Projektgruppe Automation und Qualifikation Band VI: Automationsarbeit: Empirische Untersuchungen Teil 3 3920037154, 3920037901, 3920037510, 392003712X, 3886190048, 3886190056

Private Vergesellschaftung nennen wir den Widerspruch: eine Produktion, die immer noch Privatbesitz ist und zugleich nur

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Table of contents :
Vorwort.... 411
Teil IV: Private Vergesellschaftung 415
Erstes Kapitel: Das Gebrauchswertproblemr 415
1. Integration durch Vergesellschaftung.. 415
Verantwortung ohne Selbstbestimmung? — Nutzen für andere
statt Fremdbestimmung?
2. Gebrauchswert und Profit 426
Sparen — Markt — Kosten — Ökonomisch denken
3. Produzentenstolz und Umweltschutz. 432
Die Grenzwerte —- Alternativen — Wahrnehmung — Betriebsfamilie — Sportverein
Zweites Kapitel: Das Planungsproblem 445
1. Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien 445
Werte in der Technik — Datenverfügung und Unternehmerkontrolle — Vereinnahmung für fremde Standpunkte
2. Kampf um die Daten 456
Aneignung und Enteignung — Zeitreserven und Ärbeitsqualitäten
— Maschinen kontrollieren — Von der Kontrolle des Arbeitsablaufs zur Betriebsleitung
Drittes Kapitel: Das Kooperationsproblem 473
1. Gruppenbildung und Hierarchie 473
Kollektive Subjektivierung — Privatisierung der Kollektive — Das
Gruppenprivate — Die Kumpel — Die Menschlichen
2. Neue Hierarchien 497
Viertes Kapitel: Der gesellschaftliche Schein von
Unternehmerstrategien 505
Entlehnungen aus der Kommune 505
1. Die Brigade 514
Kollektive Vereinzelung — Etwas darstellen — Besser sein —
Produktiv sein — Sich zusammenraufen —• Gewinnen — Die
Führer — Produktion als Schlacht
'
ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©IV
2. Der Wettbewerb 555
Der Betrieb als Sportplatz — Das Preisausschreiben — Selbstbeurteilung — Die Gruppenprämie
3. Die Neuerer.. ... 571
Betriebliches Vorschlagswesen — Mitdenken und Mithandeln —
Arbeitssicherheit erhöhen — Ausprobieren dürfen — Anerkannt
werden — Herausgehoben werden — Zur Messe geschickt werden
Literaturverzeichnis 594
Sachregister 603
Über die Autoren 606
Abbildungsverzeichnis
54 Autonomie und Hierarchie...: 420
55 Datenverfügung und Kontrolle 449
56 Schichtprotokoll zu Seite 466 607
57 Computerhierarchie 471
58 Vergesellschaftungsformen und kollektive Praxen 485
59 Hierarchien in Rechenzentren 502
60 Selektionsformen und Aufbaubeteiligung 520
ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©
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Projektgruppe Automation und Qualifikation Band VI: Automationsarbeit: Empirische Untersuchungen Teil 3
 3920037154, 3920037901, 3920037510, 392003712X, 3886190048, 3886190056

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AUTOMATIONSARBEIT: EMPIRIE 3 AS 67

Projektgruppe Automation und Qualifikation Band I: Automation in der BRD Entwicklung der Produktivität, Arbeitskräftestruktur und Staatstätigkeit; Genese der Automation; Ausbreitung der Datenverarbeitung; Automation in Verwaltung, Handel und Bankwesen; Automation in der Produktion »... daß sich die Studie durch eine Fülle statistischen und empirischen Materials auszeichnet, weil das für jeden von Bedeutung ist, der sich mit dem Komplex Automation beschäftigt.« (R. Katzenstein in: Blätter für deutsche u. intern. Politik 12/75) (AS 7: ISBN 3-920037-15-4) 18,50 DM (f. Stud. 15,00) Band II: Entwicklung der Arbeitstätigkeiten und die Methode ihrer Erfassung Entwicklung der menschlichen Arbeit, Entwicklung der Lohnarbeitstätigkeiten, exemplarische Analyse des Spinnens, Leitfragen für die Analyse der Automationsarbeit »... ist der Band weit über den Kreis der Industriesoziologen hinaus zu empfehlen — die Verwendung für Schule oder gewerkschaftliche Bildungsarbeit bietet sich geradezu an.« (Kaspar Maase in: Deutsche Volkszeitung 12/79) (AS 19: ISBN 3-920037-90-1) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) Band III: Theorien über Automationsarbeit Qualifikation, Kooperation, Autonomie; Positionen zur Entwicklung der Automationsarbeit; Tabellarischer Überblick über Untersuchungen zur Automationsarbeit »Parteilichkeit der Wissenschaft heißt hier konkret, nicht erneut das Alte, Negative zu beschreiben, sondern den Versuch zu wagen, Ansätze für einen positiven Gesellschaftsentwurf zu entwickeln.« (Christiane Preiß in: Nachrichten 8/79) (AS 31: ISBN 3-920037-51-0) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) Band IV: Automationsarbeit: Empirische Untersuchungen, Teil 1 Überlegungen zu einer inhaltlichen Methode; Neue Produktionsstrukturen: Berufe, Arbeitsplätze, Innovation, Produktivkraft Automation, Anforderungsstruktur; Vergesellschaftung der Privaten: Aneignung, Kollektivität »Die wissenschaftliche Diskussion und Auseinandersetzung um die Entwicklungstendenzen der menschlichen Arbeit erhält durch die vorliegende Studie zahlreiche neue Impulse.« (Reinhard Bispinck in: WSI-Mitteilungen 12/80) (AS 43: ISBN 3-920037-12-X) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) Band V: Automationsarbeit: Empirische Untersuchungen, Teil 2 Vergesellschaftung der Privaten: Kommunikation, Abstraktion und Anschauung, die Qualität der Zeit, Tugenden der Facharbeiter, Nachdenken über den Gebrauch der Dinge, Kooperationslernen (AS 55: ISBN 3-88619-004-8) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) Band VI: Automationsarbeit: Empirische Untersuchungen, Teil 3 Private Vergesellschaftung: das Gebrauchswertproblem, das Planungsproblem, das Kooperationsproblem, der gesellschaftliche Schein von Unternehmensstrategien (AS 67: ISBN 3-88619-005-6) 15,50 DM (f. Stud. 12,80) in Vorbereitung: Band VII: Arbeiterformen/Fragen der Gewerkschaftspolitik (AS 79)

ARGUMENT-Verlag

Vertrieb: Tegeler Str. 6, D 1000 Berlin 65, Tel. 030/4619061

ARGUMENT-SONDERBÄNDE (AS) Die Taschenbuch-Reihe im ARGUMENT-Verlag AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS

47 48 49 50 51 52 53 57 59 60 62

Materialistische Kulturtheorie und Alltagskultur Jahrbuch für kritische Medizin 5: BdWi-Gesundheitstagung 1979 Forum Kritische Psychologie 6: Handlungsstrukturtheorie. Aktualisierung Brechts. Sozialliberalismus oder rechter Populismus? Alternative Wirtschaftspolitik 2: Probleme der Durchsetzung Jahrbuch für Kritische Medizin 6 Gulliver 8: Commonwealth und Dritte Welt Forum Kritische Psychologie 7: Therapie PIT: Faschismus und Ideologie 1 PIT: Faschismus und Ideologie 2

Frühjahr/Sommer 1981 AS 54 Materialistische Wissenschaftsgeschichte: Evolutionstheorie (soeben erschienen) AS 55 Projekt Automation und Qualifikation V: Automationsarbeit: Empirie 2 (soeben erschienen) AS 56 Alternative Umweltpolitik (August 1981) AS 58 Die Wertfrage in der Erziehung. Schule und Erziehung VIII (soeben erschienen) AS 61 Selbstverwaltung. Internationale Sozialismus-Diskussion 1 (August 1981) Programm 1981 AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS AS

63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74

Entstehung der Arbeiterbewegung Prävention — Medizin und Politik/Soziale Medizin IX Gulliver 9: »Zweite Kultur« in England, Irland, Schottland, USA Forum Kritische Psychologie 8: Handlungsstrukturtheorie 2 Projekt Automation und Qualifikation VI: Empirie 3 Alternative Wirtschaftspolitik 3: Das Inflationsproblem Gewerkschaften und Gesundheit PIT: Bereichstheorien Gulliver 10: Women — Zwischen Voluntarismus und Revolution Forum Kritische Psychologie 9: Ideologie-Diskussion Jahrbuch für kritische Medizin 7 Deutsche Arbeiterbewegung vor dem Faschismus

Auswahl-Abo: mind. 3 Bände des laufenden Jahrgangs. Abo-Preis pro Band: 12,80 (statt 15,50), f. Stud. 11,- (statt 12,80) zzgl. 1.50 Versandkosten. GULLIVER bzw. FORUM KRITISCHE PSYCHOLOGIE - Abo: jeweils 2 Bände im Jahr zu Abo-Preisen. Das Argument-BEIHEFT '79 und '80: jeweils ca. 100 Besprechungen zu den wichtigsten wissenschaftlichen Neuerscheinungen. Je 192 S., 15,50 DM, f. Stud. 12,80. Abonnenten der Zeitschrift bzw. der AS: 12,80 bzw. 11,— DM.

Private Vergesellschaftung nennen wir den Widerspruch: eine Produktion, die immer noch Privatbesitz ist und zugleich nur noch gesellschaftlich. Die Anstrengungen der Unternehmer sind enorm. Wie im Wettlauf von Hase und Igel sind sie schon immer da. Je mehr Kenntnisse, je mehr Verantwortlichkeit, je mehr Durchblick die Arbeitenden haben, desto sicherer sind schon die Auffangsstrategien geplant. Wie sie funktionieren, wie die Verhältnisse für den Privatbesitz arbeiten, studieren wir. Wie die Arbeitenden sich in die Widersprüche verwickeln und das Private für Gesellschaftliches halten und umgekehrt, sind keine spitzfindigen Untersuchungen, die bedeutungslos sind gegenüber den Problemen der Arbeitslosigkeit und von dem nächsten Arbeitskampf überholt werden. Gewerkschaftliche Gegenstrategien sind nicht einmal mehr defensiv, wenn sie nicht kennen, worauf sie reagieren. Wie die Unternehmer das Problem lösen, Lohnarbeiter automatisiert produzieren zu lassen, und wie sie eigene Strategien des Umgangs mit dem Neuen bauen, ist Gegenstand dieses Bandes.

ISBN 3-88619-005-6

Projektgruppe Automation und Qualifikation Band VI: Automat ionsarbeit: Empirische Untersuchungen Teil 3

ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

Interdisziplinäres Projekt am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin Projektgruppe Automation und Qualifikation: Frigga Haug (Leitung), Hannelore May, Rolf Nemitz, Christof Ohm, Nora Räthzel, Werner van Treeck, Thomas Waldhubel, Silke Wenk, Gertiard Zimmer

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Psychologisches Institut «Berlin West» / Projektgruppe Automation und Qualifikation:

Projektgruppe Automation und Qualifikation: [interdisziplinäres Projekt am Psycholog. Inst, d. Freien Univ. Berlin] / [Frigga Haüg (Leitung) ...].-Berlin: Argument-Verlag (Das Argument: Argument-Sonderbd.;...) NE: Haug, Frigga [Hrsg.]; HST Bd. 6: Automationsarbeit: empir. Unters. — Berlin: Argument-Verlag Teil 3. - 1 . — 4. Tsd. — 1981. (Projektgruppe Automation und Qualifikation ; (Bd. 6) (Das Argument: Argument-Sonderbd.; AS 67) ISBN 3-88619-005-6 NE: Das Argument / Argument-Sonderband ISBN 3-88619-005-6

Copyright © Argument-Verlag GmbH Berlin 1981. Alle Rechte — auch das der Übersetzung — vorbehalten. -— Redaktion und Verlag: Altensteinstr. 48 a, 1000 Berlin 33, Telefon 030/8314079. — Auslieferung: Argument-Vertrieb, Tegeler Strafte 6,1000 Berlin 65, Telefon: 030/4619061. — Satz: Barbara Steinhardt, Berlin. — Herstellung: alfaDruck, Göttingen. — Umschlaggestaltung: Sigrid von Baumgarten und Hans Förtsch. — 1.-4. Tausend: 1981

Inhalt Vorwort....

411

Teil IV: Private Vergesellschaftung

415

Erstes Kapitel: Das Gebrauchswertproblemr

415

1.

Integration durch Vergesellschaftung.. Verantwortung ohne Selbstbestimmung? — Nutzen für andere statt Fremdbestimmung?

415

2.

Gebrauchswert und Profit Sparen — Markt — Kosten — Ökonomisch denken

426

3.

Produzentenstolz und Umweltschutz. Die Grenzwerte —- Alternativen — Wahrnehmung — Betriebsfamilie — Sportverein

432

Zweites Kapitel: Das Planungsproblem

445

1.

Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien Werte in der Technik — Datenverfügung und Unternehmerkontrolle — Vereinnahmung für fremde Standpunkte

445

2.

Kampf u m die Daten Aneignung und Enteignung — Zeitreserven und Ärbeitsqualitäten — Maschinen kontrollieren — Von der Kontrolle des Arbeitsablaufs zur Betriebsleitung

456

Drittes Kapitel: Das Kooperationsproblem

473

1.

Gruppenbildung und Hierarchie Kollektive Subjektivierung — Privatisierung der Kollektive — Das Gruppenprivate — Die Kumpel — Die Menschlichen

473

2.

Neue Hierarchien

497

Viertes Kapitel:

Der gesellschaftliche

Schein von

Unternehmerstrategien

505

Entlehnungen aus der Kommune

505

1.

514

Die Brigade Kollektive Vereinzelung — Etwas darstellen — Besser sein — Produktiv sein — Sich zusammenraufen —• Gewinnen — Die Führer — Produktion als Schlacht '

ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

IV 2.

3.

Der Wettbewerb

Der Betrieb als Sportplatz — Das Preisausschreiben — Selbstbeurteilung — Die Gruppenprämie

Die Neuerer..

...

Betriebliches Vorschlagswesen — Mitdenken und Mithandeln — Arbeitssicherheit erhöhen — Ausprobieren dürfen — Anerkannt werden — Herausgehoben werden — Zur Messe geschickt werden

Literaturverzeichnis Sachregister Über die Autoren

555

571

594 603 606

Abbildungsverzeichnis 54 55 56 57 58 59 60

Autonomie und Hierarchie...: Datenverfügung und Kontrolle Schichtprotokoll zu Seite 466 Computerhierarchie Vergesellschaftungsformen und kollektive Praxen Hierarchien in Rechenzentren Selektionsformen und Aufbaubeteiligung

ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

420 449 607 471 485 502 520

I n h a l t v o n B a n d IV ( A S 43) A u t o m a t i o n s a r b e i t , E m p i r i s c h e U n t e r s u c h u n g e n , Teil 1 Prolog: Gang durch eine automatische Fabrik Obersicht 1: Das Sample Teil I: Überlegungen zu einer inhaltlichen Methode Erstes Kapitel: Theorie und Empirie 1. Das Standpunktproblem 2. Das Hypothesenproblem 3. Das Statistikproblem 4. Das Theorieproblem — Eigenes Verfahren 5. Das Prognoseproblem Zweites Kapitel: Erhebungsinstrumente 1. Informanten 2. Beobachtung 3. Interview 4. Gruppendiskussion 5. Dokumentenanalyse Drittel Kapitel: Auswertung 1. Illustratives Denken 2. Indikatordenken 3. Progressive Problemverschiebung 4. Tabellenkonstruktion 5. Anforderungsstruktur 6. Ansatzdenken 7. Neues Denken ermöglichen Übersicht 2: Entwicklung der Methoden in Untersuchungen zur Automationsarbeit Teil II: Neue Produktionsstrukturen Erstes Kapitel: Berufe 1. Neue Berufsnamen 2. Aufgehobene Tätigkeiten Zweites Kapitel: Arbeitsplätze 1. Der Arbeiter rückt auf strategischen Posten 2. Verantwortung für fremdes Eigentum 3. Verallgemeinerung der Arbeitsvorbereitung Drittes Kapitel: Innovationen 1. Neuerung als Alltag 2. Unternehmermotive beim Automatisieren 3. Automatisierungshemmnisse Viertes Kapitel: Produktivkraft Automation 1. Logisierung 2. Mathematisierung 3. Störungsregulierung 4. Experimentieren Fünftes Kapitel: Anforderungsstruktur Teil III: Vergesellschaftung der Privaten Erstes Kapitel: Aneignung 1. Vorzüge praktischen Denkens 2. Von-Hand-Fahren 3. Rundgänge durch die Produktion 4. Spielen mit der Anlage Zweites Kapitel: Kollektivität 1. Kooperation der Vereinzelten 2. Kampf um die Teilung der Arbeit 3. Begegnungen 4. Einsame Zusammenarbeit 5. Aufgabe der Untergebenen

N

ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

VI Inhalt v o n Band V (AS 55) A u t o m a t i o n s a r b e i t , E m p i r i s c h e Untersuchungen, Teil 2 Teil III: Vergesellschaftung der Privaten Drittes Kapitel: Verwissenschaftlichung 1.

2. 3.

4.

Abstraktion und Anschauung Hitze / Lärm / Gestank / Schmutz — Sinnesbeziehungen bei Überwachungstätigkeiten — Größen — Maßeinheiten — Quantität des Sollwerts — Zusammenhänge zwischen Größen — Störungssuche — Präsentationsformen des Meßwerts — Informationszentralisierung — Konzeptionen und Fragen zur Anlagengestaltung — Informationstheorie — Entfernung unter entfremdeten Bedingungen — Anlagenpolitik — Fenster zu den Anlagen — Arbeitsphysiologie — Handlungsstrukturtheorie — Kelleys Theorie der manuellen und automatischen Regelung Kommunikation Maschinen als Verständigungsmittel — Verständigung mit Maschinen — Verständigung über die Aufgaben Zeitpraxen Mehrdimensionale Zeitstruktur — Interventionsunabhängige Prozeßzeiten — Dispatchen — Programmierte Zeit — Arbeitszeit und Lebenszeit — Exkurs: Kampf um die Zeit Beteiligung an der Produktivkraftentwicklung Arbeiterfaulheit — Unsichtbares Sehen — Theoretisierende Produktionspraxis — Exkurs; Facharbeiterkrise

Viertes Kapitel: Gesellschaftliche Individualität 1. Tugenden der Facharbeiter 2. Nachdenken über den Gebrauch der Dinge Maximieren, Minimieren, Optimieren — Die Vereigenschaftung von Anforderungen — Der Mensch ohne Eigenschaften — Zerstören, Vergeuden, Nichtauslasten, Mitbestimmen — Der Windmacher — Der Beamte Übersicht: Wie die Unternehmer sich Automationsarbeiter wünschen. Katalog der Eigenschaften 3. Kooperationslernen Kooperativst durch Konkurrenz — Verträglichkeit — Mannschaftsgeist — Zivilcourage Inhalt v o n B a n d VII (ÄS 79) Teil V: Arbeiterformen Erstes Kapitel: Tätigkeiten Zweites Kapitel: Lebensläufe Teil VI: Zusammenfassung und Fragen der Gewerkschaftspolitik Mitbestimmung, Technologiepolitik, Managementpolitik, Arbeits- und Betriebspsychologie, Humanisierung, Resttätigkeiten, Lohn, Datenschutz, Ausbildung, Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Alternative Wirtschaftspolitik ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Vorwort »Vergesellschaftung der Privaten« heißt der Teil III unserer empirischen Untersuchungen. »Private JVergesellschaftung« der hier beginnende Teil IV. Wortspielerei? Wir wollen markieren, daß unser Gegenstand eine Widerspruchsbewegung ist. Daß wir bei der Analyse der einzelnen Seiten zwar abstrahieren, aber doch den Zusammenhang im Auge behalten. Mit früheren Versuchen, einen Beitrag zur Untersuchung der Automationsarbeit in Privatverhältnissen zu leisten, handelten wir uns schwerste Vorwürfe ein. Im theoretischen Organ der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, »konsequent«, bescheinigten uns Autoren unter Pseudonym: »Auffassungen welche den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt im Kapitalismus, den wachsenden gesellschaftlichen Charakter der Produktion, die Prozesse der Annäherung körperlicher und geistiger Arbeit, die historische Tendenz der Höherqualifikation der Werktätigen, die durch die ökonomische Entwicklung bedingten Veränderungen in der Klassenstruktur verabsolutieren und dabei zu Schlußfolgerungen kommen, die mit der marxistisch-leninistischen Analyse des staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht übereinstimmen.« (Bach, Krugs, Mühler 1977, S.70)

Mickler, Dittrich und Neumann (1976) grenzten uns als »Vertreter der Stamokap-Theorie« aus (S.14). So fanden wir uns zwischen den Stühlen. Die Komik geht auf Kosten der wissenschaftlichen Diskussionskultur. Die einen rechnen mit anti-kommunistischen Rezeptionsbahnen, die anderen entziehen die Legitimationsgrundlage, obgleich weder Marx noch Lenin eine Stamokap-Analyse hinterlassen haben, sondern grundlegende Beiträge zum Begreifen der kapitalistischen Gesellschaftsformation ihrer Zeit. Ein international gestreutes Kollektiv von Wissenschaftlern, die für die Emanzipation denken, baut auf ihnen auf und streitet, das Heute zu verstehen. Welches sind die ketzerischen Schlußfolgerungen? Man kennt sie schon von Hilferding, jenem »Technikoptimisten« der Vor-Automation (S.68f.): »Wer die kapitalistische Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts kritisiere oder ihn indirekt, durch Bekämpfung seiner für die Arbeiterklasse schädlichen Folgen, in seiner Entwicklung behindere, verstoße — und sei es unbewußt — gegen die objektiven Interessen der Werktätigen. Danach wird die Förderung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung zur entscheidenden Bedingung des gesellschaftlichen Fortschritts im heutigen Kapitalismus überhaupt... Konsequent weitergedacht muß es nach dieser Analyse Aufgabe einer 'einsichtigen Arbeiterklasse' sein, die Einführung der Automation auch in der kapitalismusspezifischen Ausprägung als Rationalisierung zu fördern. Daß eine solche Strategie nicht im Interesse der Arbeiter ist ...« (S.70f., Hervorh.d.d.Verf.) ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 C

412

Vorwort

Nun, das wissen auch wir (vgl. zu Vorwürfen mit ähnlicher Struktur: W. Rügemer 1977 und die Antwort von Haug und Nemitz 1977). Unsere Versuche, die Unverträglichkeit der Automationsarbeit mit kapitalistischen Eigentumsverhältnissen aufzuweisen, treffen auf eine eigentümliche Rezeptionshaltung. Gemessen an der Wirklichkeitsvielfalt ist unser Beitrag winzig, aber von zentraler Bedeutung, weil er die Art des Arbeitens erhellt. Wenn wir hier Neues sich entwickeln sehen, wird das sofort als Politikvorschlag aufgefaßt, die Emanzipation der Arbeiter in die Hände des Neuen zu legen. Dieser Verwechslung von Politik und Wissenschaft liegt eine Struktur mit eingebauter Erkenntnisfeindlichkeit und Denkhemmung zugrunde. An Wissenschaft wird der Anspruch gerichtet, neue Erkenntnisse zu produzieren und die umfassenden gesellschaftlichen Strategien gleich mitzuliefern. Natürlich können einzelne Wissenschaftler und auch Kollektive diesem Anspruch nicht genügen, zu vielfältig und umfassend sind die Probleme der politischen Kämpfe. Ist der Anspruch nicht erfüllt, kann auch die Politik beim Alten bleiben. Diese Struktur organisiert, daß aus dem Bewußtsein der Betroffenen völlig verschwindet, daß es die Aufgabe der politisch Handelnden ist, selbst die wissenschaftlich produzierten Erkenntnisse aufzugreifen, für ihre Politik zu nutzen und in eine Gesamtstrategie einzubauen. Im Effekt wird der immer neuen Wirklichkeit mit den immer gleichen alten Gedanken begegnet. Unheimlich wird uns, wenn die »konsequent«-Autoren diese Ausgrenzung von Wissenschaft aus der Politik im Namen des Widerspruchdenkens betreiben. So sehen sie die »Dialektik vön Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen« (S.75) durch uns vernachlässigt und halten uns die »allgemeine Verschärfung der kapitalistischen Widersprüche« entgegen (S.77). Von »Zuspitzung der Widersprüche« reden, kann folglich Unterschiedliches bedeuten. »Die Einführung neuer Produktionsmethoden kann man begrifflich nach Intensivierung und Automation unterscheiden. Sie kann aber in ihrer realen kapitalistischen Verlaufsform als Rationalisierung und in ihren Auswirkungen auf die Produzenten nicht in eine Entwicklung der materiellen Produktivkräfte 4an sich' und eine nachträglich dieser Entwicklung aufgestülpte kapitalistische Rationalisierung zergliedert werden, die lediglich an der Verausgabung der lebendigen Arbeit ansetzt, bloß Intensität und Organisation ,der Arbeit usw. betrifft. Die Rationalisierung als Mittel verschärfter Ausbeutung kann ... die Po-, tenzen der Hauptproduktivkraft, der lebendigen Arbeit, nur in verstümmelter Form entwickeln oder muß sie brachlegen. (...) Im Prozeß der kapitalistischen Rationalisierung ... ist zwangsläufig der Gegensatz der Vermehrung des Reichtums für das Kapital und der Brachlegung der schöpferischen Möglichkeiten der Arbeiterklasse eingeschlossen.« (S.80) »Durch die technische Entwicklung spitzt sich der Widerspruch zwischen gesamtgesellschaftlich vorhandenem Wissen und Können und dem Wissen, was im Bildungswesen verARGUMENT-SONDERBAND AS 67 O

Vorwort

413

mittelt wird, ständig zu.« (S.82)»... die Einführung der Rationalisierung durch das Kapital bedeutet für die Arbeiterklasse ... Vernichtung von Arbeitsplätzen und verschärfte Ausbeutung der Weiterbeschäftigten, Arbeitshetze, Streß, Dequalifizierung ...«(S.83)

Es fällt auf: Unter widersprüchlichen Bewegungen fassen die Autoren auseinanderstrebende Entwicklungsverläufe. Was dem Kapital nützt, verschlechtert die Lage der Arbeitenden. Daß die Entwicklung so verläuft, scheint unumstößliches Vor-Wissen zu sein, welches Vorrang vor einer möglicherweise widerstrebenden Empirie hat: »Der Grad der technischen Entwicklung, also auch die Einführung automatisierter Fertigungsanlagen, bestimmt lediglich die untersten Grenzen des Qualifikationsniveaus, die aber heute noch bei den herkömmlichen Kulturtechniken wie Rechnen, Schreiben und Lesen, sowie dem Umgehenlernen mit Werkzeugen und Werkstoffen liegen.« (S.82)

Wenn vorab gewußt wird, in weiche Richtung die Entwicklung verläuft, erübrigt sich eine Untersuchung der konkreten Bewegung der Widersprüche. Das theoretische Interesse wird auf die Frage eingeschränkt: »Für wen, in wessen Interesse wird rationalisiert, für wen, in wessen Interesse finden Veränderungen im Bildungswesen statt?« (S.83)

Die Antworten auf diese Fragen sind ebenso klar und entlasten davon, das Wie empirisch zu erforschen. Die Auffassung, daß jede Entwicklung zum Nachteil für die Arbeitenden gerät, wird offenbar von einem Politikverständnis getragen, welches auf die Verelendung setzt. Zuspitzung der Widersprüche hieße dann Steigerung der Arbeitslosigkeit. Wir leugnen stattfindende Verschlechterungen nicht. Wir wenden uns aber gegen ein Widerspruchsdenken, welches von der Notwendigkeit entbindet, die innere Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Produktion zu analysieren. Verändert sich die Stellung der Arbeitenden in diesem Widerspruchsverhältnis, wenn sie Automationsarbeiter werden? Wenn sich ihre Stellung verändert, verändern sich dann auch die Kampfwege aus ihrer abhängigen Lage heraus? Der Grundwiderspruch wird gebildet von der Gegensätzlichkeit gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung. Tagtäglich wird die Produktion von gegensätzlichen Kräften angetrieben. Und die Arbeitenden sind in diese Kapitalbewegung eingespannt. Die Gegensätzlichkeit geht durch sie hindurch. Zuspitzung der Widersprüche meint ein unerträgliches, explosives Ineinander der Kräfte der gesellschaftlichen Produktion und der Privatinteressen. Wie diese Zuspitzung ausgetragen wird, ist damit noch gar nicht ausgemacht. Nicht auszuschließen ist, daß die Widerspruchsverhältnisse dort am explosivsten sind, wo sich die Arbeiter wie selbstverständlich für die Profitproduktion einsetzen. Um diese Widerspruchszuspitzung in der Arbeit untersuchen zu könARGUMENT-SONDEÜBAND AS 67 ©

414

Vorwort

nen, haben wir die Verhältnisse zerlegt. In »Vergesellschaftung der Privaten« zeigten wir, welche neuen Kompetenzen sich die Arbeiter in der Automation auch unter den herrschenden Privatverhältnissen aneignen können. Im Teil »Private Vergesellschaftung« werden wir studieren, welche Konflikte sich aus der neuen Gesellschaftlichkeit des Arbeiterhandelns ergeben und welche Integrationsmaßnahmen von den Unternehmern ergriffen werden. Unsere Schritte zielen auf das Begreifen einer einheitlichen und widersprüchlichen Bewegung: Automationsarbeit unter Privatverhältnissen. Die zeitliche Abfolge der Lektüre kann ein neues Mißverständnis hervorrufen. So, als sei die Wirklichkeit der gleichen zeitlichen Abfolge unterworfen: Zuerst entwickeln sich die Arbeiter und dann treten die Unternehmer auf den Plan, weil's ihnen zu gefährlich wird. Dies ist ein Problem aller Texte. Jeder Textaufbau vermittelt seinen Gegenstand als etwas Aufgebautes. Der Textaufbau wird zu Recht als Vorschlag gelesen, wie der Aufbau des Gegenstandes zu begreifen sei. Die Schwierigkeit der Lektüre ist, die in der zergliedernden Abfolge bestimmten Aufbauelemente nicht räumlich und zeitlich getrennt, sondern als Elemente eines gleichzeitigen Funktionszusammenhangs, einer Struktur in Bewegung, zu denken. Wir muten dem Leser zu, vorübergehend Einseitigkeiten in Kauf zu nehmen, um einen Zusammenhang zu erkennen. Auch muten wir einen Umgang mit dem empirisctien Material zu, der willkürlich erscheinen mag. Einmal taucht es auf, um die eroberbare Selbstbestimmung der Automationsarbeiter vorzuführen, und dann womöglich im folgenden Teil genau gleich — nur daß es nun nach der Seite der möglichen Fremdbestimmung und Integration untersucht wird. Wir halten dieses Vorgehen nicht nur für unvermeidlich aus Gründen des Aufbaus, sondern auch für legitim. Denn es sind genau jene Elemente der Selbstbestimmung, an denen die Integrationsversuche ansetzen. Selbst wenn wir gegensätzliche Kräfte in dem Zusammenhangsverhältnis von Fremdbestimmung und Selbstbestimmung^ Entwicklung und Integration analysieren, haben wir damit das Ganze der Wirklichkeit noch nicht erfaßt. Mit diesem Ganzen hat zu tun, wer an Ort und Stelle politisch eingreift, wozu er wissenschaftlich Analysiertes heranziehen, aber die Art seines Eingreifens vom Ganzen her selbst bestimmen muß. Dazu braucht es notwendig eine Theorie des politischen Handelns. Unsere begrenzten Möglichkeiten zwangen uns zu Abstrichen vom Geplanten. Der 3. Abschnitt »Krise des dualen Systems« im Zweiten Kapitel wurde nicht rechtzeitig fertig. Dafür wird der nächste Band einen Abschnitt über Ausbildung enthalten. Der 3. Abschnitt »Der Plan« des Vierten Kapitels entfällt ganz.

415

Teil IV: Private Vergesellschaftung Erstes Kapitel: Das

Gebrauchswertproblem

1. Integration durch Vergesellschaftung Die häufig beschworene Gleichgültigkeit der Lohnarbeit ist dem im Profitinteresse betriebenen Produktionsprozeß nicht nur angemessen. Sie wird zum Problem, je mehr der Arbeiter nicht bloß als Kraft gebraucht wird, sondern als Schöpfer der Dinge, d.h. je mehr er selbst das Produkt, seine besonderen Eigenarten und den Ablauf des Produktionsprozesses qualitativ beeinflussen kann und muß, je mehr er also als Mensch gefordert ist. Die Reduktion des Arbeiters auf den Träger von Arbeitskraft und Ausführer von Bewegungen verlangte strenge Arbeitsteilung. Die Beherrschung des Gesamtprozeses — dies im doppelten Sinn — mußte arbeitsteilig, getrennt von den einzelnen Arbeitsausführungen organisiert werden. Der Arbeiter bestimmte über keinen Abschnitt der Produktion; dies schien natürlich, da von seiner Bestimmung für seine Einzelarbeit nichts abhing, er mithin auch über kein Wissen über das Ganze verfügen mußte. Die individuelle und kollektive Entmündigung ging einher mit strenger hierarchischer Arbeitsteiligung auch im Innern der Betriebe. Die Gesellschaftlichkeit ihres Handelns stellte sich den einzelnen Arbeitern auf diese Weise dar als Vereinseitigung ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten bezogen auf den Inhalt ihrer Arbeit, als Bestimmtheit durch Vorgesetzte bezogen auf die Freiheit in der Durchführung, wurde sichtbar allein an der äußeren Zusammenführung vieler Einzelarbeiter in einem Raum an einem Produktionsvorgang. Diese Organisation der Arbeit hat für den einzelnen Arbeiter wenig Vorteile, wohl aber für den Unternehmer, der kaum fürchten muß, daß die Arbeiter sich als alleinige Schöpfer der gesellschaftlichen Werte erkennen, eben weil wichtige Elemente von Planung und Leitung, von qualitativer Durchführung und Kontrolle auch inhaltlich nicht von ihnen beherrscht werden. Die Entwicklung der Produktivkräfte, von den Unternehmern vorangetrieben, um unabhängiger von der lebendigen Arbeit zu werden, greift ein in eine Komponente des eben geschilderten, für Unternehmen so zweckmäßigen, Zusammenhangs. Die Zusammenfassung der Einzelarbeiten unqualifizierter Art in ein Maschinensystem überläßt den bleibenden Arbeitern die Verantwortung für den qualitativen Ablauf des Prozesses. Erforderlich wird ihr inneres Engagement, die Begeisterung dafür, wie das Bier schmeckt, wenn man Zeiten und Durchläufe verändert und die Überlegung darum, wieviel Rohstoffe gespart werden können, wenn Fahrweisen ökonomischer geARGUMENT-SONDERBAND AS 67 C

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Teil IV

handhabt werden usw. — Gedanken, die traditionell solche der Unternehmer und ihrer Beauftragten sind, die nur gedacht werden im Marktinteresse. Diese Seite der veränderten Stellung von Einzelarbeitern im Produktionsprozeß taucht auf als Problem der »Verantwortung« für Produkt, Maschine und Arbeitsablauf. Die Selbstverständlichkeit, daß einer verantwortlich ist für das, was er tut, wird sogleich entselbstverständlicht, bedenkt man, daß die Arbeiter Lohnarbeiter sind, gekauft nur als Arbeitskräfte und nicht mit ihrem Engagement, welches notwendige Voraussetzung für Verantwortung ist. Daß dieser Widerspruch nicht zerstörerisch sich auswirkte, konnte verhindert werden durch strenge Aufsicht und Hierarchie, die möglich war auf der Basis strenger Arbeitsteilung. Eben diese Hierarchie, Aufsicht und Kontrolle wird in dem Augenblick zum äußersten Hemmnis, in dem sie zugleich extrem gefordert ist. Soll der Arbeiter nun auch noch verantwortlich sein für teure Maschinen und Anlagen, für fremde Millionenwerte, für Produkte und Abläufe, braucht er viel mehr Kontrolle; soviel, daß die Kontrolleure die Arbeit im Grunde gleich mitmachen könnten. Die Kontrolleure haben also Verantwortung, Engagement etc. für die qualitative und ökonomische Seite der Produktion. Am zweckmäßigsten wäre es, auf diese Motivation von innen bauend, die Kontrolleure zu Arbeitern zu machen oder umgekehrt die Arbeiter zu Kontrolleuren. Im wirklichen Produktionsprozeß wird dieser Prozeß auftreten als Problem der Auflösung von Hierarchie. Wo Eigenverantwortung der Arbeiter und alte hierarchische Strukturen gleichzeitig vorkommen, wird man vermutlich einen größeren Aufwand an »Führungsarbeit« finden, in der die Unternehmer als freiwillige Strategie betreiben, was sie Jahrzehnte zu verheimlichen trachteten, nämlich die Betonung des gesellschaftlichen Charakters des Produktionsprozesses und insbesondere der einzelnen Arbeit wie der besonderen Bedeutung des Gebrauchswerts und des Anteils der Einzelarbeiten an seiner Qualität. Wir haben also versucht, an den Entwicklungspunkten, an denen wir die einzelnen Betriebe antrafen, herauszufinden, wie groß der Grad an Verantwortung für Produkt, Maschine und Anlage wirklich jeweils war, und diesen Befund in Beziehung zu setzen zur tatsächlich praktizierten Arbeitsteilung und Kontrolle, also zum Grad an kollektiver Selbstbestimmung. Da nichts sich in der Wirklichkeit so rein vorfindet wie in der Theorie, nahmen wir an, daß Selbstbestimmung zwar als der größte »Motivator«, das meiste Engagement, den wirklichen Einsatz für die Produktion hervorbringen könnte, daß aber die Unternehmer unter Beibehaltung der Lohnform — also des Nicht-Eigentums an Produktionsmitteln, sich nicht trauen würden, die* se Selbstbestimmung allzuweit auszudehnen. Sei es, weil die Arbeiter von ihren Fähigkeiten her — qualitativ — nicht vollkommen in der Lage wären, den Prozeß allein zu übernehmen, sei es, daß sie von ihrer HalARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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tung her — als Nicht-Eigentümer — die notwendige Disziplin nicht aufbrächten. Wir nahmen also an, daß Mischformen — weitgehende Selbständigkeit mit punktueller Kontrolle zu finden seien. Wichtig wäre es, nicht so sehr Häufigkeit und Ausmaß aufzuspüren, als vielmehr, wie weit im einzelnen schon gegangen wird, was sich zu bewähren scheint, welche zusätzlichen Strategien in welchem Umfang angewandt werden. Wir sind uns darüber im Klaren, daß weitere vielfältige Faktoren zur Erfassung von Zusammenhängen solch komplexer Art hinzugezogen werden müßten, wie z.B. die Qualifikation, die Zusammenarbeit mit anderen auch horizontal, die übrigen Strategien etwa des Verdeckens von tatsächlich vorhandener hierarchischer Kontrolle. Alle diese Zusammenhänge zugleich darzustellen, schien uns mehr Verwirrung als Klarheit zu stiften. Dem berechtigten Bedürfnis, alle Faktoren konkret und gleichzeitig in der berieblichen Praxis zu verfolgen, wollen wir dadurch nachkommen, daß wir im 4. Teil unserer empirischen Untersuchung (AS 79) einige Fälle exemplarisch herausgreifen und biographisch vorführen. — Es ist im übrigen diese oben geschilderte Bewegung im Zusammenhang von mehr Verantwortung und hierarchisch organisierter Arbeitsteilung, die in jüngeren industriesoziologischen Untersuchungen unter den Stichworten Autonomie und Spielraum heftig diskutiert wird (vgl. dazu unsere Diskussion in AS 31). Dabei wird richtig davon ausgegangen, daß ein höherer Grad an »Autonomie« bei der Arbeit den Bedürfnissen der Arbeiter entgegenkommt. Daß diese Frage von »Autonomie« mit der Entwicklung der Produktivkräfte zusammenhängt, also nicht einfach bloß gegen die Unternehmer durchgesetzt werden muß, sondern auf widersprüchliche Weise auch in deren Interesse liegt, führt in einzelnen Fällen dazu, einseitig auf der Vergrößerung des »Spielraums« an »Selbständigkeit« zu beharren, ohne dabei das widersprüchliche Verhältnis, in dem die Entwicklung stattfindet, so in Rechnung zu stellen, daß beispielsweise offenkundig wird, daß ein Mehr an »Autonomie am Arbeitsplatz« eine Kompensationsstrategie ist, die den Mangel an Selbstbestimmung anderswo verdecken soll, zudem innerhalb des Betriebs eine lediglich kostensparende Größe darstellt. Einseitig betrachtet sieht es so aus, als ob es sich bei der »Autonomie« um einen graduell erweiterbaren Raum handele und nicht um ein Kampffeld, in dem die sogenannte Autonomie nur einen Faktor darstellt, und es darum gehen muß, die Gesamtbedingungen in ihrem Zusammenhang zu studieren, um die strategisch wichtigen Räume der Erweiterung der tatsächlichen Handlungsfähigkeit der Arbeiter auszumachen. In Anlehnung an die industriesoziologische Diskussion haben wir für die Veranschaulichung des Zusammenhangs von Selbstbestimmung und Verantwortung den Namen »Autonomie und Hierarchie« gewählt. ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Verantwortung ohne Selbstbestimmung? Wie kaum anders zu erwarten, gibt es keinen Fall, in dem der Arbeiter bei der Findung der Produktionsziele und der Planung des Produktionsprogramms einbezogen ist. Daß wir dies dennoch nicht kritiklos als notwendig und selbstverständlich akzeptieren — nur weil es wirklich ist —, im Vorhandenen das Endgültige sehen, veranlaßte uns, die Möglichkeit einer solchen Selbstbestimmung als Zielwert in unsere Kategorienbildung aufzunehmen. Die Veränderung gegenüber der Produktion an Fließband und Maschinerie der bloß mechanisierten Produktion ist schlagend. Im Gegensatz zur vielfältigen Klage über die Reduktion der Arbeiter und die Einengung ihres »Autonomie«-Spielraums, waren alle von uns in diesem Sample untersuchten Arbeiter für die Arbeitsabläufe verantwortlich, hängt von ihrem Handeln der Ablauf der Produktion ab. Die Beschränkung auf den bloßen Arbeitsplatz, seine Ausgestaltung und Anordnung trifft nirgends zu. (In einigen Fällen waren die Daten unvollständig. Das Sample umfaßt 229 Fälle.) »Verantwortungsbewußtsein ist nötig«, »die Arbeiter tragen die Verantwortung für die Anlagen«, »jeder ist selbst verantwortlich« — so und ähnlich hörten wir die Leitenden sagen — wie sollten die Arbeiter dies aushalten, wenn ihnen gleichzeitig Wissen und Macht über die Ziele der Produktion vorenthalten werden? Die Macht im Betrieb begegnet nicht einfach als Gewalt von oben. Selbst Unternehmerstrategien, unter denen wir bewußt eingesetzte Maßnahmen zur Lösung von Konflikten verstehen, offenbaren sich nicht sogleich als manipulativ. Dabei brauchen »die Unternehmer« nicht selbst im Betrieb zu sein. Um diese verallgemeinernde Redeweise zu vermeiden, in der besonders in einem Abschnitt über »kollektive Selbstbestimmung« leicht ein unrealistisches Bild von der Präsenz »der Unternehmer« am Arbeitsplatz gezeichnet werden könnte, beziehen wir uns auf die wirklich präsenten Leitenden und Vorgesetzten. »Leitende« sind die für die jeweilige Einheit Betrieb oder Unternehmen zuständigen Kapitalvertreter. Als »Vorgesetzte« bezeichnen wir allgemeiner die Hierarchie vom Vorarbeiter bis zu den »Leitenden« an der Spitze. Auf diese Weise vermeiden wir, daß die Abwesenheit von Vorgesetzten am Arbeitsplatz herauskommt als das, was inszeniert werden soll, nämlich die Abwesenheit von Herrschaft. Umgekehrt wird erreicht, daß handelnde oder Auskunft gebende »Leitende« als solche identifiziert werden, statt sie nur als Personifikationen von Unternehmenszielen und -plänen zu sehen. Schließlich gibt es noch wenige Fälle, in denen die Leitenden selbst besitzende Unternehmer sind. Alle Vorgesetzten, bis zu den Leitenden »tragen Verantwortung«. Bei der Durchführung der Produktion sind sie aber angewiesen auf die Übernahme dieARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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ser Verantwortung durch die Produzenten. Dabei stützen sie sich auf spontanes Produzentenbewußtsein. Selbstbestimmtes Handeln kann »Berge versetzen«. Was bedeutet es, selbst zu bestimmen über das, was man tut? Es hängt davon ab, wieviel man bewegen und verändern kann. »Allein machen sie Dich ein« — dieser Spruch hält die Erfahrung fest, daß man allein wenig bewegen kann. Für Arbeiter ist diese Erfahrung Produktionsalltag. In jeder gewerkschaftlichen Auseinandersetzung erfahren sie, daß sie nur im Kollektiv eine Macht werden, die Forderungen durchsetzen kann gegen das Interesse an der Mehrung des Gewinns. Als Produzenten machen sie diese Erfahrung aber auch: Die Produktion für andere, bei der sie den größten Teil ihres Lebens verbringen, können sie nur bewältigen als kollektive Tat. Selbstbestimmung ist als private Figur, als persönliche Freiheit oder Autonomie kein Arbeiterbegriff. Bislang herrscht auf diesem Feld bürgerliche Begrifflichkeit: Freiheit und Autonomie — das wurden auch Kampfbegriffe gegen Kollektivität. »Brüderlichkeit« und Solidarität wurden zur Gemeinsamkeit der Abhängigen, denen Selbstbestimmung versagt wird. Gemeinsam sind wir stark — allein machen sie Dich ein. Im Zugriff auf gesellschaftliche Kompetenzen haben die Gewerkschaften den Begriff Mitbestimmung besetzt — Selbstbestimmung scheint weiterhin ein fernes, unerreichbares Ziel, heute und hierzulande nur zu erreichen für private Einzelne. Wir haben für die von uns untersuchten Automationsarbeiter gezeigt, wo und wie sie bereits in »kollektiver Kooperation« die Produktion bewältigen (vgl. im ersten Teil unserer empirischen Untersuchung, AS 43, S.202-211) und wie sie »Nachdenken über den Gebrauch der Dinge« (vgl. AS 55, S.355ff.), wie sie also gemeinsam die Produktion für andere schon jetzt beeinflussen. »Kollektive Selbstbestimmung« sei ein Ziel- und Kampfbegriff, der nicht reserviert werden soll für eine ferne Zeit, in der die Produzenten einmal »ganz« bestimmen werden über Ziele und Planung der Produktion, sondern mit dem schon jetzt das Erreichte und das Mögliche festgehalten und wirklich vermessen werden soll. — In den von uns untersuchten Fällen von Automationsarbeit fanden wir vier Typen kollektiver Selbstbestimmung, die weder als gradualistische Aufstiege zu immer mehr Einfluß, noch als hermetisch gegeneinander abgegrenzte begriffen werden können. Wir haben diese vier Typen in der Abbildung 54 als Spannungsfeld zueinander angeordnet: Rechts und links sind als Typ 1 und Typ 4 solche Fälle, in denen das betriebliche Arrangement der Tätigkeiten überdeterminiert war von Entscheidungen der Produzenten (Typ 1) oder der Leiter (Typ 4), dazwischen diejenigen Fälle als Typen 2 und 3, in denen wir das Handeln der Arbeiter antrafen im Konfliktfeld zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung oder ihren eigenen und den EntARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Abb. 54 Autonomie und Hierarchie WIDERSPRÜCHSTYPEN

ANZAHL DER 90

FÄLLE on 80

I

70 11

60 50

III

40 30

{ff IV

SELBSTBESTIMMUNG ALS GRENZENLOS ORGANISIERT OBJEKTIVE KONTROLLIERBARKEIT SELBSTBESTIMMTER TÄTIGKEITEN OBJEKTIVE KONTROLLIERBARKEIT UND PERSÖNLICHE KONTROLLE SELBSTBESTIMMTER TÄTIGKEITEN UNTERNEHMERHERRSCHAFT ALS ALLMÄCHTIG ORGANISIERT

