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German Pages [185] Year 1981
AUTOMATIONSARBEIT: EMPIRIE 2 AS 55
Projektgruppe Automation und Qualifikation Band I: Automation in der BRD Entwicklung der Produktivität, Arbeitskräftestruktur und Staatstätigkeit; Genese der Automation; Ausbreitung der Datenverarbeitung; Automation in Verwaltung, Handel und Bankwesen; Automation in der Produktion »... daß sich die Studie durch eine Fülle statistischen und empirischen Materials auszeichnet, weil das für jeden von Bedeutung ist, der sich mit dem Komplex Automation beschäftigt.« (R. Katzenstein in: Blätter für deutsche u. intern. Politik 12/75) (AS 7: ISBN 3-920037-15-4) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) Band Ii: Entwicklung der Arbeitstätigkeiten und die Methode ihrer Erfassung Entwicklung der menschlichen Arbeit, Entwicklung der Lohnarbeitstätigkeiten, exemplarische Analyse des Spinnens, Leitfragen für die Analyse der Automationsarbeit »... ist der Band weit über den Kreis der Industriesoziologen hinaus zu empfehlen — die Verwendung für Schule oder gewerkschaftliche Bildungsarbeit bietet sich geradezu an.« (Kaspar Maase in: Deutsche Volkszeitung 12/79) (AS 19: ISBN 3-920037-90-1) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) Band III: Theorien über Automationsarbeit Qualifikation, Kooperation, Autonomie; Positionen zur Entwicklung der Automationsarbeit; Tabellarischer Überblick über Untersuchungen zur Automationsarbeit »Parteilichkeit der Wissenschaft heißt hier konkret, nicht erneut das Alte, Negative zu beschreiben, sondern den Versuch zu wagen, Ansätze für einen positiven Gesellschaftsentwurf zu entwickeln.« (Christiane Preiß in: Nachrichten 8/79) (AS 31: ISBN 3-920037-51-0) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) Band IV: Automationsarbeit: Empirische Untersuchungen, Teil 1 Überlegungen zu einer inhaltlichen Methode; Neue Produktionsstrukturen: Berufe, Arbeitsplätze, Innovation, Produktivkraft Automation, Anforderungsstruktur; Vergesellschaftung der Privaten: Aneignung, Kollektivität »Die wissenschaftliche Diskussion und Auseinandersetzung um die Entwicklungstendenzen der menschlichen Arbeit erhält durch die vorliegende Studie zahlreiche neue Impulse.« (Reinhard Bispinck in: WSI-Mitteilungen 12/80) (AS 43: ISBN 3-920037-12-X) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) Band V: Automationsarbeit: Empirische Untersuchungen, Teil 2 Vergesellschaftung des Privaten: Kommunikation, Abstraktion und Anschauung, die Qualität der Zeit, Tugenden der Facharbeiter, Nachdenken über den Gebrauch der Dinge, Kooperationslernen (AS 55: ISBN 3-88619-004-8) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) erscheint in Kürze: Band VI: Automationsarbeit: Empirische Untersuchungen, Teil 3 Private Vergesellschaftung: das Gebrauchswertproblem, das Planungsproblem, das Kooperationsproblem, der gesellschaftliche Schein von Unternehmensstrategien (AS 67: ISBN 3-88619-005-6) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) in Vorbereitung: Band VII: Arbeiterformen/Fragen der Gewerkschaftspolitik (AS 79)
ARGUMENT-Verlag Vertrieb: Tegeler Str. 6, D 1000 Berlin 65, Tel. 030/4619061
ARGUMENT-SONDERBÄNDE (AS) Die Taschenbuch-Reihe im ARGUMENT-Verlag AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS
47 Materialistische Kulturtheorie und Alltagskultur 48 Jahrbuch für kritische Medizin 5: BdWi-Gesundheitstagung 1979 49 Forum Kritische Psychologie 6: Handlungsstrukturtheorie. 50 Aktualisierung Brechts. 51 Sozialliberalismus oder rechter Populismus? 52 Alternative Wirtschaftspolitik 2: Probleme der Durchsetzung 53 Jahrbuch für Kritische Medizin 6 54 Materialistische Wissenschaftsgeschichte: Evolutionstheorie 55 Projekt Automation und Qualifikation V: Automationsarbeit: Empirie 2 56 Alternative Umweltpolitik 57 Gulliver 8: Commonwealth und Dritte Welt 58 Die Wertfrage in der Erziehung: Schule und Erziehung VIII 59 Forum Kritische Psychologie 7: Therapie 60 PIT: Faschismus und Ideologie 1 61 Internationale Sozialismus-Diskussion 1: »Die subjektiven Kräfte des Sozialismus« AS 62 PIT: Faschismus und Ideologie 2 Programm 1981 AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS
63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74
Entstehung der Arbeiterbewegung Prävention — Medizin und Politik/Soziale Medizin IX Gulliver 9: »Zweite Kultur« in England, Irland, Schottland, USA Forum Kritische Psychologie 8: Handlungsstrukturtheorie 2 Projekt Automation und Qualifikation VI: Empirie 3 Alternative Wirtschaftspolitik 3: Das Inflationsproblem Gewerkschaften und Gesundheit PIT: Bereichstheorien Gulliver 10: Women — Zwischen Voluntarismus und Revolution Forum Kritische Psychologie 9: Ideologie-Diskussion Jahrbuch für kritische Medizin 7 Deutsche Arbeiterbewegung vor dem Faschismus
Auswahl-Abo: mind. 3 Bände des laufenden Jahrgangs. Abo-Preis pro Band: 12,80 (statt 15,50), f. Stud. 11,- (statt 12,80) zzgl. 1.50 Versandkosten. GULLIVER bzw. FORUM KRITISCHE PSYCHOLOGIE - Abo: jeweils 2 Bände im Jahr zu Abo-Preisen. Das Argument-BEIHEFT '79 und '80: jeweils ca. 100 Besprechungen zu den wichtigsten wissenschaftlichen Neuerscheinungen. Je 192 S., 15,50 DM, f. Stud. 12,80. Abonnenten der Zeitschrift bzw. der AS: 12,80 bzw. 11,— DM. Wir liefern aus: W.F. Haug: DER ZEITUNGSROMAN oder Der Kongreß der Ausdrucksberater, rotpunkt verlag Zürich, 176 S., 12,80 DM; f. Argument/ AS"-Abonnenten: 11 — DM.
Wie Unternehmer sich Automationsarbeiter wünschen: Gruppe 4: Gefühle Gefühl für Baufstoff, Papier, Bier, Briefe, Kalk, Tabak, Sauberkeit; Fingerspitzengefühl und eine Nase für Stahl; Gefühl für feuerfeste Massen; ein Blick für Tiere; Gefühl für die Empfindlichkeit und Reaktion der Apparate; ein Gefühl für das, was sich abspielt; ein Gefühl für das, was man macht, wenn man ein Knöpfchen dreht; Gefühl für Programme; Identifikation mit der Maschine; Technikfreudigkeit; Vertrauen zur Maschine; Zuneigung zu NC; eine menschliche Einstellung zur Maschine und zum technischen Ablauf.
ISBN 3-88619-004-8
Projektgruppe Automation und Qualifikation Band V: Automationsarbeit: Empirische Untersuchungen Teil 2
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Interdisziplinäres Projekt am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin Projektgruppe Automation und Qualifikation: Frigga Haug (Leitung), Hannelore May, Rolf Nemitz, Christof Ohm, Nora Räthzel, Werner van Treeck, Thomas Waldhubel, Silke Wenk, Gerhard Zimmer
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Psychologisches Institut «Berlin West» / Projektgruppe Automation und Qualifikation: Projektgruppe Automation und Qualifikation: [interdisziplinäfes Projekt am Psycholog. Inst, d. Freien Univ.LBerlin] / [Frigga Haug (Leitung) ...].- Berlin: Argument-Verlag (Das Argument: Argument-Sonderbd. ;...) NE: Haug,.Frigga [Hrsg.]; HST Bd. 5: Automationsarbeit: empir. Unters. — Berlin: Argument-Verlag Teil 2. - 1 . — 4. Tsd. — 1981: (Projektgruppe Automation und Qualifikation ; Bd. 5) (Das Argument: Argument-Sonderbd.; AS 55) ISBN 3-88619-004-8 NE: Das Argument / Argument-Sonderband
ISBN 3-88619-004-8
Copyright © Argument-Verlag GmbH Berlin 1981. Alle Rechte — auch das der Übersetzung — vorbehalten. — Redaktion und Verlag: Altensteinstr. 48 a, 1000 Berlin 33, Telefon 030/8314079. — Auslieferung: Argument-Vertrieb, Tegeler Straße 6,1000 Berlin 65, Telefon: 030/4619061. — Satz: Barbara Steinhardt, Berlin. — Herstellung: alfaDruck, Göttingen. — Umschlaggestaltung: Sigrid von Baumgarten und Hans Förtsch. — 1.-4. Tausend: .1981
III
Inhalt Teil III: Vergesellschaftung der Privaten.
240
Drittes Kapitel: Verwissenschaftlichung.
240
1.
Abstraktion und Anschauung........ 240 Hitze / Lärm / Gestank / Schmutz — Sinnesbeziehungen bei Überwachungstätigkeiten — Größen — Maßeinheiten — Quantität des Sollwerts — Zusammenhänge zwischen Größen — Störungssuche — Präsentationsformen des Meßwerts — Informationszentralisierung — Konzeptionen und Fragen zur Anlagengestaltung — Informationstheorie — Entfernung unter entfremdeten Bedingungen —• Anlagenpolitik — Fenster zu den Anlagen — Arbeitsphysiologie — Handlungsstrukturtheorie — Kelleys Theo rie der manuellen und automatischen Regelung
2.
Kommunikation 294 Maschinen als Verständigungsmittel — Verständigung mit Maschinen — Verständigung über die Aufgaben
3.
Zeitpraxen 312 Mehrdimensionale Zeitstruktur — Interventionsunabhängige Prozeßzeiten — Dispatchen — Programmierte Zeit — Arbeitszeit und Lebenszeit — Exkurs: Kampf um die Zeit
4.
