königs zurückgewiesen hat. Was unter den Taten verstanden wird, bleibt offen. Äußerlich erkennbar handelt der Gottesmann nur, als er die Wiederherstellung der Hand des Königs erwirkt hat (1 Kön 13,6).242 Durch die durch die Söhne fokalisierte Wiedergabe rückt die Heilung der Hand in den Vordergrund, das im erzählten Geschehen deutlich kürzer ist und nicht im Vordergrund steht. Diese retrospektive Wahrnehmungslenkung bewirkt, dass das Geschehen um den Altar in den Hintergrund tritt. Am Ende der Erzählung wird sich jedoch das, was hier ausgeblendet wird, die Ankündigung der Zerstörung des Altars von Bet-El durch Jerobeam, als die eigentliche Handlungsmotivation des Propheten herausstellen. Durch die Betonung der (dritten) Rede des Gottesmannes werden die abgewiesene Einladung und ihre Begründung, dass der Gottesmann aufgrund der Anweisung JHWHs nicht in Bet-El bleiben darf, besonders hervorgehoben. Dies ist für die weitere Erzählung wichtig, weil sich aus der Anweisung, nicht in Bet-El zu essen und zu trinken und sofort nach Juda zurückzukehren, die Dynamik der weiteren Erzählung ergibt: Der Prophet versucht mit allen Mitteln den Gottesmann von dem zu überzeugen, was dem König nicht gelungen ist, nämlich ihn zur Umkehr nach Bet-El und zum Essen und Trinken in seinem Haus zu überreden. Das, was in 1 Kön 13,11 nicht erzählt wird, sondern auf das nur implizit verwiesen wird, motiviert den Propheten zu seinen folgenden Aktionen. Die Akzentverschiebung wird zudem durch die Verwendung des Verbs »erzählen« (rps im Piel)243 gestützt, das einen Rahmen um die Nomina 241
Bzw. die »Söhne des Propheten«, vgl. hierzu Figurenkonstellation Kap. III. 1.4. In einem weiteren Sinn könnte auch sein ganzer Auftritt in Bet-El unter den von den Söhnen erwähnten »Taten« subsumiert werden (1 Kön 13,1–6). 243 Das Verb findet sich im Qal bzw. Nifal in der Bedeutung »zählen« in den Königsbüchern nur noch in 1 Kön 3,8; 8,5. Das Substantiv rp,se findet sich erstens zur Bezeichnung der »Chronik der Könige« (~ymiY"h; yreb.DI rp,se z.B. in 1 Kön 22,39.46; 2 Kön 1,18 u.ö.) in den 242
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»alle Taten« (hf,[]M;h;-lK') und »die Worte« (~yrIb'D>h;) legt.244 Das Verb »erzählen« (rps im Piel) findet sich in den Königsbüchern nur noch in 2 Kön 8.245 In beiden Erzählungen berichten Figuren in untergeordneter Stellung einem in der Hierarchie Höherstehenden in bewunderndem Ton von den Taten eines Gottesmannes: Hier erzählen die Söhne des Propheten ihrem Lehrer von den Taten des Gottesmannes aus Juda.246 Es bleibt offen, ob die Bewertung aus dem Erlebnis des Spektakulären resultiert oder daraus, dass die »Söhne« die Taten des Gottesmannes auf JHWH zurückführen. Gegenüber seinen »Söhnen« greift der Prophet nur einen Teilaspekt aus der ihm berichteten, dritten Rede des Gottesmannes heraus: die Frage nach dem Weg (1 Kön 13,12b vgl. 13,9d und 13,10b.c). Diese lässt sich (mindestens) auf zwei Ebenen lesen: Erstens fragt der Prophet ganz pragmatisch nach dem Weg, um den Gottesmann zu treffen. Zweitens wird mit dieser Frage das Motiv des Weges aufgegriffen, das in der Erzählung auf verschiedenen semantischen Ebenen verwendet wird. Und tatsächlich können die Söhne Auskunft geben: Sie »sahen« den Weg des Gottesmannes.247 Damit wird deutlich, dass das Geschehen auch weiterhin durch die Söhne fokalisiert wird. Dass die Söhne Auskunft über den Weg geben konnten, mag Zufall sein. Vielleicht aber hat die Preisgabe der JHWH-Worte durch den Gottesmann erst das Interesse der Söhne am Weg des Gottesmannes hervorgerufen. Damit steht in der dritten Rede des Gottesmannes der dritte, richtig erfüllte, aber unverstandene Teil der Gottesanweisung (vgl. 1 Kön 13,9b–e) im Vordergrund. Je mehr der Fokus auf dieses eine Detail gelenkt wird, umso mehr steigt die Spannung: Wie wird sich die Rückkehr des Gottesmannes gestalten? Der Prophet weist seine Söhne an, einen Esel zu satteln, was sie sogleich tun. Dann reitet der Prophet hinter dem zurückkehrenden GottesKönigsbüchern, zweitens für »Buch« (2 Kön 14,6; 22,8.10.11.13bis.16; 23,2.3.21.24) und drittens für »Brief« (1 Kön 21,8.9.11; 2 Kön 5,6bis.7; 10,1.2.6.7; 19,14; 20,12); vgl. »Schreiber« in 2 Kön 18,18.27; 19,2; 22,3.8bis.9.1.12; 25,19. 244 Beide Nomen werden ihrerseits jeweils mit einem Relativsatz erweitert (1 Kön 13,11c1.d und 13,11c2.e). 245 Gehasi, der Diener von Elischa, und die Frau von Schunem »erzählen« dem König von Elischa (2 Kön 8,4.5.6). 246 Das Verb »erzählen« (rps) wird in der Hebräischen Bibel verwendet, um besondere Vorfälle (vgl. 1 Sam 11,5), bedeutsame Erlebnisse wie Träume (vgl. Gen 28,8–9; 41,8.12), geheimnisvolle Eingebungen (vgl. Gen 37,9–10), göttliche Offenbarungen (Jer 23,27–28.32), v.a. aber JHWHs machtvolle Taten und seine Heilstaten (Ex 18,8; Ps 9,2.6; 75,2; 96,3; 145,4– 7 u.ö.) zu erzählen. Vgl. hierzu CONRAD, rps, 914–915. 247 Umstritten ist, ob hier die Punktation von War>YIw: im Qal »sie sahen« richtig ist; sie würde bedeuten, dass die Söhne gerade noch den Gottesmann sehen, was eher unwahrscheinlich ist; möglicherweise ist die Punktation War>Y:w: »sie zeigten« bzw. WhWar>Y:w: »sie zeigten ihm« (vgl. LXX, aram.: »und seine Söhne zeigten ihm den Weg«) vorzuziehen (vgl. NOTH, Könige, 290).
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mann her (1 Kön 13,13 vgl. 1 Kön 13,23.27bis).248 Die Erzählung lässt völlig offen, warum der Prophet den Gottesmann unbedingt treffen möchte. Nichts verlautet über seine Motive und Absichten. Diese Offenheit in Bezug auf die handlungsmotivierende Perspektive des Propheten schafft Spannung: Was will der Prophet von dem Gottesmann? Hat sein Wunsch nach der Begegnung mit dem Gottesmann etwas mit dessen Wirken in Bet-El und dessen Wort gegen den dortigen Altar zu tun? 2.2.2. Der Prophet und der Gottesmann (1 Kön 13,14a–19c) Der Prophet trifft den Gottesmann »unter der Terebinthe« (oder: »Eiche« hl'aeh'; 1 Kön 13,14). Damit findet er seinen Kollegen aus dem Südreich so auf, wie ihn zuvor die Lesenden und die Prophetensöhne angetroffen haben: »sitzend« (beide jeweils im Partizip 1 Kön 13,11a.14b).249 Bäume erscheinen in der Hebräischen Bibel als Orte des Rastens, aber auch als Kultorte und Grabstätten (vgl. Ri 6,11.19; Ez 6,13; Hos 4,13). Es könnte sich somit hier einfach um die Bezeichnung eines Rastplatzes handeln, an dem sich der Gottesmann sitzend ausruht. Auffallend ist jedoch, dass der Baum mit Artikel versehen ist und damit offenbar eine bekannte Terebinthe bezeichnet wird. Es könnte sich hierbei um die »Träneneiche« in der Nähe von Bet-El handeln, bei der Debora, die Amme Rebekkas, bestattet ist, auch wenn die »Träneneiche« in Gen 35,8 mit !ALa; und nicht wie hier mit hl'ae bezeichnet wird. Durch den intertextuellen Bezug zu Gen 35 ergibt sich für 1 Kön 13 ein doppelter Mehrwert: »Die Terebinthe« wird als Ort der Begegnung von Prophet und Gottesmann zu einem Schicksalsort für den Gottesmann, der hier auf das Angebot des Propheten eingeht und mit diesem zurückkehrt, so dass er an dem auch als Grabstätte verwendeten Baum in sein eigenes Todesurteil einwilligt. Damit wird die als Grabstätte bekannte Terebinthe auch für ihn zum Grab. Noch wichtiger ist die zweite Beobachtung: In Gen 35,1–8.9–16 wird in einem doppelten Erzählgang von dem göttlich legitimierten Ursprung des Kultes von Bet-El (!) berichtet: Zunächst wird erzählt, wie Jakob auf Anweisung JHWHs bei der Terebinthe in Sichem die fremden Götter vergräbt, zu einer neuen Stätte zieht, die er dann Bet-El, »Haus Gottes«, nennt, weil er dort für JHWH einen Altar gebaut hat (vgl. ebenso Gen 28,19; 31,13). Die Erzählung aus Gen 35 wird in 1 Kön 13 nicht nur über das Lexem »Terebinthe«, sondern auch den kultischen Kontext aktualisiert: Während in 1 Kön 12–13 die Installation des Kultes durch Jerobeam als die grundlegende »Verfehlung« (ajx) präsentiert wird, erscheint dieser im Horizont von Gen 35 als Wiederaufnahme einer viel älteren, in der Zeit der Erzeltern verankerten kulti248 Ein ähnliches Motiv findet sich bei der Frau von Schunem, die einen Esel satteln lässt und zu Elischa reitet (vgl. 2 Kön 4,24). 249 Vgl. auch Gen 18,1.
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schen Tradition. Verstärkt wird dies dadurch, dass Gott in Gen 35 den Namen ›Jakob‹ in ›Israel‹ ändert und Jakob-Israel zahlreiche Nachkommenschaft und die Gabe des Landes mit dauerhaftem, stabilem Königtum verheißt (Gen 35,10–12). Beide Themen – eigene kultische Traditionen im Nordreich Israel sowie ein eigenes Königtum – werden vor dem Hintergrund der Kulterzählungen von Bet-El aktualisiert und legitimieren diese. Angesichts der Genesis-Erzählungen erscheint Bet-El gegenüber Jerusalem als die ältere Tradition. Schließlich ist der allererste Altar, der überhaupt für JHWH gebaut wurde, von Abraham in Bet-El errichtet worden (Gen 12,8). Vor diesem Hintergrund erscheint die Inbetriebnahme des Altars in Bet-El durch Jerobeam in 1 Kön 12 als ›Wiederinstallation‹ und Wiederaufnahme eines alten, ehrwürdigen Kultortes, der viel älter als Jerusalem und durch die großen, ersten Autoritäten der Tradition legitimiert ist. Jerobeam erscheint auf diese Weise als neuer Jakob, der in der Tradition seines Urahns den Altar von Bet-El, den JHWH damals befohlen hatte, wieder in Betrieb nimmt. Signifikanterweise liegt dieser intertextuelle Bezug quer zu dem, was bisher als die erzählerische und theologische Linie der aus judäischer Perspektive schildernden Erzählstimme beobachtet werden konnte. Als der Prophet den unter der Terebinthe sitzenden Gottesmann angetroffen hat, fragt er ihn, ob er der Gottesmann aus Juda sei (1 Kön 13,14d.e), was dieser bejaht (1 Kön 13,14h). Diese sofortige und offenherzige Preisgabe seiner Identität erscheint nicht nur unvorsichtig, sondern ist zugleich auch eine Bestätigung seiner Profession: Er identifiziert sich damit nicht nur als der Gesuchte, sondern auch als Gottesmann. Umgekehrt erkundigt sich der Gottesmann nicht, mit wem er es zu tun habe. Seine Identität als ›Prophet‹ gibt der Mann aus Bet-El erst später von sich aus im Gespräch dem Gottesmann preis (vgl. 1 Kön 13,18b). Der dem Gottesmann unbekannte Mann lädt ihn in ein Haus ein, um dort zu essen und zu trinken (1 Kön 13,15b.c). Sein Angebot formuliert der Prophet genau mit den Worten, die der Gottesmann gegenüber dem König als das ihm übermittelte Verbot Gottes zitiert hatte (1 Kön 13,9b). Einladung des Königs: 7b 7c 7d
ht'y>B:ßh; yTiîai-ha'Bo hd'['_s.W* `tT'(m; ^ßl. hn"ïT.a,w>
Einladung des Propheten:
ht'y>B"+h; yTiÞai %lEï `~x,l'( lkoßa/w
rb:åd>Bi yl;ae rb"Üd'-yKi( ~x,l,ê lk;äato-al{) 17b ~yIm"+ ~v'Þ hT,îv.ti-al{)w> 17c %r,D,ÞB; tk,l,êl' bWvåt'-al{ 17d `HB'( T'k.l;îh'-rv,a] 17e
16b 16c 16d 17a
Vergleicht man die Antwort des Gottesmannes gegenüber dem Propheten (1 Kön 13,16b–17e) mit der Antwort an den König (1 Kön 13,8b–9e), fallen im Wesentlichen vier Unterschiede auf: Erstens ist der Gottesmann in seiner Antwort gegenüber dem Propheten viel weniger deutlich und strikt als gegenüber dem König. Bei diesem hatte er als Erstes sofort die materielle Belohnung zurückgewiesen (1 Kön 13,8b) und dann das Ansinnen des Königs in drei jeweils mit »nein / nicht« eröffneten, futurisch-prospektiv formulierten Sätzen (x-PK; 1 Kön 13,8c–e: »ich werde nicht…«) klar abgelehnt. Gegenüber dem Propheten betont der Gottesmann jedoch, dass
253
Vgl. SIMON, I Kings 13, 92. DOZEMAN, The Way of the Man of God, 387; REIS, Vindicating God, 381. 255 REIS, Vindicating God, 384. 256 WISEMAN, Kings, 147. 254
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er sein Angebot nicht annehmen könne (lky; 1 Kön 13,16b),257 so dass es klingt, als wolle er gerne, könne aber aufgrund des Gotteswortes nicht mit dem Propheten zurückkehren. »The contrast thus made between volition and compulsion is obvious; he would go with the old prophet and accept his hospitality if he only could. If he ever resolved to obey God’s command, he is resolved no longer.«258 Der Eindruck der Bereitschaft zu einer persönlicheren Beziehung zu dem Propheten wird zweitens dadurch verstärkt, dass zweimal die Anrede »mit dir« (%T"ßai) in der eigenen Wiedergabe des Gotteswortes ergänzt (1 Kön 13,16b.d) und die Präposition »mit« ~[i (%M"+[i; 1 Kön 13,8c) durch die synonyme Präposition »mit« tae (%T"+ai; 13,16b) ersetzt wird, die eine engere Beziehung als die Präposition »mit« (~[i) ausdrückt259 (vgl. Gen 6,9). Auf diese Weise wird »fraternity, ideological union, and even close spritual communion« suggeriert: »This insistent tap, tap, tap of these three ›with you[s]‹ sounds a countermessage to the plain sense of v. 16. Subtly, and without explicit exposition, the old prophet is made conscious of the man of God’s intense longing to join him.«260 Ergänzt wird drittens das Verb »umkehren« (bwv), während der Gottesmann gegenüber dem König das Verb »kommen« (awB; 1 Kön 13,16b) verwendet. Die Ergänzung scheint hier die Funktion zu haben, zu betonen, wirklich nicht zurückkehren zu können.261 Die weniger brüske Formulierung wird zudem viertens in der die Gottesrede eröffnenden Begründung sichtbar: Beide Argumentationen operieren mit der für diese Erzählung charakteristischen, aber ansonsten seltenen Formulierung »im / gemäß dem Wort JHWHs« (hw"hy> rb;d>Bi; 1 Kön 13,9a.17b), während der Gottesmann gegenüber dem König das Verbot JHWHs als strikte Anweisung bzw. als Befehl (hwc) vorstellt und das wörtliche Zitat der Gottesrede noch einmal durch die Einleitung »indem er sprach« (rmoale) absichert. Gegenüber dem Propheten verändert sich der Fokus des Gottesmannes: Er lässt alles weg, was an einen Befehl erinnert, sondern formuliert unpersönlich, dass »ein Wort zu ihm (gekommen ist) im / mit dem Wort JHWHs« (1 Kön 13,17a). Nun klingt es so, als ob das strikte Verbot »just a casual remark God spoke in passing«262 sei. Wie bei 1 Kön 13,9a ist auch in 1 Kön 13,17a unklar, wer das Subjekt von »befehlen« ist (hW"ci).
257
Wie der König zuvor seine Hand nicht mehr bewegen ›konnte‹, so ›kann‹ der Gottesmann nicht zurückkehren und mit ihm kommen (lky; 1 Kön 13,4g.16b), vgl. ähnlich in 1 Kön 20,9. 258 REIS, Vindicating God, 382. 259 BROWN / DRIVER / BRIGGS, Lexicon, 87. 260 REIS, Vindicating God, 382. 261 Zu dem mehrfach konnotierten Leitwort »umkehren« vgl. Kap. III. 2.3. zu 1 Kön 13,18 sowie Kap. V. 3. zu 1 Kön 13,26. 262 REIS, Vindicating God, 382.
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Kap. III: 1 Kön 13
Zur Absicherung seiner Ablehnung zitiert der Gottesmann – wie zuvor gegenüber dem König – die Gottesrede (1 Kön 13,17b–e). Es fallen drei Differenzen gegenüber der ersten Zitation (1 Kön 13,9b–e) auf: Der Gottesmann ergänzt erstens »dort« (~v') in 1 Kön 13,17c (vgl. 13,9c), zweitens »gehen« (tk,l,l') in 1 Kön 13,17d (vgl. 13,9d) und drittens »auf ihm« (HB') in 1 Kön 13,17e (vgl. 13,9e).263 Häufig werden die Differenzen mit Hilfe der sehr viel glatteren LXX sprachlich ›ausgebessert‹, um die Wiederholungen aneinander anzupassen. Statt zu glätten, sollten vielmehr die semantisch bedeutsamen Differenzen ausgewertet werden.264 Der Gottesmann scheint also seinem Kollegen gegenüber sehr viel freundlicher und aufgeschlossener als gegenüber dem König, bleibt jedoch in der Sache ganz an das gebunden, was er als das »Wort JHWHs« bezeichnet. Die Identität zwischen dem, was er als die Worte JHWHs wiedergibt (1 Kön 13,16b–d), und dem, wie er sie wörtlich zitiert (1 Kön 13,17b–e), zeigt, dass er die Worte JHWHs genau wiedergibt. Der Prophet scheint anzunehmen, dass die Ablehnung des Gottesmannes aufgrund der Person des Königs erfolgt sei, weshalb er darauf setzt, selbst beim Gottesmann eine Chance zu haben. Doch auch der Prophet handelt sich eine Absage ein, so dass klar wird, dass die Weigerung des Gottesmannes wirklich aus dem Verbot JHWHs resultiert. Dadurch wird dem Propheten verdeutlicht, dass er, wenn er den Gottesmann zur Rückkehr nach Bet-El bewegen will, seine Strategie ändern und zu anderen Mitteln greifen muss: Deshalb stellt sich der Prophet, der bislang dem Gottesmann noch unbekannt ist, vor, indem er sich mit ihm identifiziert: Er sei ein »Prophet wie du« (1 Kön 13,18b). Die mit dieser Aussage intendierte Perspektivenkongruenz kann mindestens in dreifacher Weise gelesen wer263 Nach WÜRTHWEIN sei 1 Kön 13,9–10 aus einem Missverständnis von 1 Kön 13,17 erwachsen, das besage, dass der Gottesmann, der sich ja bereits auf dem Weg von Bet-El nach Juda befindet, nicht nach Bet-El zurückkehren dürfe; dies wurde dann bei der Einfügung in 1 Kön 13,9–10 so verstanden, dass der Gottesmann einen anderen Rückweg zu wählen habe: »Während V.17 davon handelt, daß der Prophet nicht zurückkehren dürfe auf dem Weg, den er gegangen ist, d.h. nicht nach Bet-El, wird dies in V.9b.10 so verstanden, als ob er auf einem anderen Weg nach Juda zurückkehren müsse«, WÜRTHWEIN, Könige, 170, der sich damit EHRLICH, Randglossen, 248–249 anschließt: »Wenn ein solches Verbot JHWHs mit Bezug auf die Wahl der Heimkehr existierte, leuchtet nicht ein, aus welchem Grund der Prophet dem ihn einladenden Alten Mitteilung davon machte.« Schließlich befindet sich der Gottesmann ja bereits auf dem anderen Rückweg, als ihn der Prophet erreicht, daher braucht er ihm nicht klar zu machen, dass er einen anderen Rückweg wählen sollte, vielmehr jedoch, dass er nicht nach Bet-El zurückkehren dürfe. 1 Kön 13,17d lässt beide Deutungen zu (so auch STIPP, Elischa, 395). Erstere würde den Gottesmann wieder, unabhängig vom situativen Kontext, als reinen Wiederholer der Gottesanweisungen charakterisieren. 264 Beispielsweise für 1 Kön 13,17a finden sich folgende Varianten: 1. Es ist bei rb"Üd'-yKi( ein hyh ausgefallen, dann lautet es: »das Wort erging an mich«; oder 2. (Klostermann) es müsste rB'Du vokalisiert werden (»es wurde mir gesagt«). Die LXX hat in Analogie zu 1 Kön 13,9a o[ti ou[twj evnetei,lato, moi (ytiao hW"ci !ke-yKi).
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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den: Erstens präsentiert sich der Prophet dem Gottesmann als ein Kollege (»Auch ich bin ein Prophet, wie du!«).265 Dies soll Vertrauen zwischen den beiden einander unbekannten Männern schaffen. Zweitens impliziert dies, dass der Prophet den bisher stets als ›Gottesmann‹ bezeichneten Kollegen selbst in die Kategorie ›Prophet‹ einordnet (»Auch ich bin ein Prophet, wie du!«). Ob die strikte terminologische Abgrenzung zwischen ›Gottesmann‹ und ›Prophet‹ praktische Gründe hat, um die beiden namenlosen Männer voneinander zu unterscheiden, oder ob darüber hinaus mit den unterschiedlichen Bezeichnungen auch unterschiedliche Funktionen, Aufgaben o.ä. verbunden sind, sei dahingestellt. Während der Gottesmann selbst dem Begriff »Gottesmann« zustimmt (vgl. 1 Kön 13,14), ist dies in der Erzählung der einzige Versuch, den Gottesmann zu einem »Propheten« umzudeuten. Der Prophet scheint damit eine gemeinsame Basis als eine Art Verbrüderung und Interessensgemeinschaft herstellen zu wollen. Interessanterweise widerspricht der Gottesmann der Applikation »Prophet« nicht. Drittens könnte man den Satz im Sinne der gemeinsamen Interessenslage als »Auch ich bin (so) ein Prophet wie du« paraphrasieren. Nach Reis betone der Prophet, dass er, wie der Gottesmann auch, »a prophet with his back to God and his eye on material advantage«266 sei und »the old prophet suspects that the man of God is covetous and willing to establish a prophetic practice in Bethel«, der ihn daher als »business partner« gewinnen möchte.267 Nachdem der Prophet versucht hat, eine gemeinsame Basis zwischen ihm und dem Gottesmann zu schaffen, wartet er seinerseits mit einem konkurrierenden JHWH-Wort auf (1 Kön 13,18a.b–f). Nachdem er im ersten Anlauf gescheitert ist, den Gottesmann zu überzeugen, eignet er sich im zweiten Anlauf die Mittel und Denkstrukturen des Gottesmannes an. Die zweite Strategie des Propheten besteht darin, dem Gottesmann von einem Wort JHWHs, das ihn erreicht habe, zu berichten. Dieses Gotteswort ist in auffallend enger Parallele zu der Gottesrede gestaltet, die der Gottesmann zuvor dem Propheten berichtet hatte (1 Kön 13,18c vgl. 13,17a). Im Vergleich zwischen den beiden JHWH-Reden (Gottesmann: 1 Kön 13,9a–e.17a–e und Prophet: 1 Kön 13,18c–f) gibt es zwei grundlegende Unterschiede. Erstens hat die vom Propheten zitierte JHWH-Rede einen anderen Status: Sie erhält zwar auch den Status »im / gemäß dem Wort JHWHs« (hw"hy> rb;d>Bi), benennt aber ein Subjekt, einen »Boten« (%a'l.m;), während beide Redeeinleitungen des Gottesmannes ohne die Nennung eines Subjekts formuliert sind. Beim Gottesmann hingegen ist die Herkunft 265 Die Antwort »ich bin« ist sicher keine Selbstoffenbarungsmitteilung, so AHUIS, Ihr habt gehört, 60. 266 REIS, Vindicating God, 383. 267 REIS, Vindicating God, 384.
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der zitierten Rede durch die unpersönlichen Formulierungen offen – JHWH selbst wird als Subjekt an keiner Stelle genannt (vgl. 1 Kön 13,9a.17a). Die einzigen, vom Gottesmann übermittelten JHWH-Reden (K IV), deren Herkunft dieser (!) klar als von JHWH kommend benennt, sind die gegen den Kult von Bet-El gerichteten Aussagen (1 Kön 13,2e–h.3d–f). Obwohl die Angaben des Propheten konkreter sind, indem er einen unbekannten »Boten« (%a'l.m;) als Übermittler des JHWH-Wortes angibt (1 Kön 13,18c), ist jedoch auch bei diesem unklar, um welchen Boten es sich handelt, und wer diesen beauftragt hat. Der Prophet rekurriert explizit auf einen Boten (%a'l.m;) als einer unbekannten, in der Erzählung nicht auftretenden Figur, während der Gottesmann durch die Botenformel implizit als Bote JHWHs aufgetreten ist (vgl. 1 Kön 13,2d). Im Kontrast hierzu benutzt jedoch der Prophet die Botenformel signifikanterweise gerade nicht, weist aber durch die Redeeinleitung »folgendermaßen« (rmoale von »sagen«) explizit daraufhin, dass es sich im Folgenden um ein Zitat handelt (vgl. 1 Kön 13,9a). Die zweite grundlegende Differenz betrifft den ersten Satz der zitierten Rede, bei dem drei Unterschiede auffallen: Erstens wird die Aufforderung, nicht zurückzukehren, die in 1 Kön 13,9d–e.17d–e jeweils als drittes Element (C) am Ende der zitierten Rede steht, als erstes Element an den Anfang gestellt. Zweitens wird der Ort, zu dem eingeladen wird (anders in 1 Kön 13,7b [König] und 13,15b [Prophet]) erstmals als das Haus des Propheten spezifiziert (1 Kön 13,18d vgl. 13,19b). Damit wird die Aufforderung zur Rückkehr nicht nur als das wichtigste und zentralste Moment hervorgehoben, sondern die Anordnung entspricht zugleich auch der internen Logik des jeweiligen Geschehensablaufs: Der Gottesmann soll (in Bet-El) erstens nicht essen, zweitens nicht trinken, sondern drittens Bet-El auf einem anderen Weg verlassen (vgl. 1 Kön 13,9.17). In der Rede des Propheten 1 Kön 13,18, die ja auf dem Rückweg außerhalb von Bet-El gehalten wird, wird der Gottesmann zuerst zur Rückkehr nach Bet-El aufgefordert, wo er dann essen und trinken soll. Zudem steht das Verb »zurückkehren, umkehren« (bwv) erstmals im Hifil (statt wie bisher im Qal), und es liegt ein impliziter Subjektwechsel vor: In der vom Propheten referierten Rede JHWHs verlangt – so der Prophet – JHWH von ihm, den Gottesmann »zurückzubringen« (bwv im Hifil), während dieser zuvor dem Gottesmann verboten hatte »zurückzukehren« (bwv im Qal). Auch diese Änderung entspricht der Logik des Gedankenganges, macht aber auf die Differenz zwischen den Verwendungen von bwv im Qal bzw. im Hifil in dieser Erzählung aufmerksam268: bwv im Qal ist auf den Gottesmann bezogen und macht ihn zum Subjekt aktiven »Zurückkehrens«, während die Verwen268 Die ersten drei Belege von bwv beziehen sich auf den König, der seine Hand nicht mehr zu sich »zurückziehen« kann (1 Kön 13,4g; Hifil), aber nach der Intervention des Gottesmannes kann er sie wieder zu sich »umkehren« machen (13,6e.g; im Qal).
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dung von bwv im Hifil den Propheten zum Subjekt des »Zurückbringens«, den Gottesmann aber zum Objekt macht.269 Dabei ist die unterschiedliche Verteilung der beiden Stämme in der Erzählung durch eine Dynamik in drei Phasen gekennzeichnet: In der ersten findet sich nur bwv im Qal und thematisiert das »Zurückkehren« des Gottesmannes (vgl. 1 Kön 13,9d.10b. 16d.17c; alle im Qal). Daran schließt sich eine zweite Phase, die Begegnung zwischen Prophet und Gottesmann, an, in der der Prophet versucht, den Gottesmann zum »Zurückkehren« (1 Kön 13,18d im Hifil) zu bewegen. Ab diesem Moment alterniert die Verwendung von bwv im Hifil und im Qal bis zum Tod des Gottesmannes.270 In diesem Wechselspiel wird die Rückkehr des Gottesmannes konsequent im Qal beschrieben. Auf diese Weise wird signalisiert, dass der Gottesmann allein die Verantwortung für seine Rückkehr trägt und diese nicht auf den Propheten und dessen Einfluss zurückgeführt werden kann. Damit ist der Gottesmann als aktiv Umkehrender für sein Tun verantwortlich und nicht Opfer einer Überredung! Nach dem Tod des Gottesmannes (dritte Phase: ab 1 Kön 13,26) findet sich das Verb »zurückkehren / zurückbringen« (bwv) nur noch im Hifil: Nun kann der Prophet seine Macht über den toten Gottesmann ungehindert ausüben und ihn nach Bet-El »zurückbringen« (13,26b.29c: Hifil). Damit lässt sich eine Bewegung von der klaren Ablehnung des Gottesmannes »zurückzukehren« (Qal; bis einschließlich 1 Kön 13,17) über einen Zwischenzustand, in dem um die Rückkehr gerungen wird (1 Kön 13,18–25), zur Ohnmacht im Tod feststellen (nur noch Hifil, ab 1 Kön 13,26). Diese Erzählung ist zudem in den Erzählrahmen (1 Kön 12,25–33; 13,33–34) eingebettet: In diesem findet sich das Verb bwv nur im Qal (1 Kön 12,26. 27bis; 13,33bis) und stellt 1 Kön 13 unter einen weiteren Spannungsbogen. Vor der Erzählung von 1 Kön 13 wird die als »Verfehlung« bezeichnete Kultalternative Jerobeams in seinem Herrschaftsbereich und der damit verbundenen Abkehr von Jerusalem thematisiert. Nach der Erzählung von 1 Kön 13 wird die Verweigerung der Umkehr und der Rückkehr zu den Wegen der Väter durch Jerobeam konstatiert. Durch diese Einbettung verändert sich das Verhältnis zwischen dem Gottesmann und Jerobeam: Während dieser im ersten Abschnitt der Erzählung von 1 Kön 13 als scharfer Gegner des Gottesmannes präsentiert wird, ergibt sich im Lauf der Erzählung eine immer größere Parallele zwischen dem Gottesmann und Jerobeam, die beide ihren ›richtigen‹ Weg kennen müssten, sich aber von diesem abwenden und sich bewusst für den ›falschen‹ Weg entschieden 269 Es ist auffallend, dass das Verb »zurückkehren, umkehren« (bwv) nicht nur in 1 Kön 13, sondern auch in 1 Kön 12 in hoher Dichte zu finden ist (1 Kön 12,5.12.20.24bis.26.27bis im Qal und in 12,6.9.16.21 im Hifil) und somit bereits als ein Leitwort in der Aufstiegsgeschichte Jerobeams fungiert. 270 Vgl. 1 Kön 13,18d: Hifil; 13,19a: Qal; 13,20c: Hifil; 13,22a: Qal; 13,23c: Hifil.
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haben. Dies ist für die Wahrnehmung des Prophetischen und ihrer Zuordnung zur politischen Geschichte in den Königsbüchern entscheidend. Das Verhältnis von Königtum und Prophetie erhält eine nicht unbrisante Sinnspitze in der erzählerischen Konstruktion der Erzählstimme: Nicht nur das Königtum aus dem Nordreich, sondern auch Prophetie und Gottesspezialisten aus dem Südreich stehen gleichermaßen in der Gefahr, den ›falschen‹ Weg zu wählen und nicht ›umzukehren‹. Trotz der grundlegenden Differenzen zwischen der Wiedergabe der JHWH-Rede durch den Gottesmann und der Wiedergabe der Rede durch den Propheten, ist jedoch die Grundkonstellation identisch: Die Gottesspezialisten erreicht jeweils ein Wort, das diese wörtlich zitieren. Der Gottesmann sichert darüber sein gesamtes Tun ab und präsentiert sich als treuer Umsetzer des JHWH-Wortes, von dem er seine ganze Legitimation ableitet. Der Prophet übernimmt diese Vorgehensweise, um das Vertrauen des Gottesmannes zu erlangen und so seine Glaubwürdigkeit in den Augen des Gottesmannes sicherzustellen. Selbst seine Vorstellung hat der Prophet in Anlehnung an die einfache Preisgabe der Identität des Gottesmannes angepasst (1 Kön 13,18b vgl. 13,14h). Und offensichtlich hat der Prophet damit eine Strategie gefunden, die ihn gegenüber dem Gottesmann glaubwürdig erscheinen und erfolgreich werden lässt. Daher geht der Gottesmann ohne Nachfrage, Widerspruch oder Absicherung auf das durch die Autorität in den Worten des Propheten durch JHWH gedeckte Angebot ein:271 Unverzüglich kehrt er mit ihm um und isst und trinkt in seinem Haus (1 Kön 13,19). Die folgende Umsetzung (1 Kön 13,19a–c) realisiert genau die vom Propheten zitierte JHWH-Rede (1 Kön 13,18d–f).272 JHWH-Rede des Propheten zum Gottesmann: ^t,êyBe-la, ^T.ai WhbeÛvih] 18d ~x,l,Þ lk;ayOðw> 18e ~yIm"+ T.v.yEåw> 18f
Umsetzung durch den Gottesmann: ATai bv'Y"åw: 19a AtàybeB. ~x,l, lk;aYOðw: 19b `~yIm") T.v.YEïw: 19c
Der Gottesmann, der gegenüber dem König aus Respekt vor dem Wort Gottes standhaft war, fällt paradoxerweise angesichts des JHWH-Wortes des Propheten von seinem Gotteswort ab und lässt sich davon abbringen, was er erfahren hat. Der Gottesmann, der sich dem verlockenden Angebot des Königs und dem viel kleineren Angebot des Propheten widersetzt hat, ändert seine Haltung erst in dem Moment, als der Prophet ihm die an ihn 271 LANDERSDORFER nimmt den Gottesmann in Schutz: »Die Verfehlung des judäischen Propheten war mit Rücksicht auf die Irreführung durch seinen Kollegen sicher nicht schwer. […] Es war eine läßliche Sünde, die er auf sich geladen hat, sie sollte durch eine zeitliche Strafe gesühnt werden.« LANDERSDORFER, Könige, 90. 272 Die einzige Differenz ergibt sich bei dem Lexem »Haus«: Statt in 1 Kön 13,19a ist es in 13,19b eingefügt.
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ergangene neue Gottesanweisung übermittelt. Diese scheint für den Gottesmann glaubwürdig zu sein. Er traut dem neuen Gotteswort und weicht sofort von seiner bislang konsequenten Haltung ab. Der ›Fehler‹ des Gottesmannes kann daher auch darin gesehen werden, dass er sich nicht auf das an ihn ergangene Gotteswort gehalten hat, sondern dass er von seinem Gotteswort abgewichen ist, um sich einem fremden anzuschließen. Zwischen der Wiedergabe der Gottesrede des Propheten und der erzählten Umsetzung ist ein entscheidender Satz der Erzählstimme (K II) geschoben: »Er log ihn an« (vxk 1 Kön 13,18g).273 Syntaktisch ist dieser ein asyndetisch angeschlossener AK-x-Satz. Ein AK-x-Satz hat die Funktion, einen vorhergehenden Satz zu erläutern.274 Daher ist er als Parenthese in den Erzählverlauf eingeschoben und als ein Beiseite-Sprechen zu verstehen. Als Erzählstimmenkommentar275 bringt er die Handlung nicht voran, sondern kommentiert sie, um das Geschehen aus der Perspektive der Erzählstimme zu deuten. Durch den Vorwurf der ›Lüge‹ hat der Erzählstimmenkommentar direkt-dominant evaluativen Charakter und lenkt die Sympathie der Lesenden. Mit dieser Qualifizierung wird das erste Mal in der Erzählung eine Wertung in Bezug auf die Gottesspezialisten eingeführt. Signifikanterweise erfolgt diese durch die Erzählstimme.276 Ohne Einschränkung oder Differenzierung spricht die Erzählstimme von ›Lüge‹. Dabei ist unklar, wer der Lüge bezichtigt wird: So könnte sich das im Verb enthaltene Subjekt auf den Propheten oder auf den in der Rede des Propheten zitierten Boten (1 Kön 13,18c) beziehen und das Objekt entsprechend auf den Gottesmann oder den Propheten: Entweder lügt der Prophet den Gottesmann oder der Bote den Propheten an.277 Bezieht sich das Subjekt auf den Boten, dann hat der Prophet nicht gelogen, sondern ist vielmehr 273
Signifikanterweise begegnet das Wortfeld »lügen / Lüge« (vxk) in den Königsbüchern nur hier. 274 Verbale Umstandssätze dienen als Spezifizierung einer vorher summarisch genannten Handlung, so GESENIUS, Grammatik, 513, § 156 d; vgl. Driver, S.R., Hebrew Tenses, § 163. 275 Vgl. ähnlich COGAN: »This aside was intended for the reader; the author wished to express the point of view of the subject, he could have chosen the locution ›He lied…‹, set at the head of the verse; cf. Gen 18:15. The lie was not that he claimed to be a prophet, for the later does receive YHWH’s word (v. 20); it was, rather, the purported message. What the old prophet sought to gain by his prevarication is not elucidated in the text and has been the subject of continuing speculation. Josephus thought that he feared for his position and honor with Jerobeam (Ant. 8.236–237); attached to the shrine of Bethel, the prophet had an interest in the doom oracle spoken against its cult (Gray). DeVries frees the old prophet of responsibility alltogether, because he was the instrument of a divine test of the man of God, the word ›he lied‹ being a late rationalization«, COGAN, 1 Kings, 370. 276 Dies ist ein bemerkenswerter Unterschied zu 1 Kön 22: In dieser Erzählung wirft Micha den anderen Propheten vor, vom Lügengeist beherrscht zu sein. 277 So auch BROER: »The subject of vxk is either the same as that of rmayw or it is the $alm of the old prophet’s reported speech. […] This of course has repercussions for the status of the word of Yahweh in Kings as such« (National Allegory, 109).
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Opfer eines unbekannten, lügenden Boten geworden, dessen Herkunft unbekannt ist. Wenn sich der Vorwurf der Lüge auf den Boten bezieht, dann bleibt offen, was als ›Lüge‹ gilt: Das Verdikt ›Lüge‹ könnte sich auf die gesamte Rede des Propheten oder nur auf Teilaspekte beziehen. Bei letzterer Möglichkeit könnte ›Lüge‹ sein, dass sich der Prophet als Prophet bezeichnet und sich mit dem Gottesmann gleichsetzt (1 Kön 13,18b), oder dass kein Bote mit ihm gesprochen habe, oder dass die Botschaft nicht »im Wort JHWHs« erfolgt sei. Ebenso könnte sich ›Lüge‹ auf den Inhalt der zitierten Rede des Boten beziehen. Signifikanterweise geht aus dem, was der Prophet bisher gesagt hat, nicht hervor, dass er gelogen hat. Für die Lesenden ist dies nicht zu erkennen, ob und wenn ja, wer gelogen hat. Das Problem, das sich hier stellt, ist gerade die Schwierigkeit der (Un)Unterscheidbarkeit. Weil sich der Verdacht der ›Lüge‹ erst durch den evaluativen Kommentar der Erzählstimme einstellt, ist die Erzählstimme genauer zu untersuchen. Mit dem evaluativen Kommentar wird der Handlungsspielraum der Erzählstimme voll ausgeschöpft: Als extradiegetisch-heterodiegetische Erzählstimme zeichnet sie sich durch Omnipräsenz und Omniszienz aus. Rezipierende sind geneigt, der allwissenden Deutungsmacht der Erzählstimme zu vertrauen und ihrer Metaperspektive zu glauben. Angesichts der schwierigen Frage nach der Unterscheidung bieten sich drei Lektüremöglichkeiten an: Man kann sich zum einen der Erzählstimme und ihrem evaluativen Kommentar anschließen. Bei dieser Lektürehaltung ändert sich die Position der Lesenden grundlegend: Die Lesenden werden von der Erzählstimme in eine gegenüber den Figuren der Erzählung privilegierte Position versetzt,278 die ihnen »one glimpse into the heart«279 des Propheten ermöglicht. Mit ihrem Informationsvorsprung wissen sie, dass der Prophet gelogen hat, sie können seine Rede decodieren und erahnen, dass er eigennützige Pläne verfolgt und welche Gefahren dem Gottesmann drohen. Auch bei der zweiten Lektüremöglichkeit schließen sich die Lesenden dem Kommentar der Erzählstimme an, beziehen diesen aber auf den Boten: Der unbekannte Bote hat den Propheten angelogen, der dann das (›erlogene‹) Gotteswort als ›echtes‹ übermittelt hat. Damit erliegt der Prophet einem 278 Vgl. ähnlich WALSH, Kings, 185: »From an identification with the man of God based on shared uncertainty about the prophet, we suddenly move to a more objective, distanced perspective based on a privileged information the narrator has shared with us. From this point on we will watch the man of God’s tragic destiny unfold cushioned by this distance. Our sensitivity to his impossible dilemma (and therefore to the ultimate unfairness of his punishment) recedes; and our awareness of his disobedience is heightened with each repetition of the triad ›return, eat, and drink‹. Our attitude towards the prophet changes too. We see him as evil, and perhaps our antipathy is the stronger because we have for so long entertained the possibility that he is good«. 279 MEAD, Kings and Prophets, 199.
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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unbekannten Dritten und trägt dessen ›Lüge‹ unwissentlich weiter. Die Interpretationslinie, dass der ›Fehler‹ des Gottesmannes darin liegt, sich von dem an ihn ergangenen Gotteswort abzuwenden und sich einem fremden anzuschließen, würde hier wieder aufgegriffen: Der Prophet hört nicht auf ein an ihn ergangenes Gotteswort, sondern auf ein fremdes, das an ihn durch einen Boten vermittelt wurde. Hält sich derselbe Prophet an das an ihn selbst ergangene Gotteswort (vgl. 1 Kön 13,21–22), steht dessen Authentizität auch für die Erzählstimme außer Frage. Da er sich auf das von einem Boten übermittelte Gotteswort verlässt, wird er zum Opfer einer Lüge. Daher wäre eine Quintessenz dieser Erzählung, dass jeder Gottesspezialist bei dem an ihn direkt ergangenen Gotteswort bleiben muss; wenn er sich aber einem fremden anschließt, entsteht ›Lüge‹. In einer dritten Lektüre kann man aber auch die Wertung der Erzählstimme hinterfragen.280 Lassen sich in dieser Erzählung Indizien finden, die dafür sprechen, den Kommentar der Erzählstimme kritisch zu betrachten? Aufschlussreich ist, dass in der weiteren Erzählung ein von der Erzählstimme nicht beanstandetes und daher in ihren Augen offensichtlich ›echtes‹ Gotteswort an den Propheten ergeht (1 Kön 13,21–22), dessen Herkunft von Gott nicht bezweifelt wird. So steht der Prophet in der Wertung der Erzählstimme als Prophet da, der einmal ein Gotteswort ›erlogen‹ hat, und ein anderes Mal ein ›echtes‹ Gotteswort übermittelt. Wenn man als Gedankenexperiment den Erzählstimmenkommentar eliminieren würde, würden die Lesenden nicht auf die Idee kommen, die ›Echtheit‹ des vom Propheten wiedergegebenen Gotteswortes in Frage zu stellen. So rechnet Hentschel damit, dass erst durch den Erzählstimmenkommentar die ehrlich gemeinte Rede des Propheten nachträglich als Lüge disqualifiziert wird: Der Prophet wollte »seinen judäischen Kollegen nicht täuschen. Davon ist erst in 18b […] die Rede«. 281 Auffallenderweise spricht aus dem Kontext der Erzählung nichts für oder gegen das Urteil ›Lüge‹. Ob es sich tatsächlich um eine ›Lüge‹ 280 Vgl. Kap. I. 3.1.1.5. Vorsicht ist gegenüber der einfachen Übernahme der Perspektive der Erzählstimme geboten: »The lying prophet becomes the sources of a true word which in turn confirms the word of the man of God against whom it is directed. The man of God is shown to be a true messenger by events resulting from his betrayal of his calling a prophet« (NELSON, Kings, 83). »Welchen Sinn ergibt die Geschichte, in der ein Gottesmann durch einen Propheten mit einem vorgetäuschten JHWH-Wort vom gebotenen Weg abgebracht wird und dafür mit seinem Leben bezahlen muß, während der lügnerische Prophet letzen Endes noch von der ganzen Verwicklung profitiert?« (BLUM, Die Lüge des Propheten, 27). »The story of the betrayal of the man of God by the prophet of Bethel is haunting and mysterious. Both characters are nameless and both are enigmatic. The narrator gives us no insight into their motivations, yet we cannot help wondering why the prophet lies to the man of God and why the man of God succumbs to the deception« (WALSH, Kings, 182); WALSH übernimmt unhinterfragt die Perspektive der Erzählstimme und geht davon aus, dass diese aufgrund ihrer Allwissenheit automatisch richtig sei; vgl. hierzu WALSH, Kings, xviii. 281 HENTSCHEL, 1 Könige, 89.
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handelt, können die Lesenden nicht überprüfen, sondern können der Erzählstimme nur glauben – können sie ihr aber glauben? Der von der Erzählstimme geschaffene weitere Verlauf der Erzählung ist von einer unglaublichen Eigendynamik der Erzähllogik geprägt: Der Gottesmann muss nach Bet-El zurückkehren, von seinem Weg abkommen und ungehorsam werden, um anschließend von dem Löwen gefressen zu werden. Dies muss geschehen, damit der Prophet ihn wieder nach Bet-El bringen und dort begraben kann. Dies ist die Voraussetzung, damit der Prophet mit dem Gottesmann in Bet-El bestattet werden kann, damit in ferner Zukunft, wenn sich das Gotteswort des Gottesmannes gegen den Altar von Bet-El erfüllen wird, seine Gebeine zusammen mit denen des Gottesmannes gerettet werden. Wegen der denkwürdigen Ereignisse um die beiden Gottesspezialisten und deren Grab in Bet-El werden die Worte des Gottesmannes gegen den Altar von Bet-El und dessen Ankündigung der zukünftigen Taten Joschijas lebendig erhalten werden, damit diese dreihundert Jahre später die Taten Joschijas legimitieren (vgl. 2 Kön 23,15–20).282 In dieser finalen Verkettung ist das Ansinnen des Propheten, den Gottesmann von seinem Weg abzubringen, für die Erzählstimme erzählnotwendig, damit sie die Taten Joschijas rechtfertigen kann. Mit dieser Erzähllogik aus der judäischen Perspektive entsteht zugleich ein Problem: Wenn diese Ereignisfolge für die Erzählstimme zur späteren Legitimierung Joschijas wichtig ist, dann muss der Gottesmann aus Juda scheitern und darf nicht nach Juda zurückkehren. Dies gelingt nur, wenn der Prophet eingeführt wird, der bewirkt, dass der Gottesmann nach Bet-El zurückkehrt. Als dem Wort JHWHs verpflichteter Gottesmann kann dieser aber nur durch ein neues Wort Gottes gegen sein Wort JHWHs überzeugt werden. Aufgrund der Erzähllogik muss die Erzählstimme zwangsläufig das eine Wort Gottes gegen ein anderes Wort Gottes mit jeweils konträrem Inhalt stellen. Und genau dies schafft das fundamentale, theologische Problem der Erzählung: Die Erzählstimme muss das eine Wort JHWHs gegen ein anderes Wort JHWHs stellen. Dieser Untiefe nimmt die Erzählstimme die theologische Brisanz, indem sie das Gotteswort des Propheten (oder des Boten) als ›Lüge‹ bewertet. Auf diese Weise wird der Konflikt der Erzählung – ein Wort JHWHs gegen ein anderes Wort JHWHs – von der Erzählstimme entschärft. Ohne den evaluativen Erzählstimmenkommentar würden beide als echte Gottesworte erscheinen: Gott würde dann nicht nur in derselben Situation unterschiedliche und konträre Botschaften vermitteln, sondern hätte zugelassen, den Gottesmann vom ›rechten‹ Weg abzubringen, und hätte den Tod des Gottesmannes zumindest in Kauf genommen. Diese Überlegungen, die sich aus der Erzähllogik ergeben, unterbindet die Erzählstimme durch ihren unerwarteten und massiv wertenden Kommentar. 282
Vgl. hierzu ausführlich Kap. V. 2.1.
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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Mit diesem Kommentar der Erzählstimme wird zudem eine Differenz zwischen den Lesenden und den Figuren der Erzählung erzeugt: Als auf der zweiten Kommunikationsebene angesiedelte Aussage hören die Figuren den Kommentar nicht, sondern dieser ist an den fiktionalen Adressaten bzw. die Lesenden gerichtet. Damit wird ein Wissensvorsprung der Lesenden gegenüber den Figuren der Erzählung erzeugt. Mit der Privilegierung der Lesenden ist das Problem nun keineswegs gelöst, sondern stellt sich im Gegenteil in verschärfter Form. Die Erzählstimme führt die Lesenden in einen viel tiefer gehenden Konflikt: Durch den Erzählstimmenkommentar sind die Lesenden auf ein Problem – es könnte sich um ›Lüge‹ handeln – aufmerksam geworden, das ihnen sonst nicht aufgefallen wäre. Die Erzählstimme führt die Lesenden daher bewusst in eine Krise, wenn sie sich in die Position des Gottesmannes versetzen (K III): Wie könnten sie, die Lesenden, in einer ähnlichen Situation unterscheiden zwischen dem einen und dem anderen Gotteswort? Woher könnten sie wissen, ob das eine ›wahr‹, das andere aber ›falsch‹ ist, wenn ihnen die Metaperspektive der Erzählstimme, die sie in diesem Fall informiert hat, fehlt? Der Gottesmann weiß schließlich nicht, was die Lesenden wissen. Für ihn stellt sich die Situation anders dar: Für ihn scheint nichts dagegen zu sprechen, dass den Propheten tatsächlich ein solches Gotteswort mit diesem Inhalt erreicht hat. Für die Lesenden ergibt sich dann aber noch eine weitere Frage (Ebene K II): Wie sich der Gottesmann die Frage nach der Authentizität des vom Propheten übermittelten Gotteswortes stellen muss, so müssen sich die Lesenden fragen, inwiefern sie dem Kommentar der Erzählstimme glauben können. Letztlich sehen sich die Lesenden mit der gleichen Frage wie der Gottesmann konfrontiert: »We are, in effect, in the same position as the man of God, faced with the impossible dilemma of determining whether or not the old prophet is telling the truth.«283 Die Erzählung selbst lässt offen, ob der Prophet (oder der Bote) tatsächlich gelogen hat. Diese Offenheit stellt für die Lesenden die Frage nach dem Wort Gottes und seiner authentischen Vermittlung in scharfer Form und fordert die Lesenden zu einer eigenen Positionierung ohne Aussicht auf Gewissheit heraus. In den Auslegungen zu 1 Kön 13 finden sich im Wesentlichen zwei Umgangsformen mit dem Erzählstimmenkommentar: Einige halten 1 Kön 13,18g für eine Glosse, weil dieser Satz in der LXX fehlt: Die Erzählung sei ohne 1 Kön 13,18g zu lesen. So hält de Vries den Vers für eine spätere Einfügung und für einen Versuch, »to rationalize the Bethel prophet’s words; in terms of the story’s own self-understanding, the latter was equally inspired, bit with a divine command to bring the man of God to the
283
WALSH, Kings, 185.
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test respecting the authority of his own inspiration.«284 Andere halten den Satz für einen Bestandteil der Erzählung,285 finden aber unterschiedliche Strategien, um mit dem Skandal eines lügenden Propheten, der später zum Empfänger eines als ›echt‹ eingestuften Gotteswortes wird, umzugehen: Landersdorfer spielt die »Lüge« des Propheten herunter. Dieser habe nur, weil er nicht alleine nach Hause zurückkehren wolle, zu einer Lüge Zuflucht genommen.286 Nelson entschuldigt sie damit, dass diese für den plot der Erzählung notwendig sei und bliebe daher auch ungestraft, weil sie nicht das zentrale Anliegen der Erzählung sei.287 Ähnlich spielt auch Briend die Lüge herunter, indem er ihr für den Fortgang der Handlung eine wichtige dramaturgische Funktion zuspricht: »On pourrait donc penser que le récit manque de moralité - A vrai dire, le mensonge est ici une nécessité dramatique, car il constitue un tournant dans le récit; sans lui la suite ne serait pas possible.«288 Die Untersuchungen von Klopfenstein, ›Lüge‹ durch »sich verstellen«289 zu übersetzen, löst das zugrunde liegende Problem nicht. Die Lüge des Propheten als einen Test für die Treue und Wahrhaftigkeit des Gottesmannes zu interpretieren, hat bei ihm die Funktion, den Skandal eines lügenden Propheten verständlich und erträglich zu gestalten.290 2.3. Der Gottesmann und der Prophet in Bet-El (1 Kön 13,20a–22g) Der dritte Abschnitt nimmt auf die beiden vorangehenden Abschnitte strukturell, lexematisch und thematisch Bezug: Erstens wird mit der Schilderung des szenischen Hintergrundes begonnen, der einen deutlichen Einschnitt markiert und analog zum zweiten Abschnitt (vgl. 1 Kön 13,11a) gestaltet ist (»und es war« yhiy>w: mit »sitzen« bvy im Partizip).291 Dieser Neueinsatz verdeckt die Kontinuität von Ort, Zeit und Figuren zum vorherigen Abschnitt:292 Der dritte Abschnitt endete mit dem Hinweis, dass der Gottesmann und der Prophet bereits nach Bet-El zurückgekehrt sind und im Haus des Propheten essen und trinken (1 Kön 13,19a–c). Daran schließt 1 Kön 13,20a ebenfalls mit dem Hinweis auf das Sitzen im Haus an. Der entscheidende Unterschied, der mit dem Neueinsatz verbunden ist, ist der 284 285 286 287 288 289 290
DE VRIES, 1 Kings, 171; vgl. ähnlich HENTSCHEL, 1 Könige, 89. So auch VAN WINKLE, True and False Prophecy, 35. Vgl. LANDERSDORFER, Könige, 90. NELSON, Kings, 87. BRIEND, Du message au messager, 21. Vgl. KLOPFENSTEIN, Lüge nach dem AT; 280–282; KLOPFENSTEIN, Vgl. etwa DOZEMAN, The Way of the Man of God, 380.
1 Könige 13, 658.
291 Auf das Motiv des »Sitzens« nimmt der Beginn des dritten Abschnitts auf beide Teile des zweiten Abschnittes, den ersten (1 Kön 13,11a) und den zweiten Teil (1 Kön 13,14a–c), Bezug. 292 Vgl. auch das nicht renominalisierte »sie« (~he).
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Wechsel der Fokalisierung: Während am Ende des zweiten Abschnitts der Blick ganz auf den Gottesmann gerichtet ist (Gottesmann als Subjekt der Verben in 1 Kön 13,19a–c), wechselt nun der Blick vom Gottesmann zunächst auf beide Männer (1 Kön 13,20a) und wird dann ganz auf den Propheten fokussiert (1 Kön 13,20b–22g). Der vierte Abschnitt knüpft nahtlos an die Fokalisierung aus dem zweiten Abschnitt an – als ob nichts dazwischen geschehen wäre – und richtet den Blick wieder auf den Gottesmann. Auf diese Weise steht der dritte Abschnitt (1 Kön 13,20a–22g) wie in Parenthese293 zwischen dem zweiten und dem vierten, die den dritten Abschnitt rahmen. Zweitens wiederholt der Beginn des dritten Abschnitts in seinem konzeptionellen Aufbau den ersten, die beide durch eine Situationsbeschreibung eröffnet werden: Am Beginn der Erzählung opferte Jerobeam gerade am Altar von Bet-El (1 Kön 13,1b; Partizip), nun speisen die beiden Gottesmänner gemeinsam am Tisch (1 Kön 13,20a; Partizip). Während also die Erzählung mit dem Opfer als Gottesmahl auf dem (falschen) Altar in Bet-El beginnt, speisen die beiden Männer wieder in Bet-El am (falschen) Ort miteinander. In beiden Abschnitten folgt auf diese Hintergrundschilderung ein Gotteswort, das im ersten Abschnitt bereits durch den Gottesmann als Boten mit der Botenformel an den Erstadressaten Altar und an den Zweitadressaten Jerobeam ergangen ist (1 Kön 13,2). Im dritten Abschnitt wird zuerst geschildert, wie das Gotteswort an den Propheten ergeht (1 Kön 13,20b.c), der es danach dem Gottesmann mitteilt, indem er es ihm »zuruft« (la, arq in 1 Kön 13,21a),294 wie dieser zu Beginn der Erzählung seine Gottesbotschaft »über« den Altar »gerufen« hatte (l[; arq in 1 Kön 13,2a). Die Erzählstimme, die gerade zuvor den Propheten der Lüge bezichtigt hat, erzählt nun, dass der Prophet jetzt ein Gotteswort erhält, dessen Status sie nicht in Zweifel zieht. Dabei wird deutlich zwischen dem Empfang des Gotteswortes und seiner Mitteilung unterschieden: Das Wort JHWHs an den Propheten ergeht, ohne dass man seinen Inhalt erfährt (1 Kön 13,20b). Erst in 1 Kön 13,21b–22g referiert der Prophet nachträglich das ergangene Gotteswort gegenüber dem Gottesmann. Mit der Botenformel und der Einleitung »und das Wort JHWHs war zu …«295 wird das folgende Gotteswort (K IV) durch den Propheten (K III) wiedergegeben. Wie die JHWH-Rede des Gottesmannes zu Beginn der Erzählung wird auch die des Propheten mit der Botenformel eingeleitet (1 Kön 13,21c vgl. 13,2d). Neben den for293
Von der Erzählkonstruktion her steht damit der dritte Abschnitt in ähnlicher Position wie der Erzählstimmenkommentar in 1 Kön 13,18g. 294 So auch REHM, Könige, 47: »Nur der Prophet vernimmt die Worte Gottes. Der Gottesmann erfährt sie erst durch die Mitteilung des ersten.« 295 la, hw"hy>-rb;D> yhiy>w:: Gen 15,1; 1 Sam 15,10; 2 Sam 7,4; 1 Kön 6,11; Jes 38,4; Jer 1,2. 4.11; 2,1; 13,3, 18,1; Ez 6,1; 7,1; 12,1; 13,1 u.ö., vgl. ähnlich W ISEMAN, Kings, 147.
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malen Beobachtungen sind die beiden Gottesbotschaften auch inhaltlich ähnlich gestaltet: Wie in 1 Kön 13,2e–3f der Gottesmann Jerobeam die Geburt Joschijas und die künftige Zerstörung der Altäre und die Vernichtung der Priester ankündigt, eröffnet der Prophet dem Gottesmann, dass er wegen seines Ungehorsams nicht im Grab seiner Vorfahren bestattet wird (1 Kön 13,21–22). Dem Verstreutwerden der Gebeine der auf dem Altar verbrannten Menschen entspricht die Verweigerung eines ehrenvollen und angemessenen Begräbnisses. Mit dieser Parallelisierung gerät der Gottesmann aus Juda in strukturelle Nähe zu den Höhenpriestern: Wie diese am ›falschen‹ Kultort dienen und vom ›falschen‹ Tisch (Jerobeams) essen und versorgt werden, so isst nun auch der Gottesmann am ›falschen‹ Ort. Interessanterweise ist die in der Botenrede übermittelte Botschaft keine Ich-Rede JHWHs, sondern spricht vielmehr von JHWH in der dritten Person. Dass eine ›Lücke‹ zwischen dem Ergehen des Gotteswortes und seiner Übermittlung klafft, die in zwangsläufiger Nachträglichkeit erfolgt und vom Hören in den Status menschlicher Rede transponiert wird, kennzeichnet jede prophetische Vermittlung eines Gotteswortes. Notwendigerweise sind die, an die das Gotteswort adressiert ist, Zweitadressaten, die auf die Vermittlung des Propheten angewiesen sind. Daher gehört zur Struktur prophetischer Kommunikation immer die grundlegende Frage nach der Authentizität des Mittlers und seiner Botschaft: Stimmt das, was als Wort JHWHs ergangen ist (1 Kön 13,20b), mit dem überein, was wiedergegeben wird (1 Kön 13,21b–22g)? Diese zentrale Frage stellt sich verschärft gerade dann, wenn es sich um einen Propheten handelt, der zuvor gelogen haben soll. Zudem macht es den Propheten verdächtig, dass er der Nutznießer ist, der aus dem Tod des Gottesmannes und aus dessen späterem Begräbnis in Bet-El persönlich profitieren wird. Die meisten Auslegungen halten dieses durch den Propheten übermittelte Gotteswort unhinterfragt für ›echt‹. Die Erzählung selbst lässt dies jedoch offen.296 Anders als nach der letzten Rede des Propheten in 1 Kön 13,18g erfolgt keine Wertung durch die Erzählstimme. Auffallend ist jedoch, dass die vom Propheten wiedergegebene Rede JHWHs weitgehend den Informationen entspricht, die er bereits vom Gottesmann selbst erfahren hat. Nur eine Information geht über das, was der Prophet bereits weiß, hinaus: Dies ist die abschließende Strafandrohung, dass der Gottesmann nicht im Grab seiner Vorfahren bestattet werde (1 Kön 13,22g). Daher stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich eintreffen wird. Damit wird ein Spannungsbogen eröffnet und könnte ein Prüf296 WERLITZ hält es für ein echtes Gotteswort (Könige, 136); ebenso HENTSCHEL, 1 Könige, 87; ähnlich WALSH, Kings, 185: »No sooner have we come to see the Bethel prophet as evil than the story takes an unexpected turn. He turns out to be an authentic prophet who receives a word from Yahwe! […] The narrator intensifies the irony by dubbing him ›the prophet who made him return‹ – that is, identifying him by his false prophecy in the very moment that he receives a true one.«
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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stein für die Authentizität des Gotteswortes sein. Ob die künftige Erfüllung eines prophetischen Gotteswortes allerdings der Beweis für seine ›Echtheit‹ ist, ist bereits in der biblischen Literatur umstritten: Während nach den Kriterien des Prophetengesetzes (Dtn 18,22) damit der Beweis für ›wahre‹ Prophetie erbracht wäre, erzählt z.B. das Buch Jona von einem Propheten, der Gottes Worte authentisch übermittelt, dessen Ankündigungen sich aber gerade nicht erfüllen und er so als ein ›falscher‹ Prophet dasteht. Dem Urteilsspruch am Ende der längeren Rede des Propheten (1 Kön 13,22g) sind zwei begründende Ausführungen vorgeschaltet, die einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Gottesmannes und seiner angekündigten Strafe herstellen: Der Gottesmann habe sich erstens gegen Gott aufgelehnt und sich ihm gegenüber widerspenstig gezeigt (hrm, 1 Kön 13,21d) und er habe zweitens nicht auf Gottes Worte gehört (1 Kön 13,21e–22f).297 Das Stichwort ›widerspenstig‹ bezeichnet den Vorwurf der Rebellion298 gegenüber Gott.299 Durch das Verb wird der Gottesmann mit dem Volk Israel parallelisiert: Wie das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten habe sich der Gottesmann ›widerspenstig‹ gegenüber JHWH gezeigt.300 Damit stellt die Ankündigung des Propheten den Gottesmann in den Horizont der Auszugsgeschichten, in denen die ›Widerspenstigkeit‹ gegen das Wort JHWHs mit dem Tod bestraft wurde (Num 20,24; 27,14):301 Das Meriba des Gottesmannes aus Juda liegt sozusagen in Bet-El. Wie Mose wird der Gottesmann nicht im (eigenen) Land bestattet werden, das er wie dieser wegen seiner Widerspenstigkeit nicht betreten wird. Die zweite Begründung in der Gottesrede ist das Nicht-Hören gegenüber den »Anweisungen« (hw"c.mi)302 JHWHs (1 Kön 13,21e.f). Mit diesem Substantiv wird 297
Die beiden Anklagepunkte werden jeweils retrospektiv im AK geschildert (1 Kön 13,21d.21e); 13,22a.b.d–f führt als Erzählfolge im Waw-PK den zweiten Anklagepunkt fort; die Folge wird in 1 Kön 13,22g mit Hilfe des prospektischen PK geschildert. 298 Das Verb hrm »means ›to rebel‹, hence ›defy authority‹« (GRAY, Kings, 301). 299 Der Ausdruck hw"hy> yPi hrm im Qal beziehe sich auf »disobedience to the general commandments of Yahweh« (vgl. 1 Sam 12,15) und im Hifil sowohl auf Ungehorsam gegenüber »general commandments« (vgl. Jos 1,18; 1 Sam 12,14) als auch auf »specific prohibitions« (vgl. Dtn 1,26; 9,23), vgl. VAN WINKLE, True and False Prophecy, 41. 300 In der Hebräischen Bibel findet sich das Sich-Widersetzen gegen den »Mund JHWHs« (hw"hy> yPi hrm) in Dtn 1,26.43; 9,23, vgl. 1 Sam 12,14.15; Jes 1,20; Kgl 1,18; gegenüber Josua (Jos 1,18). 301 So JEPSEN, Gottesmann und Prophet, 179. 302 GROSS zeigt auf, dass die Verwendung von hw"c.mi in 1 Kön 13 außerhalb des deuteronomistischen Gebrauchs liege (Lying Prophet, 104). VAN WINKLE sieht hingegen eine doppelte Verwendung: Zum einen liege ein spezifisches Verbot gegen Essen und Trinken vor, zum anderen aber gebe es auch einen Bezug »to the entire Deuteronomic law addressed to Israel«: Wie der Gottesmann die Botschaft des Propheten, gegen das Verbot zu verstoßen, als falsch hätte erkennen müssen, so sollte Israel die falschen Propheten erkennen können, »since
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explizit auf die Zitation der JHWH-Rede durch den Gottesmann gegenüber dem König verwiesen, in der das Verb »befehlen« (hwc; 1 Kön 13,9a) verwendet wurde. Diesem hat sich der Gottesmann widersetzt. Nun wird dem Gottesmann sein Gehorsam, der bisher seine Stärke war, zum Stolperstein. Ob damit angedeutet wird, dass intelligentes Mitdenken eine Anforderung Gottes an seine Kommunikationspartner ist? Dieser Anforderung würde der Gottesmann nicht genügen. Nach dem Gotteswort des Propheten verlangt Gott statt Widerspenstigkeit unbedingtes Hören auf seine Weisung, die aber wie im Falle des Gottesmannes nicht in purem Gehorsam bestehen kann, sondern ein von innerem Begreifen geleitetes, verstehendes Hören bedeuten muss. Im Kontext der zweiten Begründung wird der Tatbestand der Vergehen des Gottesmannes noch einmal beschrieben (1 Kön 13,22a–c). Umsetzung durch den Gottesmann: ATai bv'Y"åw: 19a AtàybeB. ~x,l, lk;aYOðw: 19b `~yIm") T.v.YEïw: 19c
Wiederholung von 19a–c in 22: bv'T'w: 22a ~x,l, lk;aTow: 22b ~AqM'B; ~yIm; T.v.Tew: 22c
Im Anschluss daran wird das zeitlich davor liegende Verbot ein drittes Mal wiederholt (1 Kön 13,22d–f vgl. 13,9a–e.17a–e).303 Im Vergleich zu den ersten beiden ist die dritte Wiederholung eine gekürzte Fassung: Die drei Teile sind auf das Verbot des Essens und des Trinkens reduziert, weil die Rückkehr nach Bet-El bereits erfolgt ist. Zudem werden die Verbote statt im Prohibitiv im weniger strikten Vetitiv geschildert. Mit dieser Strafandrohung ziehen sich dunkle Wolken über dem Schicksal des Gottesmannes zusammen, der für seinen ›Ungehorsam‹ bestraft werden soll. Seine Strafe besteht darin, dass sein »Leichnam«304 nicht in they encourage disobedience to the Mosaic law« (True and False Prophecy, 41–42; vgl. auch VAN WINKLE, 1 Kings xii 25–xiii 34, 106–107). 303 Dabei ist die erste Schilderung selbst ein Zitat der ursprünglichen Anweisung JHWHs an den Gottesmann, die vor seiner Ankunft in Bet-El erfolgt ist und die nicht erzählt wird (vgl. 1 Kön 13,9b–e.17b–e). 304 Das Lexem »Leiche, Leichnam« (hl'bne )> bezeichnet in der Hebräischen Bibel den toten Körper, meist abwertend im Kontext eines schmachvollen Todes (Dtn 21,23; Jos 8,29): Der Tote wird wie Abfall weggeworfen (2 Kön 9,37 Wie die JHWH-Rede des Gottesmannes zu Beginn der Erzählung wird auch die des Propheten mit der Botenformel eingeleitet (1 Kön 13,21c vgl. 13,2d). Neben den formalen Beobachtungen sind die beiden Gottesbotschaften auch inhaltlich ähnlich gestaltet: Wie in 1 Kön 13,2e–3f der Gottesmann Jerobeam die Geburt Joschijas und die künftige Zerstörung der Altäre und die Vernichtung der Priester ankündigt, eröffnet der Prophet dem Gottesmann, dass er wegen seines Ungehorsams nicht im Grab seiner Vorfahren bestattet wird (1 Kön 13,21–22). Dem Verstreutwerden der Gebeine der auf dem Altar verbrannten Menschen entspricht die Verweigerung eines ehrenvollen und angemessenen Begräbnisses. Mit dieser Parallelisierung gerät der Gottesmann aus Juda in strukturelle Nähe zu den Höhenpriestern: Wie diese am ›falschen‹ Kultort dienen und vom ›fal-
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der üblichen Weise ehrenvoll bei seinen Vorfahren bestattet werden wird.305 Das vom Propheten angekündigte Begräbnis, das nicht im Grab der Vorfahren erfolgt,306 ist keine geringe Strafe: Das Begräbnis bei den Vorfahren sichert dem Toten eine doppelte Gemeinschaft: Zum einen ist der Tote in der Gemeinschaft der verstorbenen Vorfahren, zum anderen kommen die Lebenden an den Ort des Grabes, um sich der Toten zu erinnern und sie auf diese Weise lebendig zu halten. So steht jedem ein angemessenes Begräbnis zu (vgl. Tob 1,17; 2,7–9). Selbst scharf kritisierte Könige erhalten ein ehrenvolles Begräbnis bei ihren Vorfahren (vgl. 1 Kön 16,6.28; 2 Kön 8,28; 13,9.18 u.ö.).307 Der Gottesmann soll hingegen nicht nur von der zu erwartenden Gemeinschaft mit seinen Vorfahren, sondern auch von künftiger Erinnerung ausgeschlossen werden. Die Ironie, die in dieser Strafe liegt, ist, dass der Gottesmann gerade nicht in Vergessenheit gerät. Gerade an ihn wird man sich auch noch dreihundert Jahre später erinnern (vgl. 2 Kön 23,15–20). Intertextuell verweist der nicht im Grab der Vorfahren bestattete »Leichnam« des Gottesmannes auf den Propheten Urija (Jer 26,20–24), der wie Jeremia die Unheilsankündigungen verkündet und dem daher der König Jojakim nach dem Leben trachtet, so dass er nach Ägypten flieht. Doch die Männer des Königs bringen ihn gewaltsam zum König zurück, der ihn ermorden und »seinen Leichnam zu den Gräbern des Volkes« werfen lässt (Jer 26,23). Urija, der im Kontext der Auseinandersetzung um ›wahre‹ und ›falsche‹ Prophetie, mit Jeremia, dem ›echten‹ Propheten explizit verglichen wird, hat seine richtige Botschaft nicht nur mit seinem Tod, sondern auch mit einem unehrenvollen Begräbnis bezahlen müssen. Profiliert dieses durch den Propheten übermittelte Gotteswort, bei dem sich die Frage nach dem Status seiner Gotteskommunikation zwischen ›wahr‹ und ›falsch‹ stellt, den Gottesmann als ›wahren‹ Propheten wie Urija und Jeremia? Mit der Strafandrohung endet die durch den Propheten übermittelte Gottesrede. Die spannende Frage ist, wie der Gottesmann auf die Ankündigung seines Schicksals reagiert. Doch vom Gottesmann wird keinerlei Reaktion geschildert. Damit endet der im Zentrum der Erzähllung stehende Abschnitt offen. schen‹ Tisch (Jerobeams) essen und versorgt werden, so isst nun auch der Gottesmann mit seinem Essen am ›falschen‹ Ort.; Jes 5,25) oder dem Aas überlassen (Dtn 28,26; Ps 79,2; Jer 7,33; 9,21; 16,4). 305 Vgl. im Gegensatz dazu die etwas würdevollere Bezeichnung für hY"wIG> z.B. Gen 47,18; 1 Sam 31,10.12. 306 Vgl. auch zum Begrabenwerden bei den Vorfahren: Gen 47,30; 50,25; Ri 8,32; 16,31; 2 Sam 2,32; 17,23. 307 Gründe, nicht im Familiengrab beerdigt zu werden, sind eine zu große Distanz von der Heimat, Tod in Gefangenschaft, durch eine Gewalttat oder eine Reise, vgl. WALSH, Kings, 186.
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2.4. Der Gottesmann und der Prophet: Zweiter Rückweg (1 Kön 13,23a–30c) Der vierte Abschnitt besteht aus zwei Teilen (1 Kön 13,23a–26i; 1 Kön 13,27a–30c), deren erster dreigeteilt ist (13,23a–24f.25a–e.26a–26i). 2.4.1. Der Gottesmann und der Löwe (1 Kön 13,23a–26i) Der vierte Abschnitt (1 Kön 13,23a–30c) knüpft unmittelbar an das Ende des zweiten Abschnitts an, indem der Erzählfaden und die Fokalisierung durch den zeitlichen Rückbezug explizit aufgenommen wird: Wieder verlassen die Lesenden mit dem Gottesmann Bet-El. Zudem werden die Lexeme in gleicher Reihenfolge wiederholt (»trinken – Brot essen«, ~x,l, lka - htv 1 Kön 13,19b–c.23a–b). Das implizte Subjekt in 1 Kön 13,23 bezieht sich auf den Gottesmann (1 Kön 13,19) und nicht auf den zuletzt sprechenden Propheten. Auf diese Weise wird der dritte Abschnitt mit der Ankündigung Gottes in der Rede des Propheten, die den Gottesmann durchaus hätte erschüttern können, regelrecht übersprungen, als habe es die dazwischen erzählte Handlung nicht gegeben. In der Tat kann man bruchlos von 1 Kön 13,19 in 13,23 weiterlesen. Die merkwürdige NichtReaktion des Gottesmannes, die so wirkt, als habe er das für ihn schreckliche Gotteswort des Propheten gar nicht vernommen, verstärkt diesen Eindruck, obwohl der Prophet es explizit zum Gottesmann gesprochen hat (1 Kön 13,21a). Unerschüttert isst und trinkt der Gottesmann erst in Ruhe zu Ende und bricht dann auf (1 Kön 13,23).308 Die merkwürdig anmutende Ungerührtheit wirkt geradezu stumpf.309 Das Verhalten des Gottesmannes ist jedoch eine exakte Umsetzung des Gotteswortes an den Propheten (vgl. 1 Kön 13,18d–f), das der Gottesmann hier peinlich genau realisiert: Wie von JHWH in der Rede des Propheten angeordnet, isst und trinkt er und macht sich dann erst auf seinen Rückweg nach Juda. Auf diesem Rückweg trifft der Gottesmann auf einen Löwen. Was wie ein Unfall aussehen könnte, der sich bei einem solchen Weg ereignen kann, steht vor dem Hintergrund des durch den Propheten mitgeteilten Gotteswortes in einem ganz anderen Licht. Die unmittelbare Folge und die wundersamen Begleitumstände lassen den Tod des Gottesmannes als Strafe Gottes für die Übertretung des ursprünglichen Auftrags erscheinen. Dies würde bedeuten, dass der Gottesmann auf das als Gotteswort verpackte Angebot des Propheten nicht hätte eingehen dürfen (1 Kön 13,18).
308
Vgl. ausführlich zur Doppeldeutigkeit des Ausdrucks byvih/ rv,a] aybiN"h;-la, SIMON, I Kings 13, 93–96; vgl. ebenso NOTH, Könige, 291; REHM, 1 Könige,141. 309 Vgl. ähnlich COGAN, 1 Kings, 371. Um diesen Eindruck zu entkräften, erklärt NELSON, dass 1 Kön 13,20–22 gleichzeitig zu 13,19 zu verstehen sei. Hierfür gebe es aber keine grammatischen Evidenzen, vgl. NELSON, Kings, 87.
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Die beiden Begegnungen zwischen Gottesmann und Prophet (1 Kön 13,13–14.27–28) werden in genauer Parallelität geschildert und unterscheiden sich lediglich durch ein ›Detail‹: Der Prophet trifft den Gottesmann beim zweiten Mal als Leiche an (1 Kön 13,28b). Die Abfolge der Ereignisse ist ansonsten genau identisch.310 Zwischen diesen beiden Begegnungen steht eine weitere (1 Kön 13,23a–24b), die in Analogie zu diesen aufgebaut ist und für das entscheidende ›Detail‹ in der letzten Begegnung sorgt: Nachdem der Prophet (!) den Esel für den Gottesmann gesattelt hat (1 Kön 13,23a.b), »geht« dieser (1 Kön 13,24a). Die darauf folgende identische Formulierung »und er fand ihn« (Whaec'm.YIw:) von 1 Kön 13,14c in 13,24b lässt nun den Gottesmann zum Objekt des Findens werden: Ein Löwe »findet« und tötet ihn (1 Kön 13,24b.c). Damit wird die Begegnung zwischen Löwe und Gottesmann zur ironischen Variation der Begegnung von Gottesmann und Propheten. Nachdem der Löwe den Gottesmann gerissen hat, bleibt die Handlung wie ein Standbild stehen, als wäre die Pause-Taste gedrückt worden. Dieser Zustand des neben dem Gottesmann wachenden Tieres dauert an, bis der Prophet kommt und den Gottesmann auf den Esel hebt und mitnimmt (1 Kön 13,24e–28d: Schilderung im Partizipialstil). Der Bericht der fremden Männer in der Stadt und die Maßnahmen des Propheten (1 Kön 13,25–28) laufen während dieser Zeit als neue Handlungsstränge parallel weiter. Währenddessen bleibt der Gottesmann hingestreckt auf dem Weg liegen (%r,D,B; tk,l,v.mu hl'beN>h; 1 Kön 13,31c).311 Damit verändert sich die Rolle des Gottesmannes: Er, der als Lebender Zeichen gegeben hat (vgl. 1 Kön 13,3.5), wird nun selbst zu einem Zeichen und fällt als Merkwürdigkeit in der Landschaft den vorbeiziehenden Männern auf. Wie ein Mahnmal fungiert sein auf dem Weg gerissener Körper für den (falschen) Weg der ›Um- und Rückkehr‹: Selbst als Leichnam wird ihm die Rückkehr nach Juda verweigert.312 Der Löwe nimmt in dieser Erzählung in kurzer Folge zwei ganz unterschiedliche Rollen ein: Zuerst ist er der wilde Löwe, der Menschen, wenn
310 Abfolge: Rede zu den Söhnen (1 Kön 13,13a.27a) – Anweisung zum Satteln (1 Kön 13,13b.27b) – Satteln des Esels durch Andere, hier: durch die Söhne (1 Kön 13,13c.27c) – anschließendes »Gehen« (1 Kön 13,14a.28a) und »Finden« des Gottesmannes durch den Propheten (1 Kön 13,14b.28b) 311 In der Hebräischen Bibel wird zwei Königen das Schicksal des tot »Hingeworfenen« prophezeit: In Jes 14,18–19 wird dem König von Babel vorausgesagt, dass er, im Gegensatz zu allen anderen Königen, die ein ehrenvolles Begräbnis in ihrem eigenen Grab erhalten werden, ohne Begräbnis hingeworfen wird (^r>b.Qimi T'k.l;v.h'); Jojakim wird ein »Eselsbegräbnis« (rAmx] tr;Wbq.) angekündigt, das darin besteht, vor den Toren der Stadt Jerusalem . w; >) hingeworfen zu werden (vgl. Jer 22,19). (~l'iv'Wry> yre[]v;l. ha'l.h'me %levh 312 Vgl. auch LONG, 1 Kings, 147: »The mystery suggests that he has become a ›sign‹ as well as a sign-giver.«
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Kap. III: 1 Kön 13
er sie findet,313 anfällt und tötet.314 Von dem gefährlichen Löwen ist zu erwarten, dass er sich über seine Beute, nachdem er sie getötet hat, hermacht, sie zerfleischt und auffrisst.315 Doch nichts dergleichen geschieht. Im Gegenteil: Von der Dynamik der Aktion eines tötenden Löwen bleibt das Bild plötzlich stehen. Mit dem Stopp der Handlung um den toten Gottesmann ändert sich auch die Rolle des Löwen schlagartig: In zwei parallel formulierten Sätzen (1 Kön 13,24e.f) wird geschildert, wie Esel und Löwe den toten Gottesmann rechts und links flankieren. Sie verharren wie Statuen neben der Leiche, ohne dass sie ihr etwas antun würden (1 Kön 13,24d– f.25b.28c).316 Vielmehr bewachen die beiden Tiere den Leichnam. Der Umschwung von der ersten zur zweiten Rolle geschieht plötzlich: Der eben noch furchterregende und gewalttätige Löwe wird unerwartet zum disziplinierten Wächter (1 Kön 13,24c.24f) und gesellt sich einmütig neben den Esel, die beide rechts und links die Leiche rahmen (lc,ae + dm[ 1 Kön 13,24e.f). Von der Beschreibung wird die Schilderung von Salomos Kö313 Das Verb »finden« acm hat auch die Bedeutung »zufällig und unerwartet jmd. treffen« (Gen 37,15; 1 Kön 20,36.37; 2 Kön 4,29; 10,13.15), vgl. COGAN, 1 Kings, 371. 314 Die biblische Überlieferung berichtet immer wieder von Löwen in Palästina (z.B. 1 Sam 17,34; 2 Sam 23,20; 2 Kön 17,25; Jer 49,19; Am 3,12). Darüber hinaus sind wilde Tiere, die töten, als Konsequenz auf wirkmächtiges prophetisches Handeln durchaus – auch im Kontext der Königsbücher – bekannt (vgl. 1 Kön 20,36), wobei gerade Bet-El eine für wilde, tötende Tiere bekannte Gegend zu sein scheint (vgl. 2 Kön 2,23–25; vgl. hierzu auch COGAN, 1 Kings, 371). 315 Vgl. 1 Kön 20,36; 2 Kön 17,25; Jes 38,13; vgl. auch umfangreiche Angaben bei BOTTERWECK, yra, 418. Als zahm gewordenes Tier findet sich der Löwe im Kontext von Schilderungen der Heilszeit, in denen die Rede davon ist, dass es keine Löwen mehr geben wird (Jes 35,9) bzw. dass diese zu zahmen Tieren geworden sind (Jes 11,6–7; 65,25). Im Alten Testament finden sich sieben verschiedene Bezeichnungen für ›Löwe‹: Der Löwe ist der Held unter den Tieren (Spr 30,30) und berühmt aufgrund seines Mutes (2 Sam 17,10) und seiner Stärke (2 Sam 1,23). Als Metapher wird der Löwe im Alten Testament auf Unterschiedliches bezogen: Zum einen steht er für Israel, das als ›Löwe‹ bezeichnet wird (Gen 49,9 vgl. Dtn 33,20.22; Num 23,24; 24,9; Ez 19,1–9; Mi 5,7). Zum zweiten steht der Löwe wohl aufgrund seiner Raubgier für Fürsten und despotische Herrscher (Ez 22,25; Zef 3,3; Spr 28,15). Zum dritten repräsentiert der Löwe den ›Feind‹; als solcher findet er sich sowohl in individuellen Klagepsalmen (Jes 38,13; Ps 7,3; 10,9; 17,12 u.ö.) als auch für die Israel real bedrohenden Völker (Jes 5,29; 15,9; Jer 2,30; 4,7; 5,6). Zum vierten steht der Löwe für JHWH, dessen Tun mit einem Löwen verglichen wird: So kann etwa JHWH wie ein Löwe brüllen (Hos 13,7–8; Am 1,2); in dieser metaphorischen Verwendung wird meist das Furchterregende und erschreckend Bedrohliche von Gottes Kommen zum Gericht beschrieben und findet sich daher häufig in Schilderungen der Theophanie oder des Tag JHWHs (Ijob 37,4; Jer 50,44; Hos 5,14; 13,7; Am 5,19 u.ö.). Zugleich wird die Stärke JHWHs und seine Unbesiegbarkeit in seinem rettenden Einsatz für sein Volk im Vergleich mit dem Löwen ausgedrückt (Jes 31,4; Hos 11,10). Der grundlegende Unterschied zu 1 Kön 13 ist jedoch, dass es sich in dieser Erzählung nicht um eine Metapher handelt, sondern um einen realen Löwen; vgl. ähnlich NOTH, Könige, 302. 316 Ein Esel war ja bereits auch beim ersten Treffen des Gottesmannes anwesend und stellt eine weitere Verbindung zwischen dem zweiten und dem vierten Abschnitt dar.