20 UNTERSTREICHUNG DES GEBRAUCHSWERTS DER PRODUKTION

10

0

65

Scheidungen der Leiter. In den Widerspruchstypen war zum Zeitpunkt unserer Erhebung zusammen erkennbar, was in den Typen 1 und 4 den Arbeitern als entwidersprüchlichtes Verhältnis begegnete: die eigene Fremdvergesellschaftung oder eine fremde Selbstvergesellschaftung. Man sieht auf einen Blick, daß überall dort, wo den Produzenten ihre Selbstbestimmung umfassend scheinen konnte, weil sie selbst alle Entscheidungen in ihrer Arbeit trafen und dabei nicht kontrolliert wurden, keine besonderen Strategien zur Betonung des Gebrauchswerts eingesetzt waren. Nichts wirkt so integrativ, wie das eigene Engagement bei der Arbeit. Aber auch in jenen Fällen, bei denen es den Arbeitern scheinen mußte, als sei die Unternehmerherrschaft allmächtig (Typ 4), fanden wir wenig Strategien, die den gesellschaftlichen Charakter der Arbeit betonten. Wo der verhinderte Zugriff auf Prozeßteile durch scharfe Arbeitsteilung den Arbeitern einen eingegrenzten Entscheidungsraum zuweist, in dem sie ohne Kompetenzen für das Ausgegliederte arbeiten zu können schienen, wirkte auch die hierarchische Verteilung der Tätigkeiten gerecht. Der Bediener sollte nur bedienen, der Einrichter einrichten, der Programmierer das Programm erstellen usw. Der Leiter eines Programmierbüros sagte uns bedauernd: »Die NC-Leute erleiden einen Spielraumverlust, weil die Festlegung der Arbeitsschritte heute durch den Programmierer erfolgt.« Wir haben an anderer Stelle gezeigt, wie erst der Ausschluß der NC-Bediener vom Programmier-Wissen ihre besondere Haltung an den Maschinen und in ihrer Kooperation mit den Programmierern herstellt (vgl. AS 43, S.207-210). Als Überzeugung der Arbeiter, in ihrem Handlungs»spielraum« durch die Technik selbst eingeschränkt zu werden, schwächt dies ihr Selbstbwußtsein und kann ihren Widerstand lähmen. Darin steckt reARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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signatives Einverständnis mit den Zwängen der Technik wie der Herrschaft. In der Meßwarte einer Erdölraffinerie fanden wir folgende Konstellation, dieses Einverständnis gleichzeitig herzustellen und zurückzunehmen: Durch einen besonderen Schlüssel waren bestimmte Eingriffe für die Meßwarte blockiert. Ein Leitender erklärte, dies sei eine notwendige Sicherheitsmaßnahme gegen falsche Eingriffe, denn der Ausbildungsstand der Arbeiter sei nicht hoch genug. Die Folge war, daß hier dauernd Vorgesetzte in der Nähe sein mußten, die alle Eingriffe der Meßwarte überwachten. Der Schichtleiter, so hieß es, muß jedem Meßwart die Genehmigung für Eingriffe erteilen und bei Störungen müsse sofort eine Vorwarnung an Ingenieure gegeben werden. Da aber gleichwohl die Meßwarte von Hand-fahren mußten und nicht sofort ein Ingenieur zur Stelle ist, wenn er gerufen wird, gerieten die Arbeiter immer wieder in unlösbare Entscheidungssituationen. Dieser Konflikt wurde gelöst und befestigt zugleich, indem die Leitenden notwendige Sollwertveränderungen den Arbeitern als besonderen Freiraum vorstellten. Es werde extra deshalb nicht weiterautomatisiert, »damit sie sich verantwortlich fühlen«! Ein eigentümliches Amalgam technischer und herrschaftlicher Bedingungen der Einschränkung von Entscheidungsmöglichkeiten entdeckten wir auch in einer Kokerei, wo die Leiter die Automation so zurücknahmen, daß die Arbeiter in der zentralen Warte den Gesamtprozeß nur noch betrachteten und nur eingreifen konnten in eine Variable, den Transport der Bänder. Weil sich die Anlage als störungsanfällig erwiesen habe, wurden zentrale Eingriffe ersetzt durch Bedienung an einzelnen Anlagenteilen. Daß die häufigen Störungen hier nicht nur durch technische Unzulänglichkeiten der Anlage, sondern auch durch unzulängliche Ausbildung der Arbeiter bedingt sind, zeigt die Dienstanweisung. Sie untersagt den Arbeitern, auch bei Störungen, die »Knall auf Fall kommen« und bei denen sie eingreifen müssen, von sich aus einzugreifen. Sie müssen erst die Vorgesetzten informieren. Der Obermeister verfolgt ständig den von der Meßwarte ausgehenden Sprechverkehr. Daß diese Fremdbestimmung auf Widerstand der Arbeiter stößt, spricht einer der Leiter deutlich aus: »Die meisten Meßwarte wollen gerne eingreifen, haben Interesse daran, aber sie dürfen nicht.« Herrschaft durch Hierarchisierung von Eingriffsbefugnissen wird hier offen ausgeübt. In den hier vorgestellten 87 Fällen vom Typ 4 war das Verhältnis zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung von Einschränkungen der Tätigkeiten und hierarchischen Kontrollen überdeterminiert: den Arbeitern mußte es vorkommen, als würden alle ihre Entscheidungen begrenzt durch Unternehmerwillkür, auch wo die Grenzen einer Unentwickeltheit der Produktivkräfte geschuldet waren. Den ProdukARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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tionsleitern schien es, ais könnten sie nach ihrem Ermessen darüber entscheiden, welche Eingriffe und Entscheidungen in ihrer Verfügung bleiben sollten, selbst dort, wo sie auf selbstbestimmte Entscheidungen der Produzenten angewiesen waren. Die Deutung dieses Vorgangs ist im Begriff des Unternehmerspielraums erfaßt, wie ihn Mickler u.a. in ihrer Hauptstudie »Produktion und Qualifikation« entwickelt haben. — Mit der Problematik dieses Begriffs, in der alle Automationstätigkeiten von unternehmerischer Willkür beliebig gestaltbar erscheinen, haben wir uns an anderer Stelle auseinandergesetzt (vgl. AS 31, S.65-83). Für diese begrenzte Anzahl von Fällen unseres Samples richtet diese Benennung zutreffend die Aufmerksamkeit auf das betriebliche Arrangement, wie es die Arbeiter erleben. In der Arbeit von Edwards über »Herrschaft im modernen Produktionsprozeß« wird die Möglichkeit, den Spielraum der Unternehmer zu erobern, ausgeschlossen: »Und dem Arbeiter bleibt nichts anderes übrig, als dem durch das Band vorgeschriebenen Arbeitstempo und -muster zu folgen.« (Edwards 1981, S.136) Mit »Band« ist hier in bewußter Analogiebildung zum Fließband das »vorprogrammierte Band«, also der Lochstreifen oder das Magnetband gemeint. Kein Gedanke, daß die Arbeiter den programmierten Ablauf kontrollieren könnten. In einer zweiten Gruppe (Typ 1) fanden wir Arbeiter, die nicht nur selbständig über den Prozeß und die Anlagen entschieden, sondern auch ohne Aufsicht und Kontrollen in ihrer Arbeit waren. »Je mehr Verantwortung die Leute haben, desto lieber gehen sie zur Arbeit« — diese Maxime eines Leiters wurde praktisch wahr gemacht in 42 Fällen, also einem Anteil von 18 Prozent unseres Samples. Im glatten Gegensatz zu den eingeschränkt und kontrolliert Arbeitenden schienen sich die Leitenden und Besitzenden hier ganz aus dem Arbeitsfeld der Produzenten zurückzuziehen. In Meßwarten und Steuerständen hatten Arbeiter an peripheren Arbeitsplätzen, also bei geringer Verbindung zu den zentralen Arbeitsbereichen (vgl. dazu AS 43, S.220) nur noch Leitende über sich oder sie sprachen z.B. in einem landwirtschaftlichen Produktionsbetrieb, in dem ein Mann für 2000 Schweine die Verantwortung trug, in größeren Abständen die Durchführung der Produktionspläne direkt mit dem Firmeninhaber ab. In anderen Fällen wurden sie selbst zum Meister gemacht — oder ein Meister von ehedem tat jetzt die ganze Arbeit. Als Schichtführer verhandelte ein solcher Produzent »gleichberechtigt« mit der Arbeitsvorbereitung. Der in diesen Fällen stillgestellte Widerspruch zwischen Produzentenautonomie und bleibender Kapitalherrschaft läßt selbst Strategien vermuten, die eine solche Autonomie bewußt herstellen. So hatten beispielsweise derart autonome Produzenten teilweise ihrerseits Kollegen zu beaufsichtigen und in ihrer Arbeit anzuweisen. Oder die Leitenden ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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unterstrichen euphorisch, daß sie es waren, die den Arbeitern größeren »Dispositionsspielraum« eingeräumt hatten. Gleichwohl wäre es borniert, solche »Spielräume« für unbedeutend oder gar bloßen Schein zu halten. Darin würde man verkennen, wie weit im Einzelnen schon gegangen wird, um Arbeiter an Unternehmensinteressen zu binden. Fernziel sei es, so sagte der Leitende eines Werkes für Büromaschinen, daß die Arbeiter Verantwortung für das Produkt und das Unternehmen übernehmen. In 12 Fällen fanden wir Arbeiter an NC-Maschinen, die als Bediener, Einrichter, Reparateure zugleich arbeiteten, das Programm selbständig korrigierten und selbst entschieden im Störungsfall. Sie kamen auch ohne Vorarbeiter aus. In dem einen Betrieb sagte ein Leitender, sie brauchten hier auch keinen Meister mehr — worin zugleich gesagt wird, daß die Arbeiter die Produktionsanforderungen integriert bewältigen, unangewiesen auf kompetente Vorgesetzte, und daß »sie« Hierarchien abgebaut haben, im Vertrauen auf die integrativen Wirkungen von Engagement, Entscheidungen und Verantwortung in der Arbeit. Diese Handlungsmöglichkeiten für die Produzenten könnten in gewerkschaftlichen Strategien zur Verallgemeinerung genutzt werden, statt alternative Führungskonzeptionen zu unterstützen. Im Gegensatz dazu heißt es zum Beispiel im Vorwort des DGB zu dem Buch »Arbeiter und Meister« von Wiedemann: »Nüchtern betrachtet, werden wir die Hierarchie und damit die Position des Meisters nicht ausschalten können.« (Wiedemann 1974, S.5) Empfohlen wird, den Verlust produktiver Kompetenzen der Vorgesetzten zu kompensieren durch Betonen von »Menschenbehandlung« und der »Wichtigkeit der richtigen Führung« (S.69 und 80). Nutzen für andere statt Fremdbestimmung? In 44 Prozent der Fälle stießen wir auf sehr widersprüchliche Formen kollektiver Selbstbestimmung. Einerseits waren die Eingriffe der Arbeiter nicht beschränkt, vielmehr entschieden sie selbst über alle Prozeßvariablen, andrerseits wurden ihre Eingriffe kontrolliert. Wir fragten genauer nach den Formen der Kontrolle und entdeckten, daß alle Arbeiter im Nachhinein, aber nur ein Teil zusätzlich bei der Arbeit kontrolliert wurde. Wir zerlegten diese Fälle in zwei weitere Typen kollektiver Selbstbestimmung mit folgenden Begründungen. Typ 2: Arbeiter wurden nur im Nachhinein kontrolliert. Wie in der zweiten Gruppe waren die Vorgesetzten abwesend oder traten als gleichberechtigte Kooperationspartner auf. Was bedeutet »Kontrolle im Nachhinein«? Wir haben darunter alle Formen der Produkt- und Prozeßkontrolle aufgenommen, die rückwirkend der Kontrolle der Tätigkeiten dienen. Laborkontrollen und andere Formen von Qualitätskontrolle ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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sowie die verschiedenen Zeitschreiber und Ausdrucker an den Anlagen haben eines gemeinsam: sie notieren, in dem Daten des Prozesses und des Produkts festgehalten werden, vorausgegangene technische und menschliche Eingriffe in den Prozeß, respektive versäumte Eingriffe. Die spezifische Form der Verwissenschaftlichung dieser Kontrollen durch Automatisierung, das Ineinandergreifen von Kontrolle im Sinne von Beherrschung des Prozesses und Kontrolliertheit der Produzenten, untersuchen wir in dem Abschnitt »Kampf um die Daten« in diesem Band. Hier wird nicht unmittelbar Herrschaft demonstriert. Selbst wo die Prozeß- und Produktdaten von Vorgesetzten geprüft und zurückgegeben werden an die Produzenten, sind sie nicht nur zur Beurteilung der Produzenten nutzbar, sondern auch von ihnen zur Beurteilung dessen, was sie getan haben. Der Aspekt der Willkür entfällt. Wir könnten von »sachlicher Kontrolle« sprechen, wenn darin nicht die Herrschaftsseite unkenntlich gemacht würde. Kein Vorgesetztenauge und -wissen ist so genau wie ein Zeitschreiber oder ein Ausdrucker. Es ist diese Seite solcher Kontrollen, die den Eindruck »totaler Kontrolliertheit« vermittelt. Für die Selbstbestimmung der Produzenten wirkt ermäßigend an diesen Argusaugen, daß sie wesentlich den Prozeß kontrollieren, als solche selbst kontrollierbar sind und schließlich für Eingriffe von Vorgesetzten immer zu spät kommen. Typ 3: Die Arbeiter werden im Nachhinein und zusätzlich in ihrer Ar- beit durch Vorgesetzte kontrolliert. Wo derart die Arbeitshaltung der Produzenten kontrolliert wurde, ihr Produktionshandeln aber mangels Kompetenz der Vorgesetzten selbstbestimmt war, wirkten diese Kontrollen als Demonstration von Herrschaft. Den Produzenten konnte diese Herrschaft überflüssig vorkommen. In einigen Betrieben sagten es Leitende offen: »Inhaltlich ist eigentlich kein Vorgesetzter mehr nötig.« »Im Grunde kann der Meister dem Arbeiter gar nichts sagen, weil er nicht mehr weiß.« Wo die Kontrolle der Haltungen mit produktiven Kompetenzen der Vorgesetzten verbunden war, bewirkte das für die Arbeitenden, daß sie sich teilweise in ihre abhängige Lage einfanden und subaltern reagierten: »Der Meister weiß das besser, der soll es auch entscheiden.« Wir erwarteten, daß die privaten Unternehmensziele besonders dort von gebrauchswertbetonender Propaganda verdeckt werden würden, wo wir die Arbeiter unter Aufsicht und Kontrolle von Vorgesetzten fanden. Das Gegenteil ist hier der Fall: Wo die Produzenten »nur« im Nachhinein kontrolliert wurden, fanden wir die Anstrengungen konzentriert, das Gebrauchswertbewußtsein zu erhöhen. »Ein Bier muß immer gleich schmecken«, »der gesellschaftliche Anspruch an das Grundnahrungsmittel liegt auch in ihrem Intreresse, weil sie es selbst konsumieren«, »Von Köchen verlangen sie auch, daß sie richtig kochen« oder: ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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»Man dient der Kundschaft durch Markentreue«. Die Fragwürdigkeit, das Markenbewußtsein der Verbraucher,, welches aus Konkurrenzgründen erst installiert wurde (vgl. W.F. Haug 1980), den Produzenten gegenüber als Dienst am Kunden auszugeben, wird dabei auffällig kompensiert durch das Verhalten der Produzenten selber, da es sich in allen Fällen um Konsumtionsmrttel eben auch dieser Arbeiter handelt. Es läßt sich schlecht überprüfen, ob die angewandten Versuche der Überzeugungsarbeit den gewünschten Nutzen haben; einzig die wirklich weiterlaufende Produktion ist Gewähr dafür, daß es, wenn auch nur irgendwie, funktioniert/Mit Sicherheit aber läßt sich schlußfolgern, daß beide Wege, sowohl der der Einräumung von mehr Selbstbestimmung, um das Engagement bei der Arbeit zu erhöhen, wie der, den gesellschaftlich nützlichen Charakter der Produkte, die Gesellschaftlichkeit des Prozesses, die Bedeutung des Einzelarbeiters zu betonen und zu propagieren, die Ausgeliefertheit des Arbeiters an unbegriffene Verhältnisse verringern, seine Handlungsfähigkeit erhöhen muß. Die sechs Fälle, in denen für den gesellschaftlichen Nutzen der Produktion agitiert wurde, die Eingriffe der Arbeiter nicht beschränkt waren, sie aber besonders durch Vorgesetzte kontrolliert wurden (Typ 3) fanden wir in einem Energiewerk: »Die Arbeiter wissen, daß von ihrer Arbeit das Laufen der Motoren in Fabriken abhängt«, sagte uns ein Leiter. Was sie wußten, wurde gleichwohl auf Plakaten in Erinnerung gehalten: »Strom für unsere Stadt — unsere große Verpflichtung«. Der Nutzen für andere war hier also nicht verknüpft mit dem Eigenintresse als Konsument. Auch bei den übrigen Fällen dieser Gruppe stellten die Arbeiter Produktionsmittel her. Daß von Unternehmensseite hier Herrschaft demonstriert und auf gebrauchswertbetonende Strategien verzichtet wurde, verweist auf Konflikte: »Wenn man schon einen Meister hat, dann muß man ihm auch Aufgaben geben!« Oder: »Wozu hat man schließlich einen Schichtleiter?« — Mit solchen Reden begründeten uns die Leiter, weshalb sie die Vorgesetztenkontrollen aufrecht hielten. Im Unterschied dazu die Fälle beim Typ 4, in denen Vorgesetzte mit produktiven Kompetenzen eingriffen: Ihre Präsenz schien sich von selbst zu verstehen. Wir können also zusammenfassend schlußfolgern: Besondere Propaganda für den Gebrauchswert ist eine Form, in der von Unternehmensseite die spontanen Kräfte selbstbestimmter Arbeit verstärkt und in einer Weise überhöht werden, daß darin die Fremdherrschaft zu verschwinden scheint. Denselben Integrationseffekt erzielen Leitende in anderen Betrieben, indem sie Vorgesetzte zurückziehen und die Arbeit organisieren, als wäre sie allein in der Verfügung der Produzenten. Zugespitzt formuliert das der Inhaber und Leiter eines Maschinenbaubetriebs, in dem wir integrierte Tätigkeiten an NC-Maschinen unterARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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suchten: »Innerhalb der Zusammenarbeit, die sachlich auf allen Produktionsstufen zu leisten ist, soll ein Maximum an freiwilligem Engagement und aus der Kooperation der Beteiligten der entsprechende Nutzeffekt sowohl für den einzelnen als auch für die Gesamtheit — des Betriebes und der Gesellschaft — erzielt werden. Die Solidarität aller ist hierfür die unbedingt zu fordernde Voraussetzung.« (Aus einer Propaganda-Schrift des Betriebes.) Die Assoziation mit dem sozialistisch gesonnenen Unternehmer Robert Owen ist heute unangemessen, weil diese »Solidarität aller« unausgesprochen die Drohung enthält, daß jene entlassen werden, die nicht »solidarisch« sind.

2. Gebrauchswert und Profit Wir haben im vorigen Kapitel dargestellt, wie die Arbeiter gesellschaftliche Individualität entwickeln, wie sie über den Gebrauch der Produkte nachdenken und die Prozesse optimieren und weiterentwickeln. Das Lohnarbeitsverhältnis behindert dabei die Entwicklung des Interesses an den Gebrauchseigenschaften der geschaffenen Gegenstände, auch wenn es nicht zur bloßen Gleichgültigkeit führt. Durch Vorgaben für die Qualität der Arbeit werden die produktiven Taten der Arbeiter organisiert. Die profitorientierte Einrichtung und Organisation der Produktion wird gegenüber den Arbeitern als eine Art Geheimwissenschaft betrieben, mit deren Resultaten sie »handgreiflich« konfrontiert sind. Da aber, wo die Notwendigkeiten der Produktion Qualitätsbewußtsein der Produzenten verlangen, weil genau vorweg festgelegte Handlungen dysfunktional geworden sind, entwickeln die Unternehmer neue Strategien zur Profitorientierung der Arbeitertaten, die dann erfolgreich sind, wenn es auch in der Wirklichkeit möglich ist, den Profit auf Kosten des Gebrauchswerts zu erzielen. Für die Arbeiter bedeutet dies, daß sich zwischen der Gebrauchswertorientierung und der aufgezwungenen Profitorientierung ein Konfliktfeld eröffnen kann. Den Konflikten können sie kaum ausweichen, denn sie stehen unter Handlungszwang, müssen zwischen den jeweiligen Kontroll- und Eingriffsmöglickeiten entscheiden. Sie sind zur Austragung der Konflikte gezwungen. Diese hat zugleich ihren Ort in ihnen selbst; wird an ihren widerstreitenden oder gehemmten Handlungsfähigkeiten und Handlungsbereitschaften erkennbar; führt zu einer »inneren Zerrissenheit«. Eine »freiwillige« Unterwerfung als Voraussetzung individueller Absicherung unter gesellschaftlichen Verhältnissen allgemeiner Perspektivlosigkeit hat einerseits Vorteile für die individuelle Existenzsicherung, aber andererseits führt sie zum Verzicht auf Identität und Selbstbewußtsein als kollektive Produzenten und Schöpfer des gesellschaftlichen Reichtums (vgl. dazu Holzkamp-Osterkamp 1980). Dagegen kann die Wahrung von Identität und Selbstbewußtsein den Preis ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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der individuellen Exisfenzsicherung kosten. — Uns beschäftigt im folgenden, wie die Unternehmer in dieses Feld eingreifen, welches Arrangement sie treffen, damit die Arbeiter die Profitmaximierung zur Grundlage ihrer Handlungsorientierung machen, welche »Stützpunkte« sie dazu auf Seiten der Arbeiter bauen und gegen welche »Widerstände« sie ankämpfen, in welche Konflikte sie die Arbeiter verwickeln und inwieweit sie die Interessen der Arbeiter aufnehmen (vgl. zu dieser Art des Fragens auch Jäger 1980). Und: Was bewegt die Arbeiter, so zu handeln, wie es die Unternehmer erwarten? Sparen Die Unternehmer sind darauf bedacht, daß die kalkulierten Kosten der Produktion nicht überschritten werden. Wo sie die Taten der Arbeiter nicht in Qualitäten und Zeiten genau vorgeben können, werden sie den Arbeitern auftragen müssen, nicht allein auf die Gebrauchswertqualitäten, sondern vielmehr auf die Kosten der Produktion: Maschinen, Rohstoffe, Energien etc. zu achten und keine Produktionszeiten zu vergeuden. Die Aufforderung Kosten zu sparen, macht das Handeln der Arbeiter konfliktträchtig, wie die folgenden Beispiele zeigen: 1. In einer Brauerei sollen die Meßwarte den billigeren Nachtstrom für die energiebeanspruchenden Reinigungsprozesse in den Gärtanks nutzen. Durch die Verkürzung der Reinigungsprozesse in der Tagesproduktion setzen sie die hygienische Reinheit des Bieres aufs Spiel. Allerdings darf dadurch nicht der Absatz in den Gaststätten und Restaurants durch mindere Geschmacksqualitäten gefährdet oder gar das Eingreifen einer öffentlichen Lebensmittelkontrolle provoziert werden. 2. Weil die Produktionskosten pro Produkt auch mit den in den Prozeß einfließenden Rohstoffen steigen, sollen die Arbeiter dafür sorgen, daß möglichst geringe Mengen nicht verwendbarer Teile der Rohstoffe als Produktionsabfall anfallen. So wird z.B. die Qualität von Zigarettentabak zwar besser, wenn die Tabakblätter gut entrippt werden, aber damit steigen auch zugleich die Rohstoffkosten, weil die Menge des nicht verwendeten Anteiles wächst. Daher dürfen die Arbeiter in der Tabakvorbereitung, je nach Rohstoffqualität und Zigarettenmarke, die angelieferten Blätter nicht zu stark entrippen lassen, müssen aber zuglech darauf achten, daß möglichst viele Rippenstoffe aus dem Rohstoff ausgesiebt werden. 3. Auch die naturgegebenen und technisch fixierten Prozeßzeiten sind für Unternehmer Kostenfaktoren der Produktion. Sie drängen daher die Arbeiter, auch diese Prozeßzeiten zu verringern, obgleich dies zu einer Minderung der Qualitäten führen kann. Wird z.B. die Verweildauer von Stahlteilen in den Säure- und Zinkbädern auf den untersten Grenzwert der zulässigen Zeit gehalten, weniger um Zink zu sparen, sondern vor allem um die Durchlaufzeiten zu beschleunigen, um damit größere Produktmengen pro Zeiteinheit zu erreichen, so wird damit zugleich die Gefahr eingegangen, daß durch die leichtere Verletzbarkeit der dünnen Zinkschicht rascher Rostbildung einsetzen kann. Jeder Autofahrer sieht es täglich, wie die noch kürzlich ohne jeden Makel glänzend lackierten Karrosserien mancher Autos rasch dahinrosten. ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Kommen die Arbeiter dem Verlangen der Unternehmer nach, »kostenbewußt« zu handeln, mit dem Resultat minderer Gebrauchswertqualitäten, so werden ihnen zugleich auch Reklamationen der Kunden angelastet, als mangelnde Aufmerksamkeit oder fehlende Leistungsbereitschaft. Wo die Unternehmer Fehlhandlungen den Arbeitern, z.B. durch automatische Aufzeichnung aller Produktionsdaten, zurechnen können, haben sie einen jederzeit möglichen disziplinierenden Zugriff. Ein doppelter Druck lastet damit auf den Arbeitern: Einerseits sollen sie zur Minimierung der Produktionskosten bestimmte Minderungen der Gebrauchswertqualitäten zulassen. Andererseits aber darf durch Minderqualität die Verkäuflichkeit nicht gefährdet werden. Zwischen Produktionskosten und Produktqualitäten steht die Forderung, »kostenbewußt« zu handeln. Sie kann sich gegen den Gebrauchswertstandpunkt der Arbeiter: gegen ihr Interesse an den Qualitäten der Güter und Dienstleistungen richten. Zugleich aber gibt es auch ein Gebrauchswertinteresse an einem sparsamen Umgang mit Rohstoffen, Energien etc. Damit wird eine Problemverschiebung hergestellt: die Kostenminimierung erscheint allein als ein Problem zwischen zwei Gebrauchswertaspekten; daß die Profitorientierung das Problem erst strukturiert, verschwindet aus dem Blickfeld. Den Arbeitern wird so vorgeschlagen, sich damit abzufinden, daß das eine nicht ohne das andere zu haben sei. Die Aufforderung der Unternehmer, Kosten und Qualitäten zu optimieren, ist nicht beschränkt auf die Produktionsmittel, sondern bezieht sich auf alle Momente und Bedingungen der Produktion, also auch auf die Arbeit der Arbeiter selbst. Da die Produktionskosten nur dann minimiert werden können, wenn die Produktion ununterbrochen läuft, denn jeder Stillstand und jede Reparatur steigert nur die Kosten, entscheiden die Vorgesetzten, daß erst dann Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt werden, wenn diese nicht mehr durch eine aufmerksame und konzentrierte Fahrweise aufschiebbar sind. Das hat für die Arbeiter zur Folge, daß sie zwar Produktionsmittelkosten »sparen«, aber z.B. auch durch hereinbrechende winterliche Witterungsbedingungen bei den Reparaturarbeiten an den Außenanlagen und schon lange vorher durch den störungsanfälligen Lauf der Anlagen Arbeitskraft »vergeuden«, weil sie ständig größeren Belastungen ausgesetzt sind. Störungsanfällige Anlagen korrekt und energiesparend zu fahren, erfordert erhöhte Aufmerksamkeit, häufigeres Eingreifen und vermehrte Kontrollen der Funktionstüchtigkeit sowie der Produktspezifikationen. Die »Vergeudung« von Arbeitskraft kostet die Arbeiter Lebenskraft, die Unternehmer kostet sie nichts. In dem Maße, indem die Arbeiter die profitorientierte Minimierung aller Produktionskosten hier zum Maßstab ihres Handelns machen, handeln sie zugleich gegen ihre eigenen ArARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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beits- und Lebensbedingungen. Wir trafen Arbeiter, die darauf drängten, aus eigenem Interesse am »sparsamen« Umgang mit ihren Kräften, daß regelmäßige Wartungen und Instandsetzungen stattfinden. Wo nicht durch eine Intensivierung der Arbeit Produktionskosten minimiert werden können, erwarten die Unternehmer eine unbezahlte Verlängerung des Arbeitstages. Bei der Erstellung und Erprobung von Programmen an einem Computer-Terminal kostet jede Minute der Benutzung z.B. 50,— DM. Das bedeutet, daß jede Fehlhandlung, jede Korrektur, jeder Programm-»Umweg« enorme Kosten verursacht. Da aber die Miete für die Betriebssysteme des Rechenzentrums übers Jahr dieselbe bleibt, unabhängig von der täglichen Benutzungsdauer, kostet es die Unternehmer nichts, wenn die Operatoren für die korrekte Durchführung der »Jobs« einige Minuten länger benötigen. Wichtig ist ihnen vielmehr, daß die kalkulierte Anzahl der Jobs pro Tag über die Betriebssysteme abgearbeitet werden. Zeiten für Fehlhandlungen, Umwege, Korrekturen usw. müssen also die Operatoren jeweils an ihre tägliche Arbeitszeit anhängen. Bei Störungen und Fehlern gibt es daher häufig Streit um Ursachen und Zuständigkeiten. Markt Eine Methode, um das Engagement und die Aufmerksamkeit der Arbeiter zu erhöhen, ist die Vorführung des Absatzmarktes. Indem die Arbeiter am Markt selber mit den Reklamationen, Wünschen und Terminen der Käufer konfrontiert werden, sollen sie sehen, was von ihren Taten für die Firma und damit auch für ihren Arbeitsplatz abhängt. Ein Unternehmer sagt dazu: »Wenn ein Auftrag flöten geht, werden sie darauf aufmerksam, daß etwas davon abhängt, wenn die Produkte rechtzeitig geliefert werden können, damit die Kunden nicht zur Konkurrenz abwandern.« Indem ihnen jedesmal gesagt wird, für welchen Auftrag sie arbeiten und welche Produkte daran hängen, können sie etwa einschätzen, mit welcher Sorgfalt sie auf die Einhaltung der Qualitäten zu achten haben, um Zeiten und Rohstoffkosten möglichst zu minimieren. Da Störungen und notwendige Reparaturen die Auftragstermine verlängern und dadurch einen Konkurrenznachteil bringen würden, müssen diese nachts gemacht werden, damit die Anlage am nächsten Tag wieder gefahren werden kann. Bisweilen sind daher die Arbeiter extrem harten physischen Bedingungen ausgesetzt, weil sie am anderen Tag um 6 Uhr wieder die Anlage fahren müssen. Das Paradoxe an dieser Form der Profitorientierung der Arbeitertaten ist, daß sie über die Kenntnis der Marktforderungen an die Qualitäten eine Kostenminimierung herbeiführen sollen, ohne daß sie die verschiedenen Kosten für Stillstände, Reparaturen, Rohstoffe etc. in Geld kennen. Die Geheimhaltung der Gewinnspannen — die Arbeiter in eiARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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nem kleinen Betrieb könnten sie leicht schätzen, da sie die Marktpreise kennen — kann zu falschen Einsparungen führen; um zu verhindern, daß die Arbeiter aus Kenntnis der Gewinne Forderungen stellen, nimmt die Betriebsleitung lieber höhere Kosten in Kauf. Die Kostenminimierung müssen sie entsprechend einer groben Kostenvorstellung nach Art einer Nominalskala »billig — teurer« vornehmen. In anderen Betrieben werden den Arbeitern die Marktpreise z.B. in Stunden- und Tagessätzen oder nach Tageszeiten und Mengen mitgeteilt, weil sie andernfalls ihr Eingreifen in den Produktionsprozeß nicht so organisieren können, daß das Verhältnis von Zeit- und Materialaufwand und Marktpreisen entsprechend dem Unternehmerauftrag optimiert wird. Wo die Marktpreise, wie z.B. von Elektroenergie, nach Tageszeiten und Mengen sehr unterschiedlich sind, werden Arbeitern genaue Tabellen und Stufenpläne für ihre Entscheidungsfindung vorgegeben. Ein Energiemeßwart entscheidet z.B. auf dieser Grundlage allein darüber, wann er Fremdenergie zuschaltet oder die Erzeugung von Eigenenergie erhöht. Dazu braucht er nicht nur die Kenntnis der jeweiligen Energiepreise, sondern muß auch einen Überblick darüber haben, was der Betrieb zu den verschiedenen Tageszeiten an Elektroenergie verbraucht. Die Minimierung des Preises der Energieerzeugung ist hier gegenüber dem Erzeugungsprozeß des Gebrauchswerts Elektroenergie die wesentlichste Aufgabe des Meßwarts geworden. Das Fahren der betriebseigenen Energieanlagen an den Grenzwerten entlang wird dafür zu einer Voraussetzung. Die Arbeiter interessiert spontan nicht, welche Probleme die Unternehmer auf dem Markt haben, denn ihnen gehören weder die Produktionsmittel noch die Produkte, die ein Marktinteresse begründen würden. Die Unternehmer haben daher in den untersuchten Fällen beinahe immer die Marktvorfü^rung mit dem Hinweis verkoppelt, daß schwindender Absatz zwangsläufig zu Arbeitsplatzverringerung führen müsse. So können sie die Arbeiter zur Übernahme des Unternehmerstandpunktes bewegen, ohne zugleich durch Offenlegung aller Preise und Kosten, eine eigene Kalkulation durch die Arbeiter zu ermöglichen. Kosten Zumeist in größeren Betrieben fanden wir, daß die Arbeiter ihre Handlungen entsprechend eines quantifizierten Kostenmaßstabs organisieren sollen. Denn wo sie über mehrere Handlungsalternativen verfügen, wie z.B. bei der Störungsbehebung, deren jeweilige Kosten sehr, unterschiedlich sein können, brauchen sie zur Entscheidung zwischen den Alternativen genauere Angaben über die Kosten der verschiedenen Alternativen. Da die Stillstandskosten der Maschinen sehr unterschiedlich sein ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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können, je nach der Größe ihres Werts und des Werts der mit ihr produzierten Produkte, haben die Bediener die Reihenfolge der Störungsbeseitigung so zu organisieren, daß zu jedem Zeitpunkt der Produktion immer nur die geringst möglichen Stillstandskosten anfallen. D.h. sie bringen vorher das aus der Multiplikation von Stillstandskosten pro Zeiteinheit und notwendiger Zeit für die Behebung der Störung gebildete Produkt in eine Rangreihe und organisieren dementsprechend die Reihenfolge der Störungsbehebungen. Sie unterbrechen daher auch durchaus die Störungsbehebung an einer Maschine, wenn eine andere Maschine mit höheren Stillstandskosten in ihrem Lauf gestört ist. Wo Rangreihen zur Störungsbehebung nicht gebildet werden können, weil es sich um eine in ihren Funktionen festverkoppelte Anlage handelt, wie z.B. bei einer Schweißtransferstraße für Autokarrosserien, kennen die Maschinenführer und Einrichter die Kosten für Reparaturen. In vielen Betrieben wird die Höhe einer monatlichen Prämienzahlung an die Störungs- bzw. Stillstandskosten gekoppelt. Wo die Arbeit des einzelnen Arbeiters abhängt von der Arbeit der andern, die Behebung einer Störung an einem Anlagenteil den Stillstand nicht beseitigt, solange die Störung an einer anderen Stelle nicht behoben ist, wird der Prämienlohn nicht an das Engagement der einzelnen gebunden, sondern an das Kollektiv. Damit wollen die Unternehmer erreichen, daß die Arbeiter sich nicht nur in der raschen Störungsbeseitigung gegenseitig unterstützen, sondern daß sie auch ihre Zusamenarbeit bei der Störungsbeseitigung kostenorientiert organisieren. Also z.B. nicht alle ihre Kräfte auf die Störungsbehebung an der Maschine mit den höchsten Stillstandskosten werfen, sondern so verteilen, daß die Summe der Stillstandskosten der Produktion insgesamt minimiert wird. Ökonomisch denken Einige Unternehmer bieten in Betriebskurseri, die zum Teil während der Arbeitszeit laufen, Arbeitern kaufmännische Inhalte an. Sie vermitteln ihnen darin ihre kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Begriffe und Kategorien und ihre Art und Weise der Berechnung von Kosten, Produktivität, Gewinn etc. Damit wird den Arbeitern der Produktionsprozeß vom Standpunkt der Unternehmer als;>ein Prozeß vorgeführt, bei dem es allein darauf ankommt, mit den eingesetzten Geldern mehr Geld zu erwirtschaften. So sollen die Arbeiter Ihre Tätigkeit als einen Bestandteil, als einen Faktor des Verwertungsprozesses begreifen, ohne den dieser nicht erfolgreich verlaufen kann. Die Kurse sollen ermöglichen, daß die Arbeiter in »Geld« denken. Sie werden unterstützt und attraktiv gemacht durch Begleitkurse, in d ^ e a ö i e Beschäftigten etwas über die Beantragung und Berechnung des Lohnsteuerjahresausgleichs erfahren. Die Vermischung eignet sich, um für sich und.seiARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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ne Taten als Auffassung zu produzieren, daß man bloßer »Akteur« in einem Geldprozeß sei. — In vielen Betrieben wird »Denken in Geld«, »Kostenbewußtsein«, »betriebswirtschaftliches Denken« als Eigenschaft der Arbeiter an automatischen Maschinen und Anlagen verlangt. So sollen z.B. die Papiermaschinenführer die Optimierung von Papiergeschwindigkeit und Stillstand bei Abriß der Papierbahn in »Geld« denken. Auch wenn den Arbeitern die Konsequenzen von Fehlhandlungen eingeschärft werden, ist häufig der Maßstab das »Geld«, nicht der mögliche Gebrauchswertschaden.

3. Produzentenstolz und Umweltschutz Wir sahen: Die Entwicklung der Produktivkräfte erfordert zur bloßen Aufrechterhaltung der Produktion ein höheres Maß an Gebrauchswertbewußtsein, das mit dem Lohnarbeiterstatus kollidiert. Auch die Gesellschaftlichkeit der Arbeit wächst: Die Arbeiter müssen sich über die Inhalte der Produktjon untereinander verständigen und sie müssen die Nützlichkeit ihrer Arbeit für andere einsehen können. Auch dies gerät in Spannung mit dem gleichbleibenden Lohnarbeiterstatus. Aber noch an einer weiteren »Front« geraten die Elemente in Bewegung: Sind die Produzenten prinzipiell aus der gesellschaftlichen Planung ausgeschlossen, bedeutet dies nicht, andere, z.B. die Unternehmer, hätten jene Planung an sich gerissen. Statt gesellschaftlich geplanten Handelns, ist es der Profit- und Marktmechanismus, der Rohstoffe, Arbeit und Produktmengen ins Verhältnis zueinander setzt. Dieser Mechanismus kennt »von Natur« aus keinen Plan für die Verwaltung der Rohstoffe, den Abbau der Produktionsabfälle, den Schutz der Umwelt usw. Die ökologische Krise rückt zunehmend ins Bewußtsein vieler Bürger: Bürgerinitiativen zum Umweltschutz scheinen derzeit die engagierteste politische Bewegung zu sein. Wir werden an dieser Stelle nicht den Umfang der ökologischen Krise vorstellen. Uns interessiert an dieser Stelle der Konflikt zwischen »Produzentenstolz« und umweltschädlicher Produktion: das Bewußtsein, gesellschaftlich nützlich zu arbeiten, nützliche Produkte herzustellen, muß kollidieren mit dem Schaden, der durch die Produktion bestimmter Quantitäten, aber auch Qualitäten, der Umwelt zugefügt wird. War es eben noch »Licht für die Stadt«, das man mit dem gehörigen Selbstbewußtsein produzierte, so ist es jetzt auch Smog, Luftverpestung, vielleicht gar radioaktive Gefahr für einen ganzen Landstrich. Mineralöl kann man zu verschiedenen nützlichen Dingen verarbeiten: zu Benzin, zu Straßendecken, Bodenbelag, usw. Wieviel man von jedem Produkt herstellt, läßt sich durch die Fahrweise des Meßwartenteams beeinflussen, wieweit beeinflussen sie die Verschmutzung der Luft? In den Betrieben, in denen »Unfälle« vorkommen, in denen, wie in Seweso, Giftgas entströmt; in Betrieben, in denen ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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die Aufwärmung und Vergiftung der Flüsse zum Alltag gehören, werden die Arbeiter nicht nur als Arbeitende gefährdet; sie sind zugleich Bürger, die ihre eigenen Lebensgrundlagen beeinträchtigen oder sogar langfristig aufs Spiel setzen. Überschreitet diese Beeinträchtigung die gewohnheitsmäßige Toleranzgrenze, werden die Arbeiter kaum stolz darauf sein können, in diesem Werk zu arbeiten. Wer wagte schon zu sagen: »wir von Harrisburg«, mit der Hoffnung, daß Nachbarn und Freunde dann noch voller Hochachtung sind? Wie kann ein solcher Schlag gegen den Produzentenstolz von den Unternehmern kompensiert werden? Können sie erreichen, daß die Arbeiter die Augen vor der allgemeinen Verschlechterung ihrer Lebensgrundlagen verschließen? Gelingt dies, wie weit trägt dann noch das Bewußtsein, nützlich zu arbeiten? Die Verursacher von Umweltschäden können heute relativ gut festgestellt werden. So kann man aufgrund verschiedener neuartiger Meßtechniken, z.B. Gaschromatographie; .die Zusammensetzung von Abgasen präzise und unverzüglich messen. Wenn die Arbeiter nicht mehr gleichgültig arbeiten können, wenn die automatisierte Produktion funktionieren soll, wenn sie qualitätsbewußt denken müssen, rückt auch die Ungesellschaftlichkeit ihres Handelns stärker ins Bewußtsein. Wer sich dafür einsetzt, die menschlichen Lebensbedingungen zu erhalten und zu verbessert^ müßte in den Betrieben Arbeiter finden, die sich der Gesellschaftlichkeit ihrer Arbeit bewußt sind und die Sache der Umweltbewegung vorantreiben können. Tatsächlich stehen sich, Arbeiterbewegung und »Grüne« zum Teil feindlich gegenüber: So wirft der »Aktionskreis Energie der Betriebsräte« den »Grünen« vor, ihre Politik würde »wachsende Arbeitslosigkeit«, t »Abbau sozialer Sicherheiten«, »Verzicht auf Industrie« bedeuten (vgl. Aktiönskreis Energie der Üetriebsräte, o.J.). Auf der anderen Seite werfen Vertreter der »Qrünen« den Arbeitern und ihren Gewerkschaften vor, sie würden, ngr ünp ihre Arbeitsplätze zu erhalten, die Lebensgrundlagen der Mensbhheit auf's Spiel setzen und seien daher keine Bündnispartner für die fortschrittliche Bewegung mehr. Ein Vertreter - der Bürgerinitiativen Umweltschutz formuliert: »Technischer Fortschritt trägt zur Degeneration des Menschen bei, weil Technik Arbeit und Denken ersetzt und unsere Bequemlichkeit fördert.« (Bundesminister für Forschung und Technologie 1970) Die Komplexität dieser Konflikte läßt sich kaum bei Betriebsuntersuchungen in Einzelbetrieben wahrnehmen. Was uns aber auffiel war, wie sehr ein Teil unsrer Informanten, speziell aus der Unternehmensleitung, bemüht war, uns die Umweltfreundlichkeit seiner Produkte und Maßnahmen vorzuführen, obwohl wir in keinem Fall danach gefragt hatten. Die Informationen reichten von spontaner Mitteilung diverser »Neuerungen« oder Ausgaben auf dem Gebiete des Umweltschutzes, bis hin zu ausgesprochener ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Nervosität, ja Aggressivität bei dem Verdacht, wir könnten in Wirklichkeit nur aus Umweltinteresse überhaupt gekommen sein. Wieviele Betriebe uns aus diesem Grund einen Zutritt verweigerten, können wir nicht beurteilen. Wir sind selbst Bürger, also verwickelt in Umweltschäden, nicht oder nicht umittelbar beteiligt bei ihrer Produktion. Wir nahmen daher spontan an, die Unternehmer versorgten uns deshalb mit Informationen, nach denen wir nicht gefragt hatten, weil sie »Ärger mit Bürgerinitiativen« hätten. In einigen Fällen traf dies auch zu. Wir dachten noch nicht daran, dieser Konflikt könnte für die Werksleitung auch deshalb besonders gravierend sein, weil er die Arbeitsmoral untergräbt. Die heftige Reaktion der Unternehmer auf das »Umweltproblem« wird, so gesehen, verständlicher. — Das Problem des Umweltschutzes war nicht Gegenstand unserer Untersuchung. Wir erhielten jedoch so viele Informationen nebenbei, daß wir versuchen wollen, einige Zusammenhänge ansatzweise in den Blick zu bekommen: Wir führen auf, was die Unternehmer zu Umweltfragen sagten und überprüfen die Aussagen in den Betrieben, bei denen Luft- und/oder Wasserverschmutzung bekanntermaßen ein Problem sind, wie bei Energiebetrieben, Mineralölraffinerien, Petrochemischen Werken, Papierherstellern (12 Betriebe). Wir versuchen herauszufinden, welche Konflikte existierten bzw. in welchen Formen Arbeiter den Konflikt verarbeiteten. Schließlich prüfen wir, welche Unternehmerstrategien das Umweltbewußtsein der Arbeiter in welcher Weise organisieren können. Die entwickelten Thesen können kaum mehr als Anregungen zu Forschungen auf diesem Gebiet sein. Die Grenzwerte Die Hälfte der Betriebsleiter umweltschädigender Unternehmen betonte in Gesprächen, welche Anstrengungen sie unternähmen, möglichst wenig Schadstoffe in die Luft zu lassen, das von ihnen verunreinigte Wasser wieder zu reinigen, die Sicherheitsvorschriften strengstens einzuhalten. Zum Teil wurde die Automatisierung selbst als Umweltschutzmaßnahme dargestellt: Der kontinuierliche Produktionsprozeß des Papiers ermögliche erst die Reinigung des Wassers, die Elektroofen eines Stahlwerkes seien zur Einhaltung der Umweltschutzbestimmungen eingeführt worden. Inwiefern »ermöglicht« die kontinuierliche Papierproduktion die Reinigung des Wassers? Der kontinuierliche Prozeß macht es für die Unternehmer profitabel, einen Teil des verbrauchten Wassers wiederzuverwenden. Da die Chemikalien im Wasser es für die Produktion unbrauchbar machen, werden bessere Methoden zu seiner Reinigung entwickelt. Die »Möglichkeit« besserer Wasserreinigung entstand aus ihrer Notwendigkeit vom Standpunkt der Kosteneinsparung/Gewinnerhöhung. Gerade weil die Unternehmer bzw. ihre Beauftragten uns versicherten, wie sehr sie sich um den ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Schutz der Umweit sorgten, fiel uns auf, wie selten sie darüber redeten, wenn sie die Aufgaben der Arbeiter beschrieben. Da mußten die Arbeiter für die Güte des Produkts sorgen, für maximale Ausbeute kostbarer Heizöle, für störungsfreien Ablauf. In einem petrochemischen Werk wurde ausdrücklich betont, Fehler seien nicht vorrangig zu vermeiden, weil sie gefährlich seien, sondern weil sie teuer seien. Einige Monate nach unserer Untersuchung schwebte über dem Süden der Bundesrepublik eine Giftgaswolke: sie kam aus jenem petrochemischen Werk. In einem Kohlekraftwerk wurde uns berichtet, früher hätte es als Kavaliersdelikt gegolten, wenn die Arbeiter bei Störungen mal etwas »in die Luft ließen«. Heute fänden Schulungen statt, in denen die Arbeiter lernten, Störungen anders zu bewältigen. Offenbar ein Erfolg der gegen dieses Kraftwerk mobilisierten Bürgerinitiativen. Neben dieser Schulung fanden wir nur noch eine Form, in der die Arbeitenden bei ihrer Tätigkeit direkt mit der Umweltschädlichkeit ihres Tuns konfrontiert wurden: Es wurden ihnen von der Betriebsleitung oder Arbeitsvorbereitung Grenzwerte vorgegeben, die sie nicht überschreiten durften, ohne die Umwelt zu gefährden. Diese staatlich vorgeschriebenen Grenzwerte sagen jedoch nur wenig über die tatsächliche Gefährlichkeit einer Produktion aus. Es werden viel zu wenig Werte überhaupt gemessen und es wird das Zusammenwirken aller wichtigen Werte nicht in Betracht gezogen (vgl. Koch und Vahrenholt 1980, S.180ff.). Da die Arbeiter lediglich darauf hingewiesen werden, auf Grenzwerte zu achten, müssen sie — das liegt in der Logik des Grenzwerte-Denkens selbst — zu dem Schluß kommen, ein Fahren unterhalb dieser Grenzwerte sei ungefährlich. Sie sind dafür verantwortlich, daß diese Werte nicht überschritten werden. Kritik an der Produktionsweise können sie auffassen als Kritik an ihrer Fahrweise. So sind sie mit ihren Taten eingespannt in die Rechtfertigungsargumentationen der Unternehmer. Alternativen In einem Kohlekraftwerk erlebten wir, wie die Arbeiter voller Zorn die Anti-AKW-Plakette eines Studenten betrachteten. »Die Bevölkerung einer Großstadt müßte den ganzen Tag auf einem Fahrrad einen Dynamo antreiben, wenn sie soviel Strom erzeugen wollte, wie sie an einem Tag verbraucht«, so rechneten sie uns vor. Die Rechnung hatte ihnen ein leitender Ingenieur vorgeführt, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit. Was ist an dieser Sichtweise so überzeugend? Den Arbeitern wird zunächst erklärt, wie notwendig ihre Tätigkeit ist, ihr Produzentenstolz wird angesprochen. Bei einem Produkt wie Energie ist dies besonders wirksam, weil die Arbeiter es täglich benutzen. In unserem Fall hatte der Betriebsrat durchgesetzt, daß alle Arbeitenden den Strom zum verbilligten Nachttarif geliefert bekamen. Es gab also für sie eine direkte ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Verbindung zwischen ihrer Produktion und ihrer Konsumtion. Die Wirksamkeit des Arguments liegt aber nicht allein in seinem Inhalt, also in dem Hinweis auf die Notwendigkeit von Energie, sondern auch in seiner Struktur: Die Kritik der Kernkraftgegner wird weder zurückgewiesen noch überhaupt zur Kenntnis genommen. Stattdessen wird die Frage nach einer Alternative zum gegenwärtigen Zustand beantwortet und damit als wesentliche Frage gekennzeichnet. Indem die aufgemachte Rechnung suggeriert, eine Alternative würde sowohl den Nutzen der Produktion als auch die Möglichkeiten der Konsumtion völlig zunichte machen, sei also absurd, wird die Kritik, wie begründet sie immer sein mag, ebenfalls für absurd erklärt. Diese Argumentationsstruktur wird von Unternehmerseite durchgängig angewandt, um Kritik an Produktionsweisen oder an der Gesellschaftsform zurückzuweisen. So beispielsweise die Betriebsleitung eines chemischen Werkes: »Wenn es uns nicht gestattet ist, Dünnsäure in den Rhein oder die Nordsee abzulassen, bedeutet dies den Verlust von 3000-4Ö00 Arbeitsplätzen« (TAZ vom 8.5.1980). Inhaltlich unterscheidet sich dieses Argument zwar von dem oben genannten; es wird nicht mit der Nützlichkeit der Produktion, sondern mit der Sicherheit der Arbeitsplätze argumentiert, ein in der Öffentlichkeit bekannteres, weil unentwegt wiederholtes Argument. Die Struktur der Argumentation ist jedoch ähnlich derjenigen der oberen Rechnung: Entweder eine Produktionsweise wie sie jetzt ist oder keine Produktionsweise. Die Art zu denken könnten wir beschreiben als eine Form des »anschauenden Denkens« (vgl. Holzkamp 1973). Es ist ein Denken, welches den »Organisationseffekten« der Wahrnehmung folgt. Einer dieser Effekte besteht darin, Bewegungen verschiedener Einheiten als »aufeinanderwirkend« zu sehen: »Wenn im Experiment ein bewegtes Gebilde an ein ruhendes Gebilde 'stößt' und sich dann beide Gebilde im Berührungkontakt in der Richtung der Bewegung des ersten Gebildes fortbewegen, so wird dies mit Wahrnehmungsevidenz als ein 'Fortschieben' des zweiten Gebildes durch das erste Gebilde aufgefaßt.« (Holzkamp 1973, S.316) Diese Art der Wahrnehmung wird »Kausalitätswahrnehmung« genannt. So können wir das anschauende Denken, auf dem die Wirksamkeit der oben dargestellten Alternativ-Struktur beruht, als kausal-mechanisches Denken bezeichnen. Hier wird das Resultat der Produktion zurückgeführt auf die bestimmte Art es zu produzieren. Kritik an der Produktionsweise, an ihrer Schädlichkeit kann dann gleichgesetzt werden mit der Forderung, die Produktion insgesamt aufzugeben. Die Wirksamkeit solcher falschen Alternativen wird noch dadurch gestützt, daß die Kritiker sie zum Teil selbst vertreten. So gibt es innerhalb der Umweltbewegung eine Fraktion, die zurück zur Handwerks- und Heimproduktion möchte und die Industrialisierung insgesamt für eine Sackgasse der MenschheitsentARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Wicklung hält (vgl. Ullrich 1979). Die Organisationseffekte der Wahrnehmung haben eine Funktionalität für das menschliche Überleben. Sie organisieren die Wahrnehmung so, daß häufiger Gegenstände wahrgenommen werden, die nicht existieren, als daß Gegenstände, die existieren, nicht wahrgenommen werden (vgl. Holzkamp 1973, S.331ff.). Welche Funktionalität kann aber darin bestehen, die bestehenden Produktionsformen als die einzig möglichen Formen der Bedürfnisbefriedigungen zu begreifen? Es muß eine Funktionalität für das Alltagsleben darin liegen, denn sonst ließe sich kaum erklären, warum falsche Alternativen sich nicht einfach durch die Darstellug richtiger oder besserer Alternativen aus den Angeln heben ließen. Die Argumente der Unternehmer, Umweltschutz koste Arbeitsplätze sind vor allem deshalb stark, weil sie innerhalb der bestehenden Gesellschaftsform wirklich sind. Sie sind es jedoch nur unter der Bedingung, daß die Arbeiterbewegung und die Umweltbewegung die Mechanismen der Privatproduktion nicht durch ihre bewußte Tat außer Kraft zu setzen suchen. Welche Konsequenzen hätte es für die Arbeitenden, wenn sie vorurteilslos das Verhältnis von Nutzen der Produktion, Schädlichkeit und Kontrollierbarkeit der Schäden abwägen würden? Diese Frage beantwortet Nemitz (1980) am Beipiel der Arbeiter eines Kernkraftwerkes so: »Falls sie das Risiko als zu hoch einschätzen, bleibt ihnen nur die Kündigung. Falls sie Verbesserungen für sinnvoll halten, muß dies zu Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten führen, in denen die Arbeitenden, schon mangels Qualifikation, ohne gewerkschaftlichen Druck gewöhnlich die Unterlegenen sein werden.« (S.83) Die Suche nach wirklichen Alternativen zur gegenwärtigen Produktion mobilisiert bei den Arbeitenden große Ängste. Es gibt tausende von Beispielen, in denen Arbeiter tatsächlich den kürzeren zogen, wenn sie sich auf Auseinandersetzungen mit Unternehmern einließen. Schlagzeilen machte erst kürzlich der Fall eines Arbeiters, der das Gewerbeaufsichtsamt einschaltete, damit es seinen Arbeitsplatz kontrolliere: Mehrmals zuvor hatte er der Betriebsleitung gemeldet, daß er die Kunststoffbeschichtung der Bleche, die er verschweißen mußte, für gesundheitsschädlich hielt, ohne Erfolg. Das Gewerbeaufsichtsamt verlangte nach der Prüfung der Bleche, sofort benachrichtigt zu werden, wenn »solche Arbeiten mit beschichteten Blechen sich wiederholen sollten« (vgl. Stern vom 5.3.1981, S.266). Der Arbeiter wurde daraufhin entlassen. Das Arbeitsgericht, bei dem er gegen die Entlassung klagte, gab der Betriebsleitung recht: Der Arbeiter hätte »die Treuepflicht« gegenüber dem Betrieb »verletzt«. Franz Steinkühler, Bezirksleiter der IG-Metall in Stuttgart, der dieses Urteil ein »Schandurteil« nannte/wurde erst in zweiter Instanz von der Anklage der Justizbeleidigung freigesprochen. Angesichts solcher Existenzrisiken ist es für die Arbeitenden durchaus funktional, die bestehenden ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Formen, in denen sie arbeiten, zu akzeptieren und das Angebot anzunehmen, es gäbe keine möglichen Alternativen. Diese Funktionalität ist jedoch beschränkt, da sie die Arbeitenden gleichzeitig hindert, für die Erhaltung ihrer Lebensgrundlagen zu kämpfen und stattdessen ihre Kampfkraft in die falsche Richtung dirigiert, gegen die vermeintlichen Gegner ihrer Arbeitsplätze, wie »Grüne« und sonstige »Weltverbesserer«. Ein besonders makaberes Beispiel eines solchen Kampfes, der sich in seiner Konsequenz gegen die eigenen Lebensbedingungen richtet, sind die Aktionen des oben schon erwähnten »Aktionskreises Energie der Betriebsräte«; »Kernenergie ist leistungsfähig und sicher, ...«, behauptet er in einer seiner Reklamebroschüren. Angesichts solcher Aktionen gewerkschaftlich organisierter Betriebsräte sind die Vorbehalte und das Mißtrauen von Teilen der Umweltbewegung nicht unverständlich. Daß in den Gewerkschaften aber auch andere Positionen vertreten werden, mit denen sich die Umweltbewegung durchaus verbünden kann, zeigt Krusewitz (1979). So heißt es beispielsweise in den »Leitsätzen des DGB zum Umweltschutz«: »Die Vorstellung, daß die Mittel zur Finanzierung umweltschützender Maßnahmen nur durch weiteres Wirtschaftswachstum aufgebracht werden können, ist falsch. Unkontrolliertes Wachstum erzeugt und verschärft gerade jene Umweltschäden, die es zu verhindern bzw. zu beseitigen gilt.« (zit.n.Krusewitz 1979). Am 15.3.1981 sendete der WDR ein Interview mit dem Vorsitzenden des DGB, Heinz Oskar Vetter. Anlaß war der DGB-Kongreß zum neuen Grundsatzprogramm. Vetter sagte dort sinngemäß, die Sicherung der Arbeitsplätze könne nicht der einzige Maßstab sein, nach dem man die Notwendigkeit einer Produktion beurteile. So könnten Arbeitsplätze weder ein Argument für den Export von Kriegsschiffen nach Chile, noch für die Vernachlässigung von Umweltaufgaben sein. Wir führen diese widersprüchliche Politik der Gewerkschaften an, um zu zeigen, daß die Organisierung zwar eine notwendige Voraussetzung ist, damit die Arbeitenden mögliche Alternativen der gegenwärtigen Produktion erwägen, ohne daß die Existenzangst sie zu ständiger Realitätsabwehr zwingt, daß diese Organisierung aber keineswegs schon ausreicht. Die Alternativen, die zu entwickeln sind, verlangen letztlich das Denken einer alternativen Gesellschaftsformation. Auch dieser Gedanke ist den Gewerkschaften nicht fremd. So heißt es in den erwähnten »Leitsätzen«: »Unabdingbare Voraussetzung dafür (qualitatives Wachstum unter Sicherung des ökologischen Gleichgewichts, d.Verf.) ist vielmehr der Ausbau gesamtwirtschaftlicher Planung und Steuerung.« (zit.n.Krusewitz 1979) Die Gründe für den Widerspruch zwischen solchen Analysen und manchen gewerkschaftlichen Praxen können an dieser Stelle nicht weiter untersucht werden. Eine Möglichkeit, Kritik an der Schädlichkeit von Produktionsweisen abzuwehren, ist ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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also das Argumentieren mit falschen Alternativen. Die Wirksamkeit der Argumentationsstruktur beruht darauf, daß sie ein berechtigtes Interesse der Arbeitenden aufgreift (Produktion, Konsumtion, Arbeitsplätze) und dieses verknüpft mit der bestehenden Produktionsweise. Die Verknüpfung überzeugt, weil sie dem Alltagsdenken entgegenkommt, in dem spontan kausal-mechanisch gedacht wird: die Ursache der Bedürfnisbefriedigung wird in einer bestimmten Art der Produktion gesehen. Dieses Festklammern an den bekannten Gegebenheiten wird stabilisiert durch die objektive Existenzunsicherheit der Arbeitenden, die als Einzelne oder auf Betriebsebene gegenüber dem Kapital am kürzeren Hebel sitzen. Aber auch die Gewerkschaftsbewegung hat noch keine einheitliche Strategie zum Verhältnis von Produktion, Arbeitsplatzsicherheit und der Sicherung und Entwicklung der menschlichen Lebensgrundlagen, des ökologischen Gleichgewichts, entwickelt. Es fehlt, so Vitt, Vorstandsmitglied des Hauptvorstandes der IG ChemiePapier-Keramik, eine »ökologisch orientierte marxistische politische Ökonomie,... die auch eine politische Ökonomie der Arbeitskraft beinhaltet« (zit.n.Krusewitz 1979). Es fehlt aber auch eine Politik der Umweltbewegung, der Bürgerinitiativen, die das Produzentenbewußtsein der Arbeitenden, ihr Interesse an Arbeitsplätzen verknüpft mit ihrem Interesse, die Lebensgrundlagen der Menschen zu erhalten. Wolfgang Harich (1975), der eine Verbindung zwischen der Arbeiterbewegung und der ökologischen Bewegung herzustellen versucht, schließt bei seinen Überlegungen die Möglichkeit aus, daß die Produzenten selbst, aufgrund von Einsicht in die Bedingungen des Produzierens und in entwickelten Organisationen Produktion und ökologisches Gleichgewicht selbstbestimmt organisieren könnten. Da er die Lösung der Umweltprobleme nur durch Zwang von oben für machbar hält, hat seine Theorie, wie differenziert und entwickelt sie auch das Verhältnis von Natur- und Gesellschaftsentwicklung zu erfassen vermag, wenig Chancen, von den Arbeitenden zur Lösung der Probleme aufgegriffen zu werden. Das gleiche dürfte bei den größten Teilen der Bürgerinitiativenbewegung gelten. Wahrnehmung In fünf der hier untersuchten 12 Betriebe fanden wir besonders sorgfältig gestaltete Meßwarten. In einem petrochemischen Werk hatte man einen Farbpsychologen mit der Gestaltung beauftragt, in einem anderen hatte man den Meßwarten einen Teil der Anlage zur Pflege gegeben. Sie verlangten selbst nach Pinsel und Farbe, um die Anlage zu verschönern. In einem Zucker produzierenden Betrieb hatte man um das Werk eine Parklandschaft gebaut. Ein ausgegrabenes Keltengrab war erhalten worden. Die Betriebsleitung beabsichtigte, eine Vitrine einARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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zurichten, in der die übrigen Funde aus dem Keltengrab ausgestellt werden könnten. Solche ästhetisch-kulturellen Bemühungen um die Erscheinung des Betriebes, insbesondere der Meßwarten, haben wahrscheinlich Einfluß auf die Wahrnehmung des Betriebes und seiner Veränderung der Umwelt. Die Schönheit der Arbeitsumgebung, die gepflegte Atmosphäre einer Parklandschaft drängen den Gedanken an eine Umweltschädigung zurück. Eine ähnliche Wirkung könnte die absolute Sterilität der Arbeitsplätze in einem pharamazeutischen Unternehmen haben. Die Meßwarte, die für hygienische Klimaverhältnisse zu sorgen haben, müssen von der Sorgfalt her, mit der die Produktion geschützt wird, den Eindruck bekommen, die Produkte und die Produktionsweise könnten nicht schädlich sein, wie in den Medien immer wieder behauptet wird. Betriebsfamilie Die Betriebsfamilie ist die Form, in der der Produzentenstolz verknüpft ist mit dem Stolz auf den Betrieb. Diese Verknüpfung ist zunächst nicht das Werk raffinierter Unternehmerstrategien. Sie stellt sich spontan durch die Organisation der Produktion her: Sind die Produkte nützlich, so auch der sie produzierende Betrieb. Hat man teil an solcher nützlichen Produktion, sieht man sich als nützlichen Teil des Betriebes (zu den möglichen Widersprüchen vgl. das vorangegangene Kapitel sowie Teil IV, 2. Kap., 1. »Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien« in diesem Band). Darüber hinaus ist die Existenzmöglichkeit der Arbeiter als Lohnarbeiter an das Schicksal des Betriebes gebunden. Zwar besteht dieser Zusammenhang nicht unbedingt positiv: Größerer Gewinn des Betriebes bringt keine Lebensverbesserungen für die Arbeitenden; verliert der Betrieb jedoch, so kostet dies Arbeitsplätze. Dieses »gemeinsame Interesse« von Arbeitern und Unternehmern wird noch verstärkt, wenn der Betrieb in einem strukturschwachen Gebiet angesiedelt ist, das keine anderen Arbeitsplätze bietet. Drei der von uns untersuchten Betriebe unterstützten diesen Effekt: Sie entließen keine Arbeiter und verzichteten auf Kurzarbeit. Sie stellten dies uns gegenüber als eine besondere Strategie dar, die Arbeiter an den Betrieb zu binden. Wie wir aus dem obigen Justizurteil gesehen haben, finden sich in dem Verhältnis zwischen Arbeitern und Produktionsmittelbesitzern noch Reste feudaler Abhängigkeiten: »Treue« ist der Begriff, mit dem im Mittelalter die persönlichen Abhängigkeitsbeziehungen bezeichnet wurden. Eine »Treueverpflichtung« des Arbeiters gegenüber dem Betrieb, die nach Auffassung des Richters sogar noch höher zu stellen war, als das Interesse des Arbeiters an seiner Gesundheit, steht im Widerspruch zur Ware-Geld-Beziehung. Auf dem Markt — und der ArARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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beitsmarkt ist ein Teil davon — stehen sich zwei gleiche Warenbesitzer gegenüber. Die Gleichheit des Austausches schließt weitere Verpflichtungen aus, ausgenommen derjenigen, sich gegenseitig als freie und gleiche Eigentümer anzuerkennen, sich nicht zu betrügen. Diese Gleichheit, die im Tausch der Ware Arbeitskraft gegen Geld praktiziert wird, ist wiederum Basis der Wirkungsweise von Sozialmaßnahmen: Werkswohnungen, billige Kredite, Kindergärten, 13. und 14. Monatsgehalt, »Verzicht« auf Kündigungen, Altersversorgung, Treueprämien, Psychologen, die sich um die familiären Sorgen der Arbeitenden kümmern; alle diese Maßnahmen können in den Arbeitern das Gefühl erzeugen, sie seien dem Betrieb verpflichtet. Auch im Feudalismus verpflichtete sich der Empfänger einer Spende dem Spender (vgl. Warnke 1979). Aus der Praxis der Tauschbeziehungen bezieht dieser Vorgang eine neue Wirkungsweise. Einen Wert zu empfangen, ohne einen Gegenwert zu geben, verpflichtet in dem Sinne, daß der Gegenwert vom Geber jederzeit eingeklagt werden kann. Das Denken in solchen Tauschkategorien ist wahrscheinlich durch die jahrhundertealte Praxis und durch die Alltagspraxis derart tief in den Persönlichkeiten verankert, daß selbst klassenbewußte Arbeiter Schwierigkeiten haben dürften, gegen ein besonders »generöses« Unternehmen zu kämpfen. Ist diese »verpflichtende« Wirkung der Betriebsfamilienstrategien wahrscheinlich seit ihrer Entstehung unverändert, so erhält sie im Zusammenhang mit der ökologischen Krise eine neue Bedeutung: Es wird den Arbeitern schwer fallen, einen Betrieb, der so »großzügig« für ihre Lebensverbesserung sorgt, zugleich als einen zu erkennen, der ihre Lebensgrundlagen gefährdet. Die Verpflichtung kann ferner bedeuten, daß die Arbeiter sich für den Betrieb verantwortlich fühlen in der Weise, daß sie ihn gegen die Angriffe von außen verteidigen müssen. So können spontan wirkende Elemente und Sozialmaßnahmen ein Zugehörigkeitsgefühl der Arbeitenden zu dem Betrieb fördern, welches ein Bewußtsein wie »wir von Harrisburg« trotz aller Anfeindungen von »außen« behauptet und sich dabei als Märtyrer einer verkannten guten Sache fühlen kann. Sportverein Neben den Sozialmaßnahmen hat auch die Organisierung der Freizeit durch den Betrieb integrative Wirkungen. In allen von uns hier untersuchten Betrieben wurden zahlreiche Freizeitaktivitäten für die Arbeitenden angeboten: Von Fußball über Golf, Tennis, Segeln, Skifahren, Kegeln, Tischtennis, Hochseefischen, Turniertanz, Schießen, Amateurfunk, Faustball, Schwimmen, Rudern, Schach, Reiten, Skat, Fotografieren bis zu Chören, Orchestern, Theatergruppen, Filmklubs, waren fast alle Sportarten und fast alle möglichen Kulturpraxen vertreten. Diese ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Betriebspraxis, die Freizeit der Arbeitenden zu organisieren, gibt es nicht erst seit der Automatisierung und auch nicht erst seit den öffentlichen Diskussionen über die ökologische Krise. Dennoch können die gleichen Maßnahmen in einem neuen Kräftefeld eine neue Funktion gewinnen. Wir können an dieser Stelle leider keine historische Analyse solcher Freizeitaktivitäten durch die Betriebe vorlegen. Sie würde es ermöglichen, die Veränderungen sowohl hinsichtlich der Qualität als auch der Quantität solcher Maßnahmen zu erkennen und so die neue Funktion eher zu begreifen. Wir wollen hier einige Thesen zum Effekt solcher Praxen formulieren. Den größten Raum nahmen die sportlichen Aktivitäten ein. In drei der zwölf Fälle wurde uns berichtet, daß die Idee von den Arbeitern selbst gekommen sei. Der Betrieb unterstützt dann die Initiative der Arbeitenden, in dem er Sportplätze oder Sporthallen mietet und zum Teil Ausrüstung zur Verfügung stellt. Zwei Betriebe hatten einen, bzw. mehrere Sportwarte eingestellt, die für eine systematische Entwicklung eines Betriebssports zu sorgen hatten. Ein mineralölverarbeitender Betrieb und ein Pharmaziehersteller betonten die Funktion des Fußballs für die Entstehung von »Teamgeist«. Sie forderten von den leitenden Angestellten, mit den Arbeitenden zusammen Fußball zu spielen. Hier bekommt man eine Ahnung von der möglichen Funktion des Sportes als Betriebssport. Der Sport kann die Ungleichheiten, die Abhängigkeitsbeziehungen im privaten Betrieb als imaginäre Gemeinschaft von Gleichen erfahrbar machen (vgl. dazu Teil IV, 4. Kap., 2 »Der Wettbewerb« in diesem Band). Sport und Politik sind desartikuliert, sie werden als zwei getrennte Bereiche erlebt. So wird beispielsweise kein Fußballverein in den Deutschen Fußballbund aufgenommen, der einen politischen Namen hat. Diese Praxisform des Sports als Antipolitik ist nicht selbstverständlich: Vor dem Faschismus spielten die Arbeitersportvereine eine wesentliche Rolle für den Zusammenhalt der Arbeiterbewegung (vgl. den Film von Brecht, Kuhle Wampe und Breuer und Lindner 1976, S.19ff.). Nachdem im Faschismus die Organisationen der Arbeiter entweder aufgelöst und in den staatlich organisierten Sport bzw. in den Betriebssport integriert wurden, wurde nach 1945 die Entpolitisierung des^ Sports betrieben (zum Betriebssport im Faschismus vgl. Projekt Ideologie-Theorie 1980, AS 62, S.227ff.). Die Gründe für diese Entpolitisierungsstrategie werden deutlich, hält man sich vor Augen, welchen Solidarisierungseffekt die eigenen Vereine der Arbeitenden hatten: »Die halten jetzt im Sportverein zusammen, die halten in irgendeiner anderen kulturellen Gemeinschaft zusammen, die halten im Betrieb zusammen, und wenn sie dann irgendwelche Forderungen durchsetzen wollen, dann sind sie auch bereit, gemeinsam für die Dinge zu kämpfen.« (Kraienhorst 1976, S.21) Die Trennung von Sport und Politik kann den ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