Beteiligung an der Produktivkraftentwicklung. 335 Arbeiterfaulheit — Unsichtbares Sehen — Theoretisierende Produktionspreis — Exkurs: Facharbeiterkrise
Viertes Kapitel: Gesellschaftliche Individualität. 1. 2.
Übersicht: Wie die Unternehmer sich Automationsarbeiter wünschen. Katalog der Eigenschaften 3.
348
Tugenden der Facharbeiter 348 Nächdenken über den Gebrauch der Dinge. 355 Maximieren, Minimieren, Optimieren — Die Vereigenschaftung von Anforderungen — Der Mensch ohne Eigenschaften — Zerstören, Vergeuden, Nichtauslasten, Mitbestimmen — Der Windmacher — Der Beamte 390
Kooperationslernen 392 Kooperativität durch Konkurrenz — Verträglichkeit — Mannschaftsgeist — Zivilcourage
Literaturverzeichnis Sachregister Veröffentlichungen der Projektgruppe Automation und Qualifikation
399 405 407
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IV Abbildungs-Verzeichnis 30 Anzeigenüberwachung in der Meßwarte 31 Reglerleitstation. 32 Werkstattprogrammierung bei CNC-Maschinen: Konturbeschreibung... 33 Werstattprogrammierung bei CNC-Maschinen: Parameter eines Konturelements.. 34 Werkstattprogrammierung bei CNC-Maschinen: Zyklus Bohren 35 Vorbildung der untersuchten Arbeiter 36 Häufigkeit der Eigenschaftsnennung bei Facharbeitern nach Ausbildungsarten 37 Minimieren, Maximieren, Optimieren 38 Häufigkeitsverteilung der Eigenschaften insgesamt 39 Eigenschaftsprofil Fabriktugenden 40 Eigenschaftsprofil Selbstbewußtsein 41 Eigenschaftsprofil Angstlosigkeit 42 Eigenschaftsprofil Kooperationsfähigkeit 43 Häufigkeitsverteilung der Eigenschaften insgesamt ( = Abb. 38) 44 Häufigkeit der Eigenschaften bei Anforderung »Minimieren der Zeit«.. 45 Häufigkeit der Eigenschaften bei Anforderung »Minimieren des Aufwands« 46 Häufigkeit der Eigenschaften bei Anforderung »Maximieren der Produktion« 47 Häufigkeit der Eigenschaften bei Anforderung »Entwickeln der Produktion« 48 Häufigkeit der Eigenschaften bei Anforderung »Qualität einhalten« 4 9 Häufigkeit von Konflitknennungen bei Anforderung »Minimieren des Aufwands« 50 Häufigkeit von Konfliktnennungen bei Anforderung »Minimieren von Arbeit/Zeit« 51a Häufigkeit von Konfliktnennungen bei Anforderung »Maximieren der Produktion« 51b »Maximieren der Produktion«: Konflikte bezogen auf Arbeitsplätze 52 Häufigkeit von Konfliktnennungen bei Anforderung »Entwickeln der Produktion« 53 Kooperation und Hierarchie in der Meßwarte
241 252 302 303 303 439 354 360 365 367 367 367 368 370 370 370 370 370 370 376 376 376 376 376 396
Tabellen-Verzeichnis 14 Eigenschaftsprofile
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366
V Inhalt von Band IV (AS 43) Automationsarbeit, Empirische Untersuchungen, Teil 1 Prolog: Gang durch eine automatische Fabrik Übersicht 1: Das Sample Teil I: Überlegungen zu einer inhaltlichen Methode Erstes Kapitel: Theorie und Empirie 1. Das Standpunktproblem 2. Das Hypothesenproblem 3. Das Statistikproblem 4. Das Theorieproblem — Eigenes Verfahren 5. Das Prognoseproblem Zweites Kapitel: Erhebungsinstrumente • 1. Informanten 2. Beobachtung 3. Interview 4. Gruppendiskussion 5. Dokumentenanalyse Driitel Kapitel: Auswertung 1. Illustratives Denken 2. Indikatordenken 3. Progressive Problemverschiebung 4. Tabellenkonstruktion 5. Anforderungsstruktur 6. Ansatzdenken 7. Neues Denken ermöglichen Übersicht 2: Entwicklung der Methoden in Untersuchungen zur Automationsarbeit Teil II: Neue Produktionsstrukturen Erstes Kapitel: Berufe 1. Neue Berufsnamen 2. Aufgehobene Tätigkeiten Zweites Kapitel: Arbeitsplätze 1. Der Arbeiter rückt auf strategischen Posten 2. Verantwortung für fremdes Eigentum 3. Verallgemeinerung der Arbeitsvorbereitung Drittes Kapitel: Innovationen 1. Neuerung als Alltag 2. Unternehmermotive beim Automatisieren 3. Automatisierungshemmnisse Viertes Kapitel: Produktivkraft Automation 1. Logisierung 2. Mathematisierung 3. Störungsregulierung 4. Experimentieren Fünftes Kapitel: Anforderungsstruktur Teil III: Vergesellschaftung der Privaten Erstes Kapitel: Aneignung 1. Vorzüge praktischen Denkens 2. Von-Hand-Fahren 3. Rundgänge durch die Produktion 4. Spielen mit der Anlage Zweites Kapitel: Kollektivität 1: Kooperation der Vereinzelten 2. Kampf um die Teilung der Arbeit 3. Begegnungen 4. Einsame Zusammenarbeit 5. Aufgabe der Untergebenen ARGUMENT SONDERBAND AS 55 tc.
VI Inhalt von Band VI (AS 67) Automationsarbeit, Empirische Untersuchungen, Teil 3 Teil IV: Private Vergesellschaftung Erstes Kapitel: Das Gebrauchswertproblem 1. Integration durch Vergesellschaftung 2. Gebrauchswert und Profit 3. Produzentenstolz und Umweltschutz Zweites Kapitel: Das Planungsproblem 1. Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien 2. Kampf um die Daten Drittel Kapitel: Das Kooperationsproblem 1. Gruppenbildung und Hierarchie 2. Neue Hierarchien Viertes Kapitel Der gesellschaftliche Schein von Unternehmerstrategien 1. Die Brigade 2. Der Wettbewerb 3. Die Neuerer
Inhalt von Band VII (AS 79) Teil V: Arbeiterformen Erstes Kapitel: Tätigkeiten Zweites Kapitel: Lebensläufe Teil VI: Zusammenfassung und Fragen der Gewerkschaftspolitik . Mitbestimmung, Technologiepolitik, Managementpolitik, Arbeits- und Betriebspsychoiogie, Humanisierung, Resttäligkeiten, Lohn, Datenschutz, Ausbildung, Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Alternative Wirtschaftspolitik
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VII
Vorwort »Die Kluft zwischen den Klassen war eine Kluft zwischen verschiedenen Bereichen der Einsicht« Peter Weiss. Die Ästhetik des Widerstands Um den Gegenstand dieses Bandes vorzustellen, müssen wir kurz den Gesamtplan unserer empirischen Untersuchungen der Automationsarbeit in Erinnerung rufen (vgl. die Inhaltsverzeichnisse auf den vorhergehenden Seiten). Der Aufbau basiert auf zwei grundlegenden Unterscheidungen: der Differenz zwischen Anforderungen, Aufgaben und Tätigkeiten und der Differenz zwischen integrativen Dimensionen der Tätigkeit und solchen, die Handlungsfähigkeit befördern. Man darf die Arbeitsanforderungen, die durch den Entwicklungsstand der Produktion bestimmt sind, keinesfalls mit der wirklichen Tätigkeit in eins setzen. Die Anforderungen müssen von den Produzenten vielmehr erst ergriffen und in Tätigkeiten übersetzt werden. Es sind gegensätzliche Kräfte, die in unserer Gesellschaft diese Umwandlung zu bestimmen suchen. Veränderte Handlungsbestimmungen führen zu einer Destabilisierung bisheriger Positionen, ob es gelingt, sie in erweiterte Handlungsfähigkeit zu übersetzen, ist eine Frage der konkreten Politik. Die wirkliche Arbeit, wie sie sich der empirischen Untersuchung darbietet, muß deshalb als Resultante des Kräftegegensatzes von Arbeitern und Unternehmern auf Basis gegebener Produktionsanforderungen rekonstruiert werden. Unter dem Titel »Neue Produktionsstrukturen« befaßte sich Teil II dieser Untersuchung — nach einem einleitenden Teil zur Methode — im vorigen Band (AS 43) schwerpunktmäßig mit diesen Anforderungen im Unterschied zur wirklichen Tätigkeit. Innerhalb der resultierenden Tätigkeit unterscheiden wir zwei Dimensionen, die zueinander in Widerspruch stehen: die Dimension der Entwicklung von Handlungsfähigkeit bei den Arbeitenden und die Dimension ihrer Integration in das System privatwirtschaftlicher Produktion. Man wird diesen Unterschied in der Wirklichkeit nirgends finden. Wir halten die Kunst der Widerspruchszerlegung jedoch für die entscheidende wissenschaftliche Aufgabe und für den eigentlichen Witz dieser Arbeit. In der weiteren Gliederung ist sie das Konstruktionsprinzip: in Teil III, »Vergesellschaftung der Privaten«, ist der Gesichtspunkt zunehmender Handlungsfähigkeit bestimmend. Von diesem Teil enthält der vorliegende Band das dritte und vierte Kapitel. Der nächste Band wird Teil IV zum Inhalt haben, dessen Überschrift, »Private Vergesellschaftung«, signalisiert, daß es darum gehen wird, wie die Handlungsfähigkeit der Arbeitenden in die Schranken der Privatwirtschaft eingebunden wird. Bei der Auswertung des Materials erweist es sich übrigens schnell als unfruchtbar, die Gliederung stur durchhalten zu wollen. Sie gibt die große Linie ab, nicht die Argumentation im einzelnen. Über etwas schreiben heißt immer auch: gegen etwas schreiben — nicht aus Streitsucht, sondern weil man die alten Auffassungen und Begriffe ARGUMENT SONDERBAND AS 55 tc.
