Politische Beratungsinstitute, Europa und der Maghreb, 1990-2000 3515106472, 9783515106474

Beratungsinstitute und ihre Europarepräsentationen stehen im Zentrum der Studie von Johan S. U. Wagner. Er untersucht de

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German Pages 320 [322] Year 2014

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Table of contents :
VORWORT
EINLEITUNG – „GEHIRNE IM KRIEG DER IDEEN“
THEMA
FRAGESTELLUNG
EUROPAREPRÄSENTATIONEN IN BERATUNGSINSTITUTEN – METHODIK
UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND UND -ZEITRAUM
QUELLEN
FORSCHUNGSSTAND
GLIEDERUNG
STIFTUNG WISSENSCHAFT UND POLITIK
INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN
DAS EIGENE IN DEN PUBLIKATIONEN DER SWP
DAS ANDERE IN DEN PUBLIKATIONEN DER SWP
DIE VERFLECHTUNG IN DEN PUBLIKATIONEN DER SWP
FAZIT
DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR AUSWÄRTIGE POLITIK
INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN
DAS EIGENE IN DEN PUBLIKATIONEN DER DGAP
DAS ANDERE IN DEN PUBLIKATIONEN DER DGAP
DIE VERFLECHTUNG IN DEN PUBLIKATIONEN DER DGAP
FAZIT
CENTRE D’ETUDES ET DE RECHERCHES INTERNATIONALES
INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN
DAS EIGENE IN DEN PUBLIKATIONEN DES CERI
DAS ANDERE IN DEN PUBLIKATIONEN DES CERI
DIE VERFLECHTUNG IN DEN PUBLIKATIONEN DES CERI
FAZIT
INSTITUT FRANÇAIS DES RELATIONS INTERNATIONALES
INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN
DAS EIGENE IN DEN PUBLIKATIONEN DES IFRI
DAS ANDERE IN DEN PUBLIKATIONEN DES IFRI
DIE VERFLECHTUNG IN DEN PUBLIKATIONEN DES IFRI
FAZIT
BEZÜGE, UNTERSCHIEDE UND GEMEINSAMKEITEN
BEZÜGE ZWISCHEN DEN INSTITUTEN
UNTERSCHIEDE DER INSTITUTE
GEMEINSAMKEITEN DER INSTITUTE
FAZIT
SCHLUSS – „ENTWICKLUNG IM SPIEGEL DER ANDEREN“
ABSTRACTS
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
QUELLEN
HINTERGRUNDGESPRÄCHE
LITERATUR
NAMENVERZEICHNIS
SACHVERZEICHNIS
DANKSAGUNG
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Politische Beratungsinstitute, Europa und der Maghreb, 1990-2000
 3515106472, 9783515106474

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Johan S. U. Wagner

Politische Beratungs­ institute, Europa und der Maghreb, 1990–2000

10 Geschichte Franz Steiner Verlag

SR des Deutsch-Französischen Historikerkomitees

Johan S. U. Wagner Politische Beratungsinstitute, Europa und der Maghreb, 1990–2000

schriftenreihe des deutsch-französischen historikerkomitees Im Einvernehmen mit dem Deutsch-Französischen Komitee für die Erforschung der deutschen und französischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts herausgegeben von Etienne François und Wilfried Loth band 10

Johan S. U. Wagner

Politische Beratungsinstitute, Europa und der Maghreb, 1990–2000

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Sonderforschungsbereichs 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ der Humboldt-Universität zu Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-515-10647-4 (Print) ISBN 978-3-515-10738-9 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS VORWORT .......................................................................................................... 7 EINLEITUNG – „GEHIRNE IM KRIEG DER IDEEN“ ................................. 9 Thema ................................................................................................................. 10 Fragestellung ...................................................................................................... 13 Europarepräsentationen in Beratungsinstituten – Methodik ........................... 16 Untersuchungsgegenstand und -zeitraum ......................................................... 24 Quellen ................................................................................................................ 27 Forschungsstand ................................................................................................. 29 Gliederung .......................................................................................................... 35 STIFTUNG WISSENSCHAFT UND POLITIK ............................................. 37 Institutionelle Entwicklungen ............................................................................ 38 Das Eigene in den Publikationen der SWP ...................................................... 46 Das Andere in den Publikationen der SWP ...................................................... 58 Die Verflechtung in den Publikationen der SWP............................................. 76 Fazit ..................................................................................................................... 85 DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR AUSWÄRTIGE POLITIK ................ 87 Institutionelle Entwicklungen ............................................................................ 89 Das Eigene in den Publikationen der DGAP .................................................... 96 Das Andere in den Publikationen der DGAP ................................................. 108 Die Verflechtung in den Publikationen der DGAP ........................................ 133 Fazit ................................................................................................................... 145 CENTRE D’ETUDES ET DE RECHERCHES INTERNATIONALES ..... 147 Institutionelle Entwicklungen .......................................................................... 151 Das Eigene in den Publikationen des CERI ................................................... 158 Das Andere in den Publikationen des CERI ................................................... 173 Die Verflechtung in den Publikationen des CERI ......................................... 187 Fazit ................................................................................................................... 193

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Inhaltsverzeichnis

INSTITUT FRANÇAIS DES RELATIONS INTERNATIONALES .......... 195 Institutionelle Entwicklungen .......................................................................... 196 Das Eigene in den Publikationen des IFRI ..................................................... 201 Das Andere in den Publikationen des IFRI .................................................... 221 Die Verflechtung in den Publikationen des IFRI ........................................... 236 Fazit ................................................................................................................... 244 BEZÜGE, UNTERSCHIEDE UND GEMEINSAMKEITEN ...................... 247 Bezüge zwischen den Instituten ...................................................................... 247 Unterschiede der Institute ................................................................................ 253 Gemeinsamkeiten der Institute ........................................................................ 258 Fazit ................................................................................................................... 264 SCHLUSS – „ENTWICKLUNG IM SPIEGEL DER ANDEREN“ ............ 267 ABSTRACTS ................................................................................................... 283 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS ......................................... 285 Quellen .............................................................................................................. 285 Hintergrundgespräche ...................................................................................... 300 Literatur ............................................................................................................ 301 NAMENVERZEICHNIS ................................................................................ 313 SACHVERZEICHNIS ..................................................................................... 317 DANKSAGUNG .............................................................................................. 319

VORWORT Politische Beratungsinstitute haben in Frankreich wie Deutschland seit den 1990er Jahren in der Politik an Bedeutung zugewonnen. Sie treten einerseits häufiger in der Öffentlichkeit als Experten auf, beraten andererseits hinter verschlossenen Türen eingehender die Spitzen der Politik und der Verwaltung. Die Geschichte der politischen Beratungsinstitute ist Neuland für Historiker. Es ist Zeit, dass sich die Historiker dieses Themas annehmen, auch für die deutsch-französische Geschichte. Politische Beratungsinstitute gehören zu den intermediären Gruppen, die angeblich in Frankreich und Deutschland sehr unterschiedlich sind. Sie haben sich in Frankreich wie in Deutschland auch in der Europapolitik positioniert und man fragt sich, wie groß auch hierbei die deutsch-französischen Unterschiede sind. Sie verfügen schließlich auch immer über eine gewichtige Expertise zu den Nachbarschaftsräumen der Europäischen Union, die seit dem Fall der Mauer für Frankreich, für Deutschland und für die Europäische Union eine hohe Priorität erhalten haben. Auch in der Politik gegenüber den Nachbarschaftsräumen erwartet man wegen der östlichen Orientierung Deutschlands und der Südorientierung Frankreichs erhebliche deutsch-französische Gegensätze. Johan Wagner untersucht in seinem Buch diese drei Achsen: die Rolle der politischen Beratungsinstitute in der Politik und Öffentlichkeit, ihre neue Positionierung in der Europapolitik und ihre Stellungnahme zu einem der wichtigen Nachbarschaftsräume der Europäischen Union, dem Maghreb. Johan Wagner kommt zu sehr aufschlussreichen Ergebnissen: Die französischen und deutschen politischen Beratungsinstitute verflochten sich während der 1990er Jahre enger miteinander. Dies hing auch damit zusammen, dass sie beiderseits des Rheins stärker als zuvor über Europathemen arbeiteten, darunter über die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union, über die deutsch-französischen Beziehungen und über die Beziehungen Europas zu außereuropäischen Konfliktregionen in den Themenbereichen der Sicherheit, der Gewalt und der Migration. Europapolitik wurde ein zentraler Aktivitätsbereich, auch auf die Gefahr hin, das eigene thematische Profil zu schwächen. Europa wurde zudem bei aller kritischen Distanz von den politischen Beratungsinstituten zunehmend als das Eigene präsentiert. Gleichzeitig wurden dabei die Außengrenzen Europas auch gegenüber dem Maghreb zunehmend schärfer gezogen. Auch wenn im Blick der politischen Beratungsinstitute der lange historische Kulturaustausch mit dem Maghreb, die Gemeinsamkeit der Herausforderungen in der Mittelmeerregion und die wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Maghreb durchaus Gewicht behielten, wurde die Exklusion zunehmend stärker vorgenommen und auch der Maghreb immer stärker als das fremde Andere vorgestellt.

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Vorwort

Dieses Buch entstand als Dissertation an der Humboldt-Universität Berlin und wurde 2012 erfolgreich verteidigt. Es verdankt viel der Friedrich-Ebert-Stiftung, die das Dissertationsprojekt mit einem Stipendium gefördert hat. Auch bei dem Sonderforschungsbereich 640 „Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel“ bedanke ich mich dafür, dass Johan Wagner als assoziierter Mitarbeiter aufgenommen wurde. Dieses Buch ist Teil eines größeren Projektes in diesem SFB zur Geschichte der Europarepräsentation im späten 19. und im 20. Jahrhundert.I Das Deutsch-Französische Doktorandenkolleg „Unterschiede denken“ hat Reisen für diese Dissertation finanziert. Ich danke auch dem Vorstand des Deutsch-Französischen Historikerkomitees für die Aufnahme des Buches in seine Schriftenreihe und dem Franz Steiner Verlag für die verlegerische Betreuung des Buches. Berlin, im Januar 2014 Hartmut Kaelble

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Vgl. zudem: Priska Jones, Europa in der Karikatur. Deutsche und britische Darstellungen im 20. Jahrhundert (Eigene und fremde Welten, 15), (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2009); Susan Rößner, Die Geschichte Europas schreiben. Europäische Historiker und ihr Europabild im 20. Jahrhundert (Eigene und fremde Welten, 16), (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2009); Andreas Weiß, Asiaten in Europa. Begegnungen zwischen Asiaten und Europäern, 1880er–1914, Diss., Humboldt-Universität, (Berlin, 2013); Christian Methfessel, Die militärische Expansion Europas und die Massenmedien. Kolonialkriege und imperialistische Interventionen in der englischen und deutschen Öffentlichkeit 1896 bis 1911, Diss., Universität Erfurt, (Erfurt, 2013); Benjamin Beuerle, Westorientierung und Reformgesetzgebung im ausgehenden Zarenreich, 1905–1917, Diss., Humboldt-Universität, (Berlin, 2014); Robert Frank, Hartmut Kaelble, Marie-Françoise Lévy & Luisa Passerini (Hrsg.), Building a European Public Sphere/ Un espace public européen en construction. From the 1950s to the Present/ Des années 1950 à nos jours (Multiple Europes/ Europe plurielle, 44), (Brüssel, Bern, Berlin u. a.: Peter Lang, 2010); Representations of Europe as a Political Resource in the Early and Late Twentieth Century, Themenheft der Zeitschrift Comparativ 22 (2012), Heft 6.

EINLEITUNG – „GEHIRNE IM KRIEG DER IDEEN“ Europa hat sich in den 1990er Jahren grundlegend verändert. Die Transformationen, die spätestens mit dem Gipfel zwischen Gorbatschow und Reagan in Reykjavík im Dezember 1987 ihren Anfang nahmen, machten jahrzehntelang gültige Vorstellungen von West- und Osteuropa obsolet. Innerhalb von nur drei Jahren stand die Frage nach einer politischen Union in Westeuropa auf der Tagesordnung; nach nur vier Jahren war die Sowjetunion selbst aufgelöst. Die 1990er Jahre erscheinen im Rückblick als eine Zeit der Chancen, aber auch der Verunsicherung über die eigene Rolle und die Ziele Europas.1 Wie also konstituiert sich Europa in der Auseinandersetzung mit dem Rest der Welt, mit Nicht-Europa? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, da der Prozess einem stetigen Wandel unterliegt. Zeiten wie die 1990er Jahre, in denen Akteure, meist aufgrund von Verunsicherungen, Selbst- und Fremdbilder formulieren und aushandeln, sind für die Geschichtswissenschaft ergiebig, da die diversen Prägemuster sozialer Ordnungen sich in einer Vielzahl von Quellen niederschlagen. Wesentliche Grundlagen für die heutigen Europavisionen wurden in den 1950er und 1970er Jahren gelegt. In der ersten der beiden Dekaden wurde die „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ verabschiedet.2 In den 1970er 1

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Der britische Historiker Norman Davies schilderte als den Endpunkt einer großen Synthese europäischer Geschichte den Beginn der 1990er Jahre als Phase von historischem Wandel in Hülle und Fülle, mit dem Dezember 1991 als Monat der Entscheidungen. Norman Davies, Europe. A History, (Oxford: Oxford Univ. Press, 1997), insbes. S. 1126–1127. Insgesamt setzte sich bei geschichtswissenschaftlichen Europadarstellungen in den 1990er Jahren eine Perspektive durch, die ähnlich wie Davies beschleunigte und gebremste Entwicklungen besonders berücksichtigte und weniger streng anhand von europäischen Epochengrenzen argumentierte. Susan Rößner, Die Geschichte Europas schreiben. Europäische Historiker und ihr Europabild im 20. Jahrhundert (Eigene und fremde Welten, 16), (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2009), insbes. S. 215. In einem neuen Vorwort zu seiner erstmals 1983 erschienen Nationalismusstudie schrieb Benedict Anderson 1991, dass er zwar die Auswirkungen des Nationengedankens auf historische Einheiten nachgezeichnet, jedoch nicht die Konsequenz für das Sowjetreich vorhergesehen habe. In einem späteren Nachwort machte er darauf aufmerksam, dass für den Erfolg des Buches insbesondere in den USA der Beginn der 1990er Jahre mit dem Ende der Sowjetunion und dem gewaltsamen Ende von Jugoslawien entscheidend war. Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, 3. erweiterte Auflage, (London, New York: Verso, 2006), insbes. S. xi, 211. Tom Buchanan, „Human Rights, the Memory of War and the Making of a ‚European‘ Identity, 1945–1975“, in: Europeanization in the Twentieth Century. Historical Approaches, hrsg. von Martin Conway & Kiran Klaus Patel (The Palgrave Macmillan transnational history series), (Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan, 2010), S. 157–171, insbes. S. 157. Die Konvention wird heute üblicherweise „Europäische Menschenrechtskonvention“ genannt. Im

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Einleitung

Jahren dienten die Menschenrechte erstmals als sinnstiftendes Merkmal europäischer Außenbeziehungen, wie die Forschung gezeigt hat.3 Die vorliegende Untersuchung deutet die 1990er Jahre als eine Periode intensiver Selbstvergewisserung, zu der die Auseinandersetzung mit dem Anderen wesentlich gehörte. Sie konzentriert sich dabei auf das Verhältnis Europas zum Maghreb, weil diese Region – anders als etwa der Osten Europas – ein weniger leicht integrierbares Anderes verkörpert; und damit das Eigene in viel stärkerem Maße in Frage stellt oder auch festigt.4 Die Auseinandersetzung mit den Maghrebstaaten, die als Mittelmeeranrainer einem geschichtsträchtigen Raum angehören, in dem Europa seine kulturellen und geistigen Wurzeln ansiedelt, mit der kolonialen Vergangenheit Frankreichs und der Problematik von Migrationen und Demographie, von Norden und Süden, von Abgrenzung, Zugehörigkeit, Erweiterung und Zusammenarbeit – all diese Thematiken eröffnen ein komplexes Feld, das die Probleme des europäischen Selbstverständnisses und der sich daraus ergebenden und damit zusammenhängenden europäischen Politik unmittelbar vor Augen führt. Aufgrund ihrer Expertisen und ihrer Nähe zur Politik hatten deutsche und französische Politikberatungsinstitute, so die Grundannahme dieser Arbeit, einen entscheidenden Anteil an der Aushandlung der in den 1990er Jahren so dringend benötigten neuen Eigen- und Fremdbilder. In welcher Form sich dieser Einfluss manifestierte und veränderte, soll anhand der in den vier exemplarisch ausgewählten Beratungseinrichtungen geprägten und verwendeten Verständnisse von Europa und dem Anderen untersucht werden. THEMA Die Unterschiede zwischen den außenpolitischen Beratungsinstituten in Europa sind hinsichtlich der Zahl der Beschäftigten für manche Beobachter frappierend. Vor dem Hintergrund der vielbeschworenen Europäisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwundert besonders, dass Deutschland im Vergleich zu Frankreich über sehr viel mehr Expertisekapazitäten verfügt.5 Dabei bezeichneten der Berater Stephen Boucher und die Wirtschaftsjournalistin Martine Royo die

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US-amerikanischen Fall hingegen waren Menschenrechte als Grundprinzip während der 1950er und 1960er Jahre weitgehend abwesend, selbst innerhalb der Rechtswissenschaft. Samuel Moyn, The Last Utopia. Human Rights in History, (Cambridge, London: Belknap, 2010), insbes. S. 192. Buchanan, „Identity“, a.a.O., (Anm. 2), S. 169. Die Regionsbezeichnung leitet sich aus dem arabischen Wort für Westen ab und umfasst heute meist die drei Staaten Marokko, Algerien und Tunesien. Sie illustriert anschaulich die Relativität der Begriffe: Der Maghreb ist für die arabische Welt der Westen, eine Metapher, welche die Menschen zumindest in Westeuropa gewohnheitsmäßig für sich reklamieren. Vgl. Dominique Lagarde, „Diplomatie: ‚La France connaît plus le Maghreb‘“, in: L’Express, (11.5.2011).

Thema

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Beratungseinrichtungen sogar als „Gehirne im Krieg der Ideen“.6 Obwohl die Beratungsinstitutionen teilweise schon Jahrzehnte in unterschiedlichen organisatorischen Ausprägungen in beiden Kernländern Westeuropas aktiv waren, wurden sowohl ihr Personal als auch die von ihnen zu beratenden Akteure von dem massiven, durch das Ende des Kalten Krieges ausgelösten Wandel vollkommen überrascht. Gerade in einer solchen Umbruchssituation konnten allerdings besondere Wissensbestände im Bereich der Außenpolitik und der internationalen Beziehungen mittelfristig dazu beitragen, Antworten auf die Fragen nach der Bedeutung Europas zu liefern.7 Der inhaltliche Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf den von Beratungsinstituten erbrachten Beiträgen zur Debatte um das Verhältnis Europas zur arabischen Welt, speziell zum Maghreb. Um der Bedeutung Europas auf die Spur zu kommen, wurden jeweils zwei Institute aus Deutschland und Frankreich ausgewählt. Es handelt sich um die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sowie das Centre d’études et de recherches internationales (CERI) und das Institut français des relations internationales (IFRI). Die vier Institutionen wurden ausgewählt, weil sie für unterschiedliche Orientierungen (von forschend-akademisch bis praktisch-beratend) und Finanzierungsarten (das Spektrum reicht von weitgehend öffentlichen Mitteln bis zu substantiellen Beiträgen aus der Privatwirtschaft) stehen. Zudem blicken alle auf eine längere Geschichte zurück und waren im gesamten Untersuchungszeitraum bereits etabliert. Mit dem Blick sowohl auf institutionelle als auch auf individuelle Akteure der politischen Beratung ist eine historische Perspektive verbunden, die bisher vor allem auf den Boom wissenschaftlicher Zukunftsprognostik nach dem Zweiten Weltkrieg angewandt wurde. Die Planungseuphorie vor allem der 1960er Jahre ging unter anderem von Auswirkungen der „Postindustrialisierung“ auf die Entwicklung der internationalen Beziehungen aus. Die Zukunftsforschung war dabei zwar eher „westlich“ als „europäisch“, dennoch gab es bereits zu dieser Zeit bei europäischen Futurologen einen nachweisbaren Bezug auf „Europa“.8 Für die in 6

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Stephan Boucher & Martine Royo, Les think tanks. Cerveaux de la guerre des idées (Echéances), (Paris: Félin, 2006). Insbesondere was fremdsprachige Quellen angeht, versucht die vorliegende Arbeit weitestgehend im Original zu zitieren, dennoch sind gelegentlich Übersetzungen notwendig. Sofern nicht anders gekennzeichnet sind diese vom Autor angefertigt. Im Folgenden wird nicht nur von der politikwissenschaftlichen Disziplin der meist großgeschriebenen Internationalen Beziehungen die Rede sein, sondern auch von konkreten internationalen Beziehungen, die den Kontext der Debatten bilden. Daher wird „internationale Beziehungen“ einheitlich mit klein geschriebenem Adjektiv verwendet, gelegentlich sprachlich die Zielrichtung der Argumentation, z. B. die akademischen internationalen Beziehungen deutlich gemacht. Alexander Schmidt-Gernig, „Ansichten einer zukünftigen ‚Weltgesellschaft‘. Westliche Zukunftsforschung der 60er und 70er Jahre als Beispiel einer transnationalen Expertenöffentlichkeit“, in: Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert, hrsg. von Hartmut Kaelble, Martin Kirsch & Alexander Schmidt-Gernig, (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2002), S. 393–421, insbes. S. 406.

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Einleitung

der Bundesrepublik besonders wichtige und im internationalen Vergleich beispiellose wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung wurde bereits für die 1960er Jahre ein Paradigmenwechsel nachgewiesen. Mit der Etablierung des „Sachverständigenrates“ hatten Ökonomen schon früh den Status von gewissermaßen regierungsamtlichen Experten erlangt.9 In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, dass der umfassende Import von US-amerikanischen, „angewandten“ Wissenschaften nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes – unabhängig von ihrem Verhältnis zur Öffentlichkeit – auch mit dem Beitrag dieser Ansätze zum Sieg der Alliierten erklärbar ist.10 Das US-amerikanische Modell stand zwar auch im genannten Beispiel des „Sachverständigenrates“ Pate, jedoch wurde es nie auch in seiner politischen Dimension verwirklicht.11 Politikwissenschaftler – die das Gros der in den politischen Beratungsinstituten Aktiven darstellten – wurden vor allem nach 1969 in einer vergleichbaren Weise in Anspruch genommen.12 Allerdings sollte schon bald ein Bruch in der Einstellung zur Zukunft Europas sichtbar werden. Mit dem Ende einer langen Phase wirtschaftlicher Prosperität wuchs die Kritik an sozialwissenschaftlichen Experten und ihrem als zu positiv empfundenen Zukunftsbezug.13 Parallel vollzog sich seit den 1970er Jahren in vielen europäischen Wissenschaftssystemen eine Abwendung von einem national abgeschotteten Verständnis; die Zahl der Auslandsaufenthalte, der internationalen Programme, der Auslandsinstitute und der englischen Publikationen nahm zu.14 In den 1990er Jahren beschäftigte man sich in der außenpolitischen Beratungspraxis abseits der bisherigen sicherheitspolitischen und militärtechnologischen Fragestellungen mit neuen Themen, insbesondere im Rahmen der Globalisierungsdebatte. Beispiele sind die Migration, aber auch die organisierte Kriminalität, der Terrorismus oder die Integration von Minderheiten in national definierte Gesell-

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Die Beratung wurde im Fall des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ im Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit in erster Linie in öffentlicher Kommunikation in die Debatte gebracht. Alexander Nützenadel, Stunde der Ökonomen. Wissenschaft, Politik und Expertenkultur in der Bundesrepublik 1949– 1974, (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005), insbes. S. 170–171. Lutz Raphael, „Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und konzeptionelle Herausforderung für eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts“, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 165–193, insbes. S. 187. Nützenadel, Ökonomen, a.a.O., (Anm. 9), S. 173–174. Gabriele Metzler, „The Integration of Social Science Expertise Into the Political Process: Did It Actually Happen?“, in: Experts in Science and Society, hrsg. von Elke Kurz-Milcke & Gerd Gigerenzer, (New York, Boston, Dordrecht u. a.: Kluwer Academic Publishers, 2004), S. 47– 63, insbes. S. 58. Ein populärer Slogan dieser Krisenzeit wurde „no future“. Hartmut Kaelble, Kalter Krieg und Wohlfahrtsstaat. Europa 1945–1989, (München: Beck, 2011), insbes. S. 188. Allerdings stellten sich die Internationalisierungstendenzen in der Wissenschaft ein, bevor sich in den 1990er Jahren transnationale Arbeitsmärkte etablierten – von denen auch die untersuchten Akteurinnen und Akteure z. T. profitieren konnten. Ebd., S. 199.

Fragestellung

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schaften;15 Themen, die auch im Verhältnis zwischen Europa und Maghreb an Bedeutung gewannen. Die außenpolitischen Beratungsinstitute in Deutschland und Frankreich begriffen sich als Teile eines Spannungsfeldes zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Und nicht nur die Selbstwahrnehmung legt nahe, dass die vorliegende Arbeit einen Einblick in die institutionelle wie inhaltliche Entwicklung dieses Bereichs von expertisegestützter Beratung, medialer Kommunikation und politischer Betätigung gibt. Die in diesem Feld von den Akteuren entwickelten Vorstellungen, Einstellungen oder Denkweisen hängen mit den sozialen Hintergründen unmittelbar zusammen.16 Beispielsweise wirkten gesellschaftliche Kontexte, die wissenschaftlicher Expertise gegenüber eher positiv eingestellt waren, auf das Klima, in dem sich die Berater (und weniger häufig auch die Beraterinnen17) bewegten. Auch Prozesse der Internationalisierung und Europäisierung, auf die im Rahmen der genaueren Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes im Einzelnen eingegangen wird, waren für die außenpolitische Beratung von zentraler Bedeutung. FRAGESTELLUNG Der These, dass die europäische Integration und die transatlantischen Beziehungen mit dem Ende des Kalten Krieges „bekräftigt und ausgeweitet“ wurden, ist sicherlich zuzustimmen.18 Dennoch bedürfen noch viele Aspekte der europäischen Vereinigung einer „gründlichen historischen Einordnung“.19 Erstens stellt sich die Frage, inwieweit die Stunde der politischen Beratungsinstitute und Forschungszentren durch die Verunsicherung von Regierungen und Öffentlichkeit in westeuropäischen Staaten geschlagen hatte. Vorwissenschaftlich ist anzunehmen, dass man dies in seiner Allgemeinheit zunächst bejahen kann; im Hinblick auf die vielbeschworene Wissensgesellschaft lohnt es sich jedoch, geschichtswissenschaftlich auf das Verhältnis zwischen den internationalen Beziehungen 15 Schmidt-Gernig, „Zukunftsforschung“, a.a.O., (Anm. 8), S. 415–416. 16 Wie sich die Nutzung des zentralen Werkzeugs der Sprache in den Beratungsinstituten beschreiben lässt, wird im Abschnitt zu methodischen Überlegungen genauer erörtert. Die Auswahl möglicher Begriffe ist entnommen aus: Hartmut Kaelble, Repräsentationen, représentations – le mot dans la recherche historique allemande (Working Papers des Sonderforschungsbereiches 640, 1/2011), (Berlin, 2011), http://edoc.hu-berlin.de/series/sfb640-papers/2011-1/PDF/1.pdf (18.3.2012), insbes. S. 6. 17 Zur Verwendung von geschlechtsspezifischen Endungen ist generell zu sagen, dass auch die 1990er Jahre im thematischen Feld der außenpolitischen Beratung eine überwiegend männliche Welt waren. Mit einem Hinweis, dass männliche Formen auch immer die weiblichen einschließen, ist es daher nicht getan, weshalb im Folgenden der Versuch unternommen wird, wenn möglich zu differenzieren, aber auch ausschließlich männliche Formen zu verwenden, wenn es sich z. B. nur um Politiker handelte, die an einer Diskussion beteiligt waren. 18 Jost Dülffer, Europa im Ost-West-Konflikt 1945–1991, (München: Oldenbourg, 2004), insbes. S. 109. 19 Ebd., S. 197.

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Einleitung

einerseits als Wissenschaft und andererseits als Praxis (das heißt also auch auf den Kontext der jeweiligen Außenpolitik) zu schauen.20 In den Worten des Historikers Stefan Fisch: Macht der Blick auf die „einzelnen Fälle von Beratung […] einen ‚Mehrwert‘ nachträglicher historischer Betrachtung deutlich?“ 21 Zweitens lässt der Blick auf das Denken und Handeln in diesem speziellen Feld der internationalen Beziehungen fragen, in welcher Weise die Akteure Grenzen zogen. Wie definierten sie den Gegenstand ihrer Untersuchung, wie entschieden sie die Frage nach dem Wir und dem Rest der Welt – denn ohne das Andere ist das Eigene nicht denkbar. Wie entwickelten und veränderten sich diese Grenzziehungen? Der exakte Blick auf diese Zusammenhänge lohnt im mediterranen Kontext umso mehr – Vorstellungen von einem Raum existieren und existierten in Hülle und Fülle.22 Was war Europa für die Akteure, was der Maghreb; und wie verbanden oder trennten sie beides, indem sie einteilten oder Ordnungsmodelle vorschlugen.23 Welche Rolle spielten dabei die Raumbeschreibungen wie „die arabische Welt“ oder „die islamische Welt“, „der südwestliche Mittelmeerraum“, „Nordafrika“ oder „das mediterrane Europa“ beziehungsweise „das südliche Europa“? Drittens ist aus einer Vielzahl von Gründen, beispielsweise dem Spannungsfeld zwischen Integration und Osterweiterung24 oder der jeweils substantiellen deutsch-muslimischen und französisch-muslimischen Minderheit,25 ein Vergleich zwischen deutschen und französischen Instituten aufschlussreich. „Nur im Ver20 Vgl. Gunther Hellmann, „Forschung und Beratung in der Wissensgesellschaft: Das Feld der internationalen Beziehungen und der Außenpolitik – Einführung und Überblick“, in: Forschung und Beratung in der Wissensgesellschaft. Das Feld der internationalen Beziehungen und der Außenpolitik, hrsg. von Gunther Hellmann (Internationale Beziehungen, 6), (Baden-Baden: Nomos, 2007), S. 7–43, insbes. S. 12. Zur Wissenschaftsgesellschaft vgl. auch den Abschnitt zu methodischen Überlegungen. 21 Stefan Fisch, „Vom Fürstenratgeber zum Politikberater: Perspektiven einer Geschichte der Politikberatung“, in: Experten und Politik. Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive, hrsg. von Stefan Fisch & Wilfried Rudloff, (Berlin: Duncker & Humblot, 2004), S. 7–11, insbes. S. 11. 22 Vgl. Gabriele Metzler, „Europa und das Mittelmeer: Die historische Dimension“, in: Der Mittelmeerraum als Region. Beiträge einer gemeinsamen Tagung des Centre international de formation européenne (CIFE) und des Europäischen Zentrums für Föderalismus-Forschung Tübingen vom 15. bis 17. Oktober 2008 in Nizza, hrsg. von Rudolf Hrbek & Hartmut Marhold (Occasional Papers/Europ. Zentrum für Föderalismus-Forschung, 35), (Tübingen: Europ. Zentrum für Föderalismus-Forschung, 2009), S. 7–25, insbes. S. 7. 23 Vgl. Roger Chartier, Die unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung, (Berlin: Wagenbach, 1989), insbes. S. 19. Siehe auch den Abschnitt zu methodischen Überlegungen zu Europarepräsentationen in Beratungsinstituten. 24 Gilbert Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten, überarb. und aktualisierte Neuausg., (Stuttgart: Neske, 1997), insbes. S. 377. 25 Hartmut Kaelble, Les relations franco-allemandes de 1945 à nos jours. Défis, acquis, options nouvelles. Bibliothèque historique de la Ville de Paris, le 10 octobre 2003 (Conférences annuelles de l’Institut Historique Allemand, 10), (Ostfildern: Thorbecke, 2004), insbes. S. 36– 37.

Fragestellung

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gleich wird wahrnehmbar, was das Eigene und was das Andere in unterschiedlichen Kontexten ist.“ 26 Welche Personen in den Instituten bestimmten auf welche vergleichende Weise das Eigene und das Andere und was können die unterschiedlichen Umgebungen der wiedervereinigten Bundesrepublik und der Fünften Republik aufzeigen? Was waren in dieser Zeit des Umbruchs die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Debatten in Deutschland und Frankreich? Nach 1990 zeigt die Untersuchung von national geprägten Beratungsinstituten in dieser Frage gerade im Kontext des deutsch-französischen Tandems, dass verschiedene Prozesse verwoben waren, so beispielsweise die des Regionalismus, der Nationalisierung sowie der Europäisierung und Globalisierung.27 Beispielhaft sei hier auf die Divergenz in deutschen und französischen Europabeschreibungen zwischen einer „Zivilmacht“ oder einer „Macht neuen Zuschnitts“ und einem „Imperium ohne Kaiser“ hingewiesen.28 Wie verbanden Expertinnen und Experten das Andere und das Eigene? Sei Letzteres Zivilmacht oder empire. Welche Rolle spielten die Entwicklungen „dans l’après-guerre froide“,29 die auf den Tagungen des Europäischen Rates in Dublin in der ersten Jahreshälfte des Jahres 1990 angestoßen wurden? Dort beschlossen die Staats- und Regierungschefs die Einrichtung einer „Union mit politischem Charakter, die auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ 30 haben sollte. Welche Bedeutung hatte die damit vorgezeichnete Expansion des konstitutionellen Europas, die das Jahrzehnt prägen sollte? Für die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen deutschen und französischen Instituten ist festzuhalten, dass der Kollaps der DDR „die französische classe politique Ende 1989 zunächst wie ein Schock“

26 Jörg Baberowski, „Selbstbilder und Fremdbilder: Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“, in: Selbstbilder und Fremdbilder. Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel, hrsg. von Jörg Baberowski, Hartmut Kaelble & Jürgen Schriewer (Eigene und fremde Welten, 1), (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2008), S. 9–13, insbes. S. 12. 27 Ulrike von Hirschhausen & Kiran Klaus Patel, „Europeanization in History: An Introduction“, in: Europeanization in the Twentieth Century. Historical Approaches, hrsg. von Martin Conway & Kiran Klaus Patel (The Palgrave Macmillan transnational history series), (Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan, 2010), S. 1–18, insbes. S. 11. Die Autoren wenden hier das Konzept von Norman Davies in einem gänzlich anderen Kontext des 20. Jahrhunderts an. 28 Siehe das Kapitel zum IFRI. Der Politikwissenschaftler Gilbert Ziebura betont, dass der Amtsantritt des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac im Mai 1995 einen Tiefpunkt in den deutsch-französischen Beziehungen darstellt, da er den Aspekt eines Europas als Machtpol stärkte, während in Deutschland höchstens von einer „Zivilmacht“ die Rede war. Ziebura, Beziehungen, a.a.O., (Anm. 24), S. 409, 416–417. 29 So der Untertitel einer deutsch-französischen Publikation, die unter Beteiligung von IFRI und DGAP 1995 erschien. Hans Stark (Hrsg.), Agir pour l’Europe. Les relations francoallemandes dans l’après-guerre froide (Travaux et recherches de l’IFRI), (Paris: Masson, 1995). 30 Zit. n. Jürgen Elvert, Die europäische Integration, (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006), insbes. S. 120.

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traf.31 Europa und die bisherige westeuropäische Gemeinschaft wurden in einem Spannungsfeld wahrgenommen: Bei der Entscheidung zwischen einer vertieften Zusammenarbeit und der Osterweiterung kam in Frankreich die Sorge vor einer Dominanz Deutschlands in Osteuropa zum Tragen.32 Der französische Historiker Robert Frank sieht in dieser Zeit einen Wechsel in der Europapolitik Frankreichs; es habe sich vom politischen in Richtung des kulturellen Bereichs orientiert.33 Um diese Fragen beantworten zu können, ist es unerlässlich, einige Begriffe näher zu beleuchten. Das eigene Instrumentarium ist vorzustellen; wie verfährt eine Analyse, die um den Begriff der Repräsentation kreist, indem sie Akteure und ihre Vorstellungswelten von Europa und Nicht-Europa beschreibt und kontextualisiert? 34 Im Kontext von Debatten über Europa und europäische Außenbeziehungen sind weitere, geläufigere Europabegriffe zu diskutieren. Inwieweit können sie für das Konzept von Europarepräsentationen hilfreich sein, um Anteile der genannten Vorstellungswelten angemessen zu fassen? EUROPAREPRÄSENTATIONEN IN BERATUNGSINSTITUTEN – METHODIK Hartmut Kaelble schrieb 2006, dass eine spätere geschichtswissenschaftliche Fachgeneration die 1990er Jahre möglicherweise „als eines der produktivsten Jahrzehnte in der Historiographie Europas sehen“ werde.35 Dem ist hinzuzufügen, dass bis heute zahlreiche weitere Europaforschungen erschienen sind. Vor diesem transdisziplinären Hintergrund ist es notwendig, die eigenen Werkzeuge genauer 31 Andreas Rödder, „Deutschland, Frankreich und Europa“, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007), S. 151–159, insbes. S. 152. Zum Begriff konstitutionelles Europa und seine Beziehung zur „Bürgergesellschaft“: Jürgen Nielsen-Sikora, Europa der Bürger? Anspruch und Wirklichkeit der europäischen Einigung - eine Spurensuche (Studien zur Geschichte der Europäischen Integration [SGEI], 4), (Stuttgart: Steiner, 2009), insbes. S. 402. 32 Ziebura, Beziehungen, a.a.O., (Anm. 24), S. 377. 33 Robert Frank, „Europe in French National Discourse: A French Europe or an Europeanized France?“, in: The Meaning of Europe. Variety and Contention within and among Nations, hrsg. von Mikael af Malmborg & Bo Stråth, (Oxford, New York: Berg, 2002), S. 311–326, insbes. S. 325. 34 Für ein knappes und aktuelles Plädoyer für die Nutzung des aus der französischen Geschichtswissenschaft stammenden Konzepts der „représentation“, siehe Roger Chartier, Defense et illustration de la notion de représentation (Working Papers des Sonderforschungsbereiches 640, 2/2011), (Berlin, 2011), http://edoc.hu-berlin.de/series/sfb-640papers/2011-2/PDF/2.pdf (18.3.2012). „Repräsentation“ hat nicht den gleichen Stellenwert wie „représentation“, vgl. Johan Wagner, „Introduction/Einleitung“, in: Repräsentationen, représentations – le mot dans la recherche historique allemande (Working Papers des Sonderforschungsbereiches 640), (Berlin, 2011), S. 3–4. Für einen Einblick, wie das Konzept angeeignet wurde, siehe Kaelble, Repräsentationen, a.a.O., (Anm. 16). 35 Ders., „Europäische Geschichte aus westeuropäischer Sicht?“, in: Transnationale Geschichte: Themen, Tendenzen und Theorien, hrsg. von Gunilla-Friederike Budde, Sebastian Conrad & Oliver Janz, (Göttingen, 2006), S. 105–116, insbes. S. 106.

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zu bestimmen, umso mehr, da die 1990er Jahre nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch von Europadebatten geprägt waren. Die Überlegungen zu den Europarepräsentationen bauen historiographisch auf Ansätzen auf, wie mit europäischen Themen verfahren werden sollte; diese nahmen in den Expertennetzwerken, Instituten, Publikationen und Veranstaltungen ihren Anfang.36 Die untersuchten Institute und ihre Mitglieder waren Teil dieser Debatte um die Bedeutung Europas. Vor allem britische Einrichtungen etablierten ab 1970 im Bereich der allgemeinen Politikwissenschaft ein europäisches Expertennetzwerk, das die zuvor nur in geringem Maße vorhandene Europäisierung vorantrieb.37 Für den Bereich der praxisorientierten internationalen Beziehungen gründeten westeuropäische Beratungsinstitute, darunter die SWP, die DGAP und das IFRI, 1985 ein weiteres europäisches Netzwerk, die European Strategy Group (ESG).38 Beim Vergleich von deutschen und französischen Europarepräsentationen tritt der analytische Begriff einer europäischen Identität in den Hintergrund, der vor allem im Kontext von auf die Europäische Union (EU) fokussierten Studien nützlich erscheint. Stattdessen finden sich in den untersuchten Quellen gelegentlich Verweise auf Kristallisationspunkte kollektiver Identität – wenn zum Beispiel ein politikwissenschaftlicher Experte in einem Artikel kritisch fragte, ob die jahrelang als Motivation dienende Kriegserinnerung vierzig Jahre später noch genüge, um eine europäische Identität zu konstruieren.39 Europäische Identität bleibt innerhalb des untersuchten Zeitraums, in dem dieses Konzept eine deutliche Konjunktur erfuhr, somit ein Quellenbegriff. Da im vorliegenden Fall unterschiedliche Ebenen, das heißt internationale, europäische und nationalstaatliche Elemente zusammenkommen, bietet sich eine andere Vorgehensweise an; zudem müsste Identität als Forschungsbegriff eher im Plural genutzt werden, weil sie eng mit personal-individuellen Prägungen zusammenhängt.40 Die Bezugnahme auf die

36 Europäische Expertennetzwerke in der Geschichtswissenschaft gründeten sich etwa 1982, ein spezielles historisches Forschungsnetzwerk zu „europäischen Identitäten“ 1989. Kaelble, Wohlfahrtsstaat, a.a.O., (Anm. 13), S. 207. 37 Ken Newton & Thibaud Boncourt, The ECPR’s First Forty Years. 1970–2010, (Colchester, 2010). Aus Kontakten der British International Studies Association (BISA), des Royal Institutes of International Affairs (RIIA) und des International Institutes of Strategic Studies (IISS) wurde Ende der 1980er Jahre innerhalb dieses European Consortium of Political Research (ECPR) eine Gruppe zur Behandlung der akademischen internationalen Beziehungen gegründet. John Groom, „The Formation of the Standing Group on International Relations“, in: The ECPR’s First Forty Years. 1970–2010, (Colchester, 2010), S. 34. 38 Albrecht Zunker, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Entwicklungsgeschichte einer Institution politikbezogener Forschung, (Berlin: BWV Berliner Wiss.-Verl., 2007), insbes. S. 208. 39 Zaki Laïdi, „Après les guerres, la mêlée généralisée“, in: Le Monde Diplomatique, (Januar 1996). 40 Vgl. Hartmut Kaelble, Martin Kirsch & Alexander Schmidt-Gernig, „Zur Entwicklung transnationaler Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert. Eine Einleitung“, in: Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert, hrsg. von Hartmut Kaelble,

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nationalen, „gedachten Gemeinschaften“, auf Europa und auf eine Art Gegenüber, in dem gemeinschaftliche Aspekte deutlich werden, lassen vielmehr eine sozialhistorische Debattenanalyse angebracht erscheinen.41 Das bedeutet, dass die jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Zusammenhänge, in denen die ausgewerteten Quellen entstanden sind, ausführlich berücksichtigt werden. Anders als in der klassischen Ideengeschichte stehen weniger die einzelnen Akteure hinter den Debattenbeiträgen als vielmehr die Kontexte ihrer Entstehung im Vordergrund. Schließlich werden die Texte und Beiträge nicht primär aus sich selbst heraus verstanden. Die Interpretation der Texte ist kein Selbstzweck; sie sollen stattdessen, mit Hartmut Kaelble gesprochen, als „Steinbrüche“ für Gebäude genutzt werden, für die sie nicht ursprünglich geschrieben wurden.42 Um dieses Bild zu erläutern, bietet sich Priska Jones’ Vergleich deutscher und britischer Europakarikaturen an, der sich an das Repräsentationskonzept von Roger Chartier anlehnt. Überträgt man das dort verwandte Analyseraster auf die Europarepräsentationen in Deutschland und Frankreich in den 1990er Jahren, sind zwei Begriffe, die Jones ausgearbeitet hat, im wahrsten Sinne des Wortes fundamental: Europabewusstsein und Zugehörigkeit zu Europa (eine Zugehörigkeit, die im vorliegenden Fall den Begriff des europäischen Selbstverständnisses mit einschließt).43 Auch Susan Rößners Analyse der Europarepräsentationen deutscher, britischer und niederländischer Historiker arbeitet mit den Kategorien des Europabewusstseins und des europäischen Selbstverständnisses. Sie versteht unter Bewusstsein die „Wahrnehmung einer […] geographischen, […] kulturellen, gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Einheit oder Einheitlichkeit im europäischen Raum“ und das „Maß der Akzeptanz dieses Raumes“.44 Nach dieser Definition können nur Personen Europabewusstsein entwickeln, die sich selbst als zugehörig betrachten. Das europäische Selbstverständnis, das heißt „die Eigenschaften, Werte, die historische Einordnung, die Positionierung gegenüber anderen Kulturen und Zivilisationen sowie Zustandsbeschreibungen Europas“ fasst Rößner als primär inhaltlich auf.45 Im Unterschied dazu ist im Sinne der vorliegenden Untersuchung ein Europabewusstsein dann gegeben, wenn die Akteure in den Debatten ein Wissen um europäische Gemeinsamkeiten teilen.

