Sprachliche Relativität: eine problemorientierte Einführung 9783825223199


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Sprachliche Relativität: eine problemorientierte Einführung
 9783825223199

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Iwar Werlen ' (

Sprachliche Relativitat Eine problemorientierte Einführung

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Universit~H ln::>titut für

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Welt un d Wirklichkeit

Das Prinzip der sprachllchen KelatiVItiit

es ist die Diskussion um Vererbung und Erziehung, um Instinkt und Lernen, um nature and nurture. Theorien, die den Menschen als erziehungsabhangiges Wesen sehen, gehen haufig davon aus, dass Menschen Produkte ihrer gesellschaftlichen Umwelt sind: die Erfahrungen mit anderen Menschen - von den Eltern über die peer group, die Lehrpersonen und die Vertreterinnen und Vertreter anderer Institutionen bis hin zu den Massenmedien - pragen das Individuum. Theorien, die die Erbanlagen in den Vordergrund stellen, sehen d en Menschen haufig als von diesen vorherbestimmt an. Diese Frage ist n ur teilweise unabhangig von der Diskussion von Universalismus und Relativismus: wenn die Erbanlagen vollstandig bestimmen, w as Menschen sin d und tun, dann kann es keinen oder nur einen oberflachlichen Relativismus geben. Es fehlt dann ein Spie!raum für Freiheit: alles ist vorausbestimmt aufgrund des Erbgutes. Variation ergibt sich aus unterschiedlichem Erbgut und diese Variation ist zufa!lig (wenn man nicht die neuesten Gentechnologien mitberücksichtigen will). Relativitat setzt einen Menschen voraus, der nicht schon vollstandig vorausbestimmt ist, der vielmehr erziehbar und lernfi:ihig ist und durch Erziehung und Lernen verandert werden kann. Die Betonung des Geistes und der Vernunft in der Auffassung vom Menschen hat schlieElich zur Folge gehabt, dass Emotion, Intuition und Kreativitat in den Hintergrund getreten sind. Zentral -au eh im Sprachbereich- ist die rationale Seite des Menschen. Das gi!t natürlich insbesondere für das Menschenbild der Aufklarung. Korrekturen an diesem Menschenbild bringen Autoren, denen wir im Kapitel 3 wieder begegnen werden, etwa J. G. Herder. Die Betonung des Individuums in der philosophischen Tradition vernachlassigt haufig seine gesellschaftliche Bedingtheit: Menschen werden von anderen Menschen gezeugt, wachsen im Kontakt mit anderen Menschen auf, lernen im Kontakt mit ihnen Sprachen, werden 'sozialisiert'- also zu Gliedern einer Gemeinschaft gemacht. Dabei kann das Gleichgewicht zwischen Individuum und Gesellschaft unterschiedlich gewertet werden: Ideologien wie der Nationalsozialismus oder der Kommunismus stellen die Volksgemeinschaft oder das Kollektiv in d en Vordergrund- das Individuum wird zurückgedrangt, im Extremfall bis zu seiner Vernichtung. Andere stellen es so sehr in den Vordergrund, dass die Gesellschaft praktisch verschwindet- eine Tendenz, die sich vor allem in westlichen Kulturen bemerkbar macht. Denn die vergleichende interkulturelle

Forschung hat gezeigt, das s Kulturen sich stark darin unterscheiden, welche Rolle dem Individuum zugesprochen wird. So schlagt etwa d er hollandische Sozialpsychologe G. Hofstede (1997) eine Unterscheidung von individualistischen und kollektiven Kulturen vor: in kollektiven Kulturen vertritt das Individuum immer di e Gruppe, d er es angehórt, z.B. die GroEfamilie. Und diese Zugehórigkeit betrifft al! e Lebensbereiche- das Individuum kann sich nicht von d er Familie distanzieren, wie das in westlichen Kulturen heute der Fali ist. 12 Di e Verschiedenheit d er Gesellschaften un d Kulturen ist e in wesentliches Problem von Universalismus und Relativismus (siehe W.A. Foley 1997, Part III un d Part IV). Für unsere Problematik wichtig ist dabei, wie das Verhaltnis von Sprache und Kultur gesehen wird- ein rekurrentes Thema der Ethnologie (vgl. Kapitel 4). Kultur ist dabei im weiten Sinn verstanden als Ensemble von geteilten Annahmen über die Wirklichkeit in einer Gemeinschaft.

1.2

Welt und Wirklichkeit

Am Anfang dieses Kapitels war davon die Rede, dass für ein Alltagsverstandnis von Welt gilt: es gibt eine Welt auEerhalb des Individuums. Diese Welt wird haufig verstanden als materielle oder physische Welt: die Existenz von Gegenstanden und Lebewesen auf einem Planeten, der selbst aus Materie besteht. Das Individuum, begriffen als Geist in einem Korper, steht dieser materiellen Welt sozusagen gegenüber: es erfahrt sie, in dem es Dinge und Lebewesen sieht, hórt, riecht, schmeckt, berührt und fühlt. Die Sinnesorgane des Menschen sind aber beschrankt: der Bereich sichtbarer Wellen und der Bereich horbarer Frequenzen sind nur Ausschnitte aus einem groEeren Spektrum. Wir riechen nicht alles, was Hunde riechen kónnen. Diese Beschrankungen des sinnlich Wahrnehmbaren lassen sich teilweise durch geeignete Instrumente aufheben: Fernrohre, Elektronenmikroskope, Ultraschallgerate, Beobachtungssatelliten, Elektronenbeschleuniger und viele andere Instrumente 12 Um ein Beispiel zu bringen: in unserer eigenen Kultur ist es norma!, dass die Kinder 'ausfliegen', wenn sie volljiihrig werden. Sie suchen sich eine eigene Wohnung, ziehen von zu Hause aus und werden 'selbstandig'. In der philippinischen Gesellschaft ist diese Verhaltensweise nicht miiglich - von zu Hause ausziehen würde bedeuten, si eh von d er tragenden Gro!Sfamilie zu distanzieren. Hingegen ist akzeptiert, dass Kinder aus iikonomischen Gründen migrieren, da bei aber immer weiterhin di e Eltern unterstützen.

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Das Prinzip der spracnucnen Keianviiai

mehr erlauben e s d en Menschen, di e Erfahrbarkeit d er Sinne auszuweiten und zu versüirken. Das Bild der materiellen Welt verandert sich so: die heutige Physik ist weit von jenem alltaglichen Weltbild entfernt, mit dem wir leben. Das Individuum erfahrt sich aber als Ki:irper au eh als Teil d er Welt: es erfahrt die Wirkungen de r Schwerkraft g ena u so, wie das an dere Gegenstande un d Lebewesen tun. Es ist Naturgefahren und Gefahren durch andere Lebewesen ausgesetzt. Die Wahrnehmung der Welt durch das Individuum wird traditionell eher als passiv gesehen: die Sinneseindrücke kommen von auEen und bilden im Individuum ein Bild a b -man stellt si eh das so vor wie einen einfachen Fotoapparat. Di e Physiologie un d Psychologie der Wahrnehmung haben jedoch gezeigt, dass Wahrnehmung alles andere als passives Aufnahmen von Sinnesreizen ist. Vielmehr zeigt sich, dass unter anderem das, was ein Individuum schon weiE, schon erfahren hat und zu erfahren erwartet, seine Wahrnehmung mitbestimmt. 13 Wahrnehmung, wie E.B. Goldstein ( 1997, 3) sagt, "geschieht" nicht einfach. Das gilt insbesondere auch für die Wahrnehmung von Sprachlauten: die Erfahrung mit der ersten gelernten Sprache legt fest, welche sprachlichen Merkmale wir hi:irend wahrnehmen und welche nicht (vgl. O. Bohn 2000). Allerdings ist diese Festlegung ni eh t unaufli:isbar: beim Lernen neuer Sprachen oder bei phonetischen Übungen kann das sogenannte 'phonemische Hi:iren' verandert werden. Ein anderer wichtiger Aspekt der Welt- und Wirklichkeitserfahrung ist der gestaltende Umgang mit der uns umgebenden Welt: Menschen füllen die Welt mit Artefakten, also hergestellten Gegenstanden, an - Artefakte sind es, welche in der Vorgeschichte als Zeichen der Menschlichkeit von Homo neandertalensis und Homo sapiens sapiens interpretiert werden. 14 Menschen gestalten die Welt um: vom Bauer, der einen Acker pflügt, über die Architektin, die einen Flughafen plant und baut, bis hin zum Elektrokonzern, der einen Staudamm bauen lasst. Diese Umgestaltung ist nicht unproblematisch, wenn wir an die Folgen des menschlichen Handelns 13 In d er Wahrnehmungspsychologie sind es sog. Priming-Effekte, di e systematisch zeigen, dass Erwartungen Wahrnehmungen (mit)-steuern. Noch deutlicher zeigt die Werbepsychologie, wie sehr Einstellungen, Erwartungen und Werte die Wahrnehmung beeinflussen (vgl. etwa Mayer/Illmann 3 2000). 14 Als früheste derartige Gerate gelten die sogenannten Gerollgerate (pebb/e too/s). Die altesten sin d aus Ãthiopien und Tansania bekannlund wurden vor etwa 2,5 Millionen Jahren hergestellt (nach: A. Furger et al., 1998, 66).

Welt und Wirklichkeit

für die Umwelt und deren Rückwirkungen auf die handelnden Menschen denken. Die materielle Welt wird mehr und mehr zum Produkt der handelnden Menschen. Das braucht jedocb durcbaus nicht in allen Kulturen so zu sein: es gibt auch in unserer heutigen Welt noch Jager- und Sammlerkulturen, in denen die Welt einen gegebenen Ressourcenraum darstellt, d er prinzipiell nicht veranderbar ist. Die materielle Welt wird baufig statisch interpretiert. Aber die Welt ist nicht einfach eine Agglomeration von Dingen und Lebewesen. Lebewesen bewegen sich, müssen sich ernahren und ihre Abbauprodukte abgeben, pflanzen sich fort und sterben. Regen, Schnee un d W in d gestalten Landschaften u m, zersti:iren Siedlungen. Die Welt ist in standigen Prozessen auf allen mi:iglichen Skalen befindlich. Aber nicht alle diese Prozesse nehmen Menschen wahr - wir unterliegen z.B. selbst einem standigen Alterungsprozess, d er uns nur selten bewusst wird. Die Welt erscheint uns als immer gleich. Un d dennoch verandert sie sich in jedem Augenblick un d wir uns mit ihr. Die Welt ist aber nicht nur eine materielle Welt und eine vom Menschen gestaltete Welt. sondern auch eine gesellschaftlich inter15 pretierte Welt, die manchmal 'Wirklichkeit' genannt wird. Zur Wirklichkeit gebi:iren au eh alle jene Konventionen, die unser soziales Leben regeln - seien sie explizit als normative Texte, seien sie implizit als stillschweigende, geteilte Annahmen über das, was die Wirldichkeit ist: • Wenn eine Frau und ein Mann heiraten, andert sich ihre rechtliche Stellung- sie gelten als Ehepaar und ein Ehepaar ist etwas anderes als eine Frau und ein Mann. • Wenn ich etwas kaufe, dann gehiirt es mir. Und wer es mir wegnimmt, gilt als Dieb. • Die Münze, mit der ich bezahle, hat ihren Wert nur in einem Geldsystem- sie selbst hat kaum einen eigenen Wert.

Wir sind umstellt von sozialen Tatsachen: von der staatlichen über die religii:ise Organisation bis hin zu jenen alltaglichen Ge- und Verboten, di e wir als selbstverstandlich betrachten. Un d di ese soziale Welt beeinflusst unsere Wahrnehmung der Welt. Ein einfaches Beispiel: wenn ich d en Hahn des Waschbeckens i:iffne, kommt Trink-

15 So verwendet etwa das inzwischen schon klassische Buch von P. Berger l T. Luckmann 1997 [ursprünglich englisch 1966, dt. 1969] den Ausdruck.

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Welt und Wirklichkeit 10

Das Prinzip der sprachlichen Relativitat

wasser heraus. 16 Sobald das Wasser im Siphon verschwindet, ist es Abwasser - nicht mehr trinkbar, verschmutzt, etwas Gefahrliches. Das Wasser, das aus dem Hahnen flie!St, ist das gleiche Wasser, das in den Siphon flieEt - materiell gesehen. Sozial ist es etwas ganz Anderes. Und das hat Konsequenzen: sogenanntes Brauchwasser muss- zumindest in der Schweiz- über die Abwasserkanalisation entsorgt werden. Regenwasser dagegen darf in einen Fluss gelangen. Menschen unterscheiden Bestandteile de r Welt dana eh, ob.sie für sie brauchbar sind oder nicht: Essbares vs. Ungeniefibares, Sauberkeit vs. Schmutz, gut vs. schlecht- solche Kategorien pragen die Wahrnehmung von Dingen. Aber auch andere Kategorien sind wirklichkeitskonstituierend: das Wort Wald konstituiert einen Gegenstand, den es so nicht gibt. 17 Was existiert sind Boden, Baume und andere Pflanzen, Lebewesen verschiedenster Art. Aber das alles gilt n ur als Wald, wenn eine bestimmte Dichte da ist. Ein Wald aus drei Baumen z.B. ist kein Wald. In der materiellen Welt existieren Einzeldinge, Individuen. Wir aber sehen die Individuen meistens als Vertreterinnen und Vertreter von Kategorien: Fido ist ein Hund und ein Hund ist ein Lebewesen. Kategorien findet man nicht einfach in der Welt: sie werden konstruiert. W as ha ben ein Bett, ein Tisch und ein Schrank gemeinsam? Sie sind alle drei Miibe!stücke. Das weiE die Sprecherin des Deutschen, unabhangig davon, was für ein Bett, was für ein Tisch und was für ein Schrank gemeint ist (sie konnten z.B. alle drei auch aus Fichtenholz bestehen, aber das ware eine zufallige gemeinsame Eigenschaft zumindest für unsere Kultur; J.A. Lucy (l992a) zeigt, dass das für Sprecher des Yukatekischen anders ist). Der Verdacht liegt nahe, dass es sprachliche Aspekte sin d, die bei der Konstruktion einer Kategorie eine Rolle spielen konnen- das ist eines de r immer wiederkehrenden Themen in der Debatte um das Prinzip der sprachlichen Relativitat. Es gibt aber auch noch eine andere Beziehung, die materielle Gegenstande haben konnen- die Teil-von Beziehung. Eine Nase ist Teil eines Gesichtes und ein Knie ist Teil eines Beines. Darum tont es so seltsam, wenn Christian Morgenstern schreibt: 16 Das gilt natürlich n ur für Lander, in denen eine entsprechende Wasserversorgung gewahrleistet ist. In vielen Liindern der sog. Dritten Welt gilt das nur eingeschriinkt. 17 Wie schwierig es ist, Wald zu definieren, zeigt die folgende Legaldefinition aus d em schweizerischen B undesgesetz über d en W al d (Waldgesetz, WaG) von 1991: "Als Wald gilt jede Flache, di e mit Waldbiiumen oder Waldstrauchern bestockt ist und Waldfunktionen erfüllen kann." (Art. l Waldgesetz, WaG).