VIII
Vorwort
zwangsläufig in Frage stellt, wenn man etwas Neues denken will. Der Gegenstand dieser Arbeit läßt sich so auch als ein Wogegen abbilden. Wogegen geht es?
— Gegen die technizistische Ideologie. Vom Standpunkt der herkömmlichen Ingenieurwissenschaften ist die Tatsache, daß an Maschinen gearbeitet wird, ein störender Nebeneffekt. Das ist der Kern der technizistischen Ideologie: nicht eine bestimmte Konzeption von Arbeitstätigkeiten, sondern deren völliges Ausblenden. Man kann das dort gut beobachten, wo die Ingenieure nicht umhin kommen, den Benutzern ihrer Maschinen einige Aufmerksamkeit zu schenken: bei der Konstruktion der sogenannten Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Der maschinelle Prozeß wird darin als selbstverständlich vorausgesetzt, er muß nur noch durch »Gestaltungsmaßnahmen« nachträglich an die von seinem Standpunkt aus beschränkten menschlichen Fähigkeiten angepaßt werden. Diese äußerst praktische, d.h. konstruktiv wirksame Ingenieurs-Ideologie zeigt einige Risse, verursacht vor allem durch die ökologische Bewegung und den Protest der Arbeitenden gegen unmenschliche Tätigkeiten. Der Verein Deutscher Ingenieure organisiert Konferenzen über das »Wertproblem in der Technik«, was doch wohl heißt, daß vielen Ingenieuren die blinde Fraglosigkeit vorgegebener Zwecke dubios geworden ist.1 Einzelne Ingenieure haben sich zu der Einsicht durchgerungen, daß ihnen für ihre Arbeit das Wichtigste fehlt, wenn sie nicht genau wissen, wie an den Maschinen, die sie konstruieren, denn gearbeitet wird. So zeichnen sich die Umrisse eines neuen theoretischen Gegenstandes ab, der quer zur ideologischen Arbeitsteilung von Ingenieurwissenschaften und Sozialwissenschaften steht. Für die Leser dieser Untersuchung wird sich das als Leseschwierigkeit darstellen: es wird ihnen zugemutet, sich zwischen verschiedenen, traditionell von einander isolierten Wissenschaften hin- und herzubewegen.
— Gegen die Kehrseite der technizistischen Ideologie, das politizistis Konzept der Arbeiterklasse. Der Versuch, zu einer neuen Gegenstandsbestimmung beizutragen, welche die Trennung von Technik und Tätigkeit bekämpft, wird uns selber den Vorwurf des Technizismus eintragen und hat es auch schon. Wir würden die Technik zum Subjekt der Geschichte erklären, wird uns immer wieder entgegengehalten.2 Selbst in solcher Kritik ist die technizistische Ideologie noch wirksam, nämlich in Gestalt ihrer abstrakten Negation. Wenn etwa vorgeschlagen wird, daß man nicht von der »wissenschaftlich-technischen Revolution« sprechen dürfe, sondern nur von einem »wissenschaftlich-technischen Fortschritt«, da eine Revolution nur von der Arbeiterklasse ausgehen könne, so wird darin stillschweigend, wahrscheinlich unbewußt, eine »lineare Zeit«3 unterstellt: so als ob die Zeitstruktur der Produktivkraftentwicklung, der Produktionsverhältnisse und der politischen Instanzen ein und dasselbe sei, so als ob eine wissenschaftlich-technische Revolution sich zwangsläufig in einer politischen Revolution »ausdrücken« müßte. Dagegen brauchen wir eine Theorie der ungleichzeitigen Entwicklung, die den »Vorlauf« der relativ selbständig sich entwickelnden Produktivkräfte verarbeitet. Dieses Nicht-Sondern, nicht die Technik, sondern die Arbeiter, gibt es nicht in der Wirklichkeit. Die Vorstellung von Arbeitern, losgelöst von ihrer Tätigkeit mit bestimmten Produktionsmitteln, ist eine falsche Abstraktion.
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Vorwort
IX
— Gegen den Verelendungs-Diskurs, Verelendungs-Diskurs, damit meinen wir Anschauungen, Theorien, Politiken, die die Aufklärung der Arbeitenden über die beständige Verschlechterung ihrer Lage für ein besonders wirksames Mittel ansehen, das Handlungsniveau der Betroffenen zu erhöhen. Wir halten dieses Konzept für gescheitert. Dagegen setzen wir auf das, was man den Selbsttätigkeits-Diskurs nennen könnte: das Studium der neuen Handlungsbedingungen und wie sie bereits jetzt ergriffen werden. Im ersten Band unserer empirischen Untersuchung schrieben wir: »Die Bereitschaft, in den Befunden Neuartiges zu sehen, sich von ihnen überraschen zu lassen, stößt einen fortwährend auf Fragen, über die man sich noch keine Gedanken gemacht hatte.„ Die Absicht, die Tatsachen zu ihrem Recht kommen zu lassen, wirft einen sofort zurück auf die Theorie, und zwar ungleich stärker als das einfache Ableiten.« (AS 43, S.61) In einigen Abschnitten dieses Bandes haben wir dieses unlösbare Problem nach der Seite der Theorie hin aufgelöst, vor allem in den Ausführungen über »Abstraktion und Anschauung« und »Zeitpraxen«. Die gebräuchlichen Kategorien zur Erfassung des Materials erwiesen sich hier als derart unzureichend, daß es uns nützlich zu sein schien, in den Theoriestand erst einmal durch Produktion neuer Fragen und Begriffe einzugreifen. In diesem Zusammenhang hat sich der Abschnitt, der im vorigen Band noch als »Störungswahrnehmung« angekündigt worden war, in einen umfangreichen Text über »Abstraktion und Anschauung« verwandelt. Gegenüber der Ankündigung im ersten Band dieser Untersuchung enthält dieser Band als weitere Änderung eine Erweiterung des Umfangs: Was jetzt diesen und den folgenden Band füllt, sollte ursprünglich in einem einzigen Buch unterkommen. Nicht zuletzt die positive Reaktion in den WSI-Mitteilungen, dem Organ des wirtsehafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB, auf den ersten Band dieser empirischen Untersuchung4, läßt uns hoffen, daß das umfangreiche Werk seine Leser finden wird.
Anmerkungen 1
2 3 4
Vgl. den Vortrag von F. Haug zum Thema »Welche Bedürfnisse steuern die technische Entwicklung? Automatisierung — Chancen und Gefahren« auf der gleichnamigen Tagung des Vereins Deutscher Ingenieure im Februar 198t in Dösseldorf. Veröffentlichung in der Schriftenreihe »Vorträge und Diskussionen« des VDI in Düsseldorf für dieses Jahr in Vorbereitung. Zuletzt Lothar Peter in: Marxistische Studien. Jahrbuch des Instituts für marxistische Studien und Forschungen 2/1979, S.279-299. Vgl. E. Balibar: Über die Grundbegriffe des historischen Materialismus. In: L. Althusser/E. Balibar: Das Kapital lesen, II. Reinbek 1972, S.268-414. Vgl. die Besprechung von R. Bispinck in den WSI-Mitteilungen 12/1980.
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Teil III Vergesellschaftung der Privaten Drittes Kapitel: Verwissenschaftlichung 1. Abstraktion und Anschauung Wir fragen nach dem Verhältnis zwischen dem für analytische Zwecke als vereinzelt vorgestellten Automationsarbeiter und dem Produktionsprozeß. Uns interessiert die »sinnliche Form des Arbeitsprozesses am Arbeitsplatz als Bedingung von Denktätigkeiten« (AS 19, S.216).
Unser Ausgangsproblem bei der Datenerhebung war also: Wie kommt man dahinter, was ein Automationsarbeiter denkt, wo dieses Denken doch nicht unmittelbar sichtbar ist? Gegen die flache Vorstellung vom Automationsarbeiter, der reflexartig aufs Knöpfchen drückt, wenn ein Lämpchen aufleuchtet, wollten wir die Bedeutung dieser Knöpfe und Lampen, ihre Geschichte und Zukunft und die Probleme auf den verschiedenen Entwicklungsstufen dieser technisch vermittelten Signalwelt herausstellen. Wir suchten nach Hinweisen auf eine Verwissenschaftlichung des Denkens. Wir vermuteten, die Art der wahrgenommenen Prozeßdaten könne »Aufschluß geben über die Verwissenschaftlichung der Tätigkeit. So ist beispielsweise eine von einem Computer angezeigte Meßgröße abstrakter und gewissermaßen begrifflicher, liegt mehr in der Richtung des quantifizierenden naturwissenschaftlichen Experiments als ein qualitatives Datum wie etwa ein bestimmtes Motorengeräusch.« (AS 19, S.193)
Den Schlüssel zur Verwissenschaftlichung des Denkens sollte demnach die Abstraktheit liefern, mit der dem Automationsarbeiter der Produktionsprozeß dargestellt wird. Der Begriff »abstrakt« ist selbst zunächst abstrakt. Was ist damit gemeint? Im »Prolog« zu unserer Untersuchung, dem »Gang durch eine automatische Fabrik« haben wir versucht, die Eindrücke, die man beim Betreten eines typischen automatisierten Arbeitsplatzes hat, anschaulich wiederzugeben (AS 43, S.9ff.). Mit der sinnlichen Wahrnehmung von Rohstoffen und Maschinen ist gebrochen worden. An deren Stelle tritt die Zahl. Sie informiert über Zustände von Rohstoffen, Energien und Anlagen. So wie das Bild der industriellen Produktion vor Einführung des Elektromotors durch die Unzahl von Transmissionsriemen bestimmt ist, so blickt man in der automatisierten Produktion, vor allem in den Meßwarten, auf eine unübersehbare Menge von Anzeigen; wir haben Meßwarten besichtigt, in denen die Werte von 400 verschiedenen Größen dargestellt werden. Diese Anzeigen sind der ausgezeichnete Gegenstand, den man begreifen muß, um zu sehen, was es mit »Verwissenschaftlichung« und »Abstraktion« auf sich hat. ARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
Abstraktion und Anschauung.