Produzentenstolz und

Umweltschutz

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Effekt haben, den Zusammenhang von sportlicher Gemeinschaft und politischer Gemeinschaft also einer Gemeinschaft, die ihre Interessen durchsetzt, zuzudecken. Diese Wirkung haben auch die offiziellen Formen, in denen zum Beispiel der Fußballsport organisiert ist: Vorstand, Satzung und Spielordnung sind nötig, um als Mitglied des DFB aufgenommen zu werden und dies wiederum ermöglicht es, die entsprechenden Plätze zu mieten. Der Arbeitersport wird auf diese Weise gezwungen, sich in vorgegebenen bürgerlich-juristischen Formen zu bewegen. Wenn Sport eine Möglichkeit der Gruppenbindung ist, wenn er gemeinschaftsbildende Kraft hat, so kann die Organisierung von Sport und anderen kulturellen Aktivitäten durch den Betrieb eine wichtige Rolle bei der Bildung einer Betriebsgemeinschaft bilden (zur gemeinschaftsbildenden Kraft des Fußballs vgl. auch Lindner und Breuer 1978). Es wäre eine eigene Untersuchung wert, zu prüfen, inwiefern der Betriebssport an Bedeutung gewinnt, da die Kontinuität der Arbeitersportbewegung gebrochen ist, da die Arbeiterwohnsiedlüngen, Ausgangspunkt und Fundament eigenständigen Arbeitersports, ihre Bedeutung fast verloren haben und die offiziellen Sportvereine von den Gesetzen des Marktes in einer Weise bestimmt sind, daß sie kaum noch Integrationskraft besitzen. Wird diese Integrationskraft vom Betrieb organisiert, so wäre dies ein weiterer Faktor, der die Arbeitenden gegen Angriffe der Umweltbewegung auf den Betrieb abschirmen, und sie zu Verteidigern von Betriebsinteressen machen könnte. Diese Wirkung wird umso wahrscheinlicher auftreten, je weniger von den Gewerkschaften und den Parteien Arbeiterkultur entwickelt wird. Die ehemalige Solidarität der Arbeitenden untereinander und gegen den Betrieb würde dann umgewandelt in eine Solidarität mit dem Betrieb: als nützlicher Produzent, »Arbeitgeber«, »Familie« und nun auch noch als »Sportverein«. In einem Betrieb entzogen sich die Arbeitenden bewußt dieser Strategie: Unser Informant meinte, weniger als die Hälfte der EDV-Arbeiter nehme an Sportveranstaltungen teil, weil sie nicht so sehr an die Firma gebunden seien und gebunden sein wollten. Ein weiterer Aspekt, der uns bei der Liste der Sportarten auffällt, ist die Organisierung von Sportarten, die traditionell Sportarten der herrschenden Klasse sind, wie Tennis, Golf, Reiten und ähnliches. Es wäre zu prüfen, ob eine Integration über diese Sportarten nicht zugleich die Arbeitenden von ihrer Klasse isoliert. Sie bilden nicht nur einen betrieblichen Sportverein, sondern einen, in dem sie Sportarten praktizieren, die Arbeitern gewöhnlich aus finanziellen Gründen versagt sind. Sport war übrigens insgesamt bis zur Jahrhundertwende ein Privileg der bürgerlichen Klassen (vgl. Lindner und Breuer 1978). Nach der Einführung des Achtstundentages wurde die Möglichkeit ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Teil IV

Sport zu treiben, von den Arbeitern erkämpft. Sie brachten oft große finanzielle Opfer, um Material und Plätze zu beschaffen. Auf diese Weise wurde Sport von den Arbeitenden aktiv demokratisiert, zu ihrer eigenen Sache gemacht. Sorgt der Betrieb für Sportmöglichkeiten, so ergibt sich daraus der oben dargestellte »Verpflichtungseffekt« und, statt daß die Arbeitenden sich den Sport erobern, ihn zu einer Sache von unten machen, erhalten sie nun die Erlaubnis, sich »nach oben« zu bewegen, teilzuhaben an der Praxis der Herrschenden, jedoch als Gnadenakt. Alle diese Formen, Arbeiter in den Betrieb zu integrieren, haben darüber hinaus die Funktion, eine Denkweise zu entwickeln bzw. zu stabilisieren, mit der die Umweltproblematik nicht zu fassen ist: Das Denken im Rahmen des Betriebes bleibt borniert auf Faktoren beschränkt, die durch den Betrieb bewirkt werden. Die Bedeutsamkeit der ökologischen Probleme liegt jedoch gerade darin, daß viele Schädigungen, die für sich genommen möglicherweise erträglich wären, sich überlagern und sich auf diese Weise verstärken. Umweltprobleme müssen im Weltmaßstab gedacht werden, sind auf der Betriebsebene weder zu erfassen, noch zu lösen. — Wir haben hier hur Formen beschreiben können, in denen der Konflikt zwischen Produzentenstolz und Umweltschutz stillgelegt oder im Sinne des Profitinteresses von den Arbeitern verarbeitet werden konnte. Wir konnten deshalb keine anderen Formen darstellen, da wir nicht explizit nach ihnen geforscht haben, ganz abgesehen von den schon erwähnten Schwierigkeiten, überhaupt Konflikte in den Betrieben zu erfassen. Jedoch kann auch aus der Darstellung der integrierenden Praxen gelernt werden. So scheint es uns nahezuliegen, daß die Umweltbewegung den Produzentenstolz artikulieren muß, will sie nicht auf die notwendige Kampfkraft der Arbeitenden für die Interessen des Umweltschutzes verzichten. Die Arbeitenden sind notwendige Bündnispartner, weil sie bei entsprechender Qualifikation und bei wachem Interesse zuerst die umweltgefährdende Produktionsweise eines Betriebes erkennen und bekämpfen können und weil sie als einzige imstande sind, der Macht des Kapitals eine notwendige Basis zu entziehen: ihre Arbeitskraft. Um die Arbeitenden aus dem Einflußbereich der Betriebe, des Kapitals herauszubrechen ist die Entwicklung einer eigenständigen Arbeiterkultur zentral. Die Bürgerinitiativenbewegung hat zwar in großem Umfang eigene Kulturpraxen von unten entwickelt; es sind aber meist Formen, die Arbeiter ausgrenzen. Dies ist in der sozialen Zusammensetzung der Bürgerinitiativen begründet. Die Forderung kann daher nicht sein, die Umweltbewegung müsse als kultureller Missionar ihre Kulturformen in die Arbeiterklasse hineintragen, jedoch wäre eine größere Sensibilität gegenüber Elementen der Arbeiterkultur, in denen Widerstandskräfte gegen Herrschaft enthalten sind, nützlich, zukünftiges gemeinsames Handeln vorzubereiten. ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

Zweites Kapitel: Das Planungsproblem

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1. Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien Werte in der Technik Solange sie nur Maschinen bauten, an denen die Arbeiter dann diese oder jene Bedienung vornehmen mußten: Rohstoffe hineinfüttern, Stücke transportieren, Einzelnes montieren, Fertiges abnehmen, schien den Ingenieuren die Technik ganz neutral, Hilfsmittel für das Herstellen von Produkten — oder waren es die Arbeiter, die den Maschinen als Hilfsmittel beigesellt waren? —- Was Technik regierte, waren auch nicht sie, sondern der Sachzwang. Dies galt selbst dann, als sie die Maschinen so weit entwickelten, daß nur das Steuern und Regeln noch von Hand geschah. Erst als sie weitere Taten der Arbeiter in die Maschinen einbauten und die so automatisierten Maschinen den Arbeitern zur Überwachung anvertrauen mußten, schien ihnen, die sie doch nur tiefer in die Naturgesetze eingedrungen waren, plötzlich, als ob da außer den Sachzwängen noch weitere Maßstäbe ins Spiel kämen, und es begannen die Diskussionen der Ingenieure um die »außertechnischen Wertpräferenzen« in der Technik. Nicht nur die Rohstoffkrise, die Gefährlichkeit atomarer Energie und die ökologische Katstrophe, nicht allein die Verwüstung der Städte, die Verschmutzung der Luft zwangen die Wissenschaftler der Produktion zum Nachdenken über die mit der Technologie verbundenen Werte, auch im Bau der Maschinen selber und in der Art, wie die Befehle für die Produktion in ihren festgeschrieben und also entzifferbar waren, glaubten sie jetzt Werte, zu entdecken, über die sie sich mit Hilfe von Technikphilosophen Rechenschaft ablegen wollten. Seit Mitte der 70er Jahre erscheinen im Verlag des Vereins Deutscher Ingenieure Tagungsberichte und Vorträge zu Fragen der Wertepräferenzen in der Technik, in denen Einigkeit hergestellt wurde, daß die Rede von den Sachzwängen »ideologisch« sei und statt dessen versucht wird, Ordnung in die Wertorientierungen zu bringen, die offensichtlich in jedes Projekt eingehen und die dazu zwingen, über den mathematischen Formalismus hinauszugehen. Die durch die Entwicklung der Produktivkräfte vorangetriebene Wertsetzung in den Produktionsmitteln, der Konstruktion der Maschinen hat die Stellung der Ingenieure revolutioniert. Zum Teil erfahren sie dies in der Bewußtwerdung ihrer eignen Wertsetzungen, die sie in die Maschinen einbauen. Auf der anderen Seite stellt sich die beschleunigte Entwicklung der Produktivkräfte und der damit verbundene höhere Bedarf an technologisch qualifizierten Arbeitern dar als Verlust, als Vermassung ihres einst so privilegierten Status. Daß ihrer mehr gebraucht werden, trifft sie zunächst als Nivellierungsprozeß, gegen den sie ihren ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Teil IV

Status absichern wollen. Dennoch steckt auch in dieser Bewegung eine Politisierung einer gesellschaftlichen Gruppe. Nicht zufetzt äußert sich dieser Schub gesellschaftlicher Verantwortung in den Versuchen, eine »alternative Technologie« zu entwickeln. Uns interessiert jedoch an dieser Stelle der Streit um die Letztheit und Unbegründbarkeit bestimmter Werte nicht (man kann dies nachlesen in Moser und Hüning 1976 und 1978; Ropohl 1979), uns beschäftigt vielmehr die Frage, wie eigentlich die unmittelbaren Produzenten, die Arbeiter, an den Maschinen und Anlagen mit den Wertehierarchien in den Produktionsprozessen zurandekommen. Unter Werten verstehen wir dabei die Kriterien, nach denen der Prozeß ausgelegt ist, seine Ziele und die Prioritäten, die dabei gesetzt sind. Ungleich den Diskussionen in den Tagungen des Vereins Deutscher Ingenieure, bewegen uns jetzt nicht solche Werte wie Freiheit, Brüderlichkeit, Solidarität usw., nicht »allgemeine Grundwerte«, oder »Urwerte«, sondern so einfache Fragen wie z.B., ob bei der Produktion eines Autos seiner Sicherheit, der Geschwindigkeit, der Lebensdauer, den Kosten, der Fahrtüchtigkeit, dem Energieverbrauch, dem Rohstoffverbrauch, der notwendigen Arbeitszeit, der möglichen Gewinnspanne usw. der Primat eingeräumt wird und in welchem Verhältnis dazu die anderen »Werte« stehen. Um der Begriffsvermengung mit Interessenlosungen und ideologischen Werten vorzubeugen, werden wir im folgenden von Produktionszielen reden statt von »Werten«. Werte wie »Freiheit« usw. sind dann auf einer höheren Ebene angesiedelt als Berufungsinstanzen, die zur Rechtfertigung von Zielhierarchien angerufen werden. Solche Zielsetzungen entziehen sich den unmittelbaren Produzenten so lange, wie der Gesamtzusammenhang der Produktion ausschließlich Sache der Unternehmer und ihrer Beauftragten ist. Die Eindeutigkeit solcher Zuordnung wird fraglich, wenn Planungs- und Optimierungsaufgaben zur umittelbaren Produktionstätigkeit gehören. — Wir haben die verschiedenen Umbrüche in einigen Aspekten in den bisherigen Kapiteln vorgeführt. Daß Störungsbehebung, Verminderung von Stillstandszeiten, Eingriffe in Produktionszeiten, Fahren an Grenzwerten usw. immer auch mit Beurteilungsmaßstäben arbeiten müssen, die in einer hierarchischen Rangordnung vorzustellen sind und deren Folge von den Unternehmern vorgedacht, im Prozeß vorgegeben ist, leuchtet ein. Unüblich ist es, daß diese Produktionsziele in aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, bzw. daß über ihre Rangfolge nicht verfälschend Auskunft gegeben wird. Was bedeutet das für die Produzenten? Datenverfügung und Unternehmerkontrolle Sicher ist, daß sie um so kompetenter produzieren können, je klarer ihnen die Kriterien sind, nach denen sie sich richten sollen. Die meist ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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unzulängliche Ausbildung läßt sie nicht alle Zusammenhänge angemessen durchschauen; zudem kann davon ausgegangen werden, daß die genauen Prioritäten, nach denen produziert wird, ihnen vorenthalten sind. Wie können sie dann angemessen arbeiten? Wir haben nicht angenommen, daß in der täglichen Produktion diese verschiedenen Aspekte rein, in gegensätzlicher Ausschießlichkeit gelebt werden. Vielmehr versuchten wir gerade herauszufinden, in welchen Mischformen die Gegensätzlichkeit von Kompetenz und Inkompetenz praktisch ausgehalten wird. So fragten wir sowohl nach dem Ausmaß, in dem die einzelnen tatsächlich über die Produktionsdaten wissen, die für den Arbeitsprozeß relevant sind als auch, inwieweit sie in ihren »Zielsetzungen« oder besser »Ziele verfolgenden« Handlungen der Kontrolle unterworfen sind. Dabei scheint uns die Tatsache einer Kontrolle nicht zwangsläufig ein Datum für eine hohe Inkompetenz der Produzenten; umgekehrt wäre sie auch und gerade dann angebracht, wenn die Zielhierarchie der Daten — bei Störungen etc. — nach einer Rangordnung erfolgen würde, die der verschwiegenen der Unternehmer entgegengesetzt wäre. Die wissenschaftliche Durchdringung des Arbeitsprozesses zwingt deshalb zur Einnahme eines gebrauchswertorientierten Standpunkts, weil jeder andere Standpunkt bei einer sich offiziell als Bedarfsgüterproduktion deklarierenden Herstellung nicht verallgemeinerbar und offen zugebbar wäre. Das bedeutet, daß jedes Kriterium, das über eine Gebrauchswertorientierung hinausgeht oder hinter ihr zurückfällt — etwa auf Kosten der Lebensdauer oder der Sicherheit die Produktionskosten zu senken — ausdrücklich augesprochen und als zusätzliche »Wertsetzung« von den Unternehmern durchgesetzt werden müßte. Die Verwissenschaftlichung der Produktion, die die in jede Handlung eingehenden Ziele als ausdrückliche Information verfügbar macht, zwingt zur Offenlegung der geheimen Motive. Ihre Benennung in unverhüllter Form, wie sie zu Produktionszwecken nötig wird, zwingt dazu, eine neue Sichtweise zu installieren, in der solche Redeweisen möglich und verständlich werden. Zumeist nehmen die Arbeiter nicht spontan den Unternehmerstandpunkt ein, wo er sich gegen Gebrauchswerte richtet. Die unverblümte Rede von Profitgesichtspunkten oder auch nur Einsparungsgesichtspunkten gegen die antizipierbaren Bedürfnisse von Konsumenten muß zu Spannungen im Verhältnis von Unternehmerkontrolle über die Arbeiter und Produktionskompetenz der Arbeiter führen, deren Austragsungsformen in den von uns untersuchten Betrieben vorgeführt werden soll. — Übrigens ist allen Menschen, wofern sie Staatsbürger sind und als solche also von Zeit zu Zeit mit öffentlichen Ämtern zu tun haben, schon eine eigentümliche Verbiegung von Standpunkt, Interesse und Bedürfnis bekannt. Häufig ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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nämlich treffen sie jene öffentlichen Bediensteten, die, um einige Mark für die Staatskasse und auf Kosten von Dienstleistungen zu sparen, oft viele Stunden gesellschaftlicher Arbeit vergeuden. — Es ist klar, daß diese Fragen — wie alle anderen, die sich mit der Produktivkraft Automation neu stellen — Probleme umfassen, die über die kapitalistische Gesellschaftsformation hinausweisen, auf die sozialistische Produzentendemokratie. Es läge also nahe, vergleichend vorzugehen und vom Fluchtpunkt sozialistischer Produktion rückwärts die Bewegungen in unseren Betrieben in Augenschein zu nehmen oder doch — da es uns verwehrt ist, die sozialistische Produktion zu studieren — zumindest ihre Arbeitswissenschaftler zu Rate zu ziehen. Wie schon zuvor (vgl. AS 19 und AS 43) suchten wir Hilfe im Werk von W. Hacker und mußten feststellen, daß Probleme des Werteinverständnisses der Werthierarchien für ihn überhaupt nicht existieren. Da er davon ausgeht, daß Probleme in der Produktion lediglich gelöst werden, nicht sich vielfach dort erst stellen, sind seine Begriffe auch so umstandslos harmonisch gebildet, daß der Kampf um die Durchführung der Produktionsaufgaben nicht real erscheint. An der Stelle also der Wertehierarchie steht bei ihm die »gesellschaftliche Aufgabenstellung«; daß sie gesellschaftlich ist, genügt, um sie nicht eigenes durchdenken, durchzweifeln, sich anmessen und aneignen zu müssen. In einem Diskussionsbeitrag auf dem 2. Internationalen Kongreß für Kritische Psychologie in Marburg ' (vgl. Haug 1980, S.70) mißversteht er unsere Probleme dahingehend, daß er zur Freude des Auditoriums formuliert, die DDR-Arbeiter würden, wenn erst einmal festgelegt sei, daß in ihrem Werk Autos produziert werden sollten, nicht auf die Idee kommen, jetzt Pudding herzustellen. Die ganze Dynamik, die in der Gesellschaftlichkeit der Produktion steckt — schließlich muß, was gesellschaftlich ist, ständig neu erkämpft werden, herausgelöst werden aus privatem Eigennutz, erstarrten Strukturen, bequemer Gleichgültigkeit — wird von Hacker in ein Anweisungsverhältnis »von oben nach unten« aufgelöst. Dabei zeigt die wirkliche Geschichte des Aufbaus des Sozialismus, daß gerade hier, auf der Ebene der Produktionsentscheidungen im Verhältnis zur Planvorgabe die Probleme sozialistischer Produktion überhaupt erst anfangen. So bleibt bei Hacker lediglich der Name »Plan« als Etikett für eine Struktur, die in diesem Bereich dann ganz ungesellschaftliche Züge trägt. Kehren wir also zurück in unsere automatisierten Betriebe und prüfen, wie sich die wirklichen Arbeiter im Konfliktfeld von unternehmerischen Produktionszielen, Produktivkraftanforderung und Kontrolle verhalten. Die Frage ist, welche Zielhierarchie einer Produktionshandlung zugrundegelegt wird, die mehr als bloßer Vollzug ist, selber Planung beinARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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haltet, als »planende Strategie« bezeichnet werden kann, stellte sich nicht an allen von uns untersuchten Arbeitsplätzen, so nicht bei den Datatypisten, nicht bei den Locherinnen oder Codierern. Zudem reichte nicht bei allen der übrigen automatisierten Arbeitsplätze die von uns erhobene Information aus, so daß die folgende Auswertung sich auf ein Sample von 247 Arbeitsplätzen bezieht (darunter Meßwarte, NC-Maschinenbediener, Arbeiter an Steuerständen, Einrichter, und vom EDVPersonal Programmierer, Operatoren, Systemtechniker und Produzenten an prozeßrechnergesteuerten Anlagen). Wir fragten zunächst, wo überhaupt über die notwendigen Daten für die Produktion verfügt wurde, bzw. wo umgekehrt aus Gründen der Herrschaftssicherung oder auch einfach wegen unzureichender Qualifikation der Produzenten andere Lösungen praktiziert wurden. »Bestimmte Eingriffe sind dem Zugriff der Operateure dadurch entzogen, daß sie mit einem Schlüssel abgeblockt sind; schließlich sind diese Leute nicht dazu in der Lage, die Folgen zu überblicken«, versichert ein Manager einer Erdölfirma mit Bestimmtheit und läßt in der Formulierung genügend Spielraum für die wirklichen Hintergründe. Die Produzenten verfügen nicht über alle für die Produktion relevanten Daten, weil ihr Vermögen (ihre Qualifikation) für die angemessene Handhabung nicht ausreicht. Ein Tatbestand, der so alltäglich ist, daß sein Skandal schon kaum mehr auffällt. Die Arbeiter arbeiten an Maschinen und Anlagen, die sie^icht beherrschen, ob sie darunter leiden, interessiert nicht, daß die Produktion darunter dennoch geschieht, wird zumeist auf eine ebenso unmenschliche und schon bei Kindern dem Lernen abträgliche^orm garantiert: ihre Arbeitshandlungen werden kontrolliert. Diesen Zustand fanden wir durchweg (an 182 der 247 Arbeitsplätze). Fast hundertprozentig war die äußere Kontrolle bei den Arbeitenden, die über die relevanten Produktonsdaten nicht verfügten. An 61 Arbeitsplätzen entzogen sich alle wertenden Entscheidungen der Kompetenz der Arbeitenden — 59 von ihnen (also etwa 97%) wurden unmittelbar kontrolliert durch anwesende Vorarbeiter, Meister, Qualitätskontrolleure. Laut Auskunft der Personalleitung verfügen 57 dieser 61 Produzenten auch nicht über die notwendigen Qualifikationen, um relevante Entscheidungen überhaupt treffen zu können. Da befürchtet wurde, daß sie dennoch an strategischen Punkten in die Datenhierarchie eingreifen könnten, wurde bei fast einem Drittel ein Datenentzug zusätzlich und offiziell vorgenommen — sei es durch technisch ermöglichte Blockierung, sei es durch Geheimhaltung der genauen Zusammensetzung aus »Markenschutzgründen«. Bei einer zweiten Arbeitergruppe, die immerhin »in Grenzen« oder »eingeschränkt« über relevante Produktionsdaten, die Werthaltungen bei den Entscheidungen ermöglichen, verfügen, fanden wir auch zunehmende Qualifikationen. Nur 18 von 53 wurden als wenig oder nicht ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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ausreichend qualifiziert bezeichnet (34%). Als Tendenz könnte man formulieren: Mit zunehmender Qualifikation wächst das Ausmaß der Produktionsdaten, die den Arbeitern zur Verfügung stehen. Der Satz ist nur scheinbar taütologisch, da die Verhältnisse Arbeit und Lernen alltäglich auseinanderreißen. Der Eindruck, den man aus der Abbildung 55 gewinnt, daß nur ein Drittel derjenigen, die zumindest über einen wesentlichen Teil der für die Produktion relevanten Daten verfügen, nicht ausreichend qualifiziert sind, bzw. ihnen der »Rest« der Daten wegen ihrer zu geringen Qualifikation vorenthalten wird, ist insofern richtig und gibt den Zustand wieder, daß während der Arbeit und in ihrem Vollzug selten eine Lernpraxis vorgesehen ist und daß insbesondere die unvollständige Beherrschung der Maschinen/Anlagen nicht Teil eines systematischen Weiterbildungsprogramms ist. Daß in der Gruppe derer, die schon über einen großen Teil der notwendigen Daten verfügen, eine Begrenzung, äußerlich und in herrschaftssichernder Absicht gesetzt, in mehr als der Hälfte aller Arbeitsplätze vorkommt, verweist auf die Ambivalenz, die der Begriff der »Verfügung« hat. Schließlich meint verfügen nicht nur, daß ich etwas meinen Fähigkeiten nach beherrsche, sondern auch, daß der Besitz der wesentlichen Daten mir möglich ist. Leerstellen, wofern sie nicht bloß versäumte Nachfragen dokumentieren, verweisen zumeist auf Interessantes, auf Widersprüche, auf absichtsvoll Verschwiegenes. Im Fall unserer Gruppe von Produzenten, die über einen begrenzten Teil der Daten wirklich verfügen, gibt es einige, bei denen die Begrenzung sich weder durch absichtsvolles Vorenthalten relevanter Daten erklären läßt, noch blind durch ungenügende Qualifikation sich durchsetzt. Es sind dies ebenfalls Arbeiter in einer Erdölraffinerie, von deren Nachvollzug und permanenter Vervollständigung der Daten in jedem Störungsfall, in der Bestimmung der Geschwindigkeit, des Drucks, des Durchlaufs bei der schichtweise zu bestimmenden Fahrweise, das Quantum der jeweiligen Spaltprodukte abhing, die auf dem Markt höchst unterschiedliche Preise erzielen, deren Menge also für die Unternehmensleitung von strategischer Bedeutung ist. Sie handeln, aber — so behaupten die Leiter — sie wissen nicht genau, was sie tun. Wiewohl wir in allen Betrieben die Erfahrung gemacht haben, daß die Leute aus der Betriebsleitung sich — sei es aus elitärem Dünkel, sei es aus Gründen der Lohnhöhe — über das Ausmaß dessen, was die Arbeiter wissen und können, immer zuungunsten der Arbeiter täuschen, spricht wiederum auch vieles dafür, daß die Produktion in der oben angedeuteten chaotischen Weise organisiert wird. Den Anforderungen der Produktionsmittel nachzugehen, die notwendigen Qualifikationen systematisch zu vermitteln, wird solange für umgänglich gehalten, wie die Produktion überhaupt läuft (vgl. AS 43, S.147ff.). Welche ungeheuren Reichtümer dabei an gesellschaftlicher ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Arbeitskraft und an Rohstoffen vergeudet werden, fällt nur deshalb nicht ins Gewicht, weil die noch größeren Profitspannen einen solchen Umgang mit der menschlichen und außermenschlichen Natur immer noch zulassen. Hier wird die weitere Entwicklung — die Rohstoffverknappung, die Konkurrenz, aber auch die Arbeiterklasse — zu anderen bewußteren Lösungen zwingen, ebenso wie die Form der unmittelbaren Kontrolle der Arbeitshandlungen bei den immer größeren Kompetenzen, die der gegenüber der Masse an Maschinen und Anlagen immer geringer werdenden Produzentenzahl zukommen, unsinnig wird, da sie tendenziell ein Verhältnis von einem Kontrolleur zu einem Arbeiter notwendig macht (schon jetzt fanden wir ein übliches Verhältnis von 1 zu 3). (Zum Verhältnis von Kontrolle und Kompetenz vgl. auch den folgenden Abschnitt »Kampf um die Daten«). Was spricht dagegen, daß der Arbeiter sein eigner Kontrolleur ist? Die einfachste Antwort, daß es die Produktionsverhältnisse sind, die eine solche Form zynisch und waghalsig zugleich sein lassen, bezeichnet auch den Widerspruch, der mit der Verfügung über die Däten gegeben ist. Immerhin sind es in unserem Sample mehr als die Hälfte, die über die relevanten Produktionsdaten Bescheid wissen. Die damit gegebene Möglichkeit der Sabotage, der Insubordination, der Rebellion wird zum größeren Teil durch die gleiche Form abgefangen wie zuvor die Produktion bei mangelnder Datenverfügung aufrechterhalten wurde: durch die Kontrolle der Arbeitshandlungen (bei 80 von 133). Beschäftigen wir uns an dieser Stelle nicht mit den Konsequenzen, die diese Regulierung von oben nach unten für die Durchführung der Produktion bedeutet oder gar für die Entwicklung der Produzenten (vgl. dazu Teil IV, 1. Kap. »Das Gebrauchswertproblem« und in AS 43, S.100ff.), sondern wenden uns der eigentümlichen Arbeitergruppe zu, die, im Besitze der relevanten Produktionsdaten, zum Teil sogar in Kenntnis der an Markt und Profit orientierten Wertehierarchie, in den zugemuteten Produktionsentscheidungen, ohne äußere Beschränkungen offenbar von einem Standpunkt aus produziert, der derjenige der Unternehmer ist, ohne daß diese zu Kontrollmaßnahmen greifen müssen'. Es sind dies immerhin 20% der in unserem Zusammenhang diskutierten Arbeiter. Vereinnahmung für fremde Standpunkte Die Verwunderung über diese Möglichkeit verlangt, die vermutete Gegensätzlichkeit der Standpunkte von Unternehmer und Arbeiter in der automatisierten Produktion genauer zu fassen. In der unmittelbaren Erfahrung spricht sich dieser Gegensatz vom Standpunkt der Arbeiter zum Beispiel so aus, daß sie »keine Lust haben, sparsam zu sein in der Produktion, weil die da oben ja genug Geld haben«. Weniger unARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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geschminkt heißt es in der Unternehmersprache: »Die Intentionen von Arbeitnehmern und Unternehmen sind nur teilweise gleich. Die gemeinsamen Interessen bilden sozusagen die Schnittmenge, mit der man arbeiten muß.« Und etwas deutlicher: »Humanisierung und Wirtschaftlichkeit können widersprüchlich sein.« Der Widerspruch besteht hier darin, daß »Wirtschaftlichkeit« als Minimierung von Kosten für eine bestimmte oder sogar zu steigernde Produktmenge aufgefaßt wird, wobei der Kostenfaktor Arbeit oder genauer Arbeiter mit seiner Eigenschaft, Kosten zu verursachen, nicht zugleich und schon gar nicht in erster Linie als Mensch gedacht wird. Sein Standpunkt von Humanität kollidiert mit den Gedanken der Unternehmer, an ihm zu sparen, seine Lebenszeit unter dem Gesichtspunkt der Kostenreduktion einzukalkulieren. Sind hier in Bezug auf die eignen Kosten die Standpunkte von Arbeiter und Unternehmer entgegengesetzt, so sind sie auf weiteren Ebenen zumindest nicht gleich. In einem Unternehmen mußten die Arbeiter ihre Entscheidungen immer wieder an den Marktpreisen der einzelnen Produkte hierarchisch orientieren, in einem anderen die ständig eingehenden Kundenwünsche zum Maßstab ihrer Handlungen machen. Warum sollte ein Arbeiter eine solche Marktorientierung haben, die vom Gebrauchswert unabhängig lediglich der Erhöhung der Gewinnspanne des Unternehmens dient? Solange er nicht selber Unternehmer ist, wird er — zumindest in den von uns untersuchten Betrieben — auf verschiedene Weisen zur Einnahme dieses fremden Standpunktes gebracht Die einfachste Form, gewissermaßen die Beteiligung an der Gewinnspanne, also die Bestechung, die in diesem Zusammenhang so alt ist wie die Arbeiterklasse selber, fanden wir noch in 15% der hier interessierenden Fälle. Daneben gab es eine Reihe von Arbeitern, die ihre Aufgaben nach unternehmerischer Rangordnung mit der Selbstverständlichkeit tätigen Lebens durchführten; sie taten dies in solcher Weise, weil sie Unternehmeraufgaben hatten. Ein Arbeiter, der ansonsten in seinem Betrieb »freie Hand« hatte, besprach einmal im Monat mit dem Manager Fragen der Rentabilität. Gemeinsam überlegten sie, was an technischen Neuerungen einzuführen wäre, was »produktmäßig und marktmäßig noch zu machen sei«. In einem anderen Werk gehört die ständige Beobachtung des Marktes und ein beständiges Rechnen, wo und wie kostengünstiger das Werkzeug ausgesucht werden könne, zu den expliziten Aufgaben eines Arbeiters. In einem dritten Werk werden die Arbeiter auf Messen geschickt, um den neuesten Stand der Technik und seine mögliche Anwendbarkeit in ihrem Bereich zu studieren und entsprechend Vorschläge zu machen. Überzeugen so die eignen Unternehmertaten von der Sinnfälligkeit des Tuns, wird dieser Vorgang von den Unternehmern und ihren Vertretern, als Charakterfrage abgebildet. Ein Arbeiter, der während seiner Arbeit ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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beständig Änderungen vornimmt, die am Marktpreis (z.B. des Holzes) orientiert sind, hat »Charakter, daher bekommt er diese Vertrauensstellung; man kann sich auf ihn verlassen«! Selbst in dieser Formulierung gelungener Integration hört man das Problem, daß die Unternehmer mit all den Arbeitern haben, »auf die man sich nicht verlassen kann« und ahnt die Mühen, die der Kampf um die Standpunkte kostet. Die wichtigste Einsicht, die wir aus der Untersuchung der Möglichkeit fremder Standpunktbesetzung gewannen, war die Ausnutzung der Privatheit der einzelnen Arbeiter für die Privatheit der Unternehmensziele. Sicherlich ist es nicht das Gleiche, ob ich für mich und meine Familie im Gegensatz zu anderen das Beste möchte, wie die gesellschaftliche Produktion um der privaten Bereicherung willen durchzuführen. Jedoch scheint es zu gelingen, am sichersten den Unternehmerstandpunkt beim Arbeiter zu verankern, wenn ihm die gesellschaftliche Produktion als private vorgestellt wird und keineswegs — wie wir bislang dachten — indem ihm der private Charakter der gesellschaftlichen Produktion verheimlicht wird. So bauen die Unternehmer etwa auf die Kraft der alles durchdringenden Produktionsverhältnisse, wenn sie formulieren: »Selbstverständlich ist jeder auch Privatmann und weiß daher, daß alles Geld kostet. So kann man ihn.zu sparsamem Denken bewegen.« »Gibt man ihm den Eindruck, daß es seine Maschine ist, die er bedient, so will er automatisch das Beste daraus machen.« Besonders geeignet für die Übernahme solcher »Vertrauensaufgaben«, bei denen der Unternehmer sich auf die Einnahme des Unternehmerstandpunktes verlassen können muß, sind demnach Arbeiter, die zuvor selber Kleineigentümer waren. So z.B. heißt es von einem Arbeiter in einer automatischen Schweinezuchtfabrik: »Alles richtig zu berechnen und immer kostengünstig am Markt sich zu orientieren, das hat er drauf; schließlich war er mal selber selbständiger Landwirt.« Selbst in der Mineralölverarbeitung wird damit gerechnet, daß, gibt man den einzelnen Arbeitern nur die Daten für die Kosten von Dampf, Heizöl und Mitteldestillaten, sie sofort ihren Hausmannsverstand einsetzen und die private Rechnerei mit dem Lohn als Haltung auf die Berechnung der »richtigen« Fahrweise im Betrieb übertragen. Daß ein jeder Arbeiter zuhause Privatmensch ist, und er dort rechnen muß, soll ihm die Berechnung für die Tasche der Unternehmer nachvollziehbar machen. Dieser Zusammenhang verlangt allerdings, daß nicht wie bisher eine Praxis für natürlich gehalten wird, die Arbeit und Freizeit strikt trennt, das eigentliche Leben in die Freizeit verlagert; umgekehrt muß der häusliche Standpunkt in die Arbeit sich hineinbegeben. Vielleicht ist es auch dieser Zusammenhang, der es den Arbeitsund Betriebspsychologen neuerlich so wichtig sein läßt, den Inhalt der Arbeit dem Arbeiter näher zu bringen (vgl. dazu u.a. Haug, F. 1977). ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Daß die Privatheit der Arbeiter für die Zustimmung zur Privatheit der Produktion genutzt wird, scheint uns der wichtigste Mechanismus im Kampf um die Standpunkte. Dabei ist dieser Zusammenhang, in dem die Verhältnisse für die Unternehmer arbeiten auch nicht widerspruchsfrei, denn schließlich beinhaltet unternehmerisches Denken, wie es hier für Arbeiter auch gelten soll, die Verfügung über die Produktionsmittel im doppelten Sinn. Neben diesem Mechanismus der Privatheit finden wir noch solche der Arbeitsorganisation — jede Abteilung ist ein eigner Betrieb mit selbständiger Rechnungsführung etwa — oder auch einfache Manipulationstechniken, die den Unternehmerstandpunkt in den Köpfen der Arbeiter verankern sollen. In einem Betrieb wurden zum Beispiel regelmäßig Führungskräftebeurteilungen durchgeführt, so als ob die Ausbeutung eine arbeitsteilige Leistung unter anderen wäre. Solche Strategien sind allerdings eher selten. Schließlich wirken neben der Privatheit der Produktionsverhältnisse für die Einnahme des Unternehmerstandpunktes bei der täglichen Vervollständigung der Daten auch noch die tatsächlichen Gebrauchswertgesichtspunkte wie die Ökonomie der Zeit als gesellschaftliche Maßstäbe, die das transitorische Recht der kapitalistischen Produktion bestimmen wie sie ebenso dem gesellschaftlichen Denken der Arbeiterklasse entgegenkommen. Nicht nur die Arbeiter, auch die Unternehmer in einer Möbelfabrik sehnten sich nach einer Möglichkeit, in großen Kombinaten die Möbelherstellung zu organisieren, da die Auftragsproduktion zuviel Verschnitt nötig mache. Deutlicher noch wird die Gebrauchswertorientierung der Produktion bei öffentlichen Dienstleistungsbetrieben. In einem Elektrizitätswerk heißt es: »Es ist zweifelsfrei, daß die Schaltisten daran denken, daß von ihrer Vorgehensweise das Laufen der Motoren in den vielen Fabriken abhängt.« Wie widersprüchlich der Standpunkt der Unternehmer zugleich perspektivisch gesellschaftlicher Ständpunkt wie in seiner Privatheit antigesellschaftlich ist, zeigt z.B. der Entscheidungsprozeß eines Brauers. »Er hat die Freiheit, das Beste aus der Sache zu machen. Er kann eine Reinigung überspringen, er kann den Nachtstrom besser ausnutzen.« Fast fließend sind hier die Grenzen zwischen der Ökonomie der Zeit und einer Weise des Profitmachens, die auch eine Qualitätsminderung in Kauf zu nehmen bereit ist. Schließlich setzt sich die Vergesellschaftung der Produktion durch die private Form der Profitmaximierung durch, wird durch sie bewirkt. Auseinandergelegt in zwei Kräfte fanden wir diesen historischen Zusammenhang in einer holzverarbeitenden Fabrik. Den Standpunkt der Kostenminimierung, die Frage nach dem größten Tauschwert war dem Prozeßrechner einprogrammiert. Der Bedienungsmann durfte in diesem System den Gebrauchswertstandpunkt als modifizierende Entscheidung einbringen, solange ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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er also munter und aufmerksam war, dem Computer widersprechen. — In einem Betonmischwerk wird die Gesellschaftlichkeit der Produktion zur nachträglichen und für die kommenden Prozesse wirksamen Erziehung genutzt. Bei Fehlern werden Brücken und ähnliche Bauwerke gemeinsam besichtigt und die »Millionen diskutiert, die bei Sprüngen und Brüchen« auf dem Spiele stehen. Daß es die Gesellschaftlichkeit der Produktion ist, die eine Integration der Arbeiter vorantreiben kann, bedeutet, daß eine der wichtigsten und am besten funktionierenden Integrationsstrategien der Unternehmer zugleich eine Forderung der vergesellschafteten Arbeiter sein muß: die Mitbestimmung. Am reibungslosesten erfolgte die Einnahme des Unternehmerstandpunkts in den von uns untersuchten Betrieben der Montanmitbestimmung. Daß dies so ist, soll keinesfalls gegen die Forderung nach Mitbestimmung mobilisieren. Es zeigt nur, wie in der widersprüchlichen Bewegung privat-gesellschaftlicher Produktion die Verschränkung der entgegengesetzten Pole eigentümliche Entwicklungen hervorbringt, die keine linearen Fortschritte oder eindeutige Rückschritte sind. Ob die weitere Vergesellschaftung der Produktion sich mit der Privatheit ihrer Motive auf Dauer verträgt, ist so nicht allein abhängig von der Entwicklung der Produktivkräfte. Diese treiben die Extreme lediglich zu neuartigen Spannungen, deren Lösung allein das Werk der Produzenten selber sein kann.