Ein Knie geht einsam durch die Welt. Es ist ein Knie, sonst nichtsl Es ist kein Bauml Es ist kein Zelt! Es ist ein Knie, sonst nichts. (Christian Morgenstern, Stuttgarter Ausgabe, Bd. 3, 68)

Teil-von Beziehungen sind nicht in der gleichen Art und Weise abstrakt wie Kategorien; sie sind vielmehr relational, d.h. nicht einfach losgelost von dem Ganzen, dessen Teil si e sind, zu begreifen. Manchmal ergeben sich dann Dinge, die Teil von etwas sind, und doch materiell eigentlich nichts. Auch hier hat Morgenstern ein schones Beispiel: Der Lattenzaun Es war einmal ein Lattenzaun, mit Zwischenraum, hindurchzuschaun. Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plõtzlich da und nahm den Zwischenraum hera us und baute draus ein gro!Ses Ha us. Der Zaun indessen stand ganz dumm, mit Latten ohne was herum, Ein Anblick grii!S!ich und gemein. Drum zog ihn der Senat auch ein. D er Architekt jedoch entfloh nach Afri- od - Amerika. (Christian Morgenstern, Stuttgarter Ausgabe, Bd. 3, 74).

Der Zwischenraum ist das Nichts zwischen den Latten eines Lattenzaunes. Das Deutsche ermoglicht es Morgenstern, diesen Zwischenraum wie ein Ding zu behandeln, das man rausnehmen und aus dem man Hauser ba uen kann. W as der Dichter hier macht, ist als Reifizierung, als Verdinglichung bekannt - auch das ein bekanntes Thema in der Diskussion um das Prinzip der sprachlichen Relativitat.Is

18 Das gilt auch flir B.L. Whorf (siehe Kapitel4). Die ausführlid1ste Behandlung des Themas aus einer gemaf5igt relativistischen Sicht hat Ernst Leisi in De r Wortinlzalt vorgelegt (E. Leisi 5 1975).

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1L.

LJas Prinzip der sprachlichen Relativitat

1.3

Sprache

Ferdinand de Saussure unterschied im postum erschienen Cours de linguistique générale (l 916) langage 'Sprachfahigkeit, Sprache schlechthin', langue '(Einzel)Sprache als System' und para/e 'Rede, verwendete Sprache'. Wenn also von Sprache die Rede ist, kann entweder die menschliche Sprachfahigkeit überhaupt oder die jeweilige Einzelsprache oder die Verwendung der Einzelsprache beim Reden oder Schreiben gemeint sein. Da bei schranken si eh· di e meisten Sprachwissenschaftler ein auf die sogenannten "natürlichen" Sprachen, d.h. also auf Sprachen, die in der biologischen Organisation des Menschen angelegt sind und die von Sauglingen und Kleinkindern ganz automatisch erlernt werden, wenn sie sie hbren. Tiersprachen oder andere semiotische Systeme wie z.B. Verkehrszeichen sind hier normalerweise nicht mitgemeint. Natürliche Sprachen sind typischerweise Lautsprachen. Wer sie verwendet, nützt di e Moglichkeiten von Atmung, Kehlkopf, Zunge, Mund- und Nasenraum aus, um artikulierte Gerausch- und Tonfolgen (also Lautfolgen) zu erzeugen, die vom Gehor aufgenommen und im Gehirn weiterverarbeitet werden konnen. 19 Natiirlich sind solche Sprachen also in dem Sinne, als eine natürliche, biologische Grundausstattung gegeben sein muss, damit sie erlernt und verwendet werden konnen. Kultu re l! sin d solche Sprachen in dem Sinn, als jede Sprache von dem lernenden Kind aus den Augerungen seiner Umgebung, also der Mutter, des Vaters, der Geschwister und Spielkameraden erworben wird. Kulturell sind sie auch in dem Sinn, als ihre Verwendung kulturellen Regeln folgt- wir lernen nicht nur zu sprechen, sondern auch, wann wer wie wo was sagen darf oder muss oder nicht darf. Einige dieser Lautsprachen werden auch geschrieben. Die Schrift ist zwar eine relativ spate Entwicklung in der Geschichte der Menschheit, heute aber kann di e Wichtigkeit des Schreibens nicht unterschatzt werden. 20 Dennoch muss betont werden, dass zwar alle Menschen - sofern sie nicht entsprechend 19 In der Literatur zu den sogenannten Gebiirdensprachen (engl. sign /anguages) wird di e Annahme vertreten, das s a u eh Gebardensprachen 'natürliche' Sprachen in dem angeführten Sinn seien. Si eh er ist, das s Gebardensprachen nicht einfach Umsetzung von Lautsprache darstellen. Siehe dazu P. Boyes Braem ( 3 1995). 20 Das Verhaltnis von gesprochener und geschriebener Sprache hat in den Ietzten Jahren vermehrt Beachtung gefunden. Heute wird meistens unterschieden zwischen Schreiben-Lesen un d Sprechen-Horen au[ de r e in en Sei te, Oralitiit un d Literalitiit au[ der andern Seite. Vgl. dazu etwa D. Barton (1994).

Sprache

behindert sind- eine Lautsprache lernen und sprechen, dass aber 21 lange nicht alle auch schreiben und lesen lernen. Die natürliche Grundausstattung des Menschen ist den verschiedenen Einzelsprachen gegenüber offenbar neutral:jedes neugeborene Kind erlernt die Sprache oder die Sprachen, die es hort. Was 22 genau di ese Grundausstattung umfasst, ist immer noch umstritten. Aber man kanu sagen, dass Menschen Sprachfahigkeit besitzen un d dass diese Sprachfahigkeit auch ein neurophysiologisches Korrelat hat, das bei den meisten Menschen primar in der linken Hirnhalfte lokalisierbar ist. 23 W as immer man als angeboren betrachten mag, es ist kiar, dass Sprachen auch erworben und gelernt werden. Dieser Lernprozess umfasst al! e Aspekte der Sprache(n). Das Prinzip de r sprachlichen Relativitat sagt nun voraus, dass Erwerb und Lernen der Sprache auch Auswirkungen auf die erworbenen begrifflichen Inhalte hat. Zu diesem Thema !iegenjetzt einige Studien vor (zuletzt in M. Bowerman l St.C. Levinson (eds.) (2001)), die deutlich in die Richtung des Prinzips der sprachlichen Relativitat weisen- ganz im Gegensatz zur generativen Spracherwerbstheorie. Sei t N oam Chomsky (l 965) ist di e Unterscheidung von competence 24 'Sprachkompetenz' und peiformance 'Sprachperfomanz' gangig. Dahinter steckt die Idee, dass das sprachliche Wissen, welches ein Individuum besitzt, resp. erworben hat, es in die Lage versetzt, überhaupt die jeweilige Sprache zu sprechen. Almlich wie bei Saussures langue wird dem Sprachsystem, dem Sprachwissen vor der Verwendung des Wissens im Sprechen, in der parole, der Vorzug gegeben. Das ist insofern problematisch, als Sprachen - empirisch 21 Die UNESCO veroffentlicht in ihrem World Education Report Schatzungen über den Anteil illiterater Personen an der Gesamtbevolkerung der Liinder der Welt. Um ein Beispiel herauszugreifen: für Agypten wird geschatzt, dass 1997 47.1% de r Bevolkerung über 15 Jahren illiterat waren (UNESCO, World Education Report 2000, Ta ble 2, p. 131). 22 Zwar ist St. Pinker ( 1994) sellf popular geworden mit seiner Darstel!ung des Spraclzinstinkts. Dennoch sind weiterhin eine Reihe von Fragen of!en, die nicht gekUirt sind, z.B. die tatsiichliche Rolle des 1nputs, die Mutter-Kind-Interaktion, das Verhiiltnis von rezeptiver und produktiver Entwicklung und so weiter. Zu einem alternativen Ansatz siehe z.B. M. Tomasello 1995. 23 Ohne au[ Details einzugehen, ist darau! zu verweisen, dass di e Ansi e h t von den spezifischen Gehirnarealen !ür Sprachproduktion, -speicherung und -verarbeitung alleinnicht genügt. Es geht hier au eh um die Interaktionen zwischen di ese n Arealen. Für Details siehe L. Obler l G. Gjerlow (1999, 9!!.)- sie sprechen von "]ocationalists" un d "holists". 24 Die Bezeichnung Pezformanz hat sich im Deutschen durchgesetzt, obwohl so etwas wie Vollzug oder Ausiibung miiglich gewesen wiire.

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Sprache

gesehen- immer nur im Sprechen und Schreiben zuganglich sind. In di e ser Hinsicht befinden sich Linguisten in einer ahnlichen Situation wie sprachlernende Kinder: auch sie erwerben ihre Sprache aufgrund von ÀuJSerungen anderer. Nur versuchen Linguisten, Grammatik und Wortschatz der Sprachen explizit zu beschreiben. Saussure, anders als Chomsky, hat gesehen, dass Sprache auch eine wesentlich soziale Dimension hat - er spricht von ihr als von einemfait social, einer gesellschaftlichen Tatsache. Das heiJSt mit anderen Worten, dass jede Sprache an eine Sprachgemeinscl~ft gebunden ist, dass sie nicht nur Besitz und Konnen von Individuen darstellt, sondern gesellschaftlich vennitteltes Wissen und Konnen, dessen Ganzheit nur in der Sprachgemeinschaft gegeben ist und nicht beim individuellen Sprecher oder der individuellen Sprecherin. Die Sprachfahigkeit des Menschen wird immer in Einzelsprachen realisiert. Einzelsprachen aber sind voneinander verschieden. Diese Verschiedenheit stellt in gewisser Weise ein Paradox dar. Wenn wir davon ausgehen, das s Menschen un t er anderem deswegen sprechen konnen, um sich mit anderen Menschen zu verstandigen, dann ist es in gewisser Weise unsinnig, wenn Sprachen von einander so verschieden sind, dass der Sprecher der einen Sprache eine Sprecherin der andern Sprache nicht versteht. Und genau das ist der Fall: wenn ich eine mir unbekannte Sprache hore, verstehe ich im Normalfall nichts. Die Verschiedenheit der Sprachen ist also aus einer kommunikativen Sicht heraus dysfunktional. Wie lasst sie sich dann erkliiren? Die nachstliegende Antwort ist: durch den Gebrauch der Sprache im Schreiben und Sprechen selbst. Von einigen Sprachen verfügen wir über rund tausend Jahre geschichtlicher Zeugnisse. 25 Sie zeigen uns, dass diese Sprachen sich verandert haben. Die meisten Veranderungen sind nicht geplantsie passieren einfach im Laufe der Zeit. Selbst nahe beieinander lebende kleine Sprachgemeinschaften entwickeln unterschiedliche Formen von Sprachen, wie die Dialektgeographie gezeigt hat. Erst die Schriftentwicklung, die Schulpflicht und die Bedürfnisse weiter

reichender Kommunikation ha ben dazu geführt, das s si eh nationale Sprachen mit einem groJSen Kommunikationsradius und relativer Gleichformigkeit herausgebildet haben. Dabei muss aber diese Gleichfürmigkeit durch Standardisierung, Nonnierung und Kodifizierung erreicht werden. 26 Worin aber besteht die Verschiedenheit d er Sprachen? Lange Zeit gilt in der abendlandischen Welt di e Festlegung, die Aristoteles in De intetpretatione (Peri hermeneias) gibt - dem fundierenden Text der abendlandischen Sprachphilosophie bis ins 17. Jahrhundert und darüber hinaus: Nun sind die (sprachlichen) ÃuJSerungen unserer Stimme ein Symbol für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfahrt, und das, was wir schriftlich auJSern, (ist wiederum ein Symbol) für die (sprachlíchen) ÃuEerungen unserer Stimme. Und wie nicht alle (Menschen) mit denselben Buchstaben schreiben, so sprechen sie au eh nicht alle dieselbe Sprache. Di e seelischen Widerfahrnisse a b er, für welche di e ses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen ist, sind bei allen (Menschen) dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, von denen diese (seelischen) Widerfahrnisse Abbildungen sind, (für alle) dieselben. (Aristoteles, De interpretatione l6a, 4-8. Übersetzung von H. Weidemann 1994, 3 ).

25 Diese Zeugnisse sind durdnveg schriftlicher Art; über die viel liingere Zeit der

Für Aristoteles sind die Laute und die Schriftzeichen Symbole der "seelischen Widerfahrnisse", d.h. der Erfahrungen, die der Mensch sozusagen passiv erleidet. Die Verschiedenheit der Sprachen betrifft dann nur die Laute und Schriftzeichen, nicht aber die "Widerfahrnisse" und auch nicht die Dinge, auf die die Widerfahrnisse zurückgehen. Aristoteles nimmt also an, dass alle Menschen die gleichen Dinge gleich erfahren, diese Erfahrungen aber mit andern Lauten und Zeichen benennen. Auf diese Stelle bezieht sich Wilhelm von Humboldt, wenn er davon spricht, dass die Verschiedenheit der Sprachen nicht eine von "Schallen und Zeichen", sondern von "Weltansichten" sei (siehe unten Kapitel3). Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass die Verschiedenheit der Sprachen durchaus nicht nur auf der Ebene des einzelnen sprachlichen Zeichens liegt. Natürlich ist das die vordergründigste, am leichtesten erkennbare Verschiedenheit. Was im

blo/S mündlichen Sprachverwendung lassen sich nur sehr indirekte Aussagen machen. Übrigens zeigen diese schriftlichen Zeugnisse, dass nicht alle Sprachen sich im gleichen Zeitraurn gleicherrna/Sen stark verandern. So sind etwa die iiltesten Zeugnisse des Georgischen aus dem 5. Jahrhundert nach Christus deutlich weniger vorn heutigen Georgisch verschieden, als etwa die altesten Zeugnisse des Althochdeutschen vom heutigen Neuhochdeutschen.

26 Wie schwierig die Kodifizierung ist, zeigt das Beispiel der deutschen Rechtsdueiberelorm von 1996, die am !. August !998 in Kraft trat. Ende Juli 2000 kündigte die Frankfurter Allgemeine Zeitung an, wieder zur al te n Rechtschreibung zurückkehren zu wollen, weil die Ziele der Reform nicht erreicht worden seien.

