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German Pages 329 [332] Year 1977
Mensch und Organisation 5 herausgegeben von W. H. Staehle
Hans-Christian Pfohl
Problemorientierte Entscheidungsfindung in Organisationen
w DE
G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1977
Dr. rer. pol. Hans-Christian Pfohl, o. Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Essen (Gesamthochschule) Mit 34 Abbildungen im Text
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen
Bibliothek
Pfohl, Hans-Christian Problemorientierte Entscheidungsfindung in Organisationen. 1. Aufl. - Berlin, New York : de Gruyter, 1977. (Mensch und Organisation ; 5) ISBN 3-11-007093-6
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© Copyright 1977 by Walter de Gruyter Sc Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: Fotosatz Tutte, Salzweg-Passau. - Druck: Karl Gerike, Berlin. - Bindearbeiten: Lüderitz Sc Bauer Buchgewerbe GmbH, Berlin. - Printed in Germany.
Geleitwort des Herausgebers
Gegenüber den herkömmlichen Ansätzen der normativen Entscheidungslogik gewinnen in den letzten Jahren deskriptive Entscheidungsmodelle, die — faktisches und nicht logisches — menschliches Entscheidungsverhalten beschreiben und erklären wollen, immer mehr an Bedeutung. Diese Neuorientierung der Forschungsschwerpunkte von geschlossenen hin zu offenen M o dellen des Entscheidungsverhaltens führt zwangsläufig zu einer verstärkten Berücksichtigung der Problemstellungsphase in Entscheidungsprozessen. Der hier vorgelegte 5. Band der Schriftenreihe „Mensch und Organisation" stellt einen solchen Beitrag zur Weiterentwicklung des entscheidungsorientierten Ansatzes in der Betriebswirtschaftslehre dar. M i t seinem Plädoyer für eine verstärkte Problemorientierung rückt der Verfasser erstmals die Problemstellungsproblematik eindeutig in den Mittelpunkt einer umfassenden wissenschaftlichen Analyse. Führt man sich vor Augen, daß von der Art der Problemstellung der Ablauf des Entscheidungsprozesses determiniert wird, erkennt man die ausschlaggebende Bedeutung der Problemstellungsphase. Die Tatsache, daß die Problemstellungsphase wie auch die Implementierungsphase gegenüber den anderen Phasen des Entscheidungsprozesses, Lösungsfindung und Optimierung, stark subjektiv geprägte Elemente aufweist, macht die Arbeit so interessant für diese Schriftenreihe. Die Abstraktion von der materiellen Dimension des Problems, den Entscheidungsinhalten, und die Konzentration auf formale Entscheidungs-Analysen erlaubt es dem Verfasser, Entscheidungsprozesse allein im Erkenntnisbereich von Betriebswirtschaften zu verlassen und generelle Aussagen über problemorientierte Entscheidungsfindung in Organisationen zu machen. Diese Generalisierung wird im dritten - und für den Anwender wichtigsten — Teil im Hinblick auf spezielle Anwendungssituationen wieder relativiert. Ausgehend vom situativen Ansatz in der Organisations- und Führungslehre und unter Rückgriff auf die in der Betriebswirtschaftslehre bereits lange Zeit verwendete typologische Methode formuliert der Verfasser Hypothesen über den Zusammenhang zwischen Entscheidungsproblemen und hierfür
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Geleitwort des Herausgebers
geeigneten Entscheidungsverfahren. Hier erhält der Leser wichtige Hinweise darüber, welche Entscheidungstechnik und welche Organisationsform seines Entscheidungsprozesses in welchen Problemsituationen am sinnvollsten anzuwenden ist. Darmstadt, im Sommer 1977
Prof. Dr. W. H. Staehle
Vorwort
Die Literatur zu Entscheidungs-, Problemlösungs- und Planungsprozessen befaßt sich bisher vor allem mit der Lösung gegebener Probleme und nur am Rand mit der Problemstellung selbst. Das Anliegen dieses Buches ist es, einer problemorientierten Entscheidungsfindung den Weg zu ebnen. Wenn von problemorientierter „Entscheidungsfindung" gesprochen wird, so soll damit keine starre Abgrenzung zwischen Entscheidung und Problemlösung oder Planung ausgedrückt werden. Bei der Behandlung der Problemstellungsphase kann in Übereinstimmung mit dem größten Teil der Literatur von der weitgehenden Identität von Entscheidungs- und Problemlösungsprozeß ausgegangen werden. Die vorliegenden Ausführungen betreffen aber auch den Planungsprozeß, da dieser als ein spezifischer Entscheidungsprozeß aufgefaßt werden kann, der sich von anderen Entscheidungsprozessen dadurch unterscheidet, daß er zukunftsgerichtet ist und durch ihn ein abstrahiertes Problem gelöst wird, das nur die wesentlichen Merkmale des realen Problems enthält. Dem Planungsaspekt wird zudem dadurch besonders Rechnung getragen, daß sich die Ausführungen vor allem auf indeterminierte Entscheidungssituationen beziehen. Gerade für indeterminierte Entscheidungssituationen ist aber die Planung von außerordentlicher Bedeutung. All denen, die am Zustandekommen dieses Buches beteiligt waren, sei herzlich gedankt für Ihre Unterstützung: Herrn Prof. Dr. Heiner MüllerMerbach und Herrn Prof. Dr. Wolfgang H. Staehle für die wertvollen Anregungen, die ich für die endgültige Fassung dieses Buches erhielt, meinen Mitarbeitern Herrn Dr. Günther Braun und Herrn Dipl.-Wirtsch.-Ing. Paul Kellerwessel für ihre Unterstützung bei der Anfertigung des Sachregisters und beim Lesen der Korrekturen und nicht zuletzt vor allem meiner Frau Dagmar und auch Frl. Vera Schauten für die sehr mühevolle Schreibarbeit. Essen, im Frühjahr 1977
Hans-Christian Pfohl
Inhalt
Einleitung Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung 1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung 1.1 Entscheidungsbegriff 1.2 Entscheidungsproblem und Entscheidungsfindung 1.2.1 Problemcharakter der Entscheidung 1.2.2 Entscheidungsproblem im Entscheidungsprozeß 1.2.3 Entscheidungsproblem bei der modellunterstützten Entscheidungsfindung 1.3 Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre 1.3.1 Herausbildung des entscheidungsorientierten Ansatzes. . 1.3.2 Wissenschaftsziel einer entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre 1.3.3 Entscheidungslogik und Entscheidungstheorie 1.3.4 Ergänzung der Lösungs- durch die Problemorientierung . 2 Indeterminiertheit der Entscheidungsfindung 2.1 Einflußfaktoren der Indeterminiertheit 2.2 Diskursive und intuitive Entscheidungsfindung 2.3 Unterstützung der Entscheidungsfindung 3 Formale Entscheidungsanalyse 3.1 Einschränkung auf die formale Dimension der Entscheidung. . . 3.2 Strukturanalyse 3.2.1 Entscheidungsmatrix als Ausgangspunkt der Strukturanalyse 3.2.2 Unvollkommene Information über die Entscheidungsstruktur 3.3 Prozeßanalyse 3.3.1 Phasenschema als Ausgangspunkt der Prozeßanalyse . . . 3.3.2 Beziehung zwischen den Prozeßaktivitäten
Inhalt
3.4 Funktionsanalyse 3.4.1 Zweck-Mittel-Schema als Ausgangspunkt der Funktionsanalyse 3.4.2 Erweiterung der Funktionsanalyse
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62 62 64
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
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1 Charakterisierung der Problemstellung 1.1 Problemtheoretische Aspekte 1.1.1 Methodik der Problembearbeitung 1.1.2 Entscheidungsproblem als Problemtyp 1.2 Entscheidungsproblem als Bestandteil der Entscheidungssituation 1.2.1 Darstellung der Entscheidungssituation im sozio-technischen Systemzusammenhang 1.2.2 Inneres Modell und Subjektivität der Entscheidungssituation 1.3 Entscheidungsproblem als Ausgangspunkt im Entscheidungsprozeß 1.3.1 Anregung des Entscheidungsprozesses 1.3.1.1 Anregungsinformationen 1.3.1.2 Organisation der Anregung 1.3.2 Problemstellung: Einleitungsphase im Entscheidungsprozeß
71 71 71 75
2 Problemerkenntnis 2.1 Voraussetzungen der Problemerkenntnis 2.1.1 Problemempfindlichkeit 2.1.2 Problementstehung 2.2 Suche naçh Problemen 2.2.1 Orientierung der Suche an Problementstehungsbereichen 2.2.1.1 Relevante Problementstehungsbereiche eines sozio-technischen Systems 2.2.1.2 Problementstehungsbereich Innensystem 2.2.1.3 Problementstehungsbereich Systemumwelt . . . . 2.2.1.4 Problementstehungsbereich Systemfunktion . . . 2.2.2 Ansatzpunkte für eine systematische Suche 2.2.2.1 Strategien der Problemwahrnehmung 2.2.2.2. Problemprognose
77 77 80 84 84 84 87 91 94 94 94 96 99 99 99 102 103 105 109 109 111
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Inhalt
2.2.2.3 Entscheidungstechnik und-organisation 2.2.3 Einsatz spezifischer Methoden bei der Problemsuche . . . 2.2.3.1 Suche nach Problemen mit Störungscharakter .. 2.2.3.2 Suche nach Problemen mit Chancencharakter . . 2.3 Beschreibung des Problems 2.4 Beurteilung der Entscheidungsnotwendigkeit 2.4.1 Selektive Problembearbeitung 2.4.2 Beurteilungskriterien 2.4.3 Bestimmung von auszuwertenden Soll-Ist Abweichungen
113 117 117 120 124 127 127 129
3 Problemanalyse 3.1 Ursachen-und Wirkungsanalyse 3.1.1 Ursachen- und Wirkungsanalyse als Kern der Problemanalyse 3.1.2 Einsatz spezifischer Methoden bei der Problemanalyse 3.2 Kosten-und Zeitanalyse 3.2.1 Kosten des Entscheidungsprozesses 3.2.1.1 Notwendigkeit und Problematik der Kostenanalyse 3.2.1.2 Ansätze zur Kostenschätzung 3.2.2 Zeitlicher Bezug des Entscheidungsprozesses 3.2.2.1 Zeitmerkmale des Entscheidungsproblems . . . . 3.2.2.2 Optimaler Zeitpunkt der Entscheidung
136 136
4 Problemformulierung 4.1 Formulierung von Teilproblemen 4.1.1 Ansätze zur Reduzierung der Komplexität von Entscheidungsproblemen 4.1.2 Problemzerlegung 4.1.2.1 Zur Zerlegbarkeit von Problemen 4.1.2.2 Einsatz spezifischer Methoden bei der Problemzerlegung 4.2 Problemdefinition 4.2.1 Einfluß der Problemdefinition auf den Lösungsprozeß . . 4.2.2 Komponenten der Problemdefinition 4.2.3 Anforderungen an eine Problemdefinition 4.3 Feststellen des Problemtyps
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136 138 144 144 144 147 152 152 155 159 159 159 162 162 166 175 175 178 179 182
Inhalt
Teil III: Verbindung von Problem- und Lösungsorientierung bei der Entscheidungsfindung 1 Entscheidungstechniken und -organisationsformen zur Lösung von Entscheidungsproblemen 1.1 Entscheidungsmethode 1.1.1 Grundlegende Bemerkungen zur Entscheidungsmethode 1.1.2 Auswirkung von Problemlösungsmethoden (Entscheidungsmethoden i.e.S.) auf den Lösungsprozeß 1.1.3 Heuristische Problemlösungsmethoden 1.1.3.1 Abgrenzung heuristischer und algorithmischer Programme 1.1.3.2 Gliederung und Anwendungsbereiche heuristischer Problemlösungsmethoden 1.1.3.3 Heuristische Prinzipien 1.2 Entscheidungsinstrument 1.2.1 Wichtige Entscheidungsinstrumente im Überblick 1.2.2 Die elektronische Datenverarbeitungsanlage als Entscheidungsinstrument 1.3 Entscheidungsorganisation 1.3.1 Organisation und Entscheidung 1.3.2 Organisierbarkeit und Organisationsbedürfnis von Entscheidungsprozessen 1.3.3 Formen der Entscheidungsorganisation 1.3.3.1 Individualentscheidungsprozesse und kollektive Entscheidungsprozesse 1.3.3.2 Konzeptionen zur Entscheidungsorganisation kollektiver Entscheidungsprozesse
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185 187 187 187
188 193 193 196 203 209 209 211 214 214 216 218 218 221
2 Ordnen der Entscheidungsprobleme durch Typenbildung 2.1 Typologische Methode 2.2 Merkmalsbereiche von Entscheidungstypen 2.3 Anforderungen an eine Entscheidungstypologie
225 225 230 232
3 Situative Basis einer Zuordnung von Entscheidungstechniken und -organisationsformen zu Entscheidungsproblemen 3.1 Situativer Ansatz einer Managementlehre 3.1.1 Herausbildung des situativen Ansatzes
235 235 235
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Inhalt
3.1.2 Charakterisierung des situativen Ansatzes 3.2 Bedeutung des situativen Ansatzes für die Entscheidungsforschung 3.2.1 Betonung der Problemstellungsphase des Entscheidungsprozesses 3.2.2 Betonung der typologischen Methode 4 Ansätze zur Zuordnung von Entscheidungstechniken und -organisationsformen zu Entscheidungsproblemtypen 4.1 Zuordnung zu Teilentscheidungen im Entscheidungsprozeß . . . 4.1.1 Phasenschemata 4.1.2 Elementare Lösungsschritte 4.2 Zuordnung zu unterschiedlich strukturierten Entscheidungsproblemen 4.2.1 Komplexität und Informationsgrad : 4.2.2 Programmierbarkeit 4.3 Zuordnung zu Entscheidungsproblemen auf unterschiedlichen Entscheidungsebenen 4.4 Relevanz der Merkmale von Entscheidungsproblemen für eine Zuordnung 5 Zur Problematik der Wahl der geeigneten Entscheidungstechnik und-organisationsform 5.1 Eignung von Entscheidungsmethoden 5.1.1 Kriterien zur Bewertung von Entscheidungsmethoden .. 5.1.2 Methodik der Bewertung von Entscheidungsmethoden. . 5.2 Eignung des Entscheidungsinstrumentes elektronische Datenverarbeitungsanlage 5.3 Eignung der Entscheidungsorganisation
239 242 242 243 245 246 246 250 253 253 260 266 270 273 273 273 278 281 284
Schlußbemerkung
289
Literaturverzeichnis
291
Sachregister
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Einleitung
Die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre betrachtet die Betriebswirtschaften als sozio-technische Systeme und stellt die Entscheidungsprozesse zur Gestaltung, Steuerung und Kontrolle dieser Systeme in den Mittelpunkt ihres Interesses. Die Entscheidung wird als ein in mehreren Phasen ablaufender Prozeß gesehen. Die vielen Vorschläge zur Phasenaufgliederung des Entscheidungsprozesses lassen sich im Kern auf folgende vier Phasen reduzieren: — Erkennen, Analyse und Formulierung des Problems (Problemstellung), — Suche und Ausarbeitung von Lösungsmöglichkeiten (Lösungsfindung), - Bewertung der Lösungsmöglichkeiten und Auswahl (Optimierung), - Durchsetzung der Lösung und Kontrolle (Implementierung). Nach herrschender Meinung gibt dieses Phasenschema keine zeitliche Reihenfolge an, sondern dient lediglich der formalen Analyse und Systematisierung der während eines Entscheidungsprozesses auszuführenden Aktivitäten. Zunächst befaßte man sich vorwiegend mit der Suche und Ausarbeitung sowie der Bewertung und Auswahl von Lösungsmöglichkeiten für Entscheidungsprobleme, weshalb die Entscheidungsorientierung lange Zeit einseitig durch ihre Lösungsorientierung gekennzeichnet war. Erst in neuerer Zeit beginnt man, sich vor allem auch mit der Problemstellungs- und Durchsetzungsproblematik intensiver zu befassen. Die Durchsetzungsproblematik der Entscheidung findet in Ansätzen Berücksichtigung, die den Entscheidungsprozeß als einen politischen Prozeß untersuchen. Gegenstand dieses Buches ist in erster Linie die Problemstellungsproblematik. Es soll gezeigt werden, wie die bisher noch vorherrschende Lösungsorientierung1 bei der Entscheidungsfindung in Organisationen durch die Problemorientierung zu ergänzen ist. Die Notwendigkeit zur Problemorientierung ergibt sich aus der Tatsache, daß von der Art, wie ein Entscheidungsproblem gestellt wird, der weitere Verlauf des Entscheidungsprozesses maßgeblich beeinflußt wird. Die Ergänzung der Lösungs- durch die Problemorientierung erweist sich auch besonders als erforderlich, wenn man vermeiden will, falsche Probleme oder Pro1
Die Überbetonung der Lösungs- gegenüber der Problemorientierung ist in der Wissenschaft allgemein weit verbreitet. Das wird auch daran deutlich, daß etwa Patente und überhaupt wissenschaftliche Ehren nur für Problemlösungen und nicht auch für Problemstellungen verliehen werden. Vgl. dazu Wahl (Problemtheorie) S. 167.
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Einleitung
bleme zu spät zu lösen. Die Notwendigkeit der Problemorientierung wird in der neueren Entscheidungstheorie ebenfalls in Rechnung gestellt, seit man dort mit offenen Entscheidungsmodellen arbeitet. In diesen Modellen des Entscheidungsverhaltens wird gerade der Problemstellungsphase große Bedeutung zugemessen. Als wichtiger Grund für die bisherige Vernachlässigung der Behandlung der Problemstellungsproblematik ist sicher anzuführen, daß die Problemstellung gegenüber den anderen Phasen des Entscheidungsprozesses eine stark subjektiv determinierte Phase darstellt, wodurch allgemein gültige Aussagen erschwert werden. Zudem sind bei der Auseinandersetzung mit der Problemstellungsproblematik Ansätze unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen heranzuziehen, wodurch ein einheitlicher terminologischer Bezugsrahmen nicht gegeben ist. Allerdings liegen in diesen Disziplinen bisher nur wenige empirische Forschungsergebnisse vor, so daß sich die Aussagen zwangsläufig auf Hypothesen recht unterschiedlichen empirischen Bewährungsgrades stützen müssen. Grundlage dieser Arbeit ist der entscheidungsorientierte Ansatz der Betriebswirtschaftslehre. Als Betriebswirtschaften werden im allgemeinen spezifische, nämlich kommerzielle Organisationen betrachtet. Obwohl die meisten im folgenden verwendeten Beispiele aus dem betriebswirtschaftlichen Bereich stammen, gelten die Ausführungen weitgehend für alle Arten von Organisationen. Deshalb wurde als Thema „Problemorientierte Entscheidungsfindung in Organisationen" gewählt und nicht etwa „Problemorientierte Entscheidungsfindung in Betriebswirtschaften". Typisch für die Entscheidungsfindung in Organisationen ist ihr kollektiver Charakter. Kollektive Entscheidungsprozesse lassen sich dadurch kennzeichnen, daß stets mehrere Personen an einem Entscheidungsprozeß beteiligt sind. Die Aktivitäten dieser Personen lassen sich in die drei Klassen „Aufklärungs-", „Macht-" und „Konsensbildungsaktivitäten" einteilen.2 Aufklärungsaktivitäten sind die Informationsverarbeitungsaktivitäten bei der Problemstellung und -lösung im engeren Sinn. Machtaktivitäten umfassen die Aktivitäten zur Ausübung von Macht sowie zur Mobilisierung und Sicherung von Machtgrundlagen. Konsensbildungsaktivitäten sind die Aktivitäten zur Annäherung von unterschiedlichen Standpunkten, ζ. B. Werten oder Überzeugungen. Gegenstand dieser Arbeit sind im wesentlichen die Aufklärungsaktivitäten bei der problemorientierten Entscheidungsfindung in Organisationen. Entscheidungen haben eine materielle und eine formale Dimension. Die 2
Vgl. dazu Kirsch
(Betriebswirtschaftspolitik) S. 2 7 ff.
Einleitung
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materielle Dimension umfaßt den Sachinhalt der Entscheidung. Nach dem Sachinhalt lassen sich Entscheidungen etwa unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Grundfunktionen (Beschaffung, Produktion usw.) oder unter genetischen Gesichtspunkten (Gründung, Umwandlung usw.) analysieren. Im Mittelpunkt der vorliegenden Ausführungen steht nicht diese materielle, sondern die formale Dimension. Sie umfaßt die Aspekte der Entscheidung, die unabhängig vom Sachinhalt behandelt werden können. Die Behandlung formaler Aspekte schließt insbesondere auch die Metaentscheidungen3 ein, die die Gestaltung des Entscheidungsprozesses selbst betreffen. Bezüglich dieser Frage befindet sich die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre allerdings in einem gewissen Dilemma; denn empirische Untersuchungen hierzu fehlen weitgehend, oder aber sie liefern widersprüchliche Ergebnisse bzw. solche ohne großen Informationsgehalt. Man weiß zwar, daß eine Veränderung des Entscheidungsprozesses in der Regel die Qualität der Entscheidung beeinflußt; aber in vielen Fällen liegen heute noch keine gesicherten Aussagen über die Zusammenhänge zwischen der Gestaltung von Entscheidungsprozessen und der Qualität der Entscheidung vor. 4 Das auf diese Weise eingegrenzte Thema wird in drei Teilen abgehandelt. Im ersten Teil werden die Grundlagen und Abgrenzungen zur Behandlung des Themas erläutert. Zunächst werden die problemorientierte Entscheidungsfindung und ihre Einordnung in den entscheidungsorientierten Ansatz der Betriebswirtschaftslehre charakterisiert. Ausgehend von dem Selbstverständnis der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre als einer praktisch-normativen Wissenschaft werden die Notwendigkeit und die Möglichkeiten zur Unterstützung der Entscheidungsfindung aufgezeigt. Von den verschiedenen Möglichkeiten werden im wesentlichen lediglich die Entscheidungstechnik und -organisation behandelt. Zum Abschluß des ersten Teils werden die Dimensionen der formalen Entscheidungsanalyse dargestellt, von der die gesamten Ausführungen im Prinzip ausgehen. Entscheidungstechniken und -organisationsformen, die in der Problemstellungsphase eingesetzt werden können, werden im zweiten Teil erörtert. Die wesentlichen Bestandteile des Konzepts einer problemorientierten Entscheidungsfindung werden dargestellt und die in der Problemstellungsphase zu erfüllenden Aufgaben formalanalytisch systematisiert. Es wird dabei zwischen den drei großen Aufgabenkomplexen (Aktivitätsbereichen, Teilpha3
4
Zum Begriff der Metaentscheidung vgl. Kirsch und Meffert (Organisationstheorien) S. 40 ff.; Kosiol (Zur Problematik) S. 314 f.; Mitroff und Betz (Dialectical) S. U f f . Vgl. auch Szyperski und 'Winand (Entscheidungstheorie) S. 17.
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Einleitung
sen) Problemerkenntnis, Problemanalyse und Problemformulierung unterschieden. Aus der Problemformulierung muß die Art des zu lösenden Entscheidungsproblems deutlich werden. Der dritte Teil befaßt sich mit dem Zusammenhang zwischen der Art des Entscheidungsproblems und der Gestaltung des für seine Lösung geeigneten Entscheidungsprozesses. Die Ausführungen dieses Teils stellen eine Verbindung zwischen Problem- und Lösungsorientierung dar. Sie gehen davon aus, daß auf Grund von Typenbildung und auf der Basis situativer Erkenntnisse eine Zuordnung von Entscheidungstechniken und -organisationsformen zu Entscheidungsproblemtypen möglich ist. Nach einer Diskussion verschiedener Ansätze einer solchen Zuordnung wird abschließend auf die Problematik der Wahl der geeigneten Entscheidungstechnik und -organisationsform eingegangen, da deren Eignung für einen Entscheidungsprozeß nicht nur von der Art des Entscheidungsproblems abhängt.
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
Ausgangspunkt der Arbeit ist eine Begründung der Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung. Nach einer Klärung des Entscheidungsbegriffs wird die Stellung des Entscheidungsproblems im Rahmen der Entscheidungsfindung aufgezeigt. Danach wird kurz der für die vorliegenden Ausführungen maßgebliche entscheidungsorientierte Ansatz der Betriebswirtschaftslehre erörtert, der sowohl die Lösungs- als auch die bisher vernachlässigte Problemorientierung impliziert. Wegen der Indeterminiertheit der Entscheidungsfindung kommt beim entscheidungsorientierten Ansatz der Erforschung der Ansätze zur Verbesserung der Effizienz der Entscheidungsfindung besondere Bedeutung zu. Es werden die Einflußfaktoren der Indeterminiertheit erläutert sowie die Möglichkeiten diskutiert, trotz dieser Indeterminiertheit zu einer effizienten Entscheidungsfindung zu gelangen. Abschließend wird die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehende formale Dimension von der materiellen Dimension der Entscheidung abgegrenzt. Die Grundlagen zur formalen Behandlung von Entscheidungen werden in einer Diskussion der drei Möglichkeiten der formalen Entscheidungsanalyse, nämlich der Struktur-, Prozeß- und Funktionsanalyse, vertieft.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung 1.1 Entscheidungsbegriff M a n kann allgemein davon ausgehen, daß eine Entscheidung eine orientierte, auf Informationsverarbeitung beruhende Reaktion auf eine bestimmte Situation 1 darstellt. Die verschiedenen Entscheidungsbegriffe unterscheiden 1
Diese Auffassung von der Entscheidung als orientierte Reaktion auf eine Situation wurde zunächst in der Literatur über die Psychologie der Entscheidung entwickelt. Vgl. dazu ζ. B. Biasio (Entscheidung) S. 32 ff. und die dort aufgeführte Literatur.
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
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sich im wesentlichen darin, wie diese Reaktion definiert wird. Betrachtet man beispielsweise die Entscheidung unter psychologischen Gesichtspunkten, so dienen psychologische Grundbegriffe zur Klärung der Reaktion und damit des Entscheidungsbegriffs. Geht man andererseits etwa von einer kybernetischen Betrachtungsweise aus, so werden die Grundbegriffe der Kybernetik zur Klärung des Entscheidungsbegriffs herangezogen. Hier wird zur Definition des Entscheidungsbegriffs vom entscheidungstheoretischen Denken 2 ausgegangen, das auf den Begriffen „Ziele, Alternativen und Rationalität" aufbaut. Entscheidung läßt sich danach als ein Wahlvorgang definieren. 3 Die Reaktion auf eine bestimmte Situation wird als eine zielorientierte Auswahl einer Alternative aus mehreren möglichen Verhaltensalternativen aufgefaßt. Das ist der traditionelle Entscheidungsbegriff der Wirtschaftswissenschaften, der auch zur Definition von „Wirtschaften" herangezogen wird. „Wirtschaften" kann als Wahlvorgang zwischen sich gegenseitig ausschließenden Verhaltensalternativen verstanden werden, wobei sich die Notwendigkeit zur Entscheidung aus der Knappheit der Mittel und die Möglichkeit zur Entscheidung aus ihrer mehrfachen Verwendung ergibt.4 Hervorzuheben ist an dieser Stelle, daß die Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Ziel-Mittel-Relation nicht nur die Auswahl von Mitteln zur Erreichung von Zielen, sondern — was oft übersehen wird — auch die Auswahl von Zielen für den Einsatz von Mitteln zum Gegenstand haben kann. Als Entscheidungsprinzip gilt die Rationalität. Damit soll lediglich ausgedrückt werden, daß die Wahl der Verhaltensalternative im Rahmen eines 2 3
4
Vgl. dazu Reber (Personales Verhalten) S. 1 ff. Vgl. ζ.B. Griem (Der Prozeß) S. 27ff.; Grün (Entscheidung) Sp. 478 i.-,Pfohl (Zur Problematik) S. 306; Wacker (Entwicklung) S. 17ff. und die jeweils dort aufgeführte Literatur. Kade sieht einen Unterschied zwischen dem Entscheidungsproblem und dem reinen Auswahlproblem. Das Entscheidungsproblem sei weiter gefaßt als das reine Auswahlproblem, auf dem es aufbaut. Denn im Entscheidungsproblem würden zusätzlich noch die praktische Durchführbarkeit der Alternativen und der Aspekt der Wertvorstellungen berücksichtigt. Kade (Die Grundannahmen) S. 29 f. Demzufolge wäre zwar eine Wahl ohne Entscheidung, nicht aber eine Entscheidung ohne Wahl möglich. Vgl. dazu Adelson und Norman (Operational Research) S. 410. Für Howard wird eine Wahl nur dann zur Entscheidung, wenn folgende Bedingung erfüllt ist: „ . . . an irrevocable allocation of resources, irrevocable in the sense that it is impossible or extremely costly to change back to the situation that existed before making the decision." Howard (Decision Analysis) S. 55. Kahle führt vierzehn Kriterien auf, die zu unterschiedlichen Definitionen der Entscheidung als Wahlvorgang benutzt werden. Kahle (Betriebswirtschaftliches Problemlösungsverhalten) S. 18 ff. . Vgl. Paulsen (Allgemeine Volkswirtschaftslehre) S. 138 f.