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Martin Kirsch & Alexander Schmidt-Gernig, (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2002), S. 7–33. Vgl. zu den „gedachten Gemeinschaften“: Anderson, Communities, a.a.O., (Anm. 1). Vgl. zu einer sozialhistorischen Debattenanalyse der europäischen Oberschichten, vor allem in der Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten: Hartmut Kaelble, Europäer über Europa. Die Entstehung des europäischen Selbstverständnisses im 19. und 20. Jahrhundert, (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2001), insbes. S. 20. Ebd., S. 21. Priska Jones, Europa in der Karikatur. Deutsche und britische Darstellungen im 20. Jahrhundert (Eigene und fremde Welten, 15), (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2009), insbes. S. 9–29. Rößner, Geschichte, a.a.O., (Anm. 1), S. 27. Hervorhebung im Original. Ebd., S. 27–29. Zitat S. 28.

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Für ein solches Bewusstsein ist – unabhängig davon, ob Einzelpersonen oder Personengruppen, etwa in Institutszusammenhängen, betrachtet werden – entscheidend, dass Europa trotz aller Vielfalt als etwas Gemeinsames, Übergreifendes wahrgenommen wird.46 Allerdings ist das Europabewusstsein nicht an eine Selbstbeschreibung oder Identifikation geknüpft; auch außereuropäische Akteure können Debattenanstöße („die Europäer“, „Brüssel“, „der europäische Kontinent“, „die europäischen Mittelmeerstaaten“) geben, die Europa bewusst werden lassen. Dieses sich in den Beratungskontexten manifestierende Europabewusstsein bildet die Basis weitergehender Analysen. Das Auffinden solcher Stellungnahmen ist somit ein erster Schritt. Wenn dagegen Akteure, die sich selbst Europa zuordnen, Gemeinsamkeiten nicht nur registrieren, sondern sowohl die Selbstbeschreibung als auch die Übereinstimmung mit einer inhaltlichen, also politischen und kulturellen Prägung versehen, wird vornehmlich der Begriff des europäischen Selbstverständnisses oder der europäischen Zugehörigkeit verwendet.47 Dies kann zum Beispiel über eine geäußerte Zuordnung („wir“, „unser“, „als Europäer“) oder durch eine Hervorhebung der Gemeinsamkeiten und damit verknüpften Ideen, beispielsweise Menschenrechte, Demokratie und Freihandel deutlich gemacht werden. Zugehörigkeit, trotz oder wegen ihrer Vieldeutigkeit,48 ist Teil des Gebäudes eines europäischen Selbstverständnisses, das diese Untersuchung aus dem Textsteinbruch errichtet. In Ergänzung des Selbstverständnisbegriffs kann europäische Zugehörigkeit methodisch hilfreich sein, wenn Akteure ähnliche Wandlungsprozesse wahrnehmen, also eine gemeinsame Entwicklung in Europa unterstreichen, diese dann zudem positiv bewerten, das heißt beispielsweise Demokratie als Identifikationsmerkmal und als Vision für eine demokratischere Zukunft proklamieren.49

46 Peter Krüger, „Europabewußtsein in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, in: Europa im Blick der Historiker. Europäische Integration im 20. Jahrhundert: Bewußtsein und Institutionen, hrsg. von Rainer Hudemann, Hartmut Kalble & Klaus Schwabe (Historische Zeitschrift, Beihefte, N.F., 21), (München: Oldenbourg, 1995), S. 31–53, insbes. S. 33. 47 Die Vorstellung einer europäischen Zugehörigkeit oder eines europäischen Selbstverständnisses ist nicht gleichbedeutend mit Identitätskonzepten, insbesondere was die Übertragungen aus der Individualpsychologie anbelangt. Vgl. Kaelble, Kirsch & Schmidt-Gernig, „Entwicklung“, a.a.O., (Anm. 40). 48 Heinz Wismann, „Begriffe der Zugehörigkeit im europäischen Vergleich“, in: Europa der Zugehörigkeiten. Integrationswege zwischen Ein- und Auswanderung, hrsg. von Rudolf von Thadden, Steffen Kaudelka & Thomas Serrier (Genshagener Gespräche, 10), (Göttingen: Wallstein, 2007), S. 11–13. 49 Zur Identifikation mit positiven Europavisionen, siehe Ute Frevert, Eurovisionen. Ansichten guter Europäer im 19. und 20. Jahrhundert, (Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch, 2003), insbes. S. 13. Trotz der weit in der Vergangenheit liegenden Verortung stehen somit auch Selbstbekundungen und Debattenbestandteile im Fokus, die den Zweiten Weltkrieg als einschneidendes europäisches Ereignis bewerten. Kaelble, Europäer, a.a.O., (Anm. 41), S. 18. Dabei wird allerdings zu fragen sein, ob sich nicht die Repräsentation eines neuen Umbruchs

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Beide Begriffe bilden die Grundlage für die analytische Annäherung an das – vor allem im Deutschen – nicht unbedingt selbstverständliche Konzept der Europarepräsentationen. Diese Repräsentationen bilden eine übergeordnete Ebene, die durch die Untersuchungen von sprachlich vermittelten Äußerungen, die entweder auf ein europäisches Bewusstsein oder auf ein europäisches Selbstverständnis (teilweise auch eine europäische Zugehörigkeit) schließen lassen, sichtbar gemacht werden kann. Es geht, anders ausgedrückt, um sprachliche Muster, deren Verhältnis zueinander nicht mehr von zentraler Bedeutung ist; die aber dazu dienen können, „Ordnungen, Abstände, Einteilungen zu stiften“.50 Mit dieser Kategorie ist also ein Aktionsbezug verbunden. Europarepräsentationen sind im Sinne eines Analysebegriffs immer dann greifbar, wenn sie Handlungsmöglichkeiten eröffnen sollen, soziale Ordnungen hervorbringen und andererseits ihren Ursprung in ebensolchen Ordnungen zeigen: „Repräsentationen richten aber die Ordnungen nicht nur aus, sie gehen auch aus ihnen hervor.“ 51 Letztlich geht es in der vorliegenden Untersuchung um einen methodischen Zugriff, der das Eigene daran erkennt, ob und wie es sich im Anderen spiegelt. Zentral ist dabei die handlungsleitende Selbstdeutung mit Hilfe von Fremdrepräsentationen, wobei es natürlich auch um Selbstbeschreibungen und -entwürfe geht, die diese Fremdkonstruktion nicht primär erfüllen. Konkret sind Repräsentationen Europas in Repräsentationen des Maghrebs auszumachen, beispielsweise wenn dieser mit historischen europäischen Zeiträumen (Aufklärung, Mittelalter) assoziiert wurde. Es gab allerdings auch Akteure, die eine Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik (GASP) für den westlichen Mittelmeerraum einforderten, ohne allzu detailliert auf das Außen einzugehen, mit dem sich diese Politik ja beschäftigen müsste.52 Um nochmals das Bild des Steinbruchs aufzugreifen – die Europarepräsentationen sind die architektonische Anmutung der in ihrer Façon errichteten Gebäude im Ensemble. Bei der Analyse einer derartigen Architektur geht es im Kern um ihre möglichen Zwecke und Entwicklungslinien, wobei individuelle und kollektive Interessen ein argumentativer Bestandteil einer solchen Architektur sein können. Chartier betont zwar durchaus den Fakt, dass Repräsentationen interessengeleitet sind, vernachlässigt jedoch das Unbewusste, obwohl er selbst Möglichkeiten einer unbewussten Prägung einräumt, wenn er auf Orte und Milieus verweist, in denen spezifische Repräsentationen entstehen.53 Die untersuchten Europarepräsentationen in der Auseinandersetzung mit dem Maghreb entstammen einem historischen Kontext, dessen Geschichte mindestens bis

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an der Schwelle von den 1980er zu den 1990er Jahren schon in der unmittelbaren Reflexion bildete. Hartmut Kaelble argumentiert, dass neben den Umbrüchen des Jahres 1945 und den 1970er Jahren auch die Jahre von 1989 bis 1991 ein historischer Einschnitt von gesamteuropäischen Dimensionen waren. Kaelble, Wohlfahrtsstaat, a.a.O., (Anm. 13), S. 271–273. Chartier, Vergangenheit, a.a.O., (Anm. 23), S. 19. Baberowski, „Selbstbilder“, a.a.O., (Anm. 26), S. 11–12. Vgl. Jörg Baberowski zum Vorgehen im Spannungsfeld von Eigen- und Fremdrepäsentation, welches in den beiden Wörtern gemeinsam und außen beispielhaft deutlich wird. Ebd. Siehe Rößner, Geschichte, a.a.O., (Anm. 1), S. 32.

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zum Zweiten Weltkrieg zurückreicht. Bereits vor dem Ende des Kalten Krieges gab es eine Geschichte der außenpolitischen Beratung im Bereich der internationalen Beziehungen europäischer Staaten zur Maghreb- und Mittelmeerregion. So nennt der Politikwissenschaftler Tobias Schumacher die erste Phase der europäisch institutionalisierten Beziehungen zu den „Drittländern des südlichen Mittelmeerraums“ ein „Muddling Trough“.54 An diesem Punkt ist eine Anmerkung zu den ausgewählten Einrichtungen angebracht: Bei genauerer Betrachtung der verschiedenen Textformen, Publikationskanäle und Veranstaltungskontexte55 wird deutlich, dass jedes Institut schon aufgrund der durchgängig beanspruchten Wissenschaftlichkeit – und damit zu einem guten Teil auch Wissenschaftsfreiheit – in eine Meinungsvielfalt von verschiedenen Akteuren zerfällt. Insofern ist die Rede bezüglich der Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Instituten, Quellengattungen und praktischen Formen, mit deren Hilfe Repräsentationen transportiert wurden, immer nur eine tendenzielle Annäherung. Faktoren, die für eine Beibehaltung der Institutionsperspektive sprechen, sind zum einen die Hierarchien innerhalb der Akteurszusammenhänge. Direktoren verfügten beispielsweise über Publikationsentscheidungen, Vorworte und ähnliche Möglichkeiten auch in Feldern weitab ihrer eigenen inhaltlichen Kernkompetenz über erheblichen Einfluss. Zum anderen können über die Betrachtung verschiedener Texte der Institute, die manchmal eher kleineren Kreisen vorbehalten waren oder sich an die gesamte wissenschaftlich-politische Öffentlichkeit richteten, Tendenzen plausibler gemacht werden. Das personale Element, das heißt in diesem Fall die Wirkung der jeweiligen Konstellationen von Personen innerhalb der Forschungsinstitute,56 wirkte sich im Zusammenspiel mit dem nationalen und europapolitischen Kontext ebenfalls auf die Behandlung der Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb aus. Letztlich ist auch der Vergleich der Institute selbst eine Möglichkeit, um übergreifende Strömungen von Einzelentwicklungen abzugrenzen. Trotz der in der Forschung überwiegenden Skepsis hinsichtlich der deutsch-französischen Beziehungen der 1990er Jahre bleibt das „ungewöhnliche Paar“ der zentrale Hinter-

54 Algerien gehörte noch bis 1962 zu Frankreich, Marokko und Tunesien wiederum waren als ehemalige französische Protektorate, die 1956 unabhängig geworden waren, mit einem Zusatzprotokoll in den Römischen Verträgen besonders berücksichtigt. Tobias Schumacher, Die Europäische Union als internationaler Akteur im südlichen Mittelmeerraum. „actor capability“ und EU-Mittelmeerpolitik (Schriften des Zentrum für Europäische Integrationsforschung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 63), (Baden-Baden: Nomos, 2005), insbes. S. 15–16, 58. 55 Vgl. dazu ausführlich den Abschnitt zu den Quellen. 56 Damit geht es nicht nur um einzelne Persönlichkeiten, sondern auch um „personale Strukturen, die sich in der Wechselbeziehung zwischen Menschen und soziokulturellem System entwickelten“; vgl. Ludolf Herbst, Komplexität und Chaos. Grundzüge einer Theorie der Geschichte, (München: Beck, 2004), insbes. S. 178.

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grund,57 vor dem in beiden untersuchten Ländern Europarepräsentationen entwickelt wurden. Primär ordnet sich die Analyse mit ihrem Blick auf Europarepräsentationen in eine europäische Geschichtsschreibung ein, der deutschfranzösische Vergleich ist Mittel zum Zweck. Dennoch sind sowohl Vergleichsals auch Transferüberlegungen wichtig, um die Repräsentationen Europas vollständiger einordnen zu können. Wie Heinz-Gerhardt Haupt in einem Beitrag zur europäischen Geschichtsschreibung festgestellt hat, sind sowohl Vergleichs- als auch Transferansätze in einer Historiographie Europas nützlich.58 Die Abgrenzung zwischen beiden Ansätzen fällt nicht immer leicht, daher werden im Folgenden einige Überlegungen zu beiden Herangehensweisen angestellt. Gemeinhin wird der Transfer in der Geschichtswissenschaft als kulturbezogen definiert, wobei die üblichen Vergleichseinheiten weiterhin die Nationalstaaten sind.59 Betrachtet man die Ansätze von Vergleich, Transfer und Histoire croisée60 als Ensemble, bieten sich für die Untersuchung zahlreiche Anknüpfungspunkte. Beim Fokus auf die nationalen Untersuchungseinheiten Deutschland und Frankreich wird deutlich, dass in der heutigen Geschichtswissenschaft andere Untersuchungsgegenstände als in der Zeit des klassischen Vergleichs der 1970er und 1980er Jahre gleichrangig behandelt werden. Insofern ist es gängiger, Transfers sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten auch in Wissens- und Kommunikationsfragen historisch zu behandeln.61 In soziologischen Wissenskonzepten kann darüber hinaus Kultur besonders in Situationen des Wandels „angemessene Handlungsstrategien“ liefern.62 Neben dem Vergleich und der Frage nach Transfers zwischen nationalen Wissensordnungen lohnt sich eine Betrachtung der Europarepräsentationen in verschiedenen Manifestationen innerhalb nationaler

57 Vgl. dazu z. B. den auch als Akteur im Kontext der SWP auftretenden Historiker Michael Stürmer in einem Rückblick Anfang der 2000er Jahre: Michael Stürmer, „France and Germany: An Unlikely Couple“, in: France-Germany in the Twenty-First Century, hrsg. von Patrick McCarthy, (New York: Palgrave, 2001), S. 21–35, insbes. S. 33. 58 Heinz-Gerhard Haupt, „Die Geschichte Europas als vergleichende Geschichtsschreibung“, in: Comparativ 14 (2004), S. 83–97. 59 Hartmut Kaelble, „Die interdisziplinären Debatten über Vergleich und Transfer“, in: Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, hrsg. von Hartmut Kaelble & Jürgen Schriewer, (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2003), S. 469–493, insbes. S. 472. 60 Michael Werner & Bénédicte Zimmermann, „Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen“, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–637. 61 Dazu gehören z. B. große Debatten oder das Wissen und die Frage, wie es transferiert wird. Hartmut Kaelble, „Les mutations du comparatisme international“, in: Les Cahiers IRICE (2009), 5 der Gesamtfolge. Zur genaueren Eingrenzung des Forschungsgegenstands vgl. den folgenden Abschnitt. 62 Nico Stehr, Die Zerbrechlichkeit moderner Gesellschaften, (Weilerswist: Velbrück, 2000), insbes. S. 88. Daher können indirekt auch kulturell geprägte Europarepräsentationen als Handlungsressourcen dienen.

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Systeme. Als Beispiel sei an dieser Stelle nur die Verwendung von Ansätzen aus wissenschaftlichen Zeitschriften in journalistischen Beiträgen genannt.63 Bei der vergleichenden Perspektive auf Europarepräsentationen und ihre internationalen und interinstitutionellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede handelt es sich um einen neuen Blickwinkel gegenüber Einzeluntersuchungen, die einzelne Institute oder nationale Traditionen in den Fokus nehmen.64 Das bedeutet, dass sich „lokale, wie nationale und transnationale Dimensionen“ mischen und sich „nationale Sichtweisen auf vielfältige Weise unentwirrbar in den politischen Strukturen, in den Rechts- und Verwaltungssystemen und in den kulturellen Normen niedergeschlagen haben“.65 Eine entsprechend informierte Perspektive ermöglicht es, den nationalgeschichtlichen Fokus zu erweitern, ohne vollkommen in eine eurozentrische Sichtweise abzugleiten oder umgekehrt die Vorstellung von Europa zu verwerfen.66 Aus dem vergleichenden Ansatz ergibt sich zudem die genaue Bestimmung des Untersuchungsgegenstands und -zeitraums.

63 Die verschiedenen ausgewerteten Quellen werden im entsprechenden Abschnitt ausführlicher behandelt. Die Bandbreite solcher Beispiele reicht von Textpassagen, die eine europäische Gemeinsamkeit ins Bewusstsein riefen, bis zu Hinweisen auf Selbstverständnis- oder Zugehörigkeitsmuster. Peter Weingart stellt Transfers in umgekehrter Richtung fest; Forschung und Wissensproduktion orientierten sich vermehrt an den Medien („Verwissenschaftlichung“ und „Medialisierung“). Peter Weingart, Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft, (Weilerswist: Velbrück, 2001), insbes. S. 15. Kritischer wird aus historischer Sicht mit einer teilweisen „Entwissenschaftlichung“ der Wissensordnungen argumentiert. Jakob Vogel, „Von der Wissenschafts- zur Wissensgeschichte. Für eine Historisierung der ‚Wissensgesellschaft‘“, in: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004), S. 639–660, insbes. S. 657–658. Die „Veränderungen der wissenschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen“ seit der Mitte der 1970er Jahre bedeuteten einen erneuten Wandel der „Verwissenschaftlichung“. Raphael, „Verwissenschaftlichung“, a.a.O., (Anm. 10), S. 178. „Verwissenschaftlichung“ als ein Prozess, bei dem die Allgemeinheit von Wissenschaft „durchdrungen“ wird, erscheint wegen eines modernisierungstheoretischen Charakters als problematisch. Die skizzierten Gedanken finden sich ausführlicher in AutorInnenkollektiv, Wissen und soziale Ordnung. Eine Kritik der Wissensgesellschaft. Mit einem Kommentar von Stefan Beck (Working Papers des Sonderforschungsbereiches 640, 1/2010), (Berlin, 2010), http://edoc.hu-berlin.de/series/sfb640-papers/2010-1/PDF/1.pdf (18.3.2012). 64 Z. B. Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38); Daniel Eisermann, Außenpolitik und Strategiediskussion. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik 1955 bis 1972 (Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., 66), (München: Oldenbourg, 1999); Guilhot, Nicolas, The French Connection: Jean-Baptiste Duroselle, Raymond Aron et l’essor des relations internationales en France. Unveröffentlichtes Manuskript, (New York, 2010). 65 Werner & Zimmermann, „Vergleich“, a.a.O., (Anm. 60), S. 629. 66 Sebastian Conrad & Shalini Randeria, „Einleitung. Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt“, in: Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, hrsg. von Sebastian Conrad & Shalini Randeria, (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2002), S. 9–49.

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UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND UND -ZEITRAUM Um vorab an die methodischen Überlegungen anzuschließen: Die Rede von diesem Institut oder jenem Zentrum geht an der organisatorischen Komplexität derartiger Einrichtungen vorbei, die sich im Laufe der betrachteten Dekade mehrfach umstrukturierten. Ein Beispiel ist die SWP, deren Forschungsinstitut nach der Übernahme eines anderen Beratungsinstituts in „Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit“ umbenannt wurde.67 Die DGAP bestand aus einem Kern, dem „Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“. Darum herum waren andere, historisch gewachsene Bereiche angeordnet, darunter die Zeitschrift der DGAP.68 Auch in den französischen Organisationsstrukturen gab es zusätzliche Gremien neben der Leitungsebene, im CERI beispielsweise einen „Conseil de laboratoire“.69 Der Einfachheit halber wird in dieser Untersuchung jedoch nur in begründeten Einzelfällen auf diese institutionellen Feinheiten eingegangen, auch um bei Personen nicht in jedem Fall die offizielle Betitelung wiedergeben zu müssen.70 Nach den Ausführungen zur Begrifflichkeit und Methodik ist die Auswahl der untersuchten Einrichtungen zu erläutern. Andere Institutionen, beispielsweise die 1992 gegründete Fondation pour la recherche stratégique (FRS), wären für die vorliegende Untersuchung neben der Gründungsproblematik mit ihrem Fokus auf Sicherheits- und Verteidigungsfragen zu spezifisch auf einen Aspekt ausgerichtet gewesen. Das Institut de relations internationales et stratégiques (IRIS) – 1990 von Pascal Boniface initiiert – wäre ein Kandidat, es etablierte sich jedoch erst im Laufe des untersuchten Zeitraums in der Beratungsszene.71 Sein Gründer und Direktor war zudem bis 2003 Mitglied der Parti socialiste (PS),72 daher würde sich diese Einrichtung eher für einen Vergleich mit politisch klarer verorteten Organisationen wie den deutschen politischen Stiftungen anbieten. In Deutschland kam wiederum das Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) wegen seines Gründungsdatums (1995) und seiner hauptsächlichen Ausrichtung auf Deutschland und Europa nicht in Betracht, weil der Blick auf die Europa67 Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 271. 68 Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 81–84. 69 CERI, „Compte rendu de la réunion du Conseil de laboratoire du 29 septembre 1997, 30 septembre 1997“, in: Rapport scientifique. 1996–2000, hrsg. von CERI, (Paris, 2000), S. 30–33. 70 Journalisten standen nach Aussage einiger Mitarbeiter vor denselben Problemen. So wurde der langjährige Direktor des Forschungsinstitutes der DGAP, Karl Kaiser, in Artikeln durchaus als „Direktor der DGAP“ oder auch als „Präsident der DGAP“ betitelt. Gespräch mit Tilmann Chladek, Rüdiger Wittke, Heike Zanzig, Büro DGAP, (20.7.2011). Die nicht ganz korrekte, verkürzende Bezeichnung als „Direktor“ wird auch im Folgenden an einigen Stellen verwendet, um den Text nicht unnötig aufzublähen. 71 Xavier Carpentier-Tanguy, „Expertise et conseil en France: un modèle centralisé et élitiste“, in: Problèmes économiques (2006), 2912, 6.12.2006, S. 6–9, insbes. S. 6. 72 Geoffrey Geuens, „Les principaux think tanks français“, in: QUADERNI (2009), 70, Herbst 2009, S. 79–88, insbes. S. 79.

Untersuchungsgegenstand und -zeitraum

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repräsentationen im Spiegel der Repräsentationen des Maghrebs bei dieser Spezialisierung weniger ins Gewicht fällt.73 Über seinen Gründungsdirektor Werner Weidenfeld wird es allerdings mit dessen Funktion als Herausgeber der DGAPZeitschrift ab 1995 am Rande behandelt. Die Jahre von 1990 bis 2000 sind ein idealer Zeitraum für die Untersuchung der auf die arabische Welt bezogenen Europarepräsentationen. Während der Tagungen des Europäischen Rates in Dublin im April und Juni 1990 gaben führende europäische Politiker nach dem unerwarteten und plötzlichen Ende des Kalten Krieges auch für die Beratungsinstitutionen und ihre Forscher die Richtung in den internationalen Beziehungen vor: Die europäische Außen- und Sicherheitspolitik sollte eine Antwort auf die Umbrüche sein.74 Ähnlich wie die 1950er Jahre war die Zeit von 1990 bis 2000 von einer „Offenheit für neue Ideen und Konzepte“ gekennzeichnet.75 Mit der stillschweigenden Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft (EG) durch die Deutsche Einheit wurden erste Überlegungen über weitere territoriale Integrationsschritte vermehrt in der Öffentlichkeit diskutiert. Gleichzeitig fand zu Beginn der 1990er Jahre mit dem Maastrichter Vertrag, seiner langwierigen Ratifizierung und den entsprechenden Debatten – besonders auch um die Wirtschafts- und Währungsunion – eine spürbare Vertiefung des vielfach synonym verwendeten Begriffs des „europäischen Projekts“ statt. Aus historischer Sicht sollte jedoch der Krisenbegriff für die 1990er Jahre nur mit Vorsicht benutzt werden. Es gab zwar beispielsweise unter Europahistorikern ein kulturelles Krisenempfinden. Dieses begründet jedoch aus der Rückschau das Reden von der allgegenwärtigen Krise nicht ausreichend und war zudem weniger ausgeprägt als etwa in den 1920er oder 1950er Jahren.76 Die neue Qualität der europäischen Integration, nicht zuletzt mit der Schaffung der Union auch begrifflich unterstrichen, wurde mit der Erweiterung der EU auf 15 Mitglieder bereits Mitte des Jahrzehnts gefestigt. Spätestens mit dem EUGipfel von Helsinki 1999 und dem Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit immerhin sechs zusätzlichen Staaten war die Richtung der weiteren Grenzerweiterung der EU vorerst entschieden. Zwar war mit der Türkei ein mehrheitlich islamisches Land unter diesen Beitrittskandidaten, doch für die arabischen Staaten, insbesondere die Mittelmeeranrainer, erfüllten sich die Mitte der 1990er Jahre geweckten Hoffnungen auf eine verstärkte Zusammenarbeit nicht. Die Debatte um die Aufnahme der Beitrittsgespräche zeigt, wie selbstverständlich die geographischen und religiösen Trennungen waren. Ein Zeitungskommentator argumentierte – wenn auch nicht ganz unwidersprochen –, dass die

73 Eine Auswertung von Organisationen wie der Deutsch-Arabischen Gesellschaft erschien wiederum nicht geboten, da diese sich nicht als Expertenplattform verstand. 74 Elvert, Integration, a.a.O., (Anm. 30), S. 120. 75 Stefan Seidendorf, Europäisierung nationaler Identitätsdiskurse? Ein Vergleich französischer und deutscher Printmedien (Regieren in Europa, Bd. 13), (Baden-Baden: Nomos, 2007), insbes. S. 221. 76 Rößner, Geschichte, a.a.O., (Anm. 1), S. 23–24.

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EU im Süden auf „natürliche Weise ein Ende am Wasser“ fände.77 In einer Art Nachbereitung des EU-Gipfels von Helsinki schrieb der gleiche Kommentator, der Islam sei weder Argument gegen noch für die Aufnahme der Türkei, denn „sonst müssten à la longue auch Tunesien und Algerien, Marokko oder Ägypten in den Kreis der Anwärter treten“.78 Zieht man zur zeitlichen Eingrenzung der Untersuchung über die europäische Ebene hinaus das Themenfeld der deutsch-französischen Beziehungen heran, spricht ebenfalls vieles dafür, bereits vor dem postulierten Epochenwechsel durch die Terroranschläge in den USA im September 2001 einen Einschnitt vorzunehmen.79 In Sicherheitsfragen setzte Deutschland in den 1990er Jahren in erster Linie auf die NATO, Frankreich hingegen auf die Reaktivierung der Westeuropäischen Union (WEU), die erst im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg 1999 endgültig der EU zugeordnet wurde. Zuvor war allerdings die militärische Abhängigkeit der europäischen Staaten von den USA offensichtlich geworden; diese europäischen Defizite, der enttäuschende „Maastricht II“-Gipfel sowie die ohne große politische Debatte vollzogene Euro-Einführung als Buchgeld 1999 setzten in der Wahrnehmung das Jahr 2000 mit der Erlahmung des deutschfranzösischen Motors gleich.80 Zudem gab es in den Jahren zwischen 1990 und 2000 für alle untersuchten Institute personelle und/oder ortsbezogene Übergangsphasen. Dies konnte beispielsweise der Wechsel von Führungspersönlichkeiten und eine damit einhergehende Neuausrichtung der Akteurszusammenhänge sein, der Umzug in neue Räumlichkeiten oder auch der Wandel vom think tank (und der ursprünglich damit verbundenen Abgeschiedenheit) zu einer offeneren Einrichtung. Einen weiteren Aspekt der Eingrenzung auf die Dekade bildet die Art und Weise, wie die untersuchten Institutionen im Spannungsfeld zwischen Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft agierten. Die Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit der Institute und Zentren wurde im Laufe der 1990er Jahre professionalisiert. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums zeichnet sich ein weiterer Schritt ab: Zu Beginn der 2000er Jahre sollte das Internet die Arbeitsweise – und auch die zur Verfügung

77 Joachim Fritz-Vannahme, „Braucht Europa Grenzen? Pro: Die EU muss ihre Türen schließen, zum Beispiel für die Türkei“, in: Die Zeit, (10.12.1999). 78 Ders., „Spiel ohne Grenzen. Was Europa ist, wurde lange Zeit nur durch Inhalte definiert. Nun ist auch politische Geografie gefragt“, in: Die Zeit, (20.1.2000). 79 Zwar gab es in der Perzeption der Region durch Regierungen und EU-Eliten nach dem 11. September 2001 Verschiebungen. Dennoch waren bereits die 1990er Jahre von einem Fokus auf Stabilität geprägt, was auch nach 2001 weiterhin galt. Roberto Aliboni, „EMP Approaches to Human Rights and Democracy“, in: The Euro-Mediterranean Partnership. Assessing the First Decade, hrsg. von Haizam Amirah Fernández & Richard Youngs, (Madrid: Real Instituto Elcano de Estudios Internacionales y Estratégicos; FRIDE, 2005), S. 47–58, insbes. S. 51–52. 80 Stürmer, „France“, a.a.O., (Anm. 57), S. 29–33. Der zeitgenössisch oft „Maastricht II“ genannte Gipfel der EU fand 1997 in Amsterdam statt und bildete die Grundlage für die Vertragsreformen von Amsterdam.

Quellen

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stehenden Materialien für Untersuchungen wie die vorliegende, die im folgenden Abschnitt gesondert diskutiert werden – wiederum in wichtigen Punkten verändern. QUELLEN Die Analyse berücksichtigt im Kern Quellen, die aus dem Kontext der praxisorientierten und zugleich akademischen internationalen Beziehungen stammen. Mit einbezogen werden Äußerungen von Politikern in den entsprechenden Publikationen. Presseartikel der Institutsmitglieder zeigen eine zunehmende Öffnung der Beratungsinstitute und -zentren gegenüber der Medienöffentlichkeit. Besonders in Frankreich besetzen die akademischen internationalen Beziehungen eine Nische. So stellte ein französischer Journalist im Frühjahr 2011 fest, dass es in Frankreich weniger als 200 wissenschaftlich-politische Institutsangehörige im Bereich der internationalen Beziehungen gebe, in Deutschland dagegen über 1000.81 Bei der Vernetzung innerhalb der französischen Beratungsgemeinschaft spielen daher die Fachzeitschriften und ähnliche Informationsmedien eine bedeutende Rolle.82 Die Konzentration auf Pariser Institutionen mit allgemeiner Bedeutung (CERI und IFRI) erschließt Publikationen und Wissenspraktiken, die in unmittelbarer Nähe zu den französischen Eliten entstanden sind. In Deutschland stammen die Materialien zu den Vergleichsinstituten SWP und DGAP aus einem regional breiteren Spektrum. Die SWP zog erst nach Ende des Untersuchungszeitraums von Ebenhausen bei München nach Berlin; die DGAP verlagerte innerhalb der 1990er Jahre ihren Sitz von Bonn in die neue Bundeshauptstadt. Die Zeit des Übergangs zwischen den klaren Verhältnissen im Kalten Krieg mit entsprechender Geheimhaltung und Verschwiegenheit in der Beratungsszene sowie dann dem Zeitalter der public relations auch in diesem Metier ist hier besonders aufschlussreich. Die Tendenz lässt sich mit der Formel vom Faltblatt zum Internetportal recht anschaulich beschreiben. Entsprechende Rundbriefe, Informationsbroschüren, Jahresberichte und Ähnliches wurden in die Analyse einbezogen, wobei die ersten Anzeichen auf eine Verlagerung solcher Aktivitäten in den papierlosen Raum nachvollzogen werden können. Die Untersuchung liefert darüber hinaus einen speziellen Einblick in den übereinstimmend diagnostizierten zunehmenden Wettbewerb im Medienbereich und die damit verbundene, zunehmende mediale Präsenz von Expertinnen und Experten.83 Durch Pressespiegel, regelmäßige Kolumnen und Hinweise in internen Berichten lassen sich entsprechende Entwicklungen nachvollziehen, somit gehören diese und ähnliche Texte ebenfalls

81 Lagarde, „Diplomatie“, a.a.O., (Anm. 5). 82 Jürgen Hartmann, Geschichte der Politikwissenschaft. Grundzüge der Fachentwicklung in den USA und in Europa, (Opladen: Leske & Budrich, 2003), insbes. S. 233. 83 Martin Thunert, „Think Tanks in Deutschland – Berater der Politik“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (2003), 51, S. 30–38, insbes. S. 36.

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zu den Quellengrundlagen. Daneben beschäftigten sich Schriftenreihen der SWP84 teilweise mit für die Studie relevanten Themen; im Kontext der DGAP werden neben der Reihe „Arbeitspapiere zur Internationalen Politik“ und ausgewählten weiteren Veröffentlichungen auch die Inhalte der DGAP-Zeitschrift analysiert, deren Artikel sich in den 1990er Jahren ebenfalls mit dem Komplex Mittelmeer befassten.85 Auch im Fall des CERI gab es veröffentlichte Texte zur Auseinandersetzung mit dem Maghreb;86 schließlich behandelte das IFRI sowohl in den Beiträgen der hauseigenen Zeitschrift Politique étrangère als auch in Reihen und Jahrbüchern ebenfalls die Beziehungen zwischen Europa und Maghreb.87 Dazu kommen bei allen vier Instituten die sogenannte graue, nicht für die Allgemeinheit bestimmte Literatur sowie interne Berichte und Reports (soweit diese verfügbar waren und Aspekte des untersuchten Themas berührten).88 Die Suche nach Europarepräsentationen wird die Darstellung der nationalen Beratungsfelder und der institutionellen Entwicklungen begleiten sowie als Nebeneffekt die oft in den Selbstbeschreibungen so bezeichneten „Produkte“ der untersuchten Institute und Zentren nachzeichnen. Verfügbare und nachweisbare 84 Albrecht Zunker (Hrsg.), Weltordnung oder Chaos? Beiträge zur internationalen Politik: Festschrift zum 75. Geburtstag von Klaus Ritter (Internationale Politik und Sicherheit, 35), (Baden-Baden: Nomos, 1993); Andreas Jacobs (Hrsg.), Hannibal ante portas? Analysen zur Sicherheit an der Südflanke Europas (Aktuelle Materialien zur internationalen Politik, 61), (Baden-Baden: Nomos, 2000). 85 Z. B.: Internationale Politik, Titelthema „Brennpunkt Mittelmeer“, Februar 1996; Bassma Kodmani-Darwish, „Islamismus und Staat in der arabischen Welt“, in: Internationale Politik 52 (1997), 8, S. 19–25. 86 Z. B.: Raymond Benhaïm, Youssef Courbage & Rémy Leveau, Le Maghreb en suspens (Les Cahiers du CERI, 8), (Paris, 1994); Luis Martinez, La guerre civile en Algérie. 1990–1998 (Recherches internationales), (Paris: Éd. Karthala, 1998). Der erste Titel kann allerdings durchaus auch der Quellengattung Graue Literatur/Bericht/Report zugerechnet werden. 87 Z. B.: Bassma Kodmani-Darwish (Hrsg.), Maghreb : Les années de transition (Enjeux internationaux/Travaux et recherches de l’IFRI), (Paris, Mailand, Barcelona u. a.: Masson, 1990). Schon hier wird ein Bezug zwischen zwei primär national orientierten Instituten sichtbar, vgl. das Beispiel zu den Veröffentlichungen in der DGAP-Zeitschrift: Kodmani-Darwish, „Islamismus“, a.a.O., (Anm. 85). Ein weiteres Beispiel aus einem IFRI-Jahrbuch: May Chartouni-Dubarry, „Proche-Orient et Méditerranée : impasses et projets. Le partenariat euroméditerranéen : du wishful thinking à la realpolitik“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jacquet, (Paris: Dunod, 1997), S. 77–81. 88 Z. B. für den beschränkten Gebrauch verfasste Schriften wie die SWP-Arbeitspapiere (SWPAP), beispielsweise Dieter Senghaas, Europa, quo vadis? Neue Aufgaben für eine Politik der Friedensgestaltung (SWP-AP, 2679), (Ebenhausen, 1991). Auch die Jahresberichte der DGAP waren eher für die zum damaligen Zeitpunkt recht exklusiven Mitglieder bestimmt, beispielsweise DGAP, Jahresbericht 1990, (Bonn, o. J.). Im CERI wurden in regelmäßigen Abständen für die öffentlichen Geldgeber bestimmte Berichte angefertigt, z. B. CERI, Rapport scientifique. Juin 1990–Juin 1992. Juin 1992, (Paris, 1992). Im IFRI waren viele Rundbriefe, Vortragsberichte usw. nur für die ebenfalls exklusiven Mitglieder konzipiert, als Tätigkeitsbericht konnte noch der für das Jahr 1999 aufgefunden werden, IFRI, Rapport d’activité 1999, (Paris, 2000).

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Dokumente, Pressespiegel, Pressepartnerschaften, Rundbriefe, Veranstaltungs-, Jahres-, und Tätigkeitsberichte, regelmäßig erscheinende Arbeitspapiere, wissenschaftliche und breiter angelegte Zeitschriften und ausgewählte Einzelpublikationen, Jahrbücher und Reihen und deren Entwicklung im Untersuchungszeitraum wurden berücksichtigt. Die an einigen Stellen hinzugezogenen Hintergrundgespräche liefern nach übereinstimmender Forschungsmeinung keine „authentischen Berichte darüber, wie es in der Vergangenheit gewesen ist“.89 Dies gilt in gewisser Weise auch für die vermeintlich objektiveren schriftlichen Quellen, wenn man diese nach den Bedingungen für die Entstehung und den Wandel der Repräsentationen befragt. In jedem Fall sind die Hintergrundgespräche eher als Ergänzungen zu betrachten, welche die historische Interpretation komplettieren. Am Anfang der Institutskapitel wird jeweils die Entwicklung der Einrichtung beschrieben; diese Darstellung geht nicht nur auf Wendepunkte und einflussreiche Persönlichkeiten ein, sondern gibt auch eine Übersicht über das Quellenmaterial, auf das sich die Analyse stützt. Inhaltliche Auseinandersetzungen und unterschiedliche Strömungen werden in den thematischen Abschnitten der Kapitel behandelt. Anders als man vorwissenschaftlich annehmen könnte, ergab sich zwar eine Vielstimmigkeit der jeweiligen Einrichtung durch die verschiedenen individuellen Akteure, eine Differenzierung je nach Quellengattung innerhalb eines Instituts bildete hingegen eher die Ausnahme. Dies erleichterte die Gliederung der aus den Quellen gewonnenen Erkenntnisse, legt aber eine Erarbeitung des Forschungsstands ausgehend von der Frage nahe, warum bisher so wenig historische Arbeiten über Beratungsinstitute und ihre Rolle in den außenpolitischen Beziehungen Europas zum Maghreb veröffentlicht worden sind.90 FORSCHUNGSSTAND In der deutschen Geschichtswissenschaft ist der Maghreb eine doppelt periphere Region. Zum einen handelt es sich weder um die mitteleuropäische Region, die wissenschaftshistorisch den Ausgangspunkt der Disziplin gebildet hat. Zum anderen konkurriert der Regionsbegriff mit Vorstellungen wie Süden, Mittelmeer 89 Linde Apel, „Gesammelte Erzählungen. Mündliche Quellen in der ‚Werkstatt der Erinnerung‘“, in: Aus Hamburg in alle Welt. Lebensgeschichten jüdischer Verfolgter aus der „Werkstatt der Erinnerung“, hrsg. von Linde Apel, Klaus David & Stefanie SchülerSpringorum, (München, Hamburg: Dölling und Galitz Verlag, 2011), S. 201–218, insbes. S. 210. Darin auch weitere Hinweise zur aktuellen Diskussion zum Thema in der Geschichtswissenschaft. 90 Zu Beginn der Untersuchung war erwogen worden, vergleichend insbesondere die unterschiedlichen Gewichtungen je nach Textform (vom unveröffentlichten Arbeitspapier bis zum Zeitschrifteneditorial) in den Blick zu nehmen. Es wurde aber deutlich, dass dies eine redundante Erzählweise erzwungen hätte; zudem wäre die Thematik der Eigen- und Fremdrepräsentationen weniger erkennbar gewesen.

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oder arabische Welt, die schon sprachlich weniger fremd erscheinen als das etymologisch arabische Wort Maghreb. Wie auch immer man die Region bezeichnet – in der Forschung besteht der Konsens, dass Fernand Braudels Name keinesfalls unerwähnt bleiben darf.91 Als einer der führenden Köpfe der historiographischen Strömung, die sich in Frankreich im Zusammenhang mit der Zeitschrift Annales bildete, erlangte er nicht nur in der französischsprachigen Welt Bekanntheit.92 In Braudels historischem Konzept des Mittelmeers, wobei im Deutschen am ehesten das Wort Mittelmeerraum das französische „la Méditerranée“ wiedergeben kann, verwoben sich seit den späten 1930er Jahren Geographie und Anthropologie. Es ging von drei Zeitebenen aus, einer untersten Ebene, auf der sich die geographischen Veränderungen festmachen ließen; einer Ebene der „longue durée“, welche Strukturen sozialer und ökonomischer Natur schaffe, vor deren Hintergrund die dritte Ebene, die „histoire événementielle“, zu beobachten sei. Gabriele Metzler zufolge hat der Ansatz Braudels seit den 1980er Jahren zu einem verstärkten wissenschaftlichen Interesse an der Region geführt, wozu nicht zuletzt die beispielhafte Repräsentation des Raumes im Mittelmeerkonzept beitrug.93 Insofern ist es neben der Kanonisierung in Frankreich selbst für die vorliegende Untersuchung wichtig, die breite Rezeption in der Bundesrepublik zu unterstreichen. Diese betraf weniger die Geschichtswissenschaft als solche, sondern wirkte weit darüber hinaus.94 Einen indirekten Bezugspunkt in der deutschen Beschäftigung mit dem Mittelmeer bildet der Zweite Weltkrieg. Nach dem Zusammenbruch des Naziregimes suchten nicht nur Wissenschaftler erneut nach den antiken Wurzeln und Verbindungen in den Mittelmeerraum, um mental in die europäische Zivilisation zurückzukehren. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung blieb allerdings inhaltlich und methodologisch hinter der französischen Annales-Schule zurück. Mit dem Kalten Krieg bezog sich die deutsche Gesellschaft gleichzeitig auf einen neuen Bezugspunkt, den Osten, während Westdeutschland dank seiner „Gastarbeiter“, die für das „Wirtschaftswunder“ gebraucht wurden, mehr materielle Einflüsse aus dem Mittelmeerraum als jemals zuvor in seiner Geschichte verzeichnete.95

91 Frithjof Benjamin Schenk & Martina Winkler, „Einleitung“, in: Der Süden. Neue Perspektiven auf eine europäische Geschichtsregion, hrsg. von Frithjof Benjamin Schenk & Martina Winkler, (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2007), S. 7–20, insbes. S. 16. 92 Vgl. Lutz Raphael, „Fernand Braudel (1902–1985)“, in: Klassiker der Geschichtswissenschaft, hrsg. von Lutz Raphael, (München: C.H. Beck, 2006), S. 45–62, insbes. S. 47. 93 Metzler, „Europa“, a.a.O., (Anm. 22), S. 18–20. 94 Raphael, „Braudel“, a.a.O., (Anm. 92), S. 59. Daher kann davon ausgegangen werden, dass bei vielen der untersuchten deutschen Akteure auch ohne geschichtswissenschaftlichen Hintergrund die Denkmuster Braudels in Umrissen bekannt waren. 95 Gregor Meiering, „Genèse et mutations d’une mémoire collective. La Méditerranée allemande“, in: La Méditerranée allemande, hrsg. von Wolfgang Storch & Gregor Meiering (Les représentations de la Méditerranée, 10), (Paris: Maisonneuve & Larose, 2000), insbes. S. 82– 85. Zitate S. 84 und S. 85.