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16

Das Prinzip de r sprachlichen Relativitat

Deutschen Baum genannt wird, heiEt im Englischen tree. Dass die Leute auf Tahiti keinen Ausdruck für das kennen, was im Deutschen Se/mee heiEt, ist verstandlich- schlieE!ich gibt es dort keinen Schnee. Diese lexikalischen Verschiedenheiten stehen zwar haufig im Vordergrund der Diskussion, aber bei naherem Zusehen zeigt sich, dass die Verschiedenheit a!le Ebenen oder Bereiche von Sprachen umfasst: die Phoneminventare unterscheiden sich genauso voneinander wie die Formenbildung, d er Satzbau, die Bedeutun~en und die Gebrauchsweisen - technischer gesprochen: Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik sind verschieden. Allerdings: Verschiedenheit gibt es nur, wenn es auch Gemeinsamkeit gibt - und genau das ist die Frage, die zu beantworten ist: was ist d en Sprachen d er W e!t gemeinsam und was ist verschieden? Es sind zwar alle Sprachen der Welt Lautsprachen, aber das Lautoder Phoneminventar der Sprachen ist verschieden. Es besitzen zwar al!e so etwas wie einen Formenbau- zwischen einer Sprache wie dem Chinesischen und einer Sprache wie dem Eskimo liegen aber Welten an Verschiedenheit in diesem Bereich. 27 Alle Sprachen haben so etwas wie syntaktische Kategorien, aber nicht alle haben die gleichen. Bei allen spielt die Wortstellung eine Rolle, aber bei den einen ist sie fest und bei den andern frei. Methodisch gesehen sind nun aber Gemeinsamkeit und Verschiedenheit abhangig von der Sichtweise: was unter einem Gesichtspunkt gleich ist, kann unter einem andern verschieden sein. Das Begriffspaar 'etisch'- 'emisch' wird üblicherweise verwendet, um einen solchen Blickwechsel zu zeigen. Es ist abgeleitet aus der Unterscheidung von Phonetik und Phonemik. Di e Phonetik beschreibt alle moglichen Laute, die Menschen in irgendwelchen Sprachen verwenden. Die Phonemik beschreibt jeweils die für eine Sprache relevanten Phoneme, die in den Lauten der Einzelsprache realisiert werden. Betrachtet man also eine Sprache von auEen her, nimmt man den etischen Standpunkt ein; betrachtet man sie von innen, aus ihrem System heraus, dann nimmt man den emischen Standpunkt ein. W as unter dem etischen Aspekt als gleich erscheint, kann unter emischem verschieden sein. Das Deutsche kennt ein bekanntes Beispiel dafür. Di e phonetische Form [ra:th] wird in zwei Formen geschrieben: Rad und Rat. Etisch gesehen, tritt beide Male am Schluss des Wortes ein aspirierter dentaler stimmloser Verschluss27 Mit den empirischen Fragen nach der Verschiedenheit beschaftigt sich die Sprachtypologie (siehe etwa Comrie 2 1995).

Sprache

!aut auf. Er realisiert aber im einen Fali das Phonem /t/ und im andern das Phonem /d/. Die Schrift behalt die emische Unterscheidung bei, beim Sprechen wird sie aufgehoben. 28 Ein anderes Beispiel bringt F. de Saussure im Cours de linguistique générale: im Franzosischen bezeichnet mouton das Schaf. Im Englischen gibt es zwei Worter: das aus dem Franzosischen entlehnte 1nutton für 'Schaffleisch' un d das englische Wort sheep für das 'Tier Schaf'. W as al so au f d en ersten Blick gleich zu sein scheint, namlich mouton und mutton, ist - emisch gesehen - verschieden. Die Unterschiedlichkeit des emischen und etischen Standpunktes spielt eine Rolle, wenn der Standpunkt der Sprecherinnen und Sprecher einer Sprache miteinbezogen werden muss. Anders als die Linguistinnen und Linguisten sind sich die Sprecher der Besonderheiten und Gleichheiten ihrer Sprache gegenüber andern Sprachen im Allgemeinen nicht bewusst. 29 Im Kontakt mit anderen Sprachen werden solche Unterschiede zwar erkennbar, aber meist nicht systematisch. Verschiedenheit, oder besser gesagt, Variation gibt es nicht nur zwischen den Sprachen, sondern auch innerhalb von Sprachen. Geografische, soziale, situationale Aspekte spielen hier eine Rolleauch diese Variation ist im Kontext des Prinzips der sprachlichen Relativitat von Wichtigkeit. So wurde etwa sozial bedingte Variation in d er sogenannten Sprachbarrierendiskussion als kognitiv wirksam angesehen- wer den 'restringierten' im Gegensatz zum 'elaborierten' Kode spricht, verfügt auch über eingeschrankte kognitive Fahigkeiten. Variation ist ein inharentes Merkmal von Sprachen; erst die bewusste Sprachplanung versucht, bestimmte Varianten als die einzig richtigen zu etablieren. Aber obwohl Sprachen Variation aufweisen und sich standig wandeln, sin d sie in anderer Hinsicht dennoch statisch un d vorschreibend. Sie üben in gewisser Weise einen Zwang auf ihre Sprecherinnen und Sprecher aus. Zwar überlasst es die Sprache mir, ob ich eine bestimmte Pflanze eine Tanne oder einfach einen Baum nenne. Aber als deutsch Sprechender bleibt mir keine an dere W ahi, als von de r Tanne oder von dem Bamn zu reden, also respektive das Femininum und das

28 Das Beispiel ist das Standardbeispiellür die sogenannte Auslautverhartung des Hochdeutschen, die üblicherweise als Neutralisierung der Stimmhaftigkeitsopposition betrachtet wird. 29 W as di e Sprecherinnen und Sprecher von ihrer Sprache bewusst wissen und was sozusagen 'unbewusst' bleibt, ist allerdings umstritten.

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Sprache

Maskulinum zu verwenden. Das Genus ist hier semantisch irrelevant: Tannen sind weder Manner noch Frauen und Baume sind es auch nicht. Dennoch ist die grammatische Kategorie des Genus im Deutsd1en obligatorisch. Für Deutsch sprechende Personen ist es ganz selbstverstandlich, dass d er ganze nominale Bereich in di e drei Genera aufgeteilt ist, es kommt ilmen hochst seltsam vor, wenn jemand von das Tanne redet - so jemand kann do eh nicht deutschl Für Sprecherinnen und Sprecher fremder Sprachen, di e kein Genus kennen- z.B. philippinischer Sprachen 30 - ist das eine Quelle standiger Unsid1er)1eit. Warum ist de r Tisch maskulin, das Fenster neutrum und die Wand feminin? Diese und andere grammatische Kategorien sind in der Diskussion um das Prinzip der sprachlichen Relativitat immer wieder diskutiert worden. Ha ben diese Kategorien einen kognitiven Gehalt? Ist die Sonne etwas anderes als das franzosische le soleil (maskulin) und das tagalische ara w ('Sonne', 'Ta g' ohne Genus) 7 In d en letzten Jahren ist besonders auch der Prozess der Grammatikalisierung diskutiert worden, also der Prozess der Entwicklung von Wortern, die eiue lexikalische Bedeutung haben hin zu Elementen, die grammatische Funktionen haben. Wie kommt es, dass das Steigerungsadverb sehr ais Ausdruck des groEeren MaEes verwendet wird, wo e s do eh ursprünglich einfach 'wund, versehrt' heiEt? Nicht alle Sprachen ha ben das gleiche Prestige: für viele Menschen sind Sprachen wie das Deutsche, das Franzosische oder das Englische bessere Beispiele für Sprachen als etwa das Bairische, das Pfalzische oder das Elsassische. Dialekte gelten irgendwie als nicht gleichwertige Sprachen. Man muss sich aber darüber klar sein, dass die erstgenanuten Sprachen- sogeuannte Nationalsprachen- sich nur graduell, uicht essenziell von den zweitgenanuteu unterscheiden. Es sind gerade die amerikanischen Anthropologen, insbesondere Franz Boas und Edward Sapir (vgl. Kapitel4), welche die prinzipielle Gleichwertigkeit al! er Sprachen un d Dialekte betonen. Si e sin d sich selbstverstandlich bewusst, dass die ausgebauteu Natioualsprachen31 über einen groEeren Wortschatz und über mehr schrift30 Tagalog, di e bekannteste dieser Sprachen, kennt kein Genus. Die Unterscheidung von mannlich und weiblich wird mit lexikalischen Mitteln gemacht, wenn sie relevant ist. So ist der Ausdruck für ein Kind (verstanden als junger Mensch) bata. Will ich nun einen Jungen von einem Madchen unterscheiden, muss ich die Bezeichnung für Mann, resp. für Frau mit dem Wort für Kind verbinden: batang-la/aki 'Kind-Mann', batang-babae 'Kind-Frau'. 31 Den Terminus Ausbau hat Heinz Kloss 2 1978 in die Erforschung der Spraclzp/ammg einge führt.

liche Texte verfügen; was sie betonen ist jedoch, dass jede Sprache im Prinzip so ausgebaut werden kann, das s si e d en kommunikativeu Bedürfnissen ihrer Sprecher genügt. Auf der anderen Seite wird für das Prinzip der sprachlichen Relativitat die Frage wichtig, wie groE die Verschiedenheit vou Sprachen sein muss, damit sich Effekte in seiuem Sinn ergeben. B.L. Whorf hat z.B. die europaischen Sprachen als Standard-AverageEuropean Languages (Europaische Standard-Durchschnitts-Sprachen) zusammengenommen; dagegen hat etwa die deutsche inhaltsbezogene Grammatik von L. Weisgerber auch solche Sprachen voneinander getreunt. Heute zeigt sich mehr und mehr, dass auch sonst eng verwandte Dialekte und Sprachen in bestimmten Aspekten unterschiedlich sind und dass es gerade diese Unterschiede sind, die sich kognitiv auswirken; zu verweisen ist da etwa auf E. Pederson ( 1993 ), d er zwei en g verwandte tamilische Varietaten verglich. SchlieElich: wozu dient die Sprache primar? In unserer Darstellung des naiven Alltagsverstandnisse hieE es: "Die Sprache dient dem Individuum dazu, die Inhalte seines Denkens anderen Individuen mitzuteilen." (siehe oben S. 3) Di ese Mitteilungsfunktion ist nicht die einzige: beim Sprechen drückt di e sprechende Person au eh etwas von ihren Gefühlen uud Einstellungen aus (Ausdrucksfunktion) und sie will bei den Zuhorerinnen und Zuhorern etwas erreichen (Appellfunktion) .32 Sprache hat a b er au eh e ine kognitive Funktion: sie spielt eiue Rolle beim Denken. Diese und andere Funktionen (wie die asthetische oder die metasprachliche) sind in jedem Sprechakt in unterschiedlicher Form vorhanden: selbst das Verlesen des Wetterberichtes ist nicht einfach eine bloEe Informatian (schon gar nicht melu in der heutigen Medienwelt, vgl. I. Werlen 2000). Es stellt sich dann auch die Frage, ob alle Sprachen d en gleichen Fuuktionen dienen un d wie sich di e unterschiedlichen Funktionen kognitiv auswirkeu. Wie Sprache als Wissen im Ko p fund Sprache im Gebrauch (oder langue und parole, resp. competence und pnformance) interagieren, das ist auch für die Auffassung des Prinzips d er sprachlichen Relativitat von Wichtigkeit. Die strukturalistische Auffassung der Sprache als System führt ganz automatisch dazu, dass sprachliche Zeichen einzelsprachlich definiert sind (vgl. Kapitel5). Eh er psycholinguistische 32 Die Ausdrücke Darstellungs-, Appell- und Ausdrucksfunktion gehen auf Kar! Bühler ( 1934) zurück; di e weiteren Funktionen sin d insbesondere von Roman Jakobson 1981 [1960] benanntworden.

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der sprachllchen Relatívítat

Autoren wie etwa Dan L Slobin (vgl. Kapitel 2) stellen das Sprechen, das Formulieren in den Vordergrund. Formulieren eines Gedankens heiEt, ihn für die Umsetzung in einen linearen Text tahig machen. Die Eigenschaften des linearen Textes sind gegeben durch die jeweilige Einzelsprache; entsprechend wird d er Gedanke, der Inhalt des Textes bei der Formulierung sozusagen zerlegt und bei der Rezeption des Textes wieder zusammengebaut. Die Art und Weise der Formulierung aber gibt dem ausgedrückten Inhalt, der vorsprachlichen Botschaft, feste Gestalt, bestimmt sie insofern.;mit. S.H. Elgin (2000) geht hier noch weiter, in dem sie zeigt, dass bestimmte Fonnulierungsstile au eh Konsequenzen für di e Handlungen und die Situationen der Menschen haben - etwas, was aus der Werbesprache o d er d er Sprache d er Politik 33 sei t langem bekannt ist. Haufig werden aber diese, aus der klassischen Rhetorik langst bekannten, Aspekte nicht in diesem Zusammenhang diskutiert.

1.4

Bild der Welt- Denken

Das Bild der Welt- in B.L. Whorf's Formulierung 34 "picture of the universe"- ist di e entscheidende, a b er am schwierigsten zu fassende GrêiGe in unserem Kontext. Denn e s ist zuerst einmal unklar, ob e in Individuum überhaupt ein "Bild der Welt" besitzt, oder einfach "Bilder der Welt", die nicht unbedingt miteinander vertraglich zu 35 sein brauchen. Und es ist zweitens unklar, wie dieses Bild von einem Beobachter erkannt werden kann. Denn das Bild der Welt, das ein Individuum besitzt, ist Teil seines internen Wissens. Will das 33 Diese beiden Bereiche sind unter anderem dadurch gekennzeichnel, dass sie durch sprachliche Manipulation Einstellungen und Verhalten zu beeinflmsen suchen. Wenn z. B. e in Produkt Milclzsc/111itte genannl wird, rechnel d er Produzent damit, dass positive vVerte des Wortes Milc!z mit seinem Produkl verbunden werden, ganz unabhiingig davon, ob das Produkt über solche positiven Werte verfügt. Wenn e in Politiker e ine militiirische MaJSnahme als Vonviirtsverteidigung bezeichnet, versucht er, das Wort Angriffzu vermeiden und durch das positiver besetzle Verteidigung zu erselzen. Ein geradezu klassisches Beispiel für diesen gesamten Bereich ist die Sprache der politica/ correctness. 34 Wie in Kapitel4 un d 5 ausgeführl, verwendet W har[ au eh andere Ausdrücke; im Deulschen gibl e s die beiden Begriffe "Weltbild" und "Weltansicht"- si e werden von einzelnen Autoren verschieden verwendet. von anderen gleich (vgl. z.B. H. Gipper 2 1969). 3 5 Ein schiines Beispiel für die Unvertraglichkeit von Weltbildern sind jen e na eh modernsten Standards gebauten Hotels, in denen es kein Zimmer mit de r Nummer 13 gibl, weil das Unglück bringt.