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
Wertsystems erfolgt, mit dessen Hilfe sich die Verhaltensfolgen bewerten lassen.5 Entscheidung bedeutet demnach stets eine bewußte Auswahl. Mit der Kennzeichnung der Auswahl als einen bewußten Vorgang wird die Entscheidung von einer ausschließlich antriebsunmittelbaren Reaktion6 auf eine Situation abgegrenzt, bei der keine Zäsur zwischen Antrieb und Reaktion geschaltet und somit jede Art von Überlegung ausgeschlossen ist. Das heißt jedoch nicht, daß eine Entscheidung sich in allen Teilen bewußt vollzieht7, womit Intuition, Instinkt und Erfahrung bei ihr keine Rolle mehr spielen würden. Entscheidungen liegen auf einem in Abb. 1 wiedergegebenen Kontinuum zwischen Grenzfällen der antriebsunmittelbaren und der volldeterminierten Reaktion. Letztere begründet sich auf eine vollständige Kenntnis der möglichen Alternativen und die Existenz von Auswahlkriterien, die eine eindeutige Rangordnung der Alternativen ermöglichen.8 Die antriebsunmittelbare Reaktion läßt keinen diskursiven oder gedanklich-logischen Teilbereich des Wahlvorganges zu. Ob der auch völlig von einer Maschine auszuführende gedanklich-logische Auswahlvorgang bei einem Problem mit antriebsunmittelbare Reaktion
I Q
volldeterminierte Reaktion bei eindeutiger Rangordnung der möglichen Alternativen
Zunahme des gedanklich-logischen Anteils an der Entscheidung
O
Zunahme des intuitiv-erfahrungsgemäßen Anteils an der Entscheidung Entscheidungen Abb. 1. Kontinuum von Entscheidungen mit unterschiedlichen gedanklich-logischen und intuitiv-erfahrungsgemäßen Anteilen am Wahlvorgang. s 6
7 8
Vgl. Simon (Das Verwaltungshandeln) S. 53. Vgl. dazu Langenheder (Theorie) S. 4 0 f f . ; Hagen (Rationales Entscheiden) S. 6 2 f . ; Lersch (Aufbau) S. 4 8 1 f.; Naschold (Systemsteuerung) S. 3 0 ; Bidlingmaier (Unternehmerziele) S. 135f.; Jungermann (Rationale Entscheidungen) S. 29ff. Vgl. ebenso Hellfors (Management) S. 2 0 f. Die von Bott angeführten determinierten Verhaltensweisen aufgrund von Anlage, Umwelt und Gewohnheit sind hier im Entscheidungsteilbereich der Intuition, des Instinkts und der Erfahrung erfaßt, während er sie als „entscheidungsähnliche Tatbestände" von der Entscheidung abgrenzt. Bott (Allgemeine) S. 2 ff.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
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eindeutiger Rangordnung der möglichen Alternativen noch als Entscheidung aufgefaßt werden kann, wird als strittig angesehen.9 Meistens werden die zur Auswahl stehenden Alternativen als Handlungsalternativen aufgefaßt; die Entscheidung löst dann eine Handlung (eine Aktion) aus. Das ausgelöste Verhalten braucht jedoch keineswegs immer ein Tun, sondern kann auch ein bewußtes Dulden oder Unterlassen sein. 10 Überdies wird die Meinung vertreten, daß sich eine Entscheidung nicht immer auf eine Handlung beziehen muß. So unterscheidet Irle im Anschluß an Albert zwischen Erkenntnis- und Handlungs-Entscheidung.11 Neben dem Wahlakt als einer Komponente der Entscheidung wird nach heute herrschender Auffassung als zweite Komponente der Willensakt gesetzt. 12 Durch den Willensakt identifiziert sich der Entscheidende mit der gewählten Alternative, wodurch die Vollzugsverbindlichkeit der Entscheidung manifestiert wird. Erst dadurch wird die erwünschte Reaktion auf die Situation tatsächlich ausgelöst und ein Übergang vom „mentalen Handeln" des Entscheidens zum „korporalen Handeln" 13 der Realisation ermöglicht. Entscheidung läßt sich somit als eine willensbetonte Auswahl unter Alternativen mit unterschiedlichem Anteil gedanklich-logischer und intuitiv-erfahrungsgemäßer Vorgänge definieren.
1.2 Entscheidungsproblem und Entscheidungsfindung 1.2.1 Problemcharakter der Entscheidung Boulding nennt die Entscheidung die wichtigste Klasse von Ereignissen, durch die ein Zustand eines sozialen Systems vom zeitlich nachfolgenden Zustand getrennt ist. 14 Dieses Ereignis wird dadurch ausgelöst, daß ein gegen9
10 11
12
13
14
Vgl. dazu Chmielewicz (Die Formalstruktur) S. 240 und die dort angeführte Literatur, sowie Grün (Entscheidung) Sp. 479. von Sievers (Das Zielpanorama) S. 96 und Barnard (Die Führung) S. 164. Irle (Macht und Entscheidungen) S. 142 ff. Salveson trifft sogar folgende Differenzierung: Decisions of understanding, decisions of recognition, decisions of action, decisions of enterprise. Salveson (An Analysis) S. 206 ff. Vgl. Bidlingmaier (Unternehmerziele) S. 135 ff.; Grün (Entscheidung) Sp. 480ff.; Mag (Planungsstufen) S. 829; Pfohl (Zur Problematik) S. 306 und die dort aufgeführte Literatur. Zu den Begriffen „mentales und korporales Handeln" vgl. Berthel (Informationen und Vorgänge) S. 79. Boulding (The Ethics) S. B-161. Als andere Ereignisse nennt er z. B. das Altern oder den Unfall.
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
wärtiger oder auch ein prognostizierter Zustand als unbefriedigend empfunden wird. Es entsteht das Bedürfnis, einen anderen Zustand zu erreichen. Man kann eine solche, in Abb. 2 modellhaft dargestellte Diskrepanz zwischen zwei Zuständen als Problem bezeichnen, wenn folgende Bedingung erfüllt ist: Die Überführung des Anfangszustandes in den Endzustand oder Zielzustand darf nicht unmittelbar gelingen, sondern macht einen Prozeß zum Auffinden, zur Wahl oder Verkettung geeigneter Transformationen notwendig. 15 Mit Zustand werden hierbei eine Verbindung von Merkmalen mit bestimmten Veränderbarkeitseigenschaften sowie die Relationen zwischen den Merkmalen bezeichnet.
(Spannungszustand) Abb. 2. Grundmodell eines Problems
Jedes Problem betrifft ein materielles oder ideelles Objekt, das sich in einer Umwelt befindet. Das Problem besteht dann darin, das Objekt aus einem gegebenen Zustand in einen gewünschten Zustand überzuleiten, wobei die Transformation eben nicht unmittelbar gelingt. Der Problembegriff wird immer mit einer Differenz, einem Widerspruch, einem Konflikt oder einer Spannung zwischen zwei Zuständen des Problemgegenstandes verbunden. 16 Voraussetzung für das Entstehen einer derartigen Differenz ist das Vorhandensein einer - sei es auch noch so vage empfundenen - Zielvorstellung.17 Denn nur aus einer solchen Vorstellung kann eine Unzufriedenheit mit einem gegebenen Zustand und das Bedürfnis resultieren, diesen Zustand zu verlassen. Probleme leiten sich aus einer Zielvorstellung ab und bilden das Hindernis, diese zu realisieren. Die Konkretisierung der Ziele kann ausgehend vom Anfangszustand oder Endzustand erfolgen. Im ersten Fall werden sie als po15 16
17
Vgl. Klix (Informationen) S. 640. Vgl. z.B. Franke (Das Lösen) S. 118; Pounds (The Process) S. 5; Reber (Personales Verhalten) S. 299; Shull, jr., Delbecq and Cummings (Organizational) S. 57; Uhlmann (Kreativität) S. 22f.; Ulrich (Die Unternehmung) S. 138. Vgl. auch Gregory (Die Organisation) S. 60 und S. 75; Hellfors (Management) S. 20; Wakker (Entwicklung) S. 50 ff.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
23
sitive Gegenentwürfe einer Mängellage formuliert. Im zweiten Fall werden in ihnen übergeordnete Interessen oder Werte konkretisiert. 18 Keineswegs ist ein Problem jedoch allgemein mit einer genau bestimmten Abweichung zwischen festgelegten Soll- und Ist-Zuständen gleichzusetzen, sondern es genügt „die Artikulation eines Unbehagen auslösenden Zustandes, von welchem angenommen wird, er ließe sich — zu einem Besseren hin — verändern". 19 In vielen Fällen wird der End- oder Zielzustand des Problemobjektes zunächst nur „heilend" formuliert sein, wodurch lediglich als unbefriedigend angesehene Zustände hervorgehoben und keine unmittelbar anzustrebenden Ziele angegeben werden. 20 Doch bleibt das Empfinden eines Unbehagens oder eine Unzufriedenheit mit einem Zustand an eine irgendwie geartete und empfundene Zielvorstellung gekoppelt, was freilich nicht mit der Existenz von fixierten Zielen verwechselt werden darf. Eine weitere Besonderheit des Spannungsverhältnisses zwischen dem gegebenen und dem anzustrebenden Zustand eines Problemobjektes liegt darin, daß es sich bei einem Problem nicht immer um die „Verbesserung" eines Zustandes zu handeln braucht; auch die Erhaltung eines gefährdeten Ist-Zustandes kann als Soll-Zustand gelten! 21 Liegt ein Problem vor, so können ex definitione nicht alle Informationen über Anfangs- und Endzustand sowie den Prozeß der Transformation des Problemobjektes gegeben sein. Die diesbezügliche Spannweite möglicher Probleme wird deutlich, wenn man in Abhängigkeit von den über Anfangs-, Endzustand und Transformationsprozeß bekannten Informationen Problemtypen unterscheidet. Eine Klassifikation in die folgenden drei Problemtypen, 22 — Anfangszustand und Transformation bekannt, Endzustand gesucht (Beispiel: Schachspiel), 18
Vgl. zu diesen beiden Möglichkeiten Bohret
19
Planungsakademie
Quickborn
(Grundriß) S. 15.
(Entscheidungstraining) S. 99. Von der Planungsakademie
wird dort eine Abweichung zwischen Soll und Ist sogar überhaupt nicht als ein Problem, sondern als ein noch unbekannter Fehler in einem determinierten System bezeichnet. 20
Vgl. dazu Zettl (Der Prozeß) S. 1 1 6 f .
21
Vgl. Ripke und Stöber (Probleme) S. 4 2 , Fußnote 8, u. Ulrich (Die Unternehmung) S. 138.
22
Vgl. zu dieser Klassifikation: Klix (Information) S. 6 4 1 . Zu anderen Beispielen für diese drei Problemtypen vgl. Franke
(Das Lösen) S. 3 0 f. Siehe hierzu auch die Unterscheidung in drei
Problemtypen in Abhängigkeit von den Typen von Barrieren, die den Transformationsprozeß verhindern, bei Dörner blemtypen bei Reitmann Jackson
(Problemlösen) S. 11 ff. sowie die Unterscheidung in sechs Pro-
(Cognition) S. 133 ft.·,derselbe (Heuristic Decision) S. 2 8 4 ff.; sowie
(The Art) S. 4 1 . Siehe außerdem eine weitere Unterscheidung sechs elementarer Pro-
blemtypen bei Bunge
(Scientific Research I) S. 173.
24
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
— Endzustand und Transformation bekannt, Anfangszustand gesucht (Beispiel: Herleitung kristalliner Strukturen), — Anfangs- und Endzustand gegeben, Transformation gesucht (Beispiel: viele Konstruktions- und Entwicklungsaufgaben), kann die Eckpunkte angeben, zwischen denen man sich bei der Lösung von Problemen entsprechend den vorliegenden Informationen bewegen wird. Die Literatur zur Entscheidung differenziert kaum zwischen dem Problembegriff und dem Begriff des Entscheidungsproblems. Luhmann weist auf die Bedeutung des Problembegriffs als Grundbegriff der Entscheidungstheorie hin, wobei er von der Doppelgesichtigkeit des Problems, nämlich seiner Lösungsbedürftigkeit und seiner Lösbarkeit, spricht.23 Allerdings hat bis jetzt vor allem der Gesichtspunkt der Lösbarkeit und weniger der der Lösungsbedürftigkeit im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Man beschäftigte sich also eher mit dem Entscheidungs- oder Lösungsprozeß als mit dem Entscheidungsproblem. 1.2.2 Entscheidungsproblem im Entscheidungsprozeß In der Literatur befaßt man sich schon seit langem und sehr ausführlich mit dem Prozeßcharakter der Entscheidung.24 Der Entscheidungsakt mit seinen beiden Komponenten Wahl- und Willensakt wird bei der Prozeßbetrachtung nur als eine von mehreren Phasen gesehen, in die der Entscheidungsprozeß zerlegt wird. Für eine derartige Aufgliederung gibt es eine kaum noch zu übersehende Fülle von Systematisierungsvorschlägen,25 die sich im Grund sehr wenig unterscheiden und immer wieder auf dasselbe Grundschema zurückführen lassen. Danach kann der Entscheidungsprozeß im wesentlichen in drei Phasen26 bzw. bei Einbeziehung der Willensdurchsetzung und Kontrolle in vier Phasen27 unterteilt werden. Das in Abb. 3 skizzierte Phasenschema zeigt die Problemstellung, bei der es um das Erkennen eines Problems auf Grund von Anregungsinformationen (Stimuli, Impulse) und seine anschließende Analyse und Formulierung geht, 23
Luhmann
24
Siehe dazu beispielsweise die Literaturangaben bei Pfohl (Zur Problematik) S. 3 1 3 .
25
(Grundbegriffliche Probleme) S. 4 7 4 f.
Einen guten Überblick über Vorschläge zur Phasenaufgliederung des Entscheidungsprozesses geben Budäus (Entscheidungsprozeß) S. 3 3 ff.; Franke (Das Lösen) S. 4 6 f.; Griem (Der Prozeß) S. 17ff.; Neuberger
26
(Psychologische Aspekte) S. 123 ff.
Simon unterscheidet die drei Phasen: „Intelligence", „Design" und „Choice". Simon (The New Science) S. Iff.; derselbe (Perspektiven) S. 69ff.
27
Vgl. Heinen (Das Zielsystem) S. 2 0 ff. sowie Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 73 f.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
Anregungsinformationen
Problem-
Lösungs-
stellung
findung
Erkennen, Analyse und Formulierung des Problems
Suche und Ausarbeitung von Lösungsmöglichkeiten
25
Optimierung
Implementierung
Bewertung der Lösungsmöglichkeiten und Auswahl
Durchsetzung der Lösung und Kontrolle
Abb. 3. Problemstellung als Phase des Entscheidungsprozesses
als Einleitungsphase des Entscheidungsprozesses. Später wird noch auf die Aussagefähigkeit des Phasenschemas für die Entscheidungsanalyse eingegangen. An dieser Stelle genügt der Hinweis, daß es als ein methodisches Hilfsmittel angesehen werden kann, das die logische Prozeß-Struktur verdeutlicht. Das Phasenschema zeigt die Art und die Zusammenhänge der Teilaufgaben, die im Entscheidungsprozeß wahrzunehmen sind. Es ist logisch, daß ein Entscheidungsprozeß nur eingeleitet werden kann, wenn ein Problem erkannt ist. So wie die Lösungsfindung eine Problemstellung voraussetzt, setzt dann die Optimierung eine Lösungsfindung und die Implementierung die Optimierung voraus. Andererseits besteht auch eine Rückkopplung in dem Sinn, daß Schwierigkeiten oder neu gewonnene Erkenntnisse in einer bestimmten Phase wieder auf die in der logischen Struktur vorgeordneten Phasen zurückwirken. Beispielsweise können auftretende Schwierigkeiten oder neu gewonnene Informationen bei der Lösungsfindung oder etwa der Implementierung zur Umformulierung der Problemstellung führen. Das Phasenschema zeigt, daß das Erkennen, Analysieren und Formulieren des Entscheidungsproblems in der Problemstellungsphase ein integraler Bestandteil des Entscheidungs- oder Problemlösungsprozesses ist. Es wird in dieser Arbeit nicht für notwendig erachtet, diese beiden Prozesse voneinander abzugrenzen. In Übereinstimmung mit dem größten Teil der Literatur wird von der weitgehenden Identität des Entscheidungs- und Problemlösungsprozesses ausgegangen.28 Ebenso stimmen die in der Literatur über „Systems Engineering" gemachten Systematisierungsvorschläge zur Aufgliederung des Entwurfsprozesses29 und die zur Aufgliederung des Kon28
29
Vgl. ζ. B. ebenso Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 7 0 ff. ; Szyperski und Winand (Entscheidungstheorie) S. 5 f. Zum Versuch einer Abgrenzung vgl. Budäus (Entscheidungsprozeß) S. 3 0 ff. Vgl. dazu die Ubersicht bei Kline and Lifson (Systems Engineering).
26
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
struktionsprozesses30 bei der technischen Entwicklungsarbeit gemachten Vorschläge mit dem in Abb. 3 dargestellten Grundschema überein. Man bezeichnet derartige Prozesse manchmal auch mit einem aus der Psychologie stammenden Begriff als „kognitive Prozesse"31, also als Prozesse, die Wissen und Erkenntnis vermitteln. Obwohl bei der logischen Strukturierung von kognitiven Prozessen die Problemstellung als ein wichtiger Teilaufgabenkomplex gesehen wird, dessen Wahrnehmung die logische Voraussetzung für die Erfüllung aller anderen Teilaufgaben ist, wurde ihm bisher in der Literatur doch vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt. Man befaßte sich in erster Linie mit der Lösungsfindung und Optimierung für gegebene, vorstrukturierte Entscheidungsprobleme, die dazu häufig mit realen Entscheidungsproblemen wenig übereinstimmten. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, daß man sich in der Entscheidungstheorie oder auch beim Operations Research lange Zeit auf die Behandlung bereits formulierter Entscheidungsprobleme beschränkte, insbesondere auf die Lösung von Entscheidungsmodellen, welche die Realität nur sehr unzulänglich abbildeten. 1.2.3 Entscheidungsproblem bei der modellunterstützten Entscheidungsfindung Im Mittelpunkt der modellunterstützten Entscheidungsfindung steht die Abbildung des realen Entscheidungsproblems in einem formalen Entscheidungsmodell und die Deduktion von Lösungen des im Entscheidungsmodell enthaltenen Formalproblems. Dieses Vorgehen ist typisch für das Operations Research. Man versucht im Operations Research, Realprobleme in mathematisch formulierte Entscheidungsmodelle zu übertragen und in der Modellanalyse durch Anwendung mathematischer Verfahren Lösungen für das mathematische Problem zu finden. Die Lösung realer Entscheidungsprobleme mit Unterstützung durch Entscheidungsmodelle läßt sich durch die in Abb. 4 wiedergegebenen Zusammenhänge verdeutlichen.32 Eine erfolgreiche modellunterstützte Entschei30
31
32
Vgl. dazu Beitz (Möglichkeiten) S. 162; Kesselring und Ar« (Methodisches Planen) S. 122; Pähl (Die Arbeitsschritte) S. 151. Vgl. dazu z.B. Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 68 ff. sowie Hill, Fehlbaum und Ulrich (Organisationslehre, Bd. I) S. 61 f. Vgl. zu diesen Zusammenhängen Mitroff, Betz, Pondy, and Sagasti (On Managing Science) S. 48. Siehe dazu auchBowey (Numerical) S. 38;Budäus (Entscheidungsprozeß) S. 19;Müller-Merbach (Operations Research) S. 14.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
27
dungsfindung setzt voraus, daß alle in diesem Schema angesprochenen Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden.
Abb. 4. Schematische Darstellung der modellunterstützten Entscheidungsfindung
Die Abbildung des realen Problems in einem formalen Modell beinhaltet zwei Strukturierungsstufen. Die erste Stufe, die Problemstellung, entspricht der Einleitungsphase des Entscheidungsprozesses. Das reale Problem soll auf Grund seiner Analyse durch ein konzeptionelles verbales Modell abgebildet werden, wobei es durch Abstraktion vereinfacht wird. Die Problemformulierung ist also als verbale Modellbildung zu kennzeichnen, durch die nicht die gesamte Realität abgebildet wird, sondern durch isolierende Abstraktion nur die problemrelevanten Tatbestände und Abhängigkeitsbeziehungen herausgehoben werden. Durch eine derartige Selektion der problemrelevanten Aspekte gelingt es überhaupt erst, die Realität so zu strukturieren, daß eine Definition des Problems möglich ist. 33 In der zweiten Strukturierungsstufe wird dann durch weitere Abstraktion für das formulierte Problem ein formales Modell entwickelt. Im allgemeinen spricht man erst bei dieser Stufe der Konstruktion eines formalen Modells von „Modellbildung". Es ist die Bildung eines möglichst homomorphen Modells anzustreben. Das formale Modell stellt dann eine homomorphe Abbildung der realen Problemsituation 33
Vgl. zur Funktion der Modellbildung Fußn. 32 sowie Kosiol (Modelltheoretische) S. 4.
28
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
dar, wenn zwischen beiden eine Ähnlichkeitsbeziehung besteht, die es erlaubt, jeden relevanten Punkt der Realität im Modell wiederzufinden. 34 Sollen, wie im Operations Research üblich, mathematische Verfahren zur Deduktion von Lösungen aus dem formalen Modell angewandt werden, ist dieses mathematisch zu formulieren. Sofern es für das mathematische Problem eine oder mehrere Lösungen gibt, lassen sich diese mit Hilfe rechentechnischer Manipulationen ableiten. Die aus dem formalen Modell deduzierten Lösungen sind im Hinblick auf das konzeptionelle verbale Modell der realen Problemsituation zu interpretieren. Unter Implementierung versteht man dann die Anwendung des Ergebnisses dieser Modellanalyse auf die reale Problemsituation. Die Schwierigkeit der Implementierung wird unter anderem davon abhängen, in welchem Maße man sich mit der Modellbildung von der Realität entfernt hat. Je mehr von der Realität abstrahiert wird, desto schwieriger wird ceteris paribus die Implementierung sein. Die Lösungen für durch Abstaktion vereinfachte Probleme können jedenfalls immer nur als Plan für die Lösung des Realproblems dienen. Im Vergleich zur intensiven Behandlung der rechentechnischen Verfahren zur Lösung mathematisch formulierter Probleme hat man sich mit den anderen Aspekten der modellunterstützten Entscheidungsfindung bisher vergleichsweise wenig befaßt. Dies ist um so erstaunlicher, als häufig gerade die Vorgehensweise zur Abbildung der Realität in einem Modell als das grundlegende Charakteristikum des Operations Research Ansatzes genannt wird, und nicht etwa die deduktive Manipulation vorgegebener Modellstrukturen mit Hilfe mathematischer Verfahren. 35 Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Problemstellung, deren Bedeutung als erste Strukturierungsstufe für die Abbildung der Realität in einem Modell offensichtlich ist. Denn wenn die Formulierung des Problems nicht alle problemrelevanten Tatbestände und Zusammenhänge der Realität enthält, kommt es in der zweiten Strukturierungsstufe zwangsläufig zur Bildung 34
35
Vgl. Klages (Planungspolitik) S. 85 und Rittel (Zur wissenschaftlichen) S. 120 f. Im Gegensatz zu einer homomorphen Abbildung, die „viele-zu-eins" erfolgt, wird in einer isomorphen Abbildung die Realität „eins-zu-eins" erfaßt. Bei einer homomorphen Abbildung gehen also immer Informationen verloren, so daß man die Realität durch Riicktransformation aus dem Modell nicht mehr erhalten kann. Dagegen ist bei einer isomorphen Abb., bei der keine Informationen verlorengehen, solch eine Riicktransformation möglich. Vgl. dazu Beer (Kybernetik) S. 59f.·,derselbe (Management) S. 64 u. S. 110ff.;Ei7ow (Management Control) S. 41; Kade (Die logischen Grundlagen) S. 67ff.; Kosiol (Zur Problematik) S. 94; Laager (Die Bildung) S. 19f.; Miller and Starr (Executive Decisions) S. 223ff.; Starr (Management) S. 41 ff. Vgl. dazu Hanssmann
(Operations Research) S. 4ff.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
29
realitätsferner Formalmodelle. Wie schon zu Beginn dieses Abschnittes betont wurde, gewährleistet selbstverständlich ein richtig formuliertes Problem allein noch nicht einen erfolgreichen Einsatz von formalen Modellen bei der Entscheidungsfindung. Die Modellunterstützung kann die Entscheidungsfindung nur dann tatsächlich beeinflussen, wenn alle hier angesprochenen Aspekte berücksichtigt werden.36 Dies gilt nicht zuletzt wegen der auch in Abb. 4 angedeuteten Interdependenzen, die zwischen den verschiedenen „Schritten" der modellunterstützten Entscheidungsfindung bestehen. Als Beispiel sei lediglich angeführt, daß die Bildung formaler Modelle von den einsetzbaren mathematischen Verfahren zur Deduktion von Lösungen beeinflußt wird. Nach der Charakterisierung der Rolle des Entscheidungsproblems bei der Entscheidungsfindung wird im folgenden Abschnitt auf den Ansatz der Betriebswirtschaftslehre eingegangen, für den die Behandlung der Entscheidungsfindung kennzeichnend ist. 1.3 Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre 1.3.1 Herausbildung des entscheidungsorientierten Ansatzes In der Entwicklung der deutschen Betriebswirtschaftslehre lassen sich im wesentlichen drei Phasen feststellen.37 Die erste Phase, in der die traditionelle Betriebswirtschaftslehre begründet wurde, erstreckt sich über die erste Hälfte unseres Jahrhunderts und umfaßt somit einen relativ langen Zeitraum. Die zweite Phase reicht etwa bis 1960. Sie enthält die Weiterentwicklung der Betriebswirtschaftslehre nach dem Kreig und ist stark durch die Arbeit Gutenbergs geprägt, der die Mannigfaltigkeit des betrieblichen Geschehens auf die Produktivitätsbeziehung zwischen Faktoreinsatz und Faktorer36
37
Zur „Modellbildung" (-konstruktion) vgl. Ackoff (Scientific Method) S. 117ff.; Ehinger (Einführung) S. 2 ff.; Fezer und Gillner (Probleme); Goetz (Quantitative Methods) S. 84 ff.; Gorry (The Development); Grient (Der Prozeß) S. 119ff.; Holloway (Developing); Laager (Die Bildung) S. 27ff., S. 52 undS. 57f.; Lilien (Model Relativism); Gomez u. a. (Systemmethodik, II) S. 1001 fi.; Mayntz (Modellkonstrukrion) ; Mitroff, Betz, Pondy, and Sugasti (On Managing Science); Morris (On the Art); Müller-Merbach (Operations Research) S. 14f.; Richards and Greenlaw (Management: Decisions) S. 73 ff.; Rivett (Entscheidungsmodelle) S. 17ff.;Sommer (Handbuch) S. 409ff.; Urban (Building); Weiss (Strukturierung) S. 265 ff.; White (Decision Methodology) S. 6ff., S. 69ff. und S. I l l ff. Zur Implementierung vgl. Pfohl und Riirup (Hrsg.) (Anwendungsprobleme) und Pfohl (Praktische Relevanz). Vgl. Albach (Stand und Aufgaben) S. 446 ff.; Hax (Die Entwicklung) S. 13 ff.
30
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
trag zurückzuführen versucht.38 Da diese produktivitätsorientierte Betrachtungsweise eine Einbeziehung weiterer als bedeutungsvoll erkannter Aspekte des betrieblichen Geschehens kaum ermöglicht, ist die dritte Phase, in der wir uns gegenwärtig befinden, zunächst durch die Entwicklung einer ganzen Reihe neuer Ansätze gekennzeichnet.39 Von diesen Ansätzen ist in jüngster Zeit vor allem der entscheidungsorientierte Ansatz, der auch Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist, in den Vordergrund des Interesses getreten.40 Schon 1959 schreibt Karl Hax, daß in der betriebswirtschaftlichen Forschung immer deutlicher sichtbar die unternehmerischen Entscheidungen zum Ausgangspunkt der Überlegungen gemacht würden. 41 Bei der Behandlung betriebswirtschaftlicher Probleme gewinnt damals der Gesichtspunkt der Entscheidung immer größere Bedeutung. „Dieser Wandel in der Problematik setzt bereits mit der Begründung der betriebswirtschaftlichen Theorie der Unternehmung ein und zeigt sich besonders ausgeprägt seit der betriebswirtschaftlichen Anwendung mathematischer Theorien und Verfahren des Operations Research." 42 Von „entscheidungsorientierter Betriebswirtschaftslehre" oder „betriebswirtschaftlicher Entscheidungslehre" kann man jedoch nicht schon sprechen, wenn etwa lediglich der Planungsbegriff der traditionellen Betriebswirtschaftslehre durch den Entscheidungsbegriff ersetzt wird oder Erkenntnisse der formalen Entscheidungslogik in Planungsmodelle eingebaut werden. 43 Die Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre manifestiert sich zunächst in dem Versuch, die betriebswirtschaftlichen Probleme als Entscheidungsprobleme darzustellen und zu lösen. Heinen betont jedoch, das Neue und für die Zukunft Richtungweisende dieses Ansatzes sei nicht so 38 39
40
41 42 43
Siehe dazu Gutenberg (Die gegenwärtige Situation) S. 122 f. Zu einem Überblick vgl. Kemmetmiiller (Ausgewählte Ansätze) S. 73 ff.; Schanz (Pluralismus) S. 139ff. ; Szyperski (Zur wissenschaftsprogrammatischen) S. 261 ff.; Ulrich (Unternehmensplanung) S. 20 ff. Vgl. dazu z.B. Heinen (Zum Wissenschaftsprogramm) S. 207ff.; derselbe (Entwicklungstendenzen) S. 89ff.; derselbe (Der entscheidungsorientierte Ansatz) S. 429ff.; Kirsch und Meffert (Organisationstheorien) S. 9 und die jeweils dort aufgeführte Literatur. Dlugos nennt die Entscheidungsorientiertheit als notwendige Bedingung betriebswirtschaftlicher Forschung ein spezifisches und nicht spezifizierendes Merkmal der Betriebswirtschaftslehre! Allerdings sieht er in dem Ausdruck „entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre" auch nicht unbedingt einen Pleonasmus, wenn damit die Betonung eines wesentlichen Merkmals der Betriebswirtschaftslehre erreicht werden soll. Dlugos (Analytische Wissenschaftstheorie) S. 26 und Fußnote 22 S. 47. Hax (Die Entwicklung) S. 23. Steffens (Zum Wissenschaftsprogramm) S. 749. Vgl. Wunderer (Systembildende) S. 35 ff. und S. 174 ff.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
31
sehr die Tatsache, ,^daß sich die Betriebswirtschaftslehre mit Entscheidungen befaßt, sondern die Art und Weise, die Methodik, wie sie Entscheidungen untersucht". 44 Für diese Methodik ist das Systemdenken in dreifacher Weise von Bedeutung. 45 Denn erstens versucht die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre die Entscheidungsfindung als einen Entscheidungsprozeß zu beschreiben und zu erklären, der in einem betriebswirtschaftlichen Verhaltenssystem abläuft. Zweitens basieren die Empfehlungen zur Unterstützung der Entscheidungsfindung auf einem systemanalytischen Vorgehen zur Ermittlung und Lösung von Entscheidungsproblemen. Drittens erfordern diese beiden Aspekte eine interdisziplinäre Forschung, die gemeinhin als charakteristisch für das Systemdenken angesehen wird. Das Systemdenken beeinflußt somit wesentlich die Erfüllung des Wissenschaftsziels der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, welches in der Erklärung des betriebswirtschaftlichen Entscheidungsverhaltens und im Entwickeln von Verhaltensempfehlungen bei der Entscheidungsfindung besteht. 46 1.3.2 Wissenschaftsziel einer entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre Die Betriebswirtschaftslehre hat nach heute herrschender Meinung sowohl ein theoretisches als auch ein pragmatisches Wissenschaftsziel zu erfüllen. 47 Hierzu bedient sie sich verschiedener wissenschaftlicher Aussagen. Abb. 5 zeigt, wie die Aussagen zur Erreichung des Wissenschaftsziels aufgegliedert werden können. Wenn die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre als eine angewandte Wissenschaft bezeichnet wird, 48 so unterstreicht das die besondere Bedeutung des pragmatischen Wissenschaftsziels. Denn nur pragmatische 44 45 46
47
48
Heinert (Zum Wissenschaftsprogramm) S. 208 (Hervorhebungen im Original). Vgl. dazu Pfohl (Die Logistik) S. 67 ff. Vgl. dazu Heinen (Zum Wissenschaftsprogramm) S. 209 ff. Eine übersichtliche, schematische Zusammenfassung des Entwurfs einer entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre geben z.B. derselbe (Der entscheidungsorientierte Ansatz) S. 431 oder auch Kirsch (Die entscheidungs- und systemorientierte) S. 159 sowie Kirsch und Meffert (Organisationstheorien) S. 16. Vgl. z.B. Dlugos, Eberlein und Steinmann (Wissenschaftstheorie) S. 11 f.; Ruffner (Zum Normenproblem) S. 50 ff. Vgl. Heinen (Zum Wissenschaftsprogramm) S. 209. Zur Auffassung der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft vgl. auch Schanz (Über den Stellenwert) S. 43 9 ff. und die dort zu Beginn aufgeführte Literatur.