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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nigsthron nachgestellt, der von zwei Löwen gerahmt wird (lc,ae + dm[ 1 Kön 10,19 vgl. 2 Chr 9,18). Damit nimmt der Löwe somit die Rolle eines apotropäischen Wächters ein, dessen Aufgabe die Bewachung von Thronen, Schwellen, Eingängen, Toren etc. ist.317 Esel und Löwe fungieren in dieser Erzählung als Wächtertiere, die wie die in Stein gehauenen Löwen als Türwächter auf dem Weg von Israel nach Juda die von Bet-El nicht weit entfernte (neue) Grenze zwischen den beiden Staaten bewachen. Die außergewöhnlichen Ereignisse um den Tod des Gottesmannes sprechen nicht dafür, dass es sich um einen zufälligen Unfall handelt, sondern dafür, dass der plötzliche Wandel des Löwen vom wild tötenden Tier zum zahmen Wächter auf göttliche Ursache zurückzuführen ist. Offensichtlich lässt Gott den toten Gottesmann seinen Schutz erfahren, der ihm als Lebender nicht vergönnt war. Der als Lebender mit dem Tod Bestrafte wird nun als Toter auf dem von Wächtertieren flankierten Thron paradoxerweise königlich inthronisiert. Dieser Schutz des toten Gottesmannes scheint aber weniger auf diesen selbst, sondern vielmehr auf den Propheten zu zielen. Denn nur durch die von Gott bewirkte, wundersame Bewachung des Toten erregt diese Szene Aufmerksamkeit, so dass der Prophet überhaupt von dem Vorfall erfährt. Dies garantiert die Unversehrtheit der Leiche, damit der Prophet den toten Gottesmann bestatten kann. Dann aber würde Gott zum Helfer des Propheten, der diesem hilft, den Plan, die eigene Totenruhe über den Gottesmann sicherzustellen, zu realisieren. Dass explizit betont wird, dass Löwe und Esel neben dem Gottesmann »stehen« (lc,ae dm[ 1 Kön 13,25e.f.25b.28c), verweist auf das »Stehen« Jerobeams am Altar zurück (l[; dm[ 1 Kön 13,1b). Auf diese Weise werden der tote Gottesmann mit dem bereits entweihten bzw. zerstörten, nur noch äußerlich intakten Altar, der König aber mit dem Löwen318 oder dem Esel parallelisiert.319 Mit welchem Tier der König zu identifizieren sei, lässt die Erzählung zunächst offen. Gerade durch die Möglichkeit des doppelten Bezugs eröffnet sich eine Deutung von Jerobeams Tun als Löwe und Esel: Der üblicherweise als Löwe metaphorisierte König hat sich mit seiner Idee einer Kultalternative in Bet-El zu einem Esel gemacht, der nicht merkt, dass das Objekt, das er gerade einweiht, eigentlich bereits zerstört und von Gott entweiht ist!320 317
Vgl. HEINTZ, Löwe, 657. Vgl. hierzu auch KLOPFENSTEIN, 1 Könige 13, 663, nach: BRUNNER-TRAUT, Altägyptische Tiergeschichte und Fabel. 319 Diese Parallele wird zudem dadurch verstärkt, dass das Kommen und Erblicken der ungewöhnlichen Szene durch die Männer mit »siehe« (hNEhiw>; 1 Kön 13,25a) eingeleitet wird, das in der Erzählung den Bogen zum Anfang schlägt: Auch das Kommen des Gottesmannes wird mit »siehe« (hNEhiw>; 1 Kön 13,1a) eröffnet. 320 MEAD deutet diese Szene nur als Darstellung von Jerobeam als Esel und integriert in seine Deutung den Löwen nicht; vgl. MEAD, Kings and Prophets, 202. 318
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Kap. III: 1 Kön 13
Auf die merkwürdige Szene werden vorüberziehende Männer321 aufmerksam. Durch ihren Blick »sehen« die Lesenden die erstaunliche Szene ein zweites Mal (1 Kön 13,24e–f.25b). Das doppelt erzählte Geschehen ist dabei keine überflüssige Wiederholung, sondern schildert dasselbe fokalisierte Objekt durch zwei unterschiedlich fokalisierende Subjekte: Beim ersten Mal wird die Szene durch die Erzählstimme (1 Kön 13,24e–f), beim zweiten Mal durch die Augen der Männer (1 Kön 13,25b) wahrgenommen. Zwischen beiden Fokalisierungen ergeben sich Differenzen in der Wahrnehmung: Während die Erzählstimme Löwe und Esel neben dem Gottesmann sieht, sehen die Männer nur den Löwen. Mit der neuen Fokalisierung durch die Augen namenloser, fremder Männer ändert sich auch die Art der Darstellung: Die Stadt, in die die Männer gelangen, bleibt namenlos und erscheint als eine fremde Stadt. Statt sie Bet-El zu nennen, wird sie als die Stadt bezeichnet, in der der alte Prophet lebt (1 Kön 13,25e.29d). Durch den Rekurs auf die Einführung des Propheten (1 Kön 13,11a) wirkt diese Umschreibung wie eine Neueinführung von etwas bislang Unbekanntem. Durch den Wechsel der Fokalisierung und das erneute Wahrnehmen des bereits Bekannten durch fremde Augen wird das Verwunderliche, Erstaunliche und Befremdliche der Szene unterstrichen. Zugleich spiegelt die erzeugte Fremdheit das bei den Figuren hervorgerufene Befremden über das von ihnen Gesehene. Als die Neuigkeit den Propheten erreicht, deutet er die von den Männern beobachtete Szene (1 Kön 13,26) und identifiziert den namenlosen und offenbar unbekannten Leichnam mit dem Gottesmann. Die Erzählung lässt offen, zu wem der Prophet spricht. Interessanterweise wird der Prophet als »der ihn vom Weg hatte umkehren machen«322 beschrieben (1 Kön 13,26b). Dieser Relativsatz ist höchst mehrdeutig und kann als Nukleus der mit dem Verb »zurückkehren, umkehren« (bwv) verbundenen Sinnlinie gelten: Bereits in 1 Kön 13,20c.23c ist der Prophet jeweils durch den Satz »der ihn hatte umkehren machen« (Abyvih/ rv,a]) spezifiziert worden, in 1 Kön 13,26b aber wird dieser Relativsatz um den Zusatz »vom Weg« ergänzt (%r,D,h;-!mi Abyvih/ rv,a]). Damit ist erstens der in der Erzählung beschriebene Sachverhalt, dass der Prophet den Gottesmann zur Rückkehr nach Bet-El bewogen hat (vgl. 1 Kön 13,16–18.19), gemeint; zweitens 321
Die Figurengruppe der Männer wird in Parallelität zu der Figurengruppe der Söhne geschildert, was über das Verb »sehen« verstärkt wird (War>YIw: 1 Kön 13,12c.25b), das in dieser Erzählung nur für diese beiden Gruppen verwendet wird. 322 Die verschiedenen Nuancen von »zurückkehren« und »umkehren« schwingen am deutlichsten in 1 Kön 13,26 mit, so dass es schwierig ist, diesen facettenreichen Satz mit seinem »intricate play« zu übersetzen: »Quite conceivably the author of vs. 26 intended to play on the various nuances of the meaning of ãûb in conjunction with derek, leaving it purposely ambiguous in order to facilitate the transition from the literal sense (as in vss. 9, 10, 17) to the metaphorical one (as in vs. 33)«, LEMKE, Way of Obedience, 311.
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
203
wird damit das Spiel mit den Leitworten »zurückkehren, umkehren« (bwv), »gehen« (%lh) und »Weg« (%r,D,) aufgegriffen:323 Die thematisierte unverzügliche »Rückkehr« des Gottesmannes nach Juda wird durchbrochen durch seine »Umkehr« nach Bet-El, die nicht die von JHWH geforderte »Umkehr« zu ihm, sondern »Abkehr« von JHWH bedeutet. Drittens wird in 1 Kön 13,26b der Prophet als Ursache für diese Entwicklung benannt. Signifikanterweise ist dies die einzige Stelle, an der »zurückkehren, umkehren« (bwv) im Hifil mit dem Nomen »Weg« ( %r,D,) verbunden ist. Der Prophet als Ursache für die Rückkehr ist nicht unschuldig, sondern wird zum Schuldigen, der den Gottesmann von seinem (rechten) Weg abgebracht hat. Das macht den Propheten zu einem zweiten Jerobeam, von dem in dem die Erzählung rahmenden Schlussteil gesagt wird, dass »Jerobeam von seinem Weg nicht umkehrte« (AKr>D;mi ~['b.r'y" bv'-al{; 1 Kön 13,33). Durch die Parallelisierung mit Jerobeam, auf den sich alle »Verfehlungen« des Nordreiches zurückführen lassen, stellt die Erzählstimme den Propheten als Wurzel des Übels dar. Nachdem der Prophet den Toten als den Gottesmann identifiziert hat, beschreibt er ihn in einem Relativsatz als denjenigen, der sich »dem Mund JHWHs« widersetzt hatte (1 Kön 13,26e). Nach dieser Darstellung des Propheten ist der Gottesmann selbst an seinem Tod Schuld, weil er sich widerspenstig gegenüber dem »Mund JHWHs« gezeigt hat, obwohl es der Prophet war, der die Rückkehr des Gottesmannes initiiert hatte. In seiner Rede deutet der Prophet somit den Tod des Gottesmannes als Strafe Gottes, der den Gottesmann durch den Löwen habe töten lassen.324 Seine Argumentation verankert der Prophet in dem Wort JHWHs, das dieser zu ihm gesprochen habe (1 Kön 13,26f–i). Abgesehen von dem Anfang (1 Kön 13,26e) hat diese Deutung des Propheten aber nichts mit dem zu tun, was ihm im Gotteswort (1 Kön 13,21d–22g) übermittelt worden ist: In diesem ist nur angekündigt worden, dass der Gottesmann nicht im Grab seiner Vorfahren bestattet werde (1 Kön 13,22g). Vielleicht sieht sich der Prophet gerade wegen dieser Differenz genötigt, zweimal zu betonen, dass alles genau dem ergangenen Wort entspräche (1 Kön 13,26h.i). In seiner Deutung geht der Prophet somit weit über das JHWH-Wort hinaus. Aber mit seiner Deutung kann sich der Prophet nicht nur des Vorwurfs entledigen, an den Umständen, die zum Tod des Gottesmannes geführt haben, beteiligt gewesen zu sein, sondern er kann sich auch als ein ›echter‹ Prophet profi323
Vgl. hierzu Kap. III. 2.1.2. Das im Verb implizite Subjekt von 1 Kön 13,26g.h kann sich auf den Löwen oder auf JHWH beziehen. Der Löwe als Subjekt würde aber einen nicht angezeigten Subjektwechsel voraussetzen; dies würde dem Geschehen entsprechen, und zugleich würde sich die Rede von JHWH in dritter Person in 1 Kön 13,26h gut einfügen. Doch schwingt auch der Bezug auf JHWH mit, der – so insinuiert es der Prophet – den Gottesmann »habe zerbrechen« und »töten lassen«. 324
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Kap. III: 1 Kön 13
lieren: Wie in Dtn 18,22 gefordert, sind seine Vorhersagen eingetroffen. Signifikanterweise verschweigt der Prophet die eigentlich angekündigte Strafe, die darin besteht, dass der Gottesmann nicht bei seinen Vorfahren bestattet werden wird. Denn genau aus dieser Strafe, die er seinem Publikum verschweigt, kann er seinen Vorteil ziehen. Das wird im zweiten Teil des vierten Abschnitts deutlich. In dieser Erzählung voller zum Teil widersprüchlicher Mehrdeutigkeiten scheint es darum zu gehen, dass einfacher Gehorsam gegenüber (je)dem Gotteswort noch nicht bedeutet, ein Gotteswort treu zu erfüllen. Vielmehr wird inszeniert, dass zur ›Treue‹ gegenüber dem Gotteswort das eigene aktive, theologische Mitdenken gehört. Die Erzählung ist damit eine theologische Lehrerzählung über ›wahre‹ Gotteskommunikation, die sich nicht darin erschöpfen kann, Gottesworte einfach nur zu erfüllen. Den eigentlichen Sinn des Gotteswortes erfasst man erst dann, wenn das Wort Gottes in Modus eines aktiven, unterscheidenden Mitdenkens mit den sich verändernden Situationen in Beziehung gesetzt wird. 2.4.2. Der Prophet bringt den Gottesmann nach Bet-El (1 Kön 13,27a–30c) Mit dem Tod des Gottesmannes ist die Erzählung keineswegs an ihr Ende gekommen, vielmehr setzt nun der Part des Propheten ein: Das, worauf er es die ganze Zeit abgesehen haben könnte, das Begräbnis des toten Gottesmannes, steht nun an. Dies lässt den Propheten nicht erst jetzt (1 Kön 13,27) aktiv werden, vielmehr dient die vom Propheten zuvor verschwiegene Strafe JHWHs, die in dem Begräbnis fern der Vorfahren besteht, zur Realisierung seines Plans. Worin dieser besteht, wird den Lesenden immer noch nicht mitgeteilt und erhöht die seit Anfang der Erzählung bestehende Spannung. Immer noch sind die Motive, die den Propheten antreiben und handeln lassen, nicht offengelegt. Wie bereits im zweiten Abschnitt weist der Prophet seine »Söhne« an, einen zweiten Esel zu satteln und macht sich erneut auf den Weg zum Gottesmann.325 Wieder »findet« (acm) der Prophet, der erneut auf einem Esel angeritten kommt, den Gottesmann – nur diesmal tot und hingestreckt auf dem Weg liegend (1 Kön 13,28b), wie dies die Männer bereits beschrieben hatten (1 Kön 13,25). Das Außergewöhnliche dieser Situation wird ein drittes Mal beschrieben:326 Nicht nur, dass Löwe und Esel neben der Leiche stehen, sondern der Löwe hat weder dem Leichnam noch dem Esel etwas angetan (1 Kön 13,28d–e). Dass der Löwe den Gottesmann nicht »aufisst« (lka; 1 Kön 13,28d), ist nicht nur aufgrund der Natur des Löwen 325
Vgl. zur Parallelität der Szenen Kap. III. 2.4.1. Die dreifache Beschreibung der Szene weist zurück auf die dreifache Wiederholung des Verbots JHWHs in 1 Kön 13,9a–e.17a–e.22d–f sowie die drei Begegnungen zwischen Gottesmann und Prophet bzw. Löwe (1 Kön 13,13a–14c.23a–24b.27a–28b). 326
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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erstaunlich, sondern bildet eine ironische Schlusscoda für die Erzählung durchziehende semantische Sinnlinie des Leitworts »essen«:327 Eigentlich war es der Gottesmann, der nicht essen, sondern der zu seiner eigenen Sicherheit schnellstens wieder zurückkehren sollte. Er aber hat sich zur Umkehr und zum Essen bewegen lassen, was ihn überhaupt erst in die Situation gebracht hat, in der er sich nun befindet – nämlich von dem Löwen getötet zu sein. Doch anders als er selbst hat der Löwe ihn nicht »gegessen«. Auf diese Weise erscheint der Löwe als der bessere Gottesmann. Wie das Verb »essen« weist auch das Lexem »brechen, reißen« (rbv; 1 Kön 13,28e) auf bereits Erzähltes zurück: Der Prophet hatte in Bet-El behauptet, dass der Gottesmann gemäß dem Wort JHWHs von einem Löwen »gerissen« worden sei (vgl. 1 Kön 13,26g). In der Erzählung wird das Töten des Gottesmannes durch den Löwen aber nie mit dem Verb »reißen«, sondern stets mit dem Verb »töten« beschrieben. In der Tat ist der Gottesmann zwar getötet, aber nicht, wie in 1 Kön 13,26g vom Propheten behauptet, »gerissen« worden. Mit diesem Wortspiel werden beide Gottesspezialisten im Spiegel der Tiere ironisch ›gebrochen‹: Der Löwe ist der bessere Gottesmann, während der Prophet angesichts seiner Deutung wie ein Esel dasteht. Dass der Löwe den Gottesmann nicht zerfleischt hat, ermöglicht erst dem Propheten, den Gottesmann zu bestatten. Erst durch den zahmen Wächter-Löwen wird der Prophet in die Lage versetzt, seinen Plan zu realisieren, den Gottesmann zu seiner eigenen Rettung im Grab zu bestatten. Ursache für das wundersame Verhalten des Löwen kann aber nur JHWH sein, der sich, indem er das Gefressenwerden des Gottesmannes durch den Löwen verhindert, zum Helfer für den Plan des Propheten macht. Der Prophet hebt den gefundenen Gottesmann auf und bringt ihn, diesmal tot, ein zweites Mal nach Bet-El zurück. Die zweite Rückkehr in die Stadt wird wieder mit den beiden Leitworten »zurückkehren« (bwv im Hifil) und »kommen« (awb) geschildert (1 Kön 13,29c.d) und wird zur endgültigen »Rückkehr« des aus Juda »gekommenen« Gottesmannes, der schnellstens »zurückkehren« sollte, aber mit dem Propheten »umgekehrt« und damit von seinem »Weg« »abgekehrt« ist. Zurück in der Stadt sorgt der Prophet für ein ehrenvolles und angemessenes Begräbnis nach allen üblichen Sitten einschließlich der Totenklage. Damit stellt er zugleich sicher, dass der Gottesmann wirklich nicht bei seinen Vorfahren, sondern in Bet-El bestattet wird. Durch den erneuten Rekurs auf das Alter des Propheten (1 Kön 13,29d) wird sein Engagement plausibler: Der Tod und die Frage des Begräbnisses ist für den alten Propheten offenbar ein aktuelles Thema. In der Totenklage weint der Prophet
327
Vgl. »essen« (lka) in 1 Kön 13,8d.9b.15c.16c.17b.18e.19b.22b.22e.23a.
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Kap. III: 1 Kön 13
um den Gottesmann ›gattungsgerecht‹328 und korrekt mit dem Trauerterminus »ach!« (yAh). Die Anrede »mein Bruder« (1 Kön 13,30c) bindet den toten Kollegen in die quasi-familiäre Gemeinschaft der Propheten ein, in der der Prophet seine Schüler als »Söhne« (11b.12c) und diese ihn als »Vater« bezeichnen (1 Kön 13,11b.12c.13a.27a.31b). Diese ›Familie‹ wird nun um den Gottesmann als toten »Bruder« bereichert. Mit dem Terminus »mein Bruder« verortet sich der Prophet in die Nähe des Gottesmannes und bindet diesen zugleich in seine Lebenswelt und seine theologische Welt als Lehrer gegenüber seinen Schülern ein. Er stellt den Gottesmann vor seinen Schülern als brüderlichen Weggefährten dar, was seinen Wunsch, neben ihm bestattet zu werden, plausibel macht. Mit der Strategie, ihn in seine Welt hineinzuziehen und (per Tod) dauerhaft und unwiderruflich in ihr zu verorten, korrespondiert das Bemühen, den Gottesmann aus dessen familiärer Welt herauszulösen: In dem vom Propheten übermittelten Gotteswort wird dem Gottesmann als Strafe angekündigt, nicht im Grab seiner »Väter« (1 Kön 13,22g) bestattet zu werden. So bleibt es offen, ob das Sich-Kümmern und die Trauer des Propheten echt sind oder ob es sich um ein gut inszeniertes Schauspiel zur Usurpation des Gottesmannes für seine eigenen Zwecke handelt. Mit seinen Aktivitäten kann er sich selbst als einen guten Menschen darstellen, der sich um einen Kollegen kümmert, den in der Fremde ein schlimmes Schicksal ereilt hat. Nach außen wirkt das Verhalten des Propheten fürsorglich und authentisch. Zugleich hat der Prophet mit dem Begräbnis des Gottesmannes selbst dafür gesorgt, dass sich das von ihm verkündete Gotteswort (vgl. 1 Kön 13,22g) erfüllt: Tatsächlich ist der Leichnam des Gottesmannes nicht in das Grab der Vorfahren gekommen. Inwiefern der Prophet selbst die Erfüllung seiner Prophezeiung bewerkstelligt hat bzw. inwiefern die Dinge sich ohne seine Interventionen entwickelt hätten, muss offen bleiben. Jedenfalls erfüllt sich das von dem Propheten wiedergegebene Gotteswort; ob es damit ein ›wahres‹ und ›echtes‹ Gotteswort ist, ist damit noch keineswegs sichergestellt. Sicherlich erhöht die Aktion des Propheten sein Ansehen und seine prophetische Reputation, weil er sich um den Gottesmann kümmert, der öffentlich gegen den König opponiert hat.329 Dass der Prophet noch weitere Ziele verfolgt, lässt sein sofortiges Aktivwerden erahnen. Diese den Lesenden noch unbekannten Ziele konnten aber nicht ohne Mithilfe Gottes zustande kommen: Jene wundersame Wache von Esel und Löwe spricht vielmehr dafür, diese auf Gott zurückzuführen. Dann würde Gott den Propheten und dessen Plan, die Leiche des Gottesmannes zu seinem eigenen Nutzen zu bestatten, unterstützen.
328 329
Die Totenklage entspricht den üblichen Riten (vgl. Jer 22,18; 34,5; Am 5,16). Ähnlich LANDERSDORFER, Könige, 89 und NOTH, Könige, 303.
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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2.5. Der Prophet und sein Bestattungswunsch (1 Kön 13,31a–32d) Der letzte Abschnitt der Erzählung berichtet von dem, was nach dem Begräbnis des Gottesmannes geschieht (1 Kön 13,31a): Während bislang in der Erzählung unklar geblieben ist, aus welcher Motivation der Prophet handelt, wird dies erst ganz zum Schluss der Erzählung in einer Art Testament, das der Prophet seinen Schülern an die Hand gibt, deutlich: Erst in dieser Rede wird der eigentliche Grund für die mit dem Eintritt der Figur des Propheten in der Handlung (ab 1 Kön 13,11) aufgebaute Spannung deutlich. Zugleich wird erst in diesem letzten Abschnitt die Verbindung zwischen der Gottesmann-Jerobeam-Episode und der Gottesmann-ProphetErzählung offensichtlich, die in ihrer vorliegenden Gestalt zusammengehören und nicht – wie dies häufig geschieht – in zwei unterschiedliche Erzählungen getrennt werden dürfen.330 Der Prophet wendet sich mit einer ausführlichen Anweisung an seine »Söhne« und instruiert diese für sein Begräbnis (1 Kön 13,31c–32f).331 Seine Rede besteht aus zwei Teilen: Im ersten schärft er den Söhnen eindringlich ein, dass er im selben Grab genau neben den Gebeinen des Gottesmannes bestattet werden möchte (1 Kön 13,31c–f) und begründet im zweiten Teil (1 Kön 13,32a–d) diesen Wunsch. Erst in dieser Begründung legt er seine eigentliche Handlungsmotivation offen, weil er damit rechnet, dass sich das Wort des Gottesmannes mit Sicherheit erfüllen wird (vgl. die figura etymologica in 1 Kön 13,32a). Inhaltlich wiederholt der Prophet »das Wort« (rb'D'h;) nicht, sondern spezifiziert es in einem Relativsatz näher als das Wort, das der Gottesmann »im Namen JHWHs« gegen den Altar in Bet-El und gegen die Höhenhäuser in den Städten Samarias gerufen habe (1 Kön 13,32b–d). Der Prophet bezieht sich auf die ursprüngliche Botschaft zu Beginn der Erzählung zurück, wegen der der Gottesmann nach Bet-El gekommen war. Auf diese Weise wird das Ende der Erzählung mit ihrem Anfang verbunden. Allerdings entspricht nur der erste Teil tatsächlich der Aussage des Gottesmannes, dessen Botschaft sich lediglich auf den Altar in Bet-El, nicht aber auf die Höhenhäuser in Samaria bezogen hatte (1 Kön 13,2a.32). In der gesamten Erzählung (1 Kön 13) ist an keiner Stelle von »Höhenhäusern« (tAmB' tyBe) die Rede;332 diese werden nur im Rahmen der Erzählung genannt, in dem berichtet wird, dass Jerobeam in Bet-El Kulthöhen (»Höhenhäuser« tAmB' tyBe 1 Kön 12,31) grün330
Vgl. hierzu Kap. III. 1.3. Anders als der Gottesmann, der »getötet« wurde (twm im Hifil 1 Kön 13,26h vgl. 13,24c), rechnet der Prophet für sich selbst mit einem natürlichen Tod (»sterben« twm im Qal, 1 Kön 13,31c). 332 Auf den Ausdruck »Höhen« wird in der Erzählung nur ein einziges Mal rekurriert, als der Gottesmann ankündigt, dass im Kontext der Maßnahmen Joschijas auf diesen Höhen die Gebeine der Menschen verbrannt werden (1 Kön 13,2g). 331
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Kap. III: 1 Kön 13
det, zu deren Dienst er Priester anstellt (»Höhen« hm'B' 1 Kön 12,31; 13,33bis). Dass der Prophet das Wort des Gottesmannes, das dieser nur auf den Altar bezogen hat, auch auf die Höhenheiligtümer bezieht, könnte – von der Erzählkonstruktion her – aus der genauen Kenntnis der Ereignisse in Bet-El resultieren. Dass er aber in seiner Rede diese »Höhenhäuser« nicht nur auf Bet-El, sondern auch auf die »Städte Samarias« ( !Arm.vo yre['B.) bezieht, muss mit Erstaunen zur Kenntnis genommen werden, da es Samaria in der erzählten Textwelt noch nicht gibt, sondern Samaria erst als »Berg« in 1 Kön 16,24 von dem späteren König Omri gekauft wird, der auf diesem Berg eine Stadt gründen wird. Der Prophet bezieht sich somit auf eine politische und geographische Größe, die noch nicht existiert! Somit werden in seinem Verweis auf das (angebliche) Wort des Gottesmannes drei Informationen kombiniert: Erstens wird die Rede des Gottesmannes wörtlich wieder aufgenommen, zweitens wird auf Informationen aus dem Rahmen rekurriert und drittens wird etwas als bereits bestehende Tatsache in anachronistischer Prolepse präsentiert, was erst Jahre später geschehen wird. Will man die Funktion dieser Erzählkonstruktion im Kontext des Erzählverlaufs deuten, so ergeben sich zwei interessante Perspektiven: Die Erzählstimme lässt den Prophet offenbar mehr wissen, als er eigentlich wissen kann, und integriert in seine Deutung Dinge, die sich erst in Zukunft ereignen werden. Damit, dass die »Städte Samarias« hier das erste Mal333 in der Hebräischen Bibel ankündigt werden, porträtiert ihn die Erzählstimme – vor dem Hintergrund von Dtn 18,22 – als ›wahren‹ Propheten, weil sich seine Aussagen erfüllen. Aber nicht nur der Prophet, sondern auch die Erzählstimme wird über diese Prolepse charakterisiert: Dass hier von der Konstruktion der Geschichte in anachronistischer Vorwegnahme die noch nicht gegründete Stadt Samaria genannt wird, macht für die Lesenden ein ›Fenster‹334 transparent, dass die Erzählstimme aus einer späteren Zeit her berichtet: Sie, die den Propheten sprechen lässt, muss einer Zeit angehören, in der es »Höhenhäuser« und die »Städte Samarias« gibt. Diese Formulierung findet sich in der Hebräischen Bibel aber nur noch in der Erzählung von der Eroberung des Nordreiches und im Kontext der joschijanischen Reform.335 Der Ort, von dem her die Erzählstimme die Ereignisse schildert, ist somit das Ende der Königsbücher. Von dort blickt sie auf die Ereignisse zurück und schildert diese retrospektiv aus ihrer standortgebundenen Perspektive. Daher kann die Erzählstimme als ›joschijanische‹ Erzählerin bezeichnet werden. 333
Die erste Erwähnung von Samaria in der Hebräischen Bibel ist 1 Kön 13,32. Vgl. OTTO, Mose, 99–101. 335 »Höhenhäuser« (tAmB' tyBe) in 2 Kön 17,29.32; 23,19; das Lexem »Höhe« wird in 2 Kön 23,5.8bis.9.13.15ter.19.20 verwendet. Der Ausdruck »Städte Samarias« (!Arm.vo yre[)' findet sich nur noch in 2 Kön 17,24.26; 23,19). 334
2. 1 Kön 13. Eine Textlektüre
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Dass der Prophet die Ankündigung des Gottesmannes sehr ernst nimmt und er von dessen Authentizität so überzeugt ist, dass er die Rettung seiner Grabruhe antizipierend organisiert, qualifiziert den Gottesmann als einen ›wahren‹ Boten und Gottesspezialisten. Darüber hinaus zeigt es, dass der Prophet die Perspektive des Gottesmannes / JHWHs bezüglich der neuen kultischen Maßnahmen Jerobeams in Bet-El und Dan teilt. Die Reaktion des Propheten charakterisiert ihn daher als einen in Opposition zu Jerobeam stehenden Propheten. Weil er von der Richtigkeit der Worte des Gottesmannes zutiefst überzeugt ist, sieht er für sich Handlungsbedarf, um Vorsorge für die drohende Schändung seiner Gebeine zu treffen. Der Prophet bezieht also seine Handlungsmotivation nur aus seiner auf sich bezogenen Perspektive. Im Licht der Ankündigung des Judäers konnte der Prophet sich jedoch nur zu der zweiten Gruppe zählen, denn er gehört nicht zu den Priestern (vgl. 1 Kön 13,2f.h). Dafür spricht auch, dass seine Sorge speziell seinen »Gebeinen« (~c,[, 1 Kön 13,31f vgl. 13,2h)336 gilt. Werden in der Rede des Gottesmannes alle Menschen allgemein angesprochen, sorgt sich der Prophet jedoch nur um sich, nicht aber um alle anderen, die dasselbe Schicksal treffen wird, dass die sterblichen Überreste verbrannt und im Wind zerstreut werden. Damit präsentiert sich der Prophet zum einen als intelligent und weit vorausschauend, der durchschaut, dass Jerobeam langfristig keinen Erfolg hat, zum anderen aber auch als einer, dessen Perspektive nur auf sich selbst beschränkt ist. Dies scheint der Prophet vor seinen Schülern verschleiern zu wollen, indem er das Grab signifikanterweise als das Grab des Gottesmannes bezeichnet (1 Kön 13,31c.d).337 In der Rede etikettiert der Prophet sein Grab explizit als das Grab des Gottesmannes, um den Eindruck von vorneherein abzuwehren, dass er den Verlauf der Dinge provoziert haben könnte. Auf diese Weise stilisiert sich der Prophet, der dem Gottesmann seine – wie auch immer motivierte – Gastfreundschaft angetragen hat, als Gast im Grab des Gottesmannes. Wie der Löwe »neben« dem Gottesmann gewacht hat (1 Kön 13,24e.f.25b.28c), betont der Prophet, dass er »neben« ( lc,ae) dem Gottesmann begraben werden möchte (1 Kön 13,31e). In dieser Anspielung auf die doppelte Rolle des Löwen spiegelt sich die doppelte Rolle des Propheten: Wie ein Wächter(-Löwe) will der tote Prophet neben dem Gottesmann liegen, um mit ihm vor der Totenschändung gerettet zu werden, obwohl er als reißender Löwe den Tod des Gottesmannes befördert und provoziert hat, um seinen 336
In den Königsbüchern findet sich das Lexem »Gebeine« (~c,[,) nur in dieser und in der Erzählung über die joschijanischen Reformmaßnahmen in 2 Kön 22–23 (2 Kön 22,14.16. 16ter.20). 337 Obwohl sich die Formulierung »sein« Grab (1 Kön 13,30a) grammatisch sowohl auf den Gottesmann (so HOUSE, Kings, 189), als auch auf den Propheten beziehen kann, kann aber vom Kontext eigentlich nur das Grab des Propheten gemeint sein. Es macht keinen Sinn anzunehmen, der Gottesmann aus Juda habe ein Grab in Bet-El.
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Vorteil aus dem Tod des Gottesmannes zu ziehen und durch das gemeinsame »Liegen« (xwn) im selben Grab seine ›Ruhe‹ (xwn)338 zu garantieren. Erst von diesem Ende wird erkennbar, dass die gesamte, bisher nicht erläuterte Handlungsmotivation des Propheten aus seiner Erkenntnis der Richtigkeit der Worte des Gottesmannes resultiert. Das aber motiviert ihn in keiner Weise zu einer oppositionellen Rolle, in der er öffentlich gegen den theologisch und politisch falschen Weg eintritt, den Jerobeam gerade einschlägt, und wie es von einem ›guten‹ Propheten zu erwarten wäre. Vielmehr beschränkt sich die Sorge dieses Propheten auf seinen Vorteil und seine Unversehrtheit. Der Prophet in der Erzählung von 1 Kön 13 hat jedoch nicht die Funktion, ein individuelles Sittenbild eines Einzelnen oder eine individuelle Biographie zu schildern. Vielmehr steht der namenlose Prophet prototypisch für die religiösen Traditionen des Nordreiches, die, so der Vorwurf, auf ihr eigenes Wohlergehen bedacht waren und an ihren eigenen Vorteil dachten. Das, was für die Erzählung schildernde judäische Perspektive aber eigentlich verwirrend und beunruhigend ist, ist, dass der Prophet keineswegs ein ›falscher‹ Prophet ist. Vielmehr konnte an vielen Stellen in der Erzählung aufgezeigt werden, dass er als ›echter‹ Prophet verstanden werden kann und JHWH auf seiner Seite steht. Das bedeutet, dass die im Südreich verortete Erzählstimme konzediert, dass auch im Nordreich ›wahre‹ und ›echte‹ JHWH-Prophetie zu finden ist. Die Handlungsmotivation des Propheten resultiert somit aus der ersten Gottesbotschaft des Gottesmannes, die er als richtig erkennt und die ihn aktiv werden lässt. Dies aber bleibt für die Lesenden verborgen, denen sich die Frage nach der Motivation des Propheten stellt. Diese offene Frage bildet die Spannung, die sich von Beginn an über die ganze Erzählung legt, aber sich erst ganz am Ende als allerletztes Element in der Erzählung auflöst. Das persönliche Ziel seiner ganzen Aktion ist, den Gottesmann neben sich begraben zu wissen. Unklar bleibt, ob er dieses Ziel von Anfang an verfolgt hat, um den Tod des Gottesmannes zu provozieren, ob sein letzter Wunsch erst zum Ende hin entstanden ist und nicht seine ganze Handlung motiviert hat, oder ob sein Handeln sogar von selbstlosen Motiven339 geprägt sein könnte: »Events move in puzzling ways (vv 11–32) and their sense will not be clear until near the end of the narrative.«340 Und selbst am Ende der 338
Vgl. zu 2 Kön 23,18 Kap. V. 2.1. »Posthumously sheltering the man of God’s bones is the last reparation he can render his betrayed guest. If there is to be enduring stability of the grave, it is the old prophet’s responsibility to provide it; he has heard God’s rigorous admonition and demeaning invective and knows that the ›carcass‹ cannot be depended upon for asylum. Even had the old prophet no prevision of the eventual preservation of their shared resting-place, his request to be laid humbly beside his ›brother‹ sinner would evince a heart changed from that of the selfish liar of v. 18«, REIS, Vindicating God, 379–386. 340 LONG, 1 Kings, 146. 339
3. Prophetie und Königtum in 1 Kön 13
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Erzählung wird der ›Sinn‹ nicht eindeutig. Diese Offenheit scheint auch die LXX beschäftigt zu haben, in der in 1 Kön 13,31 Hinzufügungen vorgenommen wurden.341 Die Weg-Erzählung über den Gottesmann aus Juda, der nach Bet-El gegangen und von Bet-El nicht wieder losgekommen ist, bleibt offen. Die zu Beginn der Erzählung eröffnete Spannung, die die Lesenden über die eigentliche Handlungsmotivation des Propheten im Unklaren ließ, wird am Ende der Erzählung begründet – und dies in einer durchaus problematischen Art und Weise:342 »It is as if the old prophet has been on a quest to find a real word from God or as if he set out to be the personal tester of the man of God. Whatever his motives, and it is impossible to know them for sure, the old man is an mixture of curiosity, dishonesty, accuracy, and conviction.«343 Am Schluss der Erzählung von 1 Kön 13 werden die Handlungsfäden jedoch nicht an ein Ende geführt, sondern bleiben unbeantwortet: Man weiß nicht, ob die Schüler die Anweisung ihres Lehrers umsetzen. Auf diese Weise zieht die Erzählung einen Spannungsbogen über die folgenden Kapitel, der erst in 2 Kön 23 aufgegriffen wird.
3. Prophetische Konstellationen – Politische Konfrontationen in 1 Kön 13 3. Prophetie und Königtum in 1 Kön 13
3.1. Die prophetische Konstellation In dieser Erzählung geht es nicht in erster Linie um den Konflikt zwischen ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie, wie meist betont wird.344 Vielmehr sind sowohl der Gottesmann als auch der Prophet Gottesspezialisten, die jeweils Gottesworte erhalten, die sich in Zukunft bewahrheiten. Daher können beide – wenn auch nicht unbedingt durchgehend – als ›wahre‹ Propheten gelten. Das Problem von 1 Kön 13 ist viel gravierender: Wie ist mit verschiedenen Gottesworten umzugehen, die sich voneinander grundlegend unterscheiden und die aber von Gottesspezialisten übermittelt werden, die 341 1 Kön 13,31 in der LXX: »damit meine Gebeine mit seinen Gebeinen gerettet werden« (i[na swqw/si ta. ovsta/ mou meta. tw/n ovstw/n auvtou/). 342 Vgl. auch: »With consummate irony, the strange alienation imposed upon the Judahite (vv.1–10) turn to intimacy in the Bethelite grave. The prophet has seen that the Judahite in life was a harbringer and a portent of destruction. In death he is still that, and his power lingers. The old Bethelite prophet who had kept his counsel when first told of the man of God (v. 11) now becomes a spokesman for the dead man’s prophecy (v. 32), as though it were confirmed in punishment and guarded by the lion and the ass. The bizarre chain of events has its point after all, the narrative its sense of ending which gives meaning to the whole«, LONG, 1 Kings, 148. 343 HOUSE, Kings, 189. 344 Zu ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie vgl. LANGE, Vom prophetischen Wort, 4–38.
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ansonsten Gottesworte verkünden, deren Wahrheitsgehalt nicht angezweifelt wird? Für die Figuren der Erzählung ist die Unterscheidung sehr schwierig, weil aus ihrer Perspektive das eine potentiell ›wahre‹ Gotteswort genauso aussieht wie das andere potentiell ›gelogene‹. Aus der Perspektive der Figuren sehen beide Gottesworte ›echt‹ aus. Das ist höchst beunruhigend: Wenn das eine Gotteswort genauso aussieht wie das andere, letzteres aber tatsächlich eine Erfindung des Propheten ist, wie ist hier eine Unterscheidung möglich? Wie kann man sicherstellen, dass das Wort eines Propheten tatsächlich das übermittelte unverwechselbare Gotteswort ist? Die Lesenden hingegen sind durch die Information der Erzählstimme privilegiert, die sie darüber in Kenntnis setzt, dass sie das eine Wort des Propheten aus Bet-El als ›Lüge‹ erachtet (vgl. 1 Kön 13,17.18), sein anderes aber offenbar für echt hält (vgl. 1 Kön 13,21–22). Anders als die Figuren verfügen die Lesenden zwar über diese Information der Erzählstimme, müssen sich aber nun zu der Wertung der Erzählstimme positionieren. Auf diese Weise wiederholt sich die Frage nach der Authentizität, die sich auf der Ebene der Figuren stellt, erneut auf der Ebene der Lesenden gegenüber der Erzählstimme: Was bezweckt sie mit ihrer Wertung? So steht die Frage nach der Authentizität des Gotteswortes im Zentrum dieser Erzählung und wird auf allen Kommunikationsebenen diskutiert. Einer einfachen Unterscheidung erteilt diese Erzählung eine Absage.345 Zudem sind weder der in sein Verderben laufende Gottesmann, noch der schlaue und gewieft an sich denkende Prophet gute Vorbilder:346 »Gottesmann und Prophet werden zu zwielichtigen Gestalten: jener ist seinem Auftrag nicht bis zum letzten treu, dieser aber beruft sich auf das Wort eines Gottesboten, das er in Wahrheit nicht erhalten hat.«347 Dass der nicht mitdenkende Judäer und der gewiefte Israelit letztlich zusammen im Grab vor der Schändung gerettet werden, scheint dazu zu berechtigen, die Erzählung von 1 Kön 13 als eine Erzählung über das Wie ›echter‹ Prophetie zu verstehen:348 Ist sie gehorsam, aber ohne mitzudenken, wie die des Got345
Vgl. den Kriterienkatalog zur Unterscheidung bei DOZEMAN, The Way of the Man of God, 392–393. 346 Es ist eher unwahrscheinlich, dass dieses auf Lüge und eigennützigen Motiven basierende Bemühen des Propheten um den Gottesmann eine Beispielgeschichte für das gute Einvernehmen zwischen judäischer und israelitischer Prophetie veranschaulichen soll, vgl. ähnlich HENTSCHEL, 1 Könige, 87. 347 WÜRTHWEIN, Könige, 171 348 Viel zu einfach ist die Position von HERR: »Die zentrale Botschaft des Kapitels ist untermalt durch ein weiteres Thema, die uneingeschränkte Macht des Gotteswortes. Sie wird schon durch die Massen an Wundertaten und sich bewahrheiteten Voraussagen unter Beweis gestellt. Gleichzeitig veranschaulicht 1 Kön 13, wie der göttliche Auftrag unbedingte Treue einfordert und sich auch gegen menschliche Intrigen und Schwächen durchsetzt. Mit seinem Tod bezeugt der Gottesmann die Wahrheit seiner Botschaft und wird so zum Vorläufer dessen, der größer ist als alle Propheten (vgl. Hebr 1,1f)«, HERR, Der wahre Prophet, 78.
3. Prophetie und Königtum in 1 Kön 13
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tesmannes, kann sie den Tod kosten. Ist sie berechnend gewieft, wie die des Propheten, dann scheint sich die einfache Unterscheidung von ›wahrer‹ von ›falscher‹ Prophetie aufzulösen. 3.2. Die politische Konfrontation Die Darstellung der Trennung von Juda und Israel in 1 Kön 12 lässt sich historisch kaum auswerten. Auch wenn die Historizität Jerobeams unbestritten ist, so ist sehr unsicher, was und welches Gebiet man sich unter dem Nordstaat Israel vorzustellen hat: »Aufgrund neuerer archäologischer Forschungen wurde wiederholt daraufhin gewiesen, dass Megiddo, die Jesreelebene, die Bet-Shean-Ebene und Galiläa (Kinneret, Hazor, Dan) Regionen sind, die sehr wechselhaften politischen Geschicken unterlagen, wobei die lokalen Eliten auch zeitweise ihre Unabhängigkeit anstrebten oder in ihren Loyalitäten nach außen hin recht flexibel (Aram oder Israel) waren.«349 Aufgrund der aramäischen Ausdehnung im 10. und 9. Jh. hat man sich das ›Reich Jerobeams‹ als einen Stammesverbund einer Bergbauern- und Viehzüchtergesellschaft mit unterschiedlichen Residenzen im zentralpalästinischen Bergland vorzustellen. Zu einer staatlichen Einheit entwickelt sich der Norden erst unter Omri (882–871), der mit Samaria das Zentrum Israels schuf.350 Dass der Nordstaat Israel kulturell, ökonomisch, innen- wie außenpolitisch deutlich einflussreicher als der Süden war,351 lässt sich nicht nur archäologisch nachweisen, sondern ist in den Erzählungen der Königsbücher gerade dann spürbar, wenn gegen das starke Nordreich anerzählt und so retrospektiv versucht wird, das Nord-Süd-Gefälle zu retuschieren. »Nur wenige Jahrzehnte nach dem vorgeblichen Ende der vereinten Monarchie, um 900 v.Chr., befand sich Israel denn auch schon auf halbem Weg zu einer voll entwickelten Eigenstaatlichkeit. Voll entwickelt bedeutet in diesem Zusammenhang ein von einem Verwaltungsapparat beherrschtes Gebiet und eine entsprechende gesellschaftliche Schichtung, die an der Verteilung von Luxusgütern, großen Bauvorhaben, blühender Wirtschaftstätigkeit einschließlich dem Handel mit Nachbarregionen sowie einer differenzierten Besiedlungsstruktur zu erkennen ist.«352 Durch die aufgrund neuerer archäologischer Erkenntnisse notwendig gewordene Umdatierung der Eisenzeit IIA-Zeit353 sind die baulichen Maßnahmen in Hazor, Gezer und Megiddo nicht Salomo im 10. Jh., sondern 349
BERLEJUNG, Geschichte, 101. Vgl. BERLEJUNG, Geschichte, 102. 351 Vgl. BERLEJUNG, Geschichte, 100. 352 FINKELSTEIN / SILBERMANN, Posaunen, 177. 353 Vgl. FINKELSTEIN, Ethnicity and Origin, 198–212; KLETTER, Plots, 19–54; FINKELSTEIN, Omride Architecture, 114–138; FINKELSTEIN / SILBERMAN, David und Salomo; GERTZ, Konstruierte Erinnerung, 3–29. 350
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erst den Omriden im 9. Jh. zuzuschreiben. Dies verändert das Bild grundlegend: Die in den Königsbüchern geschilderte zentral organisierte staatliche Baupolitik spiegelt nicht die Verhältnisse unter Salomo, sondern erst die unter den Omriden im 9. Jh. wieder.
4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 13 4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 13
Die Erzählung von 1 Kön 13 gilt als eine der schwierigsten354 Erzählungen der Hebräischen Bibel, aber auch als eine der bemerkenswertesten355, die – auch nach intensiver Textlektüre – mehr Fragen stellt, als sie beantwortet.356 Tatsächlich bleibt in der Erzählung vieles in einem diffusen Licht und bricht mit dem Erwartungshorizont der Lesenden, die von einem ›echten‹ Gottesmann unerschütterliche Treue zu Gott und von einem ›echten‹ Propheten ein ethisch vertretbares Verhalten erwarten.357 Nach der textnahen Lektüre, mit der die Dynamik der Erzählung nachvollzogen wurde, soll im Folgenden die Frage nach der Etablierung von Perspektivenstrukturen gestellt werden. Ziel ist, die Figurenperspektiven, die Art der Fokalisierungen und die Erzählstimme zu beschreiben, um vor diesem Hintergrund nach Autorfunktionen fragen zu können. Die Erzählung von 1 Kön 13 umfasst fünf Kommunikationsebenen: Neben der außertextlichen Ebene (K I) und der Ebene, auf der die Erzählstimme und die Handlung der Figuren angesiedelt sind (K II), sind auf der Ebene der Figurenrede (K III) drei sprechende Figuren, Jerobeam, der Gottesmann und der Prophet, zur Etablierung von Perspektiven wichtig. Letztere zitieren jeweils JHWH-Rede (K IV und V). Weil die Kommunikationsebenen voneinander hierarchisch abhängig sind, ›verantwortet‹ die jeweils basale Kommunikationsebene die von ihr abhängigen Ebenen. Dies hat zur Konsequenz, dass alle je höheren Ebenen zur Charakterisierung der basaleren Ebene einbezogen werden müssen. Deswegen werden im Folgenden die Perspektivenstrukturen in ihrer syntagmatischen Anordnung in umgekehrter Reihenfolge, beginnend mit K IV und V, analysiert. 354
»One of the most difficult stories in biblical prose narrative to read and interpret is this strange story of the man of God from Judah«, VAN SETERS, Reading, 225. 355 »1 Kings 13 relates one of the most extraordinary stories in the Hebrew Bible«, MARCUS, Anti-prophetic satire, 67. 356 »In the remarkable story about the man of God from Judah who prophesied the destruction of Jerobeam’s altar in Bethel, there is more of the enigmatic than the lucid«, SIMON, Reading Prophetic Narratives, 130. 357 MEAD nennt vier Arbeitsfelder in 1 Kön 13: erstens die Dynamik von wahrer und falscher Prophetie, zweitens die Frage nach der Erfüllung des Wortes JHWHs, drittens das Beispiel des ungehorsamen Propheten und viertens die theologischen Implikationen des prophetischen Wortes, vgl. MEAD, Kings and Prophets, 191–205.
4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 13
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4.1. Textinterne Perspektivenstrukturen (K V–II) 4.1.1. Die Perspektive JHWHs (K IV und V) JHWH tritt als Figur in 1 Kön 13 nicht auf. ›Seine‹ (Figuren-)Perspektive findet sich nur als Rede in der Rede, die der Gottesmann bzw. der Prophet ›wiedergeben‹ (K IV): Zwei Mal zitiert der Gottesmann JHWH vor dem Altar von Bet-El (1 Kön 13,2e–h.3d–f), und zwei Mal gibt er das Gebot JHWHs, nicht zu essen und zu trinken, sondern zurückzukehren, wieder (einmal vor Jerobeam: 1 Kön 13,9b–e und einmal vor dem Propheten: 1 Kön 13,17b–e). Ebenso zitiert der Prophet zwei Mal JHWH-Rede gegenüber dem Gottesmann, von der er sagt, dass er sie einmal durch einen Boten (1 Kön 13,18d–f) und einmal direkt von JHWH erhalten habe (1 Kön 13,21d–f).358 In der letzten Rede lässt sich der Prophet in seiner JHWHRede zudem selbst zitieren (1 Kön 13,22e–f; K V). Alle JHWH-Reden sind zitierte Reden und sind somit mehrfach fokalisiert. Von der Position JHWHs erfährt man in dieser Erzählung somit nur das, was der Gottesmann bzw. der Prophet als Worte JHWHs deklarieren. Anhand der Analyse der Kommunikationsebenen wird deutlich, dass man in dieser Erzählung nicht erfährt, was ›wirklich‹ JHWHs Perspektive ist, sondern man erlebt zwei konträre Perspektiven von zwei Gottesspezialisten auf JHWH. Die ersten beiden Zitate JHWHs gegen den Altar von Bet-El werden in ihrem Wahrheitsgehalt nicht angefochten (vgl. 1 Kön 13,32). Der Prophet und der Gottesmann haben hingegen unterschiedliche Perspektiven auf das Gebot JHWHs an den Gottesmann, in Bet-El nicht zu essen und zu trinken, sondern nach Juda zurückzukehren: Während der Gottesmann aufgrund des an ihn ergangenen Gotteswortes nach Juda zurückkehren will, will der Prophet aufgrund eines an ihn ergangenen Gotteswortes den Gottesmann zur Umkehr nach Bet-El bewegen. Dabei verschiebt sich das Gewicht von der theologisch und politisch zentralen Frage nach dem Heiligtum in Bet-El auf die (zunächst) marginal wirkende Frage nach der Rückkehr des Gottesmannes nach Juda.359 Auf diese Weise kristallisieren sich auf der Ebene der zitierten JHWH-Rede zwei Schwerpunkte heraus: Dies ist zum einen die Wertung JHWHs in Bezug auf Bet-El, wie sie durch den Gottesmann dargestellt und vom Propheten geteilt wird, und zum anderen sind es die Gebote in Bezug auf die Rückkehr des Gottesmannes nach Juda, bei der die beiden Gottesspezialisten jeweils unterschiedliche Perspektiven JHWHs vertreten.
358 Dies ergibt ein Verhältnis von viermal zitierter JHWH-Rede durch den Gottesmann zu zweimal zitierter JHWH-Rede durch den Propheten. So entsteht ein Verhältnis von 4 zu 2. 359 Dies verändert das Verhältnis zu 2 zu 4 (zwei Mal JHWH-Rede gegen Bet-El zu vier Mal zitierter Gottesrede in der Frage der Rückkehr des Gottesmannes).
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Insofern spielt Gott keine rätselhafte Rolle in dieser Erzählung,360 vielmehr tritt JHWH selbst in dieser Erzählung gar nicht auf: Die Frage, was Gott eigentlich will, wird vielmehr zum strittigen und für den Gottesmann tödlich endenden Streit zwischen den beiden Gottesspezialisten. 4.1.2. Die Perspektive der Figuren: Jerobeam, der Gottesmann und der Prophet (K III) Auf der Ebene der miteinander kommunizierenden Figuren werden zwei Konfliktkonstellationen361 geschildert, die in drei Phasen362 gegliedert sind und die jeweils unterschiedliche Perspektivenstrukturen aufweisen. Der erste Konflikt besteht zwischen dem Gottesmann und Jerobeam (1 Kön 13,1–10): Im ersten Teil des ersten Abschnitts (1 Kön 13,1–5) dominiert der Gottesmann und die von ihm übermittelte JHWH-Botschaft. Die Perspektive wird durch die Augen des Gottesmannes auf den Altar fokalisiert. Inhaltlich überschreitet der Gottesmann mit seiner detaillierten Ankündigung der zukünftigen Ereignisse und mit der Nennung des zukünftigen Königs Joschija seine (begrenzte) Figurenperspektive. Der zweite Teil (1 Kön 13,6–10) kreist um Jerobeam, dessen Perspektive ganz auf sich und seine plötzlich unbeweglich gewordene Hand fokussiert ist, deren spektakuläre Heilung die Aufmerksamkeit von den eigentlich zentralen Worten JHWHs gegen den Altar ablenkt. Die erfolgreiche Wiederherstellung seiner Hand verändert die Perspektive Jerobeams auf den Gottesmann: Statt ihn zu verhaften (vgl. 1 Kön 13,4), versucht er, ihn für sich zu gewinnen und auf seine Seite zu ziehen (vgl. 1 Kön 13,7–10). Dem widersetzt sich der Gottesmann erfolgreich, indem er nicht seine, sondern JHWHs Perspektive als Grund anführt, das attraktive Angebot Jerobeams auszuschlagen. Der erste Abschnitt wird somit von der Perspektive zweier Figuren beherrscht: einerseits Jerobeams kurzsichtige, auf sich konzentrierte Perspektive, die JHWHs Worte gegen den Altar von Bet-El in den Hintergrund treten lässt, und andererseits der Gottesmann aus Juda, der als Bote die Worte JHWHs wiedergibt und sich, als er persönlich angesprochen wird, ganz der Perspektive JHWHs anschließt. Die zweite Konfliktkonstellation besteht zwischen dem Gottesmann und dem Propheten. Ausgangspunkt dieses Konflikts ist der Prophet, dessen 360
So NELSON, Kings, 88–89: »Yet in spite of what some commentators have asserted, God is not acting in an enigmatic manner, for God is not represented as having anything to do with the trap set up by the old prophet«. 361 Konfliktkonstellation I: Jerobeam und Gottesmann; Konfliktkonstellation II: Gottesmann und Prophet. 362 Die drei Phasen sind konzentrisch angeordnet: Phase I: Jerobeam und Gottesmann: Das Wort JHWHs gegen den Altar von Bet-El (erster Abschnitt); Phase II: Prophet und Gottesmann: Die Frage der Rückkehr (zweiter bis vierter Abschnitt); Phase III: Prophet und sein Bestattungswunsch: Die Erfüllung des JHWH-Wortes (fünfter Abschnitt).
4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 13
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Handlungsmotivation lange unklar bleibt. Erst im letzten Satz wird deutlich, dass der Prophet die vom Gottesmann wiedergegebenen Worte JHWHs gegen den Altar von Bet-El für ›wahr‹ hält und aus dem Begräbnis des Gottesmannes in Bet-El seinen persönlichen Profit zieht. Wie bei Jerobeam ist auch die Perspektive des Propheten ganz auf sich und seine Rettung konzentriert. Zwischen den beiden Gottesspezialisten ergibt sich ein Dissens in Bezug auf die Wiedergabe der JHWH-Worte, die sich jeweils konträr gegenüberstehen: Den zwei Mal vom Gottesmann wiedergegebenen Geboten JHWHs (1 Kön 13,9b–e.17b–e) widerspricht die erste vom Propheten kolportierte JHWH-Rede (1 Kön 13,18d–f). Angesichts eines neuen JHWH-Wortes verlässt der Gottesmann seine bisherige, durch das Gebot JHWHs bestimmte Perspektive. Und genau dies führt dann zu seiner Verurteilung in dem zweiten, vom Propheten zitierten JHWH-Wort. Die Frage, was es bedeutet, JHWHs Wort zu folgen, ist in dieser Erzählung keineswegs eindeutig: Der Gottesmann hat sich als treuer Bote erwiesen, der unbeirrt an seinem Auftrag angesichts des verlockenden Angebots des Königs und des Ansinnens des Propheten festhält. Erst als der Prophet von einem neuen JHWH-Wort berichtet, das an ihn ergangen sei, ändert der Gottesmann in Treue zu JHWH seine konsequente Haltung und kehrt mit dem Propheten zurück, in dem Glauben, JHWHs Anweisung zu befolgen. Aus der Figurenperspektive des Gottesmannes ist dies höchste Treue gegenüber der Anweisung JHWHs. Auf der Kommunikationsebene der Figuren (K III) deutet nichts daraufhin, dass es sich hier nicht um ein Wort Gottes handeln könnte. Unerwartet kommt dann in der zweiten JHWHRede des Propheten (1 Kön 13,21d–22g) das Urteil JHWHs gegenüber dem Gottesmann, der ihn beschuldigt, gegenüber JHWH ›widerspenstig‹ gewesen zu sein (13,21d).363 Damit wird dem Gottesmann genau das vorgeworfen, was er – aus seiner Figurenperspektive – gerade nicht war. Der Gottesmann zeichnet sich durch wortgenaue Erfüllung von JHWH-Anweisungen aus. Dass er sich allem, was als ›Wort Gottes‹ etikettiert ist, unterwirft, ohne zu unterscheiden, wird ihm zum Verhängnis,364 weil er dabei 363 Dieser Vorwurf wird vom Propheten durch die von ihm zitierte JHWH-Rede eingeführt und dann in seine öffentlichen Rede (13,26e) übernommen. Mit dieser retrospektiven, öffentlichen Deutung des Schicksals des Gottesmannes gibt der Prophet zudem die Perspektive vor, aus der die Leute in Bet-El das Ergehen des Gottesmannes beurteilen. 364 Eine interessante Lektüre der Erzählung bietet REIS, die – wie in der Überschrift (»Vindicating God. Another Look at 1 Kings XIII«) angekündigt – mit einem anderen Blick auf 1 Kön 13 eine Interpretation bietet, in der genau umgekehrt zu den meisten Interpretationen Gott verteidigt und das Anliegen des Gottesmannes grundlegend hinterfragt wird: »Far from innocent, the man of God is a guileful, acquisitive schemer. His avarice and his open aversion to the return to Judah that God demands, incites the old prophet’s stratagem and assures its accomplishment. The austere chastisement that God’s faithless messenger receives for his ready capitulation is deserved. […] the Author of the narrative confirms rather than violates the reader’s sense of God’s justice« (REIS, Vindicating God, 377). »The
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von dem an ihn ergangenen Gotteswort abweicht. Das endet für den gehorsamen,365 sogar Zeichen vollbringenden Gottesmann tödlich. Dem steht der weit voraus denkende und umsichtig für sich sorgende Prophet gegenüber, der die Richtigkeit der Worte des Gottesmannes erkannt hat und die Situation für sich zu nutzen weiß. Er operiert gegenüber dem Gottesmann mit einem konkurrierenden Gotteswort. Der Verdacht legt sich nahe, dass er den Gottesmann bewusst in eine Falle gelockt hat, um mit ihm später selbst gerettet zu werden (1 Kön 13,31c–32d).366 Damit finden sich die beiden Schwerpunkte der vierten Kommunikationsebene, die Perspektive JHWHs in Bezug auf Bet-El, das Königtum im Nordreich und die Rückkehr des Gottesmannes nach Juda, auch auf der dritten Kommunikationsebene, allerdings mit noch größerem Schwerpunkt auf dem zweiten Konflikt: Prophet und Gottesmann stehen einander mit ihren unterschiedlichen Informationen, ihren verschiedenen ›Visionen‹ auf JHWH und ihren inkongruenten ›Versionen‹ der JHWH-Reden gegenüber. Das letzte Wort behält dabei der Prophet, der in der JHWH-Rede dem Gottesmann eine Strafe ankündigt, die sich unverzüglich erfüllt. 4.1.3. Die Perspektive der Erzählstimme: Die Präsentation der Handlung und der Figuren (K II) Die Erzählstimme ist extradiegetisch und heterodiegetisch. Durch sie wird die fiktionale Textwelt konstituiert. Sie ist für die gesamte Handlung, die auftretenden Figuren, ihre Reden und ihre unterschiedlichen Perspektiven verantwortlich. Als omnipräsente und allwissende Erzählstimme kann sie an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten gleichzeitig sein und hat Einblick in das Innerste der Figuren. Die Erzählstimme selbst scheint in der gesamten Erzählung auf den ersten Blick höchst zurückhaltend zu sein und das Geschehen ›objektiv‹ zu schildern. Der Grad ihrer Wahrnehmbarkeit in Bezug auf ihre Personalisierung, Individualisierung und Anthropomorphisierung scheint nicht hoch zu sein. Jedoch lassen sich drei Beobachtungen zur Kontur der Erzählstimme machen:
author intimates the man of God’s hidden agenda in his first words to Jerobeam; succeeding narration and dialogue corporate the reader’s initial impression of the miracle-worker’s rapacity. The narrator’s art reveals the man’s inner inclination and discloses that he is not an unwitting target of chicanery but a predisposed participant in disobedience. […] The punishment is sterne because it extends beyond death, but it is not injust« (Ebd., 385). 365 DE VRIES (1 Kings, 173–174) und VAN WINKLE (True and False Prophecy, 40–42) machen den Gehorsam gegenüber Gott zu dem entscheidenden Kriterium, an dem sich ›wahrer‹ von ›falscher‹ Prophetie unterscheiden lasse. 366 Vgl. ähnlich SIMON, I Kings 13, 92; EYNIKEL, Prophecy and Fulfillment, 234. Anders als EYNIKEL voraussetzt, muss das aber nicht bedeuten, dass der Prophet damit zwangsläufig ein ›falscher‹ Prophet ist.
4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 13
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In 1 Kön 13,18g bewertet die Erzählstimme die Aussage des Propheten (oder des in seiner Rede zitierten Boten) als ›Lüge‹. Wie auch immer dieser Erzählstimmenkommentar gewertet wird, in jedem Fall tritt die Erzählstimme aus ihrer vermeintlichen ›Neutralität‹ hervor: Damit zeigt sich die Erzählstimme in das Geschehen involvierter und interessengeleiteter, als ihre vermeintliche Reserviertheit gegenüber Handlung und Figuren auf den ersten Blick Glauben macht. Der Erzählstimmenkommentar verändert die Perspektive der Lesenden auf die Figuren schlagartig: Nur durch diese Information der Erzählstimme werden die Lesenden explizit auf die Idee gebracht, dass der Prophet nicht die Wahrheit gesagt haben könnte. Somit wird der Prophet erst durch die wertende Perspektive der Erzählstimme mit dem Vorwurf der ›Lüge‹ konfrontiert. Weil die Erzählstimme das zweite JHWH-Wort des Propheten nicht in Zweifel zieht, ist man geneigt, es für ein echtes Gotteswort zu halten. Dies wird zudem dadurch bestärkt, dass es umgehend eintritt. Signifikanterweise ist aber die Tötung des Gottesmannes an keiner Stelle mit dem Hinweis auf JHWH verbunden oder wird über JHWH gerechtfertigt. Dass die Prophezeiung des Propheten sofort eintrifft, ist in der fiktionalen Textwelt die Konstruktion der Erzählstimme: Sie erzählt die Ereignisse so, dass sie erfüllt werden. Anders als beim Propheten, dessen unmittelbarer Nutzen seiner Agitation leicht zu erkennen ist, ist die Motivationslage der Erzählstimme keineswegs gleichermaßen offensichtlich. Im Werte- und Normensystem der Erzählstimme scheint es richtig, dass der Gottesmann für seine ›Widerspenstigkeit gegenüber dem Mund JHWHs‹ bestraft wird. Damit unterscheidet sich ihre Perspektive auf den Tod des Gottesmannes grundlegend von der Perspektive des Propheten: Um die Botschaft des Gottesmannes auch nach Jahrhunderten noch plausibel erzählen zu können, gestaltet sie die Ereignisse um den Tod des Gottesmannes und dessen Grab in Bet-El so, dass sie in der erzählten Textwelt die Taten Joschijas auch noch dreihundert Jahre später rechtfertigt. Der Tod des Gottesmannes zielt aus der Perspektive der Erzählstimme auf die Legitimation Joschijas. Deswegen muss der Gottesmann aus Juda in Bet-El sterben und begraben werden. Weil er zur Rückkehr nach Bet-El nur über ein neues, gegenteilig lautendes Gotteswort motiviert werden kann, wird dieses von der Erzählstimme sogleich als ›Lüge‹ qualifiziert. Wäre es keine ›Lüge‹, dann hätte Gott den Tod seines treuen Gottesmannes bewusst in Kauf genommen. Diesen ungeheuerlichen Gedanken will die Erzählstimme durch ihren Erzählkommentar unterbinden. Eine zweite Beobachtung zur Konturierung der Erzählstimme liegt in der Struktur der Erzählung: Die im ersten Teil bewirkte Marginalisierung der eigentlichen Botschaft des Gottesmannes, das JHWH-Wort gegen den Altar von Bet-El, findet sich in der ganzen Erzählung. Erst am Schluss wird wieder auf ihren Anfang rekurriert, indem der Prophet der vom Got-
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tesmann wiedergegebenen ersten JHWH-Rede gegen den Altar ungeteilt zustimmt. Damit stellt die Erzählstimme die erste Aussage des Gottesmannes gegen den Altar von Bet-El als ›wahr‹ dar. Interessanterweise entbrennt um die vom Gottesmann angekündigte Profanierung des Altars von Bet-El gerade kein (prophetischer) Streit, sondern die in der Erzählung auftretenden Gottesspezialisten vertreten in Bezug auf den Altar von BetEl dieselbe Ansicht. Damit etabliert die Erzählstimme im Werte- und Normen-System der Textwelt eine in JHWH geerdete Position gegen den Altar von Bet-El, der über die Eroberung Samarias hinaus in Dienst ist (vgl. 2 Kön 17). Im Kontext von 1 Kön 13 gerät dieser in den Hintergrund und gewinnt weitere Kontur erst im Kontext der Erzählkomposition der Königsbücher.367 Eine dritte Beobachtung zur Charakterisierung der Erzählstimme ist, dass sie dem Propheten das Stichwort der »Städte Samarias« (1 Kön 13,32) in den Mund legt. Durch diese anachronistische Prolepse ist es möglich, die Erzählstimme zu verorten: Es konnte gezeigt werden, dass die in 1 Kön 13,32 verwendeten Ausdrücke nur noch in 2 Kön 17 und 23 verwendet werden. Eine weitere Antizipation ist die detaillierte Schilderung der zukünftigen Ereignisse der realen Profanierung des Altars von Bet-El durch Joschija (1 Kön 13,2). Damit ist die Erzählstimme klar in der Zeit Joschijas zu verorten und die dem Gottesmann in den Mund gelegte Prophezeiung wird zum vaticinium ex eventu. Aus dieser Position blickt sie auf die Ereignisse zurück und schildert sie von ihrem Ende her. So verschiebt sich die Frage nach dem Altar von Bet-El zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Propheten und dem Gottesmann über die Anweisungen Gottes bezüglich der Rückkehr des Gottesmannes. Dieser zunächst banal erscheinende Konflikt hat jedoch zwei theologisch brisante Sinnspitzen: Die erste ist die Frage nach dem ›Gehorsam‹ gegenüber dem Wort JHWHs; die zweite betrifft das polyseme Motiv der ›Umkehr / Rückkehr‹ (bwv). Diese beiden Themen der Erzählstimme müssen in den Kontext der Königsbücher eingeordnet werden, um die Position der Erzählstimme noch schärfer fassen zu können.368 Weil sich die Erzählstimme als eine interessengeleitete, eigene Positionen vertretende erwiesen hat, stellt sich das in der Erzählung thematisierte Problem um JHWHs Wort noch grundlegender: Welchen Sinn ergibt eine Geschichte, in der ein Gottesmann mit einem JHWH-Wort auftritt, dessen Herkunft und Legitimation genauso unklar und offen ist wie das des Propheten, von dem die Erzählstimme behauptet, dass er lüge? Vielleicht ist 1 Kön 13 damit tatsächlich »un des récit les plus énigmatiques et en appa-
367 368
Vgl. dazu Kap. V. 2.1. Vgl. dazu Kap. V. 2.1.2. und 3.2.
4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 13
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rances les plus scandaleux de l’Ancien Testament.«369 Die Erzählung voller Offenheiten, rätselhafter Widersprüche und perspektivischer Mehrdeutigkeiten lässt kein einfaches Fazit zu, dass den komplexen und perspektivenreichen Zusammenhang auf eine einfache Formel reduziert. Die Perspektivenstruktur des Textes wird vielmehr durch die Erzählstimme um eine weitere Perspektive bereichert. 4.2. Textextern: Autorfunktionen und Autorfigurationen (K I) 1 Kön 13 verfügt textintern über eine facettenreiche Perspektivenstruktur, die um die Frage nach der textexternen Ebene (K I) erweitert werden kann. Mit der Einbeziehung der textexternen Ebene wird der ›garstige Graben‹ der fiktionalen Textwelt überschritten und nach der Verankerung der Erzählung in der realen Welt, nach ihrer Entstehung und ihren Verfassern gefragt. Die Frage nach der textexternen Ebene kann als sekundärer Kontext370 ein möglicher Auslegungskontext sein, mit dem der Text befragt wird. Dabei gilt die Suche jenen Facetten im Text, die als Spuren eines ›Autors‹ interpretiert werden können. Unter den Kategorien der ›Autorfunktionen‹ wird die Erzählung nach Spuren durchsucht, um aus ihnen die ›Autorfiguration‹ als Summe der in der Erzählung auffindbaren Spuren, die dem ›Autor‹ zugeschrieben werden können, beschreiben zu können.371 Die erste Autorfunktion, die Funktion der Auswahl der Zeichen, macht den gesamten Text zur Spur des ›Autors‹, weil die Beziehung zwischen ›Autor‹ und Text eine Inklusions- bzw. eine Subordinationsbeziehung ist: Als vom ›Autor‹ geschaffene Größe muss die von ihm produzierte fiktionale Textwelt in seiner realen Lebenswelt zumindest denkbar und vorstellbar sein. Aufgrund dieser notwendigen Schnittmenge zwischen erzählter Textwelt und der realen Welt des ›Autors‹ lässt das Wissen der Erzählstimme auf die Enzyklopädie des ›Autors‹ schließen. In Bezug auf 1 Kön 13 können die bei der Erzählstimme aufgelisteten Indizien (Joschija, »Städte Samarias« etc.), mit denen die Erzählstimme als ›joschijanische Erzählerin‹ verortet werden kann, auch im Hinblick auf die Autorfunktionen ausgewertet werden: Weil die Erzählstimme ein Konstrukt des ›Autors‹ ist, ist der früheste Zeitpunkt für die Verortung des ›Autors‹ die Zeit Joschijas. Dass die selektierten Zeichen in einer bestimmten Art und Weise zu einem Erzählzusammenhang angeordnet werden, lässt die Gestaltungsfunktion erkennen. Die in dieser Studie herausgearbeitete Struktur der Erzählung legt dabei zwei Akzente: Zum einen bildet das JHWH-Wort gegen den Altar von Bet-El den Rahmen um die Erzählung. Die am Beginn der 369
JACOB, Quelques remarques, 486. Vgl. hierzu Kap. I. 4.4.1. 371 Vgl. hierzu Kap. V. 3.2. 370
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Erzählung vom Gottesmann angekündigte Profanierung des Altars von Bet-El unter einem zukünftigen König namens Joschija (erster Abschnitt) wird am Ende durch den Propheten aufgegriffen und bestätigt (fünfter Abschnitt). Auch wenn diese Linie in der Erzählung selbst eher marginalisiert wird, erweist sich ihre Bedeutung in Bezug auf die Gesamtkomposition der Königsbücher.372 Zum anderen bildet der dritte Abschnitt das Zentrum der Erzählung, in dem die beiden Gottesspezialisten im Haus des Propheten sitzen, und das Wort JHWHs ergeht. Die in der Erzählung zentrale Frage nach dem Gehorsam gegenüber dem Wort JHWHs steht somit auch im strukturellen Zentrum der Erzählung. Weil die Struktur als Gestaltungsfunktion auf den ›Autor‹ zurückzuführen ist, verschnürt der ›Autor‹ die Erzählung in ihren strukturell-kohäsiven Elementen (konzentrische Anordnung der Erzählung) und ihren inhaltlich-kohärenten Facetten (Ankündigung Joschijas und die Bestätigung des Gottesmannes durch den Propheten sowie die zentrale Frage nach dem ›Gehorsam‹ gegenüber dem Wort JHWHs). Die dritte Autorfunktion fragt nach der Selektion von Kontexten. Dass die deutlich aus dem Südreich Juda fokalisierte Erzählung in Bet-El spielt, ist im Hinblick auf die Eruierung des historischen Kontextes nicht unentscheidend. Das Heiligtum von Bet-El hat als JHWH-Heiligtum den Untergang des Nordreiches überlebt (vgl. 2 Kön 17,28); der Kult wird dort fortgeführt, bis der Altar tatsächlich von Joschija profaniert wird (vgl. 2 Kön 23). Die zentrale Rolle, die in dieser Erzählung Bet-El spielt, geht über ihre erzählerische Funktion als vaticinium ex eventu im Hinblick auf 2 Kön 23 hinaus: Die Kontinuität des Kultes in Bet-El scheint aus der Perspektive des Südreiches ein erklärungsbedürftiger Stachel gewesen zu sein, dass die Niederlage des Nordreiches nicht auch das von Jerusalem nur wenige Kilometer entfernte Konkurrenzheiligtum getroffen hat. Aus der Auswahl-, Gestaltungs- und Kontextfunktion setzt sich bereits ein erstes Bild zusammen, so dass eine ›Autorfiguration‹ aus der Summe der in der Erzählung eruierbaren Autorfunktionen skizziert werden kann. Die Frage nach der Bedeutungs-, Erkenntnis- und Innovationsfunktion wird erst dann gestellt, wenn nach der Funktion von 1 Kön 13 in der Komposition der Königsbücher gefragt wird, weil sich diese dann schärfer konturieren lässt.373 Aufgrund der ersten drei Funktionen, die sich zwingend auf den ›Autor‹ zurückführen lassen, kann nun eine erste historische Einordnung der Erzählung erfolgen.
372 373
Vgl. hierzu Kap. V. 2.1. Vgl. Kap. V. 3.1.
4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 13
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Auswahl und Gestaltung des Textes zeigen, dass 1 Kön 13 eine in sich geschlossene, einheitliche374 Erzählung ist, die als solche in ihren narrativen Kontext eingeschrieben wurde.375 1 Kön 12,33–34 und 1 Kön 13,33– 374 STIPP stellt die in der Forschung vertretenen literarkritischen Positionen zu vierzehn Indizien zusammen – interessanterweise betreffen neun der vierzehn Indizien die Verse 1 Kön 13,1–5 – und untersucht diese eingehend (vgl. STIPP, Elischa, 385–399) und kommt zu dem Schluss: »Die Sichtung der für die Rekonstruktion der Literargeschichte von I 13 herangezogenen Argumente ergibt nach alledem: Literarkritisch verwertbare Beobachtungen sind gering an Zahl und von problematischer Aussagekraft. Der Versuch ihrer literargeschichtlichen Erklärung verlangt Zusatzannahmen, die den Beweiswert der Indizien deutlich übersteigt. […] Darüber hinaus den vorfindlichen Wortlaut von I 13 nach einem literargeschichtlichen Modell erklären zu wollen, muß hingegen großer Skepsis begegnen« (STIPP, Elischa, 399). Von der These der Einheitlichkeit der Erzählung könnten nur zwei Ausnahmen gemacht werden: »Die Beobachtungen (3) und (14) sind herleitbar, wenn man 2d–f oder 2g und 32b2c einer späteren Hand zuschreibt« (STIPP, Elischa, 399). BLUM hat jüngst die These von der Einheitlichkeit eigens untermauert, indem er zeigen konnte, dass die bisher literarkritisch ausgewerteten Schwierigkeiten ›synchron‹ zu lösen sind; daher konnte er das Fazit ziehen: »Der überlieferte Text von I Reg 13 bietet keine Anhaltspunkte für literarkritische Scheidungen« (BLUM, Die Lüge des Propheten, 40; im Anschluss an BLUM auch WERLITZ, Gottesmann aus Juda, 117; WERLITZ, Könige, 133–134). 375 NOTH hält die Erzählung von 1 Kön 13 für einheitlich und gliedert sie in zwei Teile, eine Hauptszene (*12,33–13,10) und ein Nachspiel (13,11–32): »Abgesehen von Anfang und Schluss und abgesehen von kleinen Unebenheiten im einzelnen macht das Ganze den Eindruck literarischer Einheitlichkeit; und dieser Eindruck bestätigt sich bei genauerer Untersuchung« (NOTH, Könige, 291). Die beiden Teile rekrutierten sich aus der Überlieferungsgeschichte: »Während das Nachspiel die Hauptszene voraussetzt, ist die letztere in sich abgeschlossen und selbständig, so daß die Frage aufkommen kann, ob etwa nicht nur überlieferungsgeschichtlich, sondern sogar literarisch die Hauptszene für sich allein da war und das Nachspiel erst spät hinzugekommen ist. Jedoch dürfte diese Frage zu verneinen sein. Nicht nur, daß es an positiven Argumenten für eine solche Trennung fehlt; die beiden Teile sind in ihrem Stil und ihrer Anschauungsweise einander so ähnlich, daß ihre ursprüngliche Zusammengehörigkeit sich als sehr wahrscheinlich geradezu aufdrängt« (NOTH, Könige, 291–292). Auf der Ebene der Überlieferungsgeschichte wird kontrovers diskutiert, ob – wie dies NOTH annimmt – nur die erste Erzählung selbstständig war, oder ob beide Erzählungen überlieferungsgeschichtlich eigenständig waren und erst anschließend miteinander verbunden worden sind (so z.B. WÜRTHWEIN, Könige, 168). Unter Annahme punktueller späterer Hinzufügungen ebenso: KLOPFENSTEIN, 1 Könige 13, 639–672; JEPSEN, Gottesmann und Prophet, 171– 182; HOSSFELD / MEYER, Prophet gegen Prophet, 24–25; GROSS, Lying Prophet, 100–106; LEMKE, Way of Obedience, 306; HENTSCHEL, 1 Könige, 86; STIPP, Elischa, 385–399; BLUM, Die Lüge des Propheten, 40. In Bezug auf die Frage der Einheitlichkeit der Erzählung konstatiert LONG: »It is fair to say that the evidence is ambiguous, and judgments have often been arbitrary«, LONG, 1 Kings, 145. Von diesem eher moderaten literarkritischen Modell kann man ein zweites abgrenzen, dass eine vielschichtige Entstehungsgeschichte rekonstruiert: Das literarkritisch komplexeste Modell hat WÜRTHWEIN entwickelt, indem er seine überlieferungsgeschichtlichen Beobachtungen literarkritisch ausgewertet und eine sich in Stufen vollzogene Textentstehung rekonstruiert hat: Auf der ältesten Stufe habe es zwei selbständige Einzelerzählungen (1 Kön 13,1–10.11–32) gegeben, die beide von einem Gottesmann aus Juda gehandelt und die sich deshalb gegenseitig angezogen hätten. In einer zweiten Stufe seien dann beide Erzählungen miteinander durch die Verse 1 Kön 13,7–9*, die 1 Kön 13,16– 18 aufnähmen, verbunden worden; während der Gottesmann die Einladung des Königs ver-
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34 fungieren als Überleitungsverse, um die Erzählung in ihren erzählerischen Kontext einzubetten. Diese kontextuelle Verankerung scheint dafür zu sprechen, dass 1 Kön 13 bewusst in diesen Kontext eingeschrieben worden ist.376 Ein wichtiges Charakteristikum der Erzählung ist, dass sie offen endet: Sie führt zwar Handlungsbögen an ein vorläufiges Ende, lässt aber zwei entscheidende Fragen unbeantwortet: Was wird aus dem Altar von Bet-El und den Prophezeiungen des Gottesmannes? Und: Was wird aus dem Prophetengrab? Die beiden offenen Fragen werden interessanterweise erst in 2 Kön 23,15–20 aufgegriffen und beantwortet. Insofern ist 1 Kön 13 auf 2 Kön 23,15–20 hin gestaltet.377 Damit hat die Erzählung von 1 Kön 13 über die Einweihung des Kultes in Bet-El mit ihrem doppelt ofweigere, nehme er die Einladung des Propheten an, weil er das Gotteswort des Propheten als echt einstufe. Auf dieser Stufe der Erzählung sei noch keine Wendung gegen Bet-El erkennbar. Auf der dritten Stufe werde das Verhältnis der beiden Gottesworte reflektiert, auf das sich der Prophet und der Gottesmann berufen: Der Gottesmann hätte sich an das an ihn ergangene Gotteswort halten müssen, weswegen sein Tod nun als Strafe verstanden werde. Eine Bedrohung von Bet-El werde erst in der vierten und jüngsten Schicht hinzugefügt: Das ursprünglich gegen den König gerichtete Drohwort wird nun zu einem Drohwort gegen den Altar von Bet-El, das später durch ein nur zu diesem Drohwort passendem Zeichen erweitert worden sei; dieses sei in das ältere Wunder an dem König eingearbeitet worden, das damit den Handlungsverlauf notwendig unterbrechen musste. Dieses gegen den Altar gerichtete Zeichen sei dann aber in der folgenden Erzählung nicht weiter eingearbeitet worden. Höchstens 1 Kön 13,32 könne man evtl. auf diese zurückführen. Plausibler sei aber 13,32 als einen Zusatz zu verstehen, der später eingefügt worden sei, weil man eben eine Bezugnahme vermisst habe. WÜRTHWEIN ordnet seine Schichten und die als ›später‹ eingestuften Zusätze leider nicht literarhistorischen Bearbeitungsstufen zu. So ist dieses Modell nicht nur höchst (zu?) kompliziert, sondern bleibt auch im Ganzen vage. Deutlich wird allerdings, dass in die Erzählung von 1 Kön 13, die nach dem Wort JHWHs fragt, eine ganz andere Dynamik eingetragen wird, wenn man die Erzählung in diese Stratigraphie einteilt, die mit der Dynamik der Erzählung des heute vorliegenden Textes kaum noch etwas zu tun hat. Ob damit der tatsächliche Hergang der Entstehung von 1 Kön 13 getroffen und der vermeintlich ›ursprüngliche‹ Sinn rekonstruiert worden ist? Vgl. WÜRTHWEIN, Die Erzählung vom Gottesmann, 187–188; vgl. WÜRTHWEIN, Könige, 168.171. In Anschluss an ihn FRITZ, Könige, 141; GUNNEWEG führt die These von WÜRTHWEIN fort und modifiziert sie, vgl. GUNNEWEG, Die Prophetenlegende I Reg 13, 73–81; KÖHLMOOS, Bet-El, 215–220. Zur Kritik an WÜRTHWEIN vgl. SIMON, I Kings 13, 82–83. Ein literarkritisches Modell vertritt auch GRAY, Kings, 318–321. Innerhalb des »Göttinger« Modells nach D IETRICH habe DtrP eine alte Überlieferung aufgenommen und diese in 1 Kön 13 und 2 Kön 23 eingearbeitet (vgl. DIETRICH, Prophetie und Geschichte, 114–120); nach SPIECKERMANN sei dieser Erzählkern bereits von DtrH integriert, von DtrP erweitert und in 2 Kön 23 ergänzt worden, vgl. SPIECKERMANN, Juda, 115ff. (vgl. ähnlich AHUIS, Ihr habt gehört, 86–87). 376 So STIPP, Elischa, 399–403. Die These von STIPP übernimmt BLUM, Die Lüge des Propheten, 41. Ob dabei auf ältere Überlieferungen zurückgegriffen wurde, sei dahingestellt; entscheidend ist vielmehr, dass diese Erzählung für diesen Kontext geschaffen und in diesen eingefügt worden ist. 377 Das bedeutet allerdings nicht, dass diese beiden Erzählungen einmal zusammengehört haben müssen und nur zusammen eine ursprüngliche Einheit gebildet haben, so z.B. JEPSEN, Gottesmann und Prophet, 171–172; SIMON, I Kings 13, 101–105.