Bild der Welt- Denken

Individuum sein Bild der Welt anderen mitteilen, muss es irgendeine Darstellungsform finden- sprachlicher oder anderer Art. Und damit setzt sich das Dilemma, dem wir hier ausgesetzt sind, fort. Es kannja sein, dass das Individuum nicht in der Lage ist, sein internes "Bild der Welt" darzustellen, zu formulieren. Und der Beobachter, die Beobachterin ihrerseits muss dieses dargestellte Bild erst wieder verstehen. Auch die Beobachtenden sind ja Individuen vom gleichen Typ wie das erkennende Individuum. Wir stehen hier vor einem grundlegenden methodischen Problem, das in der sogenannten Hermeneutik, der Lehre vom Verstehen, als henneneutischer Zirkel bekannt ist. Dieser hermeneutische Zirkel tritt immer daun auf, wenn Menschen die geistigen Vorgange anderer Menschen (oder ihrer selbst) verstehen wollen. Genereller kann man vom methodischen Problem des Fremdverstehens sprechen. Dieses Problem ist vor allem für die empirisch arbeitende Psychologie entscheidend. Ihr methodisch rigidester Ansatz ist d er Behaviorismus. Menschen werden wie andere Organismen, also etwa Tiere, beobachtet. Die Basisidee ist die Reiz-Reaktion-Relation: ein Reiz erreicht einen Organismus, der Organismus reagiert darauf. Reiz und Reaktion lassen sich beobachten; die Verbindung zwischen Reiz und Reaktion lasst sich als Assoziation verstehen. Das zu Grunde liegende Menschenbild ist das eines rein passiven Organismus, der auf Reize reagiert. Gegen den Behaviorismus richtet sich im Bereich der Wahrnehmung schon die Gesta/tpsycho/ogie. Sie geht von einem aktiven Menscbenbild aus: der Mensch nimmt Gestalten wahr, er teilt die Welt in Figur und Grund auf (ein Beispiel dafür sind die bekannten Umkippbilder: d er Betrachter erkenntt z. B. entweder e ine Vase oder zwei einander gegenüberliegende menschliche Profile) uud er sieht Ganzheiten, nicht einzelne Elemente. 36 Die Gestaltpsychologen haben eine Reihe von Gestaltgesetzen fonnuliert, die etwas über allgemeine Wahrnehmungsstrategien aussagen. Die neuere kognitive Auffassung betrachtet den Menschen als eine Art von Informationsverarbeitungssystem: er nimmt Informationen auf, speichert sie, verarbeitet sie, und kann auf Grund dieser Verarbeitung weiter handeln. Was der Mensch tut, liefert Informationen. Das Modellieren von Informationsverarbeitung ersetzt die 36 Für B.L. Whorf war die Gestaltpsychologie ein zenlraler Aspekt im Hinblick auf das Problem der sprachlichen Relativitat; das hat vor allem P. Lee (1996) herausgearbeitet, vgl.unlen Kapitel 4.

l. l

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Das Prinzip der sprachlichen Relativitat

bloEe Beobachtung. Aber das grundlegende Problem des empirischen Zuganges bleibt: noch immer muss eine irgendwie geartete Reaktion des Individuums Aufschluss geben über das, was in ihm vorgeht. Und noch immer gilt: das, was die Leute sagen, was in ihnen vorgeht, ist nicht das, was tatsachlich passiert. Di e sogenannte Introspektion reicht also nicht aus. Eine grundlegende Kritik an diesen Ansatzen kommt aus der interaktionistischen Sicht. Wenn Menschen in Tests von anderen Menschen getestet werden, entsteht eine Interaktionssituation. Dabei versuchen sich di e Menschen sozial angemessen zu verhalten. Aus der methodischen Sicht wird das haufig als Verzerrung der Versuchssituation verstanden. Aus interaktionistischer Sicht zeigen sich hier jedoch die relevanten Aspekte kommunikativer Situationen: Menschen sind eben nicht einfach wahrnehmende Maschinen, sondern soziale und kommunikative Wesen, die andere Menschen verstehen und sich ihnen mitteilen wollen. Das Problem des Bildes der Welt liegt also zuerst einmal nicht darin, dass ein Einfluss der Sprache auf das Bild der Welt nicht festgestellt werden kéinnte; es liegt vielmehr darin, dass vom Sprechen unabhãngige, direkte Einsichten in fremdes Denken nicht gegeben sind. 37 Eine der Fragen, die in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt werden, ist die, ob es überhaupt ein Denken ohne Sprache gebe. Di e Frage ist in di ese r allgemeinen Form natürlich ni eht beantwortbar- es muss ja zuerst einmal geklart sein, was hier mit Denken gemeint ist. Wenn man es als Aufnahme, Speicherung, Verarbeitung und Produktion von Information 38 betrachtet, wie das heute geschieht, dann ist die Frage zu stellen, welche Funktionen die Sprache schlechthin und die jeweils einzelne Sprache bei diesen verschiedenen mentalen Tatigkeiten hat.

37 Die Verwendung von sogenannten bildgebenden Verfahren wie fMRI (Funcrional Magnet Resonance Imaging) bei neurologischen Umersuchungen erlaubt natürlich auch nicht das direkte Beobachten des Denkens; was hier beobachtet wird, sind physiologische Prozesse, die bei der Li:isung kognitiver Aufgaben auftreten. 38 Man spricht hier auch von der Computermetapher des menschlichen Geistes. Solange sie als Metapher verstanden wird, kann sie eine hilfreiche Vorstellung sein. Problematisch ist allerdings die Gleichsetzung von menschlichem Geist und Computer.

Bild der Welt- Denken

Die Aufnahme von Information geschieht in der Wahrnehmung. 39 E.B. Goldstein (1997, 1-27) unterscheidet drei Ansatze in d er Wahrnehmungspsychologie: • den physiologischen • den psychophysischen • den kognitionspsychologischen und er verbindet in seiner Darstellung alle drei. D er physiologische Ansatz interessiert sich dafür, wie die Reize der AuEenwelt von den jeweiligen Sinnesorganen (Rezeptoren) aufgenommen und in elektrische Signale umgewandelt werden, die vom menschlichen Nervensystem verarbeitet werden. Die Reize sind sehr verschiedener Art: Schallwellen, Lichtwellen, Druckveranderungen, chemische Stoffe und so weiter. Der psychophysische Ansatz untersucht, wie die Reize und ihre Verarbeitung "erlebt" werden. Eine einfache Frage würde lauten: welche Reizunterschiede kann ein Individuum überhaupt wahrnehmen? D er kognitionspsychologische Ansatz fragt danach, wie "die Wahrnehmung durch die Bedeutung eines Reizes und durch die Erwartungen des Probanden beeinflusst wird." (E.B. Goldstein 1997, 23). Dazu gibt e s ein klassisches Beispiel, d en sog. Stroop-Effekt: man zeigt Probanden die schwarz gedruckten Farbwéirter "b la u, grün ... " un d lasst si e si e vorlesen, misst dabei ihre Lesegeschwindigkeit. Dann werden die Farbwéirter in ihrer jeweiligen Farbe gezeigt, also "blau" blau gedruckt, "rot" rot gedruckt usw. Die Probanden sollen die Farbe benennen, in denen das Wort gedruckt ist. Im dritten Durchgang werden die gleichen Wéirter gezeigt, aber in einer jeweils anderen Farbe gedruckt (z.B. "blau" rot gedruckt, "grün" blau gedruckt usw.). Wiederum sollen die Probanden die Druckfarbe nennen. Für diese Aufgabe brauchen die Probanden deutlich langer als beirn zweiten Durchgang und sie machen haufig Fehler. Di e Wahrnehmung d er Farbe un d di e Bedeutung des Farbwortes geraten hier miteinander in Konflikt (Beispiel nach G.A. Miller 1993, 148). Die beiden Arten der Informationsverarbeitung, di e hier im Spiel sind, werden als bottom-up und top-downVerarbeitung gekennzeichnet. Di e bottom-up- Verarbeitung führt von d en einzelnen Sinneswahrnehmungen zum wahrgenommen Inhalt, di e top-down- Verarbeitung g eht von einer Information héiherer Ebene aus und interpretiert die Sinneswahrnehmungen in Bezug darauf. 39 In der englischsprachigen Literaturwird hãufig zwischen sensation 'Sinnesempfindung' und perception 'Wahrnehmung' umerschieden.

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Das Prinzip der sprachlichen Relativitat

Die weiteren Aspekte der Informationsverarbeitung sind das Gedii.chtnis als kurzzeitige oder dauernde Aufnahme von Erfahrungs- und Wissensbestii.nden, und das Verarbeiten der Information im Sinne des Lernens, SchlieJSens, Folgerns, Problemlosens, Planens und d er Kreativitii.t (für eine eingeschrii.nkte Definition von Denken siehe W. Hussy e1998, 16)). Welche dieser informationsverarbeitenden Aspekte in welchem Sinn sprachlich sind, ist alles andere als klar. Vermutlich konnen wir ein Gesicht sehen, es im Gedii.chtnis behalten und wiedererkennen, ohne dass dabei Sprache eine Rolle spielt, obwohl vielleicht d er Name d er Person, di e di e ses Gesicht hat, beim Wiedererkennen relevant sein kann40 - aber wir alle wissen, dass wir Gesichter wiedererkennen konnen, ohne den Namen der Person zu finden. Das Losen komplexer Probleme würde man sicher als Denkvorgang sehen. 41 Untersuchungen zum Problemlosen in der Psychologie sind allerdings hii.ufig mit Sprache verbunden. Und auch scheinbar sprachfreie Probleme sind indirekt sprachbezogen, weil die Aufgabenstellung sprachlich erfolgt - etwa beim Problem des sogenannten Turms von Hanoi: Gegeben ist ein Turm von sechs Scheiben, die der Gréi!Se nach aufeinandergestapelt sind (gréi!Ste Scheibe unten). Diese sechs Scheiben sind nach bestimmten Regeln von der gegebenen Position (A) auf eine Zielposition zu transferieren, wobei eine dritte Position (B) zu Hilfe genommen werden kann. Di e Regeln lauten: a) es darf immer n ur eine Scheibe bewegt werden, b) es darf keine gro!Se auf eine kleine Scheibe plazien werden und e) die gleiche Scheibe darf nicht zweimal in Folge bewegt werden. (W. Hussy 2 1998, 107). Bei der Losung dieser Aufgabe scheint die Sprache keine Rolle zu spielen; zumindest wird in d en damit durchgeführten Experimenten nicht davon berichtet. Dennoch zeigte sich in einer Untersuchung 40 Schweinberger ( 1996, 1383) berichtet von einem Priming Effekt von Namen beim Wiedererkennen von Gesichtem, wobei in seinem Fali z.B. der Name von Gorbatschow verwendet wurde, um das Wiedererkennen von Jelzin zu erleichtem. Das lasst darauf schlieEen, dass mit dem Namen au eh Weltwissen verbunden ist: Gorbatschow als bekannter letzter Prasident der Sowjetunion und Jelzin als sein Gegenspieler und erster Prasident Russlands. 41 Ein solches komplexes Problem liegr etwa au eh bei der Formel412 x 535 =? vor. Das System der arabischen Zahlen erleichten die Lõsung des Problems (vgl. die lateinische Zahlnotation CDXII mal DXXXV). Hier liegr aber keine natürliche Sprache im engeren Sinn vor, sondem eine künstliche geschaffene Sprache (die indirekt auf der natürlichen Sprache beruht). Ãhnlich kõnnen Grafiken usw. Problemlõsungen erleichtem.

von Hacker et al. ( 1999), dass die Art der Instruktion einen Einfluss auf die Problemléisung hat - jedoch nur bei der ersten Problemléisung. Die beiden Instruktionen unterschieden sich darin, dass die erste Gruppe gebeten wurde, das Problem méiglichst schnell zu losen, die zweite, das Problem in moglichst wenigen Schritten zu losen. Bei Wiederholungen zeigt sich der Effekt nicht, weil einzelne erfolgreiche Losungsschritte erinnert und dann automatisch angewandt werden. Einfachere Problemlosungen vollbringen schon kleine Kinder, wenn sie z.B. aus Klé:itzen Türme bauen. Diese Problemlosungen setzen kaum Sprache voraus (vgl. R. Case 1999, 167ff.). Es kann also nicht pauschal behauptet werden, alles Denken sei prinzipiell sprachlich. Dennoch wird in den meisten informationsverarbeitenden Prozessen Sprache eine wesentliche Rolle spielen. Wir wissen ja sehr vieles nur auf Grund der Tatsache, dass uns dieses Wissen sprachlich vermittelt wurde, in der Schule z.B., beim Lesen eines Buches und beim Horen einer Vorlesung. SchlieJSlich kann angenommen werden, dass ein groJSer Teil dessen, was wir wissen, selbst sprachlicher Art in dem Sinn ist, dass wir über einen Wortschatz verfügen und die Beziehungen der Worter untereinander für uns gegeben sind. Eine Schlussfolgerung vom Typ: Hans ist Junggeselle, also ist er nieh t verheiratet, ist im W esentlichen e ine sprachliche Schlussfolgerung. In der Wissenspsychologie wird deswegen hii.ufig zwischen episodischem und semantischem (oder: sprachlichem) Wissen unterschieden- episodisches Wissen bezieht si eh auf Erfahrungen, die ein Individuum gemacht hat; semantisches dagegen auf seine Sprachkenntnis. 42 Nun geht aber das Prinzip der sprachlichen Relativitat einen Schritt weiter als die generelle Frage, ob Denken ohne Sprache méiglich sei: e s g eh t hier wesentlich darum, das s di e jeweils einzelne Sprache das Bild der Welt der Sprecher dieser Sprache (mit)bestimmt. Und daraus folgt, dass unterschiedliche Sprachen eben zu

42 Auch diese Unterscheidung ist selbstverstandlich umstritten. Zum einen ist in gewisser Weise j e des sprachliche Wissen ein Erfahrungswissen (das gilt allerdings nicht für die Annahmen einer Universalen Grammatik), zum andem kann die Bedeutung eines Wones nicht einfach als gegeben angesehen werden; manche Theorien nehmen vielmehr an, dass Bedeutungen von den Sprecherinnen und Sprechem aus d em jeweiligen Gebrauch d er Wõner konstruien werden. Zum andem istjede bewusste Wahmehrnung einer Erfahrung haufig damit verbunden, dass die Erfahrung erzahlt und sprachlich gefasst wird. Und die Erzahlung kann an die Ste!le d er Erfahrung treten.

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Das Prinzip der sprachlichen Relativitat

unterschiedlichen Weltbildern führen. Diese Frage ist deutlich schwieriger zu beantworten als die erste. Denn hier muss geklãrt werden, welche Unterschiede zwischen d en Einzelsprachen welche Konsequenzen für das Bild der Welt haben. Dabei genügt e s natürlich ni eht, di e Unterschiedlichkeiten natürlicher Sprachen herauszuarbeiten - es muss auch klar gemacht werden, dass diese Unterschiedlichkeiten sich kognitiv auswirken. Genau diese Frage steht im Zentrum der Überprüfbarkeit des Prinzips der sprachlichen Relativitãt.

1.5

lasst sich das Prinzip der sprachlichen Relativitat überprüfen?

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass Mensch, Welt, Sprache und Bild der Welt sich nicht einfach voneinander trennen lassen und dass vielfãltige gegenseitige Beziehungen bestehen, die sich nur sehr schlecht erfassen lassen. Wie kann man in einer so komplexen Situation die Behauptung Whorfs empirisch überprüfen, oder gar, wie manche das fordern, beweisen? Das Denkmuster, rnit d em di e ersten Psycholinguisten, di e Whorf 'überprüfen' wollten, an das Problem herangegangen sind, ist das Experiment mit unabhãngiger und abhãngiger Variable. In unserem Fall sind die unabhãngigen Variabeln die verschiedenen Sprachen (resp. bestimmte Eigenschaften de r betrachteten Sprachen) und di e abhãngige Variable ist das Bild der Welt. Da nun die abhãngige Variable nicht direkt beobachtbar ist, muss ein Weg gesucht werden, sie indirekt zu erfassen. Dieses Denkmuster liegt vor allem den Farbenuntersuchungen zu Grunde, auf die wir in Kapitel 2 nãher eingehen (siehe auch B. Lehmann 1998). Hier soll nur das Grundmuster gezeigt werden. Wir gehen davon aus, dass alle Menschen auf Grund ihrer biologischen Ausstattung Farben gleich wahrnehmen - abgesehen von Farbblinden. Auf der andern Seite haben nicht alle Sprachen der Welt das gleiche Farbvokabular. Bekannt ist etwa, dass di e Unterscheidung, di e wir im Deutschen mit grün un d blau haben, von vielen Sprachen nicht gemacht wird. Wirkt sich nun diese sprachliche Verschiedenheit auf das Bild der Welt (hier der Farben) irgendwie aus? Das Prinzip der sprachlichen Relativitãt würde- geeignet formuliert- eine solche Auswirkung bejahen. Als Indikatoren für das Bild der Welt in diesem Bereich wurden meist die Wiedererkennung von dargebotenen Farben oder die

Lasst sich das Prinzip der sprachlichen Relativitat überprüfen?