32
Teil I: Grandlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung Wissenschaftsziele der Betriebswirtschaftslehre
Theoretisches Wissenschaftsziel
Pragmatisches Wissenschaftsziel
Technologische Aussage
Praktisch-normative Aussage
Erklärende Aussage
Definitorische Aussage Beschreibende Aussage
Prognostische Aussage
Abb. 5. Wissenschaftliche Aussagen und Wissenschaftsziele der Betriebswirtschaftslehre
Aussagen können direkt zur Realitätsgestaltung angewandt werden. Theoretische Aussagen „dagegen lassen sich nur indirekt über ihre prognostische Anwendung zur Realitätsgestaltung benutzen". 49 Die Forderung nach der Anwendbarkeit wissenschaftlicher Aussagen enthält zwei Aspekte. 50 Für die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre ist unter dem ersten Aspekt zu fordern, daß sie pragmatische Aussagen zur Gestaltung des Entscheidungsverhaltens machen muß. Der zweite Aspekt betrifft die ganz andere Frage, ob bei der Entscheidung in der Betriebswirtschaft aus den pragmatischen Aussagen ein tatsächlicher und feststellbarer Nutzen gezogen wird. Soll die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft erfolgreich sein, so muß bei der Erfüllung des pragmatischen Wissenschaftsziels gerade dieser zweite Aspekt berücksichtigt werden. Den Kern der theoretischen Aussagen bilden die erklärenden Aussagen, welche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge feststellen. „Die Technolo49
50
Dlugos, Eberlein und Steinmann (Wissenschaftstheorie) S. 12; vgl. auch Ruffner (Zum Normenproblem) S. 53. Wenn hier von „direkter" Anwendbarkeit pragmatischer Aussagen gesprochen wird, so soll damit nicht ausgedrückt werden, daß bei ihrer Umsetzung in der Praxis die spezifische Entscheidungssituation keine Berücksichtigung zu finden brauchte! Vgl. dazu Beyer (Die Lehre) S. 77. Zur praktischen Relevanz einer theoretischen Wissenschaft vgl. auch Schanz (Wider das Selbstverständnis) S. 594 ff. Vgl. Kirsch (Die entscheidungs- und systemorientierte) S. 155 und Rodenstock (Die Förderung) S. 21.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
33
g i e . . . basiert auf diesen theoretischen Aussagen und formt sie technologisch (instrumental, final, teleologisch) um, indem die Wirkungen (ganz oder zum Teil) als Ziele angestrebt und dafür die Ursachen als Mittel herbeigeführt werden." 51 Die kausale wird in eine finale Aussage transformiert, ohne daß damit eine Forderung nach der Verwendung bestimmter Ziele oder Mittel verbunden wäre. Die praktisch-normativen Aussagen fordern dagegen gerade eine Verwendung bestimmter Mittel zur Erreichung vorgegebener Ziele. 52 Diese Ausführungen genügen, um zu zeigen, daß die Ziel-Mittel-Relation kennzeichnend für die pragmatische Betrachtungsweise ist. Die ZielMittel-Relation bildet jedoch auch den Kern des Entscheidungsbegriffs unter dem Aspekt des Wahlvorgangs. Offensichtlich ist die entscheidungsorientierte also eine pragmatische Betrachtungsweise. Somit ist die Entscheidung als Ziel-Mittel-Relation für die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre von zweifacher Bedeutung:53 als Objekt, da die betriebswirtschaftlichen Probleme als Entscheidungsprobleme dargestellt werden und, wie eben gezeigt wurde, als Betrachtungsweise. Die zentrale Stellung der Ziel-Mittel-Relation in der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre macht auch die Problematik ihrer Abgrenzung als „werturteilsfreie" praktisch-normative von einer „wertenden" normativen Betriebswirtschaftslehre, in der die Verwendung bestimmter Ziele gefordert wird, deutlich. Denn wie Myrdal schon in aller Schärfe aufzeigt, sind nicht nur Ziele oder Zwecke Gegenstand von Werturteilen, sondern auch die Mittel, die zu ihrer Erreichung eingesetzt werden. 54 Das folgt daraus, daß die Mittel nicht nur einen instrumentalen Wert, sondern einen davon unabhängigen Eigenwert haben können und auch Nebenwirkungen aufweisen, die nicht durch die Zielkonzeption erfaßt werden. Zudem steht 51
Chmielewtcz
(Forschungskonzeptionen) S. 3.
Zum Unterschied theoretischer und technologischer Aussagen sowie zur betriebswirtschaftstechnologischen Forschung vgl. besonders Stählin (Theoretische und technologische) S. 2 7 ff. sowie S. 81 ff. Siehe dazu auch Fußnote 65. 52
Vgl. Chmielewtcz
(Forschungskonzeptionen) S. 72 und Ruffner
(Zum Normenproblem)
S. 5 3 ; vgl. dazu auch Myrdal (Das Zweck-Mittel-Denken) S. 3 0 5 und Wöhe
(Methodologi-
sche) S. 109. 53
Vgl. Chmielewtcz
54
Myrdal
(Forschungskonzeptionen) S. 3 3 f.
(Das Zweck-Mittel-Denken) S. 3 1 0 f f . ; vgl. dazu auch Beyer
und Chmielewtcz
(Forschungskonzeptionen)
S. 5 6 f f . ; derselbe
(Die Lehre) S. 9 5 f f .
(Die
Formalstruktur)
S. 263 ff. Siehe zum Werturteil bei der Entscheidung auch Kirsch (Die entscheidungs- und systemorientierte) S. 173 ff.
34
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
eine Ziel-Mittel-Relation nicht isoliert für sich, sondern sie ist in eine ZielMittel-Hierarchie einzuordnen, wo ein Ziel wiederum Mittel zur Erreichung des übergeordneten Ziels ist. Wie auf Grund der Ziel-Mittel-Relation gezeigt werden konnte, ist eine Entscheidung immer mit Werturteilen verbunden. Anstatt die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre nach dem sehr zweifelhaften Kriterium der Werturteilsfreiheit als praktisch-normative Wissenschaft streng von einer normativ-wertenden Wissenschaft abzugrenzen zu versuchen,55 sollte unter dem Gesichtspunkt ihrer Anwendbarkeit lediglich ihr pragmatisches Wissenschaftsziel charakterisierend hervorgehoben werden. Danach hat sie ausgehend von den theoretischen Erkenntnissen Aussagen zu machen, die direkt zur Realitätsgestaltung angewandt werden können, wobei man sich bewußt sein muß, daß diese Aussagen auch Ziele und Mittel betreffende Werturteile enthalten. Eine Erklärung der Realität ist nur mit Hilfe von Realaussagen möglich, die reale Geltung beanspruchen und faktisch wahr oder falsch sein können. 56 Idealaussagen informieren dagegen nicht über die Realität, sondern beziehen sich lediglich auf gedachte Sachverhalte. Das bedeutet allerdings nicht, daß in der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre nur Realaussagen zu machen sind. Zwar kommt ihnen in einer Wissenschaft, die reale Geltung beansprucht, tragende Bedeutung zu, doch werden zu heuristischen Zwekken auch Idealaussagen verwandt. Idealaussagensysteme, die entweder von normativen, als evident angesehenen Ausgangssätzen ausgehen oder bloße Annahmen als Prämissen einführen, haben in Realwissenschaften Hilfsfunktionen zu erfüllen. Die normativen Ausgangssätze basieren auf Werturteilen. Die auf bloßen Annahmen beruhenden Idealaussagen gehen in Realaussagen über, „wenn die Beziehungen zwischen den Prämissen und den Bedingungen, unter denen die Prämissen reale Gegebenheiten werden, durch Realaussagen abzubilden sind. Aus dieser Sicht können Idealaussagensysteme der genannten Art als potentielle Realaussagensysteme oder auch als vorgefertigte Lösungsschemata angesehen werden". 57 Real- und Idealaussagensysteme ste55
56 57
Vgl. hierzu auch Staehle, der sich für die Einbeziehung normativer Aussagen in die Betriebswirtschaftslehre, die allerdings als solche auch zu kennzeichnen sind, ausspricht. Staehle (Plädoyer) S. 184 ff. Pethia zeigt, daß Werturteile nicht nur in normative, sondern auch in erklärende Aussagen eingehen. Pethia (Values) S. 10 ff. Folgendes teilweise in enger Anlehnung an Dlugos (Unternehmungspolitik) S. 43 ff. Ebenda S. 45. Vgl. hierzu auch die zentrale Stellung der „idealistischen" sogenannten „Fiktiv-Prämissen" in der Handlungstheorie von Koch (Zum Methodenproblem, Teil I) S. 224 ff.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
35
hen demnach in einem engen Zusammenhang, der auch für die vorliegende Arbeit wichtig ist. Die Bedeutung von Idealaussagen in einer prinzipiell realwissenschaftlich konzipierten Wissenschaft ist vor allem dann besonders groß, wenn noch keine empirisch hinreichend abgesicherte Theorie existiert. Da dies auf große Teile der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre zutrifft, ist sie als „Lehre" gezwungen, die Lücken im theoretischen Erkenntnisstand durch Idealaussagen auszufüllen. 58 1.3.3 Entscheidungslogik und Entscheidungstheorie Jede Entscheidungsfindung basiert neben faktischen (indikativischen) auf wertenden Informationen. 59 Da in der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre durch Verarbeitung dieser Informationen Empfehlungen, also Imperativische Aussagen, über das Entscheidungsverhalten abgeleitet werden sollen, hat für sie die Entscheidungslogik besondere Bedeutung. Die Entscheidungslogik hat die Regeln für logische Schlußfolgerungen anzugeben, an denen Werturteile oder Imperative 60 beteiligt sind. Man bezeichnet sie deshalb auch als Imperativische61 oder deontische Logik62, d.h. Logik der Werte oder Imperative. Sie „kann nicht ohne weiteres aus der üblichen formalen Logik, die sich nur auf Behauptungssätze (Indikativsätze, Anm. d. Verf.) bezieht, übernommen werden", und zu ihren wichtigsten Prinzipien gehört der Grundsatz, „daß keine Imperativische Conclusio aus einer Menge von Prämissen, die nicht mindestens einen Imperativsatz enthält, gültig abgeleitet werden kann". 6 3 Simon unterscheidet hierbei drei Arten von Imperati58 59
60
61 62
63
Vgl. dazu Hill, Fehlbaum und Ulrich (Organisationslehre, Bd. I) S. 54 f. Zur Entscheidung zwischen faktischer, wertender und präskriptiver Information bzw. zwischen indikativischer und imperativischer oder auch zwischen deskriptiver und präskriptiver Information vgl. Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. II) S. 82 f. bzw. Heinen (Das Zielsystem) S. 50 f. sowie Szyperski (Vorgehensweise) S. 40 und derselbe (Gegenwärtiger Stand) S. 474. Werturteile geben an, was gut oder erstrebenswert ist; Imperative geben an, was sein soll. Vgl. Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 26. Zu den beiden Begriffen vgl. desweiteren Stegmüller (Hauptströmungen) S. 305. Vgl. Stegmüller (Hauptströmungen) S. 506 sowie auch Heinen (Das Zielsystem) S. 51. Vgl. Kirsch (Die entscheidungs- und systemorientierte) S. 173; derselbe (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 26. Stegmüller (Hauptströmungen) S. 506. Vgl. auchHeinen und Kirsch, zitiert in den Fußnoten 60 und 61, so wie Simon (Das Verwaltungshandeln) S. 35 und derselbe (The Sciences) S. 59 ff. Desweiteren siehe auch dazu Rescher (Semantic Foundations) S. 38 ff. Zur Anwendung der üblichen formalen Logik im betriebswirtschaftlichen Bereich vgl. Bergner (Grundzüge der formalen Logik) S. 1 ff. und Weinberg (Betriebswirtschaftliche Logik).
36
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
ven, die in einer Entscheidungslogik benötigt werden:64 — Imperative, die die Verwendung von Zielen und Beachtung von Nebenbedingungen vorschreiben. — Imperative, die das zur Zielerreichung zu verwendende Mittel vorschreiben. — Imperative, die die zu verwendenden Regeln für das Auffinden und Bewerten der möglichen Mittel zur Zielerreichung vorschreiben. Während es als durchaus strittig anzusehen ist, ob die bei theoretischen Aussagen gültige Aussagenlogik auch auf technologische Aussagen zutrifft oder ob für diese eine andere Logik gefordert werden muß, 65 ist als Grundlage für normative Aussagen eine eigene Logik Voraussetzung.66 Der Ursprung einer solchen Logik der Werturteile und Imperative oder Entscheidungslogik liegt in der klassischen Nationalökonomie.67 Im Hinblick auf ihre Weiterentwicklung weist Knapp besonders auf die Gedanken von Englis hin, der mit der kausalontologischen, der technologischen und normologischen drei grundsätzlich verschiedene Denkordnungen unterscheidet.68 Die Entscheidungslogik liefert die Basis für die Ableitung imperativischer Aussagen, die ganz bestimmte Verhaltensweisen vorschreiben, aus den Modellprämissen eines Entscheidungsmodells,69 das dann normativen Charakter hat. Das entscheidungslogische Kalkül kann aber auch deskriptiver oder explikativer — in diesem Zusammenhang werden die beiden Begriffe oft synonym gebraucht — Zwecksetzung dienen, wenn die in den Modellprämissen enthaltenen Werturteile und Imperative in „Metaaussagen" neutralisiert werden.70 Wegen der unrealistischen Annahmen, die in diesen Modellen gemacht werden, ist jedoch ihre Bedeutung für Prognose und Erklärung des Entscheidungsverhaltens sehr gering. Deshalb wurde für deskriptive Zwecke 64 65
66
67 68
69
70
Simon (The Logic) S. 183 f. Das hängt von der Annahme oder Ablehnung der These der tautologischen Transformierbarkeit theoretischer in technologische Aussagen ab. Vgl. dazu Knapp (Zur Logik) S. 604 ff., insbesondere S. 604 und S. 609. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Forderung nach einer besonderen „Bewertungslogik" bei Zangemaster (Nutzwertanalyse) S. 271. Maser bezeichnet die Gesetzmäßigkeiten des Wertens oder Logik der Entscheidungen als logische Grundlagen der normativen Wissenschaften. Maser (Wissenschaftstheoretische) S. 22. Vgl. dazu Kade (Die Grundannahmen) S. 62 ff. Knapp (Zur Logik) S. 618 und Englis (Das Problem) S. 19 ff. Im Hinblick auf die Entwicklung einer geeigneten Entscheidungslogik vgl. auch den Ansatz zur Formulierung einer Meta-Entscheidungstheorie bei: Mitroff and Betz (Dialectical) S. 14 ff. Zu den Modellprämissen und zur Ableitung imperativischer Aussagen im Rahmen eines Entscheidungsmodells vgl. Heinen (Das Zielsystem) S. 5 I f f . Vgl. zu solchen Metaaussagen: Kirsch (Die entscheidungs- und systemorientierte) S. 173 f.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
37
der Begriff der Entscheidungslogik so erweitert, daß darunter die subjektive „Psycho-Logik" eines Individuums zu verstehen ist. 7 1 Eine solche Logik hätte die Regeln anzugeben, nach denen die am Entscheidungsprozeß beteiligten Individuen tatsächlich Informationen als Entscheidungsprämissen 72 erkennen und berücksichtigen sowie daraus Schlußfolgerungen ziehen. Die Entscheidungslogik ist Bestandteil einer Entscheidungstheorie, die sich mit der logischen und empirischen Analyse des rationalen Verhaltens befaßt. Sie mag als Vorstufe einer erfahrungswissenschaftlichen oder empfehlende Aussagen machenden Entscheidungstheorie und als sprachlicher Referenzpunkt angesehen werden. 73 Unterscheidet man die entscheidungstheoretischen Ansätze danach, ob sie im Grund normativ oder deskriptiv orientiert sind, 74 so zählen die mathematisch-statistischen Ansätze 75 zu einer eher normativen Entscheidungstheorie, während die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze 76 eher deskriptiv ausgerichtet sind. Die deskriptiv orientierte Entscheidungstheorie kann als eine Theorie kognitiver Entscheidungs- oder Problemlösungsprozesse aufgefaßt werden. 77 Diese von den kognitiven Beschränkungen des Entscheidungssubjektes ausgehende Theorie steht erst am Beginn ihrer Entwicklung, so daß über ihre Aussagefähigkeit für die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre hier noch kein Urteil abgegeben werden soll. Dagegen kann der normativ orientierten Entscheidungstheorie heute zwar ein hoher heuristischer Wert, aber nur eine relativ geringe Bedeutung in ihrer präskriptiven Aussagekraft 71
72
73
Vgl. Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 26, sowie Klein und Wahl (Zur „Logik") S. 151. Zum Begriff der Entscheidungsprämisse vgl. Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 25 f.; derselbe (Entscheidungsprozesse, Bd. II) S. 97ff.; Wahl (Die Kapitalbudgetierung) S. 65 ff. Zur Problematik des Begriffs vgl. Luhmann (Grundbegriffliche Probleme) S. 4 7 1 ff. Vgl. Gäfgen (Theorie) S. 1 und S. 51 f. sowie auch Chmielewicz (Forschungskonzeptionen)
S. 25 und Wunderer (Systembildende) S. 36. 74
75
Vgl. auch Budäus (Entscheidungsprozeß) S. 11 ff,;Heinen (Zum Wissenschaftsprogramm) S. 2 1 6 ; Herne» und Naschold (Entscheidungstheorie) Sp. 6 8 9 ; N a s c h o l d (Systemsteuerung) S. 32.
Vgl. dazu z.B. Alexis and Wilson (Organizational) S. 149ff.; Edwards, Marschak, and Robinson (Decision Making)-,Jeffrey (Logik) ; Kassouf (Normative Decision) ; Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 27ff.; Langenheder (Theorie); Menges (Bibliographie); derselbe
(Grundmodelle); derselbe (Statistische); North (A Tutorial); Raiffa (Einführung); Teichmann (Der Stand). 76
Vgl. dazu z.B. Berg (Individuelle). (Zu einer knappen Charakterisierung von Neobehaviorismus, Kognitivismus und Informationsverarbeitungsansatz als drei Ansätze zur Erforschung des Entscheidungsverhaltens vgl. insbesondere S. 2 9 ff.) ; Hesselbach (Verhaltensforschung); Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 76ff.; Langenheder (Theorie).
77
Vgl. dazu Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 68 f.
38
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
zur Steuerung des Entscheidungsverhaltens beigemessen werden. 78 Das liegt in dem engen Rationalitätsbegriff des Maximierungsprinzips und den damit verbundenen Rationalitätsaxiomen begründet, von denen im Grund genommen die normative Entscheidungstheorie bis jetzt immer ausgeht. Sie kann nur dann eine größere Aussagekraft für die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre gewinnen, wenn sie sich von dem engen Rationalitätsbegriff tatsächlich löst. Dazu muß sie davon ausgehen, daß dei Rationalität bei der Entscheidung lediglich das Prinzip der Bewertung von aufzufindenden Alternativen79 zugrunde liegt und daß nur das faktisch Durchführbare rational sein kann. 80 1.3.4 Ergänzung der Lösungs- durch die Problemorientierung Die traditionelle Entscheidungstheorie ist eine Theorie der rationalen Wahl. Gäfgen fordert ihre Erweiterung durch eine Theorie der rationalen Wahrnehmung. 81 Sie wäre Voraussetzung für die Entwicklung eines normativen Konzepts, durch das rationale Regeln zur Beobachtung der Ausgangssituationen für Entscheidungen vorgegeben werden könnten. Die dazu notwendigen wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen aber beim heutigen Entwicklungsstand der Erforschung der Wahrnehmung von Problemen noch nicht vor. In der traditionellen Entscheidungstheorie, die sich auf die Behandlung geschlossener Entscheidungsmodelle beschränkt und damit das Entscheidungsproblem als gegeben ansieht, ist eine Auseinandersetzung mit der Problemstellung auch gar nicht notwendig. Sie erfolgt erst in der neueren Entscheidungstheorie, die mit offenen Entscheidungsmodellen arbeitet. Hauptmerkmal solcher offener Modelle „ist die Berücksichtigung des Zu78
79
80
81
Vgl. Naschold (Systemsteuerung) S. 48. Zum heuristischen Wert siehe auch Bössmann (Die Vorteile) S. 242ff.; Brown (Do Managers) S. 78ff.; Weber (Bedeutung) S. I f f . Im Unterschied zu Gäfgen gehen wir bei der Formulierung des Prinzips nicht nur von (gegebenen) Alternativen, sondern ausdrücklich von „aufzufindenden Alternativen" aus. Siehe dazu: Gäfgen (Theorie) S. 105. Naschold kennzeichnet das Rationalitätskonzept des offenen Modells der Entscheidungstheorie dadurch, daß es zunächst einmal von der Minimalbedingung ausgeht, „daß nur das faktisch Durchführbare rational ist." Naschold (Systemsteuerung) S. 49. Zur Diskussion über rationales Verhalten vgl. z.B. Bohret (Entscheidungshilfen) S. 25 ff.; Gäfgen (Theorie) S. 18 ff.; Hagen (Rationales Verhalten) S. 62 ff.; Ih de (Grundlagen) S. 25 ff.; Kühn (Möglichkeiten) S. 5 i(.;Pfobl (Zur Problematik) S. 308-, Reber (Personales Verhalten) S. 196 fi.; Jungermann (Rationale Entscheidungen) S. 10 ff. Gäfgen (Theorie) S. 97 und S. 126 f.
1 Notwendigkeit zur Problemorientierung der Entscheidungsfindung
39
standekommens von Entscheidungsproblemen und Entscheidungsprämissen". 8 2 Das Stellen von Entscheidungsproblemen gehört unbestritten zu den Leitungsaufgaben. Die Bedeutung dieser Leitungsaufgabe ist daraus zu ersehen, daß die Gefahr der Vergeudung von Zeit für Versuche zur Lösung falsch formulierter oder gar nicht vorhandener Entscheidungsprobleme in der Unternehmensleitung oft höher einzuschätzen ist, als die Gefahr, keine vernünftige Lösung für Entscheidungsprobleme zu finden. 83 Manche Autoren ordnen deshalb nur das Stellen des Entscheidungsproblems und nicht etwa auch das Lösen des Entscheidungsproblems oder Fällen der Entscheidung den eigentlichen Aufgaben der Leitungsspitze einer Unternehmung zu. Deutlich kommt diese Ansicht bei Mc Donough zum Ausdruck: „A dividing line is drawn between leaders and followers as one selects and defines the problem and others follow through to solve i t . " 8 4 Er betont zudem, daß die Probleme nicht nur erkannt, sondern auch so formuliert werden müssen, daß die anderen von der Wichtigkeit dieser Probleme überzeugt sind („to sell the importance of these problems"). Die Bedeutung der Problemstellung für den Entscheidungsprozeß ist empirisch nachgewiesen. So wurde in einer empirischen Untersuchung die Hypothese bestätigt, daß eine problemorientierte Bearbeitung eines Entscheidungsproblems, bei der zunächst der Problemstellung große Aufmerksamkeit gewidmet wird, im allgemeinen zu besseren Lösungen führt als eine lösungsorientierte Bearbeitung, bei der man sich sofort intensiv um seine Lösung bemüht. 85 In einer weiteren Untersuchung zeigte sich, daß falsche Annahmen zu Beginn des Entscheidungsprozesses bereits nach wenigen Informationsverarbeitungsschritten verifiziert werden. 86 Bei den Entscheidungsträgern tritt das Phänomen der kognitiven Dissonanz auf. Sie versuchen, diese zu reduzieren, indem sie neue Erkenntnisse, die den anfänglichen falschen Annahmen widersprechen, nicht akzeptieren. Die Wichtigkeit der Problemstellungsphase im Entscheidungsprozeß wird außerdem durch die Tatsache unterstrichen, daß ein Entscheidungsproblem auf Grund objektiv gleicher Daten subjektiv völlig unterschiedlich definiert wird. 87 82
Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 76.
83
Vgl. z.B. Gorry (The Development) S. 1 und Steiner (Top Management) S. 337. McDonough (Information Economics) S. 56. Vgl. audiAnshen (TheManager) S. 9 0 ; Gomberg (Entrepreneurial Psychology) S. 53;Sieber (Das Planspiel) S. 90. Vgl. dazu Maier and Solerti (Improving Solutions) S. 151 ff. Vgl. dazu Grabitz (Experimentelle Untersuchungen) S. 113 ff. Siehe S. 80 ff.
84
85 86 87
40
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
Trotz der aufgezeigten Bedeutung der Problemstellung hat man sich bisher vergleichsweise wenig mit ihr beschäftigt. Obwohl die Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre sowohl Problem- als auch Lösungsorientierung bedeutet, läßt sich der weitaus überwiegende Teil der einschlägigen Literatur durch eine einseitige Lösungsorientierung kennzeichnen. Dasselbe gilt für die akademische Ausbildung für Leitungsaufgaben.88 Auch hier wird bisher einseitig trainiert, wie bereits fertig aufgestellte Probleme zu lösen sind.