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Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Braudel einen prägenden Einfluss auf die Sicht der französischen Historiker auf den Mittelmeerraum;96 er selbst hatte verschiedene Einflüsse in seinen Ansatz aufgenommen. Dazu zählen Verfechter der kolonialen Idee wie Louis Bertrand, der im Frankreich der Zwischenkriegszeit gegenüber Vertretern einer eher universalen Betrachtung des mediterranen Menschen die „idée latine“ verteidigte.97 Daneben spielten Vorgänger wie der belgische Historiker Henri Pirenne – der mit der Ankunft des Islam einen Abbruch der Verflechtungen annahm – bis zu Marc Bloch oder Lucien Febvre, die das französische Kolonialprojekt eher relativierten, eine Rolle.98 Parallel arbeitete der Mediävist Georges Duby sowohl den mediterranen Ursprung der humanistischen Idee als auch die Geschichte der Armut im Mittelmeerraum heraus. Im Gefolge von Braudel und Duby begriffen französische Historiker den Mittelmeerraum immer weniger als umfassenden Erklärungsansatz. Vielmehr, so diese Schule, müsse er als komplexer wissenschaftlicher Gegenstand verstanden und historisiert werden.99 Nach Ansicht des Mittelmeerexperten Thierry Fabre war die Idee der Existenz eines Mittelmeers beziehungsweise eines Mittelmeerraums lange nur griechischlatinisch gewesen. Mit dem Ende der Kolonialzeit habe sich dann eine neue Vor-

96 Inspirationsmäßig verlaufen die Genregrenzen fließend, zu ergänzen wäre vor allem Albert Camus, dessen philosophisch-literarische Gedankenwelt („La pensée de midi“) von den 1930er Jahren bis heute intellektueller Reibungspunkt geblieben ist. Thierry Fabre, „La France et la Méditerranée. Généalogies et représentations“, in: La Méditerranée française, hrsg. von Jean-Claude Izzo & Thierry Fabre, (Paris: Maisonneuve & Larose, 2000), S. 13– 152, insbes. S. 101–104. Das Zitat findet sich auf S. 104. Eine Veranstaltung der FriedrichEbert-Stiftung fragte beispielsweise unter dem Titel „Albert Camus und die euromediterrane Identität“ am 20. Oktober 2008 nach der Relevanz von Camus’ „mittelmeerischem Denken“ für die euromediterranen Beziehungen. 97 D. h. einen Vorrang der griechisch-römischen Zivilisation im Mittelmeerraum. Dies drückte sich u. a. in der Repräsentation „l’Afrique Latine“ aus. Ebd., S. 69–90. Die Zitate finden sich auf S. 69, 89. 98 In einer Einleitung zu den Schriften Braudels wies Maurice Aymard 1996 darauf hin, dass sich der Historiker durch seinen langen Schreibrhythmus auszeichnete. So schloss er sein bekanntestes Werk über den Mittelmeerraum zur Zeit Philipps II. mit 45 Jahren ab und schrieb es für die zweite und letzte Ausgabe 1979 (fast 20 Jahre nach der Erstauflage) zu großen Teilen neu. Fernand Braudel, Roselyne de Ayala & Paule Braudel, Autour de la Méditerranée. Préface de Maurice Aymard, (Paris: Éd. de Fallois, 1996), insbes. S. 9–18. Repräsentationen der Abgrenzung begleiteten neben der Gesamtsicht jedoch die Schriften ebenfalls über eine lange Zeit. In einem Vortrag bestätigte Braudel 1971 die Rolle der Seeschlacht von Lepanto 400 Jahre zuvor als Symbol für das gegenseitige Abwenden von Christen und Moslems, zumindest was die maritime Realität anging. Ebd., S. 368–381. Es ist kritisch zu fragen, ob ein Narrativ existiert, das über einen europäischen Erinnerungsort „Lepanto“ als Sieg über islamische Invasoren hinausgeht. Vgl. Pierre Nora, „Les ‚lieux de memoire‘ dans la culture européenne“, in: Europe sans rivage. Symposium international sur l’identité culturelle européenne, Paris, janvier 1988, hrsg. von Symposium international sur l’identité culturelle européenne, (Paris: A. Michel, 1988), S. 38–42, insbes. S. 40. 99 Fabre, „Méditerranée“, a.a.O., (Anm. 96), S. 105–116.

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stellung Einzug gehalten, die auch das „andere“ Ufer einbeziehe.100 Louis Gardet und Jacques Berque, Spezialisten für die arabische und islamische Welt, erweiterten und vertieften diese Perspektive. Gardets Vision einer zweigeteilten Mittelmeerwelt, die in seiner Lesart allerdings erst in der Neuzeit entstand, reagierte auf das Modell von Henri Pirenne. Jacques Berque war als Schüler von Braudel in Algier sein Leben lang damit beschäftigt, diese aus geschichtlicher Sicht neuartige Trennung der Welten zu überbrücken. Er träumte noch 1991 von einer mediterranen Utopie, wobei er sich darüber im Klaren schien, dass nicht nur Einvernehmen, sondern auch Auseinandersetzung darin einen Platz haben würde. In den 1990er Jahren wurde durch viele Akteure in Frankreich die Vorstellung eines Mittelmeerraums der zwei Ufer aufgegriffen. Paul Balta, der lange Zeit Journalist bei der Tageszeitung Le Monde gewesen war, und Edgar Pisani, ein französischer Politiker, der zwischen 1989 und 1995 Präsident des Pariser Institut du Monde Arabe war, hatten aktiven Anteil an der Entwicklung der Vision einer zweigeteilten Mittelmeerwelt. Edgar Morin wiederum folgerte nach dem Fall der Mauer, dass es nun an der Zeit sei, nicht nur „Europa“, sondern auch den „Mittelmeerraum“ zu denken. Dieser könne Europa davon abhalten, sich selbst zu genügen. Eine mögliche Folgerung der Zweiteilung des Mittelmeerraums war und ist die einer Brücke, es gibt aber gleichermaßen die Tendenz, beide Ufer voneinander abzugrenzen. Für die Beschützer französischer „kultureller Grenzen“, die diese bereits durch die europäische Integration in Form der EU bedroht sahen, war ein kosmopolitischer Mittelmeerraum keine Option.101 Die Vorstellung von den zwei Ufern hatte im politischen Bereich in Frankreich Vorläufer, die dem Maghreb eine wichtige Rolle zuwiesen. Während der Jahre Mitterrands hatte das Mittelmeerthema immer wieder Konjunktur, beispielsweise als das „Forum méditerranéen“ Ende der 1980er Jahre in Marseille und in Tanger stattfand. Ein Schwerpunkt des Forums sollte die euro-maghrebinische Vorreiterrolle sein, welche so einen euro-arabischen Dialog ermöglichen sollte. Die von Italien und Spanien 1989 vorgeschlagene Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum102 wurde hingegen in Frankreich unter Mitterrand wenig enthusiastisch verfolgt. Der französische Präsident wollte sich seine Initiative in der Region nicht nehmen lassen, wurde allerdings vom Krieg zwischen der Koalition um die USA und dem Irak (1990–1991) in die Defensive gedrängt. Frankreich intervenierte auch aus dem Gefühl der Margina100 Diese Vorstellung konnte allerdings ebenfalls auf Vorläufer in der Zwischenkriegszeit zurückgreifen. Émile Temime, „Repenser l’espace méditerranéen. Une utopie des années trente ?“, in: La pensée de midi 1 (2000), 1, S. 56–61. 101 Fabre, „Méditerranée“, a.a.O., (Anm. 96), S. 141–152. Beide vorangegangenen Absätze beruhen auf Fabres Darstellung. Edgar Pisani wird in einigen biographischen Verzeichnissen, z. B. in den Archives Biographiques Françaises (ABF) auch als Edgard Pisani geführt. 102 Annette Jünemann, „Europas Mittelmeerpolitik im regionalen und globalen Wandel: Interessen und Zielkonflikte“, in: Die Mittelmeerpolitik der EU, hrsg. von Wulfdiether Zippel (Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäische Integration e. V., 44), (Baden-Baden: Nomos, 1999), S. 29–63, insbes. S. 43.

Forschungsstand

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lisierung heraus im Zweiten Golfkrieg; die Konferenz von Barcelona mit der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) gab ab 1995 den Handlungsrahmen für die französischen Akteure gegenüber dem Mittelmeerraum vor.103 Im Kontext der deutsch-französischen Zusammenarbeit drängte Frankreich bereits 1994 darauf, die EU-Politik gegenüber Nicht-Mitgliedern anzugleichen, Deutschland wollte vier osteuropäischen Staaten eine schnelle Mitgliedschaft ermöglichen, während Frankreich auf einer Öffnung gegenüber dem Mittelmeerraum beharrte.104 Letztlich entstand die Idee einer Partnerschaft („partenariat“) in Brüssel aus einem Entwurf, der zunächst auf den Maghreb allein abzielte. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Osloer Friedensprozess im Anschluss an die Nahostkonferenz von Madrid (1991). Zwischen 1992 und 1994 wurde die Konzeption, die bereits zu Anfang das Element einer Freihandelszone zwischen der Gemeinschaft und ihren Anrainern enthielt, um eine nahöstliche Komponente erweitert.105 Die EuroMediterrane Partnerschaft (EMP) wurde 1995 von der EU und zwölf Partnern im Mittelmeerraum angestoßen.106 Von politikwissenschaftlichen Expertinnen und 103 Fabre, „Méditerranée“, a.a.O., (Anm. 96), S. 133–141. Der Bedeutungsverlust Frankreichs zeigte sich auch darin, dass es keine Einladung zur Nahostkonferenz von Madrid 1991 erhielt. Die Zählweise der Kriege am Persischen Golf ist nicht einheitlich, im Deutschen und im Französischen ist die Bezeichnung Zweiter Golfkrieg üblich (d. h. nach dem Krieg zwischen Irak und Iran in den 1980er Jahren und vor der Invasion des Iraks durch die USA und ihre Verbündeten 2003). Diese Bezeichnung wird in der Arbeit verwendet. 104 Patrick McCarthy, „France, Germany, the IGC and Eastern enlargement“, in: The FrancoGerman Relationship in the European Union, hrsg. von Douglas Webber, (London, New York: Routledge, 1999), S. 41–57, insbes. S. 50. Nicht nur Frankreich hatte diesen euromediterranen Fokus; auch Spanien und Italien hatten regionale Interessen, trotzdem zeigte die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) im deutsch-französischen Tandem sowohl die unterschiedlichen Weltsichten als auch die Fähigkeit, die Differenzen beizulegen. Ebd., S. 50–52. Vor allem der damalige spanische Premier Felipe González setzte im Vorfeld des Projektes im Zusammenspiel mit dem spanischen Vizepräsidenten der Kommission Manuel Marín eine deutliche Erhöhung der Gemeinschaftsmittel für Mittelmeerpolitik auch gegen deutschen Widerstand durch. Isabel Schäfer, Vom Kulturkonflikt zum Kulturdialog? Die kulturelle Dimension der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP), (Baden-Baden: Nomos, 2007), insbes. S. 106. 105 Bichara Khader, „Le partenariat euro-méditerranéen: le processus de Barcelone, une synthèse de la problématique“, in: Le partenariat euro-méditerranéen vu du Sud, hrsg. von Bichara Khader, (Paris: Harmattan, 2001), S. 13–39, insbes. S. 18–19. Ähnlich auch Annette Jünemann, die zudem auf multilaterale Vorläufer der Partnerschaftsidee verweist (Spanien und Italien mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum; Frankreich mit den Gesprächsveranstaltungen nach der Formel „5+5“). Jünemann, „Mittelmeerpolitik“, a.a.O., (Anm. 102), S. 43–49. 106 Die auch unter dem Namen „Barcelona-Prozess“ propagierte Nachbarschaftspolitik umfasste gemäß der Erklärung der Konferenz in Barcelona am 27. und 28. November 1995 drei Teilbereiche (vielfach wurde auch von Körben gesprochen) – politischen Dialog, wirtschaftliche und finanzielle und schließlich soziale und kulturelle Zusammenarbeit. Tobias Schumacher, „Europäisch-Mediterrane Zusammenarbeit“, in: Informationen zur politischen Bildung (2009), 303, S. 61–62, insbes. S. 61. Das Arbeitsprogramm zur Abschlusserklärung ergänzte die drei Teilbereiche der Erklärung. In der Praxis wurde die Partnerschaft von Seiten der EU

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Einleitung

Experten wurde schon bald nach der Erklärung auf die vordringliche Bedeutung der politischen Kooperation hingewiesen. Ein französischer Beobachter verwies auf die hohe Konfliktdichte in der Vergangenheit, von der Suezkrise 1956 bis zu den Dekolonisationskriegen: Deshalb seien die Abschnitte der Erklärung zu den Politik- und Stabilitäts-Bereichen von großer Bedeutung.107 Zur politischen Zusammenarbeit ist das Urteil der Forschung mittlerweile eindeutig, vor allem die Lösung des Nahostkonflikts bilde die Vorbedingung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.108 Auch aus Sicht der Maghrebstaaten erschwerte die enttäuschte Hoffnung der Friedensvereinbarung von Oslo nicht nur die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP), weil sich die europäischen Staaten im scheiternden Friedensprozess als machtlos erwiesen, auch die regionale Zusammenarbeit, beispielsweise zwischen Marokko und Tunesien, konnte sich auf diese Weise nicht weiter entwickeln.109 Die Partnerschaft wurde in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zwar mit Konferenzen, Ateliers und Programmen betrieben, der Stillstand im Nahost-Friedensprozess wirkte sich aber auch hier aus. Dialog gab es unter anderem im Rahmen einer Kulturministerkonferenz im April 1996 (Bologna), weiteren Außenministerkonferenzen im April 1997 (Malta) und Juni 1998 (Palermo) oder einem Kulturatelier im April 1998 (Stockholm).110 Aus systemtheoretischer Perspektive ist angemerkt worden, dass der Dialog der Kulturen paradoxerweise eine zusätzliche Unterscheidung mit sich bringt, da die gegenseitige Wahrnehmung und Zuschreibung beide Seiten als zwei Entitäten stärkt.111 Historisch erscheint die Tatsache von Bedeutung, dass die Partnerschaft diese Möglichkeit der Differenzierung erst seit der Mitte der 1990er Jahre institutionalisierte.112

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vor allem von der Kommission ausgearbeitet, obwohl Bestandteile der gemeinsamen Arbeitsfelder durchaus auch ein Teil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sein konnten. Vgl. Schäfer, Kulturdialog, a.a.O., (Anm. 104), S. 110–111, 145–146. Jean François Charollais, „‚Éléments de puissance en Méditerranée‘. Bilan des forces en Méditerranée“, in: Les Elites et le Processus de Changement dans la Méditerranée, hrsg. von Antonio Marquina (Collection STRADEMED, 7), (Madrid: UNISCI, 1997), S. 246–260, insbes. S. 259. Schumacher, „Zusammenarbeit“, a.a.O., (Anm. 106). Nicht nur im politischen Korb, auch was die kulturelle Komponente anging, erschien die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) zu Beginn widersprüchlich. Schäfer, Kulturdialog, a.a.O., (Anm. 104), S. 111. Jamila Houfaidi Settar, „Le Maroc et l’UE, de l’acquis communautaire à l’acquis commun“, in: The Mediterranean’s European challenge, hrsg. von Peter G. Xuereb, (Malta: European Documentation and Research Centre, University of Malta, 1998), S. 17–30. Schäfer, Kulturdialog, a.a.O., (Anm. 104), S. 129–131. Stephan Stetter, „The Politics of De-Paradoxification in Euro-Mediterranean Relations: Semantics and Structures of ‚Cultural Dialogue‘“, in: Mediterranean Politics 10 (2005), 3, S. 331–348, insbes. S. 333–338. Dies ermöglicht die Repräsentation einer Seite als Modell; die europäische Erfahrung dient als eine Art Zukunftshorizont. Ebd., S. 342. „[…] it is interesting to note that the link between the notion of distinct ‚cultures‘, including the underlying valorization of difference as a key differential unit and its subsequent institutionalization in Euro-Mediterranean relations, is relatively new.“

Gliederung

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Darüber hinaus kritisierten Fürsprecherinnen und Fürsprecher der sogenannten Mittelmeerdrittstaaten, beispielsweise Bichara Khader, das Fehlen substantieller Technologietransfers von Nord nach Süd über das Mittelmeer. Ein System von Austauschbeziehungen innerhalb des Industriesektors fehle ebenso wie die Einbeziehung in die Wissenschaftsprogramme der EU. Die etablierten Programme krankten an zu geringen strukturellen Mitteln, etwa in Form öffentlicher Strukturfonds.113 Dagegen stellen diejenigen, die sich auf die Seite der EU in der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) konzentrieren, die Maßnahmen im Rahmen des politischen Dialogs in Frage (obwohl sie selbst unter anderem durch die Einrichtung eines Expertennetzwerks profitierten).114 Die Ziele der Partnerschaft erscheinen in der Rückschau überzogen, wobei keine Einigkeit darüber besteht, was den entscheidenden Konstruktionsfehler ausmachte.115 GLIEDERUNG Um nicht einer Fixierung auf einzelne Initiativen oder primär tagesaktuellen Diskussionen zu erliegen, ist die vorliegende Untersuchung nach Instituten gegliedert, wobei zunächst die deutschen, dann die französischen behandelt werden. Innerhalb der beiden Gruppen erfolgen jeweils zuerst die Einrichtungen, die über keine wissenschaftliche Zeitschrift verfügen. In Deutschland gilt dies für die SWP, was vor allem historische Gründe hat. Für alle Institutskapitel gilt, dass solche historischen Entwicklungslinien, die für das Verständnis der Repräsentationen von Bedeutung sind, jeweils zu Beginn knapp geschildert werden. Ausführlicher folgen danach die Entwicklungen der Einrichtungen im Untersuchungszeitraum, im Falle der SWP ist vor allem der Direktorenwechsel und das sich wandelnde Selbstverständnis des Instituts von Belang. Den Kern der Institutskapitel bilden die jeweils drei thematischen Abschnitte, die nicht nach den verschiedenen Formen von Quellen,116 sondern nach drei Repräsentationsarten ge113 Khader, „Barcelone“, a.a.O., (Anm. 105), S. 35–36. 114 Antonio Marquina, „Security and Political Stability in the Mediterranean“, in: Les Elites et le Processus de Changement dans la Méditerranée, hrsg. von Antonio Marquina (Collection STRADEMED, 7), (Madrid: UNISCI, 1997), S. 236–245, insbes. S. 241–242. 115 Raffaella A. Del Sarto & Tobias Schumacher, „From EMP to ENP: What’s at Stake with the European Neighbourhood Policy towards the Southern Mediterranean?“, in: European Foreign Affairs Review 10 (2005), S. 17–38, insbes. S. 17–19. Neben dem erneuten Aufflammen des Nahostkonflikts identifizierten Beobachter auch die in den 1990er Jahren angestoßene Erweiterung der EU als eine Veränderung der Ausgangslage des Projekts. Darüber hinaus verabschiedete die EU im März 2004 zudem eine „Strategische Partnerschaft der EU mit dem Mittelmeerraum und dem Nahen Osten“. Sie kann allerdings nicht als geographische Erweiterung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) gesehen werden und ist ebenfalls eher eine Ergänzung. Annette Jünemann, „Euro-Mediterrane Partnerschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit“, in: Orient 46 (2005), 3, S. 360–387, insbes. S. 387. 116 Diese Gliederungsform hat sich als nicht zweckmäßig erwiesen, siehe auch den Abschnitt zu den Quellen.

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ordnet sind, was nicht zuletzt den Vergleich zwischen den jeweiligen Eigen- und Fremdrepräsentationen erleichtert. Neben diesen beiden großen Gruppen von Repräsentationen fanden sich auch in jedem Institut in geringerem Maße Verflechtungsrepräsentationen, bei der SWP beispielsweise die Vorstellung einer Nachbarschaft zwischen Maghreb und Europa sowie das Denkmuster, demzufolge Mittelmeerpolitik als besondere Form der Zusammenarbeit zu verstehen sei. Bei dem Fallbeispiel DGAP wiederum zeigt sich, dass Mittelmeerpolitik auch als Eigenrepräsentation, als gemeinsames Interesse verstanden wurde. Nicht nur die DGAP, auch die SWP dient in den Abschnitten zu Repräsentationen des Anderen als Beispiel, wie der Maghreb neben gemeinsamen Interessen auch divergente nationale Vorstellungen widerspiegeln konnte. Wie bereits erwähnt, folgen die Institutskapitel zum einen dem Schema, sich über den deutschen Kontext den französischen Zusammenhängen zu nähern und zum anderen jeweils zuerst die Einrichtung ohne eigene wissenschaftliche Zeitschrift zu behandeln. Dies bedeutet, dass das CERI vor dem IFRI diskutiert wird, da das Auftreten von CERI-Mitgliedern im IFRI-Kontext in Folge der Institutszeitschrift Politique étrangère überwiegt. Die Texte aus dem CERI zeichnen sich in den Eigenrepräsentationen besonders durch die akzentuierte Kritik an der Rolle europäischer Initiativen im Maghreb aus, damit einher geht in puncto Fremdrepräsentation eine Konzentration auf die Entwicklungen im Algerien der 1990er Jahre. In den Publikationen des IFRI gilt diese Fokussierung auf Algerien in ähnlicher Weise, was die schon in den deutschen Fallbeispielen genannten nationalen Deutungsmuster angeht, so waren diese im IFRI weniger auf Algerien bezogen. Nach der Erörterung dieser inhaltlichen Punkte in den Institutskapiteln erfolgt eine Beleuchtung der Bezüge, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Instituten. Die Bezüge werden beispielhaft aufgegriffen, denn in den Institutskapiteln können Verflechtungen zwischen den Einrichtungen ebenfalls verfolgt werden. Bei Unterschieden und Gemeinsamkeiten – wichtig sind besonders die deutsch-französischen – geht es um eine Zusammenfassung der wichtigsten Grundlinien, die sich vor allem in den inhaltlichen Abschnitten der Institutskapitel abgezeichnet haben. Die Arbeit wird von einer Zusammenfassung der Ergebnisse aus den Institutskapiteln und der Gesamtschau abgeschlossen.

STIFTUNG WISSENSCHAFT UND POLITIK Die Bedeutung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) als eine Einrichtung, die vor allem im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik einen Austausch zwischen handelnden Eliten und wissenschaftlichen Mitgliedern des Forschungsinstituts ermöglicht, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die SWP wurde 1962 von dem Juristen Klaus Ritter, Neffe des Freiburger Historikers Gerhard Ritter, in Ebenhausen bei München gegründet. Anfang der 1950er Jahre war Klaus Ritter bereits in die „Organisation Gehlen“ (später Bundesnachrichtendienst) eingetreten.117 Eine wesentliche Inspiration war die Tradition der USamerikanischen think tanks, die Ritter während eines Forschungsaufenthalts in den USA 1959/60 kennengelernt hatte. Seit 1965 erhält die Stiftung aus dem Etat des Bundeskanzleramts – das auch das Budget des Bundesnachrichtendienstes bestreitet – den wesentlichen Teil ihrer Fördergelder.118 Anders als die DGAP mit ihrer traditionellen Abhängigkeit vom Auswärtigen Amt konzipierte Ritter die SWP zudem ursprünglich eher nach dem Vorbild der RAND Corporation in den USA.119 Im wissenschaftlichen Institut der Stiftung galten und gelten die Grundregeln der Beratungsszene, die „Chatham House Rules“. Beratungspapiere und vertrauliche Quellen tauchen nirgendwo auf. Ab Ende der 1960er beziehungsweise Anfang der 1970er Jahre kam es in Deutschland auf diesem bis dato überschaubaren Feld der außenpolitischen Beratung zu Auseinandersetzungen mit neuen Akteuren, unter anderem aus der Friedens- und Konfliktforschung. In den Jahrzehnten nach der Gründung der SWP waren die Publikations- und Medienaktivitäten der Mitarbeiter wegen der erwähnten Gepflogenheiten in der Beratungsszene 117 Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 289–293. In einem jüngeren Artikel wird die Initiative des Politikwissenschaftlers Arnold Bergstraesser betont, der als bekannter Name für das Projekt SWP sicherlich wichtig war, jedoch bereits Anfang 1964 starb. Sebastian Enskat, „Wissenschaftlicher Sachverstand und Expertise. Die SWP im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politikberatung“, in: Forschung und Beratung in der Wissensgesellschaft. Das Feld der internationalen Beziehungen und der Außenpolitik, hrsg. von Gunther Hellmann (Internationale Beziehungen, 6), (Baden-Baden: Nomos, 2007), S. 265–282, insbes. S. 267. 118 Jubiläums-Redner unterstrichen die Verbindung. SWP, „Klaus Ritter zu seinem 90. Geburtstag. Reden anlässlich des Empfangs am 23.09.2008 in Berlin“, (2008), http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/sonstiges/RedenRitter90_ks.pdf (16.1.2014), insbes. S. 7. 119 Xavier Carpentier-Tanguy, „Diplomatie intellectuelle? Les think tanks comme acteurs de l’européanisation de la France“, (2010), http://www.etudes-europeennes.eu/focus/diplomatieintellectuelle-les-think-tanks-comme-acteurs-de-leuropeanisation-de-la-france.html (16.1.2014), insbes. S. 5. Zur Entwicklung der DGAP siehe ausführlich den Beginn des entsprechenden Kapitels.

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zunächst sehr eingeschränkt.120 Diese Abschottung von der Öffentlichkeit bildet den historischen Kontext für die nachfolgend beschriebenen Aktivitäten der Stiftung und ihrer Mitarbeiter im Bereich der Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb. Der internationale Austausch intensivierte sich in den ersten 25 bis 30 Jahren der Stiftungstätigkeit. Noch vor dem Beginn des Untersuchungszeitraums gab es hier schon Institutionalisierungsansätze. Bereits 1985 fanden sich westeuropäische Institute, in der Bundesrepublik die SWP und die DGAP, zur European Strategy Group (ESG) zusammen, die gemeinsame „Policy Recommendations“ erarbeiten sollte.121 Hier kam zum Tragen, dass Deutschland mit der SWP europaweit über das größte praxisorientierte Forschungsinstitut zu internationalen Fragen verfügt und verfügte.122 In diesem Zusammenhang merkt allerdings der Politikwissenschaftler Martin Thunert kritisch an, dass ein Problem der SWP die Regionen seien, „die nicht im aktuellen Fokus der deutschen Außenpolitik stehen, dies aber morgen tun können“.123 Auch unter diesem Aspekt wird die Beratungstätigkeit der Stiftung untersucht. INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN Um die Bedeutung und Wirkung von Repräsentationen einzelner Personen und Institute einordnen zu können, ist der jeweilige historische Kontext zentral.124 Auch die Praxis der Institution, in der ein Politikexperte arbeitet, ist von Bedeutung. Bei der SWP ist im Untersuchungszeitraum neben dem Standortwechsel auch ein institutioneller Wandel festzustellen. Die Zeit nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik war von Erwägungen geprägt, im Sinne einer Friedensdividende die Kapazitäten der Politikberatung, insbesondere im Bereich der „Ostforschung“, abzubauen.125 Verschiedene deutsche Regierungen hatten wiederholt Einsparungen im Bereich der im Wesentlichen staatlich finanzierten Beratungslandschaft erwogen. Schließlich übernahm die SWP praktisch das Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien. In einer Namensänderung des SWP-Forschungsinstituts wurde dieser Schritt institutionell gefasst.126

120 Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 168–176. Noch während der Anfänge erfolgte eine Absprache zwischen Klaus Ritter und dem Verantwortlichen der DGAP-Zeitschrift. Die SWP würde auch im Zeitschriftensegment nicht in Konkurrenz zur DGAP treten. Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 180, Anm. 70. 121 Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 208. 122 Thunert, „Think Tanks“, a.a.O., (Anm. 83), S. 33. 123 Ebd. 124 Vgl. Kaelble, Repräsentationen, a.a.O., (Anm. 16). 125 Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 259–263. 126 Ebd., S. 263–271. Der Name des Instituts lautete zuvor: „Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit“. Beschlossen wurde eine Änderung in „Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit“.

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Auch personell bildeten die 1990er Jahre einen Übergang. Seit 1988 war Michael Stürmer Direktor der SWP. Seine Vorstellungen vom Umgang mit der Öffentlichkeit und den Medien unterschieden sich grundsätzlich von denen seines Vorgängers. So beklagte er sich, dass man im Umgang mit den Medien das eine oder andere SWP-Mitglied „zum Jagen tragen“ müsse.127 Stürmer, Jahrgang 1938, promovierte 1965 bei Erich Matthias in Marburg und folgte diesem dann als Assistent nach Mannheim. Er habilitierte 1971 an der Technischen Hochschule Darmstadt. 1973 wurde er ordentlicher Professor in Erlangen.128 Als prägende Figuren während seiner Zeit im Rhein-Neckar-Delta sah er unter anderem die konservativen Historiker Werner Conze und Hans Rothfels an; Theodor Schieder hingegen habe seine Berufung als persönliche Beleidigung aufgefasst.129 Im Historikerstreit der 1980er Jahre hatte sich Stürmer gemeinsam mit den Kollegen Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand für den Historiker Ernst Nolte ausgesprochen, der eine Historisierung der nationalsozialistischen Verbrechen gefordert hatte und dafür vor allem von Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler angegriffen worden war.130 Sein Nachfolger, der Publizist Christoph Bertram, setzte sich noch vehementer als sein Vorgänger für einen Umzug der Stiftung von der Isar an die Spree ein, der allerdings aufgrund von Finanzierungsstreitigkeiten erst nach dem untersuchten Zeitraum realisiert wurde. In Bertrams Augen war ein solcher Schritt für die Stiftung überlebenswichtig, er bestand deshalb schon 1997 in der Vorbereitung des Direktorenwechsels darauf.131 Bereits vor der Übernahme des Direktorpostens hatte Bertram Nordafrika als eine für Europa gefährliche Krisenregion beschrieben.132 Die Herausforderung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) sah er in engem Zusammenhang mit diesem Problem. Als diplomatischer Korrespondent, Politikchef und Redakteur der

127 Ebd., S. 177. 128 Rüdiger Hohls & Torsten Bathmann, „Biographisches Glossar“, in: Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, hrsg. von Rüdiger Hohls & Konrad H. Jarausch, (Stuttgart, München: DVA, 2000), S. 441–476, insbes. S. 473. In der biographischen Skizze ist fälschlicherweise 1987 als Beginn seiner Direktorentätigkeit bei der SWP angegeben. 129 Michael Stürmer, „‚Man muß die Weltgeschichte nicht immer mit den Nazis beginnen lassen.‘, Interview am 25.3.1999“, in: Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, hrsg. von Rüdiger Hohls & Konrad H. Jarausch, (Stuttgart, München: DVA, 2000), S. 358–368, insbes. S. 361–362. 130 Konrad H. Jarausch & Rüdiger Hohls, „Brechungen von Biographie und Wissenschaft. Interviews mit deutschen Historiker/innen der Nachkriegsgeneration“, in: Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, hrsg. von Rüdiger Hohls & Konrad H. Jarausch, (Stuttgart, München: DVA, 2000), S. 15–54, insbes. S. 17 Anm. 11. 131 Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 277. 132 „Der schwelende Konflikt zwischen Islamisten und Säkularisten könnte ganz Nordafrika in ein Bürgerkriegsgebiet verwandeln.“ Christoph Bertram, „Kanzlers Händchen. Der einflußreiche Außenpolitiker Kohl: Die Umstände waren günstig, er wußte sie zu nutzen“, in: Die Zeit, (22.09.1994).

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Wochenzeitung Die Zeit hatte er mit einer Rubrik im Politikressort schon früh einen Platz für Meinungen aus dem Ausland geschaffen. Auch wegen seines Werdegangs vor seiner journalistischen Karriere war er über internationale Entwicklungen in besonderer Weise informiert.133 So kannten ihn viele Mitglieder des Stiftungsrats, der das entscheidende Gremium der SWP darstellte, als langjährigen Direktor des Londoner International Institute of Strategic Studies.134 Bertrams Aussagen zum Umzug nach Berlin machen deutlich, dass nicht nur der persönliche Stil eines Direktors von Bedeutung ist. Auch der Ort, an dem Expertisen entstehen, spielt eine Rolle, um Europarepräsentationen in ihrer Tragweite einschätzen zu können. Wolfram Kaiser verweist zu Recht darauf, dass schon früh komplexe „communities“ von politischen Experten entstanden seien, die sich mit der europäischen Integration befassen.135 Neben den Direktoren und der Umorientierung der SWP in Richtung Berlin sind im Zusammenhang mit dem Maghreb natürlich auch die Mitarbeiter interessant, die sich mit den jeweiligen Einzelthemen beschäftigten. Dies gilt sowohl für die europäische wie auch für die regionalwissenschaftliche Sicht auf die internationalen Beziehungen im Mittelmeerraum. Zu diesen Forschern gehörte Ulrich Schlie, ein Historiker, der von 1991 bis 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter der SWP war, und dessen Doktorarbeit (Erstbetreuer war Klaus Hildebrand) vom Direktor der SWP, Michael Stürmer, gefördert wurde.136 Klaus Hildebrand wird von Konrad Jarausch und Rüdiger Hohls als ein Vertreter eher konservativer geschichtswissenschaftlicher Traditionslinien angesehen.137 Anfang der 1990er Jahre setzte sich der Friedensforscher Dieter Senghaas unter Bezugnahme auf den Begriff der „Weltinnenpolitik“ mit dem Verhältnis Europas zu seinen Nachbarregionen sowie dem Problem der Orientierung nach dem Ende des

133 Karl-Heinz Janßen, Haug von Kuenheim & Theo Sommer, Die Zeit. Geschichte einer Wochenzeitung 1946 bis heute, (München: Siedler, 2006), insbes. S. 244–255, 283. 134 Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 228. 135 Wolfram Kaiser, „History meets Politics: Overcoming Interdisciplinary Volapük in Research on the EU“, in: Journal of European Public Policy 15 (2008), 2, S. 300–313, insbes. S. 308. 136 In einer Broschüre zu einer Tagung des Europarates wurde er als „Associé de recherche“ der SWP aufgeführt, allerdings noch ohne seinen 1992 erworbenen Doktorgrad, Europarat, 1992 : Europe and North America. The dialogue of the new solidarities. Contributions; Colloquy organised and chaired by the Secretary General of the Council of Europe, Strasbourg, Palais de l’Europe, 19–20 June 1992, (Straßburg, 1992), insbes. S. 198. Nach Schlies Angaben in der Druckfassung förderte Stürmer seine Doktorarbeit. In seiner 1994 erschienenen Dissertation wurden als Betreuer Klaus Hildebrand und Alexander Fischer genannt, als Datum des Rigorosums der 21.12.1992 angegeben. Im Anhang gab Schlie an, seit April 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter der SWP zu sein. Den anderen (ehemaligen) Mitarbeitern dankte er mit Datum Oktober 1993 (Ort: Bonn) für das Verständnis in der Schlussphase der Arbeit. Ulrich Schlie, Kein Friede mit Deutschland. Die geheimen Gespräche im Zweiten Weltkrieg 1939–1941, (München, Berlin: Langen Müller, 1994), insbes. S. 10–11,Vorblatt, angehängter Lebenslauf. 137 Jarausch & Hohls, „Brechungen“, a.a.O., (Anm. 130).

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Kalten Krieges auseinander.138 Der 1940 geborene Senghaas war zu diesem Zeitpunkt Professor für Internationale Politik an der Universität Bremen und hatte bereits eine „Forschungsprofessur“ an der SWP innegehabt, der er damit auch als sogenannter „externer“ Autor eng verbunden war.139 Ein weiterer Mitarbeiter, der zu dem Themenkomplex der Beziehungen Europas zum Maghreb vor allem im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) Stellung bezog, war Volker Perthes. Er promovierte 1990 an der Universität Duisburg, wo er 1999 auch habilitiert wurde, und kam Anfang der 1990er Jahre zur Stiftung.140 Drei Jahre lang war er Leiter eines Drittmittelprojektes zum Elitenwandel in den arabischen Ländern, in dessen Verlauf diverse Stipendiaten aus der arabischen Welt für zwei oder drei Jahre zu „SWPlern“ wurden.141 Zuvor waren die Maghrebstaaten nicht spezifisch abgedeckt, abgesehen von Perthes’ Arbeit (erschienen 1998), die im Verbund der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) entstand; im Kontext des Projektes wurde dann auch eine auf diesen Bereich spezialisierte Stelle geschaffen.142 Der Politikwissenschaftler Christian Deubner näherte sich dem Thema aus deutsch-französischer Perspektive. Er promovierte 1975 an der Freien Universität Berlin und war bereits 1982 Mitherausgeber einer Schrift in der SWP-Reihe Internationale Politik und Sicherheit.143 Er gründete eine deutsch-französische „Reflexionsgruppe“ und

138 Zur Konzeption der „Weltinnenpolitik“ siehe Ursula Lehmkuhl, Theorien internationaler Politik. Einführung und Texte (Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft), 3., erg. Aufl., (München: Oldenbourg, 2001), insbes. S. 335–340. Dieter Senghaas war Ende der 1960er Jahre mit Ossip K. Flechtheim und Robert Jungk einer jener „kritischen“ Zukunftsforscher mit dem Schwerpunkt auf Zukunftsentwürfe, die eher den Wandel von Werten in den Blick nahmen. Diese Futurologen waren an einem „sozialistischen Humanismus“ orientiert. Für diese Ideen war ein Kritikpunkt die mangelnde prognostische Offenheit gegenüber anderen politischen Herrschaftsstrukturen der Zukunft. Schmidt-Gernig, „Zukunftsforschung“, a.a.O., (Anm. 8), S. 412–413. 139 Lehmkuhl, Theorien, a.a.O., (Anm. 138), S. 358. 1986–1987 und 1992–1994 war Senghaas Forschungsprofessor an der SWP. 140 Akademische Angaben nach Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender, 22. Ausg., (München: Saur, 2009). Seine erste Studie für die SWP stellte Perthes im April 1993 fertig (SWP S 385), sie erschien 1994 in der SWP-Reihe Aktuelle Materialien zur internationalen Politik. Volker Perthes, Der Libanon nach dem Bürgerkrieg. Von Ta’if zum gesellschaftlichen Konsens? (Aktuelle Materialien zur internationalen Politik, 34), (Baden-Baden: Nomos, 1994). 141 Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 192, Anm. 81, 210. Das Projekt nahm Umbrüche in der arabischen Welt gegen Ende des Untersuchungszeitraums zum Anlass, wie den Tod des marokkanischen Königs, Hassan II., im Juli 1999, wurde allerdings mit Anfangsdatum Januar 2001 geplant, SWP, „SWP-Projekt: Elite Change in the Arab World“, in: SWP-brief (2000), 31, September 2000, S. 7. 142 Gespräch mit Jürgen Rogalski, Gerhard Weiher, Büro SWP, (4.8.2011). Jürgen Rogalski betonte allerdings, dass auch in anderen Fällen, in denen keine speziellen Länderforscher vorhanden waren, der Fachinformationsbereich auf seine Weise immer „Lücken schloss“. 143 Christian Deubner (Hrsg.), Spanien und Portugal. Der unsichere „Europäische Konsens“: der Beitritt zur EG als soziales und innenpolitisches Problem (Internationale Politik und

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stand in engem Kontakt mit Wissenschaftlern, Experten und hohen Beamten in Paris.144 Vor allem unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten beschäftigte sich Reinhardt Rummel, Mitarbeiter der Gruppe Internationale Beziehungen/Westeuropa,145 mit dem Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb. In Zusammenarbeit mit italienischen Forschern führte er „unter Einbeziehung junger osteuropäischer Wissenschaftler“ eine Studie zu sicherheitspolitischen Herausforderungen in Europa durch, die 1996 abgeschlossen wurde.146 Von 1997 bis Ende 2001 war Rummel Leiter des EU-geförderten Projekts „Conflict Prevention Network“, dessen Ziel es war, ein weltweites Expertennetzwerk zu schaffen. Unter seiner Leitung arbeiteten in dieser Zeit über 50 meist jüngere Mitarbeiter an Aufgaben wie beispielsweise der Aufbereitung und Analyse von Konfliktinformationen, dem Aufbau und der Pflege von Netzwerken, aber auch der Wissensvermittlung in EU-Institutionen.147 Das Conflict Prevention Network hatte auf EU-Ebene einen ähnlichen Auftrag wie die nationalstaatliche SWP. Im Kern kümmerte es sich um die Beratung der Brüsseler Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat, wobei vor allem Expertisen koordiniert wurden. Ein Beispiel dafür, dass die Repräsentationen von EU-Aktivitäten und der Maghrebregion eng zusammenhingen, stellt in diesem Zusammenhang die Maghreb In-depth Study dar, die das Conflict Prevention Network 1997 initiierte. Zu Themen wie dem algerischen Bürgerkrieg, der zunehmenden Unterdrückung in Tunesien und dem ungelösten Konflikt in der Westsahara erstellte das Netzwerk eine 160-seitige Expertise. Sie enthielt Beiträge von Expertinnen und Experten verschiedener Beratungsinstitute und Universitäten in Europa.148 In anderen Fällen, etwa wenn Volker Perthes als Nahostexperte für das Netzwerk arbeitete, war die SWP gleichzeitig Koordinations- und Produktionsstätte für inhaltliche Arbeit.149 Ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligten sich nicht nur über das Conflict Prevention Network, sondern auch als sogenannte „externe Autoren“ an der Diskussion um Europa und den Maghreb. So wurde die Wirt-

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Sicherheit, 12), (Baden-Baden: Nomos, 1982); Christian Deubner, Die Atompolitik der westdeutschen Industrie und die Gründung von Euratom. Diss., Freie Univ., Berlin, 1975, (Campus: Forschung), (Frankfurt a. M., New York: Campus, 1977). SWP, „Weitere Veranstaltungen der SWP in Auswahl“, in: SWP-brief (1995), 1, Mai 1995, S. 8–9. Fondation Méditerranéenne d’Etudes Stratégiques (Hrsg.), Méditerranée. Le pacte à construire (Collection STRADEMED, 3), (Paris: Publisud, 1997), insbes. S. 269. In dem Buch wurde er als Mitarbeiter in der Gruppe „relations internationales, Europe Occidentale“ vorgestellt. Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 210. Ebd., S. 211. Reinhardt Rummel & Jörg Wiedemann, „Introduction“, in: Maghreb, In-depth-Study 1997, (o. O., 1997), S. 9–10. Gespräch mit Axel Huckstorf, Büro SWP, (15.8.2011).

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schaftsspezialistin Andrea Éltetö und ihre Analyse vom SWP-Mitarbeiter Jürgen Nötzold in der Vorbemerkung ihres Arbeitspapiers als wichtig, weil untersucht werde, wie es sich „die zur Gleichrangigkeit mit der Osterweiterung erhobene Mittelmeerpolitik“ auswirke.150 Aber auch arrivierte Wissenschaftler beziehungsweise Experten kamen in Gastbeiträgen zu Wort. Ein bedeutsamer Beitrag zum Thema der europäischmaghrebinischen Beziehungen aus deutscher beziehungsweise französischer Perspektive war der Aufsatz „Pflegebedürftige Nachbarschaft: Islam und westliche Politik“. Einer der beiden Autoren, Rémy Leveau – ein ausgewiesener Experte, auf den sich beide französischen Vergleichsinstitute (CERI und IFRI) beriefen – stellte im Rahmen der Islamwissenschaften mit seiner Tätigkeit am Centre Marc Bloch wichtige Kontakte zur französischen Beratungslandschaft her.151 Der Direktor Etienne François begründete in einer Ringvorlesung Mitte der 1990er Jahre die Entscheidung, im deutsch-französischen sozialwissenschaftlichen Institut in Berlin ein besonderes Augenmerk auf den „modernen Islam“ zu legen: Zuerst, weil wir denken, daß es an der Zeit wäre, die französische Tradition mit der deutschen Tradition der Islamwissenschaft, die auch besonders in Berlin lange Zeit gut vertreten war, wegen der produktiven Unterschiede zwischen den beiden miteinander zu verbinden. [...] Der zweite Grund ist, daß die Probleme des modernen Islam zunehmend innereuropäische Probleme sind, die sich anders, aber auch vergleichbar in Frankreich und Deutschland darstellen. […] Schließlich sind wir der festen Überzeugung, daß im wissenschaftlichen wie im politischen Bereich die Frage der Gestaltung der Beziehungen zwischen Kerneuropa und der islamisch-arabischen Welt genauso wichtig ist wie die Frage der Neubestimmung der Beziehungen zwischen Westeuropa und dem Teil Europas, den man früher Osteuropa nannte, aber heute auf keinen Fall Osteuropa nennen sollte.152

Für diese islamwissenschaftliche Spezialisierung war Rémy Leveau in den 1990er Jahren einer der wichtigen Forscher am Centre Marc Bloch, allerdings vor der Einrichtung eines Büros der SWP in Berlin.

150 Jürgen Nötzold, „Vorbemerkung/Executive Summary“, in: The European Union, Eastern Enlargement and Mediterranean Cooperation: A Comparative Analysis. Die VisegrádStaaten auf dem Weg in die Europäische Union, No. 5, hrsg. von SWP (SWP-AP), (Ebenhausen, 1996), S. 7–10, insbes. S. 8. 151 Rémy Leveau & Graham E. Fuller, Pflegebedürftige Nachbarschaft: Islam und westliche Politik (SWP-AP, 3050), (Ebenhausen, 1997). Leveau war bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraums als assoziierter Forscher mit dem CERI verbunden, gegen Ende der 1990er Jahre arbeitete er auch mit dem IFRI zusammen. Vgl. die jeweiligen Kapitel zu den französischen Fallbeispielen. 152 Etienne François, „Das Centre Marc Bloch: Ein Knotenpunkt wissenschaftlicher Forschung und Kommunikation zwischen Frankreich und Deutschland“, in: Frankreich an der Freien Universität: Geschichte und Aktualität. Beiträge zur Ringvorlesung „Frankreich an der Freien Universität, Geschichte und Aktualität“, Wintersemester 1995/96, hrsg. von Winfried Engler (Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, N.F. 23), (Stuttgart: Steiner, 1997), S. 57–68.