Schãtzung der Gleichheit von Farben gemessen. Ein typisches Ergebnis wãre dann di e Aussage, das s Sprecher einer Sprache, di e grün und blau nicht unterscheidet, lãnger brauchen, eine dargebotene grüne oder blaue Farbe wiederzuerkennen, oder dass sie weniger stark zwischen grünen und blauen Farben diskriminieren als Sprecherinnen und Sprecher einer Sprache mit der grün-blau-Unterscheidung. Dabei muss natürlich immer sichergestellt werden, dass keine zusãtzlichen, sog. intervenierenden Variabeln eine Rolle spielen- z.B. die besondere Wertung einer Farbe in einer bestimmten Kul tur (so gilt etwa grün in der islamischen Welt als Farbe des Propheten 43 und ist deswegen auffãllig). Im Einzelfall gibt es eine Menge von moglichen methodischen Problemen bei diesem Vorgehen und lange nicht alle publizierten Tests erfüllen die Ansprüche, die üblicherweise an sie gestellt werden. Das sind aber nicht grundlegende Einwãnde gegen das Vorgehen. Hingegen wird den empirischen Studien vorgeworfen, dass sie nicht Whorfs eigene Theorie überprüfen, sondern eine Formulierung davon, di e so zurechtgemacht ist, das s si e si eh zur Überprüfung überhaupt erst eignet. Whorfs eigener Ansatz sei fundamental anders: das Prinzip der sprachlichen Relativitãt sei eine prinzipielle Grundannahme und deswegen nicht zu beweisen, sondern hochstens plausibel zu machen. Diese Argumentation ruft aber nach einer Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Auffassungen darüber, was sinnvolle Aussagen in d er Wissenschaft überhaupt sein konnen. Gegen das Prinzip d er sprachlichen Relativitãt sin d immer wieder einige Argumente vorgebracht worden, die vor allem dann eine Rolle spielen, wenn man es als sogenannte starke Hypothese liestsie betreffen insbesondere die Moglichkeit von Übersetzung, die Moglichkeit von mehrsprachigen Individuen, und die Moglichkeit, das Prinzip überhaupt formulieren zu konnen. Der Grundgedanke ist in allen drei Spielarten der gleiche: wenn die Fremdheit einer andern Sprache so groE ist, dass sie d en Sprecher, die Sprecherin der Sprache in ein sprachliches Gefãngnis einschlieEt, dann ist es (a) nicht moglich, diese Sprache von einer andern Sprache her zu verstehen, (b) ist es nicht moglich, das, was in der einen Sprache ausgedrückt wird, in der andern auszudrücken, und (e) ist eine 43 A. Kartan 1997 zeigt, dass deswegen die grüne Arbeitskleidung von Vorgesetzten in einer bairischen Autofabrik von de n muslimischen Arbeitern mit de r Autoritãt in Zusammenhang gebracht wird.

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Das Prinzip der sprachlichen Relativitat

Person, di e mehrere Sprachen spricht, sozusagen gespalten: si e kann si eh selbst ni eh t verstehen. Diese offensichtlich absurde Behauptung folgt aus dem totalen Determinismus, der hier unterstellt wird, der sich aber so bei Whorf gar nicht nachweisen lasst, worauf vor allem P. Lee ( 1996) eindringlich hingewiesen hat. Wir versuchen zum Schluss dieser Einleitung, das Prinzip der sprachlichen Relativitat mit den Termini zu umschreiben, die wir hier behandelt haben: es besagt, dass j ene Sprache(n), die ein Individuum als Teil einer Sprachgemeinschaft erworben un d gelernt hat, di e Art un d W eis e mitbeeinflussen, wie die Welt von diesem Individuum als Wirklichkeit interpretiert wird; dieser Einfluss kann allerdings reflektierend aufgehoben werden.

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2.

Das neue lnteresse an der sprachlichen Relativitat

In einem vor kurzem erschienenen Aufsatz schreibt Alison Gopnik,

offenbar selbst etwas überrascht: After decades of obloquy, Benjamin Whorf is back. (A. Gopnik 2001, 45)

dt, unsere Übersetzung: Nach Jahrzehnten voll Spott und Hohn ist Benjamin Whorf wieder aktuell.

Wie kommt es zu dieser überraschenden Feststellung? In der Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts erlebte das Prinzip der sprachlichen Relativitat eine kurze Zeit des regen Interesses zwischen 1940 und 1965. 1 Spatestens jedoch mit der Publikation von B. Berlín l P. Kay (1969) schien das Thema für die Sprachwissenschaftler uninteressant geworden z u sein. 2 Insbesondere interessierten si eh di e meisten Vertreter d er dominierenden formalen Linguistik3 überhaupt nicht für diese Problematik. Zurück blieben kurze Abschnitte in Einführungsbüchern, in denen etwa das Beispiel mit den verschiedenen Wéirtern für 'Schnee' irn Eskimo aufgeführt wurde, das auf eine kurze Bemerkung von Franz Boas in der Introduction zum Handbook of American Indian Languages (siehe Kapitel 4) zurückgeht. Weiter reichende Schlüsse werden dabei selten gezogen. Geoffrey K. Pullum glossierte das Beispiel in der Zeitschrift

Die Whorf-Rezeption ist an mehreren Orten ausführlich dargestellt, so schon bei J.B. Carrolll956 und J.A. Lucy l992b. Wir gehen in Kapitel4 und imfolgenden Exkurs zu den Farbwort-Studien darauf ein. 2 Das gilt vor allem für die amerikanische Forschung. Im deutschsprachigen Europa blieb das Thema im Gefolge der Sprachinhaltsforschung aktuell, insbesondere bei Helmut Gipper (siehe Kapitel5). In anderer Form tritt das Problem bei Louis Hjelmslev auf. Die Beschãftigung rnit dem Werk von Wilhelm von Humboldt geht im deutschsprachigen Bereich ebenfalls weiter (siehe Kapitel3 ). 3 Unter "forrnaler Linguistik" werden hier alle Ansãtze verstanden, die als Ziel ihrer Tãtigkeit rein forrnale Beschreibungssprachen für natürliche Sprachen sehen, also z.B. die verschiedenen Typen der generativen Grammatik, beginnend rnitN. Chomsky ( 1957), die Montague-Grammatik, die Unifikationsgrammatiken und so weiter. Sofem sie sich überhaupt um semantische Fragen kümmem, vertreten sie zumeist einen wahrheitswertfunktionalen Ansatz, der mit dem Prinzip d er sprachlichen Relativitãt schwer vertrãglich ist.

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Natural Language and Linguistic Theory ( 1989; wieder abgedruckt in G.K. Pullum 1991 ). Er charakterisiert dabei Benjamin L Whorf wie folgt: What happened was that Benjamin Lee Whorf, Connecticut fire prevention inspector and weekend language-fancier, picked up Boas' example and used it, vaguely, in his 1940 amateur linguistic article 'Science and linguistics' ... (G.K. Pullum 1991, 163) dt., unsere Übersetzung. Was geschah war, dass Benjarnin L. Whorf, Brandverhütungsinspektor aus Connecticut und Wochenend-Sprachamateur, Boas' Beispiel [Wiirter für 'Schnee' aus dem Eskimo] aufgriff und in vager Art und Weise in seinem amateursprachwissenschaftlichen Artikel 'Naturwissenschaft und Linguistik' benutzte. Pullum nimmt Whorf gegenüber die Position des professionellen Linguisten ein, der die Vagheiten eines Amateurlinguisten nicht ernst nehmen kann. Ãhnlich formuliert Steven Pinker in seinem bekannten Buch Der Sprachinstinkt: No one is really sure how Whorf came up with his outlandish claims, but his limited, badly analyzed sample of Hopi speech an d his long-time leaning toward mysticism must ha v e contributed. (S t. Pinker 1995, 63) dt. Keiner weiE gena u, worauf si eh Whorfs bizarre Behauptungen über das Zeitempfinden de r Hopi gründeten, do eh offensichtlich haben da bei seine begrenzten, schlecht analysierten Beispiele der Hopisprache und seine tiefverwurzelte Neigung zum Mystizismus eine Rolle gespielt. (S t. Pinker, übers. v. M. Wiese 1996, 75) Pinkers Wiedergabe Whorfs ist hi:ichst parteilich; ihm geht es, wie übrigens vielen andern auch, primar darum, die Exzentrizitat und Unhaltbarkeit einer Position darzustellen, die mit der eigenen nicht übereinstimmt. 4 Dennoch gibt es neben der dominierenden formalen Linguistik ein bleibendes Interesse am Prinzip der sprachlichen Relativitat: Autoren wie G. Lakoff l M. Johnson (1980) und G. Lakoff (1987) b eto nen di e durchgehende Metaphorik, di e in natürlichen Sprachen eine Rolle spielt, die sog. kognitive Linguistik von R. W. Langacker ( 1991) und anderen weist auf Prozesse de r Imageri hin. S.H. Elgin

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(2000, 62) - sie bekennt sich als Vertreterin einer (schwachen) Version des sprachlichen Relativismus- diskutiert diese Auffasung am Beispiel von Euphemismen. 6 Das sind sprachliche Ausdrücke, die eine negativ bewertete Bezeichnung ersetzen durch eine positiv bewertete. Pinkec gegen den sich Elgin an der entsprechenden Stelle richtet, sagt: man muss den Leuten einfach erklaren. worum es beim Euphemismus geht; dann erkennen sie die (nicht-sprachliche) Wirklichkeit ohne weiteres. Elgin nimmt als Beispiel die beiden englischen Satze she is a Mongolian idiot ('sie ist mongoloid') undshe has Down 's syndrome ('sie hat Down's Syndrom'). Die beiden Satze sind insofern aquivalent, als sie die gleichen Menschen betreffen. Aber der Euphemismus bindet diese Menschen in den Kontext einer Krankheit ein, mit medizinischem Jargon, mit allen Konsequenzen: sie sind Gegenstand von Diagnose und Therapie, von Pflege un d so weiter. Mongolian idiot dagegen bezeichnet Menschen, die nicht ernst genommen werden müssen, Dummki:ipfe eben, über die man spotten kann. Die beiden Haltungen, die sich in der Bezeichnung zeigen, sind durchaus nicht aquivalent. Die Art und Weise, wie man über etwas redet, hat sehr viel zu tun mit den Wertungen gegenüber diesem Gegenstand; sie beeinflusst schlieJSlich auch das Handeln. Eine ganze Industrie- die Werbeindustrielebt heute von dieser Einsicht; theoretisch wird dieses Thema insbesondere in der Rhetorik behandelt. 7 S.H. Elgin (2000) ist eine Vertreterin der Ansicht, wonach man das Prinzip der sprachlichen Relativitat nicht im strengen Sinn 'beweisen' kann; es ist eher eine grundlegende Annahme, die jemand akzeptiert oder nicht. John A. Lucy (1992a, 1992b) dagegen ging einen anderen Weg. Er unternahm einen groJS angelegten Versu eh, di e Theorieformulierung un d -überprüfung in d er amerikanischen Tradition darzustellen un d e ine empirische Überprüfung vorzulegen. W.A. Foley ( 1997, 208) nennt diesen Ansatz "Neo-Whorfianism" 8 , weil Lucy si eh direkt auf Whorf sind. Sprachliche Formulierungen konnen solche Ein-Bildungen unterstützen oder hervorrufen. e 6 Siehe schon oben Kapitel l, S. 20. L7 D~e klas~isc~e Aufgabe des Rhetors i~t es. eine Tatsache so darzustellen, dass der ~ ._ Rtchter 1m Smn des Rhetors entschetdet. Es geht hier also nicht um di e Tatsache - :2 e selbst, sondem um deren Darstellung und Bewertung. ~ 8 Di ese Art d er Bezeichnung von Schulen hat eine ehrwürdige Tradition. So wurde ~ B en . oo-Wetsgerbers Aufnahme der Gedanken von Wilhelm von Humboldt mit der L- íJí 5: Bezeichnung "Neu-Humboldtianismus" versehen. Anders zu verstehen ist .E {3 allerdings der engl. Terminus "Neogrammarians", eine Übersetzung des deutE schen Ausdrucks "Junggrammatiker". --. D..

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Aus Pinkers Au!Serungen wird ersichtlich, dass er weder Whorfs publizierte Arbeiten über das Hopi (z.B. in H. Hoijer 1946) gelesen hat, noch über die unveroffentlichten Manuskripte Bescheid wei!S. Zur diesbezüglichen Kritik an Pinker siehe u.a. S.H. Elgin 2000 und P. Lee 2000. Der Begriff der 'Imagery' erscheint auch bei W. Chafe 2000 oder D.I. Slobin 2000; gemeint sin d damit die mentalen Bilder, die mit einer Situation verbunden

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stützt und dabei besonderen Wert auf dessen Unterscheidung von overt und covert categorie! legt. Im Umfeld der Cognitive Anthropology Research Group des Max Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen wurde das Thema in anderer Form wieder aufgegriffen (J.J. Gumperz l St.C. Levinson (eds.) (1996) ); in mehreren Arbeiten wurden am Beispiel von Sprache und Raum neue Zusammenhange zwischen Sprachverschiedenheit und Unterschiedlichkeit d er Raumorientierung dargestellt (St.C. Levinson 1996, E. Pederson et al. 1998, M. Bowerman l St.C. Levinson (eds.) 2001). Im April1998 fand das 26. Internationale LAUD Symposium zum Thema Humboldt and Whorf Revisited: Universal and Culture-Specific Conceptualizations in Grammar and Lexis in Duisburg statt; die Akten dieses Kolloquiums erschienen in zwei Bãnden (M. Pütz l M.H. Verspoor (eds.) (2000); s. Niemeier 1 R. Dirven (eds.) (2000)). In den Beitragen zeigt sich ein breites Interesse am Thema mit héichst unterschiedlichen Ausformungen. Insbesondere fand Dan I. Slobin mit seinem Ansatz (Thinking for speaking) groEen Widerhall (D.I. Slobin 1996; 2000). Einzelne Vorreiter einer anderen Interpretation von Whorf waren Paul Friedrich (1980; 1986) und Michael Silverstein (1977). Als besonders hartnackiger Kampfer stellt sich seit einiger Zeit Danny Moonhawk Alford heraus (D. Alford 1978 und seine Homepage: http:l lwww.sunflower.coml-dewatsonlalford.htm). S.H. Elgin (2000) verbindet die Stellungnahme für den sprachlichen Relativismus mit einem Plãdoyer für die individuelle Mehrsprachigkeit. P. Mühlhãusler l R. Harré (1990, 5) diskutieren den Relativismus in Zusammenhang mit der personalen Deixis, die auf soziale Realitãt verweist und ohne diese nicht verstehbar ist; ihnen geht es vor allem darum, den Bereich der sozialen Festlegungen zu verbinden mit der sprachlichen Struktur am Beispiel der Personalpronomina. Verstãrkt wurde a u eh di e historiographische Arbeit: Ein vertieftes und prazisiertes Bild von Whorfs Arbeiten ergab sich aus Penny Lee (1996), di e unter d em Titel The Whorf Theory Complex eine Re konstruktion des sprachwissenschaftlichen Programms von Whorf zusammen mit einem bisher unzuganglichen Dokument veréiffentlichte. Damit wird der Sammelband von J.B. Carroll (1956), der au eh eine kurze (dennoch di e bisher ausführlichste) Biographie aus der Feder des Herausgebers enthãlt, erganzt und vertieft. Weitere Beitrage zur Geschichte des Relativitãtsprinzips erschienen; so insbesondere eine Biographie von Edward Sapir von Regna Darnell 9

Nãheres dazu in Kapitel4. S. 209.