2 Indeterminiertheit der Entscheidungsfindung 2.1 Einflußfaktoren der Indeterminiertheit Bei der Erläuterung des Entscheidungsbegriffs wurde die volldeterminierte Reaktion auf ein Problem mit vollständiger Kenntnis und eindeutiger Rangordnung der möglichen Lösungsalternativen nur als Grenzfall einer Entscheidung angesehen. Charakteristisch für die Entscheidungsfindung und die daraus resultierenden Anforderungen an die Entscheider ist somit in erster Linie ihre Indeterminiertheit. Für die Entscheidungsfindung ist es dabei letztlich ohne Belang, ob es sich um eine objektive Indeterminiertheit handelt, die aus den „objektiven" mit einem Entscheidungsproblem verbundenen Schwierigkeiten resultiert, oder um eine subjektive Indeterminiertheit, die auf die kognitiven Beschränkungen zurückzuführen ist, denen ein Entscheidungsträger - das Entscheidungs„subjekt" - unterliegt. Die Indeterminiertheit der Entscheidung als eine durch Informationsverarbeitung bewirkte Reaktion auf eine bestimmte Situation läßt sich auf die Komplexität und Dynamik dieser Situation sowie auf die unvollkommene Information über sie zurückführen.89 Die Komplexität kann man als die Vielzahl der Elemente und Beziehungen und die Verschiedenartigkeit und Kompliziertheit deren Eigenschaften (ζ. B. 88
89
Vgl. dazu Honko (Die Anforderungen) S. 628 f. und die dort aufgeführte Literatur. Die Notwendigkeit, bei der Neuorientierung der Weiterbildung von Führungskräften vor allem auch die Fähigkeit zur Problemfindung stärker zu berücksichtigen, betont ebenfalls Faßbender (Krise) S. 165 f. Zum Begriff der Indeterminiertheit bzw. zu Einflußfaktoren, die sie bedingen, vgl. auch: Mus (Zielkombinationen) S. 6ff.; Reber (Personales Verhalten) S. 160ff.; Ulrich undFluri (Management) S. 34; Wittmann (Unternehmung). Die von Dörner genannten fünf Dimensionen zur Klassifizierung zu lösender Sachverhalte (Komplexität, Dynamik, Vernetztheit, Transparenz, Grad des Vorhandenseins freier Komponenten) lassen sich auf die drei hier genannten zurückführen. Denn Vernetztheit und das
2 Indeterminiertheit der Entscheidungsfindung
41
Grad von funktionalen Beziehungen oder Art von Zielbeziehungen) definieren, die in der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind. Die Schwierigkeit der Lösung komplexer Entscheidungsprobleme liegt zunächst in der Bewältigung der großen Anzahl von Parametern. Allerdings ergibt sich aus der Komplexität nicht nur eine quantitative Behinderung der Entscheidungsfindung. Die quantitative Behinderung könnte nämlich dann stark abgebaut werden, wenn es gelänge, die Vielzahl der Elemente und Beziehungen auf ein paar wenige zu reduzieren, die sich als die wesentlichen erweisen. Die Erkenntnis des Wesentlichen wird jedoch durch die Verschiedenartigkeit und Kompliziertheit der Eigenschaften der Elemente und Beziehungen erschwert. Die Schwierigkeit, die wesentlichen, charakteristischen Eigenschaften hervorzuheben, kann als eine qualitative Behinderung der Entscheidungsfindung angesehen werden. Die Dynamik ist eine Eigenschaft von Elementen und Beziehungen, die häufig als besonders hinderlich für die Entscheidungsfindung angesehen und deshalb als Einflußfaktor der Indeterminiertheit gegenüber den anderen Eigenschaften gesondert hervorgehoben wird. Sie läßt sich als Änderungsrate oder Entwicklungstempo der Elemente und Beziehungen definieren. Die Schwierigkeit der Lösung dynamischer Entscheidungsprobleme liegt darin, daß die Anzahl und/oder Eigenschaften der sie kennzeichnenden Elemente und Beziehungen sich im Zeitablauf ändern. Die unvollkommene Information in einer Entscheidungssituation kann man definieren als einen Informationsstand, bei dem die vom Entscheidungsträger zur Entscheidungsfindung tatsächlich herangezogene Information geringer ist, als die zur Lösung des Entscheidungsproblems notwendige Information. Die Schwierigkeit der Lösung von Entscheidungsproblemen mit unvollkommener Information liegt darin, daß der Entscheidungsträger eine Entscheidung treffen soll, obwohl sein Wissen über die Anzahl und/oder Eigenschaften der zu berücksichtigenden Elemente und Beziehungen beschränkt ist. Hierbei läßt sich wieder eine quantitative und qualitative Behinderung der Entscheidungsfindung unterscheiden. Von einer quantitativen Behinderung kann man sprechen, wenn nicht zu allen zu berücksichtigenden Elementen und Beziehungen Informationen vorliegen, die Informationen also unvollständig sind. Eine qualitative Behinderung ergibt sich dann, wenn die vorliegenden Informationen zu unbestimmt (unpräzise) oder zu unsicher sind. Vorhandensein freier Komponenten - mit letzterem meint Dörner
die modulare Struktur
eines Sachverhaltes - lassen sich als Teilaspekte der Komplexität auffassen. Die Transparenz betrifft dagegen die unvollkommene Information. Siehe dazu Dörner
(Problemlösen) S. 18 ff.
42
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
2.2 Diskursive und intuitive Entscheidungsfindung Die Indeterminiertheit der Entscheidungsfindung bedingt, daß bei ihr diskursives Denken - häufig auch als analytisches oder logisches Denken bezeichnet — durch intuitives Denken ergänzt werden muß. Für die diskursive Denkart ist ein abstrahierendes Vorgehen typisch, durch das immer nur einige Aspekte der realen Entscheidungssituation erfaßt werden. Andere ebenfalls relevante Aspekte können nur in der Intuition Berücksichtigung finden. 90 In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird zwar teilweise auf die Notwendigkeit des intuitiven Denkens neben dem diskursiven Denken bei der Entscheidungsfindung hingewiesen, 91 jedoch sind weiterführende Auseinandersetzungen mit diesem Entscheidungsaspekt vergleichsweise selten; oft findet sich sogar eine negative Einstellung gegenüber der Intuition, die geringschätzig als unwissenschaftlich abqualifiziert wird. 92 Der Grund dafür liegt wohl darin, daß sich über diskursives Denken viel mehr Konkretes aussagen läßt als über intuitives Denken. 93 Diskursives Denken geht seiner Art nach schrittweise vor, wobei die Schritte explizit vorgenommen und gewöhnlich vom Denkenden jemand anderem zutreffend mitgeteilt werden können. Intuitives Denken geht dagegen nicht in klar festgelegten Schritten vor, sondern basiert eher auf einer impliziten Erkenntnis des gesamten Problems. Wird die Entscheidung als Informationsverarbeitung betrachtet, so läßt sich die Rolle der Intuition bei der Entscheidungsfindung sehr gut dadurch charakterisieren, daß man sie als Spezialfall der Schlußfolgerung aufgrund vorliegender Informationen begreift: Intuition ist dann die Fähigkeit, aufgrund einer — im Vergleich zur normalerweise als notwendig erachteten — geringeren expliziten Informiertheit zu einer brauchbaren Schlußfolgerung zu 90
Vgl. Cleland and King (Systems Analysis) S. 34. Vgl. dazu auch De Bono (The Use), der zwischen „vertical thinking" und „lateral thinking" unterscheidet. Mit ersterem bezeichnet er das systematische, logische Denken, mit letzterem das Denken in Sprüngen zwischen nicht aufeinander aufbauenden Gedanken.
91
Vgl. Cleland and King (Systems Analysis) S. 3 4 ; Dichtl (Über Wesen) S. 5 2 ff.; F er ber (The Role) S.519 ff.; Greiner, Leitch, and Barnes (Putting Judgment) S. 5 9 ff.; Greenblott
and
Hung (A Structure) S. 153. Zu einer anderen Aufgliederung des Denkens in verschiedene Denkarten als Grundlagen für die Entscheidungsbildung vgl. Guilford (Persönlichkeit) S. 353 f.; Terry (Principles) S. 4 7 und S. 83 sowie Uris (Structured Group Thinking) S. 21. 92
Vgl. Brown (Judgment) S. 2 1 7 und Labscb (Intuition) S. 162.
93
Vgl. Bruner (Der Prozeß) S. 66. Zur Unterscheidung zwischen diskursivem und intuitivem Denken vgl. auch
Hoffmeister
(Wörterbuch) S. 3 3 6 und S. 1518 und Jarosevskij (Über drei Verfahren) S. 122.
2 Indeterminiertheit der Entscheidungsfindung
43
kommen. 94 Diese Fähigkeit wird für die Entscheidungsbildung vor allem dann verlangt, wenn nicht genügend oder nur sehr komplexe Informationen zur Verfügung stehen bzw. keine Zeit für eine explizite Informationsverarbeitung gegeben ist. 95 Labsch96 nennt drei Fragenkreise der Intuitionsforschung, die für die betriebswirtschaftliche Entscheidungsfindung besonders in Betracht kommen: — Auswahl von Entscheidungsträgern mit intuitiven Fähigkeiten, — Entscheidungsorganisation im Hinblick auf intuitives Denken und — Ausbildungsmöglichkeiten für intuitive Fähigkeiten. Man versucht, das Kriterium der intuitiven Fähigkeiten bei der Auswahl von "Entscheidungsträgern bisher vorwiegend durch Orientierung an ihrem bisherigen Erfolg in der Entscheidungstätigkeit zu berücksichtigen, während andererseits aber auch schon der Einsatz psychologischer Tests vorgeschlagen wird. 97 In der Entscheidungsorganisation sind die intuitives Verhalten begünstigenden situativen Faktoren und die Persönlichkeitsmerkmale intuitiver Individuen in Betracht zu ziehen. Hinsichtlich der Frage nach der Ausbildung intuitiver Fähigkeiten bei Entscheidungsträgern kann von verschiedenen Hypothesen ausgegangen werden. 98 Labsch ist z.B. der Ansicht, daß die Hypothese am gehaltvollsten sei, die intuitive Entscheidungsfähigkeit auf gewisse Persönlichkeitsmerkmale zurückführt. Eine andere oft vertretene Hypothese sieht sie dagegen als das Ergebnis von Erfahrung und Praxis. 99 Wenn in diesem Abschnitt diskursives und intuitives Denken voneinander abgegrenzt wurden, so darf das nicht in dem Sinn mißverstanden werden, daß die Entscheidungsbildung entweder nur diskursiv oder nur intuitiv ablaufe. Sie sind komplementärer Natur. 100 Methoden zur Unterstützung der 94 95 96 97 98 99
100
Vgl. Westcott (Toward) S. 98, sowie Labsch (Intuition) S. 156. Vgl. Brown (Judgment) S. 219; Labsch (Intuition) S. 157; Westcott (Toward) S. 81 f. Folgendes teilweise in enger Anlehnung an Labsch (Intuition) S. 159 ff. Zu einem solchen Vorschlag vgl. Mihalasky (Extrasensory) S. 52 f. Vgl. dazu Morris (Intuition) S.B-163ff. Obwohl es nicht explizit angegeben ist, gehen offensichtlich z.B. Richards-Greenlaw von dieser Hypothese aus. Richards and Greenlaw (Management: Decisions) S. 59f.; vgl. auch Bowen, Jr. (Let's Put) S. 80 ff. Zur Rolle der Erfahrung bei der Entscheidung vgl. außerdem Bidlingmaier (Unternehmerziele) S. 160 ff. Bruner weist ausdrücklich auf diese Komplementarität hin. Bruner (Der Prozeß) S. 67. Ähnlich spricht Jarosevskij von der Unteilbarkeit der Komponenten des Denkaktes beim schöpferischen Prozeß, und Michael hält eine Unterteilung der Ideensuchmethoden in diskursive und intuitive für nicht ganz exakt. Jarosevskij (Über drei Verfahren) S. 144·,Michael (Produktideen) S. 30.
44
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
Entscheidungsfindung können beispielsweise sowohl diskursive als auch intuitive Elemente enthalten. Welche Möglichkeiten es generell zur Unterstützung der Entscheidungsfindung gibt, wird im nächsten Abschnitt erörtert. Hierbei soll auch deutlich werden, welchen Beitrag dazu die vorliegende Arbeit zu leisten versucht.
2.3 Unterstützung der Entscheidungsfindung Durch verschiedene Möglichkeiten zur Unterstützung der Entscheidungsfindung kann versucht werden, deren Indeterminiertheit zu „überwinden" oder zu „reduzieren". Die Unterstützung der Entscheidungsfindung läßt sich allgemein definieren als das Ergreifen von Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz einer Entscheidung. Abb. 6 gibt einen Überblick über plausibel erscheinende Ansatzpunkte, die hierzu bei der Entscheidungsfindung in Organisationen gegeben sind. Es sind dies vier interdependente Aktionsparameter, mit denen man grundsätzlich das Entscheidungsverhalten in Organisationen beeinflussen kann. 101 Als effizient läßt sich eine Maßnahme dann bezeichnen, wenn mit ihr ein definiertes Ziel mit möglichst geringem Aufwand erreicht wird. 102 Die Beurteilung der Effizienz einer Entscheidung hängt also von den Zielen oder Wirkungen ab, die man mit ihr erreichen will und die dann als Effizienzvariable (-kriterien) dienen. Die Messung der Entscheidungseffizienz ist ein bisher relativ wenig erforschtes Gebiet. Gzuk befaßt sich in neuester Zeit mit dieser Frage und versucht ein operationales Konzept zur Messung von Effizienzen in Entscheidungs- und Informationsprozessen zu entwickeln. 103 Als Effi-
101
102
103
Zum Zusammenwirken zwischen diskursivem und intuitivem Denken im Problemlösungsprozeß vgl. Holliger (Morphologie: Idee) S. 37f. und Wächtler (Ein kybernetisches Modell) S. 29. Vgl. die vier Variablen des organisatorischen Wandels bei: Leavitt (Applied Organizational Change) S. 1144 ff. Von der Effizienz wird oft die Effektivität unterschieden. Als effektiv läßt sich eine Maßnahme dann bezeichnen, wenn mit ihr ein definiertes Ziel erreicht wird. Vgl. zu diesem Unterschied z.B. Hill, Fehlbaum und Ulrich (Organisationslehre, Bd. I) S. 160f.; Johnson, Newell, and Vergiti (Operations Management) S. 9; Reddin (Managerial Effectiveness) S. 3 ff. Zu einer anderen Unterscheidung dieser Begriffe vgl. Barnard (Die Führung) S. 196 ff. Gzuk (Messung) Vgl. dazu auch die Effizienzbestimmung von Organisationsstrukturen bei: Grochla und Welge (Zur Problematik); Steers (Problems). Zu Unterschieden in der Messung von Effizienz und Effektivität vgl. außerdem Ackoff (Scientific Method) S. 35 sowie derselbe (The Design) S. 29 und Kline (Maintainability) S. 6 ff.
45
2 Indeterminiertheit der Entscheidungsfindung
Entscheidungszeit υ •û •i?
< 3
i Τ f
Organisationsstruktur
Anspruchsniveau
Gesamtorganisation •
f Entscheidungsorgani sarion
c 3
Technik
Entscheidungsinstrument i Ϊ Entscheidungsmethode
J5 υ(A s
Wissen (Ausbildung, Informationsquantität und -qualität)
t
Motive, Einstellungen und Erwartungen Abb. 6. Ansatzpunkte zur Verbesserung der Entscheidungseffizienz
zienzvariablen lassen sich z.B. die „immaterielle Leistungsprozesse" und zum Teil auch die „arbeits- bzw. personenbezogene Einstellungen" betreffenden Kriterien nennen, die Witte unter den „Effizienzvariablen der Fiih-
46
Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
rung" auffuhrt. 104 Dazu zählen etwa die für die Entscheidungsfindung benötigte Zeit, der Informationsaufwand, die Zielkonformität oder die Zufriedenheit der an der Entscheidung beteiligten Gruppe. Die Effizienz der Entscheidung ist zunächst einmal abhängig von den Menschen, die an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. Prinzipiell kann man mit den Motiven, den Einstellungen und Erwartungen einerseits sowie dem Wissen andererseits zwei Ansatzpunkte für Maßnahmen zur Effizienzverbesserung unterscheiden. Motive sind unbefriedigte Bedürfnisse. Man kann versuchen, die Menschen zur Verbesserung der Entscheidungseffizienz zu motivieren, indem ihnen bei der Entscheidungsfindung Gelegenheit gegeben wird, Bedürfnisse (z.B. Bedürfnis nach Anerkennung oder Bedürfiiis nach Entfaltung persönlicher Fähigkeiten) zu befriedigen. Welche Bedürfnisse der Mensch zu befriedigen trachtet, hängt wesentlich von seinen Einstellungen und Erwartungen ab, in denen sein persönliches Wertsystem und seine Annahmen über zukünftige Ereignisse zum Ausdruck kommen und die durch seine Erziehung und Erfahrung geprägt werden. 105 Selbstverständlich werden Motive, Einstellungen und Erwartungen auch vom Wissen des Menschen beeinflußt. Andererseits ist ein gewisses Ausmaß an entscheidungsrelevantem Wissen106 über Normen, Fakten, Gesetzmäßigkeiten und Methoden Voraussetzung für das Treffen einer Entscheidung, und eine Erhöhung kann zur Effizienzverbesserung führen. Da eine Wissenserhöhung beim Entscheidungsträger über eine verbesserte Ausbildung107 und/oder über seine Versorgung mit höherer Informationsqualität oder -quantität108 möglich ist, ergeben sich hier zwei Ansatzpunkte zur Effizienzsteigerung der Entscheidung. Wie 104 105
106
107
108
Witte (Zu einer empirischen Theorie) S. 192. Vgl. dazu ζ. B. Hill, Fehlbaum und Ulrich (Organisationslehre, Bd. I) S. 57ff.; Leavitt (Managerial Psychology); Rosenstiel (Die motivationalen Grundlagen). Zur Unterscheidung von „ontologischem" und „nomologischem" Wissen vgl. Gäfgen (Theorie) S. 96 f. Eine andere Unterteilung findet sich bei Szyperski (Vorgehensweise) S. 43 f. Einen Überblick über verschiedene Arten des „Entscheidungswissens" geben Bendixen, Schnelle und Staehle (Evolution) S. 37. Zur Wissenserhöhung durch Ausbildung der Mitarbeiter einer Unternehmung vgl. z.B. Dirks (Fortbildung) sowie Rühle von Lilienstern (Produktionssteigerung). Brauch betont den Gesichtspunkt der Wissenserhöhung durch Information bei seinem Informationsbegriff. Er unterscheidet zwischen nicht aufgabenbezogener Nachricht und aufgabenbezogener Nachricht oder „potentieller Information". Wenn letztere zu einer Wissenserhöhung führt, nennt er sie „effektive Information". Brauch (Möglichkeiten zur Quantifizierung) S. 32.
2 Indeterminiertheit der Entscheidungsfindung
47
Witte in einer empirischen Untersuchung zeigt,109 kann es zu einer solchen Steigerung aber nur kommen, wenn eine Verbesserung der InformationsVersorgung von einer „Verbesserung" der Informations-Nachfrage begleitet wird. Allein eine qualitativ und quantitativ verbesserte Artikulation der Nachfrage führt zu einer bedarfsgerechten Versorgung, durch welche eine Effizienzsteigerung ermöglicht wird. Voraussetzung für eine Verbesserung der Informations-Nachfrage ist, daß der Entscheider seine Kenntnis des für eine Entscheidung notwendigen Informationsbedarfs 110 verbessert und ihn auch tatsächlich als Nachfrage artikuliert, was wegen bestehender Informationsverhaltens-Barrieren keineswegs selbstverständlich ist. Die Erreichung dieser beiden Voraussetzungen ist wenigstens zum Teil auch ein Ausbildungsproblem. Die Anwendung einer geeigneten Entscheidungstechnik bietet vielleicht die naheliegendsten Möglichkeiten zur Steigerung der Entscheidungseffizienz. Der Oberbegriff „Entscheidungstechnik" faßt die teilweise eng voneinander abhängenden methodischen und sachlichen Hilfsmittel zusammen, die zur Unterstützung der Entscheidungsfindung eingesetzt werden können. Bei Verwendung von Begriffen der elektronischen Datenverarbeitung lassen sich die Entscheidungsmethoden als die „Software" und die Entscheidungsinstrumente als die „Hardware" der Entscheidungstechnologie bezeichnen. Unter Entscheidungsmethode soll ein im Hinblick auf das Erreichen des Entscheidungszieles nach bestimmten Gesichtspunkten geordnetes Vorgehen verstanden werden. Zu den Entscheidungsmethoden gehören in erster Linie die im Entscheidungsprozeß einsetzbaren Methoden der Informationsverarbeitung (z.B. mathematische Optimierungsmethoden bzw. -verfahren), 111 aber auch die den politischen Aspekt von Entscheidungsprozessen betreffenden Methoden der Durchsetzung und der Bewältigung von Interessenkonflikten. Entscheidungsinstrumente sind physische oder anschauliche Instrumente, wie beispielsweise Computer, Bildschirme, Schaubilder oder Tabellen, deren Einsatz die Handhabung des komplexen Entscheidungsphänomens erleichtern kann. 109 110
111
Witte (Das Informations-Verhalten) S. 1 ff., insbesondere S. 46 und S. 53. Zum Informationsbedarf vgl. ζ. B. Gabele (Die Entwicklung) S. 268 f. ; Hum (Informationsbedarfsanalyse) S. 58 ff.; Koreimann (Informations- und Benutzerbedürfnisse) S. 270ff.; Prince (Information Systems) S. 252f.; Rolle (Die Ermittlung) S. 764ff.; Wacker (Betriebswirtschaftliche Informationstheorie) S. 143 ff. ; Wendt (Informationsbedarf) ; Young (Tailoring). Es soll hier nicht, wie häufig im Operations Research üblich, zwischen Methode und Verfahren unterschieden werden.
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
Die Organisationsstruktur läßt sich nach der Strukturierungsebene in zwei Bereiche untergliedern. Mit Entscheidungsorganisation ist die konkrete Gestaltung des einzelnen Entscheidungsprozesses gemeint, im Gegensatz zum Organisationsproblem der gesamtorganisatorischen Einordnung der Ent112 scheidung. Beide Probleme sind interdependent, da die Organisation der einzelnen Entscheidung auch davon abhängt, wie der Gesamtentscheidungsprozeß der Gesamtorganisation in mehrere Entscheidungsprozesse dezentralisiert ist. Während aber bei der Gesamtorganisation der aufbauorganisatorische Strukturierungsaspekt im Vordergrund steht, ist dies bei der Entscheidungsorganisation der ablauforganisatorische Strukturierungsaspekt. Schließlich bietet di e Aufgabe der Entscheidungsfindung selbst einen nicht zu vernachlässigenden Ansatzpunkt zur Verbesserung der Entscheidungseffizienz. So kann es sich als sinnvoll erweisen, das für die Zielerreichung geforderte Anspruchsniveau zu senken, wenn sich dadurch der Aufwand für die Entscheidungsfindung überproportional verringern läßt. Man begnügt sich beispielsweise mit einer „befriedigenden" statt „optimalen" Lösung des Entscheidungsproblems. Ob man sich mit einer befriedigenden Lösung zu begnügen hat, hängt unter anderem auch von der verfügbaren Entscheidungszeit ab. Die Bedeutung des Zeitaufwands und des Zeitpunkts für eine Entscheidung kommt deutlich in dem zum Ausdruck, was Mesarovic et al. das „fundamentale Dilemma der Entscheidungsfindung" bezeichnen: „on one hand there is a need to act without delay, while on the other, there is an equally great need to understand the situation better." 113 Bronner114, der sich mit den Grundlagen zu einer Theorie der Entscheidung unter Zeitdruck befaßt, betont die Notwendigkeit der Erhaltung des Zeitaspektes der Entscheidung als eigenständige Variable. Er sieht das Verhalten unter Zeitdruck als eine spezifische Form der Streßbewältigung, die abhängig ist von der verfügbaren Entscheidungszeit, von der Zeitdruck-Sensitivität der Entscheidungssubjekte und von der subjektiven Einschätzung des Problemgehaltes einer Entscheidungssituation. Es werden das Interaktions-, Informations112
113 114
Bleicher unterscheidet ebenfalls zwei Aspekte der Organisation von Entscheidungsprozessen. Er versteht unter „mikroorganisatorischer" Betrachtung von Entscheidungsprozessen das Auflösen der Entscheidungsaufgaben in ihre einzelnen Aufgabenelemente und unter „makroorganisatorischer" Betrachtung von Entscheidungsprozessen ihre Einordnung in unterschiedliche Typen organisatorischer Makrosysteme. Bleicher (Zur Organisation) S. 65 ff. Zur gesamtorganisatorischen Einordnung der Entscheidung vgl. Bleicher (Zur Zentralisation) S. 125ff.; Harre (Grundsätze) S. 194ff.; Simon (Das Verwaltungshandeln) S. 140; Vieweg (Der Einfluß) S. 82 ff. Mesarovic, Macko, und Takahara (Theory) S. 43. Bronner (Entscheidung), insbesondere S. 18 ff.
3 Formale Entscheidungsanalyse
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und Koordinationsverhalten und darauf aufbauend die Leistungseffizienz unter Zeitdruck untersucht. Im Rahmen der vorliegenden Ausführungen können nicht alle Ansatzpunkte zur Steigerung der Entscheidungseffizienz behandelt werden. Im Verlauf der Arbeit wird im wesentlichen untersucht, wie sich die Entscheidungsfindung bei der Problemstellung mit Hilfe der Entscheidungstechnik unterstützen läßt und inwieweit die Art der Problemstellung selbst den weiteren Einsatz der Entscheidungstechnik zur Lösung des Entscheidungsproblems beeinflußt. Da die Anwendung von Entscheidungstechniken häufig die Zusammenarbeit mehrerer Personen bei der Entscheidungsfindung verlangt, wird auch die für multipersonal ablaufenden Entscheidungsprozesse besonders wichtige Frage der Entscheidungsorganisation untersucht. Die Entscheidungszeit wird insofern angesprochen, als sie bei der Analyse des Entscheidungsproblems berücksichtigt werden muß. Abschließend wird in diesem ersten Teil der Arbeit noch die formale Dimension der Entscheidung analysiert, auf die sich der zweite und dritte Teil der Arbeit beziehen.
3 Formale Entscheidungsanalyse 3.1 Einschränkung auf die formale Dimension der Entscheidung Wie schon die sehr unterschiedlichen Ansätze zur Entscheidungsbegriffsbildung in der Literatur verdeutlichen, läßt sich die Entscheidungsfindung unter durchaus verschiedenen Aspekten betrachten. Schiemenz115 versucht deren Systematisierung, indem er die Vielzahl der „Sichten" der Entscheidung auf drei Aspekte reduziert, die nach seiner Ansicht in der Literatur in unterschiedlicher Stärke hervorgehoben werden. Er bezeichnet sie psychologischsoziologische, formal-organisatorische und logisch-funktionale Aspekte. Als Kriterien, nach denen sich die Entscheidung zweckmäßig analysieren ließe, sind diese Aspekte jedoch weniger geeignet, da es oft sehr unklar ist, was durch sie im einzelnen erfaßt wird. Zur Analyse der Entscheidung bietet sich als Ausgangspunkt das Instrumentarium der organisatorischen Aufgabenanalyse an. 1 1 6 Die Aufgabenanalyse „erfolgt in der Weise, daß mit Hilfe spezifischer Gliederungsprinzipien 115
Schiemenz (Regelungstheorie) S. 29 ff.
116
Vgl. Kirsch und Meffert tur.
(Organisationstheorien) S. 4 1 f. und die dort angegebene Litera-
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
ineinander verschachtelte Teilaufgabenzusammenhänge durch isolierende Abstraktion aufgelöst werden." 117 Die in der Literatur genannten Gliederungsprinzipien, die man auch als Dimensionen oder Kriterien der Aufgaben bzw. Aufgabenanalyse bezeichnen kann, lassen sich im wesentlichen auf folgende drei zurückführen: Sachcharakter, Rang und Phase. Der Sachcharakter bezieht sich auf den materiellen Inhalt der Aufgabe. Die Phase charakterisiert den genetischen Aufgabenzusammenhang, wobei mindestens in Planung, Realisation und Kontrolle differenziert wird. Aufgrund des Ranges ergibt sich eine Unterscheidung von Entscheidungs- und Ausführungsaufgaben. Die Entscheidungsaufgabe kann demzufolge nach dem Sachcharakter und der Phase analysiert werden. Eine solche Entscheidungsanalyse muß jedoch unvollständig bleiben, da es neben der Phase offensichtlich noch andere Dimensionen der Entscheidung gibt, die nicht im Sachcharakter der Entscheidung begründet sind. Dem Sachcharakter als der materiellen Dimension der Entscheidung soll deshalb die formale Dimension gegenübergestellt werden. 118 Letztere umfaßt alle Aspekte, die zunächst losgelöst vom konkreten Sachinhalt der Entscheidung und demnach bei allen Entscheidungen analysiert werden können. Di ^materielle Dimension der Entscheidung umfaßt die Aspekte, die durch den Sachinhalt einer Entscheidung bedingt sind. Sie können daher nur für eine konkrete Entscheidung bzw. für einen materiellen Entscheidungstyp (z.B. Produktions- oder Finanzierungsentscheidung) analysiert werden. Die materielle Dimension der Entscheidung hat also einen 117 118
Kosiol (Die Unternehmung) S. 60. Eine ähnliche Unterscheidung treffen Beyer und Chmielewicz. Beyer stellt formale und materielle Betrachtung der Entscheidung einander gegenüber. Chmielewicz unterscheidet mit der Analyse der Formalstruktur und der Analyse des Sachinhalts von Entscheidungen zwei Forschungsrichtungen bei der entscheidungstheoretischen Ausrichtung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Beyer (Die Lehre) S. 43 ff. und Chmielewicz (Die Formalstruktur) S. 239. Vgl. außerdem Bidlingmaier (Unternehmerziele) S. 152 und Scheibler (Betriebswirtschaftliche Entscheidungen) S. 9 ff. Die hier getroffene Unterscheidung von formaler und materieller Dimension der Entscheidung ist nicht identisch mit dem von uns an anderer Stelle gemachten Unterschied zwischen „logisch-formaler" und „empirisch-materialer" Problematik des Entscheidungsproblems (vgl. Pf ohi (Zur Problematik) S. 325 ff.) oder der Unterscheidung von „entscheidungslogischer" und „empirisch-kognitiver" Aufgabenstellung der theoretischen Entscheidungsanalyse bei Steffens (Zum Wissenschaftsprogramm) S. 7SUL Der hier verwandte Begriff „formal" ist also nicht identisch mit dem Begriff der Formalwissenschaft (Logik, einschließlich Mathematik). Obwohl die Entscheidungslogik eine besondere Rolle spielt, bleibt die formale Entscheidungsanalyse nicht auf sie beschränkt und besitzt daher eine wesentlich größere pragmatische Relevanz. Vgl. Beyer (Die Lehre) S. 44.
3 Formale Entscheidungsanalyse
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wesentlich geringeren Grad an Allgemeingültigkeit als die formale Dimension. In Abb. 7 ist deshalb nur die formale Dimension weiter untergliedert, auf die wir uns auch im Rahmen dieser Arbeit beschränken werden.
Abb. 7. Dimensionen der Entscheidung
Zur Aufgliederung der formalen Dimension der Entscheidung kann davon ausgegangen werden, daß sich formal jedes Objekt grundsätzlich entweder durch strukturelle Eigenschaften, die sich auf seine Zusammensetzung, oder durch funktionale Eigenschaften, die sich auf seine Verwendung beziehen, beschreiben läßt. 119 Faßt man ein Untersuchungsobjekt — hier also die Entscheidung - als System auf, so ist unter Struktur die Anordnung seiner Elemente und der Zusammenhang ihrer Eigenschaften und Beziehungen untereinander sowie zum Ganzen zu verstehen.120 Di ^Funktion eines Systems läßt sich zunächst als eine extern orientierte Aufgabe 121 bezeichnen oder als Aufgabe, die es im Rahmen seiner Umwelt gegenüber einem anderen System zu erfüllen hat. Struktur und Funktion bieten sich als Ansatzpunkte zur Analyse eines jeden Systems an. Zwischen ihnen besteht insofern ein enger Zusammenhang, als die Funktionserfüllung weitgehend von der Struktur bestimmt wird und Strukturen zum Zwecke der Funktionserfüllung gebildet werden. Allerdings kann eine Funktion von Systemen mit durchaus unterschiedlichen Strukturen in gleicher Weise erfüllt werden. 119
120
121
Ackoff fordert deshalb auch, daß vor der Definition eines Begriffs Klarheit darüber bestehen soll, ob er im Hinblick auf das Forschungsziel funktional oder strukturell zu betrachten ist. Ackoff (The Design) S. 57. Vgl. z. B. Kosiol (Organisation - der Weg) S. 7; derselbe (Die Unternehmung) S. 54; Chestnut (Prinzipien) S. 87. Νaschold gebraucht diesen Begriff zur Bezeichnung der Funktion einer Organisation. Nasch old (Funktionsanalysen) S. 99.