2. Kampf um die Daten Wie mit der Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise die unsystematischen, despotischen Formen der Kontrolle in der Sklaverei oder die individualisierten Formen im Handwerk unzureichend werden, wie Begriff und Prozeß der Kontrolle in Hinsicht auf zunehmend verallgemeinerte Warenproduktion umgewälzt werden müssen, hat zuletzt Braverman (1977) eindrucksvoll gezeigt: »Unter den speziellen und neuartigen Verhältnissen des Kapitalismus, die einen 'freien Arbeitsvertrag' voraussetzten, mußten sie (die Kapitalisten, d.Verf.) aus ihren Beschäftigten dasjenige tägliche Verhalten herausholen, das ihren Interessen am besten dienen sollte, sie mußten den Arbeitern ihren Willen aufzwingen, während diese einen Arbeitsprozeß auf freiwilliger vertraglicher Basis durchführten. Dieses Unterfangen besaß von Anfang an dasselbe Kennzeichen, das Clausewitz dem Krieg zusprach; es ist eine 'Bewegung im erschwerenden Mittel', denn es bedeutet die Kontrolle von widerspenstigen Massen.« (S.61) Per Vertrag und im Austausch gegen Lohn willigt der Arbeiter ein, eine bestimmte Spanne des Tages unter vorgegebenen Bedingungen vorgegebene Produktionsziele zu verwirklichen. Die Kontrolle durch die Eigentümer der Produktionsmittel bzw. ihre Vertreter bezieht sich ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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auf das Einhalten dieses Arrangements von Zeit und Raum, allgemeinen Bedingungen und Zielen. Sie richtet sich auf Quantität und Qualität der Produktionsergebnisse. Kontrolle der Arbeitsprozesse ist immer auch Kontrolle der arbeitenden Personen, der Art und Weise der Verausgabung ihres Arbeitsvermögens, der Ausprägung geforderter Arbeitstugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß, Zuverlässigkeit, Sorgfalt im Umgang mit Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand etc. Die Funktion der Kontrolle ist Funktion des Kapitals, »ohne die sonst vom Bürgertum so beliebte Teilung der Gewalten und das noch beliebtere Repräsentativsystem« (MEW 23, S.44). Die Despotie des Kommandos über die Arbeit verändert ihre Form: »An die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers tritt das Strafbuch des Aufsehers. Alle Strafen lösen sich natürlich auf in Geldstrafen und Lohnabzüge ...«(ebd.) Und dennoch ist die prozeßund personenbezogene Kontrolle begrenzt und lückenhaft: sie erfaßt vor allem die Ausführungsweise der Arbeitsprozesse nur unvollständig, was Taylor am Ende des 19. Jahrhunderts verwundert feststellte; sie erstreckt sich auf kleine Reichweiten und kurze Fristen, und erlaubt zumeist nur nachträgliche Korrekturen. Diese Grenzen sind jedoch beweglich: Sowohl die Definition des Produktionsarrangements wie die Kontrolle seiner Einhaltung ist von Anfang an ein umkämpfter und in die Umwälzungen der Arbeit hineingerissener Prozeß: Die Eigentümer der Produktionsbedingungen bzw. ihre Vertreter suchen das Arrangement zu ihren Gunsten zu verändern, gerade dadurch, daß sie die Kontrolle über den Arbeitsprozeß ausdehnen: sowohl über die Art und Weise seiner konkreten Durchführung (Taylorismus), wie auch über außerbetriebliche Bedingungen der Arbeit (Arbeitsmarkt, Ausbildung etc.). Die Anstrengungen werden umso heftiger, je mehr die Vergesellschaftung der Produktion, »mit der Kooperation auf großer Stufenleiter und der Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel, namentlich der Maschinerie« (Marx), Formen gesellschaftlicher Kontrolle über die Arbeit durch die Arbeitenden selbst verlangt. Das Interesse der Produzenten, ihre Arbeit selbst zu kontrollieren, reicht notwendig über den einzelnen Arbeitsplatz hinaus, in betriebliche und gesellschaftliche Dimensionen (Reduzierung der Arbeitszeit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Erkämpfung von Mitbestimmungsrechten etc.). Bislang kämpfen die Arbeitenden und ihre Organisationen aus einer Position struktureller Unterlegenheit, vorwiegend orientiert auf Abwehr der ständig erweiterten und verwissenschaftlichten Kontrollmacht der Eigentümer. Die Möglichkeiten des Gewinns von Einfluß und Kontrolle für die Arbeitenden hängen, wie von der Stärke ihrer kollektiven Kampfkraft, auch von der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und der durch sie bestimmten Anforderungen an die Organisation der Arbeitsprozesse ab. — Wie wird dieses Kampffeld durch die Automatisierung der Arbeit verändert? ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Aneignung und Enteignung Weit verbreitet, vor allem in den Gewerkschaften, ist die Ansicht, die Automatisierung, beispielsweise in Gestalt der NC-Technologie, habe erst die technische Grundlage für die volle Realisierung der Taylorschen Zielstellung geschaffen, »die Kontrolle über den Arbeitsplatz aus den Händen der vielen Arbeiter zu nehmen und sie vollständig in die Hände des Managements zu legen« (AS 19, S. 11 Off.). Die Herausnahme der Vorbereitung des Arbeitsprozesses aus der unmittelbaren Verschmelzung mit diesem in eine separate Abteilung werde erst im vergegenständlichten Programm zur selbsttätigen Steuerung von Maschinenfunktionen vollendet. Im Verbund mit anderen Computersystemen ermögliche NC sogar einen direkten Weg vom Reißbrett des Konstrukteurs bis zur Produktion eines Werkstückes und damit eine neue Qualität der Herrschaft des Managements über den gesamten Arbeitsprozeß (Shaiken 1979, S.8f.). Was Shaiken beinahe zwangsläufig zum Management abwandern sieht: Daten, Informationen, der verwissenschaftlichte Ablauf, das Wissen um Fertigung und Technologie etc., das ist in Wahrheit Gegenstand der verschiedenen Formen des Kampfes zwischen Management und Arbeitern, der nicht vorab schon entschieden ist. Im Gegenteil: konnte bei Taylor gerade aus technisch-ökonomischen Gründen die Wissenschaft der Fertigung nicht in der Werkstatt selbst voll praktiziert werden, so wird dies durch die Automatisierung, durch den Einzug des Computers in die Werkzeugmaschine technisch-ökonomisch möglich: ohne die Maschinen lange stillstehen lassen zu müssen, kann nun der Maschinenbediener selbst die Planung der Abläufe in Gestalt der Programme beeinflussen oder sogar ganz vornehmen, speichern und das Gespeicherte abrufen, perspektivisch sogar konstruieren. Nicht die praxisfernen Teileprogrammier und dann Konstruktionsingenieure bilden die Perspektive der Kontrolle über die NC-Fertigung, sondern neuartige Tätigkeitskombinationen auf verwissenschaftlichter Grundlage: von Programmier- und Fertigungsqualifikationen zunächst, später von Konstruktions- und Werkstattqualifikationen. Diese neuartige Verbindung von Theorie und Praxis ergibt sich jedoch nicht automatisch, sie ist zwar notwendige Anforderung der Produktivkraftentwicklung, zugleich jedoch Gegenstand des Kampfes zwischen Privateigentum und Arbeit um die Kontrolle der Arbeitsbedingungen: Das Management sucht nach Verfahren, die Verwissenschaftlichung des Produktionsprozesses unter seine Kontrolle zu bringen. Umgekehrt wächst dem Arbeiter jedoch ein technologisches Potential zu, das ihm die Kontrolle gerade aus dem Arbeitsprozeß heraus zu ergreifen gestattet. »Die zentrale Kontrolle über die Werkzeugmaschine liegt bei demjenigen, der die Instruktionen vorbereitet und nicht mehr bei dem Maschinenbediener.« (Shaiken 1979, S.7) Was aber ist, wenn der ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Maschinenbediener selbst die Instruktionen vorbereitet? Im merkwürdigen Gegensatz zu seiner Ausgangsthese sieht Shaiken diese Möglichkeit mit der Entwicklung von CNC-Systemen (vgl. AS 43, S.128) in den Horizont der Realisierbarkeit rücken: Die Entwicklung von CNC-Maschinen zum Zwecke der »Steigerung der Flexibilität des Managements« habe zugleich »die Möglichkeit der Rückgewinnung von Kontrolle durch die Arbeiter eröffnet.« Daß diese Kontrolle durch die Arbeiter mit zunehmender Gesellschaftlichkeit der Produktion gesellschaftliche, kollektive Formen verlangt; hier also die bewußte, arbeitsteilige Beschränkungen aufhebende Kooperation von Programmierern und Maschinenbedienern, wird bei Shaiken nur negativ reflektiert: in den Formen der Konkurrenz von Lohnarbeitern untereinander, die die Betriebsleitungen sich zunutze machen. Er zitiert den Chefprogrammierer eines kleinen Betriebes: »Die Sache stinkt. Kein Programmband, das ich rausgebe, ist sicher. Manchmal verändern sie (die Maschinenbediener) Dinge, von denen sie keine Ahnung haben«. Was wir in 5 von 7 Betrieben mit NC-Maschineneinsatz vorfanden: Kooperations- und Kommunikationsprobleme, »laufender Streit« zwischen Teileprogrammierern und NC-Maschinenbedienern (vgl. AS 43, S.202ff. und AS 55, S.294ff.) das bestätigen auch Shaikens (1979) Erhebungen in einem englischen Betrieb: »Interessant war, daß die Arbeiter in Form von Gruppenprämien entlohnt wurden und meinten, sie könnten mehr produzieren, wenn sie ihre Bänder selbst programmierten. Die Betriebsleitung, die sehr deutlich sah, daß die Möglichkeit einer Produktionserhöhung zugleich die Möglichkeit einer Produktionseinschränkung einschloß, stand auf der Seite der Programmierer, um die Arbeiter von der Handeingabe fernzuhalten (...) Ein Arbeiter an einer weniger komplizierten NC-Maschine hatte sich ein eigenes Lochgerät besorgt und machte heimlich seine eigenen Lochstreifen an der Werkzeugmaschine, um seine Leistung zu optimieren. Sein unmittelbarer Vorgesetzter wußte dies, unternahm aber wegen der höheren Leistung nichts dagegen.« (S.26) Shaiken berichtet, die soziale Situation sei dadurch noch kompliziert worden, daß Teileprogrammierer wie NC-Maschinenbediener in verschiedenen Zweigen derselben Gewerkschaft organisiert waren. Das Kampffeld Kontrolle der Arbeit ist von Widersprüchen bestimmt, die nicht einseitig verarbeitet werden dürfen: Mit der Automatisierung haben die Arbeitenden zunehmend integrierte Prozeßabschnitte, vermehrte Funktionen, große Systeme zu bewältigen; das erfordert erweiterte Zugriffe auf arbeitsnotwendiges Wissen, auf Daten, die die Prozesse und Funktionen abbilden, auf Techniken zur raschen und sicheren Verarbeitung dieser Daten. Die notwendige Transparenz der Arbeit für die Produzenten schließt jedoch zwingend ein, daß sie ihre eigenen Erfahrungen, ihr Wissen über die Arbeit selbst offenlegen. Mit der AutoARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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matisierung wird von den Produzenten zugleich mit dem Zugriff auf Wissen und Daten die Preisgabe ihres Wissens und ihrer Daten verlangt. Das ist ein zum Zerreißen gespannter Widerspruch für die Arbeitenden, aber auch — und anders — für die Unternehmer. Wie versuchen die Arbeitenden, diesen Widerspruch für sich in Bewegung zu bringen? Welche Strategien wenden Unternehmer an, diesen Widerspruch zu sistieren, zu entschärfen, aushalten zu können? Wir diskutieren die Fragen an einem Fallbeispiel. Es kommt uns hier nicht auf die Feststellung von Häufungen einzelner Dimensionen oder Formen der Arbeitskontrolle, sondern darauf an, das Kampffeld in seiner Widersprüchlichkeit sichtbar zu machen. Auch ist unser Untersuchungsmaterial an diesem Punkt notwendigerweise lückenhaft; wer in Betrieben und Verwaltungen der Entwicklung der Arbeitskontrolle nachgeht, muß mit enormen Informationsbarrieren rechnen: Die Arbeitenden haben zu oft Wissenschaftler als Menschen erfahren, die aufs freundlichste und interessierteste den Umständen ihrer Tätigkeit nachforschten, und sie später mit dem preisgegebenen Wissen in Gestalt veränderter Vorgaben, Organisationsformen und Maschinen konfrontierten. Die Vorgesetzten wiederum lassen äußerste Zurückhaltung walten, weil sie (nicht zu Unrecht) davon ausgehen, daß die möglichst reibungslose, verharmloste, verschwiegene Aneignung der zur Kontrolle benötigten Daten für sie am erfolgreichsten ist: sie sprechen am liebsten nicht darüber und wenn, dann in beruhigender und beschönigender Form, die eine eigene Übersetzungsanstrengung verlangt. So wird etwa die manuelle Protokollierung von Prozeßwerten, Eingriffen, Korrekturen, Störungen etc., die wir noch in vielen Betrieben vorfanden, damit begründet, sie habe »erzieherische Funktion«. Hinter der pädagogischen Geste können sich mehrere Absichten verbergen: etwa die, den Arbeiter zur Aufmerksamkeit anzuhalten und ihn für den automatisierten Prozeß zu »interessieren«, oder die, durch Vergleiche manuelle und maschinell erfaßter Daten seine Zuverlässigkeit zu kontrollieren und Widerständigkeiten auf die Spur zu kommen. Das Zugeständnis des Betriebsleiters einer Zuckerfabrik, die von Hand geschriebenen Protokolle seien »zu günstig«, weil »zu gleichmäßig« ausgefallen und darum habe er voll auf die automatische Erfassung der Meßwerte und Prozeßeingriffe umgestellt — ein solches Zugeständnis wird man nicht überall so offen erhalten. Vieles wird man erschließen müssen, aus Andeutungen, aus Wirklichkeitsspuren oder auch aus der einschlägigen betriebswirtschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Literatur. In einem von uns untersuchten Chemiebetrieb wird der gesamte Prozeß (es handelt sich um die Herstellung eines Zwischenprodukts für Pflanzenschutzmittel) von einer zentralen Meßwarte aus überwacht und gesteuert. Ein Prozeßrechner wird zur Erfassung und Verarbeitung ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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der Meßwerte eingesetzt, (noch) nicht zur automatischen Prozeßsteuerung. Die dem Prozeß entnommenen Meßwerte werden gespeichert und den Programmen zur Grenzwertüberwachung, zur Kennwertermittlung* zur Bilanzierung der Produktausbeute, des Energieverbrauchs etc. entsprechend sortiert, verrechnet, verdichtet etc. Aus den so ausgewerteten Daten lassen sich Erkenntnisse über Anlageneinstellungen und Entscheidungshilfen für die Prozeßsteuerung gewinnen; langfristig wird das Datenmaterial zur Grundlage für die Erarbeitung von Programmen zur automatischen Prozeßsteuerung. Automatisch erfaßt und verarbeitet werden also Prozeßdaten, die zu einem großen Teil zugleich personenbezogene Daten sind, die Auskunft darüber geben können, wie die Operateure in der Meßwarte manuell gehandelt und eingegriffen bzw. nicht gehandelt und eingegriffen haben. Automatische Datenauswertung erlaubt Rückschlüsse auf Anlagenprobleme ebenso wie auf Bedienungsfehler. Ist damit die vollständige Kontrolle über den Prozeß und die Operateure in der Meßwarte hergestellt? Die Meßwerterfassung und -Verarbeitung durch den Prozeßrechner führt zu keiner vollständigen Dokumentation von Prozeß und Handlungen der Operateure. Vielmehr ist das Funktionieren des Prozesses in mehrfacher Weise von zusätzlichen Dokumentationsleistungen der Operateure abhängig: Es gibt »tausenderlei Störungen und Unregelmäßigkeiten«, etwa physikalische und chemische Meßprobleme, die durch Verkrustungen, Aggressivität der Stoffe etc. entstehen, und damit ebensoviel Eingriffsnotwendigkeiten. Bei einem besonderen Typ von Störungen, solche, die nicht schlagartig auftreten, die in winzigen Abweichungen von Meßwerten sich ankündigen, die überdies mehrdeutig sein können, ist Freiwilligkeit der Wahrnehmung, des Analyseaufwands von den Operateuren verlangt. Hier gibt es keine eindeutige objektive Dokumentierbarkeit, besteht ein teilweise unkontrollierbares Verantwortungsfeld, Ebenso bei der Optimierung des Prozesses. Es werden zwar Soll-Werte, etwa vom Labor, vorgegeben, aber diese müssen in praktische Abläufe übersetzt werden. Es sind unterschiedliche Fahrweisen möglich, wodurch Durchsatzmenge und Reinheit des Produkts und der Energieverbrauch beeinflußt und variiert werden können. Hier hängt das optimale Gelingen des Prozesses von Beobachtungen und Eingriffen der Operateure und deren Dokumentation ab. In den Prozeß von Datengewinnung und Kontrolle über den Prozeß sind die Operateure der Meßwarte also auf höchst spannungsvolle Weise eingebunden: die automatische Meßwerterfassung und -Verarbeitung legt gleichsam automatisch ein Stück weit ihre Handlungen frei; zugleich decken die Operateure selbst ihre Handlungen auf und verstärken damit ihre Kontrollierbarkeit. Was treibt sie dazu? Wir finden ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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ein widersprüchliches Gemisch subjektiver und objektiver Faktoren: Wirksam ist zunächst ein objektiver Zwang zur Bewältigung des Prozesses, »ein Ausschuß ist nicht ein Ausschuß, sondern eine Explosion«. Wollen die Operateure den Prozeß einigermaßen unter Kontrolle halten, müssen sie ihre Eingriffe, Beobachtungen, Analysen dokumentieren und zur Kritik stellen. Es gibt eine Reihe von Hinweisen, daß dies von den Operateuren selbst widersprüchlich verarbeitet wird: einerseits als bewußte Aneignung prozeßnotwendigen Wissens, so, wenn sie Diagramme über die Temperaturführung zeichnen und mit den Werten der Qualitätskontrolle des Labors vergleichen, wenn einige von ihnen die Funktionspläne, Handbücher, Systembeschreibungen etc. nach der Schicht zum Studium mit nach Hause nehmen; andererseits als Zurückhaltung, als widerstrebende Preisgabe »ihrer« Prozeßdaten, was sicher auch durch Qualifikationsmängel und dadurch hervorgerufene Unsicherheit hinsichtlich der Konsequenzen eines Eingriffs, der Bedeutung einer Beobachtung mitbedingt ist: Berichtet wurde von Fehlern, die erst eine oder zwei Schichten später aufgedeckt wurden, von »Rivalitäten« zwischen den Schichten auf Grund unterschiedlicher Fahrweisen, von Streitigkeiten zwischen der Meßwarte und dem Labor darüber, ob das Endprodukt spezifikationsgerecht war. In den Aussagen der Schichtmeister und der Betriebsleitung wurden von uns insbesondere emphatische Betonungen der Informationsnotwendigkeit als verdeckte Problemhinweise, an die benötigten Informationen zu kommen, gewertet: die Operateure »müssen« die Meß- und Regeltechniker (die die Verarbeitungsergebnisse des Prozeßrechners auswerten) über ihre Eingriffe und Beobachtungen informieren; sie »müssen« bei Schichtwechsel über Fahrweise, besondere Vorkommnisse, Abweichungen an die nachfolgende Schicht berichten. Wirksam werden in dieser widersprüchlichen Verarbeitungsweise der Operateure zugleich spezifische Strategien der Betriebsleitung, Datengewinnung und Kontrolle über Prozeß und Produzenten zu sichern. Dreierlei ist in diesem Zusammenhang wichtig: — Die Operateure erhalten Monatslohn mit Prämienzuschlägen, »um das Interesse an der Arbeit zu erhöhen«. Die Prämien werden nach einem Beurteilungsverfahren berechnet, das qualitative Faktoren der Arbeit wie die Produktqualität in den Vordergrund stellt. Das Beurteilungsverfahren basiert auf einem Lohndatenerfassungssystem, das mit dem Meßwerterfassungssystem gekoppelt ist und das die automatisch erfaßten und manuell ergänzten prozeß- und personenbezogenen Daten in Lohnkennzahlen umformt, die personell zugeordnet und in Prämienform verrechnet werden. — Die Kontrolle über Prozeß und Operateure wird durch den Prozeßrechnereinsatz maschinisiert, d.h. als ein objektiver, sachnotwendiARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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ger Vorgang installiert, was er ohne Zweifel auch ist, aber zugleich mit dem Schein, als sei damit die Herrschaft aus der Kontrolle heraus. Unmittelbaren Zugriff auf den Prozeßrechner (der in einem gesonderten Raum aufgestellt ist) haben die Meß- und Regeltechniker und die Betriebsleitung; für die Operateure in der Meßwarte ist der Zugang auf zwei (an den Prozeßrechner angeschlossene) Drucker beschränkt, die alle vier Stunden ein Prozeßprotokoll und je nach Anfall ein Störungsprotokoll ausdrucken. — Zugleich findet eine Stärkung von Elementen der Eigenkontrolle auf der Ebene der Operateure statt. Ihre Kontrollhandlungen sind nun einmal nicht durch maschinisierte Kontrolle vollständig ersetzbar; vielmehr hängt von ihren Beobachtungen und Eingriffen und deren Dokumentation viel ab. Die Kontrollhandlungen der Operateure sind ihnen nicht starr vorgegeben (etwa: beobachte diese Instrumente zu diesem Zeitpunkt und in dieser Reihenfolge), sondern werden von ihnen weitgehend selbst bestimmt; über einen Bildschirm können sie die verschiedenen Anlagenteile anwählen und auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüfen, wobei sie Zeitpunkt und Reihenfolge z.T. selbst festlegen. Das Fallbeispiel leitet uns zu verallgemeinernden Überlegungen, in denen wir die herausgearbeiteten Elemente des widersprüchlichen Zusammenhangs von Kontrolle der Produzenten über die Arbeit und Kontrolliertheit der Produzenten in der Arbeit noch einmal aufnehmen. Zeitreserven und Arbeitsqualitäten Mit der Automatisierung der Arbeit geht in der Regel eine ungeheure Beschleunigung der Prozeß- und Fertigungsgeschwindigkeit einher, die nicht nur die laufende Kontrolle durch menschliche Sinnesleistungen oft unmöglich macht, sondern darüber hinaus die Einflußmöglichkeit der Arbeitenden auf Zeit- und Mengenleistung im Arbeitsprozeß herabsetzt. Dies wiederum ist für das Interesse der Betriebsleitungen an Kontrolle über die Produzenten von Bedeutung: das Schwergewicht der Kontrolle verschiebt sich von quantitativen zu qualitativen Faktoren: Wenn gegenüber dem Tempo der Maschine das Tempo lebendiger Arbeitsverausgabung zu einer vernachlässigenswerten Größe wird, gewinnen andere Größen an Gewicht: zeit gerechtes, vorbeugendes Handeln, Vermeiden von Fehlern, Minimieren von Störungen und Stillstandszeiten, Einhalten qualitativer Leistungsstandards, ökonomischer Umgang mit Roh- und Hilfsstoffen (vgl. hierzu ausführlich AS 55, S.312ff.). Wo die Arbeit automatisiert wird, fordert ein Vertreter eines Informationstechnik-Konzerns das Ende der »verkrampfte(n) Art der Rationalisierung hinter jeder Zeitreserve herzujagen«; den entstehenden Zeitgewinn benötige der »Mitarbeiter«, »um seine schöpferischen Fähigkeiten im Interesse der laufend zu verbessernden KommuARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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nikation mit dem System und der Verbesserung des Systems zu nutzen.« (Wiedemann 1971, S.106) Diese Verschiebung von quantitativen zu qualitativen Faktoren der Kontrolle findet auch ihren Ausdruck im Zurücktreten des Akkordlohns gegenüber dem Prämienlohn: Mit der Automatisierung verliert die »Anreizfunktion« der Leistungsentlohnung, »die darauf gerichtet ist, die Leistungshergabe der Arbeiter zu steigern«, an Gewicht. »Demgegenüber erscheint die Annahme berechtigt, daß die Regulierungsfunktion der Leistungsentlohnung, ein angemessenes Leistungsniveau aufrechtzuerhalten, weitgehend wirksam geblieben ist.« (Koch u.a. 1971, S.150) Wo es um die Regulierung zunehmend verketteter Abläufe geht, soll die Form der Gruppenprämie das Interesse der Produzenten an gegenseitiger Abstimmung Zusammenarbeit stimulieren. Auf solche Veränderungen der Lohnformen werden wir noch zurückkommen (vgl. unsere Resultatüberlegungen im nächsten Band, AS 79). Hier interessiert einstweilen an der Ausrichtung der Lohnform am Gruppenergebnis, wie wir sie etwa an der automatisierten H-Milch-Anlage einer Molkerei oder in der NC-Fertigung vorfanden, daß dadurch zugleich ein Stück der Kontrolle von oben in die Arbeitsgruppe, als Kontrolle ihrer Mitglieder untereinander, verlagert wird. Wo eine zeitliche Beeinflussung des Arbeitsergebnisses, Intensivierung der Arbeit unter automatisierten Bedingungen noch in größerem Umfang möglich ist, stößt das quantitative Beschleunigungsdenken an mehr oder weniger enge qualitative Grenzen: Eine amerikanische Untersuchung über die Produktivität von Programmierern hat bei identischen Aufgaben Zeitdifferenzen in der Programmerstellung im Verhältnis von 1:25 festgestellt. In einer deutschen Befragung von EDV-Leitern wurde die Leistung des besten Programmierers im Durchschnitt 3,5 mal höher veranschlagt als die des schlechtesten (vgl. Tertilt 1978, S.250f.). Daß hier die Unternehmer und ihre Vertreter an Kontrolle interessiert sind, um die Programmierleistung zu steigern, ist oft von ihnen formuliert worden; damit geraten sie jedoch zugleich in ein Dilemma: »Andererseits schränkt eine straffe Kontrolle den Freiraum des einzelnen Mitarbeiters wesentlich ein, so daß dies zu negativen Auswirkungen auf die Motivation und Kreativität des einzelnen führen kann. Hier das richtige Maß zu finden, ist eine der Herausforderungen beim Softwaremanagement.« (Kopetz 1976, S.151) Software lasse sich nun einmal nicht »linear« entwickeln, sondern nur in schrittweisen Verfeinerungen und wiederholten Annäherungen an die Problemlösung. Wenn die Kontrollierenden solche »Iterationen« im Entwicklungsprozeß kein Verständnis entgegenbringe, »lassen sich oft wesentliche Erkenntnisse über die Systemstruktur, die im Laufe der Entwicklungsarbeit gewonnen wurden, nicht mehr zur Verbesserung des Systemaufbaus einsetARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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zen, die erstbeste Alternative wird über Gebühr bevorzugt. Andererseits kann eine zu große Aufgeschlossenheit gegenüber 'besseren Ideen' zu Projektverzögerungen führen.« (S.154) Straffe Kontrolle und Intensivierung der Programmierarbeit verbürgen noch lange keine qualitativ guten Programmme, im Gegenteil. Als ein geeignetes Kontrollverfahren wird in einer IBM-Broschüre die »strukturierte Überwachung« vorgeschlagen: Sie sei dazu da, »Fehler früh im Entwicklungszyklus zu entdecken und zu beseitigen, und zwar in einer Atmosphäre der Problemlösung, in der Fehler ungestraft gefunden werden können und in der jeder, speziell der Entwickler, erpicht darauf ist, Fehler in dem Produkt zu finden. Eine strukturierte Überprüfung ist eine Überprüfung der Arbeit des Entwicklers (Programmdesign, Code, Dokumentation usw.) durch Projektmitarbeiter, die vom Entwickler eingeladen werden. Der Manager des Entwicklers nimmt nicht teil.« (IBM 1977, S.32) Maschinen kontrollieren Mit der Automatisierung der Arbeit wird die Anfälligkeit des Gesamtprozesses für Störungen, ungeplante Situationen, Fehlhandlungen immer gewichtiger; zugleich setzen Störungen etc. jeglicher, auf das Funktionieren des Arbeitsprozesses gerichteten Kontrollanstrengung Grenzen. Die Grenzen der Kontrollierbarkeit hinauszuschieben, haben Unternehmer und ihre Vertreter großes Interesse: Ihr Interesse richtet sich darauf, sich von den Kontroileistungen der Arbeitenden unabhängig zu machen und zugleich die Kontrolle über deren Arbeit zu verstärken. Von bestimmten Effekten der Automatisierung — höhere Genauigkeit, weniger Nacharbeit, gleichbleibende Qualität — abgesehen, die den notwendigen Kontrollaufwand ermäßigen, werden Prüf- und Meßvorgänge (damit deren Kontrolle) selbst automatisiert (Sensoren, Detektoren, adaptive control etc.). Damit kann menschliche Kontrolle sich auf strategisch wichtige Punkte konzentrieren. An die Stelle von Stückfür-Stück-Prüfungen treten gezielte Überprüfungen bestimmter Qualitätsmerkmale, die etwa für die Funktionsfähigkeit des ganzen Produkts oder für vorbeugende Maßnahmen von Bedeutung sind. Fehlerkontrollen, Fehlerdiagnospn, Fehlersperren werden in Systeme und Programme eingebaut: Eine Methode, Software-Fehler zu erkennen, besteht z.B. in der Überwachung der Ausführungszeiten eines DV-Prozesses: »Die Anwender-Software muß innerhalb eines gegebenen Zeitintervalls über einen kurzen Systemaufruf der System-Software den korrekten Ablauf des Anwenderprozesses mitteilen. Fällt dieser Aufruf über längere Zeit hinweg aus, so liegt möglicherweise eine unendliche Schleife im Anwenderprozeß vor, die so vom System erkannt werden kann. Eine andere Möglichkeit der Überwachung besteht darin, daß das System jedem Anwenderprozeß ein gewisses maximales Zeitintervall für die ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Bearbeitung vorgibt und nach Ablauf dieses Zeitintervalls den Prozeß automatisch abbricht. Die Zeitkontrollen können natürlich auch zur Überwachung verschiedenster anderer Prozesse, z.B. der Benutzerreaktion am Terminal, angewendet werden.« (Kopetz 1976, S.114) Der letzte Satz macht deutlich, wie sehr hier Prozeß- und Personenkontrolle miteinander verwoben sind. Das gilt auch beim Anschluß von Maschinensteuerungen an automatisierte Betriebsdatenerfassungssysteme, bei denen es u.a. darum geht, Störungen und ihre Ursachen, nach Zeit und Häufigkeit ihres Auftretens im Betriebsrechner zu registrieren und auszuwerten. Abbildung 56 mit dem Beispiel eines (automatisch erstellten) Schichtprotokolls präsentiert in bereits verdichteter Form nach Uhrzeit, Auftrags-, Artikel- und Personalnummer die an einer Maschine produzierte Stückzahl, den Ausschuß, den Nutzungsgrad (aus dem Verhältnis von Produktionszeit zur Belegzeit), die Taktzeit und ihre Abweichungen vom Sollwert, und die Stillstände nach Anzahl, Gründen und Zeitumfang: dabei mögen die Kennziffern etwa bedeuten 1 = Wartezeit Material 2 = Materialfehler 3 =Rüstzeit Maschine etc. (nach Ummelmann 1980, S.16).

Abb. 56 Schichtprotokoll Die Abbildung 56 befindet sich aus technischen Gründen auf Seite 607 dieses Bandes.

Die Auswertung solcher Daten ermöglicht es, über langfristige Trendanalysen und eine systematische Ermittlung von Schwachstellen, zu einer vorbeugenden Störungskontrolle vorzustoßen, aber auch zugleich die persönliche Leistungskontrolle der Maschinenbediener zu perfektionieren. Wo auch immer automatische Datenverarbeitung in Produktion und Verwaltung einzieht, ist — gleichsam als ein Nebenprodukt — die Möglichkeit eröffnet, Art und Umfang der Benutzung einer Maschine, Anlage oder des Datenverarbeitungssystems selbst, im Detail zu registrieren und — wenn sie über entsprechende Programme ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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verfügt — auszuwerten. Diesen Grundsachverhalt fanden wir durchweg an den von uns untersuchten automatisierten Arbeitsplätzen, allerdings auf unterschiedlichen Entwicklungsniveaus: etwa Zeitschreiber an NC-Maschinen, die registrieren, ob die Maschinen vollautomatisch laufen oder von Hand gefahren werden, ob Kontrollmessungen und Werkzeugkorrekturen vorgenommen werden, ob Materialfehler oder Maschinenstörungen vorliegen u.a.m. Die Meßwerterfassungsanlage in einer Zuckerfabrik kontrolliert 210 Meßstellen; auf einem Fernschreiber werden Stunden- und Schichtprotokolle ausgedruckt, ein zweiter Fernschreiber zeichnet Beginn und Ende einer Grenzwertüber- bzw. -unterschreitung auf. Der Prozeßrechner in einer Brauerei erfaßt während eines Sudablaufs alle wichtigen Daten des Produktionsprozesses und wertet sie in Gestalt von Störungsprotokollen, von Schicht- und Monatsberichten aus. Computer enthalten in der Regel job-accountingSysteme, die Häufigkeit, Dauer und Art ihrer Verwendung automatisch registrieren. Mit ihnen kann man etwa beim computergestützten Programmieren kontrollieren, wie lange ein Programmierer an einem bestimmten Modul arbeitet und wie oft er denselben Programmteil testet, ob er häufig Spielprogramme startet oder ob er sich private Dateien angelegt hat (vgl. AS 55, S.240-294). Die Entwicklung geht überall von der Datenerfassung an einer einzelnen Maschine bzw. in einem einzelnen Prozeß zur Verknüpfung mit anderen in einen Betrieb eingehenden bzw. in ihm anfallenden Daten zu großen Informationssystemen, etwa der Fertigungssteuerung oder der Personalplanung und des Personäleinsatzes etc. (zum Entwicklungsstand der Personalinformationssysteme vgl. Reber 1979, Heinrich und Pils 1979; kritisch: Drinkuth 1978, die Beiträge von Maschmann-Schulz und Hoss, in: Barthel 1980, und von Marcello, in: Brinckmann 1980). Mit der Automatisierung der Arbeit entstehen zwar die technischen Potentiale, zugleich die menschlichen Kontrolleistungen zu maschinisieren, aber dieser Prozeß stößt fortlaufend auf dieselben Grenzen der Störanfälligkeit, wie der Automatisierungsprozeß insgesamt (vgl. AS 43, S.133f.). Die automatisierte Arbeit bleibt angewiesen auf die kompetente Kontroll- und Korrekturhandlung der menschlichen Arbeitskraft; ja diese gewinnt sogar noch an Gewicht: In 44 von 229 erhobenen Fällen fanden wir für die Automations-Arbeitsplätze eine explizite strategische Orientierung der Betriebsleitung bzw. der unmittelbaren Vorgesetzten auf verstärkte »Selbstverantwortung«, »Selbstentscheidung«, »Selbstregulierung«, »Selbstkontrolle« (vgl. Teil IV, 1. Kap., 1. »Integration durch Vergesellschaftung«). »Arbeite genau, jeder ist selbst verantwortlich, unaufgefordert das 1., 3. und 10. Stück prüfen lassen!« stand in großen Lettern an den Hallenwänden eines Maschinenbaubetriebs. Selbstverantwortung der Arbeitenden ist Gegenstand intensiver »FührungskräfARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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te-Schulungen«. Ein Produktionsleiter berichtete von regelmäßigen Gesprächen mit »seinen Mitarbeitern«, in denen er sich mit ihnen über notwendige Produktionsveränderungen berate. »Man müßte die Arbeiter viel mehr fragen, bei Anschaffungen etwa nicht einfach von oben entscheiden, sondern immer die Leute von unten mitnehmen.« »Erziehung zur Selbständigkeit« wird in Ausbildungsprogramme für Facharbeiter aufgenommen. Einer der Ausbilder eines Automobilwerks sah »einen der wesentlichen Gründe für die gestiegenen Anforderungen an die Selbständigkeit der Beschäftigten, schon in der Ausbildung«, darin, »daß in der Technik ständig neue Probleme auftauchen, der Meister kann jetzt gar nicht mehr immer helfen, der Lehrling oder Arbeiter muß schon von sich aus wollen, sonst geht es nicht.« Der Personaldirektor desselben Werkes an anderer Stelle: »Führungskräfte werden daher in Zukunft noch mehr als heute zu realisieren haben, daß sie die unterschiedlichen Aufgabengebiete ihrer Mitarbeiter fachlich gar nicht mehr im vollen Umfang beherrschen und deren Arbeitsergebnisse z.T. nur noch nach allgemeinen Plausibilitätsgrundsätzen beurteilen können. Führungskräfte sind damit zunehmend auf die Mitarbeit und Zusammenarbeit selbständig handelnder und eigenverantwortlich entscheidender Fachkräfte angewiesen.« (Frerk 1978, S.6) In der Theorie der Organisationsentwicklung ist Selbstkontrolle längst selbstverständliches Strategiebestandstück; was etwa seinen Ausdruck findet in den Zielstellungen der US-amerikanischen National Training Laboratories für die Organisationsentwicklung: »Anordnung der Verantwortung für Entscheidungsfindung und Problemlösung so eng wie möglich zu den Informationsquellen«; und »Erhöhung der Selbstkontrolle und Selbstanleitung für alle Mitarbeiter einer Organisation« (zit. nach Haneke 1975, S.309). Erklärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang zweierlei: Wieso gewinnt Selbstkontrolle der Produzenten als Kontrollform an Gewicht? Und wieso kann Selbstkontrolle, also gerade ein weitgehender Verzicht auf Kontrolle von außen bzw. von oben, als Strategie der Unternehmer funktionieren; mit anderen Worten: wie funktioniert ein Arrangement, in dem gerade ein Gewinn an Selbstbestimmung in der Produktion auf Seiten der Arbeitenden in den Dienst der Herrschaft der Unternehmer über Produktion und Produzenten gestellt wird? Die Automatisierung der Arbeit hat die Anforderungen an die lebendige Arbeitskraft, um deren Einlösung es den Kontrollanstrengungen der Unternehmer und ihrer Vertreter gehen muß, radikal verändert: nicht mehr steht (wie noch in der mechanisierten Arbeit) das Einhalten rigider Fabrik- und Bürodisziplin und die Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit im Vordergrund des Kontrollinteresses. Statt dessen müssen Kräfte mobilisiert werden, die bislang eher gehemmt und verstümmelt worden waren: die BeherrARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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schung großer Prozesse und weitreichender Wirkungszusammenhänge, flexibles und kompetentes Handeln in unbekannten Situationen, zu denen der Aufbau neuer automatisierter Anlagen und Systeme ebenso gehören kann wie die unvorhergesehene Störung. Die Mobilisierung solcher Kräfte auf Seiten der Arbeitenden verträgt sich schlecht mit Kontrolle von außen bzw. von oben; sie verlangt selbständiges initiatives Handeln, das vorwiegend auch nur der eigenen Kontrolle zugänglich ist. Zugleich werden diese Kräfte auf spezifische Weise eingebunden: Die großen Prozesse und unbekannten Situationen, die von den Produzenten eine weitgehende Bewältigung in eigener Regie verlangen, werden von den Betriebsleitungen als Bewährungssituationen inszeniert. Ein Vertreter eines Informationstechnik-Konzerns: »Auch die Selbstregulierung ... ist im Prinzip positiv, weil sie dem Tüchtigen, der sich in der jeweiligen Situation bewährt, zugute kommt.« (Wiedemann 1971, S.134) In den Bewährungssituationen stehen produktives Handeln und Aufgaben in einem Verhältnis, in dem die Produktionsziele nicht zur Disposition stehen, sondern die Bewährung als Ziel erscheint. Von der Kontrolle des Arbeitsablaufs zur Betriebsleitung Mit der Automatisierung der Arbeit bahnt sich eine Verschiebung von Funktion und Begriff der Kontrolle in einem umfassenden Sinne an: Der Gebrauch des Wortes wird mehr und mehr auf den gesamten Betrieb bezogen und auf zukünftige Entwicklungen; er verschmilzt mit der Bedeutung der Planung und Steuerung von Systemen. Das drückt sich in der Übernahme des angelsächsischen »to control« aus, das ja einen umfassenderen Bedeutungsinhalt hat als das deutsche Wort »kontrollieren«: Es meint den Vorgang des Vergleichens und Regeins von Soll und Ist, und des Steuerns vor allem. Der Betrieb wird als Regelungsund Steuerungsvorgang gedacht. Demgegenüber scheint die in »control« auch enthaltene Bedeutung von »Machtausübung«, »sozialer Beeinflussung« zurückzutreten. Dies verstärkt einen schon in der Maschinisierung von Kontrolle beschlossenen Vorgang: wo an die Stelle der unmittelbar persönlichen Kontrolle die maschinell vermittelte tritt, macht Herrschaft (mitsamt den sie ausübenden gesellschaftlichen Kräften) sich unsichtbar. Zugleich spiegelt diese Funktions- und Bedeutungsverschiebung von Kontrolle einen realen Entwicklungsprozeß, der aufs engste mit der Automatisierung der Arbeit verbunden ist: mit der Integration und Verflechtung betrieblicher Teilprozesse zu einem Gesamtprozeß wachsen die Anforderungen an seine Planung und Steuerung und an die dafür notwendige Datenbeschaffung und -Verarbeitung. Perspektivisch werden etwa in der industriellen Produktion alle Phasen: vom konstruktiven Entwurf über Detaillierung, Fertigungs- und Betriebsmittelplanung bis ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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zum Fertigungsverfahren zu einem zusammenhängenden Prozeß zusammengeschlossen. Dahinter wirkt ein gewaltiger Problemdruck: von der Automation ausgelassene Bereiche bilden in der Regel Engpässe, die den reibungslosen Produktionsfluß hemmen, die Durchlaufzeit der Produkte erhöhen; ein großer Anteil an Werkstücken, die nur transportiert oder gelagert werden, bedingt eine hohe Kapitalbindung; das Nebeneinander von Produktionsbedingungen unterschiedlichen technologischen Niveaus verursacht Reibungsverluste, wo sie miteinander in Berührung kommen. »Betrachtet man den herkömmlichen Informations- und Materialfluß im gesamten Fertigungsbereich, so zeigt sich, daß fast alle Systeme autonom auf der Grundlage von unterschiedlichen Datenbeständen arbeiten. Auch bei guter Organisation entstehen große zeitliche Verzögerungen. Aus diesem Grund wird ein integriertes, rechnerunterstützes System im Fertigungsbereich so notwendig wie möglich, bei dem alle Bereiche auf eine gemeinsame Datenbasis zurückgreifen und über diese Basis miteinander Informationen austauschen können.« (Spur und Rengshausen 1978, S.126) Die Erfassung und Verknüpfung aller Produktionsaufträge, Materialflüsse, Lagerbestände, Werkzeugverfügbarkeiten, Maschinenzustände, Arbeitskräfte etc. mit Hilfe der EDV ermöglichen nicht bloß eine optimierte Abstimmung aller Betriebsabläufe. Die Tendenz zum integrierten Einsatz aller Automatisierungsmittel eröffnet eine bislang ungeahnte Transparenz des gesamten Betriebsgeschehens, die rasche Verfügbarkeit aller Daten, die schnelle Eingriffs- und Steuerungspotenz an allen Punkten des Produktionsablaufs. Nicht zufällig gilt der Computer als Steuerungsmittel par excellence (»technology of control«, »mechanism of control«). Mit seiner Hilfe wird die »Synchronisation von Planung und Kontrolle« realisierbar; »Pläne werden im Zeittakt revidiert und Veränderungen sind permanent möglich.« (Plossl 1981) Damit ist die Frage, wer kontrolliert die Arbeit, auf eine qualitativ neue Stufe gestellt: es geht um Planung und Steuerung zunehmend integrierter Arbeitsprozesse und Betriebsbereiche, um die Verfügung über das dafür notwendige, ungeheuer angewachsene Datenmaterial. Daß hier mit Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Herrschaft zu rechnen ist, liegt auf der Hand: Längst bemühen sich die Unternehmer und ihre Vertreter um eine »science of control«, mit dem Ziel, »Daten für das Management auf allen Ebenen zu sammeln und zu interpretieren, die für die Steuerung der laufenden und für die Planung der zukünftigen Operationen gebraucht werden« (Breech 1963, zit. nach Knecht 1971, S.62). »Controlling« wird organisiert: »Seit etwa 10 Jahren ist überall in der Wirtschaft das System des zumeist dezentralisiert aufgebauten Controllings eingeführt worden, durch das die operativen Bereiche im verstärkten Maße in die unternehmerische GesamtverantworARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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tung unter betriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise einbezogen werden. Controlling ist etwas anderes als Kontrollieren, es dient der verbesserten Planung, Steuerung und Überwachung, sowohl im Vorfeld der Entscheidungsfindung als auch nach dem Vollzug einer Maßnahme. Alle Bereiche sollen zu einem planmäßig zielgerichteten Handeln unter Beachtung betriebswirtschaftlicher Kriterien hingelenkt werden.« (Frerk 1978, S.5) In die betriebliche Hierarchie wird die Funktion des »Controllers« installiert, zu dessen Aufgaben es gehört, »auf Fehlentwicklungen« hinzuweisen und »korrigierende Aktionen der Unternehmensleitung« zu veranlassen und zu koordinieren. »Controller sind also vornehmlich betriebswirtschaftlich orientierte Navigatoren ...«(ebd.) Nicht zuletzt werden die Sicherungen in die Instrumente der Automatisierung selbst eingebaut; sie begegnen etwa in Gestalt hierarchisierter Computersysteme mit hierarchisierten Datenbeständen, Zugriffsmöglichkeiten und Verarbeitungskapazitäten. Wie ein solches hierarchisiertes Datenverarbeitungssystem aussieht, verdeutlicht die Abbildung 57.