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Abb. 30: Anzeigenüberwachung in der Meßwarte
Wie arbeitet ein Automationsarbeiter mit einem solchen Gerät? An dieser Frage hätte sich die These von der zunehmenden Wissenschaftlichkeit durch zunehmende Abstraktheit zu bewähren. Wir tun jedoch gut daran, uns zunächst zu vergegenwärtigen, daß eine solche optimistische Sichtweise nicht selbstverständlich ist. 1977/78 veranstaltete der Werkbund Bayern eine Reihe von Vortragsfolgen unter dem Motto »Der Mensch ohne Hand oder Die Zerstörung der menschlichen Ganzheit« (vgl. Der Mensch ohne Hand 1979). Der international renommierte Philosoph Hans-Georg Gadamer hielt dort einen Vortrag über den »Verlust der sinnlichen Bildung als Ursache des Verlustes von Wertmaßstäben« (Gadamer 1979). Muß man für die Arbeit mit den beschriebenen Reglerleitstationen nicht zuallererst den »Verlust der sinnlichen Bildung« festhalten? »Im konsequenten Verfolg unseres ganzen kulturellen Prozesses sieht sich der einzelne mehr und mehr auf die Bedienung von ... funktionierenden Automaten und Maschinen beschränkt. Statt Herrschaft über etwas, die Können erlaubt und ein bestimmtes Spielenlassen des Formwillens ermöglicht, welches einen selbst zum Ausdruck brächte, ist eine neue universale Sklavenhaltung über die Menschheit gekommen ...: sie muß bedienen. Der Mensch von heute mag nicht mehr dienen, das heißt anderen Menschen dienen; aber paradoxerweise gilt nun für jedermann, daß er die Kontrollknöpfe und die Hebel im Schaltwerk der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion bedienen ARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
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TeilIII
muß. Das ist eine Entwicklung, die mehr und mehr die Ganzheit unserer menschlichen Fähigkeiten und damit die so natürlich scheinende Balance zwischen Instinkt und Verstand ... um ihr Gleichgewicht bringt.« (Gadamer
Bildwitz, aus der immerhin noch erahnbar wird, daß auch der beklagte Verlust an Sinnlichkeit die parteiliche Frage des »für wen?« nicht (iberflüssig macht
Wäre also eine Arbeit, die auf dem Erfassen von Quantitäten und dem Stellen und Schalten von Prozeßfunktionen beruht, nicht zuallererst als Verkümmerung menschlicher Fähigkeiten, vor allem der Sinnlichkeit zu begreifen? Gedanken, wie sie Gadamer in der Tradition der konservativen Kulturkritik formuliert, finden sich auch auf Seiten der Linken. Lukäcs kritisiert die »Berechenbarkeit des Arbeitsprozesses«, die »ein Brechen mit der organischirrationellen, stets qualitativ bedingten Einheit des Produktes selbst« erfordere (Lukäcs 1968, S.262).
Dabei denkt er vor allem an die Taylorisierung der Arbeit. Aber was ist die Berechnung der Arbeit gegenüber einer Arbeit, die selbst nur aus Berechnungen besteht? Die schärfsten Formulierungen gegen Abstraktion und Quantität findet man in der Kritischen Theorie: »Die Eliminierung der Qualitäten, inre Umrechnung in Funktionen, überträgt sich von der Wiysenschaft vermöge der rationvtfisierten Arbeitsweisen auf die Erfahrungswelt der Völker und ähnelt sie tendenziell wieder der der Lurche an.« (Horkheimer/Adorno 1968, S.50)
Das Denken in Quantitäten sei zwangsweise unkritisch, es akzeptiere die Welt, wie sie ist: ARGUMENT-SONDERBAND AS 55
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Abstraktion und Anschauung
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Der »Anspruch der Erkenntnis ... besteht nicht im bloßen Wahrnehmen, Klassifizieren und Berechnen, sondern gerade in der bestimmenden Negation des je Unmittelbaren. Der mathematische Formalismus aber, dessen Medium die Zahl, die abstrakteste Gestalt des Unmittelbaren ist, hält statt dessen den Gedanken bei der bloßen Unmittelbarkeit fest.« (Horkheimer/Adorno 1968, S.39f.)
Bewirkt die Mathematisierung der Produktionstätigkeiten demnach nicht nur eine Verkümmerung der Sinnlichkeit, sondern auch der Kritikfähigkeit? Oder vielleicht gerade durch das Unsinnlichwerden der Produktion die Eliminierung »emanzipatorischer Sinnlichkeit«, von der einige Vertreter der Frankfurter Schule reden? Ist die Darstellung der Produktion als eine Anzahl gemessener Größen der Höhepunkt der Entfremdung des Arbeiters vom Produktionsprozeß? Diese Fragen sind durch zwei entgegengesetzte Begriffsketten strukturiert. Auf der einen Seite Sinnlichkeit, Qualität, Ganzheit, Konkretheit, Anschaulichkeit, Erfahrung, und dagegen Kalkül, Quantität, Partialisierung, Abstraktheit, Unanschaulichkeit. Bei der Untersuchung der mathematisierten Umwelt der Produktionsarbeiter denkt man spontan in diesen Begriffs-Gegensätzen. Aber wie weit kommt man damit, wenn man sich auf die Probleme der Automationsarbeit wirklich »konkret« einläßt? Kann man in diesen Begriffen die neuen Entwicklungen denken, ohne selbst »abstrakt« zu werden? Oder brauchen wir eine neue Abbildungsweise, neue Gegensätze, neue Begriffe? Dies waren die Fragen, auf die wir bei dem Versuch, die empirischen Befunde auszuwerten, immer wieder stießen. Wir sind deshalb zwei Schritte zurückgegangen und stellen im folgenden einige notwendige Vorüberlegungen dar, als Antworten auf die Fragen: Wie stellen sich die Sinnesbeziehungen dar bei vorautomatischer Produktion? Wie bei der elementaren Automationstätigkeit, dem Überwachen? Und welche Forschungsfragen lassen sich aus den vorhandenen Theorien über Anlagengestaltung gewinnen? Hitze, Lärm, Gestank, Schmutz Auf welche Weise ist der Produktionsprozeß den Arbeitern »sinnlich präsent«? Am auffälligsten ist der Kontrast zwischen der heißen, lauten, schmutzigen, stinkenden Arbeitsumgebung vieler vorautomatischer Prozesse und der klimatisierten, ruhigen, sauberen Atmosphäre der Meßwarten. Am deutlichsten sahen wir diesen Kontrast in einer Kokerei, die für vollautomatischen Betrieb konstruiert worden war; wegen der vielen Störungen wurde die Automatisierung jedoch wieder teilweise zurückgenommen, so daß jetzt Arbeitsplätze mit Hitze, Lärm, Gestank, Schmutz neben der Meßwarte existieren. Das Verschwinden von Hitze, Lärm, Gestank, Schmutz ist für die automatischen ArbeitsARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
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Teil III
platze charakteristisch. Dies ist einer der Gründe dafür, daß mit Recht behauptet werden kann, die Automatisierung führe zu einer »Humanisierung« der Arbeit. Wir fragen, warum in der vorautomatischen Produktion der Produktionsprozeß den Arbeitern so häufig in Gestalt von Hitze usw. »sinnlich präsent« ist und warum die typischen Meßwartenarbeitsplätze gar nichts mehr davon ahnen lassen? Was ist das: Hitze, Lärm, Gestank, Schmutz? Die Wörter sind irreführend: substantialistisch, d.h. sie tun so, als bestehe das Problem in Eigenschaften des Produktionsprozesses an sich. Dabei bestehen Hitze usw. nur in Beziehung zur Arbeitskraft; es sind Verhältnisse in der Produktion, wenn man so will: Produktionsverhältnisse. Wir müssen genauer fragen, um was für ein »Produktionsverhältnis« es sich dabei handelt. Während wir normalerweise im Arbeitsprozeß untersuchen, wie der Arbeiter mithilfe der Arbeitsmittel auf Arbeitsgegenstände einwirkt, ist es hier umgekehrt: nicht der Arbeiter wirkt auf die Produktionsmittel ein, sondern die Produktionsmittel auf den Arbeiter: Das »Produkt« dieser Einwirkung ist nicht, wie im Arbeitsprozeß, ein nützliches Ding, sondern die Arbeiter selbst, an ihnen werden, durch Hitze usw. Veränderungen vorgenommen, so daß sie anders aus dem Arbeitsprozeß herauskommen, als sie hineingekommen waren. Mit dieser Beziehung zwischen Arbeitern und Produktionsmitteln, die statt in einem Gebrauchswert in veränderten Arbeitern resultieren, haben wir den Vorgang, der durch Hitze usw. charakterisiert ist, eingekreist, aber noch nicht begriffen. Die Veränderung der Arbeiter besteht ja nicht nur darin, daß Hitze ihnen den Schweiß auf die Stirn treibt, daß Lärm ihnen in den Ohren dröhnt, daß allerhand Gerüche ihnen in der Nase stechen und Schmutz in alle Poren dringt. Wenn überall »erfahrene« von »unerfahrenen« Arbeitern unterschieden werden, so ist damit eine ganz andere Veränderung der Arbeiter durch den Arbeitsprozeß gemeint. Sie haben etwas dazu gelernt. Worin besteht der Unterschied zu ihrer Veränderung durch Hitze, Lärm, Gestank, Schmutz? Kann man sagen, daß im einen Fall die Arbeiter passive Objekte sind, die mit Stoffen und Stoffzuständen bombardiert werden, was zu physiologisch beschreibbaren Veränderungen führt, während sie im anderen Fall »Eindrücke« bewußt verarbeiten, wobei sie ihre Fähigkeiten zur Umweltkontrolle erweitern? Dann wären zwei Sinnesbeziehungen der vorautomatischen Produktionsmittel auf die Arbeiter zu unterscheiden: die »Erfahrungs«-Beziehung, gekennzeichnet durch Aktivität der Arbeiter, und die »Einwirkungs«-Beziehung, bei der die Arbeiter passiv sind? Die naheliegende Opposition Aktivität/Passivität verwickelt uns in neue Schwierigkeiten, und das ist ihr hauptsächlicher Nutzen. Sie stößt uns nämlich darauf, wie sehr die Arbeiter auch in der »Einwirkungs«Beziehung aktiv sind. Man kann eine kulturelle und eine informationsARGUMENT-SONDERBAND AS 55 *y