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Hans-Dieter Lemke, Oberst a. D., beschäftigte sich Ende der 1990er Jahre vor allem aus militärstrategischer und sicherheitspolitischer Perspektive mit den Veränderungen im Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb, die sich aus dem Ende des Kalten Krieges und der Neuausrichtung der europäischen Armeen ergeben hatten.153 Auch Lemke war bereits Mitte der 1990er Jahre Mitherausgeber eines Bandes der SWP-Reihe Internationale Politik und Sicherheit.154 Die vorliegende Untersuchung geht davon aus, dass neben den Entwicklungen im Bereich der Leitung und des Personals der SWP weitere Faktoren zu einem Wandel des Instituts beitrugen. Dazu zählen das Heranrücken der SWP an die Entscheidungsträger und der Umgang mit den Medien. Dies lässt sich in größere Prozesse des Imagewandels beziehungsweise des Imageproblems Deutschlands einordnen. So wurde mit der Wiedervereinigung eine Ansicht wieder aktuell, die den gesamtdeutschen Staat zu stark für das „kleine Europa“ hielt.155 Für die SWP bedeuteten solche Vorbehalte vermehrte öffentliche Stellungnahmen im Vergleich zur klareren Position der Bundesrepublik im Kalten Krieg. Der Ausbau der medialen Kommunikation bildet einen Teil der jüngsten medialen Geschichte. Anders als über die Öffentlichkeitsarbeit der ersten Bundeskanzler liegen über die von Helmut Kohl und Gerhard Schröder bisher nur wenige Untersuchungen vor.156 Das Gleiche gilt für die Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen oder staatsnaher Institutionen, etwa den Parteien.157 Die der SWP wurde im Laufe der 1990er Jahre professionalisiert: Seit Mai 1995 gab es den sogenannten SWP-brief. Das erklärte Ziel dieses Rundbriefes war es, „im Sinne einer verbesserten Kommunikation und Kontaktpflege an Mitglieder der Bundesregierung und ihrer Ressorts, Abgeordnete des Bundestags sowie Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Medien, die ein besonderes Interesse an den wissenschaftlichen und dokumentarischen Arbeitsgebieten der SWP haben“, heranzutreten und diesem Personenkreis ein Panorama der eigenen Aktivitäten zu bieten.158 Im Untersuchungszeitraum verfügte die SWP über ein Büro in Bonn, das zum Beispiel von der SWP herausgegebene Analysen für die Zielgruppe des SWP-briefs zur Verfügung stellte.159 Für die Akquise von Kontakten war das Bonner Büro 153 Er veröffentlichte z. B. im Band von Jacobs (Hrsg.), Hannibal, a.a.O., (Anm. 84). 154 Wolfgang Heydrich, Hans-Dieter Lemke & Joachim Rohde, Die Bundeswehr am Beginn einer neuen Epoche. Anforderungen an die Streitkräfte und ihre rüstungsindustrielle Basis (Internationale Politik und Sicherheit, 40), (Baden-Baden: Nomos, 1996). 155 Michael Kunczik, „Öffentlichkeitsarbeit“, in: Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Jürgen Wilke, (Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 1999), S. 545–569, insbes. S. 563. 156 Ders., „Geschichte der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland. Regierungs-PR von gestern bis heute“, in: Handbuch Regierungs-PR. Öffentlichkeitsarbeit von Bundesregierungen und deren Beratern, hrsg. von Miriam Melanie Köhler & Christian H. Schuster, (Wiesbaden, 2006), S. 35–47, insbes. S. 45. 157 Kunczik, „Öffentlichkeitsarbeit“, a.a.O., (Anm. 155), S. 563. 158 SWP, „Editorial“, in: SWP-brief (1995), 1, Mai 1995, S. 1. 159 SWP, „Ausgewählte externe Veröffentlichung von SWP-Mitarbeitern“, in: SWP-brief (1995), 2, Juli 1995, S. 6. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums verfügte die SWP bereits über ein

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elementar, vor allem für die Kontakte zum Auswärtigen Amt stellte es eine wichtige Schnittstelle dar.160 Auch die Entwicklungen im Bereich der neuen Medien und der Informationstechnik trugen dazu bei, eine Veränderung der Institutsabläufe vorzubereiten, so waren ab 1995 die SWP-Mitarbeiter per E-Mail erreichbar.161 Die enge Verzahnung von SWP und Regierungsbürokratie lässt sich anhand der in den Rundbriefen abgedruckten Personalien nachvollziehen. Beispielsweise teilte man im März 1996 mit, dass ein Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages für etwas über einen Monat im Rahmen „eines Mitarbeiteraustausches“ im Forschungsbereich der SWP arbeite.162 Für den Zeitraum vom 7. November 1996 bis zum 16. Dezember 1996 wurde für den Türkei-Experten Heinz Kramer ein Arbeitsaustausch mit dem Planungsstab des Auswärtigen Amtes vermeldet.163 Neben solchen formalisierten Austauschformen ist bei der Bewertung der veröffentlichten und schriftlichen Quellen zu berücksichtigen, dass große Teile der Beratungsleistung der SWP mündlich gegeben wird.164 Die Diversifikation der SWP, was die Formen von Grauer Literatur und Veröffentlichungen innerhalb der 1990er Jahre anging, fand mit dem Umzug nach Berlin ein Ende. Die bisherige Vielzahl von Studien, Arbeitspapieren, Kurzanalysen und weiteren Textformen waren im neuen Beratungsklima nicht mehr zeitgemäß. Unter dem Direktor Christoph Bertram behielt die Stiftung nur die Studien und die Kurzanalyse SWP-Aktuell bei.165 Als Ausblick auf die Entwicklung nach

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provisorisches Büro in Berlin, zu den inhaltlichen Schwerpunktsetzungen der Berliner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter siehe S. 40, Christoph Bertram, „SWP in Berlin“, in: SWP-brief (1999), 27, September 1999, S. 3. Eine Neubesetzung eines Botschafterpostens bedeutete beispielsweise zumeist Informationsbedarf. Jürgen Rogalski zufolge, einem Fachinformationsreferenten (Naher und Mittlerer Osten, Afrika) der SWP, konnten auf diese Weise entsprechendes Material zur Erstinformation von der SWP bereitgestellt werden. Dies galt dem Fachinformationsreferenten Gerhard Weiher zumindest bis zum Umzug nach Berlin, also im gesamten Untersuchungszeitraum. Danach waren Kontakte in Berlin selbst einfacher zu etablieren. Der Umstand war dem SWP-brief durchaus eine Mitteilung wert. SWP, „Analysen“, in: SWPbrief, 3, September 1995, S. 1–6, insbes. S. 3. Ab September verfügten danach die Mitarbeiter über Adressen des Rechenzentrums der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. SWP, „Personalien“, in: SWP-brief (1996), 6, März 1996, S. 4. SWP, „Personalien“, in: SWP-brief (1996), 10, November 1996, S. 2. Solche Austausche mit Regierungsapparaten waren in der SWP etabliert. Ähnlich verhielt es sich staatlichen oder akademischen Institutionen anderer Staaten. Der genannte Christian Deubner war z. B. in einer staatlichen Planungsstelle in Frankreich angestellt, kehrte allerdings danach nicht zur SWP zurück (zeitlich befristetes Rückkehrrecht). Gespräch mit Huckstorf, a.a.O., (Anm. 149). Vgl. Enskat, „SWP“, a.a.O., (Anm. 117), S. 276. Auch Enskat macht deutlich, dass beide Formen von Beratung eng zusammenhängen. Der Einfachheit halber wird in der vorliegenden Arbeit nicht durchgängig, besonders in den Überschriften, zwischen publizierten und unveröffentlichten Texten sowie solchen, die auf mündliche Austauschformen verweisen, unterschieden. Gespräch mit Albrecht Zunker, Restaurant Kurfürstendamm, (13.10.2011).

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der beobachteten Zeit der 1990er Jahre sei zudem auf die letzte Ausgabe des Rundbriefs aus Ebenhausen verwiesen, die im Dezember auf der ersten Seite einen Hinweis „In eigener Sache“ enthielt: Ab Januar 2001 werde „die Stiftung Wissenschaft und Politik ihren neuen Standort in Berlin haben.“ 166 Bertram konnte mit dem Umzug auch eine größere Interaktion zwischen verschiedenen Institutsbereiche bewerkstelligen; er forcierte die Zusammenarbeit zwischen den diversen subdisziplinären Zugängen, wie beispielsweise dem der Sicherheitspolitik und der Regionalwissenschaften, aber auch zwischen dem Fachinformations- und dem Forschungsbereich. So wurden in Berlin anders als in Ebenhausen die jeweiligen Forschungsgruppen, zum Beispiel zu europäischen Themen, zum Nahen und Mittleren Osten und Afrika und weiteren Themenfeldern jeweils in räumlicher Nähe zu den jeweiligen Referenten im Fachinformationsbereich angesiedelt.167 Als Fazit der institutionellen Entwicklungen der SWP zwischen 1990 und 2000 ergeben sich zwei Trends. Erstens die angesprochene Öffnung des Instituts, die sowohl die Tendenz zur Selbstvermarktung und zur Öffentlichkeitsarbeit betraf als auch die internen Abläufe, was letztlich auch eine Folge der „Expansion“ und einer personellen Erneuerung war.168 Zweitens sollte mit dieser Vergrößerung der SWP letztlich auch eine zusätzliche Fokussierung – zum Beispiel im Bereich Maghreb – einhergehen, die allerdings eher regionalwissenschaftlicher Natur war.169 Um die Basisfunktion der Selbstwahrnehmung zu verdeutlichen, beginnt die Analyse hier und in den anderen Kapiteln jeweils mit der Beschreibung der Vorstellungen vom Eigenen und ihrer Produktion, dann folgen entsprechende Abschnitte zum Anderen und zu den Verflechtungen. DAS EIGENE IN DEN PUBLIKATIONEN DER SWP In den diversen Materialien, die den Maghreb behandelten, war die eigene Rolle oftmals nicht so bewusst herausgestellt. In erster Linie galt die Aufmerksamkeit dem Gegenüber. Dennoch behandelten die Texte auch Eigenrepräsentationen. Ein Bereich von Repräsentationen entwickelte sich aus der Deutung, dass das Ende des Kalten Krieges eine neue Position im Weltgefüge fordere. SWP-Mitglieder 166 SWP, „In eigener Sache“, in: SWP-brief (2000), 32, Dezember 2000, S. 1, insbes. S. 1. Hervorhebung durch den Verfasser. In einer gleichzeitigen Sondernummer wurden auch wehmütige Töne angeschlagen, so schrieb der Europa-Experte Jürgen Nötzold, er sei nach den Regelungen für eine Weiterarbeit in Berlin zu alt. Jürgen Nötzold, „Zwischen Berlin und Ebenhausen“, in: SWP-brief (2000), Sondernummer, Herbst 2000, S. 2–3. 167 Gespräch mit Rogalski, Weiher, a.a.O., (Anm. 142). 168 Wie in einer vorangegangenen Anmerkung erwähnt, vollzogen einige Institutsmitglieder die jeweiligen Umzüge von Ebenhausen, Köln oder München nicht mit. 169 So ein langjähriger Fachinformations-Referent, Gerhard Weiher, zur Zusammenlegung des Forschungsinstituts mit dem Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien und den Gegenwartsabteilungen des Südost-Instituts. Ebd.

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unterstrichen in diesem Zusammenhang auch immer wieder, welche Bedeutung regionale Entwicklungen, wie etwa im Maghreb, hatten. Im Zuge der innereuropäischen Kooperationen diagnostizierten sie eine Schwerpunktverlagerung zumindest der deutschen, wenn nicht der europäischen Außenpolitik, in Richtung Mittelmeer. Dieser Effekt zeigt sich besonders im zweiten diskutierten Komplex von Eigenwahrnehmungen und -entwürfen. Die Rede von einem europäischen Akteur verallgemeinerte sich. Die Mittelmeerpolitik bildet zudem den wichtigsten Kristallisationspunkt innerhalb der SWP. Dies ist nicht allein mit der sicherheitspolitischen Ausrichtung der Stiftung zu erklären; letztlich boten auch Kontexte wie Migration und Destabilisierung Anlässe, entsprechende Expertisen bereitzustellen. Daher beginnt die folgende Analyse der Eigenrepräsentationen mit sicherheitspolitischen Themenkomplexen. Mittelmeerpolitik als Europäisierung der Sicherheitspolitik Wenn in Publikationen, Grauer Literatur und Veranstaltungen der SWP das Eigene im Spiegel der Entwicklung des Maghrebs thematisiert wurde, dann zumeist im Zusammenhang mit der sicherheitspolitischen Ausrichtung der Stiftung. Es ging in den Debattenbeiträgen um europäische Initiativen: Diese konnten, so das Credo, in der Region beispielhaft herausgebildet werden. Anfangs waren durchaus institutionelle Suchbewegungen in den Beiträgen spürbar, während gegen Ende der 1990er Jahre eine Konzentration auf die EU und ihre Initiativen deutlich wurde. Dies bedeutet, dass nach dem Ende des Kalten Krieges durchaus auch neue Rollen für zum Beispiel die NATO, die Westeuropäische Union (WEU) und die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) gesucht wurden. In der SWP verstanden die Mitglieder diese Entwicklungen im Hinblick auf den Mittelmeerraum später eher als ergänzend zur Politik der EU. Besonders wichtig erschienen Anstöße aus Brüssel, eher nationale Beratungsinstitutionen stärker zu vernetzen. Vor dem Hintergrund des Umbruchs in Europa analysierte der Autor eines geostrategischen Aufsatzes, Lothar Rühl, in einer großangelegten Studie 1991 die Rolle von NATO-Staaten und „EG-Partnern“.170 Sein Fazit: im Organisationsgeflecht von Vereinten Nationen, NATO und der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa werde die WEU gestärkt. Es sei im Interesse der EGMitgliedsstaaten, „in Europa Autonomie für Krisenaktionen mit eigenen Sanktionen und militärischen Maßnahmen“ zu erreichen. Am Schluss des Artikels spezifizierte der Autor den „Aktionsradius“ der WEU, die „militärische Optionen“

170 Lothar Rühl, „Die geopolitische Frage Europas und die Grundlage einer europäischen Sicherheitsstruktur“, in: Internationales Umfeld, Sicherheitsinteressen und nationale Planung der Bundesrepublik. Teil C: Unterstützende Einzelanalysen. Sonderforschungsvorhaben „Analysen Sicherheits-/Verteidigungspolitik IV“ (SASVP IV), hrsg. von SWP (SWP-S), (Ebenhausen, 1991), S. (II.A.4) 1–26.

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im Mittelmeerraum wahren müsse.171 Im Gegensatz etwa zur Zentralasienpolitik sah Rühl die Mittelmeerpolitik als zentral für die geostrategische Ausrichtung der europäischen Organisationen EG und WEU an. Äußerungen einiger SWP-Akteure, die ein europäisches Selbstverständnis in der Auseinandersetzung mit dem Maghreb erkennen lassen, finden sich in Konferenz- und Tagungsbänden und begleitenden, unveröffentlichten Berichten und Unterlagen. Außer durch die Stiftung wurden solche Treffen von supranationalen und nationalen Organisationen und Instituten, die sich mit dem Thema Europa in den internationalen Beziehungen beschäftigten, ausgerichtet. In Erwartung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die sich anlässlich einer Konferenz des Europarats Mitte 1992 bereits auf der europäischen Agenda befand, betonte der SWP-Mitarbeiter Ulrich Schlie die Akteursrolle Europas. Europa brauche eine Strategie für den Mittelmeerraum: „It is up to Europe to defuse the Maghreb time-bomb.“172 Eine Veröffentlichung in der Reihe Aktuelle SWP-Dokumentationen betonte die Wichtigkeit einer größeren Übereinstimmung in der europäischen Politik. Im Hinblick auf die Maghrebländer unterstrichen die Bearbeiter 173 Claudia Christoffel-Crispin, Leo Deser und Reinhardt Rummel insbesondere die Bedeutung der Migration, die in den dort zusammengestellten journalistischen und wissenschaftlichen Beiträgen dementsprechend auch den größten Raum einnahm. Wie im Untertitel der Dokumentation („Migration – Integration – Sicherheit“) angekündigt, wurde das Thema auch von einem internen Integrationsstandpunkt aus behandelt. Eine Empfehlung lautete, eine „Harmonisierung beziehungsweise ‚Europäisierung‘ der nationalen Einwanderungsregime“ voranzubringen.174 Im Juni 1994 stellte der Frankreichspezialist der SWP, Christian Deubner, ein Arbeitspapier fertig, das wie alle Dokumente dieser Art mit einem Sperrvermerk gekennzeichnet war. Eine Fußnote verwies allerdings auf eine leicht gekürzte, in der Zeitschrift Internationale Politik und Gesellschaft veröffentlichte Fassung.175 Neben Textpassagen, die durchaus eher nationale Wahrnehmungsmuster in den Vordergrund stellten, zielte der Text auch auf ein verstärktes europäisches Bewusstsein ab. Der Beitrag zog die Schlussfolgerung, dass die Bildung einer

171 Ebd., S. 27. 172 Ulrich Schlie, „The Mediterranean Challenge. Europe and North Africa“, in: 1992 : Europe and North America. The dialogue of the new solidarities. Contributions; Colloquy organised and chaired by the Secretary General of the Council of Europe, Strasbourg, Palais de l’Europe, 19–20 June 1992, hrsg. von Europarat, (Straßburg, 1992), S. 15–19, insbes. S. 19. 173 Bearbeiter hieß bei dieser Textform, dass sowohl Artikel zum Thema zusammengestellt als auch jeweils einleitende analytische Abschnitte angefertigt wurden. 174 Claudia Christoffel-Crispin, Leo Deser & Reinhardt Rummel, Herausforderung für die Europäische Union. Migration – Integration – Sicherheit (Aktuelle SWP-Dokumentation, 11), (Ebenhausen, 1994), insbes. S. 647. 175 Christian Deubner, Deutschland, Frankreich und das Europa der neunziger Jahre im Konflikt von Interessen und Wahrnehmungen (SWP-AP, 2847), (Ebenhausen, 1994), insbes. S. 5 (Anm. 1).

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Struktur der Außen- und Sicherheitspolitik um die EU herum als eine Ausgangsbasis „europäischer Unions-Bildung in den 90er Jahren“ erforderlich sei. Deubner betonte, dass eine solche Politik im Osten notwendig sei, deutete aber auch die Möglichkeit einer parallelen Entwicklung im Süden, „entlang des Mittelmeers“, an.176 Im Analyseteil wurde diese Parallele vor allem in der Gegenüberstellung nationalstaatlicher Entwicklungen in der Migrationspolitik deutlich. Die Fluchtbewegungen in der Folge des Jugoslawien- und Algerienkonflikts zeigten, so Deubner, die Notwendigkeit einer Abstimmung innerhalb der EU.177 Die Argumentation ähnelt der in der zuvor erschienenen Dokumentation, ein direkter Hinweis unterblieb jedoch. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass der SWPForscher die Dokumentationstexte kannte, denn die Anmerkungspraxis in den Arbeitspapieren der SWP war nicht einheitlich; im genannten Papier gab es kaum Anmerkungen. Drei Szenarien für die zukünftige Entwicklung der EU wurden skizziert,178 nämlich erstens die bilaterale Einwirkung auf den Integrationsprozess, zweitens die verstärkte bilaterale Kooperation als Ausgleich für eine Weiterentwicklung der EU, und drittens „die Erweiterung des deutsch-französischen Tandems zu einer Kerngruppe der EU“.179 Letztlich plädierte der Autor für das dritte Szenario, um übereinstimmende Interessen zu betonen und „politische Versuche zur Änderung der Deutungsmuster“ 180 zu befördern. Dass bei der SWP die europäische Politik gegenüber Maghreb und Mittelmeerraum, die deutsch-französischen Beziehungen und die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik der EU (GASP) zusammengedacht wurden, zeigte sich auch in der Selbstdarstellung der Stiftung. So verwies der dritte SWP-brief vom September 1995 – kurz vor der Konferenz von Barcelona im November 1995 – auf Materialsammlungen zu eben diesen Themen.181 Kurz nach der Erstellung dieser Materialsammlungen und der entsprechenden Auflistung im Rundbrief der SWP präsentierten wiederum Claudia Christoffel-Crispin, Leo Deser und Reinhardt Rummel in der Reihe Aktuelle SWP-Dokumentation eine umfangreiche Materialsammlung zum Mittelmeerraum, wobei sie andeuteten, dass die Reaktion Frankreichs und der EU, der WEU und der NATO in einem „Krisenfall“ in

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Ebd., S. 8. Ebd., S. 24–25. Ebd., S. 25–30. Ebd., S. 29. Ebd. SWP, „Materialsammlungen“, in: SWP-brief (1995), 3, September 1995, S. 6–7. Die Zusammenstellungen zu den Themenbereichen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sowie GASP wurden dabei von ein und derselben Bearbeiterin erstellt, was auf eine inhaltliche Verknüpfung beider Felder innerhalb der SWP spricht, die bereits in der Arbeit von Christian Deubner deutlich geworden war. Für die Mittelmeerpolitik der EU war mit Leo Deser ein anderer Bearbeiter zuständig, der wiederum bereits an der Dokumentation zur Migration aus dem Jahre 1994 mitgearbeitet hatte. Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Herausforderung, a.a.O., (Anm. 174).

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Algerien einen humanitären Einsatz beinhalten könnte.182 Der Maghrebstaat Algerien rückte so mehr und mehr in den Fokus eines möglichen gemeinsamen Vorgehens im Sicherheitsbereich. Es ist offensichtlich, dass derartige Texte und Kommentare nur für einen begrenzten Leserkreis bestimmt waren. Explizit machte dies SWP-brief Nr. 6 deutlich, in dem unter einem Verweis auf die Dokumentation zum Mittelmeerraum gesondert auf den Adressatenkreis – in erster Linie Deutscher Bundestag und Bundesministerien – hingewiesen wurde. Die mit dem Erscheinungsjahr 1995 versehene Zusammenstellung zur Migration im Mittelmeerraum und deren Bedeutung für die EU dürfte mit 500 Seiten in zwei Bänden im internen Druck einige Zeit in Anspruch genommen haben, denn der Rundbrief datierte vom März 1996.183 Nach einer längeren Phase, in der dieses Thema von den SWP-Forschern eher vernachlässigt worden war, tauchen gegen Ende des Untersuchungszeitraums wieder Äußerungen auf, die eine Verständigung über eine gemeinsame Politik anmahnten. Im ersten Arbeitspapier der Euro-Mediterreanean Study Commission (EuroMeSCo), das im Februar 1998 erschien, vertrat der Nahostexperte der SWP, Volker Perthes, schon im Titel die These, Deutschland werde Stück für Stück „a mediterranean State“. Er prognostizierte, dass sich nationale Alleingänge wie die deutsche Enthaltung bei zwei israelkritischen UN-Resolutionen 1997 im Interesse eines Erfolgs der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) nicht wiederholen würden. Laut Perthes werde der Nahost-Friedensprozess besonders in der ersten Hälfte des Jahres 1999 (in diesem Halbjahr übernahm die Bundesrepublik die EURatspräsidentschaft) zentral für die euro-mediterrane „Agenda“ sein.184 Die Mittelmeerpolitik als ein Paradebeispiel der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU war in seinen Augen mit dem Friedensprozess zwischen Israelis und Arabern eng verflochten, weshalb dieses Argument auch im Abschnitt Verflechtungen ausführlich diskutiert werden wird. Eine Besonderheit in den Arbeitspapieren der SWP bildet das erstmals im Oktober 1998 erstellte Sonderarbeitspapier „Was nicht warten kann. Empfehlungen an die neue Bundesregierung“. Obwohl es nicht nummeriert und mit dem Hinweis „nur zur persönlichen Information“ gekennzeichnet war, soll es hier auf-

182 Dies., „Migration im Mittelmeerraum“. Sicherheitsherausforderung für die EU?, Band 2 (Aktuelle SWP-Dokumentation, 16), (Ebenhausen, 1995), insbes. S. 20. 183 SWP, „Aktuelle SWP-Dokumentation“, in: SWP-brief (1996), 6, März 1996, S. 6. Allerdings konnte der SWP-brief Nr. 5 nicht eingesehen werden, so dass möglicherweise dieser bereits auf die Dokumentation verwies. Dagegen spricht, dass doppelte Erwähnungen von Publikationen nicht die Regel waren. 184 Volker Perthes, Germany Gradually Becoming a Mediterranean State (EuroMeSCo Papers, 1), (Lissabon, 1998), insbes. S. 8. Dieses Beispiel verwendete Perthes ebenfalls in einem Beitrag zu einer Tagung im Juni 1998. Ders., „Ist der Barcelona-Prozeß der Nukleus für gemeinsame Sicherheit?“, in: Sicherheit und Zusammenarbeit zwischen Europa und den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Internationale Konferenz, 19. Juni 1998, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, hrsg. von Paul Pasch, (Bonn, 1999), S. 12–21, insbes. S. 18.

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geführt werden, da zwei von sieben Abschnitten die Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb betrafen. Für den Abschnitt zu deutsch-französischer Koordination zeichnete der neue Direktor, Christoph Bertram, persönlich verantwortlich. Er empfahl die Einrichtung einer deutsch-französischen Koordinationszelle als Signal für das künftige europäische Engagement der Regierung. Die EU beschrieb er als wichtigsten Rahmen für die deutsche Wirtschafts- und Außenpolitik. Die Bundesregierung brauche einen „verläßlichen Bundesgenossen“ unter den größeren Mitgliedsstaaten. Konkrete Ziele der Koordinierung nannte Bertram nicht; Negativbeispiele wie die Einführung der Berufsarmee in Frankreich 1996 oder der Streit um den Vorsitz der Europäischen Zentralbank (EZB) kurz zuvor lassen jedoch darauf schließen, dass sowohl EUinterne als auch teilweise EU-externe Felder wie die Beziehungen mit dem Mittelmeerraum Teil einer Vorabkoordination sein sollten.185 Die Trennungslinie zwischen nach innen beziehungsweise außen gerichteten Entscheidungen zu ziehen fällt nicht leicht; ein sicherheitspolitisches Thema wie die Armeereform wirkte sich auch auf die Außenpolitik aus. Für den Abschnitt zur Nahostpolitik der EU konzentrierte sich Volker Perthes auf die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP). Er verwies darauf, dass die Palästinenser am 4. Mai 1999 eine einseitige Proklamation eines eigenständigen Staates vornehmen könnten. Dieses Datum war das in den Oslo-Verträgen vereinbarte Ende der Übergangsphase. Vor dem Hintergrund der Erwartungen aller arabischen Staaten entwarf Perthes drei Szenarien: Erstens die Verschiebung einer Staatsproklamation, zweitens der temporäre Verzicht auf die Anerkennung einer solchen Proklamation, drittens die gemeinsame Anerkennung des Staates Palästina durch alle EU-Staaten. Aufgrund der Wünsche anderer EU-Staaten, insbesondere Frankreichs, empfahl der SWP-Forscher Deutschland (als Land, das die EU-Ratspräsidentschaft innehaben würde) für den Fall der Fälle die Anerkennung, nicht zuletzt weil ansonsten schwere Belastungen für die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zu erwarten seien.186 In diesem Beitrag zeigt sich ein spezifisches Europabewusstsein, das der Einigkeit in den schwierigen Fragen des Verhältnisses zwischen dem Westen und der arabischen Welt zentrale Bedeutung beimaß. Ähnlich argumentierte Perthes im genannten Papier des Netzwerks Euro-Mediterreanean Study Commission (EuroMeSCo); zudem finden sich auch in Publikationen der DGAP derartige Vorstellungen.187

185 SWP, Was nicht warten kann. Empfehlungen an die neue Bundesregierung (SWP-AP, o. Nr.), (Ebenhausen, 1998), insbes. S. 11–14. 186 Ebd., S. 19–22. 187 Perthes, Germany, a.a.O., (Anm. 184); Volker Perthes, „Zwischen Eisbox und Neuordnung. Der Nahe Osten nach den Wahlen in Israel“, in: Internationale Politik 51 (1996), 9, S. 40–46; Volker Perthes, „Auf dem Weg zum Frieden? Elemente einer nahöstlichen Sicherheitsarchitektur“, in: Internationale Politik 54 (1999), 7, S. 1–10. Zu Perthes’ Äußerungen in der DGAP-Zeitschrift siehe ausführlich das Kapitel zur DGAP.

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Gegen Ende des Untersuchungszeitraums erschien ein vom damaligen Direktor der SWP gezeichneter Artikel im SWP-brief, der sich um das provisorisch eingerichtete Büro der Stiftung in Berlin drehte, das seit dem 1. September bestand. Dort arbeiteten demzufolge fünf wissenschaftliche Mitarbeiter, darunter der bereits mehrfach erwähnte Spezialist für EU-Mittelmeerpolitik, Volker Perthes, und Thomas Frisch, Experte für Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Für die Leitung der SWP war die europäische Mittelmeer- und Sicherheitspolitik ein zentrales Thema. Mit einer „Reihe von Veranstaltungen“ – genannt wurden ein Fachgespräch zur GASP am 3. September, ein Empfang für ukrainische Militärs am 15. September und ein Treffen mit Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion (Thema war die Stabilisierung des Balkans) am 27. September – sei die SWP trotz des kleinen Stabes in Berlin präsent.188 Auch noch am Ende des Untersuchungszeitraums vertrat Perthes eine positive Meinung zur Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) der EU. In einem Beitrag für eine der Buchreihen der SWP lobte er die Innovation in diesem Bereich. Die Mittelmeerpolitik der EU sei ein Beispiel für eine immer enger koordinierte „europäische Außenpolitik, welche die von der EU-Präsidentschaft umgesetzte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) mit der von der Kommission geführten Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaften“ verknüpfe.189 Der Maghreb bildete als bedeutender, in Migrationsfragen sogar wichtigster Teil des Mittelmeerraums ein beständiges Experimentierfeld für eine europäische Mittelmeerpolitik. Wofür allerdings Europa in dieser Diskussion stand, war anfangs noch unklar. Verschiedene institutionelle Optionen bestimmten die Debatte (NATO, die Westeuropäische Union und die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Zudem argumentierten die Autorinnen und Autoren der SWP nicht allein aus einer sicherheitspolitischen Warte, die klassische, militärstrategische Szenarien betonte, sondern gingen auch darüber hinaus (etwa wenn sie im Zusammenhang mit der Lage in Algerien Problematiken wie Migration oder Menschenrechtsverletzungen thematisierten). Indem sich die Mitglieder der Gemeinschaft mit der Vertragsreform von Maastricht in Richtung eines konstitutionellen Europas bewegten, bildete sich ein europäisches Selbstverständnis, das sich auf ein gemeinsames Vorgehen im Rahmen der EU richtete. Dies galt besonders gegenüber dem Mittelmeerraum und dem Maghreb. Dazu trug die Einrichtung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) entscheidend bei. Mit der Unterstützung eines Verbunds von nationalen Beratungseinrichtungen beförderte

188 Bertram, „SWP“, a.a.O., (Anm. 159). 189 Volker Perthes, „Die Euro-Mediterrane Partnerschaft: Verantwortung für den Süden, Paranoia oder regionales Regieren?“, in: Stabilität und Kooperation: Aufgaben internationaler Ordnungspolitik, hrsg. von Jens van Scherpenberg & Peter Schmidt (Internationale Politik und Sicherheit, 50), (Baden-Baden: Nomos, 2000), S. 342–357, insbes. S. 343.

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die Partnerschaft im Sinne eines Netzwerks oder sogar einer Gemeinschaft von Experten ebenfalls den Fokus der SWP auf die Mittelmeerpolitik der Union. Gesamteuropäische Verantwortung Über die Sicherheitspolitik hinaus diskutierten SWP-Forscher und Gastautoren auch andere Zusammenhänge, in denen das Verhältnis von Europa und Maghreb eine Rolle spielte. Das Ende des Kalten Krieges war zum einen ein Anlass, über die Bedeutung dieses Umbruchs für den bisher vom eisernen Vorhang getrennten Kontinent und sein Umfeld nachzudenken. Zum anderen bestand nun die Möglichkeit, im Bereich der Entwicklung und Entwicklungszusammenarbeit eine eigene Rolle Europas gegenüber dem Maghreb zu definieren. Aus dieser Perspektive sahen sich die idealtypischen Europäer gegenüber den Maghrebinern oft zu mehr Hilfe verpflichtet. Diese Verpflichtung implizierte eine Kritik an der bisherigen eigenen Rolle, die – als solche erkannt – Vorstellungen von Eigenheit und Einheitlichkeit entstehen ließ. Dies war eine Voraussetzung, um sich selbst als agierende Größe zu betrachten und von anderen als solche wahrgenommen zu werden. Anders gesagt entstand wie schon bei der Kritik im sicherheitspolitischen Bereich auf indirektem Wege eine Eigenrepräsentation. Die konstruktiv-kritische Deutung der europäischen Revolutionen und Umbrüche und daraus erwachsende Verantwortung gegenüber Dritten repräsentierte ein europäisches Eigenes. Ein von dem Friedensforscher Dieter Senghaas verfasstes Arbeitspapier zählte im Januar 1991 zu den externen Stellungnahmen. Bereits in der Vorbemerkung schrieb er, dass die bisher auf Westeuropa beschränkten Institutionen wie der Europarat und die EG nun ihre gesamteuropäische Bestimmung verfolgten.190 Auch der Aufbau einer neuen, gesamteuropäischen Friedensordnung wurde thematisiert. Außerdem machte Senghaas darauf aufmerksam, wie notwendig eine europäische und internationale Umweltpolitik sei. Nach der „Revolution in Europa“ gehe es um eine Analyse dieser „welt- und europapolitischen Zäsur“.191 Er betonte die Bedeutung dieses Umbruchs für Gesamteuropa, verwies aber auch auf internationale und globale Zusammenhänge und Folgen, vor allem in der Umweltpolitik. Im Kern blieb sein Blick jedoch auf die eine Schlussfolgerung gerichtet: das Ende des Kalten Krieges sei für Europa bedeutsam. Andere Regionen wie der Maghreb kamen eher am Rande vor, höchstens als ein Gegenüber dieses neu zu gestaltenden Kontinentes. In einer umfassenden Studie (Internationales Umfeld, Sicherheitsinteressen und nationale Planung der Bundesrepublik) Anfang der 1990er Jahre behandelte ein Essay von Ulrich Schlie die Zukunft des konstitutionellen Europas. Er unterstrich, dass Europa immer ein politischer Begriff gewesen sei. Im Hinblick auf die islamischen Länder hob er in diesem Zusammenhang nicht auf den Maghreb oder 190 Senghaas, Europa, a.a.O., (Anm. 88), S. 5. 191 Ebd., S. 6.

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das Mittelmeer, sondern die „Brückenfunktion der Türkei zur islamischen Welt“ ab.192 Der gesamteuropäische Umbruch umfasste bei Schlie nicht den Maghreb, auch die Stellung der Türkei blieb vage. In einem Schlussabsatz plädierte er für einen geschlosseneren Europabegriff nach dem Umbruch: Europa steht heute an der Schwelle zum Bundesstaat. Der Weg dorthin kann nicht per Dekret und par force beschritten werden. Europas Bürger dürfen nicht überfordert werden. Europa muß langsam zusammenwachsen oder es wird eines Tages auseinanderbrechen. Eine Union indes, die auf der Stufe einer unverbindlichen Wirtschaftsgemeinschaft stehenbleibt, wird nicht mehr sein als Stückwerk. Schumans Vision einer […] Föderation kann nur dann Wirklichkeit werden, wenn Europa sich auf das Verbindende seiner Wertegemeinschaft besinnt. Es ist an der Zeit, die Debatte über die europäische Identität wiederaufzunehmen. 193

Kurz vor dem Maastricht-Gipfel im Dezember 1991 benannte Schlie mit der Unionsbürgerschaft bereits ein wichtiges Problemfeld, das bis heute aktuell ist.194 Vor dem Hintergrund einer zwar umstrittenen, aber doch erwünschten europäischen Identität machte er dabei deutlich, dass es ihm um einen Weg ging, den Europa weitestgehend unabhängig von seinem internationalen Umfeld beschreiten solle. Erst nach Inkrafttreten des Maastricht-Vertrags 1993 begann die SWP damit, die „Herausforderungen für die Europäische Union“ zusammenzustellen. Die Aktuelle SWP-Dokumentation war mit den drei Schlagworten „Migration – Integration – Sicherheit“ überschrieben, sie umfasste wissenschaftliche Texte und Pressematerialien. In einleitenden Texten thematisierten die Bearbeiter in vorsichtigen Worten die Verantwortung der EU.195 Sie verwiesen auf die Auswirkungen, die die Migrationskonflikte auf das Bild der sogenannten „Drittstaaten“ von der EU hätten: „Die Wahrung der Menschenrechte als eines der von der EU geforderten Prinzipien“ werde „von ihr selbst verletzt“.196 Ein Beispiel waren die Forderungen „maghrebinischer Staaten, ihre innerhalb der EU lebenden Bürger nicht zu benachteiligen“. Der Maghreb sei besonders von der gemeinschaftlichen Migrationspolitik betroffen.197 In zeitlicher Nähe zur Konferenz von Barcelona im November 1995 wurden die EU und ihre Verantwortung in Entwicklungsfragen wiederum in einer Dokumentation thematisiert, die nunmehr ausschließlich auf den Mittelmeerraum und das Thema Migration ausgerichtet war. Dies kam schon in der semantischen Verschiebung zum Ausdruck, wenn zum Beispiel im Unterabschnitt zu der Beseitigung von Migrationsursachen nicht mehr von „Drittstaaten“, sondern von 192 Ulrich Schlie, „Das Europa, das wir meinen“, in: Internationales Umfeld, Sicherheitsinteressen und nationale Planung der Bundesrepublik. Teil C: Unterstützende Einzelanalysen. Sonderforschungsvorhaben „Analysen Sicherheits-/Verteidigungspolitik IV“ (SASVP IV), hrsg. von SWP (SWP-S), (Ebenhausen, 1991), S. 1–10, insbes. S. 7–8. Hervorhebung im Original. 193 Ebd., S. 10. 194 Nielsen-Sikora, Europa, a.a.O., (Anm. 31), S. 278–293. 195 Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Herausforderung, a.a.O., (Anm. 174). 196 Ebd., S. 556–557. 197 Ebd., S. 556.

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„Nicht-EU-Mittelmeerstaaten (NEUM)“ die Rede war.198 Im Hinblick auf die hier vorgeschlagenen Lösungsansätze lässt sich feststellen, dass die Wirtschaftspolitik einen bedeutenden Raum einnahm. Daneben wurde noch auf die Entwicklungspolitik und die politische Zusammenarbeit in der EU verwiesen. In Sachen Entwicklungspolitik fiel das Fazit eher skeptisch aus. Kurzfristig seien die Wirkungsmöglichkeiten insbesondere im Hinblick auf Migration nur gering.199 Vor dem Hintergrund der Barcelona-Konferenz („the spirit of Barcelona“) forderte der Direktor der SWP, Michael Stürmer, im Centre d’études de défense des Institut royal supérieur de défense in Brüssel eine vorausschauende europäische Politik. Als Beispiele für Länder, die eine positive Entwicklung genommen hätten, nannte er Marokko und Tunesien. Dem Gefährdungspotential Algeriens müsse auch aus deutscher Sicht vorbeugend begegnet werden. Das deutsche Engagement in Richtung Süden sei zudem wichtig für eine innereuropäische Balance.200 Hier wird deutlich, dass es innerhalb der SWP zur Frage der europäischen Hilfe bei der Entwicklung der Maghrebregion und des Mittelmeerraums mehrere Positionen gab; trotz der Unterschiede im Detail forderten sie alle eine gemeinschaftliche Rolle Europas im Verhältnis zum Maghreb. In einem 1997 in Paris erschienenen Tagungsband trat der SWP-Forscher Reinhardt Rummel der Vorstellung entgegen, dass der Umbruch in Europa den Maghreb nicht mit einschließe. Der Fall der Mauer habe die vorher bestehende Hoffnung einer Vereinigung beider deutscher Staaten in „well-planned stages“ obsolet gemacht.201 Nach dieser Erschütterung der westlichen Sicherheitsarchitektur sei das Anliegen der außenpolitischen Agenda in erster Linie die Einbindung Deutschlands in die NATO und die EG gewesen, die für Stabilität in Osteuropa sorgen sollte.202 Rummel verwies beispielhaft auf die Konflikte auf dem Balkan und vertrat die Ansicht, dass auch Südosteuropa in der deutschen Außenpolitik eine große Bedeutung habe.203 Seiner Ansicht nach habe der Mittelmeerraum zwar nicht unmittelbar nach dem Umbruch, aber mit dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens eine hohe Priorität in der deutschen Außenpolitik be-

198 Dies., „Migration im Mittelmeerraum“. Sicherheitsherausforderung für die EU?, Band 1 (Aktuelle SWP-Dokumentation, 16), (Ebenhausen, 1995), insbes. S. 269–276. Noch in der Dokumentation von 1994 wurde der Begriff „Drittstaat“ gebraucht, da es dort gleichermaßen um Migration aus östlichen und südlichen Ländern ging. Vgl. z. B. Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Herausforderung, a.a.O., (Anm. 174), S. 260. 199 Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Migration Bd. 1, a.a.O., (Anm. 198), S. 273. 200 Michael Stürmer, „Security in the Mediterranean Region : Evolution in North-Africa and Impact on the whole Region“, in: Proceedings. Vers un partenariat euro-méditerranéen : Les paris et les promesses. Colloque 21 fevrier 1996, (Brüssel, 1996), S. 55–59, insbes. S. 56. 201 Reinhardt Rummel, „Evolving the Mediterranean Cooperation Area (MCA)“, in: Méditerranée. Le pacte à construire, hrsg. von Fondation Méditerranéenne d’Etudes Stratégiques (Collection STRADEMED, 3), (Paris: Publisud, 1997), S. 147–156, insbes. S. 147. 202 Ebd., S. 148. 203 Ebd., S. 149.

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kommen.204 Diese von der großen Mehrheit der Unionsstaaten geteilte Vorstellung einer gemeinsamen Außengrenze kann – neben dem Maastricht-Vertrag – als ein Integrationsschritt und Teil der institutionellen (Weiter-)Entwicklung der Gemeinschaft begriffen werden, an dem sich ein Bewusstseinssprung hin zu einer deutlicheren Abtrennung des europäischen Eigenen vom nicht-europäischen Anderen festmachen lässt. Die Arbeitspapiere der SWP waren ein wichtiges Mittel in der Repräsentation der transnationalen Kontakte der Stiftung, unter anderem auch zu Rémy Leveau, einem wichtigen Vordenker in Bezug auf die internationaler Beziehungen mit der arabischen Welt. In seinem Papier beschäftigte er sich mit „europäischer Politik“ gegenüber den verschiedenen Ausprägungen des Islamismus.205 Die „westlichen Regierungen“ sollten, so Leveau, dazu beitragen, regionale Subsysteme, zum Beispiel im Maghreb, zu unterstützen, um Entwicklungen „gegen Europa“ zu konterkarieren.206 Neben dem Hin- und Herwechseln zwischen westlichen und europäischen Adressaten findet sich in diesem Entwurf eine systemische Herangehensweise. Die von Leveau nicht spezifizierten Systeme zwischen den Staaten wiesen gleichwohl auf einen weiteren Denkansatz: Ein europäisches Selbstverständnis, in welchem die EU (als regionales Subsystem Europas) eine Modellfunktion hatte. Die EU konnte darüber hinaus ein Vorbild sein, wenn ihr besondere Fähigkeiten in der Entwicklungsarbeit aufgrund ihres eigenen komplizierten Aufbaus zugesprochen wurden. Ausgehend von dieser Vorbildfunktion vertritt die vorliegende Arbeit die These, dass es die Berater damit nicht bewenden ließen. Vielmehr erwuchs in ihren Augen der EU daraus die Verantwortung, mit diesem Pfund zu wuchern. Aus Sicht des langjährigen Nahostexperten der SWP, Volker Perthes, musste in dieser Frage ein deutlicher Unterschied zu den USA gemacht werden. In einem Tagungsband der Friedrich-Ebert-Stiftung kam er unter anderem auch auf die Bedeutung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) zu sprechen: Die europäische Politik habe im Nahen Osten und im Mittelmeerraum Optionen, über die die US-amerikanische Politik nicht verfüge. Die Europäer, die er als einen internationalen Akteur verstand, seien als einzige in der Lage, ein komplexes Projekt wie den Barcelona-Prozess auf mehreren Ebenen voranzutreiben.207 Den Friedensprozess im Nahen Osten und den Barcelona-Prozess sah er als Teil einer Verflechtungstendenz an und sprach sich deshalb dafür aus, dass die EU im Nahen Osten mehr politische Verantwortung übernehmen solle.208 Seine Einschätzung des Verhältnisses zwischen Europa und Maghreb war durchaus unsentimental. Die Verantwortung in Fragen der Entwicklung verband sich

204 205 206 207 208

Ebd., S. 150. Leveau & Fuller, Nachbarschaft, a.a.O., (Anm. 151), S. 9–31. Ebd., S. 30. Perthes, „Barcelona-Prozeß“, a.a.O., (Anm. 184), S. 13. Ebd., S. 18. Zu den Verflechtungstendenzen siehe den entsprechenden Abschnitt im vorliegenden Kapitel.