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
Durch eine Strukturanalyse versucht man, ein System durch systematische Aufgliederung in einfacher zu überschauende Subsysteme bzw. Elemente zu zerlegen und dadurch die Komplexität zu reduzieren. In Abhängigkeit von der Art der durch die Analyse erfaßten Zusammenhänge lassen sich dann verschiedene Strukturtypen122, wie etwa zeitliche, räumliche oder auch funktionale Strukturen, feststellen. Während bei der Strukturanalyse stets der Aspekt der Aufgliederung des Ganzen zur Komplexitätsreduktion im Vordergrund steht, liegt der Schwerpunkt der Funktionsanalyse auf der ZielMittel-Relation. 123 Man versucht, mit ihr die von Systemen nach außen zu erfüllende(n) Funktion(en) herauszuarbeiten und davon die als Mittel zur Erfüllung dieser Funktion(en) dienenden weiteren Funktionen abzuleiten. Bei der Behandlung von Strukturierungsfragen wird im allgemeinen zwischen Aufbau und Ablauf oder Prozeß unterschieden. Eine solche Trennung erscheint zunächst recht willkürlich, da sich die Grenze zwischen Aufbauund Ablaufstrukturierung nicht exakt festlegen läßt und nur von praktischen Gegebenheiten bestimmt wird. So findet Kosiol beispielsweise die Gliederungstiefe für seine im Hinblick auf die Aufbauorganisation durchzuführende Aufgabenanalyse, in der er nichtpersonenbezogen die Gesamtaufgabe der Organisation rein logisch-deduktiv aufgliedert, nur dadurch, daß er personenbezogen letzte Teilaufgaben festlegt.124 Diese Elementaraufgaben werden dann nicht mehr unter dem Aufbau- sondern unter dem Ablaufgesichtspunkt analysiert. Aufbau und Ablauf sind nach seiner Meinung nur zwei verschiedene Gesichtspunkte der Betrachtung für den gleichen einheitlichen Gegenstand, deren Unterscheidung in gedanklicher Abstraktion allerdings methodisch wichtig sei.125 Wir sind mit Schweitzer der Ansicht, daß die herkömmliche Trennung von Strukturierungsfragen in Aufbau und Ablauf letztlich aufgehoben werden sollte, jedoch wegen der großen Komplexität der Betriebswirtschaft eine getrennte Behandlung oftmals noch erforderlich 122
123
124 125
Vgl. dazu Chestnut (Prinzipien) S. 90f.; derselbe (Information) S. 4ff.; Jirasek und Mai (Kybernetisches Denken) S. 46. Vodrazka kommt nach einer Erörterung verschiedener Funktionsbegriffe zu dem Ergebnis, daß sie alle eine Mittel-Ziel—Beziehung zum Inhalt haben. Vodrazka (Zum Funktionsbegriff) S. 222. Vgl. dazu außerdem Wunderer (Systembildende) S. 160 ff. Zum Zusammenhang zwischen Funktions- und Strukturanalyse bei der Unternehmensführung vgl. Beyer (Die Lehre) S. 35 ff. Zur Kritik an der Gleichsetzung bzw. Vermischung der Ziel(Zweck)-Mittel-Relation mit der Ganzes—Teil—Relation in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre vgl. Luhmantt (Zweckbegriff) S. 36ff. Kosiol (Die Unternehmung) S. 62 und derselbe (Organisation der Unternehmung) S. 47. Vgl. Kosiol (Organisation der Unternehmung) S. 32.
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ist. 126 Dies gilt besonders auch für die Entscheidung, die sich in ihrem grundsätzlich in der Entscheidungsmatrix darzustellenden Aufbau und in ihrem in bestimmten Phasen ablaufenden Prozeß analysieren läßt. 127 In der entscheidungs- und systemorientierten Literatur ist es üblich, den Strukturbegriff auch in einem engeren Sinn zu verwenden. Er bezeichnet dann nur den Aufbauaspekt und wird vom Prozeßbegriff unterschieden. 128 Wir gehen von dieser Terminologie aus und trennen die Struktur- von der Prozeßanalyse, die wir zusammen mit der Funktionsanalyse als drei interdependente, einander sich ergänzende Möglichkeiten der formalen Entscheidungsanalyse behandeln. 3 . 2 Strukturanalyse 3.2.1 Entscheidungsmatrix als Ausgangspunkt der Strukturanalyse Bei der Analyse der Entscheidungsstruktur kann man vom Problemcharakter der Entscheidung ausgehen. Danach soll durch die Entscheidung ein sich in einer Umwelt befindendes Problemobjekt aus seinem Anfangszustand in einen gewünschten Endzustand transformiert werden. Faßt man die Alternativen (Transformationsmöglichkeiten), die zur Erreichung der für den anzustrebenden Endzustand maßgebenden Ziele führen können, mit diesen Zielen und möglicherweise eintretenden Situationen der Umwelt (mögliche Umwelten) sowie den Ergebnissen (mögliche Endzustände), die sich mit den einzelnen Alternativen in den möglichen Situationen erreichen lassen, in Tabellenform zusammen, so erhält man eine Entscheidungsmatrix. In ihr lassen sich in komprimierter Form die Entscheidungsprämissen darstellen, die alle Informationen enthalten, von denen der Entscheidungsträger bei seiner Entscheidungsfindung bewußt ausgeht. Bei der modellunterstützten Entschei126
127
128
Schweitzer (Methodologische) S. 286. Siehe dazu auch Wacker (Betriebswirtschaftliche Informationstheorie) S. 79 sowie die Forderung nach einer integrierten Funktional-, Prozeßund Strukturbetrachtung als Grundlage einer umfassenden Erklärung der Führungstätigkeit bei Beyer (Die Lehre) S. 43. Vgl. auch Dichtl (Über Wesen) S. 50 und Rühli (Grundzüge) S. 278 sowie auch derselbe (Die Besonderheiten) S. 17ff. Die Notwendigkeit und grundlegende Bedeutung einer begrifflichen Trennung von Struktur und Prozeß in der Systemtheorie, aber auch die Notwendigkeit ihrer gemeinsamen Behandlung betont Luhmann (Zweckbegriff) S. 42 ff. Ulrich spricht bei der ablauforientierten Verwendung des Strukturbegriffs von der „Prozeß-Struktur". Ulrich (Die Unternehmung) S. 110; vgl. dazu auch Matthes (Grundmodell).
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
dungsfindung versucht man, eine solche Entscheidungsmatrix mit Hilfe formaler Modelle zu erstellen. Die Gesamtheit aller vom Entscheidungsträger bewußt oder unbewußt akzeptierten Entscheidungsprämissen wird auch als Struktur bezeichnet. 129 Die Entscheidungsmatrix dient dazu, die bewußte Struktur zu verdeutlichen. st
Situationen \Ziele Alternativen
Z!
z2
ai
(en)i
(enh
32
(e2l)2 (e21>2
an
(e„i)i (em)2
Sm Z p
Z!
z2
Z p
(eim)i (einOi
(elm)p
(e2l)p
(e2m)l (e2m)2
(e2m)p
(eni)p
(enni)l
(
e
ll)p
(Znmh
(^nm)p
Abb. 8. Entscheidungsmatrix130) Mit a¡ (i = 1, 2, ... n) werden die Alternativen bezeichnet. Andere Ausdrücke dafür sind: Verhaltensweisen, Maßnahmen, Verhaltensmöglichkeiten, Aktionen, Strategien oder Instrumentvariablen. Mit Sj (j = 1, 2, . . . m) werden die Situationen bezeichnet. Andere Ausdrücke dafür sind: Zustände der Realität, Datenkonstellationen, Umweltstrategien oder Erwartungsvariablen. Mit Z k (k = 1, 2, . . . p) werden die Ziele bezeichnet. Mit ( e ¡ j ) k = f (a¡, S j , Z k ) werden die Ergebnisse bezeichnet. Andere Ausdrücke dafür sind: Erfolge, Konsequenzen oder Zielerreichungsgrade der Alternativen, m, η und ρ sind endliche Zahlen.
Oft wird das in Abb. 8 wiedergegebene Grundmodell der Entscheidungsmatrix auch als Ergebnismatrix bezeichnet. Indem man mit Hilfe von Bewertungsmetboden jedem Ergebnis (e ¡j)k entsprechend der subjektiven Präferenzen des Entscheidenden einen Wert oder Nutzen (Ujj)k zuordnet, wird diese Ergebnismatrix in eine Entscheidungsmatrix transformiert. 131 Die Entscheidungsmatrix enthält in diesem Fall also statt der Ergebnisse selbst die subjektiv bewerteten Ergebnisse. Da ein solcher Bewertungsvorgang jedoch nicht 129
130 131
Vgl. hierzu Budäus (Entscheidungsprozeß) S. 3 9 f. und die dort aufgeführte Literatur sowie Fußnote 59 der vorliegenden Arbeit. Entnommen aus Pfohl (Zur Problematik) S. 309. Vgl. z.B. Weber (Bedeutung) S. 1.
3 Formale Entscheidungsanalyse
55
bei allen Entscheidungen notwendig ist, erscheint es durchaus gerechtfertigt, auch die Ergebnismatrix als eine Entscheidungsmatrix zu bezeichnen. Das gilt um so mehr, als auch die Entscheidungsmatrix mit den Wertgrößen (u;j)k keine eindeutige Entscheidung garantiert. Wie bei der Ergebnismatrix ist dies nur im Falle einer dominierenden Alternative gewährleistet, deren (bewertete) Ergebnisse den entsprechenden Ergebnissen aller anderen Alternativen vorgezogen werden oder ihnen zumindest gleich sind. In allen anderen Fällen sind sowohl die Präferenzordnungen innerhalb der Ergebnisse, die durch Ausrichtung auf die Ziele gegeben sind, als auch die auf Grund von Bewertungsmethoden ermittelten Präferenzordnungen bei den bewerteten Ergebnissen mit Hilfe von Entscheidungsregeln132 zusammenzufassen. Dadurch kann jeder Alternative ein einziger Wert zugeordnet werden, so daß die Entscheidungsregeln die Erstellung einer eindeutigen Rangordnung der Alternativen gewährleisten.133 Die Entscheidungsmatrix hat als Grundmodell der Entscheidungstheorie für diese eine anerkannte Bedeutung.134 Die praktische Bedeutung erscheint zunächst gering, wenn man bedenkt, daß sich reale Entscheidungen oft nur mit größten Schwierigkeiten oder überhaupt nicht auf eine Entscheidungsmatrix reduzieren lassen.135 Dennoch ist der Entscheidungsmatrix auch ein nicht geringer praktischer Wert zuzumessen, der im Struktureffekt ihrer Anwendung begründet ist. Wird vom Grundschema der Entscheidungsmatrix ausgegangen, so erkennt man die Notwendigkeit einer Strukturanalyse der Entscheidung, mit der die Art der Entscheidungsprämissen und die zwischen ihnen bestehenden Interdependenzen aufgedeckt werden sollen. Zumindest erreicht man damit den Versuch einer systematischen Darstellung des Entscheidungsproblems und seiner Lösungsmöglichkeiten, deren Vorteilhaftigkeit für die Entscheidungsfindung verschiedentlich experimentell bestätigt wurde.136 132
Zur Entscheidungsregel vgl. Pfobl
133
Zangemeister
(Zur Problematik) S. 3 0 9 ff.
nennt die mit Hilfe einer Entscheidungsregel ermittelte einspaltige Matrix,
aus der die Rangordnung der Alternativen abgelesen werden kann, eine „Nutzwertmatrix". Die Matrix mit den Ergebnissen bezeichnet er als „Zielertragmatrix" und die Matrix mit den bewerteten Ergebnissen als „Zielwertmatrix". Zangemeister
(Nutzwertanalyse)
S. 2 7 1 ff. 134
Vgl. z.B. Ihde
135
Vgl. Bühlmann,
136
Vgl. Weber
(Grundlagen) S. 25ff. Loeffel,
Nievergelt
(Einführung) S. 7.
(Bedeutung) S. 5.
Hinweise für eine systematische Darstellung gibt der ausführliche Katalog von Merkmalen und Merkmalsausprägungen von Zielen, Alternativen, Situationen und deren Abhängigkeiten sowie Ergebnissen und deren Abhängigkeiten bei Laager
(Die Bildung) S. 3 5 ff.
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Entscheidungsmatrix als Ausgangspunkt für eine Strukturanalyse angesehen werden kann. Diese soll aufzeigen, von welcher Problemstellung und möglichen Situationen, Zielen und Alternativen bei der Entscheidungsfindung auszugehen ist. Sie hat Aufschluß über den Typ und die besonderen Schwierigkeiten des zu lösenden Problems, die Art der Situationen und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens, über Inhalt, Ausmaß, zeitlichen Bezug und organisationale Durchsetzbarkeit von Zielen sowie über die Zielwirkungen, synergetischen Wirkungen, Flexibilität und Durchsetzbarkeit der gefundenen Alternativen zu geben. Ferner sind die Zusammenhänge 1 3 7 zwischen Alternativen, Zielen und Situationen festzustellen, auf Grund derer sich die Ergebnisse bestimmen lassen. Wenn die Strukturanalyse Aufschluß über die der Entscheidungsfindung zugrunde liegenden Informationen zu geben hat, so ist für sie der Vollkommenheitsgrad dieser Informationen von Bedeutung. 3.2.2 Unvollkommene Information über die Entscheidungsstruktur Wird von vollkommener Information über die Entscheidungsstruktur gesprochen, so werden damit global mehrere Merkmale der Information zusammengefaßt, die jedoch bei gesonderter Betrachtung durchaus unterschiedliche Konsequenzen für die Entscheidungsfindung haben können. Deshalb ist es notwendig, den summarischen Begriff der unvollkommenen Information durch Aufgliederung in seine drei Komponenten Unvollständigkeit, Unbestimmtheit und Unsicherheit zu präzisieren. 138 Unter Unvollständigkeit der Information versteht man das Fehlen von Informationen, so daß die Entscheidungsstruktur nur lückenhaft bekannt ist. Die pragmatische Bedeutung dieser mengenmäßigen Lücke hängt von der unterschiedlichen Wichtigkeit (Zweckeignung) der fehlenden Information für die Entscheidungsfindung ab. 137
138
Siehe zur Unterscheidung von Beziehungsarten Betz und Mitroff (Representational) S. 1247. Zum Unterschied von Konkomitanz- und funktionalen Beziehungen einerseits und kausalen Beziehungen andererseits vgl. Behrendt (Zustandsanalysen) S. 13 f. Folgende Aufgliederung erfolgt in enger Anlehnung an Kosiol (Die Unternehmung) S. 198 ff. Siehe dazu auch Griem (Der Prozeß) S. 49 ff.; Wacker (Betriebswirtschaftliche Informationstheorie) S. 52f.; Wild (Grundlagen der Unternehmungsplanung) S. 124ff. Es interessiert an dieser Stelle nicht, ob die Unvollkommenheit der Information aus unvollkommener Informations-Versorgung oder aus unvollkommener Informations-Nachfrage resultiert. Vgl. dazu Witte (Das Informations-Verhalten) S. 73 f.
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57
Während die UnVollständigkeit den quantitativen Aspekt der unvollkommenen Information betrifft, beinhalten die beiden anderen Komponenten den qualitativen Aspekt. Die Unbestimmtheit der Information bezieht sich auf den Informationsgehalt. Die Entscheidungsstruktur ist möglicherweise lückenlos bekannt, jedoch können die Informationen so unpräzise sein, daß sie für eine fundierte Entscheidungsfindung nicht ausreichen oder sie doch sehr erschweren. Unter diesem Aspekt ist beispielsweise auch die Notwendigkeit der Quantifizierung von Informationen über die Entscheidungsstruktur für den Einsatz bestimmter Entscheidungsmethoden zu sehen. Die Unsicherheit der Information betrifft ihren empirischen Wahrheitsgehalt. In welchem Maß eine Information als unsicher zu bezeichnen ist, hängt davon ab, inwieweit die mit ihr gemachte Aussage tatsächlich mit der Realität übereinstimmt. Dabei ist zu beachten, daß zwischen Unbestimmtheit und Unsicherheit der Information eine umgekehrt proportionale Beziehung besteht. Bei gleichbleibenden Voraussetzungen nimmt die Unsicherheit der Information mit sinkender Unbestimmtheit zu.139 Jede dieser Komponenten der unvollkommenen Information bietet besondere Ansatzpunkte für die Verbesserung der Information im Hinblick auf eine besser strukturierte Entscheidung. Auf Grund einer Strukturanalyse kann die Forderung nach einer verbesserten Informationsgrundlage für die Entscheidungsfindung gezielter formuliert, der Informationsbedarf genau spezifiziert werden. Es läßt sich angeben, ob Informationen über wichtige Entscheidungselemente bzw. zwischen ihnen bestehenden Beziehungen gänzlich fehlen, ob bereits vorhandene Informationen zu präzisieren sind oder ob eine Aussage durch zusätzliche Untersuchungen abgesichert werden soll. Ist eine Erhöhung des Sicherheitsgrades einer Aussage auf diese Weise nicht möglich, so ist es oft sinnvoller, ihr eine unbestimmtere und deswegen weniger unsichere Aussage als Entscheidungsgrundlage vorzuziehen. Es wird häufig nicht genügend beachtet, daß die unvollkommene Information sich auf die gesamte Entscheidungsstruktur bezieht. Sie wird herkömmlich zunächst in Verbindung mit den Umweltsituationen gesehen, und man
139
Vgl. hierzu besonders Popper (Logik) S. 83 ff. und S. 314. Diese negative Korrelation von Bestimmtheit und Sicherheitsgrad gilt bei konstant gehaltener Allgemeinheit (Bedingtheit) der Information, welche neben der Bestimmtheit ebenfalls ein wichtiger Einflußfaktor des Informationsgehaltes ist. Unter Allgemeinheit ist dabei der Gültigkeitsbereich einer Aussage zu verstehen. Je mehr Bedingungen mit einer Aussage verknüpft sind, desto geringer ist ihre Allgemeinheit.
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
schränkt vor allem die Unsicherheit 1 4 0 fälschlicherweise auf diese Entscheidungsprämissen ein. Unvollkommene Information, besonders auch in ihrer Komponente der Unsicherheit, vermag jedoch ebenso hinsichtlich der Alternativen und der Ergebnisse zu bestehen. Teichmann
fordert deshalb ζ. B. die
Erstellung einer zweiseitig mehrwertigen Entscheidungsmatrix, in der nicht nur die mehrwertige Erwartung bezüglich der Situationen der Umwelt, sondern auch die mehrwertige Erwartung über die Eigenschaften einer Alternative erfaßt werden k a n n . 1 4 1 Andererseits muß auch zwischen der Unsicherheit über die Umwelt, auf Grund derer mehrere verschiedene Ergebnisse pro Alternative erwartet werden, und der Unsicherheit, auf Grund derer diese Ergebnisse nur ungenau prognostiziert werden können, unterschieden werd e n . 1 4 2 Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines bestimmten Ergebnisses ist deshalb nur dann mit der Eintrittswahrscheinlichkeit der jeweiligen Umweltsituation identisch, wenn das Ergebnis pro Umweltsituation eindeutig bekannt ist. 1 4 3 Die unvollkommene Information über die Entscheidungsstruktur bestimmt wesentlich den Vorgang oder Prozeß der Entscheidungsbildung. Denn sie bedingt Operationen der Informationsgewinnung und -Verarbeitung, die den Ablauf des Entscheidungsprozesses charakterisieren. 140
141
142
143
Wenn die Subjektivität der Unsicherheit betont werden soll, wird in der Literatur im allgemeinen statt des Begriffs der Unsicherheit der der Ungewißheit verwendet. Vgl. z.B. Griem (Der Prozeß) S. 52. Eine Alternative ist dann also durch mehrere Eigenschaften, die mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit erwartet werden, gekennzeichnet. Teickmann (Der Stand) S. 140 f. Agthe unterscheidet deshalb zwischen der „Mehrwertigkeit der Erwartungen" und der „Prognoseunsicherheit", auf denen die Unsicherheit über das Ergebnis einer bestimmten Alternative beruht. Agthe (Strategie) S. 31. Vgl. auch die Kombinationen von Informationsstrukturen über die Ergebnisse (Konsequenzen) und die Umweltsituationen (Zustände) bei Bamberg und Coenenberg (Betriebswirtschaftliche) S. 23. Starr betont den prinzipiellen Unterschied bei der Anwendung von Wahrscheinlichkeitsaussagen in diesen beiden Fällen der Unsicherheit im Hinblick auf das Eintreten der Ergebnisse. Wird die Eintrittswahrscheinlichkeit der Umweltsituation (p = f (S) ) als relevant für den Eintritt eines Ergebnisses angesehen, so geht man von einer kausalen Beziehung zwischen Umweltsituation und Ergebnis der Alternative aus. Nimmt man dagegen die Wahrscheinlichkeit der Prognoseunsicherheit (p = f (a) ) als Eintrittswahrscheinlichkeit des Ergebnisses, so geht man zur rein statistischen Betrachtung der Häufigkeit des Auftretens eines Ergebnisses beim Ergreifen von einer Alternative über. Starr (Management) S. 142. Siehe dazu auch Hart (Zur Klassifizierung) S. 8. Vgl. H einen (Das Zielsystem) S. 165, Fußnote 47.
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3.3 Prozeßanalyse 3.3.1 Phasenschema als Ausgangspunkt der Prozeßanalyse Bei der in Abb. 3 vorgenommenen Einordnung der Problemstellung in den Entscheidungsprozeß wurde dieser in folgende Phasen aufgegliedert: 1. Erkennen, Analyse und Formulierung des Problems (Problemstellung), 2. Suche und Ausarbeitung von Lösungsmöglichkeiten (Lösungsfindung), 3. Bewertung der Lösungsmöglichkeiten und Auswahl (Optimierung), 4. Durchsetzung der Lösung und Kontrolle (Implementierung). Heute ist man überwiegend der Ansicht, daß die in den in der Literatur vorgeschlagenen Phasenschemata zunächst zum Ausdruck kommende zeitliche Reihenfolge der Phasen keineswegs für einen Entscheidungsprozeß zwingend ist. 1 4 4 Das gilt sowohl für ihren theoretischen wie für ihren praktisch-normativen Aussagegehalt, wobei hinzugefügt werden muß, daß eine solche Unterscheidung bei den Systematisierungsvorschlägen von den meisten Autoren ohnedies nicht streng getroffen wird. Kann mit den Phasenschemata keine eindeutige zeitliche Prozeß-Strukturierung angegeben werden, so dienen sie doch zur Verdeutlichung der logischen Prozeß-Struktur. Wie schon ausgeführt wurde, zeigen sie die Art und die Zusammenhänge der Teilaufgaben, die im Entscheidungsprozeß erledigt werden müssen. Insofern hat das Phasenschema des Entscheidungsprozesses einen ähnlichen Struktureffekt wie die Entscheidungsmatrix. Daß die starre Reihenfolge des Phasenschemas weder ein allgemeingültiges Modell zur Erklärung des Ablaufs von Entscheidungsprozessen sein, noch als Empfehlung zu deren zeitlicher Gestaltung aufgefaßt werden kann, hängt vor allem von der begrenzten Entscheidungskapazität des Entscheidungsträgers ab. „Unter Entscheidungskapazität soll dabei die Verfügbarkeit kognitiver Fähigkeiten in Form von Wahrnehmungs-, Urteils-, Erinnerungs-, Denk- und Vorstellungsvermögen über einen bestimmten Zeitraum verstanden werden." 1 4 5 Infolge der kognitiven Beschränkungen müssen zwangsläufig vielfältige Beziehungen zwischen den Aktivitäten der Informationssuche und -Verarbeitung in den verschiedenen Phasen des Entscheidungsprozesses entstehen.
144
145
Vgl. z.B. Bendixen und Kemmler (Planung) S. 117ff.; Bleicher (Zur Organisation) S. 67; Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 75; Kühn (Möglichkeiten) S. 13 f. Anders dagegen Wild (Zur Problematik) S. 66. Budäus (Entscheidungsprozeß) S. 2 6 f.
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3.3.2 Beziehung zwischen den Prozeßakti vi täten Empirische Untersuchungen haben einerseits ergeben, daß die einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses nebeneinander ausgeführt werden bzw. zwischen ihnen hin- und hergesprungen wird. Andererseits ergab sich auch, daß die Effizienz von Entscheidungsprozessen, die starr nach dem Phasenschema ablaufen, im Vergleich zu anders ablaufenden Entscheidungsprozessen nicht verbessert, sondern teilweise verschlechtert wird. 1 4 6 Die Notwendigkeit zum Wechsel zwischen den einzelnen Phasen ergibt sich vor allem daraus, daß im Verlauf der meisten Entscheidungsprozesse neue Informationen gewonnen oder unbefriedigende Teillösungen wieder verworfen werden und deshalb relativ häufig zum Ausgangspunkt oder bereits fixierten Zwischenstufen zurückgekehrt werden muß. 1 4 7 Da in der Realität nur in den seltensten Fällen alle für eine Entscheidung herangezogenen Informationen schon zu Beginn des Entscheidungsprozesses vorliegen, bleiben Sprünge zwischen seinen Phasen unvermeidlich. Es ist jedoch auch offensichtlich, daß häufige Rückläufe zu Ausgangs- oder Zwischenpunkten die Kosten des Entscheidungsprozesses erhöhen. Teilweise werden Vor- oder Teilentscheidungen, die während des Entscheidungsprozesses getroffen werden müssen, auch gar nicht mehr revidierbar sein. Entscheidungsprozesse sind deshalb möglichst so zu gestalten, daß die Rücksprünge vermindert werden. Allerdings ist dieses Problem in der Literatur bisher kaum behandelt worden. 148 Phasenschemata des Entscheidungsprozesses haben auf jeden Fall insofern einen praktischen Wert für seine Gestaltung, als sie auf Grund des erwähnten Struktureffektes Orientierungshilfen
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Vgl. Witte (Phasen-Theorem) S. 628 ff. Zu einer graphischen Darstellung des Wechsels zwischen den einzelnen Phasen im zeitlichen Prozeßverlauf vgl. Krick (An Introduction) S. 169. Zu empirischen Untersuchungen des Entscheidungsprozesses vgl. desweiteren ζ. B. Biasio (Entscheidung) S. 89ff.; Cravens (An Exploratory) S. B-656ff.; Fleming (Study) S. 51 ff.; Irle (Macht und Entscheidungen) S. 96ff.; Kosiol und Mitarbeiter (Die Organisation) S. 23 ff. ; Trull (Some Factors) S. B-270 ff. und die bei Dubin (Business Behavior) S. 30 ff. angegebene Literatur. Vgl. Bendixen und Kemmler (Planung) S. 119. Siehe dazu auch Luhmann (Zweckbegriff) S. 137, Fußnote 48. Vgl. auch Irle (Macht und Entscheidung) S. 52. Zu den Kosten, die durch eine Revision von Teilentscheidungen im Entscheidungsprozeß verursacht werden, vgl. Bartholomew (Reliability) S. 375. In neuester Zeit befaßt sich Wosstdlo in seiner Habilitationsschrift mit der Gestaltung von Reihenfolgen in Entscheidungsprozessen. Wossidlo (Sequenz Analyse).
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bei der laufenden Koordination der vielfältigen Prozeßaktivitäten leisten können. 149 Läßt sich der Entscheidungsprozeß zumindest gedanklich in bestimmte Phasen aufgliedern, in denen die bei der Entscheidungsfindung anfallenden Aufgaben unter dem Gesichtspunkt der Verrichtung zusammengefaßt sind, so können diese Aufgaben auch nach dem Gesichtspunkt des Ranges analysiert werden. Eine solche Analyse ergibt, daß sich ein Entscheidungsprozeß im allgemeinen, wie oben schon angedeutet wurde, aus einer Vielzahl von Vor- bzw. Teilentscheidungen über Informationsbeschaffung und -Verarbeitung zusammensetzt. Sofern für solche Informationsprozesse keine routinemäßigen Verhaltensmuster zur Verfügung stehen, sind für die notwendig werdenden Entscheidungsprozesse niederer Ordnung grundsätzlich dieselben Überlegungen wie für den übergeordneten Prozeß anzustellen.150 Zusammenfassend sollen zum Schluß die Bestandteile des „Phasen-Theorems" des Entscheidungsprozesses herausgestellt werden, die aus seiner Prüfung auf Grund der empirischen Untersuchung Wittes als bewährt hervorgegangen sind: 151 1. Ein komplexer Entscheidungsprozeß läuft multi operativ, -temporal und -personal ab. 2. Er führt nicht nur am Ende zu einem Entscheidungsakt, sondern besteht aus einer Menge von Vor- und Teilentscheidungen, die ihr Maximum temporal zum Ende des Prozesses haben. 3. Operationen der Informationsgewinnung, Alternativensuche und -bewertung treten unregelmäßig während des ganzen Entscheidungsprozesses auf und kumulieren nicht temporal in abgrenzbaren Phasen. Durch die Prozeßanalyse wird die Struktur des Ablaufs der Entscheidungsbildung untersucht. Im Mittelpunkt der Analyse steht das Fortschreiten der Entscheidungsbildung auf Grund des Zusammenwirkens der Prozeßaktivitäten und weniger die Zweckbezogenheit des Entscheidungsprozesses.152 Letztere fällt vor allem in den Bereich der Funktionsanalyse.