Abb. 57

Computerhierarchie

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Auf der »Einzelsteuerungsebene«, der untersten Stufe, werden Produktionsdaten erfaßt und einzelne Maschinen oder Maschinengruppen automatisch gesteuert. Auf der »Prozeßführungsebene« bearbeiten Minicomputer umfangreichere Produktionsabläufe«, z.B. das Führen und Steuern eines Lagers«. Die »Fertigungsleitebene« verbindet die »technologische Automatisierung« mit den Daten der Planung und Steuerung. Auf der »Planungs- und Dispositionsebene« schließlich, die die Betriebsleitung besetzt hält, werden mit Hilfe eines großen Universalrechners »alle lang- und mittelfristigen Dispositionen für die Produktion erarbeitet und den unteren Ebenen als Soll-Daten vorgegeben«, sowie die Erfüllung der Soll-Daten kontrolliert. Dabei ist das System so eingerichtet, daß von unten nach oben der Informationsfluß offen ist, aber nicht umgekehrt. Dergestalt werden den verschiedenen Stufen traditioneller Betriebshierarchie unterschiedliche »Automatisierungsebenen überlagert..., denen Computer unterschiedlicher Leistungsfähigkeit zugeordnet sind.« (Körner und Schneider 1979, S.24f.) Bedeutet all dies, daß die Automatisierung der Arbeit letztendlich doch die alten Herrschaftsverhältnisse zementiert? Das Feld ist, wie gezeigt, widersprüchlich in Bewegung und keineswegs bloß in einer Richtung strukturiert. Zwar ist richtig, daß die reale Kontrollmacht der Unternehmer und ihrer Vertreter unverhältnismäßig größer ist als die der Produzenten und ihrer Organisationen: diesen stehen — als Rahmenbedingungen, effektiver Kontrolle — weder Informationensquellen noch Expertenkapazität von vergleichbarer Mächtigkeit zur Verfügung. Dennoch ist die bloße Klage darüber, daß Kontrollpotenz und Datenverfügung auf Seiten der Unternehmer anwaöhsen, unpraktisch. Die Aussage, die Beschäftigten und ihre Vertretungen seien durch den Einsatz der Automationstechnologien einer Verschiebung des Kräftepotentials im innerbetrieblichen Informationswesen und einer einseitigen Verstärkung der Informationsbasis zugunsten der Unternehmer ausgesetzt, stimmt nur dann, wenn von jeglicher Eingriffs- und Aneignungsmöglichkeit der Arbeitenden abgesehen wird. Das mit der Automatisierung wachsende Planungs- und Steuerungspotential: schnellere und umfassendere Verfügbarkeit über Daten, verbesserte Datenbestände durch zugriffsgerechte Anordnung, Verdichtung und systematische Dokumentation, Ersetzbarkeit neuer Planungsmethoden, verbesserte Entscheidungsprozeduren — all das muß nicht bloß einer Seite zuwachsen. Die Entwicklung der Automationstechnologien eröffnet die Möglichkeit der Verfügung über die für die gesamtbetriebliche Planung und Steuerung relevanten Daten vom einzelnen Arbeitsplatz aus. Der bislang vorwiegend defensive Umgang der Produzenten mit dem Widerspruch von Aneignung und Enteignung der Daten: verzögerndes Zurückhalten beim Aufdecken der Arbeitsweisen; für-sich-beARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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halten von Daten; das, was Wiedemann (1971, S.98ff.) »um das System herumarbeiten« nennt, also die nur widerstrebende Nutzung eines Systems, das Leben von doppelten Informationsunterlagen; auch bewußtes Einschleusen falscher Daten; individuelle Selbsthilfen und Kleinkriege mit Meistern, Arbeitsvorbereitern, Organisatoren — all das müßte in eine offensive Strategie der Informations- und Kompetenzaneignung überführt werden. Die Verteidigung der alten Schutzräume vor ihrer verwissenschaftlichten Durchdringung ist auf die Dauer ein hoffnungsloses Rückzugsgefecht. Stattdessen wären Formen aktiven mitbestimmenden Eingriffs beim Einsatz von Automationstechnologien, bei der Festlegung der ins System eingehenden Daten und Methoden, bei der Systemanalyse und -Organisation zu entwickeln, weil dabei die Offenlegung der Anwendungsmöglichkeiten und damit der Einfluß auf ihre konkrete Entwicklung und Ausgestaltung gesichert werden kann. Darüber hinaus ist die Erkenntnis des eigenen Informationsbedarfs der Arbeitenden, die Nutzbarmachung der Automationstechnologien für eigene Zwecke, der Aufbau eigener Informationssysteme von unten notwendig (vgl. unsere Resultatsüberlegungen im nächsten Band, AS 79).

Drittes Kapitel: Das

Kooperationsproblem

1. Gruppenbildung und Hierarchie Wir knüpfen an die Untersuchungen der Kooperationsbeziehungen in kollektiven Formen an (vgl. AS 43, S.226ff.). Unsere damalige Auswertung der Abbildungen 28 und 29 mußte offen lassen, wie genau jene Tätigkeiten, die wir im Unterschied zu den wiederherstellenden entwickelnde genannt haben, kollektiv bewältigt werden. Dazu gehören das gemeinsame Lernen, die vorausschauende Kontrolle von Störungen, die gemeinsame Diagnose aufgetretener Störungen mit der Chance, Neues zu entdecken, die gemeinsame Verbesserung und Weiterentwicklung des Prozesses oder der Verfahren als Verwissenschaftlichungsvorgang der eigenen Produktionspraxis (vgl. AS 55, S.312ff., besonders S.335ff.). Es sind dies kooperative Tätigkeiten, in die auf unterschiedliche Weise meist Vorgesetzte einbezogen sind (vgl. Abb. 17 in AS 43, S.201). Wir rechnen mit zugespitzen Widersprüchlichkeiten, die sich aus dem Ineinander von neuen Möglichkeiten der kollektiven Vergesellschaftung und Privatverhältnissen ergeben. Kollektive Subjektivierung Erinnern wir uns an die Analyse der »gefügeartigen Kooperation« von Popitz u.a. (1957, S.184ff. und S.207ff.). Ihr zentrales Ergebnis war, ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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daß die Arbeitenden durch maschinelle Prozesse »sozialisiert« werden und ihre Zusammenarbeit über die Maschinen vermittelt »sachliche Evidenz« besitzt. Die Arbeitenden sind also auf dieser Stufe der Naturaneignung in maschinelle Prozesse eingespannt und müssen den maschinell bestimmten arbeitsteiligen Zusammenhang permanent bedienen. Unsere gesamte Untersuchung der Automationsarbeit hat gezeigt, daß auf dieser Stufe der Naturaneignung derartige Zwangszusammenhänge aufgelöst werden. Die Arbeitenden stehen einem Gesamtprozeß gegenüber, so daß ihre Produktionstaten nicht mehr einfach durch den anschaulichen Aufforderungscharakter der maschinellen Vorgänge provoziert werden. Sie müssen sich ihre Eingriffe bewußt als Aufgabe stellen» objektiv vom Standpunkt der Produktion Notwendiges subjektiv übersetzen. Diese Übersetzungsaktivität nennen wir Subjektivierung. Wir fragen, wie in den Kooperationsbeziehungen der Automationsarbeiter Produktionsanforderungen zu gemeinsamen Aufgaben subjektiviert werden. Die faktischen »Herren der Produktion« sind aber nicht wirkliche Herren der Produktion. Die planlose Bewegung der Einzelkapitale und ihr Lohnarbeiterstatus verwehren ihnen die Möglichkeit, ihre Zusammenarbeit bewußt als gemeinsamen Beitrag zur gesellschaftlichen Lebensbewältigung anzugehen. Sofern sie also in der Privatproduktion handeln, tun sie dies als Arbeitssubjekte »unter den Bedingungen sozialstrukturell festgelegter umfassender NichtSubjektivität« (Haug, W.F. 1979, S.5f.). Derartige Vergesellschaftungsbedingungen werden von dem Projekt Ideologie-Theorie als lnkompetenz-/Kompetenzverhältnisse gefaßt (PIT 1979). Zwar sind die Arbeitenden inerhalb eines Einzelbetriebes von einem Gewaltapparat umrahmt, der den Protest, Widerstand und die Verweigerung einzelner gegen Unternehmerherrschaft in Verstöße gegen die rechtlich regulierten Eigentumsverhältnisse umformt und mit Arbeitsplatzverlust, schwarzen Listen, Versetzungen und Abgruppierungen sanktioniert. Aber dennoch kommt ihr Arbeitshandeln nicht allein durch Gewaltausübung und -androhung zustande. Ihre subjektive Arbeitsanstrengung ist nur zu erklären, wenn sie die gestellten Aufgaben subjektiv übernehmen. Diesen Vorgang bezeichnet das Projekt Ideologie-Theorie als Erwerb einer »sekundären produktiven Kompetenz«, welcher immer zugleich ein »Vorgang ideologischer Subjektion« ( = aktive Unterstellung unter die herrschenden Mächte, d.Verf.) sei (PIT 1980a, S.164). Allein das Tätigwerden der Arbeitenden bewirkt ideologische Effekte, indem sie sich aktiv in Verhältnisse stellen, die ihre Inkompetenz gegenüber den Bedingungen der gemeinschaftlichen Produktion organisieren. Für unsere Frage nach den Subjektivierungsvorgängen in Kooperationsbeziehungen folgt daraus ein neuer Zugang. Wir werden die Praxisformen, die durch die kooperatiARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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ven Tätigkeiten gebildet werden, als Formen untersuchen, die den Arbeitenden be-deuten, daß sie kollektive Subjekte des Geschehens sind, obgleich sie von der Verfügung über die gesellschaftliche Produktion ausgeschlossen sind. Wir könnten diese Untersuchung beginnen mit dem gegenständlichen Arrangement der Automationsarbeit. Dazu gehört der besondere Charakter der Werke »auf der grünen Wiese«, der den dort Arbeitenden mitten in einer landwirtschaftlichen Gegend ihre Arbeit mit modernsten Anlagen als Auszeichnung vor anderen be-deutet. Von herkömmlicher Industriearchitektur völlig verschieden ist die architektonische Anordnung der Kraftwerke, Raffinerieanlagen etc. Sie organisiert die Unterstellung der Arbeitenden nicht mehr durch dominierende Werkstore, um die einzelnen sodann in die dunklen, lärmenden, stickigen Winkel der Produktionshallen zu entlassen. Vielmehr ermöglicht sie einen Blick auf einen umfassenden Produktionszusammenhang, in dessen Zentrum ihr Arbeitsplatz, die Meßwarte, angeordnet ist. Sie bewegen sich so von außen nach innen, um das Außen von innen zu beherrschen. Das Arrangement der zentralen Meß-, Steuer- und Schalträume be-deutet den Automationsarbeitern unabhängig von ihrer subjektiven Vorstellung, daß sie sich im Befehlszentrum der Gesamtanlage befinden. Von hier strömen sie aus, um vor Ort einzugreifen, hier gewinnen sie einen Überblick über das Produktionsgeschehen. Bei Abwesenheit der Vorgesetzten und insbesondere in der Nacht bilden sie den kollektiven Steuermann auf der Kommandobrücke. Eine Tatsache übrigens, an die Unternehmensvertreter nur mit Grausen denken können, wenn sie strengen Wert darauf legen, daß die Automationsarbeiter nachts nicht eingreifen und nur das Notwendigste zur Aufrechterhaltung der Produktion unternehmen sollen. Nicht selten verstärkt die Ästhetik der Warten selbst den objektiven Charakter eines Befehlszentrums. Holztäfelung, Teppiche, futuristische Farbgestaltung, abgedunkelte Beleuchtung, Abtrennung durch Glaswände gegenüber den Anlagen organisieren einen Bruch zwischen dem Ort des wartenden, reparierenden Handanlegens und dem Ort des strategischen Eingreifens. Die Medien der Zusammenarbeit räumlich getrennter Arbeiter sind Telefone, Gegensprechanlagen und vor allem Funksprechgeräte. Allein über ihren Gebrauch subjektivieren sich die Arbeitenden als ein Kollektiv in Aktion — allerdings nur partiell und widersprüchlich, da sie inkompetent sind gegenüber der gesellschaftlichen Zielsetzung ihrer Tätigkeit. Wenn im folgenden daher von kollektiven Subjekten die Rede ist, wird dieser partielle Charakter immer mitgedacht. Gemeint sind jeweils partialisierte Kollektive in Privatverhältnissen. Das Kollektiv in Aktion umstellt von mehreren Seiten sein Objekt, die Anlagenstörung oder einen ähnlich zu bezwingenden Vorgang, nähert ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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sich ihm an und entlockt ihm diagnostische Daten in einem Geflecht von Einzeloperationen, die wechselseitig aufeinander abzustimmen sind. Dieses operierende Kollektiv gehorcht der einen Logik, sich selbst zum Subjekt des Geschehens zu machen. Anders dagegen in der Zusammenarbeit mit den Reparaturkolonnen: Die Helden der Aktion sind die Reparateure. Aber sie sind angewiesen — wie wir bereits untersucht haben — auf das Mitwirken der Automationsarbeiter, um den Schadensort genau lokalisieren zu können und eine Rückmeldung über die erfolgreiche Reparatur zu erlangen. Ohne daß die Arbeiter sich mit den Zielen der Unternehmer bewußt identifizieren müßten, schalten sie sich in die Taten der Reparateure ein. Indem sie es tun, machen sie sich zu Wächtern über den Zustand der Produktionsmittel, zum kollektiven als-ob-Eigentümer. In der Schichtübergabe wiederum verzahnen sich zwei aktuell operierende Kollektive zu einem zeitlich in die Vergangenheit und in die Zukunft greifenden Verbund. Auch auf der Ebene der Produktionsgeschichte subjektivieren sich die Automationsarbeiter. Sie stehen nicht nur vor der Geschichte der Anlagenprozesse, sondern auch vor der Geschichtlichkeit ihrer eigenen Eingriffe, vor der Abläufe bestimmenden Kraft ihrer Pläne: Sie konstituieren sich als geschichtliches und geschichtsprägendes kollektives Subjekt. In der gemeinsamen Prozeßverbesserung — unabhängig davon, wie dies konkret geschieht, ob in Zusammenarbeit mit Vorgesetzten oder ausschließlich als ihre eigene Angelegenheit — verändern und verbessern sie ihre eigenen Arbeitsbedingungen. Sie machen sich dabei nicht nur zum Wächter über den Normalzustand der Anlagen, zum Subjekt des Produktionsgeschehens bei Störungen, sondern auch zum kollektiven Anwender, Beurteiler und Veränderer einer gigantischen Menge aufgehäufter vergegenständlichter Arbeit. Dies sind die verbreitesten kollektiven Praxisformen (vgl. AS 43, S.226ff.). Wir fanden weitere Formen in unserem Sample der 165 kollektiven Automationsarbeitsplätze. In 36% der Fälle sind die Automationsarbeiter am Aufbau der Anlagen beteiligt. In unterschiedlichen Abstufungen konstituieren sie sich als Macher ihrer eigenen Arbeitsbedingungen: Von den aneignenden Tätigkeiten des Kennzeichens der verwirrenden Rohrverbindungen über die Montage der Aggregate bis hin zum organisierten Übergang vom theoretisch angeeigneten Modell der Produktionsanlagen und -abläufe zur praktischen Überprüfung und Aneignung der wirklichen Anlage: »Jetzt- wollen wir mal sehen, ob das auch wirklich funktioniert, was wir uns da auf dem Papier zurecht gelegt haben.« Die Automationsarbeiter bilden ein Kollektiv mit der bewußten Haltung von Produktionsexperimentatoren. Formen des systematischen Arbeitsplatzwechsels sind als job-rotation aus den durch das Regierungsprogramm »Humanisierung des ArARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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beitsiebens« unterstützten Versuchen bekannt, inhaltslose, abstumpfende Verrichtungen in der vor-automatischen Produktion zu vermenschlichen. Eine grundlegende Vermenschlichung der menschenunwürdigen Arbeiten tritt durch ihren bloßen Wechsel kaum ein. Im Gegenteil, Arbeiter erleben ihn als neue Zumutung an ihre Kräfte und Nerven, müssen sie sich doch oft genug vermehrt anstrengen, um den gleichen Lohn wie zuvor für die Aufopferung ihrer menschlichen Fähigkeiten zu erhalten. »Du bewegst dich von einer langweiligen, niederen, monotonen Arbeit zu einer anderen langweiligen, niederen, monotonen Arbeit. Und dann zu einer anderen langweiligen, niederen, monotonen Arbeit. Und irgendwie wird von dir erwartet, daß du aus alledem 'enriched' heraus kommst. Aber ich fühle mich niemals 'enriched' — Ich fühle mich gerade wie vom Abdecker geschlachtet.« (ZK. bei Nichols 1975, S.253)

Gleichwohl steht hinter diesen »Bereicherungsversuchen« das Interesse, die Arbeiter durch Veränderung der Wahrnehmung und des Erlebens ihrer Verrichtungen zu motivieren. Ob der Wechsel von Arbeitsplatz und Tätigkeiten in der Automationsarbeit einen Motivierungseffekt bewirkt, soll uns hier nicht interessieren. Unter dem Aspekt der Konstituierung eines kollektiven Subjekts ist zentral, daß die Individuen tatsächlichverschiedenartige Aufgaben und Tätigkeiten durchlaufen: Sei es der Wechsel zwischen verschiedenen, aber arbeitsteilig zusammenhängenden Prozeßabschnitten, sei es der Wechsel zwischen Meßwarten» und Rundgängertätigkeit (vgl. AS 43, S.169ff.). Wir fanden diese kollektive Praxisform in 64% der Fälle. Unabhängig von der Frage, in wessen Zuständigkeit die Organisierung des Wechsels liegt, organisiert er eine Verallgemeinerung der Standorte, die das Kollektiv als ganzes einnimmt, und damit auch der unterschiedlichen Eingriffsweisen, Fähigkeiten und Erfahrungen. Die Arbeiter handeln hier also nicht nur als operierendes Kollektiv, welches den Produktionsprozeß von verschiedenen, strategisch bedeutsamen Seiten umstellt, sondern auch derart, als wären sie kollektives Subjekt der Optimierung ihrer Einzelkräfte. Sie verbessern das Zusammenspiel ihrer »Umstellungskräfte« durch Verallgemeinerung der Standorte. Wenn sie gar selbst entscheiden, wann sie ihre bisherige Tätigkeit durch einen Wechsel verfremden wollen, dann bewegen sie sich in dieser kollektiven Praxisform, als stünde die Entwicklung kooperationsfähiger Individuen zu ihrer eigenen Disposition — und zwar unter Bedingungen, die ihnen zum Zeitpunkt der Produktion das Verfügungsrecht über ihre Arbeitskraft entziehen. In 42% der Fälle fanden wir sogenannte Fehlerdiskussionen. Es sind kollektive Formen, in denen die Arbeiter ihre gewonnenen Handlungsfähigkeiten infrage stellen, neue Erfahrungen verallgemeinern ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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und die gemeinsamen »Produktionsstandarta« hochschrauben. Wir fanden Arbeiter, die auflebend von noch lange andauernden Diskussionen darüber berichteten, was die Ursache einer Störung gewesen sein mag; wir fanden Meister, die es als ihre Aufgabe ansahen, derartige Diskussionen in Gang zu setzen und die Arbeiter zu Ehrlichkeit, d.h. zum Eingestehen von Handlungsfehlern, zu bewegen: »Damit sich keine falschen Theorien über die Entstehung von Störungen herausbilden, ist man darauf angewiesen, daß die Schaltisten die Wahrheit sagen.« Wir fanden auch höher organisierte Formen. In einer Brauerei werden die Fehler einzelner nicht nur von allen diskutiert, sondern diese Diskussion findet auch vorbereitet statt: Der Betreffende hält ein Kurzreferat über den gesamten Hergang, so daß die übrigen informiert beurteilen und alternative Handlungsweisen entwerfen können. In diesen Fehlerdiskussionen, Produktions- und Arbeitsgesprächen handeln die Arbeiter zweifellos, als seien sie kollektives Subjekt ihrer eigenen Entwicklung, der Entwicklung ihrer Produktionsfähigkeiten ausgehend von den Erfahrungen einzelner. Vorgesetzte sind in diesen Vergesellschaftungsvorgang meist miteinbezogen, wenn sie ihn nicht initiieren und organisieren. Für sie kann es darum gehen, Fehlerdiskussionen als Quelle für ansonsten unzugängliche Informationen über die praktischen Probleme des alltäglichen Produzierens zu nulizen. Die kollektive Form der Selbstentwicklung unfer Herrschaftsverhältnissen ist durchzogen von den Widersprüchen konkreter ln-/Kompetenzverhältnisse. Wie können derartige zerrissene Formen gelebt werden? Wir merken, daß wir diese Widersprüche ins Zentrum der Untersuchung rücken müssen. Eine bemerkenswerte, wenn auch noch seltene Form der Subjektivierung von Arbeiterkollektiven ist die vollständige Übernahme von Wartungs- und anfallenden Reparaturarbeiten durch die Automationsarbeiter selbst. Sie begegnete uns in 5 % der Fälle. Das Kollektiv ist hier sein eigner Produktionsmittelwart. Es vereinigt in sich den Standpunkt der Produktion mittels der Anlagen und den Standpunkt der Pflege der Mittel für die Produktion. Gleichzeitig ist es von ökonomisch bedeutsamen Entscheidungen über Austausch, Überholung, Verbesserung von Anlagenteilen und -aggregaten ausgeschlossen. Eine quasi-experimentelle Haltung der Kollektive wird durch die Form der Beteiligung am Aufbau hergestellten dem alltäglichen Produktionsgeschehen existieren eine Reihe von objektiven Arrangements, in denen sich die Arbeiter als Produktionswissenschaftler subjektiveren. Die Häufigkeit dieser Form ist beachtenswert: 20% (vgl. AS 55, S.335-348). Die einfachste Form ist die gemeinsame Überprüfung der vom Prozeßrechner ausgeworfenen Dokumentationen der Produktionsdaten, der Eingriffe und ihrer Effekte; ähnlich objektiviert wird das ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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kollektive Handeln durch Tabellen und Diagramme über einzelne Regelungsvorgänge. Als Produktionswissenschaftler handeln sie praktisch, wenn sie selbst diverse Regelungsvorgänge wie in einem Experiment beobachten und anhand der erstellten Verlaufskurven zusammen mit Ingenieuren Änderungen an der Charakteristik der Steuerungen vornehmen. In einem petrochemischen Werk wurde in der Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und Ingenieuren die Prozeßsteuerung schrittweise in rechnergesteuerte Programme überführt. Die Anlagenfahrer gaben dafür ihre Erfahrungen über die Regelungsvorgänge weiter. Die erstellten Programme eignen sich die Arbeiter durch die Erklärungen der Ingenieure an. Wenn den Ingenieuren dabei ein »pädagogisches Geschick« abverlangt wird — sie müssen »an den Fragen die Reaktionen der Operatoren ablesen können, inwieweit die Erklärungen ankommen« —, dann zeigt sich auch in dieser Form die Widersprüchlichkeit von ln-/Kompetenzverhältnissen. Das vorenthaltene wissenschaftliche Wissen über die Herstellungsweise der Programme bildet die Schranke, welche eine Aufhebung des »pädagogischen Verhältnisses« prinzipiell verunmöglicht (vgl. Teil IV, 2. Kap., 1. »Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien«). Ähnliche Widersprüche fanden wir bei Formen, in denen sich die Arbeiter als Macher ihrer eigenen Weiterentwicklung bewegen (42% der Fälle). Verschiedene Formen der organisierten Weiterbildung während und außerhalb der Arbeit treten auf, alljährliche Auffrischungskurse, gemeinsame Besuche von Werken mit ähnlichen Produktionsanlagen oder gar von Messen (vgl. Teil IV, 4. Kap., 3. »Die Neuerer«). Gerade * dies Lernen in Distanz vom unmittelbaren Produktionsdruck scheint mit dem Zuwachs an Wissen Forderungen nach vermehrter Entscheidungsbefugnis freizusetzen: »Weiterbildungsmaßnahmen können zum Bumerang werden, weil die Leute das ausnützen könnten ... wenn nur einer da ist, der die Atmosphäre vergiftet...« — wir lesen, wenn nur einer da ist, der die Entscheidungen der Vorgesetzten anzweifelt und eine Diskussion und damit Beteiligung an dem Entscheidungsprozeß fordert, dann gerät das mühsam stabilisierte Verhältnis des verantwortlichen Handelns für fremdes Eigentum ins Wanken. Dieser Konflikt zeigt, daß die Arbeiter als Subjekte ihrer Weiterentwicklung unter Bedingungen handeln, die ihnen mit der Verfügung über die Produktion auch eine gemeinsame Zielsetzung ihrer Entwicklung verwehrt. Wie sich die Arbeiter in diesem Widerspruch bewegen, bleibt zu untersuchen. Wir müssen zusammenfassend festhalten, daß die Untersuchung der Formen kollektiver Subjektivierung eine Reihe konkreter Widersprüche freigelegt hat. Weshalb die Arbeiter unter Wirkung dieser Widersprüche dennoch die Produktionsanforderungen bewältigen, läßt ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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sich daher aus den spontanen Wirkungen der kollektiven Praxisformen nicht erklären. Wir müssen zusätzliche Vergesellschaftungsformen der Kooperierenden in den Blick nehmen. Erst die Zusammensetzung der zusätzlichen Formen mit den untersuchten kollektiven Praxisformen ergäbe ein weitergehendes Verständnis der Vergesellschaftung in partialisierten Kollektiven. An dieser Stelle nun spalten wir die weitere Untersuchung. Jene Formen, die die kollektiven Kräfte der Arbeiter entfesseln und ihre Entwicklung organisieren, haben wir in dem Abschnitt »Die Brigade« untersucht (vgl. Teil IV, 4. Kap. in diesem Band). Wir fanden aber andere Formen. Unternehmeraussagen stießen uns darauf, wenn sie auffallend betonten, daß sich die Automationsarbeiter umfänglich über private Dinge unterhalten. Oder Meister, die davon spräche, daß sie vor allem nachts Diskussionen über Freizeit, Fußball, Autos und Urlaub anregen. Es handelt sich um Formen der Gruppenbildung, welche zunächst als nicht-produktionsorientierte Vergesellschaftungsformen erscheinen. Privatisierung der Kollektive Um den Stellenwert dieser Grüppenbildungen bestimmen zu können, schärfen wir unseren Blick in der Rückschau auf Gruppenvorgänge in der vor-automatischen Produktion. Denken wir an die Gesellung voneinander getrennter Teilarbeiter an einem Fließband. Als Lohnarbeiter sind sie von der gemeinsamen Planung ihres Zusammenwirkens im System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ausgeschlossen. Zudem verhindert die isolierende Aufsplitterung ihrer Teilarbeiten, daß sie ihr objektives Zusammenwirken bewußt regulieren können. Ihre Koordinierung wird von einer ausbeutenden Hierarchie.übernommen. Diese Verhältnisse grenzen die Produktionsgemeinschaft der Arbeiter auf soziale Beziehungen während und neben der Arbeit ein. Die Gesellschaftlichkeit der Arbeitenden kann nur — der objektiven Kooperationsbeziehungen in der Arbeit beraubt — in den »unmittelbaren, aktuellen Gruppierungen um den eigenen Arbeitsplatz herum« Lebensraum finden (Holzkamp-Osterkamp 1976, S.97). Das Phänomen der »Gruppe« in der industriellen Arbeit entsteht und beschäftigt Generationen von Industriesoziologen und Betriebspsychologen. Sie entdeckten, daß die Leistungsverausgabung nicht nur von dem Lohnanreiz, sondern auch von sozialen Vorgängen und der Befriedigung sozialer Bedürfnisse abhängig ist, und suchten diese Entdeckung in neue Unternehmerpolitiken umzuformulieren. Gleichwohl haben die Arbeiter aufgrund ihrer gemeinsamen Arbeit Chancen zu einer weitergehenden Vergesellschaftung. Sie können Arbeitserfahrungen weitergeben, »Tips« und Kniffe« mitteilen, sich gegenseitig helfen und stützen, einander in die »betrieblichen Geheimnisse« ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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einweihen und vor Vorgesetzten warnen. Lohnarbeitsverhältnisse, die daraus entspringende Konkurrenz um Lohn und Arbeitsplatz, fesseln diese Möglichkeiten. Sie drohen, die sozialen Beziehungen zu ersticken, so daß die Arbeiter »tendenziell auf die jeweils individuelle Sorge um die eigene Zukunft zurückgeworfen und damit voneinander isoliert« werden (S.98). Dies bedeutet, daß sich Arbeiter unter diesen Verhältnissen nur solidarische Beziehungen erringen können, in denen sie ihre kollektive Kraft entfalten, wenn sie gegen die gemeinsame Lohnabhängigkeit, gegen die Ausbeutung in der Arbeit gerichtet sind. Hierfür entwickeln sie oft ein System der kollektiven Disziplinierung. Einzelne werden darin gehindert, aus individuellem Lohninteresse heraus das Kollektivinteresse zu zerreissen, unter »erträglichen« Arbeitsbedingungen ohne unmenschliche Anstrengung zu einem gleichen Lohn zu kommen. Nur als Lohnarbeiter, die sich gegen die entfremdete Arbeit und die Unternehmerübergriffe wenden, können die isoliert zusammenarbeitenden Arbeiter ihre Kollektivität entwickeln. Denken wir an die neueren Versuche der Auflösung von Fließbändern und der Arbeitsstrukturierung, wie sie vor allem in Folge des Regierungsprogramms zur »Humanisierung des Arbeitslebens« von Unternehmern angegangen wurden, gewinnen wir den Verdacht, daß genau diese spontanen Arbeitersozialisierungen, die gegen die Arbeitsverhältnisse gerichtet sind, in die betriebliche Politik eingebaut und für Unternehmerinteressen in Dienst genommen werden sollen. Human klingende Ziele wie »Gruppenarbeit« und »Teamarbeit« stehen im Zentrum. In »teil-autonomer Gruppenarbeit« sollen Arbeiter unter anderem über ihre interne Arbeitsverteilung, über individuelle Aufteilung der vorgegebenen Arbeitsleistung innerhalb einer weiträumigeren Zeitvorgabe, über Urlaubspläne, über Gruppenmitgliedschaft, über einen gemeinsamen Gruppensprecher durch Wahl entscheiden dürfen. Die Gewerkschaften haben mit diesem zuerst befürworteten Modell Erfahrungen gesammelt. Sie befürchten vor allem, daß kollektive Schutz- und Beteiligungsrechte, wie sie vom Betriebsrat wahrgenommen werden, unterlaufen werden: »Der DGB lehnt Modell und Begriff der teilautonomen Gruppenarbeit ab. Dieser Begriff verschleiert die Tatsache, daß es in der betrieblichen Wirklichkeit keine Autonomie und Selbststeuerung gibt. Die Beschäftigten sind als Einzelne oder als Gruppe den Planungen und Entscheidungen der Eigentümer und ihrer Verfügungsberechtigten über die Arbeitsorganisation unterworfen. Das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers an gesicherten Arbeitsplätzen, an der persönlichen Entfaltung in der beruflichen Tätigkeit und an menschengerechten Arbeitsbedingungen ist daher nur im Rahmen der gewerkschaftlichen Solidarorganisationen und mit Hilfe der kollektiven Schutz- und Beteiligungsrechte zu wahren und zu verwirklichen.« (Antrag A 1 6 auf dem 10. o. DGB-Bundeskongreß Hamburg, Mai 1978 zit.n. Trautwein-Kalms und Gerlach 1980, S.155)

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Offen bleibt, worin die Verführungskraft der Gruppenarbeit liegt. Trautwein-Kalms und Gerlach sprechen von einer »Scheindemokratisierung« und warnen davor, daß »die 'Selbststeuerung' der Betroffenen in sehr viel größerem Maße als den Arbeitnehmern den Unternehmen wirtschaftlich zugute kommt: Sie kann ... eine Bedingung für die Optimierung der Arbeitsabläufe, Erschließung neuer Leistungsreserven, Erhöhung der Flexibilität der Technik und Organisation sowie Senkung der indirekten Kosten der Produktion (Kosten der Fluktuation und Motivationskrise) darstellen. Dies sind Effekte die durch bisherige 'tayloristische' Methoden nicht zu erreichen waren ...« (S.152) Offenbar setzen die Auflösung der starren Fließbänder und die Einräumung von Entscheidungsmöglichkeiten Arbeiterbedürfnisse frei. Allerdings sind die Tätigkeiten die gleichen einförmigen Verrichtungen geblieben, so daß sich die Entscheidungsmöglichkeiten darauf beschränken, wie eine bestimmte Gruppenleistung hervorgebracht werden kann. Indem der Einzellohn von der Gesamtleistung abhängig ist, werden die Gruppenmitglieder gezwungen, das Unternehmerinteresse an maximaler Leistung zu ihrem Interesse zu machen und gegeneinander zur Geltung zu bringen. Verschärft wird der übernommene Druck durch eine Konkurrenz zwischen den Arbeitern in der Gruppe und jenen an den immer noch bestehenden Fließbändern. »Die Herausbildung spezifischer Gruppennormen, die vor allem durch den Zwang zur Einhaltung der betriebliche vorgegebenen Grenzbedingungen geprägt werden, und die Entlastung der Vorgesetzten von konfliktbesetzen Tätigkeiten durch die Verlagerung der Disziplinierungs- und Kontrollfunktionen in die Gruppe (z.B. Anwesenheitskontrolle, Aufrechterhaltung von Sauberkeit, Ordnung und Disziplin durch den Gruppensprecher), die als interne Steuerungsmechanismen wirksam werden, lassen die TAG ( = teil-autonome Gruppen, d.Verf.) als Mittel zur Disziplinierung der Arbeitskräfte erscheinen.« (Friedmann und Schmahl 1980, S.149) Fremdbestimmung in Form der Selbstkontrolle lautet das Fazit. An der Kooperation, dem arbeitsteiligen Zusammenwirken, ändert sich kaum etwas. Dagegen werden die gegen die entfremdete Arbeit gerichteten Kollektivbeziehungen in die gemeinsame Gruppenarbeit eingebaut und verlieren mit der Übernahme der Gruppenleistung als scheinhafte »dritte Sache« ihr Widerstandspotential. Wir vermuten, daß diese Veralltäglichung von Sozialbeziehungen in der Arbeit zusammen mit der Scheindemokratie die Attraktivität der Gruppenarbeit ausmacht. In der Gruppenarbeit werden die ursprünglich neben und außerhalb der Arbeit gelebten Sozialbeziehungen umgeformt. Die Arbeiter sind gezwungen, Beziehungen einzugehen, die Holzkamp (1979) als »Instrumentalverhältnisse« bezeichnet hat. Individuen schließen sich zusammen und handeln gemeinsam, um ihre je individuellen um keine »dritte ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Sache« zentrierten Partialinteressen durchzusetzen. Die Mitglieder interessieren einander nur soweit, als sie für das eigene Lohninteresse wichtig sind. Gleichzeitig werden aber die sozialen Bedürfnisse, als Individuum in einem sozialen Zusammenhang aufgehoben und anerkannt zu sein, gelebt. Es entstehen Sympathiebeziehungen, die von einer grundlegenden Doppeldeutigkeit durchzogen sind. Die Individuen müssen befürchten, daß die wechselseitigen Beziehungen durch die zu einem Gruppeninteresse zwanghaft zusammengeschlossenen Partialinteressen funktionalisiert werden. Diese private Vergesellschaftung in Gruppenarbeit wirft ein kritisches Licht auf Begriffe, mit denen die Industriesoziologie Formen der Zusammenarbeit erfaßt. Für Kern und Schumann (1972) ist beispielsweise in Anschluß an Popitz u.a. an der »teamartigen Kooperation« wesentlich, daß eine »Sozialisierung der Schwierigkeiten« einzelner stattfindet und die Gruppe »soziale Normen« gegenüber ihren Mitgliedern durchsetzt: »Die Schwierigkeiten an einem Arbeitsplatz haben belastende Folgen für alle Gruppenmitglieder — sie hemmen den Arbeitsfluß, stellen in Frage, ob das notwendige Arbeitspensum tatsächlich geleistet werden kann. An der Überwindung der Schwierigkeiten muß daher allen Gruppenmitgliedern gelegen sein, nicht nur dem unmittelbar Betroffenen. Aus dieser Sicht ergibt sich für jedes Gruppenmitglied die Verpflichtung zur Unterstützung eines in Schwierigkeiten geratenen Kollegen ...« (Teil II, S.119)

Momente einer wahrhaft menschlichen Zusammenarbeit werden angesprochen. Denn wer wollte leugnen, daß auch er den Traum einer menschlichen Kooperation mit gegenseitiger Unterstützung verbindet. Allerdings schweigen die Autoren darüber, daß die Zusammenarbeit in Fremdbestimmung und Konkurrenz geschieht und das gemeinsame Lohninteresse jeden einzelnen in den Rahmen der von den Unternehmern gesetzten Aufgabe zwingt. Wenn industriesoziologische Begriffe wie »teamartig«, »gefügeartig«, »kolonnenartig« diese Widersprüchlichkeit herauslassen und lediglich fragen, wie die Zusammenarbeitenden einander erscheinen, dann reproduzieren sie die private Form von Individualität in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Frage nach der »individuellen Befindlichkeit« in sozialen Prozessen zerlegt die Gesellschaftlichkeit der Individuen in den Gegensatz von Individuum und Gesellschaft: »Das Zusammenleben der Menschen, ihre Gesellschaftlichkeit, ist vom Standpunkt des einzelnen zwangsläufig dann Teil seiner Umwelt, ist situative, äußere Bedingung und wird dementsprechend theoretisch wahrgenommen unter dem Aspekt des Störens oder Krankmachens beziehungsweise umgekehrt als Faktor, der das seelische Gleichgewicht nicht stört, insgesamt als Gegebenheit, der sich der heranwachsende einzelne anpassen muß, kurz als äußere Bedingung seines Daseins.« (Haug, F. 1977, S.111) ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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Gleichwohl werden in den genannten Kooperationsbegriffen unterschiedliche arbeitsbedingte Formen des Zusammenwirkens erfaßt. Die Begriffe enthalten also Widersprüchliches, ohne es zu benennen: Die Art, wie die Gesellschaftlichkeit der Arbeit in der Zusammenarbeit objektiv präsent ist, und zugleich die Formen, in denen die Arbeiter den Widerspruch von Kooperation und Privatverhältnissen austragen. Die Frage, ob die Arbeiter in der »teamartigen Kooperation« tragfähige solidarische Beziehungen entwickeln können, ließe sich erst beantworten, wenn genau diese Widersprüchlichkeit der Kooperation in Privatform zerlegt und als widersprüchlicher Vergesellschaftungsvorgang studiert würde (vgl. dazu auch Teil IV, 4. Kap., 1. »Die Brigade«). Wird dagegen die Widersprüchlichkeit in eine scheinbar einheitliche Kooperationsform zusammengeschmolzen, laufen Sozialwissenschaftler Gefahr, Erkenntnisse bereitzustellen, die Unternehmer in ihre Versuche einbauen können, integrative Bewegungsformen für die Zusammenarbeit unter entfremdenden Bedingungen zu organisieren. Wir haben Gruppenarbeit als eine Form der Fremdbestimmung durch Selbstkontrolle analysiert. Bei einander ähnlichen inhaltsarmen Tätigkeiten übernehmen die Arbeiter das Unternehmerziel maximaler Leistungsverausgabung und machen es zu ihrem eigenen. Unsere Untersuchung der Kooperation in der Automationsarbeit zeigte, daß von der gemeinsamen Produktionsanforderung her eine Arbeiterkollektivität entwickelt werden kann. Insbesondere können die Produktionsziele nicht mehr über vermehrte Verausgabung körperlicher und nervlicher Arbeitskraft erreicht werden. Wenn wir daher in den privatwirtschaftlichen Betrieben Vergesellschaftungsformen fanden, die der teilautonomen Gruppenarbeit gleichen oder ähneln, so haben sie gänzlich andere Bedingungen zur Voraussetzung. Wir können die Arbeitshypothese aufstellen, daß der Stellenwert der Gruppenbildung in der Automationsarbeit ein anderer sein muß als bei Fließbandarbeiten. Was Gruppenbildung in der Automationsarbeit als Vergesellschaftungsform unter widersprüchlichen Verhältnissen leistet, muß neu untersucht werden. Die empirische Auswertung beginnen wir mit der Frage nach dem Auftreten von Gruppenformen. Um uns vor einseitigen Interpretationen zu schützen, haben wir Brigadeformen in die Abbildung 58 mitaufgenommen, auch wenn wir sie erst später detailliert untersuchen. Wir erfahren, 'daß Gruppenformen an 63 Arbeitsplätzen vorkommen (ca. 38% des Samples von 165), allerdings an 41 davon zusammen mit Brigadeformen (25% des Samples). Reine Brigadeformen treten an 51 Arbeitsplätzen auf (31 %), gegenüber 22 Arbeitsplätzen mit reinen Gruppenformen (13%). An den übrigen 51 Arbeitsplätzen konnten wir keine der beiden Formen erheben (31 %). Um nun etwas über die Bedingungen zu erfahren, unter denen diese drei Konstellationen zustanARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Abb. 58 Vergesellschaftungsformen und kollektive Praxen (an 165 Arbeitsplätzen)

| -

|

GRUPPE

j MISCHFORM GRUPPE/BRISADE

|

BRIGADE

16S ARBEITSPLÄTZE

mutt THEORETS IE IRUNG

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de kommen, haben wir den Häufigkeiten dieser Vergesellschaftungsformen einige der bereits diskutierten kollektiven Praxisformen in ihrer Ausbreitung gegenüber gestellt: Fehlerdiskussionen, organisierte Weiterbildungen und hier Theoretisierung genannte gemeinsame Tätigkeit als »Produktionswissenschaftler« waren jene Formen, bei denen wir besonders zugespitzte Widersprüchlichkeiten vermuteten. , Der Blick auf die Abbildung 58 wird kaum durch eindeutige Verhältnisse organisiert. Das Bild ist eher chaotisch und dies würde dafür sprechen, daß wir Bedingungen ins Verhältnis gesetzt haben, die in Wirklichkeit nicht als Bedingungen der Vergesellschaftungsformen wirken. Dagegen spricht der theoretisch rekonstruierte Zusammenhang von Kooperation und Vergesellschaftungsform, den wir zu unserem Gegenstand gemacht haben. Wir könnten also nur sagen, daß wir nicht alle wirkenden Bedingungen erfaßt haben. Ein solches Vorhaben ließe sich kaum in einer Querschnittsbetrachtung realisieren. Wir werden an entsprechender Stelle nach der Untersuchungsform Fallstudie greifen müssen. Wenn wir bedenken, daß wir von zusätzlich wirkenden Bedingungen vor allem jede Art von Unternehmereingriffen herausgelassen haben, die die Vergesellschaftungsformen der Arbeiter mitorganisieren, dann können wir die Verhältnisse in der Abbildung dennoch als Wahrscheinlichkeitsverhältnisse für das Auftreten der Vergesellschaftungsformen lesen. Wir sehen dann, daß sich das Gewicht der drei kollektiven Praxisformen über den Arbeitsplätzen mit Vergesellschaftüngsform Gruppe und/oder Brigade zunehmend verdichtet; daß gar bei reinen Grupenformen die kollektive Praxisform Theoretisierung fehlt. Dies rechtfertigt, reine Gruppenformen als einen ersten Sonderfall getrennt zu untersuchen. Dann finden wir Arbeitsplätze mit beiden Vergesellschaftungsformen und ohne irgendeine der drei kollektiven Praxisformen. Diese haben wir als Fallbeispiel »Besser sein« in den Teil IV, 4. Kap., 1. »Die Brigade« aufgenommen. Weiter kristallisieren sich noch drei Konstellationen heraus: Als zweiter Sonderfall eine gemischA R G U M E N T - S O N D E R B A N D A S 67