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für ihn insbesondere mit sicherheitspolitischen Zielsetzungen wie der Stabilisierung der Region. In einem anderen für einen SWP-Sammelband verfassten Beitrag, der 2000 (also gegen Ende des hier betrachteten Untersuchungszeitraums) veröffentlicht wurde, wies er mit den Begriffen „Verantwortung“ oder „Paranoia“ auf die beiden Pole hin, welche die Selbst-Vergewisserung durch die Vorstellung einer Fortentwicklung des Anderen haben konnte.209 Perthes betonte, dass zwar Ziele wie die Verminderung der Einkommensgefälle zwischen den Anrainerstaaten des Mittelmeers, die Erhöhung der Lebensstandards in den NichtEU-Partnerstaaten und die (Entwicklungs-)Hilfe bei Globalisierungsanpassungen von EU-Offiziellen durchaus genannt würden, realiter aber für die Mittelmeerpolitik nur „Mittel zum Zweck“ (der politischen Stabilisierung) seien.210 In den Analysen aus dem Forschungs- und Dokumentationsbereich der SWP blieb die Vorstellung vom Eigenen und dessen Reproduktion in der Auseinandersetzung mit dem Maghreb in den 1990er Jahren eng mit sicherheitspolitischen Themen verknüpft. Das überraschende Ende des Kalten Krieges mit seinen ausbalancierten Kräfteverhältnissen sowie die Verarbeitung dieses Umbruchs eröffnete gleichwohl neue Perspektiven auf Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit und führte zu intensiven Diskussionen über eigene und fremde Rollen in der internationalen Ordnung. Wie im engeren Bereich der europäischen, harmonisierten Sicherheitspolitik konzentrierten sich die Beiträge zunehmend auf die EU als Akteur; die entsprechenden Schlagworte, mit denen die SWP-Mitglieder eine eigene Einheit gegenüber Dritten oder Drittstaaten abtrennten, waren Maastricht (die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, GASP) und Schengen (das gemeinsame Grenzregime). Die EU und ihre Initiativen konnten als Modelle dienen, insbesondere für EU-ähnliche Systeme – ein Beispiel hierfür war die Maghrebunion (UMA). Auch für die institutionellen Lösungen bei der Behandlung komplexer Strukturen (man denke an die Bezeichnung Barcelona-Prozess) ergaben sich Anknüpfungspunkte. In vielen Fällen wurde die Verantwortungsrhetorik kritisiert beziehungsweise ihre Aufrichtigkeit angezweifelt. Diese Kritik bestätigte erstens die These, dass das Verhältnis zum Maghreb für die EU von herausragender Bedeutung war, beziehungsweise sich dazu entwickelt hatte. Zweitens war sie Teil der Beratungstätigkeit der Experten, die (aktuelle und in der Vergangenheit liegende) Zustände kritisierten, um damit Verbesserungen für die Zukunft zu erreichen.

209 Perthes, „Partnerschaft“, a.a.O., (Anm. 189). 210 Ebd., S. 345. In diesem Zusammenhang unterstrich er somit wiederum die sicherheitspolitische Komponente. Auch auf die Februarausgabe der Zeitschrift der DGAP, Internationale Politik, 51 (1996) verwies Perthes. Sie erschien mit dem Titel „Brennpunkt Mittelmeer“ (vgl. das Kapitel zur DGAP); er selbst hatte in dieser Ausgabe allerdings keinen Beitrag veröffentlicht.

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DAS ANDERE IN DEN PUBLIKATIONEN DER SWP Die Repräsentationen des Anderen in den Texten und Veranstaltungen im Kontext der SWP lassen sich drei Bereichen zuordnen: Der Maghreb erschien in erster Linie als ein Anderes, weil er sich von der anderen Nachbarregion Europas (dem Osten) in demographischer, kultureller und religöser Hinsicht unterschied. Daher rührte die Einschätzung, dass die Herausforderungen im Süden und Osten des Kontinents unterschiedlich waren. Der zweite Bereich ergibt sich auf indirekte Weise durch den Vergleich der teilweise unterschiedlichen nationalen Perspektiven, beispielsweise der deutschen und der französischen. Insgesamt waren die Außenbeziehungen der europäischen Staaten eine Quelle von Dissonanzen, die Beziehungen zum Maghreb gaben in dieser Hinsicht oftmals den Ton an. Was manche Beraterinnen und Berater europäisch nannten, offenbarte in solchen Fällen, dass in einigen Fragen und Vorhaben nationale Sonderbeziehungen nicht ad acta gelegt worden waren. Der Maghreb entwickelte sich zu einem Anderen, indem er Differenzen in Europa offenlegte. Der dritte Bereich ist von Spiegel- und Gegenbildern gekennzeichnet: So stellte beispielsweise der SWP-Forscher Volker Perthes der mangelnden Kooperation der Maghrebstaaten untereinander die europäische Zusammenarbeit gegenüber. Zur Einführung eignet sich das Themenfeld der Differenzen zwischen Süden und Osten am Besten, da es vor allem mit dem Ende des Kalten Krieges und damit zu Beginn des untersuchten Zeitraums auftrat. Daran anschließend behandeln die verbleibenden Unterabschnitte die nationalen Projektionen und den Bereich der mangelnden Kooperation. Unterschiedliche Herausforderungen im Süden und Osten Ein erster Bereich der Fremdrepräsentationen ergab sich aus der Betrachtung regionaler Unterschiede. Zwar war dies gewiss nicht die einzige Perspektive in den Texten der SWP, neben ihrer Funktion im Rahmen der Analyse hatten diese Darstellungen jedoch auch eine eigennützige Komponente: Das Andere im Maghreb betonen hieß, die eigene Kompetenz zu unterstreichen, etwas zu bewerten, für das common sense nicht ausreichte. Der Maghreb diente jedoch keinesfalls nur als im Prinzip austauschbare Folie für die Darstellung und Entwicklung eigener deutscher beziehungsweise europäischer Repräsentationen – dafür waren die Einzelanalysen zu detailliert und zu spezifisch (auch was einzelne Maghrebstaaten anging). Der folgende Abschnitt konzentriert sich daher auf Expertisen mit regionalem Bezug, die sich vor allem mit Fragen der Bevölkerungsentwicklung und der Migration beschäftigten. Die SWP richtete sich nach ihrer Gründung auf die Staaten östlich der Bundesrepublik aus. In der neuen weltpolitischen Situation ergaben sich Vergleichsmöglichkeiten zwischen südlichen und östlichen Anrainern: Beispielsweise wenn den Maghreb (im Süden) und die Visegrád-Staaten (im Osten) die Eigenschaft kennzeichnete, dass sie wirtschaftlich und politisch konkurrierten.

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Ein erstes Beispiel für die angesprochene Art der Gegenüberstellung ist das bereits erwähnte Arbeitspapier des Friedensforscher Dieter Senghaas vom Januar 1991, das die neuen Aufgaben der Friedensgestaltung in Europa diskutierte. Senghaas richtete darin seinen Blick auch auf die benachbarten Staaten.211 In wirtschaftlicher Hinsicht ging er von einer bereits bestehenden und sich weiter entwickelnden Konkurrenz zwischen Osteuropa und den „nordafrikanischen Mittelmeeranrainern“ aus. Im europäischen Kontext, so Senghaas, war bereits länger zu erwarten, dass die internationale Arbeitsteilung den Mittelmeeranrainern die Produktion von „arbeitsintensiven Fertiggütern einfachen Zuschnitts“ ermöglichen würde. Jetzt seien die Karten neu gemischt: „Nunmehr bietet sich Osteuropa eine vergleichbare Chance.“ 212 Obwohl in Senghaas’ Arbeitspapier eine Konkurrenz zwischen den ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion und den Maghrebstaaten zu Tage trat, sah er positive Zukunftsmöglichkeiten: Der aus der Entwicklungsdiskussion bekannte Sachverhalt anhaltend abhängiger Beziehungen zwischen „fortgeschrittenen Zentren“ und „rückständigen unterentwickelten Peripherien“ ist kein unausweichliches Schicksal.213

Schon 1992 – dies zeigt das Vorwort im Tagungsreport einer hochrangig besetzten Konferenz des Europarats, der bereits um einige mittel- und osteuropäische Länder erweitert worden war – wurde neben der Konkurrenzsituation mit Osteuropa auch die Migration als bedeutendes Problemfeld erkannt.214 Für die SWP nahmen deren Direktor Michael Stürmer und der Historiker Ulrich Schlie an der Veranstaltung teil.215 Bezugnehmend auf einen Artikel von Claude Nigoul in

211 Senghaas, Europa, a.a.O., (Anm. 88). Dieser Aspekt seines Papiers wurde exemplarisch bereits an anderer Stelle ähnlich beleuchtet. Johan Grußendorf, „Ein ‚weniger europäisches‘ Mittelmeer? Europarepräsentationen in der Auseinandersetzung mit der arabischen Welt in Deutschland und Frankreich in den 1990er Jahren“, in: Reader der Fachtagung „Entwicklungsprozesse in der Dritten Welt und Entwicklungspolitik“. 29. November bis 1. Dezember 2010 in der FES Berlin, (Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Studienförderung, 2011), S. 45–53. Dort findet sich auch eine graphische Darstellung des Grundzusammenhangs zwischen Europarepräsentationen und der Umgebung Europas. 212 Senghaas, Europa, a.a.O., (Anm. 88), S. 49. Im Zusammenhang mit den Mittelmeeranrainern nannte Senghaas nicht nur die „nordafrikanischen“, er erwähnte auch die Türkei, Griechenland und Portugal. 213 Ebd., S. 50. Diese Kritik am Paradigma der Peripherisierung war im Beitrag zwar explizit auf Osteuropa gemünzt, eine davon abweichende Einschätzung der „nordafrikanischen Mittelmeeranrainer“ machte Senghaas jedoch nicht. 214 „The discussions offered a reminder that European and North American societies share the same values, even if those values – including democracy and human rights – are sometimes expressed differently: on the one hand, the will of the majority is highlighted, and on the other the essential rights of all categories; there are differing approaches to the issues of minorities, migrants, and social and economic rights, and occasionally a different awareness of what cultural identity means.“ Europarat, 1992, a.a.O., (Anm. 136), S. 5. 215 Stürmer wird im Tagungsreport als Mitglied des Vorbereitungskomitees der Veranstaltung geführt. Die Vernetzung der in vorliegender Arbeit diskutierten Institute zeigt sich beim weiteren Betrachten der Liste. Unter den aufgeführten 12 Personen fanden sich auch der

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der Zeitschrift der DGAP hob Schlie hervor, dass insbesondere Spanien und Italien von Migrationsbewegungen aus dem Maghreb betroffen seien, die das Ergebnis einer „unkontrollierten Bevölkerungsexplosion“ seien. Mit Blick auf Frankreich schilderte er die Nordafrikaner als neues Proletariat und politisches Problem für die Stadtplanung.216 Auch der Beitrag des SWP-Direktors erwähnte die „population explosion“. Michael Stürmer vertrat die Ansicht, dass der gesamte „Islamic Arc“, der durch Demokratieversagen, schwache Staatsstrukturen sowie wirtschaftliche und demographische Probleme gekennzeichnet sei, eine Quelle von Konflikten und Krisen darstelle.217 Was die Folgen der Bevölkerungsproblematik für Europa angeht, blieb der Beitrag nicht auf den Maghreb beschränkt, sondern sprach von der gesamten südlichen Hemisphäre. Er spielte jedoch auf Bootsflüchtlinge an, die möglicherweise massenhaft versuchen würden, Europa zu erreichen. Es sei fraglich, ob als Antwort darauf eine Art Maginot-Linie Europa im 21. Jahrhundert nützlicher sein werde als das ursprüngliche Verteidigungssystem für Frankreich im 20. Jahrhundert gewesen sei.218 Stürmers Ausführungen zeigen, dass innerhalb der SWP die Frage von Bevölkerungsentwicklung und Migration im Zusammenhang mit weiteren Entwicklungskontexten gesehen wurde. Die aus diesen beiden Faktoren resultierenden Probleme waren jedoch anders gelagert als in den vormaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion. Mit den Herausforderungen für die 1993 zur Union gewordene Gemeinschaft beschäftigte sich eine umfangreiche SWP-Dokumentation, die „Osten“ und „Süden“ vergleichend gegenüberstellte (Herausforderung für die Europäische Union. Migration – Integration – Sicherheit).219 Ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden Regionen bestand darin, so die Bearbeiter, dass der demographische Druck bei der Wanderung „aus dem Süden nach Europa“ mittelfristig nicht zu vernachlässigen sei, während die Migration aus dem Osten eher kurz-

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ehemalige DGAP-Mitarbeiter Curt Gasteyger, der directeur adjoint des IFRI, Dominique Moïsi und die Chefredakteurin der europäischen Beilage der Zeitschrift L’Express, Diana Pinto-Moïsi. Ebd., S. 204. Schlie, „Mediterranean“, a.a.O., (Anm. 172), S. 18. Wörtlich beschrieb Schlie die Situation als „a population explosion which is out of control“. Zu Nigouls Äußerungen vgl. Claude Nigoul, „Krisenhafte Entwicklungen im westlichen Mittelmeer. Der Maghreb und Frankreich“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 377–388. Michael Stürmer, „The new Dimensions of Security : Beyond the Military“, in: 1992 : Europe and North America. The dialogue of the new solidarities. Contributions; Colloquy organised and chaired by the Secretary General of the Council of Europe, Strasbourg, Palais de l’Europe, 19–20 June 1992, hrsg. von Europarat, (Straßburg, 1992), S. 123–126, insbes. S. 125. „But any kind of military Maginot Line could only be a last resort, and whether it would serve Europe better in the 21st century than the original establishment served France in the 20th century would remain an open question.“ Ebd., S. 126. Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Herausforderung, a.a.O., (Anm. 174). In der Dokumentation stellten die Bearbeiter kommentiert journalistisches und wissenschaftliches Material zum Thema zusammen.

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fristig zu Problemen führen könne.220 In Bezug auf die Maghrebländer verwiesen Claudia Christoffel-Crispin, Leo Deser und Reinhardt Rummel auf ein von Heiko Körner für die Friedrich-Ebert-Stiftung erstelltes Papier, welches das „arbeitsmarktbedingte Migrationspotential in den Ländern Nordafrikas“ auf 0,8 bis 1 Millionen Menschen im Jahr geschätzt hatte.221 Eine weitere Besonderheit der Migration aus den Maghrebstaaten, die bereits in der Aktuellen SWP-Dokumentation Nr. 11 unterstrichen wurde, war die Konzentration auf Frankreich. Prognostiziert wurde in diesem Zusammenhang allerdings abschließend, dass „Deutschland in stärkerem Maß als bisher Ziel dieser Süd-Nord Migration“ werde.222 Zu den von ihnen zitierten Experten zählte auch Werner Weidenfeld.223 Einige Passagen zeigen darüber hinaus, dass die Dokumentation in der Übergangsphase der Ratifikation des Maastrichter Vertrages entstanden war. „Erste Harmonisierungsbestimmungen“ der Asyl- und Einwanderungspolitik, so die SWP-Mitarbeiter, sollten kurz nach Inkrafttreten des Vertrages formuliert sein, lagen allerdings bei Redaktionsschluss Ende 1993 noch nicht vor.224 Die erfolgte Neuregelung des Asylrechts in Deutschland begrüsste man; allerdings sei eine Übertragung des Modells auf die EU keine Lösung.225 Insgesamt ist zu der in diesem Absatz behandelten Dokumentation zu sagen, dass in ihren redaktionellen Teilen erstens die beiden Regionen anhand der unterschiedlichen zeitlichen Dimension der Migrationsproblematik differenziert wurden (im Osten ging es um eine kurzfristige, im Süden um eine mittelfristige Entwicklung), und zweitens die These vertreten wurde, die aus Migrationsbewegungen entstehende Problematik werde sich verstärken. Eine zweite wichtige Dokumentation, die als eine zweibändige Fortschreibung der im Januar 1994 erschienenen Sammlung verstanden werden kann, wurde im November 1995 fertiggestellt.226 Auffällig ist, dass die Parallelisierung mit dem Osten nun wegfiel, obwohl ansonsten die Kommentierung ähnlich wie schon beim Vorgänger erfolgte und sich auf Sicherheitsfragen, Konflikte zwischen von Migration betroffenen Staaten und Neuerungen im Zuge des Vertrages von Maastricht konzentrierte.227 In der Vorbemerkung der Dokumentation 220 221 222 223

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Ebd., S. 13–14. Ebd., S. 17. Ebd., S. 17–18. Ebd., S. 259. Weidenfelds Aufsatz „Die innere Sicherheit als europäische Politik“ wurde zur Erörterung der zwischenstaatlich-europäischen Perspektive auf die Einwanderung herangezogen. Die Bearbeiter berücksichtigten, das zeigen die Beispiele (Friedrich-Ebert-Stiftung und Werner Weidenfeld), sowohl Expertisen von Institutionen als auch einzelner Akteure der Beratungsszene. Ebd., S. 260. Der Vertrag von Maastricht trat aufgrund verschiedener Hindernisse in der Ratifikationsphase erst am 1. November 1993 in Kraft. Ebd., S. 262. In der Asylpolitik der EU spekulierten die SWP-Mitglieder, dass „vielleicht“ eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage bis 1995 geschaffen werde. Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Migration Bd. 1, a.a.O., (Anm. 198). So veränderte sich beispielsweise der einführende Satz zum jeweils an erster Stelle stehenden Statistikteil kaum. In der Dokumentation vom November 1995 trat lediglich die Ergänzung

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unterstrichen die Bearbeiter, dass im Zentrum der Zusammenstellung die „verschiedenartigen Bezüge zwischen Migration und Sicherheit“ stünden.228 Der zweite Band dokumentierte am Beispiel von Algerien, der Türkei, Griechenland und Albanien Migrationsprobleme im Mittelmeerraum.229 Die Tatsache, das Algerien als Beispiel für das Andere einer europäischen Mittelmeerpolitik gelten konnte, begründeten die SWP-Mitglieder mit geographischen und historischen Entwicklungslinien. Aus der besonderen Beziehung zwischen dem EU-Mitglied Frankreich und dem Maghrebstaat Algerien folge das starke Interesse Frankreichs an Algerien sowie an der algerischen Sicht auf Europa. Gerade im Kontext der politischen Gewalt seien die beiderseitigen Wahrnehmungen von Ambivalenzen durchzogen.230 Die Bearbeiter diskutierten hier das Andere in enger Verbindung mit dem Eigenen, da sie indirekt alle EU-Staaten im französischen Dilemma sahen. Dass das maghrebinische Andere dennoch jeweils verschiedene Merkmale aufwies und teilweise innerhalb der EU zu Repräsentationen des Anderen führen konnte, zeigte die Behandlung von speziellen spanischen, italienischen und deutschen Perspektiven auf die Region.231 Das Thema der Migration aus dem Maghreb nach Europa blieb in der SWP auch nach dem Anlaufen der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) auf der Agenda. Dies zeigen die 1995 eingeführten Rundbriefe, die nicht nur auf Arbeiten wie die oben genannten verwiesen, sondern auch Veranstaltungen und Aktivitäten der Stiftung für einen ausgewählten Adressatenkreis zusammenstellten. Die SWP warb in den Rundbriefen, anfangs unter „Veranstaltungen der SWP in Kooperation mit anderen Institutionen“, später unter Tabellen mit der Überschrift „Konferenzen in Auswahl“, nicht nur mit der Vernetzung durch die „Quadripartite Conference“, sondern auch mit Seminaren für die Generaldirektion I der EU, die unter anderem Migration in den Außenwirtschaftsbeziehungen behandelten.232 Nach der Einrichtung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) sollte es noch ein Jahr dauern, bis die oft behauptete Konkurrenzsituation zwischen Osten und Süden (auf Basis vor allem wirtschaftlicher Daten) analysiert wurde. Die ungarische Gastautorin Andrea Éltetö verglich im Rahmen der Arbeitspapierreihe die geplante Osterweiterung und die Mittelmeerzusammenarbeit.233 In ihrer

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„im Verhältnis zur Mittelmeerregion“ hinzu. Ebd., S. 11. Vgl. Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Herausforderung, a.a.O., (Anm. 174), S. 260. Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Migration Bd. 1, a.a.O., (Anm. 198), S. 7. Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Migration Bd. 2, a.a.O., (Anm. 182). Ebd., S. 12–13. Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Migration Bd. 1, a.a.O., (Anm. 198), S. 15–20. SWP, „Konferenzen in Auswahl“, in: SWP-brief (1996), 10, November 1996, S. 9. Die darin beworbene „Quadripartite Conference“ fand vom 15. bis 17. September in Berlin statt, obwohl das Institut sich noch in Ebenhausen befand. Andrea Éltetö, The European Union, Eastern Enlargement and Mediterranean Cooperation: A Comparative Analysis. Die Visegrád-Staaten auf dem Weg in die Europäische Union, No. 5 (SWP-AP, 2982), (Ebenhausen, 1996). Wenn externe Autoren in den SWP-Papieren vor-

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Untersuchung machte Éltetö auch kulturelle Unterschiede geltend, um die wirtschaftliche Kooperation zwischen den Visegrád- und den Mittelmeerstaaten zu vergleichen. Die Bevölkerung der ersten Gruppe sei überwiegend christlich, die Zivilisation europäisch. Auch wenn man die Auswirkungen der kommunistischen Herrschaft auf das wirtschaftliche Verhalten berücksichtigen müsse, gebe es keine großen kulturellen Unterschiede. Innerhalb der Gruppe der Mittelmeerstaaten seien die Divergenzen dagegen sehr viel größer. Ursache sei der Islam als Hauptreligion sowie eine Reihe kulturell von Europa abweichender Charakteristika.234 Neben den kulturellen Unterschieden war der Begriff der Entwicklung von entscheidender Bedeutung für die Analyse. Ein Faktor waren hier beispielsweise die ausländischen Direktinvestitionen, die in der gesamten „developing world“ zwischen 1989 und 1993 stark angestiegen seien, im Mittleren Osten und in Nordafrika allerdings nur geringe Bedeutung hätten.235 Mit Blick auf den Maghreb hieß es, solche Investitionen seien geringer als in einigen mittel- und osteuropäischen Staaten. Beispielhaft stellte Éltetö die Investitionen im Jahr 1992 in Algerien, Tunesien und Marokko und die in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei gegenüber.236 Diese auf den November 1996 datierte Analyse237 belegte die These, dass der Maghreb als das Andere in Konkurrenz zu osteuropäischen Staaten stand. Ost- und Mitteleuropa hatte spätestens seit 1989 seine Andersartigkeit deutlich verändert und hoffte nun im Rahmen der sogenannten Osterweiterung auf eine Einbeziehung in das Eigene der Europäer. Die Zusammenfassungen von einzelnen Arbeitspapieren in der Reihe SWPbrief ist aufschlussreich, etwa wenn bei dem genannten Papier von Andrea Éltetö hervorgehoben wurde, dass in den Regionen im Osten und Süden der EU gleichermaßen Stabilität und Sicherheit gefördert werden sollten.238 Der entscheidende Unterschied sei aber die zugesagte Mitgliedschaft für Staaten der ersten Region; im Süden werde das Beziehungsmuster zwischen Zentrum und Peripherie fortgeschrieben. Die Zusammenfassung schloss mit dem Fazit, dass eine Neugestaltung der Förderpolitik der EU notwendig sei, und spitzte damit die

234

235 236 237 238

kamen, dann zumeist, weil in der Politik oder Bürokratie Interesse an dem jeweiligen Thema bestand. Gespräch mit Zunker, a.a.O., (Anm. 165). Éltetö, Analysis, a.a.O., (Anm. 233), S. 14. Die indirekt wiedergegebene Passage zeigt ein semantisches Problem bei der Übersetzung des englischen Begriffs „civilisation“. Am deutlichsten tritt es zu Tage, vergleicht man den Originaltitel von Huntingtons vielzitiertem Titel „The Clash of Civilisations“ mit der deutschen Übersetzung „Kampf der Kulturen“. Ebd., S. 21. Die Bezeichnung „Mittlerer Osten und Nordafrika“ orientierte sich dabei an den Einteilungen der internationalen Organisationen. Dies war auch in anderen ausgewerteten Texten (insbesondere auf Französisch und Englisch verfassten) üblich. Ebd. 785 Mio. Dollar im Maghreb standen 2.710 Mio. Dollar in Ostmitteleuropa gegenüber. Damit war sie etwa ein Jahr nach der Konferenz von Barcelona verfügbar. SWP, „Analysen“, in: SWP-brief (1997), 11, Januar 1997, S. 1–7, insbes. S. 1. Die Inhaltsübersicht auf der ersten Seite des Rundbriefs fasste das Thema mit der Überschrift „[Die] EU und ihre Nachbarregionen“ neutraler als der englische Titel des Papiers, der den unterschiedlichen Status der Erweiterungs- gegenüber der Kooperationszone unterstrich. Éltetö, Analysis, a.a.O., (Anm. 233).

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Aussage des Arbeitspapiers im Hinblick auf die Konkurrenz beider Regionen zu.239 Der Rundbrief der SWP ist damit als handlungsanleitende Prognose zu verstehen. Nach der Publikation dieses Textes wandte man sich in der SWP allerdings anderen Themen (und damit auch Repräsentationen des Anderen) zu – weder zog die These, dass der Osten und der Süden miteinander konkurrierten, noch die, dass Migration und Bevölkerungsstruktur sich unterschieden, in gleichem Maße wie zuvor die Aufmerksamkeit auf sich. Abschließend lohnt es sich, an die Repräsentationen des Eigenen zu erinnern, welche die SWP-Mitglieder in ihren Darstellungen auswärtiger Herausforderungen in gewisser Weise zwangsläufig formulierten. Anhand der Darstellungen und Prognosen, denen zufolge etwa der Maghreb und die VisegrádGruppe konkurrierten oder Migrationsströme aus beiden Regionen zu erwarten waren, lassen sich einige grundsätzliche Überlegungen anknüpfen: Erstens hatten sich im Zeitraum bis ungefähr 1996/97 die Gewichte zwischen Süden und Osten verschoben. Mit den Visegrád-Staaten, so der Tenor der SWP-Papiere, stimme man nunmehr überein, während dem Maghreb gegenüber eher die Unterschiede herausgestellt wurden. Zweitens ging man innerhalb der Stiftung mit den Fragen von Migration und Bevölkerungsentwicklung inkonsistent um. Auch hier unterschied man ein nicht immer spezifiziertes Europa mittlerweile unhinterfragt vom Süden (als Synonym für Nicht-Europa). Gleichzeitig schien es weniger angemessen, diesem Zustand europäisch zu begegnen, das heißt nicht mit ausschließlich nationalstaatlichen Mitteln. Wich damit also die partielle Einbeziehung des Maghrebs in die Europarepräsentationen der 1990er Jahre einer abweisenderen Architektur (hier im Sinne des Eindrucks gebraucht, den der Beobachter bekommt, wenn er diese Repräsentationen rekonstruiert)? Einer Architektur, die diese Perspektive mehr und mehr ignorierte? In einer weiteren Hinsicht jedoch blieb der Maghreb über den gesamten untersuchten Zeitraum hinweg präsent: als ideale Projektionsfläche für national gefärbte Repräsentationen. Der Maghreb als nationale Projektionsfläche europäischer Entwicklung Das Phänomen, dass nationale Projektionen in die Analysen und Beurteilungen der Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb einflossen, findet sich nicht nur in den Texten der SWP. Es ist auch für die Publikationen, Expertisen und Veranstaltungen der anderen untersuchten Institute charakteristisch. Im Allgemeinen bestand der erste Schritt einer solchen Gegenüberstellung darin,

239 SWP, „Analysen“, a.a.O., (Anm. 238), S. 5. Die entsprechende Passage war in der dem Arbeitspapier vorangestellten Zusammenfassung noch deskriptiver gehalten: „Der EU stellt sich eine schwierige Aufgabe. Sie muß in den nächsten Jahren die Mittel für ihre Entwicklungsaufgaben (Strukturhilfen zugunsten der gegenwärtigen EU-Mitglieder und neuer Mitglieder aus Ostmitteleuropa sowie Finanzhilfe für die euro-mediterrane Kooperation) neu verteilen.“ Éltetö, Analysis, a.a.O., (Anm. 233), S. 7.

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mentale Unterschiede innerhalb Europas im Hinblick auf den Maghreb festzustellen. Der nun folgende, zunächst paradox erscheinende zweite Schritt bestand darin, aus diesen Differenzen, die zwischen einzelnen Staaten der gedachten Gemeinschaft Europa ausgemacht worden waren, eine Abgrenzung eben jener brüchigen Einheit abzuleiten. Gerade wenn die Begriffe Deutschland, Frankreich, Europa und der Maghreb in der SWP zusammengebracht wurden, zeigte sich eine an zahlreichen Beispielen nachvollziehbare Logik: Der Maghreb bestätigte seine Position als das Andere, weil er in Deutschland und Frankreich aus europapolitischer Sicht jeweils eine andere Funktion hatte. Algerien als wichtigster Maghrebstaat konnte so als Hebel für Frankreich dienen, wenn es um EU-Hilfen für das Ausland ging, während für Deutschland im Vergleich mit dem über die Weltkriege hinaus kolonialen Frankreich die weniger engen, aber unbelasteten Beziehungen mit dem ehemaligen Algérie française der Erwähnung wert schien. Anders gesagt: Das Eigene, das innerhalb der Institute gleichermaßen europäisch und national verstanden wurde, soll die historisch begründeten, nunmehr europäisch überformten Gegensätze der Staaten mindern. Daraus kann sich durchaus ergeben, dass die Abgrenzung vom vermeintlich nicht-europäischen Anderen (dem Maghreb) sich vertieft. Ein erster Hinweis auf die Repräsentationen einer Andersartigkeit des Maghrebs in Verbindung mit jenen national verschiedener Perspektiven innerhalb Europas findet sich in der Behandlung der deutschen und französischen Interessenskonflikte im Arbeitspapier von Christian Deubner.240 Im Kern ging es darin um europapolitische „Innenpolitik“ im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Frankreich, aber auch um die Außenbeziehungen des „Europas der neunziger Jahre“ kreiste die Diskussion. Bereits in der Vorbemerkung stellte der SWP-Forscher fest, dass sich beispielsweise in der von Deutschland angestrebten Aufnahme der Visegrád-Staaten (Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn) sowie des Baltikums und dem französischen Blick in Richtung Algerien, für das „deutsche Hilfe willkommen wäre“, divergierende Wahrnehmungen zeigten.241 In der Einleitung fasste Deubner die Problematik in der pessimistischen These zusammen, die Ereignisse an der Ost- und Südflanke der EU dramatisierten sich und zwängen beide Länder in traditionelle geopolitische Orientierungen.242 Allerdings wandte er sich in seiner Analyse, vor allem im prognostischen Teil, gegen die Einseitigkeit einer solchen Einschätzung und betonte, optimistisch gesehen würden beide Länder zumindest in Fragen der Migrationspolitik aufeinander zugehen. 243 Dennoch war seine Beschreibung des Istzustands, was die großen außenpolitischen Linien anging, jeweils bezogen auf nationale Eigenheiten formuliert: Deutschland wolle sich „sicherheitspolitische Ansprüche im Osten durch die EU erfüllen lassen“, während Frankreich einen großen Sektor der Außen- und Sicher240 241 242 243

Deubner, Europa, a.a.O., (Anm. 175). Ebd., S. 5. Ebd., S. 7. Ebd., S. 25.

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heitspolitik nicht gemeinsam verstehe. Dieser im „außerhalb Europas“ und im UN-Kontext angesiedelte Teil des Auswärtigen sei „weiterhin autonom“.244 Eine ähnlich skeptische Einschätzung der Orientierung in den internationalen Beziehungen lieferten die Bearbeiter der ausführlichen Dokumentation zum Mittelmeerraum vom November 1995.245 Das von ihnen gewählte Fallbeispiel Algerien verdeutlichte die Unterschiede in den Einschätzungen: Nach Ansicht der SWP-Mitarbeiter strebte Frankreich im Vergleich zu Deutschland eine weitergehende Einbeziehung des Anderen in den EU-Zusammenhang an. Was hieß das konkret? In erster Linie ging es um unterschiedliche Deutungsmuster in beiden Ländern: Für die deutsche Lageeinschätzung wurden an erster Stelle Sorgen genannt, Frankreich könne über die EU eine Involvierung in den algerischen Bürgerkrieg bewirken. Zudem verband sich mit dieser Befürchtung die im vorigen Unterabschnitt geschilderte Konkurrenzvorstellung zwischen Osteuropa und dem Maghreb. Frankreich könne demnach die „Instabilität in Algerien als Pressionsmittel für eine stärkere Umschichtung der finanziellen Auslandshilfen der EU“ nutzen.246 Nach der Einrichtung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) und damit nach der Erneuerung einer nominell gemeinsamen Politik gegenüber dem Mittelmeerraum im Allgemeinen und dem Maghreb im Besonderen247 hielten SWPAutoren die divergenten Perspektiven nicht für ausgeräumt. Die ungarische Gastautorin Andrea Éltetö befasste sich in ihrem Arbeitspapier (vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten) mit der Entwicklung an Europas Rändern und der Einstellung der EU-Staaten zu diesen Nachbarregionen. Aus dem Blickwinkel eines Gegensatzes zwischen entwickelten und unterentwickelten Partnern wurde auch das französische Verhältnis zum Maghreb geschildert. Immigration und französische Wirtschaftsaktivität in Algerien, Marokko und Tunesien bedingten nach Éltetö ein besonderes Augenmerk Frankreichs auf die Region. Diesen französischen sowie den spanischen und italienischen Interessen wurden die deutsche, österreichische und skandinavische Präferenz für die ehemaligen Ostblockstaaten gegenübergestellt.248 Für Ostmittel- und Südosteuropa ist Deutschland der wichtigste Partner, für den Maghreb Frankreich. Im Unterschied zu Frankreich ist Deutschland aber für die Wirtschaftsbeziehungen beider Regionen zur EU von besonderer Bedeutung – im besonderen dann, wenn man Maghreb und Mashreq zusammennimmt. 249

244 245 246 247

Ebd., S. 23. Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Migration Bd. 2, a.a.O., (Anm. 182). Ebd., S. 17. Ein zentraler Bereich des Barcelona-Prozesses waren neben dem Maschrek die maghrebinischen Kernstaaten Marokko, Algerien und Tunesien. 248 Éltetö, Analysis, a.a.O., (Anm. 233), S. 28. 249 Ebd., S. 8. Mit diesen Worten wurde dieser unterscheidende Vergleich in der sogenannten „Vorbemerkung/Executive Summary“ zusammengefasst.

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Zwar hatte Éltetö somit bereits 1996 den Maghreb mit Frankreich, die ost- und mitteleuropäischen Staaten mit Deutschland assoziiert. Eine Erweiterung erfuhr die Genese eines Anderen, das sich im unterschiedlichen Verständnis des europäischen Eigenen zeigte, in der Nutzung eines breiteren, mittelmeerbasierten Ansatzes gegen Ende des untersuchten Zeitraums. In der Gegenüberstellung der französischen Konzentration auf den Maghreb und der deutschen Fokussierung sowohl auf Mittel- und Osteuropa als auch den Nahen Osten (der „Mashreq“Begriff der Autorin blieb diffus) deutete sich ein weiterer Gegensatz zwischen Deutschland und Frankreich an. Die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) war für Volker Perthes, der sich seit den frühen 1990er Jahren mit der arabischen Welt und ihrem Verhältnis zu Israel beschäftigte, ein Anlass, sich mit verschiedenen Vorstellungen über die Rolle Europas beziehungsweise jener der EU-Politik gegenüber dem Mittelmeerraum zu befassen. Im ersten Teil eines Arbeitspapiers der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) vom Februar 1998 beschrieb er die unterschiedlichen Verbindungen Deutschlands und Frankreichs zu den Maghrebländern. Die meisten deutschen Mittelmeerexporte gingen in die Türkei; obwohl Libyen und Algerien die Öllieferanten Nummer eins und drei seien, gebe es keine besonders engen politischen Beziehungen. Es sei schwer vorstellbar, dass irgendwann das wirtschaftliche Interesse gegenüber dem südlichen und östlichen Mittelmeerraum dem an Mittel- und Osteuropa entsprechen werde.250 Obwohl der Titel des Arbeitspapiers die Gemeinsamkeiten betonte, blieben nationale Projektionen nicht unberücksichtigt, etwa wenn Perthes die „postkolonial-emotionalen Bande“ diskutierte. Die politischen Eliten in Deutschland teilten nicht die französischen, italienischen und spanischen Sichtweisen. Als ein Beispiel nannte der Autor die französisch-algerischen Beziehungen.251 Im Laufe des Jahres 1998 verstärkte sich Perthes’ Eindruck eines Gegensatzes, was die deutschen und französischen Antworten auf die Frage anging, wie das Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb gestaltet werden sollte. Auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung referierte er über die spezifisch französische Herangehensweise an dieses Thema. In seinem Diskussionsbeitrag, dessen fragenden Titel „Ist der Barcelona-Prozeß der Nukleus für gemeinsame Sicherheit?“ er zu Beginn seines Beitrags eher verneinend kommentierte, ging er auch auf die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Mittelmeerraum ein. 252 Dazu präsentierte er drei mögliche Politikentwürfe: Zunächst eine supranationale Denkund Kommunikationsweise, die insbesondere auf die Rhetorik der Kommissionspräsidenten zutreffe, die den Barcelona-Prozess als Verantwortung und Solidarität für die südlichen Nachbarn darstellte. Da die Konferenz von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet wurde, ging Perthes auch auf das „Nahostprogramm“ der Sozialdemokratie ein, das die Perspektive kollektiver Sicherheit 250 Perthes, Germany, a.a.O., (Anm. 184), S. 3. 251 Ebd., S. 1. 252 Perthes, „Barcelona-Prozeß“, a.a.O., (Anm. 184), S. 12.

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unterstreiche und eine KSZE-ähnliche Organisation entwerfe. Schließlich bezog Perthes sich allgemein auf „französische Verantwortliche“, um zu zeigen, dass es bei der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) im Kern auch um eine „Abgrenzung europäischer von amerikanischen Einflußzonen“ gehe.253 Perthes’ Vortrag zeigt beispielhaft, wie Berater nicht nur Wissen aus regionalwissenschaftlichen Bereichen nutzbar machten, sondern auch unterschiedliche Repräsentationen des Anderen in den jeweiligen Staaten und innerhalb der EU berücksichtigten, um in einem zunehmend europäisierten Politikfeld kritische Prognosen und Handlungsempfehlungen zu formulieren. Ein späterer Titel in der Reihe der Arbeitspapiere zeigt, dass diese Texte oft auch der Vorbereitung von Veröffentlichungen im klassischen Sinn dienten. Der Beitrag „Europas südliches Vorfeld. Erfordernisse, Ansätze und Perspektiven euro-atlantischer Stabilitätspolitik“ von Hans-Dieter Lemke kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie ein innerhalb der SWP-Buchreihen veröffentlichter Text.254 Lemke stellte in dem Arbeitspapier vor allem im Kontext der NATO und des Mittelmeerforums klar, dass südeuropäische Staaten gesondert zu betrachten seien. Die zentral- und nordeuropäischen Mitgliedsstaaten der NATO sowie die USA seien nicht enthusiastisch, wenn es um ein Engagement der Allianz im „südlichen Vorfeld“ ginge.255 Das 1991 von Ägypten angeregte Mittelmeerforum umfasse ausschließlich Staaten Südeuropas und Nordafrikas. Zwar sei es thematisch durch die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) der EU überholt, da hier mehr Mittel zur Verfügung stünden. Dennoch habe die südeuropäisch-nordafrikanische Schiene gegenüber dem Barcelona-Prozess den Vorteil, „nahöstliche Staaten“ nicht einzubeziehen.256 Der Maghreb in Verbindung mit Ägypten bekam in dieser Analyse eine Bedeutung für Europa, die in der Handlungsempfehlung am Ende des Papiers in drei Stufen von national Richtung multilateral dargestellt wurde. Deutschland könne einen Impuls in Richtung EU geben, damit diese die (süd-)europäischen Staaten im Mittelmeerforum anhalten könne, einen Ver-

253 Ebd., S. 19. 254 Hans-Dieter Lemke, Europas südliches Vorfeld. Erfordernisse, Ansätze und Perspektiven euro-atlantischer Stabilitätspolitik (SWP-AP, 3095), (Ebenhausen, 1999). Vgl. dazu: Ders., „Rüstungskontrolle für den Mittelmeerraum: Chance oder Utopie?“, in: Hannibal ante portas? Analysen zur Sicherheit an der Südflanke Europas, hrsg. von Andreas Jacobs (Aktuelle Materialien zur internationalen Politik, 61), (Baden-Baden, 2000), S. 96–121. 255 Lemke, Vorfeld, a.a.O., (Anm. 254), S. 18–19. In dem im Jahr 2000 erschienenen Sammelband verallgemeinerte der SWP-Mitarbeiter und Oberst a. D. diesen Satz auf entsprechende Mitglieder „der verschiedenen Institutionen“. Gemeint waren die EU, die NATO, die WEU und die OSZE. Lemke, „Rüstungskontrolle“, a.a.O., (Anm. 254), S. 120. 256 Lemke, Vorfeld, a.a.O., (Anm. 254), S. 21. In einer tabellarischen Übersicht wurden die beteiligten Staaten auch explizit aufgeführt. Neben Ägypten (abgetrennt mit einem Doppelstrich) waren es der engere Maghreb mit Algerien, Marokko und Tunesien, davon mit einem Doppelstrich getrennt Malta und die Türkei, wiederum mit einem Doppelstrich getrennt Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal, Spanien. Ebd., S. 17. Im Sammelband fand sich eine ähnliche Tabelle Lemke, „Rüstungskontrolle“, a.a.O., (Anm. 254), S. 112..

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handlungsvorschlag zu unterbreiten.257 So könne das „Interesse der Europäer“ an Fortschritten im Madrid-Prozess stärker zum Ausdruck gebracht werden. 258 Verkürzt um die Interessen der Europäer und den deutschen Impuls nahm Lemke den Gedanken ebenfalls in den genannten Sammelband auf.259 Außerdem nannte er in diesem Beitrag die unterschiedlichen Beteiligungen im Zusammenhang mit unterschiedlichen konzeptionellen Ansätzen: Der EU geht es um den gesamten mediterranen Raum, den europäischen Sicherheitsinstitutionen [gemeint waren die NATO, die Westeuropäische Union und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, J. W.] und dem Mittelmeerforum vorwiegend oder ausschließlich um Nordafrika. 260

Die Unterschiede im Selbstverständnis der unterschiedlichen Staatengruppen – teilweise auch innerhalb einzelner Organisationen – brachte Lemke mit der Abstufung von mediterran zu nordafrikanisch pointierter zum Ausdruck als noch in dem Arbeitspapier. In der SWP herrschte gegen Ende des Untersuchungszeitraums Ernüchterung, was die Hoffnungen anging, dass die Unterschiede in den Vorstellungen insbesondere vom Maghreb sukzessive abnehmen würden. Wenn SWP-Mitglieder die deutschen und französischen Europarepräsentationen einander gegenüberstellten, war das Ergebnis oftmals ernüchternd, was den Bereich des westlichen Mittelmeers anging. Politische Gewalt, beispielsweise in Algerien, war ein wichtiger Faktor, der ebenfalls zu einer pessimistischen Sichtweise beitrug. Auch die Unterschiede zwischen süd- und nord- beziehungsweise zentraleuropäischen Staaten boten Anküpfungspunkte. Frankreich wurde dann zumeist als südlich, Deutschland eher als nördlich verstanden. Trotz der Erkenntnis, dass noch kein europäisch-einheitliches Zeitalter angebrochen war, ordneten nicht alle SWPMitglieder derartige Divergenzen ausschließlich negativ ein. In ihnen konnte auch problemlösende Kraft stecken. Ähnlich verhielt es sich mit dem Bereich der Kooperation und Entwicklung, der ebenfalls Raum für zahlreiche Repräsentationen des Anderen bot. Der Maghreb als Beispiel für Probleme unterschiedlicher Entwicklung Die Andersartigkeit des Maghrebs zeigte sich in den SWP-Texten auch als Problem unterschiedlicher Entwicklung. Erstens rückte mit der zunehmenden Konstitutionalisierung der Gemeinschaft die Formel der „immer engeren Union“ 257 In den Verhandlungen sollte es um sogenannte freiwillige Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen gehen. Wie die Zusammenfassung des Argumentes andeutet, verwischte der Beitrag Unterschiede zwischen Europa und der EU. Lemke, Vorfeld, a.a.O., (Anm. 254), S. 29. 258 Ebd., S. 28. 259 Lemke, „Rüstungskontrolle“, a.a.O., (Anm. 254), S. 120. 260 Ebd., S. 111.

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in den Vordergrund.261 Innerhalb der EU sollte dieser Leitsatz integrierend und kooperationsverstärkend wirken. Obwohl, wie im vorangegangen Unterabschnitt geschildert, auch nationale Sichtweisen thematisiert wurden, schien die zukünftige gegenseitige Annäherung innerhalb des konstitutionellen Europas unausweichlich zu sein. Zweitens war immer häufiger von Europa (ohne jegliche Präzisierung) die Rede, wenn eigentlich die Mitglieder der Gemeinschaft gemeint waren. Die Autorinnen und Autoren der SWP konnten diesen Trend an den erfolgten und noch zu erwartenden Erweiterungen festmachen. Dies hatte Auswirkungen auf die Eigen- und Fremdrepräsentationen, wie nachfolgend gezeigt werden soll. Die zentrale Frage, um die es in diesem Abschnitt gehen soll, ist daher, inwiefern es Folgen für die Abgrenzung gegenüber einer als anders aufgefassten Region (dem Maghreb) hatte, wenn sich die Repräsentationen des Eigenen europäisierten. Wurde die eigene Entwicklung von gegenläufig verstandenen Prozessen anderswo abgegrenzt? Der Maghreb bot zahlreiche Anknüpfungspunkte, um ein Gegenbild zum europäischen Wandel zu konstruieren. In dieser Vergleichsperspektive war der Maghreb eine Region, die bei der Kooperation und Entwicklung stagnierte oder gar zurückfiel. Da der Europarat eine Institution war, die auf das Ende des Kalten Krieges schnell (nämlich durch die Integration ehemaliger Ostblockstaaten) reagieren konnte, bot 1992 die Konferenz „Europe and North America“, an der die SWP maßgeblich beteiligt war, eine erste Möglichkeit, ein ausgesuchtes Publikum auf die erwähnten Unterschiede aufmerksam zu machen.262 Der englische Titel des entsprechenden Beitrags lautete: „The Mediterranean Challenge. Europe and North Africa“.263 Ulrich Schlie hob darin den Maghreb als potentielle Gefahr aus seiner Darstellung des Mittelmeerraums heraus: Islamischer Fundamentalismus, übersteigerter Nationalismus und der Hang zur Gewalt im Inneren zeichneten seiner Meinung nach die Maghrebstaaten aus. Im Vergleich zur EG war seine Einschätzung der Maghrebunion (UMA) eindeutig: „The Maghreb Union has never become a counterpart to the EC, as was originally intended“.264 Hier wird deutlich, dass die Repräsentation eines Anderen mit der positiven Einschätzung des Eigenen verbunden ist – wobei im genannten Beispiel die Formulierung nahelegt, dass auch eine größere Ähnlichkeit der institutionellen Verfasstheit von Maghrebstaaten und EG-Mitgliedern einer klaren Trennung nicht im Wege gestanden hätte.