149 150 151 152
Vgl. ebenso Bendixen und Kemmler (Planung) S. 119. Vgl. Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 75. Witte (Phasen-Theorem) S. 644. Vgl. auch Beyer (Die Lehre) S. 36. Hartmann charakterisiert einen Prozeß als ein Fortschreiten, das durch ein Ende oder Ziel geordnet werden kann. Hartmann (Die Wissenschaft) S. 85.
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
3.4 Funktionsanalyse 3.4.1 Zweck-Mittel—Schema als Ausgangspunkt der Funktionsanalyse Durch die Funktionsanalyse soll die Funktion der Entscheidung genauer bestimmt werden. Nach Luhmann macht die Frage nach der Funktion „die Analyse eines Gegenstandes abhängig von einem Bezugsproblem, zu dessen Lösung er beitragen kann". 153 Die Funktion eines Gegenstandes besteht darin, einen Beitrag zur Lösung eines Problems zu leisten.154 Die Funktionsanalyse der Entscheidung hat demnach zu untersuchen, welchen Beitrag die Entscheidung zur Lösung welchen Problems leistet bzw. leisten soll, wie sie sich also auf das Erreichen erwünschter bzw. auf das Vermeiden oder Überwinden unerwünschter Zustände auswirkt. Wie jeder Gegenstand kann auch die Entscheidung in Abhängigkeit von vielen Bezugsproblemen analysiert werden, weil sie nicht nur zur Lösung eines, sondern immer — positiv oder auch negativ — zur Lösung vieler Probleme beiträgt. Deshalb sind in die Funktionsanalyse möglichst alle relevanten Bezugsprobleme miteinzubeziehen. Sie darf nicht nur auf das beschränkt werden, was durch die Entscheidung erreicht werden soll, sondern sie muß sich auf das erstrecken, was durch die Entscheidung erreicht wird. Diesem Anspruch werden die verschiedenen Ansätze einer Funktionsanalyse in unterschiedlichem Ausmaß gerecht. Der funktionale Lösungsbeitrag, den eine Entscheidung für ein bestimmtes Bezugsproblem leistet, wird in der klassischen Funktionsanalyse kausal als Bewirken einer Wirkung verstanden. 155 Ausgangspunkt der klassischen Funktionsanalyse ist das Mittel—Zweck—Schema. Sie wird deshalb gelegentlich auch als Zweck—Mittel—Analyse bezeichnet. Der Funktionsbegriff wird dann entweder mit dem Zweckbegriff gleichgesetzt,156 oder die Funktion gilt 153 154
155 156
Luhmann (Zweckbegriff) S. 115. Andere Funktionsbegriffe unterscheiden sich von dem hier verwendeten letztlich nur dadurch, daß das Bezugsproblem in irgendeiner Weise konkretisiert wird. So hatten wir bei der Erörterung der Analysemöglichkeiten eines Gegenstandes das Bezugsproblem z.B. zunächst als eine „extern orientierte Aufgabe" bezeichnet. Siehe dazu S.51. Vgl. Luhmann (Zweckbegriff) S. 115. Hierbei wird eine begriffliche Trennung von „Zweck" und „Ziel" vorgenommen. So versteht Ulrich unter „Zweck" die Funktionen, die von einem System in seiner Umwelt ausgeübt werden bzw. werden sollen, unter „Ziel" dagegen die vom System selbst angestrebten Verhaltensweisen oder Zustände irgendwelcher Outputgrößen. Ulrich (Die Unternehmung) S. 114. Siehe dazu z.B. auch Wiedemann (Das Unternehmen) S. 43. In diesem Zusammenhang muß auch auf die oft betonte Unterscheidung zwischen der „Funktion" und dem „Output" eines Systems hingewiesen werden. Danach gibt die Funk-
3 Formale Entscheidungsanalyse
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als zweckdienliche Leistung, 157 also als Mittel zur Bewirkung des Zwecks. Grundlegend für diese Art der Funktionsanalyse ist die Kausalbeziehung zwischen Zweck und Mittel, in die wir hier sowohl die mechanische als auch die teleologische Kausalität 158 sowie die Kreiskausalität 159 einbeziehen. Es geht sowohl um die Untersuchung der Wirkung, die ein Mittel als Ursache haben kann, als auch um die Ermittlung von Mitteln, die als Ursache einen angestrebten Zweck zu bewirken in der Lage sind. Man versucht, kausale Zweck—Mittel—Ketten — die sich auch verzweigen können — zu ergründen, bei denen es dann von der Betrachtungsebene abhängt, ob ein Glied als Zweck für ein untergeordnetes Mittel oder als Mittel für einen übergeordneten Zweck interpretiert wird. Insofern ist jede Ursache auf einer anderen Betrachtungsebene auch Wirkung und umgekehrt. Bezieht man schließlich den Gedanken der Rückkoppelung in die Zweck—Mittel—Beziehung ein, so gilt nicht mehr die lineare Kausalitätsbeziehung 160 der offenen Zweck— Mittel—Kette, sondern die Kausalitätsbeziehung des Regelkreises. Sie zeichnet sich durch einen geschlossenen Wirkungskreislauf aus, in dem eine Ursache eine Wirkung auslöst, die wieder auf die Ursache einwirkt. Auf Grund von Kausalitätsbeziehungen versucht man also bei diesem Ansatz der Funktionsanalyse, einen Zweck in verschiedene Unterzwecke aufzugliedern, die dann durch geeignete Mittel erfüllt werden können. Die Unzulänglichkeiten dieser Funktionsanalyse ergeben sich aus den Grenzen des Zweck—Mittel—Schemas, die im wesentlichen auf drei Punkte zurückzuführen sind: 1 6 1 1. Über die mit einem bestimmten Mittel zu erreichenden Zwecke besteht oft unvollkommene Information. tion eines Systems Auskunft darüber, was erreicht werden soll, sein Output dagegen, wie diese Funktion ausgeführt wird. Vgl. Nodier (Arbeitsgestaltung) S. 7 und S. 51. 157 158
159 160 161
Vgl. dazu Luhmann (Funktion) S. 618. Vgl. dazu ebenda Die Verwendung des Begriffs der teleologischen Kausalität erscheint an dieser Stelle zweckmäßig, obwohl mit der Verwendung des Kausalitätsbegriffs meistens nur die mechanische Kausalität gemeint ist. Mit dieser Bedeutung gebrauchen wir ihn auch bei Erörterung des Wissenschaftsziels einer entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre. Die teleologische Kausalitätsbeziehung wird im allgemeinen als technologische, instrumentale, finale oder (nur) teleologische Beziehung bezeichnet. Siehe hierzu S. 32 f. und Fußnote 65. Vgl. dazu Krupp (Der Systemcharakter) S. 87 ff. Vgl. auch Fuchs (Systemtheorie) S. 170f.; Koreimann (Kybernetik) S. 29. Vgl. Simon (Das Verwaltungshandeln) S. 45 f. Zu den Grenzen des Zweck-Mittel-Rationalismus vgl. desweiteren Battelle-Institut thoden der Prioritätsbestimmung I) S. 71 ff.
(Me-
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
2. Eine vollständige Trennung von Zweck und Mittel ist häufig wegen der fehlenden Wertneutralität der Mittel nicht möglich. Wie schon ausgeführt wurde, 162 beruht das auf dem möglichen Eigenwert der Mittel und den nicht im Zweck erfaßten Nebenwirkungen, die diese Mittel haben können. Außerdem hängt die Trennung von Zweck und Mittel immer von der Betrachtungsebene ab, die in einer Zweck—Mittel-Kette gewählt wird, so daß Zweck und Mittel vertauschbar werden. 3. Dem Zeitelement wird zu wenig Beachtung geschenkt. Das ZweckMittel-Schema zwingt nicht zu einer Betrachtung von Zwecken, die zu einem bestimmten Zeitpunkt wegen der Realisierung eines angestrebten Zwecks nicht realisiert werden können 163 oder deren Verwirklichung zu späteren Zeitpunkten dadurch beschränkt wird. Aus der Kritik an den Grenzen des kausal begründeten Zweck—MittelSchemas wurden Ansätze der Funktionsanalyse entwickelt, die die funktionalen Beziehungen differenzierter zu betrachten versuchen. 3.4.2 Erweiterung der Funktionsanalyse Naschold unterscheidet mit der normativ-analytischen Organisationstheorie, der verhaltenswissenschaftlichen Organisationstheorie und dem Strukturfunktionalismus drei Bereiche, in denen unterschiedliche Ansätze der Funktionsanalyse entwickelt wurden. 164 Er bringt diese Unterscheidung im Hinblick auf die Funktionsanalyse des Regierungssystems, das eine der Erscheinungsformen organisatorischer Systeme in der Realität ist. Sie läßt sich jedoch auch auf einzelne Entscheidungen übertragen, die in solchen als Entscheidungseinheiten aufzufassenden Organisationen getroffen werden. In der Funktionsanalyse im Rahmen der normativ-analytischen Organisationstheorie versteht man unter Funktion die Outputorientierung des Systems, seine Leistungserbringung an die Umwelt. Ausgehend von dieser 162
163
164
Siehe S.33. Luhmann behandelt ausführlich die Relativität der Charakterisierung eines Kausalfaktors als Zweck bzw. als Mittel. Luhmann (Zweckbegriff) S. 183 ff. Eine solche Betrachtung wird bei Mittelhomogenität von Zwecken notwendig. Diese besteht, wenn sich ein Mittel grundsätzlich zur Realisierung verschiedener Zwecke eignet. Ist das Mittel knapp, so konkurrieren mehrere sich gegenseitig ausschließende Zwecke um den Mitteleinsatz zu einem bestimmten Zeitpunkt. Demgegenüber besagt die Zweckhomogenität der Mittel, daß sich unterschiedliche Mittel für die Realisierung eines Zwecks eignen, was Voraussetzung für eine Wahlsituation bezüglich seiner Verwirklichung ist. Vgl. dazu Kosiol (Die Unternehmung) S. 12 und die Beispiele bei Müller-Merbach (Übungen) S. 104 ff. und S. 135 f. Naschold (Funktionsanalysen) S. 100 ff.
3 Formale Entscheidungsanalyse
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Zwecksetzung erfolgt auf der Grundlage des kausal begründeten Zweck— Mittel-Schemas die Funktionsbestimmung der einzelnen Entscheidungen. Die Funktionsanalyse in der verhaltenswissenschaftlichen Organisationstheorie geht nicht mehr in direkter Weise von einem Organisationsziel aus. Bei ihr besteht die Funktion der Organisation - und somit auch ihrer Entscheidungen — in der Erhaltung des organisatorischen Systems. Diese Funktion läßt sich beispielsweise nach der These von Parsons in vier Grundfunktionen aufgliedern, die jedes Aktionssystem erfüllen muß: Aufrechterhaltung grundlegender Systemmuster, Integration der Teilsysteme zum Gesamtsystem, Realisierung gegebener Ziele, Auseinandersetzung des Systems mit der Umwelt. 165 Solche funktionsanalytischen Ansätze der verhaltenswissenschaftlichen Organisationstheorie, in deren Mittelpunkt nicht die Trennung von Zwecken und Mitteln, sondern soziale Interaktionsmuster stehen, haben vor allem einen hohen deskriptiven Aussagewert. Im Strukturfunktionalismus versteht man unter Funktionen Systemprobleme ohne dauerhafte Lösungen; sie sind vom System her bestimmt, und es werden insbesondere folgende drei Konzepte, die in komplexen Systemen eine große Rolle spielen, bei der Funktionsbestimmung berücksichtigt. Nach dem Konzept der „widersprüchlichen funktionalen Anforderungen" können die aus den Systemproblemen resultierenden Systemanforderungen weder simultan noch konsistent bewältigt werden, so daß der Anforderung nach Optimierung eindeutige Grenzen gesetzt sind. Das Konzept der „latenten Funktionen" 166 besagt, daß nicht alle Funktionen manifest sind und für die Entscheidung offiziell formuliert werden können. Gewisse Funktionen bleiben latent und werden stillschweigend oder unbewußt erfüllt, was sogar Voraussetzung für das Überleben eines Systems sein kann. Schließlich folgt aus dem Konzept der „nicht antizipierbaren Folgeprobleme", daß man bei Entscheidungen mit Folgeproblemen rechnen muß, die nur bedingt antizipiert werden können. Grundlage der Funktionsanalyse des Strukturfunktionalismus ist nicht die kausale, sondern die vergleichende Methode. Es wird deshalb auch von einem vergleichenden Funktionalismus (Äquivalenzfunktionalismus) im Gegensatz zum kausalwissenschaftlichen Funktionalismus gesprochen. 167 Der vergleichende ist insofern eine Erweiterung des kausalwissenschaftlichen 165 166 167
Vgl. Senghaas (Systembegriff) S. 5 4 und die dort zu Parsons angegebene Literatur. Vgl. auch Luhmann (Zweckbegriff) S. 83 f. sowie Blau (The Dynamics) S. 7 f. Vgl. dazu Luhmann (Funktion und Kausalität) S. 626ff.; vgl. außerdem Sievers (System-Organisation-Gesellschaft) S. 27f. Zur Kritik vgl. z.B. die Buchbesprechung von Dettling (Einzelbesprechungen) S. 58 ff.
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Teil I: Grundlagen und Abgrenzungen zur problemorientierten Entscheidungsfindung
Funktionalismus, als er davon ausgeht, daß jede Ursache viele Wirkungen und jede Wirkung wiederum viele Ursachen haben kann. Der kausale Ansatz versucht eine Vergleichsmöglichkeit unter den Ursachen dadurch zu erreichen, daß er im Bereich der Wirkungen eine einzige als Bezugspunkt herausgreift, die als zu realisierender Zweck im Zweck—Mittel—Schema erfaßt wird. 168 Dadurch wird jedoch im allgemeinen die bestehende Komplexität stark reduziert, da alle anderen Nebenwirkungen unberücksichtigt bleiben. Beer betont deshalb, daß zur Behandlung äußerst komplexer Systeme nur Methoden der Eingangsmanipulation und Ausgangsklassifikation („BlackBox-Methode"), nicht hingegen Methoden der Analyse von Ursachen und Wirkungen geeignet seien.169 Ähnlich der auf einem Vergleich von Eingangsmanipulationen und Ausgangsklassifikationen beruhenden Black-Box-Methode geht man im vergleichenden Funktionalismus vor. Er versucht nicht mehr, einen kausalgesetzlichen Beziehungszusammenhang zwischen spezifischen Ursachen und Wirkungen zu erklären, sondern vergleicht die Ursachen oder Mittel hinsichtlich ihres Lösungsbeitrags für jeweils eines aus mehreren möglichen Bezugsproblemen, wobei jedoch durch Wechsel der Bezugseinheit viele Bezugsprobleme berücksichtigt werden können. Der Übergang von einer Kausalgesetze suchenden zu einer funktional vergleichenden Methode „kompensiert gleichsam durch Theoriekomplizierung den Verzicht auf ,lineares' Methodendenken und versucht auf diese Weise, sich der Realität besser anzunähern". 170 Der vergleichende Funktionalismus sucht also letzten Endes nach Vergleichsmöglichkeiten, die realitätsnaher sind als die durch das kausal begründete Zweck—Mittel-Schema gegebene Vergleichsmöglichkeit. Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung des vergleichenden Funktionalismus ist jedoch eine geeignete Definition des Bezugsproblems. Allerdings wird häufig behauptet, daß gerade die Unklarheit in der Definition der Bezugseinheit nicht zu beheben sei und darin die eigentliche Schwierigkeit der funktionalistischen Methode liege.171 Zum Abschluß dieser Ausführungen über Ansätze zur Erweiterung der ursprünglich auf dem kausalen Zweck-Mittel-Schema beruhenden Funktionsanalyse soll noch auf den im Rahmen der Zielplanung verwendeten Be168
169 170 171
Vgl. Luhmann (Funktion und Kausalität), S. 627. Siehe dazu auch die Skizze bei derselbe (Zweckbegriff) S. 184. Beer (Kybernetik) S. 71. Luhmann (Zweckbegriff) S. 116. derselbe (Funktion und Kausalität) S. 629.
3 Formale Entscheidungsanalyse
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griff der Zweck- bzw. Ziel—Mittel—Vermutung112 hingewiesen werden. „Beispiele derartiger Ziel-Mittel-Vermutungen, die - wohl, weil sie grundsätzlich auf Rollenerwartungen der Beteiligten zurückzuführen sind — analytisch sich nicht begründen lassen, stellen die Bilanzierungs- und Finanzierungsregeln dar." 173 Geht man davon aus, daß die Organisationsmitglieder sich bei ihren Entscheidungen nicht von analytisch begründbaren Ziel—Mittel—Relationen, sondern tatsächlich von solchen Ziel—Mittel—Vermutungen leiten lassen, so wären sie auch als neuer Ausgangspunkt der Funktionsanalyse anzusehen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß keiner der angeführten Ansätze der Funktionsanalyse isoliert angewandt werden kann, sondern daß in der Anwendung eine sinnvolle Synthese zwischen ihnen anzustreben ist. 174 Jeder der Ansätze berücksichtigt besondere Aspekte der komplexen funktionalen Beziehung zwischen der Entscheidung und den Bezugsproblemen, zu deren Lösung sie in irgendeiner Weise beiträgt. Die Vorteile der einzelnen Ansätze sollten deshalb gemeinsam genutzt werden, wobei auch immer der enge Zusammenhang mit der Struktur- und Prozeßanalyse gesehen werden muß. Die Analysen von Funktion, Struktur und Prozeß der Entscheidung können zusammen eine Reduktion der Indeterminiertheit der Entscheidungsfindung bewirken.
172 173 174
Vgl. Verheyen (Das Prinzip) S. 192. Kappler (Zielsetzungs- und Zieldurchsetzungsplanung) S. 90. Vgl. Nasch old (Funktionsanalysen) S. 103.
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
Der erste Teil der Arbeit, der sich mit den Grundlagen und Abgrenzungen zur Behandlung der problemorientierten Entscheidungsfindung befaßt, schließt mit einer Darstellung der formalen Entscheidungsanalyse. In den beiden folgenden Teilen soll unter Konzentration auf die formale Dimension der Entscheidung konkretisiert werden, was eine Problemorientierung der Entscheidungsfindung bezüglich der Anwendung von Entscheidungstechnik und -organisation zur Verbesserung der Entscheidungseffizienz in Organisationen bedeutet. Die im zweiten Teil der Arbeit zu behandelnde Problemstellung bei der Entscheidungsfindung, in der es um das Erkennen und Klarstellen des Entscheidungsproblems geht, ist hinsichtlich der Entscheidungstechnik und -organisation in zweifacher Weise von Bedeutung. Erstens gibt es Entscheidungstechniken und -organisationsformen — vor allem spezifische Entscheidungsmethoden —, die nach unserer Ansicht das Erkennen und Klarstellen von Entscheidungsproblemen zu unterstützen vermögen. Zweitens ist eine ausreichende Beschäftigung mit der Problemstellung eine Voraussetzung dafür, daß der Entscheider in der Lage ist, die für ein ihm vorliegendes Entscheidungsproblem geeigneten Entscheidungstechniken und -organisationsformen für den weiteren Entscheidungsprozeßverlauf auszuwählen. Aufgabe des zweiten Teils der Arbeit ist zunächst eine Charakterisierung der Problemstellung. Hierzu sind kurz einige allgemeine problemtheoretische Ausführungen zu machen. Dann wird das Entscheidungsproblem in den weiteren Rahmen der Entscheidungssituation eingeordnet und insbesondere in seiner Bedeutung als Ausgangspunkt des Entscheidungsprozesses herausgearbeitet. Nach diesen grundlegenden Ausführungen zur Problemorientierung werden die drei großen Aufgabenkomplexe der Problemstellungsphase des Entscheidungsprozesses, die Problemerkenntnis, die Problemanalyse und die Problemformulierung, im einzelnen behandelt.
70
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
1 Charakterisierung der Problemstellung
1
71
Charakterisierung der Problemstellung
1.1 Problemtheoretische Aspekte 1.1.1 Methodik der Problembearbeitung Bisher gibt es keine umfassende Theorie, auf die sich eine Behandlung der Problemstellung stützen könnte. Eine Problemtheorie, die allgemeingültige Aussagen über die Art von Problemen und ihre Bearbeitung, einschließlich des Auffindens von Problemen, zu machen hätte, ist eine Interdisziplin, die die Forschungsergebnisse der verschiedensten Einzeldisziplinen, unter anderem beispielsweise der Psychologie und Soziologie, heranziehen muß. Wichtige Impulse zur Entwicklung einer Problemtheorie hat bisher die Philosophie geleistet.1 Philosophische Analysen über das Problem2 finden sich schon in der Antike bei Plato und Aristoteles. Im Zusammenhang mit der Begründung der modernen Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert gibt vor allem Descartes entscheidende Impulse, welche die problemtheoretischen Überlegungen bis heute stark beeinflußt haben. Im Anschluß an ihn bemüht sich Leibniz um ein Programm einer Problemtheorie. In diesem Jahrhundert wird in der philosophischen Literatur dem Problem, hauptsächlich auch seiner Beziehung zur Methode, wachsende Beachtung geschenkt.3 In neuester Zeit befaßt man sich an der Universität Rostock stark mit problemtheoretischen Fragestellungen.4 Von besonderem Interesse für die vorliegenden Ausführungen sind die problemtheoretischen Überlegungen zur Methodik der Problembearbeitung. Hier ist vor allem auf den Versuch Hartkopfs hinzuweisen, einen Ansatz zu einer Grundmethodik zu entwickeln, die für alle Problembearbeitungen anwendbar ist.5 Ansatzpunkt ist bei ihm die Einsicht, „daß auch schon die Einteilung des Problembearbeitungsganges in notwendige Zwischenetappen ei1
2
3
4
5
Parthey et al. umreißen die philosophischen Ausgangspunkte einer Problemtheorie durch eine Reihe von Fragen. Parthey, Vogel und Wächter (Thesen) S. 7 f. Vgl. zum Folgenden die Bemerkungen zur Literatur über das Problem bei Parthey und Wächter (Das Problem und seine Struktur) S. 26 ff. Zu einer Darstellung der Geschichte philosophischer Theorien über das Problem vgl. Landmann (Problematik). Vgl. vor allem Hartmann (Grundziige) ; Hartkopf (Die Strukturformen) ; Materna (Operative Auffassung); Wein (Untersuchungen). Vgl. dazu Parthey, Vogel und Wächter (Problemstruktur und Problemverhalten); Parthey (Problemtypen); Vogel (Marxistisch - Leninistische). Hartkopf (Die Strukturformen) S. 132 ff.
72
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
nen methodologischen Charakter hat." 6 Es werden mit einem Einleitungsabschnitt der Bearbeitung, dem eigentlichen Lösungsabschnitt und einem Abschlußabschnitt drei Hauptabschnitte der Problembearbeitung unterschieden, die in weitere Teilphasen aufgegliedert sind und sich durch kontinuierliche Übergänge sowie zahlreiche Überschneidungen auszeichnen können. In der Einleitungsphase geht es um die Problemstellung und ihre vollständige Erfassung zur Vorbereitung der eigentlichen Lösungsphase, in der durch systematische Ausschließung die Lösung ermittelt wird. In der Abschlußphase findet eine kritische Nachbetrachtung statt, in der die gefundene Lösung bestätigt und durch Bestimmung der Lösungszahl festgestellt wird, ob nicht andere Lösungsmöglichkeiten übersehen wurden. Ausgehend von einer phasenmethodischen Aufgliederung der Problembearbeitung sollen hier vier Bereiche der Methodik unterschieden werden, denen sich alle Arten methodischen Vorgehens bei der Problembearbeitung zuordnen lassen: - Phänomenologische Methodik (—»• Sachinhalt der Problemstellung), — Aporetische Methodik (—» Schwierigkeit der Problemstellung), - Heuristische und algorithmische Methodik [—* Problemlösung), — Kontroll-Methodik (—» Problembearbeitungskontrolle). In der Einleitungs- oder Problemstellungsphase ist es unter problemtheoretischen Gesichtspunkten sinnvoll, die Erfassung des Sachinhalts von der den Spannungszustand kennzeichnenden eigentlichen Schwierigkeit des Problems zu trennen. Nicolai Hartmann begründet dies: „Für die erstrebte Lösung der Probleme ist die Fassung der Probleme selbst das Ausschlaggebende; für die Fassung der Probleme aber ist wiederum die Fassung des Phänomens als vorliegender Befund ausschlaggebend." 7 Demzufolge unterscheidet er zwischen der Phänomenologie und Aporetik. 8 Bei der Phänomenologie geht es um die Analyse des Phänomens, um die Beschreibung des Sachinhalts, der einem Problem zugrunde liegt. Bei der Aporetik dagegen gilt es, im Rahmen der Problemanalyse das Fragwürdige am Phänomen herauszuarbeiten; es geht um die Feststellung der Schwierigkeiten des Problems, 9 die eine unmittelbare Transformation des Problemobjektes aus seinem Anfangszustand in den gewünschten Endzustand verhindern und die durch die 6 7 8
Hartkopf (Die Strukturformen) S. 133. Hartmann (Grundzüge) S. 38. Vgl. ebenda S. 38 ff. Vgl. dazu auch Hartkopf
9
(Die Strukturformen) S. 99 ff. und Stegmüller
S. 2 4 5 ff. Mit Aporie wird die Problemschwierigkeit bezeichnet.
(Hauptströmungen)
1 Charakterisierung der Problemstellung
73
Problemlösung überwunden werden sollen. Während die klassische Aporetik, die Methode des Aristotelischen Forschens, 10 nicht auf der Analyse des Phänomens basiert, hängen Phänomenologie und Aporetik bei Hartmann unlöslich zusammen. Ein Stück phänomenologischer Arbeit muß immer vorausgesetzt werden, damit ein Problem überhaupt gestellt werden kann. Im Gegensatz zur phänomenologischen Methodik, die der Erfassung des Sachinhalts der Problemstellung dient, ist die aporetische Methodik nicht mehr deskriptiv. Sie „vergleicht, prüft, sondiert das Gegebene, stellt die in ihm enthaltenen Unstimmigkeiten fest und gibt ihnen die Schärfe der Paradoxic, die allem Widerstreit im Tatsächlichen anhaftet". 11 Während zur Problemstellung Methoden benötigt werden, die einerseits eine geeignete Beschreibung des Problemobjekts und andererseits die möglichst präzise Herausarbeitung des Spannungszustandes, der ein Problem kennzeichnet, erleichtern, fällt die Überwindung der Spannung in den Bereich der Problemlösung. Die hierbei anzuwendenden Methoden gehören zur heuristischen bzw. algorithmischen Methodik.12 Die zur Problemlösung benötigten Methoden dienen einem geordneten Vorgehen beim Auffinden, Ausarbeiten und Ausschließen von Lösungsmöglichkeiten. In der Abschlußphase kommt schließlich die Kontroll-Methodik zur Anwendung, die eine systematische Überprüfung des Ablaufs und des Ergebnisses des Problembearbeitungsprozesses gewährleisten soll. Die Kontrolle hat sich nicht nur auf die Problemlösung, sondern auf die gesamte Problembearbeitung zu erstrekken und erfaßt somit — was häufig übersehen wird — auch die Problemstellung. Bisher hat man sich bezüglich der Methodik der Problembearbeitung in erster Linie mit den Methoden im Bereich der Problemlösung beschäftigt. Vergleichsweise wenig befaßte man sich dagegen mit der Problemstellung selbst. Beispielsweise wurden die Problemsuche, das Finden oder die Bewertung von Problemen in problemtheoretischen Untersuchungen sehr vernachlässigt.13 Zwar bezeichnet Hartkopf den Einleitungsabschnitt als den bisher am eingehendsten behandelten Teil der Problembearbeitung, wogegen für den Lösungsabschnitt so gut wie gar keine Hinweise vorlägen; 14 dies gilt aber nur 10
Vgl. dazu Landmann
11
Hartmann
12
(Problematik) S. 96 ff., hier insbesondere S. 106.
(Grundzüge) S. 40.
Robert Hartmann
unterscheidet zwischen der Logik des Problemsetzens (Aporetik) und der
Logik des Problemlösens (Heuristik). Hartmann
(Die Wissenschaft) S. 86.
Zu einer Abgrenzung der Begriffe „heuristisch" und „algorithmisch" siehe III 1.1.3. 13
Vgl. Wahl (Problemtheorie) S. 164.
14
Hartkopf
(Die Strukturformen) S. 134 und S. 146.
74
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
für die zwangsläufig sehr allgemein gehaltenen Ansätze zu einer Grundmethodik der Problembearbeitung. Im übrigen sind auf dem Gebiet der heuristischen und algorithmischen Methodik wesentlich größere Fortschritte gemacht worden als auf dem Gebiet der phänomenologischen und aporetischen Methodik. Dem allgemeinen Charakter einer Grundmethodik der Problembearbeitung, die auf alle Probleme anwendbar sein soll, steht der bestimmte, spezifische Charakter des zu bearbeitenden Problems gegenüber. Das durch eine Grundmethodik angegebene Programm (methodisches Vorgehen) wird daher für jedes konkrete Problem durch Subprogramme, also durch weitere besondere Methoden, ergänzt werden müssen. Eine Methodik der Problembearbeitung hat demnach davon auszugehen, daß es keine eindeutige Zuordnung zwischen den in der Realität zu bearbeitenden Problemen und den Methoden geben kann. Die Beziehung zwischen Problem und Methode ist typischerweise durch die Tatbestände der „Problemhomogenität der Methoden" und der „Methodenhomogenität der Probleme" gekennzeichnet. 15 Ersteres bedeutet, daß sich für ein Problem im allgemeinen verschiedene Methoden alternativ einsetzen lassen. Entsprechend besagt letzteres, daß sich die meisten Methoden für verschiedene Probleme eignen. Die Vorstellung, daß sich jedem realen Problem anhand seiner Merkmale ganz bestimmte Methoden der Problembearbeitung quasi automatisch zuordnen lassen, scheint utopisch zu sein. 16 Denn es gibt in der Realität unendlich viele Probleme, die nicht exakt gegeneinander abgrenzbar sind, und es kann von einzelnen Nuancen in der Problemstruktur abhängen, welche Methode sich im konkreten Fall besonders gut zur Problembearbeitung eignet. Zudem ist jedwedes Methodische auf ein Subjekt bezogen, das die Methode handhabt oder handhaben soll, 17 so daß eine eindeutige Zuordnung von Methode und Problem auch unter diesem Gesichtspunkt nicht durchführbar ist. Kann man über die Beziehung zwischen Methodik und Problem keine so weitgehenden Aussagen machen, daß sich für jedes konkrete Problem die geeignete Methode automatisch aus den Problemmerkmalen ableiten ließe, so braucht man sich aber nach unserer Auffassung nicht auf die Erforschung einer sehr abstrakten Grundmethodik der Problembearbeitung beschränken. Ein fruchtbarer Mittelweg scheint darin zu liegen, die Beziehungen zwischen Methodenklassen und Problemklassen oder -typen zu untersuchen. Voraussetzung hierfür ist das Vorhandensein einer geeigneten Klassifikation der 15 16 17
Vgl. Müller-Merbacb (Operations Research) S. 6. Siehe dazu auch Fußnote I 163. Vgl. dazu Müller-Merbach (Operations-Research) S. 2 0 f. Vgl. Hartkopf (Die Strukturformen) S. 103.