Abstraktion und Anschauung^19 verarbeitende Aktivität unterscheiden. — Mit »kulturelle Aktivität« soll darauf verwiesen werden, daß die Bestimmungen von Hitze, Lärm, Gestank, Schmutz selbst gesellschaftlich produziert sind. Ohne den großen Schub hygienischer Erziehung im 18. und 19. Jahrhundert ist unser, heutiges Empfinden von Schmutz und Gestank nicht denkbar. Lärm und Hitze sind zwar einfacher meßbar als Gestank und Schmutz; dennoch ist auch hier das, was als erträglich/unerträglich gilt, ein Kulturprodukt. Man muß diese kulturelle Grenzziehung erträglich/unerträglich von der physiologischen toxisch/nichttoxisch unterscheiden. Ein unerträglicher Gestank kann weit vor einer wirklichen Schädigung des Organismus liegen; das Verhältnis beider Grenzen kann aber auch umgekehrt sein, beispielsweise wenn die Berührung mit einem Stoff in toxischer Dosis nicht als schmutzig empfunden wird. Die komplizierten Verhältnisse zwischen beiden Grenzziehungen können wir an dieser Stelle nicht aufhellen; es sei nur darauf verwiesen, daß im Norm-Begriff der Arbeitsmedizin (beispielsweise in den MAK-Werten) beide auf eine unbegriffene Weise miteinander verschmolzen sind. Es wäre ein völliges Mißverständnis, wenn man die kulturellen Grenzziehungen zwischen erträglichem/unerträglichem Lärm, Hitze, Gestank, Schmutz nur im Seelenleben der verschiedenen Sozialcharaktere ansiedeln würde. In Wirklichkeit finden um diesen Aspekt der Produktion die heftigsten ökonomischen Klassenkämpfe statt, der Begriff ist hier »Kampf um die Arbeitsbedingungen«. Die kulturellen Grenzen von erträglichen/unerträglichen Arbeitsbedingungen werden also in Klassenkämpfen fixiert. Mit »kulturell« ist die Grenzziehung erträglich/ unerträglich soweit erfaßt, als dabei keine höhere, fremde Macht wirksam ist, sondern das Interesse an der möglichst genußvollen Gestaltung des eigenen Arbeitslebens als Selbstzweck (vgl. Haug, W.F., 1979). Die Opposition Aktivität/Passivität ist nicht geeignet, um die »Erfahrungs«- von der »Einwirkungs«-Beziehung zu unterscheiden. Sie hat uns vielmehr darauf aufmerksam gemacht, daß sich um die »Einwirkungs«Beziehung eine eigene Praxis herumbildet, in der, in Klassenkämpfen, die kulturellen Grenzen von erträglich/unerträglich fixiert werden. Man muß sich fragen, ob der Begriff der »Einwirkung« nicht ganz falsch ist, indem er die Praxis ausblendet, innerhalb der darüber entschieden wird, was eine »Einwirkung« ist und was nicht. Wir brauchen eine neue Unterscheidung, um das Phänomen Hitze/Lärm/Gestank/Schmutz zu begreifen. Ist die Opposition produktiv/unproduktiv brauchbar? Die Beziehung zwischen Arbeiter und Produktionsmittel, bei der der Arbeiter Erfahrungen macht, dazu lernt, wäre dann insofern produktiv, als sie zu einer besseren Beherrschurig des Produktionsprozesses führt; die Hitze/Lärm/Gestank/Schmutz-Beziehung wäre unproduktiv, insofern sie ARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
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zu einer Verbesserung des Arbeitsablaufs nichts beiträgt, ihn sogar beeinträchtigen kann. Um diesen Gedanken zu prüfen, kehren wir zu unserem Ausgangsbeispiel, der Kokerei, zurück. Hier war, wie erwähnt, der Versuch zur Vollautomatisierung rückgängig gemacht worden, so daß wieder Arbeitsplätze mit Hitze usw. entstanden waren. Warum ist es anscheinend notwendig, die Arbeiter auf vorautomatischer Entwicklungsstufe der Produktion dieser H itze/Lärm/Gestank/SchmutzBeziehung auszusetzen? Die Frage ist mißverständlich: sie könnte bedeuten, daß eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Hitzeund Geräuschdämmung usw. nicht möglich ist. Das ist, wie die Auseinandersetzungen um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gezeigt haben, sicher nicht der Fall. Hier sind noch ungeahnte Reformen möglich und notwendig. Aber von solchen Reformen muß man die »Revolution« unterscheiden, die bei Automatisierung in Bezug auf das Hitze/ Lärm/Gestank/Schmutz-Problem geschieht. Während die Reformen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen die entstehende Hitze usw. am Arbeitsplatz zurückdrängen, abschirmen, einschränken, sich also in ständiger Auseinandersetzung mit Hitze/Lärm/Gestank/Schmutz befinden, ist das Problem an einem Meßwartenarbeitsplatz ganz und gar verschwunden. Durch die Fernwirktechnik ist es möglich, den Arbeitsplatz in jede gewünschte Entfernung vom unmittelbaren Produktionsprozeß zu bringen. Eine radikale räumliche Entkoppelung zwischen dem unmittelbaren Produktionsprozeß (der »Anlage«) und Arbeitsplatz (der Meßwarte) hat stattgefunden. Was aber sind die Bedingungen dafür, daß die Arbeiter bei vorautomatischer industrieller Produktion Hitze usw. auf eine nur reformierbare, das Problem aber nicht prinzipiell lösbare Weise ausgesetzt sind? Ist das nur ein blinder, ungeplanter und unproduktiver Nebeneffekt dieser Produktionsweise? Machen wir ein Gedankenexperiment: Was würde passieren, wenn auf vorautomatischer Produktionsstufe die Einwirkung von Hitze/Lärm/Gestank/ Schmutz völlig zum Verschwinden gebracht würde, etwa an den Arbeitsplätzen, die in der erwähnten Kokerei durch Rückgängigmachen der Automation wieder neu entstanden sind, wie bei dem Druckwagen, mit dem die verkokte Kohle aus den Ofenkammern hinausgeschoben wird? Sicherlich könnte der Bediener des Druckwagens einen Großteil seiner Arbeit auch in einer vollklimatisierten, gegen jegliche äußerliche Einwirkung abgeschirmten Kabine erledigen. Er würde aber, und dies ist unsere These, genau in den Situationen in Schwierigkeiten geraten, derentwegen die Automatisierung wieder rückgängig gemacht wurde: bei Störungen. Durch die große Hitze und durch freiwerdende Chemikalien sind alle Teile der Anlage enormen Belastungen ausgesetzt. In der Mechanik des Druckwagens und der Öfen (z.B. Öffnen und Schließen der Ofentüren) gibt es fortwährend Störungen. Eine wichtige InforARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
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matbnsquelle für solche Störungen sind Maschinengeräusche. Man stelle sich einen Autofahrer vor, der in einer völlig lärmisolierten Kabine sitzt. Er wird, auch wenn der Motor längst alarmierende Geräusche von sich gibt, ungerührt so lange weiterfahren, bis die Maschine versagt. Für einen Rundgänger ist die Informatiönsaufnahme in Gestalt von Hitze/Lärm/Gestank/Schmutz geradezu der Angelpunkt seiner Tätigkeit (vgl. AS 43, S.169ff.). Man kann natürlich versuchen, Hitze usw. soweit zu dämpfen, daß sie zugleich »erträglich« und informativ sind. Aber es gibt keine prästabilierte Harmonie, die dafür sorgt, daß das immer gelingt. Für uns ist vor allem die Tatsache interessant, daß es nicht ganz verschiedene Vorgänge sind, die informativ und belastend sind, sondern identische. Dies gilt, soweit die Tätigkeiten mit der Verhinde- rung und Bewältigung von Störungen befaßt sind. Wir können also festhalten, daß die »Sinnesbeziehung« von »Entstörungstätigkeiten« bei vorautomatischer Produktion durch diesen Doppelcharakter von (möglicher) »Belastung« und (möglicher) Information gekennzeichnet sind. Wie kommt* das? Und wie kommt es zur Auflösung dieser Einheit bei automatischer Produktion? Die Ursache liegt in der Art und Weise, in der Störungen des Prozesses in die Konstruktion der Anlage eingehen. Man kann Stufen der Produktivkraftentwicklung danach unterscheiden, auf welche Art das Störungsproblem bewältigt wird. Auf handwerklichem Produktionsniveau kann es »Störungen« beispielsweise durch Werkzeugbruch oder Material-»Fehler« geben; man würde aber kaum von einer Produktionsstörung reden. Dieser Begriff setzt offenbar einen Selbstlauf des Produktionsprozesses voraus, der erst bei maschineller Produktion gegeben ist. Wie kommt es bei maschineller Produktion zu Störungen? Wir können hier unsere Überlegungen zur Produktivkraft Automation im 1. Band unserer empirischen Untersuchung fortsetzen (AS 43, S.128ff.). Es sind zwei Prozesse, die zu Störungen führen. Zum einen die Einwirkung der Umwelt auf den Produktionsprozeß. Umwelt meint hier alles das, was außerhalb des Produktionsprozesses steht, wovon bei seiner Konstruktion praktisch abstrahiert wurde, z.B. Klima, Zusammensetzung der Luft. Zum anderen führt das Wirken der Produktionsmittel selbst zu Störungen.. Nicht nur wirkt das Arbeitsmittel formverändernd auf den Arbeitsgegenstand, sondern auch umgekehrt der Arbeitsgegenstand formverändernd auf das Arbeitsmittel: man könnte das Abheben eines Spans von einem Stück Roheisen mithilfe eines Meißels auch umgekehrt darstellen: als Abstumpfen eines Meißels mithilfe eines Stücks Roheisen. Diese Rückwirkung wird als »Verschleiß« bezeichnet. Der Begriff ist mißverständlich, er legt nahe, sich eine besondere Form der StoffverARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