261 Der Wunsch nach einem „immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“ wurde bald für entsprechende Übersichtswerke genutzt, anfangs allerdings oft mit einem Fragezeichen versehen, z. B. Desmond Dinan, Ever Closer Union? An Introduction to the European Community, (Basingstoke, Hampshire: Macmillan, 1994). 262 Neben Mitgliedern von Beratungsinstituten nahmen vor allem Politiker, Diplomaten und Journalisten an der Konferenz teil. Zu Eigenrepräsentationen auf der Konferenz siehe den vorangegangenen Abschnitt zum Anderen in den Publikationen der SWP 263 Schlie, „Mediterranean“, a.a.O., (Anm. 172). 264 Ebd., S. 16.

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Nach einer längeren Phase, in der man sich mit den maghrebinischen Kooperationsdefiziten265 weniger ausführlich befasste, behandelten nach der Konferenz von Barcelona wieder zahlreichere SWP-Arbeiten dieses Thema. Dies lässt sich damit erklären, dass das Institut an dem vielversprechenden Dialog in Kooperations- und Entwicklungsfragen teilhaben wollte. Bei Papieren, die sich direkt auf die ökonomische Entwicklung des Mittelmeerraums bezogen, fällt auf, dass der Fokus weit mehr auf den arabischen Staaten und ihrer Positionierung gegenüber israelischen Konzepten lag. Volker Perthes analysierte beispielsweise in einem Arbeitspapier die wirtschaftliche Kooperation im gesamten arabischen Raum, die Staaten Nordafrikas subsumierte er in dieser Beschreibung unter der englischen Beschreibung Middle East.266 Völlig unberücksichtigt blieb der Maghreb jedoch nicht, beispielsweise beim Arbeitskräfteaustausch: Maghrebinische Arbeiter migrierten demnach weit öfter nach Europa als in arabische Staaten; für den Maghreb wurde keine innerarabische Arbeitsmigration verzeichnet.267 Die EU (zum Beispiel der Außenhandelsanteil zwischen den Mitgliedsstaaten268) fungierte implizit oder explizit als Modell, wenn es um die Regionalintegration ging, von der nach Perthes nur im östlichen Teil der arabischen Welt die Rede sein könne (beispielsweise sei der Außenhandelsanteil zwischen den arabischen Staaten sehr viel niedriger). Kein Land des Maghreb sei nennenswert in sein „arabisches Umfeld“ integriert.269 In der Bewertung der Wirtschaftsbeziehungen zeigte sich zudem der Fokus des SWP-Forschers auf den Friedensprozess. So setzte er einen Friedensschluss zwischen Israel und der arabischen Welt als Grundlage für Kooperation in der Region voraus und berichtete über Ängste, Israel werde eine ökonomische Desintegration zwischen Maschrek und Maghreb bewirken.270 Anfang 1996 verwies Michael Stürmer im Rahmen eines Kolloquiums im Militärinstitut der belgischen Armee auf Fernand Braudel – dieser habe nicht nur die Einheit des Mittelmeerraums, sondern auch seine Diversität betont. Insofern verhielt sich Stürmer in seiner Argumentation auch ähnlich wie Braudel, der methodisch gesehen „das Teleskop“ bevorzugte und damit „eher den Determinis265 Die in dieser Repräsentation implizite Rückständigkeit des Maghrebs bildete ein Beispiel für Probleme der gesamten arabischen Welt. Der Verweis nicht nur auf die maghrebinischen, sondern auch die Maschrek-Länder im östlichen Mittelmeerraum wurde durch den Rahmen der Erklärung von Barcelona befördert, die ebenfalls südwestliche und südöstliche Anrainer einschloss. 266 Volker Perthes, Arab Economic Cooperation: A Critical View from Outside (KASWP, 2943), (Ebenhausen, 1996), insbes. S. 5. 267 Ebd., S. 10–11. Zur graphischen Aufbereitung dieser Wirtschaftsbeziehungen siehe auch: Johan Wagner, „Europe as a Model in International Relations? Representations of Europe in German and French Political Think Tanks, 1990–2000“, in: Comparativ 22 (2012), 6, S. 80– 99, insbes. S. 88, Anm. 40. 268 Perthes, Cooperation, a.a.O., (Anm. 266), S. 7. Den gemittelten Außenhandelsanteil zwischen den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten gab Perthes mit 60 Prozent an. 269 Ebd., S. 13. 270 Ebd., S. 24–25.

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mus“ betonte.271 Nur der Norden der Region sei Teil der NATO, der EU und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Der Süden sei nach dem Fall des „Arabism“ und dem hier und da aufflackernden religiösen Fanatismus wenig einig. Probleme seien die Bevölkerungsexplosion, die Umweltverschmutzung und die Sorgen um die Wasserversorgung.272 Im Vergleich der Nachbarschaftsregionen wurde das Problem der Entwicklung großgeschrieben. In der sogenannten „Vorbemerkung/Executive Summary“ zum Papier der Gastautorin Andrea Éltetö machte der Verantwortliche der SWP, Jürgen Nötzold, deutlich, wie er die euro-mediterrane Kooperation verstand.273 Die „politischen Risiken“ seien in der Mittelmeerregion größer, die Mittel „nicht mehr […] als ein Zeichen der Kooperationsbereitschaft der EU“. Den traditionellen Mustern der vor allem wirtschaftlichen Beziehungen im Maghreb und in den anderen Nicht-EU-Ländern im Mittelmeerraum stellte Nötzold die zunehmende industrielle Verflechtung mit Ostmitteleuropa gegenüber. Er trat für eine Änderung der finanziellen Transfers ein, die geringere Zahlungen und außerdem ein größeres Gewicht auf Darlehen vorsah.274 Éltetö führte aus, dass die mittel- und osteuropäischen Staaten mehr verarbeitete Waren in die EU exportierten als die Mittelmeeranrainer, deren Produktpalette auch eingeschränkter sei. Die Forscherin zitierte zwar auch eine Studie der Kommission von 1994, die nahezu vergleichbare Exportzahlen aus beiden Regionen in die EU festgestellt hatte, wies allerdings auch darauf hin, dass die Studie nach 1990 einen umgekehrten Trend beim Wachstum der Ausfuhren verzeichne. Zwischen 1990 und 1992 sei im Gegensatz zur vorangegangenen Zeit der Export aus Mittel- und Osteuropa schneller angewachsen. Der von Éltetö für den Zeitraum zwischen 1988 und 1993 berechnete Index der Exportähnlichkeit zeigte, dass die Gleichartigkeit der Ausfuhren niedrig war und in der betrachteten Zeit sogar abnahm.275 Die Mittelmeeranrainer wurden insofern in Handelsfragen als unterentwickelt gekennzeichnet, weil ihre Ausfuhren mehr oder weniger rohstoffbasiert geblieben seien. Ein wichtiger Unterschied in der Entwicklung dieser Warenströme war für die ungarische Forscherin auch die transparentere Ausgestaltung der Handelsoder Assoziierungsabkommen zwischen der Gemeinschaft und den mittel- und

271 Vgl. Peter Burke, Die Geschichte der Annales. Die Entstehung der neuen Geschichtsschreibung, Aktual. und um ein Nachw. erw. Neuausg., (Berlin: Wagenbach, 2004), insbes. S. 146. Burke weist darauf hin, dass in der Annales-Schule nach 1988 durchaus mit verschiedenen „Maßstäben von Analyse“ experimentiert wurde, wobei „individuelle Freiheit unter dem Mikroskop“ (der Mikroebene) sichtbar werde. 272 Stürmer, „Security“, a.a.O., (Anm. 200), S. 55. 273 Nötzold, „Vorbemerkung“, a.a.O., (Anm. 150), S. 7. Hervorhebung im Zitat der Überschrift durch den Autor. 274 Ebd., S. 9–10. Die Zitate finden sich auf S. 9. 275 Éltetö, Analysis, a.a.O., (Anm. 233), S. 17. Aus den Ausführungen und dem Annex war allerdings nicht ersichtlich, welche „sechs der wichtigsten Staaten des Mittelmeerraums“ den fünf ausgewählten mittel- und osteuropäischen Staaten Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien gegenübergestellt wurden.

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osteuropäischen Staaten. Diese verfügten über einheitliche Abkommen,276 anders gelagert sei die Entwicklung im Mittelmeerraum: In the MED region [im Mittelmeerraum, J. W.], there are several bilateral agreements with the EU. The EU signed a trade agreement with Morocco and Tunisia in 1976 that assured duty free accession to EU markets for several products. Beginning in 1978, however, these countries had to introduce „voluntary“ export restraints on textile and clothing products. Agricultural products of the Maghreb are constantly subject to measures of the safeguard clauses of the CAP [Gemeinsame Agrarpolitik, J. W.]. As a consequence of the southward enlargement of the EU since 1986, the Maghreb had to accept certain quotas on its fruits, olive oil, and vegetables.277

Von einer Gleichrangigkeit der Osterweiterung und der europäischen Mittelmeerpolitik konnte nach Éltetös Interpretation im Hinblick auf Entwicklung keine Rede sein. Allerdings verwies auch sie auf einige Ähnlichkeiten zwischen beiden Regionen.278 Fast zwei Jahre nach einer ersten Kurzanalyse zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der arabischen Welt folgte ein Arbeitspapier von Volker Perthes, in dem nicht die gesamte arabische Welt, sondern wie bei der BarcelonaKonferenz der südliche Mittelmeerraum im Mittelpunkt stand. Mitautorin war die externe Forscherin Heidi Kübel. Gleich in der „Vorbemerkung/Executive Summary“ wurde im Hinblick auf die Barcelona-Teilnehmer klar, dass die Arbeit – unter Vernachlässigung der Türkei, Zyperns und Maltas, Libyen dagegen eingeschlossen – sechs Themenkomplexe in den Mittelpunkt rückte, die eher die Andersartigkeit des Maghrebs und des Nahen Ostens betonten: 1. das Bevölkerungswachstum, 2. der Rückgang der Öleinnahmen und der Entwicklungshilfe, 3. den wirtschaftlicher Reformbedarf, 4. das Bildungswesen, 5. die drohende Massenarmut und 6. die politischen Reformen und den Elitenwechsel.279 In der Frage der wirtschaftlichen Entwicklung unterstrichen die Autoren, dass die Produktivität das Hauptproblem der Staaten des Mittelmeerraums sei.280 Algerien war für sie ein Beispiel dafür, dass die als Modernisierungsmaßnahme gedachte Privatisierung große soziale Verwerfungen mit sich brachte.281 In einem Exkurs zu den Partnerschaftsabkommen im Rahmen des Barcelona-Prozesses erwähnte 276 Ebd., S. 17–18. 277 Ebd., S. 18. 278 In der Vorbemerkung stellte Jürgen Nötzold die Frage, „wie sich die zur Gleichrangigkeit mit der Osterweiterung erhobene Mittelmeerpolitik auf den Annäherungsprozess Ostmitteleuropas an die EU“ auswirke. Nötzold, „Vorbemerkung“, a.a.O., (Anm. 150), S. 8. Die Frage sollte als eine Art Anmerkung zum Inhalt des Arbeitspapiers verstanden werden. Zu Aussagen des Papiers bezüglich der Ähnlichkeiten zwischen beiden Regionen (die Repräsentationen der Verflechtung unterstützten) siehe den entsprechenden Abschnitt des vorliegenden Kapitels. 279 Volker Perthes & Heidi Kübel, Sozioökonomische und politische Herausforderungen im südlichen Mittelmeerraum: Eine Bestandsaufnahme (SWP-AP, 3048), (Ebenhausen, 1997), insbes. S. 5–6. Hervorhebung im Zitat der Überschrift durch den Autor. 280 Ebd., S. 17. 281 Ebd., S. 19.

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das SWP-Papier die Abschlüsse mit Tunesien, Marokko und Israel, „drei Vorreitern im ökonomischen Reformprozeß“. Kritik wurde in diesem Zusammenhang an der Beschränkung von Textilexporten in die EU geübt, da von einer Liberalisierung des EU-Marktes Anreize zur Reform in den südlichen Mittelmeerländern ausgehen würden.282 Außerdem ist bei diesem Arbeitspapier interessant, dass mehr als zuvor zwischen den einzelnen Maghrebstaaten differenziert, beziehungsweise die Mittelmeerstaaten anders eingeteilt wurden, etwa wenn die Demokratisierungsschritte und ihre verschiedenen Umgestaltungen zu einem „kontrolliertem Pluralismus“ in Jordanien (Restriktion der Opposition, aber Eingliederung in das parlamentarische System) und in Algerien (Abgleiten in den Bürgerkrieg) einander gegenübergestellt wurden.283 Einen vor allem politischen Blick auf den Status quo der Maghrebstaaten lieferte der Beitrag des französischen Gastautors Rémy Leveau, der in seiner Analyse auf der Entwicklungsverantwortung gegenüber Nordafrika bestand. Es ist bezeichnend, dass Leveau bei der Bewertung der Chancen für eine Annäherung zwischen Maghreb und Europa der Demokratie vorerst keine großen Chancen einräumte. In einer Übergangsphase seien demokratische Systeme im Maghreb wenig geeignet, da Populismus gewalttätige Akteure an die Macht bringen könnte. Er prognostizierte, die „Gewalten […], die noch lange autoritär sein werden“ nur in eine stabile Ordnung eingebunden werden könnten, „wenn man den anderen anerkennt“.284 Die EU konnte auf zwei Ebenen dazu dienen, Repräsentationen des Anderen entstehen zu lassen, indem man die Pluspunkte der Staatengemeinschaft gegenüber Ländern unterstrich, die nicht gemeinschaftlich agierten. Dies zeigten die SWP-Texte am Beispiel der Maghrebländer oder an der arabischen Welt insgesamt. Aus der Perspektive einer zielgerichteten Entwicklung von Gesellschaft umfasste die EU einen großen Teil der Staaten, die als entwickelt galten. Darüber hinaus setzte sie in der zwischenstaatlichen Kooperation oder gar supranationalen Integration Maßstäbe. Wenn in den SWP-Produkten eigene oder externe Forscherinnen und Forscher auf diesen zwei Ebenen – Entwicklung und Kooperation – ansetzten, lief dies darauf hinaus, einen individualisierenden Vergleich vorzunehmen.285 Tagungen und Tagungsberichte zu Themen, die den Maghreb- oder Mittelmeerraum betrafen, waren für alle untersuchten Institute sowohl Mittel zur Ver282 Ebd., S. 22. 283 Ebd., S. 34–36. 284 Leveau & Fuller, Nachbarschaft, a.a.O., (Anm. 151), S. 31. Zu Leveaus Denkmustern, die eine Verantwortung Europas dem Maghreb gegenüber unterstrichen, vgl. den Abschnitt zu Eigenrepräsentationen. Langfristig empfahl Leveau trotz dieser Sicht die EU als Modell für den Maghreb. Dieser Aspekt wird ausführlicher im Kapitel zu Bezügen, Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Institute beleuchtet. 285 Zur Debatte um generalisierende und individualisierende historische Vergleiche vgl. Hartmut Kaelble, Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, (Frankfurt a. M., New York: Campus, 1999), insbes. S. 25–35.

Das Andere in den Publikationen der SWP

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netzung und Werbung in eigener Sache als auch indirekte Hinweise auf die inhaltliche Ausrichtung in diesen Bereichen. In einem Bericht zur „First SWP-IAI Mediterranean Review on Political, Security and Socio-Economic Developments“ (Dezember 1997) in der Zeitschrift Orient wurden Volker Perthes von der SWP und Roberto Aliboni vom Istituto Affari Internazionali (IAI) in Rom als Organisatoren der Veranstaltung angegeben.286 Perthes’ Beitrag beschäftigte sich – angelehnt an das zum Zeitpunkt der Tagung bereits fertiggestellte Arbeitspapier 287 – in den Augen der Berichterstatterin mit den Herausforderungen im südlichen Mittelmeerraum: „population growth, external income, economic reform, poverty, education and elite change“.288 Dem Bericht zufolge hob der SWP-Forscher auch in seiner Zusammenfassung der Tagung die Andersartigkeit hervor, wobei er Algerien zweimal als Beispiel nannte, unter anderem im Zusammenhang mit der Bedrohung durch (Staats-)Terrorismus: „Terror as a political strategy.“289 Außerdem warf er die Frage auf, welchen Einfluss die europäischen Staaten in vormals als innerstaatlich („domestic“) verstandenen Bereichen wie beispielsweise Menschenrechtsfragen ausüben könnten.290 Auch hier wurde also eine fundamentale Unterscheidung gemacht, vor allem was die aus diesem Blickwinkel rückwärtsgewandte Entwicklung in Algerien anging. Im Ergebnis zeigt sich, dass innerhalb der SWP zwei Einschätzungen dominierten: die einer mangelnden Kooperation zwischen den Maghrebstaaten sowie die einer unzureichenden, stagnierenden oder sogar rückläufigen Entwicklung. Der Fokus verschob sich dabei im Laufe der Zeit geringfügig von der Herausstellung der Unterschiede in Richtung eines als Tatsache angenommenen Entwicklungsdefizits, wobei beide Muster des Othering wie gezeigt in enger Verbindung miteinander standen.291 Anzumerken ist dabei allerdings, dass sich die Textpassagen, in denen sich ein Anderes manifestiert, nicht immer klar von solchen trennen lassen, in denen ein Europabewusstsein oder ein europäisches Selbstverständnis sichtbar wurde. Der Maghreb war innerhalb der alternativen Begriffe für Räume – Nordafrika, dem Mittelmeerraum und der arabischen Welt – mal mehr, mal weniger präsent. In Fragen der mangelnden Kooperation führte er die Negativliste an. In anderen Zusammenhängen, etwa wenn es um die Assoziierungsabkommen im Mittelmeerraum ging, griffen die Texte durchaus auch einzelne Maghrebstaaten als positive Beispiele heraus. Algerien hingegen 286 Susanne Baron, „First SWP-IAI Mediterranean Review on Political, Security and SocioEconomic Developments, 5–7 December 1997 in Ebenhausen, Germany“, in: Orient 39 (1998), S. 17–24, insbes. S. 17. 287 Perthes & Kübel, Herausforderungen, a.a.O., (Anm. 279). 288 Baron, „SWP-IAI“, a.a.O., (Anm. 286), S. 18. 289 Ebd., S. 23. 290 Perthes & Kübel, Herausforderungen, a.a.O., (Anm. 279), S. 24. 291 Prozesse des Othering, der Repräsentation als anders oder fremd, prägen sich im diskutierten Themenkomplex entweder zeitlich oder räumlich aus. In diesem Fall lag bei beiden Blickwinkeln der Schwerpunkt auf der räumlichen Dimension. Vgl. Stetter, „Euro-Mediterranean Relations“, a.a.O., (Anm. 111), S. 336.

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stand beispielhaft für Probleme im Bereich der Entwicklung. In dieser Hinsicht ging es vor allem um an räumlichen Kategorien orientierte Trennungen und Abgrenzungen. In einer weiteren Gruppe von Repräsentationen stand dagegen die Verflechtung im Mittelpunkt. DIE VERFLECHTUNG IN DEN PUBLIKATIONEN DER SWP Der Begriff der Kooperation transportierte nicht nur die zuvor angesprochene klare Unterscheidung zwischen integriertem Europa und einem als defizitär organisiert wahrgenommenen Maghreb. Dieser Abschnitt betrachtet daher Repräsentationen, die wirtschaftliche, strategische und (in geringerem Maße) auch kulturelle Verflechtungen vorstellten und reproduzierten. Die Kooperation bildete insofern ein durchaus ambivalentes Feld, in dem nachbarschaftliche Prozesse bis hin zur Verflechtung neben trennenden beziehungsweise abgrenzenden Einschätzungen ihren Platz hatten. Nicht alle Papiere und Veranstaltungen im Kontext der SWP verfolgten diesen Aspekt auf die gleiche Weise. Oft standen entsprechende Argumente nur im Kontext von Aussagen, die klar zwischen Eigenem und Anderem unterschieden. Nicht zuletzt die Vernetzung der untersuchten Institute förderte Tendenzen innerhalb der SWP, sich weitergehenden Verflechtungsideen nicht zu verschließen.292 Solche Konzepte sahen eine partnerschaftliche Kooperation vor, von der im Rahmen des sogenannten regionalen Regierens auch die Institutsmitglieder profitierten. Daher wird nachfolgend in einem allgemeineren Unterabschnitt die Verflechtung als nachbarschaftliches Phänomen, in einem spezielleren das Zusammenspiel von europäischer Mittelmeerpolitik und Politikberatung im Zeichen einer partnerschaftlichen Verflechtung thematisiert. Nachbarschaftliche Verflechtung zwischen dem Maghreb und Europa Eine Verflechtung zwischen dem Maghreb und Europa schien naheliegend, wenn es um größere Prozesse ging, also Entwicklungen, die weite Teile der Nachbarschaft Europas betrafen, nicht nur den südwestlichen Mittelmeerraum. So konnte der nicht immer genau lokalisierte Osten nicht nur als eine spezifische Herausforderung gekennzeichnet werden; eine parallele Betrachtung, etwa in Bezug auf Umbrüche, Finanzen oder Handel, war ebenfalls möglich. Das Beispiel zeigt, dass

292 Die zunehmende Vernetzung hieß im Fall der SWP jedoch nicht, dass Wissenschaftler aus dem Maghreb die Beziehungen analysierten, wie es im Arbeitspapier von Andrea Éltetö für Ost- und Mitteleuropa geschehen war. Vgl. Éltetö, Analysis, a.a.O., (Anm. 233). Erst in den 2000er Jahren schloss die SWP ein Projekt zum Elitenwandel in den arabischen Ländern ab, in dessen Rahmen auch Stipendiaten aus den Staaten selbst im Institut tätig waren. Vgl. Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 210.

Die Verflechtung in den Publikationen der SWP

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sich Verflechtung zum Teil ähnlich herleiten ließ wie die Repräsentationen eines Anderen im Maghreb. Daneben traten die Frage des EU-Beitritts der Türkei und der Friedensprozess im Nahen Osten. Die sogenannte Türkeifrage wurde dabei als eine Möglichkeit aufgefasst, der Beziehung zwischen dem Maghreb und Europa Gewicht zu verleihen. Rémy Leveau erweiterte das geostrategische Argument, dass eine Verflechtung mit dem mehrheitlich islamischen türkischen Staat positiv zu bewerten sei, um den südwestlichen Mittelmeerraum: Vorteile brächten insbesondere engere Verbindungen in Richtung Nordafrika. Der zweite Punkt, das Verhältnis zwischen Israel und den arabischen Staaten, beeinflusste direkt eine Verflechtung zwischen Europa und dem Maghreb, den der SWP-Experte Volker Perthes der arabischen Welt zuordnete.293 Insofern berühren sich beide Punkte, da in der Türkeifrage das Einflussinteresse in der Nahostregion mit thematisiert wurde. Verflechtung als wirtschaftlicher Prozess spielte 1991 in einem SWPArbeitspapier des externen Wissenschaftlers Dieter Senghaas die entscheidende Rolle bei der Beantwortung der Frage, welchen Weg Europa nehme. Senghaas hob dabei auf zwei Kernpunkte ab, die internationale Arbeitsteilung und die Notwendigkeit zielgerichteter, umfangreicher Hilfe Westeuropas. Osteuropa, dessen ökonomische Ähnlichkeit zu den Maghrebstaaten er zuvor unterstrichen hatte, könne von westlichem beziehungsweise westeuropäischem Kapital profitieren.294 Bei dieser möglichen Verflechtung ist allerdings zu bedenken, dass das Senghaas’sche Osteuropamodell nur im Hinblick auf die Hilfe aus Westeuropa auf den Maghreb übertragbar schien, da ein Exportmarktpotential östlich der osteuropäischen Staaten nicht im gleichem Maße vorhanden war.295 Hingegen argumentierte der Historiker Ulrich Schlie in seinen Beiträgen für die SWP vor allem mit einer klaren Trennung zwischen europäischem Eigenen und maghrebinischem Anderem. Dies geschah vor allem vor dem Hintergrund, dass der Kalte Krieg ein Ende fand beziehungsweise bereits gefunden hatte. In einem Beitrag für die Tagung des Europarates erweiterte er diese Position jedoch dadurch, dass er die geostrategischen Umbrüche ausdrücklich auch für den Maghreb beziehungsweise den westlichen Mittelmeerraum als relevant erachtete. Die nordafrikanischen Staaten hätten, so Schlie, die diplomatische Option verloren, sich zwischen den Supermächten zu entscheiden, die „Europäer“ seien gefragt, den in Phasen zu erwartenden Rückzug der US-Amerikaner aus der Weltmachtrolle im Mittelmeer zu kompensieren.296 Zwar bekräftigte Schlie auch die europäische Sicht auf den Maghreb als etwas gefährlich Anderes, unterstrich im

293 Damit schrieb er dem Friedensprozess zwischen Israel und den arabischen Staaten für die Frage nach der euro-maghrebinischen Annäherung Bedeutung zu. 294 Senghaas, Europa, a.a.O., (Anm. 88), S. 50–51. 295 Zu Senghaas’ Sicht auf die Sowjetunion als Exportmarkt siehe auch: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 85. 296 Schlie, „Mediterranean“, a.a.O., (Anm. 172), S. 15.

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Gegenzug aber auch, dass es im Maghreb ein Europabewusstsein gebe, welches die Sahara als Trennungslinie zwischen Europa und Afrika begreife.297 Sowohl die Orientierung an der geographischen Ordnung im Osten als auch an jener im Süden konnte eine Verflechtungsperspektive enthalten.298 In dieser multiperspektivischen Deutung ging es dann nicht nur um ein verflochtenes Westeuropa, vielmehr legten beispielsweise Senghaas und Schlie Wert auf eine Verflechtung an Westeuropas Grenzen. In den erwähnten Beispielen wurde von der alten Trennungslinie des Eisernen Vorhangs über Ostmitteleuropa Richtung Sowjetunion beziehungsweise Russland weitergedacht. In ähnlicher Weise wanderte der Blick über die allerdings aufrechterhaltene Trennungslinie Mittelmeer in Richtung Sahara und subsaharisches Afrika. Wie bei der Behandlung des Maghrebs als Beispiel für mangelnde Kooperation und Entwicklung wurde auch das Thema der Einordnung in großräumigere Dynamiken eine Zeit lang eher vernachlässigt – erst nach der Konferenz von Barcelona finden sich in Arbeiten der SWP dazu wieder Hinweise. Das Arbeitspapier der Gastautorin Andrea Éltetö enthielt neben stark zwischen Ostmitteleuropa und Mittelmeerraum differenzierenden Passagen auch Abschnitte, in denen sie Ähnlichkeiten zwischen beiden Regionen beschrieb. So sei der Binnenhandel zwischen maghrebinischen beziehungsweise ostmitteleuropäischen Nationalstaaten von geringer Bedeutung. Als Beispielzonen wurden die Maghrebunion und das Mitteleuropäische Freihandelsabkommen ausgewählt.299 Diese Übereinstimmung war unmittelbar kein Ansatz für eine verflochtene Sichtweise, es bot sich aber in beiden Beispielen ein Spielraum für zukünftige Verbesserungen. Umgekehrt betonte Éltetö, dass der Handel mit den EUStaaten sowohl im Mittelmeerraum als auch in Mittel- und Osteuropa einen hohen Stellenwert habe. Historisch schränkte die Forscherin diese Übereinstimmung allerdings ein; die Bedeutung der EU im Osten habe erst nach dem Umbruch ab 1989 „rapide zugenommen“.300 Die Ähnlichkeit betraf nach Meinung der Autorin über die nackten Zahlen hinaus auch die Struktur der EU-Exporte in beide Regionen. So fanden sich in einer tabellarischen Aufstellung über die Hauptexportprodukte der EU 1993 in beiden Regionen auf Platz 1 und 2 dieselben Warengruppen, wobei die Reihenfolge umgekehrt war.301 Die Zusammenfassung des Papiers stellte eine Gemeinsamkeit her, indem sie den oft bemühten Begriff der Entwicklung voranstellte: Die im Entwicklungsprozess befindliche Gruppe von Ländern im Osten und am Mittelmeer könne von einer Zusammenarbeit im Hinblick auf Kapital und Finanzmittel profitieren. Gleichzeitig könne es 297 Ebd., S. 19. 298 Holzschnittartig kennzeichnete erstere die Unterscheidung zwischen Osteuropa und der Sowjetunion (später Russland), letztere unterstrich den Unterschied zwischen Nordafrika und den Sahara- und Subsaharagebieten. 299 Éltetö, Analysis, a.a.O., (Anm. 233), S. 12–13. 300 Ebd., S. 15. 301 Ebd., S. 18. In Richtung der Mittelmeerländer war die Reihenfolge „special machines“ vor „tissue fils“, nach Ost- und Mitteleuropa war die Rangliste gedreht. Ebd., S. 39.

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allerdings zu Handelsdefiziten kommen. Die entwickelte Gruppe, also die EU, könne hingegen Märkte mit Entwicklungspotential hinzugewinnen, für die allerdings finanzielle Ressourcen aufgewendet werden müssten. Trotz aller Gemeinsamkeit unterschied der Schlussabsatz zwischen den Integrationsperspektiven für die Länder Mittel- und Osteuropas sowie einer traditionellen Beziehung von Zentrum und Peripherie für den Mittelmeerraum.302 Nach diesem Blick Richtung Osten erörterte der französische Gastautor Rémy Leveau in einem 1997 gedruckten Arbeitspapier den Zusammenhang zwischen der Debatte über den EU-Beitritt der Türkei und dem Verhältnis von Europa und Maghreb.303 Leveau diskutierte die Bedeutung des politischen Islam und islamistischer Bewegungen an den Fallbeispielen Algerien, Ägypten und der Türkei und setzte gegen Ende seines Beitrags Algerien und die Türkeifrage in Beziehung.304 Nicht nur politischer Einfluss stellte für die Expertinnen und Experten eine wichtige Kategorie dar, sie nahmen ebenfalls an, dass der Maghreb in wirtschaftlicher Hinsicht beeinflussbar war. Martin Koehler hob in einem Beitrag für das Conflict Prevention Network, der die ungleiche ökonomische Entwicklung in der Region analysierte (Dynamik des EU-Binnenmarktes, Fragmentierung im Maghreb), die internationale Dimension hervor: In den 1990er Jahren sei klar geworden, dass ein Satellitensystem des wirtschaftlichen Wachstums an seine Grenzen stoße. Die EU könne nicht länger mit ihrem eigenen Bedarf über mangelnde regionale Kooperation hinwegtäuschen. Das internationale Klima sei günstig, um diesen Zustand zu ändern. Dies sei vor allem Aufgabe der EUEuropäer: „This is now mainly a political task for the EU, as the regions economic centre of gravity.“305 Für Europarepräsentationen wichtige Prognosen standen oft in den Vorbemerkungen oder kamen am Schluss zur Sprache. Ein Beispiel ist der Abschnitt „Entwicklungstendenzen“ im genannten Papier zum südlichen Mittelmeerraum.306 Dort hieß es zur Möglichkeit eines Scheiterns des Friedensprozesses zwischen Israelis und Palästinensern: Eine solche Entwicklung ließe allerdings auch das euro-mediterrane Partnerschafts- und Strukturbildungsprojekt auf Grund laufen. Die Frage, ob und inwiefern die einzelnen Länder des südlichen Mittelmeerraums den sozio-ökonomischen und politischen Herausforderungen einer solchen Partnerschaft gewachsen sind, wäre damit für einige Zeit obsolet.307

302 Ebd., S. 34. 303 Leveau & Fuller, Nachbarschaft, a.a.O., (Anm. 151). 304 Ebd., S. 28. Dieses Beispiel, in dem Leveau unmittelbar Bezug auf die in der Bundesrepublik vordringliche Frage nahm, ob die Türkei der EU beitreten sollte, zeigt, wie Akteure aufeinander verwiesen. Daher wird es ausführlich im Kapitel zu Bezügen, Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Institute behandelt. 305 Martin Koehler, „Unequal Development“, in: Maghreb, In-depth-Study 1997, (o. O., 1997), S. 105–112, insbes. S. 106. 306 Perthes & Kübel, Herausforderungen, a.a.O., (Anm. 279), S. 41–44. 307 Ebd., S. 44.

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Der Maghreb als Teil des Mittelmeerraums blieb aus nahöstlicher Sicht in der Diskussion, was auch der SWP-Beitrag bei einer Konferenz zur Zusammenarbeit zwischen Europa und den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens deutlich machte. In den Augen des Nahost-Experten der SWP, Volker Perthes, wirkte „Europa“ im Rahmen des Barcelona-Prozesses auf den arabisch-israelischen Konflikt.308 Allerdings sei diese Verbindung zweiseitig, negative Rückwirkungen von Problemen im Friedensprozess gebe es ebenfalls, zudem seien die Erwartungen überzogen gewesen: „Die Europäer haben 1995 und 1996 sehr ambitiöse Vorstellungen gehabt […].“ 309 Die EU habe diese Verflechtung erkannt. Gemeinsame Sicherheit und Stabilität im Mittelmeerraum sei nur dann erreichbar, wenn aus europäischem Eigeninteresse mehr politische Verantwortung im arabisch-israelischen Friedensprozess übernommen werde.310 Die Ausführungen zu den europäischen Beziehungen mit den Regionen im Osten, Südosten und Süden lassen ein neues Nachdenken über Grenzziehungen erkennen. Die Arbeiten der SWP teilten nicht immer so rigoros ein, wie die geschilderten Repräsentationen des Eigenen und des Anderen glauben machen könnten. Ob nun auf Chancen für eine international arbeitsteilige Wirtschaft, auf Ähnlichkeiten der politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Entwicklung der Nachbarregionen oder auf Beziehungen unterschiedlicher geographischer Räume untereinander verwiesen wurde – immer lag in diesen Schilderungen ein verbindender Effekt, der die bis dato klar gezogenen Grenzen zumindest verwischte. Bei den meisten der Beispiele blieb die Unterscheidung dennoch gut erkennbar, zumal sich die Verflechtungsideen in andere Abschnitte einfügten, in denen die gleichen Akteure dichotomischer zwischen dem Eigenem und dem Anderen unterschieden. Nur die wenigsten Artikel verwiesen auf ein Europabewusstsein im Maghreb, während die überwiegende Mehrheit die eigenen Errungenschaften im Vergleich zu den maghrebinischen Ländern betonte oder die Herausforderungen ansprach, die dem Eigenen durch Probleme im Maghreb erwuchsen. Die nichtsdestoweniger vorkommenden Repräsentationen, die nicht ganz klar zwischen Europa und dem Maghreb unterschieden, lassen sich grob in drei Muster einteilen: Erstens analysierten vor allem Beraterinnen und Berater, die die ökonomischen Prozesse in den Blick nahmen, einige Details der Volkswirtschaften, die auf ein mögliches Ineinandergreifen hindeuteten. Zweitens gab es – wenn auch nur in Ansätzen – Vorstellungen von einer kulturellen Verbundenheit über das Mittelmeer hinweg. Drittens führten SWP-Autoren – vermehrt gegen Ende des untersuchten Zeitraums – geostrategische Argumente für eine intensivere Verflechtung zwischen Europa und dem Mittelmeerraum im Allgemeinen und dem Maghreb im

308 Perthes, „Barcelona-Prozeß“, a.a.O., (Anm. 184), S. 13. 309 Ebd., S. 16. 310 Ebd., S. 17–18. Auf die Entscheidungen der neuen deutschen Regierung bezogen, streifte Perthes diese Verantwortung gegenüber einer Verflechtung von Friedensprozess und den Beziehungen zu anderen arabischen Staaten auch im Sonderarbeitspapier „Was nicht warten kann“. SWP, Empfehlungen, a.a.O., (Anm. 185), S. 21.

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Speziellen an. Diese Tendenz stand in engem Zusammenhang mit der abschließend untersuchten partnerschaftlichen Kooperation zwischen Beratungsinstituten. Zusammenarbeit im mittelmeerpolitischen Zusammenhang Der Begriff der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, der eine zunehmende Verflechtung und mittelmeerpolitische Beziehung zwischen Europa und NichtEuropa meint, findet sich ungefähr ab 1995, seit den Vorbereitungen der Konferenz von Barcelona, in den Arbeiten der SWP. Die Mittelmeerpolitik des konstitutionellen Europas wurde vermehrt in der SWP thematisiert, während die Stiftung auch kommunikativ neue Wege ging. Im Mai 1995 erschien beispielsweise der erste SWP-brief, der sich an die exekutiv und legislativ Verantwortlichen, aber auch an wichtige Personen außerhalb dieses engen Adressatenkreises richtete. Im ersten SWP-brief wurde unter der Rubrik „Materialsammlungen“ auf eine 500-seitige Zusammenstellung zur Kooperation der EU mit den Mittelmeerstaaten in der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit verwiesen.311 Mit Susanne Fries, Christine Hammann und Joachim Held waren andere Bearbeiter zuständig, als beispielsweise für die SWP-Dokumentation über Herausforderungen für die EU.312 Die SWP-Dokumentation zur Migration im Mittelmeerraum ging auf verschiedene Felder, unter anderem Wirtschafts- und Entwicklungspolitik sowie politische Zusammenarbeit, ein.313 Die Bearbeiter der Dokumentation verwiesen auf Verflechtungsansätze im Rahmen der politischen Kooperation zwischen beiden Staatengruppen, wobei die Konferenz von Barcelona als zentral für „Inhalt und Form der von der EU angestrebten engeren Beziehungen“ angesehen wurde. Die Kommission plane, die vorhandenen Assoziierungsabkommen zu nutzen, um Stück für Stück eine Freihandelszone einzurichten. Aus diesem Kern solle sich eine Partnerschaft im wirtschaftlichen und politischen Bereich entwickeln.314

311 SWP, „Materialsammlungen“, in: SWP-brief (1995), 1, Mai 1995, S. 6–7, insbes. S. 6. 312 Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Herausforderung, a.a.O., (Anm. 174). Die Rechercheteams für SWP-Dokumentationen bzw. Materialsammlungen waren allerdings nicht per se getrennt, im SWP-brief Nr. 3 vom September 1995 war beispielsweise auch Leo Deser mit einer Materialsammlung zum Thema „Mittelmeerpolitik der Europäischen Union“ vertreten, SWP, „Materialsammlungen“, a.a.O., (Anm. 181). 313 Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Migration Bd. 1, a.a.O., (Anm. 198), S. 269–276. 314 In der Dokumentation lautete der Titel der Zusammenkunft noch „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum“ (Datum 23. und 24. November 1995). Die Konferenz fand allerdings am 27. und 28. November 1995 statt, auf Deutsch wurde der Titel „Europa-Mittelmeer-Konferenz“ gewählt. Europäische Kommission, „Erklärung von Barcelona und Arbeitsprogramm“, in: Bulletin der Europäischen Union, (1995), S. 153–164.

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Neben dieser allgemeinen Verknüpfung über politisch-wirtschaftliche Bezüge benannten die Bearbeiterinnen und Bearbeiter der SWP den Schutz der EUMitgliedsstaaten vor Belastungen durch Einwanderungen als Ziel der verflochtenen Politik, das zunächst über bilaterale Abkommen, dann im Rahmen eines Mittelmeerkooperationsabkommens erreicht werden sollte: Globales Ziel der neu zu definierenden europäischen Mittelmeerpolitik soll es sein, kooperationsbereite und kooperationsfähige Regime zu stabilisieren. Generell soll mit Hilfe einer verstärkten politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit auch vermieden werden, daß plötzliche, umfangreiche Migrationsbewegungen entstehen […].315

Kooperation war für Reinhardt Rummel, der beide SWP-Dokumentationen zu Themen der Migration aus dem Maghreb betreut hatte,316 das Hauptanliegen in einem Konferenzbeitrag, der in einem Band mit dem passenden französischen Titel „Méditerranée. Le pacte à construire“ veröffentlicht wurde.317 Berücksichtigt man in der Einigung auf gemeinsame rhetorische Formeln die Unterschiedlichkeit verschiedener Sprachen, kann hier ergänzt werden, dass ein „Pakt“ aus Rummels Sicht nicht das geeignete Wort war, um Zusammenarbeit zu beschreiben. Der Begriff werde zu eng verstanden und klinge zu militaristisch. Sein Vorschlag für eine Bezeichnung lautete daher: „Mediterranean Cooperation Area“.318 In dem Beitrag plädierte der Spezialist für westeuropäische Zusammenhänge für die Einrichtung einer solchen Kooperationszone. Man müsse multilateral und institutionell vorgehen, um die Zusammenarbeit zwischen den Mittelmeerstaaten zu vertiefen. Die Erfahrungen mit dem Stabilitätspakt für Osteuropa und mit den Beziehungen zwischen EU und GUS könnten hier nützliche Ansätze liefern.319 Zwar bezweifelte Rummel, dass man eine generelle Lösung für eine verstärkte Kooperation finden könne, führte aber für einzelne Organisationen Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf. Die NATO könne im Bereich Verteidigung, militärische Friedenssicherung und Rüstungskontrolle eine Rolle spielen. Im Rahmen der kollektiven Sicherheit nannte Rummel auch die OSZE.320 Der Europarat, dessen Arbeit durchaus auch eine kulturelle Dimension habe, könne im Feld der Menschen- und Minderheitenrechte Erfolge vorweisen.321 Die EU wiederum fasste Rummel vor allem unter dem Stichwort der Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich.322 Im Zusammenhang mit dem Abkommen von Schengen problematisierte Rummel sowohl die Mechanismen der Abschottung 315 Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Migration Bd. 1, a.a.O., (Anm. 198), S. 276. 316 Christoffel-Crispin, Deser & Rummel, Herausforderung, a.a.O., (Anm. 174).; dies., „Migration im Mittelmeerraum“. Sicherheitsherausforderung für die EU?, 2 Bände (Aktuelle SWP-Dokumentation, 16), (Ebenhausen, 1995). 317 Fondation Méditerranéenne d’Etudes Stratégiques (Hrsg.), Méditerranée, a.a.O., (Anm. 145). Frei ins Deutsche übersetzt: „Mittelmeer(raum). Ein Pakt für die Zukunft“. 318 Rummel, „MCA“, a.a.O., (Anm. 201), S. 150. 319 Ebd., S. 154. 320 Ebd., S. 155. 321 Ebd., S. 155–156. 322 Ebd., S. 156.

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(siehe oben) als auch das Potential, dass durch „organisierte Interdependenz“ freigesetzt werden könne: German foreign policy has only recently begun to focus more on the Mediterranean, probably starting in 1995, when the Schengen Agreement was implemented. […] Germany has become a „Mediterranean country“. High priority is given to this region, because there is a high potential for both violent conflict and benefits to arise from organized interdependence.323

In einem Beitrag aus dem Jahr 1998 übernahm der SWP-Experte Volker Perthes den Begriff des „Mediterranean country“ Deutschland, ohne allerdings auf den Beitrag Rummels zu verweisen.324 Im Hinblick auf den Widerstand der europäischen Agrarlobby gegen zu weitgehende Zugeständnisse, was den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus den Mittelmeerpartnerländern anging, übte er in dem entsprechenden Arbeitspapier deutliche Kritik. Das Papier nannte explizit deutsche und niederländische Schnittblumen- und spanische Tomatenmarkproduzenten. Die Kritik auch an Deutschland und den Niederlanden passte zum Kontext, in dem der Beitrag entstand. Er bildete die erste Nummer einer Reihe von Berichten der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo), ein Netzwerk, welches mehrheitlich Institute aus Mittelmeerländern vereinte. Perthes meinte, die europäischen Gesellschaften müssten noch lernen, dass Partnerschaft und Freihandel keine Einbahnstraßen seien. Beide Seiten müssten sich bewegen.325 Eher in die andere Richtung der Einbahnstraße wies sein Beispiel zur Menschenrechtsthematik innerhalb der in Barcelona verkündeten Partnerschaft. Es sei keine unzulässige Einmischung, auf der Einhaltung von Menschenrechten in allen beteiligten Staaten zu beharren. Wenn beispielsweise das Europäische Parlament tunesische Menschenrechtsaktivisten einlade, solle die tunesische Regierung wissen, dass es besser sei, diesen Menschen auf ihrer Reise keine Steine in den Weg zu legen.326 Sowohl bei den Agrar- als auch bei den Menschenrechtsfragen waren hier beispielhaft euro-maghrebinische Beziehungen in den Mittelmeerkontext eingebettet. Im gleichen Papier wurde im Zusammenhang des Nahost-Konflikts deutlich, dass Perthes’ professionelle Interessen – genauso wie jene des EuroMeSCo-Netzwerks – ebenfalls Eingang in das Papier fanden: There is an increasing need for informal discussions between scholars, experts and officials on questions like threat perceptions, regional security, bilateral and multilateral patterns of co-operation, or their visions for a regional order after a settlement. Such ventures should proceed rather quietly. In addition to that, Europe should encourage and further a regular open exchange of views and analyses between officials from the Euro-Mediterranean Partnership countries and scholars. Among other things, therefore, Germany might host a politicalacademic seminar on some of the long-term challenges and policy questions facing the EuroMediterranean Partnership to be attended by officials and parliamentarians from the European

323 324 325 326

Ebd., S. 150. Perthes, Germany, a.a.O., (Anm. 184). Ebd., S. 5. Ebd., S. 6.