1 Charakterisierung der Problemstellung
75
Probleme in Problemtypen. Typologische Aspekte von Entscheidungsproblemen sind Gegenstand unserer Ausführungen im dritten Teil der Arbeit. Hier können wir uns darauf beschränken, das Entscheidungsproblem, dem unser weiteres Interesse gilt, als Problemtyp herauszuarbeiten. 1.1.2 Entscheidungsproblem als Problemtyp Ausgehend von Aristoteles wird der Problembegriff häufig ganz mit dem Begriff des Entscheidungsproblems gleichgesetzt.18 Andererseits fehlt es jedoch nicht an Versuchen, dem Entscheidungsproblem andere Problemtypen gegenüberzustellen. Zur Feststellung des Typs eines Problems muß zunächst Klarheit über die Prinzipien der Typisierung von Problemen bestehen.19 Grundsätzlich kann diese unter Heranziehung von probleminternen oder problemexternen Relationen erfolgen. Durch die Art der probleminternen Relationen wird die Problemstruktur charakterisiert, während die problemexternen Relationen den Zusammenhang des Problems mit seiner Umwelt kennzeichnen. Das Entscheidungsproblem ergibt sich als Problemtyp auf Grund der Typisierung der Probleme nach ihrer Struktur, genauer nach ihrer formalen Struktur. Denn neben der Erfassung der Problemstruktur auf formaler ist auch ihre Erfassung auf inhaltlicher Ebene möglich, auf der die Probleme auf Grund der verschiedenen Art des Sachinhalts (Problemobjekts) klassifiziert werden. Auf formaler Ebene kann die Typisierung der Probleme nach dem Ziel, nach den Bedingungen der Zielerreichung und nach der Ziel-Bedingungs-Relation erfolgen. Bei der Typisierung nach dem Ziel lassen sich als Problemtypen die Entscheidungsprobleme und die Bestimmungsprobleme unterscheiden. Entscheidungsprobleme sind solche Probleme, deren antizipierte Lösung eine Imperativische Aussage enthält, während die antizipierten Lösungen von Bestimmungsproblemen nur aus indikativischen Aussagen bestehen. Durch die Lösung von Bestimmungsproblemen soll ζ. B. etwas beschrieben, erklärt oder prognostiziert werden; durch die Lösung von Entscheidungsproblemen sollen Ziele oder aber die Wege (Mittel) zur Erreichung dieser Ziele festgelegt werden. Geht es bei dieser Typisierung nach dem Ziel um den Aussagegehalt der gesuchten Lösung des Problems, so basieren die beiden weiteren Möglichkeiten der Typisierung der Probleme nach ihrer formalen Struktur auf der Art 18
Vgl. dazu Hartkopf
19
Folgendes teilweise in enger Anlehnung an Parthey, Vogel und Wächter (Problemtypen) S. 10 ff.
(Die Strukturformen) S. 1 1 0 . Siehe auch S. 2 4 unserer Ausführungen.
76
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
des Lösungsprozesses. Hierbei sind bei der einen Typisierungsmöglichkeit die Bedingungen zu erfassen, die zur Lösung des Problems gegeben sein müssen bzw. tatsächlich vorhanden sind. Eng damit hängt die andere Möglichkeit zusammen, ausgehend vom Vollständigkeitsgrad der vorhandenen Bedingungen (Ziel-Bedingungs-Relation) die Probleme nach der Art der vollziehbaren Lösungsprozesse z.B. in algorithmisch oder heuristisch lösbare Probleme zu klassifizieren. Diese Skizze des Ansatzes zu einer allgemeinen Problemtypologie mag genügen, um anzudeuten, welche Möglichkeiten es gibt, dem Entscheidungsproblem die verschiedensten anderen Problemtypen gegenüberzustellen. Zugleich wird die Schwierigkeit deutlich, sinnvolle Prinzipien der Typisierung zu finden und klare Abgrenzungen zwischen den Problemtypen zu erreichen. 20 Das zeigt sich vor allem auch bei der Abgrenzung von Entscheidungs- und Bestimmungsproblemen. Jedes Entscheidungsproblem impliziert eine Anzahl von Bestimmungsproblemen ebenso wie Bestimmungsprobleme, etwa Prognoseprobleme, auch Entscheidungsprobleme implizieren können. Bei der Lösung eines Entscheidungsproblems kann man sich deshalb nicht auf die Analyse der Aspekte des Problemtyps Entscheidungsproblem beschränken, sondern muß sich genauso mit den Aspekten der damit verbundenen Bestimmungsprobleme auseinandersetzen. In der Schwierigkeit der Abgrenzung von Entscheidungs- und Bestimmungsproblem kommt das Dilemma der Unterscheidung von Struktur und Prozeß der Entscheidung zum Ausdruck. In der amerikanischen Managementliteratur wird gelegentlich mit dem Problembegriff insbesondere die Gelegenheit zur Wahrnehmung einer Chance verbunden, 21 oder es wird ausdrücklich zwischen „Problem" und „Chance" („opportunity") als verschiedenen Möglichkeiten zur Auslösung eines Entscheidungsprozesses unterschieden. 22 Wir wollen nicht weiter auf Abgrenzungen des Entscheidungsproblems von anderen möglichen Problemtypen eingehen, da solche Abgrenzungen im 20
21 22
Vgl. zu einer ausführlichen Kritik an der hier skizzierten Problemtypologie: Teßmann (Struktur und Funktion) S. 183 ff. Vgl. auch Wacker (Betriebswirtschaftliche Informationstheorie) S. 80. Deutlich drückt diesen Unterschied ζ. B. Drucker aus: „The effective business knows that it should not focus on problems, but on opportunities. This is not to ignore the f a « that problems have to have attention from time to time. The amount of resources given to them has to be kept to the appropriate minimum. The effective business does not waste scarce resources on problem solving, but harnesses its resources so that they can be directed to the real opportunities." Drucker (The Effective Business) S. 3. (Hervorh. i. Orig.). Vgl. dazu auch Ferrell (Managing Opportunity) S. 1 und S. 10 ff.
77
1 Charakterisierung der Problemstellung
Hinblick auf die Methodik der Problembearbeitung nicht sinnvoll erscheinen. Das Entscheidungsproblem wird als Ausgangspunkt des Entscheidungsprozesses betrachtet, während dem eine Vielzahl von Problemen gelöst werden müssen, die sich nach den unterschiedlichsten Typisierungsprinzipien klassifizieren lassen. Diese Probleme sind immer in die Bearbeitung des Entscheidungsproblems mit eingeschlossen, und eine Methodik der Bearbeitung des Entscheidungsproblems ist auf alle im Entscheidungsprozeß zu lösenden Probleme auszurichten. Gegenstand der folgenden Ausführungen sind nicht alle im Entscheidungsprozeß zu lösenden Probleme, sondern nur die der Einleitungs- oder Problemstellungsphase. Vor einer Charakterisierung dieser Phase des Entscheidungsprozesses sollen noch die hauptsächlichen Zusammenhänge des Entscheidungsproblems zum problemlösenden sozio-technischen System und zum Individuum als Entscheidungsträger oder -Subjekt aufgezeigt werden. Hierzu kann der Begriff der Entscheidungssituation herangezogen werden, der weiter gefaßt ist als der des Entscheidungsproblems.
1.2 Entscheidungsproblem als Bestandteil der Entscheidungssituation 1.2.1 Darstellung der Entscheidungssituation im sozio-technischen Systemzusammenhang Das Entscheidungsproblem ist Bestandteil der Entscheidungssituation, in der ein Entscheidungsträger auf Grund der ihm vorliegenden Informationen eine Entscheidung zu treffen hat. Die Entscheidung wird davon abhängen, wie er die Entscheidungssituation definiert; die Definition der Situation legt die Gesamtheit seiner Entscheidungsprämissen fest. 23 Sie enthält im Gegensatz zur Definition des Entscheidungsproblems auch die Informationen über die Lösungsmöglichkeiten, von denen der Entscheidende bei seiner Entscheidung ausgeht. 23
Vgl. zum Begriff der Entscheidungssituation: Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. II) S. 100 und S. 137 ff. In der traditionellen Entscheidungstheorie wird nicht zwischen Entscheidungssituation und -problem unterschieden. Vgl. Szyperski
und Winand (Entscheidungstheorie) S.
40. Siehe hierzu auch die Ausführungen zur Strukturanalyse im Abschn. 1 3 . 2 . Man versucht, die Entscheidungsprämissen in komprimierter Form in einer Entscheidungsmatrix darzustellen. In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, daß in der Terminologie der Entscheidungsmatrix der Begriff „Situation" anders als hier gebraucht wird und lediglich die möglicherweise eintretenden Umweltzustände bezeichnet!
78
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
Zur Charakterisierung der Entscheidungssituation Iäßt sich ein Vektor mit verschiedenen Komponenten benutzen. Frese bildet etwa zur Bestimmung der Struktur des Entscheidungsaktes, durch den die Entscheidungssituation aufgehoben wird, den Entscheidungsvektor E = (Α,Ζ,Τ). 24 Er setzt sich aus drei Komponenten zusammen: der Feldkomponente (A), der Zielkomponente (Z) und der Transformationskomponente (T). In der Feldkomponente wird das Entscheidungsfeld25 erfaßt, das aus einem beeinflußbaren und einem nicht beeinflußbaren Teil besteht. Letzterer enthält die Gegebenheiten der Umwelt, die sich auf die Entscheidung auswirken, aber nicht vom Entscheidenden kontrolliert werden können. Der beeinflußbare Teil ist das Aktionsfeld und umfaßt Art und Menge der Personen und Sachen, die durch die Entscheidung direkt oder indirekt beeinflußt werden können. Die Transformationskomponente gibt die Transformationsund Lösungsmöglichkeiten an. Die Zielkomponente enthält Formal- und Sachzielelemente.26 Die Sachzielelemente betreffen die Gesamtaufgabe des sozio-technischen Systems, d. h. die Marktaufgabe einer Betriebswirtschaft und die daraus abgeleiteten Teilaufgaben. Die Formalzielelemente liefern Kriterien zur Bewertung der Aktivitäten, die zur Erfüllung der Gesamtaufgabe notwendig sind. Zur Einordnung der durch den Entscheidungsvektor charakterisierten Entscheidungssituation in den sozio-technischen Systemzusammenhang von Organisationen gehen wir von den bei Staehle genannten dominanten Einflußfaktoren von Struktur und Verhalten sozio-technischer Systeme aus. 27 Er kommt auf Grund des Studiums der einschlägigen empirischen Untersuchungen zum Ergebnis, daß die Systemumwelt, die Organisationsaufgabe, die Technologie und die Organisationsmitglieder die vier unabhängigen Va24
25
26
27
Frese (Kontrolle und Unternehmungsführung) S. 23 ff. sowie derselbe (Heuristische Entscheidungsstrategien) S. 283 ff. Vgl. dazu auch die Komponenten des Problems bzw. des Problemvektors bei Churchman, Ackoff, and Arnoff (Operations Research) S. 106 ff. bzw. bei Reitmann (Heuristic Decision) S. 288 f. Im Gegensatz zu ihnen unterscheiden wir jedoch in einem logisch-systematischen Sinn zwischen Entscheidungsproblem und der Entscheidungssituation! Zu diesem Begriff vgl. Engels (Betriebswirtschaftliche Bewertungslehre) S. 94 sowie auch Frese (Kontrolle und Unternehmungsführung) S. 27 ff. und die dort angegebene Literatur. Zur Unterscheidung von Formal- und Sachziel vgl. ζ. B. Grochla (Unternehmungsorganisation) S. 38 ff. Staehle (Organisation und Führung) S. 70 ff. Die Technologie bezieht sich im Systemzusammenhang letzten Endes immer auf die Transformation des Inputs in den Output eines Systems. Es genügt daher von „Technologie" anstatt ausdrücklich von „Tranformationstechnologie" zu sprechen.
79
1 Charakterisierung der Problemstellung
riablen sind, welche als für die abhängigen Variablen, nämlich Struktur und Verhalten sozio-technischer Systeme, wesentliche Einflußfaktoren anzusehen sind. Der Begriff „unabhängige Variablen" bezieht sich dabei nicht auf die Beziehung zwischen diesen vier Variablen. Bei ihnen bestehen im Gegenteil vielfältige Interdependenzen. Beispielsweise leitet sich die Organisationsaufgabe von den Systemzielen ab, die ihrerseits stark durch die Systemumwelt beeinflußt werden. Die Entscheidungen im sozio-technischen System betreffen immer seine Struktur — einschließlich der Beziehungen von Systemelementen zur Umwelt — und/oder sein Verhalten. Die Entscheidungssituation bzw. die Komponenten des Entscheidungsvektors können daher als intervenierende Variablen zwischen die unabhängigen und abhängigen Variablen des sozio-technischen Systems geschaltet werden. Somit ergibt sich der in Abb. 9 dargestellte Zusammenhang. 28
abhängige Variablen Abb. 9. Entscheidungssituation im sozio-technischen Systemzusammenhang
28
Das Verhalten des Systems hängt allerdings ebenfalls von seiner Struktur ab. So ist es etwa bei einer Untersuchung des Entscheidungsverhaltens durchaus gerechtfertigt, die Struktur als wichtigen Einflußfaktor oder unabhängige Variable zu betrachten. Siehe hierzu auch die vier Ansatzpunkte zur Steigerung der Entscheidungseffizienz in Organisationen im Abschn. I 2.3.
80
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
1.2.2 Inneres Modell und Subjektivität der Entscheidungssituation Reale Entscheidungssituationen lassen sich wegen ihrer Komplexität häufig nur durch Modellbildung erfassen, wobei sie durch Abstraktion vereinfacht werden. Bei der modellunterstützten Entscheidungsfindung unterscheidet Ackoff drei Entscheidungssituationen:29 - Entscheidungssituationen, die durch Modelle abgebildet und mit ihrer Hilfe gelöst werden können, - Entscheidungssituationen, die durch Modelle abgebildet, aber mit ihrer Hilfe nicht gelöst werden können, - Entscheidungssituationen, die mangels notwendiger Mittel, Kenntnisse oder Zeit nicht abgebildet werden können. Neben der Abbildung der Realität in den von A ck o/fangesprochenen Modellen, die bei der modellunterstützten Entscheidungsfindung zu einer „objektiven" Vereinfachung der Entscheidungssituation beitragen sollen und die intersubjektiv überprüfbar und kommunikationsfähig sind, gibt es die „subjektive" Vereinfachung der Realität, die bei ihrer Abbildung (Wahrnehmung) im Inneren des Entscheidungssubjektes erfolgt. Von dem bei der modellunterstützten Entscheidungsfindung behandelten äußeren Modell ist deshalb das innere Modell der Entscheidungssituation zu unterscheiden.30 Wir waren zu Beginn der Arbeit davon ausgegangen, daß eine Entscheidung eine orientierte Reaktion auf eine bestimmte Situation darstellt. Im verhaltenswissenschaftlichen Ansatz der Entscheidungstheorie ist es üblich, zwischen den von der Situation ausgehenden Stimulus und der Reaktion als intervenierende Größe das innere Modell der Außenwelt zu schalten, das sich im Inneren des Entscheidenden aufbaut. Als ein geeigneter Ausgangspunkt zur Erforschung dieses inneren Modells kann dasSOR-Paradigma des menschlichen Verhaltens angesehen werden. 31 Der Mensch wird hierbei als Ackoff (A Concept) S. 94 ff. Vgl. dazu Känel (Einführung) S. 225; Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 76ff.; Klages (Planungspolitik) S. 85; Mohr (Zur Automatisierbarkeit) S. 69ff.; Newell (Heuristic Programming) S. 36S;Shull, jr. (A Modern Tool) S. 14S;Szyperski und 'Winand (Entscheidungstheorie) S. 20. Zur Unterscheidung von „Persönlichkeit", „Einstellung", „Inneres Modell" und „Definition der Situation" als intervenierende Menge kognitiver Information vgl. Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. II) S. 100 ff. Zur Unterstützung derEntscheidungsfindung durch äußere Modelle siehe I 1.2.3. " Vgl. zum SOR-Paradigma ζ. B. Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 76 ff. Zum „kognitiven Apparat" des Menschen zur Informationsverarbeitung siehe insbesondere Dörner (Problemlösen) S. 26 ff. Siehe zur Wahrnehmung einer Situation außerdem Langenheder (Theorie) S. 47 ff. 29
30
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ein offenes Verhaltenssystem analysiert, in dem ein Input durch Ablaufen bestimmter Prozesse in einen Output transformiert wird. Man versucht auf diese Weise zu erklären, wie ein Mensch auf Stimuli (S) seiner Umwelt mit Hilfe einer Reihe von intervenierenden Variablen des Organismus (O) reagiert (R). Zur Erklärung bedient man sich in der neueren Entscheidungstheorie vor allem des Informationsverarbeitungsansatzes, nach dem der Mensch über Rezeptoren die Stimuli oder Signale der Umwelt aufnimmt und über Effektoren mit Reaktionen auf die Umwelt einwirkt, wobei zwischen Stimulus und Reaktion komplexe Informationsverarbeitungsprozesse ablaufen. Die Reaktion hängt nicht nur vom Stimulus, sondern auch von den bewußt, vorbewußt oder unbewußt gespeicherten Informationen ab. Die Wahrnehmung der Entscheidungssituation ist ein selektiver Prozeß. Der Mensch nimmt von den durch die physiologischen Mechanismen der Rezeptoren aufgenommenen Signalen der Umwelt nur die bewußt wahr, die mit Hilfe der im Kurzzeitgedächtnis gespeicherten Informationen entsprechend interpretiert und ausgewählt werden. Das Kurzzeitgedächtnis hat eine sehr begrenzte Kapazität und enthält den kleinen Teil aller gespeicherten Informationen, die aktiv in den Denkprozeß eingreifen. Das Langzeitgedächtnis enthält dagegen alle Informationen, die sich der Mensch auf Grund seiner Erfahrungen angeeignet hat. Sie sind jedoch nur vorbewußt gespeichert und müssen zum Einsatz im Informationsverarbeitungsprozeß jeweils ins Kurzzeitgedächtnis überführt werden.32 Gerade dieser bisher wenig erforschte Aktivierungsprozeß von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis scheint für das innere Modell der Entscheidungssituation äußerst wichtig zu sein.33 Denn die Suche nach Informationen läuft gemäß dem hier übernommenen Informationsverarbeitungsan32
33
Zu einer Gegenüberstellung von Kurz- und Langzeitgedächtnis vgl. auch Newell and Simon (Human Problem Solving) S. 792 ff. Der Aktivierungsvorgang hängt wahrscheinlich nicht so sehr vom bewußten Wollen des Individuums ab, sondern eher von seiner Assoziationsfahigkeit, die vor allem auch von der jeweiligen psychischen Ausgangslage beeinflußt wird, und von der besonderen Eignung der Stimuli. Vgl. Michael (Produktideen) S. 48. Vor allem im Rahmen der Konfliktforschung setzt man sich mit solchen Aktivierungsvorgängen auseinander. Die Bewußtwerdung eines Konfliktes wird ζ. B. zurückgeführt aufpsychoanalytisch zu erforschende Mechanismen, die die Wahrnehmung einer Information fördern oder verhindern. Neben diesen Mechanismen spielen dabei auch die Betroffenheit des Individuums durch den Konfliktsachverhalt eine große Rolle sowie die Konflikttoleranz, von der es abhängt, welcher Grad der Abweichungen vom „Normalzustand" ohne ein besonderes Reaktionsbedürfnis vom Individuum ertragen wird. Vgl. dazu Esser (Individuelles Konfliktverhalten) S. 83 ff.
82
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
satz zweidimensional ab: Di e „Suche nach außen" zur Aufnahme von Stimuli aus der Umwelt muß von einer „Suche nach innen" zur Aktivierung von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis begleitet werden. Durch diesen Wahrnehmungsprozeß werden einerseits die dem Individuum in der jeweiligen Situation als bedeutsam erscheinenden Informationen „herausgefiltert", andererseits wirkt er sich auch „ergänzend und strukturierend" aus.34 Ein wichtiger Beitrag zur verhaltenswissenschaftlichen Erforschung der Wahrnehmung von Entscheidungssituationen wird durch die Theorie der Anspruchsanpassung und die Motivationstheorien geliefert.35 Nach der ersten Theorie hängt es wesentlich vom Anspruchsniveau ab, welche Stimuli der Umwelt wahrgenommen werden. Die Höhe des Anspruchsniveaus wird von den Erfahrungen des Individuums in der Vergangenheit beeinflußt und kann sich mit dem gegenwärtigen Erfolgsstreben bzw. mit der Erfolgseinschätzung ändern. Unterschiedliche Anspruchsniveaus haben ein verschieden orientiertes Suchverhalten und somit die Wahrnehmung unterschiedlicher Aspekte einer Entscheidungssituation zur Folge.36 Die Motivationstheorien billigen dagegen neben der Art der Stimuli vor allem der Motivation des Individuums einen wesentlichen Einfluß auf den Wahrnehmungsprozeß zu. Demnach hängt es in erster Linie mit von den unbefriedigten Bedürfnissen des Individuums ab, wie eine Entscheidungssituation wahrgenommen wird.37 Zusammenfassend läßt sich Kirsch zum Selektionsprozeß der Wahrnehmung zitieren : „Die Art dieser Selektion hängt zum einen von der Art und Intensität der Signale ab. Zum anderen wird sie wesentlich dadurch bestimmt, ob der Organismus auf Grund seiner Erfahrung mit ähnlichen Situationen der Vergangenheit eine Wahrnehmung erwartet. Schließlich wirken sich die jeweils unbefriedigten Bedürfnisse des Individuums und einige andere moti-
34 35
36
37
Vgl. Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 81. Zu einer kurzen Erläuterung dieser Theorien im Hinblick auf die Wahrnehmung vgl. Shull, jr., Delbecq and Cummings (Organizational) S. 43 ff. Vgl. hierzu auch die Ausführungen über die vom Anspruchsniveau abhängigen, unterschiedlich gerichteten Innovationsbemühungen bei Marr (Innovation) S. 137ff. und die dort aufgeführte Literatur. In diesem Zusammenhang ist auch auf eine Arbeit von Wild zu verweisen. Er untersucht, wie die an unternehmerischen Entscheidungen Interessierten - es werden fünf Gruppen unterschieden: Belegschaftsangehörige; Geschäftsführer und Eigentümer; Kunden, Lieferanten und Berater; Konkurrenten; Öffentlichkeit und Staat - verschiedene Phasen eines Entscheidungsprozesses entsprechend ihren Interessen beeinflussen können bzw. wollen. Wild (Infiltrations- und Durchsetzungsmöglichkeiten) S. 55 ff.
1 Charakterisierung der Problemstellung
83
vationale Faktoren auf die Art der Selektion innerhalb des Wahrnehmungs, , 1 0
prozesses aus. Aus unseren Ausführungen folgt, daß das innere Modell immer nur eine subjektive Abbildung einer Entscheidungssituation sein kann. Die Subjektivität der Entscheidungssituation wird daraus ersichtlich, daß verschiedene Entscheidungsträger bei objektiv gleicher Realdatenkonstellation unterschiedliche, vielfach gegensätzliche Entscheidungen treffen.39 Die Subjektivität betrifft dabei die Lösungsmöglichkeiten, die eine Entscheidungssituation charakterisieren, ebenso wie die Problemstellung. Die Subjektivität macht sich bei der Problemstellung auf drei Stufen bemerkbar. Zunächst wird die Realität von jedem Subjekt nur ungenau bzw. unvollständig beobachtet und wahrgenommen. Sodann erfolgt durch die Abbildung des Wahrgenommenen oder Empfundenen in irgendeiner Sprache immer eine subjektiv beeinflußte Abstraktion. Schließlich werden daraus auf Grund subjektiver Beurteilungen unterschiedliche Schlußfolgerungen gezogen, so daß man zu verschiedenen Problemstellungen gelangt. Das Entscheidungsproblem wird also immer durch eine subjektive „Brille" gesehen und entsprechend definiert.40 Eine solche Brille dient auch zur notwendigen Reduktion der Indeterminiertheit des Entscheidungsproblems, wodurch es einer Lösung überhaupt erst zugänglich gemacht wird. Die Abgrenzung des Entscheidungsproblems ist ebenfalls nur durch subjektives Bekenntnis möglich, da jedes Problem mit angrenzenden Problemen verknüpft und in Teilprobleme zerlegbar ist. 41 38
Kirsch (Entscheidungsprozesse, Bd. I) S. 81. Vgl. auch Hill, Fehlbaum
und Ulrich (Organisa-
tionslehre, Bd. I) S. 62. 39
Vgl. hierzu Hannig (Die Beurteilung) S. 4 7 2 f.; Norman
(Business Decision) S. 5 9 ff.; Ander-
son a. Paine (Managerial Perceptions) S. 8 1 3 . Bittel zeigt an einem Beispiel, wie dieselbe Entscheidungssituation von einem Ingenieur, einem Controller und einem Personalmanager unterschiedlich gesehen wird. Bittel (The Nine Masters Keys) S. 19 f. 40
Shull et al. betonen z. B., daß die persönlichen Wertvorstellungen eine große Rolle für die Definition des Problems spielen. Shull, jr., Delbecq, Vgl. dazu auch Postman,
Bruner,
and McGinnies
and Cummings
(Organizational) S. 62 f.
(Personal Values) S. 142 ff. und
Taylor
(Perception). Miller und Starr charakterisieren die subjektive Beziehung zwischen einem Beobachter und seiner Umgebung als „Beobachtungseffekt": „ . . . we are unable to observe an environment without changing that environment in some way. That is, the observer and his subject are bound together in some mutual relationship which alters both of them. This effect, which is known as the Heisenberg uncertainty principle in physics, has its counterpart in the social sciences, where it is called the observer effect." Miller and Starr (Executive Decisions) S. 167. 41
Vgl. Witte (Entscheidungsprozesse) Sp. 4 9 9 . Da es im Grunde keine isolierten Probleme gibt, prägt Strauss den Begriff „Problemnetzwerk". Strauss (Prolegomena) S. 39.
84
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
Auf Grund der Subjektivität des Entscheidungsproblems scheint es uns nicht notwendig zu sein, auf die philosophische Fragestellung einzugehen, ob Probleme objektiv existieren oder nur subjektiv im Bewußtsein des Menschen vorhanden sind. Wir folgen der Auffassung 42 , daß eine Situation erst durch den Menschen, für den sie eine Lückenhaftigkeit aufweist, problematisch wird. Denn in einer anwendungsorientierten Wissenschaft spielt nicht die Frage nach der objektiven Existenz von Problemen, sondern die Frage nach ihrer subjektiven Erkenntnis eine große Rolle. Bei der Untersuchung von Entscheidungen kann man nicht davon ausgehen, daß das Entscheidungsverhalten sich aus objektiv feststellbaren Entscheidungssituationen ableiten läßt. 4 3 Es ist vielmehr zu untersuchen, wie die Individuen Entscheidungssituationen wahrnehmen und definieren. Denn das Entscheidungsverhalten hängt nicht nur von einer bestimmten Realdatenkonstellation ab, sondern vor allem auch von der subjektiven Auswahl und Organisation der Daten durch den Entscheidungsträger.
1.3 Entscheidungsproblem als Ausgangspunkt im Entscheidungsprozeß 1.3.1 Anregung des Entscheidungsprozesses 1.3.1.1 Anregungsinformationen Der erste Schritt zur Definition der Entscheidungssituation besteht darin, irgendeinen Hinweis zu entdecken, der die Existenz eines Entscheidungsproblems vermuten läßt. Die Informationen, die solche Hinweise geben können, lassen sich als Anregungsinformationen, Initiativinformationen, Stimuli oder Impulse bezeichnen. Problembewußte Individuen besitzen die besondere Fähigkeit, aus einer Vielzahl von Informationen solche Anregungsinformationen aufzunehmen und einen Entscheidungsprozeß anzuregen. Geht man vom Problembegriff aus, so müssen die Anregungsinformationen Hinweise auf eine bestehende oder potentielle Differenz zwischen dem gegebenen und dem angestrebten Zustand eines Entscheidungsobjektes ge42
Vgl. zu dieser AuííassungHartkopf
(Die Strukturformen) S. 67 f. Eine objektive und subjek-
tive Erscheinungsform hat das Problem bzw. die Problemsituation bei Weck (Selbständiges Problemerkennen) S. 2 7 ff. 43
Vgl. die Unterscheidung von objektivem und phänomenologischem Ansatz - letzteren würden wir hier eher als subjektiven Ansatz bezeichnen — zur Untersuchung von Entscheidungen bei Norman
(Business Decision) S. 59.