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änderung darunter vorzustellen. Derselbe Vorgang kann jedoch In einem Zusammenhang »Verschleiß«, In einem anderen »Verarbeitung« sein; die Unterscheidung ist also rein funktionell. Die funktionelle Trennung von Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, die im Produktionsprozeß Realität ist, abstrahiert von der Rückwirkung des Arbeitsgegenstands auf das Arbeitsmittel. Diese Abstraktion ist ganz praktisch: durch die Wahhdes geeigneten Werkstoffs (beispielsweise eines Meißels aus hochwertiger Keramik) wird versucht, diese Rückwirkung zu minimieren, das Arbeitsmittel gewissermaßen konstant zu setzen. Die für die vorautomatische Produktion charakteristische Form der Störungsbewältigung ist also die Störungs-Verhinderung durch »praktisches Konstantsetzen«. Solche ungewünschten Effekte, die, vom Standpunkt des Produkts unproduktiv, genauer: destruktiv sind, treten auch im Verhältnis der Elemente des Arbeitsmittels zueinander auf (nicht-produktives Äufeinandereinwirken von Maschinenteilen z.B.) sowie innerhalb der Arbeitsgegenstände (unproduktive Reaktionen beispielsweise zwischen montierten Elementen). Immer geht es darum, daß ein Vorgang verschiedene, oft antagonistische Wirkungen hat. Aus diesem Wirkungsbündel werden bestimmte Wirkungen isoliert, indem die anderen durch die Konstruktion konstant gesetzt werden. Diese konstruktiven Konstantsetzungen sind die Einbruchstellen für die Störungen. Neben den konstruktiven Konstantsetzungen gibt es Konstantsetzungen in Gestalt der Vernachlässigung. Z.B. wird bei vorautomatischer Produktion das Klima als wirkende Größe oft vernachlässigt, weil seine Wirkung vernachlässigbar sei. Wir erhalten also als Störungsursache die Inkonstanz der konstruktiv konstant gesetzten (oder vernachlässigten) Produktionsbedingungen. Wodurch können solche Störungen vom Maschinenbediener überhaupt bemerkt werden? Es ist klar, daß häufige Störungen, wie der Verschleiß des Arbeitsmittels, z.B. eines Werkzeugs, an der Kontaktstelle zum Arbeitsmittel, z.B. einem Werkstück, durch eigene störungsbezogene Techniken festgestellt werden. So wird an Werkzeugmaschinen das Werkzeug von Zeit zu Zeit von Hand nachgemessen, selbst noch an numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen, bei denen der Werkzeugverschleiß gewöhnlich nicht automatisch korrigiert wird. Uns interessieren hier aber die technisch unvorhergesehenen, aber darum nicht minder schädlichen und gefährlichen Störungen. Sie können wahrgenommen werden über die »Sinnesorgane«. Man kann das auch bei automatischer Produktion noch gut beobachten, nämlich an der Tätigkeit des Rundgängers. Für ihn sind »merkwürdige« Geräusche, Verfärbungen und Gerüche wichtig, auch, daß sich etwas heiß anfühlt oder vibriert. ARGUMENT-SONDERBAND AS 55 *y
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Es können sämtliche Sinnessysteme bei solchen Überwachungstätigkeiten ins Spiel kommen, nicht nur Gehörsinn (Tonhöhen), Gesichtssinn (Helligkeit/Dunkelheit und Farben), Temperatursinn (Kälte/Wärme) und mechanischer Sinn der Haut (Druck und Berührung), sondern, vor allem in beweglichen Produktionssystemen wie Fahrzeugen, auch der statokinetische Sinn (Körperlage und -bewegung, Kraftempfindung), manchmal, z.B. in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, der Geschmackssinn (Säure, Salz, Süße, Bitterkeit), in Extremsituationen auch der Schmerzsinn. Die Veränderungen, die auf solche Weise wahrgenommen werden können, sind solche des Lärms, Färb- und Heiligkeitsänderungen, Temperaturwechsel, Bewegungen, Stoffzusammensetzungen usw. Wie kommt es, daß auf diesem Wege überhaupt Auskünfte über Produktionszustände gewonnen werden können? Die Zustandsänderungen von Körpern finden in verschiedenen Dimensionen statt: als Veränderungen des mechanischen Zustands, des Wäremezustands, des elektromagnetischen Zustands, der Stoffzusammensetzung. Man kann diese Dimensionen verschiedenen Gliederungsebenen der Stoffe zuordnen: den Bewegungen der Körper (Mechanik), den ungeordneten Bewegungen der Atome und Moleküle (Wärme), den Bewegungen im Bereich der Elektronen und Atomkerne (Elektromagnetik); quer zu diesen Bewegungsformen auf verschiedenen Gliederungsebenen steht die Zusammensetzung aus Elementen und Elementarteilen. Bekanntlich können nicht alle Zustände vom Menschen wahrgenommen werden, so sind mechanische Schwingungen über 20.000 Hertz oder unter 16 Hertz über den akustischen Kanal nicht zugänglich, die elektromagnetischen Schwingungen des Lichts sind nur in einem begrenzten Spektrum wahrnehmbar, an die das infrarote und ultraviolette Licht anschließt, die elektromagnetischen Schwingungen von Röntgenstrahlen und Gammastrahlen (Radioaktivität) können überhaupt nicht wahrgenommen werden. Aber zu einem Spektrum der mechanischen, elektromagnetischen und Wärmebewegung hat er über seine Mechanorezeptoren, Photorezeptoren und Thermorezeptoren Zugang, und zu einigen stofflichen Eigenarten über die Chemorezeptoren des Geruchs- und Geschmackssinns. Der Mensch ist jedoch natürlich nicht nur ein Rezeptionsorgan für mechanische, elektromagnetische, wärmemäßige und stoffliche Veränderungen seiner Umwelt, sondern selbst zugleich durch diese Dimensionen charakterisierbar. Seine Lebensfähigkeit hängt von Bedingungen ab, die in diesen Dimensionen beschreibbar sind. Das heißt aber zugleich, daß bestimmte Veränderungen für ihn unerträglich, ja tödlich sein können. Nehmen wir als Beispiel den Wärmezustand. Der Mensch ist, wie alle Säugetiere, ein »homoiothermes« Wesen, d.h. für seine LebensfähigARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
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keit ist er auf eine konstante Binnentemperatur angewiesen. Bereits Abweichungen um wenige Grad Celsius von der Normaltemperatur können pathologische Erscheinungen und den Tod zur Folge haben. Da ihm ständig Wärme zugeführt wird und er selbst Wärme abgibt, sind für eine ausgeglichene Wärmebilanz Regulationsmaßnahmen notwendig. Hierfür gibt es ein unbewußt wirksames physiologisches Regulierungssystem. Veränderungen der Außentemperatur werden über die Haut registriert. Bei Hitze wird Schweiß produziert/dessen Verdampfung der Haut Wärme entzieht; die Durchblutung der Haut und der Extremitäten nimmt zu durch Öffnung der Hautgefäße. Das Blut hat hier die Funktion einer Kühlflüssigkeit (vgl. Wenzel 1974). (Die für das menschliche Wohlbefinden relevante Außentemperatur ist in Wirklichkeit eine zusammengesetzte Größe aus Luftfeuchtigkeit, Luftbewegung und Lufttemperatur bzw. Strahlungstemperatur der Umgebung, ein Klima; gleichwertige Kombinationen dieser Faktoren bezeichnet man jedoch als »Effektivtemperatur«.) Trotz einer gewissen Lernfähigkeit des menschlichen Körpers für thermoregulatorische Umstellungen (Akklimatisierung) bricht dieses physiologische Regulierungssystem bei zu großen Temperaturdifferenzen zusammen, zum Beispiel dadurch, daß bei starker Durchblutung der Haut die verfügbare Blutmenge zu klein wird und vitale Gebiete ungenügend durchblutet werden (Kreislaufkollaps). Wenn das System physiologischer Anpassung nicht ausreicht, ist eine höhere Form der Anpassung möglich, die man »orientierende Anpassung« nennen könnte, beispielsweise indem man zu heiße Orte meidet oder flieht. Diese beiden Formen, für eine konstante Binnentemperatur zu sorgen, finden wir auch bei Tieren (soweit nötig). Eine weit entwickeltere Fähigkeit zur Naturbeherrschung liegt dort vor, wo der Mensch die Hitze nicht meidet, sondern sich in sie hineinbegibt, weil dort etwas zu holen ist, wo er nicht auf »Nummer Sicher« geht, sondern etwas riskiert, indem er an die Grenzen des physiologisch Erträglichen geht. Es gehört also nicht nur zu den menschlichen Fähigkeiten, sich der Hitze usw. zu entziehen, sondern auch: sich ihr auszusetzen. Das gilt auch ontogenetisch: das Kind, das gelernt hat, das Feuer zu scheuen, muß lernen, diese Furcht zu überwinden. Ein Elektrikerlehrling wird nach der Anzahl der Schläge beurteilt, die ihn erwischt haben. In der Geschichte der Menschheit entstehen um dieses Problem herum die Helden der Produktion. Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte, wird sich dabei die Finger verbrannt haben. Man kann sich diesen »Gang durchs Feuer« vorstellen als Verrechnen der physiologischen Schädigung gegen den produktiven Nutzen. Man muß, um das Belastungs-Problem denken zu können, es zunächst aus dem Ausbeutungszusammenhang herauslösen, worin der Mensch das in die Hitze oder Kälte gejagte OpARGUMENT-SONDERBAND AS 55 *y