4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 13
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fenen Ende die Funktion, erst viele Kapitel später aufgenommen zu werden. Mit dieser literarischen Technik wird inszeniert, dass der am Anfang eingeweihte (und nach 1 Kön 13 schon wieder entweihte und damit eigentlich bereits zerstörte) Altar erst dreihundert Jahre später tatsächlich profaniert worden ist und so die Prophezeiung des Gottesmannes als unerfüllter Spannungsbogen die zweiunddreißig folgenden Kapitel durchzieht. Weil 1 Kön 13 konzeptionell auf 2 Kön 23,15–20 hin orientiert ist, ist es plausibel anzunehmen, dass beide entweder zusammen entstanden sind oder 1 Kön 13 nach 2 Kön 23,15–20 eingeschrieben worden ist. Aber wann ist dies erfolgt? Als erstes Indiz für die raum-zeitliche Fixierung sind ein erster Orientierungspunkt für den terminus a quo die in 2 Kön 23,15–20 erzählten Ereignisse. Die Einschreibung der auf 2 Kön 23,15–20 hin konzipierten Erzählung von 1 Kön 13 kann erst nach den in 2 Kön 23 geschilderten Ereignissen erfolgt sein. Die Autorfiguration hat ein Interesse an der Erfüllung der Prophezeiung des Gottesmannes und an der Legitimation der Taten Joschijas. Auf diese Weise kann auch die Autorfiguration als eine ›joschijanische‹ bestimmt werden. Ihr Interesse ist es zu erzählen, dass der Altar von Bet-El bereits bei seiner Einweihung aus der Perspektive JHWHs profaniert worden ist.
Kapitel IV
»Gibt es nicht noch einen Propheten JHWHs?« (1 Kön 22,7). Eine Textlektüre von 1 Kön 22 Kap. IV: 1 Kön 22 »The divine gift of prophecy can be more dangerous than anyone had ever expected.«1
1. Einleitung 1. Einleitung
Dass der König von Israel einen Krieg führt, ist nichts Außergewöhnliches; ebenso nicht, dass er sich dazu einen Koalitionspartner sucht und das ›Wort JHWHs‹ vor dem Kriegszug einholt. Dass sich aber die Suche nach dem ›Wort JHWHs‹ derart kompliziert gestaltet, verschiedene Propheten auftreten, die jeweils ihr ›Wort JHWHs‹ wiedergeben, dies sich aber jeweils widerspricht, ohne dass dabei das ›Eine‹ und ›Richtige‹ herauszufiltern wäre, macht 1 Kön 22 zu einer theologisch außergewöhnlichen Erzählung. Wie schon 1 Kön 13 berichtet auch 1 Kön 22 von einer doppelten Konstellation: Eine beabsichtigte politische Konfrontation führt zu einer konfliktreichen prophetischen Konstellation, die in einen Streit um das Wort Gottes mündet und zum Tod des Königs von Israel führt. Dass diese Erzählung zu Recht als eine »theologische Reflexion von besonderer Dichte«2 bezeichnet worden ist, wird die folgende Textlektüre zeigen. 1.1. Der Kontext von 1 Kön 22 Die Erzählung von 1 Kön 22 steht in den Königsbüchern an strukturell herausgehobener Stellung:3 Als letzte Erzählung des ersten Königsbuches 1
GOLDENBERG, False Prophecy, 93. STECK, Bewahrheitungen des Prophetenworts, 87. 3 Die Abfolge der Erzählungen von 1 Kön 20–22 differiert zwischen LXX und MT: In der LXX steht die Naboterzählung (3 Reg 20 [LXX] = 1 Kön 21 [MT]) voran, auf die dann die beiden Kriegserzählungen folgen (3 Reg 21.22 [LXX] = 1 Kön 20.22 [MT]). Zudem steht in der ältesten LXX das Summarium über den König Joschafat, das sich im MT in 1 Kön 22,41– 51 findet, in der ältesten LXX in 3 Reg 16,28. Interessanterweise setzt auch Flavius Josephus, Ant. VII 355–362.363–393 die Abfolge der LXX voraus. Während GOODING (Septuagint, 271–272) und BOGAERT (Le repentir, 59–68) die Kapitelabfolge im MT für die ursprüngliche 2
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Kap. IV: 1 Kön 22
markiert sie die Mitte der doppelten Buchkomposition. Zudem beendet sie die ›Ära Ahab‹, die in 1 Kön 16,29–34 beginnt.4 Darüber hinaus steht diese halten, plädieren SHENKEL (Chronology, 88; vgl. BURNEY, Notes, 210) und SCHENKER für die der LXX, die zu der Einschätzung kommen, dass »der MT der Nabotgeschichte einen neuen Platz zugewiesen hat, während sie früher an der Stelle stand, die sie in der LXX hatte, und die wohl dem Platz in der hebräischen Vorlage der LXX entspricht« (Chronologie, 107). Die Textumstellung basiere auf einem eigenen Interpretationssystem (vgl. auch SCHENKER, Ein unerkanntes Tiqqûn Sôferîm, 116–131). Wie man auch immer die Zuordnung von MT und LXX beurteilt – deutlich wird der jeweils eigenständige Charakter der LXX und des MT, der jeweils ein eigenes Ahab-Porträt zeichnet (vgl. hierzu HUGO, Élie, 331–350), so dass der jeweilige Text in sich betrachtet und interpretiert werden muss. Diese hermeneutische Grundlage ist bei DAFNI, rqv xwr, 365–385 nicht hinreichend beachtet, die MT und LXX nicht jeweils in sich betrachtet, sondern beide Erzählungen zusammen nimmt und aus der Mischung ihre Interpretation erhebt. 4 Ahab wird als neuer König in Israel mit einem Einleitungsformular eingeführt (1 Kön 16,29–34), das durch den Grad der Wertung, die Länge und die Art der Begründung Besonderheiten aufweist: Sein Name wird betont vorangestellt, während sonst die Einführung eines neuen Königs immer mit der Datumsangabe beginnt (1 Kön 16,29 vgl. z.B. 1 Kön 15,33; 16,8.15). Die negative Bewertung der Erzählstimme, dass Ahab schlimmer als seine Vorgänger handele (1 Kön 16,30), findet sich in den Königsbüchern nur noch zur Bewertung seines Vaters Omri (1 Kön 16,25). Mit dieser doppelten Steigerung sucht die Erzählstimme die Lektüre des Folgenden zu lenken; zudem fügt sie in 1 Kön 16,30–34 eine dreifache Begründung ihres Urteils hinzu: Der erste, geradezu klassische Vorwurf, an den ›Wegen Jerobeams‹ festzuhalten (1 Kön 16,31), wird, anders als üblich, in eine rhetorische Frage gekleidet. Es wird betont, dass das Festhalten an der ›Verfehlung‹ Jerobeams das Geringste sei, was Ahab getan habe (lqen"h] yhiy>w: 1 Kön 16,31). Zweitens kommt die Heirat mit Isebel, der Tochter Etbaals, des Königs der Sidonier (1 Kön 16,31), hinzu. Damit verhält sich Ahab wie Salomo, der auch Sidonierinnen geheiratet hat (1 Kön 11,1), mit denen Gott eigentlich eine Heirat verboten hatte (1 Kön 11,2); diese Frauen werden für Salomos Abfall verantwortlich gemacht (ABli-ta, wyv'n" WJY:w: 1 Kön 11,3), die ihn zur Verehrung fremder Gottheiten verleitet haben (1 Kön 11,4–8). Während das erste Urteil über Ahab mit klaren Wertungen operiert, berichtet die Erzählstimme zunächst merkwürdig neutral über die Heirat Ahabs. Weil diese Information aber im Kontext der ›Verfehlungen‹ Ahabs situiert ist, reiht sich die Heirat in die Serie der ›Verfehlungen‹ Ahabs ein. Damit wird Isebel – ohne Angabe von Gründen – in ihrer Einführung schlimmer als die ›Verfehlungen‹ Jerobeams qualifiziert; worin sich diese Wertung gründet, ist aus den erzählten Fakten nicht ersichtlich. Vielmehr scheint es der Erzählstimme darum zu gehen, Isebel von vorneherein in ein schlechtes Licht zu stellen und zugleich eine Leerstelle zu eröffnen, die sie in den folgenden Erzählungen füllt. Drittens hat ; ;-ta, dbo[Y] w: :; vgl. 1 Kön 16,31–33), Ahab die Verehrung von Baal eingeführt (Al WxT;vY. wI : l[;Bh der in den Königsbüchern zum ersten Mal erwähnt wird; die Auseinandersetzung mit Baal erfolgt erst in 1 Kön 18 und 2 Kön 10. Ahab ist derjenige, der für die Einführung des BaalsKultes in Israel verantwortlich ist (anders in 1 Kön 21,25–26). Die Formulierung Ahab »ging und diente« (dbo[]Y:w: %l,YEw:; vgl. 1 Kön 16,31) nimmt den Vorwurf, das Gehen in den ›Verfehlungen‹ Jerobeams wieder auf, so dass über diesen rahmenden Rückbezug der dritte Vorwurf der Verehrung fremder Gottheiten als Steigerung und logische Konsequenz aus der Verfehlung Jerobeams erscheint: Wie Jerobeam Kultstätten in Bet-El und Dan errichtet, so baut Ahab in Samaria einen Altar, ein Haus für Baal und eine Aschera (1 Kön 16,32.33) und übertrifft Jerobeam darin, dass er nun für fremde Gottheiten Kultstätten baut, während Jerobeam
1. Einleitung
229
Propheten-Erzählung in der Mitte des Elija-Elischa-Zyklus, ohne dass Elija und Elischa in ihr auftreten würden. Anders als die Erzählung in 1 Kön 13, die am Höhepunkt der Aktivitäten Jerobeams situiert ist, erzählt 1 Kön 22 den Tod Ahabs. Die Schlussformeln markieren deutlich das Ende des Handlungsbogens ›Ahab‹ (1 Kön 22,39–40); mit seinem Sohn und Nachfolger Ahasja setzt etwas Neues ein. Auch der Anfang der Erzählung grenzt sich deutlich von dem Vorherigen durch den Zeitsprung von drei Jahren, den Ortswechsel und die veränderte Figurenkonstellation ab. Eine neue, in sich stehende Geschichte folgt. 1.2. Die Struktur der Erzählung von 1 Kön 22 Auf der Ebene des vorliegenden Textes haben Walsh und Long zwei Gliederungsvorschläge erarbeitet. Walsh gliedert die Erzählung konzentrisch, so dass das Kriegsgeschehen im Zentrum steht:5 Dieser Strukturvorschlag setzt voraus, dass die gesamte Prophetenszene (1 Kön 22,5–28) aus der Gliederung herausgenommen wird und einen eigenen Abschnitt bildet, der in die Kriegserzählung eingefügt ist. Diese »prophetic condemnation« gliedert sich ohne »clearly marked structure«6 in fünf Teile (1 Kön 22,5–9.10–14.15–18.19–23.24–28). Long legt einen anderen, sehr fein strukturierten Gliederungsvorschlag vor, der hier in seinen Grundlinien präsentiert werden soll: Er strukturiert die Erzählung in vier große Abschnitte (1 Kön 22,1.2–4.5–28.29–38).7 Nach der Schilderung der narrativen Situation (1 Kön 22,1) berichtet der zweite Abschnitt (1 Kön 22,2–4: Complication: prospect of peace disturbed) zuerst von dem Treffen der beiden Könige (1 Kön 22,2) und anschließend von den Vereinbarungen für den Krieg (1 Kön 22,3–4). Der dritte Abschnitt (1 Kön 22,5–28: Preparations for battle: consultations with prophets)8 umfasst vier Teile, der vierte Abschnitt (1 Kön 22,29–38) ebenso weiterhin JHWH verehrt, aber ›nur‹ alternative Kultorte auf seinem Staatsterritorium geschaffen hat. Damit ist der Beginn der Herrschaft Ahabs mit den beiden ›Ur-Verfehlungen‹ des Anfangs vernetzt: Ahab halte – so die Erzählstimme – nicht nur an der ›Verfehlung‹ Jerobeams fest, sondern er ist auch wie Salomo mit einer Ausländerin verheiratet und widmet sich fremden Gottheiten. Die Bewertung Ahabs wird durch den summarischen Hinweis der Erzählstimme abgeschlossen, dass Ahab noch mehr getan habe, was JHWH mehr ›gereizt‹ habe (s[k; 1 Kön 16,33; vgl. inhaltliche Wiederaufnahme von 1 Kön 16,31). 5 A. Ahab’s preparation in Samaria (22,1–4); – Prophetic condemnation (22,5–28); B. Ahab’s strategy-disguise (22,29–31); C. The battle (22,32–34); B’. Ahab’s death-disguised (22,35–36); A’. Ahab’s burial in Samaria (22,37–38); vgl. WALSH, Kings, 342.344. 6 WALSH, Kings, 344. 7 Vgl. LONG, 1 Kings, 230–232. 8 Die vier Teile sind: first consultation (1 Kön 22,5–6); second consultation (1 Kön 22,7– 15); reaction on the second consultation (1 Kön 22,6–23); consequences of consultations (1 Kön 22,24–28).
230
Kap. IV: 1 Kön 22
vier Teile.9 Long behält bei seiner Vorsicht gegenüber literarkritischen Modellen10 die Trennung von einer Propheten- und einer Kriegserzählung bei, wenn auch nicht aus literarkritischen, sondern aus formgeschichtlichen Gründen: »the text hangs on a typical and unifying literary skeleton, that is, schematic description of battle which contains (1) confrontation of forces, (2) description of the battle, and (3) its consequences.«11 Mit der Trennung in eine ›Kriegserzählung‹ und eine ›Prophetenerzählung‹ geht implizit oder explizit eine Abwertung letzterer einher, weil sie für den Fortgang der Ereignisse nichts austrage: »It is a grand diversion which moves us not one step closer to the battle«12. Der hier vorgelegte Gliederungsvorschlag strukturiert 1 Kön 22 in drei große Abschnitte (1 Kön 22,2–14.15–28.29–38).13 Eröffnet wird die Erzählung von 1 Kön 22 durch eine expositionelle Hintergrundschilderung, die den Zustand in Israel in den letzten drei Jahren beschreibt. Erst in 1 Kön 22,2 setzt die eigentliche Handlung mit den Ereignissen im dritten Jahr ein. Im ersten Abschnitt wird die Befragung der Propheten durch die Könige von Israel und Juda erzählt, die sich in fünf Teile strukturieren lässt (1 Kön 22,2–5.6–9.10.11–12.13–14). Im ersten Teil wird der Konflikt der Erzählung entfaltet, der mit einer Zeitangabe (»im dritten Jahr« 1 Kön 22,2a) und einem Ortswechsel (»stieg hinab« 1 Kön 22,2b) eröffnet wird. In diesem sprechen Ahab (1 Kön 22,3b–d.4b) und Joschafat (1 Kön 22,4d–f.5b) je zweimal, wobei jeweils ihre erste Rede lang und ihre zweite Rede kurz ist. Im zweiten Teil (1 Kön 22,6–9: Ahab – Propheten) treten die vierhundert Propheten als neue Figuren auf. Daran schließt sich ein Dialog zwischen Joschafat und Ahab an (1 Kön 22,7–8: Joschafat – Ahab – Joschafat), der durch einen Befehl Ahabs abgeschlossen wird (1 Kön 22,9: Ahab). Auf diese Weise rahmen die Redeanteile Ahabs den zweiten Teil. Durch den Aufbau und die Verteilung der Redeanteile erscheint Ahab als der Aktive und Handelnde, Joschafat aber als der Fragende und Bittende. Der zweite Teil endet mit einem Befehl Ahabs (1 Kön 22,9c), der im fünften Teil des ersten Abschnitts umgesetzt wird. Der dritte und mittlere Teil
9 Diese sind: Mustering of forces (1 Kön 22,29–32aa); Description of the battle (1 Kön 22,32ab–33); Epitomizing conclusion (1 Kön 22,37); Epilogue: prophecy fulfilled (1 Kön 22,38). 10 »It seems the wisest course, therefore, to admit a certain roughness in the narrative, to allow for prior developments no longer very clearly visible, and to highlight the structural and thematic integrity in the canonical unit« LONG, 1 Kings, 233. 11 LONG, 1 Kings, 233 mit Verweis auf CAMPBELL, Ark narrative, 68–71. 12 LONG, 1 Kings, 234. 13 Vgl. das Schema am Ende von Kap. IV. 1.2.
1. Einleitung
231
(1 Kön 22,10) durchbricht die chronologische Handlungsfolge der story und schildert, wo das Geschehene stattfindet und wie man sich die Szenerie vorzustellen hat. Auf diese Weise werden erst in der Mitte des ersten Abschnitts grundlegende Informationen zu Ort und Szene nachgeliefert, die zum Verständnis der Situation entscheidend sind.14 Die Hintergrundschilderung, die man eher am Anfang erwarten würde, steht an zentraler Stelle und erfolgt somit retrospektiv. Der vierte Teil (1 Kön 22,11–12) grenzt sich durch den Auftritt von Zidkija als neuer Figur ab.15 Im fünften Teil (1 Kön 22,13–14) wechselt wie im vierten Teil das Figurenrepertoire: Analog zum Propheten Zidkija tritt nun der Prophet Micha als neue Figur auf, ebenso der Bote, der mit dem »Beamten« aus 1 Kön 22,9 identifiziert werden kann. Da diese Szene aber von ihrer Zeitstruktur16 her zeitgleich zur vorherigen stattfindet, gehört sie zu diesem und nicht zum nächsten Abschnitt. Der zweite Abschnitt (1 Kön 22,15–28) schildert die Szene um den herbeigeholten Micha vor den beiden Königen und den Propheten. Micha betritt die Szene erstmalig in Samaria. Dieser Abschnitt gliedert sich in vier Teile (1 Kön 22,15a–d.15e–16.17–18.19–28). Der erste Teil (1 Kön 22,15a–d) schildert das Kommen Michas und die grundlegende Frage des Königs, die wie eine Überschrift über dem ganzen Abschnitt steht, ob nach RamotGilead hinaufgezogen werden soll oder nicht.17 Auf die Frage des Königs gibt Micha drei Antworten, die jeweils als eigene Teile verstanden werden können. Der zweite Teil (1 Kön 22,15e–16) gibt die erste Antwort Michas wieder, auf die der König gegenüber Micha mit Protest reagiert. Daher gibt Micha im dritten Teil (1 Kön 22,17–18) seine zweite Antwort (erste Vision), auf die der König wieder mit Protest, diesmal aber gegenüber Jo-
14 So auch DE VRIES, 1 Kings, 267, der 1 Kön 22,10 als Einleitung seiner Erzählung B versteht; zur Schilderung der Synchronizität vgl. TALMON, Synchroneity and Simultaneity, 9–26. 15 Die meisten Kommentare halten 1 Kön 22,10–12 für eine eingeschobene, beschreibende Szene (so LONG, 1 Kings, 235; NELSON, Kings, 147). Zwar knüpft 1 Kön 22,12a mit der Wiederaufnahme von Verbwurzel und -form an 1 Kön 22,10b an. Hält man aber 1 Kön 22,10–12 für eine Hintergrundschilderung, dann wird zum einen die Handlung Zidkijas in 1 Kön 22,11, die neu einsetzt und sich eben gerade von dem Hintergrund abhebt, und zum anderen das zeitgleich stattfindende Herbeiholen Michas, verkannt. Daher halte ich nur 1 Kön 22,10 für die Schilderung des Hintergrundgeschehens. 1 Kön 22,11 setzt neu ein, wobei 1 Kön 22,12 an 1 Kön 22,10 anknüpft, um das in 1 Kön 22,12 Erzählte mit 1 Kön 22,11 zu synchronisieren. Zugleich findet 1 Kön 22,13–14 zeitgleich zu 1 Kön 22,11–12 statt. 16 Vgl. hierzu Kap. IV. 1.4. 17 Diese Frage wird aus dem zweiten Teil des ersten Abschnitts aufgenommen (1 Kön 22,6c–d). Damit wird nicht nur der zweite Abschnitt mit dem ersten vernetzt, sondern der zweite Abschnitt fungiert damit zugleich als alternative Antwort zum ersten Abschnitt.
232
Kap. IV: 1 Kön 22
schafat. Im vierten Teil (1 Kön 22,19–28) findet sich Michas dritte Antwort. Diesem längsten Teil kommt besondere Bedeutung zu. Er gliedert sich in zwei Unterabschnitte: Im ersten Unterabschnitt schildert Micha seine zweite Vision (1 Kön 22,19–23). Diese gliedert sich in eine rahmende Rede Michas (1 Kön 22,19.23), in der ein konzentrisch strukturierter Dialog zwischen JHWH und dem Geist steht (1 Kön 22,20b–d.21d.21f. 22b–c.22e–h). In ihrem Zentrum steht die Frage Gottes nach dem »Wie?« (1 Kön 22,21f). Im zweiten Unterabschnitt (1 Kön 22,24–28) wird die doppelte Reaktion, zuerst von Zidkija (1 Kön 22,24), dann vom König (1 Kön 22,26–27), erzählt. Der dritte Abschnitt (1 Kön 22,29–38) schildert mit dem Kriegszug gegen Aram die Umsetzung des Plans, den der König von Israel zu Beginn gefasst hat. Dieser Abschnitt gliedert sich in vier Teile (1 Kön 22,29– 30.31.32–34.35–38) und grenzt sich durch den Wechsel der Figuren (die Propheten kommen in diesem Abschnitt nicht mehr vor) und des Ortes (Zug nach Ramot-Gilead) ab. Der erste Teil (1 Kön 22,29–30) eröffnet den letzten Abschnitt mit der Schilderung der neuen Ereignisse (1 Kön 22,29), die den Rahmen für das Kommende bilden, wie dies bereits zuvor jeweils am Anfang eines neuen Abschnitts geschehen ist (vgl. 1 Kön 22,2a–b.15a– b). Anschließend informiert der König von Israel Joschafat über seinen Plan (1 Kön 22,30). Der zweite Teil (1 Kön 22,31) schildert in einer Retrospektive die Anweisung des Königs von Aram. Auf diese Weise findet sich im ersten und dritten Abschnitt eine Hintergrundschilderung bzw. ein erzählter Rückblick in die Vergangenheit (vgl. 1 Kön 22,10.13–14). Im dritten Teil (1 Kön 22,32–34) wird das unterschiedliche Ergehen der beiden Könige in der Schlacht geschildert: Während Joschafat mit dem Leben davon kommt (1 Kön 22,32–33), wird Ahab schwer verwundet (1 Kön 22,34). Der vierte Teil (1 Kön 22,35–38) endet mit dem Tod des Königs: Zuerst werden die Auswirkungen seines Todes für das mitgezogene Heer (1 Kön 22,35–36), dann das weitere Ergehen des toten Königs (1 Kön 22,37–38) geschildert. Im fünften Teil (1 Kön 22,39–40) wird die Ära ›Ahab‹ mit dem Schlussformular abgeschlossen.
1. Einleitung
233
22,1: Hintergrundschilderung I: Drei Jahre Frieden 1. Abschnitt: 2–14: Der Plan des Königs von Israel (1.) 2–5: Ahab und Joschafat Joschafat – Joschafat // Ahab – Ahab (2.) 6–9: Die Befragung der vierhundert Propheten 6: Ahab – Propheten 7–8: Joschafat – Ahab – Joschafat 9: Ahab (3.) 10: Hintergrundschilderung II: Die Szene in Samaria (4.) 11–12: Zidkija und die Propheten (5.) 13–14: Der Bote und Micha 2. Abschnitt: 15–28: Micha in Samaria (1.) 15a– d: Die Frage des Königs (2.) 15e–16: Die erste Antwort Michas und die erste Reaktion des Königs (3.) 17–18: Die zweite Antwort Michas und die zweite Reaktion des Königs (4.) 19–23: Die dritte Antwort Michas 19: Micha 20b – d : JHWH 21d: Geist 21f: JHWH 22b – c : Geist 22e–h: JHWH 23: Micha (5.) 24–28: Die Antwort Zidkijas und die dritte Reaktion des Königs 24–25: Reaktion von Zidkija – Micha 26–28: Die dritte Reaktion König – Micha 3. Abschnitt: 29–40: Der Kriegszug (1.) 29–30: Die Umsetzung des Plans und die List des Königs 29: Die Umsetzung des Plans 30: Die List des Königs (2.) 31: Rückblende: Die Anweisung des Königs von Aram (3.) 32–34: Das unterschiedliche Ergehen der beiden Könige in der Schlacht 32–33: Joschafat 34: Ahab (4.) 35–38: Die Konsequenzen aus dem Tod von Ahab 35–36: für das Volk 37–38: für den König (5.) 39–40: Das Rahmenformular
1.3. Die Figurenkonstellation in 1 Kön 22 In 1 Kön 22 ist Ahab als König von Israel die zentrale Figur der Erzählung: Er eröffnet nicht nur das Geschehen, sondern erscheint als der aktive, durch den die Handlung vorangetrieben wird. An seiner Seite ist Joschafat, der König von Juda, als ein ihm untergeordneter Partner. Die beiden Könige lassen ihr politisches Vorhaben durch unterschiedliche Propheten, durch die vierhundert Propheten, Zidkija ben Kenaana und Micha ben Jimla, prü-
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Kap. IV: 1 Kön 22
fen. Die Visionsschilderungen Michas bilden auf der dritten Kommunikationsebene eine eigene ›Erzählung‹ (K III), in der ihrerseits JHWH und der Geist als handelnde und sprechende Figuren auftreten (K IV). Der zentrale Konflikt der Erzählung entsteht durch die verschiedenen Antworten, die die Propheten dem König auf seine Frage, ob er gegen Ramot-Gilead in den Krieg ziehen soll, geben. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Antworten stellt sich die Frage, wer denn tatsächlich das Wort JHWHs vertritt. Dies ist das zentrale Thema der Erzählung. Der König von Aram und seine Soldaten als weitere Figuren treten in der Erzählung erst am Ende auf, wenn der militärische Konflikt mit Aram erzählt wird. Neben der dreigegliederten Gruppe der Propheten (die vierhundert Propheten, Micha und Zidkija) finden sich in dieser Erzählung zudem drei hierarchisch strukturierte Gruppen, an deren Spitze jeweils ein Anführer steht (Ahab, der König von Aram, JHWH), der sich mit Beratern umgibt (Berater Ahabs in 22,2, die Obersten der Wagen in 22,31, das Himmelsheer in 22,19), die jedoch nur angesprochen werden, aber selbst nicht reden. Aus der jeweiligen Gruppe tritt jeweils eine sprechende und in die Handlung aktiv eingreifende Figur hervor (der Bote des Königs in 22,8.13; »ein Mann« in 22,34; der Geist in 22,21). 1.4. Die Zeitkonstruktion in 1 Kön 22 Die Frage der Zeitkonstruktion von 1 Kön 22 wird unter den Grundkategorien, Ordnung, Dauer und Frequenz untersucht. 1 Kön 22 ist durchgehend im Tempus der Vergangenheit erzählt. Die zu Beginn genannte Periode des dreijährigen Friedens ist mit keinem Datum oder Ereignis verknüpft, das die Erzählung in der Geschichte Israels situieren würde. Die Zeitangabe »im dritten Jahr« (1 Kön 22,2a) ist relational, nicht aber absolut zu fixieren. In der Konzeption der Dauer in 1 Kön 22 ist ein deutlicher Unterschied zwischen den ersten beiden und dem dritten Abschnitt festzustellen: Während diese vornehmlich aus Dialogen bestehen (K III–V), dominiert in dem letzten die Handlung auf der Erzählebene (K II).18 Durch die wörtlichen Reden in den ersten beiden Abschnitten entspricht die Zeit der fabula ungefähr der Zeit der story. Durch das Übergewicht an Dialogen wird der Eindruck von Isochronie erzeugt, der den Lesenden den Eindruck vermittelt, Augenzeuge einer sich gerade abspielenden Szene zu sein. Die Dialogsequenzen, die zwei Drittel der Erzählung einnehmen, stehen in der 18
Im ersten Abschnitt wird jede Einheit mit einer Schilderung einer Handlung oder Aktion eröffnet (1 Kön 22,2a–b.6a–b.11a–b.13a) und geht in einen Dialog über, der nur durch wechselnde Redeeinleitungen unterbrochen ist. Im zweiten Abschnitt finden sich noch weniger Schilderungen auf der Erzählebene (1 Kön 22,15a.24a–b; K II).
1. Einleitung
235
Gestaltung der Zeit in deutlichem Kontrast zu der restlichen Erzählung, in der das Geschehen mit Tempo erzählt wird. Dieses Tempo wird in den Dialogen ausgebremst. Korrespondierend zu diesem slow-down und der kaum wahrnehmbaren Erzählstimme wird den Lesenden suggeriert, wie in einem Drama unmittelbar in das Geschehen involviert zu sein. Auf diese Weise tritt die vermittelnde Instanz der Erzählstimme in den Hintergrund, so dass der Eindruck entsteht, man sei direkt mit den Figuren konfrontiert. Im Übergang zwischen den einzelnen Teilen finden sich Ellipsen. Wie viel Zeit vergangen ist, kann nicht festgestellt werden (vgl. z.B. vor 1 Kön 22,6a bzw. 22,15a). Erst im dritten Teil, der Mitte des ersten Abschnitts, werden die Dialoge durch eine Beschreibung des Hintergrunds (1 Kön 22,10) unterbrochen. Damit entsteht eine Pause in der fabula.19 Der Rhythmuswechsel ist dabei durch den Kontrast zu dem vorherigen Ausruf »Schnell, Micha ben Jimla!« (1 Kön 22,9c) besonders deutlich. Durch den retardierenden Effekt der Pause wird die Spannung auf das Kommende nur noch verstärkt. Wie sich das Geschehen der ersten beiden Abschnitte an einem Tag abspielen dürfte, wird im dritten Abschnitt im Wesentlichen ein Tag, der Tag der Schlacht zwischen Aram und Israel, geschildert (vgl. 1 Kön 22,35a). Weitere Zeitangaben fehlen, nur im vierten Teil wird das Geschehen mit den Angaben »am Abend« (1 Kön 22,35c) und »bei Sonnenuntergang« (1 Kön 22,36a) versehen. Für den Transport des Königs nach Samaria und seine Beerdigung finden sich keine Zeitangaben, doch dürfte dies kaum am selben Tag, sondern in der darauf folgenden, aber nicht näher beschriebenen Zeit stattgefunden haben. Weil das Geschehen des dritten Abschnitts also mindestens einen Tag umfasst, ist die Zeit der story geringer als die der fabula. Die einzelnen Teile der story werfen daher lediglich Spotlights auf die entscheidenden Momente, um die wichtigsten Ereignisse dieses Tages herauszuheben; zwischen ihnen liegen nicht messbare Ellipsen. Analysiert man die temporale Konstruktion von 1 Kön 22 unter dem Aspekt der Ordnung finden sich verschiedene Vor- und Rückverweise: zwei Bezüge auf die Zukunft (durch den König in 1 Kön 22,27 und durch Micha in 1 Kön 22,28), zwei Rückblenden20 auf der Ebene des Erzähltextes (K II) sowie zwei Rückblenden auf der zweiten Kommunikationsebene (K III)21. Der erste Rückblick (1 Kön 22,13a–14d) wird durch den Wechsel der Verbform und der Satzkonstruktion in 1 Kön 22,13a (we-x-AK) angezeigt, um zu markieren, dass das Erzählte auf einer anderen Zeitebene liegt. Um den Relationspunkt ausfindig zu machen, an den der Rückblick 19
Vgl. BAL, Narratology, 108–111. Das Holen Michas in 1 Kön 22,13–14 und die Anweisung des Königs von Aram in 1 Kön 22,31. 21 Die beiden Visionen Michas in 1 Kön 22,17–18 und 1 Kön 22,19–23. 20
236
Kap. IV: 1 Kön 22
in der chronologisch erzählten Folge anknüpft, wird man auf die letzte Narrativ-Form in 2 Kön 22,11a.b zurückverwiesen, mit der der Auftritt Zidkijas eingeleitet wird. Weil der Satz zuvor die Hintergrundschilderung ist (1 Kön 22,10), ist 1 Kön 22,9 der Ausgangspunkt des Rückblicks von 1 Kön 22,13–14. In 1 Kön 22,9 ist die Anweisung des Königs ergangen, Micha zu holen. Das Ende des Rückblicks wird durch die Ankunft Michas beim König markiert (1 Kön 22,15a). Damit ordnet sich die Erzählfolge der story (Buchstaben: A, B, C) in der fabula (Ziffern: 1, 2, 3) folgendermaßen an: Auf die Anweisung des Königs, Micha zu holen (1 Kön 22,9 [A 2]) wird die Erzählfolge zunächst durch die Schilderung der Hintergrundszenerie unterbrochen (1 Kön 22,10 [B 1]). Dann werden die beiden zeitgleich stattfindenden Ereignisse, zuerst die Szene ›Zidkija vor dem König‹ (1 Kön 22,11–12 [C 3]) und dann in Form eines Rückblicks die Szene ›Micha und der Bote‹ (1 Kön 22,13–14 [D 3]), geschildert. Erst anschließend erscheint Micha vor dem König (1 Kön 22,15ff [E 4]). Dass die Sequenzen 1 Kön 22,11–12 und 1 Kön 22,13–14 in der fabula zur selben Zeit stattfinden, in der story aber nacheinander erzählt werden, hat als interne Analepse22 die Funktion, die beiden Propheten Zidkija und Micha zu parallelisieren und Zidkija als denjenigen zu schildern, der die inhaltliche und zeitliche ›Lücke‹ auszufüllen versucht, bevor Micha erscheint. Der zweite Rückblick auf der Erzählebene in 1 Kön 22,31 zeigt durch die x-AK-Formulierung die Rückblende in die Vergangenheit an. Weil sie ohne Zeitangaben steht, ist nicht festzustellen und offensichtlich auch nicht von Interesse, wann sie in der fabula zu situieren wäre; daher kann auch nicht bestimmt werden, ob es sich um eine interne oder externe Analepse handelt. Ihre Funktion ist es, in der story die Informationen zu geben, die bisher gefehlt haben, aber erst jetzt für das Verständnis des weiteren Erzählverlaufs wichtig werden. Bei der Analyse der Frequenz geht es in erster Linie um die Frage, welche Funktion in der story mehrfach erzählte Ereignisse haben, die sich in der fabula nur einmal ereignet haben können. In 1 Kön 22,1–40 findet sich dieses Phänomen am Ende der Erzählung: Der Tod des Königs wird dreimal erzählt (1 Kön 22,35c.37a.40a), obwohl der König ja nur einmal gestorben sein kann. Hier wird ein Ereignis der Fabel in der story mehrfach präsentiert. Mit jeder Wiederholung ist ein Perspektivwechsel im Hinblick auf das fokalisierte Objekt verbunden:23 Während die drei Todesnotizen jeweils aus der Perspektive der Erzählstimme fokalisiert sind, wechselt jedoch jeweils das fokalisierte Objekt: Zuerst wird der Tod des Königs im Hinblick auf seine Konsequenzen für das Heer geschildert (1 Kön 22,35–36), anschließend wird die Kamera auf den König und des22 23
Vgl. BAL, Narratology, 89. Ein ähnliches Phänomen war in 1 Kön 12,33 und 13,1 zu beobachten.
1. Einleitung
237
sen Ergehen gelenkt (1 Kön 22,37–38), um zum Schluss den Tod des Königs in die den Königsbüchern Struktur verleihenden Rahmenformulare einzuordnen (1 Kön 22,39–40). 22,1: Hintergrundschilderung I: Drei Jahre Frieden 1. Abschnitt: 2–14: Der Plan des Königs von Israel (1.) 2–5: Ahab und Joschafat (2.) 6–9: Befragung der Propheten (3.) 10: Hintergrundschilderung II (4.) 11–12: (5.) 13–14: Zidkija und der Bote die Propheten und Micha 2. Abschnitt: 15–28: Micha in Samaria (1.) 15a–d: Grundlegende Frage des Königs (2.) 15e–16: 1. Antwort Michas 1. Reaktion des Königs (3.) 17–18: 2. Antwort Michas, 1. Vision 2. Reaktion des Königs (4.) 19–23.24–28: 3. Antwort Micha, 2. Vision Reaktion von Zidkija 3. Reaktion des Königs 3. Abschnitt: 29–40: Der Kriegszug (1.) 29–30: Der Kriegszug (2.) 31: Rückblende: Anweisung des Königs von Aram (3.) 32–34: Die beiden Könige in der Schlacht (4.) 35–38: Der Ausgang (5.) 39–40: Das Rahmenformular
1.5. Die Raumkonstruktion in 1 Kön 22 Die Erzählung beginnt mit einer Bewegung im Raum: Der König von Juda steigt zum König von Israel hinab (1 Kön 22,2). Damit wird eine Bewegung beschrieben, ohne ihren topographischen Anfangs- oder Endpunkt zu benennen und ohne zu wissen, wo die beschriebene Szene spielt. Die Dialoge in 1 Kön 22,1–9 finden auf einer unbeleuchteten Bühne statt, in der nur die sprechenden Figuren zu sehen und ihre Worte zu hören sind. Erst mit der Hintergrundschilderung in der Mitte des Abschnitts (1 Kön 22,10) wird die Bühne ins Scheinwerferlicht getaucht: Erst jetzt wird die Szenerie sichtbar und kann geographisch lokalisiert werden. In 1 Kön 22,10 wird der Blick zuerst auf die beiden Könige gelenkt, die in ihrem königlichen Ornat auf ihren Thronen in einer offiziellen Versammlung beschrieben werden. Erst anschließend wird topographisch präzise formuliert (»am Dreschplatz am Eingang des Stadttores von Samaria«), wo sich die Könige
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Kap. IV: 1 Kön 22
eigentlich befinden.24 Als Letztes wird die Szene auf die anderen Anwesenden geöffnet, indem beschrieben wird, wo sich die vierhundert Propheten aufhalten, die die Lesenden bereits vernommen haben, aber noch nicht lokal in Bezug auf die Könige situieren konnten. Die Lesenden schauen frontal auf die Szene. Ihr Blick wird dabei von einem Punkt (die beiden Könige) auf die Gesamtszene (Stadttor) gelenkt, um dann wieder auf den Raum vor den Königen enggeführt zu werden, wo die vierhundert Propheten vor den Königen prophezeien. Auf diese Weise werden die Lesenden durch die Fokalisierung und die Raumdarstellung unter die Propheten geführt und stehen nun gleichsam mit ihnen vor den Königen. Mit dem als Rückblick gestalteten Holen Michas durch den Boten wird die Szene verlassen (1 Kön 22,13–14). Wohin der Bote geht, wo sich Micha aufhält und welchen Weg die Beiden einschlagen (und wie viel Zeit dabei vergeht), wird nicht geschildert. Wie zuvor findet diese Szene im ›räumlichen Dunkel‹ statt; wieder ist alles auf den Dialog konzentriert. Mit der Ankunft Michas (1 Kön 22,15) betritt er die in 1 Kön 22,10 beschriebene Szenerie, die bis zum Ende des zweiten Abschnitts nicht wechselt. Die scheinbare Statik der Szene wird durch den Inhalt von Michas Visionen kontrastiert: In ihr werden neue Räume, die als Gegenräume die Szene dramatisch verändern. Sowohl die erste Vision von der Landschaft als auch die zweite von JHWHs Hofrat sind Räume eingeführt, die ein Gegenbild zur aktuellen Szene entwerfen und damit ihre Bedeutung unterminieren. Wo der Hofrat JHWHs stattfindet, wird ebenso nicht erwähnt, aber die Zuhörenden erhalten nun Einblick in Räume, zu denen sie normalerweise keinen Zugang haben. Erst im dritten Abschnitt wechselt auch der geographische Raum, wobei dem Text nicht zu entnehmen ist, wo der Kampf stattfindet – ob direkt bei Ramot-Gilead oder irgendwo auf dem Weg nach Ramot-Gilead. Bevor aber das Kriegsgeschehen geschildert wird, wird in einer Rückblende von der Anweisung des Königs von Aram berichtet (1 Kön 22,31). Wie in der Rückblende in 1 Kön 22,13–14 ist auch hier unklar, wo die Anweisung erteilt wurde – ob vor Ort, auf dem Weg oder noch in Aram. Wie in der ersten Rückblende ist auch hier das Erzählte minimalistisch auf das Entscheidende reduziert. Das Kriegsgeschehen selbst wird kaum räumlich beschrieben – lediglich die Rückzugsbewegung des Königs von Israel (1 Kön 22,34) und sein Aufenthaltsort im Kriegswagen (1 Kön 22,35) werden näher beleuchtet. Mit dem mehrfach erzählten Tod des Königs werden zwei unterschiedliche Bewegungen skizziert: Zuerst werden die Truppen des Königs zur Flucht aufgerufen, dann wird die Rückkehr des Königs beschrieben, aber nicht zum offiziellen Platz am Stadttor von Samaria, sondern in das Grab (1 Kön 22,37). Das Grab ist zugleich der Gegenort zum 24
!Arm.vo r[;v; xt;P, !r,gOB. Zur Analyse dieser Ortsangabe vgl. Kap. IV. 2.2.3.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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Gefängnis, an den Micha nach dem Befehl (1 Kön 22,26–27) des Königs gebracht werden sollte. Ob diese Anweisung allerdings umgesetzt wird, wird nicht erzählt, so dass das weitere Schicksal Michas offen bleibt.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre 2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
2.1. Hintergrundschilderung I: Drei Jahre Frieden (1 Kön 22,1) Die Erzählung in 1 Kön 22 beginnt mit einer Beschreibung der neu einsetzenden Handlung. Der Ausgangszustand im Land wird als eine Zeit des »Wohnens« ohne kriegerische25 Auseinandersetzung zwischen Israel und Aram26 beschrieben (1 Kön 22,1b).27 Dabei fällt besonders auf, dass die Erzählstimme diese Zeit nicht als eine Zeit des ›Friedens‹ beschreibt, sondern als ›Zeit ohne Krieg‹, was den Blick der Lesenden bereits auf eine baldige militärische Auseinandersetzung voreinstellt.28 Mit der Formulierung »und sie wohnten« (Wbv.YEw:) wird offen gelassen,29 auf wen sich das im Verb implizit enthaltene Subjekt des Satzes »sie« (3. Person Plural Maskulinum) bezieht. Die vorangehende Erzählung über Nabots Weinberg kann nicht der Bezugspunkt sein, die mit der Reaktion Ahabs (1 Kön 21,27) und einem Gotteswort an Elija (1 Kön 21,28) endet. Die neue Erzählung beginnt somit mit einem unbekannten Subjekt. Ebenso ist auch der Ort unklar: Wer wo »wohnt«, bleibt offen. Dass der Zeitraum des Wohnens drei Jahre umfasst, wird in 1 Kön 22,2a wiederholt. Die Zahl Drei als »metaphorischer Ausdruck einer höheren Einheit«30 drückt zum einen eine Zeit von Fülle aus und indiziert zum anderen, dass etwas Neues und Wichtiges
25 Das Lexem »Krieg« (hm'x'l.m)i findet sich mit siebenmal doppelt so häufig in der Erzählung (1 Kön 22,1b.4b.6c.15c.30c.30f.35a; vgl. 1 Kön 20,14.18.26.29.39) gegenüber dem Lexem »Frieden« (~Alv'; 3 mal: 1 Kön 22,17f.27d.28b) 26 Das Lexem »Aram« findet sich in 1 Kön 22,1b.11d.35b (vgl. »König von Aram« in 1 Kön 22,3d.31a). 27 Die Datierung bezieht sich auf 1 Kön 20,34 zurück. 28 Bei der Frage nach der politischen Situation zwischen außenpolitischem Frieden und der innenpolitischen Situation muss unterschieden werden. So kann man durchaus von Frieden im Land sprechen, auch wenn es Rechtsbrüche von Seiten des Königshauses gibt. Dagegen CRÜSEMANN, Elia, 107: »Von Frieden kann zudem bei Zuständen nicht gesprochen werden, wo einem Bürger das passieren kann, was Nabot passierte«. 29 Das Verb »wohnen« (bvy) wird in dieser Erzählung dreimal verwendet (1 Kön 22,1a.10a.19c) und zeigt jeweils einen Zustand an; dieser wird in 22,1 durch die Zeitangabe »drei Jahre«, in Vers 10 und 19 durch die Partizipialform kenntlich gemacht. 30 GÖRG, Dreizahl, 449; vgl. 1 Kön 17,21; 2 Kön 2,17; vgl. auch die Erzählung von der Auferstehung Jesu nach drei Tagen in Mt 12,40; 16,21.
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geschieht. Auf diese Weise werden die drei Jahre als Zustand des Friedens und des guten Lebens qualifiziert.31 2.2. Der Plan des Königs von Israel (1 Kön 22,2–14) Im ersten Abschnitt (1 Kön 22,2–5.6–9.10.11–12.13–14) erörtert der König von Israel seinen Kriegsplan mit Joschafat, dem König von Juda, und mit ›seinen‹ vierhundert Propheten. Zidkija ben Kenaana tritt als ungefragter Prophet auf und unterstützt das Anliegen des Königs, während ein Bote Micha ben Jimla im Auftrag des Königs holt. 2.2.1. Ahab und Joschafat (1 Kön 22,2–5) Die Erzählung setzt mit der Formulierung »und es geschah« (yhiy>w:) und der Zeitangabe »im dritten Jahr« (tyviyliV.h; hn"V'B;) auf dem Hintergrund des friedlichen Zustands neu ein: Der König Joschafat von Juda begibt sich zu dem namentlich nicht genannten König von Israel. Joschafats Einführung als König ist bisher nicht mit einem eigenen Formular erfolgt, sondern er ist bisher in der Schlussformel seines Vaters Asa genannt (1 Kön 15,24). Signifikanterweise wird das Formular seines Regierungsantritts erst nach Ahabs Tod erzählt (1 Kön 22,41–51). Das Erste, was die Lesenden von ihm erfahren, ist, dass er zum König von Israel hinabsteigt (dry).32 Warum und in welcher Haltung er dies tut, wird nicht begründet, so dass man aus dieser Notiz nicht ableiten kann, ob Joschafat als gleichwertiger Partner einen Staats- oder Freundschaftsbesuch33 macht oder zwischen beiden eine Art Vasallenverhältnis34 besteht. Wie er bisher nur als Sohn seines Vaters aufgetreten ist, so erscheint er im Folgenden als Juniorpartner, der weniger mächtig ist und auf das, was der König von Israel ihm anträgt, reagiert und diesem loyal ergeben ist (vgl. 1 Kön 22,4d–f).35 Dass die Erzählstimme Joschafats Regierungsantritt in der story ›verspätet‹ gegenüber der fabula erzählt, lässt den Eindruck entstehen, dass er erst nach dem Tod seines Vaters Asa und dem Tod Ahabs zum eigenständigen Herrscher wird. 31
Die Ruhephase von drei Jahren erscheint in der Erzählanordnung zudem als mögliche Folge aus der Buße Ahabs nach Elijas grausamer Ankündigung, weil Ahab sich an Nabots Weinberg vergangen hatte (1 Kön 21,27). 32 Das Verb »hinabsteigen« (dry) findet sich in 1 Kön 22 nur an dieser Stelle, ist aber in 2 Kön 1 ein wichtiges Leitwort (2 Kön 1,4.6.9.10bis.11.12bis.14.15bis.16). 33 Laut FRITZ ist es ein Freundschaftsbesuch nach Thronbesteigung vgl. FRITZ, Könige, 196. 34 Dies vermuten BENZINGER, Könige, 123; ROBINSON, 1 Kings, 242; WÜRTHWEIN, Könige, 255; LONG, 1 Kings, 233 u.a. 35 Vgl. das Hinabsteigen Ahasjas, dem König von Juda, zum verwundeten Joram, dem König in Israel, in 2 Kön 8,29.
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Obwohl Joschafat zuerst und mit Eigennamen eingeführt wird, ist es doch der König von Israel, der als erster handelt und spricht. Dabei wendet er sich nicht an den zu ihm gekommenen Joschafat, sondern an seine ›Gefolgsleute‹ (wyd'b'[]-la,; 1 Kön 22,3).36 Zuerst fragt er sie nach ihrem Kenntnisstand ([dy; 1 Kön 22,3b, eingeleitet durch he-interrogativum)37 in Bezug auf die Besitzansprüche auf die Stadt Ramot-Gilead,38 die aus Ahabs Perspektive zu Israel gehört. Woher dieser Besitzanspruch resultiert und seit wann dieser bestünde, erläutert er jedoch nicht. So bleibt offen, ob Ramot-Gilead zu den Städten gehört, die unter seinem Vater an Aram verloren gingen und die der König von Aram, Ben-Hadad, dem König von Israel wiederzugeben versprochen hat (1 Kön 20,34). Dagegen spricht, dass in 1 Kön 20,34 keine Städtenamen genannt werden und es auch keinen Verweis zwischen 1 Kön 22 und 1 Kön 20 gibt. Warum Ahab gerade zu diesem Zeitpunkt einen Konflikt mit dem mächtigen Nachbarn Aram um Ramot-Gilead beginnt, lässt die Erzählung offen. In der Geschichte zuvor war erzählt worden, dass Ahab versucht hat, den Weinberg von Nabot, also das von Gott unveräußerlich gegebene Land, zu erwerben; damit hatte er gegen die in Israel geltenden Bestimmungen verstoßen (1 Kön 21). Nun geht es Ahab wieder um Landbesitz, diesmal aber begründet er die Rechtmäßigkeit seiner Ansprüche (1 Kön 22,3b–d). Aus der Perspektive von 1 Kön 21 kann Ahabs Bemühen um Ramot-Gilead im Kontext seiner Buße verstanden werden (vgl. 1 Kön 21,27), die er sich auferlegt hat, nachdem er Elijas Prophezeiungen über sein Ende und das seiner Frau Isebel gehört hat. Dass Gott dieses Urteil über ihn ausgesetzt und auf seinen Sohn verschoben hat (1 Kön 21,28–29), wissen nur die Lesenden, nicht aber Ahab. Aus seinem Kenntnisstand steht er weiterhin unter dem von Elija übermittelten Urteil Gottes. Daher kann man 1 Kön 22 36
Das Substantiv ›Gefolgsmann‹ (db,[), wird in dieser Erzählung nur an dieser Stelle verwendet: Es bezeichnet erstens eine niedriger stehende Position in relationalen Beziehungen und zeigt Abhängigkeits- und Loyalitätsverhältnisse auf allen sozialen Ebenen an. So werden sowohl Dienstleute mit diesem Lexem bezeichnet (vgl. 2 Kön 5,13.25.26, als auch hochrangige Staatsbeamte oder enge Mitarbeiter eines Königs (vgl. 1 Kön 20,23.31). Zweitens dient es als unterwürfige Selbstbezeichnung der eigenen Ein- und Unterordnung in unterschiedliche Loyalitätsverhältnisse, die den Maßstäben der Macht und Herrschaftsverteilung folgen können (vgl. 1 Kön 20,9), aber nicht müssen (vgl. 1 Kön 18,9; 2 Kön 1,13; 4,1; 5,15.17.18. Drittens dient es zur Benennung der Beziehung eines Einzelnen gegenüber Gott (vgl. 1 Kön 18,12.36 vgl. 2 Kön 8,19). Je nach der semantischen Verwendung und dem Kontext muss die Übersetzung im Deutschen variieren. 37 Vgl. zu dieser Frageform GESENIUS, Grammatik, § 150e. 38 Der Name der Stadt wird in dieser Erzählung mit sechsmal (1 Kön 22,3c.4b.6c. 12b.15c.29) häufig erwähnt; vgl. in der Parallelerzählung 2 Chr 18,3.5.11.14.28. Zu RamotGilead vgl. DÖLLER, Studien, 70–73. Wahrscheinlich ist Ramot-Gilead im nordöstlichen Ostjordanland gelegen und mit Tell er-Ramte oder Tell er-RƗmƯt zu identifizieren (ZWICKEL, Ramot, 278, vgl. Donner, Geschichte, 250; LAPP, Rumeith, 1293).
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als eine ›politische Bußübung‹ lesen: Ahab versucht, den Zustand des Anfangs wiederherzustellen, weshalb er Ramot-Gilead zurückerobern will, denn am Beginn der Geschichte Israels ist Ramot-Gilead – so erzählt es die literarische Überlieferung – eine der drei Asylstädte im Ostjordanland für den Stamm Gad (Dtn 4,43; Jos 20,8) bzw. für die Leviten (Jos 21,38); später war sie ein Verwaltungssitz Salomos (1 Kön 4,13). Wenn Ahab auf den früheren Besitz der Stadt verweist, dann wird innerbiblisch auf die Anfänge verwiesen: Von Mose bereits vor der Verkündigung des Gesetzes (Dtn 19,1–13) als Asylstadt bestimmt (Dtn 4,43) wird Ramot-Gilead von Josua nach einem Gotteswort (Jos 20,1–6) zur Freistadt ernannt. Damit gehört Ramot-Gilead zu dem von Gott Israel geschenkten Land. Der Wunsch, diese Stadt zurückzuerobern, könnte von dem Gedanken motiviert sein, das von Gott gegebene Land wieder in den Besitz Israel zu bringen und so gerade die Stadt zurückzugewinnen, die Symbol für die Umsetzung des Gesetzes und des Gotteswortes durch Mose und Josua ist. An der in der Zwischenzeit verloren gegangenen Stadt könnte Ahab zeigen, dass er bemüht ist, das Gesetz zu erfüllen und den alten Zustand zu restituieren. Weil Ahab in 1 Kön 21 gerade gegen die Landbesitzbestimmungen verstoßen hatte, würde die Eroberung von Ramot-Gilead als Wiedergutmachung für die Verfehlung in 1 Kön 21 fungieren. Anders als Nabots Weinberg, den Ahab – wenn auch unrechtmäßig – nun besitzt, bleibt Ramot-Gilead, auf das er ›rechtmäßige‹ Ansprüche erhebt, auch noch Jahre später eine zwischen Israel und Aram umkämpfte Stadt.39 Interessant ist, dass in der Rede des Königs der aus seiner Perspektive rechtmäßige Besitzer von Ramot-Gilead in der ersten Person Plural (»denn uns ist« Wnl'-yKi) bezeichnet wird.40 Dabei ist unklar, auf wen sich dieser Plural bezieht: Erstens könnte der sprechende König Ahab den Plural auf sich selbst (als eine Art pluralis maiestatis) beziehen. Zweitens könnte der König die Angesprochenen, seine ›Gefolgsleute‹, in den Plural mit einbeziehen. Drittens kann mit diesem Plural auch Joschafat gemeint sein. Diese grammatische Unklarheit ist eine in der Figurrede intendierte Offenheit, die von den Lesenden und den anderen anwesenden Figuren unterschiedlich gefüllt werden kann. Dies hat zur Folge, dass die, die sich mit dem 39
Wie sein Vater Ahab kämpft auch Joram um Ramot-Gilead und wird wie dieser verwundet. Anders als sein Vater, der noch am selben Abend stirbt, kann sich Joram nach Jesreeel retten und kuriert dort seine Wunden (2 Kön 8,28–29). Das im Ostjordanland entstandene Machtvakuum wird zum durch Elischa initiierten Ausgangspunkt der Jehu-Revolution (2 Kön 9,1.4.14). Dass diese an einem Ort entsteht, der eigentlich ein Asylort für unvorsätzliche Totschläger ist, bildet einen deutlichen Kontrast zur Jehu-Erzählung, in der eine Reihe vorsätzlicher Morde geschildert werden. Auf diese Weise spannt sich ein Bogen von 1 Kön 22 in der Mitte des Elija-Elischa-Zyklus bis zu seinem Ende. 40 Die Bedeutung des ›wir‹ wird dadurch bestärkt, dass der zweite Satz mit diesem betont vorangestellten Personalpronomen eröffnet wird (Wnx.n:a]w:, 1 Kön 22,3d).
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›wir‹ angesprochen fühlen, in ihrem (rechtmäßigen) Besitz beschnitten sehen und deshalb eher bereit sein sollen, den Plänen des Königs zuzustimmen. Dass der König keine Antwort seiner ›Gefolgsleute‹ abwartet, sondern ihre Zustimmung zu seinem Vorhaben voraussetzt, zeigt, dass es sich um eine rhetorische Frage handelt. Deswegen wendet er sich direkt mit seinem bereits beschlossenen Vorhaben an Joschafat. Während mit dem ersten »wir« (1 Kön 22,3c) alle in die Wiedereroberung von Ramot-Gilead eingebunden werden sollen, ist mit dem zweiten »wir« (1 Kön 22,3d) der Vorwurf an alle verbunden, angesichts der (vermeintlichen) Rechtsansprüche geschwiegen zu haben; dies könnte eine Strategie sein, mit der sich der König selbst entlasten will.41 Dieser Zustand des Schweigens (Partizip; 1 Kön 13,3d) weist auf die Situation der dreijährigen Ruhe im Land (Partizip; 1 Kön 22,1) zurück, so dass beide Umstände durch den Rückbezug miteinander kausal vernetzt erscheinen: Auf diese Weise scheinen Ruhe und Frieden durch den Verzicht auf Ramot-Gilead ›erkauft‹ zu sein.42 Nachdem der König von Israel zuerst zu seinen Mitarbeitern gesprochen hat, wendet er sich jetzt erst an Joschafat. Ob Joschafat bei dem ersten Gespräch anwesend war oder nicht, wird nicht deutlich. Während die erste Rede des Königs von Israel der Analyse des Ist-Zustands gewidmet ist, wird in der zweiten die Konsequenz aus der ersten gezogen: Der König von Israel fragt Joschafat, ob er bereit sei, mit ihm in den Krieg zu ziehen (1 Kön 22,4b). Diese Frage wird in dieser Erzählung noch zwei Mal wiederholt (1 Kön 22,6c.15c).43 Ahab erscheint als der aktive Handlungsträger, der die Ereignisse vorantreibt. Während er sich an seine Gefolgsleute mit einem semantisch offenen ›wir‹ wendet, fragt er hingegen Joschafat, ob er »mit mir« (yTiai 2 Kön 22,4b) in den Krieg ziehen will.44 Damit verändert er im Gespräch mit Joschafat seine Haltung durch das betonte ›ich‹ und macht deutlich, dass Joschafat in dieser Auseinandersetzung der Hel41
Mit dem Verb hvx für die Bedeutung von »still sein, schweigen« ist im Hebräischen ein Verb verwendet, das »ganz allgemein das Schweigen im Sinne des Unterlassens des Redens« (BAUMANN, hmd, 278) bezeichnet und sich semantisch deutlich von den anderen beiden Wortfeldern (vrx / hmd, ~md) abgrenzt; in diesem Sinne wird das Verb auch im ElijaElischa-Zyklus verwendet (2 Kön 2,3.5; 7,9). Damit grenzt sich diese Art des Schweigens deutlich von der einzigen Stelle ab, in der im Elija-Elischa-Zyklus sonst »Schweigen« erzählt wird: In 1 Kön 19,12 wird nicht das Nicht-Reden geschildert, sondern das Paradox des hörbar gewordenen Nichts des Schweigens (hQ'd; hm'm'D>< lAq). 42 Vgl. die zweifache Verwendung des Ausdrucks »aus der Hand / Macht / Gewalt nehmen« (dY:mi xq;l') im Kontext der Auseinandersetzung mit Aram in 2 Kön 13,25bis (neben 2 Kön 5,20.24. 43 Ebenso findet sie sich als Frage des Königs von Israel an den König von Juda mit der zu 1 Kön 22,4d–e identischen Antwort in 2 Kön 3,7 in Bezug auf Moab und im Erzähltext in Bezug auf Ramot-Gilead in 2 Kön 8,28 wieder. 44 In der LXX steht hingegen »uns«: avnabh,sh| meqV h`mw/n eivj Remmaq Galaad.
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fer ist.45 Die Figur Ahab weist ihm – so wie zuvor die Erzählstimme – eine untergeordnete Rolle zu. Joschafat gibt Ahab zwei, jeweils durch neue Redeeinleitung eröffnete Antworten (1 Kön 13,4d–f.5b). In diesen wird deutlich, dass er offensichtlich seine Rolle als ›Zweiter‹ akzeptiert: Er sichert Ahab umfassende Loyalität, seine volle persönliche Solidarität sowie die seines Volkes und seines Militärs zu (›ich‹, ›Volk‹, ›Pferde‹).46 Damit stellt er Ahab eine Art Blankoscheck aus. In seiner zweiten Antwort bringt Joschafat jedoch eine neue Kategorie ins Spiel, die bislang gar nicht im Blick war: Joschafat verlangt von Ahab, zuerst JHWH zu ›befragen‹ (vrd; 1 Kön 22,5b.7c.8b). Indem er bittet, Ahab möge JHWH befragen, überlässt er ihm wieder die aktive Rolle. Damit zieht Joschafat seine Solidarität nicht zurück, sondern stellt sie ergebnisoffen JHWH anheim.47 Beide Reden Joschafats sind identisch eingeleitet (1 Kön 22,4c.5a), was ein Gleichgewicht zwischen beiden Antwort herstellt,48 so dass die Ahab zugesicherte Loyalität Joschafats genauso viel wiegt wie seine Bitte, erst JHWH zu befragen. 2.2.2. Die Befragung der vierhundert Propheten (1 Kön 22,6–9) Auf die Bitte Joschafats versammelt der König von Israel vierhundert Propheten, die die spezielle Befragung JHWHs, nach der Joschafat verlangt hat, durchführen. Wird das Verb »befragen« (vrd) in einem theologischen Zusammenhang gebraucht, dann bezeichnet es in der Regel das Befragen und Konsultieren JHWHs in einer Notsituation, in der dieser um Hilfe gebeten wird; in den Königsbüchern, aber auch sonst im Alten Testament, sind es die Propheten, die eine vrd-Befragung durchführen.49 Durch die 45
Vgl. NELSON (Kings, 147): »The prospect of Israel and Judah uniting in free (if not equal) alliance to reach a shared national goal sounds ideal«. Zur Beziehung zwischen Ahab und Joschafat vgl. auch WALSH, Kings, 344. BAUMGART bezeichnet die Beziehung zwischen den beiden Königen als »schillernd« (BAUMGART, Täuschung, 76). 46 WÜRTHWEIN (Könige, 256) interpretiert dies nicht als begeisterte Zustimmung, sondern als die übliche Formel für jemanden, der sich in der schwächeren Position befindet. Vgl. die wörtliche Wiederaufnahme von 1 Kön 20,42b. 47 Dies reicht allerdings noch nicht aus, um Joschafat als »orthodox« zu klassifizieren und ihn zur Folie gegenüber Ahab zu deklarieren, dagegen argumentiert GRAY, Kings, 449. Ebenso kann aus der Frage Joschafats nicht geschlossen werden, dass »Joschafat ganz genau weiß (denn er ist doch in der Lage, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden), daß sie weder echte Propheten Jahwes sind, noch richtige Götzenpropheten, sondern Heuchler und Menschendiener«, DAFNI, rqv xwr, 370. 48 BAUMGART deutet dies anders: »Zeit könnte zwischen seinen Worten vergangen sein, die er vielleicht zum Besinnen brauchte« (BAUMGART, Täuschung, 77). 49 Vgl. KBL3, 224; WAGNER, vrD, 323. Die Erzählung, die den Lesenden das ganze Panorama des Prophetischen aufzeigt, grenzt sich aber zugleich auch deutlich von bestimmten Praktiken ab: Was sich in dieser Erzählung nicht findet, sind Orakel im Sinne von Mantik, die mit verschiedenen, technischen Methoden versuchen, den Willen der Gottheit zu befragen; in
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Wahl des Verbs vrd ist somit klar, dass Joschafat speziell um prophetische Auskunft50 gebeten hat. Daher ›überrascht‹ es keineswegs,51 dass Propheten herbeigerufen werden, sondern entspricht exakt der Bitte Joschafats und zeigt, welches Profil der Befragung verlangt wird.52 Singulär ist, dass nicht – wie sonst üblich – JHWH (ta, vrd vgl. Gen 25,22; 2 Kön 3,11; 8,8; 22,13.18), sondern das »Wort JHWHs« (hw"hy> rb;D>-ta,) befragt wird.53 In den meisten Kommentaren zu 1 Kön 22,6 wird auf Ri 1,1; 20,18.23; 1 Sam 14,37; 23,2.4.9; 30,7; 2 Sam 5,19 etc. verwiesen. Diese Stellen weisen jedoch deutliche Differenzen zu 1 Kön 22 auf: Zum einen wird in diesen das Verb lav verwendet, das zwar auch eine Gottesbefragung bezeichnet, die ihren Sitz im Leben aber im Kontext eines heiligen Kriegs hat,54 zum anderen sind es keine Propheten, die JHWH befragen.55 Damit
keinem der drei Prophetenprofile werden Methoden der Gottesbefragung genannt, ebenso findet sich in der ganzen Erzählung das Wortfeld ~sq »Orakel erteilen, wahrsagen« nicht. Die mitunter auch als Orakel bezeichnete Gotteskonsultation ist immer mit dem Verb vrd »befragen« verbunden und ist eindeutig in prophetische Kontexte gestellt, die sich deutlich von mantisch orientierten priesterlichen Kontexten abgrenzen: Die Propheten werden hier gerade nicht wie die Priester geschildert, die Spezialisten der Gottesbefragung mit anderen Methoden sind, indem sie JHWH z.B. mit dem Efod oder den Urim und Tummim befragen. Ebenso wird in dieser Erzählung kein Traum als Quelle prophetischer Rede geschildert. Das ins Zentrum gestellte Wort JHWHs ist mit einem bestimmten Profil des Prophetischen verbunden. Wenn im Kontext von 1 Kön 22 von ›Orakel‹ die Rede ist, dann muss dieser Begriff auf das Einholen des Prophetischen Gotteswortes eingegrenzt werden, wie es in einer politischen Notlage bei Propheten eingeholt wird (vgl. z.B. Hulda in 2 Kön 22,14–20). Während es zunächst so aussieht, als würde das Einholen des Orakels hier dem typischen Ablauf vor Beginn einer militärischen Auseinandersetzung entsprechen, so gleicht das Setting hier eher dem Typ eines persönlichen Orakels im Sinne eines persönlichen Rats (vgl. Gen 25,22–23; 1 Kön 14; 2 Kön 1; 8,8 etc.). Diese Abgrenzung fällt in dieser Erzählung besonders auf, weil die Frage des Königs eigentlich eine Gottesbefragung vor einem Kampf verlangen würde, die in der Hebräischen Bibel aber meist von Priestern durchgeführt wird und mit dem Verb lav verbunden ist. 50 »Dieses Sich-Wenden an Gott kann nur durch einen Propheten geschehen« (Hervorhebung im Original), WESTERMANN, Fragen und Suchen, 19. 51 So COGAN, 1 Kings, 497. 52 Ähnlich WÜRTHWEIN, Könige, 257. 53 Vgl. SCHWEIZER, Elischa, 112; BAUMGART, Täuschung, 79. Das Motiv der GottesBefragung wird in der nachfolgenden Erzählung über die Befragung Baal-Sebubs durch Ahasja in 2 Kön 1,2.3.6.16 und die zu dieser Erzählung parallelen Geschichte in 2 Kön 3,11; 8,8 aufgegriffen. 54 Vgl. WESTERMANN, Fragen und Suchen, 10 in Anschluss an VON RAD, Der heilige Krieg im Alten Israel; DE VRIES, Prophet against Prophet, 37 sieht diese Szene auch im Kontext der Vorstellungen des »Heiligen Kriegs«; vgl. zur Problematisierung des Begriff »Heiliger Krieg« und der damit verbundenen Vorstellungen WEIPPERT, »Heiliger Krieg«, 460–493; STOLZ, Jahwes und Israels Kriege; COLPE, Bezeichnung und Bezeugung des »heiligen Krieges«, 45–57.189–214; KANG, Divine War; LINGEN, Les guerres de Yahve. 55 Vgl. auch HOSSFELD / MEYER, Prophet gegen Prophet, 30.
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grenzt sich Joschafats Bitte deutlich vom Einholen eines Orakels ab: Joschafat bittet nicht um eine (priesterliche) lav-, sondern um eine (prophetische) vrd-Befragung. Vor diesem Hintergrund ist es umso interessanter, dass die Vierhundert und Micha in seiner ersten Antwort die Übergabeformel verwenden (vgl. 1 Kön 22,6g.12d.15h), die just für priesterliche Gottesbefragung vor (heiligen) Kriegen typisch ist.56 Bei den vom König von Israel versammelten Propheten wird nicht deutlich, welcher Gottheit sie angehören,57 obwohl Joschafat explizit nach dem Wort JHWHs gefragt hat. Die Lesenden erfahren in der Erzählung über die Propheten nichts, außer, dass es »ungefähr vierhundert Mann« (vyai tAame [B;r>a;K.) sind. Diese Zahl in Kombination mit einer ›Versammlungsaktion‹ durch Ahab (›versammeln‹ #bq) weist auf die Auseinandersetzung Elijas mit den vierhundertfünfzig Propheten des Baal und den vierhundert Propheten der Aschera am Karmel in 1 Kön 18,19.20 zurück: Durch die Wiederholung der Zahl und des Verbs ›versammeln‹58 ermöglicht die Erzählstimme, dass die Lesenden der Königsbücher bei der Lektüre von 1 Kön 22 die Erzählung von 1 Kön 18 aktualisieren und 1 Kön 22 im Lichte von 1 Kön 18 lesen. Dadurch können sie assoziieren, dass es sich bei den »Vierhundert« um Propheten der Aschera handeln könnte (vgl. 1 Kön 18,40). Dass dem König eine so große Zahl an Propheten unverzüglich zur Verfügung steht, lässt daran denken, dass diese Propheten vom Königshaus versorgt werden und sie wie in 1 Kön 18,19 vom »Tisch« des Königshauses »essen«. Das würde erklären, warum der König so schnell auf sie zugreifen kann, aber auch, dass sie vom König abhängig sind. Zudem dürften durch die Ausrottungsaktion der JHWH-Propheten durch Isebel nicht mehr viele JHWH-Propheten übrig geblieben sein; Obadja konnte nur mit Not hundert JHWH-Propheten verstecken (1 Kön 18,4.13). Beim Lesen von 1 Kön 22 lässt die Erzählstimme somit eine Leerstelle entstehen, die ermöglicht, die Erzählung von 1 Kön 18 zu evozieren. Damit wird implizit eine negative Bewertung der vierhundert Propheten als Propheten der Aschera insinuiert,59 während aus 1 Kön 22 selbst nichts über die Identität der Propheten und ihre theologische, politische 56
Vgl. SCHWEIZER, Elischa, 116. Ähnlich LONG, 1 Kings, 238; JONES, Kings, 364. Gegen NELSON, Kings, 145, der 1 Kön 22 als eine Kriegserzählung versteht, die angereichert wurde um »a variety of prophetic genres, including the holy war ›conveyance formula‹ (Judg. 1:1– 2)«. 57 So auch PROVAN, Kings, 162.165. 58 Ein drittes sprachliches Merkmal für den engen Bezug von 1 Kön 22 und 1 Kön 18 ist, dass sich das Verb abn »sich als aybn aufführen« neben dieser Erzählung (1 Kön 22,8d.10b. 12a.18c) in den Königsbüchern nur noch in 1 Kön 18,29 findet. Die Zahl ›vierhundert‹ (unter Absehung von Jahreszahlen) steht ebenso nur in diesen beiden Erzählungen. 59 So eindeutig THENIUS, Könige, 253. Diese Linie der Skepsis wird dann von Joschafat aufgegriffen, der um einen weiteren »Propheten« bittet (vgl. 1 Kön 22,7b).
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und ideologische Verortung zu entnehmen ist.60 Dass sie Hofpropheten und »gefügige Werkzeuge«61 seien und für »positive Motivation«62 zu sorgen hätten, bleibt spekulativ.63 Durch diese offen gestaltete Identität der vierhundert Propheten eröffnet die Erzählstimme eine Projektionsfläche64, die die Sympathie der Lesenden lenkt und bewirkt, dass die vierhundert Propheten negativ konnotiert werden und von den Lesenden mit Skepsis betrachtet werden können, obwohl dazu – allein aus der Perspektive von 1 Kön 22 – kein Grund besteht. Wenn Ahab die vierhundert Propheten befragt und diese möglicherweise keine JHWH-Propheten sind, dann würde das bedeuten, dass Ahab für Joschafat zwar eine Propheten-Befragung inszeniert, die aber keine Befragung JHWHs ist, um die Joschafat explizit gebeten hatte. Die Frage Ahabs an die Vierhundert ist singularisch formuliert (Soll ›ich‹ in den Krieg ziehen? 1. Person Singular; 1 Kön 22,6c). Mit seiner Frage fokalisiert Ahab als sprechendes Subjekt die Perspektive auf sich als fokalisiertem Objekt. Damit bezieht er Joschafat nicht mit ein, obwohl er die Frage eingefordert hatte. Zu der zu 1 Kön 22,4b identisch formulierten Frage fügt Ahab noch die Alternative, nicht in den Krieg zu ziehen, hinzu (lD'x.a,-~ai; 1 Kön 22,6d). Damit stellt der König von Israel scheinbar zwei Möglichkeiten zur Auswahl, was er bei Joschafat nicht getan hatte. Durch die formulierte Alternative sieht die Frage nach einer echten (und keiner rhetorischen vgl. 22,3) Frage aus. Die Erzählstimme zeichnet die Figur Ahab als einen auf den eigenen politischen Vorteil bedachten, umtriebigen und geschickt agierenden König, der sein Umfeld für sich instrumentalisieren kann. Interessanterweise findet sich zudem in der Frage des Königs kein Gottesbezug: Er stellt seine Frage nicht als eine theologische, sondern als eine rein politische Frage (1 Kön 22,6): Soll er, der König, in den Krieg ziehen oder nicht? Mit dieser Entscheidungsfrage wird eben nicht das Wort JHWHs erfragt, obwohl Joschafat zuvor genau darum gebeten hatte. Sein Anliegen war es, in die politische Entscheidung das Wort JHWHs einzu60
Die meisten Kommentierungen ordnen mit großer Sicherheit (so jüngst DAFNI,
rqv xwr, 368–369) die Propheten sehr eindeutig einer Gruppe zu, wenn auch die Zuordnung, zu welcher Gruppe sie gezählt werden, von Ausleger zu Ausleger immer wieder differiert. 61 DAFNI, rqv xwr, 369. 62 So WERLITZ, Könige, 196. 63 Vgl. ähnlich CRÜSEMANN, Elia, 109–113, der dann aber die Propheten vom Lügengeist ergriffen sieht: Auch wenn sie aufgrund der Doppeldeutigkeit ihrer Aussage kein wirklich falsches Wort aussprechen würden, so sei gerade das die Wirkung des Lügengeistes. 64 So etwa WISEMAN, Kings, 185: »The four hundred ›nationalistic prophets‹ were perhaps centred in Bethel (12:28–29)«, wofür es keinen Anhaltspunkt im Text gibt. KETTER spricht 1953 (!) sogar von einer »Entartung« (sic!) der Propheten, KETTER, Königsbücher, 171.