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Stiftung Wissenschaft und Politik Union, its member states and its Mediterranean partners and by scholars from the EuroMeSCo network.327

Der Militärexperte der SWP, Hans-Dieter Lemke, verwies in einem Arbeitspapier vom März 1999 ebenfalls auf die Bedeutung des Netzwerkes EuroMeSCo und regte nachdrücklich die Schaffung einer Plattform für den informellen Austausch zu Themen der regionalen Sicherheit an.328 Diese Ausgabe der Arbeitspapiere enthielt zudem eine zweiseitige Zusammenfassung mit dem Titel „Problemstellung und Empfehlungen“, in der unter anderem der EU empfohlen wurde, die für die Forschungsinstitute wichtige EuroMeSCo in einem größeren Rahmen fortzusetzen, „um die Mitwirkung aller Staaten in der Region zu ermöglichen“.329 In den Bekanntmachungen zur Veranstaltungspraxis der SWP machte die Stiftung vermehrt von dem Begriff der partnerschaftlichen Zusammenarbeit Gebrauch, so etwa bei einer vom 19. bis 20. März 1999 in Bonn stattfindenden Konferenz im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands, die man „in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt“ ausrichtete. Die Veranstaltung trug neben der Partnerschaft auch den Dialog schon im Titel: „Euro-Mediterranean Political and Security Partnership Dialogue“.330 Die Rhetorik der Partnerschaft wurde, wie das vorangegange Beispiel zeigt, vermehrt genutzt. In einem im Jahr 2000 – am Ende des Untersuchungszeitraums – erschienenen Beitrag entwarf Volker Perthes eine Zukunftsvision für die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP), die ebenfalls die partnerschaftliche Zusammenarbeit betonte.331 Unter dem Stichwort „regionales Regieren“ schilderte er die programmatische Orientierung der europäischen Mittelmeerpolitik der Zukunft. Sie werde, so Perthes, Probleme behandeln, die nur gemeinsam von allen Partnern zu lösen seien, somit werde der Begriff der internationalen Ordnungspolitik aufgegriffen:

327 Ebd., S. 9. 328 Lemke, Vorfeld, a.a.O., (Anm. 254), S. 28. 329 Ebd., S. 5–6. In dem auf dem Papier aufbauenden Beitrag, der im Jahr 2000 in einem Sammelband der SWP erschien, wurde die Bedeutung einer solchen Plattform leicht verändert ebenfalls unterstrichen. Die Frage nach Hannibal vor den Toren – mit diesem antiken Zitat war der Sammelband betitelt – konnte auf diese Weise einen beabsichtigten Effekt intra muros haben. Lemke, „Rüstungskontrolle“, a.a.O., (Anm. 254), S. 119. 330 SWP, „Konferenzen und Kolloquien in Auswahl“, in: SWP-brief (1999), 25, Mai 1999. Unter „Analysen“ wurde im gleichen SWP-brief darauf hingewiesen, dass auch ein Bericht erschienen sei. Hier wurde auch auf den Rahmen des EuroMeSCo-Netzwerks hingewiesen, der Titel der Zusammenfassung lautete „Euro-Mediterranean Security Dialogue Informal EuroMeSCo-Senior Officials Seminar, Bonn, Ministry of Foreign Affairs, 19/20 March 1999“. SWP, „Analysen“, in: SWP-brief (1999), 25, Mai 1999, S. 1–4, insbes. S. 4. Eine vierseitige Zusammenfassung der euro-mediterranen Dialogveranstaltung (bei welcher der Aspekt des politischen Dialogs in der Überschrift nicht vorkam) wurde im kommenden Heft erneut aufgelistet (dies war eher ungewöhnlich). Allerdings wurde bei beiden Vermerken keinerlei Inhaltsangabe mitgeliefert. SWP, „Analysen“, in: SWP-brief (1999), 26, Juli 1999, S. 1–5. 331 Perthes, „Partnerschaft“, a.a.O., (Anm. 189).

Fazit

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Mit „regionalem Regieren“ wird der in der Globalisierungsdiskussion geprägte Begriff „global governance“ aufgegriffen und adaptiert, der die Notwendigkeit beschreibt, trotz unübersehbarer Machtasymmetrien ein Mindestmaß an verbindlichen Regeln für grenzübergreifende Prozesse zu vereinbaren, um damit politische Steuerungsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder wiederzugewinnen. Ich gehe gleichzeitig davon aus, daß viele der angeblich „globalen“ oder „globalisierten“ Probleme und Phänomene tatsächlich regionalen Charakter haben (man denke etwa an Migration, ökologische Gefahren, Kapitalströme) und regionaler Lösungsbemühungen bedürfen. 332

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Mitte des Jahrzehnts innerhalb der SWP die Rede von der Partnerschaft im Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb auch Indikator für eine Verflechtung war. Sie schlug sich sowohl in den Selbstdarstellungen der SWP als auch in den Analysen der verschiedenen SWPMitarbeiterinnen und Mitarbeiter nieder. Womit ist dieser Wandel zu erklären? Den untersuchten Texten ist gemeinsam, dass sie im Kielwasser der entsprechenden Politik der EU den Maghreb stark im Mittelmeerkontext betrachteten. Ein Erklärungsansatz ist daher, dass die national geprägte SWP sich in dieser Frage europäisierte. Das Mittelmeer war nunmehr enger an Deutschland herangerückt, mit anderen Worten: Der Mittelmeerraum und insbesondere der Maghreb wurde für die deutsche Außenpolitikberatung relevant. Für das Verständnis dieser Entwicklung ist wichtig, sich das vernetzte Betätigungsfeld333 vor Augen zu führen. Außerdem betonten die Beispiele, welche die Kooperation im Mittelmeer thematisierten, oft Phänomene der Verflechtung. Dabei war die euromaghrebinische Beziehung zentral, etwa wenn die Texte im Kern die Migration oder die Handelsbeziehungen im Agrarbereich behandelten. Aus diesem speziellen Deutungsmuster von Verflechtung in Verbindung mit den geschilderten Eigen- und Fremdrepräsentationen lässt sich ein Wandel innerhalb der SWP nachweisen, der auch im Fazit Berücksichtigung findet. FAZIT Die SWP wurde zwar etwas später gegründet als die DGAP,334 nahm jedoch in der deutschen Beratungslandschaft, die bis in den Untersuchungszeitraum hinein von der sicherheitspolitischen Ausrichtung aus der Zeit des Kalten Krieges geprägt war, eine zentrale Position ein. Von ihrer ursprünglichen Konzeption nach dem Vorbild der RAND Corporation löste sie sich in zweierlei Hinsicht: erstens durch zunehmenden Kontakt mit der Öffentlichkeit und zweitens durch die Vorbereitung des Umzugs nach Berlin. Im Untersuchungszeitraum waren ein Historiker und ein Journalist als Direktoren für diese Weiterentwicklungen des Institutskonzepts verantwortlich, Michael Stürmer ab 1988 und Christoph Bertram 332 Ebd., S. 346. Hervorhebung durch den Verfasser. 333 Vgl. die vorangegangenen Verweise auf das Netzwerk Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo). 334 Vgl. Kapitel 3.

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ab 1998. Spätestens unter der Führung von Bertram wurde vermehrt zum Thema Maghreb gearbeitet, schon allein, weil er die Kooperation zwischen einzelnen Bereichen des Instituts verstärkte, zudem hatte bereits sein Vorgänger der SWP eine weniger verschwiegene Linie verordnet. Generell erweiterte man in den 1990er Jahren das Themenspektrum um die bisher eher vernachlässigte nordafrikanische Region. Inhaltlich ging es zu Beginn des untersuchten Zeitraums bei der Frage nach dem Verhältnis von Europa und dem Maghreb oft um die NATO- oder EG-Partner oder die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik, die sich bereits auf der Agenda befand. Auch eine sogenannte „Europäisierung“ fand Eingang in die Diskussionen in der SWP, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Einwanderungsproblematik. Neben einer solchen, aus der Integration der europäischen Staaten entwickelten Haltung, vertrat ein Gastautor die These, dass das Ende des Kalten Krieges nicht nur Europa verändere, sondern beispielsweise in der Umwelt- oder Nachbarschafts-Politik weitergehende Auswirkungen habe. Gegen Ende der 1990er Jahre entwickelte sich der Maghreb zu einer wichtigen Nachbarschaftsregion, mit der einige SWPMitglieder – sowohl aus Forschungs- als auch aus Informations-Bereichen – vor allem EU-Mittelmeerpolitik assoziierten, wobei hier Migrationsfragen Priorität hatten. Im Zusammenhang mit dem Maghreb bezogen sich die Repräsentationen des Eigenen in dreierlei Hinsicht auf Repräsentationen des Anderen. Erstens bildete der Maghreb ein zusätzliches Kompetenzfeld der SWP, die bisher vor allem Fragestellungen aus dem Kontext des Kalten Krieges bearbeitet hatte. Zweitens war der Maghreb ein Indikator für innereuropäisch divergierende Außenpolitikansätze, insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland. 335 Drittens boten sich die Begriffe Kooperation und Entwicklung an, um das vermeintlich Europäische beziehungsweise Nicht-Europäische zu kennzeichnen und voneinander abzugrenzen. Die Funktion des Maghrebs als außenpolitischer Lackmustest nutzte die Gastautorin Andrea Éltetö, um auf Verflechtungen zwischen West und Ost und zwischen West und Süd zu verweisen. Weitere Verflechtungsansätze lassen sich als volkswirtschaftlich, kulturell oder geostrategisch geprägt beschreiben. Die Wirkung der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) sollte nicht unterschätzt werden. Sie bot Volker Perthes 1998 ein Forum, um Deutschland neu zu denken: als Staat mit zunehmendem Interesse am Mittelmeerraum.336 Die Europarepräsentationen, in die sich diese Einschätzung einschrieb, zeichneten sich insofern nicht nur durch Fortdauer aus. Vielmehr finden sich zwar Kontinuitäten, was den Gegensatz zwischen einem sogenannten Europa beziehungsweise Nicht-Europa angeht, es lässt sich jedoch auch ein Wandel feststellen, der neue Bestandteile in den Beziehungen ergänzte. Zusammen betrachtet führten diese Neuerungen jedoch nicht zu einem verringerten Gegensatz.

335 Deubner, Europa, a.a.O., (Anm. 175); Éltetö, Analysis, a.a.O., (Anm. 233). 336 Perthes, Germany, a.a.O., (Anm. 184).

DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR AUSWÄRTIGE POLITIK Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) kann mit ihrem offiziellen Gründungsdatum 1955 auf eine noch längere Geschichte als die SWP zurückblicken. Mit der Zeitschrift Europa-Archiv des Verlegers Wilhelm Cornides gab es in der unmittelbaren Nachkriegszeit einen institutionellen Vorläufer. Die Zeitschrift sollte „Verständnis für internationale Zusammenhänge, Verständnis für die deutsche Außen- und Europa-Politik in der Bevölkerung“ wecken.337 Das Hauptanliegen Cornides’ und des ersten Chefredakteurs Hermann Volle war es, eine außenpolitische Tradition der Bundesrepublik zu fördern. Daher verfolgten die Artikel eher eine gemeinsame Richtung auf der Linie der jeweiligen außenpolitischen Diskussion. Nach 1989, als Deutschland seine neue außenpolitische Rolle suchte, war die Erneuerung unter dem Herausgeber Werner Weidenfeld folgerichtig, da sie eine offenere Debatte mit sich brachte.338 Noch in den 1990er Jahren war den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zeitschrift die besondere Gründungskonstellation besonders wichtig: Sie begriffen sich nicht als Redakteure eines Mitteilungsblattes der Gesellschaft, sondern legten bei aller Kooperation mit dem Forschungsinstitut der DGAP Wert auf ihre Eigenständigkeit.339 Eine DGAP-Studiengruppe verglich schon 1964, kurz nach der Gründung des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, die Beratungssituation in Frankreich und Deutschland. Sie kam zu dem Ergebnis, dass im Bereich der langfristigen Planung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik das Verhältnis zwischen Politik und 337 Rita Süssmuth, „Begrüßungsansprache“, in: Eine Epoche unter der Lupe. Reden und Podiumsdiskussion. Fünfzig Jahre Europa Archiv/Internationale Politik, hrsg. von DGAP, (Bonn: Verlag für Internationale Politik, ), S. 2–3, insbes. S. 3. Nach Cornides waren Wolfgang Wagner von 1966 bis 1994 und Werner Weidenfeld (ab 1994) Herausgeber. Cornides hatte Anfang der 1950er Jahre auch mit Eugen Kogon, einem wichtigen Vertreter der deutschen Europabewegung, ein Projekt vorangetrieben, bis es zwischen beiden zum Streit kam. Johan Grußendorf, Die Europa-Union in der westdeutschen Tagespresse in den 1950er Jahren. Kontinuitäten und Wandel in der Berichterstattung über einen Europaverband, (Berlin: Epubli, 2007), insbes. S. 54. 338 So der Chronist der Zeitschrift Europa-Archiv/Internationale Politik, Daniel Eisermann, bei einer Podiumsdiskussion zum 50-jährigen Bestehen 1996. DGAP, „Eine Epoche unter der Lupe. Podiumsdiskussion im Bonner ‚Wasserwerk‘ am 16. Oktober 1996“, in: Eine Epoche unter der Lupe. Reden und Podiumsdiskussion. Fünfzig Jahre Europa Archiv/Internationale Politik, hrsg. von DGAP, (Bonn: Verlag für Internationale Politik, ), S. 9–34, insbes. S. 17. 339 Gespräch mit Uta Kuhlmann-Awad, Aufenthaltsraum DGAP, (17.8.2011). Im Folgenden wird zuweilen nichtsdestoweniger von der „DGAP-Zeitschrift“ die Rede sein, da schon allein aus Finanzierungsgründen eine enge Beziehung zwischen Muttergesellschaft und Zeitschrift bestand.

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Wissenschaft in Frankreich ein viel engeres als in der Bundesrepublik sei.340 Zu diesem Zeitpunkt lässt die Geschichte der DGAP noch eine weitgehende Planungseuphorie erkennen, während der Vietnamkrieg in den USA bereits eine Desillusionierung der Gesellschaft bewirkte. Bereits 1965 waren bei der DGAP insgesamt 30 Mitarbeiter angestellt. Es gab zu dieser Zeit sogar Überlegungen, analog zum 1962 in Frankreich eingerichteten Institut für strategische Studien auch unter dem Dach der DGAP eine derartige Einrichtung als Ergänzung zum allgemeinen Forschungsinstitut zu gründen.341 1962 war auch das Gründungsjahr der SWP, in der vorausgegangenen Planungsphase befürchtete Wilhelm Cornides, die DGAP könnte von der SWP überholt werden. Zwischen den beiden Instituten hatte sich allerdings bereits 1964 folgende Aufgabenteilung etabliert: Die auf geheimen Materialien beruhende Grundlagenforschung ohne klassische Veröffentlichungen fiel in den Zuständigkeitsbereich der SWP, während die DGAP prinzipiell nur mit offenen Quellen arbeiten sollte. Wie Daniel Eisermann schreibt, entschied sich die DGAP „im Zusammenhang mit der Ebenhausener Gründung [der SWP, J. W.] getreu dem Grundsatz politischer Unabhängigkeit dafür“.342 Der erste Direktor des Forschungsinstituts war Arnold Bergstraesser (1955 bis 1958). Es folgten Ulrich Gembardt (1958 bis 1961), Hans-Adolf Jacobsen (1961 bis 1965), Wilhelm Cornides (1965 bis 1966), Wolfgang Wagner (1966 bis 1970) und Karl Carstens (1970 bis 1973). Von 1973 bis 2003 war Karl Kaiser Direktor des Forschungsinstituts der DGAP.343 1972 ließ sich der Institutsdirektor Karl Carstens als CDU-Kandidat für die Bundestagswahl aufstellen. Carstens machte Karriere und wurde noch 1973 zum Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU gewählt. Er schied Ende Januar 1973 aus der DGAP aus. In dieser Zeit beschäftigte die DGAP zwischen zehn und elf Wissenschaftler, die verschiedene Themen bearbeiteten. Bezüglich der Beziehungen im Mittelmeerraum betreuten Reinhard Lohrmann und Klaus Manfrass eine sogenannte Gastarbeiterstudie, die ausländische Arbeitskräfte aus Italien (Gemeinschaftsmitglied), Türkei (NATO-Mitglied) und Jugoslawien (blockfrei) behandelte. Insgesamt waren die integrationspolitischen Themen trotz einiger Studien an den Rand gerückt, besonders aus historischer Sicht wichtig waren jedoch die Arbeiten von Per Fischer und vor allem Walter Lipgens.344 Am 340 Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 173. 341 Das Institut français d’études stratégiques existierte unter dem Dach der Vorgängerinstitution des IFRI. Ebd., S. 177. 342 Ebd., S. 179–180. Zitat S. 180. 343 DGAP, 50 Jahre Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. 1955–2005, Bonn – Berlin, (Berlin, 2005), insbes. S. 67. 344 Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 286–288. Per Fischer setzte sich in seinem Bericht mit der Beratenden Versammlung des Europarates, ihren historischen Wurzeln und ihrem Vordringen „in das Reservat der Diplomatie, die Außenpolitik“, auseinander (Zitat aus dem Vorwort des Berichts). Per Fischer, Europarat und parlamentarische Außenpolitik (Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtigen Politik e. V./Dokumente und

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1. Januar 1989 wurde die „Arbeitsstelle Frankreich“ ins Leben gerufen. Außerdem übernahm Karl Kaiser den Vorsitz im neu eingerichteten Gesprächskreis „Frankreich/deutsch-französische Beziehungen“.345 Die letztgenannte Entwicklung zeigt exemplarisch, dass die französischen Nachbarn einen Schwerpunkt der Arbeit bildeten, und dass Karl Kaiser in allen Bereichen eine wichtige Rolle spielte. Zudem ist es hilfreich, sich vor der Betrachtung der institutionellen Entwicklungen im Untersuchungszeitraum die Bedeutung der Zeitschrift der DGAP in Erinnerung zu rufen. INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN Die DGAP zeigte in personeller Hinsicht eine hohe Kontinuität. In der Frage der thematischen Ausrichtung des Instituts sollte dagegen, ähnlich wie bei der SWP, nach dem Ende des Kalten Krieges eine Anpassung der Konzepte und Forschungsprojekte an die neue globale Lage zu beobachten sein. Wie die SWP reagierte die DGAP mit einem Umzug auf die Verschiebung des politischen Entscheidungszentrums von Bonn nach Berlin. Auch die europäischen Institutionen und ihr Wandel in den 1990er Jahren bilden sich in den zur Verfügung stehenden Materialien über die Institutsentwicklung ab. Als Konstante kann hingegen gelten, dass die Gesellschaft mit dem Direktor des Forschungsinstituts, Karl Kaiser, identifiziert wurde – nicht zuletzt deshalb, weil die Posten des Präsidenten und des Geschäftsführenden Präsidenten der Dachgesellschaft ehrenamtlich waren und ihre Inhaber öfter wechselten.346 Innerhalb der damaligen EG verstärkten sich schon zu Beginn des Untersuchungszeitraums die Verbindungen der Beratungsinstitute untereinander. Ein Beispiel hierfür ist die schon im Jahresbericht für 1990 herausgehobene European Strategy Group (ESG), in der die DGAP seit 1985 gemeinsam mit der SWP verBerichte, 16), (München: R. Oldenbourg, 1962). Walter Lipgens gilt mit seiner Dokumentation, die Europakonzepte gegen den „Nazismus“ aus den Kriegsjahren in Italien, Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Polen, der Schweiz, dem Vatikan, Großbritannien und den USA edierte, als ein Wegbereiter der deutschen historischen Forschungen zu den Anfängen der europäischen Integration. Walter Lipgens, EuropaFöderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940–1945. Eine Dokumentation (Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., 26), (München: R. Oldenbourg, 1968), insbes. S. 1. 345 DGAP, 50 Jahre, a.a.O., (Anm. 343), S. 32. Den Vorsitz hatte nach Kaiser später Karl Lamers (CDU). 346 Gespräch mit Chladek, Wittke, Zanzig, a.a.O., (Anm. 70). Auch in der vorliegenden Analyse wird aus Gründen der leichteren Lesbarkeit nicht immer klar zwischen Forschungsinstitut und Gesellschaft unterschieden. Der Einfluss der Dachgesellschaft sollte dennoch nicht unterschätzt werden. Aus Sicht des damaligen Führungsduos stand nach dem Umzug nach Berlin zur Debatte, eine Verschlankung der DGAP vorzunehmen (ohne Aufrechterhaltung der Instituts-, Bibliotheks- und Publikationsaktivitäten). Diese wurde allerdings nicht realisiert. Gespräch mit Kuhlmann-Awad, a.a.O., (Anm. 339).

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treten war. Ebenfalls erwähnt wurde das im Jahre 1990 in Paris gegründete Institut der Westeuropäischen Gemeinschaft (WEU) unter John Roper, das der Bericht als fundamental für die Europäisierung der Sicherheitspolitik hervorhob.347 Die Bibliothek arbeitete und arbeitet seit 1992 im European Information Network on International Relations and Area Studies mit, das aus einer europäischen Erweiterung des deutschen Fachinformationsverbunds Internationale Länderkunde (FIV) entstand.348 Nach der Gründung der Arbeitsgruppe „Nah- und Mittelost“ im Frühjahr 1996 wurde die DGAP in die Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) aufgenommen.349 Bereits 1991 eröffnete die DGAP in Berlin ein Büro, das der Jahresbericht der Gesellschaft mit einer Überschrift hervorhob, „großer Dank“ gebühre der BC Berlin-Consult GmbH, welche die „Verbindungsstelle“ beherbergte.350 Im Jahr 1995 betraute das Forschungsinstitut das Berliner Büro mit den Projekten „Internationale Migration als europäisches Problem“ und „Die Zukunft der deutschen Außenpolitik“.351 Am 30. Juni 1995 wurde mit dem Berliner Senat ein Kaufvertrag über den Erwerb einer Immobilie in Berlin-Tiergarten abgeschlossen, im September 1995 begannen Forschungsarbeiten und Vortragsveranstaltungen. Förderer und Mitglieder der DGAP unterstützten den Immobilienerwerb.352 Besonders die Förderunternehmen waren traditionell in der DGAP wichtig – letztlich ging die Gesellschaftsgründung von Interessen der Industrie und der Zeit-

347 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 88), S. 22–23. Im Bericht wurde der Titel „WEU-Institut für Sicherheitspolitische Studien“ verwandt, die französische Bezeichnung lautete Institut d’études de sécurité de l’Union de l’Europe occidentale (siehe auch die institutionellen Entwicklungen des CERI im entsprechenden Kapitel). John Roper war zuvor am Royal Institute of International Affairs. Zum Verständnis der ESG siehe wiederum die Einleitung des Kapitels zur SWP. Ähnlich wurde die europäische Kooperation auch im Jahresbericht zum Jahr 1991 geschildert, DGAP, Jahresbericht 1991, (Bonn, o. J.), insbes. S. 27. 348 Gespräch mit Chladek, Wittke, Zanzig, a.a.O., (Anm. 70). 349 DGAP, Jahresbericht 1996/97. Der Berichtszeitraum umfaßt die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 31. März 1997, (Bonn, o. J.), insbes. S. 63. Die Arbeitsgruppe wurde allerdings durch die Tatsache, dass der Leiter beim Umzug nach Berlin 1999 in Bonn verblieb, zu diesem Zeitpunkt unterbrochen. DGAP, Jahresbericht 1998/99. Der Berichtszeitraum umfaßt die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 31. März 1999, (Berlin, o. J.), insbes. S. 44. Das Ausbleiben einer neuen Arbeitsgruppe wurde nach dem Umzug auch mit den knappen Finanzmitteln begründet. DGAP, Jahresbericht 1999. Von Bonn nach Berlin – Umzug und Neubeginn, (Berlin, 2000), insbes. S. 5. 350 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 347), S. 13. Allerdings wurde sie aus Sicht der Mitarbeiter der Bibliothek/Dokumentation und der Zeitschrift der DGAP eher als Außenstelle des Forschungsinstituts wahrgenommen. Gespräch mit Chladek, Wittke, Zanzig, a.a.O., (Anm. 70). 351 DGAP, Jahresbericht 1995/96. Der Berichtszeitraum umfaßt die Zeit vom 1. Januar 1995 bis 31. März 1996, (Bonn, o. J.), insbes. S. 46. Dabei erweiterte die Leitung ein schon bestehendes Migrationsprojekt um die Frage nach den Auswirkungen auf die europäische Integration, nicht zuletzt um die DGAP in Berlin bekannt zu machen. Ebd., S. 63. Anfangs umfasste die Berliner Repräsentanz der DGAP fünf Mitarbeiter. 352 DGAP, 50 Jahre, a.a.O., (Anm. 343), S. 32, 60.

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schrift aus. Wissenschaftler wurden erst im Verlauf des Gründungsprozesses eingebunden.353 In einer Rede zum 40-jährigen Bestehen der DGAP 1995 erläuterte der damalige Präsident der DGAP, Werner Lamby, die Gründe für die Eröffnung der Berliner Zweigstelle und das Selbstverständnis der Gesellschaft: Berlin als Hauptstadt des vereinten Deutschlands ist auf dem Weg, sich zu einer prägenden Metropole zu entwickeln. Die Gesellschaft stellt sich der Herausforderung Berlin. Sie wird zeitgleich mit der Bundesregierung wichtige Aktivitäten nach Berlin verlegen. Denn sie betrachtet es als ihre ureigenste Aufgabe, die Diskussion der politisch Denkenden und Handelnden über die Rolle Deutschlands in der Welt dort zu organisieren, wo Regierung und Parlament ihren Sitz haben.354

Im Geleitwort eines späteren Jahresberichts hieß es zur Tätigkeit der DGAP in Berlin, diese werde eine positive Wirkung auf die Wahrnehmung der Gesellschaft in den Medien haben.355 In der Publikationstätigkeit der DGAP war das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ebenfalls ein Aufbruch zu neuen Ufern, so hieß es im Jahresbericht 1993/1994: Im Dezember 1993 wurde eine neue Veröffentlichungsreihe probeweise eingeführt: Die aktuellen Kurzanalysen. Mit ihnen wird zu aktuellen Fragen in Form einer kurzen Hintergrundanalyse (nicht mehr als acht Seiten) Stellung genommen, wobei sowohl Ergebnisse der Forschungstätigkeit als auch Beiträge aus den Vortrags- und Studiengruppenaktivitäten herangezogen werden können. 356

1994 erschien in der Reihe aktuelle Kurzanalysen ein „Frankreich und das algerische Pulverfaß“ überschriebenes Papier, 1995 ein Bericht zu „Krisenstimmung und Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich“ (beide verfasst von der DGAP-Mitarbeiterin Valérie Guérin-Sendelbach).357 Obwohl die Reihe aktuelle Kurzanalysen Ende der 1990er Jahre für den restlichen untersuchten Zeitraum beendet wurde, zeichneten sie doch eine Entwicklung hin zu kürzeren Papieren vor.358 Im Jahresbericht 1996/97 wies die DGAP zudem darauf hin, dass sie nunmehr im Internet erreichbar sei. Ähnlich wie bei der SWP hatten die ersten Internetexperimente der Gesellschaft noch mit den technischen Kinderkrankheiten des neuen Mediums zu kämpfen.359 Am 11. Januar 1999 begann der endgültige Um353 Gespräch mit Chladek, Wittke, Zanzig, a.a.O., (Anm. 70). 354 DGAP, Jahresbericht 1994/95. Der Berichtszeitraum umfaßt die Zeit vom 1. Januar 1994– 31. März 1995, (Bonn, o. J.), insbes. S. 8. 355 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 349), S. 5. 356 DGAP, Jahresbericht 1993/94. Der Berichtszeitraum umfaßt die Zeit vom 1.1.1993– 31.3.1994, (Bonn, o. J.), insbes. S. 26. Hervorhebung im Original. 357 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 351), S. 88. 358 Gespräch mit Chladek, Wittke, Zanzig, a.a.O., (Anm. 70). 359 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 349), S. 14–15. Daher bilden die 1990er Jahre von der Produktpalette der DGAP her eine vergleichsweise einheitliche Periode, in der noch nicht im großen Stil im Internet veröffentlicht wurde. Auch das Geleitwort im Jahresbericht 1997/98 sprach noch von der „soeben eingerichteten Web-Seite“. DGAP, Jahresbericht 1997/98. Der Berichtszeitraum umfaßt die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 31. März 1998, (Bonn, o. J.), insbes. S. 8. Dabei bekam die Bibliothek der DGAP als europäisches Dokumentationszentrum 1996

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zug der Gesellschaft nach Berlin.360 Im März 1999 startete an der DGAP ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt zu „Asyl- und Migrationspolitik in der Europäischen Union“.361 Im September 1999 wurde ein gemeinsam von der DGAP, der SWP und der Robert Bosch Stiftung verfasster „Stuttgarter Appell an Bund und Länder, Wissenschaft und Wirtschaft“ veröffentlicht. In dem Appell – der auf einem Symposion am 8. und 9. Februar 1999 in Stuttgart beruhte – wurde „mehr Internationalität in Bildung, Ausbildung und Personalpolitik“ angemahnt. Angelika Volle, die damalige Chefredakteurin der DGAP-Zeitschrift, verwies zudem auf die Erfahrungen in einem Förderprogramm der Robert Bosch Stiftung. Dabei ging es um deutsche Nachwuchseliten, die stärker international qualifiziert werden sollten.362 Da die DGAP mehr als die in erster Linie aus dem Bundeskanzleramt finanzierte SWP auf private Gelder angewiesen war, spielten in den Jahresberichten auch die Bilanzen immer eine wichtige Rolle.363 Im Mittelpunkt des Berichts zum Jahr 1999 stand daher die schwierige Finanzlage, für die vor allem der Umzug nach Berlin verantwortlich gemacht wurde.364 In den Informationen zum neuen Haus im Berliner Diplomatenviertel fand sich auch die beiläufige Mitteilung, dass mit dem Umzug eine „Lösung von ca. 40 Prozent des Bonner Personals (Sozialplan und Abfindungen)“ stattgefunden habe.365 Wie bereits angedeutet fällt in der DGAP weit mehr als in der SWP eine personelle Kontinuität im Untersuchungszeitraum auf. Der Direktor des Forschungsinstituts, Karl Kaiser, amtierte über die gesamte Zeit hinweg. Karl Kaiser hatte Mitte der 1960er Jahre in Harvard am Center for International Affairs gearbeitet, war 1964 in die SPD eingetreten und hatte im Herbst 1965 den als Verteidigungsminister vorgesehenen Fritz Erler im Wahlkampf begleitet. 1968 war er

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einen Computer geschenkt, auf dem die erste Homepage der Gesellschaft mit der Unterstützung von interessierten Hilfskräften erstellt wurde. Gespräch mit Chladek, Wittke, Zanzig, a.a.O., (Anm. 70). DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 349), S. 5. In der Chronik der DGAP, die in einer Broschüre zum 50-jährigen Bestehen 2005 erschien, wird lapidar „Umzug der DGAP von Bonn nach Berlin“ mit dem Datum 11. Januar 1999 angegeben. Die Einweihung des renovierten Gebäudes in der Rauchstraße fand am 2. September 1999 mit einer Rede vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder statt. DGAP, 50 Jahre, a.a.O., (Anm. 343), S. 33, 34. Ebd., S. 33. DGAP, 50 Jahre, a.a.O., (Anm. 343), S. 34; Gespräch mit Angelika Volle, Privatwohnung Berlin, (18.10.2011). Wenn auch nicht immer so Spektakuläres vermeldet werden musste wie ein Erdbeben, welches am Bonner Haus Anfang der 1990er Jahre Schäden von über 100.000 DM verursachte. DGAP, Jahresbericht 1992/93, (Bonn, o. J.), insbes. S. 15. Den Berichtsteil verantwortete der Geschäftsführende stellvertretende Präsident, Dr. Immo Stabreit. DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 349), S. 5. Die personelle Kontinuität der DGAP bezieht sich somit vor allem auf die Leitung des Forschungsinstituts. Ebd., S. 11.

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Berater der Stiftung Volkswagenwerk, im Juni 1973 wurde er Institutsdirektor.366 In dieser Zeit gab es mit ihm und Eberhard Schulz, dem stellvertretenden Institutsdirektor, zwei Sozialdemokraten in entscheidenden Positionen. Beiden wurde vorgeworfen, zu einseitig für Entspannungspolitik einzutreten.367 Kaiser war außerdem ein führender Exponent der „Kritischen Friedensforschung“ und erster Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung. Zu den weiteren eher linksgerichteten Vertretern dieser Forschungsrichtung gehörte unter anderem Dieter Senghaas. „‘Transnationale Politik‘ und ‚Interdependenz‘ lauteten die neuen theoretischen Schlüsselkonzepte zur Analyse des komplexen außenpolitischen Geschehens.“368 Wegen des theoretischen Hintergrunds der Institutsleitung ergaben sich Verbindungen zur SWP.369 Nach Daniel Eisermann, der vor allem die Geschichte der DGAP bis 1972 beleuchtet hat, weist die Gesellschaft bis in die jüngste Vergangenheit – auch aufgrund der langjährigen personellen Kontinuität, die Karl Kaiser verkörperte – Eigenschaften auf, die bereits in der Gründungszeit ihre Attraktivität ausmachten. Ein Schwerpunkt war, so Eisermann, auch weit über 1972 hinaus die Sicherheitspolitik (so existiert die sicherheitspolitische Studiengruppe seit 1962). Daneben stehen die weltpolitischen Jahrbücher, die Herausgabe der in Deutschland führenden Fachzeitschrift und die proatlantische Grundtendenz laut Eisermann für Beständigkeit.370 Die Zeitschrift Europa-Archiv blieb lange ihrem proeuropäischen Ursprung verpflichtet und entwickelte sich konstant – auch auf der Mitarbeiterebene: Im Juni 1993 wurde Angelika Volle, Tochter des langjährigen Chefredakteurs Hermann Volle, Chefredakteurin der Zeitschrift.371 Über die Leitung und die genannten Kontinuitäten hinaus hatten natürlich auch einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder eng mit der DGAP verbundene Personen einen Einfluss auf die Repräsentationen Europas, die von der Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit dem Maghreb ventiliert wurden. Hier ist für den Beginn des Untersuchungszeitraums vor allem Ingo Kolboom zu nennen, der Leiter der deutsch-französischen Arbeitsstelle der DGAP, der sich im Rahmen seiner Arbeiten mit dem Verhältnis Europas zum Maghreb auseinandersetzte. Er stellte bereits 1988 mit dem bedeutenden Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz ein DGAP-Arbeitspapier zum 25. Jahrestag der

Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 290. Ebd., S. 290–291. Ebd., S. 292. Zwar nicht zur Führungsspitze Anfang der 1990er Jahre, die mit Michael Stürmer eher konservativ besetzt war, aber z. B. zu Dieter Senghaas, der als Forschungsprofessor in Ebenhausen engagiert war. 370 Ebd., S. 293–294. 371 DGAP, 50 Jahre, a.a.O., (Anm. 343), S. 32. Der damalige Herausgeber Werner Weidenfeld erinnerte 1996 daran, dass das Europa-Archiv bzw. die Internationale Politik bereits seit 50 Jahren erschien und sagte selbstbewusst: „Wir waren mit unserer Zeitschrift eigentlich immer stolz, daß wir den Themen ein Stück voraus sind [...].“ DGAP, „Epoche“, a.a.O., (Anm. 338), S. 33. 366 367 368 369

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Unterzeichnung des Élysée-Vertrages zwischen Deutschland und Frankreich zusammen.372 Der 1947 geborene Kolboom hatte einen Teil seines Studiums in Frankreich absolviert und zwischen 1936 und 1937 in Deutschland mit einer historischen Arbeit zu den französischen Unternehmern promoviert. Neben seiner leitenden Funktion in der Arbeitsstelle der DGAP war er unter anderem Vorstandsmitglied im Comité d’études des relations franco-allemandes (CERFA) am IFRI. 1988 erhielt er den Straßburg-Preis, 1990 den Prix France-Allemagne.373 Im Frühjahr 1994 wurde Kolboom Professor an der Technischen Universität Dresden.374 Nachfolgerin Kolbooms wurde die 1965 geborene Valérie GuérinSendelbach, die bereits seit Oktober 1991 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsstelle Frankreich/deutsch-französische Beziehungen an einem Forschungsprojekt der Fritz Thyssen Stiftung arbeitete und in einer ihrer Publikationen ebenfalls das Verhältnis zum Maghreb und dessen Bedeutung für Europa behandelte. Wie Kolboom hatte sie sowohl das französische als auch das deutsche Hochschulsystem kennengelernt.375 Ein DGAP-Autor, der sowohl in der Zeitschrift der Gesellschaft als auch in der Jahrbuchreihe veröffentlichte, war Joachim Tzschaschel. Tzschaschel wurde 1917 geboren und war unter anderem Militärattaché in Algier, bevor er 1966 in den Bundesnachrichtendienst eintrat. Nach seinem Ausscheiden 1979 folgten Tätigkeiten als freier Mitarbeiter der SWP.376 Tzschaschels Werdegang illustriert beispielhaft die Vernetzung innerhalb der deutschen Beratungsszene. Nach der Neukonzeption der Zeitschrift der DGAP unter dem Namen Internationale Politik im Januar 1995 trat der neue Herausgeber, der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld,377 vermehrt im Bereich der Beziehungen Europas mit dem Maghreb beziehungsweise mit dem Mittelmeerraum in Erscheinung. Ab 1994 war Weidenfeld Mitglied des Gesamtpräsidiums der Gesellschaft.378 Zu seiner Funktion hieß es im Jahresbericht 1995/96: „Der Herausgeber, der für den Inhalt der Zeitschrift verantwortlich ist, entscheidet über Aufnahme

372 Hans-Peter Schwarz, Eine Entente Élémentaire. Das deutsch-französische Verhältnis im 25. Jahr des Élysée-Vertrages. Mit einer Dokumentation von Ingo Kolboom (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 47), (Bonn: Europa-Union-Verl., 1988). 373 Ingo Kolboom, Vom geteilten zum vereinten Deutschland. Deutschland-Bilder in Frankreich (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 61), (Bonn: Europa-Union-Verl., 1991), insbes. S. 108. 374 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 356), S. 27. 375 Guérin-Sendelbach absolvierte einen zweijährigen Vorbereitungskurs zur Aufnahme in die École normale supérieure (ENS) und ein Politikwissenschaftsstudium in Würzburg. Valérie Guérin-Sendelbach, Ein Tandem für Europa? Die deutsch-französische Zusammenarbeit der achtziger Jahre. Mit einem Vorwort von Ingo Kolboom (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 77), (Bonn: Europa-Union-Verl., 1993), insbes. S. 256. 376 Joachim Tzschaschel, Zeitzeuge in Bagdad, Algier, Saigon. Erinnerungen eines deutschen Militärattachés, (Frankfurt am Main: Haag & Herchen, 2000), insbes. S. 117. 377 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 351), S. 72. 378 DGAP, 50 Jahre, a.a.O., (Anm. 343), S. 67.

Institutionelle Entwicklungen

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oder Ablehnung von Beiträgen und Dokumenten.“379 Die Unabhängigkeit der Zeitschrift resultierte nicht zuletzt auch aus der Gründungsgeschichte der DGAP. Die nicht dem Forschungsinstitut untergeordnete Position ergibt eine „relativ starke Stellung von Herausgeber und Chefredakteur“.380 Mit Weidenfeld als Herausgeber wurde auch die Neugestaltung der Zeitschrift ins Werk gesetzt: Durch ein neues Layout, ein leserfreundlicheres Druckbild und durch eine neu akzentuierte Themenausstattung hoffen wir, den heutigen Ansprüchen der Leser gerecht zu werden; unser Vorbild ist die amerikanische Zeitschrift Foreign Affairs.381

Der 1947 geborene Weidenfeld, der 1971 promovierte und sich 1975 in Mainz habilitierte, war ab 1995 die repräsentative Figur der DGAP-Publikation.382 Seine Funktion bestand dabei vor allem darin, sein Netzwerk in den Dienst der Zeitschrift zu stellen, die unter den Publikationen der DGAP die größte Reichweite besaß. Die Redaktion unter der Leitung von Angelika Volle übernahm die darüber hinausgehende inhaltliche Arbeit und die Auswahl von Themen und Artikeln.383 Es spricht einiges dafür, sich dem Urteil der Chefredakteurin über die Bedeutung Weidenfelds für die untersuchten Repräsentationen anzuschließen: Während sich die DGAP besonders auf die Ost-West-Thematik konzentrierte, setzte der neue Herausgeber schnell auf den Blick nach Süden, den er für zentral hielt. Gleichzeitig wandelte sich die Zeitschrift von einer stärker historischen Ausrichtung in ein zukunftsorientierteres Organ, selbst wenn die Redaktion und nicht der Herausgeber Einzelentscheidungen weitgehend vorbereitete.384 So verwundert es nicht, dass die in der Zeitschrift erschienenen Artikel einen beträchtlichen An-

379 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 351), S. 74. 380 Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 84. Im Untersuchungszeitraum handelte es sich die meiste Zeit um eine Chefredakteurin (Angelika Volle). 381 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 351), S. 74. 382 Akademische Angaben nach Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender, 22. Ausg., (München: Saur, 2009). 383 Zu nennen wären aus der Praxiserfahrung der langjährigen Redaktionsmitarbeiterin Uta Kuhlmann-Awad vor allem seine Verbindungen zur Bertelsmann Stiftung, die formale Einrichtung eines internationalen Beirats für die Zeitschrift sowie das Netzwerk, welches sich über Weidenfelds Kontakte über sein Münchener Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) ergab. Gespräch mit Kuhlmann-Awad, a.a.O., (Anm. 339). Die Bertelsmann Stiftung entwickelte sich in den 1990er Jahren zu einem Schwergewicht der privaten Beratungs- und Forschungsinstitute. Martin Thunert, „Think tanks in Germany“, in: Think tank traditions. Policy research and the politics of ideas, hrsg. von Diane Stone & Andrew Denham, (Manchester, New York: Manchester Univ. Press, 2004), S. 71–88, insbes. S. 76. In den 2000er Jahren sollte es allerdings mehrfach Konflikte in Weidenfelds Netzwerk geben. Nach dem Ausscheiden als Herausgeber der DGAP-Zeitschrift kam es 2007 zu Untreuevorwürfen, der Politikwissenschaftler musste die Bertelsmann Stiftung verlassen, die Stiftungsförderung seines Zentrums lief 2010 aus. Max Hägler, „Abgang des Vorzeige-Bertelsmanns“, in: Die Tageszeitung, (31.10.2007). 384 Gespräch mit Volle, a.a.O., (Anm. 362).

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teil an der folgenden Analyse der Repräsentationen Europas und seiner Stellung in der Welt ausmachen.385 DAS EIGENE IN DEN PUBLIKATIONEN DER DGAP Betrachtet man die Repräsentationen Europas in Texten, welche die europäischen Außenbeziehungen im Mittelmeer berührten, zeigt sich zweierlei: Einerseits spielte das Eigene keine so zentrale Rolle wie die Repräsentationen des Anderen – was beispielsweise bei einer „Zeitschrift für Internationale Politik“ der Erwartungshaltung entsprach.386 Andererseits finden sich neben dem Eigenen im Spiegel der Entwicklung des Anderen, das heißt impliziten Aussagen, auch explizite, die die Rolle und den Standpunkt der EG respektive der EU in den Beziehungen mit dem Maghreb thematisierten. Letztlich kamen diese Eigenrepräsentationen innerhalb von drei Feldern zur Sprache, die auch die folgenden Unterabschnitte strukturieren: Erstens lenkten die Interessen europäischer Staaten im Mittelmeer die Aufmerksamkeit in zunehmendem Maße auf den Maghreb; zweitens unterstrichen Autorinnen und Autoren die Bedeutung des ab 1989 einsetzenden Umbruchs für eine Neugestaltung; drittens beharrten viele Beiträge auf europäischen Besonderheiten. Mittelmeerpolitik als gemeinsame Handlungsverantwortung Die Frage nach dem gemeinsamen Interesse der Europäer im Mittelmeerraum bildet das Schlüsselproblem, das in den Beratungsinstituten und in der akademischen Disziplin der internationalen Beziehungen intensiv diskutiert wurde. Vor 385 Daniel Eisermann erwähnt in seiner Studie zu den ersten drei Dekaden der DGAP nicht zu unrecht das reiche Quellenmaterial. Um nicht mit dem Material von Studiengruppen bis hin zu weltpolitischen Jahrbüchern das Kapitel zur DGAP über Gebühr zu vergrößern, konzentriert sich die vorliegende Arbeit in erster Linie Beiträge aus der „führenden deutschen Fachzeitschrift“ (Eisermann) sowie Jahresberichte und Arbeitspapiere. Ein Desiderat müssen daher die ausführliche Analyse der alle zwei Jahre erscheinenden Bücher Die Internationale Politik bzw. ab 1996 Jahrbuch Internationale Politik (bei ihnen gab es Überschneidungen mit anderen Publikationen) und eine detaillierte Nachverfolgung der Studiengruppen bleiben. Vgl. Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 5. Für Überschneidungen vgl. beispielsweise zwei Titel, die 1996 erschienen, wobei ersterer ein Problem der Jahrbücher deutlich macht: Die Drucklegung nahm viel Zeit in Anspruch. Joachim Tzschaschel, „Innerislamische Konflikte vom Maghreb bis zum Roten Meer“, in: Jahrbuch Internationale Politik 1993– 1994, hrsg. von Wolfgang Wagner, Marion Gräfin Dönhoff, Lutz Hoffmann, Karl Kaiser, Werner Link & Hanns W. Maull (Jahrbuch des Forschungsinstituts der DGAP, 21), (München: Oldenbourg, 1996), S. 14–25; Joachim Tzschaschel, „Algerien – Gefährdung für den Mittelmeer-Raum?“, in: Internationale Politik 51 (1996), 2, S. 27–32. 386 Von 1963 bis zur Umbenennung 1995 lautete so der Untertitel der Zeitschrift der DGAP. Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 303.