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fer ist, und begreifen, war« «t. es überhaupt möglich ist, daß ein Mensch unter solchen Bedingungen produziert, ja: daß eine seiner Produktivkräfte gerade in solchem »Aushalten-Können« besteht. Das heißt auch, das historische Opfer der Pioniere anzuerkennen, statt mitleidig ihre Produktivität zu verkennen. In diesem Riskieren steckt etwas Experimentelles, das Erobern neuen Terrains. Diese Seite kann sich in allerlei Mutproben verselbständigen; viele Sportarten haben ihren Reiz gerade darin, daß sie uns bis an die physiologischen Grenzen führen — und sie hinausschieben. Zugleich werden eigene Produktivkräfte der Leibessicherung entwickelt, die Produktion richtet sich nicht nur auf die äußere Natur, sondern auch auf die eigene Physis. Solche »physisorganisierenden Praxen« sind etwa die Veränderung der Bekleidung, die Klimatisierung der Arbeitsumweit, die Gestaltung der Produktionsmittel (beim Schmieden beispielsweise die Verlängerung der Zangengriffe und ihre Isolierung mit wärmedämmendem Material [zum Begriff der »physisorganisierenden Praxen« vgl. Projekt Automationsmedizin 1981]). Wo Ausbeutung herrscht, müssen solche »physisorganisierenden Praxen« gegen die Ausbeuter erkämpft werden. Wir kommen auf unsere Ausgangsfrage zurück, um was für ein »Produktionsverhältnis« es sich bei Hitze/Lärm/Schmutz/Gestank handelt, ob es hier um eine »unproduktive Einwirkung« auf den Arbeiter geht. Das Problem hat sich durch unsere Überlegungen völlig verschoben. Belastende Einwirkungen der Produktionsmittel auf die Arbeiter und produktive Beziehungen der Arbeiter zu den Produktionsmitteln können physiologisch ein und derselbe Vorgang sein. Natürlich gibt es Einwirkungen, die nur zerstörerisch sind (z.B. Gammastrahlen) und Beziehungen, die nur produktiv sind — z.B. die Wahrnehmung von Verfärbungen. Es gibt also eindeutig gefährliche und eindeutig informative Beziehungen. Aber es gibt einen großen Bereich, in dem beide Verhältnisse wirksam sind, eine Schnittmenge gewissermaßen zugleich belastender Einwirkungen und produktiver Beziehungen. Man kann dieses Ergebnis nach zwei Seiten hin lesen. Es kritisiert zum einen die Verherrlichung der sinnlichen Dimension des vorautomatischen Arbeitsprozesses: diese sinnliche Dimension ist latent immer zugleich eine der Gefährdung und Zerstörung des Menschen. Es kritisiert auch die einseitige Abbildung dieser Verhältnisse als Belastung und stellt dagegen die Aktivität des Menschen, seine Möglichkeit, in solche »Belastungen« hineinzugehen und sie produktiv zu machen. Sinnesbeziehungen bei Überwachungstätigkeiten Statt Hitze/Lärm/Gestank/Staub nun zurück in die vollklimatisierte, , lärmgeschützte und peinlich saubere Meßwarte. Die Produktion ist ihr ARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
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gegenwärtig in der Form vieler Anzeigengeräte, wie wir sie eingangs dargestellt haben. Bei diesen Geräten kann es sich auch um integrierte Anzeigen- und Bedienelemente handeln. In der nebenstehenden Abbildung sieht man ein solches Gerät,! eine sogenannte Reglerleitstation, die wir im folgenden genauer beschreiben. Die Beschriftung »PIC-183« verrät, daß es hier um die Regelung eines Drucks (P) geht, und daß dieser Druck nicht nur angezeigt (I), sondern auch geregelt wird (C). 183 ist die Nummer der Meß- und Regelstelle, wobei die ersten Ziffern häufig auf bestimmte Anlagenbereiche verweisen. Der obere Zeiger (2) zeigt den Ist-Wert der geregelten Größe an. Darunter befindet sich die Sollwertmarke (5). Man sieht . Quelle: fachlexikon abc automati- auf einen Blick, daß hier der Zustand sierung, S.395. einer Prozeßgröße als Verhältnis des Ist-Wertes zum Sollwert dargestellt wird, als Regelabweichung. Die schraffierte Fläche über der Sollwertmarke heißt Nullpfad (oder scanline) (4). Er verbindet dieses Instrument optisch mit danebenliegenden, so daß ein einziger Blick nicht nur für dieses Gerät die Regelabweichung feststellt, sondern für alle Geräte, deren Nullpfad in gleicher Linie liegt. Auf der horizontalen Skala darunter (9) wird die Stellgröße (z.B. ein Ventil) angezeigt, mit deren Hilfe die Regelgröße geregelt wird; in diesem Fall sind es zwei Stellgrößen, yR und yn, deren Stellung zwischen »Zu« (Z) und »Auf« (A) angezeigt wird. Neben diesen Anzeigen finden wir drei Bedienelemente. Rechts ist das Stellrädchen (6) für die Einstellung des Sollwerts x$. Links unten ist der Schalter (8), mit dem man die Regelung von Hand (H) auf Automatik (A) umschalten kann. Darüber ist das Stellrädchen (7), welches das »Von-Hand-Fahren« ermöglicht, der Handsteller für die Stellgliedbetätigung. Das wäre also so ein Bauelement, aus dem die sinnliche Präsentation des Produktionsprozesses am Arbeitsplatz aufgebaut ist: zwei Skalen — für Regel- und Stellgröße —, vier Zeiger — für Soll- und Ist-Werte —, zwei Stellrädchen — für Sollwert und Stellgröße —, ein Schalter — für Hand-Automatik-Umschaltung. Die Bedeutung des Abiesens und Einstellens von quantifizierten Größen ist offensichtlich. Daneben finAbb. 31: Reglerleitstation
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den wir Ablesungen und Einstellungen, bei denen nur zwei Zustände interessant sind (Abweichung — Nichtabweichung, Hand — Automatik); genauer müßte man bei solchen binären Operationen statt von »Stellen« von »Schalten« sprechen. Die Größen, auf die sich diese Ableseund Stell- bzw. Schaltoperationen beziehen, sind durch die Struktur des Regelkreises bestimmt, auch das ist leicht zu erkennen: Wir finden die Regelgröße, die Differenz von Soll- und Ist-Wert, die Stellgröße sowie die Möglichkeit, die automatische Regelung durch Handregelung zu ersetzen. Wir setzen in diesem Abschnitt die Meßwarte als typischen Ort der Automationsarbeit voraus. Wir gehen davon aus, daß die Prozeß-Repräsentation in Leitständen typischer ist für die automatisierte Produktion als etwa ein NCMaschinen-Arbeitsplatz. Hier steht der Bediener nicht abgeschirmt von der unmittelbaren Produktion, einer Welt symbolischer Repräsentationen, sondern meist mitten im Lärm und Schmutz der Produktion. Eine Bedingung dafür, daß der Mensch völlig aus dem unmittelbaren Naturbearbeitungsprozeß heraustritt, ist, daß nicht nur der Hauptvorgang der Produktion, der Fertigungs- oder Verfahrensprozeß, selbsttätig abläuft, sondern auch die Hilfsfunktionen der Handhabung, des Transports, der Lagerung, der Montage. Solange dies nicht der Fall ist, muß die Produktion immer wieder unterbrochen werden, sie ist dann diskontinuierlich. In der chemischen Industrie gelangen die ersten kontinuierlichen Syntheseprozesse kurz vor dem ersten Weltkrieg bei der Firma BASF (Ammoniaksynthese). In der Fertigungstechnik erfolgt der Übergang zur kontinuierlichen Produktion sehr viel später. NC-Maschinen arbeiten im allgemeinen diskontinuierlich: immer, wenn ein Produktionsgang abgeschlossen ist, muß ein Bediener das Werkstück herausnehmen und ein neues einsetzen. Ursache sind die kleinen Stückzahlen; für große Stückzahlen gibt es auch im Bereich der Fertigung bereits kontinuierlich arbeitende Produktionssysteme, die sogenannten Transferstraßen, zuerst für die Herstellung von Motorblöcken für Automobile entwickelt. Allerdings kann keine Rede davon sein, daß die Entwicklung im Fertigungsbereich bei der Herstellung von Maschinenteilen auf immer größere Stückzahlen hinausläuft, im Gegenteil. Seit einigen Jahren sind aber auch für kleine Stückzahlen Produktionssysteme in Entwicklung, die Flexibilität (rasche Umstellbarkeit auf immer andere Fertigungsprogramme) mit kontinuierlicher Produktion verbinden: die sogenannten flexiblen oder integrierten Fertgiungssysteme (vgl. Weck 1978). Hier gibt es keine Unterbrechung des Produktionsablaufs durch Rüstvorgänge (Ein-, Ausspannen usw.). Die Prozeßdatenverarbeitung steuert hier, neben der eigentlichen Fertigung, die Hilfsprozesse der Handhabung, des Transports, der Lagerung und der Montage; die einzelnen Maschinen sind entkoppelt durch wahlfreien Werkstückzugriff und interne Werkstückpuffer. Mit'den Mikroprozessor-Steuerungen und der Entwicklung geeigneter Software werden solche flexiblen Fertigungssysteme zunehmen. Die wenigen Angaben bei Weck (1978) weisen darauf hin, daß in den flexiblen Fertigungssystemen der Arbeitsplatz ebenfalls aus der unmittelbaren Produktion herausgezogen wird. Mit Blick auf diese Entwicklung können wir also davon sprechen, d?ß der typiARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
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sehe Automationsarbeitsplatz in Verfahrens- und Fertigungstechnik von der unmittelbaren Produktion abgeschlossen ist. Wir behandeln im folgenden nur die Verfahrenstechnik und unterstellen dabei, daß bei weiterer Entwicklung flexibler Fertigungssysteme in der Fertigungstechnik ähnliche Arbeitsplätze entstehen werden.