Der Neu-Whorfianer John A. Lucy

( 1990) und eine neue Darstellung von Franz Boas' Rolle in der amerikanischen Anthropologie von der gleichen Auto rin (R. Darnell 1998). Einen gewissen Widerhall fand auch der Artikel von J.E. Joseph ( 1996 ), d er einen ne uen Aspekt in die Diskussion brachte: die Auseinandersetzung um die Rolle der Sprache in der Philosophie und insbesondere das Buch von C.K. Ogden l I.A. Richards The Meaning of Meaning von 1923, das von Edward Sapir rezensiert worden war. Neben diesen neuen Gesichtspunkten geht eine Reihe von Diskussionen weiter, die sich teilweise verselbstandigt haben, so insbesondere die Studien zu den Farbwéirtern (siehe der Exkurs am Ende dieses Kapitels). Die Zunahme an sprachtypologischen und sprachvergleichenden Arbeiten 10 hat auch die Menge der relativ gu t beschriebenen Unterschiede zwischen den Sprachen verdeutlicht. Vereinzelt kommt es zur Zusammenarbeit von Sprachtypologen und Psychologen wie z.B. zwischen G.G. Corbett und I.R.L. Davies bei vergleichenden Farbwortstudien (z.B. I.R.L. Davies l G.G. Corbett 1997).

2.1

Der Neu-Whorfianer John A. Lucy

1992 veréiffentlichte d er Psychologe und Sprachwissenschaftler John A. Lucy zwei Bücher, 11 die auf Feldarbeiten Ende der Siebziger Jahre basieren. Das erste, Language Diversity an d Thought ( 1992a) verstand sich als "A reformulation of the linguistic relativity hypothesis"; das zweite, Grammatical Categories and Cognition ( 1992b) als "A case study of the linguistic relativity hypothesis". Di e beiden Bücher gehéiren insofern zusammen, als das erste den Hintergrund für das zweite darstellt und das zweite eine empirische Validierung des ersten versucht. 12 Lucy vertritt damit das Paradigmajener Arbeiten, die das Prinzip der sprachlichen Relativitat empirisch zu "beweisen" versuchen.

l O Das wachsende Imeresse an Sprachtypologie führte 1994 zur Gründung einer internationalen Gesellschaft für Sprachtypologie (Assodation for Linguistic Typology, ALT), der heute rund 400 Mitglieder angehõren. l l John A. Lucy wurde 1949 geboren un d ist gegenwãrtig Professor am Department for Psychology an der Universitãt Chicago. 12 Ursprünglich bildeten die beiden Biin de eine einzige Arbeit; sie wurden aber aus verlagstechnischen Überlegungen getrenm verõffentlicht.

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Der Neu-Whoriianer John A. Lucy

Im ersten Band skizziert Lucy zuerst kurz die amerikanische Entwicklung bei Franz Boas und Edward Sapir. Dann formuliert er Whorfs Auffassung, wobei er sich vor allem auf den Artikel The Relation of Habitual Thought and Behavior to Language von 1941 stützt (geschrieben 1939, erschienen in der Gedenkschrift für Edward Sapir (ed. Spier 1941), wiederabgedruckt in J.B. Carroll (1956, 134-15 9)). Dabei legt er insbesondere Wert au f das Habituelle, also das, was durch Gewi::ihnung und Wiederholung sozusagen eingeschliffen ist. Er greift auch den Whorfschen Terminus "fashions of speaking" auf- also sozial geprãgte Arten und Weisen des Sprechens. Damit ist die individuelle, kreative Art des Sprachgebrauchs weitgehend ausgeschlossen. Es folgt ein ausführlicher Forschungsüberblick, detailreich und manchmal etwas zu langatmig, aber mit dem klaren Ziel geschrieben, eine mi::iglichst gut dokumentierte Ausgangslage für die eigene Arbeit zu schaffen. Im Schlusskapitel forrnuliert Lucy Whorfs Hypothese ganz allgemein: 13 In its most elementary form, the linguistic relativity hypothesis posits that diverse languages influence the thought of those who speak them. (J.A. Lucy l992a, 263) dt., unsere Übersetzung: In ihrer einfachsten Form behauptet die Hypothese von der sprachlichen Relativitat, dass verschiedene Sprachen das Denken jener Menschen beeinflussen, die si e sprechen. 14

Lucy betont anschlieEend, die Hypothese sei vergleichend und ki::inne nur im Vergleich geprüft werden. Weiter enthalte sie zwei z en trale Begriffe: Sprache un d Denken. Eine Prüfung m üsse deswegen Daten beider Bereiche vergleichen (und nicht nur eine Analyse sprachlicher Daten geben). Den Begriff 'Wirklichkeit' (reality)- der als Vergleichsbasis ni::itig sei- definiert er wie folgt: l3 Penny Lee 1994 hat in einer durchaus positiven Kritik von Lucy 1992a, 1992b darauf hingewiesen, dass Lucys Rekonstruktion von Whorf sich nicht mit dem vereinbaren lãsst, was sie als Whorfs Grundanliegen darstellt un d in P. Lee 1996 formulien hat. Sie fügt hinzu, dass Lucy sich zu ausschlieElich au! den Aufsatz in der Sapir-Gedenkschrift stützt und die übrigen Publikationen zu wenig miteinbezieht. S.S. Mufwene 1995 weist in seiner insgesamt eher ablehnenden Rezension darauf hin, dass die Formulierung des Prinzips durch Lucy keine Reformulierung darstelle, sondem eine unte r mehreren moglichen Lesanen von Whorfs eigener Formulierung; er monien weiter, dass Lucy stillschweigend eine starke detenninistische Interpreta tian annehme, ohne das zu deklarieren. 14 Vergleichend meint hier natürlich "sprachvergleichend", also ein Vergleich zwischen verschiedenen Sprachen. Das sehen andere Autoren durchaus nicht so. S.H. Elgin (2000) erwa behandelt den Unterschied verschiedener Diskurse irn Englischen, um ihre Auffassung von sprachlicher Relativitãt zu verdeutlichen.

Reality, in this view, is at least analytically independen! of both language and thought. It is invoked to anchor the comparison of diverse language categories, to bridge the analyses of language and of thought, or to do both. (J.A. Lucy l992a, 264) dt., unsere Übersetzung: Wirklichkeit ist in dieser Auffassung zumindest analytisch sowohl von der Sprache, als auch vom Denken unabhangig. Si e kommt ins Spiel, um d en Vergleich verschiedener Sprachkategorien zu erméiglichen, oder um eine Brücke zwischen der Untersuchung von Sprache und der des Denkens zu schlagen, oder für beides.

Wirklichkeit wird also - ganz unphilosophisch - als analytische Notwendigkeit, als tertium comparationis sozusagen, postuliert, weil nur so ein Vergleich mi::iglich ist. Diese Auffassung legt dann den Schluss nahe, eine empirische Überprüfung müsse multidisziplinãr sein, weil sie den drei zentraText (Sprache, Denken, Wirklichkeit) gerecht zu werden len Gri::iEen habe. Die Sprache bestimmt Lucy referentiell: sprachliche Ausdrücke werden verwendet, u m si eh auf Gegenstãnde d er Welt zu beziehen. Sprachen errreichen das aber mit unterschiedlichen morphosyntaktischen Strukturen- und hier kommt die Relativitãt ins Spiel: The linguistic relativity hypothesis then asserts that these differences in morphosyntactic structure have detectable effects on thought about reality. (J.A. Lucy l992a, 266) dt., unsere Übersetzung: Di e Hypothese von d er sprachlichen Relativitat behauptet, dass die Unterschiede in den morphosyntaktischen Strukturen erkennbare Auswirkungen auf das Denken über die Wirklichkeit haben.

Wãhrend die morphosyntaktischen Strukturen linguistisch beschreibbar sind, stellt sich die Frage nach der Konzeption des Denkens. Erkennbar ist- wenn überhaupt- individuelles, nicht kulturelles Denken. Es lãsst sich mit den klassischen Mitteln des psychologischen Experimentes erfassen. Dabei entsteht allerdings das Problem von Kontrolle und Validitãt: je eingeschrãnkter, kontrollierter und damit überprüfbarer die experimentelle Anordnung ist, desto weniger lãsst sie Aussagen über das alltãgliche Verhalten zu. Gefordert ware deswegen eine mi::iglichst 'natürliche' Testsituation. Der letzte Diskussionspunkt schlieElich betrifft das Problem der Gleichwertigkeit des Verglichenen: wird die eine Sprache aus der Si eht der an d em beschrieben, dann ist die erste Sprache privilegiert, die zweite erscheint als "defizient"- dies ruft nach einer "neutralen"

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Sprache, die aber nicht existiert. Sie kann nur annaherungsweise aufgrund einer breiten, vergleichenden Analyse gewonnen werden. Das Gleiche gilt für das kulturell gepragte Denken und für die Beschreibung von Realitat: Because of this situation, the most promising approach at present is to tum to contrastive linguistics for help in developing a provisional, neutral description of reality. In other words, reality can be described as it appears through the window oflanguage. The description will be neutral to the extent that it succeeds in not favoring any one language, but it will remain a decidedly linguistic vision of the world an d, in this respect, a decidedly partial construal of reality. (J.A. Lucy l992a, 275) dt., unsere Übersetzung: Wegen dieser Situation ist der vielversprechendste Ansatz gegenwartig der, bei der kontrastiven Sprachwissenschaft Hilfe für die vorlãufige, neutrale Beschreibung der Wirklichkeit zu holen. Mit anderen Worten, die Wirklichkeit kann so beschrieben werden, wie sie durch das Fenster der Sprache erscheint. Die Beschreibung wird in dem MaE neutral sein, wie es ihr gelingt, keine einzelne Sprache zu bevorzugen, aber sie wird eine ausgesprochen sprachliche Sicht der Welt und deswegen entschieden eine Teilrekonstruktion der Wirklichkeit darstellen. Diese Passage zeigt mit aller Deutlichkeit das Problem der Sprachlichkeit jeder Überprüfung der Whorfschen Hypothese in derartiger Form. Der zweite Band stellt eine Studie vor, die den herausgearbeiteten Kriterien entspricht: zwei verschiedene Sprachen (Englisch und Yucatec Maya) werden verglichen, eine grundsatzliche Differenz wird herausgearbeitet und in einem psychologischen Experiment untersucht. Die Feldforschung fand zwischen 1977 und 1980 in einem kleinen Dorf mit etwa 700 Einwohnern im Bezirk Chemax an der Ostgrenze des Staates Yucatán in Mexiko statt. Es handelt sich um "one of the last remaining enclaves of extremely traditional culture" (J.A. Lucy l992b, 8) - also eine traditionelle Ackerbaukultur mit Mais als Hauptanbaupflanze. Die lokale Variante der Mayasprache ist die dominierende Sprache; n ur wenige Individuen sind zweisprachig, aber die meisten Manner konnen sich auf Spanisch verstandigen. RegelmaEiger Schulbesuch ist selten; viele altere Leute konnen weder lesen noch schreiben. Für die Experimente wurden nur mannliche Personen berücksichtigt. Die Daten für das 15 Dieses Problem lasst sich mit dem sprachwissenschaftlichen Ethnozentrismus vergleichen, der nichtindogermanische Sprachen als exotische Abweichungen vom Normalfall betrachtet.

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amerikanische Englisch wurden bei mannlichen Studenten der Universitat Chicago erhoben. Es muss schon hier darauf hingewiesen werden, dass die beiden Gruppen von Probanden schwer vergleichbar sind: die mexikanischen Bauern sind weder mit der Idee eines psychologischen Experimentes vertraut, noch verfügen sie über die Kategorien, die einem solchen Experiment überhaupt einen Sinn verleihen. Die amerikanischen Probanden dagegen sind in einem entsprechenden Bildungssystem erzogen worden und studieren an einer Universitat mit hohem Renommée. Lucy selbst ist sich dieses Problems natürlich bewusst; er neigt aber dazu, es zu unterschatzen. Im Kontext des Maya-Dorfes ist die Test-Situation eine seltsame, schwer erklarbare Aufgabe, die in Konflikt steht mit wichtigeren Situationen des Alltags. In der amerikanischen Universitat dagegen wird die Teilnahme an einem solchen Test als erwartbare Aufgabe gesehen, für die keine zusatzliche Begründung notig ist. 16 Der Unterschied, den Lucy beim Vergleich von Englisch und Yukatekischem Maya herausarbeitet, betrifft die Markierung des Numerus im nominalen Bereich. Englisch- ahnlich wie das Deutsche - kennt den Unterschied von Singular und Plural und kennzeichnet diesen obligatorisch. Allerdings gibt es auch eine Unterscheidung von Individuen- und Massennomina. Und letztere sind dadurch gekennzeichnet, dass sie eigentlich keinen Plural habenLucy verwendet deswegen den Ausdruck Neutral. Man vergleiche: an apple, the apple apples, the apples milk, the milk (*a milk)

'ein Apfel, der Apfel' '.Ãpfel, di e .Ãpfel' 'Milch'

Eine ganze Reihe von weiteren Aspekten gehen mit dieser Unterscheidung zusammen: so gibt es zwar five apples oder many apples, a b er es gibt n ur some milk o d er a pint of milk. Yukatekisches Maya geht anders vor. Zum ersten ist die Kennzeichnung von Pluralitat optional. Pluralitat kann ausgedrückt werden, wenn betont werden soll, dass es sich um mehrere oder eine Gruppe handelt; aber das ist nicht notwendig. Soll Pluralitat ausgedrückt werden, etwa durch ein Zahlwort, dann verwendet das Yukatekische numerale Klassifikatoren. Das gibt es auch im Deutschen, etwa drei Haupt Vieh. Im Yukatekischen aber sind solche 16 Die Kritik an der W ahi von College-Studierenden als Probanden wird auch von S.S. Mufwene 1995 vorgebracht. Andrerseits ist dieser 'College' -Bias für weite Bereiche der psychologischen Forschung gegeben.