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beziehen (1 Kön 22,5). Trotz der auf den ersten Blick peinlich genauen Ausführung seines Anliegens nimmt Ahab gerade an den entscheidenden Punkten Veränderungen vor: So lässt der Text offen, ob er JHWHPropheten versammelt hat. Zudem befragt der König die Propheten nicht nach dem »Wort JHWHs«, sondern reduziert die theologisch intendierte Frage Joschafats auf eine politische. Die vierhundert Propheten antworten dem König zweimal (1 Kön 22,6.12) und stellen in keiner ihrer beiden Antworten einen Bezug zu einer Gottheit her. Die Antwort der vierhundert Propheten ist somit keine Wiedergabe eines Gotteswortes, sondern eine politische Empfehlung von Propheten, die von ihnen explizit an keine Gottheit rückgebunden ist: Die Propheten eröffnen ihre Rede erwartungsgemäß mit der positiv klingenden Aufforderung »zieh hinauf« (1 Kön 22,6f). Den auf den ersten Blick positiven Bescheid formulieren die Vierhundert durch die sog. Übergabeformel (»geben in die Hand von« dy:B. ... !tn), deren feste Form insinuiert, dass sie eine eindeutige Aussage transportiere. So scheint es, dass die vierhundert Propheten einmütig Ahab, ihrem ›Herrn‹, einen Sieg verheißen. Betrachtet man die Formel jedoch genau, so zeigt sich, dass sie höchst mehrdeutig gelesen werden kann: Der Ausdruck yn"doa] kann erstens sowohl »mein Herr« als auch »der Herr« (»Adonai«) und damit JHWH bezeichnen.65 Insofern kann yn"doa] den König von Israel oder JHWH meinen.66 Der »König« kann sich zweitens auf Ahab, den König von Israel, oder auf den König von Aram beziehen. Es ist somit offen, in wessen »Hand«67 wer oder was gegeben wird. In diesem Satz fehlt drittens ein Objekt,68 das anzeigen würde, was in die Hand gegeben wird, wie es sonst in der Übergabeformel üblich ist (vgl. 1 Sam 23,4). Auf diese Weise ergeben sich für 65 Viele hebräische Handschriften überliefern an dieser Stelle das Tetragramm signifikanterweise nicht (vgl. GRAY, Kings, 445); damit wird aber dem Text eine entscheidende, (bewusst) verwirrende Nuance genommen, daher ist yn"doa] lectio difficilior (so auch CRÜSEMANN, Elia, 112). Es überzeugt nicht, die Lesung mit ›JHWH‹ für »sachgerechter« zu halten (so FRITZ, Könige, 193). Vgl. auch: »Unser Text deutet uns durch die Schreibart ynda (nicht 'h) die Falschheit, ihrer Rede an« (PHILIPPSON, Israelitische Bibel, 596). 66 So auch CRÜSEMANN, Elia, 112. Gott wird im Elija-Elischa-Zyklus in 2 Kön 7,6 als »der Herr« bezeichnet. Gegen COGAN, 1 Kings, 490: »The Prophets’ positive response was no doubt given in the name of YHWH«. 67 Zugleich ist mit dem Lexem ›Hand‹ (dy") große semantische Weite angezeigt (1 Kön 22,3d.6g.12d.15h): Es kann auch ›Macht‹ und ›Gewalt‹ meinen; gerade in der Formulierung dy:B. !tn meint es ›in jmds Gewalt geben‹, KBL3 371. Die Formulierung ›geben in die Hand von‹ (dy:B. !tn) findet sich in 1 Kön 18,9 (Ahab); 20,13.28 (Ahab, König von Israel); 22,6.12.15 (König von Israel); 2 Kön 3,10.13 (Moab).18 (Israel); 13,3bis (Hasael und BenHadad), ›die Hand geben‹ (dy: !tn) 2 Kön 10,15bis; ›geben in die Hand‹ (dy: l[; !tn) 12,12.16 sowie ›aus der Hand geben‹ (dy: tx;T;mi !tn) 13,5. 68 Vgl. ebenso SCHWEIZER, Literarkritischer Versuch, 3; WALSH, Kings, 345; BAUMGART, Täuschung, 77–78.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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mindestens drei Lektüremöglichkeiten, wobei bei den ersten beiden das Objekt jeweils offen bleibt:69 1. »und es möge geben mein Herr (= Gott) in die Hand des Königs« (von Israel – aber wen oder was?) 2. »und es möge geben mein Herr (= Gott) in die Hand des Königs« (von Aram – aber wen oder was?) 3. »und er (= Gott) möge geben meinen Herr (= König von Israel) in die Hand des Königs« (von Aram) Angesichts der Polysemie der Aussage, ist es offen, ob die von Ahab abhängigen Propheten einen Sieg oder eine Niederlage ankündigen.70 Damit haben sich die Propheten der Ja-Nein-Alternative, die der König ihnen gestellt hat (vgl. 1 Kön 22,6c–d), entzogen. Zugleich lässt die Form !TeyIw> mehrere Deutungen zu: Erstens kann man die we-PK-Form als unvollendete, in der Zukunft liegende, prospektiv ausgerichtete Aussage verstehen (»und es wird geben«), 71 so dass die Worte der Propheten nach einer in Zukunft eintretenden Zusage klingen. Zweitens kann man !TeyIw> als Jussiv-Form lesen (»und es möge geben«), 72 so dass die Propheten ihrem Wunsch Ausdruck verleihen. Drittens hat !TeyIw> nach einem Imperativ final-konsekutive Bedeutung (»damit geben wird...«). Dies würde anzeigen, dass es ein fixes Ziel gäbe, das sich durch das Hinaufziehen des Königs – in welcher Weise auch immer – realisieren würde (vgl. hierzu 1 Kön 22,20).73 Die Offenheit der Aussage zeigt, dass die Übergabeformel nicht eindeutig, sondern polysem formuliert ist. In einer ersten Lektüre liest sich die Aussage der Propheten zunächst als eine Ermutigung des Königs und als eine Zustimmung zum Krieg. Dies bestätigt auch die Aussage des zu Micha geschickten Boten (1 Kön 22,13).74 Der Polysemie der Aussage kommen die Lesenden erst langsam auf die Spur: Erste Zweifel werden bei den Lesenden zunächst durch die Reaktion Joschafats genährt, der nach einem weiteren Propheten verlangt, um JHWH zu befragen (1 Kön 22,7). Deutliche Skepsis kommt endgültig mit der exakten Wiederholung dieser Prophezeiung durch Micha auf, der von der Erzählstimme als königskritischer Prophet eingeführt wird, und von dem es nicht glaubwürdig erscheint, dass er eine derart königstreue Pro-
%l,M,h; dy:B. yn"doa] !TeyIw>
69
Die ersten beiden Lektüren vertritt GRESSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung, 280; die Möglichkeit der dritten CRÜSEMANN, Elia, 112; im Anschluss auch BAUMGART, Täuschung, 78–79. 70 Zu der Analogie des Halys-Orakel an König Krösus (»Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören«; Hdt I 55) und weiteren Parallelen zu der frühgriechischen Erzählüberlieferung vgl. OSWALD, Ahab, 1–14. 71 Vgl. BARTELMUS, HYH, 54–66.79. 72 Vgl. GESENIUS, Grammatik, § 109. 73 Vgl. GESENIUS, Grammatik, § 165.a.1. 74 Vgl. hierzu unten 2.2.5.
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Kap. IV: 1 Kön 22
phetie vertreten würde. Die sprachlich komplexe Mehrdeutigkeit wird als eine sich in der Lektüre zu dekodierende Polyvalenz inszeniert. Auch hier eröffnet die Erzählstimme wieder breiten semantischen, bewusst nicht monosemierten Raum, den die Lesenden – je nach ihrer Hörbereitschaft und Dekodierfähigkeit – unterschiedlich füllen können. Nur auf den ersten Blick erscheinen die Vierhundert als »Ja-Sager-Chor«75. Nach der mehrdeutigen Aussage der Propheten ergreift nun Joschafat wieder das Wort. Jetzt fragt er explizit nach einem »Propheten von / für JHWH« (hw"hyl; aybin").76 Damit wird der zu erwartende Gang der Ereignisse aufgehalten, der nun in eine andere Richtung gelenkt wird: Statt einem überhasteten Sich-in-einen-Krieg-Stürzen wird das Tempo der Erzählung verlangsamt und die Frage nach dem Krieg zugunsten des sich nun entwickelnden prophetischen Konflikts retardiert. Die Präposition l. zeigt eine enge Verbindung an, die sowohl eine Abhängigkeit (»Prophet von JHWH«), als auch eine Zugehörigkeit (»Prophet für JHWH«) anzeigen kann. Diese doppelte Bedeutung ist genau die Qualität, die Joschafat einfordert: Er will einen Propheten hören, der tatsächlich von JHWH kommt und für JHWH spricht. Damit wird zudem angedeutet, dass Joschafat aus seiner Perspektive die Vierhundert weder ›von JHWH‹ noch ›für JHWH‹ einschätzt, daher ihrem Urteil misstraut.77 Diesem Unbehagen können die Lesenden gut folgen, ist doch bereits in 1 Kön 18,25–29 die Ohnmacht und Wirkungslosigkeit von vierhundert Propheten erzählt worden. Zudem macht Joschafat einen quantitativen Kontrast auf, der den entscheidenden qualitativen Sprung anzeigt: Dass er lieber auf einen Propheten von JHWH als zuverlässige Quelle einer vrd-Befragung für JHWH als auf die Vierhundert vertraut, wird zudem durch das Klangspiel in der phonetischen Wiederaufnahme deutlich gemacht (AtAame hv'r>d>nIw>; 1 Kön 22,7c.8b und tAame [B;r>a;K.; 1 Kön 22,6a).78 Zugleich kann die Bitte nach »noch« (dA[) einem weiteren Propheten die Aufforderung zu einem allerletzten, dann völlig überzeugenden Beweis sein: Noch ein Prophet zu der Vollständigkeit79 anzeigenden Zahl vierhundert, also 400 + 1, wäre dann der ›überflie75 So WERLITZ, Könige, 196; vgl. auch WÜRTHWEIN, Könige, 258; CRÜSEMANN, Elia, 113: »Die Propheten sagen also nicht eindeutig Falsches. Insbesondere enthält ihre erste Antwort keine falsche Aussage. Ihr Orakel ist so doppeldeutig wie man es aus Delphi kennt.« 76 Joschafats Rede ist als Frage formuliert; dies ist die vierte Frage in dieser Erzählung (1 Kön 22,7b–c). Während die erste eine rhetorische Frage von Ahab an seine Mitarbeiter (1 Kön 22,3b–d) ist und die folgenden beiden Fragen (1 Kön 22,4b.6c–d) eine bestimmte Antwort erwarten, ist dies die erste wirklich offene Frage. 77 Joschafat »may well have been suspicious of the extravagant development of prophecy in the North, unlike the simpler religion of the conservative South«, MONTGOMERY, Kings, 337. 78 Zur Form AtAame vgl. KBL3 97. 79 Vgl. KREUZER, Zahl.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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ßend‹-vollendete Beweis für die Richtigkeit der Prophetenworte.80 Die Formulierung »noch einen...« legt zudem nahe, dass die Vierhundert tatsächlich JHWH-Propheten sind, was eine Lektüre gegen die suggestivdiffamierenden Tendenzen der Erzählstimme gegenüber den Vierhundert wäre.81 Vielleicht fehlt aus diesem Grund in der LXX und der Vulgata die Bitte nach einem anderen Propheten.82 Zudem verändert Joschafat in seiner Rede zum einen Ahabs ›ich‹ zu einem ›wir‹ (1 Kön 22,7c Plural vgl. 22,6c Singular) und verwendet zum anderen statt der einfachen Jussivform die verstärkende Kohortativform und insistiert durch die Wiederholung des Verbs »erfragen« (vrd) auf einer spezifischen vrd-Befragung. Wie in 1 Kön 22,6g fehlt hier ein Objekt, so dass nicht präzisiert wird, welche Gottheit befragt werden soll. Zwar ist Eindeutigkeit durch die vorangehende Formulierung »Prophet von / für JHWH« angezeigt, dennoch fällt das Fehlen eines Objekts gerade vor dem Hintergrund von 1 Kön 22,5b auf. Die erneute Bitte Joschafats konzentriert sich somit auf die Person des gesuchten Propheten. Anders als bisher werden sich die Propheten in allen folgenden Reden nun explizit auf JHWH beziehen (1 Kön 22,11c.12d.14b–d.15h). Auf die konkrete Nachfrage von Joschafat reagiert der König von Israel: Es gäbe »noch« (dA[) »einen einzigen«83 Mann, den man befragen könne (vgl. 1 Kön 22,7b). Auffallenderweise bezeichnet Ahab diesen nicht als Propheten, sondern nur als »Mann« (dx'a,-vyai dA[ 1 Kön 22,8b), konzediert aber, dass man durch ihn JHWH befragen kann. Der König von Israel beschreibt sein Verhältnis zu diesem ›Mann‹ als ›Hass‹ (»ich hasse ihn«, wytianEf. 1 Kön 22,8c).84 Das Verb anf kommt in den Königsbüchern nur hier vor und sticht daher in seiner Aussagekraft besonders deutlich hervor. Seine Hal80
Ähnlich HAMILTON, Nets of Prophecy, 654, der die Frage nach noch einem Propheten als »double-check« versteht. 81 So auch COGAN, 1 Kings, 490. Vgl. die Diskussion der jüdischen Tradition, ob es sich hierbei um JHWH-, Baals-, oder falsche Propheten handelt, HOCHBERG / ROSENBERG, Kings, 224–225. Die Frage der Falschprophetie in 1 Kön 22 wird in San. 89 ausführlich diskutiert; vgl. auch PHILIPPSON, Israelitische Bibel, 595–596. Wenn die LXX, die Vulgata, Lukian und die Peshitta dA[ »noch« auslassen, dann wird der Erzählung eine entscheidende Nuance genommen, die im MT zu finden ist; vgl. BURNEY, Notes, 251–253. 82 Wenn MONTGOMERY / GEHMAN dies damit erklären, dass »a classification of true prophets with false« vermieden werden sollte (MONTGOMERY, Kings, 344), dann wird hiermit die Möglichkeit einer scharfen Trennlinie zwischen ›richtig‹ und ›falsch‹ suggeriert, wobei zugleich insinuiert wird, dass diese mit der ebenso scharfen Trennung von ›JHWH‹ und ›nicht-JHWH‹ einhergehe. 83 Das Motiv, dass es nur noch einen Einzigen gebe, verweist auf 1 Kön 18,22, wo Elija sich als der Einzige präsentiert, der übrig geblieben ist. 84 Adversativer Anschluss und betontes Personalpronomen »ich aber« (ynIa]w:); vgl. ähnlich der kontrastive Anschluss von Personalpronomen und Waw in 1 Kön 22,3d.
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Kap. IV: 1 Kön 22
tung begründet der König damit, dass dieser immer nur ›Schlechtes‹ gegen ihn prophezeit habe (1 Kön 22,8d). Auffällig ist, dass bisher wertende Kategorien in Bezug auf die Propheten und ihre Worte bisher keine Rolle gespielt haben. Joschafat hat weder die Propheten selbst, noch ihre Worte angezweifelt oder kritisiert. Er hat lediglich nach einer weiteren, an JHWH-orientierten Meinung gefragt. Dass darin eine implizite Kritik liegen könnte, ist möglich, wird aber nicht explizit gemacht. Während Joschafat sich des Urteils enthält, führt der König von Israel nun die bewertenden Kategorien ›gut‹ und ›schlecht‹ in Bezug auf die Prophetie ein, indem er seinen Hass auf den ›einen‹ Propheten damit begründet, dass dieser ihm nie Gutes, sondern stets ›Schlechtes‹ prophezeie.85 Das Verb »sich als aybn aufführen«86 (abn; 1 Kön 22,8d.10b.12a.18c) findet sich in den Königsbüchern nur noch in der Erzählung über die Auseinandersetzung Elijas mit den Propheten des Baal und der Aschera am Karmel (1 Kön 18,29).87 Obwohl eine eindeutige semantische Differenz zwischen der Nifal- und der Hitpael-Form nicht gelingt, scheint der Nifal in der Mehrzahl der Fälle eher das prophetische Reden und der Hitpael eher die äußerlich sichtbaren Seiten prophetischer Tätigkeit zu bezeichnen und von diesen abwertend zu sprechen (vgl. auch Jer 14,14; 29,26–27; Ez 13,17). Es kann damit auch ekstatische Prophetie bezeichnet werden.88 Damit stellt Ahab den Propheten Micha abwertend in die Reihe der macht- und wirkungslosen, aber sich prophetisch gebärenden Propheten aus 1 Kön 18.89 Zugleich stellt er sich selbst als Bewertungsmaßstab ins Zentrum. Der Rekurs auf Michas frühere Worte sind externe Retrospektion, die sich auf kein in den Königsbüchern erzähltes Ereignis beziehen. Mit diesem den Lesenden unzugänglichen Verweis wird ihnen eine Beurteilung der Aussage des Königs entzogen und erneut eine Leerstelle im Text eröffnet. Das Einzige, was die Lesenden über die Prophezeiungen erfahren, ist ihr aus Ahabs Perspektive bedrohli-
85
Vgl. ähnlich Agamemnon zu Kalchas (Ilias I 106). KBL3 623. 87 Vgl. COGAN, 1 Kings, 490. 88 Vgl. JEREMIAS, aybn, 16–17; vgl. MÜLLER, aybn, 146. 89 Diese mit abn im Hitpael verbundene abschätzige Konnotation in der Rede Ahabs (1 Kön 22,8d.18c ) findet sich auch auf der Ebene des Erzählers, der den abwertenden Unterton übernimmt, aber signifikanterweise auf Ahabs Propheten anwendet (1 Kön 22,10b.12a). Das bedeutet nicht, dass Ahab erwarten würde, dass Propheten nur Gutes über ihn prophezeien, seine Kritik an Micha liegt darin begründet, dass dieser ausschließlich Schlechtes gegen ihn weissage. Randnotiz zur (Lebens-)Welt der Exegeten: KETTER zitiert 1953 (!) bei der Kommentierung von 1 Kön 22,8 als Parallele aus (seiner) Lebenswelt den verantwortlichen Offizier im kaiserlichen Hauptquartier am Ende des Ersten Weltkriegs, der es nicht als seine Aufgabe ansah, dem Kaiser die schlechten Nachrichten zu melden (vgl. KETTER, Königsbücher, 171–172). 86
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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cher Charakter90 und ihre Qualifikation als ›schlecht‹. Weil die Kategorien ›gut‹ und ›schlecht‹ die Bewertungen der Könige in den Einführungsformeln des Königsrahmens aktualisieren, mit denen jeder König unter den Kategorien von ›recht / gut‹ und ›schlecht / böse‹ evaluiert wird, bestätigt der König von Israel selbst seine über ihn bei seinem Regierungsantritt von der Erzählstimme vorgenommene Beurteilung als ›schlecht‹ (1 Kön 16,30. 33). Oder anders formuliert: Die Erzählstimme sichert ihr prospektiv-antizipierend abgegebenes Urteil dadurch ab, dass sie Ahab selbst einen JHWH-Propheten zitieren lässt, der ihr Urteil bestätigt! Um die Spannung zu erhöhen, retardiert Ahab den Namen des gesuchten Mannes bis zum Schluss: Es ist Micha ben Jimla. Und das überrascht tatsächlich: Aus der Lektüre der bisherigen Königsbücher und insbesondere nach der Verurteilung Ahabs durch Elija (1 Kön 21,20–24) haben die Lesenden (und die in der Szene anwesenden Figuren) mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, dass nun der Name Elija fällt. Stattdessen nennt Ahab einen gänzlich unbekannten Propheten, der bisher noch nirgends aufgetreten ist.91 Der Überraschungseffekt durch die enttäuschten Erwartungen der Lesenden lassen umso aufmerksamer das Folgende lesen. Micha ist den Lesenden gänzlich unbekannt, während er den Figuren der Erzählung aber offensichtlich bekannt zu sein scheint. Damit haben die Lesenden ein Wissensdefizit gegenüber den Figuren, so dass sie sich erst ein Bild der Figur Micha ben Jimla machen müssen. Die Lesenden erfahren durch die von Ahab fokalisierte Perspektive, dass es bereits eine längere Geschichte der Beziehung zwischen Ahab und Micha gibt (externe Retrospektion), die nicht zu Ahabs Besten ausfällt, aber sie wissen nicht, was bisher geschehen ist. Damit wird in der fabula die nicht konfliktlose Beziehung zwischen dem König und Micha vorausgesetzt, die in der story nicht erzählt wird. Ob Joschafat etwas mit dem Namen Micha ben Jimla anfangen kann, bleibt offen. Dieser zeigt keine Spur der Überraschung, des Wiedererkennens oder des Entsetzens, als der Name Micha ben Jimla fällt, sondern bezieht sich nur auf die Rede des Königs von Israel, den er ermahnt, nicht so zu reden. Interessanterweise spricht er ihn dabei nicht in der zweiten, sondern in der dritten Person an, was ehrfürchtigen Abstand und ehrende Distanz signalisiert. So wird zum einen die Superiorität des Königs von Israel betont, der der König von Juda sich unterordnet. Ob die Aussage Joschafats die Funktion hat, den König von Israel zu ermahnen 90 Vgl. JEREMIAS, aybn, 16: In Verbindung mit der Präposition l[; hat abn als »weissagen gegen jmd.« drohenden Charakter. Mit dieser Präposition findet sich das Verb in 1 Kön 22 ebenso 1 Kön 22,18c, sowie mit einem Wechsel der Präposition auch in 1 Kön 22,10b, vgl. zur Stelle dort. 91 Vgl. dagegen »Mit vieler Wahrscheinlichkeit referirt die Tradition, daß Michajehu auch der Prophet von 20,35 war« PHILIPPSON, Israelitische Bibel, 596. Auch Josephus hält Micha für den anonymen Propheten aus 1 Kön 20,35–43 vgl. Ant. VIII 389.
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Kap. IV: 1 Kön 22
oder eher seiner Eitelkeit zu schmeicheln, indem er ihm widerspricht, um diesen in einem umso besseren Licht stehen zu lassen, ist beides gleichermaßen möglich. Vor dem Hintergrund des immer sicher agierenden und aktiven Königs von Israel wird das von der Erzählstimme inszenierte Machtgefälle zwischen beiden Königen besonders deutlich. Der König von Israel geht auf Joschafats Aussage nicht ein, sondern ruft einen ›Saris‹ (syrIs') herbei. Mit diesem Terminus wird ein hoher königlicher oder militärischer Beamter, ein ›Schatzmeister‹ oder ›Kämmerer‹92 bezeichnet.93 Er beauftragt ihn, »schnell« (hr'h]m;) Micha herbeizuholen. Worin nun der Grund für die Eile liegt, ist nicht ersichtlich. Möglicherweise will er sich Joschafats Zustimmung sichern, bevor er es sich anders überlegen könnte; schließlich liegt keine unmittelbare außenpolitische Notwendigkeit für schnelles Handeln vor. 2.2.3. Hintergrundschilderung II: Die Szene in Samaria (1 Kön 22,10) Statt den Gang der Handlung fortzusetzen, wird diese für eine Hintergrundschilderung unterbrochen. Die Handlung ist durch die Erzählstimme fokalisiert, die die Szene in Samaria beschreibt.94 Damit wird die fabula abrupt unterbrochen. Die zuvor erzählte Beauftragung des Boten wird erst in 1 Kön 22,13a fortgeführt, nachdem in der story der Auftritt von Zidkija erzählt worden ist (1 Kön 22,11–12). Mit der Beschreibung der Szenerie werden grundlegende, bisher ›fehlende‹ Informationen geliefert: Bis jetzt wissen die Lesenden nicht, wo sich das erzählte Geschehen abspielt, welche Figuren anwesend sind und wie sich die Szene vorzustellen ist. Durch die nachgeholte Beschreibung verändert sich das Bisherige rückwirkend, weil man nun erfährt, in welchem Kontext und in welchem Setting es stattgefunden hat; zugleich wird das Folgende im Licht der beschriebenen Szenerie gelesen. Dieser Teil ist im Aufbau der Erzählung die Mitte des ersten Abschnitts. Damit ergibt sich ein merkwürdiger Kontrast zwischen dem Inhalt des Abschnitts als beschreibender Hintergrundschilderung und seiner strukturell herausgehobenen Position. Genau diese Differenz ist intendiert: Bislang schien es so, als ob es inhaltlich um die Frage des Kriegszugs nach RamotGilead gehe. Nun aber wird deutlich, dass die Beschreibung der Szene in Samaria im (strukturellen) Zentrum des ersten Abschnitts steht und als turning point fungiert. Mit dieser Position wird markiert, dass die Raumkonstruktion der Szene etwas Entscheidendes aussagt, was auf den ersten 92 Aus dem Akkadischen ãa rƝãi vgl. KBL3 727; in den Königsbüchern in 2 Kön 8,8; 9,32; 20,18; 23,11; 24,12.25; 25,19; vgl. hierzu auch GRAY, Kings,449–450. 93 WERLITZ (Könige, 196) hält ihn für einen ›Eunuchen‹. 94 So auch WALSH, Kings, 347: Die Szene beginne »with descriptive sentences; in Hebrew verse 10 contains no narrative verbs«.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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Blick verwundert. Die Bedeutung dieser Raumkonstruktion wird erst bei der Lektüre der zweiten Vision Michas (1 Kön 22,19–23) deutlich, die in der Mitte der gesamten Erzählung situiert ist. Insofern wird der Hintergrund zum Eigentlichen. Die Beschreibung der Szene bildet eine eigene Sequenz, die sich durch die sprachliche Gestalt deutlich abgrenzt: Obwohl die beiden Protagonisten, der König von Israel und der König von Juda, nicht wechseln, werden beide zu Beginn renominalisiert. 1 Kön 22,10 ist an den vorhergehenden Satz syndetisch angeschlossen, wobei offen ist, ob dieses Waw verbindend als »und« oder adversativ als »aber« gemeint ist. Das Verb »sitzen, wohnen« (bvy; im Partizip) rekurriert auf 1 Kön 22,1. In beiden Versen wird ein Zustand – hier durch das Partizip, dort durch die Zeitangabe »drei Jahre« – beschrieben. in 1 Kön 22,10 wird erzählt, dass die beiden Könige auf ihrem Thron sitzen und mit königlichen Gewändern bekleidet sind. Auch wenn die LXX den Ausdruck ~ydIg"B. ~yviB'lum. als Bewaffnung (e;noploi) versteht, gibt es keinen Grund dieser Deutung zu folgen,95 im Gegenteil: Die Könige handeln nicht als Soldaten, sondern in ihrer Funktion als Könige in »königlicher Amtstracht«. Das Motiv der Kleidung wird zudem in 1 Kön 22,30 zentral. Wie die Ortsangabe »an einem Dreschplatz am Eingang des Stadttores von Samaria« (!Arm.vo r[;v; xt;P, !r,gOB.) zu verstehen ist,96 »has puzzled almost all commenatators, who either correct or eliminate the word.«97 Das Problem ist, dass zwei Ortsangaben genannt werden: zum einen ein ›Dreschplatz‹ und zum anderen das Stadttor von Samaria. Dass ein Dreschplatz als großer Platz in der Stadt liegt, ist nicht nur von der Anlage einer altorientalischen Stadt, als auch von seiner Funktion und dem damit verbundenen Schmutz auszuschließen; der Dreschplatz dürfte außerhalb der Stadtmauern in der Nähe der Stadt gelegen haben. Dabei können sich die beiden Ortsangaben widersprechen, sie können aber auch miteinander vereinbart werden: Aufgrund von semantischen Untersuchungen des Wortfelds in semitischen Sprachen und in Texten aus Ugarit kommt Gray zu dem Schluss, dass das Lexem ›Dreschplatz‹ auch einen großen, öffentlichen Platz98 bezeichnen kann.99 Dann würde er mit den beiden Be95
Der LXX folgt GRAY, der 1 Kön 22,10 übersetzt: »Now the king of Israel and Jehoshaphat the king of Judah were sitting each on his throne in uniform...«. Dafür muss er weitreichende, zum Teil recht hypothetische Änderungen vornehmen: »For melubbƗãƯm G gives ›in full panoply‹, which may well be the correct interpretation, the following begƗdƯm (›robes‹) being possibly a dittograph and corruption of begǀren« GRAY, Kings, 445.450; vgl. hierzu auch DAFNI, rqv xwr, 367–368. 96 Vgl. hierzu auch BURNEY, Notes, 253. 97 COGAN, 1 Kings, 490. 98 Vgl. hierzu ausführlich GRAY, Kings, 450 unter Verweis auf Texte aus Ugarit. Als Resultat der Diskussion zwischen SMITH und GRAY (SMITH, The Threshing Floor, 5–14; DERS.,
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Kap. IV: 1 Kön 22
zeichnungen den gleichen freien Platz am Stadttor100 meinen. Wenn dem so ist, bleibt allerdings die Frage, warum im hebräischen Text (im Gegensatz zur LXX)101 eine doppelte Ortsbezeichnung verwendet wird. Dies scheint an der unterschiedlichen semantischen Konnotation der beiden Bezeichnungen zu liegen, mit der jeweils wichtige Aussagen der Erzählung veranschaulicht werden: Das Stadttor ist ein öffentlicher Ort (Dtn 22,15; 25,7; Ijob 29,7), an dem Versammlungen, Beratungen und Rechtssprechung stattfinden und Gericht gehalten wird (Gen 23,10; 34,20; Neh 8,1; Jes 29,21; Am 5,10–15; Sach 8,16; Rut 4,1 etc.). Wenn dies also der Ort ist, an dem die Beratung der Könige stattfindet, die Propheten versammelt werden und auch Micha seine Visionen schildert, dann findet die Beratung nicht geheim im Palast des Königs, sondern öffentlich statt.102 Dies würde dem Bemühen des Königs, ein öffentlich solidarisches ›Wir‹ herstellen zu wollen ebenso eine neue Facette verleihen, wie auch Michas Auftritt eine öffentliche Blamage für die Könige in ihrem königlichen Prunk103 darstellt, deren Autorität untergraben wird. Neben dem Aspekt der Öffentlichkeit ist das Stadttor aber auch der Ort des Rechts, an dem Gerechtigkeit (wieder)hergestellt werden soll. Durch die Ortswahl wird somit auch die Frage evoziert, ob bei der Veranstaltung der Könige eine Entscheidung gefällt wird, die ›recht‹ ist. Damit wird der ›gut-schlecht‹-Kontrast, den der König in Bezug auf Michas Prophetie eingeführt hat (vgl. 1 Kön 22,8d), implizit aufgegriffen. Die Frage, was das Wort JHWHs ist, wird gerade am Stadttor, dem Ort des Rechts und der Gerechtigkeit, gestellt. Die zweite Ortsnennung, die Tenne bzw. der Dreschplatz,104 fügt eine zweite Konnotation hinzu.105 Die verschiedenen Arbeiten auf dem DreschOn the Meaning of Goren, 42–45; GRAY, The Goren at the City Gate, 118–123) übersetzt er »in the open place of Samaria«; anders âANDA, 1 Könige, 493; vgl. auch DE VRIES, Prophet against Prophet, 49. 99 Die Rabbinen interpretierten als einen »semicircle, the shape of half a threshing-floor«, HOCHBERG / ROSENBERG, Kings, 225. Dies entspricht der Sitzordnung des Synedriums, die in »einer halben runden Tenne« gesessen hätten, um einander besser zu sehen (San. 37a). Das Lexem für »Tenne« ist !r,gO und könnte in dieser Verwendung vom Griechischen gu/roj »Kreis, Rundung« inspiriert sein. 100 Das Stadttor als Versammlungsort findet sich in den Königsbüchern zudem noch in 2 Kön 7,3; 10,8; 23,8. 101 Die LXX spricht einfach von evn tai/j pu,laij Samarei,aj. 102 Eine außenpolitische derart schwerwiegende und wichtige Entscheidung, ob ein Krieg geführt werden soll oder nicht, mit der zugleich Fragen der strategischen Kriegsführung verbunden sind, ist kein Gegenstand öffentlicher Diskussion; dies zeigt, dass es hier nicht um die (zunächst diskutierte) Frage des Krieges geht, sondern vielmehr um die semantische Konnotation der erzählten Räume. 103 Dies ist zudem ein Gegenbild zu dem sich später der Öffentlichkeit durch unkönigliche Verkleidung entziehenden Ahab (vgl. 1 Kön 22,30). 104 Vgl. GÖRG, Tenne, 815.
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platz werden in der biblischen Literatur als Bild für das Handeln Gottes verwendet: Das flüchtige Vergehen der Gottlosen wird mit der Spreu, die der Wind verweht, verglichen (Ps 1,4; Hos 13,3), die Feinde Israels werden von JHWH wie Garben zur Tenne gebracht (Mi 4,12), aber auch Israel kann als ›Tennen-Sohn‹ bezeichnet werden (Jes 21,10). Das Bild der Ernte ist ein festes Bild für das Gerichtshandeln Gottes (vgl. Joel 4,13; Jes 27,12; 63,3).106 Wenn nun das erzählte Geschehen am Dreschplatz situiert wird, dann wird damit ein Ort gewählt, der semantisch hoch aufgeladen ist. Mit ihm wird proleptisch das Kommende vorweggenommen: Ahab, der sowohl durch die Worte Elijas (1 Kön 22,38 als Wiederaufnahme von 1 Kön 21,19) als auch durch die Visionen Michas doppelt ›verurteilt‹ ist, fällt am Ort des Gerichtshandeln JHWHs selbst die Entscheidung für einen Krieg, in dessen Ausgang sich das Handeln JHWHs realisiert. Es wird weiterhin geschildert, dass die vierhundert Propheten vor den in königlicher Pracht auftretenden Königen stehen und »sich prophetisch gebärden« (1 Kön 22,10b; abn im Hitpael): Der negative Beigeschmack, der durch den Hitpael erzeugt wird, wird aus der Rede des Königs über Micha von der Erzählstimme übernommen und gegen die Perspektive des Königs nun auf ›seine‹ Propheten angewendet. Nun schildert die Erzählstimme in abschätziger Weise, dass die vierhundert Propheten schon die ganze Zeit107 möglicherweise in Verzückung prophezeien.108 Die Erzählung schildert also das Geschehen in Samaria als eine grandiose Szene: In der Mitte thronen die beiden Könige in ihrer Amtskleidung, vor ihnen die vierhundert Propheten. Die Frage nach dem Kriegszug findet in einer prachtvollen, öffentlichen Thronratsszene in der Hauptstadt Samaria statt und scheint ein echtes Spektakel zu sein, das an einem Ort stattfindet, der als Ort des Rechts und als Ort des Gerichts JHWHs doppelt konnotiert ist. 2.2.4. Zidkija und die Propheten (1 Kön 22,11–12) Durch den Narrativ kehrt man in 1 Kön 22,11a in die Erzählfolge von 1 Kön 22,9 zurück und verlässt die in sich geschlossen stehende Hintergrundschilderung von 1 Kön 22,10. Mit Zidkija ben Kenaana betritt eine neue Figur die Bühne der Handlung. Zudem finden zeitgleich zum Auftritt 105
Für âANDA (1 Könige, 493) ist die Nennung Tenne zur Datierung des Feldzugs wichtig, der erst nach der Ernte, also zu einer Zeit, in der die Tenne leer ist, stattgefunden haben kann. 106 Vgl. MÜNDERLEIN, !rg, 68. 107 Schilderung im Partizip, was einen dauerhaften Zustand anzeigt. 108 Anders als in 1 Kön 22,8d.18c ist das Verb abn hier nicht mit der Präposition l[;, die einen drohenden Charakter hat, verbunden, sondern mit ynEp.li (1 Kön 22,10b: ~h,ynEp.li ~yaiB.n:t.mi), zur Verwendung der Präpositionen vgl. JEREMIAS, aybn, 16.
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Zidkijas (1 Kön 22,11) zwei weitere Handlungen statt: Zum einen prophezeien die Vierhundert die ganze Zeit über vor den Königen (vgl. 1 Kön 22,12), und zum anderen holt der Bote Micha an einem anderen Ort zur selben Zeit (vgl. 1 Kön 22,13–14). Wie Micha ist Zidkija den Lesenden unbekannt. Anders als Micha tritt er ungefragt auf und versucht, die Erwartungen, die die Könige an Micha richten, zu erfüllen. Daher versucht sich Zidkija als der gesuchte Prophet zu profilieren, um Micha zu ersetzen und zu übertreffen, noch bevor dieser eingetroffen ist. Der Auftritt Zidkijas findet statt, nachdem der König von Israel einen Boten geschickt hat und dieser sich auf dem Weg zu Micha befindet. Zidkija versucht somit einerseits das ›prophetische Vakuum‹ zu nutzen und sich in Szene zu setzen, um sich als der Gesuchte zu präsentieren.109 Der Name Zidkija bedeutet ›Gerechtigkeit JHWHs‹. Dieser Namen korrespondiert mit dem Ort des Geschehens: Der JHWH-Prophet ›Gerechtigkeit JHWHs‹ prophezeit am Ort der Gerechtigkeit, am Stadttor von Samaria. Allerdings assoziiert sein Vatersname und damit seine Herkunft ›Kenaana‹ die Bezeichnung ›Kanaan‹ und verweist damit auf die in den biblischen Schriften negativ besetzte, ›vorisraelitische‹ Bevölkerung des Landes, die als Projektionsfläche für schlimme Vergehen und Verführung von Israel steht. Zidkijas Auftritt beginnt mit einer Zeichenhandlung: Er stellt eiserne Hörner her.110 Hörner dienen Tieren zum Kampf und als Mittel zur Abwehr. In der biblischen Literatur sind sie zum Symbol der Kraft und Macht geworden, das Sieg und Stärke symbolisiert.111 In Darstellungen in Ägypten und im Alten Orient wurden Gottheiten und die von ihnen eingesetzten Herrscher mit Hörnern als Zeichen ihrer Majestät ausgestattet.112 Obwohl die Hörner mit keiner spezifischen Gottheit verbunden sind, scheinen sie numinose Qualität zu haben. Durch den Zusatz »eiserne« Hörner in 1 Kön 22,11a werden die Hörner zudem zu einer gefährlichen Waffe, die der Vernichtung der Gegner dient (vgl. Mi 4,13). Zugleich ist der Bezug des indirekten Objekts Al offen: Es kann sich reflexiv als »er machte (für) sich«113
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Zidkija will eine Alternative zu Micha sein, sein Auftritt hat nicht die Funktion, Michas Herbeiholen zu stoppen, so LONG, 1 Kings, 235. 110 THENIUS, Könige, 255: »Die eisernen Hörner sind vermutlich als an den Kopf gehaltene oder an demselben befestigte eiserne Spitzen zu denken.« 111 Vgl. Dtn 33,17; 1 Sam 2,10; Ps 89,18; 92,11; 148,14; Klgl 2,17; Jer 48,25; Sach 2,1–2; Dan 8,3–12. 112 Vgl. hierzu ausführlich KEDAR-KOPFSTEIN, !rq, 181–185; vgl. auch âANDA, 1 Könige, 493–494; COGAN, 1 Kings, 491; BAUMGART, Täuschung, 81–83. 113 So FOHRER, Handlungen, 22; SCHMITT, Elisa, 197; HOSSFELD / MEYER, Prophet gegen Prophet, 28 u.a.
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entweder auf Zidkija oder als »für ihn« bzw. »ihm«114 auf den König von Israel beziehen.115 Sind die Hörner für Zidkija, dann haben sie die Funktion, den Sieg Ahabs vorher anzukündigen (vgl. 1 Chr 25,5). Sind die Hörner jedoch für den König,116 dann fungieren sie als Stärkung, damit der König durch die Kraft der Hörner die Feinde besiegen werde.117 Mit der prophetischen Zeichenhandlung versucht sich Zidkija als unabhängiger, kreativer Prophet zu profilieren, indem er seine Worte anhand einer Zeichenhandlung illustriert und zudem die Prophezeiung der Vierhundert nachträglich vereindeutigt: Durch die in den Hörnern versammelte Kraft wird Ahab Aram besiegen können. In seiner folgenden Rede deutet Zidkija sein Tun: Anders als die Propheten zuvor zitiert Zidkija JHWH (1 Kön 22,11c.d). Mit der Botenformel betont Zidkija, dass er das Wort JHWHs authentisch und wortgetreu übermittele. Damit verleiht er seinen Worten eine größere Autorität.118 Durch diese Einleitung wird die Frage, welcher Provenienz die vierhundert Propheten sind, zusätzlich kompliziert: Zidkija ist der erste Prophet in 1 Kön 22, der explizit auf JHWH Bezug nimmt, was die vierhundert Propheten zuvor nicht getan haben. Bei ihnen war unklar, wessen Propheten sie sind. Aber Zidkija, der sich selbst als JHWH-Prophet präsentiert, ist aus ihrer Gruppe hervorgetreten. Dies könnte erstens bedeuten, dass auch die vierhundert Propheten JHWH-Propheten sind. Oder es könnte bedeuten, dass die vierhundert Propheten und Zidkija unterschiedlichen Gottheiten angehören. Das würde die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen erhöhen, weil sie als Propheten unterschiedlicher Gottheiten die selbe Meinung vertreten würden. Drittens könnte es aber auch bedeuten, dass Zidkija, weil er aus der Gruppe der vierhundert Propheten stammt, wie diese auch ein AscheraProphet sei, der sich der Sprachform der JHWH-Botenrede bedient, ohne
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So KEEL, Siegeszeichen, 132; KEDAR-KOPFSTEIN, !rq, 187. Weil es ein singularisches Pronomen ist, kann es sich nicht auf 1 Kön 22,10 beziehen, weil hier die beiden Könige genannt sind, sondern muss sich von daher auf den König von Israel in 1 Kön 22,9 zurückbeziehen, der ja sowieso als der entscheidende Handlungsträger in der ganzen Erzählung fungiert. Dieser Vers 10 überspringende Rückbezug verstärkt den Charakter von 1 Kön 22,10 als ein den Hintergrund erläuternder Einschub. 116 Nur in diesem Sinne interpretiert KEEL die Übergabe der Hörner in Form einer Hörnerkappe an den König als Mittel, mit dem der König in Zukunft Aram besiegen wird; die Hörner werden den König in einen unbesiegbaren, triumphierenden Stier verwandeln, vgl. KEEL, Siegeszeichen, 125.129.132, mit Abbildungen. 117 Beide Möglichkeiten siehe WÜRTHWEIN, Könige, 259. WALSH interpretiert den Plural ›Hörner‹ als ein ›Paar Hörner‹ und nimmt an, dass diese als Symbol für die Koalition der beiden Könige stehen (Kings, 347). 118 Das letzte Mal ist die Botenformel von Elija in 1 Kön 21,19 verwendet worden; in 1 Kön 20 hat die Botenformel eine zentrale Funktion in der Erzählung (vgl. für Ben-Hadad in 1 Kön 20,3.5, für JHWH in 1 Kön 20,13.14.28.42, vgl. auch 1 Kön 17,14). 115
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wirklich ein JHWH-Bote zu sein. Damit würde er sich als JHWH-Prophet maskieren, um die Kriterien des gesuchten Propheten zu erfüllen. Der Inhalt des durch Zidkija übermittelten Gotteswortes unterscheidet sich (auf den ersten Blick) deutlich von dem, was die vierhundert Propheten zuvor gesagt haben – Zidkija profiliert sich mit einer ganz eigenen, von den Anderen deutlich abgrenzenden Rede. Mit dieser signalisiert er, dass er eine eigene Botschaft hat, die sich sprachlich und symbolisch von der der anderen Propheten abhebt. Zidkija spricht in der zweiten Person Singular (1 Kön 22,11c–d) nur den König von Israel an. Mit dem Verb »niederstoßen« (xgn) wird ein gewaltsames Niederstoßen und Schlagen bezeichnet (vgl. Ex 21,28.29.31.32.36; Ps 44,6; Dan 11,40). Die eisernen Hörner dienen als Waffe. Hieraus ergeben sich zwei Deutungsmöglichkeiten: Zum einen könnte es sich um eine aufmunternde Äußerung handeln, die dem König durch die Hörner Erfolg versprechen, zum anderen könnte es eine Hypothese sein: »Mit solcher Kraft – so sie bei dir ausreichen sollte – magst du Aram niederstoßen können.«119 In Kombination mit »Hörnern« (!r,q,) findet sich das Verb »niederstoßen« (xgn) nur noch im Segen des Mose über Joseph, dessen Hörner wie die Hörner eines Büffels seien, der mit diesen alle Völker niederstoße (vgl. Dtn 33,17; Ez 34,21). Auf intertextueller Ebene würde damit Zidkija Dtn 33,17 inszenieren.120 In jedem Fall sagt Zidkija Ahab Gewalt, Macht und Stärke zu, wie Mose dies Joseph zugesagt hat. Die Rekurrenz auf den Mosesegen ist hier mehr als nur eine Motivparallele: Mit dem Bezug auf Dtn 33,17 wird Zidkija als Mose präsentiert, der wie dieser einen Segen über Ahab (als Joseph) spricht und ihm zusichert, alle Völker niederzustoßen. Damit verweist Zidkija auf den Ursprung Israels und erinnert den König von Israel an die Macht, die Mose Joseph zugesprochen hat, dessen Nachkommen Efraim und Manasse sein Königsreich bilden. Zugleich wird Zidkija mit diesem Verweis als ein in der Tradition bewanderter Prophet charakterisiert, der seine Aussage in Mose, dem Maßstab aller Prophetie (Dtn 18,15.18), verankert. Das Ziel des Schlagens wird mit dem doppeldeutigen Satz: ~t'L{K;-d[; angegeben. Weil das Verb als Infinitiv constructus mit Personalsuffix konstruiert ist, kann der Satz sowohl als »bis du sie zerstörst« als auch als »bis sie (dich) zerstören« übersetzt werden.121 Auf diese Weise ist dieser Satz in zwei divergierende Richtungen deutbar: als Sieg oder auch als Niederlage Ahabs. Und damit ist auch Zidkijas Prophetie mehrdeutig und nicht auf 119
So BAUMGART, Täuschung, 83. Damit könnten auch magische Vorstellungen zusammenhängen: »Die prophetische Handlung ist hier vielleicht nicht nur sprechend, sondern auch zauberhaft gemeint: Man macht der Gottheit vor, was sie tun soll und sucht den wirklichen Hergang durch nachahmendes Vormachen herbeizuzwingen«, GRESSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung, 279. 121 So auch DE VRIES, Prophet against Prophet, 43. 120
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eine eindeutige Aussage festzulegen. Wie die vierhundert Propheten vor ihm und wie Micha nach ihm ist seine Prophetie sowohl ›falsch‹, als auch ›wahr‹ – oder besser: Sie steht jenseits von ›wahr‹ und ›falsch‹, weil sie die Frage auf die Seite der szenenintern Zuhörenden bzw. der Lesenden verschiebt, die jeweils selbst entscheiden, wie sie diesen Satz hören. Ahab hört diesen Satz als Sieg, wie der Kontext nahe legt.122 Durch die Mehrdeutigkeiten der Aussage ist es den Lesenden, aber auch den zuhörenden szeneninternen Figuren möglich, die Aussgen der Propheten gegenzulesen. Das Verb ›aufhören, verzehren, vernichten‹ (hlk) wird in der letzten Erzählung über Elischa am Ende des Elija-Elischa-Zyklus wieder aufgegriffen (2 Kön 13,17).123 In der Erzählung über Elischas Tod wird auch eine prophetisch initiierte Zeichenhandlung beschrieben, die Elischa deutet. Weil aber die Haltung von Joasch, dem König von Israel, nicht entschlossen ist, wird die Prophezeiung des Schlagens von Aram (!) zurückgenommen und auf einen dreifachen Sieg reduziert (2 Kön 13,19). Auf diese Weise wird ein Bogen von der Erzählung über Ahabs Tod zu der Erzählung über Elischas Tod gespannt, in denen beide Male das Schlagen der Aramäer mit einer Zeichenhandlung thematisiert wird. Neben diesem Bogen zum Ende des Elija-Elischa-Zyklus spannt sich aber auch ein zweiter, kürzerer Bogen zum Ende dieser Erzählung: Beide Lektüremöglichkeiten – ein Sieg oder eine Niederlage – begleiten die Lesenden, und erst am Ende der Erzählung erhalten diese eine Antwort, ohne aber zu wissen, was der intendierte Sinn der sprechenden Figur in der ursprünglichen Sprechsituation war. Der Angriff auf Aram endet für Ahab mit dem Tod und für Israel und Juda mit einer militärischen Niederlage – und damit hat Zidkija proleptisch vorweggenommen, was tatsächlich geschieht: Ein König hat einen anderen niedergestoßen (1 Kön 22,11d) – allerdings war dies der König von Aram und nicht Ahab (1 Kön 22,34b). In 1 Kön 22,12 wird geschildert, was sich zeitgleich zu Zidkijas Auftritt abspielt: Durch das im Partizip stehende Verb ~yaiB.nI wird wieder das, was von den vierhundert Propheten berichtet wird, als Hintergrundschilderung markiert und mit der Aktion und Rede Zidkijas synchronisiert. Über die Rekurrenz der Wurzel (abn) und der Verbform (Partizip) wird zugleich die Hintergrundschilderung von 1 Kön 22,10b wiederaufgenommen: Während die vierhundert Propheten weiterhin prophezeien, hat Zidkija die Hörner gemacht und seine Worte gesprochen. In der Erzählabfolge wird allerdings 122
Zidkijas ›Antwort‹ geht dabei interessanterweise weit über das hinaus, was eigentlich gefragt ist: Während die Frage ganz konkret lautete, ob der König nach Ramot-Gilead hinaufziehen soll, überbietet Zidkija in seiner Antwort die Frage, indem er einen Sieg über Aram in Aussicht stellt. 123 Im Elija-Elischa-Zyklus findet es sich sonst nur noch in 1 Kön 17,14.16 und in 2 Kön 10,25.
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umgekehrt zuerst die neu einsetzende Handlung Zidkijas und dann erst die im Hintergrund ablaufende Handlung der Propheten geschildert, so dass die Lesenden zuerst mit dem konfrontiert werden, was Zidkija sagt und macht, erst dann wird geschildert, was die anderen Propheten zeitgleich tun. Durch dieses Arrangement der fabula in der story wird die Wahrnehmung des Geschehens über die Aktion Zidkijas fokalisiert, so dass die positiv-bestätigende Rede Zidkijas gegenüber dem König die mehrfache Deutbarkeit der Worte der Propheten überhöht, weil das im Lektüreprozess zuerst Geschilderte den Deutehorizont für das Folgende darstellt. Auf diese Weise bewirkt die zuerst geschilderte Aktion Zidkijas eine Monosemierung der Rede der vierhundert Propheten, die sie selbst nicht aufweist. Die Partikel ›so‹ (!Ke) ist wiederum doppelt deutbar: Zum einen kann sie anaphorisch als Bestätigung der Rede Zidkijas gelesen werden: So wie Zidkija sprechen auch alle vierhundert Propheten; damit würde die den König bestätigende Rede Zidkijas den Deuterahmen für die Worte der vierhundert Propheten abgeben.124 Zum anderen kann sich die Partikel aber auch kataphorisch auf die nun folgende Rede der Propheten beziehen. Dann besteht kein inhaltlich-kausaler Zusammenhang zwischen der Rede Zidkijas und der der vierhundert Propheten, das ›so‹ würde vielmehr die Aufmerksamkeit auf das Folgende lenken, indem schlicht geschildert wird, was die Propheten zeitgleich zu Zidkija sagen. Durch die Doppelung der gleichen Wurzel in Substantiv und Verb (~yaiB.nI ~yaibiN>h;-lk'w>) wird das Prophetische deutlich betont. Zugleich wird durch die Wiederholung von abn die Hintergrundschilderung von 1 Kön 22,10b aufgegriffen, aber es wird ein anderer Akzent gesetzt: Statt des Hitpael von abn, dem ein negativer, ironisierender Beigeschmack im Sinne von »sich als Prophet gebärden« anhaftet (vgl. 1 Kön 22,8d.10b), wird hier die Nifal-Form verwendet, der der negative Klang fehlt. Damit wandelt sich auf der Erzählebene das Prophetenbild: Während mit der HitpaelForm die Betonung auf dem sich prophetisch Gebärden liegt, insinuiert die Nifal-Form eher, dass die folgende Rede wirkliche Prophetenrede ist.125 Die folgende Rede der Propheten scheint zunächst nur eine Wiederaufnahme ihrer Prophezeiung aus 1 Kön 22,6f–g zu sein. Was allerdings wie eine reine Wiederholung aussieht, weist vier charakteristische Abweichungen und Unterschiede auf:
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Daher vermutet HOUSE (Kings, 236 vgl. ähnlich LANDERSDORFER, Könige, 132), dass Zidkija der Anführer der vierhundert Propheten sei oder zumindest im Namen aller gesprochen habe; dies ist allerdings keineswegs zwingend dem Text zu entnehmen. HAMILTON, Nets of Prophecy, 652 versteht Zidkija im Anschluss an PHILLIPS, The Ecstatic’s Fathers, 193 als ›Vater‹ der 400 Propheten. 125 Vgl. JEREMIAS, aybn, 16.
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2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre 1 Kön 22,6f–g
1 Kön 22,12b–d
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d['l.GI tmor' hle[] xl;c.h;w> `%l,M,h; dy:B. hw"hy> !t;n"w>
`%l,M,h; dy:B. yn"doa] !TeyIw>
Die Aufforderung hinauszuziehen wird erstens durch die Angabe des Zielorts Ramot-Gilead ergänzt (1 Kön 22,6f.12b). Die Rede der Propheten wird zweitens um den Satz »es möge gelingen bzw. sei erfolgreich« (xl;c.h;w> 1 Kön 22,12c) erweitert. Das Verb xlc126 hat ein breites semantisches Spektrum und ist daher nur schwer auf eine Bedeutung festzulegen; häufig meint es in übertragenem Gebrauch ›gelingen / Erfolg haben‹.127 Zudem ist man in 1 Kön 22,12c mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass das Verb ohne Objekt steht, so dass unklar ist, was gelingen soll. Der Imperativ bezieht sich auf den König und setzt damit die Anrede an den König aus 1 Kön 22,12b ohne Subjektwechsel fort. Mit dem Imperativ könnte der Wunsch gemeint sein, dass der König erfolgreich sein möge, ohne eine Zusage zu machen, dass der König erfolgreich sein werde. Zugleich könnte er aber auch ein Befehl an den König sein, dass er erfolgreich zu sein habe. Das Verb xlc steht – gerade wenn es mit Menschen als Subjekt verwendet wird – in einem theologischen Bezugsrahmen: ›Gelingen‹ und ›Erfolg‹ können nur aus Gottes Mitsein und Beistand entstehen (vgl. Ps 1,3). Damit wird deutlich, dass das Vorhaben des Königs von Israel nicht ohne das Gelingenlassen durch JHWH zu einem erfolgreichen Ende geführt werden kann. So wird in der zweiten Rede der Propheten durch die Einfügung von xl;c.h;w> die Notwendigkeit göttlichen Beistands ins Spiel gebracht. Damit hängt die dritte Veränderung zusammen: Das offene yn"doa] (1 Kön 22,6g) wird nun zu JHWH (1 Kön 22,12d) verändert. Dadurch wird erstmals Eindeutigkeit geschaffen und das bisherige Bedeutungsspektrum der Prophezeiung reduziert. Der in 1 Kön 22,6g noch mögliche Bezug auf den König von Israel ist nun ausgeschlossen. JHWH ist das Subjekt der Aussage »und JHWH wird geben in die Hand des Königs«. So bleibt die Offenheit des Satzes allerdings in Bezug auf die Identifizierung des Königs und des Objekts bestehen: Welchem König wird was gegeben? Handelt es sich um den König von Israel, dann würde der zuvor geäußerte Wunsch, erfolgreich zu sein, ihm einen Sieg zusagen. Dies wäre eine Aussage, wie man sie von den zu Ahab gehörenden Propheten erwarten würde. Ist aber mit dem »König« ein anderer als der König von Israel, etwa der König von Aram, gemeint, dann würde dies bedeuten, dass JHWH, der Gott Israels, den Sieg in die Hand des gegnerischen Königs geben und Israel seiner Macht ausliefern wird. 126 127
Das Verb xlc kommt im Elija-Elischa-Zyklus nur in 1 Kön 22,12c.15g vor. Vgl. SÆBØ, xlc, 551–554; HAUSMANN, xlc–1046.
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Kap. IV: 1 Kön 22
Das Verb !TeyIw> aus 1 Kön 22,6g wird viertens zu einer we-AK-Form (!t;n"w>) verändert. Damit verschiebt sich die Aussage: Während !TeyIw> in 1 Kön 22,6g zwischen Zukunftsaussage, Wunschform und finaler Bedeutung changiert, drückt die AK-Form (!t;n"w>) eine künftige Handlung als zeitliche und logische Folge aus dem vorangegangenen Imperativ aus.128 Durch die Temporalveränderung wird der Charakter der Zukunftsaussage als Zusage verstärkt. Damit verliert das Verb sowohl den Wunschcharakter als auch die durch die finale Bedeutung erzeugte Konnotation eines vorhandenen Plans, die es in 1 Kön 22,6d noch hatte. Durch den neu eingeschobenen Imperativ xl;c.h;w> kann man das In-die-Hand-Geben als logische Konsequenz aus dem Wunsch des Erfolgreich-Seins lesen, man kann es aber auch kontrafaktisch lesen: Der Wunsch, erfolgreich zu sein, sagt noch nichts darüber aus, in wessen Hand (und Macht) JHWH etwas (den Sieg?) zu geben gedenkt. Damit verschieben sich in der zweiten Rede der Propheten die Akzente. Im Ganzen werden die Mehrdeutigkeiten etwas reduziert.129 Dennoch aber bleibt die Interpretation der Worte der Propheten von der eigenen Lektüre abhängig, die auf mindestens zwei Arten gelesen werden können:130 Sie können erstens systemstabilisierend den Kriegszug bejahen und den Plänen des Königs zustimmen, sie können aber auch zweitens als Warnung vor einem Krieg verstanden werden. Die Differenz der Worte der Vierhundert zu der eindeutig königsfreundlichen Prophezeiung von Zidkija ist so deutlich, so dass man in keiner Weise davon sprechen kann, dass die vierhundert Propheten »im Chor die Weissagung ihres Oberhauptes«131 wiederholen würden. 2.2.5. Der Bote und Micha (1 Kön 22,13–14) Von der Erzählkonstruktion knüpft 1 Kön 22,13–14 an 1 Kön 22,9 an und erzählt, was sich zeitgleich zum Auftritt Zidkijas in 1 Kön 22,11–12 ereignet hat. Daher ist das in 1 Kön 22,13–14 Beschriebene als Rückblick (x-AK) gestaltet, so dass der Erzählfaden von 1 Kön 22,9 erst in 22,15 wieder aufgenommen wird. Die komplexe Zeit- und Handlungskonstruktion im vierten und fünften Teil des ersten Abschnitts fällt besonders auf, weil sich zuvor die Zeit der fabula und die Zeit der story gedeckt haben und sich damit die Chronologie des Geschehenen in der Erzählfolge widergespiegelt hat. Dass verschiedene Handlungsabläufe zeitlich parallel liegen, charakterisiert das Geschehen als dicht und komplex. Zudem retar128
GESENIUS, Grammatik, §112p. Dagegen behauptet NELSON, Kings, 147–148, dass das zweite Orakel ein »even clearer promise of victory« sei. 130 So auch CRÜSEMANN, Elia, 113. 131 LANDERSDORFER, Könige, 132. 129
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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diert es den erwarteten Auftritt Michas vor den Königen, was die Spannung erhöht. Durch die zeitgleiche Schilderung132 des Auftritts von Zidkija und des Holens von Micha präsentiert die Erzählstimme die beiden Figuren als Konkurrenten und Antipoden: Während der König einen Boten geschickt hat, um Micha als JHWH-Propheten zu holen, und dieser Bote, wie sich zeigen wird, die Botschaft des Königs eigenmächtig variiert, tritt zeitgleich Zidkija auf, der sich als der gesuchte Prophet mit Botenformel präsentiert. So wird der gefragte Prophet Micha, dessen Worte höchst unbeliebt und unbequem zu sein pflegen, durch das Auftreten des ungefragten Propheten, dessen Botschaft beliebt und erwünscht ist, kontrastiert. Damit stehen zwei JHWH-Propheten gegeneinander. Während der König von Israel widerwillig nach dem JHWH-Propheten sendet, präsentiert sich Zidkija als von JHWH gesandt. Die neue Szene wird eröffnet, indem das Lexem »Bote« (%a'l.m;)133 für jene Figur, die in 1 Kön 22,9 als »Beamter« (syrIs') bezeichnet worden ist, betont voran steht. Eingeblendet wird der Moment, als der Bote bei Micha ankommt. Doch bevor deren Begegnung geschildert wird, wird in die Vergangenheit zurückgegriffen und erklärt, dass der Bote geschickt worden war, um Micha zu rufen (arq). Dies greift inhaltlich auf 1 Kön 22,9 zurück, um dort anzusetzen, wo der zweite parallel stattfindende Erzählstrang seinen Ausgang nimmt. Damit wird erstens der Kontrast zu dem zuvor Erzählten angezeigt, zweitens die neu einsetzende Handlung markiert und drittens der erwartete Auftritt Michas noch einmal retardiert. Auf diese Weise wird auf der Ebene des Erzähltextes die Spannung durch Retardierung erhöht, während auf der Ebene der Reden Eile angezeigt ist, so dass die Aufforderung des Königs an den Boten, sich zu beeilen (1 Kön 22,9c), auf der Erzähltextebene kontrastiert wird. Der Bote tritt hier erstmals aktiv als sprechende Figur auf und eröffnet die Kommunikation mit Micha. Er, der geschickt wurde, um Micha zu rufen, geht selbst über seinen Auftrag hinaus; in seiner Rede schildert er das Geschehene (1 Kön 22,13c) und leitet daraus zwei Bitten ab (1 Kön 22,13d.e), die beide durch die Partikel an" eingeleitet werden. In der Rede wird viermal das Wortfeld ›sprechen‹ (rbd)134 verwendet. In dieser Szene (1 Kön 22,13–14) konzentrieren sich mit sechs Belegen knapp die Hälfte aller Belege dieses Wortfeldes der gesamten Erzählung. Ihre Dichte weist auf die besondere Funktion des Wortfelds hin: Die Redeeinleitung (1 Kön 22,13a) und die Selbstaussage Michas über sein Reden (1 Kön 22,14d) 132
So auch CANCIK, Grundzüge, 199. Signifikanterweise leitet er seine Rede nicht mit der Botenformel ein. 134 Das Wortfeld ›sprechen‹ (rbd) findet sich in 1 Kön 22,1–40 vierzehn Mal: als Substantiv in 1 Kön 22,5b.13c.13dbis.19b.38d.39a (als »Wort JHWHs« in 1 Kön 22,5b.19b.38d) und als Verb in 1 Kön 22,13c.13e.14d.16c.23b.24d.28c.38d. 133
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Kap. IV: 1 Kön 22
bilden einen Rahmen um die vierfache Verwendung des Wortfeldes in der Rede des Boten, die sich in alternierender Abfolge zweimal auf die »Worte der Propheten« (~yaiybiN>h; yreb.DI; 1 Kön 22,13c.d) und zweimal auf das Reden Michas (1 Kön 22,13d.e) beziehen. Damit wird die Ausgangssituation für das Holen Michas, nämlich die Frage nach dem Wort JHWHs, in der Rede aufgegriffen und verschärft. Der Bote thematisiert somit aus seiner Perspektive das Sprechen Michas, noch bevor dieser überhaupt etwas gesagt hat: Aus seiner Optik ist die alles entscheidende Frage, wie sich das Wort Michas zu dem Wort der Propheten verhält. Dabei ist signifikant, dass durch die gleiche Verteilung der Belege die Reden der Propheten und die Rede Michas gleichgewichtig erscheinen. Daher bittet er Micha, dass seine Rede doch »gut« (bAj; vgl. 1 Kön 22,13e) sein möge, wie die »gute« (bAj; vgl. 1 Kön 22,13c) Rede der Propheten. Diese Qualifizierung kann sich nur auf die erste Prophezeiung (1 Kön 22,6f.g) beziehen, denn nur diese hat er von der Erzähllogik der fabula mitbekommen können. Die Prophezeiungen Zidkijas und die zweite Prophezeiung der vierhundert Propheten finden zeitgleich statt und entziehen sich daher der Kenntnis des Boten. Durch seine Interpretation als ›gut‹ zeigt der Bote, dass er aus seiner Perspektive die erste Rede der Propheten als Unterstützung für den König liest. Mit dieser Aussage des Boten wird in der Erzählung selbst eine mögliche Lektüre der polysemen Aussage von 1 Kön 22,6f–g präsentiert. Daher bittet er Micha um eine entsprechend konforme Aussage: Die (vielen) Worte der (vielen) Propheten (beides im Plural!) seien wie aus einem Mund (dx'a,-hP; 1 Kön 22,13c) und gut für den König gewesen (bAj; 1 Kön 22,13c). Daher möge das Sprechen Michas wie ein Wort von ihnen (~h,me dx;a; rb;d>Ki; 1 Kön 22,13d) und vergleichbar gut sein (bAj; 1 Kön 22,13e). In der Rede des Boten wird somit sowohl mit der Singular-PluralDifferenz (mehrere Worte – ein Wort; viele Propheten – ein Prophet) als auch mit ihrem semantischen Kontrast gespielt, ohne allerdings ihr Gegenteil (›schlecht‹) zu nennen. Mit dem Lexem ›gut‹ (bAj) wird zugleich auf die Worte des König in 1 Kön 22,8d zurückgewiesen, in denen dieser thematisiert hat, dass Micha stets ›schlecht‹ und nie ›gut‹ über ihn spricht. Aus dieser Rede des König wird ebenso der Gedanke des Einen (dx'a,; 1 Kön 22,8b) aufgegriffen: Der gesuchte, eine Mann steht den vielen Propheten gegenüber, die wie aus einem Mund sprechen (1 Kön 22,13c), weswegen der eine Bote (vgl. 1 Kön 22,9a) Micha bittet, wie einer von ihnen zu sprechen (1 Kön 22,13d). Das Adjektiv »gut« (bAj) rahmt die Rede des Boten ein (1 Kön 22,13c.e) und markiert Ausgangspunkt und Zielpunkt seiner Bitte. Auf die beschwörende Rede des Boten antwortet Micha, indem er seine Worte mit einem Schwur bei JHWH (hw"hy>-yx;; 1 Kön 22,14b) und der emphatischen Partikel yKi (1 Kön 22,14c) eröffnet. Während der Bote sich ganz auf das Verhältnis der Worte der Propheten und der zu erwartenden
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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Worte Michas bezogen hat, verschiebt Micha in seiner Antwort diese Perspektive: Statt nach den Worten der Propheten (~yaiybiN>h; yreb.DI; 1 Kön 22,13c) als zentralem Bezugspunkt zu fragen, rückt er die Frage nach den Worten JHWHs in den Mittelpunkt, die der Bote gar nicht in den Blick genommen hatte. Micha stellt klar, dass er nur das sprechen wird (1 Kön 22,14d), was JHWH ihm sagen wird (1 Kön 22,14c).135 Durch die Futurform (rm;ayO) wird angezeigt, dass Micha noch kein JHWH-Wort erhalten hat. Auch in der folgenden Erzählung wird an keiner Stelle berichtet, dass JHWH ihm etwas gesagt hätte. Diese Leerstelle ist entweder als etwas, was erfolgt, aber nicht erzählt ist, zu interpretieren, oder Micha hat in der Zwischenzeit tatsächlich kein Wort JHWHs erhalten. Je nachdem ändert sich der Status der folgenden Aussagen Michas grundlegend: Während bei der ersten Lektüremöglichkeit seine Aussagen unter dem von Micha selbst etablierten Kriterium, Wort JHWHs zu sein, stehen, ist er bei der zweiten Lektüremöglichkeit davon entpflichtet, dass das, was er im Folgenden sagen wird, tatsächlich das Wort JHWHs sein muss. Signifikanterweise ist weder die erste (1 Kön 22,15f–h) noch die zweite (1 Kön 22,17b–f) Antwort als eine ihm übermittelte JHWH-Rede gestaltet. Erst seine dritte Rede (1 Kön 22,19b–23b) erhält den Status »Wort JHWHs« (1 Kön 22,19b), die ihrerseits aber gerade kein ›Wort JHWHs‹ übermittelt, sondern zwei Visionen erzählt, in denen JHWH als sprechende Figur auftritt. Diese wäre nach seinem Schwur nur dann tatsächlich das Wort JHWHs, wenn er die Vision auf dem Weg nach Samaria gesehen hätte. 136 Hat er sie aber bereits vorher erhalten, ist Micha an seinen Schwur, nicht zu sagen, was ihm JHWH sagen wird, nicht gebunden, da er diese bereits erhalten hat. Daher stellt Michas Schwur keineswegs sicher, dass es sich bei dem, was er in Samaria sagen wird, tatsächlich um das Wort JHWHs handelt. 2.3. Micha in Samaria (1 Kön 22,15–28) Der im Zentrum der Erzählung stehende und sich in fünf Teile gliedernde zweite Abschnitt (1 Kön 22,15a–d.15e–16. 17–18.19–23. 24–28) beginnt mit dem Auftritt Michas in Samaria. Dieser Auftritt »disturb everyone, maybe even the reader.«137 Micha wiederholt zunächst die Prophezeiung der Vierhundert. Nach Aufforderung des Königs von Israel schildert Micha dann zwei Visionen, die zu seiner Verurteilung führen.
135
Vgl. die Bezüge zur Bileam-Erzählung Num 22,28; 23,12.26; 24,13: In dieser betont Bileam immer wieder, dass er nur das sagen wird, was JHWH ihm sagen wird. 136 Nach âANDA zeigt die Futur-Form rm;ayO an, dass »der Prophet in jenem Augenblicke noch keine innere Offenbarung verspürte. Sie muß ihm aber auf dem Wege zur Tenne zuteil geworden sein«, âANDA, 1 Könige, 494; vgl. ähnlich REHM, 1 Könige, 217. 137 HOUSE, Kings, 236.
268
Kap. IV: 1 Kön 22
2.3.1. Die Frage des Königs (1 Kön 22,15a–d) Nach der Szene zwischen dem Boten und Micha (1 Kön 22,13–14), die als Rückblende eingeschoben ist, um zu schildern, was zeitgleich zum Auftritt Zidkijas stattfindet (1 Kön 22,11–12), laufen nun die beiden Fäden der Erzählung zusammen, so dass story und fabula wieder zeitidentisch sind. Der durch die beiden Szenen und die situative Hintergrundschilderung in 1 Kön 22,10 unterbrochene Handlungsverlauf hat die Situation aus drei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet: erstens das Setting der Szene in Samaria (22,10), zweitens das weitere Geschehen vor Ort (22,11–12) und drittens das Holen von Micha durch den Boten (22,13–14). Der mittlere Abschnitt wird nicht nur durch einen Wechsel in der Zeitstruktur, sondern auch durch einen Ortswechsel (in Bezug auf 1 Kön 22,13–14) und eine erweiterte Figurenkonstellation eröffnet. Die neue Szene wird durch die singularische Formulierung »und er kam« eingeleitet, die sich auf das Subjekt der letzten Szene bezieht (1 Kön 22,14a).138 Damit ist klar, dass Micha gemeint ist. Von dem Boten ist keine Rede mehr; er ist ganz aus dem Blick geraten. Sein weiteres Schicksal wird nicht erzählt – wie später auch Micha selbst ganz aus dem Blick gerät und sein weiteres Schicksal nicht erzählt wird (vgl. 1 Kön 22,24–28). Wie zuvor bei der Beauftragung des Boten eröffnet der König das Gespräch (1 Kön 22,13c–e). Damit wird Micha als einer charakterisiert, der reagiert, und nicht als jemand, der von sich aus zuerst aktiv wird. Um welchen der beiden Könige es sich handelt, wird nicht weiter spezifiziert. Während der König von Israel nur unter der Bezeichnung »der König« erscheint, Joschafat aber auch ohne Titel, nur mit seinem Namen genannt wird (vgl. z.B.1 Kön 22,4a.c.5a.7a.8a etc.),139 ist es wahrscheinlich, dass hier eher der König von Israel als der König von Juda gemeint ist; zumal ersterer ja der Aktive ist, der Micha hat holen lassen und auch schon die Prophetenbefragung in 1 Kön 22,6 durchgeführt hat. Andererseits ist es das Interesse von Joschafat, einen JHWH-Propheten zu fragen (vgl. 1 Kön 22,7b), so dass auch er die Frage an Micha richten könnte. Der Text bleibt an dieser Stelle offen. Diese Offenheit in Bezug auf den Sprecher zieht sich durch den ganzen Dialog hindurch (vgl. 1 Kön 22,16a). Die Szenen- und Redeeinleitung selbst (1 Kön 22,15a.b) sind parallel formuliert, obwohl ein Subjektwechsel vorliegt. Der König stellt nun die Frage, die er an die Propheten gerichtet hat (1 Kön 22,6c–d), an Micha, wenn auch mit drei Unterschieden: 138 Es wird nicht explizit geschildert, wo die Szene stattfindet, man kann aber davon ausgehen, dass die Versammlung am Stadttor von Samaria fortgesetzt wird (1 Kön 22,10), weil kein Ortswechsel erzählt wird, die anderen Figuren noch präsent sind, 1 Kön 22,15a an 1 Kön 22,9 anknüpft und den Erzählfaden von dort wieder aufnimmt und weitererzählt. 139 Abgesehen von 1 Kön 22,40a.
269
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre 1 Kön 22,6c–d
1 Kön 22,15c–d
hm'x'l.Mil; d['l.GI tmor'-l[; %leaeh; lD'x.a,-~ai
hm'x'l.Mil; d['l.GI tmor'-la, %lenEh] Why>k'ymi lD'x.n `%l,M,h; dy:B. hw"hy> !t;n"w>
hle[] xl;c.h;w> `%l,M,h; dy:B. hw"hy> !t;n"w>
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Die Antwort von Micha erstaunt in zweifacher Hinsicht: Erstens ist es überaus merkwürdig, dass Micha genau dieselbe Antwort wie die vierhundert Propheten gibt, obwohl er nicht anwesend war und diese nicht kennen konnte. Die wechselseitige Bestätigung in gegenseitiger Unkenntnis scheint zweitens ihre jeweilige Authentizität zu beweisen: Wenn zwei Propheten unabhängig voneinander dasselbe sagen, dann spricht dies für die Glaubwürdigkeit ihrer Worte. Doch selbst dem König kommen angesichts solch harmonischer Prophetie Zweifel, gerade weil er Micha als unbequemen Querdenker kennt. Dies ist der einzige Grund, den die Erzählung selbst für die Zweifel des Königs nahe legt; andere Anzeichen wie Mienenspiel und Ton der Stimme142 oder ironisches Nachäffen143, sind reine Spekulation. Die Befragung von Micha steht innerhalb der bisherigen Erzählung in zweifacher Parallele: Zum einen steht der Auftritt Michas in Analogie zum Auftritt Zidkijas (1 Kön 22,11–12). Zum anderen ist die Befragung Michas durch den König ganz in Parallele zur Befragung der vierhundert Propheten aufgebaut: Frage des Königs (1 Kön 22,6c–d) Antwort der Propheten (1 Kön 22,6f–g) Überlegungen der Könige (1 Kön 22,7a–8g) Holen Michas (1 Kön 22,9.13–14)
Frage des Königs (1 Kön 22,15c–d) Antwort Michas (1 Kön 22,15f–h) Entgegnung des Königs (1 Kön 22,16b–c) zweite Antwort Michas (1 Kön 22,17b–f)
141 Zwischen 1 Kön 22,12b–d und 1 Kön 22,15f–h lässt sich nur ein Unterschied finden: In 1 Kön 22,15f wird wie in 1 Kön 22,6g kein Zielort genannt, während in 1 Kön 22,12b Ramot-Gilead steht. 142 So REHM, 1 Könige, 217; vgl. ähnlich HOSSFELD / MEYER, Prophet gegen Prophet, 31: »Es muß dabei jedermann deutlich geworden sein, daß er hier nicht seine eigene Rolle spielte.« 143 So WÜRTHWEIN, Könige, 258.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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Auf die eröffnende Frage des Königs (1 Kön 22,6c–d // 22,15c–d) folgt eine identische Antwort (1 Kön 22,6f–g // 22,15f–g) und in beiden Fällen reagiert die fragende Seite, weil diese der Antwort nicht traut. So fragt Joschafat in der ersten Szene nach, ob es nicht noch einen JHWH-Propheten gebe, den man zusätzlich befragen könne (1 Kön 22,7b–c), um die Authentizität der Aussagen sicherzustellen. Während Joschafats Bedürfnis durch die Bestätigung aufgrund der exakt gleichen Antwort Michas gestillt sein könnte, meldet der andere König Bedenken und zweifelt an der Aussage Michas. Der König antwortet144 Micha in Form einer rhetorischen Frage (vgl. 1 Kön 22,3b–d) bzw. eines fragenden Ausrufs, der durch das Fragepronomen hM,K;-d[; »wie viele Male...?« eröffnet wird (1 Kön 22,16b–c). Damit rekurriert er wieder auf die den Lesenden unbekannte Beziehung zwischen dem König und Micha (vgl. 1 Kön 22,8). Obwohl Micha exakt dieselbe Antwort wie die vierhundert Propheten gegeben hat, mit der der König bei den Vierhundert zufrieden war, hakt er nun nach. Er glaubt Micha nicht, dass er die Wahrheit sage, während er die Aussage der Vierhundert nicht in Zweifel gezogen hat. Daher erinnert er ihn daran (externe Retrospektion), dass er ihn bereits zuvor häufig beschworen habe, die Wahrheit zu sagen (1 Kön 22,16b–c): Offensichtlich hat er Micha schon öfters verdächtigt, die Unwahrheit zu sagen oder zu lügen, so dass er Micha bereits zuvor mit einem besonderen Schwur auf die ›Wahrheit‹ JHWHs verpflichtet hat.145 Die Formulierung ›nur die Wahrheit‹ (tm,a/-qr;) findet sich in der Hebräischen Bibel nur in 1 Kön 22,16c (und in der Parallelstelle 2 Chr 18,15). Was aber hier mit »Wahrheit« (tm,a,) gemeint ist, bleibt offen. Die Aufforderung des Königs, nichts als die Wahrheit zu sagen, könnte wie ein Motto über der ganzen Erzählung stehen, denn genau dies ist ihr Thema. Die zweite Anforderung an Micha ist grammatisch mehrdeutig: Die Erzählstimme lässt offen, ob Micha »im Namen JHWHs« (hw"hy>-~veb.) die Wahrheit sagen soll, oder ob er die Wahrheit sagen soll, wenn er »im Namen JHWHs« (hw"hy>-~veb.) spricht;146 möglicherweise soll beides gleichermaßen gehört werden. Interessanterweise ist die erste Prophezeiung Michas in 1 Kön 22,15f–h nicht explizit im Namen JHWHs erfolgt, JHWH kommt nur als handelndes Subjekt in seiner Aussage vor. Obwohl die Antwort des Königs suggeriert, dass er Micha, wenn dieser die Wahrheit sagt, Unversehrtheit zusichert, schickt er Micha später für seine Aussage ins Gefängnis (vgl. 1 Kön 22,27). Die spannende Frage der Erzählung ist nun, inwiefern die beiden Merkmale »Wahrheit« und »im Namen JHWHs« im Weiteren gefüllt werden. 144
Dass die Frage »genervt« gestellt sei, behauptet WERLITZ, Könige, 197. So auch COGAN, 1 Kings, 491. 146 So auch WALSH, Kings, 349. 145
272
Kap. IV: 1 Kön 22
2.3.3. Die zweite Antwort Michas und die zweite Reaktion des Königs (1 Kön 22,17–18) In seiner zweiten Antwort nimmt Micha nicht direkt zu der gestellten Frage Stellung, sondern berichtet von zwei Visionen. Das Verhältnis dieser Antwort zur ersten ist schwierig zu bestimmen: Widerspricht die zweite Antwort seiner ersten, hebt sie diese auf oder verstärkt sie diese? Zudem ist unklar, ob die zweite Rede Michas auf das, was der König zuvor gesagt hat, eine Antwort ist bzw. ob sie der doppelten Anforderung des Königs, »nur die Wahrheit im Namen JHWHs« zu sagen, entspricht. Beide Visionen gliedern sich in narrative Partien, in denen geschildert wird, was Micha gesehen hat (1 Kön 22,17b–d; 22,19d.20a–21c.23a–b; K III) und in Partien, in denen Micha wörtliche Rede wiedergibt (1 Kön 22,17e–f und 22,20b–22h; K IV). Damit wird er als sprechende Figur zur ›Erzählstimme‹ auf der dritten Kommunikationsebene (K III). Die Visionsschilderungen haben narratologisch den Status von ›Erzählungen‹, die in eine Rede eingebettet sind, und die jeweils nach »ich habe gesehen« beginnen (1 Kön 22,17b.19c). In der ersten ›Erzählung‹ tritt nur JHWH als sprechende und handelnde Figur auf, in der zweiten sind es JHWH und ›der Geist‹ (K IV). 147 Weil Micha als erzählende Figur auf der Ebene der Erzählung (K II) anwesend ist, ist er als erzählende Figur intradiegetisch. Da er in den von ihm berichteten Visionen nicht als Figur auftritt (K III), ist er als erzählende Figur heterodiegetisch. Als heterodiegetische Erzählstimme liefert er alle Konstitutiva (Raum, Zeit, Figuren, Handlung) der von ihm etablierten Textwelt. Zugleich zeichnet er sich in Bezug auf ›seine‹ Textwelt durch Omnipräsenz und Allwissenheit aus. Damit ergibt sich ein (reizvoller) Widerspruch zum Erzählten selbst: Grundlegend für die von Micha ›gesehenen‹ Welten ist die aus außertextlichem Weltwissen stammende Überzeugung, dass JHWH als Gott nicht an Raum und Zeit gebunden ist und Menschen normalerweise unzugängliche Dinge ›sehen‹ lassen kann. Dieses Weltwissen verwendet die (in ihrer Funktion gottähnliche) Erzählstimme (K II), um Micha als eine gottähnliche, erzählende Figur zu legitimieren, um in der von ihm etablierten Textwelt JHWH als zentrale Figur auftreten zu lassen. Dabei sagt Micha nicht, dass JHWH ihn etwas habe sehen lassen (har im Hifil), sondern dass er etwas gesehen habe (har im Qal [!]). An keiner Stelle der Erzählung wird die Herkunft der Visionen als von JHWH kommend behauptet, vielmehr macht Micha selbst deutlich, dass er es ist, der etwas gesehen habe. Weil Micha in seiner Erzählung selbst nicht auftritt und sich nur als neutraler Berichterstatter dessen gibt, was er gesehen habe, präsentiert sich 147 Durch die Redeeinleitung »und xy sprach« (hw"hy> rm,aYOw:; 1 Kön 22,17d.20a) werden ihre Reden wie eine Rede auf K II eingeleitet, was bewirkt, dass JHWH und der Geist (1 Kön 22,20a.21c.21e.22a.22d) auf die gleiche Ebene gestellt werden.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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Micha als nicht in das von ihm erzählte Geschehen involviert. Seine Position reduziert er auf die eines anwesenden Zeugen, was die Funktion hat, sich als authentisch zu erweisen. Dies ist nicht nur angesichts seines erzählten Geschehens, sondern besonders angesichts der unüberprüfbaren Visionen umso wichtiger. Während die Erzählstimme als Produzentin der Figur ›Micha‹ den Eindruck erzeugt, dass Micha ›objektiv‹ schildert, was er gesehen und was sich im Thronrat Gottes zugetragen habe, ist es tatsächlich genau umgekehrt: Alles, was die, die Micha zuhören, erfahren, ist ausschließlich aus seiner Perspektive fokalisiert.148 Die interne, homodiegetische Fokalisierung bewirkt, dass sich die in der Szene anwesenden Figuren und die Lesenden in der gleichen Position befinden und den gleichen Informationsstand haben: Beide sehen und hören nur durch Micha. Durch die Verbform (ytiyair') wird signalisiert, dass es sich um eine Retrospektion auf ein in der Vergangenheit liegendes Geschehen handelt. Dabei wird zeitlich nicht fixiert, wann Micha das Berichtete gesehen hat: Hatte er die Vision kurz vorher? Oder hat er sie an dem nicht näher spezifizierten Aufenthaltsort, an dem der Bote ihn getroffen hat, gesehen? Hat er sie vor der ersten Prophezeiung der vierhundert Propheten gesehen? Ebenso ist unklar, in welchem Verhältnis seine Worte zu der aktuellen Situation stehen, die den Anlass für die Frage gibt: Hat Micha das Gesehene im Kontext und in Bezug auf die Frage eines Eroberungszuges nach Ramot-Gilead gesehen? Oder hat er das, was er berichtet, unabhängig davon erfahren? Crüsemann vermutet, dass die beiden Ratsversammlungen parallel getagt hätten und daher insgeheim aufeinander eingewirkt hätten.149 Sicher ist nur, dass das, was Micha gesehen hat, in der Vergangenheit liegt und nun in einer internen Retrospektion erzählt wird, auch wenn offen bleiben muss, wo der starting point und ihr Relationspunkt liegen und an welcher Stelle sich die Retrospektion zeitlich mit der Zeit der Erzählebene trifft. Michas zweite Vision beginnt mit einem Höraufruf, der durch das Lexem »darum« (!kel') eingeleitet wird (1 Kön 22,19b). Diese Verknüpfung vernetzt die erste Vision kausal mit der zweiten. In der zweiten wird die Begründung für das, was Micha in der ersten Vision gesehen hat, beschrieben. Von der Zeitanordnung her liegt die zuerst erzählte Vision nach der zweiten: Während also die erste beschreibt, was im ›Futur II‹ geschehen 148
Dass die Perspektive klar durch Micha fokalisiert ist, machen die Einleitungen zu den beiden Visionen »ich habe gesehen« (ytiyair'; 1 Kön 22,17b.19c) auch semantisch deutlich. Das Verb »sehen« har ist ein Terminus Technicus aus der Sprache des Visionsberichts (ZIMMERLI, Ezechiel, 41*), der sich auf den Vorgang der Schauung bezieht, aber auch das Hören einschließt. Dem entspricht, dass hier zuerst beschrieben wird, was Micha gesehen habe und er dann wiedergibt, was er gehört habe; vgl. die Einleitung eines Visionsbericht mit har z.B. in Jes 6,1; Am 7,1 vgl. Jer 38,21 u.ö. 149 Vgl. CRÜSEMANN, Elia, 110.