Welcher Art ist nun die Sinnesbeziehung zwischen Produktionsmittel und Meßwart? Wie sein Name schon sagt: er mißt. Genauer: er liest Meßwerte ab. Festzustellen, daß in einem Kessel ein Druck von 2 at herrscht, stellt für ihn kein Problem dar, es ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Dabei ist es ein sehr zusammengesetzter Vorgang. Nur bei Kulturzusammenstößen — etwa, wenn automatische Fabriken in unterentwickelten Ländern in Betrieb genommen werden oder Arbeitsemigranten von dort sich in der industriellen Zivilisation zurechtfinden müssen — wird auffällig, daß in das Ablesen eines Meßwerts eine ganze Welt von Bedingungen eingeht: die Entwicklung der Meßtechnik, die Herausbildung physikalischer Größen wie Druck, Einheiten wie Atmosphäre und Zahlen; vorausgesetzt ist nicht nur der Arbeiter einer alphabetisierten und artithmetisierten Gesellschaft, sondern überdies seine Fähigkeit, den gegliederten Ausdruck aus Größen, Einheiten und Zahlen interpretieren zu können (zu »verstehen«). Wenn wir das Bild vom bewußtlosen Knöpfchendrücker ersetzen durch die Vorstellung vom Meßwerte ablesenden Automationsarbeiter, wären wir nicht sehr weit gekommen. Ohne das Problem, das mit dieser Tätigkeit gelöst werden soll, bleibt die Beschreibung so unsinnig wie ein Film über einen Boxkampf, aus dem man den Gegner herausgeschnitten hat. Wir müssen also fragen: was sind die Probleme, die der Automationsarbeiter zu lösen hat, und warum sind sie hierzu auf quantifizierende Prozeßdarstellungen der eingangs vorgeführten Art angewiesen? Grundsätzlich ist die Stellung der Arbeiter im automatischen Produktionsprozeß dadurch bestimmt, daß sie nicht als Dauerregler wirken, sondern einen selbsttätig sich regelnden Prozeß überwachen und nur in Ausnahmefällen manuell eingreifen. Im Vordergrund steht also nicht das Bedienen, sondern das Überwachen, man spricht deshalb auch davon, daß sie keine Öperatorfunktbn haben, sondern eine Monitorfunktion. Bei vorautomatischer Produktion sind die ständigen Prozeßeingriffe mit Überwachungstätigkeiten verknüpft. In der automatisierten Produktion treten Überwachen und manuelle Regelung auseinander. Allerdings gibt auch diese Trennung von Eingreifen und Überwachen noch keinen ausreichenden Sinn. Der Dreh- und Angelpunkt ist genau der Zusammenhang zwischen Überwachen und Eingreifen: Beim Überwachen geht es darum festzustellen, ob ein Eingriff notwendig ist. Es gibt drei Situationen, in denen der Meßwart in den Prozeß eingreifen muß: bei Störungen, beim »An- und Abfahren« der Anlage, bei »geARGUMENT-SONDERBAND AS 55
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zielten Laständerungen«. Beim An- und Abfahren« ist er, im Unterschied zur Störung, auf die verschiedenen Betriebsphasen vorbereitet, er kennt den zeitlichen Ablauf und weiß, welche Informationen und welche Eingriffe in welcher Phase notwendig sind. Die Tätigkeiten beim An- und Abfahren und bei gezielten Prozeßveränderungen sind nur graduell verschieden. Wir beschränken uns im folgenden auf die Tätigkeiten in Störsituationen, da uns für sie die meisten Informationen vorliegen. Bei der Überwachung geht es also darum, festzustellen, ob ein Eingriff notwendig ist. Der Eingriff wird notwendig, wenn der Ablauf des Prozesses vom Normalen abweicht. Diese Norm ist — bei automatischen Prozessen — nichts Ideelles, sondern technisch festgelegt, d.h. sie wird gewöhnlich ohne Zutun des Menschen automatisch realisiert. Beim Überwachen wird der wirkliche selbsttätige Prozeßverlauf daraufhin überprüft, ob er mit der technisch festgelegten Norm übereinstimmt, in regelungstechnischer Sprache: ob der Istwert dem Sollwert entspricht, oder ob eine Regelabweichung vorliegt. In dieser ersten Phase der Überwachungstätigkeit geht es noch nicht darum, was die Ursachen für die Abweichung sein könnten, sondern nur, ob eine Abweichung überhaupt vorliegt. In Anlehnung an die medizinische Fachsprache kann man sagen: Es geht hier erst um den Störungsöefi/ncf, noch nicht um die Störungsdiagnose. Der Blick, den der Meßwart auf ein Anzeigengerät wirft, ist dabei durch die elementare kognitive Operation des Vergleichens von Ist- und Sollwert strukturiert. Quantitäten spielen noch keine Rolle, nur die Frage, ob eine Abweichung vorliegt, ja oder nein. Deswegen werden die quantifizierenden Anzeigengeräte für diese Funktion auch häufig durch binäre Signale ergänzt: optische oder akustische Störmelder (Alarmsignale). Der Denkaufwand zur Erhebung des Störungsbefunds wird so auf ein Minimum reduziert: auf das Identifizieren des Signals als Störungssignal (statt beispielsweise als störendes Umweltgeräusch) und die Zuordnung zur entsprechenden Meßstelle (beispielsweise durch Ablesen eines entsprechenden Textes unter der Alarmlampe). Durch entsprechende Gestaltung der Arbeitsmittel wird dafür gesorgt, daß diese Tätigkeiten reibungslos ablaufen. Die Störungserkennung wird so zum Kinderspiel, zur Selbstverständlichkeit. Das macht es schwer, danach zu fragen, was denn bei dieser Vergleichsoperation genau getan wird, welche »Abstraktionen« auf Seiten des Prozesses stattfinden, und welche auf Seiten des Automationsarbeiters. Größen Welche Rolle spielt das Vergleichen im Arbeitsprozeß allgemein? Bei der Herstellung von Gebrauchswerten wird der herzustellende GeARGUMENT-SONDERBAND AS 55 ©
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Teil III
brauchswert antizipiert. Dabei wird der jeweils gegenwärtige Produktionsstand mit einem vergegenwärtigten Gebrauchswert verglichen. Der Vergleich wird durchgeführt, um bei Ungleichheit die Gleichheit praktisch herzustellen. So wird Wissen durch Nachbildung vergesellschaftet. Jetzt kann man beispielsweise einen Längenunterschied durch Aneinanderhalten direkt sehen. Diese Formulierung ist irreführend: sie unterstellt, daß so etwas wie »Länge« außerhalb der Vergleichsoperationen existiert. Der entscheidende Punkt ist jedoch, daß die physikalische Größe »Länge« durch solche Vergleichsoperationen überhaupt erst konstituiert wird. Jedes Vergleichen setzt Unterschiedenes gleich. Prüfe ich, ob der Gegenstand X so lang wie der Gegenstand Y ist, findet in der Vergleichsoperation stillschweigend zugleich ein Gleichsetzungsakt statt: es wird von allerlei Eigentümlichkeiten abgesehen, auch zunächst von der Unterschiedlichkeit der Größe und beide Gegenstände werden auf »Länge« reduziert. Bei den Größen »Länge« und »Gewicht« ist die Gleichsetzung von Verschiedenem unmittelbar anschaulich: da werden etwa zwei verschiedene Gegenstände nebeneinandergehalten oder den einen in der einen, den andern in der andern Hand haltend, gegeneinander abgewogen. Auch die Zeit wird durch die Gleichsetzung verschiedener Prozesse konstituiert: »aufstehen, wenn die Sonne aufgeht« heißt, die Bewegung von Himmelskörpern und menschliche Tätigkeiten in einer Hinsicht gleichzusetzen. Solche Gleichsetzungstätigkeiten stellen menschheits- und individualgeschichtlich den Ausgangspunkt für die Bildung physikalischer Größen dar. Sie sind aber auch in den raffiniertesten Meßtechniken auf heutigem Produktivkraftniveau noch als Grundform enthalten. Wenn ein Meßwart einen Blick auf ein Anzeigengerät wirft und feststellt, daß mit dem Druck etwas nicht in Ordnung ist, ist diese Vergleichsoperation also funktional bestimmt durch ihre Stellung in einem Rückkoppelungsvorgang. Miller, Galanter und Pribram (1973) nennen die Elementarformen der Tätigkeit deshalb TOTE-Einheit: Test-OperateTest-Exit, Hacker (1978) spricht von einer WR-Einheit: Vergleichs-Veränderungs-Rückkopplungs-Einheit. Wir hätten es demnach bei der Erhebung des Störungs-Befundes, mit der ersten Phase, dem Test oder Vergleich zu tun. Dieses kybernetische Modell ist nach den bisherigen Überlegungen jedoch in folgender Hinsicht zu verbessern. Beim »Test« oder »Vergleich« (z.B. der Länge, des Gewichts, der Zeit) findet, wie dargelegt, eine Gleichsetzung statt auch bei festgestellter Ungleichheit, nämlich die Reduktion verschiedener Dinge oder Vorgänge auf eine gemeinsame Größe (wie Länge, Gewicht, Zeit). Dieser Prozeß, der das eigentliche theoretische Problem und den fundamentalen praktischen Vorgang darstellt, wird im Rückkopplungsmodell als selbstverständlich vorausgesetzt, also nicht selbst begriffen. Das ARGUMENT-SONDERBAND AS 55
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Abstraktion und Anschauung
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technische Interesse an Quantitäten macht blind gegenüber der Basis des ganzen Prozesses. Das Rückkopplungsmodell erklärt die Regulierung von Quantitäten wie das Konkurrenzmodell der Vulgärökonomie die Regulierung von Preisen. Demgegenüber wäre zunächst einmal die Fragestellung der klassischen bürgerlichen Ökonomie einzuführen: was denn das dabei vorausgesetzte Gleiche ist. Der Produktionszusammenhang wird behandelt als aus wenigen physikalischen Größen zusammengesetzt — Druck, Temperatur, Volumen, Durchfluß usw. Diese Größen werden konstituiert in Operationen, deren Elementarform die Gleichsetzung unterschiedlicher Naturphänomene ist. Die Größe »Druck«, die der Meßwart überprüft, existiert also nur als Verhältnis verschiedener Naturphänomene zueinander, und zwar als durch menschliche Tätigkeit hergestelltes Verhältnis