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Das ne ue lnteresse an de r sprachlichen Relativitat Klassifikatoren obligatorisch. Ein Beispiel (nach J.A. Lucy l992b,

51): diez 'u-túul-ul máak zehn KLASS Mann 'zehn Mãnner' Die Bedeutung des Klassifikators wird als 'self-segmenting shape' angegeben (J.A. Lucy l992b, 49), das Objekt ist also eines, das aus eigenem Wesen hera us geformt ist. An dere Klassifikatoren beziehen si eh auf di e Dimensionalitat d er Form (eindimensional, zweidimensional, dreidimensional). Neben der Form kann auch die Menge (Aggregate vom Typ 'Paar'), die Teil-Ganzes-Beziehung ('Ecke', 'Seite') oder ein MaB angegeben sein. Es besteht so ein wesentlicher Unterschied zum Englischen: Pluralitat ist optional und wenn sie 17 ausgedrückt wird, verlangt sie obligatorisch Klassifikatoren. Lucy wahlt eine semantische Metasprache, um einen Vergleich der referentiellen Funktionen der Nomina in den beiden Sprachen zu ermoglichen. Die vorgeschlagenen Merkmale sind [± belebt] und [± diskret]. Das erste unterscheidet Lebewesen von andern Dingen (wobei Lebewesen nicht im biologischen Sinn zu nehmen sind; aber Menschen, Schafe und Hunde gehoren zu den typischen Vertretern). Das zweite Merkmal soll lãnger dauernde und begrenzte Gegenstande von anderen unterscheiden (das heiBt also etwa einen Ziegel von einem zufalligen Haufen Sand). Da alle Nomina, die das Merkmal [+ belebt] aufweisen, auch [+ diskret] sind, ergeben sich drei Merkmalkombinationen: [+ belebt, + diskret]

[- belebt, + diskret] [- belebt,- diskret]

Individuen belebter Art nichtbelebte Individuen nichtindividuierte Gegenstãnde, Stoffe

Die beiden Sprachen unterscheiden sich dann wie folgt im Hinblick auf die Pluralmarkierung:

17 S.S. Mufwene 1995 wendet gegen Lucys Darstellung ein, dass das Englische selbst auch ein Nurneralklassifikationssystem besitze; Lucy vereinfache das eng!ische System. Er ist au eh kritisch gegenüber Lucys Darlegung der Klassifikatoren im Yukatekischen. Insgesamt erscheint ihm der Vergleich zu wenig kiar ausgeführt; die Analysen seien zu wenig detailliert und die sprachwissenschaftliche Literatur zum Thema Numeruskennzeichnung sei zu wenig eingearbeitet. Auch wenn man Mufwene zustimmen muss, dass Sprachen wie Englisch oder Deutsch ebenfalls Teilsysteme mit Numeralklassifikationen besitzen, ist doch zu betonen, dass sie nicht obligatorisch sind.

Yucatec Plural Englisch Plural

[+ belebt] ja ja

[-belebt, + diskret] nein ja

A.

Lucy

[-belebt, -diskret] nein nein

Weiter schlãgt Lucy den Begriff der 'unitization' vor. Gemeint ist di e Bildung von Einheiten aus Massennomina. Im Englischen oder Deutschen geschieht das rnit dem typischen Muster "a X of Y", "ein X Y" a bottle of water, eine Flasche Wasser. lm Yukatekischen sin d es die Klassifikatoren, die einheitenbildend wirken. Lucy kommt zum Ergebnis, dass die Numerusmarkierungen der beiden Sprachen sehr viele Konvergenzen zeigten. Sie verwenden ãhnliche morphosyntaktische Markierungen. Unterschiede zeigten sich aber in den obligatorischen, overten Markierungen. Und diese Unterschiede legten eine klare Asymmetrie zwischen den beiden Systemen lexikalischer Nomina nahe. Das interpretiert Lucy wie folgt: Interpretively, in Yucatec al! nouns are like o ur mas s nouns in that they are neutral with respect to logical unit or shape. Although individual classifiers may appear and disappear within Yucatec, it would require a major restructuring of the grammar to elimina te classifiers altogether. This lexical structure is consistent with the obligatory unitization to indicate Singular (and specific quantitative multiples) and with the optionality of Plural marking. English divides its lexical nouns into two groups, those with a presupposable unit as part of lexical structure and which may take Plurals and Singular marking with indefinite article, and those lexical nouns which function like the Yucatec lexical nouns in requiring unitizers an d laek the Plural. (J.A. Lucy 1992b, 83) dt., unsere Übersetzung: Man kann das so verstehen, dass im Yukatekischen alle Nomina sich wie unsere Massennomina verhalten und zwar so, dass sie neutral im Hinblick auf logische Einheit [unit im Sinn von Einheitenbildung, i. w.] und Form sind. Obwohl die einzelnen Klassifikatoren im Yukatekischen erscheinen kéinnen oder nicht, müsste man die Gramrnatik vollstãndig umstrukturieren, wenn man die Klassifikatoren überhaupt daraus entfernen wollte. Diese lexikalische Struktur stimrnt überein mit der obligatorischen Einheitenbildung zur Angabe von Singular (und spezifischen quantitativen Vielheiten) und mit der Optionalitãt der Markierung des Plurals. Englisch teilt seine lexikalischen Nomina in zwei Gruppen auf: die eine, welche eine Einheit als Teil d er lexikalischen Struktur voraussetzen und di e Plural- und Sinaularkennzeichnung mit indefiniten Artikeln haben, und jene lexikalischen Nomina, die ãhnlich wie di e Yukatekischen lexikalischen Nomina Einheitenbilder verlangen und keinen Plural kennen.

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Die Probanden hatten folgende Teilaufgaben zu erfüllen:

Die nãchste Fragestellung betrifft die Auswirkungen dieser sprachlichen Unterschiede auf das Denken. Lucy stellt folgende Hypothesen auf: ( 1) (2)

Englischsprecher sollten d er Anzahl von Gegenstãnden rnehr Aufrnerksarnkeit schenken als Sprecher des Yukatekischen. Englischsprecher sollten der Anzahl von Gegenstãnden f~r einen gréiEeren Bereich von Referenztypen Aufrnerksarnkelt schenken als Sprecher des Yukatekischen.

Betrachtet rnan die drei Referenztypen A([+ belebt, + diskret]), B ([- belebt, + diskret]), e([- belebt,- diskret]), dann sagen die Hypothesen voraus, dass Englischsprecher bei den Typen A, B und e oenerell hãufioer auf di e Anzahl von Elernenten achten als Sprecher b b des Yukatekischen, und dass Sprecher des Englischen bei den Typen A un d B di e Anzahl stãrker beachten als bei C, Sprecher des Yukatekischen dagegen vor allern beirn Typ A auf die Anzahl achten, weniger jedoch bei den Typen B und C. . . . In einer ersten Versuchsreihe verwendete Lucy als St1rnuh Bllder, die Szenen aus dern Hausinnern, aus dern Dorfleben und aus der Arbeitswelt (Ackerbau, W al d) enthielten. Auf d en Bildern waren di e drei Referenztypen vertreten: Lebewesen für den Typ A, sog. Implemente (also: Behãlter, Werkzeuge usw.) für den Typ B und Substanzen (wie z.B. Mais, Wasser) für den Typ C. Dabei war der Typ B doppelt so hãufig vertreten wie die beiden andern. Neun derartige Szenen wurden gezeichnet. Zujedern der neun Originalbilder gab es fünf Varianten: 2 3 4 5 6

Originalbild Verãnderung in der Anzahl Lebewesen Verãnderung in der Anzahl Implemente (Behiilter) Verãnderung in der Anzahl Implemente (Werkzeuge) Verãnderung in der Anzahl Substanzen Verãnderung in der Menge der Substanzen

Die Verãnderungen waren zu gleichen Teilen Verrnehrungen und Verrninderungen. Also werden z.B. in Originalbild l. l zwei Hunde gezeigt, in Bild 2 dieser Seriê dagegen nur einer. In Originalbild 2.1 ist eine Person zu sehen, in Bild 2 dieser Serie zwei Personen usw. Damit sollte sichergestellt sein, dass di e Verãnderung nicht irnrner in die gleiche Richtung geht und kein Richtungseffekt auftaucht.

Beschreibung der Aufgabe Bild wird vorgelegt; Proband beschreibt vorliegendes Bild verbal. 2

Bild wird vorgelegt; Proband beschreibt Bild verbal aus dem Gedachtnis.

3

Bild mit 5 Varianten wird vorgelegt: das dem Original ahnlichste Bild ist auszuwahlen (Urteilen über Ãhnlichkeit)

4

Originalbild wird gezeigt und ist danach aus einer Darbietung von Original und Varianten auszuwahlen (Kurzzeitgedachtnis)

5

Originalbild wird gezeigt und ist na eh langerer Zeit aus der Darbietung von Original und Varianten auszuwahlen (Langzeitgedachtnis)

Weitere technische Details (welche Bildserien ausgewãhlt wurden, in welcher Reihenfolge sie gezeigt wurden ete.) kéinnen J.A. Lucy ( l992b) entnornrnen werden. Di e Tests wurden rnit j e 12 yukatekischen und 12 US-arnerikanischen Mãnnern durchgeführt- dabei erwies sich die Aufgabe für die yukatekischen Probanden als schwieriger. Die beiden ersten oben aufgeführten Aufgaben sind sprachliche Aufgaben: hier geht es darurn, dass die Probanden ein vorgelegtes Bild beschreiben. Lucy interessiert dabei nur, welche Objekte wie stark zahlenrnãEig spezifiziert werden. Es zeigte si eh in de r Tendenz, dass Englischsprecher Lebewesen und Irnplernente durchwegs zahlenrnãEig spezifizieren, deutlich weniger hingegen Substanzen. Yukatek-Sprecher spezifizieren ingesarnt weniger hãufig. Auch sie spezifizieren Lebewesen zahlenrnãEig arn hãufigsten, doch Irnplernente und Substanzen werden gleich wenig spezifiziert. Eine ãhnliche Verteilung zeigt sich bei der zweiten Aufgabe. Die Tendenz entspricht also der Annahrne: das Englische erwãhnt rnehr Zahlen und behandelt Lebewesen und Irnplernente (als Objekte) ãhnlich, Substanzen dagegen anders. Yukatek-Sprecher erwãhnen weniger Zahlen un d behandeln Irnplernente un d Substanzen ãhnlich. 18 Darnit zeigt sich, dass die Struktur der beiden Sprachen irn sprachlichen Forrnulieren der Sprecher wieder erscheint. Für das Anliegen Lucys (und des Prinzips der sprachlichen Relativitãt) interessanter sind die nonverbalen Aufgaben - nãrnlich die Vergleichsaufgaben. Wer rnehrere Bilder irn Hinblick auf die Ãhn18 Einige Einzelprobleme der Auswertung müssen hier weggelassen werden; der Leser, die Leserin sei auf das Original verwiesen.

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lichkeiten vergleicht, muss zwischen wichtigen und unwichtigen Differenzen entscheiden. Di e Hypothesen waren wie folgt: englische Sprecher sollten Bilder, die sich in der Zahl der Lebewesen und/oder der Implemente unterscheiden, als weniger ãhnlich betrachten als Bilder, di e sich in Anzahl un d Menge d er Substanzen unterscheiden. Dagegen sollten Sprecher des Yukatekischen vor allem Bilder, die sich in der Anzahl von Lebewesen unterscheiden, als weniger ãhnlich ansehen, zwischen den beiden andern Unterscheidungen (Implemente und Substanzen) aber etwa gleich wenig Unãhnlichkeit se h en. Bei der Auswertung der Ãhnlichkeit zeigte sich klar: Die englischen Probanden sahen als ãhnlichste Bilder j ene an, in denen die Zahl der Substanzen verãndert wurde. Für yukatekische Beurteiler gab es keinen Unterschied der Ãhnlichkeit in Bezug auf Implemente und Substanzen. Lucy folgert: "the patterns of response follow the language-based expectations for each group" (J.A. Lucy l992b, 120). Da es sich um einen nonverbalen Test handelt, bestãtigt sich hier ein Einfluss der Sprache auf das Denken (im Sinne des Ãhnlichkeitsurteils). 19 Bei der Aufgabe vier (sie beanspruchte das Kurzzeitgedãchtnis) war bei beiden Gruppen die Fehlerwahrscheinlichkeit hoch. Hingegen zeigte sich, dass die begangenen Fehler sich wiederum in Bezug auf Lebewesen, Implemente un d Substanzen sprachspezifisch verteilten. Englischsprecher irrten sich kaum im Bereich der verãnderten Zahlen für Lebewesen un d wenig bei d en Implementen, in zwei Drittel der Fãlle jedoch bei den Substanzen. Yukatekischsprecher irrten sich schon etwas hãufiger bei Lebewesen, vor allem ab er etwa gleich hãufig bei Implementen und Substanzen (je um die vierzig Prozent). Beim gleichen Test für das Langzeitgedãchtnis erzielten beide Gruppen schlechtere Resultate; bei den Yukatekischsprechern schien sich sogar ein zufãlliges Verhalten zu zeigen. Insgesamt bestãtigen also die Ãhnlichkeitstests: die sprachlichen Kategorisierungen beeinflussen die kognitiven Urteile der Sprecher - also genau das, was das Prinzip der sprachlichen Relativitãt voraussagt. Allerdings, die Antworten der Yukatekischsprecher lagen hãufig nahe an einer zufãlligen Verteilung- man kêinnte also auch anneh19 Lucy betont, dass die Probanden di e unterschiedliche Anzahl von Irnplementen und Substanzen durchaus gesehen ha ben, sie ab er nicht primiir bei den Ãhnlichkeitsurteilen einsetzen.