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Kap. IV: 1 Kön 22
wird, wird in der zweiten Vision erzählt, wie es dazu kommen wird: JHWH hat in seinem Thronrat beschlossen, den Geist auszusenden (zweite Vision), dessen Ergebnis die Zerstreuung Israels ist (erste Vision). Durch die Anordnung in der story wird vom Ergebnis (Zerstreuung Israels) zurückgefragt, wie es dazu kommen konnte. Daher liegt die erste Vision auch im Kontext der Erzählzeit in der Zukunft und ist insofern eine analeptische Antizipation, während die zweite Vision eine reine Retrospektion ist: Die Beschlüsse des Thronrates JHWHs liegen zurück und wirken sich bereits in der aktuellen Situation der Erzählung aus. Die anachronische Komplexität von Retrospektion und Antizipation hängt mit der besonderen Gebundenheit an die visuelle Wahrnehmung Michas zusammen, die als Vision und subjektive Anachronie eine Reproduktion von Bewusstseinsschilderungen ist.150 Als solche sind Visionen kaum unter chronologischen Aspekten analysierbar. Bei subjektiven Anachronien, in denen Vergangenheit und Zukunft ineinander verwoben sind, geht es weniger, um das Entflechten von Vergangenheit und Zukunft, sondern vielmehr um den Moment des Sprechens selbst. Damit ist der eigentliche zentrale Aspekt der Vision weder das in der Vergangenheit Gesehene noch das, was in Zukunft geschehen wird, sondern der Moment, indem Micha die Visionen ausspricht, und die Frage, wie die Visionsschilderungen auf die Zuhörenden wirken. Denn die Visionen beeinflussen die Zuhörenden und ihre Art und Weise, wie sie zukünftig handeln werden. Ob das von Micha retrospektiv Gesehene tatsächlich eine Antizipation ist oder nicht, hängt somit entscheidend davon ab, inwiefern sich die Zuhörenden das von Micha Gesehene zu Eigen machen und in ihr Handeln umsetzen.151 Michas Vision gliedert sich in zwei Teile: Zuerst beschreibt er das, was er gesehen hat (1 Kön 22,17b–c), anschließend gibt er die Worte JHWHs in wörtlicher Rede wieder (1 Kön 22,17e–f). Micha ›sieht‹ »ganz Israel versprengt (#wP)152 auf den Bergen«. Das von Micha Gesehene wird dann durch die Vergleichspartikel K. (»wie Schafe«, !aCoK;) im Bild des Hirten gedeutet. Daher muss zwischen dem, was Micha gesehen hat, und dem, wie er es sprachlich darstellt und damit interpretiert, unterschieden werden: Micha hat keine Schafe und keine Hirten gesehen, sondern er hat 150
Man könnte hier auch von einer Art ›Bewusstseinbericht‹ (stream of consciousness) sprechen. 151 Die Frage der Zeitkonstruktion gilt in analoger Weise auch für die Frage der Raumkonstruktion: Die Visionen Michas sind kein existenter, sondern ein virtueller Raum, der als Visionsraum anderen Regeln folgt. 152 Das Verb #wP hat die Grundbedeutung »überfließen« (vgl. Spr 5,16) und hat im Kontext der Viehzucht die besondere Bedeutung ›zersprengen einer Herde‹ und ›zerstreuen von Tieren‹ entwickelt (vgl. 1 Kön 22,17b; vgl. Num 27,17; Jer 23,1–2; Ez 34,1–6; Sach 13,7); diese Verwendung wird als Bild auf Menschen übertragen und auf verschiedene Situationen angewendet; vgl. RINGGREN, #wP, 544–545.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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›Versprengte‹ gesehen, die er mit ›versprengten‹ Schafen vergleicht. Insofern liegt hier eine kurze, dürre Beschreibung vor, die erst durch die Metapher anschaulich wird. Nur die Sachhälfte, das versprengte Israel, wird von JHWH in seiner Rede aufgegriffen (1 Kön 22,17e.f).153 Wenn Micha berichtet, dass er in seiner Vision ganz Israel wie Schafe verstreut auf den Bergen ohne Hirten gesehen habe (1 Kön 17b–c), ist dies keine direkte Antwort auf die ursprüngliche Frage des Königs, ob er in den Krieg ziehen soll oder nicht. Allerdings wird damit nahe gelegt, dass es Krieg gegeben hat, dieser nun vorbei ist und der König offenbar gefallen ist. Das im Partizip stehende Verb »verstreuen« (#wP)154 wie auch der als Nominalsatz gestaltete Relativsatz drücken beide einen Zustand aus. Das weist darauf hin, dass die geschilderte Situation keine Momentaufnahme ist, sondern schon seit längerem besteht und noch andauern wird. Mit der von Micha zitierten Rede JHWHs wird in dieser Erzählung ein zweites Mal JHWH-Rede als Rede in der Rede wiedergeben (K IV; vgl. 1 Kön 22,11d).155 JHWH deutet das Gesehene, indem er sagt, dass »diese« keine »Herren« hätten (1 Kön 22,17e). Während Micha insinuiert, dass er in seiner Vision aus der gleichen Position wie Gott geschaut habe, haben die beiden – trotz des gleichen Bildes, das sich ihnen bietet – eine je eigene Perspektive: Während Micha von ›Hirten‹ spricht, spricht JHWH von ›Herren‹ (~ynIdoa]).156 Wer diese ›Herren‹ sind, wird nicht gesagt. Wie die Hirten nicht die Besitzer der Herde sind, aber diejenigen, die Verantwortung und Sorge für ihre Herde tragen, haben offensichtlich die ›Herren‹ Sorge und Verantwortung für »ganz Israel«157: Damit ist die politische und militärische Führungsriege, in erster Linie also die Könige an der Spitze des Staates gemeint, zumal Könige in der biblischen Literatur explizit mit einem Hirten verglichen werden (vgl. 2 Sam 5,2; 7,7).158 Auffallenderwei153
Dass in der Vision Michas eine wörtlich von JHWH wiedergegebene Rede folgt, bedeutet, dass Micha wie JHWH aus einer ähnlichen Perspektive auf die Berge schauen und das Gesehene berichten kann. 154 Das Verb »verstreuen« (#wP) kombiniert mit dem Motiv des Hirten ohne Herde bzw. der verstreuten Herde (!aco) findet sich neben 1 Kön 22,17 (und 2 Chr 18,16) in Jer 23,1–2; Ez 34,5; Sach 13,7 und steht meist im Kontext, in dem Prophetie thematisiert wird; in der überwiegenden Mehrzahl der Belege bezeichnet es aber die Zerstreuung im Exil; vgl. RINGGREN, #wP, 545–546. 155 Die JHWH-Rede gliedert sich in zwei Sätze: Der erste schildert das Gesehene erneut (1 Kön 22,17e) und der zweite beinhaltet die aus seiner Beobachtung resultierende Anweisung (1 Kön 22,17f). 156 Wie bereits das von Micha Gesehene steht die Deutung JHWHs im Nominalsatz, so dass wieder der andauernde Zustand betont wird. 157 WALSH (Kings, 349) vermutet unter Verweis auf 1 Kön 16,16–17 und 20,15, dass der Ausdruck »ganz Israel« militärische Konnotationen habe. 158 Die Metapher vom Hirten für den König findet sich im Alten Orient in Sprichwörtern wie »Ein Volk, das keinen König hat, [ist wie] Schafe, die keinen Hirten haben«, vgl. LAM-
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Kap. IV: 1 Kön 22
se ist hier aber eben nicht explizit vom König, sondern von ›Herren‹ im Plural die Rede. Eine Erklärung für den Plural könnte sich zum einen daraus ergeben, dass mit den ›Herren‹ die Führungsschicht angesprochen ist, wie sie in dieser Erzählung am Anfang in 1 Kön 22,3a und mit dem ›Beamten‹, der als Bote zu Micha geschickt wird (1 Kön 22,9.13), sichtbar wird. Eine weitere Möglichkeit ist der direkte Adressatenkreis der Zuhörer Michas; seine Antwort richtet sich dabei nicht nur an den fragenden König, sondern an beide Könige. Beide zusammen sind in spezieller Weise die ›Hirten‹ und ›Herren‹ von ›ganz Israel‹. In dieser Erzählung kommt das Lexem ›Herr‹ (!Ada') nur an zwei Stellen vor: In 1 Kön 22,6g wird es auch in einer prophetischen Rede der vierhundert Propheten verwendet, bei der offen ist, ob sich das Lexem ›Herr‹ auf JHWH, auf den König von Israel oder auf den König von Aram bezieht. Die Prophezeiung der Vierhundert, in der eben auch Sieg oder Niederlage thematisiert werden, wird von Micha aufgegriffen: Herrenlos geworden fordert JHWH jeden Mann auf, in ›Frieden‹ bzw. ›unversehrt‹ (~Alv')159 in sein Haus zurückzukehren (1 Kön 22,17f). Damit erscheint der König als der Hirte bzw. Herr, der als Beschützer seiner Anvertrauten versagt hat und gerade keinen Schalom garantiert. Erst ohne Herrn ist es dem Volk möglich, in Frieden nach Hause zurückzukehren. Das bedeutet, dass aus der Perspektive JHWHs Frieden und Rückkehr erst ohne König möglich sind.160 Dieser Zeit geht allerdings eine Zeit der Zerstreuung und Not voraus.161 JHWH stellt somit eine Rückkehr in das eigene Haus in späterer Zukunft als Friedensvision in Aussicht. Dies entspricht signifikanterweise genau der aktuellen Situation der Erzählung, in der seit drei Jahren Frieden herrscht. Erst der Kriegsplan des Königs von Israel, Aram wegen Ramot-Gilead anzugreifen, droht diesen Frieden zu zerstören. Der den Frieden zerstörende Hirte und Herr der Vision kann somit als Ahab gelesen werden, der gerade dabei ist, mit seinen Plänen den herrschenden Frieden zu zerstören. JHWH stellt ihm eine Niederlage für Israel und seinen Tod in Aussicht. Die JHWH in den Mund
BERT,
Babylonian Wisdom Literature, 229 IV, 14–15. Just in dieser Erzählung sind die Könige zudem mit (außen-)politischen und militärischen Fragen beschäftigt; auf diese Weise wird die Ausgangsfrage, ob ein Eroberungszug nach Ramot-Gilead geführt werden soll, aktualisiert. 159 Das Lexem ~lv kann sowohl »Frieden« als auch »unversehrt, wohlbehalten« bedeuten. Zu seiner Funktion als Leitwort in 1 Kön 22 vgl. EISENBEIS, Die Wurzel ~lv, 116–120. 160 FRITZ missversteht den königskritischen Impetus der Metapher im erzählerischen Kontext von 1 Kön 22, wenn er interpretiert: »Der Sinn des Vergleichs ist klar: wie Schafe ohne Hirten verloren sind und zugrunde gehen, so kann Israel ohne die Leitung durch einen König nicht bestehen« (FRITZ, Könige, 198). 161 Die Deutung dieser Aussage erfolgt auf der Ebene der gesamten Königsbücher, vgl. Kap. V. 2.2.1.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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gelegten Worte sind daher keine »enigmatic interpretation«162, sondern passgenau auf die Erzählsituation abgestimmt. Auf die Ausgangsfrage, ob der König von Israel und Joschafat in den Krieg gegen Aram um Ramot-Gilead ziehen sollen, geht Micha nicht explizit ein. In seinen Visionen wird der Krieg bereits als zurückliegend vorausgesetzt, der mit einer Niederlage Israels geendet hat; JHWH geht in seiner Rede explizit auf die Zeit nach diesem Krieg ein. Damit wird die nächste Zukunft, in der es Krieg mit einer Niederlage geben wird, übersprungen. Weil Micha in Bildern und Vergleichen spricht und keine direkten Antworten oder Anweisungen gibt, ist auch seine Antwort, wie die seiner Kollegen, nicht eindeutig und lässt mehrere Deutungen zu. Dennoch gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen den Visionen Michas und der Rede Zidkijas auf der einen und den beiden Reden der Vierhundert und Michas erster Rede auf der anderen Seite: Letztere werden nicht als Gottesrede eingeführt, sondern sind Worte der Propheten, die eine Empfehlung aussprechen; sie geben ihre Meinung, aber kein explizites Gotteswort wieder. Davon sind deutlich die Rede Zidkijas und die Visionen Michas zu unterscheiden: Zidkija und Micha deklarieren ihre Rede als Wort JHWHs (1 Kön 22,11c.19b). Dies stellt die Frage nach dem Verhältnis zwischen der ersten Antwort Michas und seiner zweiten und dritten, in der er die Visionen schildert. Hier sind verschiedene Verhältnisbestimmungen denkbar. Erstens: Wenn die erste Antwort durch die zweite revidiert würde, würde das bedeuten, dass die erste Antwort ›falsch‹ war und dass Micha bewusst gelogen hätte, als ›falscher‹ Prophet aufgetreten wäre und Falsches verkündet hätte. Damit hätte er seiner Ankündigung, nur das Wort JHWHs zu verkünden, zuwidergehandelt und hätte eine linientreue, machtgerechte Antwort gegeben, wie der Bote es von ihm verlangt hat. Zugleich hätte dann der König recht, der Micha per Schwur verpflichtet hat, die Wahrheit zu sagen und nicht zu lügen (1 Kön 22,16b–c). Oder zweitens: Die erste Antwort könnte durch die zweite aufgehoben sein, so dass die zweite Antwort einfach ein erneuter Antwortversuch wäre.163 Oder drittens: Beide Antworten sind – auf ihrer je eigenen Art – wahr. Damit würde Micha seiner Aussage, nur das Wort JHWHs zu verkünden, gerecht werden. Und es würde bedeuten, dass die erste Antwort Michas keine Heilszusage ist, sondern eine Unheilsankündigung und mit dem erwähnten ›König‹ nicht der König von Israel, sondern der König von Aram gemeint ist. Damit wäre die identische Prophezeiung der vierhundert Propheten, die aus der Perspektive der bei162
1 Kings, 268. »Though many interpreters suggest that Micaiah was deliberately lying, it is better to interpret his words as a preliminary message expressive of a patriotic strain in his ideology« so DE VRIES, 1 Kings, 268. 163
DE VRIES,
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den Könige als Heilsankündigung gehört wird, im Mund Michas eine Unheilsankündigung. Micha wäre nur in diesem Fall ein durchgängig ›wahrer‹ Prophet, der sich nicht vor der Macht beugt und verbiegen lässt. Damit würde das, was die vierhundert Propheten sagen, das von dem Boten als das ›Gute‹ verstanden worden ist, plötzlich zum ›Unheil‹ und zum ›Schlechten‹ für den König.164 Egal welcher der drei Interpretationen und Verhältnisbestimmungen man folgt, bei jeder wird die Grenzlinie zwischen ›wahr‹ und ›falsch‹, ›richtig‹ und ›falsch‹ undeutlich und verschwommen. 1 Kön 22,18 erscheint als Einschub und »parenthetical interruption«165. Der Eindruck einer Zwischenbemerkung ist ein Beiseite-Sprechen des Königs, das eigenständig stattfindet und die Visionsschilderungen Michas nicht tangiert. Statt auf Micha einzugehen, wendet sich der König von Israel, der sich angesprochen fühlt, an den König von Juda. Erst hier wird nun plausibel, dass der nicht genau zu identifizierende Gesprächspartner Michas der König von Israel sein dürfte. Dieser wendet sich an Joschafat mit einer rhetorischen Frage, in der er diesen an seine früheren Worte erinnert, die er zitiert (1 Kön 22,18b–d vgl. 22,8d). Mit diesem Rückbezug wird der Beginn des Holens Michas aktualisiert: Der König von Israel hatte ja vor Micha gewarnt und sieht sich nun in seiner Warnung bestätigt.166 Der König von Israel, der Micha nicht will, weil er ihm bisher nur Schlechtes gesagt hat, verlangt nun von Micha, nur die Wahrheit zu sagen, um sich anschließend über die von ihm eingeforderte Aussage zu beschweren. 2.3.4. Die zweite Vision Michas (1 Kön 22,19–23) In der story hat die Bemerkung des Königs von Israel zu Joschafat die Rede Michas unterbrochen. Dass in 1 Kön 22,19a ein Subjektwechsel (vom König zu Micha) stattfindet, der in der Redeeinleitung nicht angezeigt wird, sondern nur durch den Inhalt der Worte deutlich wird, zeigt, dass die Rede Michas aus 1 Kön 22,17 ohne Unterbrechung in der fabula fortgeführt wird und die Bemerkung des Königs von Israel zeitgleich als Beiseite-Sprechen erfolgt ist. Michas weitergeführte Rede ist analog zur ersten aufgebaut (1 Kön 22,17b–f), allerdings ist sie deutlich länger (1 Kön 22,19a–23). Eingeleitet wird die zweite Vision, wie die erste, durch »ich habe gesehen« (ytiyair') 164 Vgl. ähnlich TIEMEYER, Prophecy, 338: Sie hält die Vierhundert wie Michas erste Antwort für ›wahr‹, weil Gott Ahab nicht warnen wollte; beide prophetischen Auskünfte seien vom Lügengeist abgefälscht. 165 WALSH, Kings, 350. 166 Beachte die unterschiedliche Segmentierung der identischen Aussage 1 Kön 22,8d und 22,18c.d (RICHTER, Biblia hebraica transtricpta, 273.277); dies ist in der Transkription bei STIPP, Elischa, 172.173 korrigiert.
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(direktes Objekt: hw"hy>-ta, und folgender Partizipialkonstruktion). Darauf folgt wie in der ersten Vision das, was Micha gesehen (1 Kön 22,19c–d) und dann das, was JHWH gesagt hat (1 Kön 22,20a vgl. 22,17e–f), anschließend ein ausführlicher Dialog zwischen JHWH und dem Geist (1 Kön 22,20–23). Durch die singularische Redeeinleitung (»hör!«) wird deutlich, dass Micha nicht alle Versammelten anspricht, sondern sich speziell an eine Person richtet. Aufgrund des folgenden Inhalts kann er als direkten Adressaten nur Ahab im Blick haben. Micha schildert in dem, was er sagt, eine Vision, die er mit dem Höraufruf »Darum, hör das Wort JHWHs« einleitet (hw"hy>-rb;D> [m;v. !kel'; 1 Kön 22,19b).167 Durch den Aufmerksamkeitsruf168 präsentiert sich Micha als ›Bote‹, der, wie in diplomatischen Kontexten üblich (vgl. 2 Kön 18,28), das ›Wort‹ seines Herrn übermittelt. Die Redeeinleitung selbst ist nicht Teil der Vision, die Micha als erzählende Figur schildert, sondern sie ist von der Figur Micha gesprochen. Daher ist signifikant, dass er seine Vision mit einer Formel eröffnet, die in der biblischen Prophetie Gerichtsworte einleitet. Auf diese Weise stellt Micha seine folgende Vision in den Gerichtskontext. Micha deutet somit proleptisch seine folgende Vision als Gericht JHWHs über Ahab. Durch diese Redeeinleitung hat die Vision selbst die Position der Anklage und der Unheilsankündigung. Damit insinuiert Micha, dass die von ihm im Folgenden geschilderten Beratungen über die Betörung Ahabs Gericht über Ahab halten. Mit dieser Einleitung kombiniert Micha als Sprecher zwei prophetische Gattungen: das Gerichtswort und die Vision. Die Vision wird dabei strukturell an die Stelle der Anklage und Unheilsankündigung positioniert, ohne den König direkt anzuklagen oder ihm Unheil anzukündigen. Insofern wird mit der Kombination der prophetischen Redeformen mit der Differenz von Form und Inhalt gespielt. Mit dem Anspruch, das ›Wort JHWHs‹ (hw"hy>-rb;D>) zu vertreten, betont Micha zugleich der von Joschafat Gesuchte zu sein: Durch ihn könne man das ›Wort JHWHs‹ befragen (1 Kön 22,5b). Damit wird zugleich auf Michas Selbstaussage verwiesen, in der er betont hat, nur das zu sagen, was JHWH ihm sage (1 Kön 22,14c). Zugleich wird mit der semantischen Doppeldeutigkeit von rb'D' als ›Wort‹ und ›Sache‹ gespielt: Der Ausdruck ›Sache JHWHs‹ ist für das Folgende insofern adäquat, als Micha keine Botschaft JHWHs übermittelt, sondern eine Geschichte über JHWH erzählt,169 der er als ›Wort JHWHs‹ Autorität verleiht. Nun folgt eine Beschreibung dessen, was Micha gesehen hat (»ich habe gesehen« ytiyair'; 1 Kön 22,19c–d). Wie in der ersten Vision ist auch in der 167
Zur Visionsschilderung vgl. FORNARA, La Visione Contraddetta, 166–170. Vgl. SCHWEIZER, Elischa, 388. 169 So auch WALSH, Kings, 350. 168
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zweiten der Blick der Lesenden durch die Perspektive Michas intern fokalisiert: Wie sie zuvor mit ihm und JHWH auf die Berge blicken konnten, so wendet sich nun der Blick durch die Augen Michas auf JHWH und die ihn umgebende Szene, wobei nicht klar ist, wo sich JHWH mit seinem Hofstaat aufhält.170 Man ist schnell geneigt, diese Szene unseren Vorstellungen gemäß im ›Himmel‹ zu verorten, was vom Text her nur durch die Bezeichnung ›Himmelsheer‹ verankert wäre; sonst aber findet sich in der Erzählung auffallenderweise keine Ortsangabe. So korrespondiert der nicht genannte Aufenthaltsort JHWHs und seines Thronrats mit dem in der Erzählung lange nicht genannten Versammlungsort der Könige und ihres ›Thronrats‹, dessen Beschreibung erst in 1 Kön 22,10 erfolgt. Micha erzählt aus seiner Perspektive, was er gesehen hat: JHWH sitzt auf seinem Thron und das Himmelsheer steht zu seiner Rechten und Linken (1 Kön 22,19c–d). Die Partizipien in der Schilderung machen deutlich, dass es sich hierbei um eine Hintergrundschilderung handelt. Diese aktualisiert die ebenso als Hintergrundschilderung gestaltete Beschreibung der Szenerie der Könige in Samaria (1 Kön 22,10a–b vgl. 22,12a). Anders als die erste Hintergrundschilderung, die nachgeliefert wird, steht hier die Beschreibung der Szene am Anfang. Dabei werden die beiden Könige mit JHWH parallelisiert, von denen jeweils erzählt wird, dass sie auf ihrem Thron sitzen (bvy).171 Beide sind von ihrem Hofstaat umgeben, so dass das Pendant zum Himmelsheer vor JHWH die Propheten vor den Königen sind.172 Während die Propheten vor den Königen prophezeien, befindet sich das Himmelsheer über ihm und rechts und links von JHWH (AlamoF.miW Anymiymi wyl'[' dme[o). Diese unterschiedliche Positionierung fällt hier als eine Differenz auf und erhält in 1 Kön 22,21b Bedeutung. Wenn die Propheten mit JHWHs Hofstaat parallelisiert werden, dann werden sie durchaus positiv geschildert. Damit wird eine Szene erzählt, die an Ijob 1,6–12173 (vgl. auch Jes 6,1–3;174 Ps 82; Ez 1,10.12; 3,12–14) erinnert. Doch beide Szenen unterscheiden sich auch signifikant voneinander: In 1 Kön 22 werden die, die JHWH die ganze Zeit 170
Vgl. zur Vorstellung des himmlischen Thronrats NEEF, Thronrat. Das Verb »sitzen, wohnen« (bvy) findet sich in dieser Erzählung neben 2 Kön 22,10a.19c nur noch in 1 Kön 22,1a zur Schilderung des anfänglichen Zustands der Ruhe und des friedlichen Wohnens. 172 Aufgrund der Beratungsfunktion des Himmelsheers wird dieses nicht nur mit den Propheten, sondern auch mit dem Beratungsgremium des Königs am Anfang der Erzählung parallelisiert. 173 Vgl. hierzu auch OEMING / SCHMID, Hiobs Weg. 174 Vgl. hierzu das Urteil von GRESSMANN (Die älteste Geschichtsschreibung, 280): »Während Jesaja mit meisterhafter Kunst die majestätische Unnahbarkeit des heiligen Gottes zum Ausdruck bringt, zeichnet sich die hier geschilderte Szene durch ihre köstliche Naivität aus, deren Reiz man sich nicht durch sittsame Betrachtung verderben sollte.« 171
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umgeben, als »Himmelsheer« (~yIm;V'h; ab'Ûc.-lk') bezeichnet, an die sich JHWH mit einer Frage wendet und aus denen ein einzelner »Geist« (x;Wr) hervortritt, während in Ijob 1,6–12 »Gottessöhne« (~yhiêl{a/h' ynEåB.) mit einem eigenen Anliegen zu JHWH kommen; aus ihrer Gruppe tritt »der Satan« (!j"ßF'h;) als Sprecher hervor. Dieser ist durch die Bezeichnung »Satan« von vorneherein negativ konnotiert, während das Spezifikum von 1 Kön 22 gerade darin besteht, dass der Geist, der JHWH einen Vorschlag unterbreitet, eben nicht negativ beschrieben wird, sondern sich nur anbietet, als ›Täuschungsgeist‹ zu wirken. Darüberhinaus geht die Initiative in 1 Kön 22 von JHWH und nicht wie im Ijobprolog vom Satan aus. Wie sich der Satan deutlich von dem Geist aus 1 Kön 22 unterscheidet, so ist auch die Differenz zwischen den »Gottessöhnen« und dem Himmelsheer deutlich. Das Himmelsheer hat zudem in 1 Kön 22 keinen göttlichen Status,175 sondern erscheint klar JHWH untergeordnet und in das JHWH-System integriert. Mit der Visionsschilderung präsentiert sich Micha als jemand, der bei Gottes Ratsversammlung anwesend war. Damit werden biblische Texte evoziert, in denen es um Kriterien ›wahrer‹ Prophetie geht: Zum einen wird in Jer 23,18.22 die Anwesenheit in Gottes Ratsversammlung als Voraussetzung für ›wahre‹ Prophetie geschildert, zum anderen wird in Dtn 18 als Kriterium für die ›Richtigkeit‹ das Eintreffen der zukünftigen Ereignisse etabliert (1 Kön 22,28 vgl. Dtn 18,22). Micha inszeniert sich somit als Prophet, der die biblischen Richtlinien für die wahre Prophetie voll erfüllt. Nur: Alle diese Aussagen sind Selbstaussagen Michas. Er selbst präsentiert sich als ein solcher Prophet, damit ist noch nicht gesagt, dass er tatsächlich ein solcher Prophet ist! Und vor dem Hintergrund des Jeremiabuchs kann diese Konstruktion ironisch gegengelesen werden: In Jer 23 wird als Kriterium für ›wahre‹ Prophetie der Einblick in das Innerste Gottes und die Teilnahme an einer Ratsversammlung Gottes genannt; weil dies aber unmöglich ist, könne niemand beanspruchen, wirklich Gottes Absichten zu kennen. Nach der Beschreibung dessen, was Micha gesehen hat, folgt die Schilderung des Dialogs zwischen JHWH und dem Geist, wobei das Gespräch durch JHWH begonnen wird und dann alterniert (JHWH – der Geist – JHWH – der Geist – JHWH). JHWH eröffnet die Beratungsszene mit einer Frage, in der er bereits ein konkretes Ziel benennt: Er will Ahab »verleiten« (htp). Die Wurzel htp hat im Doppelungsstamm faktitive Bedeutung
175
In der biblischen Literatur wird das Himmelsheer nicht uneingeschränkt positiv bewertet, sondern es wird auch stark kritisiert: So wird es verboten, weil das Himmelsheer im Kontext der Verehrung der Gestirne stehe (vgl. Dtn 4,19; 17,3; 2 Kön 17,16; 21,3; Jer 8,2; 19,13; 33,22).
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(»betören, verleiten, überreden«)176 und bezeichnet das Bewirken eines Zustands ohne Rücksicht auf den Hergang.177 In dieser Erzählung findet sich das Verb im Piel (1 Kön 22,20b.21d.22e) und steht ausschließlich in JHWH-Rede. Die dreimalige Verwendung macht es in dieser Szene zu einem Leitwort, das entscheidende Hinweise für die Interpretation dessen, was sich im Hofrat abspielt, liefert. Der mit dem Verb »betören, verleiten, überreden« (htp) verbundene Vorgang hat zwei Seiten: Zum einen wird das Subjekt JHWH, als derjenige, der verleitet, und zum anderen das Objekt Ahab, als derjenige, der verleitet wird, gleichermaßen charakterisiert. Es ist immer Ahab, der betört wird (1 Kön 22,20b.21d.22e), nie andere. Weil das Verb »betören, verleiten, überreden« (htp) in dieser Erzählung nur in der zitierten Rede JHWHs vorkommt (K IV), wird der Blick auf Ahab dreifach fokalisiert: Die Erzählstimme berichtet, dass Micha JHWH sprechen lässt, der seine Perspektive auf Ahab schildert. Michas JHWH bewertet Ahab in den Kategorien weisheitlichen Denkens:178 Der ›Einfältige‹ (ytiP,) wird als »jugendlich, unbesonnen und voreilig, darum auch verleitbar und töricht, aber auch lernbedürftig und lernfähig«179 charakterisiert. Deutlich wird das Profil dieses Menschentyps durch die mit dem Begriff verbundenen Synonyme und Opposita: Der »Einfältige« ist ein »Tor« (Spr 1,22.32; 8,5), der als »Knabe, Jüngling« (r[;n: Spr 1,4; 7,7) jung, unerfahren und »arm an Verstand« (ble-rs;x] Spr 7,7; 9,4.16) ist; naiv »traut er jedem Wort« (rb'D'-lk'l. !ymia]y: ytiP, Spr 14,15) und gerät so unbesonnen ins Unglück (Spr 22,3; 27,12). Der Gegentyp ist der »Weise« (~k'x' Spr 21,11), »Kluge« (~Wr[' Spr 14,15.18; 22,3; 27,12) und »Verständige« (Spr 19,25). Allerdings wird der »Einfältige« nie mit dem frevelhaften »Toren« (lb'n") oder dem »Gottlosen« ([v'r') verglichen. Weil sich der »Einfältige« »aus Unwissenheit« (vgl. Ez 45,20) verfehlt, mangelt es ihm an notweniger Reife und Vernunft, weswegen er auf besondere Belehrung und Erziehung angewiesen ist (Ps 119,130) und daher auch unter Gottes besonderem Schutz steht (Ps 116,6: hA'hy> ~yIat'P. rmevo). Eine Orientierungsinstanz zur pädagogischen Führung und Leitung können sowohl die personifizierte Weisheit (Spr 1,20–33; 8,1–21; 9,1–6.13–18) als auch die »Tora« bzw. die ›Worte JHWHs‹ (vgl. Ps 19,8; 119,130) sein, die den Mangel an Erfahrung und Wissen durch Belehrung und Bildung ausgleichen und den »Einfältigen« auf den Weg der Weisheit führen sollen. Über den durch JHWH fokalisierten Blick erhalten die Lesenden einen für Ahab wenig schmeichelhaf176
Vgl. SÆBØ, htP, 495; KBL3 925. So MOSIS, htP, 822 unter Verweis auf JENNI. 178 In der biblischen Literatur findet sich das Wortfeld »betören, verleiten, überreden« (htP) meist in weisheitlichen Zusammenhängen oder verwandten Denkhorizonten; so MOSIS, htP, 820–821. 179 SÆBØ, htP, 496. 177
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ten Einblick darin, wie er von JHWH (in Michas Darstellung) gesehen wird: Wenn es tatsächlich gelingt, Ahab zu betören, dann ist Ahab in den Augen Gottes jung, naiv und ›verleitbar‹, ein unerfahrener Jüngling, der der Belehrung und Führung bedarf, um sich nicht unbesonnen ins Unglück zu stürzen. Wie Ahab durch das Verb »betören, verleiten, überreden« (htp) beschrieben wird, so charakterisiert es auch JHWH: Signifikanterweise ist JHWH im strengen grammatischen Sinne nie Subjekt des Betörens, sondern dies ist der Geist (1 Kön 22,21d.22e), aber JHWH ist der Initiator und Ideengeber: Er sucht jemanden, der Ahab betört (1 Kön 22,20b). Der Geist ist nur der Ausführende, der den Plan JHWHs umsetzt. Durch die Betonung der aktiven Bedeutung von »betören, verleiten« erscheint JHWH als derjenige, der will, dass Ahab verleitet wird, ohne es allerdings selbst auszuführen. Die Frage, die JHWH an seinen Thronrat richtet, lautet nicht, ob er Ahab verleiten soll, sondern wie dies umgesetzt werden kann.180 Dass JHWH die Betörung nicht selbst ausführt, sondern sich eines Mittelsmannes als Werkzeug bedient,181 der von Gott beauftragt als ein ›Quasi-Prophet‹ in seine ›Kollegen‹ eindringt und diese verändert, hinterlässt einen merkwürdigen Eindruck von JHWH. Der als »Täuschungsgeist« maskierte Geist tritt damit als Gegenbild zur personifizierten Weisheit als eine Art ›Anti-Lehrer‹ auf, der statt die Unerfahrenen zu belehren, sie bewusst verführen und verleiten will. Weil das Verb »betören, verleiten, überreden« (htp) auch sexuelle Vorstellungen konnotiert,182 eröffnen sich weitere Assoziationen. Interessanterweise ist das grammatische Genus des »Geistes« maskulin, und nicht wie sonst meist, feminin konstruiert.183 In der Thronratsszene sagt der »Täuschungsgeist« nichts darüber aus, wie der Geist die Propheten zu verändern gedenkt, sondern er sichert zu, dass er die Worte der Propheten verändern und ›verfälschen‹ wird. Damit soll er genau das verwirren, was in dieser Erzählung zur Diskussion steht: das ›echte‹ Wort JHWHs. Auch in den htp-(Kon)Texten der biblischen Literatur geht es darum, Status, Qualität und Echtheit des Wortes Gottes festzustellen: Die Unterscheidung der Worte ist die größte Kunst, die darüber entscheidet, ob jemand »einfältig« (ytiP,) oder »weise« ist; so kann dasselbe Wort dazu dienen, den Einfältigen zu umgarnen, zu betören und zu Fall zu bringen (ytiP, vgl. Spr 14,15), aber auch das von Gott privilegierte und direkt von ihm kommende Wort der Belehrung sein (ytiP, vgl. 180
Diese Art der Beratung steht in Parallele zur Beratung Ahabs mit seinen Gefolgsleuten und Joschafat am Anfang der Erzählung, in der es nicht um die Frage geht, ob Krieg gegen Aram um Ramot-Gilead geführt werden soll, sondern wie dies geschehen kann. 181 So auch âANDA, 1 Könige, 495. 182 So SÆBØ, htP, 497; anders MOSIS, htP, 827.829. 183 Vgl. hierzu 1 Kön 22,21.
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Ps 19,8; 119,130), das den rechten Weg weist. Dass das gleiche Wort ›wahr‹ und zugleich ›falsch‹, ›gut‹ oder ›schlecht‹ sein kann, ist genau das, was in der Erzählung mit den identischen, aber semantisch völlig unterschiedlich lesbaren Worten der Vierhundert und Michas inszeniert wird, und was Michas Thronratsszene bestätigt: Es ist schwierig, zwischen den Worten zu unterscheiden. Diesen Möglichkeiten wird durch die Vision Michas noch eine weitere Variante hinzugefügt: Selbst der das Gotteswort ehrlich und ›echt‹ überliefernde Prophet kann – ohne es zu merken – von JHWH betört und verleitet sein! Die Analogie, die zwischen Ahab und JHWH sowie zwischen den Propheten in Samaria und dem Himmelsheer JHWHs in der Schilderung des Raumes und der Szenerie (1 Kön 22,10.19) bisher aufgebaut worden ist, wird in der Vision Michas nun weiter ausgestaltet: Die vierhundert Propheten in Samaria sind einem einzigen aus dem Himmelsheer JHWHs hoffnungslos unterlegen. Die Analogie der Ratsversammlungen in Samaria und bei JHWH macht die ›irdische‹ Hofratsszene retrospektiv zur Karikatur. Gerade weil in der Hofrastsszene Gottes Souveränität und Allmacht betont wird, wird JHWH zum Verursacher der Verführer. Damit wird ein überaus zwielichtiges Bild auf JHWH geworfen: Während der »Einfältige« eigentlich unter Gottes besonderem Schutz steht und auf Gottes belehrendes Mitsein angewiesen ist (vgl. Ps 19,8; 116,6; 119,130), legt Micha in seiner Vision nahe, dass JHWH Ahab, wie einst Delila den Simson (Ri 14,15; 16,5) oder die Sünder den unerfahrenen »Sohn« (Spr 1,10), zum »Narren« machen könnte. Doch Gott versagt hier seinen Schutz nicht dem ›einfältigen‹ Ohnmächtigen, sondern er entzieht dem ›einfältigen‹ Mächtigen seinen besonderen Schutz: Er will den König Ahab bewusst und gezielt verführen, um ihn »in einen Zustand zu versetzen, in dem er nicht mehr fähig ist, sich selbst zu behaupten, damit er in der Folge davon zu Schaden kommt«184. Deutlicher könnte die Kritik, die Micha via JHWH ausspricht, nicht ausfallen. Micha berichtet in seiner Vision von der Thronratsszene JHWHs als ein vergangenes Geschehen und insinuiert, dass es zugleich aber schon Wirklichkeit geworden ist. Das in der Vision Geschilderte ist in der Jetzt-Zeit der story, im Auftreten und in den Worten der Propheten bereits geschehen. Weil in der aktuellen Situation aber noch keine Entscheidung getroffen ist, wird es darauf ankommen, wie Ahab sich entscheiden wird, um zu sehen, ob Ahab tatsächlich ›betört‹ ist oder nicht. Daher befindet sich Ahab nach Michas Darstellung in einer Entscheidungssituation, in der ihm zwei unterschiedliche Deuteangebote gemacht werden: Er kann sich für die 184 MOSIS, htP, 828. Weil das Verb religiös-ethisch negativ gebraucht wird, muss »umso rätselvoller [...] auf diesem Hintergrund die Rede oder das Klagen über die bezwingende Betörung Gottes erscheinen«, SÆBØ, htP, 497–498.
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Propheten und Zidkija entscheiden, deren Aussagen er als eine Ermutigung zum Krieg gegen Aram hört, oder er kann auf Micha hören, der ihm in seiner ersten als Retrospektion gestalteten Vision in Form einer Antizipation geschildert hat, was in Zukunft geschehen werde. Damit werden dem König nicht nur zwei unterschiedliche Handlungsoptionen eröffnet, sondern diese werden von Micha gewertet:185 Dadurch, dass er seine Vision auf den himmlischen Thronrat offen legt, versetzt er Ahab in die Position, sich der Perspektive Michas anzuschließen und die Ratschläge der anderen Propheten als Ergebnis einer ›Verführung‹ zu lesen. Nach Micha würde Ahab, wenn er sich auf die Propheten einlässt, in die »divine trap«186 geraten und sich damit als ›betört‹ und als ›Einfältiger‹ erweisen. Somit steht Ahab in einer Entscheidungssituation zwischen der Meinung der Propheten und der durch Micha offerierte Alternative, so dass es seine Entscheidung ist, in den Krieg zu ziehen. Ahab ist Herr seiner Entscheidungen und nicht im Netz der Prophetie gefangen.187 Gottes Handeln aber ist janusköpfig: Zum einen will er Ahab ›verleiten‹ und aktiv zu Fall bringen, zum anderen ist das Geschehen so inszeniert, dass JHWH über Micha die von ihm initiierte Verführung aufdecken lässt, so dass Ahab sich entscheiden kann. JHWHs Doppelpolitik wird zu einer Lernsituation, in der JHWH als Pädagoge Ahab in eine Situation führt, in der er – so Micha – zwischen ›Einfalt‹ und ›Weisheit‹ wählen kann.188 Damit tritt hier JHWH als Verführer und Lehrer zugleich auf; ob er für Ahab zum Lehrer oder zum Verführer wird, liegt an Ahab.189 185
Vgl. ähnlich FRETHEIM, Kings, 125. WALSH, Kings, 350. 187 Vgl. hierzu auch HAMILTON, Nets of Prophecy, 651–660. 188 Einen etwas anderen Akzent legt TIEMEYER, Prophecy, 339–341: Durch die zweite und dritte Antwort Michas ist Ahab imstande, sich zu entscheiden und sein Schicksal zu beeinflussen. An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen der griechischen Vorstellung vom ›Schicksal‹, dem Menschen nicht entkommen können, und der altorientalischen deutlich, bei der die Menschen ihr Verhalten auf die vorhergesagte Situation abstimmen können; auf diese Weise sind sie nicht nur gewappnet, sondern können auch das drohende Schicksal abwenden oder abmildern, wie dies im biblischen Kontext paradigmatisch in Gen 41 aufgezeigt wird: Joseph kann durch das richtige Deuten der Träume des Pharaos und entsprechenden Vorkehrungen auf die kommende Hungersnot reagieren. Ähnlich sei Ahab in Kenntnis gesetzt worden, so dass er sein Schicksal hätte abwenden können. 189 In der biblischen Literatur tritt JHWH an drei Stellen als Subjekt der Verführung auf; alle drei Stellen teilen grundlegende Gedanken mit 1 Kön 22: In Jer 20,7 wirft Jeremia JHWH vor, ihn gezielt und bewusst getäuscht zu haben, als er ihn zum Propheten und damit zu einem »Narren« gemacht hat. Während hier JHWH als Subjekt des Verführens in der durch Jeremia fokalisierten Rede erscheint, hat Ez 14,9 einen anderen Status: Hier spricht JHWH in eigener Rede im Kontext der Frage des Götzendienstes davon, einen Propheten verleitet zu haben (vgl. Ez 13,9; zu Ez 14 vgl. MOSIS, Ez 14, 161–195; GREENBERG, Ezechiel 1–20, 286– 294). Beide Stellen thematisieren unter dem Stichwort »Gott verleitet / verführt / betört« das Thema der Prophetie; offensichtlich ist der Gedanke, dass Gott verführt in erster Linie mit der 186
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Vor dem narrativen Kontext der Erzählung in den Königsbüchern erweitert sich diese Lern- und Entscheidungssituation noch: Aus der Perspektive von 1 Kön 21 steht Ahab unter dem Fluch Gottes wegen seines Verhaltens, das ihn zu einem Mord ›verleitet‹ hat (1 Kön 21,19), so dass er jetzt die Möglichkeit erhält, sich in einem ähnlichen Fall neu zu entscheiden und das aus seiner Figurenperspektive noch bestehende Gottesurteil zu revidieren. Statt aber sein Verhalten zu ändern, setzt Ahab es fort, so dass es nicht verwundert, dass am Ende der Erzählung das Gottesurteil aus 1 Kön 21 aufgegriffen und als realisiert verstanden wird (vgl. 1 Kön 22,38). So scheint Ahab kein Opfer göttlicher Doppeldeutigkeit und prophetischer Böswilligkeit190 zu sein, sondern er ist vielmehr selbst für seine Entscheidungen verantwortlich.191 Das erste und einzige Mal in dieser Erzählung wird in 1 Kön 22,20b der König von Israel mit seinem Eigennamen »Ahab« genannt. Dabei ist es hoch signifikant, dass diese einzige Nennung192 des Königs von Israel mit seinem Eigennamen durch JHWH erfolgt und in der Vision Michas situiert ist: Während Ahab nur von JHWH mit seinem Eigennamen bezeichnet wird, ist er in Samaria immer »der König von Israel«. 193 Die Perspektive der Wahrnehmung Ahabs ist also in ›irdischen‹ Kontexten ganz auf seine Funktion als König beschränkt und damit durch die Brille seiner Untergebenen fokalisiert: Die Lesenden nehmen Ahab in der Erzählung durchgängig als höhergestellten Funktionsträger wahr. Dies ändert sich erst durch den Perspektivenwechsel, den die Lesenden vollziehen, wenn sie durch Micha Einblick in den Hofrat JHWHs erhalten: JHWH als der Höchste sieht auf Ahab herab und nimmt ihn nicht in erster Linie als Funktionsträger, sondern als Person wahr. Jemanden bei seinem Eigennamen zu nennen, bedeutet, ihn zu kennen, benennen und ansprechen zu können. Während Ahab sonst als König und Machthaber erscheint, kehrt sich dieses Verhältnis vor JHWH um: JHWH ist es, der Macht über Ahab ausübt. Er Frage nach ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie verbunden, die nicht nur 1 Kön 22 prägt, sondern die das Jeremia- wie auch das Ezechielbuch wie ein roter Faden durchzieht. Mit der zweiten ist die dritte Stelle, Hos 2,16, über das Thema des Götzen- bzw. Baalsdientes verbunden, der Gomer vorgeworfen wird; sie wird von JHWH selbst verführt und in die Wüste gelockt. Damit wird die Hoffnung verbunden, Israel in einer Exodusszenerie in den Zustand der Lernfähigkeit und Ansprechbarkeit auf JHWH zu versetzen (so WACKER, Figurationen, 76). Damit ist 1 Kön 22 nicht nur über den Gedanken des Baalsdienstes Ahabs, der sich aus dem weiteren Erzählkontext des Elija-Elischa-Zyklus ergibt, sondern gerade auch über den Gedanken des Lernens mit Hos 2,16 verbunden. 190 So ROBERTSON, Micaiah, 146; LONG, 1 Kings, 236. 191 So HOUSE, Kings, 238. 192 Unter Absehung von 1 Kön 22,40a, vgl. dort. 193 Zur Bedeutung von Namen, Namenlosigkeit und Anonymität vgl. HUBBARD, »Old What’s-His-Name«, 294–314 sowie DE VRIES, Prophet against Prophet, 44: »Neither textual nor literary criticsm offers a firm basis for emending the proper name baxa in vs. 20«.
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kann über ihn souverän bestimmen und veranlassen, dass Ahab ›betört‹ wird. Damit wird nun umgekehrt JHWH als der machtvolle König porträtiert, während der König von Israel vor JHWHs ›nur‹ Ahab und der von ihm Verführte und Betörte ist. Während die beiden Hofszenen erzähltechnisch parallel gezeichnet sind und sich spiegelbildlich entsprechen, wird deutlich, wie die Machtverhältnisse tatsächlich sind: Während von dem ›betörten‹ Ahab stets betont werden muss, dass er König ist, ist JHWH der souveräne und machtvolle König, ohne dass dies eigens betont werden muss. Seine Macht wird nicht in Worten und Beinamen, sondern in seinem Tun und Handeln ersichtlich. In der von Micha wiedergegebenen Rede verfolgt JHWH mit seinem Plan, Ahab zu betören, ein klares Ziel: Er will, dass Ahab hinaufzieht und dann in Ramot-Gilead fällt (1 Kön 22,20c.d). Das Stichwort ›hinaufziehen‹ (hl[, 1 Kön 22,20c) in der Rede Gottes weist zurück auf die beiden Prophezeiungen der vierhundert Propheten und aktualisiert die erste Prophezeiung Michas, in denen Ahab zum ›Hinaufziehen‹ ermuntert wurde (1 Kön 22,6f.12b.15f).194 Vor diesem Hintergrund erweisen sich die drei identischen Prophezeiungen als ›wahr‹ und ›echt‹ – die Propheten haben ihre Aufgabe und Funktion, den Willen Gottes kund zu tun, erfüllt, denn JHWH will tatsächlich, dass Ahab hinaufzieht. erste Rede der Propheten: 1 Kön 22,6f–g
hle[] `%l,M,h; dy:B. yn"doa] !TeyIw>
zweite Rede der Propheten und Michas erste Rede: 1 Kön 22,12b–d.15f–h
(d['l.GI tmor') hle[] xl;c.h;w> `%l,M,h; dy:B. hw"hy> !t;n"w>
JHWHs Worte: 1 Kön 22,20b–d
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Stellt man nun die drei Aussagen nebeneinander, zeigen sich vier Unterschiede: Erstens: In den Worten der Propheten ›fehlt‹ – logischerweise – die einleitende Frage JHWHs: Ging es bisher um die Frage, ob der König von Israel nach Ramot-Gilead hinaufziehen soll, wird nun deutlich, dass dies nur der vermeintliche Kontext ist, der nur aus der ›irdischen‹ Perspektive als die entscheidende Frage erscheint. Aus der Perspektive JHWHs geht es nicht in erster Linie um die Eroberung von Ramot-Gilead, sondern darum, ob sich Ahab ›betören‹ lässt. Nun steht die Frage des Kriegszugs nach Ramot-Gilead in einem völlig neuen Kontext: Statt das Ziel zu sein, ist sie
194 Vgl. zum Wechsel von dem Verb »gehen« (%lh) in den Fragen des Königs (1 Kön 22,4b.6c.15c) zu »hinaufziehen« (hl[) in den Antworten der Propheten bzw. Michas (1 Kön 22,6f.12b.15f), BAUMGART, Täuschung, 87.
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nur das Mittel.195 Damit füllt sich eine zu Beginn beobachtete Leerstelle im Text: Abgesehen von den Besitzansprüchen, die der König am Anfang geäußert hat, wird nicht deutlich, warum der König von Israel mitten in einer Periode des Friedens und des Wohlergehens einen Krieg mit seinem starken Nachbarn beginnen will. Möglicherweise ist das auch ein Grund, warum Joschafat das militärische Vorhaben Ahabs aus der Perspektive JHWHs durch einen Propheten ansehen lassen möchte. Und genau diese Einsicht erhält er durch Micha, die deutlich macht, dass es nicht um Ramot-Gilead, sondern um eine Lernsituation für Ahab geht. Zweitens: Während in der Rede JHWHs das Hinaufziehen nach RamotGilead als Konsequenz in einem Konsekutivsatz geschildert wird (l[;y:w>), ist es in den Reden der Propheten eine Empfehlung im Imperativ (hle[]). Drittens: Im Gegensatz zu den ersten Worten der Vierhundert, die sich auf diese Empfehlung beschränken, wird ihre zweite Rede und die erste Rede Michas um xl;c.h;w> erweitert mit dem Imperativ als Wunsch, dass Ahab erfolgreich sein möge. Während dies als eine positive Verheißung gehört werden konnte, wird im Vergleich zu der Aussage JHWHs nun deutlich, dass es sich um einen persönlichen Wunsch der Propheten handelt, die dem König wünschen, dass er erfolgreich sein möge, aber dieser Wunsch keinen Rückhalt bei JHWH hat. Viertens: Die Rede der Propheten endet mit dem sehr unterschiedlich zu interpretierenden Satz (%l,M,h; dy:B. hw"hy> !t;n"w>). Strukturell entspricht diesem in der Rede JHWHs der Satz d['l.GIa tmor'B.< lPoyIw>. Aufgrund der polysemen Präposition ist die Aussage doppeldeutig: Er kann erstens meinen, dass er »Ramot-Gilead überfallen«, d.h. angreifen oder zweitens dass er »bei Ramot-Gilead falle«, d.h. sterben werde.196 Damit ist selbst die Rede JHWHs mehrdeutig. Mit seiner Frage erweist sich JHWH als souveräner und machtvoller Herrscher, der ein klares Ziel vorgibt und sich mit seinen Untergebenen über die beste Strategie verständigt, dieses Ziel zu erreichen. Zugleich wird damit die Szene der Beratung des Königs von Israel mit seinen Mitarbeitern (1 Kön 22,3) evoziert: Anders als JHWH stellt der König von Israel an seine Mitarbeiter keine echte, sondern eine rhetorische Frage und 195
Daher steht die Frage des Hinaufziehens nach Ramot-Gilead nicht mehr am Anfang (2 Kön 22,6f.12b.15f), sondern als Folge in konsekutiven Sätzen am Ende (1 Kön 22,20c.d). Auf das Verb »betören, verleiten, überreden« (htP) folgen meist explikative oder konsekutive Satzfolgen (so MOSIS, htP, 824). So scheint es das Ziel JHWHs zu sein, dass Ahab hinaufzieht und in Ramot-Gilead fällt. Mit der konsekutiven Satzfolge in 1 Kön 22,20c.d wird die konsekutive Satzfolge aus 1 Kön 22,6g wiederaufgegriffen, so dass die grammatische Parallele den ›Wahrheits‹-Gehalt der ersten Prophezeiung erhöht. 196 So auch âANDA, 1 Könige, 495; vgl. auch WALSH, Kings, 351: »he wishes Ahab to ›fall upon Gilead Heights‹, that is, both to attack it and to be felled there«; ähnlich GRAY, Kings, 452, der wegen der Uneindeutigkeit für ein »early date of the passage« plädiert.
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wartet ihre Reaktion auch nicht ab, sondern wird sofort selbst aktiv. Anders ist dies bei JHWH, der eine klare Frage vorgibt und nun von seinem Stab konkrete Vorschläge zur Umsetzung hören will. Diese Beratung wird nun geschildert, indem summarisch erzählt wird, dass ihm mehrere Vorschläge unterbreitet werden (2 Kön 22,20e–f): Durch die doppelte Formulierung mit invertierter Wortstellung wird phonetisch ein Gewisper evoziert, das die Vorstellung einer angeregten Diskussion im Himmelsheer hervorruft. Aus dieser wispernden Diskussion im Himmelsheer tritt nun klar und deutlich eine neue Figur hervor, die als »der Geist« bezeichnet wird. In dieser Erzählung kommt das Lexem »Wind, Geist, Sturm« (x;Wr) viermal vor: das erste Mal mit Artikel »der Geist« (x;Wrh'; 1 Kön 22,21), dann zweimal als »Täuschungsgeist«197 (rq,v, x;Wr; 1 Kön 22,22.23) und das letzte Mal als »der Geist JHWHs« (hw"hy>-x;Wr; 1 Kön 22,24). Dabei fällt besonders auf, dass die neue, bislang noch nicht aufgetretene Figur mit determiniertem Artikel als »der Geist« bezeichnet wird, was eine singuläre Formulierung in der Hebräischen Bibel ist.198 Mit dem Artikel erscheint der Geist als ein bestimmter Geist, der so auftritt, als sei er bekannt und bereits eingeführt worden, obwohl er den Lesenden gänzlich unbekannt ist.199 Deutlich ist, dass es eine von Gott zu unterscheidende Gestalt ist, mit der JHWH wie mit einem Gegenüber spricht.200 ›Der Geist‹ ist eine Figur201 der Erzählung, die mit eigenem Profil auftritt und nicht identisch mit der
197 Beide Lexeme des Ausdrucks rq,v, x;Wr sind schwierig zu übersetzen: In den meisten Bibelübersetzungen wird mit »Lügengeist« übersetzt; BUBER / ROSENZWEIG übersetzen »Lügenbraus« (BUBER / ROSENZWEIG, Schrift, 420). Im Deutschen konnotiert »Lüge« eine bewusste, willentliche Falschaussage; da aber der rq,v, x;Wr keine bewusste, willentliche Lüge, sondern vielmehr eine Täuschung der Propheten Ahabs bewirken will, so dass diese unabsichtlich falsche Aussagen treffen, ziehe ich die Übersetzung »Täuschungsgeist« vor. Der »Täuschungsgeist« wird in der Literatur immer wieder mit dem Motiv der Herzensverhärtung durch Gott in Verbindung gebracht (Ex 4,21; Dtn 2,30; Ps 105,25; Jes 6,9–10) vgl. z.B. RICE, Nations, 187. 198 Vgl. HIRTH, »Der Geist«, 113; ebenso DE VRIES, Prophet against Prophet, 45. 199 Dieses Verfahren erinnert an die Einführung von Micha und Zidkija, die beide in der fiktionalen Textwelt offensichtlich bekannt, den Lesenden aber unbekannt sind. Vgl. auch GOLDENBERG, False Prophecy, 96. WALSH, Kings, 351 erklärt die Determination damit, dass diese darauf hinweise, »that it is the only ›spirit‹ in Yahweh’s court«, Vgl. MAYHUE, False Prophets, 135–163. 200 So auch WEIPPERT, Ahab el campeador?, 458. 201 ›Der Geist‹ ist zunächst nichts weiter als eine Figur des Textes – gegen ontologisierende Spekulationen über die Natur dieses Geistes à la GRAY, Kings, 452–453: »›The spirit‹ is the supranatural, divinely inspired power of prophecy, which in the case of Zedekiah and his colleagues lured the king to destruction. This was an emanation, or extension, of the divine personality, and so may be personified«.
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Ruach JHWHs (hw"hy>-x;Wr) ist, von der Zidkija in 1 Kön 22,24 spricht.202 Damit finden sich in der Erzählung unterschiedliche ›Geist‹-Konzeptionen: Erstens ›der Geist‹ als eine eigenständige Figur der Erzählung,203 zweitens der ›Täuschungsgeist‹,204 der keinen physischen Status in der erzählten Welt des Textes hat, sondern ein Zustand ist, in den ›der Geist‹ sich hinein begibt, um sich als ›Täuschungsgeist‹ zu maskieren205 und drittens der ›Geist JHWHs‹, der wie der ›Täuschungsgeist‹ nur in der Figurenrede vorkommt, d.h. nicht als selbständige Figur im Text auftritt. Nur ›der Geist‹ ist eine Figur der Erzählung Michas (K IV), die beiden anderen Geistkonzeptionen sind Zustände und Wirkweisen.206 Ebenso ist zu beachten, dass nicht gesagt wird, dass JHWH in dem ›Täuschungsgeist‹ sei, sondern lediglich, dass JHWH den ›Täuschungsgeist‹ sendet. Im Hebräischen ist x;Wr in den meisten Fällen feminin, selten maskulin.207 In dieser Erzählung wird »der Geist« (1 Kön 22,21a) durchgehend maskulin verstanden, was durch die beigefügten Verben (1 Kön 22,21a.b.c.22a) bzw. die Renominalisierung (1 Kön 22,21e) erkennbar ist. Damit ist ›der Geist‹ eine männliche Gestalt, während vom Text offen gelassen wird, ob der ›Täuschungsgeist‹ (rq,v, x;Wr; 1 Kön 22,22.23) und der ›Geist JHWHs‹ (hw"hy>-x;Wr; 1 Kön 22,24) männlich oder weiblich zu denken sind. Dass ›der Geist‹ in 1 Kön 22 männlich ist, erklärt Montgomery damit, dass die Ruach in Bezug auf Menschen feminin ist, in Bezug auf Gott aber maskulin sei.208 Dies trifft zwar für 2 Kön 2,16 zu, aber in Gen 1,2 findet sich eine weiblich konstruierte Ruach JHWHs, und in Ps 51 wird die Ruach der Menschen so202
Dagegen setzt WALSH (Kings, 351) den Geist mit dem Geist JHWHs gleich und hält diesen für die Quelle der Inspiration der Propheten. Vgl. auch die Kommentierung von WERLITZ’: »sicherlich nicht der Heilige Geist als Person, sondern einer der Himmlischen« (WERLITZ, Könige, 197). 203 Zudem ist es ohne Anhalt im Text und daher unzulässig, diesen Geist als Personifikation mit dem Geist prophetischer Inspiration gleichzusetzen, wie dies häufig geschieht, vgl. z.B. DE VRIES, 1 Kings, 268; vgl. WISEMAN, Kings, 187. 204 Weil »der Geist« durch den determinierten Artikel bekannt sein muss, identifiziert Rabbi Jo”anan den »Täuschungsgeist« mit dem Geist Nabots (vgl. San. 89a); damit wird die Aktivität des Täuschungsgeistes gegenüber Ahab zu einem Akt der wiederherzustellenden Gerechtigkeit für das Unrecht, das Ahab Nabot angetan hat. 205 ›Der Geist‹ übernimmt die Rolle des täuschenden Geistes und dies auch nur temporär; daher gehen alle Versuche, diesen ›Geist‹ zu dämonisieren oder mit der Rolle des ›Satan‹ zu identifizieren, fehl. 206 »The phrase a lying spirit has troubled many people as being contrary to the moral nature of God«, ROBINSON, 1 Kings, 246–247. Robinson hat keine (moralischen) Probleme mit einer höchst problematischen Wertung fortzufahren: »Their [= the deuteronomists, as al Israelites at that time] moral and spiritual insight was strong, but simple and lacking in refinement. Refinement did come later through the probing and questionings of later Jewish thinkers, and most of all through the life and teaching of Jesus.« 207 Vgl. KBL3 1117. 208 MONTGOMERY, Kings, 357.
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wohl männlich als auch weiblich gedacht (vgl. Ps 51,12.19). Diese biblisch nicht zu verifizierende Deutung, die von androzentrischen Prämissen getragen ist, die von der Genderkonstruktion männlich = Gott und weiblich = Menschen ausgeht, trägt nichts in Bezug auf ›den Geist‹ aus, der ja als eigenständige Figur weder Mensch, noch Gott ist.209 Möglicherweise hat die maskuline Genderkonstruktion des Geistes die Funktion, diesen als männliche Gestalt in seiner Funktion als verführender ›Täuschungsgeist‹ zum Gegentyp zur weiblich konstruierten Frau Weisheit zu porträtieren.210 Zwei Bewegungen werden von diesem Geist geschildert: Als erstes tritt er hervor (aceYEw: 1 Kön 22,21a). Das Verb ›hinausgehen, hervortreten, ausziehen‹ (acy) wird im Gespräch einmal von dem Geist und einmal von JHWH verwendet (1 Kön 22,22b.g).211 Als nächstes stellt sich der Geist vor JHWH (hw"hy> ynEp.li dmo[]Y:w:; 1 Kön 22,21b).212 Die Beschreibung der Bewegung des Geistes ist in Bezug auf die Raumkonstruktion interessant: Er tritt aus dem Himmelsheer, das sich rechts und links von JHWH befindet (vgl. 1 Kön 22,19d), hervor und stellt sich vor JHWH; damit begibt er sich in die Position vor JHWH, in der sich die Propheten in Samaria befinden, die vor den Königen stehen und prophetisch reden (1 Kön 22,10b).213 Die unterschiedliche Positionierung der Gruppen in den beiden Szenenbeschreibungen war bereits aufgefallen und ist nun von Bedeutung: Der Geist steht vor JHWH wie die Propheten vor den Königen. Durch die identische Szenerie wird im Thronrat JHWHs das in der fabula proleptisch vorweggenommen und durchgespielt, was sich tatsächlich in Samaria ereignet. Das wird aber erst retrospektiv in der story erzählt, in der zuerst die Szene in Samaria und dann der Hofrat JHWHs geschildert wird. Der Geist reagiert auf die Frage JHWHs nach dem ›Wer‹ (1 Kön 22,20b) und bietet sich als der von JHWH Gesuchte an: »ich will ihn betören« (1 Kön 22,21d). Ziel der Betörung aus der Perspektive JHWHs und des Geistes ist Ahab, nicht die Propheten. Daran schließt sich die Frage JHWHs nach dem ›Wie‹ an (1 Kön 22,21f), die in der Mitte des Dialogs 209 Ähnlich âANDA, 1 Könige, 495, der allerdings annimmt, dass der Geist ein »körperloses und vernünftiges Wesen« sei, was zwar sein mag, aber keinen Anhaltspunkt in der Erzählung hat. 210 Vgl. hierzu 1 Kön 22,20. 211 Vgl. die Wiederaufnahme von »hinausgehen« (acy) für das Zurückziehen des Königs aus der Schlacht (1 Kön 22,34e). 212 Vgl. zu dem doppelten Vorgang des »Hervortretens« (acy) und des »Hinstellens« (dm[) die Anweisung Gottes an Elija in 1 Kön 19,11. 213 Das »Heraustreten« (acy) aus der JHWH umgebenden Gruppe hat erstens die Funktion, den Geist in die gleiche Position vor JHWH zu stellen wie die Propheten vor den Königen und zweitens, ihn als Einzelfigur wie Zidkija aus einer Gruppe heraustreten zu lassen. Damit wird gerade betont, dass der Geist zum Himmelsheer gehört und eben nicht von außerhalb kommt (anders DAFNI, rqv xwr, 377, die es für ausgeschlossen hält, dass der Geist zum Himmelsheer gehört).
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zwischen JHWH und dem Geist und im Mittelpunkt der gesamten Erzählung steht. Wie bereits bei 1 Kön 22,10 beobachtet wurde, steht in dieser Erzählung (strukturell) im Zentrum, was auf den ersten Blick unscheinbar wirkt und von nachgeordneter Wichtigkeit zu sein scheint, sich aber nun als zentral erweist. So ist die Frage ›Wie‹ genau das Thema der Erzählung: Wie kann es sein, dass die Propheten unterschiedlichste JHWH-Empfehlungen geben? Die Pointe dabei ist, dass die Frage von JHWH selbst gestellt wird! Der Geist unterbreitet JHWH einen Vorschlag: Er will ausziehen (1 Kön 22,22b), um zu einem ›Täuschungsgeist‹ im Mund der Propheten Ahabs zu werden.214 Dabei fällt auf, dass der (mit Artikel determinierte) Geist undeterminiert zu einem Täuschungsgeist werden will. Dass er zu einem Täuschungsgeist wird, stellt klar, dass er kein Täuschungsgeist ist, sondern vorschlägt, als ein Täuschungsgeist zu wirken.215 Der Geist kann auch nicht von sich aus zum Täuschungsgeist werden, sondern er schlägt diese Mutation JHWH vor, der ihm dazu erst die Fähigkeit geben muss (vgl. 1 Kön 22,23a). Mit dem Lexem ›Lüge, Trug‹ (rq,v,) wird zum ersten Mal in dieser Erzählung lexikalisch die Begrifflichkeit von ›wahr‹ und ›falsch‹ eingeführt. Die Grundbedeutung dieses Lexems ist ›Vertragsbruch, Treuebruch üben‹ und hat seinen Sitz im Leben im Vertragsrecht als Bruch eines sonst selbstverständlich vorausgesetzten Treue- und Vertrauensverhältnisses.216 Mit der Wahl des Lexems ›Lüge, Trug‹ (rq,v,) interpretiert der Geist in seiner Rede die Wirkung des ›Täuschungsgeistes‹ als einen Vertragsund Treuebruch, der sowohl gegenüber Gott als auch gegenüber den Menschen besteht, die sich darauf verlassen können müssen, dass Propheten im ›Geist JHWHs‹ und nicht im ›Täuschungsgeist‹ sprechen. Diese Vorstellung des Vertrags- und Treuebruchs in Bezug auf die Propheten findet sich in der biblischen Literatur v.a. bei Jeremia.217 Die Kombination von Ruach
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Das Motiv der bewussten Täuschung eines Propheten durch Gott findet sich in Jer 20,7 und Ez 14,9 (vgl. 1 Sam 2,22–25; 2 Sam 17,14; 24,1; Jer 4,10; 2 Thess 2,11–12; 1 Joh 4,1). 215 So auch FRETHEIM, Kings, 124. Wenig überzeugend ist die eindeutige Abgrenzung und Definition des »Täuschungsgeists« von DAFNI, die rqv xwr als ausschlaggebend für die Unterscheidung von wahrer und falscher Prophetie hält (vgl. DAFNI, rqv xwr, 365): In der Erzählung 1 Kön 22 erkläre »Micha ben Jimla (!) mit seiner Vision (!) das Phänomen der Pseudoprophetie überhaupt«, weil die Vision »die Pseudoprophetie auf xwrh zurückführt, welcher als rqv xwr wirkt. rqv xwr wird nicht als Personifikation bzw. dichterisches Gebilde dargestellt, sondern er erscheint als individuelles personhaftes Wesen, welches mit dem charismatischen göttlichen Geist der Prophetie wesenhaft unvereinbar ist. Ebenso wie hwhy xwr der Geist der wahren Prophetie ist, ist also rqv xwr der Geist der Pseudoprophetie, der sich hwhy xwr entgegensetzt. Denn rqv xwr ist und bleibt h[r xwr« (DAFNI, rqv xwr, 385). 216 So KLOPFENSTEIN, rqv; vgl. KBL3 1520. 217 Vgl. Jer 5,31; 6,13; 7,4.8; 8,8.10; 14,14–15; 23,32 u.ö. vgl. auch Jer 28; Jes 9,15; Sach 13,3.
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und »Lüge« findet sich in der Hebräischen Bibel nur selten, so in Mi 2,11 in Bezug auf die Prophetie. Das Ziel JHWHs, Ahab zu betören, wird umgesetzt, indem nicht Ahab direkt und von JHWH persönlich ›betört‹ wird, sondern indem Gott den Geist als Täuschungsgeist zum Werkzeug wählt, der aber nicht in Ahab direkt, sondern in die Propheten Ahabs einkehren soll (1 Kön 22,22c). Durch diesen indirekten Weg des ›Betörens‹ soll Ahab ein Handlungsspielraum eröffnet werden, indem ihm ermöglicht wird, sich zu dem, was die Propheten sagen, zu verhalten. Damit erklärt sich aus Michas Perspektive, warum alle Propheten wie aus einem Mund sprechen konnten (dx'a,-hP, 1 Kön 22,13c), weil eben der eine Täuschungsgeist in den Mund (hP,) aller Propheten eingedrungen sei. Micha betont, dass der Täuschungsgeist ohne Ausnahme in alle Propheten eingefahren sei. Damit wären nicht nur die vierhundert Propheten gemeint, sondern auch Zidkija, der sich als eigenständiger JHWH-Prophet hat profilieren wollen. Nicht zufällig fühlt gerade er sich besonders provoziert und reagiert als Erster auf Michas Rede (vgl. 1 Kön 22,24). Zugleich werden die Propheten als »seine«, d.h. Ahabs Propheten bezeichnet. Damit ist noch keine Aussage getroffen, welcher Gottheit sie angehören, sondern nur, dass sie Ahab verpflichtet sind und in einem Abhängigkeit- oder Zugehörigkeitsverhältnis stehen (vgl. die Betonung der Zugehörigkeit auch in 1 Kön 22,23a). Gott antwortet, indem er den Geist mit einem konkreten Auftrag ausstattet. Dieser besteht aus vier Verben in zwei Gruppen, zuerst zwei PKFormen, dann zwei Imperativen, die jeweils durch »und« miteinander verbunden sind (1 Kön 22,22e–h). JHWH stimmt explizit beiden Vorschlägen des Geistes zu und verstärkt diese durch das jeweils zweite Verb: JHWH betont, dass der Geist zu betören ›vermag‹ (lky; 1 Kön 22,22f), er ausziehen und tatsächlich ›so‹ handeln soll (1 Kön 22,22g–h). Mit der Partikel ›so‹ (!Ke) wird auf 2 Kön 22,12a zurückverwiesen, wo das einhellige prophetische Reden geschildert wird: Damit wird noch einmal der Täuschungsgeist als Quelle ihres gemeinsamen, aus einem Mund kommenden Sprechens betont. Damit ist nun die Gottesrede als zitierte Rede in der Rede Michas (K IV) beendet. Mit 1 Kön 22,23a kehrt man zur Rede Michas (K III) zurück, was durch das Ende der zitierten Rede JHWHs, durch die Aufmerksamkeit erregende Formulierung »und nun, siehe« (hNEhi hT'[;w>) sowie durch die Rede über JHWH in der dritten Person markiert wird (1 Kön 22,23a).218 Micha zieht 218 Dafür, dass in 1 Kön 22,23 die ›Erzählung‹ der Vision und damit die Funktion Michas als erzählende Figur beendet ist, und Micha in 1 Kön 22,23 als Figur Micha seine erzählte Vision kommentiert, sprechen zudem folgende zwei Gründe: 1. Die Temporalkonstruktion: Würde es sich um eine Fortsetzung der Schilderung der Geschehnisse in JHWHs Hofrat handeln, dann würde es dem Duktus dieser Visionsschilderung entsprechen, die neuen Ereignisse
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eine zweifache Konsequenz aus seiner Vision (1 Kön 22,23a.b):219 Der erste Satz bezieht sich dabei auf die Propheten und der zweite auf Ahab. Micha behauptet, dass JHWH tatsächlich den Täuschungsgeist in den Mund aller Propheten gegeben habe. Die Formulierung in der Vergangenheitsform zeigt an, dass dies bereits vor längerer Zeit geschehen sei. Das Verb ›geben‹ (!tn) ist in dieser Erzählung gezielt platziert: Es findet sich neben 1 Kön 22,23a jeweils einmal in den drei Reden der Propheten zu Ahab, in denen davon gesprochen wird, dass (etwas) in die Hand des Königs gegeben wird (1 Kön 22,6g.12d.15h; Übergabeformel). Damit fungiert das Geben des Täuschungsgeistes in den Mund der Propheten wie eine Antwort auf die Prophezeiung des (den Sieg) Gebens in die Hand des Königs durch die Propheten: Die, die vom Sieg als ›Gabe‹ sprechen, sprechen selbst im von JHWH ›gegebenen‹ Täuschungsgeist. Und wie JHWH (aus der Perspektive Michas) den Propheten Ahabs den Geist der Täuschung eingegeben hat, so hat er auch gegen Ahab Unheil gesprochen (1 Kön 22,23b).220 Michas Vision endet mit dem Gedanken, dass JHWH gegen Ahab ›Unheil / Böses‹ (h['r') gesprochen, wie Micha dem König nur ›Schlechtes‹ verkündet habe ([r 1 Kön 22,8d).221 Interessanterweise bricht die Vision an der entscheidenden Stelle ab. Die Lesenden wissen nun nicht, ob das Angekündigte tatsächlich umgesetzt worden ist oder nicht. Damit wird ein offener Interpretationsraum eröffnet, den die Lesenden, aber auch die Figuren in der Szene unterschiedlich füllen können. Dieses literarische Vorgehen wird sich noch einmal bei der Ankündigung des Königs, Micha ins Gefängnis zu werfen, finden, von der eben auch nicht erzählt wird, ob sie umgesetzt worden ist oder nicht (1 Kön 22,27).222 Weil Micha seine Visionen als intra- und heterodiegetisch erzählende Figur auf der dritten Kommunikationsebene schildert, die durch ihn intern fokalisiert ist, benutzt Micha den Geist als Erklärungsmodell für die divergierenden prophetischen Aussagen: Micha sieht im Verhalten der Propheten seine Visionen bestätigt und schließt aus dem, wie zuvor auch im Waw-PK zu schildern und nicht durch den Wechsel ins x-AK einen neuen Abschnitt zu markieren. 2. Die Pronomina: Sowohl das Demonstrativpronomen »diese« als auch das Possessivpronomen »deine« (hL,ae ^ya,ybin>-lK' 1 Kön 22,23a; vgl. Anrede des Königs mit »du« in 22,23b) sind auf die anwesenden Propheten bzw. auf den König bezogen und sprechen diese direkt an; damit ist deutlich, dass Micha mit seiner Rede in die erzählte Welt zurückgekehrt ist und den Bereich der Vision verlassen hat, weil in der Vision nur von allen »seinen« Propheten die Rede war (wya'ybin>-lK' 1 Kön 22,22c). Vgl. ähnlich MONTGOMERY, Kings, 339, der Vers 23 als einen Kommentar Michas zu dem »celestial drama« versteht. 219 Subjekt beider Sätze ist JHWH, wobei Verben und Subjekt chiastisch angeordnet sind. 220 Durch das Verb ›sprechen‹ (rbd) wird die Ausgangsfrage Joschafats wiederaufgenommen, der nach dem Wort JHWHs (hw"hy> rb;D>) gefragt hatte. 221 Vgl. die Steigerung vom Adjektiv »böse, schlecht« [r' in 1 Kön 22,8d.18d zum Substantiv »Unheil / Böses« h['r' in 1 Kön 22,23b. 222 Anders CRÜSEMANN, Elia, 115; WEIPPERT, Ahab el campeador?, 459.
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was er sieht, dass sich seine Vision realisiert habe. Das ist aber etwas Anderes, als wenn auf der Ebene der Erzählstimme erzählt würde, dass das Angekündigte tatsächlich umgesetzt worden ist. Damit bleibt der Text an entscheidender Stelle offen: Man weiß nicht, ob JHWH den Täuschungsgeist tatsächlich ausgesendet hat oder nicht. Und damit ist der Status der Rede der Propheten und Zidkijas ungeklärt: Ob sie tatsächlich vom Täuschungsgeist beeinflusst sind, wird weder bejaht noch verneint. Micha deutet ihr Verhalten als vom Täuschungsgeist beeinflusst, was in keiner Weise heißen muss, dass das tatsächlich geschehen ist. Aus Michas Reden ergeben sich drei Deutungsmöglichkeiten für die Rede der vierhundert Propheten: Sie könnten erstens – wie Micha – ganz von ›wahrer‹ Prophetie erfüllt sein; aus ihrer polysemen Rede hat der König nur das herausgehört, was er gerne hören wollte. Zweitens könnte die Rede der Propheten ›falsche‹ Prophetie sein, die dem König und seinem Anliegen gefallen will. Drittens könnten die Prophezeiungen der Propheten insofern ›wahr‹ sein, als sie von ihnen echt und authentisch gesprochen, aber vom Täuschungsgeist abgefälscht worden waren und sie so ungewollt und unbeabsichtigt zur ›Lügenprophetie‹ wurden. Die Botschaft der Propheten kann sowohl ›wahr‹, als auch ›falsch‹, als auch im echten Bemühen, ›wahr‹ zu sein, trotzdem ›falsch‹ sein. Michas Vision liefert ein Erklärungsmodell aus seiner Perspektive für die divergierenden prophetischen Aussagen. Dieses ist theologisch allerdings nicht unproblematisch, weil JHWH den Geist zu einem Täuschungsgeist werden lässt. Dieser ist kein Täuschungsgeist und auch kein Gegenspieler Gottes, sondern JHWH muss dem Geist erst die rq,v,-Qualität verleihen. Damit aber stellt sich die Frage nach Gott: Was ist das für ein Gott, der Propheten bewusst einen Täuschungsgeist eingibt, mit dem Ziel, einen Menschen zu betören und ihn umkommen zu lassen? Und: Wenn Gott in seiner Allmacht und Souveränität Ahab betört, dann ist Ahab in dem, was er tut nicht mehr frei, sondern gebunden, eben ›betört‹ – und damit auch entlastet: Als von einer viel größeren Macht Verleiteter verfügt er nicht mehr über seinen eigenen Willen, weil er der Betörung ausgeliefert ist. Damit wäre er für sein Tun nicht verantwortlich. Das bedeutet, dass er nicht anders handeln kann. Ihm ist seine Freiheit genommen. Einen Ausweg aus dieser Situation bietet sich nur über Micha an: Michas Prophetie kann man als den Weg interpretieren, den JHWH für Ahab eröffnet: Via Micha – so Micha – legt JHWH selbst seine ›Betörungsstrategie‹ offen, damit Ahab nachdenken, sich entscheiden und sich neu positionieren kann. Über Micha eröffnet sich ihm eine alternative Sicht, die einen Perspektivwechsel ermöglicht. JHWH tritt in der Vision Michas den Zuhörenden als jemand entgegen, der bewusst Menschen verführen will und mit seinem Hofrat über die Macht und Mittel verfügt, seine Pläne zu realisieren. Die eigentliche Provokation der Aussagen Michas liegt damit nicht in seinem
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sehr scharfen Angriff der Propheten, sondern vielmehr in der in seiner Vision sichtbar werdenden Charakterisierung Gottes. JHWH ist derjenige, der Micha Einblick in seinen Hofrat ermöglicht und damit einen Ausweg für Ahab aufzeigt. So ergeben sich aus dem Hofrat zwei Konsequenzen: Zum einen darf der Geist als Täuschungsgeist im Mund der Propheten reden und auf diese Weise Ahab betören. Zum anderen aber wird genau dieses Vorhaben durch die Prophetie Michas offengelegt. Vor Ahab sind beide Positionen vertreten, so dass Ahab als ›Lernender‹ in den Stand versetzt ist, sich zwischen zwei Optionen zu entscheiden.223 Paradoxerweise würde dann das Eingehen auf die Prophetie Michas und die Entscheidung, nicht in den Krieg zu ziehen, bedeuten, dass sich Ahab JHWHs Plänen, die er in seinem Hofrat geäußert hat, widersetzen würde. 2.3.5. Die Antwort Zidkijas und die dritte Reaktion des Königs (1 Kön 22,24–28) Michas Rede hat mit einem doppelten Fazit geendet, mit dem er sich zuerst gegen die Propheten und anschließend gegen den König von Israel gewendet hat (1 Kön 22,23a.b). Entsprechend diesem Ende erfolgen nun zwei Reaktionen: Zuerst wehrt sich Zidkija (1 Kön 22,24), dann reagiert der König auf die Worte Michas (1 Kön 22,26–27). Auf beide geht Micha jeweils mit einer Rede ein (1 Kön 22,25.28). Auf die knappe Entgegnung Zidkijas antwortet er mit einer kurzen Rede, auf die längere Rede des Königs, die sich in zwei Teile (zwei Anweisungen und Botenformel) gliedert, reagiert Micha mit zwei Redegängen. Zidkija, der nun erneut auftritt und wie bei seiner Einführung in 1 Kön 22,11a mit seinem vollen Namen genannt wird, wehrt sich gegen die massiven Vorwürfe Michas. Er muss sich besonders provoziert fühlen, weil er als JHWH-Prophet aufgetreten ist, seine Rede mit der JHWH-Botenformel eingeleitet und er damit seine Worte explizit als JHWHs Worte ausgegeben hat. Micha aber hat Zidkija die Legitimation abgesprochen und ihn damit zutiefst brüskiert. Der Angegriffene greift nun seinerseits Micha an, allerdings nicht verbal, sondern körperlich, indem er Micha auf die Wange schlägt (yxiL,h;-l[; Why>k'ymi-ta, hK,Y:w:). Dies ist eine Geste der Erniedrigung (Klgl 3,30; Mi 4,14; Joh 18,22), gerade gegenüber Gottlosen und Feinden (Ijob 16,10; Ps 3,8), die auch im Codex Hammurabi mit Strafen224 belegt ist. Möglicherweise soll mit dem Lexem »Kinn, Backe«225 (yxil.) der Mundbereich im Gesicht bezeichnet werden, so dass Zidkija Micha auf den Mund als dem körperlichen Ort seiner Verkündigung schlägt (1 Kön 22,24d). Damit stehen die beiden JHWH-Propheten als Antipoden im Kon223
So auch HAMILTON, Nets of Prophecy, 65. Codex Hammurabi 202–205; vgl. COGAN, 1 Kings, 492. 225 Vgl. KBL3 499. 224
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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flikt vor den vierhundert Propheten und den beiden Königen konfrontativ einander gegenüber. Während Zidkija Micha körperlich und verbal angegriffen hat, setzt sich Micha mit Worten zur Wehr und entgegnet ihm mit einer erneuten Prophezeiung, diesmal ohne JHWH-Bezug, die durch die Aufmerksamkeitspartikel »siehe« (hNEhi; vgl. 1 Kön 22,13c.23a) eingeleitet wird. In dieser kündigt er an, was an einem zukünftigen Tag eintreten wird (»an jenem Tag« aWhh; ~AYB;). Dies verleiht der Prophezeiung einen geradezu eschatologischen Anstrich und evoziert Vorstellungen vom ›Tag JHWHs‹. Wann dieser Tag sein wird und was an diesem Tag geschehen wird, bleibt offen, außer dass Zidkija von »Zimmer zu Zimmer« (rd,x'B. rd,x,)226 kommen wird, um sich zu verstecken (hbx; 1 Kön 22,25b–c). An dieser Prophezeiung Michas sind nun drei Aspekte interessant, die mit dem Vorgang des »Sehens« zusammenhängen und die die durch ihn fokalisierte Perspektive beleuchten: Erstens behauptet Micha, dass er jetzt schon sehe, was an jenem in der Zukunft liegenden Tag geschehen wird, was Zidkija dann erst ›sehen‹ werde. Damit untergräbt er weiterhin seine Prophetie und nimmt (prophetisch-zukünftiges) Sehen nur für sich in Anspruch. Dem entspricht, dass seine beiden Visionen explizit durch die Formulierung »und ich habe gesehen« (1 Kön 22,17c.19c) eingeleitet werden. Was Zidkija allerdings an jenem Tag sehen wird, bleibt offen. Stattdessen beschreibt Micha den Zustand, in dem sich Zidkija befinden wird: Er wird von Raum zu Raum fliehen, um sich zu verstecken. Zweitens ist diese Vision Michas mit seinen früheren inhaltlich verbunden: Das unstete Flüchten von Zimmer zu Zimmer auf der Suche nach einem Versteck ist ein Zustand der Unsicherheit und der Schutzlosigkeit, wie er auch dem Bild der versprengten Schafe ohne Hirten in Michas erster Vision entspricht (1 Kön 22,17b–c): Wie ganz Israel ohne Hirte auf den Bergen zerstreut ist, so flüchtet sich Zidkija von Zimmer zu Zimmer auf der Suche nach einem Versteck. Damit scheint Micha die erste Vision nur in einem anderen Bild zu aktualisieren, aber damit auf den gleichen Zustand und auf die gleiche Situation anzuspielen. Die Aktualisierung der ersten Vision wird noch durch eine phonetische Referenz von ›ro’äh‹ (ha,ro) in 1 Kön 22,25b zu ›ro‘äh‹ (h[,ro) in 1 Kön 22,17c verstärkt. Drittens gehört das Verb ›sehen‹ har in die Sprache des Visionsberichtes und bezeichnet einen ›ro’äh‹ (ha,ro), einen ›Seher‹. Mit dem indirekten Aufgreifen dieses terminus technicus definiert Micha sich selbst als Seher, während Zidkija erst in Zukunft sehen wird. Mit anderen 226 Das Lexem ›Zimmer, Kammer‹ (rd,x), bezeichnet einen Raum innerhalb des königlichen Palastes, der häufig als intimer Rückzugsort und schwer auffindbares Versteck dient (2 Kön 6,12; 11,2 mit dem Verb ›verstecken‹ (abx) in 2 Kön 11,3). Der Ausdruck rd,x'B. rd,x, verweist zum einen zurück auf die Flucht Ben-Hadads in 1 Kön 20,30bis und zum anderen voraus auf die Salbung Jehus 2 Kön 9,2bis).