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te Vergesellschaftungsform mit Fehlerdiskussion; als dritter gemischte Vergesellschaftungsform mit Fehlerdiskusston und Weiterbildung und schließlich als vierter gemischte VergeseHschaftungsform zusammen mit allen drei kollektiven Praxisformen. Das Gruppenprivate »Die Arbeiter erziehen sich gegenseitig, weil sie im Prozeß hintereinander arbeiten. Fehler des einen muß der andere ausbaden.« — »Die Leute an der Transferstraße werden an ökonomisches Denken gewöhnt. Wenn Reparaturen anfallen, werden die Kosten für Reparatur und Reparaturpersonal über interne Konten abgerechnet.« — »Seit im vergangenen Jahr eine Riesenpanne passiert ist, sorgen die Leute selbst dafür, daß die Schuldigen einen Geldabzug kriegen.« — »Es gab einen unheimlichen Kampf zwischen Betrieb und Technik, wer es gewesen war.« Auf den ersten Blick haben wir es hier mit jener Vergesellschaftungsform der Fremdbestimmung durch Selbstkontrolle zu tun, die wir von den teilautonomen Gruppen kennen. Dafür spricht auch, daß an der Mehrzahl dieser Arbeitsplätze Zusammenarbeit durch Gruppenprämien und -löhne abgepreßt wurde. Allerdings kontrollieren sich die Arbeiter nicht gegenseitig, um durch dauernde Anstrengung den geforderten Produktausstoß zu erzielen. Die »Riesenpanne« beispielsweise war der Verlust einer ganzen Charge von H-Milch im Werte von ca. 100.000 DM. Es war ein Infektionsschaden, den die Automationsarbeiter durch falsche Steuerung des Erhitzungsprozesses oder durch ungenügende Reinigung der Anlage bewirkt haben. »Binnen zwei Tagen war alles sauer, im Lager flogen einem die Paletten um die Ohren wie Bomben.« Jener »unheimliche Kampf zwischen Betrieb und Technik« ging um Störungen eines Transportsystems in einer automatischen Briefverteilanlage, welche die Beförderung von Millionen Briefsendungen verzögerten. Hier herrscht also ein riesiges Mißverhältnis zwischen der Summe, die die Arbeiter am Monatsende mit nach Hause nehmen können, und den Kosten, die sie durch Fehler verursachen können (vgl. AS 43, S.92ff.). Folglich organisiert das private Lohninteresse kaum, daß die Arbeiter zusammen das fremde Eigentum produktiv nutzen und erhalten. Während in den teilautonomen Gruppen dies Lohninteresse permanent handlungsregulierend wirksam ist, scheint bei den Automationsarbeitern die Angst vor einem möglichen Lohnabzug weniger bedeutsam, als die Tatsache, daß sie überhaupt durch eine Gruppenform »sozialisiert« werden. Diese Gruppenform konstituiert sich dadurch, daß sich ein Arbeiterkollektiv ins Verhältnis setzt zu anderen Betriebsmitgliedern — spontan oder aufgrund von Unternehmereingriffen wie bei der Abrechnung, welche die TransfermaschinenarARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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beiter gegenüber den Reparateuren durchführen müssen. In der Briefverteilanlage erkennen wir deutlich eine Gruppenkonstituierung über Abgrenzung, welche konfliktartige Reibungen erzeugt. »Die Techniker (sie überwachen, reparieren und richten die automatischen Anlagen ein, an denen Hilfskräfte stehen; d.Verf.) haben einen höheren Bildungsstand; das technische know-how ist schon geeignet, den Technikern die Empfindung zu geben, sie seien etwas Besseres. Das technische know-how gibt ein gewisses Wertgefühl. Andererseits aber auch eine gewisse Verantwortlichkeit. Beides stimuliert die Leute.« Wo immer Automationsarbeiter im Kollektiv Tätigkeiten übernehmen können, von denen andere ausgeschlossen sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß sich spontan eine Vergesellschaftungsform der Gemeinschaftsbildung durch Abgrenzung herausbildet. Indem sich die Automationsarbeiter über ihre qualifizierten und verantwortlichen Tätigkeiten von den übrigen abgrenzen, definieren sie sich einen betrieblichen Status, der auf ihrer Tätigkeit ruht. So machen sie ihre Tätigkeit für fremde Zwecke zu ihrer eigenen Sache. Indem die Arbeiter ihre Tätigkeiten in einem arbeitsteiligen Gesamtzusammenhang zur privaten Aufgabe machen, verwickeln sie sich in neue Konflikte. Reibungen können entstehen, wenn sie sich sozial von jenen abgrenzen, mit denen sie von den Anforderungen her zusammenwirken müssen wie im Beispiel der Briefverteilungsanlage. Aber auch innerhalb der Gruppe selbst wirken Widersprüche: »Der Ehrgeiz, es selbst zu tun, hält sich die Waage mit dem Prinzip, der andere soll auch mal was tun.« Dieser Konflikt kann bewirken, daß zum Beispiel im Störungsfall die Produktivkraft der gemeinsamen Fehlersuche nicht genutzt wird. Was sind die Bedingungen für ein solch privatisiertes Arbeitshandeln? Das Wort »Ehrgeiz« gibt einen Fingerzeig. Wenn die Automationsarbeiter eine Gruppenidentität herausbilden, die ihnen ein Besser-sein gegenüber anderen be-deutet, dann müssen sie dies auch unter Beweis stellen. Sie sind gezwungen, dies als einzelne zu tun, da sie ihre berechtigte Zugehörigkeit zur Gruppe der Besseren beweisen müssen. Wir erkennen, daß sie zwar über die Abgrenzung gegen »außen« ihre Tätigkeit als gemeinsame Aufgabe übernehmen, aber durch ihre an das »außen« gebundene Identität nach »innen« privatisieren. Im konkreten Beispiel ist sicherlich auch die Tatsache wirksam, daß dieses »außen« überwiegend von Frauen gebildet wird. Die Vergesell' schaftungsform der Gruppenbildung über soziale Abgrenzung leistet, daß kooperative Tätigkeiten in einem arbeitsteiligen Zusammenhang ' unter Privatverhältnissen umgeformt werden in doppelt privatisiert gelebte Betätigungen. Die Automationsarbeiter der H-Milch-Anlage haben sich aufgrund schlechter Betriebserfahrungen die Möglichkeit erobern können, die ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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Anlagen am Wochenende in Eigenregie zu warten und Techniker zur Reparatur einzusetzen. Mit dieser Aufhebung von Funktionsteilungen entschwinden weitgehend soziale Abgrenzungsmöglichkeiten. Allerdings be-deutet ihnen der Vorgang, daß »der Produktion der Primat zugewiesen und Technik und Qualitätssicherung als Hilfslinien untergeordnet wurden«, daß sie »Herren der Produktion« sind, obgleich sie es nicht sind. Sie leben diesen Widerspruch, indem sie offenbar die Produktionsanforderungen gegenseitig zu privaten Aufgaben umformen: »Die Leute sorgen selbst dafür, daß die Schuldigen einen Geldabzug kriegen.« Diese Formulierung verarbeitet den Widerspruch. Das »sorgen selbst dafür« signalisiert die Abwesenheit von Herrschaft und unterstellt ein gemeinsames Produktionsinteresse der autonomen Gruppe, während das »einen Geldabzug kriegen« die Instanz »Unternehmen« ins Spiel bringt, welche quasi wie eine neutrale gerichtliche Einrichtung Schuldige bestraft. Indem sich die Arbeiter wechselseitig zu »Staatsanwälten« machen, unterstellen sie sich mit der Anerkennung der bestrafenden Instanz selbst Verhältnissen, in denen sie auch bezogen auf die Ziele ihrer gesellschaftlichen Tätigkeit inkompetent sind. Diese Vergesellschaftungsform konstituiert die Gruppe von innen her, indem sie die Automationsarbeiter unter einer neutralen Instanz als private »Rechtspersonen« zusammenschließt. Die Kumpel , Wir kommen zu den Fällen der gemischten Vergesellschaftungsform mit der Praxisform Fehlerdiskussion. Einen Teil werden wir in dem Fallbeispiel »Gewinnen« in dem Abschnitt »Die Brigade« abhandeln (Teil IV, 4. Kap.). Unter dem Aspekt der Gruppenbildung wenden wir uns Automationsarbeitern in einer Erdölraffinerie zu. »Die Pflicht zur Ablösung erzieht automatisch zur Disziplin.« — »Die Leute kontrollieren sich gegenseitig.« Diese geradezu mit Stolz von den Unternehmern verkündete Arbeiter-»Selbsterziehung« ähnelt jener in den teilautonomen Arbeitsgruppen. Allerdings mit dem bedeutsamen Unterschied, daß die Selbstkontrolle nicht durch das private Lohninteresse organisiert wird. Die Bedingungen der vollkontinuierlichen Produktion machen es sachlich erforderlich, daß die Automationsarbeiter den Vorgang der Schichtübergabe organisiert angehen und dafür entsprechende Arbeitszeit bereitstellen (vgl. AS 43, S.226ff.). Die gemeinsame Produktion ist aber nicht ihre »dritte Sache«. Ihre Praxis, sich gegenseitig zu einem halbstündigen Früherkommen anzuhalten, übersetzt diese Widersprüchlichkeit in ein Privatinteresse der Schichten. Denn ein Späterkommen bedroht den rechtzeitigen Feierabend der abzulösenden Schicht, welche es dann bei Gelegenheit zurückgeben wird. Was die Schichten vereint, ist die Vorstellung eines gemeinsamen Rechtsanspruchs auf ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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pünktlichen Feierabend. Indem sie diesen übernehmen, zerlegen sie sich wiederum in private Gruppen, die den Rechtsanspruch gegenseitig einklagen. Diese private Verselbständigung der Schichten wird durchaus produktionswirksam, wie an der Praxis abgelesen werden kann, produktionsnotwendige Eingriffe zeitlich so zu legen, daß die folgende Schicht von ihren destabilisierenden Wirkungen betroffen wird. Dieses Abwälzen basiert nicht auf einer Konkurrenz zwischen den Schichten, wie im Falle ihres Streites um die richtige Fahrweise, sondern auf dem Interesse, die Arbeit ohne große Aufregungen durchzustehen. Wir haben hier eine Gruppenvergesellschaftung vor uns, die sich an der Linie der gemeinsamen Lohnarbeiterinteressen bildet, zugleich aber in das Produktionshandeln eingelassen ist, so daß sich gleichwohl gegeneinander privatisierende Schichten bilden. Wir finden nun in dieser Meßwarte ein reges Gruppenleben. Von der Unternehmensleitung wird unterstützt, daß sich die Schichten ihre Freizeit organisieren und beispielsweise zusammen mit Meistern und Schichtleitern kegeln. Andere Schichten spielen zusammen Lotto und zahlen zu diesem Zweck in eine gemeinsame Kasse ein; wer es vergißt, muß Strafe zahlen, und dadurch steigt der Einsatz; andere wiederum zahlen bei Geburtstagen und ähnlichen Gelegenheiten in eine Kasse, um sich eine dreitägige Urlaubsfahrt ohne ihre Frauen zu ermöglichen. Und in der Arbeit selbst finden engagierte Gespräche über vergangene Fußballspiele, Urlaubsländer und den vorherigen Kegelabend statt. Auffallend ist, daß all dies nicht nur von Meistern und weiteren Vorgesetzten geduldet wird, sondern daß sie selbst an dem Gruppenleben teilnehmen. Was bedeutet dieses merkwürdige Handeln von Personen, deren Funktion es ist, die Produktionsinteressen des Unternehmens durchzusetzen? Einen ersten Erklärungsversuch haben wir bereits in dem Fallbeispiel »Der Windmacher« unternommen (vgl. Teil IV, 2. Kap., 1. »Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien«). Unsere These lautete, das Gruppenleben sei geeignet, jene Unsicherheiten und Konflikte »aufzufangen«, die aus der mangelnden Handlungsfähigkeit der Anlagenfahrer resultieren. Dafür verantwortlich machten wir die Lernform »Anlernen« und die Monopolisierung des tieferdringenden Wissens bei den Vorgesetzten. Wir richten jetzt unser Augenmerk auf das widersprüchliche Zusammenspiel von Anlagenfahrern und Meistern bei der Störungsbewältigung und Fehlerdiskussion, um die These zu präzisieren. »Wenn ich mal nicht Bescheid weiß, was die Ursache ist, wie sie zu beheben ist, dann riskier' ich nichts. Dafür ist der Meister da.... Die Unsicherheit, wenn ich keinen Überblick hab', ist nicht so groß... Aber es nervt halt doch, weil ich die Anlage beherrschen möcht'... Wenn eine ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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Störung ist, dann möcht' man ja dahinter kommen.« Diese Äußerungen zeigen die Automationsarbeiter in Widersprüche verwickelt. Einerseits wissen sie um die Schranken ihrer Handlungsfähigkeit und ziehen die Meister zur Unterstützung heran, andererseits wollen sie ihre Unsicherheit überwinden und die Anlagen selbst beherrschen. Bedingungen dieser Widersprüchlichkeit sind die Lernform »Anlernen« und die Doppelfunktion der Vorgesetzten. Ihre automationsspezifische Ausbildung enthält nur winzige Anteile von Theorie, ist folglich gemessen an der Aufgabe, quantifiziert repräsentierte Naturprozesse zu beherrschen, unzureichend. Die Automationsarbeiter sind verurteilt, durch ihr praktisches-Tun und Erfahrungsbildung chemische und physikalische Prozesse in den Griff zu bekommen. Im Normallauf gleichen sie beständig kleinere Abweichungen aus, fahren an den Grenzwerten entlang, um die Anlage optimal auszulasten, so daß ihre Erkenntnismöglichkeiten entsprechend eng und beschränkt sind. Ihre Erfahrungen müssen gegenüber Zuständen versagen, in denen erhebliche Abweichungen vom Normalzustand auftreten oder systematisch herbeigeführt werden müssen, um die Normallage wieder herzustellen. Um dennoch eingreifen zu können, benötigen sie eine Zugriffsmöglichkeit auf das ihnen vorenthaltene Wissen, welches die Anlagenmöglichkeiten souveräner ausschöpfen kann. Eine Grundbedingung dafür ist die jederzeitige Verfügbarkeit der Vorgesetzten. Da die Initiative, das getrennte gesellschaftliche Wissen zusammenzubringen, von den Anlagenfahrern ausgehen muß, befinden sie sich in einer mehrfach widersprüchlichen Situation. Faktisch müssen sie mittels ihres eigenen Wissens bestimmen, wann ihr Wissen unzureichend ist. Auch in der vor-automatiächen Produktionsweise besteht eine solche »Störungsmeldungspflicht«. Aber hier sind die Maschinensignale weitgehend eindeutig: Die Maschine konnte einfach stehen bleiben oder sie bearbeitete sichtbar das Produkt falsch. Dem Bediener blieb nichts anderes, als den jeweiligen Spezialisten zu rufen, allenfalls wog er aus seinem Lohninteresse heraus ab, wielange er noch durchhalten soll, welpher Reparateur die Maschine schnell wieder in Ordnung bringt. Diese Eindeutigkeit besteht in der Automation nicht. Störungen künden sich keimhaft an, ihr tlrsachengeflecht liegt nicht schlagartig offen, sondern muß durch eine organisierte Erkenntnistätigkeit aufgedeckt werden. Das hierzu benötigte Wissen liegt auf einer qualitativ anderen Ebene als das den Arbeitern verfügbare. Die Arbeiter sind gezwungen, mit ihren beschränkten Mitteln den Anzeichen einer Störung zu begegnen, und manövrieren sich dadurch in eine Katstrophensituation hinein. Ihre Handlungsversuche scheitern. Ein höheres Wissen mit ihnen unbekannten Handlungsmöglichkeiten muß wie ein »deus ex machina« eingreifen. Wir wissen beARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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reits, daß die Unternehmer mit der gleichen Lernform, die diese Katastrophensituation hervorbringt, gegensteuern, indem sie eine ausgelieferte Zuverlässigkeit bei den Arbeitern erzeugen soll, die jede kleinste Abweichung zur Meldung bringt, weil sie um ihre Bedeutung nicht wissen. Gleichwohl ist in den mehrjährigen Anlernvorgängen die Chance enthalten, Erfahrungen über die Bedeutungshaftigkeit der Signale zu erwerben, so daß dies Ausgeliefertsein schrittweise überwunden wird. Durch dieses Lernen sehen sich die Arbeiter zunehmend Entscheidungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten gegenüber, wann sie das höhere Wissen anrufen. In der Entscheidung wirkt ein zweiter Widerspruch. Anlaß der angestrebten Zusammenarbeit ist eine Arbeiter-Handlungsunfähigkeit, so daß jeder Versuch, zur Erhöhung der Handlungsfähigkeit Wissen von dem Vorgesetzten zu bekommen, gleichbedeutend ist mit einem Eingeständnis eigener Handlungsunfähigkeit. Unter Privatverhältnissen werden die Konsequenzen individueller Handlungsunfähigkeit privatisiert und können Existenzunsicherheit und Arbeitsplatzverlust bedeuten. Der Konflikt kann nicht produktiv gelöst werden. Wir fanden individuelle Mechanismen der Verzerrung und Umdeutung von Realitätswahrnehmungen, mit denen die erkannte Hndlungsunsicherheit abgewehrt wird. Verschiebung von Ursachen eigner Fehler in Bereiche der Unbeeinflußbarkeit: Subjektives Versagen wird den Eigenarten der Anlagen angelastet, so daß die individuelle Entwicklungsnotwendigkeit und die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes um Qualifizierung abgewehrt werden kann. Verleugnung eigener Entwicklungsmöglichkeiten durch Abwehr ihrer Realisierungsmöglichkeiten: Die Anlagenfahrer sichern sich eine Schein-Souveränität, indem sie die von den Vorgesetzten repräsentierten Handlungsmöglichkeiten abwehren. »Bei Störungen blick' ich nicht durch, das geht zu langsam, bis ich die Ursache finde, müßte das Fließbild verfolgen ... Das rein Theoretische, die Erklärungen der Meister und Vorgesetzten nützen nichts...« Die relative Beschränktheit der Proudktionserfahrung wird nicht erkannt: »Den studierten Leut', zum Beispiel dem Ingenieur fehlt die praktische Erfahrung aus dem Umgang mit der Anlage; das geht nicht alles so, wie sie wollen, wie es theoretisch gehen müßte.« Andere sprechen von einem »Auftrumpfen« mit ihren Erfahrungen, mit dem sie die Ingenieure zum Schweigen bringen können. Sie stützen sich auf die »Vorzüge praktischen Denkens« (AS 43, S.143ff.), ohne die subjektiven Potenzen verändernden Denkens und Handelns auf begrifflicher Ebene als Perspektive zu erkennen. — Wir sehen, daß die gleichen Verhältnisse, die ein Angewiesensein der Anlagenfahrer auf das Vorgesetztenwissen organisieren, dies Zusammenarbeiten höchst konfliktreich machen. Das Lernen in der gemeinsamen Fehlerdiskussion kann kaum erfolgreich ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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sein, wenn die Anlagenfahrer aus Angst vor der Macht der Vorgesetzten über ihr Schicksal Handlungsfähigkeit vortäuschen, Schwächen nicht eingestehen. Vor dem Hintergrund dieses Konfliktfeldes erhellt sich der Stellenwert des scheinbar produktionsirrelevanten Gruppenlebens. Es gibt den Vorgesetzten die Möglichkeit, sich als Menschen unter Menschen zu bewegen, ihre Hierarchiefunktion zu entskandalisieren. Diese Kumpelstrategie organisiert eine Schein-Gleichheit der Ungleichen. Zugleich entlastet das anregende, amüsante, entspannte, zotige Gruppenleben von dem Druck der nur partiellen Handlungsfähigkeit. Die Entlastung von den Unsicherheiten stellt die Bedürfnisse nach Weiterentwicklung still, indem die Zeiten, in denen eine gemeinsame Weiterbildung mit'den Vorgesetzten organisiert werden könnte, mit »funktionslosen« Vorgesetzten verbracht werden. Es bildet sich eine Gemeinschaft von Privatpersonen. In ihr haben die einzelnen die Möglichkeit, sich ihrer sozialen Aufgehobenheit zu vergewissern, aber nicht als fähige Produzenten, sondern als Leute, die interessantes, witziges beizusteuern haben. Dies Leben macht es ihnen möglich, um ihre Produzentenexistenz einen privaten Schutzraum zu bauen, während sie in der Produktion selbst einzeln wie auf einem schwankenden Floß ums Überleben kämpfen. Gleichwohl wirkt das Gruppenleben auf die Zusammenarbeit zurück: »Wenn jeder mit seinem Wissen hinter dem Berg halten würde, wo kämen wir denn da hin, na Prost Mahlzeit. Das geht doch nicht. Ist doch Teamarbeit hier.« in dem Fallbeispiel »Der Windmacher« haben wir gesehen, daß das Lernen weitgehend von der Einzelinitiative abhängt. Die Vergesellschaftung in gemeinsamer Kumpanei organisiert offenbar die Bereitschaft, sich hilfesuchend an die doch so »menschlichen« Meister zu wenden. Allerdings ist es die Aufgabe des einzelnen. Organisiert wird ein Privatinteresse am individuellen »Zurechtkommen«, welches die Pespektive entrückt, die faktische Kollektivität in der Arbeit auch in einem gemeinsamen Lernen und Sich-Entwickeln subjektiv zu realisieren. Die Menschlichen Unser nächster Fall, das gemeinsame Auftreten von Gruppen- und Brigadeformen mit Fehlerdiskussion und organisierter Weiterbildung, zeigt Bekanntes. In der Meßwarte eines Kraftwerkes ist das Gruppenprivate überdeutlich: Die Schichten einigen sich selbst über die Urlaubspläne der Schichtmitglieder. »Der Gruppendruck ist sehr wirksam .. In der Gruppe läßt sich das Blaumachen nicht verheimlichen... Je größer die Gruppe, desto schwieriger die Solidarisierung .. Es gibt höchstens die Solidarisierung einer Gruppe gegen alle anderen... Da die gemeinsame Freizeit mit Freunden und Bekannten ausfällt, ist der ZuARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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sammenhang in der Schicht ein Ersatz... Die Schichten haben besonders viel privaten Kontakt... Sie kegeln und wandern zusammen... Die Frauen kennen sich ... Keine Schicht will aber vön der anderen Unterstützung.« Auch erkennen wir die Kumpelstrategie und Entskandalisierung der Vorgesetztenmacht wieder: »Die Vorgesetzten dürfen nicht verrückt machen, sondern müssen beruhigend wirken ... Der Meßwart muß froh sein, daß sie hinter seinem Rücken stehen... Außerdem ist in dem Schadensbericht normalerweise nicht aufgeführt, wer den Schaden verschuldet hat... Die Meßwarte müssen untereinander verträglich sein und in der Nachtschicht diskussionsfähig sein.« Wir finden auch ähnliche Abwehrmechanismen. Die Arbeiter äußern sich nur mit Verachtung über die untätig im Raum sitzenden Meister: »Die können ja auch nicht mehr.« Sie denken offenbar so, weil die Meister selbst Anlagenfahrer gewesen sind und sich hocharbeiten mußten. Sie scheinen sich nur durch ihre grünen Kittel zu unterscheiden. (Zu diesem Rekrutierungsvorgang vgl. Teil IV, 4. Kap., 1. »Die Brigade« den Unterabschnitt »Die Führer« in diesem Band.) »Manche Dinge erfordern sofortiges Eingreifen. Der Meßwart muß sofort versuchet, die Ursache der Störung zu erkennen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Falls ihm das nicht gelingt oder er in seiner Einschätzung nicht ganz sicher ist, ruft er den Blockmeister... Die Aufgabenteilung zwischen Meßwart und Blockmeister ist variabel ... Ein guter Mann wird mehr selbständig machen... Es gibt Schichtführer, die mehr zulassen.« Wir finden hier als bewußtes Vorgehen von oben, was im vorherigen Fallbeispiel von der Privatinitiative der Anlagenfahrer geschaffen wurde: Die Automationsarbeiter handeln innerhalb einer »Grauzone« des Noch-und-nicht-mehr-zuständig-seins. Verantwortungsgrenzen verschwimmen, formale Grenzen werden uneindeutig, das gesamte Geflecht der Zuständigkeiten wird labilisiert. Es scheint, daß diese von oben geförderte Unsicherheit eine dauernde Anstrengung der Arbeiter in Gang setzt, kritische Situationen ohne die Anrufung der Vorgesetzen zu bewältigen, selbständig zu handeln und dabei möglichst unentdeckt zu bleiben. Dafür spricht der Hinweis, daß die Möglichkeit bestehe, Fehler zu kaschieren. »Von dem Meßwart wird erwartet, daß er von selbst meldet, wenn er Fehler oder Unterlassungen beging.« Ziehen wir noch die Aussage hinzu, daß es Leute gäbe, die alles wüßten und genau erklären könnten, »aber bei Störungen nicht in der Lage sind, einzugreifen«, dann erkennen wir, daß die Konfliktsituation einen Abwehrmechanismus nahelegt: die Leugnung von Eingriffsnotwendigkeiten. Die Bedrohung, sich vor Meistern und Kollegen als nicht selbständig zu erweisen, kann bewältigt werden, indem die Anlagenfahrer in verschiedenen Formen den Handlungsnotwendigkeiten ausweichen, HandARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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lungen herauszögern, Scheineingriffe vornehmen oder gar die bedrohliche Situation selbst in der Wahrnehmung abwehren. Die Meister nehmen dies als Haltungsproblem wahr. Sie kämpfen gegen die Vorstellung an, daß »alles sowieso von alleine« gehe. So organisieren sie, daß jede Woche einmal die gesamte Automatik abgestellt wird und »VonHand-Fahren« geübt wird. Sie regen die Anlagenfahrer an, in ihren Aufzeichnungen nachzuschauen und ihr Zusammenhangswissen aufzufrischen. Durch »Rituale« soll gewährleistet werden, daß die Sicherheitsvorkehrungen bei Eingriffen auch wirklich eingehalten werden. Alle Maßnahmen zielen darauf ab, eine Feuerwehrbereitschaftshaltung gegenüber Ernstfällen herzustellen. Die in allen Meßwarten übliche aufdringliche Signalisierung von Sollwertabweichungen und Grenzwertüberschreitungen sowie in unserem Fall die Verpflichtung auf lautes Vermelden von Unregelmäßigkeiten sind gegen Wahrnehmungsversagen gerichtet. In der Arbeitswissenschaft wird das Verhältnis von Signalreiz und Aufmerksamkeit als »Vigilanz«-Problem erforscht (vgl. Waldhubel 1977). Gravierender scheinen uns die subjektiven Ängste zu sein, wie sie durch permanente Vorgesetztenkontrolle und Privatverhältnisse hervorgerufen werden. Sie müssen eine diffuse und oberflächliche Wahrnehmung bewirken, da Handlungsnotwendigkeiten als Bedrohungen erlebt und abgewehrt werden (vgl. Nemitz 1980). »Damit keine falschen Theorien über die Entstehung von Fehlern sich herausbilden, ist man darauf angewiesen, daß die Meßwarte die Wahrheit sagen.« Auch diese Aussage können wir in den untersuchten Zusammenhang stellen. Das konfliktgeladene Verhältnis zu den Vorgesetzten zwingt die Anlagenfahrer zu einer Schein-Souveränität. Das Konfliktverhältnis besteht aber auch gegenüber den übrigen Anlagenfahrern. Wo das Lernen aus Fehlern gemeinsame Aufgabe sein könnte, muß unter Lohnarbeitsverhältnissen vermieden werden, sich Blößen zu geben und damit den anderen einen Vorteil zu verschaffen. Auch von dieser Seite wird Druck ausgeübt, den Schein der Handlungsfähigkeit zu wahren. Dramatisch spitzt sich dieser Druck zu, wenn in der Automationsarbeit herkömmliche Methoden des Werbens um die Anerkennung durch Vorgesetzte dysfunktional werden. »Der Wettkampf zwischen den Meßwarten muß abgeschafft werden. Beim Wettbewerb besteht die Gefahr, daß die Meßwarte versuchen, die anderen zu übertrumpfen. Dann wird möglicherweise zu schnell und zu schludrig gearbeitet, so daß die Fehlerquelle größer ist... Der arbeitet am besten, der am meisten weiß ... Das ist ein Problem.« Die Steigerung der Arbeitsaktivität unterm Blick des Vorgesetzten wird in der Automationsarbeit zu einem unökonomischen und irrationalen Scheinhandeln. Der Handlungsfähige zeichnet sich dadurch aus, daß er frühzeitig eingreift und mit geringem Aufwand den Normallauf wieder herARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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stellt. Unter diesen Bedingungen werden neue Formen entwickelt, sich gegenseitig auszustechen. Die wirksamste dürfte sein, den Anschein von Fehlerlosigkeit zu wecken. Dazu gehört nicht nur, aktuelle Versäumnisse und Fehler zu verbergen, sondern auch, vergangene Unsicherheiten und Ängste nicht einzugestehen: Man ist schon immer zurecht gekommen, war immer perfekt. Verhindert wird ein gemeinsames Erfahrungsaustauschen und Lernen, welches verlangt, den eigenen Lernprozeß öffentlich zu machen. Unsicherheiten, Bedrohungserlebnisse, Ausfälle müssen individuell ausgetragen werden und erzeugen das Bewußtsein, als einziger Schwierigkeiten zu haben, unfähig zu sein. Die Form »Grauzone«, in der das Verhältnis der getrennten Wissen von Anlagenfahrern und Meistern gelebt wird, erzeugt neue Konflikte. Wir fragen, welchen Stellenwert dadurch das Gruppenleben gewinnt. Die Beteiligung der Vorgesetzten an dem Gruppenleben — sie haben die Aufgabe, »interessante Diskussionen« anzuregen — ermöglicht ihnen, ihr menschliches Gesicht zu zeigen. Befördert wird, daß die Arbeiter die hinter ihrem Rücken stehenden Meister akzeptieren und für »Mitschwimmer« im Fluß der täglichen Aufgaben halten. Ihr menschliches Gesicht zeigten auch die Meister in streng hierarchisierten Verhältnissen. Sie taten dies, wenn sie Unternehmerinteressen von oben gegen Arbeiter durchsetzen mußten. Sie distanzierten sich von ihrer Funktion und gestanden ein, als Mensch ganz anders handeln zu wollen, es aber nicht zu können. Diese »Rollendistanzierung« wirkte als Herrschaftsmittel. Die Meister in der Gruppe der Automationsarbeiter bedienen nicht auf diese zynische Weise die betrieblichen Machtverhältnisse. Ihr menschliches Antlitz außerhalb der Arbeit soll auch noch in der Arbeit leuchten und die Arbeiter vergessen lassen, daß sie zu ihren Vorgesetzten in einem doppelten Knechtschaftsverhältnis stehen. Sie übernehmen in Situationen, wo sie auf Meisterhilfe zurückgreifen müssen, deren Orientierung auf die Unternehmerinteressen, weil sie ihnen wissensmäßig ausgeliefert sind. Die Gruppe lebt in der Arbeit die Nicht-Arbeit. Sie negiert und überwindet dadurch »die Instrumentalisierung der Emotionen und des mit ihnen verschränkten Ausdrucksverhaltens zum Zwecke der Verstellung« (Ohm 1973, S.117), zu der Lohnarbeiter unter eindeutigen Herrschaftsverhältnissen gezwungen sind. Die Gruppe kann als Befreiung, Entlastung und Rückkehr zur Menschlichkeit gelebt werden. Sie läßt vergessen, daß die Instrumentalisierung zugleich ein Schutzmechanismus war. Die Arbeiter riskieren, auch in der Arbeit als »Menschen« in Anspruch genommen zu werden: Motivation über Geld sei problematisch, erfuhren wir in einem Betrieb, der zu den Fällen mit den drei kollektiven Praxisformen gehört. »Besser ist es, bei der Persönlichkeit anzugreifen und zu sagen: 'Da hast du aber einen Bock geschossen.' ARGUMENT-SONDERBAND AS 67

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Sonst würde man ihn nur auf die Kosten für den Betrieb aufmerksam machen, die die Fehler zur Folge haben ... Beim Toleranzenfahren ist es effektiver, den Operator bei seinem persönlichen Ehrgeiz zu packen, als über die Kosten zu reden, die draufgehen. Preise sind vertraulich und über Kosten läßt sich nicht motivieren, weil er sonst sagt, die haben soviel Geld...« Das Gruppenleben bereitet den Boden, der es den Vorgesetzten erlaubt, die Unternehmensinteressen durchzusetzen, in dem sie das gewünschte Handeln zu einer Angelegenheit persönlicher Bewährung machen. Wenn die Arbeiter die Entlastungsfunktion des Gruppenlebens wahrnehmen, rächt sich dies in der Arbeit, denn sie liefern sich verstärkt den Vorgesetzten aus, gerade weil es zuvor so menschlich zugegangen ist. Einen Lohnabzug oder eine andere Disziplinierung durch eine offensichtliche Herrschaftsinstanz kann man kurzfristig schlucken und gleichwohl weiterhin im Gegensatz zu den Mächtigen leben. Aber wer will schon sich selbst als Person in Frage gestellt sehen! Die Vergesellschaftungsform Gruppe bewirkt einen »Subjekteffekt« und konstituiert Arbeiter unter Herrschaftsverhältnissen als personale Identitäten (vgl. PIT1980, AS 60 und AS 62). Wir vermuten, daß dieser Vorgang auch das Verhältnis der Arbeiter untereinander strukturiert. Ihre objektive Konkurrenz wird umgeformt in ein gemeinsames Streben nach individueller personaler Identität, über deren Zu- oder Aberkennung die Vorgesetzten entscheiden. Sie werden zu einer Instanz, deren Orientierungen von den Arbeitern als eigene übernommen werden, an denen sie sich gegenseitig messen. Zusammenfassend halten wir fest: Die Vergesellschaftungsform Gruppe bietet den Automationsarbeitern Raum, sich in ihren konfliktreichen Kooperationsbeziehungen zu stabilisieren. Indem sie diese Entfastungsmöglichkeit ergreifen, scheiden sie selbst die Perspektive des kollektiven Entwickeins weitergehender Handlungsfähigkeiten aus und bereiten den Boden für Vorgesetzteneingriffe, die weitaus wirksamer sind als jene in Anordnungs- und Befehlsform. Bedingung der Konflikte ist die Verwissenschaftlichung der Produktion. Eine adäquate Produzentenpraxis würde eine ständige Kritik und Verbesserung der Handlungsfähigkeiten einzelner beinhalten. Die mit der Automatisierung mögliche Offenlegung, Überprüfbarkeit und Verallgemeinerung des Handelns kann Quelle des gemeinsamen Lernens sein. Wo dagegen versucht wird, die Trennung von zusammengehörigem Wissen aufrechtzuerhalten, wird die Verwissenschaftlichung zur Quelle beständiger Bedrohung. Die Automationsarbeiter werden in zugespitzten Produktionssituationen an die Vorgesetzten und deren Fähigkeiten gekettet. Unweigerlich tritt die Mächtigkeit eines höheren Wissens auf den Plan und degradiert die Arbeiteranstrengungen zu zusammenhangsblinden und vom souveränen Beherrschen der von menschlichem WisARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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sen geplanten Anlagen weit entfernten, tastenden Versuchen. So sehr im Nutzen der »Grauzone« Eroberungsmöglichkeiten liegen, so sehr ist die doch erfolgende Hinzuziehung der Vorgesetzten Eingeständnis eigenen Unvermögens. Arbeiteridentität bildet sich auf der Stufe zuvor im Leben der körperlichen Anstrengung, der Lohnform, der Leistungsfähigkeit, sichtbar an der Zahl der Produkte und ihrer Qualität. Gegenüber den Vorgesetzten konnte ein Raum eigener Kompetenz entwickelt werden, der durch Erfahrungen, Routinisierung und Geschick ausgebaut wurde. Mit der Automatisierung schwindet dies Feld traditionellen Arbeiterselbstbewußtseins. Das neue Selbstbewußtsein muß sich auf ein kaum wahrgenommenes Produktivorgan stützen, auf den Kopf. Arbeiterbewußtsein muß sich auf einem Feld bilden, in dem das ingenieurmäßige und wissenschaftliche Wissen die Perspektive zeigt. Der geschützte Raum besonderer Kompetenzen muß verlassen werden. Nur gegen Vorgesetzteninteressen kann das neue Selbstbewußtsein entwickelt werden. Dazu benötigen die Automationsarbeiter eine neue Konfliktfähigkeit. Lassen sie sich spontan auf das gemeinsame Gruppenleben ein, so schwächt sie dies. Andererseits können sie nur im Kollektiv neue Handlungsfelder besetzen und neue Fähigkeiten entwickeln. Dies ist die Dynamik, in der Automationsarbeiter stecken, wenn sie ihre Kollektivkraft in der Vergesellschaftungsform Gruppe entwickeln wollen.

2. Neue Hierarchien Die überlieferte hierarchische Form betrieblicher Organisation und ihre Doppelfunktion, die Arbeit zu koordinieren und das Profitinteresse durchzusetzen, gerät mit der Automation in eine Reihe von Zersetzungs- und Umbruchprozessen. Das ist in der Literatur oft bemerkt worden. Zunächst fielen zunehmende Unscharfen im Über- und Unterordnungsverhältnis, Funktionsverschiebungen zwischen Arbeitenden und Vorgesetzten auf: »Je weiter die Technisierung der Produktion fortschreitet, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen dem Arbeiter und seinen unmittelbaren Vorgesetzten. Der Meister wie auch der Vorarbeiter verlieren ... eine Reihe von Funktionen, die sie als Vorgesetzte kennzeichneten. Der Untergebene aber übernimmt seinerseits Funktionen, die bisher charakteristisch für Vorgesetztenpositionen waren.« (Bahrdt 1958, S.39f.) Diese Veränderungen in der betrieblichen Hierarchie sind als »Werkmeisterkrise« in die Diskussion eingegangen. Zu den Funktionen/die der Meister (vor allem in der Fertigung) einbüßt, gehören insbesondere weite Bereiche der Produktionsplanung und der technisch kompetente Eingriff in schwierigen Produktionssituationen; im ersten Fall verliert er an die arbeitsvorbereitenden Abteilungen, im zweiten an die Produzenten, die oft »über 'ihre' Maschinen besARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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ser Bescheid wissen als der Meister... Die Arbeiter machen ironische Bemerkungen über die Ausreden, wenn die Meister fachlich zu Rate gezogen werden und nicht kommen, und sie sind aufgebracht über unrichtige technische Anweisungen.« Die »technische Entwicklung muß der überkommenen Art der Autorität des Meisters, die eben vor allem eine Autorität des überlegenen, fachlichen Könnens war, den Boden entziehen...«(Wiedemann 1974, S.68ff.). Welche Funktionen gewinnen stattdessen an Gewicht? Der Theorie zufolge soll der Meister »vor allem die Fähigkeit haben, seine Rolle in der Fertigungssteuerung und der Menschenbehandlung auszufüllen.« (ebd.) In der Praxis scheint vor allem ersteres, also die Durchsetzung der Planungsvorgaben in der Produktion Hauptaufgabe zu sein: »Das Schwergewicht liegt bei der Verfolgung von Fehlteilen und Engpässen (ca. 1 Std. am Tag) sowie bei der Steuerung des Personaleinsatzes und der Fertigungsfortschrittsüberwachung. Ungefähr 25% ihrer Zeit verbringen die Meister mit Kontakten und Besprechungen. Die größten Zeitanteile fallen auf Kontakte zu den indirekten bzw. dem Produktionsprozeß vorgelagerten Abteilungen wie Arbeitsvorbereitung, Disposition oder Materialwirtschaft. Gespräche mit Mitarbeitern aus dem eigenen Bereich nehmen dagegen einen nur geringen Teil ein. Ungefähr eine Stunde täglich entfällt auf Arbeiten an technischen Fragen und Verfahrensproblemen. Die Zeitanteile für Verwaltungstätigkeiten sowie für Mitarbeiterschulung und -betreuung (zwischen 15 und 20 Minuten pro Tag) liegen am niedrigsten.« (Frieling und Maier 1980, S.35f:) Dieses Tätigkeitsspektrum der Meister verändert sich mit der Automatisierung (Computerunterstützung) von Fertigungsplanung und Fertigungssteuerung weiter: Der Anteil von Aufgaben in der Fertigüngssteuerung wird reduziert, allerdings in unterschiedlichem Umfang: Wo vom einzelnen Arbeitsplatz aus über Terminals Zugriffsmöglichkeiten zu Betriebsdaten und Entscheidungsunterlagen wie Aufträge, Material- und Betriebsmittelverfügbarkeiten, erforderliche Werkzeuge und Vorrichtungen, Prüfpläne und Qualitätsvorschriften etc. bestehen, können Teilaufgaben der kurzfristigen Fertigungssteuerung in die Arbeitsprozesse integriert werden, etwa das Festlegen der Bearbeitungstermine, die Entscheidung über die Bearbeitungsreihenfolge einzelner Aufträge, das Festlegen der Maschinen, auf denen produziert werden soll, die Neuplanung bei auftretenden Störungen etc. Diese Tendenz wird durch die Orientierung eingeschränkt, durch Aufstellung der Terminals am Meisterplatz, die Funktionsverschiebungen für jedermann sichtbar in Genzen zu halten: Auf diese Weise könne man — so der Geschäftsführer einer Maschinenbaufabrik — die Arbeitsverteilung und das Umdisponieren bei Zeitüberschreitungen oder Produktionsunterbrechungen beim Meister lassen (Hammer ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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1979b, S.19ff.). Zugleich rücken für den Meister Aufgaben der »Personalführung« in den Vordergrund, Funktionen der Motivation, der Förderung von Zusammenarbeit und der Abschwächung von Konkurrenz (wo sie vom Standpunkt der Betriebsleitung aus dysfunktional wird), der »Kommunikation« zwischen »alten« und »neuen« Qualifikationen (etwa zwischen Dreher und Programmierer). Der Aufwand der Betriebe für Schulung und Weiterbildung von Vorarbeitern und Meistern auf dem Felde der Psychologie, insbesondere der »Führungstechniken«, scheint zu wachsen. Von Bahrdt bis Wiedemann schien es selbstverständlich, daß die genannten Funktionsverschiebungen — euphorisch ausgedrückt: die »Auflösung« der »Herrschaftsform der bürokratischen Hierarchie« (Bahrdt 1959, S.121) — einem Wort von Marx zufolge eine »durch die Natur des Arbeitsmittels diktierte technische Notwendigkeit« waren, vor allem zunehmender Automatisierung der Arbeit sich verdankten. Dieser Zusammenhang ist indessen in der Forschung nicht unbestritten: Kubicek hat in einer Auswertung von 11 amerikanischen Untersuchungen über den Zusammenhang von Computereinsatz und organisatorischen Veränderungen auch die Dimension »Zahl der Hierarchieebenen« betrachtet: Sieht man von zwei Arbeiten ab, in denen diese organisatorische Dimension nicht vorkommt, so wurde in drei Erhebungen keine Veränderung festgestellt; in zwei Arbeiten hatte die Zahl der Hierarchieebenen zugenommen, in vier Studien wurde hingegen eine Abnahme konstatiert: ein durchaus widersprüchliches Ergebnis. Nimmt man die Entwicklung der »Leitungsspanne« hinzu (Zahl der einem Vorgesetzten unterstellten Beschäftigen), wird das Bild noch verwirrender: von drei Arbeiten abgesehen, die die Leitungsspanne nicht erhoben haben, stellen drei Untersuchungen keine Veränderung, zwei eine Zunahme, eine eine Abnahme und zwei sowohl eine Zunahme als auch eine Abnahme fest. In vier Untersuchungen sind diese Bewegungen mit der Entwicklung der Zahl der Hierarchieebenen gleichgerichtet (Kubicek 1975, S.170 und 1979, S.59). Besteht demnach kein Zusammenhang zwischen Automatisierung und Hierarchie-Umbruch? Simon (1966) zufolge ist »Hierarchie ... die adaptive Form, die eine begrenzte Intelligenz angesichts großer Komplexität annimmt« (S.115). Also müßte Hierarchie ihre Funktion verändern, wenn »eine begrenzte Intelligenz« durch Automatisierung mächtig potenziert wird. Aber Hierarchie ist nicht bloß funktionale Koordinierungsform, sie ist zugleich Herrschaftsform, zu deren Sicherung bei Gefahr Abwehrkräfte mobilisiert werden, Gegenmaßnahmen, die dem materiellen Druck der Produktivkraftentwicklung Rechnung tragen und ihn zugleich abzupuffern und soweit wie möglich systemverträglich einzubinden versuchen. Das erhebliche »Dilemma zwischen erforderlicher Stabilität und der Gefahr ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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der Instabilität durch notwendige Veränderung« der Organisationen (Wiedemann 1978, S.3) verlangt nach Lösung. Das verwirrend widersprüchliche Bild beginnt seine chaotischen Züge zu verlieren, wenn man die widersprüchlichen Linien als Resultate gegensätzlich wirkender gesellschaftlicher Kräfte zu entziffern beginnt: Enthierarchisierungsprozesse können ihr Gegenteil ausdrücken, das Bemühen um Aufrechterhaltung der Hierarchie. Hinter Rehierarchisierungsprozessen kann ein enormer Druck gegenteiliger Hierarchiezersetzung wirksam sein (vgl. Teil IV, 1. Kap., 1. »Integration durch Vergesellschaftung« in diesem Band). Womöglich hat sich am Erscheinungsbild einer Organisation, ihrem Aufbauplan überhaupt nichts verändert, etwa bei Organisationen mit starker bürokratischer Tradition, in denen die genaue Festlegung der Anweisungswege, Befugnisse, Verantwortlichkeiten etc. selbst die geringste Veränderung erschwert; und erst unter der Zerreißprobe heftiger Konflikte enthüllt sich die Funktionsuntüchtigkeit eines unveränderten Organisationsgerüsts. Neue Mischformen werden entworfen: Wiedemann etwa empfiehlt als Unternehmensstruktur »ein hierarchisches System mit partiell hierarchiegelösten Gruppen«: Betriebsleiter und mittlere Manager hätten zunächst einmal überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, »daß die Dynamik mit Zwangsläufigkeit Eigenbewegungen nichthierarchischer Art entstehen läßt. Sie müssen weiterhin erkennen, daß durch diese Eigenbewegungen die Ziele (des Unternehmens, d.Verf.) oft jedenfalls genauso gut, häufig viel besser, erfüllt werden können; ja, daß mit der hierarchischen Struktur allein die Vielfalt der Aufgaben nicht mehr gelöst werden kann. Von hier aus ergibt sich für die Positionsinhaber (der Hierarchie, d.Verf.) die Verpflichtung, die hierarchiegelösten Kooperationen zu stützen, das bedeutet gleichzeitig Pflege der Initiative und Erhaltung der Leistungsbereitschaft. Es ergibt sich aber auch die Verpflichtung, die hierarchiefreien Strukturen daraufhin zu beobachten, ob sie nicht dysfunktional, hemmend, bremsend im Sinne der übergreifenden Ziele wirken; 'Störungen' können umbildend-aufbauend sein, sie können aber auch das System zerstören.« (Wiedemann 1971, S.70f.) Die Vielzahl an Modellen der Organisationsentwicklung oder an management by-Konzeptionen und die Hektik ihres Wechsels verweisen auf Unsicherheit und raschen Verschleiß der Vorstellungen, wie betriebliche Herrschaft unter Bedingungen ihrer funktionellen Entleerung gehalten weden kann. Zu den Funktionen betrieblicher Hierarchiebildung hat immer auch die Bereitstellung von Aufstiegs- und Qualifizierungsmöglichkeiten gehört: Das Durchschleusen eines Teils der Lohnabhängigen durch betriebsspezifische »Karrieren« mit jeweils besseren Arbeits- und Entlohnungsbedingungen ist eine Form betrieblicher Sozialisation, die, indem sie die Möglichkeit der Verbesserung individueller Lebenssituationen ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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eröffnet und zugleich an die Anerkennung dieses Wegs ihrer Verwirklichung bindet, die freiwillige Einpassung ins betriebliche Herrschaftsgefüge leistet. Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten in der Arbeit werden an solchen betrieblichen Karrieremustern gebrochen, An den Übergängen, den »Schleusen« zwischen den Arbeitsplätzen, entsteht, je höher sie gelagert und je seltener sie zugänglich sind, ein Selektionsdruck, der Konkurrenz und Anpassung verstärkt. Zugleich ermöglicht und erzwingt ein Arbeitsplatzwechsel in aufsteigender Linie einen stufenweise sich aufbauenden und erweiternden Qualifizierungsprozeß, wobei nicht nur Produktionsnotwendiges gelernt wird, sondern auch diese spezifische Form individueller Entwicklung. Mit der Automatisierung der Arbeit beginnen nicht nur die arbeitsplatzorientierten Anlernprozesse ihre Funktionsfähigkeit zu verlieren (wiewohl sie, mangels institutionalisierter Ausbildungsgänge, immer noch weitgehend die einzig verfügbaren Qualifizierungswege sind), sondern auch, auf Grund der Zusammenlegung von Arbeitsprozessen und -tätigkeiten, die überlieferten Karrieremuster: Die Sprünge von einem Arbeitsplatz zum nächsthöheren werden größer, die Möglichkeit zu »springen« verringert sich für immer mehr Arbeitende. Diese Problematik ruft forcierte Bemühungen der Betriebe hervor, wo immer die betriebswirtschaftliche Logik der Arbeitsorganisation es zuläßt, neue Hierarchielinien in die ausgedünnte Hierarchiestruktur einzuziehen. Dies scheint zunächst überall dort machbar, wo mit der Automation neue Arbeitstätigkeiten entstehen und sich z.T. sprunghaft vermehren: in der Datenverarbeitung das Programmieren, das Maschinenoperating, die Datenerfassung. In diesem Feld hat der bisherige Mangel an Professionalisierung und an einheitlichen Ausbildungsgängen beinahe jedem Betrieb freie Hand gegeben, die Arbeitsplätze zu definieren und zu ordnen. Hier herrscht eine gleichsam babylonische Vielfalt der Berufsnamen und Karrierewege, in denen die Aufstiegs- und Qualifizierungsfunktionen der Hierarchiebildung fast ungebrochen zum Tragen kommen und noch kaum — obwohl selbst automationsspezifische Tätigkeiten — durch die Automation in Frage gestellt zu sein scheinen. Die Grenzen zeichnen sich freilich — mit der Automatisierung der Automation und dem Verschmelzen der Datenverarbeitung mit den Fachabteilungen — schon ab. Bereits jetzt sind die wuchernden EDV-Hierarchien großenteils künstliche Gebilde auf Zeit, mit unüberwindlichen Barrieren zwischen den Teilhierarchien und erst recht zu den Fachabteilungen, aus denen ein Großteil des EDV-Personals stammt: In jungen Berufsjahren übergewechselt, sind sie — jetzt im vierten Lebensjahrzehnt — nicht zuletzt durch den Schichtdienst der Rechenzentren — oft schon verschlissen und ohne Perspektive. Ebenso zynisch wie ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Abb. 59 Hierarchien in Rechenzentren Handelsdienst

Siemens

Eurofiet

Arbeitsvorbereiter

ArbeitsvorbereiterAssistent Arbeitsvorbereiter

Arbeitsvorbereiter

Operateur-Assistent Operateur Erster Operateur

Operator-Assistent Operator

Leiter Arbeitsvorbereitung Archivar Operator

1

Konsoloperator/ Schichtführer Leiter Maschinensaal

Gruppenleiter Betrieb

SystembetreuerAssistent 'Systembetreuer Erster Systembetreuer Leiter Rechenzentrum

Leiter Betrieb Anwendersoftware:

Junior-Programmierer Senior-Programmierer Leiter Programmierung

System-Prog rammierer

- ProgrammiererAssistent - Programmierer - Erster Programmierer Systemsoftware: - ProgrammiererAssistent - Programmierer - EntwicklerAssistent -Entwickler - Erster Entwickler

ProgrammiererAssistent Programmierer GruppenleiterProgrammierung Leiter Programmierung

Systemprogrammierer

Anwendersoftware:

System-Analytiker System-Gruppenleiter Datenbank-Koordinator

- EntwicklerAssistent - Entwickler Software-Berater: - Berater-Assistent - Berater - Erster Berater

ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

SystemplanerAssistent Systemplaner

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hilflos sagte ein von uns befragter Rechenzentrumsleiter: »Was wir mit dem Schrott mal machen sollen, wissen wir selbst nicht.« Die Übersicht in Abbildung 59 (nach Stahlknecht 1978, S.15) vermittelt einen bereinigten Überblick über die Teilhierarchien von Rechenzentrumsbetrieb (unterteilt in Arbeitsvorbereitung und Operating) und Programmierabteilung; sie basiert auf Vereinheitlichungsbemühungen dreier Institutionen: der Handelsdienst GmbH Düsseldorf, die ihr System der Positionsbezeichnungen für jährliche Gehaltsvergleiche der EDV-Beschäftigten verwendet, des Hauptbereichs Bildungspolitik der Siemens AG und einer Arbeitsgruppe der internationalen gewerkschaftlichen Angetelltenvereinigung FIET, deren Gliederungsversuch laut DGB-Geschäftsbericht von 1977 als Hilfestellung für die Ausbildungs- und Tarifpolitik gedacht ist. Neue Hierarchielinien finden sich nicht nur in der EDV-Organisation, sondern auch in den automatisierten Fachabteilungen; wir zeigen das am Fallbeispiel eines automatisierten Materialfluß-Systems (vgl. Sinz 1979, S.67ff.): Hier werden auf vorautomatischem Produktivkraftniveau zwei Tätigkeitsbereiche unterschieden, die zugleich auf verschiedenen Hierarchieebenen angesiedelt sind: Auf der operativen Ebene wird der Materialfluß vermittels solcher Tätigkeiten wie Lagern, Transportieren, Verpacken, Versenden etc. bewerkstelligt; auf der administrativen Ebene wird der begleitende Informationsfluß durch Verbuchen, Abrechnen, Dokumentieren etc. geregelt. Die Automatisierung verändert alle diese Tätigkeiten gravierend, dennoch wird an den beiden Ebenen festgehalten: Auf der operativen Ebene werden vor allem die körperlichen Lager- und Transportarbeiten maschinisiert; der »Mitarbeiter«, heißt es, »steuert und kontrolliert den Ablauf, löst Ausnahmefälle«. Auf der administrativen Ebene werden geistige Routinearbeiten, wie die Pflege von Wareneingangs- und Bestandsdateien, das Führen von Statistiken aller Art, das Erstellen von Belegen in die Maschine verlagert; Sache der »Mitarbeiter« sei es, »an allen wichtigen Entscheidungspunkten ... steuernd und kontrollierend ein(zu)greifen.« Überdies wird mit der Automatisierung des Materialflusses noch eine dritte Ebene eröffnet, die der Disposition, die es so vorher gar nicht gegeben hatte: »Tatsächlich ist in manuellen, mechanisierten und kleineren teilautomatisierten Systemen keine Trennung von administrativer und dispositiver Tätigkeit erkennbar und notwendig.« Zu den Aufgaben der dispositiven Ebene sollen vor allem Teilnahme an der Systementwicklung, arbeitsvorbereitende und koordinierende Tätigkeiten, und die »Reaktion auf Engpässe und Störungen in den einzelnen Funktionsbereichen« gehören. Daß die Aufspaltung in Administration und Disposition teilweise Qualifikationsdefiziten auf der administrativen Ebene, teilweise Leistungsdefiziten und Fehleranfälligkeiten des automatisierten Systems sich verdankt, ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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die seine Ausreifung bis zur vollen Funktionsfähigkeit behindern, und die durch zusätzliche dispositive Tätigkeiten behoben werden sollen, wird an Formen von Doppelgleisigkeit manueller Arbeiten neben dem automatisierten System deutlich: Nicht selten werden Wareneingangsund Versandbücher mit Akribie von Hand weitergeführt und für gültiger erachtet als die Ergebnisse der Datenverarbeitung. Mit einer manuellen Bestandsführung versuche man zu beweisen, »daß die Bestandsführung im Rechner schon von Beginn an nicht stimmte und niemand sich um die Fehler kümmerte.« Anstatt die Qualifikationen zu verbessern und anzugleichen und bessere Systeme durch die volle Mitbestimmung aller Beschäftigten vom Beginn der Systementwicklung an zu realisieren, wird die Lösung des Problems in der Aufstockung der Hierarchie mit entsprechender Aufspaltung der Qualifikationen und Kompetenzen gesucht. Überdies wird zur Begründung der dreigestaffelten Hierarchie der hierarchische Systemaufbau herangezogen: »Dem hardware-mäßigen Aufbau des Systems folgte zweckmäßigerweise auch die Organisation und damit die Aufgaben-Struktur und Verantwortungs-Hierarchie des Personals.« Wie sehr in hierarchisch aufgebauten Systemen betriebliche Herrschaft gleichsam verdrahtet und vernetzt wird, haben wir an anderer Stelle gezeigt (vgl. Teil IV, 2. Kap., 2. »Kampf um die Daten«). Gerade die — nach der Übernahme alter Routinetätigkeiten ins automatisierte Verfahren — a u f den verschiedenen Ebenen fast gleichlautenden Aufgabenbestimmungen (steuernd und kontrollierend eingreifen, Ausnahmefälle lösen) sind ein Hinweis darauf, daß deren hierarchische Qualitätsausprägungen kaum produktionsnotwendig sind.

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Viertes Kapitel: Der gesellschaftliche Schein von Unternehmerstrategien Entlehnungen aus der Kpmmune »Betriebs-Prototyp für morgen«... »Generalisten statt Spezialisten« ... »Lernen als Teil des Arbeitslebens«... »Selbstverwaltung der Betriebsgemeinschaft« ... »Modell menschengerechter Organisation«. Unter diesen Überschriften berichtet Lauterburg (1978) von Arbeitsgruppen in einem Futtermittelbetrieb, die »ihre Arbeit selbständig planen, ausführen und kontrollieren. Grundlage der Steuerung und der Koordination ist das Gespräch. (...) Die Gruppen haben einen hohen Selbständigkeitsgrad. Sie sind nicht nur für die individuelle Aufgabenzuteilung und für die Qualitätskontrolle verantwortlich, sondern 'organisieren' sich im weitesten Sinne des Wortes selbst. Sie wählen ihre Gruppensprecher, sie delegieren Mitglieder in Arbeitsgruppen auf Betriebsebene, sie führen die Auswahl- und Einstellungsgespräche mit Neueinzutretenden. Das Team berät praktisch täglich über alle Fragen der Arbeitsplanung und -durchführung und 'erzieht' auch selbständig diejenigen Mitglieder, die etwa hinsichtlich Abwesenheiten oder kollegialer Hilfsbereitschaft nicht ganz der Gruppennorm entsprechen. (...) In dem neuen Werk findet man keine Klempner, keinen Mechaniker, keinen Qualitätskontrolleur, keinen Gabelstaplerführer, keinen Hilfsarbeiter, keine Putzfrau. Stabsabteilungen und Spezialfunktionen sind — wo irgend möglich — vermieden ... die unattraktiven Routineaufgaben (werden) gleichsam in schmerzlosen Dosen verteilt. (...) Der Mitarbeiter wird ... nicht für das bezahlt, was er tut, sondern für das, was er kann. Er ist aufgefordert, immer mehr Teile des gesamten Produktionssystems kennenzulernen und zu beherrschen. Und da die Zahl der für höhere Lohnstufen qualifizierbaren Mitarbeiter nicht begrenzt ist, steht die Entwicklung des einen keinem andern im Wege. Die Mitarbeiter unterstützen sich deshalb wechselseitig in ihrem Lernfortschritt. (...) Der Abbau hierarchischer Steuerung und Kontrolle wird konsequent vorangetrieben. Die Gruppenmitglieder erhalten laufend alle anfallenden technischen und betriebswirtschaftlichen Daten. (...) Es gibt keine Werksbestimmungen und keine Hausordnung. Alle Gebrauchsregeln entwickeln sich aus der Erfahrung und sind dementsprechend einem laufenden Wandel unterworfen. (...) Für die Lösung spezieller Probleme werden ad hoc temporäre Arbeitsgruppen gebildet. In der Praxis hat dies dazu geführt, daß fast jeder Mitarbeiter durch die Tätigkeit in einer oder mehreren Arbeitsgruppen direkt an der Meinungs- und Entscheidungsbildung auf Betriebsebene beteiligt ist. (...) Bereits bei der Raumplanung wurde alles vermieden, was 'trennend' wirken oder Stätusdenken fördern könnte. Alles ist darauf angelegt, die Gemeinschaftsbildung zu unterstützen. (...) 'Ich habe das Gefühl, daß ich gebraucht werde.' (...) Ein völlig unerwarteter Befund ist die auffallend starke Beteiligung der Mitarbeiter am öffentlichen Leben durch Übernahme nebenamtlicher Funktionen.« (S.18ff.)