Der Neu-Whorfianer John A. Lucy

men, dass gar keine Wirkung d er Sprache vorliegt, son d em schlichtweg Unklarheit herrscht. Um diesen Aspekt genauer abzuklãren, führte Lucy eine zweite Reihe von Experimenten durch. Sie sollen überprüfen, ob die unterschiedliche sprachliche Behandlung der Kategorie B (nichtbelebte, aber diskrete Einheiten) im Englischen und im Yukatekischen sich irgendwie auswirkte. Für diese Aufgabe wurde das jeweils gleiche Grundmuster angewandt: Ãhnlichkeitswahlen bei Triaden von Gegenstãnden. Probanden wurden drei Gegenstãnde oder Anordnungen von Gegenstãnden gezeigt. Einer der Gegenstãnde wurde ihnen gegeben und sie sollten sa g en, welcher der bei d en andern d em ersten ãhnlich sei. Ein Beispiel: eine Kartonschachtel wird gegeben, eine Schachtel aus Kunststoff und ein viereckiges Stück Karton bilden die Auswahl. W er die Form als entscheidend betrachtet, wird die beiden Schachteln als ãhnlich auswãhlen und das Stück Karton beiseite lassen. W er si eh auf das Material konzentriert, wird di e beiden Kartondinge zusammennehmen und das Kunststoffding beiseite lassen. (Es gibt hier ein Problem: da alle Dinge auch farbig sind und zu etwas dienen konnen, muss sichergestellt sein, dass Farbigkeit und Funktion ni eht interferieren; vgl. dazu J.A. Lucy l S. Gaskins 200 l). Acht Triaden waren von dieser Art. In einer weiteren Menge von neun Triaden wurde zusãtzlich der Einfluss von Zahlen miteinbezogen. Das erste Dreierset enthielt den Gegensatz von Zahlen und Material!Form: zwei Nãgel - drei Nãgel - zwei Lêiffel. Das zweite Dreierset kontrastierte Zahl und Material: drei Maiskorner - ein Stück Maisteig - drei Bohnen. Das dritte Dreierset kontrastierte Konfigurationen un d Zahlen: ein Kreis aus sechs Bohnen- ein Kreis aus fünf Bohnen- eine Linie aus sechs Bohnen. Die Triaden wurden insgesamt zehn Maya- und dreizehn US-Probanden vorgelegt. Für das erste Triadenset (Form vs. Material) ergab sich ein klares Ergebnis: Englischsprachige zogen die Form vor, Yukatekischsprecher das Material. Das Ergebnis war in jeder Hinsicht hochsignifikant. Bei der zweiten Menge von Triaden wurden Material und Form nicht getrennt, aber die Anzahl war ein mogliches Klassifikationskriterium. Hier zeigte sich, dass beide Sprechergruppen Material und Form der Anzahl vorziehen; aber wiederum prãferieren die Yukatekisch-Sprecher das Material, wãhrend die Englischsprecher Form und Anzahl etwa im gleichen MaE berücksichtigen. Bei der dritten Menge von Triaden blieb das Material konstant, hingegen variierten Form (Konfiguration) und Anzahl. Hier zeigte si eh, das s Englischsprecher di e Konfiguration bevorzugen (also Kreis

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zu Kreis), Yukatekisch Sprecher die Anzahl (also sechs Kéirner zu sechs Ki:irner). Lucy kornmt zum Schluss:

men eine gewisse Beziehung zu charakteristischen kognitiven Reaktionen bei den Sprechem haben.

The results of the triad task generally show the predicted pattems. Yucatec speakers show a strong tendency to group objects on the basis of common material composition, and English speakers show a strong tendency to group objetcs on the basis of common shape .... These pattems suggest strongly that the underlying lexical structures associated with the overt number marking pattems in the two languages hav e an influence on the nonverbal interpretation of objects. (J.A. Lucy 1992b, 144)

Anders ausgedrückt: Lucy hat nach seiner Meinung das Prinzip der sprachlichen Relativitat (in der Form, wie er es formulierte) vorlaufig bestatigt. J.A. Lucy l S. Gaskins (200 l) replizieren diese Bestatigung- wir haben hier also einen klaren Nachweis einer Einwirkung sprachlicher Verschiedenheit auf kognitive Kategorisierungen vor uns. Di e Reaktionen auf Lucys zwei Bücher fallen unterschiedlich aus. Hill ( 1993) hat praktisch keine Einwande un d nennt di e Studie über Englisch und Yukatekisch "a superb case study of a classic topic" (Hill 1993, 823 ); au eh Vamarasi ( 1995, 851) empfiehlt di e Einzelfallstudie als ·'thorough, well-conceived study". P. Lee ( 1994) stellt sich, wie übrigens auch W.A. Foley ( 1997, 209), auf den Standpunkt, das s Lucy Whorfs eigenen Formulierungen nicht folge, wenn er das Prinzip der sprachlichen Relativitat al s eine zu testende Hypothese ansieht, statt als eine Art Axiom. Beide Autoren betrachten di e Studie a b er als relevant. Kritischer dagegen ist di e Rezension von S.S. Mufwene ( 1995), der den ersten Band als zu lang und zu umstandlich einerseits, unvollstandig aber anderseits kritisiert. Insbesondere weist er darauf hin, dass Lucy die Studien der Ethnosemantiker zu Verwandtschaftssystemen ni eht berücksichtigt habe. Er merkt weiter kritisch an, dass e s Lucy nicht gelinge, klar zu machen, was er un t er habituellem Denken verstehe. D er Vergleich zwischen d em Englischen und dem Yukatekischen ist ihm zu wenig detailliert. Lucy vereinfache das englische System und er gebe zu wenig klar Auskunft über das Yukatekische. D en Ausschluss der lexikalischen Komponente aus dem Vergleich (Lucy insistiert ja darauf, dass Whorf vor allem grammatische Kategorien im Auge gehabt habe, was n ur teilweise stimmt) moniert er als unbegründet. Er setzt auch ein Fragezeichen zur Relevanz der durchgeführten Tests: es gelinge Lucy nicht, d en Zusammenhang zwischen de r sprachlichen Struktur und den Ergebnissen der Tests überzeugend darzulegen. Ãhnlich ablehnend ist Kaye in seinen zwei Kurzrezensionen (A.S. Kaye 1997a, l997b ). Kay e ist au eh gegenüber d en Tests kritisch eingestellt. Auf das Problem der Probandenauswahl haben wir oben schon hingewiesen; auch Kaye und Mufwene kommen darauf zu sprechen. Ein weiteres Problem sind die Zeichnungen aus dem mexikanischen Dorfleben: für die mexikanischen Bauern stellen sie vermutlich etwas anderes dar als für amerikanische College-Studen-

dt., unsere Übersetzung. Die Resultate der Aufgabe mit den Triaden weisen ganz allgemein das vorausgesagte Muster auf. Yukatekische Sprecher zeigen eine starke Tendenz dazu, Objekte auf Grund gemeinsamer Materialzusammensetzung zu gruppieren, un d Englischsprecher zeigen eine starke Tendenz dazu, Objekte auf Grund der gemeinsame Form zu gruppieren .... Diese Muster legen es nahe, anzunehmen, dass die zugrundeliegenden lexikalischen Strukturen verbunden mit den Mustem der overten Numerusmarkierung in den beiden Sprachen einen Einfluss auf die nichtverbale Interpretation von Objekten haben. In einer spateren Arbeit (J.A. Lucy l S. Gaskins 2001) wurde die Anlage des Experiments verfeinert; die Triaden wurden ersetzt durch neun Gegenstande, die sukzessive in zwei Gruppen zu teilen waren. Dabei mussten die Probandinnen un d Probanden (diesmal waren au eh Frauen beteiligt) ihre Kriterien sukzessive anpassen- es wurde dann deutlich, ob sie die Form oder das Material als Kriterium anwandten. Diese zusatzlichen Test bestatigten und verstarkten die generelle Hypothese: Englischsprecher kategorisieren nach Form, Yukatekischsprechende nach Material. Was die Studie von Lucy überraschend zeigt, ist die Tatsache, dass eine Sprache, die in ihren Klassifikatoren (unter anderem) von d er Form Gebrauch ma eh t, ihre Sprecher bei de r Interpretation von Objekten gerade nicht auf die Form achten lasst, sondern primar auf das Material, die Substanz. Dagegen beachten Englischsprachige die Form besonders, obwohl sie in der Grammatik der Sprache keine hervorragende Rolle spielt (wohl aber das Prinzip der Einheitenbildung). Insgesamt schlieEt Lucy aus seiner Arbeit: it seems safe to conclude that there is good preliminary evidence that diverse language forms bear some relationship to characteristic cognitive responses in speakers. (J.A.Lucy l992b, 148) dt., unsere Übersetzung: es scheint angemessen zu schlieEen, dass es eine gute vorlaufige Evidenz dafür gibt, dass verschiedene Sprachfor-

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Kognitive Anthropologie

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ten. Es ist nicht klar, ob die College-Studenten Erfahrung mit traditioneller mexikanischer Landwirtschaft haben. Lucy untersucht au eh nicht, welche kulturelle Rolle Zahlen, Materialien und Objekte im Yukatekischen spielen. Trotz dieser Einwande, die von J.A. Lucy 1 s. Gaskins (2001) teilweise widerlegt werden, darf die Studie als eine erfolgreiche Bestatigung der kognitiven Wirksamkeit einer sprachlichen Struktur gesehen werden. Eine kleine historische Bemerkung: die ersten Studien nach Whorf, die den Einfluss grammatischer Kategorien auf die Begriffsbildung vertraten, stammen von Roger W. Brown ( 1957). Brown geht aber nicht vergleichend vor, sondem analysiert die drei Wortarten Einzelnomina, Massennomina un d Verben im Englischen von Kindergartenkindem. Einzelnomina werden im allgemeinen für Objekte gebraucht (truck, block, teacher), Massennomina für Substanzen (milk, mud, dirt), Verben für Handlungen (running). Brown nutzt die Tatsache aus, dass Englisch für die drei Wortklassen unterschiedliche syntaktische Rahmen zur Verfügung stellt. Verbunden mit englischen Nonsense-Wortern20 lassen sich dann Fragen an die Kinder stellen, wobei ihnen Bilder gezeigt werden: Für Verben: "Do you know what it means to sib?" Erwanete Amwon: "no". "In this picture you can see sibbing. Now show me another picture of sibbing." Für Individuennomina "Do you know what a sib is?" Erwartete Antwon: "no". "In this picture you can see a sib. Now show me another picture of a sib." Für Massennomina "Have you ever seen any sib?" Erwanete Antwon: "no". "In this picture you can see sib. Now show me another picture of sib."

Kinder mit übergro.Ser Wahrscheinlichkeit Verben mit den gezeigten Handlungen in Verbindung bringen, Massennomina mit den gezeigten Substanzen und Individuennomina mit den gezeigten Behaltem. Brown zieht den Schluss: It was

shown experimentally that young Eng1ish speaking children take the pan-of-speech membership of a new word as a d ue to the meaning of the word. (R. W. Brown 1957, 5) dt., unsere Übersetzung: Es wurde experimentell nachgewiesen, dass kleine englisch sprechende Kinder die Wonartenzugehorigkeit eines neuen Wones a1s Hinweis auf die Bedeutung des Wortes nehmen.

Browns Studie lasst sich aber auch Ãhnlichkeitsmessungsstudie verstehen - die Kinder haben als Kriterium der Ãhnlichkeit die in der Wortartenzugehorigkeit vorhandene Klassifikation benutzt. Lucy selbst kritisiert dieses Vorgehen von Brown als nicht-komparativ: damit konne nicht gezeigt werden, dass die Unterscheidung von Verb, Einzel- und Massennomen sprachspezifisch sei. Die Kinder befanden sich in einem Spracherwerbsprozess, bei dem es um neue Worter und deren Semantik gehe; damit konne nicht gezeigt werden, dass auch Erwachsene solche Unterschiede machten (J.A. Lucy 1992a, 189-193) 21 • Diese Kritik wird etwas relativiert durch die Studie von J.A. Lucy l S. Gaskins (2001). Dort untersuchen di e bei d en Autoren au eh, a b wann si eh yukatekischsprechende Kinder von englischsprachigen unterscheiden. Es zeigt sich dabei überraschenderweise, dass siebenjahrige Kinder in bei d en Sprachen deutlich nach Form urteilen, neunjahrige yukatekischsprechende Kinder dagegen deutlich mehr nach Material, auch wenn die Form immer noch vorhanden ist. Eine Studie von D. Gentner l L. Boroditsky (200 l) auf der Basis von anderen Sprachen mit Klassifikatoren kommt zum Schluss, dass Unterschiede in d er Benennung und Klassifikation von Gegenstanden und Substanzen schon sehr früh durch die Strukturen der gelemten Sprachen bedingt sind.

Die Bilder bestehen aus drei Sets von j e vier Bildem. Das erste Set ist so aufgebaut, dass alle vier Bilder Hande zeigen, die etwas mit einer farbigen Masse machen, die sich in einem farbigen Behalter befindet. Das erste Bild wird zur Einführung gezeigt, danach haben die Kinder aus den drei andem jenes auszuwahlen, in d em entweder die Handlung, die Masse oder der Behalter im Vordergrund steht. 16 Kinder nahmen am Test teil. Ergebnisse zeigen, dass die

In einem Sammelband mit dem Titel Rethinking Linguistic Relativity (J.J. Gumperz l St.C. Levinson (eds.) 1996) schreiben die Herausgeber:

20 Nonsense-Wõrter sin d Kunstwõrter. welche wie mõgliche Wõrter des Englischen aussehen, aber im Englischen keine Bedeutungen haben. Verwendet wurden von Brown sib, niss und latt.

21 Es gibt eine Reihe weiterer Studien aus den Fünfziger Jahren. die mit solchen un d ahnlichen Versuchsanordnungen arbeiten; so etwa H. Maclay 1958, de r rnit Navaho-Sprechem ganz iihnliche Tests durchfühne wie J.A. Lucy 1992b. allerdings ohne Bestatigung der relativistischen Hypothese.

2.2

Kognitive Anthropologie: Raum und Sprache

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Das neue lnteresse an der sprachlichen Relativitat In this

changed intellectual climate, and in the light of the m u eh greater knowledge that we now have abou t both language an d menta! processing, it would be pointless to attempt to revive ideas about linguistic relativity in their original form. Nevertheless, there have been a whole range of recent intellectual shifts that mak e the ground more fertile for some of the original seeds to grow in to new saplings. (J.J. Gumperz l St.C. Levinson 1996, 7) dt., unsere Übersetzung: In diesem veranderten intellektuellen Klima [nach 1960] und im Licht des sehr viel umfassenderen Wissens über Sprache und mentale Prozesse, das uns jetzt zur Verfügung steht, ware es unsinnig zu versuchen, di e Vorstellungen über di e sprachliche Relativitat in ihrer ursprünglichen Form wiederbeleben zu wollen. Dennoch gibt es eine Reihe von neueren intellektuellen Veranderungen, die den Boden dafür bereiten, dass einige der ursprünglichen Samen wieder keimen und zu jungen Baumen heranwachsen konnten.

Das Ziel der Autoren ist es also nicht so sehr, die Ideen aus den vierziger Jahren wiederzubeleben, sondern sie in den Kontext neuerer Entwicklungen zu stellen, di e insbesondere die Rolle der Sprache im Gebrauch und damit der Kultur, der Kommunikation und der Indexikalitât betonen. Indexikalitâ.t wird im Anschluss an Charles S. Peirce verstanden als eine umfassende Beziehung zwischen dem Zeicheninterpreten, dem Zeichen und dem Kontext der Interpretatian. Eine solche Beziehung ist di e zwischen Sprache un d Raum, d er eine Reihe von Arbeiten gewidmet sind, die - wie oben berichtetim Rahmen der Cognitive Anthropology Research Group 22 entstanden sind. Wir referieren hier auf St.C. Levinson ( 1996); verwiesen sei ab er insbesondere auf E. Pederson et al. ( 1998) und di e Beitrâge in M. Bowerman l St.C. Levinson (2001) sowie die dort angegebene Li t era tur. Für den Bezug auf den Raum verwenden die uns gelâufigen Sprachen neben der vertikalen Dimension (oben- unten), die durch die Schwerkraft bestimmt ist, zwei horizontale Dimensionen, nâmlich vorn - hinten und rechts - lin!