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Kap. IV: 1 Kön 22
Worten: Zidkija ist kein ›Seher‹ und hat keine Vision empfangen! Paradoxerweise hat Micha mit seiner tendenziös-polemischen Aussage Recht: Zidkija hat nie behauptet, eine Vision empfangen zu haben, sondern ein Wort JHWHs (1 Kön 22,11). Nach Zidkija reagiert der König als zweiter auf Michas Rede, der wie Zidkija gegen Micha mit Gewalt und mit Worten vorgeht: Anders als Zidkija führt er körperliche Gewalt nicht selbst aus, sondern lässt Micha ins Gefängnis werfen. Hatte der König Micha in 1 Kön 22,16b.c noch beschworen, nichts als die Wahrheit im Namen JHWHs zu sagen und ihm damit indirekt Unversehrtheit zugesichert, erweist er sich nun als höchst unzuverlässig. Dann reagiert der König mit einer Rede, die sich in zwei Teile gliedert: Im ersten Teil gibt er zwei kurze Befehle, wie mit Micha zu verfahren sei (1 Kön 22,26); im zweiten Teil erteilt er genaue Anweisung an das Gefängnis in einer Botenformel (1 Kön 22,27). Die Kommunikationsebenen in der Rede des Königs sind wie die Visionen Michas komplex gestaltet (1 Kön 22,26–27): Die Erzählstimme lässt den König sprechen (K II), der Anweisungen an eine nicht (näher) zu identifizierende Figur erteilt (K III), der er eine Rede in den Mund legt (K IV), die aus der Botenformel besteht, in der diese dann die Rede des Königs zitiert (K V). Der König ist jeweils als ›ich‹ in den Reden sichtbar, während der unbenannte Sprecher (K III) nicht wahrnehmbar ist. Das produziert eine Sprechsituation, in der der König sich selbst über eine unbekannte Figur zitiert. Weil in der Redeeinleitung kein Adressat genannt wird und daher unklar ist, wem er die folgenden Befehle erteilt, entsteht eine Lücke, die unterschiedlich gefüllt werden kann. Da die Befehle im Singular gesprochen sind, scheint sich der König an eine Figur und nicht an mehrere zu richten. So könnte der König Zidkija beauftragen, Micha im Namen des Königs festzunehmen. Damit besteht der Konflikt nicht nur zwischen zwei JHWH-Propheten, die einander konträr und verfeindet gegenüberstehen, sondern der eine JHWH-Prophet würde über einen anderen im Namen der Staatsmacht Gewalt ausüben und sich selbst zum ausführenden Organ dieser Staatsmacht machen. Zunächst ordnet der König an, Micha zu ergreifen. Das Verb ›nehmen‹ (xql) weist innerhalb der Erzählung auf die Rede des Königs am Anfang zurück, in der er den Wunsch geäußert hat, Ramot-Gilead zu nehmen (1 Kön 22,3d). Auf diese Weise wird durch die Gefangennahme des lästigen Bedenkenträgers Micha der Weg für das ursprüngliche Ziel freigemacht.227 In seinem zweiten Befehl weist der Königs jenen Unbekannten an, Micha zu Amon und Joasch zu ›bringen‹ (bwv Hifil). Amon ist der 227 Interessanterweise wird in dem Befehl des Königs der Eigenname mit dem nota obiecti wie zuvor in der Rede JHWHs gegenüber Ahab in 1 Kön 22,20b verbunden; dies könnte auf eine sich von Micha distanzierende Rede verweisen.
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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›Stadtoberste‹ (ry[ih'-rf;) und Joasch der ›Sohn des Königs‹.228 Der Titel ›Stadtoberster‹ (ry[ih'-rf;) scheint der höchste Beamte in der Stadtadministration zu sein.229 Dass Ahab mit Amon und Joasch zwei hochrangige Funktionsträger beauftragt, zeigt die Bedeutung, die er Micha zumisst. Innerhalb dieser Erzählung ist es das einzige Mal, dass die fünfte Kommunikationsebene eröffnet wird. Mit der Anweisung »und du sollst sagen« (T'r>m;a'w>) zitiert der König sich selbst. Durch die Botenformel wird die Autorität seiner Worte betont. Der unbekannte Bote des Königs soll sich an Amon und Joasch wenden, die die Anweisungen des Königs umsetzen sollen: Erstens sollen sie Micha ins Gefängnis230 werfen. Dabei nennt der König Micha nicht bei seinem Namen, sondern spricht abschätzig von »diesem da« (hzKi yhiy>w:; 1 Kön 22,32a.33a). Mit dem doppelt erzählten Sehen wird das zweifache Sehen Michas in seinen Visionen aufgegriffen (1 Kön 22,17b.19c). Während es sich in der Vision Michas um einen Erkenntnisprozess über das, was eigentlich geschieht, handelt, wird das schrittweise Erkennen über die echte Identität des Königs geschildert. Die Wagenkämpfer halten sich genau an den Befehl ihres Königs, so dass sie Joschafat aufgrund seiner königlichen Kleider für den König von Israel halten (1 Kön 22,32a–c). Daher wenden (rws) sie sich ihm zu (wyl'['< WrsuY"w:), um ihn zu ›bekämpfen‹ (~xeL'hil. vgl. 1 Kön 22,31b). Joschafat schreit daraufhin auf (1 Kön 22,32e). Das Verb ›schreien‹ (q[c / q[z) kann ein Klage- und Notstand,257 ein Hilfeschrei an JHWH (so 2 Chr 18,31)258 oder ein Kampf- und Kommandoschrei259 sein. An dem Schrei erkennen die Wagenkämpfer, dass es sich nicht um den König von Israel handelt, wobei nicht explizit gesagt wird, ob sie dies an seinen königlichen Kleidern (vgl. 1 Kön 22,30d) oder an seinen Schreien erkennen. Letzteres würde bedeuten, dass bei Gefahr Schreien ›unköniglich‹ ist, so dass sie den Mann nicht für den Gesuchten halten. Jedenfalls lassen sie von ihm ab (wyr'x]a;me WbWvY"w: 1 Kön 22,33c). Das Verb »umkehren« (bwv) aktualisiert zum einen die Vision Michas (1 Kön 22,17f) und zum anderen die Diskussion zwischen dem König und Micha (1 Kön 22,26c.28b vgl. auch 1 Kön 12,24). In beiden geht es um die Frage, wer aus dem Krieg und der Situation der Not nach Hause zurückkehren wird. Eine erste Antwort wird nun gegeben: In der Abkehr der aramäischen Soldaten von Joschafat liegt die Rettung für den König von Juda, die ihm eine unversehrte Rückkehr in Schalom nach Hause ermöglichen wird, wie dies der König von Israel eigentlich für sich 256 So auch âANDA, 1 Könige, 498. Dem entspricht, freilich mit umgekehrtem Vorzeichen, dass der König von Israel vor Micha davon gesprochen hat, dass er in Frieden zurückkehren werde (1 Kön 22,27d). Dass den König von Israel nichts Gutes ereilen wird, wird schon dadurch evoziert, dass auf die Formulierung »sondern« (~ai yKi) nie Gutes, sondern stets »Böses« folgt (vgl. 1 Kön 22,8d.18c–d).
2. 1 Kön 22. Eine Textlektüre
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prophezeit hatte. Zugleich wird mit dem Abwenden von Joschafat deutlich, dass das Ziel des Königs von Aram nicht der König der Gegenseite, sondern Ahab persönlich ist, und daher scheint auch Ahabs Strategie, sich unkenntlich zu machen, zielführend zu sein und aufzugehen. Doch im Gegensatz zu den besonnenen Wagenkämpfern gibt es ›einen Mann‹ (vyaiw>), der seinen Bogen aufs Gratewohl spannt und schießt. Mit der x-AK-Formulierung kann zum einen der Kontrast zu den Wagenkämpfern ausgedrückt werden, zum anderen aber wird damit auch die Vorzeitigkeit angezeigt. Damit wird das Spannen des Bogens zeitlich mit dem langsamen Erkennen, dass es sich nicht um Ahab handelt, parallelisiert. Dieser ›eine Mann‹260 schießt, trifft genau in einen Zwischenraum des Panzers261 und verwundet den sich als ›einen Mann‹ maskierten König von Israel tödlich. Der aufs Gratewohl (AMtul.)262 geschossene Pfeil ist zwar unabsichtlich und zufällig geschossen, erfüllt aber im Kontext der Verheißung seine Aufgabe: Durch ihn ist der König von Israel so verwundet, dass er sterben wird und damit fällt der König von Israel, wie JHWH es gewollt hat (1 Kön 22,20d). So wird der König von Israel ›geschlagen‹ (hK,Y:w:, vgl. 1 Kön 22,24b). Auf diese Weise scheitert die sorgfältig vorbereitete Strategie des Königs von Israel durch einen scheinbaren ›Zufall‹. Die nun folgende Redeeinleitung, die an »seinen Wagenlenker« (AbK'r;l.) adressiert ist, nennt kein Subjekt (1 Kön 22,34c), so dass erst durch den Inhalt der Rede deutlich wird, dass das Subjekt gewechselt hat und nun der König von Israel spricht. Er ist verwundet (1 Kön 22,34f) und weist seinen Wagenlenker an, umzulenken (^d>y" %poh] 1 Kön 22,34d). Dieser Ausdruck ist sehr selten in der Hebräischen Bibel und findet sich neben der Parallelstelle 2 Chr 18,33 nur noch ein weiteres Mal in den Königsbüchern:263 Joram »wendet seine Hand um« (wyd'y" ~r'Ahy> %poh]Y:w:), um auf seinen Wagen, auf dem er gekommen ist (2 Kön 9,21), zu fliehen, als er die Absicht Jehus erkennt (2 Kön 9,23). Zugleich ist mit dieser Formulierung aber eine grö257
Vgl. ›schreien, rufen‹ (q[c) als Klage- und Notschrei in 2 Kön 4,1.40; 6,5.26; 8,3.4. Zur Wiedergabe dieser Erzählung in 2 Chr vgl. KLEIN, Reflections, 647–649, der drei Unterschiede zwischen 2 Chr 18,1–19,3 und 2 Kön 22,1–40 herausarbeitet und zeigt, dass die Erzählung in 2 Chr »an entirely new orientation« hat: »In 2 Chr 19:1–19:3, however, the Chronicler modified an account about the death of Ahab that he had inherited from the Deuteronomistic History, and he transformed it by additions of an indictment against Jehoshaphat« (KLEIN, Reflections, 649). 259 So REHM, 1 Könige, 219. 260 Die jüdische Tradition (Rashi und Midrasch Tehillim zu Ps 78, 45) identifiziert den unbekannten Mann mit Naaman (2 Kön 5) vgl. HOCHBERG / ROSENBERG, Kings, 231. 261 !y"r>Vih; !ybeW ~yqib'D>h; !yBe; zur Panzerung vgl. GALLING, Reallexikon, 248; vgl. auch ausführlich âANDA, 1 Könige, 499–500 und auch COGAN, 1 Kings, 494. 262 Der Ausdruck changiert zwischen »at random«, »in his innocence« und »in his wholeness« HOUSE, Kings, 239; vgl. GRAY, Kings, 454; COGAN, 1 Kings, 494. 263 Die Formulierung findet sich sonst in der Hebräischen Bibel nur noch in Klgl 3,3. 258
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ßere semantische Weite angezeigt: Das Lexem ›Hand‹ (dy") bezeichnet auch ›Macht‹ (so in 1 Kön 22,3d.6g.12d.15h; 2 Kön 9,7 vgl. hierzu auch 1 Kön 13,3.6) und das Verb %ph bedeutet ›wenden‹ im Sinne von einmal genau auf den Kopf stellen, also ›umkehren, umstürzen‹ (vgl. z.B. Gen 19,21. 25.29). Neben der primären Bedeutung, dass sich die Könige an beiden Stellen zur Flucht wenden,264 gibt es in beiden Erzählungen also noch eine zweite semantische Ebene: Im Umwenden des Wagens wendet sich die Macht der Könige. Anders als Joram, der fliehen will und auf der Flucht durch einen Pfeil tödlich getroffen wird und stirbt, will sich Ahab »aus dem Lager«265 (hnci) und die Frage ›Wer ist wie JHWH?‹ (Micha, Why>k'ymi) gegenüber; die beiden sind jeweils zweimal mit der Nennung ihres Vatersnamen im Text präsent (Zidkija: 22,11.24; Micha: 22,8.9). 294 So auch DAFNI, rqv xwr, 375. 295 So jüngst SEYBOLD, Poetik der erzählenden Literatur, 261–264. 296 Vgl. ROBINSON, 1 Kings, 243.192. 297 So WERLITZ, Könige, 198. 298 HOSSFELD / MEYER, Prophet gegen Prophet, 36, vgl. auch GRESSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung, 279.
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Position sowohl was die vereinfachende Gegenüberstellung, als auch die damit verbundene Wertung anbelangt, nicht zu halten.299 Unhinterfragt erscheint Micha stets als Beispiel für den ›wahren Propheten‹.300 Würthwein zieht zweitens die Trennlinie zwischen Micha und Zidkija, die für unterschiedliche Formen des Prophetentums stünden: »Da sich Micha auf Vision und Audition berufen hatte, sind mit Zidkija und Micha zwei verschiedene Arten des Prophetentums einander gegenübergestellt. Die eine dürfte ihre Wurzel im Ekstatikertum des Kulturlandes, die andere im Sehertum nomadischen Daseins haben.«301 Burney lässt drittens die Trennlinie wieder anders verlaufen: Alle Propheten in 1 Kön 22 seien JHWH-Propheten, aber sie repräsentieren zwei unterschiedliche Formen der JHWH-Prophetie:302 Die einen werden durch den Kult um das Kalb repräsentiert und vertreten eine inklusive Religionspolitik, die neben sich andere Kulte duldet oder diese integriert hat und daher der Verfolgung Isebels entgangen sei. Die anderen, deren Exponenten Propheten wie Elija, Elischa und Micha sind, vertreten eine exklusive Religionspolitik und seien die »true religion«, nicht nur in den Augen der Deuteronomisten, sondern auch für die »contemporary adherents of the purer form of religion«303 Und schließlich identifiziert Gray die beiden Könige als Repräsentanten zweier unterschiedlicher Konzepte von Prophetie: eines wird durch den König von Israel repräsentiert, das die Propheten als »agents of imitative magic in word and [...] symbolic action« darstellt und das andere durch Joschafat, der den Propheten nicht als einen »agent of the community in its efforts to influence God by autosuggestion, but as the instrument of the revelation of the will of God in the community«304 sieht. 299 Deutlicher noch ist âANDA, der die vierhundert Propheten als Lügner abstempelt: »Die Propheten treten als Schwindler auf. Das hat der Beamte in v. 13 erkannt, und dafür zeugt das arrogante Benehmen Zidkijas. Sie lügen demnach bewußt und absichtlich ohne irgendeine Offenbarung von Jahve. Sie sind bloß Nebi’im, rasende Derwische, und vermögen das Amt der Ro’im nicht auszuüben (18,29). Der Ro’e erhält eine Offenbarung, diese hält er für wahr und teilt sie im guten Glauben mit. Sie wird vom Geist Jahves bewirkt (v. 24), der mit dem Ro’e gleichsam spricht und Verborgenes mitteilt«, âANDA, 1 Könige, 496. 300 So ROFÉ, The Prophetical Stories, 149–152; NA’AMAN, Prophetic Stories, 166–168; COGAN, 1 Kings, 497. 301 WÜRTHWEIN, Könige, 260; eine ähnliche Unterscheidung findet sich bei ROFÉ (vgl. das Referat von ROTH, The Story of the Prophet Micaiah, 127–131 des auf Hebräisch verfassten Artikels von ROFÉ, The Narrative of Micaiah ben Imlah, 233–244); der Position WÜRTHWEINS schließt ebenso sich HIRTH, »Der Geist«, 114 an. 302 Vgl. BURNEY, Notes, 251–252. 303 BURNEY, Notes, 252. 304 GRAY, Kings, 449; JONES kritisiert die Position von GRAY aus historischen Gründen: Die Frage nach ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie in die Zeit des »bitter clash« von JHWHund Baalsprophetie sei eine spätere Rückprojektion. JONES versteht im übrigen das Konzept,
3. Prophetische Konstellationen – Politische Konfrontationen
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Alle diese Standpunkte verkürzen erstens die im Text vertretenen Positionen auf zwei Prophetenprofile statt wahrzunehmen, dass hier drei unterschiedliche Typen prophetischen Auftretens präsentiert werden. Zweitens wird immer davon ausgegangen, dass die einzelnen Positionen klar und eindeutig voneinander abzugrenzen sind. Doch allein die Unterschiedlichkeit der einzelnen Abgrenzungen zeigt, wie unsicher diese wirklich sind. Drittens ist bei allen Deutungen der Erzählung die auslegende Optik dadurch voreingestellt, das 1 Kön 22 als eine Erzählung über ›wahre‹ und ›falsche‹ Prophetie verstanden wird: Mit dieser Voreinstellung wird die Position der vierhundert Propheten und Zidkijas zu ›falscher‹ und die Michas zu ›wahrer‹ Prophetie. Das Phänomen des Prophetischen präsentiert sich in dieser Erzählung jedoch ungleich komplexer, als es diese Deutungen insinuieren, die jeweils den Konflikt in der Erzählung auf eine einander ausschließende Alternative wie ›Prophet gegen Prophet‹ oder ›Hofpropheten‹ gegen ›oppositionelle freie Propheten‹ reduzieren. Stattdessen präsentiert die Erzählung drei unterschiedliche Prophetentypen der in Israel bekannten Prophetie. In 1 Kön 22 gibt es in Bezug auf die Arten der Prophetie erstens Gruppenprophetie und Einzelprophetie, zweitens explizit als ›Propheten‹ bezeichnete sowie drittens wie Propheten auftretende Menschen. Vom Inhalt der prophetischen Verkündigung gibt es eher königsund machtstabiliserende bzw. königs- und machtkritische Prophetie, von den Formen prophetischen Handelns ekstatische Prophetie und prophetische Zeichenhandlungen und von den Redeformen Visionsschilderungen, Botenrede und Orakel im Sinne von prophetischen Weisungen. Alle diese Formen des prophetischen Auftretens produzieren in ihre Vielgestaltigkeit aber keine Eindeutigkeit, sondern vertreten vielmehr mehrdeutige, zum Teil einander widersprechende Botschaften. Damit baut die Erzählung ein Panorama der Prophetie auf, vor der die Frage nach dem ›Wort JHWHs‹ gestellt wird. Statt Bewertungskategorien von außen an 1 Kön 22 heranzutragen, soll im Folgenden gefragt werden, welche Maßstäbe die Erzählung selbst etabliert. In ihr werden zwei Kategorien für die Prophetie genannt: Dies ist zum einen die Qualifikation von ›gut‹ und ›schlecht‹ ([r'-~ai yKi bAj 1 Kön 22,8) durch den König, der die Worte Michas als für ihn ungünstig wahrnimmt. Wertungen der prophetischen Worte in ›gut‹ und ›schlecht‹, in günstig und ungünstig werden in der ganzen Erzählung interessanterweise immer nur von der Seite der Macht, nie von den Propheten eingeführt: Sowohl der König als auch sein Bote (vgl. 1 Kön 22,13) haben Interesse an
das GRAY durch den König von Israel repräsentiert sieht, als israelitisches Konzept (vgl. JONES, Kings, 364).
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›guten‹ Worten.305 Damit aber wird nicht das prophetische Wort, sondern die Politik qualifiziert, die letztlich kein wirkliches Interesse am Wort JHWHs hat, sondern unter der Brille der Nützlichkeit fragt, ob die Propheten für sie macht- und systemstabilisierend wirken oder nicht.306 Neben dieser Linie gibt es eine zweite Grenzziehung in der Erzählung, die zwischen dem JHWH-Wort und dem Nicht-JHWH-Wort unterscheidet. Diese Grenzziehung hat nichts mit der machtpolitischen Unterscheidung in ›gut‹ oder ›schlecht‹ zu tun, sondern ist eine theologische. Diese Grenzziehung wird zum einen von Joschafat vorgenommen, der explizit auf dem Einholen des Wortes JHWHs insistiert (1 Kön 22,5.7) und andererseits von den Propheten selbst, die ihre unterschiedliche Botschaft alle gleichermaßen als Wort JHWHs darstellen. Interessanterweise sind die Grenzlinien der beiden Kategorien, ›gut vs. schlecht‹ und ›JHWH vs. nicht-JHWH‹, gerade nicht deckungsgleich. Die Erzählung selbst wertet dabei nicht mit ›wahr‹ oder ›falsch‹, sondern präsentiert den Lesenden drei unterschiedliche prophetische Positionen, ohne eine direkt und explizit als ›wahr‹ oder ›falsch‹ zu identifizieren. Interessanterweise rechnet keine der Auslegungen in der Forschung bisher mit der Möglichkeit, dass alle Positionen richtig sein können. Die Auslegung der prophetischen Reden der Vierhundert, von Zidkija und auch Michas erste Antwort haben aber gezeigt, dass alle drei Positionen polysem zu lesen sind: Alle drei Positionen können als Ankündigung eines Sieges oder auch einer Niederlage Ahabs gelesen werden und sind demnach entweder als Ermutigung zum Krieg oder als Warnung vor einem Krieg zu lesen. Eine Wende scheint in der Erzählung erst durch die beiden Visionen Michas, besonders durch seine zweite Visionsschilderung erreicht zu sein. In der zweiten Vision erzählt Micha von dem, was er in der Versammlung gesehen habe: Er berichtet von dem Wunsch JHWHs, Ahab zu betören, und dem Plan des Geistes, zum Lügengeist zu werden, in die Propheten einzufahren und ihre Rede so zu verändern, dass durch ihre veränderten Worte Gottes Ziel, Ahab zu betören, erreicht wird. Damit wird die Position der Vierhundert und Zidkijas als eine vom Lügengeist deformierte und damit falsche Position qualifiziert. Der überwiegende Teil der Auslegungen zu
305 LONG, 1 Kings, 234–235 meint, dass die Begriffe »gut« und »schlecht« Micha und die vierhundert Propheten bzw. Zidkija repräsentieren und trägt von hierher die Frage nach ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie in den Text ein. Dabei verkennt LONG die Redesituation: Hier spricht der König aus seiner Perspektive. 306 Die Frage nach der politischen Optik wird dann auch wieder schnell mit der wertenden Position von ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie verbunden, so etwa RICE, Nations, 186: »While the state has legitimate interests that may be supported, the true prophet maintains a certain distance from it. It is only from this stance, freed from the self-interest of the state, that the true Prophet is able to bring a transcendent criticsm to bear on society.«
3. Prophetische Konstellationen – Politische Konfrontationen
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1 Kön 22 teilt diese Auffassungen und hält sie für ›wahr‹:307 Micha beschreibe, wie es sich ›in Wahrheit‹ verhalte; ihm seien die ›wahren‹ Hintergründe enthüllt worden, indem er aufweise, dass der Lügengeist die Worte der Propheten gegen ihren Willen und ohne ihr bewusstes Dazutun zur Falschprophetie hat werden lasse, ohne dass dies von den Propheten vorsätzlich intendiert gewesen sei.308 Doch diese Bevorzugung übersieht, dass die Visionsschilderungen Michas seine Rede sind. Als seine Rede ist sie auf der gleichen Ebene (K III) wie die Rede der vierhundert Propheten oder die Zidkijas (K III) angesiedelt.309 Zudem wird an keiner Stelle auf der Erzählebene (K II) berichtet, dass das von Micha Gesehene tatsächlich eingetreten ist. Dass er selbst das von ihm Gesehene für eingetreten hält (1 Kön 22,23; K III), erstaunt nicht. Schließlich war genau dies das Ziel seiner Argumentation. Inhaltlich liefern Michas Visionen ein Erklärungsmodell für die divergierenden prophetischen Positionen, indem er die Worte der anderen Propheten als vom ›Täuschungsgeist‹ beeinflusst interpretiert. Diese Position aber müssen die Lesenden in keiner Weise teilen. Ob die anderen Propheten tatsächlich vom ›Täuschungsgeist‹ betroffen sind, hält der Text offen. So stehen in 1 Kön 22 drei unterschiedliche prophetische Positionen nebeneinander. Allerdings wird durch die Reihenfolge, in der die Propheten in der Erzählung auftreten, Micha und seine Botschaft am Ende der pro307
Stellvertretend für viele sei hier âANDA zitiert: »Die Lügenpropheten stehen unter dem Einfluß des ›Lügengeistes‹, der hier als höheres geistiges Wesen sie innerlich dazu antreibt, daß sie bewußt lügen. Auch er geht in irgendeiner Weise von Jahve aus, doch ist er vom ›Geist Jahves‹ wesentlich zu verschieden. Er vermag den Menschen nur zum Lügner, nicht aber zum Ro’e zu machen. Mikejehu bestreitet demnach den Nebi’im hier das Recht, als wirkliche, von Jahve erleuchtete Zukunftsenthüller zu gelten. Nur das eine gibt er zu, daß ihre bewußte Lüge irgendwie auf Jahve zurückzuführen ist. Zwar kann (cf. 1 Sam 15,29) Gott nicht lügen. Wie er trotzdem die Lüge veranlasst, darüber zu forschen nahm man sich damals nicht die Mühe« (âANDA, 1 Könige, 496); vgl. ebenso SCHENKER, Gerichtsverkündigung, 577 oder LANGE, Vom prophetischen Wort, 49. 308 So die schon an diesem Punkt recht differenzierte Deutung von NELSON, Kings, 146– 147. 309 Die bereits sehr differenzierte Deutung von WALSH geht an dieser Stelle nicht weit genug und fällt daher genau in die vom Text gelegte Falle: »The tale cautions us that the issue is not as simple as it may appear. It is not, for instance, a matter of identifying ›true prophets‹ and ›false prophets‹. The spirit of Yahwe inspires them, and they speak (at least in their first ambiguous oracle) what the spirit gives them to speak. If what they are given to speak is deceptive, the untruth is God’s responsibility, not the prophet’s. If anyone in this story deserves to be called a ›false‹ prophet, it is Micaiah, who reveals Yahwe’s secrets to Ahab without divine permission; but the secret he reveals is in fact true«, WALSH, Kings, 353. WALSH vertraut mit seiner Deutung der Rede Michas und sieht sie als wahr an, und genau dies ist unzulässig: Es ist aber in keiner Weise ausgemacht, dass Micha ›wahrer‹ rede als die anderen. Seine Rede liegt auf der gleichen Ebene wie die seiner Kollegen, ist daher mit der gleichen Wertigkeit, Skepsis oder Zustimmung zu betrachten.
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phetischen Auseinandersetzung besonders hervorgehoben. Dabei ist jede der prophetischen Positionen mehrfach deutbar, wobei Michas Reden als einzige die prophetischen Worte der Anderen deuten.310 Dennoch gelingt am Schluss keine eindeutige Bewertung: »Ultimately, the story tells us, there is no foolproof way to distinguish true and false prophecy. Even Micaiah himself can only appeal to future events as validating his prophecy.«311 Auch die Erzählstimme sympathisiert mit keiner der drei Prophetenprofile312 und lässt sie ohne Wertung nebeneinander stehen. Das bedeutet zugleich, dass die Position der Erzählstimme mit keiner im Text präsentierten Figur zu identifizieren ist: »the narrator […] distances himself from all the characters, Yahweh included. This is a rather dramatic sort of presentation. It is almost as if he said, ›Here they are, acting out their parts; now you draw your own conclusions.‹ And whatever conclusions we draw, they will surely not be unambiguous. I suspect that seeing such ambiguity may be one of the results of approaching the Bible from a literary point of view.«313 Damit wird der Ball der Deutung den szeneninternen Zuhörern und darüber hinaus den Lesenden zugespielt: Sie sind es, die Stellung zu den drei unterschiedlichen Typen von Prophetie und ihren mehrfach deutbaren Positionen beziehen müssen. Damit wird in der Erzählung nicht einfach die Frage nach ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie im Sinne einer eruierbaren Objektivität gestellt. Die Fragen lauten vielmehr: Für wen ist was in welcher Situation wahr? Und: Wer hört wann was? Diese Fragen führen zu einer Differenzierung und entfalten eine Theologie, 314 die die Position der Lesenden ins Zentrum stellt und in der es darauf ankommt, was die Rezipierenden hören und wie sie mitdenken.315 Die Lesenden haben die Chance, die unterschiedlichen Positionen in ihren Nuancen zu erkennen und auszuloten. Ihnen ist eine noch differenziertere Perspektive als den 310 Dass es sich hierbei um »ein bewusst doppeldeutiges Gotteswort« handele, betont jüngst auch OSWALD (Ahab, 13), der in der griechischen Kultur die »Zweideutigkeit des Orakels als Test für die Interpretationsfähigkeit der Empfänger« versteht. 311 WALSH, Kings, 353. 312 Gegen LONG, der meint, Micha sei »the obvious hero to the narrator (his ›true prophet‹)« vgl. LONG, 1 Kings, 234. 313 ROBERTSON, Micaiah, 146. 314 Dagegen meint RICE, Nations, 186, dass diese Erzählung einen Einblick in frühe Formen der Prophetie ermögliche. 315 So auch CRÜSEMANN, Elia, 112–113, der die Propheten nicht als Lügenpropheten versteht, sondern der richtigerweise betont, dass es davon abhängt, was man hören will. Allerdings nimmt auch er an, dass die Rede der Propheten tatsächlich durch den Lügengeist beeinflusst ist. Damit schließt er sich der deutenden Rede Michas an und ignoriert, dass es sich um Michas Rede und Deutung handelt. Zugleich identifiziert CRÜSEMANN einfach Michas Position mit der Wahrheit: »Jetzt geht es für Micha um die Wahrheit, sozusagen die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit« (CRÜSEMANN, Elia, 114).
3. Prophetische Konstellationen – Politische Konfrontationen
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szeneninternen Figuren ermöglicht. Über die erzählte Reaktion der Figuren auf die Worte der Propheten werden ihnen Deutemöglichkeiten an die Hand gegeben: So werden von den szeneninternen Figuren die Worte der vierhundert Propheten und Zidkijas als Zustimmung zu den Plänen des Königs gedeutet. Auf Michas Aussagen reagieren sowohl der König als auch Zidkija aggressiv. Daher können die Lesenden nicht nur zu den Worten der Propheten, sondern zugleich zu den Deutungen der Figuren Stellung beziehen, ihnen zustimmen oder sich von ihnen distanzieren. Sie können wie die Figuren die Worte der vierhundert Propheten und Zidkijas als Zustimmung zu den Plänen des Königs lesen, sie können aber auch die Nuancen und kleinen Verschiebungen in den einzelnen Reden wahrnehmen, ihre Mehrdeutigkeiten erkennen und die Grenzen der jeweiligen Redeposition als die einer Figur in den Mund gelegten Rede wahrnehmen. Je nach der Fokalisierung verändern sich die prophetische Botschaft und ihr Inhalt. Damit wird in dieser sehr differenzierten Erzählung klargestellt, dass »the fundamentalist quest for total security in God’s word as an absolutely reliable source of true information turns out to be an illusory one.«316 Auf diese Weise hat sich die vermeintliche Frage dieser Erzählung nach ›wahrer‹ oder ›falscher‹ Prophetie endgültig verschoben: Die Frage nach dem prophetischen Wort selbst wird in dieser Erzählung durch die ins Bewusstsein gehobene Position der Lesenden ergänzt. Sie werden neu in den Mittelpunkt gestellt, indem die Frage nach der Prophetie zu einer Theologie des Hörens erweitert wird, die im Prozess geschieht. Wie dies bereits für 1 Kön 13 erkennbar wurde, erweist sich in 1 Kön 22 das Wort als Wort Gottes erst durch die Rezeption. Daher ist es das Ziel dieser Erzählung, die Lesenden so in das Geschehen zu involvieren, dass sie erkennen, dass die einfache Alternative ›wahr oder falsch‹ nicht aufgeht, ohne dass damit aber die Frage nach der Wahrheit gleichzeitig suspendiert wäre.317 Gerade weil die Erzählung die Frage nach dem Gottes Wort ins Zentrum stellt, werden die Lesenden gezwungen, sich der Frage nach der Wahrheit zu stellen. Dass ihnen dabei keine Antworten vorgegeben werden, sondern sie sich die Antwort in Auseinandersetzung mit der Erzählung selbst erarbeiten müssen, ist die Pointe dieser Erzählung. Wie die Propheten keine Gottestrichter sind, sondern bereits die Botschaft transformieren (müssen), wenn sie sie verkünden, so braucht es auch kompetente Hörende, die das, was gesagt wird, hören und erfassen können. Daher geht es nicht nur darum, was wie gesagt wird, sondern in gleichem Maße, was wie gehört wird (vgl. Ps 62,12). Und genau das verändert die Frage nach der ›wahren‹ Prophetie zu einer Theologie des Hörens und der Ausle316
NELSON, Kings, 152. Vgl. hierzu das Diktum von Georg Christoph Lichtenberg: »Bei Prophezeiungen ist der Ausleger oft ein wichtigerer Mann als der Prophet«. 317
326
Kap. IV: 1 Kön 22
gung: Die Lesenden werden als theologietreibende Subjekte ins Zentrum der theologischen Auseinandersetzung und des theologischen Mit-Denkens gestellt. Wahre Prophetie braucht kompetente Leserinnen und Leser. Diese Verschiebung bedingt zugleich eine Demokratisierung der Prophetie: Es geht nicht um einzelne Gestalten, die von Gott auserwählt sind und die im Namen Gottes reden, sondern es geht um die Frage, wie die Hörenden und Lesenden mit dieser Botschaft umgehen, was sie hören und wie sie diese verstehen. Die Frage nach dem Umgang mit Prophetie, besonders die Frage nach ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie ist keineswegs neu, sondern im Laufe der biblischen Traditionsbildung sind Kriterien entwickelt worden, um wahre von falscher Prophetie zu unterscheiden.318 Exemplarisch sei hier das Prophetengesetz (Dtn 18,9–22) genannt, das drei Kriterien nennt: erstens das Erfüllungskriterium, zweitens die Übereinstimmung von Verkündigung und Praxis des Propheten und drittens das Traditionskriterium, also die Bindung der Botschaft des Propheten an seine Vorgänger. Dieser Kriterienkatalog hilft aber den Lesenden in 1 Kön 22 nicht weiter: Da die Aussagen der vierhundert Propheten und die erste Antwort Michas in sich sowohl als Sieg, als auch als Niederlage deutbar sind, kann anhand des Erfüllungskriteriums und anhand des weiteren Verlaufs der Erzählung nicht entschieden werden, ob die Aussagen ›wahr‹ oder ›falsch‹ sind. In Bezug auf die Übereinstimmung von Verkündigung und Praxis ist den Lesenden ebenso ein Urteil verwehrt, weil sie weder vorher noch nachher etwas von Micha, Zidkija oder den vierhundert Propheten erfahren. Ähnlich verhält es sich mit dem dritten Kriterium, dem Traditionskriterium: Aufgrund der spärlichen Informationen wird für die Lesenden nur deutlich, dass alle Prophetien typische Redeformen und Auftrittsarten repräsentieren und daher alle gleichermaßen in der Tradition verwurzelt zu sein scheinen. Damit wird in 1 Kön 22 inszeniert, dass die klassischen Bewertungen für Prophetie nicht (mehr) aufgehen, wie es z.B. das Prophetengesetz in Dtn 18,9–22 anvisiert hat. Diese Erfahrung teilt 1 Kön 22 mit den Auseinandersetzungen von Jeremias mit anderen prophetischen Positionen (vgl. Jer 23,9–32; 27–28). Eine ganz ähnliche Situation wie in 1 Kön 22 wird auch im Buch Jona erzählt: Jona ist ein von Gott beauftragter Prophet, der aber weiß, dass, wenn er seine Gottes Botschaft treu und wahr verkündet, Gott aufgrund seiner Barmherzigkeit das Unheil, das Jona ankündigen soll, nicht realisieren wird (Jona 1–2). Und tatsächlich kommt es auch so: Der wahre, von Gott beauftragte und die Gottes Botschaft treu verkündende Prophet steht am Ende der Erzählung als ein vermeintlicher Falschprophet da, weil
318
Vgl. hierzu HOSSFELD, Propheten, 630–631. Vgl. auch FISCHER, Gotteskünderinnen, 43–55.
3. Prophetische Konstellationen – Politische Konfrontationen
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sich das von ihm Angekündigte gerade nicht erfüllt (Jona 3–4).319 Weil beide Erzählungen zeigen, dass die klassischen Kriterien der Unterscheidung nicht funktionieren, müssen neue Orientierungsmuster geschaffen werden. 1 Kön 22 stellt hierbei die Lesenden und ihre theologische Kompetenz ins Zentrum. Auf diese Weise erzählt 1 Kön 22 den Übergang von Vorgaben und Orientierung durch die Prophetie zur (weisheitlichen) Reflexionsleistung jedes Einzelnen.320 1 Kön 22 erweist sich damit als ein Brückentext von der Prophetie zur Weisheit. 3.2. Die politische Konfrontation Im Blick auf das politische Setting, das in 1 Kön 22 erzählt wird, sind zwei Aspekte besonders interessant: Dies ist erstens die politische Konstellation zwischen Nord- und Südreich, wie sie im Verhältnis der beiden Könige geschildert wird, und zweitens die politische Konfrontation im Krieg von Israel (und Juda) gegen Aram. Wie in der Erzählung durchgängig gezeigt werden konnte, erscheint Joschafat, der König von Juda, stets als der Juniorpartner des Königs von Israel: Auch wenn die Erzählung offen lässt, warum Joschafat zum König von Israel herabgestiegen ist (1 Kön 22,2), begibt er sich in den Einfluss des Königs von Israel und akzeptiert stets, was dieser ihm sagt. Die einzigen ›eigenständigen‹ Aktionen Joschafats sind seine Bitte, JHWH vor dem Kriegszug zu befragen (vgl. 1 Kön 22,5), und deren Wiederholung, ›noch einen‹ JHWH-Propheten herbeizuziehen (vgl. 1 Kön 22,7). Nur aufgrund dieser Interventionen kommt es überhaupt zu einer Prophetenbefragung und damit auch zum Auftritt Michas. Dass sich diese Erzählung zu einer (JHWH-)Prophetenerzählung entwickelt, liegt also in der Konstruktion der Erzählung nur am König von Juda (!). Die von ihm eingeforderten Prophetenbefragungen führt aber nicht er, sondern Ahab durch. Joschafat verhält sich gegenüber dem König von Israel ungeteilt solidarisch (vgl. 1 Kön 22,4) und geht auf seine Wünsche ein (vgl. 1 Kön 22,30). Auf diese Weise wird Joschafat als treu und ergeben gegenüber dem König des Bruderstaates Israel charakterisiert. Dass dies dem König von Juda fast das Leben kostet (vgl. 1 Kön 22,32–33), ist für die Einordnung der Erzählung in Komposition der Königsbücher nicht ohne Bedeutung. Umgekehrt nimmt Ahab, der König von Israel, keine Rücksicht auf Joschafat. Er benutzt ihn für seine Interessen, wenn er ihn braucht.321 Ahab wird als der Überlegene, Aktive und politisch Umtriebige gezeichnet, der seine Belange in den Vordergrund stellt und für seine Rettung auch riskiert, den König von Juda in Gefahr zu bringen (vgl. das Verkleidungsmotiv in 22,32–33). 1 Kön 22 ist 319
Vgl. hierzu auch SCHMITZ, Das Buch Jona, 150–179. Vgl. GUILLAUME, The End of Jonah is the Beginning of Wisdom, 243–250. 321 Dies wird u.a. an dem Spiel von ›ich‹ und ›wir‹ im Laufe der Erzählung deutlich. 320
328
Kap. IV: 1 Kön 22
eine exemplarische Erzählung, die das Verhältnis der beiden Könige zueinander schildert, das auf das Verhältnis der beiden Staaten Israel und Juda transparent wird. Dass die Erzählstimme in 1 Kön 22 das Verhältnis der beiden Könige als ein Abhängigkeitsverhältnis Judas von Israel schildert, ist für die Gesamtkomposition der Königsbücher wichtig. Das Verhältnis zwischen Israel und Aram ist in dieser Erzählung nur ein Nebenaspekt: Ahab, der sich in 1 Kön 20 als generöser Sieger gegenüber dem König von Aram gezeigt hatte (vgl. 1 Kön 20,30–34), weswegen er harsche prophetische Kritik einstecken musste (vgl. 1 Kön 20,38–43), beginnt wegen alter Besitzansprüche einen Konflikt mit Aram, in den er Juda mit hineinzieht: »Mit diesem Angriff bricht der zuletzt militärisch überlegene Staat (1 Kön 20) den von ihm selbst oktroyierten und durch Friedensvertrag festgeschriebenen Status quo, und will sich weiteres Gebiet aneignen bzw. zurückerobern.«322 In der Konfliktkonstellation tauschen nun der König von Israel und der König von Aram ihre Funktionen: Dieses Mal erweist sich der König von Aram als großzügiges Gegenüber, der anweist, nur den König von Israel ins Visier zu nehmen, Israel aber zu schonen (1 Kön 22,31). Im Kontext der Beschäftigung mit 1 Kön 22 wird meist auch ausführlich auf die Frage eingegangen, ob sich der in 1 Kön 22 erzählte Konflikt zwischen Aram und Israel historisch auswerten lässt. Daher sei an dieser Stelle kurz auf diese Fragestellung eingegangen. Meist wird die Schlacht um Ramot-Gilead im Kontext der Schlacht bei Karkar 853 v. Chr. gegen Salmanassar III. verortet.323 Diese Fixierung setzt voraus, dass man den König von Israel aus 1 Kön 22 mit Ahab (871–852 v. Chr.) identifiziert.324 Allerdings war Ahab in der Schlacht bei Karkar, die nicht lange vor Ahabs Tod stattgefunden hat, ein Verbündeter Arams als Teil der syrisch-palästinischen Koalition, zu denen die Könige von Hamat, Damaskus u.a. gehörten. Nach Auskunft der Monolith-Inschrift Salmanassars III. hätte der König von Israel das größte Truppenkontingent gestellt.325 Dies stellt die Identifizierung des Königs von Israel mit Ahab in Frage. Daher sehen Whitley326
322
CRÜSEMANN, Elia, 107. So BENZINGER, Könige, 123; GRESSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung, 278; âANDA, 1 Könige, 490–491; REHM, Könige, 67–68; MONTGOMERY, Kings, 337; KETTER, Königsbücher, 175; COGAN, 1 Kings, 498 324 Nach WÜRTHWEIN spricht gegen eine Identifizierung des König mit Ahab, dass dieser nur einmal in der Erzählung genannt werde und er entsprechend der dtr. Schlussformel keines gewaltsamen Todes gestorben sein dürfte (WÜRTHWEIN, Könige, 261). 325 Vgl. GALLING, Textbuch, 49–50. 326 WHITLEY (Deuteronomistic Presentation, 149) urteilt hier vorsichtiger: Der Erzähler verstehe sich als »a compilation from sources dealing with the facts concerning the alliance of 323
4. Perspektivenstruktur und Autorfiguration
329
und Schmitt327 im König von Israel Joram (851–845 v. Chr.), den letzten König der Omri-Dynastie.328 Jepsen,329 Miller330 und Nelson331 hingegen situieren die Vorgänge in die Zeit der Jehu-Dynastie unter König Joahas (818–802 v. Chr.) oder Joas (802–787 v. Chr.).332 Mir scheint, dass es kaum ertragreich ist, die Erzählung von 1 Kön 22 für eine historische Rekonstruktion heranzuziehen, v.a. dann nicht, wenn man versucht, die in der fiktionalen Textwelt erzählten Ereignisse auf ein einzelnes Ereignis zu beziehen: »Eine historische Datierung und Auswertung der Kriegserzählung 22,2b–4.29–37 ist nicht möglich [...]. Neuere Versuche einer historischen Auswertung haben zu keinem überzeugenden Ergebnis geführt.«333
4. Perspektivenstrukturen und Autorfiguration von 1 Kön 22 4. Perspektivenstruktur und Autorfiguration
Die Erzählung von 1 Kön 22 umfasst fünf Kommunikationsebenen: Auf der ersten, der textexternen Ebene wird nach den im Text eruierbaren Autorfunktionen gefragt (vgl. III. 4.2.). Textintern sind vier weitere Kommunikationsebenen zu unterscheiden (K II–V). Die Erzählstimme präsentiert die Handlung und die Figuren (K II), von denen fast alle, die auftreten, auch sprechende Figuren sind (K III–K V). 334 Jehoshaphat and Joram against Moab; from a similar alliance of Joram with Ahaziah against the Syrians at Ramot-Gilead; and from the circumstances attending Joram’s death.« 327 SCHMITT formuliert anders: »Der hier berichtete Tod eines Königs von Israel in einer Schlacht gegen die Aramäer kann auf keinen der israelitischen Könige bezogen werden« (SCHMITT, Elisa, 61): Dennoch sieht SCHMITT die engsten Übereinstimmungen der vorliegenden »Sage« mit der Geschichte Jorams (vgl. SCHMITT, Elisa, 61–62). So auch CRÜSEMANN, Elia, 105 im Anschluss an SCHMITT: In der Erzählung lägen »am ehesten Erinnerungen aus der Zeit Jehus und dem Tod Jorams vor, allerdings nur indirekt und in sagenhafter Gestalt«. 328 So SEEBASS, Micha, 117; von DE VRIES, Prophet against Prophet, 29.93–97.100–107 wird seine als »Narrative A« bezeichnete Erzählung auch unter die Omriden-Dynastie datiert, die Erzählung B sei hundert Jahre später entstanden. 329 Vgl. JEPSEN, Israel und Damaskus, 157. 330 Vgl. MILLER, The Elisha Cycle, 441–454; DERS., The Rest, 337–342; vgl. auch DERS., Chronology, 276–288. 331 NELSON, Kings, 145: »Although historians have convincingly suggested that Ahab’s campaign against Syria actually took place a generation later in the reign of Jehoahaz, Kings sets this account unambiguously into the career of Ahab.«. 332 So etwa NA’AMAN, Prophetic Stories, 171: »Contrary to the opinion of most scholars, 1 Kgs 22,1–18.29–37 should be treated as a possible historical source for the time of either Ahab or his son, Joram«. 333 WÜRTHWEIN, Könige, 261; so auch FRITZ, Könige, 196 und HENTSCHEL, 1 Könige, 135: »Keine Hypothese kann ganz befriedigen«. 334 Ausnahmen bilden hier die Gefolgsleute des Königs (1 Kön 22,3), der vom König Angesprochene in 1 Kön 22,26–27 sowie der ›Mann‹, der schießt (1 Kön 22,34).
330
Kap. IV: 1 Kön 22
4.1. Textinterne Perspektivenstrukturen (K V–II) 4.1.1. Die Perspektiven JHWHs, des Geistes und des Königs (K IV und V) Wie bereits in 1 Kön 13 tritt JHWH in dieser Erzählung nicht als selbständige Figur auf, sondern ist im Text nur durch die von Figuren zitierte Rede präsent (K IV). Die Lesenden erhalten zwei unterschiedlich fokalisierte Perspektiven von JHWH: Zum einen gibt Zidkija eine JHWH-Rede wieder, zum anderen präsentiert Micha JHWH in seinen Visionsschilderungen.335 Damit wird den Lesenden JHWH aus unterschiedlichen Perspektiven vorgestellt, die beide jeweils durch typische prophetische Rede- und Auftrittsformen abgesichert werden: Zidkija markiert die Provenienz seines JHWHWortes durch die Botenformel (22,11c), während laut Micha seine beiden JHWH-Reden Visionen sind und er die zweite zudem als ›Wort JHWHs‹ (22,19b) identifiziert. Inhaltlich sind die beiden Wiedergaben der JHWHRede ganz unterschiedlich gestaltet: Zidkijas JHWH kündigt das zukünftige Ergehen eines angesprochenen ›Du‹ an (1 Kön 22,11c–d). Diese Prophezeiung ist so polysem: JHWH könnte mit dem angesprochenen ›Du‹ einen Sieg oder auch eine Niederlage ankündigen. Anders ist dies bei Michas JHWH, der sein Ziel klar benennt: Er will Ahab ›betören‹ und sucht hierfür nach geeigneten Mitteln. Sein Gesprächspartner ist ›der Geist‹, der sich bereit erklärt, die Absichten Gottes umzusetzen. Dieser ist kein Täuschungsgeist, sondern bietet JHWH nur an, zum ›Täuschungsgeist‹ zu werden; es ist lediglich eine Rolle, die ›der Geist‹ temporär übernimmt. Zudem verhält sich Michas JHWH königskritisch: JHWH spricht als einziger in dieser Erzählung Ahab mit seinem Namen an (vgl. 1 Kön 22,20b) und behauptet zudem, Heimkehr in Frieden werde erst ohne ›Herrn‹ möglich sein (vgl. 1 Kön 22,17). Auf diese Weise werden auf der vierten Kommunikationsebene inhaltlich und formal zwei ganz unterschiedlich perspektivierte JHWH-Reden miteinander konfrontiert: Ein uneindeutiger JHWH Zidkijas336 versus einen höchst eindeutigen JHWH Michas. Durch diese Konstellation stehen sich auf der vierten Kommunikationsebene zwei verschiedene Perspektiven über JHWH gegenüber. Auf diese Weise wiederholt sich auf dieser Ebene die Konstellation der unterschiedlichen Prophetenperspektiven der zweiten und dritten Kommunikationsebene. Welche Perspektive auf JHWH (K IV) die ›richtige‹ ist, ist nicht zu entscheiden. Dass die Mitte der Erzählung 335
Weil die Aussage der vierhundert Propheten sich nur auf K III abspielt und kein Wort JHWHs wiedergibt, ist ihre Aussage auf der vierten Kommunikationsebene nicht auszuwerten. 336 Dass Zidkija diese Aussage sicherlich nicht in der erläuterten Offenheit und Uneindeutigkeit intendiert hat, ist aber nicht auf der vierten, sondern erst auf der dritten Kommunikationsebene aufzuzeigen; vgl. daher das folgende Kapitel.
4. Perspektivenstruktur und Autorfiguration
331
von 1 Kön 22 die Frage JHWHs nach dem ›Wie?‹ (1 Kön 22,21f) bildet, scheint daher kein Zufall zu sein. Der König von Israel ist als weitere Figur auf der vierten und fünften Kommunikationsebene präsent: Er weist einen unbekannten Boten an, Micha festzunehmen und ihn an Amon und Joasch zu überstellen; was diesen zu sagen sei, teilt der König dem Boten in einer Botenrede (K IV) mit, in der er sich selbst zitiert (K V; 1 Kön 22,26b–27d).337 Nachdem Micha seine Position und damit seine Autorität öffentlich in Frage gestellt hat, bedient sich der König offensichtlich eines – zu den beiden Propheten – analogen Sprachgestus: Als Prophet seiner selbst (K III; 1 Kön 22,26b–27a) teilt er dem Unbekannten – wie JHWH dem Geist – mit (K IV; 1 Kön 22,27b), was dieser wörtlich zu sagen habe (K V; 1 Kön 22,27c–d) und sichert seine Worte zudem – wie die Propheten – mit der Botenformel ab (1 Kön 22,27b). Letztlich erweist er sich damit als ›betört‹. Er, der bisher stets die Handlung aktiv vorangetrieben hat, wird mit allem, was er ab jetzt initiiert, sein eigenes Schicksal herausfordern und besiegeln. 4.1.2. Die Perspektiven der Figuren: Die Könige und die Propheten (K III) Bei der Analyse der durch die Figuren erzeugten Perspektiven im Text kann zwischen zwei Konstellationen unterschieden werden: zum einen die beiden Könige und zum anderen die Propheten, die jeweils unterschiedliche Perspektiven auf das erzählte Geschehen haben. Diese beiden Konstellationen sind in ihrer Perspektivenstruktur jeweils in sich zu differenzieren. Die Perspektive des Königs von Israel wird von vorneherein offen gelegt: Er ist ganz von dem Wunsch, Ramot-Gilead zu erobern, bestimmt; diesem Ziel ordnet er alles unter und versteht es, sein Umfeld für seine Zwecke zu instrumentalisieren.338 Dass der aktive und machtorientierte König ganz auf sich bedacht ist, zeigt sein Vorhaben, verkleidet in den Krieg ziehen, das ihm aber, statt ihn zu retten, den Tod bringt. Zugleich wird er als sehr emotionale Figur gekennzeichnet, die von sich selbst sagt, dass er »hasst« (vgl. 1 Kön 22,8). Joschafat hingegen tritt nur im ersten Abschnitt der Erzählung als sprechende Figur auf, so dass die Lesenden seine Perspektive nur in Bezug auf die Ereignisse am Anfang der Erzählung, nicht aber in Bezug auf ihren weiteren Fortgang erfahren. Joschafats Perspektive auf das Geschehen zeichnet sich zum einen durch seine ungeteilte Solidarität mit dem König von Israel aus, zum anderen dadurch, dass er der Erste und Einzige in dieser Erzählung ist, der nach JHWH fragt und die Perspektive Gottes einbeziehen möchte. Dass also überhaupt JHWHs 337 338
In der Erzählung zitiert sich der König selbst zweimal (1 Kön 22,18c–d.27c–d). Vgl. zur Charakterisierung der Könige Kap. IV. 3.2.
332
Kap. IV: 1 Kön 22
Perspektive in die Erzählung integriert wird, geht von der narrativen Konstruktion her allein auf die Intervention Joschafats zurück. Die dritte Perspektive auf der Seite der Könige wird durch den König von Aram etabliert, der sich in militärischer Zurückhaltung übt und seine Soldaten anweist, sich nur auf den König von Israel zu konzentrieren. Auf diese Weise wird der König von Israel doppelt kontrastiert: zum einen durch Joschafat, der die Frage nach der Perspektive JHWHs einfordert, und zum anderen durch den König von Aram, der nicht minder zielorientiert, aber dabei als menschlich rücksichtsvoller porträtiert wird. Dieser Dreierkonstellation auf der Seite der Könige korrespondiert die Dreierkonstellation auf der Seite der Propheten: Auf ihr werden jeweils drei unterschiedliche Typen von Prophetie, die Vierhundert, Zidkija und Micha, repräsentiert.339 Ihre jeweiligen Reden (K III) können allerdings in zwei Gruppen differenziert werden: Dies sind erstens die beiden Reden der Vierhundert, zweitens die Zidkijas sowie drittens die erste Rede Michas (1 Kön 22,6f–g.11d.12b–d.15f–h). Diese vier Reden sind alle höchst polysem und können jeweils als Sieg oder als Niederlage gelesen werden. Ob allerdings das in ihr verborgene mehrdeutige Sinnpotential von den jeweils sprechenden Figuren intendiert ist, ist offen. So scheint es, dass die Rede der vierhundert Propheten und die Zidkijas aus ihrer jeweiligen Figurenperspektive Ahab einen Sieg verheißen möchten, während Michas erste Rede vor dem Hintergrund dessen, was er Ahab im Folgenden sagen wird, bewusst mehrdeutig gemeint sein könnte. Damit verliert sich die auf K IV festgestellte Mehrdeutigkeit JHWHs weitgehend, wenn diese an ihre Sprecher rückgebunden wird. Das Verstörende ist aber, dass die identischen Worte eben auch anders gelesen werden können – wie dies die erste Rede Michas zeigt. Da die Rezipierenden aber nie die Aussageabsicht eines Senders erfassen können, ist die Zuschreibung der Sprecherintention spekulativ und kann daher nicht abschließend geklärt werden. Damit verschiebt sich die Frage nach der ›Bedeutung‹ auf die Lesenden: Sie können – wie oben geschehen – versuchen, nach der wahrscheinlichen Aussageintention der Figuren zu fragen und deren Plausibilität in der Erzählung aufzuzeigen. Daraus ergibt sich eine Differenz zwischen den rekonstruierten Sprecherintentionen der Figuren und den Verstehensmöglichkeiten aus der Perspektive der Lesenden: Während die Vierhundert wahrscheinlich ihre Prophezeiungen als Sieg für Ahab verstehen und so auch gehört wissen möchten, können die Lesenden diese Aussagen bereits in ihrem breiten polysemen Sinngehalt lesen. Insofern vertritt 1 Kön 22 keine Prävalenz einer ›figurenintendierten‹ Verstehensvorgabe, sondern inszeniert bereits auf der Figurenebene (K III) eine Leseorientierung, die den fiktionalen Adressaten (K II) ebenso aktiviert wie die real Lesenden (K I). Somit spielt 339
Vgl. zur Charakterisierung der Propheten Kap. IV. 3.1.
4. Perspektivenstruktur und Autorfiguration
333
1 Kön 22 sowohl mit den sich aus den unterschiedlichen Kommunikationsebenen ergebenden Perspektivenstrukturen, als auch mit den Kommunikationsebenen selbst. Auf der Figurenebene sticht Micha noch einmal dadurch heraus, dass er durch die Schilderung seiner Visionen zur ›erzählenden Figur‹ wird: Seine Erzählungen beginnen jeweils nach dem Signalwort »ich habe gesehen« (1 Kön 22,17b.19c). Micha als Figuren-›Erzählstimme‹ ist als intra- und heterodiegetische Erzählstimme zu beschreiben.340 Er gibt sich als vermeintlich neutraler und nicht in das Geschehen involvierter Berichterstatter. Weil die Lesenden alle Informationen über die Visionen nur durch die von Micha intern fokalisierte und nur durch ihn zugängliche Perspektive erhalten, bleibt die Glaubwürdigkeit von Micha als erzählender Figur offen. 4.1.3. Die Perspektive der Erzählstimme (K II) Die Erzählstimme von 1 Kön 22 ist – wie in 1 Kön 13 – extra- und heterodiegetisch, weil sie weder auf der Ebene der Erzählung noch auf der Ebene der Figuren anwesend ist. Anders als in 1 Kön 13 findet sich in dieser Erzählung kein Erzählstimmenkommentar, evaluative Stellungnahmen o.ä., über die die Kontur der Erzählstimme genauer zu erfassen wäre. Die Erzählstimme nimmt sich in 1 Kön 22 vielmehr stark zurück und erscheint als fast nicht wahrnehmbar. Damit präsentiert sie sich als kaum in das Geschehen involviert, was suggeriert, dass sie eine vermeintlich ›objektive‹ Erzählhaltung einnehme. Ein Mittel hierzu ist die Verteilung von Erzähl- und von Redeanteilen: Gerade im ersten und zweiten Abschnitt (1 Kön 22,2–14.15–28) überwiegen die Redeanteile (K III) gegenüber dem Erzähltext (K II).341 Die Dynamik des erzählten Geschehens entwickelt sich somit als Kommunikation der Figuren. Dies verleiht dem erzählten Geschehen dramatischen Charakter, so dass sich das im ersten Abschnitt Erzählte leicht auf der Bühne inszenieren ließe. Damit wird der Anschein erweckt, dass die Erzählstimme das Geschehen ›nur‹ wiedergebe. Interessanterweise wiederholt sich dies analog in den von Micha erzählten Visionsschilderungen: Auch diese bestehen zu einem überwiegenden Teil aus wörtlich wiedergegebener Rede. Damit ergibt sich eine aufschlussreiche Ähnlichkeit zwischen der Charakterisierung von Micha als ›erzählender Figur‹ und der Erzählstimme selbst. Da Micha als ›erzählende Figur‹ ein Produkt der Erzählstimme ist, ist zu fragen, ob Micha als erzählende Figur Spiegel und alter ego der Erzählstimme ist. 340 341
Vgl. hierzu Kap. IV. 2.3.3. Vgl. 1 Kön 22,3b–d.4b.4d–f.5b.6c–d.6f–g.7b–c.8b–e.8g.9c.11c.12b–d.13c–e.14b–d.
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Kap. IV: 1 Kön 22
Im Gegensatz zu den ersten beiden Abschnitten überwiegt im dritten Abschnitt (1 Kön 22,29–40) der Erzähltext, in den deutlich weniger Reden eingebettet sind. Während in den ersten beiden Abschnitten der Streit, bei wem das Wort JHWHs zu finden sei, – dem Inhalt angemessen – in Rede und Kommunikation verhandelt wird, soll sich, wie zwischen dem König und Micha vereinbart (1 Kön 22,27.28), durch den Fortgang der Ereignisse herausstellen, wer Recht habe. Dem entspricht, dass im dritten Abschnitt die Handlung v.a. auf der Erzähltextebene und eben nicht auf der Ebene der Rede vorangetrieben wird. Trotz der starken Zurücknahme der Erzählstimme lassen sich jedoch einige Beobachtungen festhalten, die es ermöglichen, ihre Kontur näher zu beschreiben: Ein zentrales Charakteristikum der Erzählstimme ist, dass sie das Geschehen im Dialogstil präsentiert. Sie lässt verschiedene Figuren mit unterschiedlichen Positionen auftreten, ohne auch nur einer eindeutig den Vorzug zu geben. Darin unterscheidet sie sich von der Erzählstimme in 1 Kön 13, die sich durch ihren Erzählstimmenkommentar zu dem von ihr Erzählten eindeutig positioniert hat. Daher kann der deutlich andere Erzählstil in 1 Kön 22 als ein bewusster ›Verzicht‹ der Erzählstimme verstanden werden: Als für die im Text auftretenden Figuren und deren Reden Verantwortliche lässt die Erzählstimme die Figuren weitgehend nebeneinander stehen. Möglicherweise ist die größte Distanz der Erzählstimme zu ihren Figuren zum König von Israel auszumachen, den sie immer nur als »der König (von Israel)«, nie aber mit seinem Eigennamen bezeichnet (außer in 1 Kön 22,40). Eine zweite Kontur der Erzählstimme lässt sich in 1 Kön 22,38d aufzeigen: In diesem Vers betont die Erzählstimme, dass sich ein JHWH-Wort erfüllt hat, das außerhalb von 1 Kön 22 ergangen ist. Damit ergibt sich eine Nähe zwischen der Erzählstimme und der Perspektive JHWHs und seinem Wort, das Elija in Form einer Botenrede wiedergegeben hat (1 Kön 21,19). Ob damit die Perspektive der Erzählstimme von Anfang an ganz durch 1 Kön 21 voreingestellt war und daher 1 Kön 22 ganz aus der Perspektive von 1 Kön 21 erzählt wird, was auf eine enge Allianz zwischen der Perspektive JHWHs und der Erzählstimme hinausliefe, oder ob es nur um den Hinweis einer punktuellen Bestätigung eines JHWH-Wortes geht, kann nicht eindeutig entschieden werden. In beiden Fällen aber würde die Erzählstimme wie in einem Zirkelschluss das, was sie zuvor erzählt hat, legitimieren. Das als erfüllt präsentierte ›Wort JHWH‹ wird somit zum interessengeleiteten Vehikel der eigenen Bestätigung. Eine dritte Kontur gewinnt die Erzählstimme durch den dreifach erzählten und unterschiedlich fokalisierten Tod Ahabs. Hierbei ist besonders die Differenz zwischen den ersten beiden Schilderungen (1 Kön 22,35–36.37– 38) und der dritten (1 Kön 22,39–40) aufschlussreich: Neben dem jeweiligen Wechsel der Fokalisierung unterscheiden sich die ersten beiden von
4. Perspektivenstruktur und Autorfiguration
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der dritten Schilderung dadurch, dass in 1 Kön 22,40a die Erzählstimme erstmals (!) den König von Israel mit seinem Eigennamen ›Ahab‹ benennt, was in der gesamten Erzählung bisher konsequent vermieden wurde. In 1 Kön 22,39–40 handelt es sich um das stereotyp wiederholte Abschlussformular zum Tod der Könige, das sich durch die gesamten Königsbücher zieht, und zu der die Nennung des Königs bei seinem Eigennamen gehört. Aufgrund des unterschiedlichen Sprachstils, durch den sich 1 Kön 22,1–38 von 22,39–40 unterscheidet, ist zu fragen, ob hier eine Differenz zwischen der Erzählstimme, die 1 Kön 22,1–38 schildert, zu einer anderen Erzählstimme auszumachen ist. Wenn sich in den Königsbüchern unterschiedliche Erzählstimmen aufzeigen ließen, dann könnte man diese als multiperspektivische Erzählung mit verschiedenen Erzählstimmen verstehen. Die unterschiedlichen Erzählstimmen könnten jeweils eigene Interessen verfolgen. Diese Fragestellung ist eine eigene Untersuchung und könnte von der Erzähltextanalyse kommend eine weitere Brücke zu solchen Analysemodellen ergeben, die diese Differenzen literarhistorisch auswerten. Weiterhin sind Beschreibungen als nicht-narrative Elemente für die Frage nach der Erzählstimme besonders aufschlussreich. In 1 Kön 22 finden sich im Erzähltext drei beschreibende Sequenzen (1 Kön 22,1.10.38d). Von diesen spannen sich zwei Bögen über die Erzählung, die jeweils ihren Ausgang von einer beschreibenden Sequenz nehmen, in denen die Haltung der Erzählstimme sichtbar wird. Der erste spannt sich als äußerer Bogen über die gesamte Erzählung: Die Ruhe im Land zu Beginn (1 Kön 22,1; Beschreibung) wird durch den Tod des Königs von Israel am Ende der Erzählung kontrastiert, über den das Land erst wieder zu dem Frieden findet, den es am Anfang eigentlich bereits hatte. Dieser ›Schalom-Bogen‹ der Erzählung hat einen ›Zwischenstopp‹ und Höhepunkt in der von Micha erzählten zweiten Vision, in der JHWH genau dieses Ende vorhersagt: Eine Rückkehr nach Hause in Frieden ist erst ohne ›Herrn‹ möglich (~Alv' vgl. 1 Kön 22,17). Der zweite, innere Bogen spannt sich von der zweiten Beschreibung in 1 Kön 22,10 bis zum Ende des zweiten Abschnitts (1 Kön 22,19–23): Diese fungiert als Gegenbild zu der später erzählten Szenerie um JHWH (1 Kön 22,19–23). Aufgrund der Zeitkonstruktion, die die Szene um JHWH in der story später erzählt, aber die von der fabula vor 1 Kön 22,10 zu situieren ist, wird deutlich, dass die in der story später erzählte Szene um JHWH nicht das Spiegel- oder Gegenbild der Szene in Samaria ist, sondern zuerst stattgefunden hat und damit ihr Ursprung sein könnte. Daher wird die Szene in Samaria nachträglich zur Karikatur dessen, was Micha zuvor ›gesehen‹ hat. Durch die gegenläufige Bewegung von story und fabula wird damit das eigentliche Machtverhältnis aus der Perspektive Michas, den die Erzählstimme sprechen lässt, deutlich: Nicht die Könige in Samaria können sich mit ihren Propheten beraten, sondern der Beschluss ist längst in JHWHs-Hofrat gefallen.
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Kap. IV: 1 Kön 22
Trotz dieser einzelnen Züge, in denen Umrisse der Erzählstimme sichtbar werden, ist sie im Ganzen doch kaum wahrnehmbar. Sie präsentiert sich als nur gering in das Geschehen involviert. Damit wird durch sie keine Bewertung vorgegeben, sondern der Ball des Deutens und Hörens wird an die Lesenden weitergegeben. Damit inszeniert die Erzählstimme eine Akzentverschiebung: Statt eine eindeutige Zuordnung der Aussageintention der sprechenden Figuren zu ermöglichen, statt sich selbst eindeutig zu positionieren und damit eine mögliche Lektürerichtung vorzugeben, nimmt sich die Erzählstimme zurück und lässt die unterschiedlichen Perspektiven des Textes nebeneinander stehen. Der Verzicht auf eine wertende Positionierung wird zur Provokation gegenüber den Lesenden: Herausgefordert durch mehrere, konträre Lektüremöglichkeiten ist es nun an ihnen zu entscheiden, wie sie die Propheten hören und verstehen. Damit wird der Kern der Auseinandersetzung von der Frage nach der Prophetie selbst und der Unterscheidung zwischen ›wahrer‹ und ›falscher‹ Prophetie zu einer Frage nach den Lesenden. Die Kategorien ›wahr‹ und ›falsch‹ scheinen sich aufzulösen und zu diffundieren.342 Die beruhigend klare Grenzziehung wird zunehmend unscharf und durchlässig.343 Auch vom Ergebnis der Erzählung her erhalten die verschiedenen Aussagen, die unterschiedlich gehört werden können, keine Eindeutigkeit: Der König stirbt, und alle kehren nach Hause zurück – das aber stimmt sowohl mit den Vierhundert und Zidkija, als auch mit Micha überein. Und damit ist die verwirrende und beunruhigende Botschaft dieser Erzählung: Alle haben Recht und alle haben im Namen JHWHs gesprochen!344 Und genau dies verschiebt die Frage nach der Prophetie auf die Seite der Rezipierenden: Prophetie braucht ein geschultes Gegenüber – Prophetie braucht Hörende und Lesende, die theologisch kompetent mit dem umgehen können, was ihnen als ›Wort JHWHs‹ etikettierte Rede ent-
342 Damit ist deutlich, dass Positionen wie die von NELSON das in 1 Kön 22 Inszenierte entschärfen und damit an dem Eigentlichen vorbeiführen: »Sometimes prophecy contradicts itself, but both true and false prophets serve God’s greater purpose! Both true and false prophecy speak the truth as they have been given it.« (Kings, 152). 343 »If left unresolved, this problem can destroy all confidence in revealed religion: there is little value in living one’s life according to messages purportedly received from heaven if there is no way to judge their authenticity, or to know the intent lying behind them. These stories imply that there is indeed no way to know such things«, GOLDENBERG, False Prophecy, 87. 344 Damit destruiert die Erzählung genau jene Eindeutigkeit, die CRÜSEMANN in ihr zu finden meint, der die Erzählung als eine versteht, in der geschildert wird »wie der eine Gott seinen Willen in der Geschichte angesichts konkurrierender Stimmen und Deutungen, die in seinem Namen sprechen, durchsetzt, gegen ihre Intentionen und durch sie hindurch«, CRÜSEMANN, Elia, 102.
4. Perspektivenstruktur und Autorfiguration
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gegentritt.345 Die Frage nach der Prophetie wird damit zu einer Theologie des aktiven Hörens, das die Lesenden als prophetisch und theologisch Mitdenkende herausfordert. Auf diese Weise werden die Lesenden zu Mitarbeitenden an der prophetischen Verkündigung. Es sind weniger die Propheten, als vielmehr die Hörenden, die in dieser Erzählung als zentrale Instanz etabliert werden: Ihre Kompetenz ist gefordert, um Prophetie mit einer adäquaten Theologie des Hörens überhaupt verstehen, interpretieren, weiterdenken zu können – und vielleicht werden erst durch ihre Kompetenz des aktiven Hörens die Worte von Propheten zu einer prophetischen JHWH-Botschaft. Für Martin Buber bedeutet ›wahre‹ Prophetie, die Offenheit des Prozesses der Geschichte zu kennen und diese als Dialog zu verstehen.346 Vor dem Hintergrund von 1 Kön 22 bedeutet dies, dass die Lesenden am Prozess dieses Dialogs mitarbeiten. Die hierfür grundlegende Haltung ist, dass sie die Offenheit dieses Prozesses verinnerlicht haben und dem Prozess der Prophetie selbst gegenüber offen sind. Denn ohne kompetente Hörende bringt auch das ›wahrste‹ prophetische Wort nichts: Nach der Charakterisierung von Alfons Deissler, der die Propheten als »berufene Rufer«347 bezeichnet hat, ist der ›berufene Rufer‹ auf die Lesenden als ›berufene Hörer‹ angewiesen, durch die erst der ›Rufer‹ als ›berufen‹ erkannt und verstanden werden kann. Und genau dies führt tatsächlich zu einer Verschärfung der prophetischen Botschaft: »the divine gift of prophecy can be more dangerous than anyone had ever expected.«348 4.2. Textextern: Autorfunktionen und Autorfigurationen (K I) Die grundlegendste Funktion des ›Autors‹ ist die Auswahlfunktion: Alle in der Erzählung vorkommenden Zeichen sind vom ›Autor ausgewählt und zusammengestellt worden. Anders als z.B. der Ausdruck »Städte Samarias« oder der Hinweis auf Joschija in 1 Kön 13 findet sich in 1 Kön 22 kein Indiz, das in ähnlicher Weise eine Beschreibung und Einordnung der Autorfunktion ›Auswahl‹ zuließe. Weil der in der Erzählung thematisierte Konflikt zwischen dem König von Israel und dem König von Aram keinem 345
Vgl. GOLDENBERG, False Prophecy, 94: »It is not enough to identify the prophet sent by the Lord. You must also know why the Lord has sent that prophet and the result which the prophecy in question was designed to produce. Then you have to decide whether or not to follow it. All this, whether in the blunt or the subtle version, is crippling, because there is no way to answer these questions. The human audience of a prophecy is simply not privy to the secret thoughts of God. We know only the prophecy itself. If Michaiah’s vision is allowed to stand, prophecy can no longer be trusted, and so noted here at the very beginning, the notion of revealed religion collapses.« 346 Vgl. BUBER, Falsche Propheten, 947. 347 DEISSLER, Grundbotschaft, 98. 348 GOLDENBERG, False Prophecy, 93.
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Kap. IV: 1 Kön 22
historischen Ereignis eindeutig zugeordnet werden kann,349 kann auch dieser nicht zu einer Kontextualisierung der Autorfunktion beitragen. Die ›Gestaltung‹ als zweite Autorfunktion beschreibt Struktur, Aufbau und Anordnung der ausgewählten Elemente in der Erzählung. Weil die spezifische Gestaltung eines Textes Hinweise auf die in ihm erkennbaren Autorfunktionen liefern kann, ist es besonders aufschlussreich, dass 1 Kön 22 durch eine doppelte Konstellation, die der Propheten und die der Könige, strukturiert ist. Dieser prophetische Konflikt ergibt sich durch die königliche Konstellation zwischen Ahab und Joschafat, weil Joschafat seine volle politische Solidarität unter theologischen Vorbehalt stellt und fordert, erst JHWHs Perspektive zu erfragen. Nur deswegen werden die Propheten überhaupt in die Entscheidung um den Kriegszug gegen Aram einbezogen. Durch diese beiden Konstellationen ergibt sich in 1 Kön 22 eine Erzähllinie um die Propheten, die man als ›Prophetenerzählung‹ (vgl. 1 Kön 22,5–28) bezeichnen kann, und eine andere Erzähllinie um den Krieg gegen Aram und den Tod Ahabs, die man als ›Kriegserzählung‹ betiteln kann (vgl. 1 Kön 22,1–4.29–38) und die mit dem Rahmenformular (1 Kön 22,39–40) abgeschlossen wird. Dabei fällt auf, dass die Kriegserzählung die Prophetenerzählung rahmt, ohne dass diese aber Bezug auf die Prophetenerzählung nimmt. Stattdessen schließt vielmehr 1 Kön 22,4 nahtlos an 1 Kön 22,29 an: Auf Joschafats Zusage uneingeschränkter militärischer Solidarität an den König von Israel (1 Kön 22,4) folgt, dass beide Könige miteinander in den Krieg gegen Ramot-Gilead ziehen (1 Kön 22,29). Drei weitere Beobachtungen sind zudem aufschlussreich: Obwohl Joschafat bereits in 1 Kön 22,4 spricht, wird er erstens in 1 Kön 22,5a noch einmal mit den identischen Worten als Sprecher eingeführt. Zweitens ist auffallend, dass sich der an die Prophetenerzählung anschließende Schlussteil von der Warnung der Propheten aus 1 Kön 22,5–28 völlig unbeeindruckt zeigt, als habe man diese gar nicht vernommen. So findet der Kriegszug statt, obwohl Micha ben Jimla eindringlich davor gewarnt hat. Gerade vor diesem Hintergrund ist es drittens um so merkwürdiger, dass sich zwar im Schlussteil der Erzählung auf ein Wort JHWHs bezogen wird (1 Kön 22,38), das aber von keinem Propheten wiedergegeben worden ist, der im Mittelteil aufgetreten wäre, sondern das ausgerechnet auf den gerade in dieser Erzählung nicht auftretenden Elija verweist. Von der Gestaltung der Erzählung scheint sich daher eine Kriegserzählung herauszukristallisieren, in die eine Prophetenerzählung integriert wurde. Das würde bedeuten, dass sich in 1 Kön 22 zwei unterschiedliche Gestaltungsfunktionen aufzeigen lassen: Eine erste gruppiert sich um den Krieg zwischen Israel und Aram sowie den Tod Ahabs (Gestaltungsfunktion I), während eine zweite in der Prophetenerzählung zu finden ist (Gestaltungsfunktion II). 349
Vgl. hierzu Kap. IV. 3.2.
4. Perspektivenstruktur und Autorfiguration
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Betrachtet man die Kriegserzählung (1 Kön 22,1–4.29–40) genauer, führen vier Beobachtungen weiter: Erstens wird in 1 Kön 22,35c (br,[,B' tm'Y"w:) und 22,37a (%l,M,h; tm'Y"w:) der Tod Ahabs zwei Mal erzählt.350 In der Analyse konnte gezeigt werden, dass es sich hierbei um zwei unterschiedliche Fokalisierungen handelt. Im Kontext der Autorfunktionen ist jedoch zu fragen, wie diese narratologische Beobachtung auf der Ebene der Autorfunktionen ausgewertet werden kann und ob diese in Bezug auf die Gestaltungsfunktion nicht noch weitere Schlüsse zulässt. Interessanterweise wird das Geschehen nicht nur fast wortgleich wiedergegeben, sondern der Tod wird vielmehr beide Male so erzählt, als würde er sich in dem Moment des Erzählens gerade vollziehen. Mit dem zwei Mal erzählten Tod des Königs ist eine zweite Beobachtung verbunden: In 1 Kön 22,34 wird erzählt, dass Ahab schwer verwundet worden ist. Deshalb weist er seinen Wagenlenker an, zu wenden und ihn aus der Schlacht zu bringen. Statt jedoch im Sinne einer sukzessiv durchlaufenden Handlung von einer Umsetzung dieser Anweisung zu erzählen, berichtet 1 Kön 22,35–36, dass Ahab bis zum Abend in der Schlacht aufrecht stehen bleibt und erst am Abend stirbt. Zwischen 1 Kön 22,34 und 22,35–36 ergibt sich somit eine weitere Spannung in Bezug auf die Umstände von Ahabs Tod. Drittens gehören 1 Kön 22,35–36 zusammen. Die beiden Verse zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch die Angabe von Tageszeiten miteinander verbunden sind (»an jenem Tag« 1 Kön 22,35a; »am Abend« 22,35c; »als die Sonne unterging« 22,36a), während sich in der gesamten Erzählung über den Tod Ahabs sonst keine Tageszeitangaben finden. Diese Tageszeiten vernetzen 1 Kön 22,35–36, die auf diese Weise einen Zusammenhang bilden, der nicht auseinander gerissen werden darf: Der im Wagen stehen bleibende Ahab hält sich in seinem Wagen aufrecht und stirbt erst am Abend; erst nach dem Tod des Königs ergeht dann der Aufruf zur Flucht (1 Kön 22,35–36). Viertens nimmt 1 Kön 22,35–36 die Prophetenerzählung 1 Kön 22,5–28 in vierfacher Weise auf: Erstens wird die deutungsoffene Antwort der vierhundert Propheten und die Michas »zieh hinauf« (hle[]; 1 Kön 22,6f.15f) auf die Frage, ob in den Krieg (hm'x'l.mi; 1 Kön 22,6c.15c) gezogen werden soll, in 1 Kön 22,35a aufgenommen: Die Könige, die die beiden Antworten als einen Zuspruch für ihren Kriegsplan und als eine Zusage von Erfolg interpretiert haben, erleben nun, dass statt eines sich einstellenden Sieges der Krieg immer heftiger wird (hm'x'l.Mih; hl,[]T;w:; 1 Kön 22,35) und sich ihre Niederlage abzuzeichnen beginnt. Damit realisiert 350 Ahabs Tod wird in 1 Kön 22,39–40 ein drittes Mal erzählt: Hier wurde schon im Kontext der Frage nach der Erzählstimme (vgl. Kap. IV. 4.1.3.) überlegt, ob dies nicht schon auf eine andere Erzählstimme zurückzuführen ist; ob hier eine dritte Gestaltungsfunktion vorliegt, lässt sich aus der isolierten Betrachtung in 1 Kön 22 nicht eruieren, sondern müsste im Kontext der Königsbücher beurteilt werden; dies kann hier leider nicht erfolgen.