1 Charakterisierung der Problemstellung
85
ben. Entsprechend der von uns gemachten Einschränkung bezüglich der Formulierung der Zielvorstellungen werden solche Hinweise allerdings nur mit sehr unterschiedlicher Deutlichkeit erkennbar sein. Prinzipiell läßt sich jedoch die Vielfalt aller Anregungsinformationen zu sechs Arten von Entscheidungsanregungen zusammenfassen:44 1. Realisierte Soli-Ist-Abweichungen: Sie zeigen an, daß durch Entscheidungen der Vergangenheit die angestrebten Ziele nicht erreicht wurden. Dadurch werden neue Entscheidungen angeregt, durch die die Erreichung der gesetzten Ziele gewährleistet werden soll oder durch die die Zielsetzung abgeändert wird. Allerdings gibt nicht jede realisierte Soll-Ist-Abweichung einen Hinweis auf ein wirklich existierendes Problem. Steigt beispielsweise der durchschnittliche Lagerhaltungsbestand über einen vorgegebenen Soll-Wert, so wird dadurch nur ein scheinbares Problem signalisiert, wenn die Abweichung durch eine entsprechende Erhöhung des Absatzes verursacht wurde. 2. Potentielle Soll-Ist-Abweichungen: Sie beruhen auf Prognosen darüber, daß die angestrebten Ziele nicht erreicht werden. Entsprechend der ersten Art von Entscheidungsanregungen können auch sie neue Entscheidungen anregen. 3. Änderung von Zielen: Werden Soll-Ist-Abweichungen weder für die Vergangenheit festgestellt noch für die Zukunft erwartet, so können Entscheidungsprobleme dennoch entstehen, wenn die sachlichen oder formalen Zielvorstellungen und somit die Soll-Werte selbst geändert werden. 4. Änderung von Lösungsalternativen: Entscheidungsprobleme werden auch durch Informationen über neue Lösungsalternativen initiert. Nicht selten ergibt sich z. B. auf Grund des technologischen Fortschritts die Situation, daß erst die Ziele gesucht werden müssen, zu deren Realisierung die vorhandenen Mittel eingesetzt werden können. Der das Problem charakterisierende Spannungszustand wird hierbei nicht ausgehend vom Ziel, sondern von einer Transformationsmöglichkeit her aufgebaut. 5. Änderung von Datenkonstellationen: Informationen über eine Veränderung der Datenkonstellationen, die bei einer Entscheidung als unkontrol44
Vgl. hierzu die verschiedenen Ansäße zur Unterscheidung von Entscheidungsanregungen bei Ansoff (Managerial) S. 1 lOff. (vgl. auch zu diesem Ansatz Frese (Kontrolle) S. 151 ff. und Wacker (Betriebswirtschaftliche Informationstheorie) S. 102); Grient (Der Prozeß) S. 53 ff.; Hauschildt (Initiative) Sp. 734f.; Wacker (Entwicklung) S. 56ff. Man kann auch ein zur Erreichung eines angestrebten Zieles einzusetzendes Verfahren zur Realisierung einer Lösungsalternative als Soll-Information betrachten. In diesem Fall impliziert die Formulierung „Soll-Ist-Abweichung" auch, daß die Information über eine Abweichung vom vorgeschriebenen Verfahren als Anregungsinformation anzusehen ist. „Soll-IstAbweichung" kann hier also sowohl Ergebnis- als auch Verfahrensabweichung bedeuten.
86
Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
Herbare Variablen beachtet werden müssen, vermögen gleichfalls Entscheidungsprozesse anzuregen. Denn auf Grund der geänderten Datenkonstellation einer Situation erweist sich beispielsweise die bisher gewählte Lösungsalternative als nicht mehr optimal oder sogar als unzulässig. 6. Termine für Anschlußentscheidungen: Entscheidungsprozesse können letzten Endes ebenfalls dadurch angeregt werden, daß die Geltungsbereiche der in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen zeitlich begrenzt sind. Zu bestimmten Terminen entstehen dadurch immer wieder Entscheidungsprobleme, die durch Anschlußentscheidungen gelöst werden müssen. Die ersten beiden Arten von Anregungsinformationen sind Kontrollinformationen, wobei die Kontrolle das eine Mal vergangenheitsorientiert, das andere Mal zukunftsorientiert ist. Kontrollinformationen können aber in jedem Fall nur Hinweise auf Probleme mit „Störungscharakter" geben. Solche Probleme entstehen durch das Auftreten von Störungen, die verhindern, daß das angestrebte Ziel erreicht wird. Die Anregungsinformation über die Änderung von Zielen, Lösungsalternativen und Datenkonstellationen sind Informationen, die die Spalten- und Zeilenelemente der Entscheidungsmatrix betreffen. Die Informationen über Ziel- und Alternativenänderungen geben Hinweise auf Probleme mit„ Chancencharakter". Diese Probleme entstehen durch das Entdecken von Chancen in Form neuer Lösungsmöglichkeiten oder neuer Bedürfnisse, aus welchen sich dann neue Zielvorstellungen ableiten. Änderungen der Datenkonstellationen können auf die Entstehung von Problemen sowohl mit Störungscharakter als auch mit Chancencharakter hinweisen. Die Probleme, auf deren Entstehen die letzte Art von Anregungsinformationen Hinweise gibt, lassen sich nicht allgemeingültig charakterisieren. Ein Großteil davon sind jedoch regelmäßig wiederkehrende Probleme, die jeweils auf Grund des neuesten Informationsstandes immer wieder mit demselben Entscheidungsverfahren gelöst werden. Neuberger45 charakterisiert drei Arten von Entscheidungsanregungen durch Hilfsverben, wodurch die Einstellung des Entscheidungsträgers zu den Anregungen zum Audruck kommt. Unter diesem Aspekt sind die Entscheidungsanlässe danach zu unterscheiden, ob der Entscheidungsträger infolge der Anregung entscheiden muß, will oder kann. Anregungsinformationen, die Hinweise auf Probleme mit Störungscharakter oder auf Anschlußprobleme geben, initiieren Muß-Entscheidungen. Dagegen regen Informationen, die Hinweise auf Probleme mit Chancencharakter geben, Will- oder 45
Neuberger (Psychologische Aspekte) S. 185.
1 Charakterisierung der Problemstellung
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Kann-Entscheidungen an. Daraus ist zu ersehen, daß die verschiedenen Arten von Anregungsinformationen mit sehr unterschiedlicher Intensität eine Entscheidung herausfordern. Die Notwendigkeit zur Beseitigung von Störungen und Wahrnehmung bestimmter Termine erzeugt praktisch einen Entscheidungszwang, dem sich der Entscheidungsträger kaum entziehen kann, auch wenn er nicht sehr entscheidungsfreudig ist. Zumindest kurzfristig ist ein solcher Entscheidungszwang zur Wahrnehmung von Chancen nicht gegeben, so daß entsprechende Anregungsinformationen nur dann zu einem Entscheidungsprozeß führen können, wenn die Bereitschaft oder der Wille dazu genügend groß sind. Selbstverständlich bleibt immer Voraussetzung für die Anregung eines Entscheidungsprozesses, daß die Anregungsinformation erkannt wird. Auch diesbezüglich gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Anregungsinformationen. Solche, die Hinweise auf Probleme mit Chancencharakter geben, sind im allgemeinen schwieriger zu erkennen als die anderen Anregungsinformationen. 46 Eine wesentliche Funktion der Zielformulierung und -vorgäbe ist deshalb auch darin zu sehen, daß sie relativ leicht erkennbare Anregungsinformationen in Form von Soll-Ist-Abweichungen ermöglichen, die sich systematisch erfassen lassen. Dieser Gedanke der systematischen Erfassung von Anregungsinformationen bringt uns zur Frage nach der Möglichkeit der Organisation der Entscheidungsanregung. 1.3.1.2 Organisation der Anregung Betrachtet man den Entscheidungsprozeß in Analogie zu Produktions- und Transportprozessen, die nur durch den Einsatz von Energien denkbar sind, so liegt es nahe, auch den Entscheidungsprozeß auf den Einsatz von Energie zurückzuführen. Mann unterscheidet in einer solchen Analogiebetrachtung drei Energieformen für geistige Prozesse: Energien zum Anstoß, zur Durchführung und zur Durchsetzung. 47 Die mit der Entscheidungsanregung (dem Entscheidungsanlaß oder der Entscheidungsinitiative) verbundene Energie ist demnach eine notwendige Energieform für den Ablauf von Entscheidungsprozessen. Durch organisatorische Gestaltung versucht man, diese Energie zu kanalisieren und ihr Freiwerden nicht dem Zufall zu überlassen. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß Witte bei seinen Überlegungen zum später noch zu erläuternden entscheidungsorganisatorischen Promotorenkonzept zunächst neben dem Fachpromotor und dem Machtpromotor 46 47
Vgl. auch Ansoff (Managerial) S. 113. Mann (Analogie) S. 51 ff.
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noch einen Prozeßpromotor anführte, der den Entscheidungsprozeß durch Abgabe von Initiativenergie fördern sollte. 48 Bleicher nennt die informationelle Ermöglichung und die konstitutive Provozierung von Entscheidungsprozessen als zwei Ansatzpunkte zur Sicherung des Entscheidungsanlasses durch organisatorische Gestaltung.49 Als deren Aufgabe sieht man im wesentlichen die Weckung und die Weiterleitung der Entscheidungsanregung an. so Nur ein geeignetes Informations- und Kommunikationssystem bietet die Chance, daß Anregungsinformationen erkannt und an die Stellen weitergeleitet werden, die tatsächlich einen Entscheidungsprozeß auslösen können. Das Informationssystem darf vor allem nicht auf die Erfassung oder Produktion einer bestimmten Art von Anregungsinformation - etwa Kontrollinformationen — beschränkt sein, sondern muß sich gleichermaßen auf alle Arten erstrecken! Entsprechend ihrer Informationsbedürfnisse sind die Organisationsmitglieder systematisch mit Anregungsinformationen zu versorgen. Allerdings genügt gerade zur Anregung von Entscheidungsprozessen eine derartige „geplante" Informationsversorgung nicht, sondern sie muß durch eine „unverlangte" Informationsversorgung ergänzt werden.51 Unverlangte Informationen sind für den potentiellen Benutzer eigentlich greifbar, aber er hat von ihrer Existenz keine Kenntnis. Er ist darauf angewiesen, daß ihm andere Organisationsmitglieder diese Informationen unverlangt übermitteln. Voraussetzung dazu ist, daß derjenige, der eine Information besitzt, eine ungefähre Vorstellung von den Informationsbedürfnissen der in Frage kommenden Organisationsmitglieder hat. Außerdem muß die Information vom Informationsbesitzer für wichtig genug gehalten werden, und er darf sie nicht aus persönlichen Gründen zurückhalten. Organisatorische Maßnahmen sollten dazu beitragen, daß diese Voraussetzungen gegeben sind. Werden nur die informationellen Voraussetzungen für die Anregung von Entscheidungsprozessen geschaffen ohne jede weitere organisatorische Regelung der Entscheidungsanregung, „dann verläßt sich ein System auf die individuelle ,zentrale Betroffenheit' seiner Entscheidungsträger".52 Bei einer konstitutiven Provozierung von Entscheidungsprozessen versucht man dagegen, durch Festlegung der organisatorischen Ordnungskomponenten die 48 49 50 51
52
Vgl. Mann (Analogie)S. 57. Zum Promotorenkonzept siehe S. 224. Bleicher (Perspektiven) S. 3 6 ff. Vgl. Hauschildt (Initiative) Sp. 735.. Vgl. zur „geplanten" und „unverlangten" Information als unterschiedlichen Informationstypen: Albaum (Information Flow) S. 61. Bleicher (Perspektiven) S. 37.
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Entscheidungsanregung organisatorisch zu etablieren. Hierzu gehört beispielsweise die Vorgabe der Größe einer Soll-Ist-Abweichung, durch die eine Entscheidung angeregt werden soll, oder die Vorgabe von Entscheidungszeitpunkten.53 Derartige organisatorische Regelungen sind jedoch nur bei planbaren Entscheidungen möglich und nicht bei Entscheidungen, die auf Grund situativer Anlässe getroffen werden müssen.54 Andere organisatorische Regelungen betreffen dagegen auch situative Entscheidungsanregungen. Zu ihnen gehört die in der Literatur oft erwähnte institutionelle Zuordnung von Anregungsrecht und -pflicht (Initiativrecht und -pflicht). ss Man sollte sich hierbei nicht auf die instanzielle Initiative beschränken und die Anregung oder Initiative nicht nur als eine Grundfunktion der Instanz, sondern auch als mögliche Funktion anderer Stellen sehen. Anregungsrecht und auch Anregungspflicht brauchen keineswegs immer an die Entscheidungskompetenz gekoppelt sein. Barnard unterscheidet unter dem Gesichtspunkt der hierarchischen Einordnung einer Stelle drei Arten von Anregungen für Entscheidungen, die diese Stelle zu treffen hat: S6 Anregungen, die vom Vorgesetzten ausgehen; Anregungen, die vom Untergebenen ausgehen; sowie Anregungen, die von der betrachteten Stelle selbst ausgehen. Die letzte Anregungsart läßt sich als Eigeninitiative bezeichnen, während die anderen zur Fremdinitiative zu rechnen sind. Sie umfaßt alle Entscheidungsanregungen, die nicht von der entscheidenden Stelle selbst herrühren. In einer Analyse des Entscheidungsverhaltens in Unternehmungen wurde ermittelt, daß die hierarchische Position das Entscheidungsverhalten eines Managers am meisten bestimmt.57 Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich auch dahingehend interpretieren, daß der Fremdinitiative eine größere Bedeutung als der Eigeninitiative zuzumessen ist. Denn die oberen Führungsebenen zeichnen sich zwar durch viel Freiheit gegenüber den Vorgesetzten, aber auch durch große Abhängigkeit von der Initiative der Untergebenen aus. Dagegen spielt die Initiative von Untergebenen auf den unteren Füh53
Rühli nennt als Beispiel für solche organisatorischen Regelungen die Festlegung eines Bestellpunktes zur Auslösung des Bestellentscheidungsprozesses. Rühli (Grundzüge) S. 285.
54
Vgl. Bleicher (Perspektiven) S. 28 sowie derselbe (Zur Organisation) S. 63 f. Vgl. vor allem Hauschildt (Initiative) Sp. 736 und ζ. B. auch Kosiol und Mitarbeiter (Die Organisation) S. 32. Barnard (Die Führung) S. 160 f. Vgl. dazu Blankenship and Miles (Organizational Structure) S. 106 ff. Vgl. hierzu auch die Ergebnisse der Untersuchung des Entscheidungsverhaltens bei: Zepf (Kooperativer Führungsstil) S. 107 ff.
55
56 57
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rungsebenen eine geringe Rolle; die Anregung zu den Entscheidungsprozessen geht hier jedoch meistens vom Vorgesetzten aus. Im Falle der Fremdinitiative kommt der organisatorischen Sicherstellung ihrer Weiterleitung große Bedeutung zu. 58 Besteht zwischen dem Initiator und der Stelle mit Entscheidungskompetenz kein direkter Kommunikationsweg, so besteht die Möglichkeit der Filterung der Anregungsinformation. Ein solcher Filtereffekt ist negativ zu beurteilen, wenn die Anregung ignoriert, unterschlagen oder okkupiert wird; er ist positiv zu beurteilen, wenn dadurch Redundanz in der Anregungsinformation beseitigt, gleichartige Anregungen gebündelt oder nicht relevante Anregungen ausgesondert werden. Wegen des Risikos des Filtereffektes scheint es oft zweckmäßig, einen gesonderten Informationsweg für Anregungsinformationen zu schaffen. Ob sich die Entscheidungsanregung oder -initiative überhaupt organisieren läßt, ist ein empirisch nicht eindeutig geklärtes Problem.59 Zumindest für die innovative Initiative stellt Witte fest, daß die Chance für die Anregung eines innovativen Entscheidungsprozesses um so mehr steigt, je niedriger der Organisationsgrad ist. 60 Diese Feststellung bezieht sich jedoch nur auf bestimmte organisatorische Ordnungskomponenten, und mit der Forderung nach einem niedrigen Organisationsgrad wird im Grunde die Organisierbarkeit und das Organisationsbedürfnis noch nicht in Frage gestellt. Für nichtinnovative Entscheidungsanregungen wird in der Literatur unseres Wissens Organisationsbedürfnis und Organisierbarkeit nirgends bestritten. Solange sie nicht falsifiziert ist, muß man also auch im Fall der Entscheidungsanregung von der Grundthese der Organisationslehre ausgehen, wonach ein organisierter Entscheidungsprozeß effizienter ist als ein unorganisierter.61 Dies gilt um so mehr, als sich die Anregung zu einem Entscheidungsprozeß selbst wieder als einen Entscheidungsprozeß niederer Ordnung mit den folgenden Phasen darstellen läßt: Erkenntnis des Problems, nach Entscheidungsanregungen zu suchen; Suche und Artikulation von Entscheidungsanregungen; willensbetonte62 Auswahl der Entscheidungsanregung; Durchsetzung und Kontrolle der Anregung des übergeordneten Entscheidungsprozesses. 58
Vgl. hierzu Hauschiidt (Initiative) Sp. 738 f. und die dort aufgeführte Literatur.
59
Vgl. ebenda Sp. 735. Witte (Innovationsfähige Organisation) S. 18. Siehe dazu auch S . 2 1 8 . Grient betont, daß zur tatsächlichen Auslösung eines Entscheidungsprozesses der Wille vorhanden sein muí?, eine Entscheidung zu treffen. Griem (Der Prozeß) S. 57. Diese Auffassung Griems ist insofern klarzustellen, als es sich nicht um den Willen zur übergeordneten Entscheidung, sondern nur um den Willen zur Auslösung des Entscheidungspro-
60 61 62
1 Charakterisierung der Problemstellung
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1.3.2 Problemstellung: Einleitungsphase im Entscheidungsprozeß Die Anregung eines Entscheidungsprozesses erfolgt auf Grund von Anregungsinformationen, die aus der Umwelt des Entscheidungsanregers oder aus seinem Inneren (im Gedächtnis gespeicherte Informationen, plötzlich auftauchende Ideen) stammen. Geht man vom Phasenschema des Entscheidungsprozesses aus, so läßt sich die Anregung als Vorphase des Entscheidungsprozesses betrachten. 63 An sie schließt sich als Einleitungsphase des Entscheidungsprozesses die Problemstellungsphase an, in der das Problem identifiziert und spezifiziert werden soll. Zwischen Anregung und Problemstellung besteht ein enger Zusammenhang, der sich auch darin zeigt, daß sie in der Literatur zum Teil gemeinsam in einer dem eigentlichen Entscheidungsprozeß vorgelagerten Phase dargestellt werden. 64 Wir grenzen sie ebenfalls nicht streng voneinander ab, sondern unterscheiden hier zwischen beiden nur zum Zweck der Systematisierung; die Problemstellungsphase wird als Bestandteil des eigentlichen Entscheidungsprozesses aufgeführt, um ihre unmittelbare Bedeutung für die Lösung des Entscheidungsproblems deutlich zu machen. Die Problemstellungsphase läßt sich in drei große Teilphasen, Aufgabenkomplexe oder Aktivitätsbereiche aufgliedern: 65 1. Problemerkenntnis: Im Mittelpunkt dieser Teilphase steht die Beantwortung der Frage: „ Wo existiert ein Problem?" Ausgangspunkt dazu ist die systematische Suche nach Anregungsinformationen, die ein rechtzeitiges und zuverlässiges Erkennen von Problemen gewährleisten soll. Daran muß sich eine Beurteilung der aufgenommenen Anregungsinformation anschließen, durch die man die Entscheidungsnotwendigkeit der signalisierten Probleme festzustellen versucht. Da Probleme nur im Zusammenhang mit Zielvorstel-
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zesses handeln muß. Dieser Entscheidungsprozeß kann danach wieder abgebrochen werden, so daß es gar nicht zum übergeordneten Entscheidungsakt, in dem sich der Wille manifestiert, kommt. Vgl. auch Bendixen und Kemmler (Planung) S. 120, Abb. 20. Sie nennen bei der schematischen Darstellung der Planungsphasen ebenfalls eine solche Vorphase und charakterisieren sie durch das Auftreten von Störungen und Fehlerhäufigkeiten, durch Problembewußtsein und Änderungwille sowie durch ein Streben nach aktiver Zukunftsgestaltung. Vgl. ζ. B. Kloidt, Dubberke und Göldner (Zur Problematik) S. 12 f. ; Ρfohl (Zur Problematik) S. 314; Scheuing (Der Unternehmer) S. 652. Folgendes teilweise in Anlehnung an Emory and Niland (Making) S. 42 ff., insbesondere S. 42 und S. 65 f. Siehe dazu auch die verschiedenen Ansätze zur Aufgliederung der Problemstellungsphase bei Ansoff {Managerial) S. 119 und S. 129·,Bleicher (Zur Organisation) S. 68 i.;Hahn (Führung) S. 161; V. Kortzfleisch (Heuristische) S. 209; Kühn (Möglichkeiten) S. 17ff.
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Teil II: Problemstellung bei der Entscheidungsfindung
lungen existieren können, ist es sinnvoll, dazu die Kriterien heranzuziehen, die auch der Erfassung betriebswirtschaftlicher Ziele dienen.66 Demnach hängt die Entscheidungsnotwendigkeit von der Beurteilung von Inhalt, Ausmaß, zeitlichem Bezug und organisationaler Durchsetzbarkeit der Lösung des signalisierten Entscheidungsproblems ab. 67 Die Beurteilung setzt allerdings im allgemeinen eine hinreichend genaue Beschreibung des Problems voraus. Eine systematische Beschreibung des Problems dient zunächst nur dem vollständigen Erkennen des Problems. Man beschränkt sich dabei auf eine lückenlose Erfassung der Symptome, in denen sich das Problem äußert, ohne schon nach den Ursachen zu fragen, was Aufgabe der Problemanalyse ist. 68 2. Problemanalyse: Im Mittelpunkt dieser Teilphase steht die Beantwortung der Frage: „Warum existiert das Problem?" Nach einer Überprüfung der Beschreibung des Problems hinsichtlich einer lückenlosen Erfassung der Symptome wird nach den Ursachen des Problems gesucht. Erstes Ergebnis der Analyse der Entstehung des Problems muß die Bestätigung sein, daß es sich um kein scheinbares, sondern um ein wirkliches Problem handelt. Neben der Analyse der Ursachen beinhaltet der Aufgabenkomplex der Problemanalyse auch die Analyse der Wirkungen, die eintreten, wenn das Problem nicht gelöst wird. 69 Außerdem gehört dazu die Analyse der Mittel bzw. Kosten und der Zeit, die für den Entscheidungsprozeß zur Verfügung stehen bzw. benötigt werden. 3. Problemformulierung: Im Mittelpunkt dieser Teilphase steht die Beantwortung der Frage: „Worin besteht die Lösung des Problems?" Hat man in der Ursachenanalyse tieferliegende Ursachen des Problems an Hand einer kausalen Zweck-Mittel-Kette ermittelt, so ergibt sich zunächst die Möglichkeit der Formulierung von Teilproblemen, die in Abhängigkeit von der ge66
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Vgl. zu diesen Kriterien oder Dimensionen der Ziele Heinen (Das Zielsystem) S. 59 ff. und Kappler (Zielsetzungs- und Zieldurchsetzungsplanung). Die Bedeutung einer richtigen Beurteilung der Entscheidungsnotwendigkeit unterstreicht das folgende Zitat von Barnard: „Die hohe Kunst der Führungsentscheidung besteht darin, die Fragen nicht zu entscheiden, die im Augenblick nicht relevant sind, keine voreiligen Entschlüsse zu fassen, solche zu unterlassen, die nicht wirksam gemacht werden können, und diejenigen Entscheidungen nicht zu treffen, die andere treffen sollten." Barnard (Die Führung) S. 163. Vgl. zur Unterscheidung zwischen „Erkennen" und „Verstehen" des Problems auch Hedberg (On-Man-Computer) S. 63 f. Emory-Niland führen diese Wirkungsanalyse ebenfalls als Bestandteil der Problemstellungsphase auf, ordnen sie aber dem Aufgabenkomplex der Problemformulierung zu. Emory and Niland (Making) S. 65 f.
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Charakterisierung der
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Teil III: Verbindung von Problem- und Lösungsorientierung
alle Merkmale der bekannten Entscheidungstypen letztlich folgenden sechs Merkmalsbereichen zuordnen lassen: Entscheidungssubjekt (-träger), -objekt, -struktur, -prozeß, -anregung und Lösungscharakter des Entscheidungsproblems. In Abb. 25 sind Entscheidungstypen diesen Merkmalsbereichen zugeordnet. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei nochmals betont, daß mit der Übersicht weder eine lückenlose Erfassung der realen Entscheidungen noch eine lückenlose Bestandsaufnahme der in der Literatur aufgeführten Entscheidungstypen angestrebt wird. Es soll lediglich ein Eindruck von häufig zur Typenbildung herangezogenen formalen Merkmalen vermittelt werden, wobei noch auf die zwischen verschiedenen Merkmalen vorhandenen Interdependenzen, die sowohl innerhalb der Merkmalsbereiche als auch zwischen ihnen bestehen können, aufmerksam gemacht werden muß. Die in den angeführten Entscheidungstypen zum Ausdruck kommenden Merkmalsausprägungen sind nur als Beispiele aufzufassen und geben nicht immer die Skala der jeweils möglichen Ausprägungen (Merkmalsabstufungen) an.
2.3 Anforderungen an eine Entscheidungstypologie Für die Konstruktion „guter" Typologien durch die Festlegung von geeigneten Merkmalen bzw. deren Ausprägungen läßt sich kein eindeutiges Hilfsmittel angeben.132 Allerdings kann man einige plausibel erscheinende Anforderungen nennen, denen eine Entscheidungstypologie genügen sollte. Die Aussagekraft der im folgenden zusammengestellten Anforderungen muß aber insofern eingeschränkt werden, als sie nicht alle operational sind und somit nicht immer objektiv über die Erfüllung oder Nichterfüllung einer Anforderung durch eine Typologie entschieden werden kann. Wir sind aber der Ansicht, daß diese Anforderungen jedem, der eine Typologie erstellen möchte, wenigstens Anhaltspunkte für eine Überprüfung der Typologie liefern. Anforderungen der Echtheit, Vollständigkeit und Eindeutigkeit:133 Um S. 6 ; Kahle
(Betriebswirtschaftliches Problemlösungsverhalten) S. 9 6 f f . ; Kirsch
dungsprozesse, Bd. II) S. 143 f.; Mann (Analogie) S. 6 9 f f . ; Rivett S. 4 8 f f , ; R ü h l i (Grundzüge) S. 273 ff.; Schnelle logie) S. 4 9 5 f f . ; Steiner
(Entschei-
(Entscheidungsmodelle)
(Organisation) S. 61 ff. ; Siebert
(ZurTypo-
(Top Management) S. 3 2 5 f f . ; Wild (Infiltrations- und Durchset-
zungsmöglichkeiten) S. 11 ff. Vgl. dazu außerdem die Aufgabenmerkmale bei Kargl lungen) S. 6 4 f . und Schmidt 132
Vgl. Tietz (Bildung) S. 5 5 .
133
Vgl. dazu Bendixen
(Wand-
(Bestimmungsfaktoren) S. 3 5 7 f .
und Peters
(Formale Bedingungen) S. 107. Formal lassen sich diese
2 Ordnen der Entscheidungsprobleme durch Typenbildung
233
die sogenannte triviale Klassifikation auszuschließen, bei der alle Elemente der Ausgangsklasse — also bei einer Entscheidungstypologie alle zu untersuchenden Entscheidungen — einer einzigen Unterklasse zugeordnet werden, muß die Anforderung der Echtheit erfüllt sein. Durch eine Typologie muß daher die Gesamtmenge der zu typologisierenden Elemente (Entscheidungen) in mindestens zwei nicht leere Teilmengen aufgegliedert werden. Nach der Anforderung der Vollständigkeit muß jedes Element der Gesamtmenge in mindestens einer Teilmenge enthalten sein, so daß keines der Elemente durch die Typologisierung „verlorengeht". Die durch die Typologie erfolgte Aufgliederung der Gesamtmenge soll zudem eindeutig sein; d. h. jedes der Elemente der Gesamtmenge muß in genau einer Teilmenge enthalten sein. Zwei Teilmengen dürfen also kein gemeinsames Element enthalten. Anforderung der Differenziertheit: Die durch die Typologisierung entstehenden Klassen von Entscheidungen sollten bezüglich des Untersuchungszwecks hinreichend homogen sein, damit die über einen Entscheidungstyp gemachten Aussagen auch tatsächlich auf alle in der durch ihn charakterisierten Klasse zusammengefaßten Entscheidungen zutrifft. Je größer die Anzahl der zur Kennzeichnung eines Typs herangezogenen Merkmale bzw. Merkmalsausprägungen ist, desto homogener werden die zusammengefaßten Entscheidungen sein. Je mehr differenziert wird, desto einfacher ist es zwar, gültige (wahre) Aussagen für eine Klasse von Entscheidungen zu machen, desto kleiner ist aber auch die Entscheidungsklasse, also die Zahl der Entscheidungen, für die diese Aussagen zutreffen, desto geringer ist somit der Informationsgehalt der Aussagen. Andererseits steigt der Informationsgehalt der Aussagen auch, je bestimmter sie sind. Der Grad der Bestimmtheit möglicher Aussagen steigt aber im allgemeinen mit dem Grad der Differenziertheit, der bei der Bildung von Entscheidungstypen angewandt wird. Daraus wird das Dilemma deutlich, in dem man sich befindet, wenn man „hinreichende" Homogenität bzw. Differenziertheit genauer definieren will. Man sollte einerseits so allgemeine Entscheidungstypen wie möglich bilden, andererseits aber auch so bestimmte Aussagen wie möglich machen. Anforderung der Pragmatik: Im Zusammenhang mit der Anforderung der Differenziertheit muß auch die Anforderung der Pragmatik gesehen werden. Damit eine Entscheidungstypologie praktisch anwendbar ist, muß sie die bedrei Anforderungen in der Mengenlehre folgendermaßen angeben (Gesamtmenge K; Teilmengen K l f K 2 , . . . , K„; mit η > 2): -
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