Lauterburg ist ein bekannter Management-Berater. Das Futtermittelwerk steht in den USA. Was wie ein sozialistischer Traum erscheint, ist kapitalistische Wirklichkeit, sicherlich geschönt, weil Lauterburg seine ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 C

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Leistungen verkaufen muß. (Vgl. unser fiktives Gespräch zwischen Unternehmer und Berater, in: Neue Unternehmerstrategien, Automation und Gegenwehr, Projektgruppe Automation und Qualifikation 1980, S.92ff.). Lauterburg nennt aber auch Schwierigkeiten, dies Modell zu verwirklichen. Sie zeigen, daß es sich um mehr handelt als Schönrednerei. In den Gruppendiskussionen über »Leistungsbeurteilung« und »Lohnfindung« seien Spannungen aufgetreten. Einige Arbeiter seien durch den »Verantwortungsumfang« überfordert, andere wollten wieder kontrolliert werden und Vorgesetzte seien bereit gewesen, darauf einzugehen. Manager und Vertreter fremder Firmen seien »verunsichert bis schockiert«, »gewöhnliche Arbeiter« neben sich am Verhandlungstisch oder gar als Verhandlungspartner vorzufinden (Lauterburg 1978, S.22f.). Wir fanden in den untersuchten Betrieben Elemente des von Lauterburg vorgestellten Modells. Auf verschiedenen Feldern hatten Arbeiter mehr Selbstbestimmung als zuvor. Die Unternehmer mußten von ihrer Macht abgegeben haben. Taten sie es freiwillig? Warum? Lauterburg wendet sich an Manager, die mit Fluktuation, Gleichgültigkeit, Widerstand und Sabotage zu kämpfen haben. Sämtliche Verbesserungen der Arbeitssituatipn, Erweiterungen der Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten erscheinen in dem Beispiel als Taten der Manager. Arbeiter sind mit diesen Taten konfrontiert. Wie sollen sie sich verhalten? Was wäre eine gewerkschaftliche Strategie? Genügt das Wissen, daß die Arbeitsumstrukturierungen von den Managern vorangetrieben werden, die die Profite gefährdet sehen, um Ablehnung und Verweigerung vorzuschlagen? Müssen Arbeiter auf ewig eine Verbesserung ihrer Arbeitssituation ausschlagen, weil ein Sich-einlassen der Profitproduktion nützt? Aber solange es diese Produktion gibt, trägen die Arbeiter gezwungenermaßen zu ihrem Erhalt bei. Können sich Arbeiter auf die Verbesserungen einlassen, ohne sich notwendig auf die andere Seite ziehen zu lassen? Die Antwort hängt davon ab, wie die neuen Arbeitsformen wirken. Warum hoffen die Manager, gleichgültige und widerständige Arbeiter zu engagierten und leistungswilligen Produzenten erziehen zu können, wenn sie nach diesen Formen greifen? Warum erhöhen sie nicht einfach Kontrolle und Disziplinierung? Diese Fragen sind nicht völlig neu. Auf welchen Bedarf die neuen Arbeitsformen antworten sollen, welche Formen der Motivierung von Arbeitern überholt scheinen, dies finden wir bereits mehrfach dargestellt (vgl. z.B. HolzkampOsterkamp 1975, S.14ff.; F. Haug 1977, S.22ff.). Wir rücken hier die Frage nach der Wirkungsweise der Unternehmerstrategien in den Mittelpunkt. Um hier theoretisch voranzukommen, greifen wir Positionen auf, die in Debatten über »industrial democracy«, in Auseinandersetzungen mit Bravermans Werk »Labour and Monopoly Capital« (dtsch. ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

Der gesellschaftliche

Schein von Unternehmerstrategien

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1978) und in der Kritik des »workerism« bezogen wurden. Sie finden sich hauptsächlich in den Zeitschriften New Left Review, Sociological Review und Capital and Class, In der New Left Review erscheint 1972 ein Artikel, aus dem Französischen übersetzt, welcher der naheliegenden Auffassung, Unternehmerstrategien seien in erster Linie Manipulationstechniken, provozierend widerspricht. Der Autor, Bosquet, breitet die in Frankreich und den USA bekanntgewordenen Rebellionen gegen Fließbandarbeit aus, führt die theoretischen Begründungselemente von Herzberg, Argyris für die neuen Arbeitsformen vor und stellt klar, daß die Unternehmer die Arbeit umstrukturieren, weil sie den Arbeiterwiderstand gegen absurde, inhaltlose Arbeit spüren und fürchten. In Frankreich beobachtet Bosquet (1972) eine eigentümliche Zurückhaltung der Unternehmer gegenüber diesem Heilmittel und macht dafür politische Gründe verantwortlich. »Wenn dieser Weg einmal eingeschlagen ist, wo wird er dann tatsächlich enden? Manager und Techniker werden ihr Wissensmonopol verlieren; die vorgegebenen technischen oder wissenschaftlichen Notwendigkeiten, in deren Namen sie Befehle gaben, werden ihr Geheimnis verlieren und offen für die Frage werden, von welcher Ideologie sie getragen werden. Ist das nicht der erste Schritt zur Selbstverwaltung?« Mit innerer Logik entsprängen aus den Arbeitsbereicherungen Fragen nach den Profitzielen und dem Wachstum und den benötigten Gebrauchswerten (S.33). Gibt es diese automatische und zwangsläufige innere Logik? Unter der Überschrift »Der Management-'Sozialismus'« greift ein englischer Forscher namens Nichols (1975) Bosquets Gedanken auf und meint nein. Da es diese Zwangsläufigkeit nicht gebe, richte das Management sein Handeln auch nicht nach »unbeabsichtigten Folgen« aus (S.264). Ihm gehe es um die Erhöhung der Profite, wozu es Einfluß auf die Arbeitermotivation nehmen müsse. Wenn dazu Arbeitsformen eingeführt würden, die zu »einer Art Schein-Sozialismus« führten, dann reflektiere dies die Managereinsicht, daß die seit Taylor erwartete »geistige Revolution« nicht einfach auf der Ebene der Ideen sichergestellt werden könne; »daß es für den Vorarbeiter nicht ausreicht, in Führung trainiert zu sein; daß es für Manager nicht ausreicht, nach dem Befinden der Frau zu fragen; daß es nicht ausreicht, von der Gemeinsamkeit der Ziele zu reden. Dinge müssen geändert werden.« (S.249f.) Wenn die Manager gezwungen seien, die »menschliche und soziale Seite« der Produktion anzuerkennen, eine volle Anerkennung aber gleichzeitig durch die kapitalistische Produktion verhindert werde, dann entstünden Fragen nach der Wirkung dieser Arbeitsformen, über die Bosquet mit seiner These der zwangsläufigen Infragestellung kapitalistischer Produktion hinweg gehe (S.246). Diese Fragen versucht Nichols mit dem MaARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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terial einer Untersuchung über die Unternehmerstrategien in einem Chemiebetrieb zu beantworten. Er beobachtet eine Tendenz unter den Arbeitern, sobald sie etwas in der Arbeitsorganisation zu sagen haben, sich selbst »für das Management zu managen« und sich zu kontrollieren (S.257). Erfolgreich sei ein »Company«-Bewußtsein erzeugt worden, indem die Arbeiter in die Beratungen einbezogen worden seien. Die Verbannung der Vorarbeiter aus der Prpduktion in die Büros kam nach Nichols einem Arbeiterbedürfnis entgegen, alleine und unkontrolliert zu arbeiten; gleichzeitig übernahmen die Arbeiter damit aber mehr Verantwortlichkeit und zwangen sich bei Differenzen zur Selbstdisziplinierung. Die Unternehmer haben »ihre« Gewerkschaften mitgeformt; sie trieben die Ernennung von »shop stewards« voran, »um Verhandlungspartner zu haben« (S.261). Nichols Schlußfolgerung lautet: Die Wirkungen dieser »human-relations« hängt von dem Arbeiterbewußtsein und den politischen Fähigkeiten ab, Alternativen zu den Unternehmerplänen zu entwickeln (S.262f.). Von Anbeginn hätten die Manager die Veränderungen so eingeführt, »daß die Aufmerksamkeit von tiefer liegenden Problempunkten abgelenkt worden ist. Die zahlreich gehaltenen Versammlungen hätten auf eine politische Erziehung hinauslaufen können. Aber es war vor allem das Management, welches diese Bedeutung sah und sie entsprechend zu nutzen versuchte. Im Gegensatz dazu gab es keine organisierte Gruppe unter den Leuten, die eine gegensätzliche Ansicht vorgelegt hätte. Die Besprechungspunkte waren Arbeitsvorgänge, Aufgabenveränderungen und die erzielte höhere Befriedigung — und Löhne. Ziel und Profit erschienen auf der Tagesordnung — auf der Ebene der Anlagen — in den Ausdrücken, die vom Management selbst gesetzt waren.« (S.262) Indem sich die Arbeiter unabhängig von den Gewerkschaften auf Selbstregulierungsformen eingelassen hätten, sei ihre Organisation geschwächt worden. Für die Gewerkschaften sei insgesamt das Problem, dem geschulten Management auf der Ebene des Betriebes etwas entgegenstellen zu können (S.263). Folgen wir Nichols, dann liegt das Integrative der neuen Arbeitsformen, die den Arbeitern mehr Selbstbestimmungskompetenz einräumen, nicht in ihnen selbst, sondern an den Bedingungen ihrer Einführung und Betätigung: Bei allem, was geschah, behielten die Unternehmer die Initiative. Sicherlich muß man mit Bosquets These von der zwangsläufig subversiven Wirkung der neuen Arbeitsformen brechen. Aber bedeutet dies nun, daß diese Formen keine eigene Dynamik besitzen, sondern beliebig in eine integrative und eine subversive Politik eingebaut werden können? Wir fragen weiter nach der Wirkung der neuen Arbeitsformen und nehmen Gedanken aus Burawoys Braverman-Kritik (1978) und dem Versuch von Cressey und Maclnnes (1980) auf, theoretische Grundlagen für eine Arbeiterpolitik zu legen, die weARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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der dem Integrativen der »industrial democracy« aufsitzt noch bloße Verweigerung betreibt. Beide Positionen brechen mit der Gleichsetzung des Klassengegensatzes mit dem Gegensatz von Arbeitsprozeßkontrolle oder job-control und Unternehmerkontrolle. Im Rekurs auf Marx' »Kapital« verdeutlichen sie, daß Planung und Durchführung — bezogen auf einen einzelnen Arbeitsprozeß — nicht die Begriffe sind, in denen die Klassenherrschaft abgebildet werden kann. Selbst wenn Arbeiter umfängliche jobcontrol besitzen, sind sie inkompetent gegenüber der betrieblichen Planung und der wissenschaftlichen Durchdringung sowie gegenüber der Herstellung des gesellschaftlichen Zusammenhangs ihrer Teilarbeiten. (Vgl. hierzu auch Monds' Kritik des »workerism« 1976: Die ausschließliche Abbildung der Arbeiterkämpfe als Kämpfe gegen die Beschneidung von job-control — so sein Haupteinwand — führe zur ökonomistischen Vernachlässigung des politischen Kampfes im gesamtgesellschaftlichen Kräfteverhältnis. Theoretisch und politisch bleibe der Zusammenhang zwischen den Kämpfen in der Produktion und um die politische Macht ausgeblendet.) Um die Bedeutung dieser Einwände genauer zu verstehen, fragen wir, was eigentlich mit dem Kampf um die Kontrolle erfaßt ist. Denn es läßt sich nicht leugnen, daß die Unternehmer versuchen,^ Kontrolle auszuüben, sich also Macht zu sichern. Marx selbst hat die Unternehmerkontrolle als notwendige Bedingung der kapitalistischen Produktion bestimmt: »Ebenso erschien ursprünglich das Kommando des Kapitals über die Arbeit nur als formelle Folge davon, daß der Arbeiter statt für sich, für den Kapitalisten und daher unter dem Kapitalisten arbeitet. Mit der Kooperation vieler Lohnarbeiter entwickelt sich das Kommando des Kapitals zum Erheischnis für die Ausführung des Arbeitsprozesses selbst, zu einer wirklichen Produktionsbedingung.« (MEW 23, S.350) Nach den bekannten Ausführungen zur Notwendigkeit der Leitung bei jeder unmittelbar gesellschaftlichen Arbeit fährt er fort: »Mit der Masse der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter wächst ihr Widerstand und damit, notwendig der Druck des Kapitals zur Bewältigung dieses Widerstandes. Die Leitung des Kapitalisten ist nicht nur eine aus der Natur des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses entspringende und ihm angehörige besondre Funktion, sie ist zugleich Funktion der Ausbeutung eines gesellschaftlichen Arbeitsprozesses und daher bedingt durch den unvermeidlichen Antagonismus zwischen dem Ausbeuter und dem Rohmaterial seiner Ausbeutung ... Die Kooperation der Lohnarbeiter ist ferner bloße Wirkung des Kapitals, das sie gleichzeitig anwendet. Der Zusammenhang ihrer Funktionen und ihre Einheit als produktiver Gesamtkörper liegen außer ihnen, im Kapital, das sie zusammenbringt und zusammenhält. Der Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt ihnen daher ideell als Plan, praktisch als Autorität des Kapitalisten gegenüber, als Macht eines fremden Willens, der ihr.Tun seinem Zweck unterwirft.« (S.350f.)

Vom Standpunkt des Kapitals ist das System »industrieller Oberoffiziere (Dirigenten, managers) und Unteroffiziere (Arbeitsaufseher, overARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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lookers, contre-matntres)« (S.351) bloßes Mittel der Ausbeutung. Dies Mittel erzeugt den Antagonismus zwischen Arbeitern und dem hierarchischen Kontrollapparat, weil es als persönliche Machtausübung funktioniert. Wo Macht durch personales Handeln ausgeübt wird, erleben sich die Betroffenen im Gegensatz zu den Machtpersonen, entwickeln Widerstand, der eine eindeutige Richtung gegen die Übergriffe der Mächtigen hat. Die konkreten Formen, in denen die Macht in der Produktion ausgeübt wird, sind folglich selbst »Ergebnis des Klassenkampfes« (Cressey und Maclnnes 1980, S.19f.; vgl. die geschichtliche Darstellung betrieblicher Herrschaftsformen bei Edwards 1981). Der Vorgang, daß ein betrieblicher Machtapparat tagtäglich in das Arbeiterleben eingreift, ist die Grundlage dafür, diese Machtausübung und die Geplänkel und Scharmützel von Seiten der Arbeiter mit dem Klassengegensatz überhaupt zu identifizieren. Mit dieser Identifizierung geht Marx' Einsicht verloren, daß in der kapitalistischen Produktion ein sachliches Produktionsverhältnis herrscht, welches Kapitalisten und Arbeiter gleichermaßen — wenn auch antagonistisch — in seine Bewegungen einspannt. Für die Kapitalisten existiert nur der eine Zwang, die Kapitalverwertung durch Aufrechterhaltung der Produktion zu betreiben. Dies ist das innere Gesetz ihres Handelns. Wie sie handeln und dadurch die Kapitalgesetzmäßigkeiten durchsetzen, ist Sache konkret-historischer Bedingungen. Wir können jetzt den quasi-militärischen Machtapparat in den Betrieben als ein Element der kapitalistischen Produktion denken und nicht als die Struktur selbst. Weiter können wir fragen, ob zusätzliche notwendige Elemente existieren, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ob das Element militärischer Machtapparat ein notwendiges ist öder ob seine Preisgabe — wie sie in den Demokratisierungsstrategien erkennbar — mit der kapitalistischen Produktion vereinbar ist? Ein zusätzliches Element ist — wenn wir den Vorschlag von Cressey und Maclnnes (1980) aufnehmen — die Überkreuzung widersprüchlicher Interessen in dem Punkt Produktion. Die Kapitalisten befinden sich — wie die Autoren ausführen — in dem Widerspruch, zwar Eigner der Produktionsmittel zu sein, sie aber für die Produktion den Arbeitern überlassen und gar noch sämtliche Produktivkräfte wecken zu müssen. Die Arbeiter müssen den Widerspruch austragen, ihre Arbeitskraft so teuer wie möglich verkaufen zu müssen und so ihr Privatinteresse zu sichern und gleichzeitig Interesse an menschlichen Arbeitsbedingungen und interessanten Arbeitstätigkeiten zu haben (S.14f.). Auf dem Feld der Entfaltung der menschlichen Produktivkräfte sei folglich eine Interessenüberschneidung möglich — wenn auch mit gegensätzlichen Standpunkten. Das Kapital muß nach Auffassung der Autoren versuchen, auf der ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Ebene der Produktion ein »kooperatives Verhältnis« zu den Arbeitern herzustellen, um den Gegensatz zwischen Arbeitern und den Produktionsmitteln, wie er aus den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen erwächst, zum Verschwinden zu bringen. (S.15). Das Kapital müsse die Arbeiter mit den Produktionsmitteln vereinen und ihre gesellschaftliche Produktivität und ihre Kooperationskräfte maximieren (S.14). Ein solch kooperatives Verhältnis kann das Kapital umso leichter installieren, als die Klassenbeziehungen von den Arbeitern nicht mit Zwangsläufigkeit antagonistisch gelebt werden. Bruawoy (1978) weist darauf hin, daß es schon aufgrund der im Erleben untrennbaren Einheit von notwendiger und Mehrarbeit zu einer Interessenübereinstimmung kommen kann. Die Arbeiter sind wirklich von der Profitproduktion abhängig, sie können sich nicht wie die feudalen Leibeigenen mit eigenen Produktionsmitteln und eigener Arbeit ernähren. »Ihre Zukunftsinteressen, wie sie unter der kapitalistischen Produktionsweise organisiert werden, liegen in der Produktion von Mehrwert. Hierin besteht die materielle Basis für kapitalistische Hegemonie, dergemäß die Interessen des Kapitals als die gegenwärtigen und zukünftigen Interessen aller erscheinen.« (S,265) Die Arbeiterinteressen überschreiten also nicht als solche die kapitalistische Produktionsweise. Die Klassengegensätze müssen zu antagonistisch gelebten erst politisch entwickelt werden. Das zu dem betrieblichen Machtapparat hinzutretende, ihn ergänzende, ihm aber auch widerstreitende Element sind die Formen, in denen die Zustimmung der Arbeiter zu ihrer entfremdeten Existenz organisiert wird. Dazu gehören die Praxisformen selbst, die als »objektive Gedankenformen« (W.F. Haug 1976, S.165ff.) die gesellschaftlichen Verhältnisse naturalisieren, aber auch die Politiken der Unternehmer, in denen sie die Arbeiterinteressen organisieren. Chressey und Maclnnes (1980) analysieren die »industrielle Demokratie« als eine solche Unternehmerpolitik. Die Manager versuchten, ihre Probleme der Profitproduktion durch Verschärfung von Arbeitergegensätzen zu lösen und den Arbeitern eine praktische Lektion zu erteilen: Sie übergäben die Kontrolle über kleine Bereiche des Produktionsprozesses, die zuvor im Detail durch das Kapital kontrolliert worden seien, und hofften, daß die Arbeiterverantwortlichkeit effizienter sein werde als die Teilung der Arbeit und die vorher existierende Autorität. »Das Kapital versucht dann, die Arbeiter-Nicht-Homogenität auszubeuten, indem es Gegensätze zur Arbeiterorganisation verschärft und sie in eine anpasserische Koexistenz mit dem Kapital zwingt. Indem es den Arbeitern eine praktische Lektion in der Notwendigkeit von Kosteneffizienz erteile, beutet es ebenso das genauere Wissen der Arbeiter über die Details des Produktionsprozesses aus.« (S.21) Die Unternehmer bewerkstelligten dies durch Einrichtung von ArbeitsbewertungsARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Kommittees, von teil-autonomer Gruppenarbeit und Beratungsteilhabe auf höherer Ebene. Gegenüber diesen Formen versage eine Strategie der Verweigerung, da sie den Managern nicht die Legitimation bestreite, sondern sie vielmehr akzeptiere, die Betriebe zu führen und zu kontrollieren. Die Aufgabe sei daher, die Form der Produktionsbeziehungen und die Formen zu bestimmen, in denen Arbeiter und Kapital zusammenarbeiten. Wenn das Kapital »fähig ist, die Lösung (der notwendigen Zusammenarbeit; d.Verf.) in Begriffen wie 'Partizipation', 'Beteiligung' usw. darzustellen, dann genau deswegen, weil es die Oberhand in dem Kampf um die Form einer solchen Zusammenarbeit gewonnen hat, indem es seine Strategie ausarbeitete und Wege suchte, die Gegensätze am Arbeitsplatz unter den Arbeitern so zu verschieben, daß die Arbeiter sie in einer Weise lösen müssen, die vom Kapital bevorzugt wird.« (S.22) Was folgt aus diesen Überlegungen für unser Vorhaben, Formen auf ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen, in denen die Unternehmer die Entwicklung von Automationsarbeitern organisieren? Zunächst erscheint die Einführung dieser Formen als Rücknahme und Abbau des Machtapparates im Betrieb. Eben diesen Apparat haben wir aber bei Marx als notwendiges Element der kapitalistischen Produktion kennengelernt. Notwendig ist dieser Apparat, weil er unselbständige Teilarbeiter in ihrem Zusammenhang reguliert, die ihren gesellschaftlichen Kräften entfremdet gegenüberstehen. Die militärische Form dieses Apparates antwortet auf den Widerstand der Arbeiter gegen ihre gemeinsame Vernutzung. Die von der Teilung der Arbeit her notwendige Leitung verbindet sich mit der Klassenherrschaft in Gestalt des hierarchischen Apparates. Dieser organisiert die Unterordnung der Arbeiter unter die Ziele der Unternehmer. Wenn nun die Unternehmer zunehmend dazu übergehen, Arbeiterinteressen zu organisieren und dazu den Machtapparat abbauen, dann bedeutet dies, daß dieser Apparat dysfunktional geworden ist. (Lauterburgs jüngstes Werk trägt den Titel »Vor dem Ende der Hierarchie: Modelle für eine bessere Arbeitswelt«; Benennung der »Krisenursachen« und Bewältigungsprogramm in einem.) Die Destabilisierung der alten Herrschaftsformen kann mehrere Ursachen haben. Die Automation beseitigt entleerende und geisttötende Aufteilungen der Arbeit und entzieht der Hierarchie die materielle Basis. Die Arbeitenden selbst können Krisen auslösen, wenn sie menschliche Ansprüche an die Arbeit stellen und sich der Fließbandarbeit verweigern. Diese Vorgänge erklären, weshalb sich die gleichen neuen Arbeitsformen sowohl in der Automationsarbeit als auch als Maßnahmen der »Humanisierung des Arbeitslebens« bei Fließbandarbeiten finden. Die gleichen Formen können in verschiedenen Arbeitsverhältnissen unterschiedlichen Stellenwert, unterschiedliche Leistung haben (vgl. 3. ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Kapitel, 1. »Gruppenbildung und Hierarchie« in diesem Band). Wir verfolgen die neuen Arbeitsformen nur in der Automationsarbeit. Die neuen Arbeitsformen mit dem Abbau von Machtbeziehungen bedeuten eine wirkliche Demokratisierung. Die alte Form, das Arbeiterhandeln durch Machtausübung zu organisieren, wird durch Formen ersetzt, in denen sich die Arbeiter selbst von den Arbeitsaufgaben »ergreifen« lassen. Ein Element, welches zur Struktur der kapitalistischen Produktion gehört, wird damit zur Verfügung gestellt und durch Elemente ersetzt, die als Formen kollektiver Selbstbestimmungskompetenz nur unter sozialistischen Verhältnissen voll nutzbar sind. Dies ist der rationale Kern der Argumentation von Bosquet, wonach die neuen Arbeitsformen mit innerer Notwendigkeit sozialistische Verhältnisse aus sich heraus treiben. Tatsächlich aber sind diese Formen schein-sozialistische, weil den Arbeitern die Verfügung über die Produktionsziele entzogen bleibt. Das Schein-Sozialistische ist ein Ineinander von Attraktion und Integration. Wie wird es hergestellt? Ist die integrative Wirkung spontane Folge der Reaktion der neuen Arbeitsformen mit den Privatverhältnissen? Richten sich die Unternehmerpolitiken auf diese Wirkung? Um dies bestimmen zu können, nehmen wir in unserer folgenden Untersuchung Formen aus dem Sozialismus zum Ausgangspunkt, in denen die Produzentendemokratie — wie eingeschränkt auch immer — gemacht wird. Diese Grundformen kollektiver Selbstbestimmung der Arbeitenden sind die Brigade oder das Arbeitskollektiv, der Wettbewerb als Form gemeinsamer Weiterentwicklung und die Neuererbewegung. Mit der Auflösung des Zusammenhangs von Hierarchie und Klassenherrschaft tritt nicht einfach die Klassenherrschaft zurück, wie der Abbau von Machtbeziehungen nahelegt. Vielmehr wird die Klassenherrschaft auf neue Weise gesichert, das Klassenverhältnis in der Produktion wird umstrukturiert. Und zwar mit einer Veränderungsmacht, die auch vor den Managern nicht haltmacht, wie an der ungeheuren Fülle von Literatur und Trainingsprogrammen zur Überwindung alter Herrschaftsformen abgelesen werden kann. Diese Umstrukturierung stellten wir uns lange Zeit so vor, als würden die Automationsarbeiter mit der Ausweitung ihrer Kompetenzen in den Eingriffen und Beschränkungen der Unternehmervertreter auf das »nackte« Profitinteresse stoßen. Mit dem Zurücktreten der Machtbeziehungen geht den Arbeitern aber eine persönliche Gegnerschaft zu den Vorgesetzten verloren. Sie erleben sich weniger in Auseinandersetzung mit Machtpersonen als vielmehr mit sachlichen Anforderungen konfrontiert. Sie befinden sich mit ihren Taten mitten in dem sachlichen Produktionsverhältnis (vgl. 2. Kapitel, 1. »Planende Strategie braucht gesellschaftliche Kriterien« in diesem Band). Das Profitinteresse tritt anonym auf. Nach dieser Seite ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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haben die schein-sozialistischen Formen einen ungeheuren integrativen Effekt. Gleichwohl haben diese Formen eine wirkliche Dynamik nach vorne, ermöglichen sie den Arbeitern vermehrte Selbstbestimmungskompetenz. Die Interessenüberschneidung auf diesem Feld sichert folglich keine harmonisierende Stillstellung der Widersprüche gesellschaftlicher Produktion in privater Form. Unternehmerpolitiken werden sich auf diese Dynamik richten und versuchen, sie unter Kontrolle zu bekommen. Hier ist Burawoys These aufzunehmen, daß die tagtäglichen Selbstanpassungen der Arbeiter an die Ausbeutungsbedingungen ideologische Effekte nach sich ziehen können, die zentral sind bei der Herstellung kapitalistischer Kontrolle (1978, S.273). Wir vermuten, daß die Unternehmereingriffe Angebote an die Arbeiter sind, Entwicklung und Anstrengung für fremde Interessen individuell »sinnhaft« zu leben. Wie die Unternehmer eingreifen, welche spontanen »Sinngebungsvorgänge« sie in Dienst nehmen, worin ihre Wirkung besteht, untersuchen wir im Folgenden. Den unter entfremdenden Bedingungen Handelnden müssen Identitätsangebote gemacht werden, sich selbst als Macher, Veränderer und Beherrscher der Produktion zu erleben und durch diese Selbstveränderung das Ausgeliefertsein gegenüber dem stummen Zwang der Verhältnisse praktisch zu negieren und sich nicht als Klassensubjekte zu begreifen. 1. Die Brigade Menschliche Arbeit ist — weil arbeitsteilig — Zusammenarbeit. Konkrete Formen dieser Zusammenarbeit in der Automation haben wir in dem Kapitel »Kollektivität« (vgl. AS 43, S.186ff.) sowie in dem Abschnitt »Gruppenbildung und Hierarchie« (3. Kap., 1. in diesem Band) untersucht. Der gesamte Teil III »Vergesellschaftung der Privaten« zeigt, vor welchen Entwicklungsherausforderungen die Arbeiterindividuen in der Automationsarbeit stehen. Auch diese Herausforderungen nehmen sie nicht isoliert an, so daß sie sich je einzeln für sich entwickeln, um dann zusammenzuarbeiten. Vielmehr geschieht die Entwicklung der einzelnen in der konkreten Zusammenarbeit. Wir fragen jetzt nach den Formen dieser gemeinsamen Entwicklung. Wir unterstellen damit, daß die Entwicklung der Kollektivität verschränkt ist mit der Integration der Kooperierenden in die Privatverhältnisse. Die Planlosigkeit der gesellschaftlichen Produktion und die betriebliche Fremdbestimmung schneiden die Lohnarbeiter von der Möglichkeit ab, ihr Zusammenwirken in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung selbst in die Hand zu nehmen. Sie werden in Verhältnisse gepreßt, welche sowohl ihre produktiven Tätigkeiten und Fähigkeiten als auch ihre kooperativen Bezüge instrumentalisieren, indem sie strukturell als bloße Mittel des Privatinteresses Lohn wahrgenommen und realisiert werARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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den. Als Lohnarbeiter entwickeln sie eine instrumentell-gleichgültige Haltung gegenüber ihrer eigenen Zusammenarbeit. Die »Kritische Psychologie« hat diese strukturelle Vereinzelung in ihrem Kooperationsbegriff so aufgenommen, daß in Privatverhältnissen Kooperation grundsätzlich ausgeschlossen scheint. Der Begriff meint nicht nur die objektive Seite des Systems gesellschaftlicher Arbeitsteilung, sondern auch die subjektive Seite, nämlich die bewußte »kooperative Integration« der Individuen und ihre motivierte Teilhabe an der gesellschaftlichen Lebenskontrolle. Lohnarbeiter arbeiten aber gleichwohl zusammen. Und unsere empirische Untersuchung hat gezeigt, daß der Vergesellschaftungsschub der Automatisierung diese Zusammenarbeit gründlich verändert. Unsere Frage zielt auf Widersprüche: Wie können Lohnarbeiter ihre Zusammenarbeit gestalten, wenn sie strukturell von der gesellschaftlichen Produktion als »dritter Sache« ausgeschlossen sind? Welche Vergesellschaftungsformen entwickeln sie spontan? Wie greifen Unternehmer in ihre widersprüchliche Vergesellschaftung ein? Um den Blick zu schärfen, vergewissern wir uns menschlicher Formen der Zusammenarbeit anhand der sozialistischen Brigade. In dem Menschheitsprojekt Sozialismus, der Entwicklung der Menschen zu Machern ihrer eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen, spielen Arbeiterkollektive oder Produktionsbrigaden von Anbeginn eine zentrale Rolle: »Die sozialistische Kulturrevolution beinhaltet die Entfaltung der schöpferischen Aktivität der Massen auf allen Gebieten; sie wurde durch die kulturellerzieherischen Maßnahmen des sozialistischen Staates von oben ermöglicht. Von unten jedoch wurde sie vorbereitet durch die 'Aktivisten der ersten Stunde' und durch die Aktivisten- und Neuererbewegung der vergangenen Jahre. (...) Sie (die Keime der sozialistischen Kulturrevolution; d.Verf.) werden jetzt entfaltet und zur Blüte gebracht durch die Bewegung der sozialistischen Brigaden und Arbeitsgemeinschaften...« (Taut 1960, S.247).

Der gleiche historische Optimismus spricht aus den Äußerungen von Ulbricht: »Die Brigaden der sozialistischen Arbeit... enthalten alle Elemente der sozialistischen Umwälzung. (...) Das Neue, Wichtige und Interessante an den Brigaden i s t d a ß sie die Probleme des sozialistischen Arbeitens, Lernens und des Lebens allseitig stellen. (...) Man kann im Betrieb nicht auf sozialistische Weise arbeiten und zu Hause etwas ganz anderes tun. (...) Die alte Methode oder die alten Gewohnheiten, daß der Mann nach Arbeitsschluß oder am Abend in die Kneipe geht und seinen Skat spielt, dieweil die Frau allein zu Hause sitzt und Strümpfe stopft, diese Zeit muß vorbei sein ...« (zit.n.Taut 1960, S.247ff.)

Die militärische Herkunft des Wortes Brigade verleitet dazu, die sozialistische Perspektive einer Produzentendemokratie durch die Artiku-, lation des Zwangs abzuwehren: Brigade ist »in kommunist. Ländern eiARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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ne nach produktionstechn. Gesichtspunkten zusammengefaßte Gruppe vop Arbeitern, gebildet zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur sozialist. Umerziehung der Werktätigen.« (Brockhaus Enzyklopädie, Bd.3, 1967, S.281) Aus dem italienischen brigata (= streitbarer Haufen) Wurde das französische brigade. Erstmals soll im Dreißigjährigen Krieg von Gustav Adolf unter diesem Namen eine Stellungsart der Heere eingeführt worden sein, die den neuen Schußwaffen besser entsprach (vgl. Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Dreizehnter Theil 1824, S.29f.). Von Frankreich aus wurde Brigade zu einer allgemein üblichen Bezeichnung von militärischen Verbänden. Die junge Sowjetunion übernahm sie in den Bereich der Arbeit, als es nicht nur darum ging, mit der Waffe in der Hand die Überfälle abzuwehren, sondern auch das Überleben mit Schaufel, Hammer und Schraubenschlüssel zu sichern. In der DDR werden Brigade und Arbeiterkollektiv synonym verwandt. Die Erringung einer umfassenden Produzentendemokratie muß ihren Ausgang an dem Ort der Produktion selbst nehmen. Im System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung leisten die Individuen ihren produktiven Beitrag zur gesellschaftlichen Lebenserhaltung, hier ist der Ort, wo sie tagtäglich Einfluß auf die gesellschaftliche Weiterentwicklung nehmen können. Die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmiteln ist Voraussetzung dafür, daß die prinzipiell mögliche Übereinstimmung von individuellen und gesellschaftlichen Interessen bewußt gelebt werden kann. Die Brigade bildet eine entscheidende Bewegungsform, in der sich die Individuen selbst vergesellschaften können, indem sie die Gesellschaftlichkeit ihres Handelns wahrnehmen und bewußt realisieren, d.h. sich selbst von den gesellschaftlichen Zielsetzungen her Aufgaben stellen, in denen sie Neues anpacken und mit dieser aktiven Hineinentwicklung in die gesellschaftlichen Verhältnisse die eigene Weiterentwicklung machen. Das Sozialistische an der Brigade ist gerade diese auf Aneignung von Wissenschaft, Politik und Kultur gerichtete Anstrengung von unten, die in der staatlichen Form der Vergesellschaftung enthaltenen Grenzziehungen zu durchbrechen. In der heutigen DDR wird diese Entwicklung in den Brigaden hauptsächlich durch den nationalen Wettkampf um den Titel »Kollektiv der sozialistischen Arbeit« organisiert. Die Brigaden nehmen daran teil, indem sie sogenannte Brigadeprogramme aufstellen, in denen sie sich nicht nur Aufgaben der Weiterentwicklung der Produktivkräfte, der Qualifizierung ihrer Mitglieder stellen, sondern auch darüber hinausgehende gesellschaftliche und kulturelle Aktivitäten planen wie die Übernahme einer Patenschaft für eine Schulklasse, die eigenständige Erarbeitung eines Theaterstücks, in dem die Mühen und Erfolge der eigenen Geschichte als Kollektiv dargestellt werden. ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Wir müssen hier auf eine Darstellung der Probleme bei der Verwirklichung der Produzentendemokratie ebenso verzichten, wie auf kritische Auseinandersetzung mit den Lösungsvorschlägen, die die Probleme überwiegend als Probleme der »sozialistischen Leitungstätigkeit« oder der mangelnden »Verinnerlichung sozialistischer Normen« abbilden (vgl. die Untersuchungen von Weidig 1967, in Probleme der Industriesoziologie 1967, Radtke 1972, Afanasjew 1971, von Gäbler und Kring 1972, Pietrzynski und Preller 1975, Kahl 1975 und 1978, Pöhlmann und Vorwerg 1979 u.a.; kritisch dazu Waldhubel und Wenk 1976, Haug, Nemitz und Waldhubel 1980). Vielmehr präzisieren wir unsere Frage nach den widersprüchlichen Vergesellschaftungsformen von Automationsarbeiterkollektiven in Privatverhältnissen. Die sozialistischen Brigaden beziehen ihre Veränderungskraft aus der Perspektive bewußter Gesellschaftlichkeit. In der bürgerlichen Gesellschaft wird die Herrschaft über die Produzenten gerade durch eine isolierende Trennung der verschiedenen Lebensbereiche voneinander wie Arbeit, Politik, Kultur aufrechterhalten. Sehen sich die Unternehmer gezwungen, diese entwicklungseinschränkenden Grenzziehungen aufzuweichen? Befördern sie also die Entwicklung der Automationsarbeiterkollektive durch Übernahme sozialistischer Entwicklungsformen? Oder treten andere Formen an ihre Stelle, welche die Grenzziehungen nicht tangieren? Worin besteht ihre Wirksamkeit? Was ist das »Schein-Sozialistische« daran? Unser Ziel ist also, die empirisch vorfindlichen Sozialformen nach der Seite ihres Integrationseffektes und nach der Seite ihres Entwicklungsaspektes durch Freisetzen menschlicher Bedürfnisse zu analysieren. Vermeiden müssen wir dabei, daß wir in den Fehler bürgerlichen Denkens fallen und das Soziale zur Umwelt des einzelnen machen, der er sich anzupassen hat, und nach den Bedingungen einer optimalen Anpassung suchen (vgl. 3. Kap., 1. »Gruppenbildung und Hierarchie« in diesem Band). Stattdessen wollen wir die Sozialformen als Vergesellschaftungsformen von Individuen auffassen. Dies ist aufgrund unserer individualistischen Tradition und der Privatproduktion, welche durch Planlosigkeit und Konkurrenz die Individuen ihrer gemeinsamen »dritten Sache« enteignet, einigermaßen schwierig. Hier ist der Beitrag der »Kritischen Psychologie« grundlegend. Die bürgerliche Denkform des privaten Individuums im Gegensatz zur Gesellschaft wurde inhaltlich kritisiert mit dem natur- und sozialgeschichtlichen Nachweis, daß Individuen nur in ihrer Gesellschaftlichkeit zu begreifen sind: Inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes Erkennen; denn er mißt nach eignem Maß Der Mensch erkennt sich nur im Menschen, nur das Leben lehret jedem, was er sei. (Goethe, Torquato Tasso) ARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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Individuelle Entwicklung wird verstanden als Aneignung der außerhalb der Individuen liegenden, gesellschaftlich aufgehäuften Wissens-, Fähigkeits- und Handlungsmöglichkeiten. Insofern aber historische Formen der Gesellschaft wie Privatproduktion und Lohnarbeit erst insoweit einbezogen werden, als sie bestimmen, ob die Individuen ihre eigene Vergesellschaftung kontrollieren können oder ob sie fremdbestimmt sind, ist die Gefahr noch nicht gebannt, sich den einzelnen konfrontiert mit der Gesellschaft zu denken. Wie die Vergesellschaftungsanforderung in den Sozialbeziehungen erscheint, die die Individuen in ihrer Entwicklung eingehen müssen, bleibt zu untersuchen. Gesellschaftlichkeit existiert nicht nur im Verhältnis der gemeinsamen Tätigkeit zu den gesellschaftlichen Zielen (Kooperation), sondern ist auch sinnlich-präsent im Handeln der anderen. Die Subjektivität wird nicht irgendwie in die Gesellschaft hineinentwickelt, sondern zusammen mit anderen. Individuen übernehmen gemeinsam gesellschaftliche Aufgaben und gehen dabei Sozialbeziehungen ein. Sie bilden ihr »gesellschaftliches Subjekt«, welches als Teil des gesamten gesellschaftlichen Subjekts die eigenen Anstrengungen auf die allgemeinen Ziele hin orientiert und daher die Sozialbeziehungen als Formen der gemeinsamen individuellen Vergesellschaftung realisiert. Holzkamp hat (1979) zur Differenzierung von Sozialbeziehungen den Vorschlag gemacht, zwischen »Subjektbeziehungen« und »Instrumentalverhältnissen« zu unterscheiden. Er kennzeichnet Subjektbeziehungen durch die Übereinstimmung von Einzelinteressen mit den Allgemeininteressen und sieht darin die Basis für Angstfreiheit und gegenseitiges Vertrauen. Instrumentalverhältnisse sollen dort vorliegen, wo nur Partialinteressen sich wechselseitig zusammenschließen zur Durchsetzung dieser punktuell gemeinsamen Interessen. Aufgrund notwendiger gegenseitiger Funktionalisierung liege darin Unsicherheit, Zweideutigkeit, Erpressung, Kompromißbildung. Für Subjektbeziehungen können wir uns als Beispiel die Gemeinsamkeit der Kämpfer gegen die Herrschaft von Menschen über Menschen vorstellen und für Instrumentalverhältnisse jene Bürgerinitiativen, die gegen den Kraftwerksbau in ihrem Wohngebiet kämpfen. Seine Ausführungen sind sehr erhellend zum Begreifen der Schwierigkeiten und Konflikte in Beziehungen. Obgleich Holzkamp (ebd.) diese Begriffe als »analytische Kategorien« vorschlägt, also empirisch reines Vorkommen der polaren Beziehungsformen ausschließt, legt er dennoch mit seinen Beispielen eine solche Verwendung nahe. Merkmal der Instrumentalbeziehungen in Ehe, Bürgerinitiativen und Parteien sei gerade, daß die »Gemeinsamkeit« der »unabhängigen Individualinteressen ... nicht mit ihrem Inhalt ... innerlich zusammenhängt, sondern zufälliger und äußerlicher Natur ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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ist.« (S.16) Das Private wird nicht als Form des Gesellschaftlichen verstanden. Die analytischen Kategorien dienen denn auch nicht der Analyse dieses Widerspruchsverhältnisses, sondern sollen es ermöglichen, an empirischen Beziehungen den »Subjekt«- oder den »Instrumentalaspekt« als bestimmenden herauszuheben und sie dadurch zu unterscheiden (S. 19). Es interessiert, ob sich Individuen in Subjektbeziehungen oder in Instrumentalverhältnissen befinden. Wie sie aber selbst Instrumentalverhältnisse überwinden können, bleibt unklar. Gegensätze in der Einheit von gemeinsamer gesellschaftlicher Tätigkeit und Sozialbeziehungen werden in diesen Begriffen nicht markiert. Für unsere Untersuchung des widersprüchlichen Verhältnisses von Zusammenarbeit und gegenseitiger Lohnarbeiterinstrumentalisierung sind die Begriffe daher nicht hilfreich. In ihnen wird von den Tätigkeiten und gesellschaftlichen Aufgabenstellungen, zu deren Bewältigung Sozialbeziehungen eingegangen werden, abstrahiert. Sozialformen als Vergesellschaftungsformen zu untersuchen, muß also heißen, das widersprüchliche Verhältnis von objektiver Zusammenarbeit und Sozialbeziehungen in Privatverhältnissen zu bestimmen. Kollektive Vereinzelung Beteiligung der Automationsarbeiter am Aufbau der Anlagen haben wir bislang als Lernform und als Strategie zur Herstellung von »Teamgeist«, welcher die »fehlende personale Gemeinsamkeit« an einsamen Arbeitsplätzen ausgleichen und das zusammengesetzte Verhältnis Motivation sichern soll, kennengelernt und diskutiert (vgl. AS 43, S.158ff. und S.214ff.). Wir wollen an dieser Stelle die Mitarbeit beim Aufbau als eine Form untersuchen, in der die Arbeiter ihre eigene Entwicklung machen und dies gemeinsam tuend zu einem Kollektiv sich konstituieren. Dieses zweimalige, unter gegensätzlichen Aspekten Vorkommen der gleichen Form mag willkürlich erscheinen. Wir halten es aus inhaltlichen Gründen für zwangsläufig. Einleitend haben wir skizziert, wie die Zurücknahme von Machtbeziehungen organisiert, daß sich die Arbeitenden für die Aufgaben engagieren und darüber integrieren, weil ihnen mit der persönlichen Gegnerschaft auch die Entzündungsherde für Widerstand verloren gehen: Integration verläuft über Entwicklung, so daß die gleiche Form einmal als Möglichkeit zur Selbstbestimmung und das andere Mal als Form der Fremdbestimmung untersucht werden muß. Beide Male wird eine zusammengesetzte und widerprüchliche Bewegung nach einer Seite vereinseitigt, um das Ineinander zu begreifen. Wir denken uns individuelle Entwicklungsvorgänge nicht als Entfaltung innerer Vermögen und Anlagen, über die einige verfügen und andere nicht, sondern als Ergreifen objektiver Handlungsmöglichkeiten. ARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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Zu dieser Sichtweise berechtigt uns die Resignation und Ziellosigkeit der Vielen an verkümmernden Arbeitsplätzen, in deren Leiden wir letzte Formen des Widerstandes und des Nicht-Einverständnisses mit der aufgezwungenen Entwicklungslosigkeit erkennen. Sobald die bleiernen, Veränderungswillen erstickenden und lähmenden Schranken wegfallen und sich »nach vorne« Handlungsmöglichkeiten auftun, können diese von den Arbeitern ergriffen werden, so daß sie sich im Ergreifen selbst verändern. Der gemeinsame Aufbau einer neuen Anlage, die man später fahren wird, kann eine solche befreiende Handlungsmöglichkeit sein. Unbekannte Kräfte werden entdeckt, regelrechte Entwicklungsschübe können beobachtet werden, was auch die Unternehmer staunend anerkennen müssen, die bei anderer Gelegenheit nicht müde werden, davon zu reden, daß die Fließbandarbeiter und -innen damit zufrieden sind, nicht denken zu müssen: »Bei guten Leuten verstärken sich solche Eigenschaften wie Zivilcourage, Identifizierung mit der Anlage. Die sind jetzt ganz anders als früher, nach dem Bau der Anlage treten die auf einmal in Erscheinung.« Trotz derartiger Entwicklungen ist aber die objektive Fremdbestimmung nicht aus der Welt. Erinnern wir uns der Zusicherung der Unternehmer, daß sie unter den möglichen Arbeitern nur »die Besten« genommen haben (vgl. AS 43, S.157), dann wird uns sofort klar, in welcher Dramatik erbitterter Kämpfe um die Automationsarbeitsplätze die Übriggebliebenen ihre eigene Entwicklung machen mußten. Wir fragten nun, ob und wie sich die Unternehmer in diese widersprüchliche Bewegung einschalten. Zu Recht kann vermutet werden, daß sie aus wohlverstandenem Eigentinteresse auf die Selektionsvorgänge Einfluß nehmen. Wir haben daher an das Gesamtsample der 179 Automationsarbeitsplätze (alle kollektiven und jene einsamen mit raum-zeitlich übergreifender Kooperation) die Frage nach unterschiedlichen Selektionsformen gerichtet und fanden zwei Hauptformen. In der einen sind Arbeiter der Beobachtung und Beurteilung von Vorgesetzten ausgesetzt, wir nennen sie personale Selektionsform. Zur anderen Form gehören Tests oder Zwischenprüfungen beim StufenanlerAbb.60: Selektionsformen der Aufbaubeteiligung (an 179 Arbeitsplätzen) ANZAHL DER 6 0 ARBEITSPLÄTZE