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Kap. IV: 1 Kön 22
sich die andere Interpretation der Prophetenworte, die die Könige aus den Worten der Propheten hätten hören können, dass den Königen von Israel und Juda kein Sieg vorausgesagt wird. Zweitens findet sich der Ausdruck »an jenem Tag« (aWhh; ~AYB;) in dieser Erzählung nur in 1 Kön 22,25b und 22,35a: In 1 Kön 22,25b hat Micha von einem in der Zukunft liegenden Tag gesprochen, an dem sich erweisen wird, dass die Prophetie Zidkijas, der den Kriegszug gegen Ramot-Gilead für gut geheißen hat, falsch gelegen hat. Durch die Wiederaufnahme des Ausdrucks »an jenem Tag« wird angezeigt, dass dieser Tag nun eingetreten ist. Drittens findet sich das Verb »stehen« (dm[) neben 1 Kön 22,35b nur noch in 22,19d.21b. Die Kraft Ahabs, schwer verwundet im Wagen stehen zu bleiben, zeugt weniger von seinem Heldentum, als vielmehr von der Stärke der vor JHWH stehenden (dm[) Ruach, deren ›betörende‹ Kraft noch bis in die Schlacht und bis zum Tod Ahabs wirkt. Die wichtigste ist jedoch die vierte Vernetzung: Der Ruf »Jeder Mann in seine Stadt, jeder Mann in sein Land!« (1 Kön 22,36b–c) schafft die Voraussetzung dafür, dass sich Michas erste Vision, dass ganz Israel wie Schafe auf den Bergen zerstreut ist, erfüllen kann (1 Kön 22,17). Damit ist deutlich, dass die Verse 1 Kön 22,35–36 nicht nur enge lexematische Bezüge zur Prophetenerzählung (1 Kön 22,5–28) aufweisen, sondern vielmehr ihre Umsetzung erzählen. Diese vier Beobachtungen, erstens die doppelte Gestaltung des zwei Mal erzählten Todes von Ahab, zweitens die sich zwischen 1 Kön 22,34 und 22,35–36 ergebende Spannung, drittens der erzählerische Zusammenhang von 1 Kön 22,35–36 und viertens die Wiederaufnahme und Umsetzung der Prophetenerzählung in 1 Kön 22,35–36, lassen textgenetische Risse erkennbar werden. Wie können diese im Kontext der Frage nach der Autorfunktion ›Gestaltung‹ ausgewertet werden? Die vier Beobachtungen sprechen dafür, 1 Kön 22,35–36 einer Gestaltungsfunktion II zuzuschreiben, die diese beiden Verse höchst geschickt in den bereits bestehenden Erzählzusammenhang von 1 Kön 22,1–4.29–34.37–40 (Gestaltungsfunktion I) eingefügt hat, um das Ende der Erzählung mit der von ihr eingefügten Prophetenerzählung zu vernetzen. Da gezeigt werden kann, dass 1 Kön 22,35–36 die Realisation der Prophetenerzählung (1 Kön 22,5–28) im Schlussteil der Erzählung über den Tod Ahabs darstellt, muss 1 Kön 22,35–36 zusammen mit der Prophetenerzählung in die bestehende Erzählung über den Tod Ahabs eingefügt worden sein. Das bedeutet, dass erstens 1 Kön 22,35–36 zu der Gestaltungsfunktion II gehört und zweitens der Schlussteil der Gestaltungsfunktion I nur aus 1 Kön 22,29–34.37–40 besteht. Dies ist zudem deshalb plausibel, weil sich der Bericht von Ahabs Tod (1 Kön 22,37) bruchlos an die Verwundung Ahabs (1 Kön 22,34) anschließt. Damit muss die Kriegserzählung (1 Kön 22,29–34.37–40) die
4. Perspektivenstruktur und Autorfiguration
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ältere sein, die von der Gestaltungsfunktion II rezipiert und neu gestaltet wurde.351 Unter dem Aspekt der Gestaltungsfunktion ergibt sich somit ein textgenetisches Ergebnis:352 In eine erste (und damit ältere) Erzählung (Gestal351
Wenn sich die Gestaltungsfunktion II als jüngere Erzählung erweisen lässt, dann wird in ihr eine Autorfiguration deutlich, die Rezipient von der ihr vorliegenden Erzählung der Gestaltungsfunktion I war; bei der Frage nach den mit den Autorfigurationen verbundenen Konzepten ist daher zu eruieren, dass die Gestaltungsfunktion II nicht nur auf der Produktionsseite des Textes, sondern als ›Leserin‹ auch auf der Rezeptionsseite anzusiedeln ist. 352 In der Geschichte der Auslegung von 1 Kön 22 lassen sich deutlich zwei Phasen unterscheiden (vgl. zur Forschungsgeschichte DE VRIES, Prophet against Prophet, 4–10 sowie ROTH, The Story of the Prophet Micaiah, 105–137): In der auch zeitlich ersten Phase ging man von der Einheitlichkeit der Erzählung 1 Kön 22,1–37 (ohne den dtr. Rahmen in 1 Kön 22,39–40) aus (so etwa NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 83; MONTGOMERY, Kings, 336; HALLER, Charisma, 9–24; DIETRICH, Prophetie und Geschichte, 120–122; REHM, 1 Könige, 215–216; MCKENZIE, Trouble, 88–93; MAYHUE, False Prophets, 135–163; âANDA, 1 Könige, 506–510): Lediglich 1 Kön 22,1–2a erachtete man als redaktionelle Ergänzung in Bezug auf 1 Kön 20 und hielt 1 Kön 22,28e wegen ihres Fehlens in der LXX, 1 Kön 22,35d und 1 Kön 22,38 als Aufnahme von 1 Kön 21,19 für Glossen. In der zweiten Phase kam nach einigen Vorläufern (SCHWALLY, Quellenkritik. 153–161; GRAY, Kings, 44) mit WÜRTHWEIN die literarkritische Wende der Interpretation der Erzählung. Die grundlegende These der literarkritischen Positionen ist die Trennung einer Kriegserzählung (1 Kön 22,1–4.29–37*) und einer Prophetenerzählung (1 Kön 22,5–28*), die einander unterschiedlich zugeordnet werden. Deren wohl wichtigste Position ist die von WÜRTHWEIN (vgl. WÜRTHWEIN, Komposition von I Reg 22,1–38, 245–254 und WÜRTHWEIN, Könige, 255–257), der davon ausgeht, dass eine sagenhafte Kriegserzählung mit märchenhaften Zügen am Anfang stehe (1 Kön 22,2b–4.29– 37*), in die hinein eine mehrschichtige Prophetenerzählung komponiert worden sei, die das Verhältnis von Heils- und Unheilsprophetie in mehreren Anläufen reflektiere. Die Kriegserzählung sei älter und unabhängig von der Prophetenerzählung entstanden. In letzterer seien drei Schichten zu unterscheiden: In der ältesten Schicht stünden die vierhundert Hofpropheten, die Heil ankündigten, dem einzelnen Unheilspropheten Micha ben Jimla gegenüber (1 Kön 22,5–9.13–18.26–28a); in der zweiten Schicht wird Zidkija ben Kenaana eingeführt und zum Gegenspieler Michas, der für sich den Geistbesitz beansprucht (1 Kön 22,10–12.24– 25); in der dritten Schicht geht es um eine Auseinandersetzung mit dem Geistbesitz (1 Kön 22,19–22, V. 23 als verdeutlichender Zusatz). Der Literarkritik von WÜRTHWEIN schließen sich SCHMITT, Elisa, 42–45; HOSSFELD / MEYER, Prophet gegen Prophet, 29–30; HENTSCHEL, 1 Könige, 130–131; NELSON, Kings, 145.147; FRITZ, Könige, 195–196; WERLITZ, Könige, 195 an. Als weitere literarkritische Modelle seien genannt erstens SEEBASS (Grunderzählung mit Erweiterungen, vgl. SEEBASS, Micha, 113–114), zweitens DE VRIES (Kombination von zwei Erzählungen A und B, vgl. DE VRIES, 1 Kings, 263–266; Ders., Prophet against Prophet, 1–51), drittens SCHWEIZER (Grunderzählung mit umfangreicher Bearbeitung, vgl. SCHWEIZER, Literarkritischer Versuch, 1–19), viertens STECK (andere Zuordnung des von SCHWEIZER vorgeschlagenen Modells; vgl. STECK, Bewahrheitungen des Prophetenworts, 87–96), fünftens STIPP (fünfstufiges Wachstum von 1 Kön 22; vgl. STIPP, Elischa, 176–211.211–229.440– 441) und sechstens WEIPPERT (Fortführung der Modelle von STECK und SCHWEIZER; vgl. WEIPPERT, Ahab el campeador?, 457–479). Vgl. auch die Diskussion der literarkritischen Modelle bei TERTEL, Text, 182–236; vgl. ebenso LANGE, Vom prophetischen Wort, 46–49. Es liegen eine Vielzahl von literarkritischen Analysen vor, die sowohl in ihren methodischen
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Kap. IV: 1 Kön 22
tungsfunktion I) über den Krieg und den Tod des Königs (1 Kön 22,1– 4.29–34.37–40) wurde eine Prophetenerzählung (1 Kön 22,5–28.35–36; Gestaltungsfunktion II) eingefügt, die zugleich die bestehende Erzählung um die Verse 1 Kön 22,35–36 erweitert hat. Letztere haben die Funktion, die Erzählung über den Tod des Königs mit der Prophetenerzählung zu vernetzen. Damit verändert sich die Erzählung über den Tod des Königs durch die neu eingefügte Prophetenerzählung, die im Licht der Prophetenerzählung nun zu einer Erzählung wird, die der Bestätigung der prophetischen Worte dient. Wie sich die beiden unterschiedlichen Gestaltungsfunktionen einordnen lassen, kann allein aus dem Kontext von 1 Kön 22 nicht erhoben werden. Hierzu ist eine Einordnung der Erzählung in die Gesamtkomposition der Königsbücher nötig: Über die Bezüge und Wiederaufnahmen, die sich von 1 Kön 22 in den Königsbüchern aufzeigen lassen, kann dann auf die in der Gestaltung der Königsbücher eruierbare Autorfunktion geschlossen werden. Aufgrund dieser Gestaltung in der Gesamtkomposition können die Kontexte (dritte Autorfunktion) aufgezeigt werden, in die 1 Kön 22 narrativ situiert worden ist. Wegen dieser Selektion der Kontexte kann dann weiter nach der Bedeutungs- und Intentions-, der Erkenntnis- und der Innovationsfunktion gefragt werden, die Schlüsse auf die raum-zeitliche und historische Verortung erlauben.353 Aus diesem Gesamtbild kann dann nach der Autorfiguration gefragt werden.
Grundlagen als auch in ihren Ergebnissen sehr stark differieren und zu immer komplexeren und komplizierteren Wachstumshypothesen geführt haben. Insgesamt sind die immer artifizieller werdenden literarkritischen Modelle von ihrer textlichen Gestalt und ihrer historischen Genese kaum noch vorstellbar. 353 Vgl. hierzu Kap. V. 3.2.
Kapitel V
Die Funktionen von 1 Kön 13 und 1 Kön 22 in der Gesamtstruktur der Königsbücher Kap. V: 1 Kön 13 und 1 Kön 22 in den Königsbücher
Nach den Einzelauslegungen der Erzählungen (1 Kön 13 und 22) ist nun die Frage nach ihrer Funktion in der Gesamtkomposition der Königsbücher zu stellen: Daher soll zuerst der Ort der beiden Erzählungen im mittleren Abschnitt der Königsbücher reflektiert werden (1 Kön 12–2 Kön 17; vgl. Kap. V. 1.). Anschließend wird die Vernetzung der beiden Erzählungen mit dem dritten Abschnitt der Königsbücher thematisiert (2 Kön 18–25; vgl. Kap. V. 2.). Ausgehend von diesen Ergebnissen kann dann nach der Autorfiguration gefragt werden (vgl. Kap. V. 3.).
1. 1 Kön 13 und 1 Kön 22 im zweiten Abschnitt der Königsbücher (1 Kön 12–2 Kön 17) 1. 1 Kön 13 und 1 Kön 22 im zweiten Abschnitt der Königsbücher
Im ersten Schritt wird die Verortung und Funktion der Erzählungen von 1 Kön 13 (vgl. Kap. V. 1.1.) und 1 Kön 22 (vgl. Kap. V. 1.3.) im zweiten Abschnitt der Königsbücher (1 Kön 12–2 Kön 17) in den Blick genommen. Zudem soll nach der Erzählung von 1 Kön 20,35–43 als Brücke zwischen 1 Kön 13 und 22 (vgl. Kap. V. 1.2.) sowie 2 Kön 17 als Abschluss des zweiten Teils der Königsbücher (vgl. Kap. V. 1.4.) gefragt werden. 1.1. 1 Kön 13 im zweiten Abschnitt der Königsbücher (1 Kön 12–2 Kön 17) Die Erzählung von 1 Kön 13 steht am Beginn des zweiten Abschnitts der Königsbücher (1 Kön 12–2 Kön 17) und in der Mitte des erstens Teils A (1 Kön 12–14).1 Damit ist 1 Kön 13 an strukturell herausgehobener Stellung positioniert.2 1
Vgl. Kap. II. 1. Die Erzählung über ›rise and fall‹ von Jerobeam in 1 Kön 11–14 sind so kunstvoll gestaltet und komponiert, dass man in ihnen eine chiastische Struktur erkennen kann (so COHN, Literary Technique in the Jeroboam Narrative, 24; vgl. auch die etwas anders gegliederte, aber auch chiastisch strukturierte Gliederung von WALSH, The Contexts of 1 Kings XIII, 361–362): A Einführung: Jerobeam und Salomo (11,26–28); B1 Prophezeiung von Ahija (11,29–40); B2 Erfüllung der Prophezeiung (11,41–12,24); C Jerobeams ›Verfehlung‹ (12,25– 2
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Kap. V: 1 Kön 13 und 1 Kön 22 in den Königsbücher
Signifikanterweise gehen von 1 Kön 13 kaum direkte Vernetzungen in den unmittelbaren narrativen Kontext aus. 1 Kön 13 ist vielmehr eine in sich abgeschlossene Erzählung. Würde man 1 Kön 13 aus dem Erzählzusammenhang herausnehmen, würde dem Erzählfluss der sie umgebenden Erzählungen nichts fehlen. Im Gegenteil wiederholt die Schilderung der Eingangssituation (1 Kön 13,1) die Inbetriebnahme des Kultes in Bet-El, von der bereits in den Versen zuvor berichtet worden war (1 Kön 12,26– 33), ohne dem in 1 Kön 12 Berichteten etwas Neues hinzuzufügen. 1 Kön 13 ist somit interessanterweise kaum mit seinem unmittelbaren narrativen Kontext vernetzt. Zugleich ist 1 Kön 13 in einem Erzählzusammenhang situiert, in dem 1 Kön 11 und 14 einen Rahmen um 1 Kön 12 und 13 bilden; dieser Rahmen ist außerdem auf die Erzählung über das Ende des Nordreiches orientiert (2 Kön 17).3 Auch wenn 1 Kön 13 in diesem Gefüge recht isoliert dasteht, ist zu diskutieren, wie sich die (in sich stehende) Erzählung von 1 Kön 13 auf diesen narrativen Kontext auswirkt und inwiefern dieser auf 1 Kön 13 zurückwirkt: Erstens knüpft 1 Kön 13 an die Verurteilung des neuen Kultortes an und liegt damit auf der wertenden Linie von 1 Kön 11 und 14. Während jedoch die Ereignisse in der erzählerischen Konstruktion in 1 Kön 11 und 14 aus der Figurenperspektive Ahijas, des Propheten aus dem Nordreich, fokalisiert sind, kommt mit der Figur des Gottesmannes aus Juda die Perspektive des Südreiches hinzu. 1 Kön 13 ist zweitens eine politische Bet-El-Erzählung, die gegen die Bedeutung von Bet-El anerzählt und versucht, zu erklären, inwiefern der spätere Untergang des Nordreiches bereits am Anfang grundgelegt ist. Dies erweist sich umso notweniger, als das in Bet-El befindliche Heiligtum nicht mit dem Nordreich untergegangen, sondern als Heiligtum in Betrieb geblieben ist (vgl. 2 Kön 17,28). Offensichtlich war die Bedeutung von Bet-El so stark, dass sie nicht verschwiegen, sondern integriert werden musste. Daher war es notwendig, gegen die Bedeutung von Bet-El explizit anzuerzählen und deswegen musste eine Gegen-Erzählung bereits am Anfang situiert werden. Drittens versucht die Erzählstimme die Prophetie aus dem Nordreich zu desavouieren und in ein schlechtes Licht zu rücken, obwohl – oder vielleicht gerade weil – diese JHWH-Prophetie ist. Weil sich die JHWHProphetie des Nordreiches als ›wahre‹ Prophetie erweist,4 scheint es umso 33); D Der Gottesmann aus Juda (13,1–32); C’ Jerobeams Verfehlung (13,33–34); B1’ Prophezeiung von Ahija (14,1–16); B2’ (teilweise) Erfüllung der Prophezeiung (14,17–18); A’ Schluss: Der Tod Jerobeams (14,19–20). 3 Vgl. Kap. V. 1.4. 4 So realisiert sich sowohl die Prophetie Ahijas als auch die des Propheten aus Bet-El.
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wichtiger zu sein, diese als zwielichtig darzustellen: So wird der Prophet aus Bet-El als ein Gottesspezialist charakterisiert, der in unlauterer Weise nur für seine Grabruhe und die Rettung seiner Gebeine in ferner Zukunft sorgt. Auf diese Weise ist der Lektürehorizont, mit dem die Lesenden von nun an Nordreich-Prophetie wahrnehmen, von dem Bild des Propheten aus Bet-El geprägt. Viertens wird dem Porträt von Jerobeam durch 1 Kön 13 noch eine wichtige Facette hinzugefügt: Jerobeam macht sich durch seine eigenen Aktionen selbst handlungsunfähig und wird – in seiner ganzen Machtfülle – am Altar von Bet-El zum Ohnmächtigen, dessen Hand bzw. Macht erstarrt. Diese kann nur durch den Gottesmann aus Juda wieder funktionstüchtig gemacht werden. 1.2. 1 Kön 20,35–43 als Brücke zwischen 1 Kön 13 und 22 Die Erzählung über den Prophetenschüler, den Löwen und den König von Israel in 1 Kön 20,35–43 verfügt über eine Reihe von Motiven und Themen, die diese Erzählung mit 1 Kön 13 und 1 Kön 22 verbindet; dies ist v.a. die in der Hebräischen Bibel seltene Formulierung »im Wort JHWHs« (hw"hy> rb;d>Bi), die sich in den Königsbüchern nur noch in 1 Kön 13 findet.5 Aufgrund der folgenden Beobachtungen fungiert die »befremdliche«6 Erzählung von 1 Kön 20,35–43 als eine Brücke zwischen 1 Kön 13 und 22.7 Die Erzählung gliedert sich in drei Abschnitte, in denen jeweils drei unterschiedliche Fälle erzählt werden (1 Kön 20,35–36.37.38–43). Diese können nicht für sich stehen, sondern bilden gemeinsam einen erzähllogischen Spannungsbogen: Die ersten beiden erzählen, wie »ein Mann der Prophetenschüler« (~yaiybiN>h; ynEB.mi dx'a, vyai; 1 Kön 20,35)8 zuerst seinen »Nächsten« ([;re; 1 Kön 20,35–36), dann »einen anderen Mann« (rxea; vyai; 1 Kön 20,37) bittet, ihn »im Wort JHWHs « (hw"hy> rb;d>Bi; 1 Kön 20,35) zu schlagen. Während der Erste dies ablehnt und sogleich von einem Löwen gefressen wird (1 Kön 20,36), kommt der zweite (1 Kön 20,37) der Bitte nach, ohne zu erzählen, was dann geschieht. Mit dieser Leerstelle endet die mittlere Handlungssequenz. Im dritten Abschnitt (1 Kön 20,38–43) setzt die Handlung neu ein, in der die Begegnung zwischen einem Propheten9 5
Vgl. Kap. III. 2.1.1. So WERLITZ, Könige, 187. 7 Zu den Bezügen von 1 Kön 20 zu 1 Kön 13 und zu den Jerobeam-Erzählungen vgl. auch die ›synchronen‹ Analysen von WALSH, Kings, 314–315 sowie die ›diachronen‹ Analysen von STIPP, Elischa, 399–403 und BLUM, Die Lüge des Propheten, 42–43. 8 Vgl. 2 Kön 2,7; 4,1. 9 Dieser Prophet wird mit dem determinierten Artikel »der Prophet« eingeführt, allerdings wird nicht deutlich, ob diese Figur mit dem Prophetenschüler identisch ist oder ob hier ein neuer, in der fiktionalen Textwelt offensichtlich bekannter, den Lesenden aber unbekannter Prophet auftritt. Ist es der in 1 Kön 20,22 eingeführte, namenlose Prophet, oder ist es Elija? 6
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und dem König erzählt wird. In ihrem Zentrum (1 Kön 20,39–40) steht die längere Rede des Propheten, in der er eine Geschichte erzählt und so als erzählende Figur zur ›Erzählstimme‹ wird. Diese Geschichte entpuppt sich als eine Beispielgeschichte, die als Parabel lehrhaften Charakter hat: Erst an ihrem Ende (1 Kön 20,42) stellt sich heraus, dass die Erzählung, die als eine eigenständige zu beginnen scheint, keine in sich stehende, abgeschlossene Geschichte ist, sondern eine Explikation der vorangehenden Erzählung (1 Kön 20,1–34) über die Auseinandersetzung zwischen BenHadad, dem König von Aram, und Ahab, dem König von Israel: Aufhänger für die ganze Erzählung ist das aus der Perspektive des Propheten zu laxe Friedensabkommen zwischen Ahab und Ben-Hadad (1 Kön 20,34), wie sich am Ende der Erzählung in 1 Kön 20,42 herausstellt. Von vorne gelesen wirken die drei Erzählstränge in 1 Kön 20,35–43 wie eine Collage von bisher verwendeten Motiven in den Erzählungen.10 Dies wird zudem dadurch verkompliziert, dass dieser Prophet in 1 Kön 20,41 als »einer der Propheten« bezeichnet wird. 10 Zudem findet sich das Motiv der »Löwen« (hyEr>a;) neben 1 Kön 20,36 nur noch in 1 Kön 13,24bis.25.26. 28bis, als yrIa] zudem noch in 2 Kön 17,25.26. Die Löwen werden in 1 Kön 20,36 von dem Prophetenschüler als Strafe JHWHs vor dem Eintreffen der Löwen angekündigt. In 2 Kön 17,25 hingegen wird das Auftreten der Löwen von der Erzählstimme als Strafe JHWHs verkündet, während die Löwen in 2 Kön 17,26 von der neu angesiedelten Bevölkerung retrospektiv als Strafe JHWHs für die unterbrochene Verehrung gedeutet werden. Daraufhin sendet der König von Assur einen Priester nach Bet-El, um dort die JHWH-Furcht zu lehren (2 Kön 17,28). Während an diesen Stellen die Löwen jedes Mal reißende, tötende wilde Tiere waren, von denen explizit gesagt wird, dass sie zur Bestrafung von JHWH geschickt worden seien, findet sich in 1 Kön 13 zuerst das Motiv des tötenden Löwen (1 Kön 13,24 vgl. 13,26), das sich dann aber zu einem Motiv des Wächterlöwen wandelt (Kön 13,24.25.28bis). Mit dem Motiv des Löwen ist das Motiv des »Findens« (acm) verbunden: Der Löwe findet den »Nächsten« und tötet ihn (vgl. die analoge Konstruktion in 1 Kön 13,24). Der Prophetenschüler begegnet (»findet«; acm) in 1 Kön 20,37 einem anderen Mann auf dem Weg. In 1 Kön 13,14.28 »findet« der Prophet aus Bet-El den Gottesmann aus Juda ebenso auf dem Weg (%r,D,B;). Wie in 1 Kön 13 sind der oder die in 1 Kön 20 auftretenden Gottesspezialisten namenlos. Wie in 1 Kön 22 (bis auf die eine Ausnahme in 22,20) ist der König auch in 1 Kön 20 namenlos und kann nur durch den Kontext als Ahab identifiziert werden. Ein bewusstes Treffen auf dem »Weg« wird zudem nicht nur in 1 Kön 20,38 von dem Propheten gegenüber dem König erzählt, sondern auch als »Finden« auf dem »Weg« von dem Propheten Ahija gegenüber dem zukünftigen König Jerobeam (1 Kön 11,29). Das Motiv der »Augen« erinnert an das in 1 Kön 11 wurzelnde Motiv, das zum festen Bestandteil des Einleitungsformulars »tun, was recht / schlecht ist in den Augen JHWHs« (hw"hy> ynEy[eB. [r;h' bzw. rv'Y"h; hf[; vgl. 1 Kön 11,6.33 u.ö.) geworden ist. Das Verb »schlagen« (hkn; 1 Kön 20,35bis.36bis.37ter) findet sich noch in 1 Kön 14,15 und in 1 Kön 22,24.34. Wie Jerobeams Frau in 1 Kön 14,2 (vgl. 14,5) und Ahab in 1 Kön 22,30bis (fpx im Hitpael) macht sich auch der Prophet gegenüber dem König unkenntlich (1 Kön 20,38; fpx im Hitpael): Aber statt sich zu verkleiden, legt er sich eine Augenbinde (wyn"y[e-l[; rpeaB ] '; 1 Kön 20,38.41) um maskiert sich somit als Blinder und wird darin Ahija vergleichbar, der tatsächlich blind geworden ist (1 Kön 14,4). Die Formulierung »ein anderer Mann« (rxea; vyai; 1 Kön
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Auf den ersten Blick scheint die Erzählung Ungehorsam gegenüber einem von einem Propheten überlieferten Wort JHWHs zu bestrafen, (1 Kön 20,35–36), und zugleich offen zu lassen, ob Gehorsam (selbst bei unverständlicher Gewaltanwendung) belohnt oder bestraft wird (1 Kön 20,37). Dieser erste Eindruck ist allerdings bei genauerem Lesen bezüglich der unterschiedlichen Perspektiven der Figuren gegenüber den Lesenden mit Blick auf das ›Wort JHWHs‹ zu differenzieren: Im ersten Fall weiß der ›Nächste‹, von dem verlangt wird, zu schlagen, nicht, dass es sich um ein Wort JHWHs handelt. Nur die Lesenden erfahren, dass der Prophet seinen Wunsch »im Wort JHWHs« (hw"hy> rb;d>Bi) äußert.11 Erst im Nachhinein teilt der Prophetenschüler dem Angesprochenen mit, dass er nicht »auf die Stimme JHWHs« gehört habe und deswegen mit seinem Leben bezahlen muss, was dieser aber vorher aus seiner Perspektive nicht wissen konnte (1 Kön 20,37).12 Dies ist der Vergleichspunkt zum dritten Abschnitt: Ahab konnte nicht wissen, dass – so jedenfalls behauptet es der Prophet – JHWH seinen »Bann« (~r,xe) über Ben-Hadad gelegt hat, so dass Ahabs Nachgiebigkeit nicht lobenswert, sondern unter diesem Blickwinkel genau falsch war: »The king seems to have been set up by a divine ruse […]. God will play a second, deadlier trick on Ahab in chapter 22.«13 Im zweiten Fall erfahren die Lesenden signifikanterweise nicht, was mit demjenigen geschieht, der dem Befehl des Propheten gehorcht hat. Auch er konnte nicht wissen, dass es sich um ein vom Propheten überliefertes Wort Gottes handelt. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil in den meisten Kommentaren14 nicht plausibel, dass die Gemeinsamkeit zwischen 1 Kön 13 und 20 in der Aufforderung zum Gehorsam in Bezug auf das ›Wort JHWHs‹ liege: Nach 1 Kön 20 muss ›blinder‹ und unkritischer Gehorsam gegenüber einem Befehl geübt werden, von dem der Angesprochene noch nicht einmal weiß, dass es sich hier um das Wort JHWHs handelt. Genau anders verhält sich dies in 1 Kön 13: Hier geht es um das kritische, mitdenkende und beurtei-
20,37) verweist auf »einen anderen Propheten« (1 Kön 13,11) und auf »einen anderen Mann« (1 Kön 22,8). 11 Vgl. ähnlich WALSH, Kings, 310. 12 Dieser Gedanke scheint die Brücke zwischen dem ersten und zweiten Abschnitt gegenüber dem dritten zu sein, in dem der Gedanke der Angemessenheit der Kompensation (»Leben für Leben«; Avp.n: tx;T; ^v.p.n:) thematisiert und in einer Parabel inszeniert wird (1 Kön 20,39.42). Die Formulierung »dein Volk für sein Volk« (AM[; tx;T; ^M.[;) in 1 Kön 20,42 verweist auf »mein Volk wie dein Volk« (^M,[;k. yMi[;K). in 1 Kön 22,4. 13 NELSON, Kings, 136. Zum »Bann« JHWHs vgl. Dtn 13,18; Jos 6,17–19; 7; 22,20; 1 Sam 15,21. 14 Vgl. z.B. WÜRTHWEIN, 2. Könige, 243; RICE, Nations, 170; PROVAN, Kings, 156; HOUSE, Kings, 230; WALSH, Kings, 310.314; COGAN / TADMOR, 2 Kings, 469.472; WERLITZ, Könige, 188.
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lende Abwägen der von JHWH stammenden Worte. Dass der Gottesmann in 1 Kön 13 einfach jedem Wort JHWHs Folge leistet, bringt ihm den Tod durch den Löwen. Über das Thema ›Wort JHWHs‹ verbindet 1 Kön 20,35–42 die Erzählung von 1 Kön 13 mit 1 Kön 22. Auf diese Weise wird der mittlere Abschnitt der Königsbücher von einer Erzähllinie durchzogen, die die Frage nach dem von Propheten übermittelten Wort JHWHs immer komplexer stellt. 1.3. 1 Kön 22 in der Mitte des zweiten Teils der Königsbücher Wie 1 Kön 13 befindet sich auch die Erzählung von 1 Kön 22 an strukturell und kompositorisch exponierter Stelle: Sie steht in der Mitte (Teil C) des konzentrisch aufgebauten mittleren Abschnitts der Königsbücher und damit zugleich in der Mitte der gesamten Königsbücher.15 Vor diesem Hintergrund stellt sich, wie für 1 Kön 13, wieder die Frage nach der Funktion von 1 Kön 22 im narrativen Kontext. Dabei wird zunächst nach den expliziten Verweisen, Wiederaufnahmen und Bezügen, die von 1 Kön 22 in sein direktes Erzählumfeld ausgehen, gefragt. In 1 Kön 22 finden sich nur zwei Bezüge zum unmittelbaren narrativen Kontext: Erstens werden durch die expositionelle Hintergrundschilderung in 1 Kön 22,1 die in 1 Kön 20 erzählten Auseinandersetzungen mit den Aramäern aktualisiert, ohne dass ein expliziter Rückverweis auf 1 Kön 20 vorliegt. Für das Verständnis von 1 Kön 22 ist 1 Kön 20 aber nicht notwendig.16 Am Ende der Erzählung findet sich zweitens ein direkter Verweis, der durch die Formulierung »gemäß dem Wort JHWHs« (hw"hy> rb;d> Ki; 1 Kön 22,38) angezeigt wird: Die Erzählstimme verweist mit dem Satz, dass die Hunde das Blut Ahabs lecken, explizit auf 1 Kön 21,19 zurück. Dieser Rückbezug führt 1 Kön 22 wichtige Facetten hinzu, ist aber für das Funktionieren und die Erzählung von 1 Kön 22 selbst nicht notwendig. Dies sind die einzigen beiden Verweise, durch die 1 Kön 22 mit dem un-
15
Vgl. Kap. II. 1. Immer wieder wird die These geäußert, 1 Kön 20 und 22 gehörten zusammen bzw. 1 Kön 22 sei in das Königsbuch eingefügt worden, um eine Verbindung mit 1 Kön 20 herzustellen. Hiergegen spricht allerdings, dass 1 Kön 22 keine Fortsetzung von 1 Kön 20 ist: 1 Kön 20,34 endet zum einen mit einem Frieden und lässt keinen neuen Krieg erwarten, zum anderen ist das Verhalten der Propheten gegenüber dem Königshaus in beiden Erzählungen völlig unterschiedlich; vgl. auch REHM, 1 Könige, 215. »Eine ursprüngliche Einheit haben 1. Kön 20 und 22 allerdings kaum gebildet, da sich 1. Kön 20 als eine in einen geschichtlichen Zusammenhang gebrachte Reihe von Prophetenanekdoten aus den Aramäerkriegen des Königs Ahab, in denen Namen für die verschiedenen ›Propheten‹, ›Gottesmänner‹, ›Prophetenschüler‹ nicht genannt werden, in ihrer Art recht stark von 1. Kön 22 unterscheidet«, NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien, 79–80. 16
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mittelbaren narrativen Kontext vernetzt ist. Damit ist 1 Kön 22 nur lose in seine Erzählumgebung eingebunden. Obwohl 1 Kön 22 eine in sich geschlossene Erzählung ist, die kaum in ihrem Erzählumfeld verankert ist, hat ihre Platzierung genau in diesem narrativen Kontext Auswirkungen auf die Erzählung selbst, wie dies bereits für 1 Kön 13 beobachtet werden konnte. So lassen sich drei explizite prophetische Vorausverweise auf das Schicksal Ahabs in den Erzählungen zuvor finden: 17 Zwei Mal wird Ahabs Tod angekündigt (1 Kön 20,35–53; 21,17–19), das dritte Mal wird das harte Strafurteil über Ahab relativiert (1 Kön 21,27–29). Während auf die erste Ankündigung in 1 Kön 22 kaum rekurriert wird,18 erlangt die zweite Ankündigung von Ahabs Tod in 1 Kön 22 Bedeutung: Diese wird JHWH in den Mund gelegt (1 Kön 21,17–19), der damit auf den Justizmord an Nabot und die Enteignung von Nabots Weinberg reagiert:19 In Form einer Botenrede solle Elija – so JHWH – Ahab den ersten Schuldspruch für den »Mord« (xcr) an Nabot überbringen, der darin besteht, dass Hunde an dem Ort, an dem sie das Blut Nabots geleckt haben, auch das Blut Ahabs lecken werden (1 Kön 21,19).20 Auf diesen Schuldspruch rekurriert die Erzählstimme in 1 Kön 22,38 explizit. 17
Es ist signifikant, dass die letzte Geschichte, die von Ahab vor seinem Tod erzählt wird, eine Erzählung über JHWH-Prophetie ist, während doch Ahab gerade die Verehrung fremder Gottheiten vorgeworfen wird (vgl. 1 Kön 16,29–34). 18 Die erste Ankündigung steht in der als ›Brücke‹ zwischen 1 Kön 13 und 22 verstandenen Erzählung 1 Kön 20,35–53: Nach einer kriegerischen Auseinandersetzung mit den Aramäern hat Ahab den unterlegenen Aramäer-König Ben-Hadad begnadigt (1 Kön 20,30–34); dies ruft die harte Kritik eines namenlosen Propheten hervor, der diese aber nicht offen äußert, sondern sich unkenntlich macht und dem König in einem Gleichnis seine vermeintliche Güte Ben-Hadad gegenüber als Versagen deutlich macht (1 Kön 20,38–40). Der Prophet fädelt dies so ein, dass er den König nicht nur seine eigene Schuld erkennen, sondern auch sein eigenes Urteil fällen lässt (vgl. ähnlich Natan gegenüber David 2 Sam 12,1–6). Als sich der Prophet zu erkennen gibt, interpretiert er das vom König in Unkenntnis des wahren Kontextes gefällte Urteil über sich selbst (1 Kön 20,42–43): Der König müsse – so der Prophet – in gleichwertigem Maß für das einstehen, was er getan hat, d.h. Leben für Leben (Avp.n: tx;T; ^v.p.n:). Auf diese Erzählung wird aber in 1 Kön 22, der Erzählung über Ahabs Tod, nicht explizit Bezug genommen. Möglicherweise jedoch nimmt die Anweisung des Königs von Aram, niemanden außer den König von Israel anzugreifen (1 Kön 22,31), seine Rettung durch Ahab auf. 19 Vgl. hierzu Kap. IV. 2.4.4. Zu 1 Kön 21 vgl. ALBERTZ, Macht und Recht, 25–39; BALTZER, Naboths Weinberg, 73–88; BECKING, No more grapes, 123–141; BLUM, Nabotüberlieferungen, 111–128; BOHLEN, Fall Nabot; BOHLEN, Kunstprosa, 192–202; BOSMAN, Judical system, 190–205; JEPSEN, Ahabs Buße, 145–155; OEMING, Naboth, der Jesreeliter, 363–382; SARNA, Naboth’s Vineyard Revisited, 119–126; SCHENKER, Erlässt Umkehr Schuld, 349–357; SCHMOLD, Elijas Botschaft an Ahab, 39–52; SEEBASS, Der Fall Naboth, 474–488; THIEL, Todesrechtsprozess, 73–81; WELTEN, Naboths Weinberg, 18–32; WÜRTHWEIN, Naboth-Novelle, 155–177; ZAKOVITCH, Naboth’s Vineyard, 379–405. 20 Diesem Schuldspruch liegt mit der Korrespondenz von Tun und Ergehen der gleiche Grundgedanke wie in 1 Kön 20,42–43 zugrunde.
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Somit legen 1 Kön 21,19 und 22,38 einen Rahmen um die Erzählung in 1 Kön 22. Aus der Perspektive dieses Rahmens verändert sich die Funktion von 1 Kön 22 zu einer Geschichte, die den Schuldspruch JHWHs aus 1 Kön 21 erfüllt. Dies wird aber erst an ihrem Ende deutlich: Durch die Aktualisierung von 1 Kön 21,19 am Ende von 1 Kön 22 mutiert 1 Kön 22 retrospektiv zu einer Erzählung, die nun zur Umsetzung des eigentlichen, aber nicht von Elija übermittelten Wort JHWHs aus der Naboterzählung wird. Statt das eigentliche Wort JHWHs wiederzugeben, hatte Elija etwas Anderes als Wort JHWHs verkündet (1 Kön 21,20–24) und zum dritten Mal das Ende seiner Dynastie angekündigt.21 Auf das harte Strafurteil reagiert Ahab mit Bußübungen (1 Kön 21,27), die vor JHWH Erfolg haben: JHWH wendet sich an Elija und teilt ihm mit, dass er die Buße Ahabs angenommen und das Urteil zwar nicht völlig zurückgenommen, aber retardiert hat und er es erst in der nächsten Generation eintreten lässt (1 Kön 21,28–29). Interessant hieran ist, dass Elija dieses JHWH-Wort Ahab nicht mitteilt und daher dieser im Glauben leben muss, dass das Strafurteil aus 1 Kön 21,20–24 das letzte Wort JHWHs war. Daher lebt er in dem Glauben, dass das Königshaus mit ihm enden wird. Damit steht die Figur Ahab in ihrer Perspektive in 1 Kön 22 unter dem in 1 Kön 21,20–24 angekündigten Strafgericht. Durch die Situierung von 1 Kön 22 in diesen Kontext steht aus der Perspektive Ahabs in 1 Kön 22 mehr auf dem Spiel, als die Erzählung selbst erkennen lässt: Wenn der Krieg gegen die Aramäer verloren geht, muss Ahab mit dem Ende seiner Dynastie rechnen. Dies macht die Beratung mit den Propheten und die Notwendigkeit eines positiven prophetischen Bescheids umso dringlicher. Ob dies auch der Hintergrund aus der Figurenperspektive Ahabs ist, Joschafat, den König von Juda, erstmals mit in seine außenpolitischen Pläne einzubeziehen? Die Lesenden haben die Rede JHWHs an Elija mitgehört und haben daher gegenüber Ahab einen Informationsvorsprung: Sie wissen, dass JHWH beabsichtigt, das Ende der Omridendynastie nicht mit Ahab, sondern erst in der folgen21
Die Rede ist zweigeteilt: erster Teil Ahab: 1 Kön 21,21–22, zweiter Teil Isebel: 1 Kön 21,23–24. Im Ahab-Teil wird die Ankündigung des Propheten Ahija gegenüber Jerobeam in 1 Kön 14,10 wörtlich wieder aufgenommen (vgl. 1 Kön 21,21–22); damit wird Ahab die gleiche Strafe wie den beiden vor den Omriden herrschenden Königshäusern im Nordreich angekündigt: Die Dynastie Ahabs wird enden wie die Jerobeams (1 Kön 14,8–16) und Baschas (1 Kön 16,4). Der zweite Teil des Strafspruchs kündigt das Ende Isebels an (1 Kön 21,23–24). Damit hat 1 Kön 21,20–24 eine doppelte Funktion: Zum einen ist es ein Rückgriff auf die Jerobeam-Erzählung am Anfang und zugleich weist es auf das Ende Isebels hin (2 Kön 9,8.36). Auf diese Weise wird Ahab nicht nur mit Jerobeam, sondern auch mit der am Anfang des Nordreiches Israels von Jerobeam initiierten ›Ursünde‹ vernetzt. Anders als es der nachfolgende Kommentar erläutert (1 Kön 21,25–26), werden durch diese intratextuelle Vernetzung nicht die Verehrung fremder Gottheiten, sondern die auf Jerobeam zurückgehenden neuen Kultorte Bet-El und Dan aktualisiert.
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den Generation zu realisieren. Dies entlastet die Lesenden zum einen in ihrer Lektüre von 1 Kön 22, erhöht aber zugleich die Spannung für die Regierungszeit von Ahabs Nachfolger Ahasja, der nun unter dem Verdikt von 1 Kön 21,29 steht. Doch auch mit ihm erfolgt nicht das Ende der Omridendynastie, ohne das sich das Wort JHWHs als falsch herausstellt, weil auf Ahasja sein Bruder Joram folgt. Mit dem verzögerten Ende wird die Spannung der Lesenden erhöht. Das angekündigte Ende der Omridendynastie tritt erst unter Joram, dem zweiten Sohn Ahabs, in der vom ElijaSchüler und Propheten Elischa initiierten Revolte Jehus ein (2 Kön 9–10). Vor die Schilderung der Bußübungen Ahabs und der aus ihr resultierenden Retardierung der Strafe durch JHWH ist ein Kommentar der Erzählstimme eingeschoben (1 Kön 21,25–26), in der diese noch einmal Ahabs Verehrung fremder Gottheiten in Erinnerung ruft. Damit wird das sehr negative Urteil über Ahab aus seiner Einführung aktualisiert (1 Kön 16,29– 33). Anders als zu Beginn macht die Erzählstimme in ihrem Kommentar Isebel für Ahabs ›Gehen hinter den Götzen‹ (~yliLuGIh; yrex]a; tk,l,l'; 1 Kön 21,26) verantwortlich. Damit wird die Verehrung fremder Gottheiten, wie sie von Salomo berichtet wird (vgl. 1 Kön 11,1–8) aktualisiert. Auch die zeitliche Verzögerung des Schuldspruches ruft das in 1 Kön 11 geschilderte Ende Salomos wach, dem JHWH – wie hier Ahab – das Ende der Dynastie angekündigt hat, dann aber den Schuldspruch abgemildert und der Davidsdynastie wegen der »Herrschaft« Davids (rynI) das Königtum über einen Stamm, über Juda, belassen hat (1 Kön 11,36 vgl. 1 Kön 11,13–14). Durch diese Aktualisierungen erscheint Ahab nicht nur schlimmer als sein Vater Omri (1 Kön 16,30–31 vgl. 1 Kön 16,25–26), sondern auch als Salomo und Jerobeam zusammen. Dieser Erzählstimmenkommentar wird durch die Einführung nicht nur retrospektiv aktualisiert, sondern wirkt auch prospektiv auf die folgende Erzählung, so dass das Urteil der Erzählstimme nun durch die Erzählung von 1 Kön 22 narrativ eingeholt und untermauert wird.22 1 Kön 22 ist somit eine in sich stehende Erzählung, die kaum im Kontext verankert ist, die aber durch die Positionierung in diesem Kontext verändert wird. Desweiteren ist signifikant, dass 1 Kön 22 an strukturell bedeutender Stelle steht: 1 Kön 22 markiert das Zentrum des mittleren Teils des zweiten Abschnitts der Königsbücher (1 Kön 16,23–2 Kön 13; Teil C).23 Dieser Teil C zeichnet sich durch zwei Erzähllinien, durch die poli22
Vgl. hierzu ähnlich WALSH, Kings, 361–365. Der Teil C ist darüber hinaus durch drei Merkmale geprägt. Erstens finden sich in ihm eine Vielzahl von Prophetengestalten: Elija und Elischa, die Propheten in 1 Kön 20; 22 sowie die Prophetenschüler in den Elischaerzählungen etc. Zweitens ist es die Zeit ›großer‹ und auch einflussreicher Frauen: die politisch mächtigen Königinnen und Königsmütter Isebel und Atalja, die ›große‹ Frau von Schunem (2 Kön 4,8–37; 8,1–6), die Witwe von Sarepta (1 Kön 17,8–24) oder die Frau in Not (2 Kön 4,1–7) u.a. Drittens ist es die Zeit politischer 23
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tische Erzähllinie der Omridenherrschaft und durch die prophetische Erzähllinie des Elija-Elischa-Zyklus, aus. Während auf der politischen Ebene in 1 Kön 22 der Tod Ahabs geschildert wird, kommen in dieser Erzählung auffallenderweise weder Elija noch Elischa vor.24 Daher ist nun nach der Kontur der beiden Erzähllinien und der Funktion von 1 Kön 22 im Teil C des mittleren Abschnitts der Königsbücher (1 Kön 16–2 Kön 13) zu fragen. 1.3.1. Die Omriden. 1 Kön 22 im politischen Kontext von 1 Kön 16–2 Kön 13 Während im Königreich Juda durch die durchgehende Regentschaft des Hauses Davids dynastische Kontinuität besteht, ist die Geschichte des Nordreiches durch zahlreiche Diskontinuitäten und Dynastiewechsel gekennzeichnet. Auch wenn die negativen Wertungen in den evaluativen Erzählstimmenkommentaren der Rahmenformulare das Gegenteil suggerieren, setzt mit den Omriden eine Periode größerer politischer Stabilität durch dynastische Kontinuität im Nordreich ein:25 Auf Omri (1 Kön 16,21– 28) folgt sein Sohn Ahab,26 auf diesen sein erster Sohn Ahasja,27 der kinderlos stirbt, und dann sein zweiter Sohn Joram.28 Während der Herrschaft von Ahab sowie seiner Söhne Ahasja und Joram ist Isebel als Frau Ahabs in der Funktion der Königin und Königinmutter. Ein politischer Bruch in der Geschichte des Nordreiches tritt erst mit der ausführlich erzählten Jehu-Revolte ein, die zum Sturz der Omridendynastie führt. Die Angaben zu eigenständigen politischen Aktivitäten von Jehu fallen sehr dünn aus (2 Kön 10,29–36). Die Erzählung legt keinen größeren Wert auf die Regierungszeit Jehus und seine politischen Aktivitäten. Jehu fungiert vielmehr als Gegenspieler zum Haus Ahab. Daher markiert die Jehu-Revolte weniger einen politischen Neubeginn, sondern ist vielmehr das ausführlich erzählte Ende der Omridendynastie. Im Verlauf seiner Revolte spielen daher die ›Vergehen‹ und die Ankündigungen vom Ende des Hauses Ahabs in Gottes- oder Prophetenworten eine zentrale Rolle. Damit wird die politiUmbrüche: Zu der stets präsenten und nicht nachlassenden außenpolitischen Bedrohung durch die Aramäer gesellen sich innenpolitische Instabilitäten, wie der gewaltsame, zeitgleiche Tod der beiden Könige des Nord- und des Südreiches und der damit in Folge verbundenen ›unrechtmäßigen‹ Herrschaft durch Jehu und Atalja. 24 Vgl. die alternative Gliederungsstruktur des Elija-Elischa-Zyklus bei WALSH, Kings, 371–372. 25 Vgl. WHITLEY, The Deuteronomistic Presentation, 137–152; WALLACE, The Oracles Against the Israelite Dynasties, 21–40. 26 Der Regierungsbeginn von Ahab wird in 1 Kön 16,29–33 erzählt, sein Tod mit der Schlussformel in 1 Kön 22,39–40. 27 Ahasja, Sohn Ahabs: Regierungsbeginn in 1 Kön 22,52–54 und Schlussformel in 2 Kön 1,17.18. 28 Joram, Sohn Ahabs: Regierungsbeginn in 2 Kön 1,18; 3,1–3 und Tod in 2 Kön 9,24.
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sche Linie in der Erzählung mit der prophetischen Linie vernetzt. Dies bewirkt, dass die Jehu-Revolte der Abschluss der Erzählungen über die Omridendynastie ist. Anders als aus der Perspektive der politischen Geschichte des Nordreiches zu erwarten ist, ist mit der Jehu-Revolte und der vierfachen Ermordungsserie29 noch nicht ganz das Ende der Omridendynastie gekommen. Die Omriden haben vielmehr einen familiären ›Ableger‹ im Südreich Juda, so dass nach dem Ende der Omridendynastie im Nordreich Israel auch noch ihr Ende im Südreich Juda zu erzählen ist: Mit der Heirat von Atalja30 mit Joram von Juda wird das erste Mal in der Geschichte der beiden ›Staaten‹ eine verwandtschaftliche Verbindung zwischen beiden Herrscherhäusern geschaffen. In der erzählerischen Konstruktion der Königsbücher ändert sich das politische Klima im Südreich Juda erst, als auf diese fast 60 Jahre andauernde, politisch ruhige und von der Erzählstimme positiv bewertete Zeit der Könige Asa und Joschafat31 ein politischer Konflikt im Südreich folgt, der sich an der Figur der Königin Atalja entzündet (2 Kön 8,16–11,20). Mit diesen ersten familiären-verwandtschaftlichen Banden zwischen dem Königshaus von Israel und der Davidsdynastie besteht in der erzählerischen Konstruktion der Königsbücher das erste ›Einfallstor‹ des Nordens und seiner falschen ›Wege‹ ins Südreich (2 Kön 8,18).32 Atalja als Frau aus dem Haus der Omriden in Juda wird zu einer Beispielgeschichte, um zu erzählen, wie das Südreich Juda vom Nordreich verändert wurde. Signifikanterweise wird Ataljas Aufstieg im Südreich Juda erst durch die prophetisch initiierte Revolte Jehus im Nordreich möglich, weil Ahasja, der König von Juda, und sein Onkel Joram, der König von Israel, gemeinsam in der Jehu-Revolte umkommen (2 Kön 9,24.27). Dadurch stehen beide Staaten schlagartig ohne König da. Die beiden freien Throne werden jeweils von Usurpatoren eingenommen – von Atalja im Süden (2 Kön 11) und von Jehu im Norden (2 Kön 9–10). Interessant ist, dass sowohl das Rahmenformular bei Atalja, vermutlich weil sie eine Frau ist und die Kon29
Zuerst wird die Ermordung des Königs Joram erzählt (2 Kön 9,16–29), anschließend die Ermordung der Königinmutter Isebel (2 Kön 9,30–37), dann die Ermordung der Thronnachfolger (2 Kön 10,1–17) und zum Schluss die Ermordung der von Isebel protegierten Baalspriester (2 Kön 10,18–28). 30 Ihr Name fällt im Kontext von Joram nicht, sie wird nur als »Tochter Ahabs« vorgestellt (2 Kön 8,18); mit Namen wird sie erst im Kontext der Regierungszeit von Jorams Sohn und Nachfolger Ahasja genannt, wo sie als »Enkelin Omris« bezeichnet wird (2 Kön 8,26). Vgl. KATZENSTEIN, Parents, 194–197. 31 Asa regiert in Juda (1 Kön 15,9–24), als Ahab im Nordreich an die Regierung kommt. Auf ihn folgt sein Sohn Joschafat (1 Kön 22,41–51); beide Könige werden positiv gewertet (1 Kön 15,11; 22,43). 32 »Ja, wir können sagen, dass der Norden sich durch Heirat Juda einverleibt hat«, FINKELSTEIN / SILBERMAN, David und Salomo, 94.
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tinuität der Davidsdynastie durchbrochen hat, als auch das Anfangsformular bei Jehu fehlen.33 Beide zeitgleich Regierenden werden damit als Herrscher charakterisiert, die unrechtmäßig an die Macht gekommen sind. Weil jedoch Jehus Revolte in der erzählerischen Konstruktion der Königsbücher durch die Intervention des Propheten Elischa initiiert worden ist (2 Kön 9,1–14), erscheint diese als durch die Prophetie gerechtfertigt. Möglicherweise erhält Jehu deswegen ein Abschlussformular. Atalja hingegen wird zur ›Isebel des Südreiches‹. Es ist daher kein Zufall, dass sich zwischen beiden Frauen, die nicht nur aus der gleichen Familie stammen, sondern die beide auch als Ausländerinnen an der Spitze eines fremden Staates stehen, auffallende Parallelen bezüglich ihres Todes ergeben: Beide werden ermordet.34 Obwohl die Regierungszeiten Jehus (845–818) und Ataljas (845–840) zeitgleich beginnen und damit in der fabula parallel liegen, berichtet die Erzählstimme zuerst von Jehu (story). So fokalisiert sie als erstes den Blick auf die politische Entwicklung in Israel (2 Kön 9–10), um dann im zweiten Schritt den Fokus auf die (zeitgleiche) politische Entwicklung im Südreich zu lenken (2 Kön 11). So wird erst nach dem Ende der Omridendyastie im Nordreich berichtet, was sich zugleich im Süden zugetragen hat. Nach der Trennung von Norden und Süden wird erstmals in den Königsbüchern nur von Juda berichtet: Mit den Erzählungen über Atalja (2 Kön 11) und ihren Enkel Joasch (2 Kön 12) tritt der Südstaat Juda in einer eigenständigen Erzählung auf, die nur in Juda spielt und nur von Juda handelt. Signifikant daran ist, dass die Erste, die Bewegung in die Geschichte Judas bringt, eine Frau ist, die aus dem Nordreich stammt. Insofern könnte man 2 Kön 12 auch als eine Nordreich-Erzählung begreifen. Erst mit dem Tod Ataljas ist das vollständige Ende der Omridendynastie erreicht. Daher markieren die Erzählungen über Jehu und Atalja das doppelte Ende der Omridendynastie, das zuerst in Israel und dann in Juda erzählt wird. Betrachtet man die Funktion von 1 Kön 22 im Kontext dieser politischen Erzähllinie, ergeben sich zwei Aspekte: Erstens ist 1 Kön 22 die erste Geschichte in den Königsbüchern, die nach der Trennung der beiden Länder von einer gemeinsamen politischen und militärischen Aktion von Israel und Juda berichtet. Vorher wurde immer nur der dauerhafte Kriegszustand zwischen beiden Ländern betont (vgl. 1 Kön 14,30 vgl. 15,6 sowie 15,16.32).35 Wie es zu dieser neuen poli33 Das Argument, dass wegen der Länge der Darstellung von Jehus Regierungsantritt sein Anfangsformular ausgefallen sei (so HENTSCHEL, Königsbücher, 242), überzeugt weniger. 34 Isebel kommt durch Jehu um, der damit indirekt Atalja zur Macht verhilft, weil er im Zuge seiner Revolte auch Ahasja von Juda ermordet. 35 Ahabs Nachfolger Ahasja versucht die Zusammenarbeit mit Joschafat von Juda auf wirtschaftlicher Ebene fortzusetzen, handelt sich jedoch eine Absage von Seiten Joschafats ein (1 Kön 22,50–51). In 2 Kön 3,4–27 werden Israel und Juda noch häufiger gemeinsam
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tischen Konstellation kam, schildert 1 Kön 22 nicht. Juda aber erscheint nicht als gleichwertiger politische Partner, sondern nimmt eine untergeordnete Position ein. Die Aktivität, die politischen Ideen, der Entschluss zum Krieg und seine Umsetzung gehen stets vom König von Israel, nicht vom König von Juda aus.36 Zweitens erzählt 1 Kön 22 die Umstände von Ahabs Tod. Umso signifikanter ist, dass aber gerade diese Erzählung am wenigsten eine AhabErzählung ist: Der Name »Ahab« fällt in 1 Kön 22,1–38 nur ein einziges Mal (1 Kön 22,20), während sonst nur von dem »König von Israel« die Rede ist, während der König von Juda mehrfach mit seinem Namen »Joschafat« bezeichnet wird (1 Kön 22,8.10.18.29.30.32). Wegen 1 Kön 20,22 und des narrativen Kontextes von 1 Kön 22 ist der fast anonym erscheinende König als König Ahab zu identifizieren. Dennoch haftet der Figur des Königs in 1 Kön 22 etwas ›Ahab-Unspezifisches‹ an. Er erscheint weniger als der König Ahab, sondern als König von Israel. Damit erhält diese Erzählung etwas Prototypisches – so als sei das, was in 1 Kön 22 erzählt werde, grundlegend für das Verhältnis von Israel und Juda und zugleich typisch für die Könige von Israel, so dass ›der König von Israel‹ aus 1 Kön 22 zur Projektionsfläche für jeden x-beliebigen König Israels werden kann.37 1.3.2. Der Elija-Elischa-Zyklus. 1 Kön 22 im prophetischen Kontext von 1 Kön 16–2 Kön 13 Die Besonderheit der Mitte der Königsbücher ist, dass zu der politischen erstmals auch die prophetische Kontinuität in Form eines übergreifenden Erzählzyklus tritt:38 Der im Zentrum der Königsbücher stehende ElijaElischa-Zyklus lässt sich in zwei Teile aufgrund der Auftrittsdaten, der Angaben über das Lebensende und dem zeitlichen Nacheinander in der Abfolge der beiden Propheten gliedern: Es gibt einen Elija-Abschnitt auftreten und als Koalitionäre in den Krieg ziehen (vgl. auch den politisch verhängnisvollen Krankenbesuch von Ahasja von Juda bei dem verwundeten König Joram von Israel, 2 Kön 8,29). 36 Erst in 2 Kön 14,7–14 wird wieder von einer militärischen Aktion Judas gegen Israel berichtet: Hier geht die Aggression von Juda aus, verläuft aber für Juda ungünstig und führt zu einem Sieg Israels; 2 Kön 16,5–9 hingegen berichtet von einem Krieg Arams und Israels gegen Juda. 37 Vgl. zur Frage des Namens auch HUBBARD, »Old What’s-His-Name«, 294–314. 38 Vgl. EISSFELDT, Komposition von I Reg 16,29–II Reg 13,25, 49–58; sowie zur Prophetie: PARZEN, Prophets and the Omride Dynasty, 69–96; RENDTORFF, Erwägungen zur Frühgeschichte, 145–167; HENTSCHEL, Propheten, 64–83; AULD, Prophets, 3–23; AULD, Prophets and Prophecy, 66–82; BECKER, Historischer Prophetismus, 11–23; CARROLL, Prophety and Society, 203–225; GORDON, A House Divided, 94–105; DIETRICH, Prophetie im Deuteronomistischen Geschichtswerk, 47–65.
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(1 Kön 17–2 Kön 2) und einen Elischa-Abschnitt (2 Kön 2–13). 2 Kön 2 nimmt als Übergangskapitel eine Scharnierfunktion zwischen beiden Erzählabschnitten ein. Erstmalig betritt Elija in 1 Kön 17,1 die Bühne der Handlung und wird in seiner ersten Nennung als »Elija, der Tischbiter, aus Tischbe in Gilead« vorgestellt.39 Außerhalb des durch Auftritt und Lebensende markierten Abschnitts wird Elija im Elischa-Teil nur noch in 2 Kön 3,11; 9,36; 10,10.17 erwähnt.40 Diese namentlichen Rückverweise vernetzen die beiden Abschnitte. Im Elija-Teil finden sich nur zwei Erzählungen, in denen Elija nicht auftritt: Dies ist die Geschichte über den unbekannten Propheten in 1 Kön 20 und in 1 Kön 22. Diese beiden Erzählungen werden nur selten in die Analyse der Elija-Erzählungen einbezogen.41 Nach der Auffahrt Elijas in 2 Kön 2 beginnt die Zeit Elischas, die mit seinem Tod in 2 Kön 13 endet. 2 Kön 2 hat die Funktion eines Scharniers zwischen dem Nicht-mehr-anwesend-Sein Elijas (2 Kön 2,1–18) und dem Beginn der Zeit Elischas (ab 2 Kön 2,19). Wie Elija im Elischa-Teil so ist auch Elischa namentlich im Elija-Teil verankert: Elischa ist bereits in 2 Kön 19,16.19–21 als Nachfolger und Schüler Elijas eingeführt worden.42 In den Elischa-Abschnitt gehören auch Erzählungen, in denen er nicht oder nur am Rande auftritt.43 Dass Elischas Tod erst in 2 Kön 13 erzählt wird, zeigt, dass der Elischa-Abschnitt bis 2 Kön 13 reicht und umgekehrt die Erzählsequenzen in 2 Kön 9–12 im Horizont der Elischa-Erzählungen zu lesen sind: Am Ende der Erzählungen über Elischa wird zum einen explizit auf Elija verwiesen (2 Kön 9,36; 10,10.17), zum anderen wird das Ende 39
1 Kön 17,1: d['l.gI ybev'Tomi yBiv.Tih; WhY"lia.e Mit der ausführlichen Herkunftsformel wird Elija nur bei seinem ersten Auftreten in 1 Kön 17,1 benannt; vgl. »Elija, der Tischbiter« (yBiv.Tih; WhY"lia)e in 1 Kön 21,17.28; 1,3.8; 9,36. 40 Darüber hinaus wird Elija in der Hebräischen Bibel namentlich nur noch in 2 Chr 21,12 und Mal 3,23 erwähnt. 41 So z.B. CRÜSEMANN, Elia. 42 Nach der Erzählsequenz über Elija am Horeb wird von einem dreigliedrigen Auftrag Gottes an Elija berichtet: Elija soll erstens Hasael zum König über Aram und zweitens Jehu zum König über Israel sowie drittens Elischa zum Propheten als seinen Nachfolger salben (1 Kön 19,16). Die ersten beiden Anweisungen erfüllt Elija nicht, nur die letzte setzt er sofort durch die im Anschluss erzählte Berufung Elischas um, den er aber, anders als das JHWH von ihm verlangt hat, nicht salbt (1 Kön 19,19–21). Die zweite Anweisung Gottes an Elija, die Salbung Jehus zum König über Israel, löst erst sein Schüler Elischa ein, der diesen allerdings nicht persönlich salbt, sondern einen seiner Schüler schickt (2 Kön 9,1–15). Auch die erste Anweisung Gottes an Elija wird durch Elischa realisiert, allerdings wieder nicht als Salbung; vielmehr verhilft Elischa Hasael durch seine prophetische Intervention zum Königsthron (vgl. 2 Kön 8,7–15). Durch diese von Elija nicht erfüllten Aufträge werden die ElischaErzählungen mit dem Elija-Abschnitt vernetzt. Anders als Elija wird Elischa in der Hebräischen Bibel außerhalb der Königsbücher nicht mehr namentlich erwähnt. 43 Vgl. die Jehu-Erzählung in 2 Kön 9–10, die Erzählung über die Königin Atalja in 2 Kön 11 oder den König Joasch in 2 Kön 12.
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Elijas und der Beginn der eigenständigen prophetischen Tätigkeit durch Elischa in der Erzählung über den Tod Elischas durch Joasch, den König von Israel, und seine Aussage »Mein Vater, mein Vater, Wagen Israels und sein Lenker«44 (2 Kön 13,14) aktualisiert, die Elischa seinem Lehrer Elija als letzten Satz bei dessen Entrückung hinterher gerufen hat (2 Kön 2,12 vgl. 2,11).45 Am Ende von Elischas Leben wird mit dieser Wiederholung an die Nachfolge Elijas durch Elischa und ihr Lehrer-Schülerverhältnis erinnert. Die prophetische Genealogie ist somit ein weiteres Element, das den Teil C als Zentrum der Königsbücher auszeichnet. Durch den Beginn des Auftretens der beiden Propheten sowie ihr Lebensende lässt sich der Elija-Elischa-Zyklus klar von seinem Kontext abgrenzen. Damit umfasst der Elischa-Abschnitt 2 Kön 2–13 und ist der zweite Teil des ElijaElischa-Zyklus in der Mitte der Königsbücher (1 Kön 16–2 Kön 13).46 Das Besondere an Teil C ist somit sein doppelter Charakter, in dem die Erzähllinien um Elija und Elischa mit denen um Ahab und Isebel miteinander verwoben sind. Beide Erzählschwerpunkte starten gleichzeitig, greifen in ganz unterschiedlicher Weise ineinander, strukturieren wie Leitfossilien den Erzählfluss und beeinflussen sich wechselseitig. Die Konfrontation zwischen dem Königspaar und den Propheten führt immer wieder zu ihrer gegenseitigen Profilierung. Gerade vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Funktion der Elija-und-Elischa-losen Erzählung von 1 Kön 22, die das Zentrum des Elija-Elischa-Zyklus bildet und die nicht einfach ausgeblendet oder als narrativer ›Unfall‹ gewertet werden darf. Ihre wichtigste Funktion ist, dass das Phänomen des Prophetischen vor der ›Mantelübergabe‹ von Elija an Elischa reflektiert wird: Neben den profilierten und facettenreichen Gestalten der in sehr unterschiedlichen Rollen auftretenden Gottesspezialisten fächert 1 Kön 22 mit den verschiedenen Prophetentypen das Spektrum der JHWH-Prophetie in Israel auf und reflektiert die Kommunikation zwischen JHWH und seinen Propheten an exponierter Stelle. Anders als im ElijaElischa-Zyklus, in dem es um die Provenienz der Prophetie und um eine klare Unterscheidung zwischen JHWH-Propheten und denen der Aschera und des Baal geht (1 Kön 18), wird in 1 Kön 22 die Frage nach dem Prophetischen selbst gestellt: Die gesamte vertretene Prophetie ist JHWHProphetie. Dennoch werden die Lesenden mit unterschiedlichen und mehr44
Eine alternative Übersetzung für wyv'r'p'W laer'f.yI bk,r, ybia' ybia' ist: »Mein Vater, mein Vater, Wagen Israels und sein Gespann«. 45 Dies zeigt zudem die enge Verbundenheit des Propheten Elischa mit dem regierenden Königshaus Jehu: Elischa, der dem Vater Jehu zur Macht verholfen hatte (vgl. 2 Kön 9), stirbt nun in Anwesenheit seines Sohnes Joasch, der ihn als »mein Vater« bezeichnet. 46 Daher darf der Elischa-Abschnitt nicht auseinandergerissen werden, so HENTSCHEL, Königsbücher, 241, der 2 Kön 2,1–8,29 unter dem Stichwort »Prophetenerzählungen« und 2 Kön 9,1–17,41 unter »Königschronik« fasst.
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deutigen JHWH-Worten verschiedener Propheten konfrontiert. Damit wird erzählt, dass es keine einfache und klare Grenzziehung in der JHWHProphetie gibt. 1 Kön 22 inszeniert, dass Gewissheit nicht von der Prophetie selbst ausgehen kann, sondern die Rezipierenden zu einer eigenen Positionierung herausgefordert werden. Damit wird im Zentrum des ProphetenZyklus das Phänomen des Prophetischen tiefgehend und theologisch sehr viel grundlegender reflektiert, als es im erzählerischen Kontext selbst der Fall ist. So können nicht die ›berufenen Rufer‹ (Alfons Deissler) GottesKommunikation garantieren, vielmehr ist jeder Rezipient und jede Rezipientin ›berufen‹ und ›gerufen‹, in die Gottes-Kommunikation einzusteigen und so selbst als ›Hörer des Wortes‹ (Karl Rahner) zu ›berufenen Rufern‹ zu werden. Betrachtet man diese Kontextualisierungen vor dem Hintergrund der in 1 Kön 22 eruierten Autorfunktionen, dann zeigt sich, dass die politischen Funktionen der Erzählung (erstens die Unterordnung Judas unter Israel und zweitens der Tod Ahabs), mit dem Textbestand konvergieren, der der Gestaltungsfunktion I (1 Kön 22,1–4.29–34.37–40) zugeschrieben werden konnte, während die Funktionen von 1 Kön 22 auf der prophetischen Ebene (die grundlegende Reflexion des Phänomens Prophetie) dem Text der Gestaltungsfunktion II (1 Kön 22,5–28.35–36) entsprechen. Auf diese Weise bestätigt die ›synchrone‹ Einordnung der Erzählung von 1 Kön 22 in ihrem narrativen Kontext das ›diachrone‹ Ergebnis, das sich allein aus der Analyse der Autorfunktionen, die sich nur auf 1 Kön 22 beschränkt haben, ergeben hat. 1.4. Das Ende des Nordreiches Israel (2 Kön 17) Die Erzählung über den Untergang des Nordreiches Israel (2 Kön 17) wird an dieser Stelle aus der Perspektive des Anfangs von 1 Kön 11–14 betrachtet, um zu eruieren, wie sich aus den Schilderungen des Anfangs die des Endes ergeben und wie diese zur Deutung des Endes herangezogen werden. 2 Kön 17 lässt sich in zwei große Abschnitte (2 Kön 17,1–23.24–41) gliedern, die jeweils in einen Erzählteil (17,1–6; 17,24–28) und Reflexionsteil (17,7–23; 17,29–41) strukturiert sind.47 47
Vgl. hierzu auch NELSON, Kings, 229; zur Feingliederung vgl. NELSON, Kings, 230. 2 Kön 17 lässt sich nach LONG in vier große Abschnitte gliedern: I. 2 Kön 17,1–2 (Rahmenformular); II. Reflexion über den Fall Samarias (17,3–41): A. Bericht über Samarias Exil (17,3–6); B. Erster Kommentar: Gründe für das Exil (17,7–23); C. Bericht über die Folgen: Neuansiedelung in Samaria und synkretistische Religion; D. Zweiter Kommentar: Die synkretistische Religion in Samaria (17,34–41). Zur detaillierten Gliederung von 2 Kön 17,7–23 sowie 17,24–41 vgl. LONG, 2 Kings, 180.184.185–186. Eine etwas andere Gliederung vertritt VIVIANO (vgl. VIVIANO, 2 Kön 17, 556).
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Das Ende des Nordstaates Israel wird nur sehr kurz berichtet (2 Kön 17,1–6 vgl. 18,9–12): Obwohl das Nordreich Israel unter dem König Hoschea besiegt und erobert und die Bevölkerung deportiert wird, fällt das Urteil über den König in der Einleitungsformel recht moderat aus (2 Kön 17,1–2). Signifikanterweise fehlt bei Hoschea die Schlussformel. Dies verbindet den letzten König des Nordreiches mit dem ersten, mit Jerobeam, bei dem es keine Einleitungs-, dafür aber eine Schlussformel gibt (vgl. 1 Kön 14,19–20). Auf diese Weise beginnt das Nordreich mit einem offenen Anfang und endet mit einem offenen Ende. Das Fehlen der Schlussformel findet sich auch bei dem letzten König des Südreiches. So bleibt das Schicksal der beiden letzten Könige jeweils offen. Das eher vorsichtige Urteil in der Einleitungsformel von Hoschea resultiert zum einen aus der Übermacht der Assyrer, aber auch darin, dass der Untergang des Nordreiches weniger von dem letzten König, als vielmehr von der gesamten Geschichte des Nordstaates verursacht verstanden wird. Dies kommt nicht nur in der folgenden ausführlichen Begründung zum Ausdruck, sondern wird auch durch einen intratextuellen Bezug nahe gelegt: Das abgemilderte Urteil über den König, er war »nicht wie die Könige Israels, die vor ihm waren« (2 Kön 17,2), findet sich in den Königsbüchern nur noch für König Joram von Israel, den Sohn Ahabs (2 Kön 3,2). Mit beiden Königen endet jeweils eine Dynastie – Joram ist der letzte König der Omriden und Hoschea ist der letzte König Israels. Auch Joram hat das Ende seiner Dynastie nicht verursacht, sondern musste vielmehr die Folgen aus der Generation seines Vaters tragen: JHWH hatte das ursprünglich Ahab angekündigte Ende der Dynastie wegen Ahabs Buße abgewendet und auf die kommende Generation übertragen (»Unheil« h['r'h'; 1 Kön 21,29). In 2 Kön 17,3–6 wird in nur vier Versen der komplexe Prozess der Unterwerfung des Nordstaates Israel durch die Assyrer zusammengefasst: Samaria wird erobert und die Bevölkerung deportiert. Bevor von der Ansiedlung neuer Bevölkerungsgruppen berichtet wird (2 Kön 17,24–28), wird ausführlich die Schuld Israels (2 Kön 17,7–23) thematisiert. Von der Zeitkonstruktion wird die Handlung angehalten, um in die narrative Pause eine lange theologische Reflexion einzuschieben. Das ungleiche Verhältnis zwischen der Länge der Schilderung der Ereignisse und ihrer Deutung kann zum einen darauf hinweisen, dass bei den anvisierten Lesenden die Fakten als bekannt vorausgesetzt und daher nicht ausführlich erläutert werden müssen, zum anderen aber darauf, dass das Interesse der Königsbücher nicht die Schilderung der Geschichte, sondern ihre theologische Deutung ist. Signifikanterweise finden sich im Reflexionsteil des ersten Abschnitts (2 Kön 17,7–23) Bezugnahmen auf den Beginn des Nordreiches, v.a. auf 1 Kön 11 und 14. Der Reflexionsteil lässt sich in zwei Teile gliedern
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(2 Kön 17,7–18.19–23). Besonders interessant sind die Rolle Jerobeams sowie die Rolle von Juda. Erstens: Der erste Teil (2 Kön 17,7–18) besteht aus einem einzigen Satz, in dessen langer, sich über elf Verse erstreckender Protasis48 eine ganze Reihe von Vorwürfen in schneller, geradezu ›ärgerlicher‹49 Folge aufgelistet werden, die sich aus dem ersten Vorwurf, der ›Verfehlung‹ (ajx; 2 Kön 17,7), ergeben. Auf diese Weise erscheinen die in 2 Kön 17,7–17 aufgelisteten Vergehen wie eine ausführliche Explikation, was unter der zu Beginn genannten ›Verfehlung‹ zu verstehen ist. Die Schuld für die als ›Verfehlungen‹ bezeichneten Vergehen wird dem Volk Israel als Ganzem gegeben.50 Erst im zweiten Teil (2 Kön 17,19–23) wird Jerobeam als einziger der Könige des Nordreiches explizit erwähnt, der dann als der Ursprung der ›Verfehlungen‹ genannt wird, weil er das Volk Israel dazu gebracht habe, sich zu ›verfehlen‹ (ajx; 2 Kön 17,21bis.22; vgl. 1 Kön 14,16).51 Zu den Vergehen Israels werden in 2 Kön 17,14–17 auch die Gussbilder und die beiden Kälber (2 Kön 17,16) gezählt. Das Lexem »Gussbild« (hk'Sem;) findet sich in den Königsbüchern nur in 1 Kön 14,9 und in 2 Kön 17,16, in 1 Kön 12 und 13 ist allerdings nirgends von »Gussbildern« oder »anderen Göttern« die Rede. In 2 Kön 17,16 werden die »Gussbilder« mit den »Kälbern« (1 Kön 12,28.32 vgl. 2 Kön 10,29) identifiziert, wie bereits in 1 Kön 14 die »Gussbilder« in den Kontext der Verehrung »anderer Götter« gestellt wurden. Diese Strategie wird hier aufgegriffen, indem in 2 Kön 17,16 neben den »Gussbildern von zwei Kälbern« Baal, Aschera und das Himmelsheer genannt werden. Auf diese Weise erscheint Jerobeam als Verehrer fremder Gottheiten (2 Kön 17,21–22). Zweitens: Mit der sprachlichen Konstruktion von langer Protasis und kurzer Aposdosis wird eine erzählerische Dynamik aufgebaut, die Spannung erzeugt. An ihrem Ende steht der »Zorn JHWHs« (@na; 2 Kön 17,18). Ursprünglich hat dieser aber gerade nicht Jerobeam, sondern Salomo gegolten (1 Kön 11,9). Folge aus diesem Zorn ist, dass »der Stamm Juda alleine« übrig bleibe (2 Kön 17,18). Wie der erste Teil mit dem Verweis auf »Juda« (2 Kön 17,18) endet, wird der zweite Teil mit dem Verweis auf Juda eröffnet (2 Kön 17,19). Auf diese Weise bildet Juda das entscheiden-
48 2 Kön 17,7–18 ist ein Satz: 17,7–17 ist die lange begründende Protasis, 17,18 die Apodosis; vgl. COGAN / TADMOR, 2 Kings, 204. 49 Die vermeintlich ›objektive‹ Stimme des Erzählers werde bei der Auflistung der Vergehen Israels zunehmend ›ärgerlich‹, so COHN, 2 Kings, 119. 50 Vgl. hierzu COHN, 2 Kings, 118. 51 Der erste jerobeamlose, auf das Volk Israel konzentrierte Teil wird durch zwei implizite Verweise auf Jerobeam gerahmt (ajx; 2 Kön 17,7 und die »Kälber« in 2 Kön 17,16), zugleich rahmt der Vorwurf der ›Verfehlung‹ (ajx; 2 Kön 17,7.16) den ersten Abschnitt (2 Kön 17,7–23).
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de Scharnier52 in der Reflexion über den Untergang des Nordreiches. In dieser Reflexion, die zunächst ganz auf Israel fokussiert ist und Jerobeam hervorhebt, geht es nicht in erster Linie um Israel, sondern um Juda: 2 Kön 17 »speaks of Israel to Judah.«53 Ziel der Reflexion in 2 Kön 17 ist Juda. Dabei ist interessant, dass Juda als »Stamm« (jb,ve; 2 Kön 17,18) bezeichnet wird, was in den Königsbüchern auffallenderweise fast ausschließlich in 1 Kön 11–14 der Fall ist.54 Der »Stamm« Juda ist der letzte Fetzen55 des Mantels von Ahija, der als einziger übrig geblieben ist, nachdem das aus den zehn Fetzen formierte »Israel« untergegangen ist. Dies lässt die Reformen Hiskijas (2 Kön 18) und Joschijas (2 Kön 22–23) umso dringlicher erscheinen. In 2 Kön 17 sind aus der Perspektive des Anfangs drei Deutungsmuster zu erkennen, die die Funktion haben, das Ende aus der Perspektive des Anfangs zu deuten:56 Am Anfang des Reflexionsteils (2 Kön 17,7) wird die zentrale ›Verfehlung‹ (ajx) in der Verehrung fremder Gottheiten gesehen. Im Anschluss daran werden die kultischen und baulichen Maßnahmen, die aus dem Abfall von JHWH resultieren, im Einzelnen erläutert. In diesem Abschnitt treten die Wortfelder konzentriert auf, mit denen in den Königsbüchern bisher das Verhalten Israels und Judas bewertet wurde: »verfehlen« (ajx; 2 Kön 17,7), »kränken, reizen, erzürnen« (s[k; 2 Kön 17,11.17) und »böse« ([r;; 2 Kön 17,10.11.13.17.21). Diese nehmen jeweils ihren Ausgang von Salomo und Jerobeam und durchziehen ab 1 Kön 11 bzw. 14 den zweiten Abschnitt der Königsbücher. Die Lexeme »verfehlen« (ajx in 1 Kön 14,16) und »kränken, reizen, erzürnen« (s[k; 1 Kön 14,9 vgl. 2 Kön 17,11.17) werden in dem von Ahija übermittelten Schuldspruch JHWHs gegenüber Jerobeam etabliert. Das Wortfeld »böse, übel« ([r;) wird als Wertung erstmals in Bezug auf die Fremdgötterverehrung Salomos (hw"hy> ynEy[eB. [r;h' hmol{v. f[;Y:w:; 1 Kön 11,6) verwendet und wird dann zum festen Bestandteil des einleitenden Bewertungsformulars. Durch dieses werden die Vergehen aller Könige aktualisiert, die in den grundlegenden Verfehlungen Salomos und Jerobeams am Anfang ihren Ausgang genommen haben. Die generalisierenden Wertungen in 2 Kön 17 nivellieren 52
Auf diese Weise wirken 2 Kön 17,7–18 und 17,19–23 wie ein Doppelbild, das durch das Scharnier Juda zusammengehalten wird, zumal nicht nur die Vorwürfe in beiden Teilen ähnlich oder identisch sind, sondern auch in beiden Teilen auf die warnenden Propheten (2 Kön 17,13.23) rekurriert wird. 53 VIVIANO, 2 Kön 17, 559 (Hervorhebungen im Text). 54 Vgl. »Stamm« (jb,v)e in 1 Kön 11,13.31.32.35.36; 12,21; 14,21; sonst in den Königsbüchern in 1 Kön 8,16; 18,31; 2 Kön 21,7. 55 Vgl. die Wiederaufnahme des Verbs [rq »entreißen, zerreißen, zerfetzen« in 2 Kön 17,21 aus 1 Kön 11,11bis.12.13.30.31; 13,3.5; 14,8. 56 COGAN / TADMOR, 2 Kings, 207.
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Kap. V: 1 Kön 13 und 1 Kön 22 in den Königsbücher
zugleich die Unterschiede zwischen Salomo und Jerobeam: Während Salomo explizit Fremdgötterverehrung vorgeworfen wird,57 hat Jerobeam keine fremden Götter verehrt, sondern seine ›Verfehlung‹ besteht in der Errichtung der (JHWH-)Heiligtümer in Bet-El und Dan. Damit, dass Jerobeam in einem Zug mit Salomo genannt wird, färbt dessen Fremdgötterverehrung auf Jerobeam ab, so dass die Heiligtümer in Bet-El und Dan in dem Verdacht stehen, Kultorte für fremde Gottheiten zu sein. Zugleich werden umgekehrt zu der Ausgangssituation die Figuren umgedeutet: Während Salomo hier nicht genannt wird, aber derjenige war, der die Verehrung fremder Gottheiten eingeführt hat, wird Jerobeam zum schlimmsten König, obwohl er JHWH verehrt hat.58 In der Deutung der Vergangenheit in 2 Kön 17,7–23 wird somit die Geschichte Israels als ›Schuldgeschichte‹ gedeutet, die in dem am Ende genannten König des Anfangs, in Jerobeam, ihren Ursprung hat (2 Kön 17,21–22). Ein zweiter wichtiger Aspekt der Umdeutung ist die Veränderung der zeitlichen Abfolge und der kausalen Zusammenhänge: Durch die ausführliche Schilderung der Verfehlungen, die ganz allgemein auf Israel bezogen sind, wird insinuiert, dass sich dieser Prozess über Generationen hinweg vollzogen hat und das ganze Volk daran beteiligt war (2 Kön 17,13–17). Im Anschluss daran wird dann die Konsequenz beschrieben, die JHWH aus diesem geschilderten Verhalten gezogen hat: Er wurde zornig und hat Israel verstoßen, dass nur Juda übrig blieb (2 Kön 17,18). Auf diese Weise erscheint die Verwerfung Israels als Resultat eines langen Prozesses und ist die Reaktion Gottes auf das Fehlverhalten von ganz Israel. Vor dem Hintergrund des in den Königsbüchern Erzählten steht die Verwerfung Israels durch JHWH aber nicht als Resultat am Ende, sondern an ihrem Anfang: In 1 Kön 11 wird berichtet, dass JHWH Juda das Königtum wegen der Verfehlungen Salomos entreißt und es Israel verleiht, dass aber JHWH kurze Zeit später auch Israel wegen der Verfehlungen Jerobeams verwirft. Zudem sind es am Anfang die Könige und nicht das ganze Volk, das fremde Götter verehrt. Die theologischen und kultischen Aktivitäten, die in den Augen der Königsbücher als ›Verfehlungen‹ bezeichnet werden, gehen ganz explizit von den Königen aus. Daher wird JHWH nicht über ganz Israel zornig (@na; 2 Kön 17,18), sondern zuerst nur über Salomo wegen
57 Abfall von JHWH wird in den Königsbüchern in dieser generellen Form nur von Salomo in 1 Kön 11, 2 Kön 10,28–31 (zu Jehu) und in 2 Kön 17 thematisiert. Auf diese Weise wird ein direkter Bogen vom Anfang zum Ende geschlagen, vgl. NELSON, Kings, 74. 58 Das Errichten der Kulte in Bet-El und Dan kann eigentlich nur gegen das Kultzentralisationsverbot (Dtn 12,4–7, die erstmals unter Hiskija 2 Kön 18,4 vgl. 18,22 umgesetzt wurde vgl. 1 Kön 3,2.3–4) verstoßen, das aber zur Zeit Jerobeams in dieser Form noch nicht existiert hat.
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seiner Fremdgötterverehrung (1 Kön 11,9):59 Wegen Salomo hat JHWH Juda verworfen, Israel unter Jerobeam privilegiert und Juda nur wegen der »Herrschaft« Davids (rynI; 1 Kön 11,36) erhalten. Eine genau umgekehrte Kausalität legt 2 Kön 17,21 nahe, wo behauptet wird, dass JHWH Israel von Juda wegen der ›Verfehlungen‹ Jerobeams losgerissen habe, bis JHWH es endgültig verworfen hat (2 Kön 17,23). In der in 2 Kön 17 vorgelegten Deutung wird die Schuld einseitig auf Jerobeam und Israel gelenkt, Juda hingegen wird weitgehend entschuldigt und Salomo ganz verschwiegen. Damit wird das judäische Profil der Erzählstimme deutlich. Ein dritter wichtiger Aspekt ist, dass die die Erzählstimme in 2 Kön 17 die Seher und Propheten erwähnt (2 Kön 17,13.23). Die Seher und Propheten werden von dieser als ein Angebot JHWHs präsentiert, mit denen er immer wieder Israel zur Umkehr aufgerufen und zum Beachten der Gebote ermahnt habe. Im zweiten Teil der Königsbücher (1 Kön 12–2 Kön 17) finden sich allerdings nur wenige königskritische Propheten (z.B. Elija) und v.a. keine Propheten, die mit der in 2 Kön 17,13.23 wiedergegebenen Botschaft aufgetreten wären. Lediglich der Hinweis auf das Bewahren der Gebote (hQ'xu bzw. hw"c.mi rmv) findet sich bei Ahija (1 Kön 11,34.38; 14,8). Zudem findet sich in den ganzen Königsbüchern kein Einziger, der explizit als »Seher« (hzmi) und die Kulthöhe (hm'B') als fokalisiertem Objekt gelenkt.67 Ebenso ist Jerobeam als der »Macher« (hf[) des Altares (2 Kön 23,15 vgl. 1 Kön 12,32.33) und der Kulthöhe (vgl. 1 Kön 12,31.32) und als »Verführer« Israels betont vorangestellt. Über diese Leitwörter ist die Erzählung besonders mit den kultischen Maßnahmen Jerobeams in 1 Kön 12 vernetzt. Der Blick der Lesenden wird direkt auf den Altar und im Anschluss auf Jerobeam als den, der den Altar in Bet-El zu verantworten hat, gelenkt. Wer das Geschehen fokalisiert, wird erst im folgenden Vers klar: Fokalisierendes Subjekt des ganzen Abschnitts ist Joschija. Nur durch seine Augen nehmen die Lesenden das Geschehen wahr (›sehen‹ har vgl. 2 Kön 23,16.17). Wie der erste Abschnitt, stellt auch der dritte (2 Kön 23,19–20) das Objekt der Zerstörung, die »Höhenhäuser« (tAmB'h; yTeB'-lK') in den Städten Samarias voran, benennt aber, statt Jerobeam, die Könige von Israel als »Macher« (hf[), die JHWH mit ihrem kultischen Fehlverhalten »gekränkt« haben. Damit verweist die Erzählung auf die gesamte Geschichte des Nordreiches Israels zurück. Joschija als Zerstörer der kultischen Anlagen im Nordreich, die ihren Ausgang von Jerobeam genommen haben, erscheint somit als Gegenbild zu Jerobeam: Joschija zerstört, was Jerobeam eingerichtet hat, und Joschija erfüllt, was der Gottesmann Jerobeam angekündigt hat (1 Kön 13,2). Vier Aktionen werden von Joschija in Bet-El berichtet: Er reißt (#tn) den Altar und die Höhe ein, verbrennt (@rf) die Höhe, pulverisiert (qqd) diese zu Staub und verbrennt (@rf) die Aschera (2 Kön 23,15). Keine dieser Maßnahmen ist im Wort des Gottesmannes in 1 Kön 13 vorhergesagt worden.68 Dass der Gottesmann die Dinge, die Joschija getan hat, angekündigt habe, wie die Männer aus der Stadt in 2 Kön 23,17 behaupten, stimmt für die in 2 Kön 23,15 geschilderten vier Maßnahmen Joschijas nicht. Erst in 2 Kön 23,16 wird explizit auf das vom Gottesmann in 1 Kön 13,2 »gerufene« (arq) Wort JHWHs verwiesen,69 als Joschija die Gebeine (~c,[,) exhumieren und auf dem Altar verbrennen lässt (@rf). Damit erfüllt Joschija nicht nur das dreihundert Jahre alte Wort des Gottesmannes, sondern erscheint im Licht von 1 Kön 13 als Gegenbild zu Jerobeam, der Bet-El als Kultstätte JHWHs eingeweiht hat, und als Vollender dessen, was der Gottesmann angekündigt und getan hat, als er während der Ein67
Die Kultstätten stehen am Satzanfang, sind jeweils um einen Relativsatz erweitert und werden anschließend noch einmal beide wiederholt; auf diese Weise werden sie besonders herausgehoben (2 Kön 23,15 vgl. 23,19). 68 Das Verbrennen in 1 Kön 13,2 thematisiert nicht das Inbrandsetzen des Altares, sondern das Verbrennen von Menschengebeinen auf dem Altar von Bet-El. 69 Zu ar'q' rv,a] in 2 Kön 23,16 vgl. COGAN / TADMOR, 2 Kings, 289–290.
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weihung den Altar bereits entweiht und zerstört hat (1 Kön 13,3.5). Was in 1 Kön 13 nur für die Lesenden erkennbar war, macht Joschija nun für alle sichtbar. Nicht ohne Grund wird in der Erzählung das Sehen Jerobeams betont, das das Geschehen lenkt und die Fokalisierung vorgibt (har 2 Kön 23,16.17),70 weil sich mit ihm der Blick auf die Kultstätte von Bet-El verändert: Der eigentlich bereits seit dreihundert Jahren (unsichtbar) entweihte Altar ist nun für alle sichtbar öffentlich »verunreinigt« (amj).71 Die Aktionen Joschijas im dritten Abschnitt (2 Kön 23,19–20) werden nur in summarischer Analogie zum ersten erwähnt (2 Kön 23,19),72 beziehen sich aber durchgehend73 auf die »Höhenhäuser« in den Städten Samarias. Daher sind diese keine Umsetzung des Gottesworts von 1 Kön 13,2, das nur von dem Altar in Bet-El sprach – auch wenn die engste Parallele in der sprachlichen Gestaltung zwischen 2 Kön 23,20 und 1 Kön 13,2 besteht.74 Die Städte Samarias finden sich in der Rede des Gottesmannes nirgends. Der Prophet hingegen hat von diesen in seiner Deutung gegenüber seinen Schülern gesprochen (1 Kön 13,32), und war damit über das in der Rede des Gottesmannes Angekündigte hinausgegangen. 75 Unter der Frage nach der Autorfunktion in 1 Kön 13 konnte dieser Hinweis mit Blick auf die Auswahl-, Gestaltungs- und Kontextfunktion als erstes Indiz für eine raum-zeitliche Fixierung gewertet werden: Das in 2 Kön 23,15–20 Geschilderte kann frühestens der terminus a quo für die in 1 Kön 13 erzählten Ereignisse sein.76 Im Mittelpunkt der kultischen Zerstörungsmaßnahmen durch Joschija steht die Notiz über das Grab des Gottesmannes (2 Kön 23,17–18): Bei der Schändung der Gräber fällt Joschija ein »Denkmal, Grabmal« (!WYci)77 besonders ins Auge. Männer aus der Stadt (vgl. 1 Kön 13,25a) erläutern Joschija, dass es sich dabei um das Grab des Gottesmannes handele, der aus Juda gekommen sei (2 Kön 23,16 vgl. 1 Kön 13,1a.10c). Signifikanterweise wird das Grab als das Grab des Gottesmannes identifiziert. Damit 70
Vgl. ähnlich COHN, 2 Kings, 159. Dieses Verb findet sich in den Königsbüchern in 2 Kön 23 (2 Kön 23,8.10.13.16.19). 72 Dieser Rückverweis vom dritten auf den ersten Abschnitt verstärkt die rahmende Funktion der beiden äußeren Abschnitte. 73 In 2 Kön 23,20 wird durch die lokale Näherbestimmung im Relativsatz und das Lexem »dort« (~v') explizit das in 2 Kön 23,20 geschilderte Geschehen auf die Städte Samarias bezogen; vgl. analog zu 2 Kön 23,16. 74 Vgl. 2 Kön 23,20 mit 1 Kön 13,2. 75 Auch wenn Bet-El zu den Städten Samarias zählt, fällt doch der deutliche Unterschied auf, der zwischen Bet-El und den restlichen Städten gemacht wird. Damit wird zugleich die Differenz, zwischen dem, was Joschija in Bet-El, und dem, was er in den anderen Städten macht, verschärft. 76 Vgl. Kap. III. 4.1.3. 77 Vgl. Jer 31,32; Ez 39,15; COGAN / TADMOR, übersetzen mit »marker«, COGAN / TADMOR, 2 Kings, 290; hierzu auch HOBBS, 2 Kings, 336. 71
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Kap. V: 1 Kön 13 und 1 Kön 22 in den Königsbücher
hat sich die Sicht, die der Prophet seinen Schülern vermittelt hat, durchgesetzt, indem er vor ihnen sein Grab als das Grab des Gottesmannes (1 Kön 13,31c.d) bezeichnet hatte. Diese (Um-)Deutung des Propheten78 war erfolgreich: Noch dreihundert Jahre später bezeichnen die Männer aus der Stadt das Grab als das Grab des Gottesmannes (2 Kön 23,16). Diese Sicht übernimmt auch Joschija, der auf die Schändung des Gottesmann-Grabes verzichtet (2 Kön 23,18). Mit dieser Verschiebung wird der Gottesmann in den Mittelpunkt gestellt und der Blick von dem Propheten weggelenkt, obwohl dieser eigentlich im Fokus des Interesses steht, denn die nichterfolgte Schändung des Grabes wird als »Rettung« (jlm) des Propheten,79 nicht aber als die des Gottesmannes beschrieben. Zudem nimmt die von Joschija befohlene »Ruhe« (xwn) das Verb »legen« (xwn) aus 1 Kön 13 auf, indem mit den beiden Bedeutungen des Verbs im Kausativstamm »sinken lassen, Ruhe verschaffen, zur Ruhe kommen« und »legen« gespielt wird: Die Rechnung des Propheten, seine neben dem Gottesmann »liegenden« Gebeine (xwn; 1 Kön 13,29b.30a) zusammen mit den Gebeinen des Gottesmannes zu retten, indem sie in »Ruhe« (xwn; 2 Kön 23,18) gelassen werden, ist aufgegangen. So geht das Arrangement des Propheten – er begräbt den Gottesmann, dafür wird er von seinen Schülern neben dem Gottesmann begraben – tatsächlich auf (1 Kön 13,31). 2.1.2. Die Funktion von 1 Kön 13 für 2 Kön 23,15–20 Für die Frage nach der Bedeutung und Funktion von 1 Kön 13 für 2 Kön 23 seien sechs Aspekte genannt: Erstens dient der Rekurs und die Einspielung von 1 Kön 13 in 2 Kön 23 der Rechtfertigung Joschijas: Was in der Erzählung als eine von dem (vermeintlichen) Sachkriterium ›Kultreinigung‹ geleitete Aktion Joschijas präsentiert wird, wird durch die Einspielung von 1 Kön 13 eigens legitimiert:80 Ohne es selbst zu wissen, hat Joschija das erfüllt, was vor dreihundert Jahren ein unbekannter Gottesmann aus Juda verkündet hat. Bewahrt worden ist seine Botschaft nur durch die ungewöhnlichen Ereignisse, die sich auf dem Rückweg des Gottesmannes ereignet und die zu seiner Bestattung in Bet-El geführt haben. Das Grab des Gottesmannes fungiert daher als das Zeichen, um die Erinnerung in Bet-El an den denkwürdigen 78
In 2 Kön 23,18 wird der Prophet nicht wie in 1 Kön 13,11 als Prophet aus Bet-El, sondern als »Prophet, der aus Samaria gekommen war« (!Arm.Vomi aB'-rv,a] aybiN"h); präsentiert, vgl. hierzu HOBBS, 2 Kings, 336. 79 Hier ist die einzige Stelle, in der der Prophet, dessen Herkunft aus Bet-El sonst stets betont wird, als Prophet aus Samaria bezeichnet wird (2 Kön 23,18). 80 VON RAD ordnet 1 Kön 13 und 2 Kön 23,16–18 in die Reihe der elf bzw. zwölf Beispiele für das Schema Weissagung und Erfüllung, VON RAD, Die deuteronomistische Geschichtstheologie, 55.
2. 1 Kön 13 und 1 Kön 22 im dritten Abschnitt der Königsbücher
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Besuch des Gottesmannes wach zu halten (2 Kön 23,17). Deswegen kann Joschija seine Aktion ohne Widerstand durchsetzen, weil sie in Bet-El über das Grab des Gottesmannes präsent gehalten wurde. Damit 1 Kön 13 als Rechtfertigung Joschijas fungieren kann, muss zweitens ein erzählerischer Bezug zwischen beiden Erzählungen hergestellt werden, über den das vom Gottesmann übermittelte Wort JHWHs eingespielt wird. Diese Brücke bildet das Grab in Bet-El, das Joschija ins Auge fällt (2 Kön 23,17), und über das die Worte des Gottesmannes aktualisiert werden. Das Grab in Bet-El ist somit das Mittel, mit dem die Aktualisierung der JHWH Worte gegen den Altar von Bet-El erinnert wird. In der Erzählung erfolgt die Rechtfertigung für die erfolgreiche Profanierung des Altars erst retrospektiv nach seiner Zerstörung durch Joschija. Aus der Perspektive von 2 Kön 23 wird deutlich, warum am Ende von 1 Kön 13 ein doppelter Spannungsbogen stehen musste: Es braucht das Grab des Gottesmannes in Bet-El als erzählerischen ›Aufhänger‹, um das eigentliche und entscheidende in 1 Kön 13 und in den zweiunddreißig folgenden Kapiteln aber an den Rand gedrängte Wort JHWHs in 2 Kön 23 zu erfüllen. Aus der Perspektive von 2 Kön 23 ist die Erzählung in 1 Kön 13 in ihrem vorliegenden Zusammenhang als eine Einheit81 konzipiert worden, um als Ganzes in 2 Kön 23 eingespielt zu werden. Nur als Ganzes kann sie die in ihr angelegte Dynamik in 2 Kön 22–23 entfalten. Drittens unterstützt der Rekurs auf 1 Kön 13 die Autorität des in 2 Kön 22 zufällig gefundenen »Buches der Tora« (2 Kön 22,8): In 2 Kön 22–23 ist dieses Buch die Initialzündung, für das, was Joschija umsetzt. Weil das Buch in der erzählerischen Konstruktion öffentlich vorgelesen wird (2 Kön 23,2), ist den Figuren der Inhalt des Buches bekannt, so dass sich die Reformmaßnahmen für die Figuren aus dem Gehörten rechtfertigen. Die Lesenden hingegen erfahren signifikanterweise nichts über den Inhalt des Buches. Damit steht die zentrale Bedeutung des Inhaltes im umgekehrten Verhältnis zur Information der Lesenden. Auf diese Weise kann mit diesem »Buch« alles legitimiert werden, ohne dass die Lesenden dies nachprüfen können. Damit wird den Lesenden die Kenntnis der Legitimationsbasis für die umstürzenden Ereignisse und Neuerungen, die Joschija mit staatlicher Macht durchsetzt, entzogen. Auch die Zerstörungen der Kultorte und die Schändungen der Gräber in Bet-El werden als Konsequenz aus der Lektüre des »Buches der Tora« präsentiert. Auf diese Weise haben Joschija und die Figuren als Hörer des Buches einen Informationsvorsprung vor den Lesenden. Erst in Bet-El erfährt Joschija, dass mit dem, was er gerade tut (2 Kön 23,17), nicht nur das »Buch der Tora« realisiert wird, sondern dass dies bereits vor vielen hundert Jahren von seinem Landsmann, einem unbekannten Gottesmann aus Juda, angekündigt wor81
Vgl. die Frage nach der Autorfunktion in Kap. III. 4.2.
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Kap. V: 1 Kön 13 und 1 Kön 22 in den Königsbücher
den ist. Damit holen Joschija und die anderen aus Jerusalem stammenden Figuren ihr Informationsdefizit auf, das sie gegenüber den Lesenden haben, die ja über die Ereignisse in Bet-El zur Zeit Jerobeams informiert sind. Joschija selbst erfährt erst jetzt, dass der Gottesmann ihn und die Verbrennung der Menschengebeine auf dem Altar angekündigt hat (1 Kön 13,2) und steht damit, ohne es zu wissen, in einer alten und in Gott gründenden Tradition. Auf diese Weise erscheint Joschija doppelt legitimiert: zum einen durch das Buch der Tora und zum anderen durch den Gottesmann aus Juda. Während die Figuren in der Szene nun voll informiert sind, bleibt das Informationsdefizit der Lesenden bezüglich des Inhaltes des ›Buches der Tora‹ bestehen – bis heute. Viertens wird mit der tatsächlichen Erfüllung der in 1 Kön 13 angekündigten Ereignisse auch der Prophet gerechtfertigt: Vor dem Hintergrund von 2 Kön 23 wird deutlich, dass sein Plan der Rettung seiner Gebeine aufgegangen ist. Damit erfüllen sich nicht nur die Ankündigungen des Gottesmannes, sondern auch die des Propheten. So führt der dreihundert Jahre später erzählte Ausgang der offenen Erzählung von 1 Kön 13 zu einer Aufwertung und einer nachträglichen Würdigung des Propheten, die problematisch erscheint angesichts des Verhaltens des Propheten, der den Tod des Gottesmannes fahrlässig provoziert zu haben scheint.82 Sein Verhalten scheint nur dadurch gerechtfertigt werden zu können, dass er die erzählerische Verbindung ist, um die Worte des Gottesmannes in Bet-El präsent zu halten, damit später Joschija gerechtfertigt werden kann. Damit ist der Prophet und das, was er getan hat, das notwenige Scharnier zwischen dem Gottesmann und Joschija. Fünftens werden mit dem Wiederaufnehmen des Erzählfadens von 1 Kön 13 in 2 Kön 23 der Gottesmann und Joschija miteinander kontrastiert: Wie der Gottesmann ist auch Joschija aus Juda nach Bet-El gekommen. Beide haben in Bet-El ihr anvisiertes Vorhaben erfolgreich umgesetzt: Der Erste in der angekündigten und unsichtbar ausgeführten, der Zweite in der sichtbar gemachten Profanierung des Altars. Doch in dem vermeintlich unscheinbaren letzten Satz liegt die entscheidende Pointe der Erzählung, die die Differenz zwischen beiden Figuren aufzeigt: Anders als dem Gottesmann gelingt es Joschija nach Jerusalem zurückzukehren (~l'iv'Wry> bv'Y"w:; 2 Kön 23,2). Durch die Wiederaufnahme des Leitwortes »zurückkehren« (bwv) aus 1 Kön 13 realisiert Joschija auf wörtlicher Ebene aufgrund seiner (theologischen) »Umkehr« die »Rückkehr« nach Jerusalem, um die sich der Gottesmann mit seiner »Rückkehr« nach Bet-El gebracht hat.83 82 BAUMGART betont hier nur den positiven Aspekt der Würdigung des Propheten (Bücher der Könige, 664). 83 Vgl. hierzu Kap. III. 4.1.
2. 1 Kön 13 und 1 Kön 22 im dritten Abschnitt der Königsbücher
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Die in 1 Kön 13 auftretenden Figuren haben sechstens prototypischen Charakter: Sie werden nicht nur als individuelle Figuren, sondern auch als Typen, die das Nordreich bzw. das Südreich repräsentieren, gezeichnet. Vor dem Hintergrund von 2 Kön 23 erfährt die wenig charmante Charakterisierung des eher unreflektiert wirkenden Gottesmannes aus Juda eine unerwartete Rechtfertigung: Der Gottesmann aus Juda war nicht nur dem umtriebigen, planenden und weit voraus denkenden Propheten unterlegen, sondern ist von ihm benutzt und für dessen persönliche Interessen instrumentalisiert worden. Wenn nun der Gottesmann für Juda und der Prophet für Israel steht, erweist sich das implizite Eingeständnis einer gewissen Rückständigkeit gegenüber dem Nordreich letztlich als rettend für das Südreich Juda: Wäre das Südreich Juda so umtriebig und aktiv wie das Nordreich gewesen, wäre es in den Strudel der politischen Ereignisse hineingezogen worden. So bleibt das Südreich Juda verschont und kann überleben. 2.1.3. Erzählstrukturen aus der Perspektive von 1 Kön 13 1 Kön 13 ist eine in sich geschlossene Erzählung, die kaum in ihrem unmittelbaren narrativen Kontext verankert ist. Während die 1 Kön 13 rahmenden Erzählungen von 1 Kön 11 und 14 auf das Ende des Nordreiches Israel (2 Kön 17) und damit auf den zweiten Abschnitt der Königsbücher bezogen sind, wird aus der Perspektive des dritten Abschnitts der Königsbücher die Funktion von 1 Kön 13 erkennbar: Als Erzählung über die Kultinnovationen im Nordreich Israel bereitet sie auf die späteren kultischen Reformmaßnahmen im Südreich Juda vor (2 Kön 23). Auf diese Weise ergeben sich zwei Spannungsbögen vom Beginn des zweiten Abschnitts der Königsbücher, deren erster an das Ende des zweiten Abschnitts und deren zweiter in den dritten Abschnitt führt. Während der erste Spannungsbogen (1 Kön 11 und 14) den Deutehorizont eröffnet, um den Untergang des Nordreiches (2 Kön 17) verstehen und einordnen zu können, führt 1 Kön 13 über diesen Deutehorizont hinaus und verweist auf die Joschijanische Reform (2 Kön 23,15–20). Indem beide Spannungsbögen im Anfang wurzeln, erscheinen sowohl der Untergang des Nordreiches, als auch die Maßnahmen Joschijas als notwendige Folgen aus dem Keim des Untergangs, den Jerobeam am Anfang gelegt hat. Damit fungiert der am Ende der Königsbücher auftretende König Joschija als AntiJerobeam, der die ›Verfehlungen‹ Jerobeams rückgängig macht. Damit wird Joschija zugleich als Mose gezeichnet, der den von Aaron am Sinai eingeführten falschen Kult um das Goldene Kalb zerstört. Auf diese Weise setzt Joschija nicht nur die Tora des Mose um, sondern reinszeniert das Geschehen von Ex 32. Zugleich erscheint Joschija als der neue, bessere Salomo, der das, was Salomo in Jerusalem kultisch initiiert hat, in seinem
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Kap. V: 1 Kön 13 und 1 Kön 22 in den Königsbücher
ursprünglichen, eigentlich intendierten Sinn wiederherstellt. Daher verwundert es nicht, dass Joschija – in der Wertung der Königsbücher – der einzige König ist, der dem Maßstab ›David‹ gerecht wird (vgl. 2 Kön 22,2): Nur er geht »ganz84 in den Wegen Davids« (wybia' dwID' %r,D,-lk'B. %l,YEw:).85 Und schließlich realisiert sich erst bei Joschija (1 Kön 11,38 vgl. 3,14 8,25.58), was Ahija Jerobeam in Aussicht gestellt hat: JHWH ist mit ihm (1 Kön 11,38). Damit erscheint Joschija als der erste würdige Nachfolger Davids. Während der erste Spannungsbogen (1 Kön 11 und 14 zu 2 Kön 17) das Ende der staatlichen Existenz markiert, ist im zweiten Spannungsbogen (1 Kön 13 zu 2 Kön 23) der Neuanfang des Südreiches unter Joschija grundgelegt. Wie bereits in den Analysen zu 1 Kön 13 zu erkennen war, erweist sich die Erzählstimme als ›judäisch‹, deren Schilderungen ganz aus Jerusalemer Perspektive fokalisiert sind. Diese Beobachtungen bestätigen sich gänzlich durch die in 2 Kön 23 an ihr Ziel geführten Erzählfäden des Anfangs. So wird erst vom Ende der Königsbücher her, die Norm, von der her die Königsbücher geschildert werden, deutlich. Auf diese Weise erwächst der evaluative Maßstab der Erzählstimme aus ihrer joschijanischen Position, während sie in ihrer narrativen Konstruktion der Ereignisse die Bewertungsmaßstäbe durch den König David, dann positiv wie negativ durch Salomo und negativ durch Jerobeam etabliert. Erst am Ende wird durch die theologische Positionierung der Erzählstimme in den Aktionen Joschijas transparent, dass sie eine Verfechterin der erst dreihundert Jahre später unter Joschija erfolgenden Kultzentralisation ist und Jerusalem für den einzig legitimen Ort der JHWH-Verehrung hält. Im Kontext der Errichtung des Jerusalemer Tempels durch Salomo war dies nie explizit gesagt worden, bildete aber den eigentlichen Hintergrund für die Ablehnung des neuen JHWH-Kultortes Bet-El. Was die Erzählstimme in der Darstellung für den aus dem ›davidischen‹ Maßstab erwachsenden und ›salomonisch‹ umgesetzten Tempelbau in Jerusalem präsentiert, ist retrospektiv als ein eigentlich ›joschijanischer‹ Maßstab zu begreifen. Daher ist Joschija weniger der ideale David, wie ihn die Erzählstimme präsentiert, sondern vielmehr ist David vom Bild Joschijas her konzipiert. Daher kann die Erzählstimme als eine ›joschijanische‹ Erzählstimme bezeichnet werden.86 84 Die Formulierung mit der Ergänzung »ganz« in Bezug auf David findet sich nur bei Joschija (2 Kön 22,2; im positiven Sinn allerdings in Bezug auf seinen Vater Asa für König Joschafat 1 Kön 22,43; im negativen Sinn für Omri in Bezug auf Jerobeam 1 Kön 16,26 und Amon in Bezug auf seinen Vater Manasse 2 Kön 21,21). 85 »David und nicht, wie man oft gesagt hat, Salomo ist der König nach dem Herzen des Dtr. Er ist das Urbild des vollkommen gehorsamen Gesalbten und deshalb das Vorbild für alle Könige in Jerusalem«, VON RAD, Die deuteronomistische Geschichtstheologie, 61. 86 Die joschijanische Perspektive wird durch die Linien deutlich, die von 1 Kön 14 zu 2 Kön 22–23 gezogen werden: Wie der Prophet Ahija in 1 Kön 14, so erläutert die Prophetin
2. 1 Kön 13 und 1 Kön 22 im dritten Abschnitt der Königsbücher
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2.2. 2 Kön 22 und der dritte Abschnitt der Königsbücher (2 Kön 18–25) Anders als 1 Kön 13 gibt es in 1 Kön 22 keine direkten Bezüge, die explizit auf den dritten Abschnitt der Königsbücher (2 Kön 18–25) verweisen. Umso dringlicher stellt sich die Frage, welche Funktion 1 Kön 22 in Bezug auf den dritten Abschnitt der Königsbücher hat, gerade angesichts der Tatsache, dass 1 Kön 22 die Mitte der Buchkomposition darstellt. 2.2.1. Die Visionen Michas und das Ende der Königsbücher (2 Kön 25) Eine aufschlussreiche Spur ergibt sich über die erste Vision Michas (1 Kön 22,17): In dieser sieht Micha ganz Israel wie Schafe ohne Herrn verstreut auf den Bergen. Das Verb »zerstreuen« (#wp) findet sich in den Königsbüchern nur an zwei Stellen: in 1 Kön 22,17 und in 2 Kön 25,5. In 2 Kön 25 schildert die Erzählstimme, wie der König Zidkija aus der belagerten Stadt Jerusalem zu fliehen versucht und die babylonischen Truppen ihn in Jericho einholen. Den König haben zuvor alle Truppen verlassen, die sich ›verstreut‹ haben (#wp; 2 Kön 25,5).87 Weil sich dieses Verb nur an diesen
Hulda, dass Gott Unheil bringen werde (h['r' awb im Hifil; 2 Kön 23,16 vgl. 1 Kön 14,10), wie es in dem im Tempel aufgefundenen Buch angekündigt wird. Dies veranlasst Joschija zu Reformen im Tempelkult: Joschija ist der König, der kultisch alles »wegfegt« (r[b; 2 Kön 23,24 vgl. 1 Kön 22,47) und »ausrottet« (trK; 2 Kön 23,14), was nicht dem »Buch« gemäß erscheint. Joschija jedoch grenzt sich nicht nur von den ›Verfehlungen‹ seiner Vorfahren ab, sondern setzt einen Neuanfang, indem er vor JHWH einen Bund schließt (tyrIB. trk; 2 Kön 23,3). Hiermit wird positiv an den Bund Jojadjas in 2 Kön 11,4.17 angeknüpft. In diesem Bund erhebt Joschija als Maßstab für alle die Gebote, die in den Generationen zuvor vernachlässigt worden sind (2 Kön 23,3). Damit wird das Ende des Nordreiches (2 Kön 17) eingespielt: vp,n[e-ta,w> wyt'wOc.mi rmov.lwi > hw"hy> rx;a; tk,l,l' hw"hy> ynEp.li (2 Kön 23,3) nimmt nicht nur das die Königsbücher durchziehende Rahmenformular auf, sondern verweist auch explizit auf das Ende des Nordreiches zurück (vgl. 2 Kön 17,13. 15.16.19.23). So wird der von Ahija angekündigte König (1 Kön 14,14), der zunächst Bascha ist, der das Haus Jerobeams »ausrottet« (trk), auf Joschija transparent. Damit erscheint Joschija als der König, den JHWH nach dem schnellen konkreten Ende durch Bascha, »aufgerichtet hat« (~wq im Hifil; 1 Kön 14,14), um dem Haus Jerobeams nun wirklich nach dreihundert Jahren ein Ende zu bereiten, indem Joschija die Worte des Bundes »aufrichtet« (tyrIB.h; yreb.DI-ta, ~yqih'l;. ~wq im Hifil; 2 Kön 23,3). 87 Die letzten Kapitel der Königsbücher schildern nach dem Höhepunkt der Reformen Joschijas (2 Kön 22–23) – oder genauer gesagt: trotz seiner Reformen – den Zusammenbruch Judas: »The last chapters of Kings chronicle the violent dismantling of the nation of Judah. The institutions launched so gloriously by Solomon at the beginning of the book have gradually decayed, chapter by chapter. Now the pace of dissolution snowballs. Judah collapses under the punitive brutality of two Babylonian invasions« (NELSON, Kings, 261). Juda ergeht es nicht anders als Israel. In den gleichen Worten wie zuvor für Israel wird die Deportation und Exilierung der Bevölkerung Judas erzählt (2 Kön 17,23: hZa; l[;me laer'f.yI lg lg hw"ëhy> rb:åd>Bi x;Bez>Mih;-l[; ar'Ûq.YIw: rm,aYOw: x;Bzêe >mi x;Bzäe >mi 2c hw"+hy> rm:åa' hKoß 2d dwID'-tybel. dl'ÛAn !be-hNE)hi 2e Amêv. WhY"åviayO 2f ^yl,ê[' ~yrIåjiq.M;h; tAmB'h; ynEÜh]Ko-ta, ^yl,[' xb;äz"w> 2g `^yl,([' Wpïr>f.yI ~d'Þa' tAmïc.[;w> 2h rmoêale tpeAm aWhÜh; ~AYB; !t;n"w> tpeêAMh; hz hi w; > tpeAMK; x;B_ezM> ih;-!mi !v,D,Þh; %pEïV'YIw: `hw")hy> rb:ïd>Bi ~yhiÞl{a/h' vyaiî !t:n" rv ynEåP.-ta, ~yhil{a/h'(-vyai lx;Ûy>w: wyl'êae %l,M,h;-dy: bv'T'Ûw `hn")voarI)b'K. yhiÞT.w: ~yhiêl{a/h' vyaiä-la, %l,M,h; rBEÜd;y>w: ht'y>B:ßh; yTiîai-ha'Bo 7b hd'['_s.W* 7c `tT'm( ; ^ßl. hn"Tï a. w, > 7d %l,M,êh;-la, ~yhil{a/h'(-vyai rm,aYOÝw: ^t,êybe yciäx]-ta, yli-!T,Ti-~ai 8b
1a 1b 2a 2b
3a
4a 4b 4c 4e 4f 4g 5a 5b 5c 6a 6b
6f 6g 6h 7a
8a
Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 13,1–32
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Übersetzung von 1 Kön 13,1–32 Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 13,1–32 1a Und siehe: Es kam ein Gottesmann aus Juda gemäß dem Wort JHWHs nach Bet-El, 1b – Jerobeam stand (gerade) am Altar, um zu rauchopfern – 2a da rief er gegen den Altar gemäß dem Wort JHWHs 2b und sprach: 2c »Altar! Altar! 2d So hat JHWH gesprochen: 2e ›Siehe: Ein Sohn ist aus dem Haus Davids geboren, 2f Joschija sein Name 2g (Und) er wird schlachtopfern auf dir die Priester der Höhenheiligtümer, die auf dir rauchopfern, 2h und Gebeine von Menschen werden sie auf dir verbrennen!‹« 3a Und er gab an jenem Tag ein Zeichen sprechend: 3b »Dies ist das Zeichen, 3c von dem JHWH gesprochen hat: 3d ›Siehe – der Altar wird zerrissen 3e und die Fettasche wird verweht, 3f die auf ihm (ist)!‹« 4a Und es war, als der König das Wort des Gottesmannes hörte, 4b das er gegen den Altar in Bet-El gerufen hatte, 4c da streckte Jerobeam seine Hand weg vom Altar sagend: 4d »Ergreift ihn!« 4e Und seine Hand vertrocknete 4f die er gegen ihn ausgestreckt hatte, 4g und er konnte sie nicht mehr zu sich zurückziehen. 5a Da wurde der Altar zerrissen 5b und die Fettasche wurde verweht vom Altar gemäß dem Zeichen, 5c das der Gottesmann gegeben hatte gemäß dem Wort JHWHs 6a Und der König antwortete 6b und sagte zu dem Gottesmann: 6c »Besänftige doch das Gesicht JHWHs, deines Gottes, 6d und bete für mich, 6e damit meine Hand zu mir zurückkehre!« 6f Und der Gottesmann besänftigte das Gesicht JHWHs 6g und die Hand des Königs kehrte zu ihm zurück 6h und sie war wie zuvor. 7a Und der König redete mit dem Gottesmann: 7b »Komm mit mir in das Haus 7c und stärke dich doch 7d und ich werde dir ein Geschenk geben!« 8a Und der Gottesmann sagte zum König: 8b »Selbst wenn du mir die Hälfte deines Hauses gibst,
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%M"+[i aboßa' al{ï 8c ~x,l, lk;aoÜ-al{)w> 8d `hZ 9d `T'k.l'(h' rv 16d hw"ëhy> rb:åd>Bi yl;ae rb"Üd'-yKi( 17a ~x,l,ê lk;äato-al{) 17b
10a 10b 10c 11a 11b 11c1 11d 11c2 11e 11f 12a 12c 12d 12e 13a 13c 13d 14a 14b 14c
14f 15a
16a
Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 13,1–32 8c 8d 8e 9a
10a 10b 10c 11a 11b 11c1 11d 11c2 11e 11f 12a 12c 12d 12e 13a 13c 13d 14a 14b 14c
14f 15a
16a
nicht werde ich mit dir kommen und ich werde kein Brot essen und kein Wasser trinken an diesem Ort, denn so wurde mir befohlen gemäß dem Wort JHWHs sagend: 9b ›Du sollst kein Brot essen! 9c Und du sollst kein Wasser trinken! 9d Und du sollst nicht auf dem Weg zurückkehren, 9e auf dem du gegangen bist!‹ « Und er ging einen anderen Weg und kehrte nicht zurück auf dem Weg, auf dem er nach Bet-El gekommen war. Ein alter Prophet wohnte in Bet-El. Und sein Sohn kam und erzählte ihm alle Taten, die getan hat der Gottesmann an dem Tag in Bet-El, alle Worte, die er zum König gesprochen hatte. Und sie erzählten sie ihrem Vater. Und ihr Vater redete mit ihnen: 12b »Welchen Weg ist er gegangen?« Und seine Söhne sahen den Weg, den der Gottesmann gegangen war, der aus Juda gekommen war. Und er sagte zu seinen Söhnen: 13b »Sattelt mir den Esel!« Und sie sattelten ihm den Esel. Und er ritt auf ihm, und er ging hinter dem Gottesmann her. Und er fand ihn sitzend unter der Terebinthe, und er sagte zu ihm: 14d »Bist du der Gottesmann, 14e der aus Juda gekommen ist?« Und er sagte: 14g »Ich bin es!« Und er sagte zu ihm: 15b »Geh mit mir in das Haus 15c und iß Brot!« Und er sagte: 16b »Nicht kann ich zurückkehren mit dir, um zu kommen mit dir. 16c Und ich kann kein Brot essen, 16d und ich kann nicht mit dir Wasser an diesem Ort trinken, 17a denn ein Wort zu mir gemäß dem Wort JHWHs: 17b ›Du sollst kein Brot essen!
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Anhang
~yIm"+ ~v'Þ hT,îv.ti-al{)w> %r,D,ÞB; tk,l,êl' bWvåt'-al{ `HB'( T'kl. hî; '-rv,a]
17c 17d 17e
Al rm,aYOwæ : 18a ^è AmK' éaybin" ynIåa]-~G: 18b rmoale hw"hy> rb;d>Bi yl;ae rB rm:åa' hKoß 21c hw"ëhy> yPiä t'yrIm' yKiÛ ![;y:© 21d hw"ëc.Mih;-ta, T'r>m;v' al{Üw> 21e `^yh,(l{a/ hw"ïhy> ^ßW>ci rvw: 23a aybiÞN"l; rAmêx]h; Alå-vb'x]Y:w: 23b `Ab*yvih/ rva; Whaeóc'm.YIw: 24b Whte_ymiy>w: 24c %r,D,êB; tk,l,äv.mu Atl'b.nI yhiÛT.w: 24d Hl'êc.a, dmeä[o rAmx]h;w> 24e `hl'(beN>h; lc,aeî dmeÞ[o hyEër>a;h'äw> 24f ~yrIb.[o ~yviän"a] hNEôhiw> 25a hl'_beN>h; lc,aeä dmeÞ[o hyEër>a;h'ä-ta,w> %r,D,êB; tk,l,äv.mu hl'beN>h;-ta, WaÜr>YIw: 25b WaboY"w: 25c ry[iêb' WråB.d;y>w: 25d
Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 13,1–32
18a
18g 19a 19b 19c 20a 20b 20c 21a 21b
23a 23b 23c 24a 24b 24c 24d 24e 24f 25a 25b 25c 25d
17c Und du sollst dort kein Wasser trinken! 17d Und du sollst nicht zurückkehren, um zu gehen auf dem Weg, 17e auf dem du gegangen bist!‹ « Und er sagte ihm: 18b »Auch ich bin ein Prophet wie du! 18c Ein Bote hat zu mir geredet gemäß dem Wort JHWHs folgendermaßen: 18d ›Mach ihn zurückkehrend mit dir in dein Haus 18e und er soll Brot essen 18f und er soll Wasser trinken!‹ « – Er log ihn an. – Und er kehrte mit ihm zurück und er aß Brot in seinem Haus und er trank Wasser. Und es war, als sie saßen zu Tisch, das Wort JHWHs zu dem Propheten, der ihn hatte zurückkehren machen und er rief zum Gottesmann, der aus Juda gekommen war, sagend: 21c »So hat JHWH gesprochen: 21d ›Deswegen, weil du widerspenstig warst dem Mund JHWHs 21e und nicht auf den Befehl gehört hast, 21f den dir befohlen JHWH, dein Gott, 22a und du zurückgekehrt bist 22b und Brot gegessen hast 22c und Wasser getrunken hast an dem Ort, 22d von dem ich zu dir geredet hatte: 22e 'Nicht sollst du Brot essen 22f und nicht sollst du Wasser trinken', 22g wird dein Leichnam nicht in das Grab deiner Väter kommen.‹ « Und es war, nachdem er Brot gegessen und Wasser getrunken hatte, sattelte er ihm den Esel vom Propheten, der ihn hatte zurückkehren lassen. Und er ging. Und ein Löwe fand ihn auf dem Weg, und er tötete ihn, und es war sein Leichnam hingestreckt auf dem Weg. Der Esel aber stand die ganze Zeit neben ihm, und der Löwe stand die ganze Zeit neben dem Leichnam. Und siehe – Männer zogen gerade vorbei und sahen den Leichnam hingestreckt auf dem Weg und den Löwen neben dem Leichnam stehend. Da kamen sie und redeten in der Stadt,
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Anhang
`HB'( bveîyO !qEßZ"h; aybiîN"h; rv yPiä-ta, hr'Þm' rva;l' hw"hy> WhnET.YIw: 26f WhreB.v.YIw:) 26g hw"ßhy> rb:ïd>Ki Whteêmiy>w: 26h `Al*-rB,DI rvh 3b d['lG. I tmor' Wnl'-yKi 3c `~r'a] %l,m, dY:mi Ht'ao tx;Q;mi ~yvix.m; Wnx.n:a]w 3d jp'v'Ahy>-la, rm,aYOw: 4a d['l.GI tmor' hm'x'l.Mil; yTiai %leteh] 4b laer'f.yI %l,m,-la, jp'v'Ahy> rm,aYOw: 4c ^Amk' ynIAmK' 4d ^M,[;k. yMi[;K. 4e `^ys,WsK. ys;WsK. 4f laer'f.yI %l,m,-la, jp'v'Ahy> rm,aYOw: 5a `hw"hy> rb;D>-ta, ~AYk; an"-vr'D> 5b vyai tAame [B;r>a;K. ~yaiybiN>h;-ta, laer'f.yI-%l,m, #Boq.YIw: 6a ~h,lea] rm,aYOw: 6b hm'xl' .Mli ; d['l.GI tmor-' l[; %leaeh; 6c lD'x.a,-~ai 6d Wrm.aYOw: 6e hle[] 6f `%l,M,h; dy:B. yn"doa] !TeyIw> 6g jp'v'Ahy> rm,aYOw: 7a dA[ hw"hyl; aybin" hPo !yaeh; 7b `AtAame hv'rd> >nwI > 7c jp'v'Ahy>-la, laer'f.yI-%l,m, rm,aYOw: 8a Ataome hw"hy>-ta, vrod>li dx'a-, vyai dA[ 8b wytianEf. ynIaw] : 8c [r'-~ai yKi bAj yl;[' aBen:ty. -I al{ yKi 8d hl'm.yI-!B, Why>k'ymi. 8e jp'v'Ahy> rm,aYOw: 8f `!Ke %l,M,h; rm;ayO-la; 8g dx'a, syrIs'-la, laer'f.yI %l,m, ar'q.YIw: 9a rm,aYOw: 9b `hl'm.yI-!b, Why>k'ymi hr'h]m; 9c Aas.Ki-l[; vyai ~ybiv.yO hd'Why>-%l,m, jp'v'AhywI laer'f.yI %l,m,W 10a !Arm.vo r[;v; xt;P, !r,gOB. ~ydIg"B. ~yviB'lum. `~h,ynEp.li ~yaiB.n:t.mi ~yaiybiN>h;-lk'w> 10b lzb; ynEr>q; hn"[]n:K.-!b, hY"qid>ci Al f[;Y:w: 11a
Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 22,1–40
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Übersetzung von 1 Kön 22,1–40 1a 1b 2a 2b 3a
Drei Jahre vergingen, ohne dass Krieg zwischen Aram und Israel war. Und es war im dritten Jahr, da stieg Joschafat, der König von Juda, zum König von Israel hinab. Und der König von Israel sagte zu seinen Gefolgsleuten: 3b »Wisst ihr eigentlich, 3c dass Ramot-Gilead uns gehört? 3d Wir aber schweigen, anstatt es aus der Hand des Königs von Aram zu nehmen!« 4a Daraufhin sagte er zu Joschafat: 4b »Ziehst du mit mir in den Krieg um Ramot-Gilead?« 4c Joschafat sagte zum König von Israel: 4d »Ich so wie du, 4e mein Volk so wie dein Volk, 4f meine Pferde so wie deine Pferde!« 5a Dann sagte Joschafat zum König von Israel: 5b »Befrag doch heute das Wort JHWHs!« 6a Daraufhin versammelte der König von Israel etwa vierhundert Propheten 6b und sagte zu ihnen: 6c »Soll ich gegen Ramot-Gilead in den Krieg ziehen 6d oder soll ich es lassen?« 6e Und sie sagten: 6f »Zieh hinauf! 6g Mein Herr wird in die Hand des Königs geben!« 7a Da sagte Joschafat: 7b »Gibt es nicht noch einen Propheten von / für JHWH, 7c durch den wir ihn befragen könnten?« 8a Und der König von Israel sprach zu Joschafat: 8b »Es gibt da noch einen Mann, um JHWH durch ihn zu befragen. 8c Aber ich, ich hasse ihn, 8d weil er nie Gutes über mich prophetisch redet, sondern immer nur Schlechtes: 8e Micha ben Jimla!« 8f Und Joschafat sagte: 8g »Der König rede doch nicht so!« 9a Da rief der König von Israel einen Beamten 9b und sagte: 9c »Schnell, Micha ben Jimla!« 10a Der König von Israel und Joschafat, der König von Juda, saßen ein jeder auf seinem Thron, bekleidet in (königlichen) Gewändern am Dreschplatz am Eingang des Stadttores von Samaria, 10b und alle Propheten redeten die ganze Zeit prophetisch vor ihnen. 11a Zidkija ben Kenaana machte sich / ihm Hörner aus Eisen
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Anhang
rm,aYOw: 11b hw"hy> rm;a'-hKo 11c `~t'LK{ -; d[;. ~r'a]-ta, xG:n:T. hL,aBe . 11d rmoale !Ke ~yaiB.nI ~yaibiN>h;-lk'w> 12a d['l.GI tmor' hle[] 12b xl;c.h;w> 12b `%l,M,h; dy:B. hw"hy> !t;n"w> 12d %a'l.M;h;w> 13a1 Why>k'ymi aroq.li %l;h'-rv,a] 13b rmoale wyl'ae rB,DI 13a2 %l,M,h;-la, bAj dx'a,-hP, ~yaiybiN>h; yreb.DI an"-hNEhi 13c ~h,me dx;a; rb;d>Ki ^yreb.dI an"-yhiy> 13d `bAJ T'r>B;dIw> 13e Why>k'ymi rm,aYOw: 14a hw"hy>-yx; 14b yl;ae hw"hy> rm;ayO rv,a]-ta, yKi 14c `rBeda; ] Atao 14d %l,M,h;-la, aAbY"w: 15a wyl'ae %l,M,h; rm,aYOw: 15b hm'x'l.Mil; d['l.GI tmor'-la, %lenEh] Why>k'ymi 15c lD'xn. laer'f.yI-lK'-ta, ytiyair' 17b h[,ro ~h,l'-!yae rv,a] 17c hw"hy> rm,aYOw: 17d hL,ael' ~ynIdoa]-aloO 17e `~Alv'B. Atybel.-vyai WbWvy" 17f jp'v'Ahy>-la, laer'f.yI-%l,m, rm,aYOw: 18a ^yl,ae yTir>m;a' aAlh] 18b bAj yl;[' aBen:t.yI-aAl 18c `[r'-~ai yKi 18d rm,aYOw: 19a hw"hy>-rb;D> [m;v. !kel' 19b Aas.Ki-l[; bveyO hw"hy>-ta, ytiyair' 19c `AlamoF.miW Anymiymi wyl'[' dme[o ~yIm;V'h; ab'c.-lk'w> 19d
Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 22,1–40
411
11b und sagte: 11c »So spricht JHWH: 11d ›Mit diesen wirst du Aram schlagen – bis zur Vernichtung.‹« 12a Und alle Propheten redeten prophetisch so, sagend: 12b »Zieh hinauf nach Ramot-Gilead! 12c Sei erfolgreich! 12d JHWH wird in die Hand des Königs geben!« 13a1 Der Bote aber, 13b der gegangen war, um Micha zu treffen, 13a2 redete mit ihm, sagend: 13c »Siehe doch: Die Worte der Propheten sind wie aus einem Mund gut für den König! 13d Lass doch auch dein Wort wie ein Wort von ihnen sein 13e und rede Gutes!« 14a Micha sagte: 14b »Beim Leben JHWHs: 14c Ja, was JHWH zu mir spricht, 14d das werde ich sagen!« 15a Als er zum König kam, 15b sagte der König zu Micha: 15c »Micha, sollen wir nach Ramot-Gilead in den Krieg ziehen 15d oder sollen wir es lassen?« 15e Er sagte zu ihm: 15f »Zieh hinauf! 15g Sei erfolgreich! 15h JHWH wird in die Hand des Königs geben!« 16a Der König aber sagte zu ihm: 16b »Wie viele Male muss ich dich noch beschwören, 16c dass du mir die Wahrheit im Namen JHWHs sagen sollst!« 17a Da sagte er: 17b »Ich habe gesehen: Ganz Israel zerstreut auf den Bergen, wie Schafe, 17c die keinen Hirten haben! 17d Und JHWH sprach: 17e ›Sie haben keinen Herren! 17f Sie sollen in Frieden umkehren, ein jeder in sein Haus!‹ « 18a Da sagte der König von Israel zu Joschafat: 18b »Habe ich nicht zu dir gesagt: 18c ›Nie prophezeit er mir Gutes, 18d sondern nur Böses!‹?« 19a Und er (Micha) sprach: 19b »Darum hör das Wort JHWHs! 19c Ich habe gesehen: 19d JHWH saß auf seinem Thron, und das ganze Himmelsheer stand um ihn zu seiner Rechten und seiner Linken.
412
Anhang
hw"hy> rm,aYOw: 20a ba'xa. ;-ta, hT,py; > ymi 20b l[;y:w> 20c d['l.GI tmor'B. lPoyIw> 20d hkoB. hz< rm,aYOw: 20e `hkoB. rmeao hz 20f x;Wrh' aceYEw: 21a hw"hy> ynEp.li dmo[]Y:w: 21b rm,aYOw: 21c WNT,pa; ] ynIa] 21d wyl'ae hw"hy> rm,aYOw: 21e `hM'B; 21f rm,aYOw: 22a aceae 22b wya'ybin>-lK' ypiB. rq,v, x;Wr ytiyyIh'w> 22c rm,aYOw: 22d hT,p;T. 22e lk'WT-~g:w> 22f ace 22g `!ke-hfe[]w: 22h hL,ae ^ya,ybin>-lK' ypiB. rq,v, x;Wr hw"hy> !t;n" hNEhi hT'[;w> 23a `h['r' ^yl,[' rB,DI hw"hyw: 23b hn"[]n:K.-!b, WhY"qid>ci vG:YIw: yxiL,h;-l[; Why>k'ymi-ta, hK,Y:w: rm,aYOw: `%t'Aa rBed;l. yTiaime hw"hy>-x;Wr rb;[' hzk'ymi rm,aYOw: aWhh; ~AYB; ha,ro ^N>hi 25b `hbexh' le . rd,xB, . rd,x, aboT' rv,a] 25c laer'f.yI %l,m, rm,aYOw: Why>k'ymi-ta, xq; 26b `%l,M,h;-!B, va'Ay-la,w> ry[ih'-rf; !moa'-la, Whbeyvih]w: 26c T'rm> ;aw' > 27a %l,M,h; rm;a' hKo 27b al,K,h; tyBe hz !joq-' ta, Wmx]LT' i al{ 31b `ADb;l. laer'f.yI %l,m,-ta,-~ai yKi 31c jp'v'Ahy>-ta, bk,r,h' yref' tAar>Ki yhiy>w: Wrm.a' hM'hew> aWh laer'f.yI-%l,m, %a; 32c ~xeL'hil. wyl'[' WrsuY"w: `jp'v'Ahy> q[;z>YIw: bk,r,h' yref' tAar>Ki yhiy>w: aWh laer'f.yI %l,m,-al{-yKi `wyr'x]a;me WbWvY"w: AMtul. tv,Q,B; %v;m' vyaiw> !y"r>Vih; !ybeW ~yqib'D>h; !yBe laer'f.yI %l,m,-ta, hK,Y:w: AbK'r;l. rm,aYOw: ^d>y" %poh] 34d hn 34e `ytiylex\h' yKi 34f aWhh; ~AYB; hm'x'l.Mih; hl,[]T;w: ~r'a] xk;nO hb'K'rM> ,B; dm'[\m' hy"h' %l,M,h;w> br,[,B' tm'Y"w: `bk,r'h' qyxe-la, hK'M;h;-~D; qc,YIw: rmoale vm,V,h; aboK. hn `rBeDI rv,a] hw"hy> rb;d>Ki ba'x.a; yreb.DI rt,y hf'[' rv,a]-lk'w>
29 30a
30e 30f 31a
32a 32b 32d 32e 33a 33b 33c 34a 34b 34c
35a 35b 35c 35d 36a
37a 37b 37c 38a 38b 38c 38d 39a 39b
Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 22,1–40
29 30a
30e 30f 31a
32a 32b 32d 32e 33a 33b 33c 34a 34b 34c
35a 35b 35c 35d 36a
37a 37b 37c 38a 38b 38c 38d 39a 39b
28e »Hört, ihr Völker alle!« Dann zogen der König von Israel und Joschafat, der König von Juda, nach RamotGilead hinauf. Und der König von Israel sprach zu Joschafat: 30b »Ich will mich verkleiden, 30c wenn ich in den Krieg ziehe. 30d Du aber, ziehe deine Gewänder an!« So verkleidete sich der König von Israel und zog in den Krieg. Der König von Aram aber hatte den Obersten der Wagen, die bei ihm waren, den Zweiunddreißig, befohlen: 31b »Kämpft nicht gegen Klein und Groß, 31c sondern allein gegen den König von Israel!« Und es war, als die Obersten der Wagen nun Joschafat sahen, sagten sie: 32c »Das ist der König von Israel!« Und sie wandten sich ihm zu, um gegen ihn zu kämpfen. Da schrie Joschafat auf. Und es war, als die Obersten der Wagen nun sahen, dass er nicht der König von Israel war, da wandten sie sich von ihm ab. Ein Mann aber spannte seinen Bogen aufs Geratewohl und traf den König von Israel zwischen Gurt und Panzer. Da sagte dieser zu seinem Wagenlenker: 34d »Dreh um 34e und bring mich ins Lager, 34f denn ich bin verwundet!« Doch der Kampf wurde an jenem Tag hitzig geführt, und der König von Israel stand vor Aram aufrecht in seinem Wagen. Am Abend aber starb er, und das Blut floss aus seiner Wunde in das Innere des Wagens. Ein Ruf ging durch das Lager, als die Sonne unterging, sagend: 36b »Jeder in seine Stadt! 36c Jeder in sein Land!« Und der König von Israel starb. Er wurde nach Samaria gebracht. Sie begruben den König in Samaria. Man spülte den Wagen am Teich in Samaria aus. Die Hunde leckten sein Blut, während die Huren badeten, gemäß dem Wort JHWHs, das er geredet hatte. Und die übrigen Worte / Taten Ahabs und alles, was er getan,
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Anhang
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39c 39d 39e 40a 40b
Segmentierung und Übersetzung von 1 Kön 22,1–40 39c 39d 39e 40a 40b
und das Elfenbeinhaus, das er gebaut, und alle Städte, die er gebaut hat, sind sie nicht aufgeschrieben im Buch der Chronik der Könige von Israel? Und Ahab legte sich zu seinen Vätern. Und sein Sohn Ahasja wurde König an seiner Stelle.
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Stellenregister (in Auswahl)
Altes Testament
Num 24,13 Num 27,17
Genesis Gen 1,2 Gen 12,3–4 Gen 12,8 Gen 15,1 Gen 19,21 Gen 19,25 Gen 19,29 Gen 23,10 Gen 25,22 Gen 25,22–23 Gen 28,10–19 Gen 28,19 Gen 31,13 Gen 34,20 Gen 35,1–8 Gen 35,9–16 Gen 41
290 130 130, 178 193 310 310 310 256 245 245 130 177 177 256 177 177 285
Exodus Ex 4,21 Ex 7,3.9 Ex 9,9–10 Ex 21,28–32 Ex 32
162, 289 162 162 260 371
Levitikus Lev 23,6 Lev 23,34 Lev 29,12
134 134 134
Numeri Num 22 Num 22,28 Num 23,12 Num 23,26 Num 24
168 267 267 267 168
267 274
Deuteronomium Dtn 2,30 Dtn 4,34 Dtn 4,43 Dtn 6,22 Dtn 7,19 Dtn 12,4–7 Dtn 13,2–3 Dtn 16,13–15 Dtn 18,9–22 Dtn 18,15 Dtn 18,18 Dtn 18,22 Dtn 19,1–13 Dtn 21,23 Dtn 22,15 Dtn 25,7 Dtn 26,8 Dtn 28,26 Dtn 33,17
289 162 242 162 162 139, 362 162 134 326 260 260 195, 204, 208, 281, 300 242 196 256 256 162 197 260
Josua Jos 8,29 Jos 20,8 Jos 21,38
196 242 242
Richter Ri 1,1 Ri 6,11 Ri 6,19 Ri 14,15 Ri 16,5 Ri 20,16 Ri 20,18 Ri 20,23
245 177 177 284 284 130 245 245
454
Stellenregister
Rut Rut 4,1
256
1 Samuel 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Sam 2,22–25 Sam 3,21 Sam 9,7–8 Sam 10–1 Kön 2 Sam 10,5–12 Sam 14,37 Sam 15,18–28 Sam 16,8–10 Sam 16,11 Sam 17,15 Sam 17,34 Sam 19,12 Sam 19,18 Sam 19,22–24 Sam 21,11 Sam 23,2 Sam 23,4 Sam 23,9 Sam 24,5 Sam 25,30 Sam 28,8
292 154 169 118 318 245 123 125 376 376 376 126 126 318 126 245 245 245 123 138 306
2 Samuel 2 2 2 2
Sam 5,2 Sam 5,19 Sam 6,21 Sam 7,5–16
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
Sam 7,7 Sam 7,7–8 Sam 7,8 Sam 7,16 Sam 12 Sam 12,1–6 Sam 16,18 Sam 16,23 Sam 17,14 Sam 24,1
275, 376 245 125, 138 115, 120, 125, 376 275 376 138 125 120 349 125 154 292 292
1 Könige 1 1 1 1 1
Kön 1–2 Kön 1,5–10 Kön 1,11–14 Kön 1,28–37 Kön 1,38–53
118 118 118 119 119
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 2 Kön 2,1–12 Kön 2,1–46 Kön 2,2–4 Kön 2,4 Kön 2,7 Kön 2,13–46 Kön 3–10 Kön 3,1 Kön 3,2 Kön 3,3 Kön 3,3–4 Kön 3,4–15 Kön 3,5 Kön 3,9 Kön 3,12 Kön 3,14 Kön 4,1–5,8 Kön 4,7–19 Kön 4,13 Kön 5,7 Kön 5,15–32 Kön 5,17–19 Kön 5,27–32 Kön 6,11–13 Kön 6,12 Kön 8 Kön 8,2 Kön 8,5 Kön 8,16 Kön 8,21 Kön 8,22 Kön 8,25 Kön 8,31 Kön 8,33 Kön 8,34 Kön 8,35 Kön 8,36 Kön 8,40–51 Kön 8,43 Kön 8,44 Kön 8,46 Kön 8,47 Kön 8,48 Kön 8,50 Kön 8,56–61 Kön 8,58 Kön 8,61 Kön 8,64 Kön 8,65
116 119 119 114 120 169 119, 127 118 119 362 119 362 122 122 135 135 115, 122, 124, 372 119 128 242 169 119 119 128 115 124 119, 131 134 135 125, 139 130 135 115, 120, 372 130 130 130 130 130 130 122 125, 139 130 130, 131 125, 139 130 115 119, 372 119 135 135
Stellenregister 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 9,1–9 Kön 9,2 Kön 9,4 Kön 9,4–5 Kön 9,4–6 Kön 9,6 Kön 9,9 Kön 9,10 Kön 9,15–23 Kön 9,35–37 Kön 10,19 Kön 11–14 Kön 11
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 11,1 Kön 11,1–8 Kön 11,2 Kön 11,3 Kön 11,4–8 Kön 11,9 Kön 11,11 Kön 11,11–13 Kön 11,13 Kön 11,13–14 Kön 11,26 Kön 11,27–28 Kön 11,29 Kön 11,29–39 Kön 11,30 Kön 11,31 Kön 11,32 Kön 11,32–34 Kön 11,33 Kön 11,34 Kön 11,34–36 Kön 11,36 Kön 11,37–39 Kön 11,38
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 11,38–39 Kön 11,40 Kön 11,41 Kön 11,41–43 Kön 12 Kön 12,1–10 Kön 12,1–19 Kön 12,6 Kön 12,19 Kön 12,20
122 122 122, 124 120 115 124, 139 139 141 128 141 201 384 116, 119, 121, 122, 123, 130, 143, 346, 362, 363, 371 228 119, 351 228 228 228 122, 360, 363 120, 124, 128 122, 126 139 351 121, 126, 129, 163 128 136 129, 173 125, 136 138 139 115 138 138, 139, 363 142 139, 363 115, 136 125, 138, 145, 363, 372 124 126 115 141 128, 138 128 128 138 128 129
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 12,21–24 Kön 12,24 Kön 12,25 Kön 12,26–27 Kön 12,26–33 Kön 12,28 Kön 12,29 Kön 12,30 Kön 12,31 Kön 12,31–33 Kön 12,32 Kön 12,33 Kön 12,38 Kön 13
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 13,1 Kön 13,2 Kön 13,3 Kön 13,5 Kön 13,6 Kön 13,11 Kön 13,20–22 Kön 13,24 Kön 13,25 Kön 13,26 Kön 13,28 Kön 13,32 Kön 13,34 Kön 14
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 14,1 Kön 14,3 Kön 14,4 Kön 14,8 Kön 14,8–16 Kön 14,9 Kön 14,10 Kön 14,13 Kön 14,14 Kön 14,15 Kön 14,16
1 1 1 1 1 1 1
Kön 14,18 Kön 14,19 Kön 14,19–20 Kön 14,30 Kön 15,3 Kön 15,4 Kön 15,6
455 129 309 129 25 130, 344 139, 173 139 130, 173 366 131 360, 366 236, 366 360 111, 116, 364, 368, 369, 371, 381, 384, 389 236 366 310, 367 367 310 138 384 346 346 346 346 367 130 111, 116, 135, 245, 363, 371 132 136 138, 373 363 350 132, 139, 360, 361 140, 141, 350 141 141 139 130, 139, 140, 360, 361 140 115 141, 359 354 115 125 354
456 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 15,9–24 Kön 15,11 Kön 15,16 Kön 15,24 Kön 15,25–26 Kön 15,27–30 Kön 15,29 Kön 15,30 Kön 15,31 Kön 15,32 Kön 15,33 Kön 16,4 Kön 16,6 Kön 16,8 Kön 16,14 Kön 16,15 Kön 16,20 Kön 16,21–28 Kön 16,24 Kön 16,25 Kön 16,25–26 Kön 16,28 Kön 16,29 Kön 16,29–33 Kön 16,29–34 Kön 16,30 Kön 16,30–31 Kön 16,31 Kön 16,32 Kön 16,33 Kön 17–2 Kön 2 Kön 17–19 Kön 17 Kön 17,1 Kön 17,7 Kön 17,8–24 Kön 17,16 Kön 17,21 Kön 17,35 Kön 17,37 Kön 17,38 Kön 18 Kön 18,4 Kön 18,13 Kön 18,19 Kön 18,20 Kön 18,22 Kön 18,25–29 Kön 18,29 Kön 18,40
Stellenregister 353 353 354 240 115 140 138, 145 141 316 354 228 141, 350 197 228 316 228 316 352 208 228 351 197, 316 228 351 228, 304, 316, 349 228, 253 351 228, 302 228 229, 253 356 116 139, 373 356 139 351 139 239 139 139 139 228 246 246 169, 246 246 251 250 246, 252 246
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 19,11 Kön 19,16 Kön 19,19–21 Kön 20 Kön 20,1 Kön 20,1–34 Kön 20,9 Kön 20,16 Kön 20,22 Kön 20,28 Kön 20,30 Kön 20,30–34 Kön 20,34 Kön 20,35 Kön 20,35–36 Kön 20,35–43 Kön 20,35–53 Kön 20,37 Kön 20,38 Kön 20,38–40 Kön 20,38–43 Kön 20,42 Kön 20,42–43 Kön 21 Kön 21,10–24 Kön 21,17–19 Kön 21,19
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 21,20–24 Kön 21,21 Kön 21,21–22 Kön 21,22 Kön 21,23–24 Kön 21,24 Kön 21,25–26 Kön 21,26 Kön 21,27 Kön 21,27–29 Kön 21,28 Kön 21,28–29 Kön 21,29 Kön 22
1 1 1 1 1 1
Kön 22,1 Kön 22,5 Kön 22,6 Kön 22,7 Kön 22,8 Kön 22,10
291 122, 356 356 116, 356, 387 307 346 181 307 345 116 297 328, 349 241 154, 253 345 253, 345 349 345 306, 345 349 345 244 349 116, 241 350 349 257, 259, 286, 304, 314, 334, 348, 349, 350, 388 253, 315, 350, 389 141 350 302 141, 350 141 228, 350, 351 351 239, 240, 241, 350 349 239 241, 350 359 25, 111, 114, 116, 187, 354, 356, 387 40, 348 115, 244 115 244 244, 355 40, 355
Stellenregister 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kön 22,17 Kön 22,18 Kön 22,19–23 Kön 22,20 Kön 22,27 Kön 22,28 Kön 22,29 Kön 22,30 Kön 22,31 Kön 22,32 Kön 22,34 Kön 22,35 Kön 22,36 Kön 22,38 Kön 22,41–51 Kön 22,41–54 Kön 22,43 Kön 22,50–51 Kön 22,52–54 Kön 30,38–43
27, 373, 378 355 27, 378 355 378 374 355 346, 355, 375 349 355 375 40, 374 374, 378 314, 348, 349, 350 240 353 353, 372 354 299 328
2 Könige 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
Kön 1 Kön 1,17–18 Kön 2–13 Kön 2 Kön 2,1–18 Kön 2,11 Kön 2,12 Kön 2,16 Kön 2,17 Kön 3 Kön 3,1–3 Kön 3,2 Kön 3,7 Kön 3,4–27 Kön 3,11 Kön 4,1 Kön 4,1–7 Kön 4,8–37 Kön 4,10 Kön 4,24 Kön 4,38 Kön 4,40 Kön 5 Kön 6,1 Kön 6,5 Kön 6,8–23 Kön 6,26 Kön 6,26–7,20
245 316 356 116, 121 356 357 357 290 239 114 299 359 243 354 245, 356 308 351 351 169 177 174 308 309 174 308 116 308 116
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
Kön 6,32 Kön 7,6 Kön 7,9 Kön 8,1–6 Kön 8,3 Kön 8,4 Kön 8,5 Kön 8,6 Kön 8,7–15 Kön 8,8 Kön 8,16–11,20 Kön 8,18 Kön 8,19 Kön 8,28 Kön 8,28–29 Kön 8,29 Kön 9–10 Kön 9 Kön 9,1–15 Kön 9,1–14 Kön 9,1–3 Kön 9,1 Kön 9,2 Kön 9,4 Kön 9,7 Kön 9,8 Kön 9,11 Kön 9,14 Kön 9,17 Kön 9,18 Kön 9,19 Kön 9,22 Kön 9,23 Kön 9,24 Kön 9,27 Kön 9,31 Kön 9,32 Kön 9,36 Kön 10 Kön 10,10 Kön 10,13 Kön 10,17 Kön 10,29 Kön 10,29–36 Kön 11 Kön 11,2 Kön 11,3 Kön 12 Kön 13,14 Kön 13,14–21
457 137 248 125 351 308 176, 308 176 176, 254 356 245 353 353 125 197, 243 242 240, 355 353, 354, 356 138 122, 356 354 116 174, 242 297 242 310 141, 350 300 242 300 300 300 300 309 353 353 300 254 350, 356 228 356 300 356 360 352 114, 353, 354, 356 297 297 114, 356 357 116
458 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
Kön 13,17 Kön 13,18 Kön 13,19 Kön 14,7–14 Kön 14,17–22 Kön 14,22 Kön 14,25 Kön 15,11 Kön 15,15 Kön 15,26 Kön 15,31 Kön 16,5–9 Kön 16,10–18 Kön 17 Kön 17,1–23 Kön 17,1–6 Kön 17,1–2 Kön 17,2 Kön 17,3–6 Kön 17,4 Kön 17,7 Kön 17,7–18 Kön 17,7–23 Kön 17,10 Kön 17,11 Kön 17,13–17 Kön 17,13 Kön 17,14–17 Kön 17,16 Kön 17,17 Kön 17,18 Kön 17,19–23 Kön 17,21 Kön 17,22 Kön 17,23 Kön 17,24 Kön 17,24–28 Kön 17,24–41 Kön 17,26 Kön 17,28
2 2 2 2 2 2 2 2 2
Kön 17,29 Kön 17,32 Kön 18 Kön 18,4 Kön 18,9–12 Kön 18,22 Kön 18,28 Kön 19–20 Kön 19,7
Stellenregister 261 197 261 355 114 316 116, 302 316 316 316 316 355 114 131, 138, 363, 371 358, 363 359 359 359 359 299 360, 361 360 359, 362 139, 361 361 362 361, 363 360 139, 360 361 122, 360, 362 360 360, 361, 363 360 363 208 359 358, 363 208, 346 141, 222, 344, 346, 382, 384 208 208 361 139, 362 359 139, 362 279 116 378
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
Kön 19,33 Kön 21,21 Kön 22–23 Kön 22 Kön 22,2 Kön 22,13 Kön 22,14–20 Kön 22,18 Kön 22,29 Kön 23
2 2 2 2
Kön 23,1–14 Kön 23,3 Kön 23,15 Kön 23,15–20
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
Kön 23,16 Kön 23,16–18 Kön 23,17 Kön 23,18 Kön 23,19 Kön 23,20 Kön 23,25 Kön 25 Kön 25,5 Kön 25,6–7 Kön 25,27 Kön 25,27–30 Kön 25,30
170 372 361, 372, 383 376 372 245 116, 245 245 378 139, 147, 222, 369, 371 365 373 145, 366 150, 165, 190, 197, 224, 365, 371, 381, 389 366, 368 368 369 368 145 383 383 376, 389 373 375 378, 393 375, 390 109
1 Chronik 1 Chr 25,5
259
2 Chronik 2 2 2 2 2 2 2
Chr 9,18 Chr 18,1–19,3 Chr 18,15 Chr 18,16 Chr 18,33 Chr 21,12 Chr 35,22
201 308 271 275 309 356 306
Nehemia Neh 8,1
256
Tobit Tob 1,17 Tob 2,7–9
197 197
459
Stellenregister Ijob Ijob 1,6–12 Ijob 5,24 Ijob 16,10 Ijob 29,7 Ijob 30,18
280 130 296 256 306
Psalmen Ps 1,3 Ps 1,4 Ps 3,8 Ps 19,8 Ps 33,6 Ps 44,6 Ps 45,9 Ps 51,12 Ps 51,19 Ps 62,12 Ps 79,2 Ps 82 Ps 105,25 Ps 116,6 Ps 119,130
263 257 296 282 154 260 316 291 291 325 197 280 289 282 282
Sprichwörter Spr 1,4 Spr 1,10 Spr 1,20–33 Spr 1,22 Spr 1,32 Spr 5,16 Spr 7,7 Spr 8,1–21 Spr 8,5 Spr 8,35–36 Spr 9,1–6 Spr 9,4 Spr 9,13–18 Spr 9,16 Spr 14,15 Spr 19,2 Spr 19,25 Spr 21,11 Spr 22,3 Spr 27,12
282 284 282 282 282 274 282 282 282 130 282 282 282 282 282, 283 130 282 282 282 282
Jesaja Jes 5,25 Jes 6,1–3
197 280
Jes 6,1 Jes 6,9–10 Jes 8,18 Jes 14,18–19 Jes 20,3 Jes 21,10 Jes 27,12 Jes 29,21 Jes 30,20 Jes 63,3
273 289 162 199 162 257 257 256 299 257
Jeremia Jer 4,10 Jer 7,33 Jer 8,9 Jer 9,21 Jer 14,14 Jer 16,4 Jer 20,6 Jer 20,7 Jer 22,18 Jer 22,19 Jer 23,1–2 Jer 23,9–32 Jer 23,18 Jer 23,22 Jer 26,30–24 Jer 27 Jer 28 Jer 29,26–27 Jer 34,5 Jer 37,15 Jer 37,18 Jer 38,21 Jer 42,7 Jer 42,22
292 197 154 197 252 197 285 292 206 199 274, 275 326 281 281 197 326 292, 326 252 206 299 299 273 299 299
Klagelieder Klgl 3,3 Klgl 3,30
309 296
Ezechiel Ez 1,10 Ez 1,12 Ez 3,12–14 Ez 3,22–27 Ez 6,13 Ez 12,6 Ez 12,11
280 280 280 163 177 162 162
460 Ez 13,9 Ez 13,17 Ez 14,9 Ez 24,24 Ez 24,27 Ez 34,1–6 Ez 34,5 Ez 34,21 Ez 45,20
Stellenregister 285 252 285, 292 162 162 274 275 260 282
Sacharja
260
Neues Testament
Sach 3,8 Sach 8,16 Sach 11,15–17 Sach 11,17 Sach 13,7
162 256 163 163 274, 275
Maleachi Mal 3,23
356
Daniel Dan 11,40
Matthäus
Hosea Hos 2,16 Hos 4,13 Hos 8,4–6 Hos 10,5 Hos 13,3
286 177 129 129 257
Joel Joel 4,13
Johannes Joh 18,22
296
1 Joh 4,1
292
2. Thessalonicher 316 256 206 316 273 169 129
2 Thess 2,11–12
292
Weitere Literatur Herodot Hdt I 55
249
Homer
Jona Jona 1–4 Jona 1–2 Jona 3–4
239 239
1. Johannesbrief 257
Amos Am 3,15 Am 5,10–15 Am 5,16 Am 6,4 Am 7,1 Am 7,10–17 Am 7,13
Mt 12,40 Mt 16,21
195 326 327
Il. I 106 Od. IX–XII
252 27
Josephus Micha Mi 1,1 Mi 1,2 Mi 1,3–4 Mi 1,4 Mi 2,11 Mi 3,5–7 Mi 4–5 Mi 4,12 Mi 4,13 Mi 4,14 Mi 7,18
302 301, 302 302 302 293 169 303 257 258 296 303
Ant. Ant. Ant. Ant.
VII 355–362 VII 363–393 VIII 236–237 VIII 389
227 227 187 253
Talmud San. 37a San. 89 San. 89a
256 251 290
Namen- und Sachregister (in Auswahl)
Ahab 1, 11, 141, 227-229, 233-234, 286-287, 316, 327-329, 331, 346, 347, 348-350, 351, 352, 355, 359, 374, 378, 379, 388, 389, 392 Ahija 111, 118, 122–126, 129, 135–142, 343, 344, 346, 350, 361, 363, 364, 372, 373 Atalja 114, 351, 352, 353–354, 356 Autor 2, 3, 5, 8–10, 13–19, 21,22, 34, 51, 58–61, 61–79, 96–107 Autorfiguration(en) 95–96, 96–97, 98–100, 221–225, 327–342, 380–396 Autorfunktionen 81–86, 86–94, 95, 214, 221–225, 337–342, 380–396 Autorintention 88–92 Bet-El 111, 117, 118, 121-127, 128–135, 224, 228, 344–345, 365-386, 381, 382, 383 close reading 3, 17, 18 David 110, 114, 115, 118–120, 122, 123–127, 131, 138, 142, 143, 156, 158, 349, 351, 352, 352, 363, 372, 376–377, 378, 379, 383, 392, 393, 394 diachron 6–9, 31, 86, 102, 104, 108, 345, 348, 397 Elija 110, 111, 112, 115, 116, 122, 137, 154, 168, 227–229, 314–316, 229, 239, 240, 241, 246, 251, 252, 253, 257, 259, 261, 291, 305, 314, 315, 320, 334, 338, 345, 349, 350, 355–358, 365, 388, 389, 391 Elischa 100, 111, 112, 115, 116, 122, 168, 174, 176, 227–229, 242, 261, 320, 351, 352, 354, 355–358, 388, 391
Erzählstimme 21–24, 22, 35–43, 65–66, 98–100, 112–115, 218–221, 333–337, 344, 346, 348, 351, 354, 363, 373, 373, 374, 381, 382, 383, 385, 386, 389, 390 Erzählstimmenperspektive 26, 55–56, 58 Figuren 10, 11–13, 50–53, 54–56, 151–154, 233–234 Figurenkonstellation 38, 86, 151, 151–153, 164, 233–234 Figurenperspektive 50–53, 53–56, 214, 216, 217 Figurenrede 10, 11–13, 171, 214, 290, 301 Fokalisierung 43–50 Genderkonstruktion 34 Gottesmann aus Juda 111, 116, 151–153, 344, 345, 346, 348, 364, 365, 366–368, 369–370, 371, 382–385, 388 Hulda 364, 373, 384, 386 homo- und heterodiegetisch 25–27, 188, 218, 273 intra- und extradiegetisch 25, 26–27, 272 Isebel 141, 169, 228, 241, 246, 314, 320, 350, 351, 352, 353, 354, 357, 379 Jehu 122, 140, 242, 297, 300, 309, 329, 351, 352–354, 356, 362 Jerobeam 11, 111, 112, 114, 118, 121–127, 128-135, 135-142, 151–153, 152, 228, 229, 302, 343, 345, 346, 350, 351, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 366, 367, 370, 372, 373, 384, 394
462
Namen- und Sachregister
Jerusalem 119, 121, 125, 128, 130, 131, 133, 135, 139, 144, 145, 165, 178, 185, 199, 222, 302, 365, 370, 371, 372, 373, 375, 378, 389, 390, 391, 394, 395 Joschija 122, 124, 136, 139, 145, 158, 159, 165, 190, 194, 196, 207, 209, 216, 219, 222, 337, 365–368, 368–371, 382, 383, 384, 385, 388, 390, 391, 392 Joschafat 136, 327–328, 331, 350, 353, 355, 388, 390–392 Jojachin 375, 376, 378, 379, 392 Kommunikationsmodell 5, 9–16, 16, 23, 46, 67, 69, 72, 82, 97, 102, 107, 390 Königsbücher, Aufbau 109–112, 343, 364, 373 Königsbücher, Rahmenformular 112–115 Lesende 9–10, 15,16,19, 23, 28, 30, 31, 33, 36, 38, 40–41, 43, 48, 49, 50, 54, 56, 57–58, 64, 67, 74, 79, 81–82, 87, 89, 91, 93, 100–104. 126, 133, 145, 155, 168, 171, 177, 187–190, 191, 208, 219, 345, 347, 351, 359, 365, 366, 367, 369–370, 375, 380, 386 Micha ben Jimla 111, 116, 187, 233–234, 302–303, 317–327, 317, 318–319, 332–333, 373–375, 377, 378, 379, 392
Prophet aus Bet-El 111, 151–153, 345, 346, 368 Prophetische Konstellation 213–214, 329–330 Ramot-Gilead 237–239, 242, 328–329 Rahmenformular 316, 338 Raumkonstruktion 142, 143, 149–151, 237–239, 254, 255, 291 (un)reliable narrator 28–34 Rezeptionsästhetik 15, 16, 18, 66, 70, 78, 103 Samaria 207, 208, 213, 220, 237–239, 254–257, 280, 337, 358, 359, 365, 366, 367 Salomo 110, 114, 115, 118–120, 228–229, 242, 344, 345, 350, 351–353, 360, 361, 362, 363, 371, 372, 377, 383 story und fabula 35–37, 131, 163–164, 234–236, 253, 262, 264, 268, 278, 292, 307, 311, 312, 335, 354 Struktur von 1 Kön 13 146–148, 148–151 Struktur von 1 Kön 22 229–230, 230–233 Südreich 110, 114, 121–127, 128–135, 213–214, 327–328, 344, 352, 353, 354, 359, 371, 372, 384, 395 synchron 6–9, 17, 100, 104, 108, 159, 160, 223, 397
narratologisch-historische Methodologie 9–16, 61, 76, 79, 81, 101, 107, 394, 397, 398 Natan 118, 119, 123–124, 125, 126, 349, 376–377 Nordreich 110, 111, 112, 114, 121–127, 128–135, 213–214, 327–328, 358–364, 366, 371, 372, 375, 377, 383, 384, 387, 394–395
Text als Bote 10, 86, 92, 102 textexterne Ebene 10, 11, 14, 16, 66, 94–95, 99, 101, 221–225, 337–342, 374, 375, 381, 385 textinterne Ebene 11, 13, 14, 16, 36, 62, 68, 90, 94, 95, 98–99, 101, 214–221, 330–337
Perspektive 2, 3, 5–6, 12, 14, 19–21, 50–53, 53–58, 58, 214–221, 329–342 Politische Konfrontation 221–212, 317–327 Produktionsästhetik 6, 15, 19, 61, 81, 97, 102, 104, 106, 107, 390
Zeitkonstruktion 150, 162, 198, 199, 225, 234–237, 335 Zidkija 373, 375 Zidkija ben Kenaana 257–264, 317–327, 317, 318, 319, 332–333
Wort Gottes 104–107, 398