III

50 40 30

IV

SELEKTIONSFORMEN I

PERSONALE SELEKTION

II

GEMISCHTE SELEKTION

III IV

SACHLICHE SELEKTION NICHT ERHOBEN

20 10

0 ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

HIHI AUFBAUBETEILIGUNG

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nen, wir nennen sie die sachliche Selektionsform. Die Abbildung 60 .zeigt, die Verteilung der Selektionsformen über alle 179 Arbeitsplätze hinweg. Personale Selektion tritt demnach allein an 38 Arbeitsplätzen auf (21 %). Sachliche an 52 Arbeitsplätzen (29 %). Beide zusammen an 36 Arbeitsplätzen (20%). Diese »Ausgewogenheit« differenziert sich sofort, wenn wir als zusätzliches Verhältnis die Häufigkeiten von Beteiligung am Aufbau betrachten. Der hohe Anteil von Aufbaubeteiligung bei personaler Selektion sticht hervor. (Rechneten wir die Fälle, in denen wir keine expliziten Selektionsformen erheben konnten, zu den personalen, da die Wahrscheinlichkeit, daß überhaupt nicht ausgewählt wurde, gering, jene, daß sachliche Selektionsformen genannt worden wären, sehr hoch, dann würde sich der Anteil von Aufbaubeteiligung bei personaler Selektion gegenüber den übrigen Formen absolut erhöhen.) Die Kombination von Aufbaubeteiligung und personaler Selektionsform können wir als eine charakteristische Entwicklungsform untersuchen. Setzen wir die 58 Arbeitsplätze mit Aufbaubeteiligung gleich 100%, ,dann machen die 35 Arbeitsplätze dieser Entwicklungsform 60% aus. Es verbleiben 6 Arbeitsplätze mit sachlicher Selektion (10%) und 8 mit beiden Selektionsformen (14%). Wenn sich Arbeiter in Konkurrenz zueinander entwickeln müssen, dann greifen die Vorgesetzten mit ihrer Beurteilung der Arbeitertaten in diese Konkurrenz ein. Diese Eingriffe geben den Konkurrierenden zu verstehen, was von ihnen erwartet wird. In den Erwartungen sind die Entwicklungsanforderungen zur Beherrschung der neuen Arbeitsinstrumente und die Erfüllung der Unternehmerinteressen zu einer Einheit verschmolzen. Die personalen Selektionsformen schaffen so einen täglich präsenten Entwicklungsmaßstab, an dem sich die Arbeiter ge-. genseitig beurteilen. Die Unternehmervertreter greifen damit eine spontane Lohnarbeiterpraxis auf und fügen sie in einen kontrollierten Raum ein. Denn aus Gründen der Konkurrenz sind Lohnarbeiter seit langem gezwungen, sich gegenseitig mit den Augen der Unternehmer zu beurteilen (vgl. 4. Kap., 2. »Der Wettbewerb«). Neu ist vor allem auch, daß der Maßstab nicht mehr bloße quantitative Leistungsfähigkeit beinhaltet, sondern Entwicklungsansprüche. In dieser Verschmelzung überlagern und verstärken sich der Druck, der von dem Risiko des Versagens gegenüber den neuen Entwicklungsanforderungen, und jener, der von der Angst um den Arbeitsplatz ausgeht. Wie nun die Automationsarbeiter diesen ungeheuren Druck verarbeiten, wie sie den Widerspruch von Arbeitergemeinsamkeit und -Solidarität und Arbeitsplatzinteresse leben, untersuchen wir zunächst bei jenen Arbeitsplätzen, die eine Kombination von Aufbaubeteiligung und sachlicher Selektionsform zeigen (10%). In der Mehrzahl handelt es sich um Automationsarbeitsplätze in völARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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lig neu aufgebauten Werken (»auf der grünen Wiese«). Auch der Standort ist von Bedeutung. Die Betriebe konnten aus einem breiten Reservoir von gelernten Schlossern, Maurern, Elektrikern etc. auswählen, weil sie sich in strukturschwachen Gebieten niedergelassen hatten. »Es gibt viele Handwerkerbetriebe in der Umgegend, viele Lehrlinge sind ohne Arbeitsmöglichkeit.« Diese Umstände legen nahe, daß die entscheidenden Selektionsvorgänge bereits bei der Einstellung selbst ablaufen. Eingestellt zu werden erzeugt über die Sicherung der ökonomischen Lage hinaus ein Bewußtsein des Ausgezeichnetseins: Man darf in dem größten und modernsten Werk der Region arbeiten. In dieser Form kann der Gegensatz zwischen den Eingestellten und den Arbeitslos-Bleibenden in ihrer gemeinsamen Lage als Lohnabhängige gelebt werden. Ohne Zutun der Unternehmer bildet sich ein Wir-Gefühl der Ausgezeichneten. Die Beteiligung am Aufbau der Anlagen ist zunächst aufgrund der Vorab-Selektionsprozesse von dem Druck des Sich-Bewähren-Müssens befreit und produziert vor allem eine angstfreie Haltung gegenüber den ungewohnten und undurchschäuten Anlagen: »Sie kriegen ein ganz anders Gefühl beim Aufbauen.« Die entscheidenden Entwicklungsprozesse verlaufen nach dem Aufbau in Form des Stufenanlernens. Die Arbeiter müssen eine vorgeschriebene Reihenfolge von Tätigkeiten an einfacheren bis anspruchsvolleren Arbeitsplätzen durchlaufen. Diese Lernform setzt auf die Lerninitiative von unten (vgl. AS 43, S.163). Teils müssen die Automationsarbeiter Spezialisten, z.B. Elektronikern, das Wissen abringen: »Gelernt hat man dadurch, daß man die Spezialisten ab und zu fragte. Die Spezialisten haben aber praktisch nie Zeit.« Teils bildet die Zusammenführung von Erfahrenen und Lernenden ein Lernarrangement, in dem der Lernerfolg von der Hartnäckigkeit und Neugierde des Lernenden abhängt. Euphemistisch wurde diese häufig vorkommende Form in einem Betrieb »theoretische Unterweisung direkt an der Maschine« genannt, welche sich als brauchbarste Form bewährt habe. Die Lernenden sind gezwungen, in der Freizeit privat Bedienungsanleitungen durchzuarbeiten und sodann Diskussionen über das Gelesene mit dem Erfahrenen anzustrengen. Wie wir bereits analysiert haben (vgl. AS 43, S.160ff.), hat diese Lernform eine besondere Leistung: sie führt zur Haltung des »offenen Lernens«, weil nicht vorab Gelerntes in der Produktion wiedererkannt werden kann, sondern die Lerninitiative von der Suche nach Erklärungen für das Unbegriffene getrieben wird. Die Unternehmer selbst rechnen sich diesen Verzicht auf theoretische Ausbildung als Leistung an, im ganzen Betrieb keinen einzigen Mann zu haben, der fachmännisch gebildet sei. Alle seien angelernt. Bewährte Leute würden zum Facharbeiter nach Art des Hauses weitergebildet. ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Indem aber diese Lernform mit dem Stufenanlernen gekoppelt Ist, bildet sich eine Schranke heraus. Die Lernanstrengungen sind auf das Beherrschen einzelner Aggregate und Anlagenabschnitte gerichtet. Zusammengeschlossen mit dem Lohn- und Arbeitsplatzinteresse wird die Lerninitiative zum individuellen Sich-Bewähren-Wollen und Sich-Unentbehrlich-Machen-Wollen an einem Arbeitsplatz. Und wenn diese Sicherheit an einem Arbeitsplatz erst erreicht ist, kann die Aussicht, diesen Arbeitsplatz wieder aufgeben zu müssen, nur Unsicherheit und Angst auslösen, weil das Risiko der neuerlichen Entwicklung mit dem Arbeitsplatz- und Lohnverlust verknüpft ist. So klagen die Unternehmer darüber, daß die Leute nicht an anderen Arbeitsplätzen arbeiten wollen: »Sie wollen nicht lernen.« Noch genauer erkennen wir die Schranken dieser individuelle Anpassung organisierenden Lernform in der Äußerung, daß Weiterbildungsmaßnahmen nur durchgeführt würden, wenn die Automationsarbeiter bereit seien, »ihre Tätigkeit als Ausgangsbasis für die Fortbildung zu sehen. In den meisten Fällen ist jedoch diese Bereitschaft nicht vorhanden«. Die Lernform produziert also gleichzeitig eine Abwehr des Eingeständnisses, im eigenen Bereich noch etwas dazu lernen zu können. Sie preßt die Arbeiter in den Widerspruch, bei grundlegender Handlungsünsicherheit das Bild erfolgreicher und sicherer Arbeiter abzugeben. Und dies nicht nur im Auftreten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen, sondern in ihren Produktionstaten selbst. Die Lernform privatisiert also auch die Produktionstaten, zwingt die Individuen zur gegenseitigen Abschirmung. Der Effekt ist ein Gegensatz zwischen den sich privatisierenden Individuen und den objektiven Kooperationsnotwendigkeiten, denn in allen Betrieben haben die an unterschiedlichen Arbeitsplätzen Tätigen die Aufgabe, einen optimalen Produktionsfluß zu organisieren, was sie nur in Kooperation erreichen können. Dieser anti-kollektive Effekt verhindert, daß die Arbeiter ihre gemeinsame Produktion als gemeinsame Aufgabe leben, verhindert auch den Kampf um eine gemeinsame adäquate Ausbildung. Nur vereinzelt beklagen sie sich darüber, daß ihnen keine theoretischen Unterlagen zur Verfügung gestellt wurden. Stattdessen wird die Arbeit als ein privates Sich-Bewähren gelebt, erscheint die Arbeitsaufgabe als ein abgeschlossener Problemraum — Beherrschung der Einzelanlage —, der durch die eigenen Fähigkeiten auszufüllen ist. Jedes Infragestellen dieses abgeschlossenen Raumes durch Probleme und Aufgaben, die sich aus dem kooperativen Zusammenhang ergeben, jede Aufforderung, den abgeschlossenen Raum zu verlassen und die bislang entwickelten Fähigkeiten als weiter zu entwickelnde zu betrachten, muß daher als Bedrohung gewonnener Sicherheit wahrgenommen werden. Die Anforderungen des arbeitsteiligen Produktionszusammenhangs übersetzen sich die Arbeiter in je private Aufgaben der ARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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Erfüllung von Maschinenansprüchen, so daß sie produktionsorientiert handeln, ohne sich fragen zu müssen, zu welchen Zielen denn diese Aufgabenerfüllung führt, bzw. umgekehrt, durch welche Ziele ihre Aufgaben gebildet werden. Dieser Gegensatz zwischen dem Arbeiten als privatem Sich-Bewähren und etwas Beherrschen-Wollen und der Anforderung, gemeinsam den produktiven Zusammenhang zu organisieren und neue Fähigkeiten zu entwickeln, ruft Unternehmereingriffe auf den Plan. Es sind solche Eingriffe, die die gemeinsame Aufgabe wiederum als je privat zu erfüllende umformen und dadurch für Lohnarbeiter lebbar machen. Es werden Prämien zur Anreizung von »guter Leistung«, »Verbesserungen« und »Mehrleistung« ausgesetzt. Die Produktionsergebnisse werden veröffentlicht: Einmal im Monat teilt der Meister die Produktionszahlen und auch den von den Arbeitern produzierten Ausschuß mit. In einem anderen Betrieb wird der kooperative Zusammenhang in den Zwangszusammenhang eines Gruppenlohns gepreßt (vgl. 4. Kap., 2. »Der Wettbewerb«). Diese Unternehmereingriffe arbeiten nicht daran, die Entwicklungsanforderungen aus dem hemmenden privaten Lohnarbeitsinteresse herauszulösen. Im Gegenteil, sie schaffen eine engere Verbindung zwischen Privatinteresse und Anforderungen. Insofern finden wir hier keine Brigadeelemente, keine Formen, in denen sich die Arbeitenden als Kollektiv gemeinsame Ziele setzen. Allerdings kündigt sich in einem Betrieb eine Praxis an, die diesen Rahmen der Mobilisierung von Privatinteressen verläßt. Bezeichnenderweise wird die Praxis bei Neueinstellungen ergriffen: »Es wird immer eine neue Schicht gebildet, eine komplette Mannschaft mit verschiedenen Begabungen: körperliche Leistungsfähigkeit, Mitdenken, Genauigkeit... in der Regel sind zwei Fachkräfte dabei.« Der Eingriff zielt auf ein bewußtes Arrangement unterschiedlicher Kräfte und schafft damit Ausgangsbedingungen, die ein neue Dynamik in Gang setzen. Indem nämlich die Fähigkeiten unterschiedlich verteilt sind, aber keiner mit seiner Einzelfähigkeit sämtliche Tätigkeiten abdecken kann, besteht ein Druck, die jeweiligen Einseitigkeiten bei entsprechenden Produktionsaufgaben zusammenzuziehen und ihre gegenseitige Ergänzung zu organisieren. In dieser Praxis erfahren die Arbeiter ihre unterschiedlichen Entwicklungsstände, erfahren sie nicht als beliebige und hinzunehmende Unterschiede. Vielmehr erfahren sie diese Unterschiede als unterschiedlich produktionsrelevant, so daß sich in ihrem Bewußtsein eine Hierarchie von »produktionsmächtigen« Fähigkeiten bildet. Und indem .diese Fähigkeiten real von ihren Trägern vorgelebt werden, erfahren sie produktionsmächtigere Fähigkeiten zugleich als Entwicklungsansprüche. Diese Entwicklungsform konstituiert ein Kollektiv, welches in der eigenen Zusammenarbeit Entwicklungsansprüche und -antriebe freisetzt und insofern die oben analysierten PrivatiARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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sierungen bei der Übernahme von Entwicklungsanforderungen überwindet. Die reale Möglichkeit von Kollektiven, die ihre Entwicklung gemeinsam im Hinblick auf die gemeinsamen Aufgaben organisieren, zeichnet sich ab. Zugleich sind sie aber den Lohnformen und insbesondere der Gruppenprämie unterworfen, so daß mit den Entwicklungsnotwendigkeiten der einzelnen kaum solidarisch umgegangen werden kann. Vielmehr wird das Kollektiv gezwungen, sich selbst zum Verstärker der Arbeitsplatz- und Lohnängste zu machen und einzelnen Anstrengungen abzuverlangen, damit die Prämie nicht gefährdet wird; oder andere von Arbeiten fernzuhalten, bei denen es drauf ankommt, sie also um ihre Entwicklungsmöglichkeiten zu bringen. Der mögliche solidarische Umgang mit der kollektiven Entwicklung wird also immer wieder von einer wechselseitigen Härte durchbrochen und durchzogen. Diese Härte subjektiviert den mehrfachen Druck der Entwicklungsanforderungen und Arbeitsplatzängste, so daß sich die Arbeiter selbst in die widersprüchlichen Verhältnisse von kollektiven Anforderungen und Unternehmerinteressen einspannen und sich selbst Entwicklungszwänge organisieren, ohne daß besondere und zusätzliche Unternehmereingriffe notwendig wären. Wenden wir uns jenen Fällen zu, in denen die Konstituierung der Kollektive im Aufbau kombiniert ist mit personalen Selektionsformen (60%). Ein ungleich rauherer Wind schlägt uns schon in den Berichten über die Gescheiterten und Abgestürzten entgegen. »Verantwortungslos sind diejenigen, die zu risikobereit sind und sich überschätzen.« ... »Das ganze Fußvolk ist weg.«... »Wir haben die besten Leute aus dem alten Betrieb genommen, solche, die Erfolg (!) hatten und vielseitig waren, die für geistige Arbeit geeignet sind.« ... »Wenn sie es nicht schaffen, muß man sie beknien oder sie kümmern sich überhaupt nicht um die Arbeit. (...) Viele haben kein Interesse, weil sie sonst Verantwortung übernehmen müßten.« ... »Es sind die besten und cleversten Leute. (...) Zwei haben die Umstellung nicht geschafft, sie sind automationsgeschädigt. (...) Gewerbliche muß man unter Druck setzen, damit sie etwas machen.« ... »Acht der zwanzig Maschinisten bekommen auf der Warte einen Kollaps.« ... »Einige hatten Schwierigkeiten ... manche mögen einfach lieber körperliche Arbeit und haben psychisch Angst vor Maschinen und Knöpfen.« ... »Wenn sie mehrfach nicht aufgepaßt haben, kommen sie vom Arbeitsplatz weg.« — Wie die Arbeiter diesen offenbar verschärften Druck leben, wie sie sich in dem Gegensatz von Entwicklungsanforderungen und Arbeitsplatzkonkurrenz orientieren und stabilisieren, wie die Unternehmer eingreifen, dies sind unsere Fragen. Wir gehen fallweise vor.

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Etwas darstellen In einer Röhrengießerei wurde die Aufbaubeteiligung bewußt als Mittel eingesetzt, eine »Identifizierung mit der Anlage« zu erreichen. Was ist gemeint? Sollen die Arbeiter tote Dinge als lebendige Wesen betrachten, mit denen sie mitfühlen und -leiden? Zunächst geht es darum, den »Leuten die Angst vor Fehlern zu nehmen«, indem sie bei der Montage der Anlagenteile mitarbeiten, deren Zusammenwirken sie später anhand abstrakter Signale überwachen und kontrollieren müssen. Aber »Identifizierung« meint mehr: Sie soll erzielt werden, indem man »den Mann möglichst lange an seinem Arbeitsplatz zu halten« sucht. »Das Treueverhältnis entwickelt sich dadurch, daß sie immer am selben Platz, an der selben Anlage stehen. Das ist anders, als wenn sie mit der Schaufel herumgeschickt würden.« Die Unternehmer arbeiten hier gegen die Lohnarbeitererfahrung der Fremdbestimmtheit. Ziel ist ein »Einverständigsein« der Arbeiter mit ihren Arbeitsaufgaben. In bewußter Praxis wird organisiert, was zum Beispiel beim Dreher spontanes Produkt seiner beruflichen Entwicklung war. Bekam er endlich nach den Jahren der Ausbildung an den »ältesten Klamotten« eine moderne und perfekt funktionierende Drehbank zugewiesen, so wurde dies »seine Maschine«, die er zu »lieben« begann, an deren gepflegten Zustand seine ganze Facharbeiterehre hing. Die Unternehmer schalten sich in die Vorgänge ein, mit denen die Arbeiter sich selbst einen Sinn ihrer Anstrengungen für Lohn stiften. Sie realisieren, daß Arbeiter nicht nur als Arbeitskraft eingespannt sind, sondern als ganze Menschen in der Arbeit leben mit einem Ensemble an Vorstellungen, Orientierungen und Ansprüchen, wie Arbeit und Leben aussehen müssen, um lebenswert zu sein. »Je mehr Verantwortung die Leute haben, desto lieber gehen sie zur Arbeit.« Tatsächlich ist es aber Verantwortlichkeit für fremdes Eigentum, die zur gelebten Verantwortung gemacht wird, indem der Stolz mobilisiert wird, diese eine Anlage beherrschen zu dürfen, was zur Auszeichnung wird, wenn übrige Arbeiter davon ausgeschlossen sind. Der Effekt der Unternehmereingriffe ist eine Selbstdefinition der Arbeiter über Abgrenzung gegenüber den Kollegen. Aber nicht nur gegenüber diesen: »Wenn einer so eine Anlage fährt, dann verliert er an Sozialprestige, wenn er ginge, er müßte nämlich eine geringere Arbeit machen.« Arbeiter vergleichen sich nicht nur mit den Kollegen, sondern sehen sich über ihre Arbeit ih eine Skala eingeordnet, die in ihren gesamten Lebenszusammenhängen wirksam ist und sie als Erfolgreiche oder Versager definiert, gemessen an einer durchschnittlichen Arbeiterexistenz. Diese Mobilisierung von sozialem Druck geschieht als Einreißen der Mauern zwischen Produktionssphäre und privatem Leben: »Im Betrieb ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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herrscht ein familiäres Verhältnis« — nicht im Gegensatz zu hierarchischen Strukturen, sondern als Besuche der »dort arbeitenden Väter« von ihren »Söhnen«. Sicherlich steht dahinter das Unternehmerinteresse, diese Söhne als Arbeitskräfte zu gewinnen und über die Generationen hinweg ein Betriebsfamilienbewußtsein zu erzeugen. Diese früher übliche Praxis scheint heute eher ungewöhnlich. Für bedeutender halten wir aber den Umstand, daß es die Söhne und nicht die Töchter und Frauen sind, die die Männer als Arbeitende erleben können. Wir unterstellen, daß die Söhne aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation Interesse für die technischen Vorgänge mitbringen, daß sie weiterhin die Arbeit ihrer Väter mit der Perspektive wahrnehmen, später ebenfalls einen solch »verantwortungsvollen« Posten einnehmen zu können, wo man sich nicht schmutzig machen und abschinden muß. Aus diesem Interesse heraus werden die Söhne nicht als verständnislose Bewunderer der Arbeitervätertaten auftreten, sondern als potentiell sachverständige Befrager. Die Väter werden sich nicht ausschließlich geschmeichelt fühlen, aber insgeheim wenig zu ihrer Arbeit stehen, sondern in der Beantwortung der Fragen das Interessante, Verantwortungsvollei, Lebenswerte ihrer Arbeit für sich selbst bewußt machen. So können sie die Möglichkeit ergreifen, die Zirkularität und Perspektivlosigkeit familialer Beziehungen zu überwinden, und Beziehungen entwickeln, in denen Möglichkeiten produktiver Tätigkeit und Entwicklung in der Arbeit gemeinsames Interesse sind (vgl. Holzkamp 1973, S.254ff.). Diese Möglichkeiten erfahren aber eine Beschränkung, weil vermutlich den weiblichen Familienmitgliedern ein Interesse und folglich ein Mitspracherecht abgesprochen wird, so daß sie ausgegrenzt werden. Bekannt sind nun eine Vielzahl von Untersuchungen, in denen davon die Rede ist, daß die Männer mit der Frauenarbeit und der Vergesellschaftung der Erziehung1 ihre traditionelle Position als anerkanntes Familienoberhaupt verlieren. Die Ausgrenzung der Frauen aus den Gesprächen über die Arbeit produziert ein männertümelndes Bündnis. Darüber vermögen sich die Väter wiederum als Familienoberhäupter zu stabilisieren auf Kosten der Frauenemanzipation. Wird diese nicht als Notwendigkeit und Weg aus der Krisenhaftigkeit familiärer Beziehungen erkannt, drohen die neuen Möglichkeiten von Familienbeziehungen, welche die Arbeitswelt miteinbeziehen, spontan in Befestigungen von Unterdrückungsverhältnissen umzuschlagen, lassen sich die Männer in die vom Unternehmen bestimmten Arbeitsverhältnisse einspannen, indem sie ihre Männlichkeitsvorstellungen mit der Arbeit verknüpfen können (zur Überhöhung der körperlichen Arbeit als männlich vgl. Willis 1979, S.218ff.). Diese Männlichkeitsvorstellungen werden mobilisiert, können gelebt und dadurch in Dienst genommen werden. ARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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Dieser Vorgang ist kein Einzelfall. Wir können annehmen, daß in der Inszenierung der Produktion als Schlacht Männlichkeitsvorstellungen angesprochen und eingebunden werden (s.u.). In einer Erdölraffinerie mit ländlicher Umgebung fanden wir Schichten, die eine gemeinsame Kasse führen, um einmal im Jahr eine dreitägige Urlaubsfahrt ohne Frauen finanzieren zu können. Die Mitfahrenden müssen nicht in ihren Familienbeziehungen Unterdrücker ihrer Frauen sein, um in der Befreiung von diesen alltäglichen Beziehungen, in dem gemeinsamen Wunsch nach Erlebnis, Abenteuer und Eroberung ihre Männeridentität im Gegensatz und auf Kosten der Frauen zu leben. Jeder kennt diesen Druck, der auf einzelne ausgeübt wird und zu sexistischer Männertümelei führt, vom »Vatertag« zu Christi Himmelfahrt. Diese Säkularisierung eines religiösen Feiertages wird mit der betrieblichen Existenz verknüpft, so daß die Arbeit als etwas Männliches im Gegensatz zum Frauenleben gelebt werden kann. Zurück zur Gießerei. Unsere Untersuchung erweckt den Anschein, als seien die Arbeiter durch ein lückenloses Netz von den Unternehmerinteressen gefangen genommen. Dieser Anschein stellt sich ein, wenn die Kette von Unternehmereingriffen und Arbeiterselbstdefinitionen als bewußt geplante gedacht wird. Die Absichten der einzelnen Unternehmereingriffe können aber völlig unterschiedliche sein und als solche interessieren sie nicht, sondern ausschließlich in ihren Wirkungen. Dies bedeutet auch, daß die Wirkungen widersprüchlich sein können. Die Unternehmer sprachen davon, daß der Vorarbeiter als Unteroffizier und Antreiber nicht mehr gebraucht werde, ein neuer Führungsstil sei notwendig. »Der Widerstand dagegen liegt nicht so sehr beim Führungspersonal, sondern auf der Ebene der Mitarbeiter. Es ist schwer, die Leute auf der unmittelbaren Funktionsebene dazu zu bringen, daß sie nicht nur ausführen, sondern auch mitdenken.« Eine Interpretation könnte sein, in diesem Widerstand eine Weigerung der Arbeiter zu sehen, über ihren Arbeitsplatz, dem sie »treu« sein sollen, hinauszublicken und sich für den gemeinsamen Produktionszusammenhang zu interessieren. Insofern hätten die Unternehmereingriffe einen antikooperativen Effekt bewirkt, wie wir ihn bereits beim Stufenanlernen kennengelernt haben. Die Redeweise vom Widerstand der Arbeiter gegen die intensiv in Führungstechniken geschulten Vorarbeiter, gegen das gewünschte »Mitdenken«, kann aber auch als Indiz für ein gestiegenes Arbeiterselbstbewußtsein gelesen werden. Dafür spricht eine Äußerung, in der die Erkenntnis, daß Hierarchien nicht mehr durch Arbeitsteilung und Qualifikationsunterschiede begründet werden können, aufdämmert und zugleich abgewehrt wird: »Die Hierarchie löst sich auf, der Unterschied des Arbeiters zum Vorarbeiter, der über höhere Kenntnisse verfügt, ist nicht mehr so groß ... Größere Kenntnisse eines ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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Schmelzers würden dazu führen, daß er die Tätigkeiten eines Vorarbeiters ausführt, aber deshalb hat man ja die Arbeitsteilung.« Besser sein Die Meßwartenarbeiter in einer automatischen Klimaanlage, über deren 45 Luftkreisläufe die hygienischen Bedingungen in einer pharmazeutischen Produktion kontrolliert werden, wurden innerbetrieblich ausgewählt,, beteiligten sich am Aufbau und mußten sich in der Meßwartenarbeit bewähren. Acht von zwanzig Maschinisten, die gleichzeitig die Wartung und Reparatur der Anlage betreiben, wurden nicht in den Kreis der Meßwartenarbeiter aufgenommen, weil sie angeblich einen »Kollaps« auf der Warte bekommen. Es existieren so zwei Kooperationsverbunde, die ineinander greifen, indem der jeweilige Meßwartenarbeiter den Maschinisten Wartungs- und Kontrollaufgaben zuteilt. Während die Meßwarte selbst nur von einem Automationsarbeiter zur Zeit besetzt ist, wechseln sich die Meßwartenarbeiter nicht nur täglich, sondern augh tagsüber ab, und übernehmen dann, wenn sie aus der Warte kommen, Maschinistenfunktionen. Durch diesen Positionswechsel innerhalb der beiden Kooperationsverbunde konstituieren sie zwei »Klassen« von Maschinisten: solche, die als Autmationsarbeiter vorübergehend Maschinistenfunktionen übernehmen, und solche, die von der Wartentätigkeit ausgeschlossen nur Maschinisten sind. Gleichwohl müssen sie als Maschinisten kooperieren. Wie leben die Automationsarbeiter ihre tägliche Konfrontation mit der Tatsache, daß sie ihre eigene Entwicklung in Konkurrenz zu den Gescheiterten und auf deren Kosten durchgesetzt haben? Verstehen sie sich einfach als die Besseren oder denken sie, daß es sie genauso hätte treffen können? Der Wartenraum befindet sich fern der Klimaanlagen als Enklave in dem Gebäude der Pharmaproduktion. Seine Abgeschlossenheit wird noch erhöht durch eine große Fensteröffnung, durch die der Automationsarbeiter in ein kaum benutztes Treppenhaus blicken kann. Der Leser wird sich vermutlich einen kahlen Gefängnisraum vorstellen. Weicher Teppichboden, bequemer Ledersessel, warme Holztäfelung und Pflanzenwuchs verleihen dem Wartenraum stattdessen einen Wohnzimmercharakter. Abgeschlossenheit und anti-produktionsmäßige Gestaltung organisieren, daß die Automationsarbeiter ihre Tätigkeit als Auszeichnung leben können. Sie sind nicht aus unerklärlichen Gründen die Besseren, sondern ihr Aufenthalt in der Warte »be-deutet« ihnen, daß sie die Besseren sind. Die anderen werden auf der Warte eben »kribbelig und unruhig, mit denen geht das dann nicht«. Der Gedanke, daß das, was die »Besseren« gelernt haben, auch von den übrigen zu lernen sei, wenn nur genau gewußt wird, was man braucht und welche Lernschritte dorthin führen, wird hier nur schwer denkbar. Die UnterARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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nehmereingriffe beschränken sich auf die Schaffung einer Wartenästhetik, die von den Arbeitern selbst ausgefüllt wird. Ob nun ein Aquarium, welches sich ebenfalls in dem Wartenraum befand und farbenprächtige exotische Fische enthielt, aufgrund unternehmerischer Anordnung oder Arbeiteridee dort steht, wissen wir nicht. Auf jeden Fall ist sein Erhalt und Ausbau in die Verantwortung der Automationsarbeiter gegeben. Was aber versprechen sich Unternehme^ die nichts anderes im Sinn haben, als fremde Arbeitskraft für ihre Gewinne auszuschöpfen, wenn sie diese Beschäftigung mit hobbyartigen Dingen billigen oder gar initiieren? Ginge man davon aus, daß die Wartenarbeiter von Langeweile erdrückt werden, lautete die Antwort einfach: Beschäftigungstherapie. Wir können hier nicht unsere gesamten Forschungsergebnisse wiederholen, was alles ein Automationsarbeiter tut. Aber weshalb sollte er vom Nichts-tun einen »Kollaps« bekommen? Es sind konkrete Eingriffsnotwendigkeiten, die nervös machen. So ist der Automationsarbeiter alle 30 Minuten mit einem Computerausdruck konfrontiert, der ihm alle Abweichungen und Störungen zeigt und zu Korrekturmaßnahmen anhält. Jeder Aquariumsbesitzer weiß nun, daß er seiner Neigung, die Fische durch Futtergabe hervorzulocken und in Bewegung zu bringen, nicht nachgeben darf, wenn er nicht ein Fischsterben riskieren will. Sehr bald würde nämlich das überschüssige Futter zur Vergiftung des Wassers führen. Das Leben der Fische ist nur durch genaue Absprache der Meßwartenarbeiter untereinander zu erhalten, durch strenge Einhaltung der Fütterungspläne. Das Aquarium ist ihre dritte Sache. Wir haben ein Arrangement vor uns, in dem die Automationsarbeiter die Haltung gemeinsamer Verantwortlichkeit entwickeln müssen, eine Haltung, die sie für die gemeinsame Überwachung der fremden Anlagen benötigen. Indem sie diese kooperative Haltung an der gemeinsamen Sache Aquarium entwickeln, in Eigenregie und die Notwendigkeiten zur Absprache unmittelbar vor Augen, wirkt die spontane Übertragung dieser Haltung auf die Produktion, kann sie zu einer Eigenschaft werden. Sie entziehen sich ein Stück Kontrolle über ihre gemeinsame Vergesellschaftung, weil ihre Zusammenarbeit in der Produktion nicht durch Einsicht in gemeinsam erkannte Kooperationsnotwendigkeiten organisiert wird, sondern durch unabhängig von der Produktion geformte »Charaktere«. Eine Wirkung ist, daß sie Konflikte, in denen sie auf die Widersprüchlichkeit der Privatproduktion stoßen, nicht gemeinsam austragen können, weil sie die Produktionsaufgaben, in denen diese Widersprüchlichkeit zusammengeschmolzen ist, schon immer als gemeinsame Sache betrachten. Denken wir diese »unkontrollierte« Vergesellschaftung zusammen mit dem Vorgang der Auszeichnung der »Besseren« vor den Gescheiterten, dann erkennen wir, daß sich beide Vorgänge gegenseitig stütARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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zen. Der Zusammenhalt der Automationsarbeiter untereinander wird gegen die Nur-Maschinisten gelebt, weil sie nicht nur von dem »Wohnzimmer« ausgeschlossen sind, sondern auch von der gemeinsamen Sache Aquarium. Die beiden Kooperationsverbunde, die von den gemeinsamen Aufgaben her einen kollektiven Zusammenhang bilden und von den Kollektivmitgliedern gemeinsam reguliert werden könnten, werden so als zwei sich gegenseitig abgrenzende Sozialzusammenhänge gelebt. Der individuelle Wechsel von der Meßwartenarbeit zur Maschinistenfunktion durchkreuzt beide Sozialzusammenhänge und setzt die Individuen unter Druck, sich nicht mit den Nur-Maschinisten gemein zu machen und die Gemeinschaft der »Besseren« zu verraten. Die Unternehmereingriffe schaffen ein Arrangement, welches einen Rahmen bildet, den die Automationsarbeiter in Verarbeitung ihrer widersprüchlichen Lage als eine »Subkultur« leben. Die Entstehung der einen Subkultur konstituiert den anderen Sozialzusammenhang als zweite Subkultur. Die ständige Berührung und Durchmischung beider Subkulturen fordert die Individuen auf, sich einheitliche Handlungsfähigkeit durch Übernahme und Hineinentwicklung in »ihre« Subkultur zu sichern. Produktiv sein »Das ganze Fußvolk ist weg.« Wer so spricht, stellt sich auf den Standpunkt eines Kavalleristen, der die Infanterie lediglich als »Menschenmaterial« betrachtet, als notwendige Manövriermasse, die den Untergrund für den strategischen Einsatz der Kavallerie bildet. Die Militärsprache macht den Automationsarbeitern ein Angebot, ihre eigene Lage zu definieren: »Obwohl Kollegen beim Neubau Arbeit verloren, fühlen sie sich als Elite ... Ein Diplom-Ingenieur hätte das Gegenteil erwartet, nämlich Unkooperativität.« Elite und Kooperativst werden gleichgesetzt. Die Erwartung war, daß die Arbeiter aus gemeinsamer Betroffenheit Widerstand gegen die unternehmerischen Aufgaben entwickeln. Elite muß eine Form sein, in der die Nicht-Solidarität und der Einsatz für die fremden Produktionsziele gelebt werden kann. Wie kommt diese Form zustande? Unser Informant ist Ingenieur und für Planung, Aufbau und Inbetriebnahme der Brauereianlage verantwortlich. Er hat die Umstellung mit den Arbeitern, wie er sagte, »lebendig ausdiskutiert«. Seine Redeweise über die Aufbauphase läßt erkennen, welche Selbstwahrnehmung er bei den Arbeitern organisierte. Von »Risikobereitschaft« ist die Rede, »Abenteurertum« gehöre zur Aufbauphase. »Die Leute sind mit Feuereifer dabei und mit wahrer Begeisterung. (...) Die Arbeit gerät zum Spiel, das ist auch die Freude an der Sache. Extremer Einsatz aller Beteiligten ... Belobigung durch die Nichtbeteiligten... Ansätze von SelbstARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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Verwirklichung ... Pflichtbewußtsein und Intelligenz ergeben den Eisenbahneffekt, d.h. Stolz und Freude, daß alles funktioniert und ein Wunder, daß die tagelange Arbeit nun wie von selbst geschieht. (...) Wir hatten mit Schwierigkeiten gerechnet, hatten zunächst auch Anlaufschwierigkeiten — aber die Leute sind stolz, als hätten sie das Ding selbst gemacht.« Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die Aufbauphase als Ausnahmezeit gelebt wird, die den Arbeiteralltag unterbricht (AS 43, S.216). Es handelt sich aber kaum um eine willkommene Abwechselung wie bei einem Betriebsfest, sondern um eine Zeit der Bewährung. Die Angst um den Arbeitsplatz sitzt den Arbeitern im Nacken. Tatsächlich erleben sie die Reduzierung der Belegschaft. Wird es auch sie treffen, müssen sie sich nicht mit den anderen solidarisieren? Und während sie sich in diesem Konflikt befinden, werden ihnen Angebote gemacht, den Alltag hinter sich zu lassen, Neues auszuprobieren, sich selbst zu verändern und die eigenen Grenzen hinauszuschieben. Die Herausforderung des Neuen und der Solidaritätskonflikt organisieren offenbar einen derartigen Druck, daß die Übrigbleibenden die neuen Möglichkeiten als Widerspruchslösung ergreifen und sich hineinstürzen. Die Redeweise des Ingenieurs verrät, daß die Arbeitenden selbst ihre Kraftanstrengung als Bewährung auffassen; die Aufgaben werden als Gelegenheiten und Proben auf ihre Fähigkeiten aufgefaßt. »Begeisterung«, »Feuereifer«, »Stolz«, »Arbeit als Spiel« — dies signalisiert, daß die Anstrengung nicht primär von den Zielen her motiviert ist, sondern selbstzweckhaft erlebt wird. Indem sich die Arbeiter von dem »Abenteuer« gefangen nehmen lassen, tritt die Widersprüchlichkeit ihrer Interessen — Lohnarbeit und Entwicklung menschlicher Fähigkeiten — in den Hintergrund. Die Inszenierung der Arbeit als Bewährungsprobe ist Einübung in eine bis an die Grenzen gehende Anstrengung, die als selbstzweckhafte die Frage nach den Interessen nicht verträgt und abwehrt. Die Militärsprache ist daher nicht zufällig, verknüpft sie doch die Produktionssituation mit dem Lebensabschnitt der Arbeiter, in dem sie in diesen nicht nach Zielen fragenden Bewährungswillen eingeübt wurden. Der militärische Drill ist die Vorbereitung auf die eine Situation, die Schlacht, in der zur Vernichtung des Feindes sämtliche Energien entfesselt werden müssen. Dieser Drang nach vorne in die Lebensgefahr wird nicht durch die eigenen Interessen begründet, sondern kann nur als Unterstellung unter einen höheren Wert wie Kaiser, Führer, Nation, Vaterland, Freiheit, Demokratie gelebt werden, für den sich das invidiuelle Leben aufopfern darf. Moede (1930), ein wichtiger Vertreter der Psychotechnik in der Weimarer Republik, stellt selbst die Verbindung zur Arbeit her: ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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»Gemeinsame Handlungen im Krieg, in Politik und Religion, im Betrieb, die zur Verwirklichung eines Ziels oder Ideals dienen und zu deren Verwirklichung Massenhandlungen nötig sind, können nicht zustande kommen, wenn jeder auf seine Weise, eigenen kritischen Gedankengängen hingegeben, sich seine Stellungnahme vorbehält und seine Entschlüsse faßt. Der Sturmangriff verlangt Ausschaltung aller Gedankengänge, die der einzelne zur Erhaltung seines Individuellen Lebens ausführen möchte, und die Eingliederung in das Ganze und in den Willen des Führers, der die Gesamtaktion leitet.« (S.24)

Aufbau einer Brauereianlage ist nicht Destruktion und die Automationsarbeiter sind kaum einer lückenlosen militärischen Zucht unterworfen. Die Stabilisierung der Produktion als Bewährung kann kaum allein durch die Verknüpfung mit dem Soldatenleben geschehen: »Das war ein richtiges Team beim Aufbau, keiner darf quer schießen; tut dies nur einer, ist die Hölle los.« Wer quer schießt, bringt Einwände gegen den unbedingten Einsatz und untergräbt die gemeinsame Begeisterung. Er verlangt Begründungen für das Nicht-Begründbare. Diese Gefahr wird von dem Ingenieur scharf gesehen. Wie aber geschieht es, daß sich Lohnarbeiter, die in objektiver Konkurrenz stehen, zu einer Kampfbrigade zusammenschweißen? Wo immer Lohnarbeiter zusammenarbeiten, ist ihre personale Wahrnehmung widersprüchlich strukturiert. Denn die Anerkennung der produktiven Fähigkeiten anderer schlägt sofort'um in ein Bedrohungserlebnis. Denn Konkurrenzsituation und Unterwerfung unter ein betriebliches Normensystem (Überwachung, Arbeitsplatzzuweisung, Lohnhöhe etc.), welches den einzelnen Lohnarbeiter auf der Skala der »Tüchtigkeit« für die Unternehmerinteressen positioniert, zwingen den einzelnen dazu, zu seiner eigenen Existenzsicherung die betrieblichen Normen, den Unternehmerstandpunkt, zu übernehmen und sich mit anderen unter dem Gesichtspunkt Leistungsfähigkeit wahrzunehmen und zu beurteilen. Die Zusammenarbeit wird durch eine tiefe Zerrissenheit geprägt, welche das gemeinsame Zusammenarbeiten permanent zugunsten einer Situation des Mißtrauens und Hasses aufzulösen droht, in der einzelne durch die Interessen anderer funktionalisiert werden. Die personale Wahrnehmung ist prinzipiell uneindeutig und unsicher, weil niemals gewußt werden kann, ob das von anderen entworfene und vorgeführte Muster von Gestik, Mimik, Handlung mit den insgeheim verfolgten Absichten übereinstimmt. Die Inszenierung der Produktion als Bewährung vereindeutigt diese widersprüchliche Wahrnehmung. Wir haben bereits untersucht, daß in dieser Inszenierung eine Verschiebung zum Genuß der eigenen Fähigkeiten und Taten erfolgt. Dieser Genuß wird real erst als gemeinsam erlebter. Der Bezug auf andere in der gemeinsamen Bewährung vereindeutigt die personale Wahrnehmung, indem der Maßstab, die Bewährung, als gemeinsamer an die Taten der einzelnen gelegt wird. ARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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Dieser Beurteilungsmaßstab kommt nicht von oben und wird nicht vom Lohnarbeitsstandpunkt übernommen, sondern von dem Kollektiv selbst entwickelt und getragen, indem jeder einzelne seine eigenen Fähigkeitsgrenzen verschiebt und dadurch Marken für die anderen setzt. Es bildet sich eine Solidargemeinschaft, die sich auf die produktiven Fähigkeiten gründet. Auf diese Art wird die soziale Produktivkraft der Arbeiter in die Unternehmensinteressen eingebaut, löst sich die Arbeitergemeinsamkeit als Klassengemeinschaft auf. Gleichwohl ist der Klassengegensatz real. Die Entstehung einer Produktionsgemeinschaft wird gestützt durch eine Umformung des Klassengegensatzes. Der Ingenieur baut einen Gegensatz zwischen der Produktion und dem Marketing auf: »Was wir hier hereinholen, wird dann scheffelweise unter die Leute geschmissen: neues Marketing und neue Etiketten und alle Jahre neue Flaschen ... Von der Technik her ist die Betriebswirtschaft reine Doppelarbeit; zuviel Selbstzweck. Mit etwas Intelligenz könnte man eine Abteilung daraus machen. Dann könnte das Bier 30% billiger sein. Ohne das Heck-Meck des Marketings kostet das Bier nicht mehr als 25 Rennig; sonst ist es ja auch kein Volksgetränk.« Wir müssen nicht unterstellen, daß wir es mit Früchten einer besonders raffinierten Managementschulung zu tun haben. Denn hier spricht der Ingenieur »mit Leib und Seele« (»Ich bin technischer Planer und fühle mich, trotz allem Übermut, als Hilfsmittel der Produktion«). Von seinem Standpunkt erscheinen die Marktstrategien und Verwertungsanstrengungen des Managements als reine Zutat, als Anhängsel. Indem er so die Unterordnung der Produktion unter die Profitinteressen in die Gegensätzlichkeit von Produktion und Betriebswirtschaft umformt, denkt er die Privatproduktion spontan als gesellschaftliche Gebrauchswerterstellung, die nur des Verkaufs bedarf, um die Produkte den Verbrauchern zukommen zu lassen. Wir stoßen hier auf eine Denkfigur, die bereits bei der Etablierung der »Betriebsgemeinschaft« in der Weimarer Republik eine zentrale Rolle spielte. Im Namen des Sozialismus zerlegt Lewin — 1920 in der von Karl Korsch herausgegebenen Schriftenreihe »Praktischer Sozialismus« — das vom Klassengegensatz durchzogene gesellschaftliche Leben in einen Arbeits- und Produktionsbereich und in den Konsumbereich und überträgt dem Staat dem Auftrag, zwischen beiden Sphären einen Ausgleich zu schaffen. Indem Arbeiter in beiden Bereichen leben, wird ihnen mit ihrem Konsuminteresse nahegelegt, sich in die »Betriebsgemeinschaft« einzufinden und gemeinsam für den Konsumbereich zu produzieren. Diese Umformung des Klassengegensatzes kann im Betrieb selbst als Gegensatz von Produktion und Verkaufsabteilung gelebt werden, wie unser Ingenieur zeigt. Indem er in dem Arbeiterkollektiv als »Produktionsführer« wirksam ist, wird er die WahrnehARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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mung der Arbeiter bei auftretenden Konflikten zwischen den beiden Betriebsabteilungen entsprechend organisieren. Die Arbeiter selbst leben den Klassengegensatz als Gegensatz »oben« und »unten«, wenn sie Anordnungen von oben als unsinnig kritisieren und sich über die Produktionsferne des Managements lustig machen. Durch den Eingriff des Ingenieurs erhalten sie für diesen spontan gelebten Gegensatz eine eindeutige Identifizierung und Interpretation. Sich zusammenraufen »Die kleine Mannschaft, die wir jetzt haben, muß schon zusammenhalten.« Es war also nicht immer diese Mannschaft und der Zusammenhalt ist auch nicht selbstverständlich. Die »besten und cleversten Leute« wurden innerbetrieblich rekrutiert. Dieser Vorgang selbst scheint bereits problematisch zu sein: »Für die Einführung der Automation muß eine Mannschaft stehen, da muß man autoritär sein, sonst geht das nicht... Es muß Druck dahinter sein... Gewerbliche muß man unter Druck setzen, damit sie 'was machen.« Wenn die Betonung von Freiwilligkeit und Kollegialität fallengelassen wird und derart starke Worte gebraucht werden, muß das Problem vom Standpunkt des technischen Leiters dieser Brauerei gravierend sein. Worum geht es? In anderen Betrieben erfuhren wir von einem Widerstand der Arbeiter gegen ihre »Verpflanzung« in die automatischen Anlagen: »Auch mit zusätzlichem Geld wollen sie dort nicht arbeiten, denn sie wollen mit den alten Mitarbeitern zusammenbleiben, dort kennen sie ihre Maschinen.« Ihre Rekrutierung als zukünftige Automationsarbeiter kommt einer Entwurzelung gleich. Sie müssen ein Terrain aufgeben, das sie sich in langen Jahren erobert haben und nun kennen, auf dem sie sicher sind. Insbesondere haben sie sich in einen Sozialzusammenhang hineinentwickelt, haben gemeinsam Kämpfe und Konflikte ausgestanden und Formen gefunden, in denen sie die alltägliche Lohnarbeit überstehen können. Werden die Automationsarbeiter aus ihren verschiedenen Sozialzusammenhängen herausgezogen und von der gemeinsamen Geschichte abgetrennt, erfahren sie sich isoliert und individualisiert in einer Situation völliger Offenheit. Es scheint daher die Ausnahme zu sein, daß sich Arbeiter freiwillig dieser Verunsicherung aussetzen. Wo auch das Mittel der innerbetrieblichen Ausschreibung versagt, müssen die Unternehmensvertreter offenbar einzelne, die ihnen geeignet erscheinen, regelrecht »bearbeiten«. Für die Zusammensetzung des Kollektivs bedeutet dies, daß sie völlig fremdbestimmt geschieht. Bestimmend sind die Vorstellungen der Unternehmer, wer geeignet sein könnte und wer nicht. Für sie ist es nicht nur eine Frage der Fähigkeiten oder der Bewährung im Unternehmerinteresse: »Wir wählen die Leute auch nach dem Gesichtspunkt ARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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aus, ob sie in die Gruppe hineinpassen.« Auch in der Gewerkschaftspraxis beispielsweise wird man Arbeitsgruppen unter dem Gesichtspunkt bilden, ob die Mitglieder sich gegenseitig beflügeln oder eher lahmlegen werden. Der grundlegende Unterschied aber ist, daß die konkrete Aufgabe in der gemeinsamen Arbeit das Beurteilungskriterium bildet. Die Gemeinsamkeit erlaubt grundsätzlich, daß das Abwägen öffentlich geschieht, so daß die potentiell Zusammenarbeitenden einen Spiegel ihrer individuellen Fähigkeiten vorgehalten bekommen, aber auch ihrer Schwächen. Die konkrete Zusammenarbeit kann für sie daher auch Chance sein, diese Schwäche zu überwinden. Bei der fremdbestimmten Zusammensetzung der Kollektive wird den Automationsarbeitern die Kompetenz entzogen, sich zu den Subjekten der Entwicklung ihrer eigenen Zusammenarbeit zu machen. Sie wurden danach ausgewählt, ob sie zueinander passen — und passen zueinander, ohne zu wissen, warum sie zueinander passen. Stellen wir uns zur Verdeutlichung einen Chemiker vor: Um'eine bestimmte Verbindung herzustellen, wird er geeignete Substanzen in ein Reagenzglas geben und dieses erhitzen. Vom Standpunkt der einzelnen Substanzen verläuft die chemische Reaktion blind, welche die neue Verbindung hervorbringt; mit anderen Substanzen zusammengebracht und unter anderen Bedingungen, würden sie sich chemisch anders verhalten. Allein das Kalkül des Chemikers, die bewußte Ausnutzung chemischer Eigenschaften der Substanzen, bringt die Verbindung hervor. Die blinde Reaktion der Substanzen ist vergleichbar mit der Inkompetenz der Automationsarbeiter gegenüber ihrer eigenen Konstituierung als Kollektiv, wenn ihre Zusammensetzung fremdbestimmt geschieht. Durch die Unternehmereingriffe werden die Automationsarbeiter auf einem Kraftfeld angeordnet, das durch sie selbst gebildet wird, durch ihre Fähigkeiten und Eigenschaften; die Wirkungen dieses Kraftfeldes sind aber teilweise ihrer Verfügung entzogen. Sie sind in ihr eigenes Kraftfeld eingespannt. Da die Automatisierung meistens größere Produktionsbereiche mit mehreren Arbeitsplätzen betrifft, ist mit einer weiten Verbreitung dieses Vorgangs zu rechnen, der als eine vom Standpunkt der Arbeiter unkontrollierte kollektive Vergesellschaftung zu begreifen ist. Sind wir aber nicht über's Ziel hinausgeschossen, wenn wir unterstellen, daß sich die Automationsarbeiter in ihr eigenes Kraftfeld einspannen lassen? War nicht die Rede von einem autoritären Druck, der notwendig ist, um Arbeiter zur Übernahme von Automationsarbeitsplätzen zu bewegen? Werden sie nicht auch Widerstand gegen das Zusammenarbeiten entwickeln? Mit der Untersuchung der Ängste vor ihrer Entwurzelung haben wir nur eine Seite der Dynamik bestimmt. Denn die Entwurzelung markiert einen Neubeginn, der die Arbeiter zu Orientierungsversuchen zwingt. Wie eine Fußballmannschaft, die erstARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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mals zusammen spielt, werden sie sich gegenseitig abtasten und ihre Bilder voneinander, die durch Hörensagen entstanden sind, mit den konkreten Personen messen. Diese Vergemeinschaftung ist von Mutmaßungen durchzogen, was denn auf sie zukommen wird. Die spannungsvolle Ungewißheit individualisiert wiederum und konfrontiert jeden mit seinen Ängsten, ob er's denn schaffen wird. Vor Klassenarbeiten in der Schule herrscht die gleiche Atmosphäre des gleichzeitigen Zusammenrückens und letztlich doch allein Dastehens. Vom Standpunkt der Unternehmer scheint die erzwungene Entwurzelung der einzelnen Arbeiter geradezu funktional, zwingt sie diese doöh dazu, auf das Neue sich unbedingt und ohne den Rückhalt und das mögliche Widerstandspotential einer erprobten Solidargemeinschaft einzulassen. Offen ist die Frage, in welchen Formen sich das Kollektiv konstituiert. Denn trotz der objektiven Lohnarbeiterkonkurrenz enthält der Neubeginn die Chance zur Entstehung einer neuen Solidargemeinschaft. Voraussetzung wäre, daß das neu entstehende Kollektiv seine eigene Entwicklung weitgehend selbst in die Hand nimmt und für das Vorankommen der einzelnen sich verantwortlich fühlt. Aber auch in diesem Betrieb folgt der innerbetrieblichen Rekrutierung die Selektion durch Bewährung in der Produktion: »Zwei Automationsarbeiter haben die Umstellung auf Automation nicht geschafft; sie sind 'automationsgeschädigt'.« Der vom technischen Leiter beschworene »Zusammenhalt der Mannschaft« scheint also auch hier über die Abgrenzung von jenen zu verlaufen, die sich als nicht würdig erwiesen haben oder erst gar nicht aufgenommen wurden. Dafür spricht auch, daß die Automationsarbeiter gegenüber den übrigen Arbeitern mit roten Kitteln ausgezeichnet werden, statt der üblichen blauen. Dies entstehende Produktionsheldentum der Mannschaft verkoppelt sich auf besondere Weise mit den Unternehmerinteressen: Denn der Einsatz der beiden Gescheiterten als Meßwartenarbeiter habe sich als falsch erwiesen. »Diese Männer sind vom Betriebsrat aufgehetzt und falsch motiviert worden, Meßwarte zu werden.« Der Effekt dieses Vorgangs ist, daß der einzigen Kraft, die die Solidarinteressen der Arbeiter vertreten kann und beispielsweise eine adäquate Ausbildung für alle Betroffenen mithilfe der Arbeiter erkämpfen kann, die Kompetenz abgesprochen wird, auf der Ebene der Produktion gegenüber den Unternehmensvorstellungen alternative Pläne zu entwickeln. Gegenüber den Produktionsbelangen erscheinen die vom Betriebsrat vertretenen Arbeiterinteressen als Sonderinteressen. Nun ist die Sprache, in der der technische Leiter diesen Konfliktfall vorstellt, zweifellos interessiert. Wir müssen also die Bedingungen dieses Konflikts analysieren, statt uns auf die Erklärung »Aufhetzung« einzulassen. Eine grundlegende Bedingung ist das Betriebsverfassungsgesetz. Nach §99 müssen Unternehmer bei personellen ARGUMENT-SONDERBAKlD AS 67 ©

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Einzelmaßnahmen wie Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung die Zustimmung des Betriebsrates einholen. Der Betriebsrat kann diese verweigern, wenn die Betroffenen oder beschäftigten Arbeiter überhaupt durch die Unternehmermaßnahme benachteiligt werden. Daß die Unternehmer bei der innerbetrieblichen Rekrutierung den Maßstab der Arbeiterfunktionalität für die Profitproduktion anlegen, können wir unterstellen. Welchen Maßstab aber kann der Betriebsrat anlegen, wenn er als Betriebsrat keine definierten Interessen haben kann, sondern als gewähltes Organ die Interessen der Belegschaftsmitglieder vertreten soll? Der Maßstab muß von den Arbeitern kommen und ihre Einzelinteressen konsensual vereinheitlichen. Indem der Maßstab von allen getragen werden muß, aber gegenüber Einzelfällen angewandt wird, nimmt er die Form eines Rechts an, vor dem alle gleich sind. Der Maßstab wird so von Gerechtigkeitsvorstellungen konstituiert. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Beförderung nach dem Senioritätsprinzip! Als Organ, welches Arbeiterinteressen zusammenfaßt, muß der Betriebsrat im Einzelfall von individuellen Besonderheiten absehen, wenn ihn die in der betrieblichen Politik gebildeten Gerechtigkeitskonsense dazu zwingen. Wenn nun bei der Rekrutierung der Automationsarbeiter von den Unternehmern Arbeiter gerade aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten ausgewählt werden und mit dieser Auswahl womöglich eine Lohnerhöhung verbunden ist, müssen Unternehmermaßstab und von Arbeitern getragener Betriebsratsmaßstab in Konflikt geraten. Es kommt zu Kompromissen, die vom innerbetrieblichen Kräfteverhältnis bestimmt werden. Wie die dabei errungenen Erfolge gegen den Betriebsrat ausschlagen können, zeigt unser Fall. Fatal wäre nun die Konsequenz, als Betriebsrat auf die Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der Rekrutierung der Automationsarbeiter verzichten zu müssen. Vielmehr scheint eine Politik notwendig zu sein, die die Einschränkung auf Mitbestimmung bei der Auswahl sprengt. Zentrale Bedeutung werden Versuche haben, die Arbeiter gemeinsam an den Entscheidungen zu beteiligen. Vorausgesetzt ist eine genaue Kenntnis der Tätigkeitsanforderungen, so daß sich die einzelnen möglichst bewußt entscheiden können, ob sie die notwendigen Entwicklungsanstrengungen auf sich nehmen wollen oder können. Notwendig ist aber auch eine Verwissenschaftlichung der Ausbildung der Automationsarbeiter, so daß die Lernenden ihre eigene Entwicklung bewußt in die Hand nehmen können, statt sich blind anpassen und ein Scheitern als individuell verschuldetes Versagen erleben zu müssen. Kurz, gewerkschaftliche Betriebspolitik muß den Unternehmern ihre Hegemonie auf dem Feld der Personalplanung und Ausbildung streitig machen. Dieser Bruch mit einer Politik, die nur Benachteiligungen verhindert, ARGUMENT-SONDERBAND AS 67 ©

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scheint in dem Maße erforderlich, wie die unternehmerische Auswahl nach individuellen Fähigkeiten die vom Betriebsrat vertretenen