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diesem Hintergrund setzt sich die vorliegende Arbeit mit solchen Europarepräsentationen auseinander, die im Zusammenhang mit dem Maghreb auftraten. Die Publikationen im Kontext der DGAP präsentierten gemeinsame Interessen am häufigsten über die Mittelmeerpolitik der EG und später der EU.387 Nachfolgend kommen Politiker sowie Expertinnen und Experten zu Wort, die solche Interessen bewusst machten. Vor allem im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem französischen IFRI diskutierten Gruppen in der DGAP schon kurz nach der Deutschen Einheit über die Mittelmeerpolitik, die Mitglieder beider Institute als ein zukünftiges Feld gemeinsamen Handelns erkannt hatten.388 Der Jahresbericht der Gesellschaft für 1990 nannte die Mittelmeerpolitik als einen der inhaltlichen Schwerpunkte der bilateralen Arbeitstagung von DGAP und IFRI im Dezember 1990. Interessant ist, dass sich laut Tagungsprogramm ein DGAP-Forscher, Klaus Becher, mit „der Frage nach einer gemeinsamen europäischen Politik im Mittelmeerraum“ beschäftigte. Obwohl ein deutsch-französisches Treffen den Anlass bot und am IFRI auch Expertinnen für die Region aktiv waren, übernahm die deutsche Seite die Vorbereitung des Themas.389 Meinungen zu Eigenrepräsentationen aus anderen Ländern fanden vor allem in der Zeitschrift der DGAP ihren Platz. Zu Beginn des Jahres 1991 meldete sich der vormalige Direktor des Royal Institute of International Affairs in London, Admiral Sir James Eberle, zu Wort. Die EG habe ein fundamentales Interesse daran, Westeuropa vor Bevölkerungsverschiebungen zu schützen, die von der Sowjetunion oder von Nordafrika ausgingen.390 Die Interessen der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft gegenüber dem Mittelmeerraum stimmten bei Eberle überein; etwaige Unterschiede zwischen den Westeuropäern thematisierte er nicht. Einen anderen Ansatzpunkt wählte 1991 der ehemalige Botschafter Hans Arnold, der die geschichtliche Verantwortung der EG-Mitgliedsstaaten ins Bewusstsein rief. Die seiner Meinung nach historisch richtige Erweiterung der Gemeinschaft nach Süden begründete für ihn ein entschiedenes Handeln auch gegenüber Nicht-Mitgliedern. Daneben argumentierte er vor dem Hintergrund des Zweiten Golfkrieges für eine direkte Unterstützung der Maghrebstaaten. Die Bedeutung der „nicht der EG angehörenden Mittelmeerländer“, bei denen er den Maghreb prominent eingruppierte, werde nach der Lösung der Probleme am Persischen Golf zunehmen.391 Hier zeigt sich, dass im Hinblick auf die Mittelmeerpolitik der EG beziehungsweise später der EU oft eine klare Unterscheidung zwischen einzelnen Mittelmeerländern fehlte. Indirekt lässt sich dennoch häufig auf eine besondere Bedeutung Nordafrikas und des engeren Maghrebs innerhalb 387 Daher verfolgt dieser Unterabschnitt auch die Frage, inwiefern in der DGAP der Maghreb Teil von Analysen war, die den Begriff „Mittelmeerpolitik“ verwendeten. 388 Zum französischen Fallbeispiel IFRI siehe das entsprechende Kapitel. 389 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 88), S. 41–42. 390 James Eberle, „Die Sicherheitsinteressen Westeuropas“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 119–126. 391 Hans Arnold, „Die Europäische Gemeinschaft zwischen Vertiefung und Erweiterung“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 318–326, insbes. S. 320.

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dieser Überlegungen schließen. Im vorangegangenen Beispiel wurden neben der direkten Hilfeleistung durch die EG auch Importerleichterungen genannt,392 was unmittelbar auf den Maghreb und seine Importorientierung in Richtung Norden bezogen werden kann. Der Anteil des Maghrebs an den gesamten Importen der Gemeinschaft sollte hingegen nicht überschätzt werden, 1994 lag er beispielsweise bei lediglich 2,3 Prozent.393 Vielfach wurde der Mittelmeerraum aus einer an größeren Regionen orientierten europäischen Perspektive als Einheit dargestellt. Das Kommissionsmitglied Peter M. Schmidhuber stellte in einem Vortrag auf der Jahresversammlung der DGAP im Juni 1991 entsprechende Überlegungen an. Bisher arbeite, so Schmidhuber, die Gemeinschaft mit Mittelmeerstaaten auf der Basis bilateraler Verträge zusammen. Er warf die Frage auf, ob die Zusammenarbeit nicht neu geregelt und finanziell ausgeweitet werden müsse.394 Der Zusammenhang zwischen einer einheitlicheren Europavorstellung, dem Mittelmeerraum und dem Maghreb ergab sich über regionale Herausforderungen. Als Konfliktherd im Maghreb, der für die Europäer von Bedeutung war, galt in den DGAP-Zirkeln zudem die Westsahara-Frage. Hier sei es die Aufgabe der EG, sowohl eine innere Geschlossenheit der Maghrebunion (UMA) als auch einen nach außen stabilen Maghreb anzustreben. Der Konflikt zwischen Marokko und Algerien sollte nach Meinung eines Autors, Joachim Tzschaschel, dadurch eingehegt werden, dass die EG-Hilfe für Marokko an Zugeständnisse in der Frage des Referendums in der Westsahara geknüpft werde.395 Besonders Politiker neigten in den DGAP-Publikationen dazu, in der Behandlung des Südens einen Gradmesser für eine gemeinsame europäische Politik insgesamt zu sehen. Der sehr von Deutschland ausgehende Blick auf die internationalen Beziehungen hatte dementsprechend kein hohes Ansehen. Ein Phänomen, bei welchem eine mehr an Europa orientierte Perspektive gefordert wurde, stellte der beginnende algerische Bürgerkrieg nach dem annullierten Wahlsieg der Islamisten Ende 1991 dar. Peter Glotz, SPD-Bundestagsabgeordneter und Chefredakteur der Zeitschrift Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, unterstrich 1992, „welch tiefer Schock die algerische Katastrophe“ für Frankreich sei. Die Deutschen müssten diese Herausforderungen genauso wichtig nehmen, wie sie umgekehrt die Ostpolitik der EG mit Priorität behandelt sehen

392 Ebd. 393 Eine entsprechende Statistik findet sich bei Tobias Schumacher, Die Maghreb-Politik der Europäischen Union. Gemeinschaftliche Assoziierungspraxis gegenüber Algerien, Marokko und Tunesien, (Wiesbaden: DUV, Dt. Univ.-Verl, 1998), insbes. S. 198. 394 Peter M. Schmidhuber, „Finanzpolitische Konsequenzen der Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaften“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 487–492. 395 Joachim Tzschaschel, „Die West-Sahara-Frage: Friedenslösung oder Dauerkonflikt“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 625–631, insbes. S. 630.

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wollten.396 Eine zukünftige Festung Europa sah Glotz als Gefahr, eine östliche und südliche Abschottung Westeuropas komme nicht in Frage.397 Viele Autorinnen und Autoren koppelten das Verhältnis von Europa und Maghreb eng an grundsätzlich verstandene Interessen des zusammenwachsenden Deutschlands, die sie wiederum mit einer verstärkten europäischen Integration gleichsetzten. Ein solches Selbstverständnis beinhaltete den Blick auf Herausforderungen, wie sie weiter unten ausführlicher dargestellt werden, und repräsentierte gleichzeitig Europa als eingebundenen Akteur, der sich zukünftig gegenüber seiner Nachbarschaft nicht abschotten solle. In den DGAPPublikationen herrschte sowohl in den Beiträgen aus dem Beratungssektor als auch in jenen aus dem politischen Bereich überwiegend Einvernehmen, was das Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb anging. Auch französische Autorinnen und Autoren kamen zu Wort, häufig mit einem deutsch-französischen Hintergrund. Die CERI-Forscherin Renata Fritsch-Bournazel zitierte in einem Beitrag im Europa-Archiv Mitte 1994 den deutschen Außenminister Klaus Kinkel (allerdings nicht aus dessen zeitgleich im Europa-Archiv veröffentlichten Beitrag) als Beleg dafür, dass Deutschland die „Dringlichkeit einer aktiven Südpolitik, auch als Beitrag zur Sicherheit im gesamten Mittelmeer-Raum“, erkannt habe.398 Mit einer möglichen Zusammenarbeit der EU und der Maghrebunion (UMA) beschäftigte sich 1994 ein DGAP-Autor. Hartmut Kistenfeger vertrat in einem Arbeitspapier die These, dass mehr deutsches Engagement im Maghreb und im Persischen Golf die EU stärke.399 In seiner Darstellung verschränkten sich dabei wiederholt das eigene Selbstverständnis und das Bewusstsein der Bedrohung durch die Anderen. Nach der Neukonzeption der Zeitschrift der DGAP unter dem Namen Internationale Politik fragte der neue Herausgeber, der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld, wie Europa seine „Südflanke“ gestalten werde.

396 Peter Glotz, „Europa am Scheideweg“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 503–514, insbes. S. 506. 397 Ebd., S. 507. 398 Renata Fritsch-Bournazel, „Paris und Bonn: eine fruchtbare Spannung“, in: Europa-Archiv 49 (1994), S. 343–348, insbes. S. 345. Ein interner Bericht des CERI zählte u. a. Renata FritschBournazel als Forscherin mit „regelmäßigen Kontakten“ in die Bundesrepublik auf. Als Beispiel fungierte neben dem Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BIOst), welches Ende 2000 in die SWP integriert wurde, auch die DGAP. CERI, Rapport scientifique. Juin 1990–Juin 1994, (Paris, 1994), insbes. S. 97. 399 Hartmut Kistenfeger, Maghreb-Union und Golfrat. Regionale Kooperation in der arabischen Welt (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 89), (Bonn: Europa-Union-Verl., 1994), insbes. S. 187. Eigen- und Fremdwahrnehmung waren für Kistenfeger eng verbunden, siehe auch: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 86.

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Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik Die europäische Politik sollte die wirtschaftliche Erneuerung des Mittelmeer-Raums betreiben und dazu einen Anteil am Bruttosozialprodukt der Gemeinschaft als europäische Entwicklungshilfe festlegen. 400

Den Text prägte ein europäisches Selbstverständnis, das institutionelle Unterschiede mit Hilfe einer Europarepräsentation („Europa“) zurücktreten ließ. Eine ähnliche Argumentation findet sich in einem anderen Artikel Weidenfelds zum Nahen Osten, in dem er EU-Europa als Modell empfahl (ein optimistisches europäisches Selbstverständnis). Vor dem Hintergrund eines zu dieser Zeit möglich erscheinenden Fortschritts im Friedensprozess im Nahen Osten war die Politik im Mittelmeerraum somit eng mit Zukunftsentwürfen einer immer engeren Union verbunden.401 Werner Weidenfeld war ebenfalls die treibende Kraft hinter den Artikeln der Forschungsgruppe Europa. Anfang 1996 beschrieben die Autoren eines Artikels zum Mittelmeerraum die Optionen der Politik im von Weidenfeld selbst skizzierten Sinne: Die EU könne in diesem Bereich tatsächlich etwas bewegen; damit wachse aber die Verantwortung, diese Interessen auch wahrzunehmen.402 Im gleichen Band schätzte der italienische Forscher Roberto Aliboni die Lage differenzierter ein: Der Erfolg der Ende 1995 etablierten Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) hänge vor allem von den südlichen EU-Mitgliedern ab; dennoch liege er im Interesse aller Mitgliedsstaaten.403 Diese abgestufte Einschätzung unterschied sich von anderen Konzeptionen, die auf nationale Gegensätze abstellten. Neben eher national verorteten Expertinnen und Experten bezogen auch Mitglieder der Gemeinschaftsadministration zur Mittelmeerpolitik Stellung, die das gemeinsame Interesse der Projekte im Mittelmeerraum betonten. Anfang 1996 erschien in der Zeitschrift Internationale Politik ein von Eberhard Rhein verfasster Artikel zur EU-Außenpolitik. Rhein, der zu diesem Zeitpunkt Direktor der Abteilung für den südlichen Mittelmeerraum, Nahen und Mittleren Osten in der 400 Werner Weidenfeld, „Ernstfall Europa. Der Kontinent braucht konzeptionelle Klarheit“, in: Internationale Politik 50 (1995), 1, S. 11–19, insbes. S. 14. Auf „gesellschaftlicher Ebene“ gehe es zudem darum, zu einer faireren sozialen Ordnung zu kommen und zwischen den Kulturen zu vermitteln. 401 Ders., „Der neue Nahe Osten“, in: Internationale Politik 50 (1995), 7, S. 1–2. Eine solche Tendenz hatte schon eine Zeit lang vorher bestanden, vgl. oben die Ausführungen zum Kommissionsmitglied Peter M. Schmidhuber. Die Argumentationsmuster Weidenfelds sind ausführlich diskutiert in Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 87–88. 402 Forschungsgruppe Europa der Universität München, „Sicherheitspolitik im MittelmeerRaum. Zwischen außenpolitischer Neuorientierung und wirtschaftlichen Zwängen“, in: Internationale Politik 51 (1996), 2, S. 39–44. Die Forschungsgruppe hatte vorher bereits an der Universität Mainz existiert. Die Forschungsgruppe wurde in München Teil des Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP). Nach US-amerikanischen Modelle etablierte Weidenfeld das CAP, das u. a. von der Bertelsmann Stiftung unterstützt wurde. Thunert, „Germany“, a.a.O., (Anm. 383), S. 75. 403 Roberto Aliboni, „Südmediterrane Herausforderungen. Antworten der EU-Staaten sind gefragt“, in: Internationale Politik 51 (1996), 2, S. 9–14.

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Generaldirektion für Auswärtige Beziehungen der Kommission war, vertrat schon früh die These, dass die Marktbefreiung zur Bildung neuer Mittelschichten und damit langfristig zu politischen Transformationsprozessen führen werde.404 Die EU schloss seiner Ansicht nach schon in dieser Zeit Verträge von geostrategischer Bedeutung ab. Als Beispiele nannte er die Assoziierungsverträge mit Mittelmeeranrainern, die – wie bereits in der Erklärung von Barcelona vorgesehen – im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) zustande kämen.405 Die institutionalisierte Partnerschaft blieb nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht für einige Zeit im Fokus. Der Nahostexperte der SWP, Volker Perthes, machte im Kontext des Nahost-Konflikts deutlich: Die EU hatte vitale Interessen in der gesamten Mittelmeerregion, wobei er den Maghreb einbezog.406 Mit der Verschärfung des Nahostkonflikts gab es weniger Beiträge, die das Selbstverständnis eines gemeinsamen Interessenraums im Mittelmeer propagierten, auch wenn diese Konzeption vereinzelt aufgegriffen wurde.407 Im Laufe der 1990er Jahre präsentierten nicht nur DGAP-Mitglieder, sondern vor allem Gastautorinnen und -autoren die Mittelmeerpolitik einerseits als gemeinsames Interessengebiet der Mitgliedsstaaten der europäischen Institutionen. Andererseits leiteten sie aus einer solchen Interessenlage auch eine Verantwortung ab, zu handeln. Mehr und mehr wurden in diesem Zusammenhang die vielen Institutionen, die sich europäisch nannten, unter der Chiffre Europa zusammengefasst. Teilweise versuchten die analysierten Texte auch, unterschiedliche Regionen (den Maghreb und den Nahen und Mittleren Osten) mit dem Begriff Mittelmeer zu beschreiben. Die Publikationen der DGAP repräsentierten die Mittelmeerpolitik als ein gemeinsames Interessenfeld des konstitutionellen Europas. Drei Ausprägungen waren dabei vorherrschend: erstens die erwähnte Einbettung des Maghrebs in diese interessenbasierte Mittelmeerpolitik, zweitens eine historisch geformte Verantwortung in der Region (wobei der Maghreb teilweise herausgehoben wurde), und drittens eine intensive Diskussion in den Monaten, in denen der Frieden im Nahen Osten in greifbarer Nähe schien sowie in der Zeit der Erklärung von 404 Jünemann, „Euro-Mediterrane Partnerschaft“, a.a.O., (Anm. 115), S. 385–386. 405 Eberhard Rhein, „Besser als ihr Ruf: die EU-Außenpolitik“, in: Internationale Politik 51 (1996), 3, S. 55–58. 406 Perthes, „Frieden“, a.a.O., (Anm. 187). Zudem zeigte sich auch hier wieder die enge Zusammenarbeit zwischen SWP und DGAP; mit der SWP (vgl. die Einführung zum entsprechenden Kapitel) gab es eine Absprache, keine Konkurrenz zur DGAP-Zeitschrift zu gründen. Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 180, Anm. 70. 407 Der spanische Außenminister Joseph Piqué bekräftigte noch im Jahr 2000 in einer von der DGAP veröffentlichten Rede ein solches Selbstverständnis. Seine Repräsentation der Mittelmeerpolitik bei der in Berlin am neuen Sitz der DGAP gehaltenen Rede stellte den Mittelmeerraum als Gebiet der EU-Außenpolitik heraus, siehe Joseph Piqué, Neue Schwerpunkte der Außenpolitik Spaniens, (Berlin, 2000). Im Gegensatz zum IFRI nahm die schriftliche Fixierung entsprechender Vorträge innerhalb der DGAP erst mit dem Ausbau des Internetangebots zu, so dass ein entsprechender Einfluss nur exemplarisch anhand der Vorträge bei Jahresversammlungen angedeutet werden kann.

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Barcelona im November 1995. Neben dieser interessengeleiteten Sicht diskutierten teilweise die gleichen Akteure auch Eigenrepräsentationen, die sich aus einer historisch weniger globalen Herangehensweise ergaben, wobei hier das Verhältnis von Deutschland und Frankreich sowie die europäische Zeitenwende im Mittelpunkt standen. Deutsch-französische Strukturen der DGAP und die Umbruchsdeutung Die Leitfrage des folgenden Unterabschnitts zielt darauf ab, hinter eine deutschfranzösische Bühne zu blicken. Wie nahmen beratende Akteure in diesem Bereich das Ende der deutschen Teilung wahr? Welche Auswirkungen hatten die Beobachtungen für die Felder der Außenpolitik, die für die generelle Frage nach Europarepräsentationen relevant sind? 1990 erweiterte die Arbeitstagung von DGAP und IFRI die jahrzehntelang eingeübte deutsch-französische Perspektive um eine besondere Sicht auf den Umbruch in Deutschland und Europa. Die „Analyse der deutsch-französischen Aspekte des deutschen Einigungsprozesses“ bildete einen Schwerpunkt. Das Forschungsinstitut der DGAP sah sich als konzeptioneller Motor im Feld der verstärkten Kooperation der sicherheitspolitischen Institute in der EG.408 Als wichtig für die binationalen Strukturen erwies sich die XIV. Deutsch-Französische Konferenz (28. bis 30. Mai 1990 im Berliner Reichstag), die der DGAP-Bericht in eine institutionelle Kontinuität stellte. Wie bei den zwei Vorgängerkonferenzen in Hamburg (1987) und Bonn (1984) sei sie wiederum mit dem Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg, dem Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine und dem IFRI veranstaltet worden. Der Verfasser des Berichts stellte bereits die Frage nach der Zukunft Europas und den Auswirkungen des Umbruchs insbesondere auf die Sicherheitspolitik. Zudem verwies er darauf, dass die Arbeitsstelle Frankreich/deutsch-französische Beziehungen in der DGAP die Beiträge in der DGAPReihe Arbeitspapiere zur Internationalen Politik publiziert hatte.409 Herausgegriffen sei – als ein Beispiel für die interinstitutionellen Bezüge – die auf Französisch verfasste Zusammenfassung der Konferenz durch den Leiter des IFRI, Thierry de Montbrial. Er hob die großen Möglichkeiten für die deutschfranzösischen Beziehungen nach dem Umbruch hervor und stellte fest, Sicherheit und Verteidigung müssten aus historischen Gründen weiter gedacht werden als 408 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 88), S. 25. Neben dem bereits zitierten Thema einer möglichen gemeinsamen Mittelmeerpolitik wurde aus der neuen Situation in Europa auch das Ziel einer wissenschaftlichen Basierung „einer wachsenden europäischen Identität auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik“ abgeleitet. Ebd., S. 22–23. 409 Ebd., S. 25. Das Arbeitspapier wurde vom Leiter der Arbeitsstelle herausgegeben (er trug als Leiter auch die Verantwortung für den zitierten Berichtsteil): Ingo Kolboom (Hrsg.), Deutschland und Frankreich im neuen Europa. Referate – Berichte – Dokumente (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 59). Berlin, Reichstag, 28.–30. Mai 1990, (Bonn: EuropaUnion-Verl., 1991).

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bisher. In diesem Zusammenhang unterstrich de Montbrial sowohl die Bedeutung der USA als auch die Rolle der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Kleinere Hinweise zeigen allerdings, dass die deutschfranzösische Sicht nicht selten mit einer Konzentration auf ein Kontinentaleuropa einherging. Beispielsweise die Vorstellung einer europäischen Sicherheit auf einer kontinentalen Ebene („sécurité de l’Europe à l’échelle continentale“) oder der Verweis auf die KSZE, die sich im Mittelmeerraum auf die nördlichen Anrainer (ohne Albanien) beschränkte.410 Gerade die Synthese de Montbrials kann aus der Rückschau kritisiert werden, weil sie neue Antworten schuldig blieb. Mit einigen Jahren Abstand war zwar immer noch deutlich, dass die Konferenz mit 120 renommierten Teilnehmern aus Diplomatie, Journalismus, Wissenschaft und Wirtschaft „die geballte Kraft des deutsch-französischen Establishments vereinte“. Die dort aufgezeigten Perspektiven seien keineswegs visionär gewesen.411 Eine von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte Untersuchung der deutschfranzösischen Zusammenarbeit zeigte die genuin europäische Bedeutung, die dem Ende des Kalten Krieges zugemessen wurde. Im Vorwort zu einem innerhalb dieser Untersuchung erschienenen Arbeitspapier beschrieb der Leiter der Arbeitsstelle Frankreich, Ingo Kolboom, dass die Veränderung sich bilateral stark auswirkte. Der europäische „Völkerherbst“ habe die deutsch-französische „Geschäftsgrundlage“ neu definiert.412 Die Ansicht Wolfgang Wessels, eines Politikwissenschaftlers am Institut für Europäische Politik in Bonn, soll als ein Beispiel dafür stehen, wie der Umbruch als in erster Linie für Europa relevant und damit als Alleinstellungsmerkmal der europäischen Region gegenüber den Nachbarregionen gedeutet wurde. Wessels gegen Ende des Jahres 1993 erschienener Artikel im Europa-Archiv trug den programmatischen Titel „Erweiterung, Vertiefung, Verkleinerung. Vitale Fragen für die Europäische Union“. Aus seiner Einteilung der EU-Beitrittskandidaten in drei Gruppen folgte die Beschränkung auf ein Europa, das bis zum Mittelmeer reichte: zur dritten Gruppe rechnete er die Mittelmeerstaaten Türkei, Zypern und Malta – deren Beitritt fürs Erste zurückgestellt sei.413 1994 erschien in der Zeitschrift Europa-Archiv ein Gastbeitrag der CERIForscherin Renata Fritsch-Bournazel, der ebenfalls vor dem Hintergrund des Umbruchs und der damit möglich gewordenen Erweiterungen zu sehen ist. Vor 1990 habe zwischen Frankreich und Deutschland eine Balance zwischen politischem 410 Thierry de Montbrial, „La France et l’Allemagne dans l’Europe nouvelle“, in: Deutschland und Frankreich im neuen Europa. Referate – Berichte – Dokumente. Berlin, Reichstag, 28.– 30. Mai 1990, hrsg. von Ingo Kolboom (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 59), (Bonn: Europa-Union-Verl., 1991), S. 132–134. 411 „Eine deutsch-französische Konferenz, die im Mai 1990 im Reichstag zum Thema ‚Deutschland und Frankreich im neuen Europa‘ stattfand […], vermittelt ein eher deprimierendes Bild, was die künftigen Perspektiven anlangt.“ Ziebura, Beziehungen, a.a.O., (Anm. 24), S. 375. 412 Guérin-Sendelbach, Tandem, a.a.O., (Anm. 375), S. XIV. 413 Wolfgang Wessels, „Erweiterung, Vertiefung, Verkleinerung. Vitale Fragen für die Europäische Union“, in: Europa-Archiv 48 (1993), S. 308–316.

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Übergewicht auf der einen und wirtschaftlichem Übergewicht auf der anderen Seite bestanden. Seit der Deutschen Einheit bilde die „Kritik an der angeblichen ‚Südlastigkeit‘ der Union“ einen Schlüssel für das deutsche Drängen auf Erweiterungen nach „Norden und Osten“.414 Fritsch-Bournazel stellte fest, dass das Ende des Kalten Krieges und der deutschen Teilung Frankreich und Deutschland gemeinsam beträfe und bekräftigte die Notwendigkeit gemeinsamer Anstrengung, so dass hier nicht unbedingt von der Entwicklung eines Bewusstseins verschiedener Europas der Zukunft gesprochen werden kann. Auch der deutsche Außenminister Klaus Kinkel unterstrich in einem im Vorfeld der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands in der zweiten Jahreshälfte 1994 veröffentlichten Beitrag für die Zeitschrift der DGAP, wie bedeutsam das Ende des Kalten Krieges sei.415 Deshalb sah er die Beziehungen der EU zu Nordafrika als wichtiges deutsch-französisches Thema an: Ein besonderes Augenmerk der deutschen und französischen Präsidentschaften wird der Ausgestaltung der Beziehungen der EU zu den Mittelmeer-Anrainerstaaten in Nordafrika gelten. 416

Die DGAP-Zeitschrift übernahm in diesem Zusammenhang die Funktion eines Forums, das den Austausch zwischen Expertinnen und Experten und Politikern darüber ermöglichte, was diese für das Selbstverständnis der Nationalstaaten gegenüber der EU und wiederum der EU gegenüber ihren Nachbarn hielten. Dabei zeigte sich das Changieren zwischen einer unionsbasierten und einer spezifisch deutsch-französischen Ausgestaltung der Beziehungen zu den Maghrebstaaten.417 In einem Arbeitspapier der DGAP vom April 1994 wurde der Umbruch auch als Ausgangspunkt für eine sich intensivierende deutsch-französische Verflechtung in Richtung eines geeinteren Europas interpretiert. Dabei fiel der Begriff der „europäische[n] Sicherheitsidentität“, die von Frankreich und Deutschland im Kontext des Zweiten Golfkrieges mehrfach angeregt worden sei. Der Gastwissenschaftler Philip H. Gordon vom International Institute for Strategic Studies in London begründete die Notwendigkeit einer gemeinsamen deutsch-französischen

414 Fritsch-Bournazel, „Paris“, a.a.O., (Anm. 398), S. 344–345. 415 Klaus Kinkel, „Deutschland in Europa. Zu den Zielen der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union“, in: Europa-Archiv 49 (1994), S. 335–342, insbes. S. 335. „Europa und die Welt leben in einer Epoche der Beschleunigung der politischen Prozesse und Entwicklungen, die wahrhaft atemberaubend ist. Im Mittelpunkt steht die Bewältigung des weltgeschichtlichen Umbruchs von 1989, das Ende der Spaltung Europas und der bipolaren Weltordnung.“ 416 Ebd., S. 339. 417 Mit dem sogenannten Schäuble-Lamers-Papier sollte es während der Ratspräsidentschaft selbst allerdings Verstimmungen geben. Die darin entwickelte Idee eines Kerneuropas kritisierte beispielsweise der französische Außenminister Alain Juppé, weil er wegen der Mittelmeerpolitik Spanien und Italien nicht ausgrenzen wollte.

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Sicherheitspolitik mit der Nähe zu instabilen Regionen.418 Eine der gemeinsamen Aufgaben für Deutschland und Frankreich bestand Gordon zufolge darin, der vom nördlichen Afrika ausgehenden Gefahr zu begegnen.419 Der Aspekt der Bedrohung wird im Abschnitt zu den Repräsentationen des Anderen eingehender betrachtet; es bleibt festzuhalten, dass der Umbruch aus dieser Perspektive einen eigenen deutsch-französischen Weg für Europa nahelegte. Auch noch einige Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und dem Zerfall der Sowjetunion stellte man in Frankreich und Deutschland Überlegungen bezüglich diverser konstitutioneller Europaprojekte an. Der Experte der Zeitung Le Monde, Daniel Vernet, plädierte 1998 in der DGAP-Zeitschrift Internationale Politik für eine besondere deutsch-französische Sicht auf den Umbruch und seine Möglichkeiten. Er stellte einen Generationenwechsel fest und fragte, ob ein „Europa der Briten“ noch ein Zusammenschluss sein könne, der „über den großen Markt und die einheitliche Währung hinaus“ Einfluss in den internationalen Beziehungen nehmen würde. In den Köpfen nähme die Umwälzung erst nun, fast zehn Jahre später, Gestalt an.420 In der ersten Hälfte des untersuchten Zeitraums findet man in den analysierten Texten zahlreiche Hinweise auf eine besondere europäische beziehungsweise deutsch-französische Sicht auf den Umbruch. Der Eindruck, dass sich 1989 bis 1990 vor allem im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich Grundlegendes geändert hatte, blieb noch einige Jahre danach präsent. Dieses Prägemuster wurde von weiteren Faktoren ergänzt. Europäische Alleinstellungsmerkmale Dieser Unterabschnitt zu den Eigenrepräsentationen behandelt europäische Alleinstellungsmerkmale. Nicht nur die Überzeugung, in Europa sei eine neue Zeit angebrochen, war für die 1990er Jahre charakteristisch. In den Publikationen der 418 Philip H. Gordon, Die deutsch-französische Partnerschaft und die Atlantische Allianz (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 82), (Bonn: Europa-Union-Verl., 1994), insbes. S. 18. Gordon hatte bereits von August bis Dezember im Rahmen seiner Tätigkeit am American Institute for Contemporary German Studies der John Hopkins University (Washington, D.C.) in der Dokumentationsstelle der DGAP gearbeitet. Sein Forschungsvorhaben wurde im Bericht der DGAP wie folgt umrissen: „Domestic factors which influence German attitudes toward European security.“ DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 363), S. 84. 419 Gordon schrieb konkret von modernen Waffensystemen; damit dürften weitreichende Raketen im Maghreb (in diesem Fall inklusive Libyen) gemeint gewesen sein. Gordon, Partnerschaft, a.a.O., (Anm. 418), S. 92. 420 Die Außenpolitik des europäischen Projektes bildete im Artikel bezeichnenderweise einen Nebenschauplatz – ein Zeichen für die gegen Ende der 1990er Jahre zunehmende Ernüchterung über das Verhältnis von europäischer und nationalstaatlicher Außenpolitik. Daniel Vernet, „Ungewißheiten in der Europa-Politik. Neue deutsch-französische Entscheidungsträger“, in: Internationale Politik 53 (1998), 9, S. 1–6, insbes. S. 3.

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DGAP sah man das Spannungsfeld zwischen Europa und dem Maghreb als direkt mit der europäischen Einigung verbunden an. Der Politiker und Diplomat Jean François-Poncet sprach sich 1991 in einem Artikel im Europa-Archiv für eine Vertiefung des europäischen Projektes aus. Dieses föderative „Europa von morgen“ stand für ihn mit Bedrohungen durch das maghrebinische Andere in engem Zusammenhang.421 Nicht zuletzt aufgrund dieser Herausforderung drängte François-Poncet zur Eile. Die Begrenzung – zumindest vorübergehend – und die Vertiefung der Gemeinschaft müsse als Erstes in Angriff genommen werden, der Europarat und die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) seien als zwischenzeitliche Institutionen für spätere Beitrittsländer ausreichend.422 In dieser Festlegung von Prioritäten unterschied sich dieses französische Europabewusstsein von dem deutschen Konzept, das die Gleichzeitigkeit von Vertiefung und Erweiterung betonte und zuweilen die internationalen Beziehungen zum Maghreb mitberücksichtigte. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Klaus Hänsch, verband Mitte 1993 die Notwendigkeit einer Vertiefung der Gemeinschaft mit einer Konföderationsidee und vertrat damit ein eher französisch anmutendes Konzept. Ausgangspunkt war der 1989 vom französischen Staatspräsidenten François Mitterrand ausgehende Plan einer „europäischen Konföderation“, allerdings sollte seiner Meinung nach besser die Union für ein „System konföderaler Zusammenarbeit in Europa“ sorgen.423 Seine Argumentation bezog den Mittelmeerraum explizit mit ein: Die globalen Herausforderungen reichten über den Kontinent Europa hinaus, unter anderem sei auch die Südküste des Mittelmeers betroffen. Zudem könne die EU niemals „alle europäischen Staaten (und solche, die sich europäisch fühlen) umfassen“.424 Die in Klammern gesetzten „europäischen Gefühle“ (also ein erweitertes europäisches Bewusstsein) könnten auf das EG-Beitrittsgesuch Marokkos Ende der 1980er Jahre anspielen, das im Zusammenhang mit „taktischen“ Erwägungen im Westsahara-Konflikt und im Fischereistreit zwischen dem Maghrebstaat und der Ge-

421 Jean François-Poncet, „Die europäische Herausforderung für Frankreich und Deutschland“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 327–331, insbes. S. 329. Zur Frage, wie François-Poncet das Andere in seinem Artikel bewusst machte, siehe unten. 422 Ebd., S. 331. Die Ausführungen des französischen Spitzendiplomaten orientierten sich eng am Vorschlag des französischen Präsidenten Mitterrand für eine europäische Konföderation. Dieser war im Kern ein spinoff der KSZE, allerdings ohne Kanada und die USA. Schlussendlich führte dieser Vorschlag in eine Pariser Charta für ein Neues Europa (November 1990), die wiederum den Prozess in Richtung der Transformation der KSZE in die OSZE einleitete (1994). Vgl. Michael Sutton, France and the Construction of Europe, 1944–2007: The Geopolitical Imperative, (New York, Oxford: Berghahn Books, 2007), insbes. S. 254, 266. 423 Klaus Hänsch, „Vertiefung der Gemeinschaft und gesamteuropäische Identität. Ein System konföderaler Zusammenarbeit in Europa“, in: Europa-Archiv 48 (1993), S. 389–396, insbes. S. 391. 424 Ebd., S. 390.

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meinschaft stand.425 Ob Auseinandersetzungen um Wüstengebiete oder Fischfangrechte, die Auseinandersetzung mit der europäischen Peripherie entwickelte die Argumentation über das europäische Eigene weiter. Auf der einen Seite ging es um die Besonderheit der gemeinschaftlichen Vertiefung Europas. Auf der anderen Seite wurde die Anziehungskraft des Modells Europa, insbesondere der EU, herausgestellt (es fand sich also ein Selbstverständnis, das von einer beträchtlichen Ausstrahlung der Organisation ausging). Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht verstärkten sich derartige Äußerungen. In einem Aufsatz vom November 1994 sprach der französische Maghrebexperte Rémy Leveau vom Wunsch, „sich Europa anzuschließen“. Für ihn unterschied sich die Haltung der Maghrebregion nicht von der Situation Osteuropas im Verhältnis zur EU oder sogar Mexikos gegenüber den USA.426 Eine Art Modellfunktion hatte die EU ebenfalls in einem 1994 von der DGAP herausgegebenen Arbeitspapier, das die regionale Kooperation untersuchte und vom DGAP-Forscher Hartmut Kistenfeger verfasst wurde.427 Das Papier verglich unter anderem die Maghrebunion (UMA) und den Golfkooperationsrat, wobei Kistenfeger Supranationalität als vorteilhaft annahm.428 Er bedauerte, dass nur die Maghrebunion eine supranationale Institution (einen Gerichtshof) gegründet habe, deren Praxistest allerdings noch ausstehe; das Generalsekretariat habe keine supranationale Kompetenz. Offensichtlich wurde dies als Manko angesehen.429 Nach der Etablierung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) thematisierte John van Oudenaren, ein Gastautor der RAND Corporation, die Abgrenzung der EU von den USA. Er betonte die „Differenzen, die sich Ende 1995 bezüglich der Teilnahme der Amerikaner an dem in Barcelona initiierten Dialog zwischen der Europäischen Union und den Mittelmeer-Staaten ergaben.“ 430 Dieses europäische Bewusstsein, das darin bestand, Europa in erster Linie in einer Bewegung in Richtung Eigenständigkeit – vor allem in Bezug auf die Vereinigten Staaten – zu sehen, war nicht sehr verbreitet. Es waren eher außereuropäische Beobachter wie van Oudenaren, die ein solches Bewusstsein in den Beziehungen im Mittelmeerraum vermuteten.431 Der FAZ-Journalist Klaus-Dieter Frankenberger sprach sich im Zuge der Erweiterungsvorhaben der EU gegen Ende der 1990er Jahre für eine Begrenzung der Mitgliedschaft aus. Für ihn war in seinem Artikel unter der Frage „Wo endet Europa?“ bereits die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Mittelmeer425 Schumacher, Maghreb, a.a.O., (Anm. 393), S. 67. 426 Rémy Leveau, „Brandherd Algerien. Die Krise im Inneren und die internationale Hilfe“, in: Europa-Archiv 49 (1994), S. 643–650, insbes. S. 649. 427 Kistenfeger, Maghreb, a.a.O., (Anm. 399). 428 Ebd., S. 161–167. 429 Ebd., S. 165. 430 John van Oudenaren, „Die Neue Transatlantische Agenda“, in: Internationale Politik 51 (1996), 5, S. 49–52, insbes. S. 5. 431 Wobei van Oudenaren als Leiter des europäischen Büros der RAND Corporation (in Delft in den Niederlanden) nicht nur einen US-amerikanischen Blick auf die diskutierten Fragen hatte.

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insel Zypern 1998 ein „problematischer Sonderfall“.432 Zwar führte er den Maghreb nicht explizit als Beispiel an, doch war Frankenberger davon überzeugt, dass eine europäische Übereinstimmung in einem politischen Sinne auf geographischer Begrenzung beruhen müsse.433 Seine Ausführungen zum zypriotischen Fall und die kritische Sicht auf die Türkei implizierten eine geographische Abgrenzung auch zum Maghreb. In den Publikationen der DGAP verwiesen Autorinnen und Autoren im untersuchten Zeitraum auf den Mittelmeerraum, den sie als aufgeteilt zwischen europäischen und nicht-europäischen Zonen wahrnahmen, indem sie primär drei Eigenheiten Europas anführten.434 Erstens unterstrichen sie die supranationale und in Zukunft möglicherweise föderative Struktur des konstitutionellen Europas. Zweitens thematisierten sie europäische Besonderheiten, wenn von Prozessen der Abgrenzung – insbesondere gegenüber den USA – die Rede war. Und drittens boten die Diskussionen über mögliche Erweiterungen der europäischen Institutionen für die Autorinnen und Autoren einen Anlass, um darüber nachzudenken, wie in Zukunft Grenzen zu ziehen seien. Insgesamt wurde über diese Faktoren die Repräsentation eines abgeschlossenen Europas gestärkt. Dabei ging es nicht zuletzt auch um die sowohl in der DGAP wie auch in der SWP gehegte Idee eines Kerneuropas. Es ist somit wichtig, diese Entwicklung stärker akzentuierter Eigenrepräsentationen auch bei den französischen Fallbeispielen im Blick zu behalten. Vorher bedürfen jedoch die Fremdrepräsentationen und die Repräsentationen der Verflechtung in der DGAP einer ausführlichen Diskussion. DAS ANDERE IN DEN PUBLIKATIONEN DER DGAP Die Repräsentationen des Anderen sind mindestens so vielgestaltig wie die des Eigenen, und der Maghreb bot zahlreiche Möglichkeiten, Unterschiede zu denken und zu konstruieren.435 Dies gilt umso mehr, da die DGAP sowohl Forscherinnen und Forschern als auch Fachpolitikern ein Forum bot. Vielfach diente der sogenannte erweiterte Sicherheitsbegriff dazu, die nordafrikanische Region von Europa abzugrenzen und dies einem deutschsprachigen Publikum plausibel zu machen. Nach dem Ende des Kalten Krieges definierten sicherheitspolitische Experten – aber nicht nur sie – das Thema Sicherheit breiter als zu Zeiten atomarer Bedrohungslagen. Der Maghreb und teilweise der gesamte Mittelmeer432 Klaus-Dieter Frankenberger, „Wo endet Europa? Zur politischen und geographischen Identität der Union“, in: Internationale Politik 53 (1998), 6, S. 21–26, insbes. S. 21. 433 Ebd., S. 24. 434 Neben Expertinnen und Experten schrieben auch Politiker und ein Journalist Beiträge zum Thema. 435 In der deutschen Alltagssprache hat das Verb konstruieren eine negativere Bedeutung als beispielsweise im Französischen. Dennoch erscheint es hier angebracht, da im praxisorientierten Kontext noch viel weniger als in rein akademischen Kreisen von einer lediglich ideengeschichtlichen Relevanz ausgegangen werden kann.

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raum fungierten nunmehr als diffuse Herausforderungen, weshalb der vorliegende Abschnitt mit der Schilderung entsprechender Deutungen beginnt. Die südliche Peripherie konnte nicht nur sicherheitspolitisch problematisch sein. Die Anderen belasteten die europäische Einigung auch aus einer inneren Logik heraus, denn der Maghreb war zugleich auch eine Projektionsfläche für unterschiedliche nationale Vorhaben. Es war nicht ausgemacht, wie sich das konstitutionelle Europa weiterentwickeln sollte. Dieses zweite Muster verlief somit ähnlich wie jenes, welches bereits der entsprechende Unterabschnitt im Kapitel zur SWP gezeigt hat. Schließlich definierten in einer globaleren Sichtweise zeitliche und geographische Grenzen zunehmend eine Trennung zwischen dem Westen und dem Anderen, das oft lediglich über die Nicht-Zugehörigkeit definiert wurde. Der letzte Unterabschnitt widmet sich diesen Deutungsmustern.436 Erweiterter Sicherheitsbegriff: der Maghreb als Herausforderung Warum erweitert sich beim sogenannten erweiterten Sicherheitsbegriff die Repräsentation eines maghrebinischen Anderen um den Mittelmeerraum? Eine entsprechende Herangehensweise ist angebracht, da beispielsweise Werner Weidenfeld den Maghreb, indem er vom Mittelmeer im Kontext der veränderten europäischen Umgebung Mitte des Jahrzehnts sprach, in einen ausgedehnten Krisenraum einordnete. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund neuer, kurz vor der Jahrtausendwende entwickelter Konzepte, wie der Prävention gegenüber sogenannten Risikostaaten, diente die Region weiterhin als Beispiel, wie ein entsprechendes Risiko konkret aussehen könnte. Arnold Hottinger, Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, behandelte in einem Artikel im Europa-Archiv den Nahen Osten, weitete aber in seinen Beispielen die „Völker der Region“ auf den Maghreb aus. Die Grundkonzeption einer islamischen Religionsgemeinschaft als einem politischen Akteur habe sich bereits im algerisch-französischen Krieg gezeigt, in dem sich algerische Unabhängigkeitskämpfer auf den „Heiligen Krieg“ berufen hatten.437 Obwohl Hottinger in dem Artikel meist vom Nahen und Mittleren Osten sprach, nannte er weitere Beispiele aus dem Maghreb, die im Widerspruch zu Europavorstellungen standen. Die Berber in Algerien würden aus einer Logik der religösen Hierarchie heraus diskriminiert; Marokko zog er als Gegenbeispiel heran.438 Der Maghreb und auch die gesamte Region um das Mittelmeer wurden zwar differenziert dargestellt, 436 Westen bedeutete in diesem Fall nicht nur eine geographische Größe, sondern umfasste auch das im Kalten Krieg im politisch-strategischen Sinne westliche Gebiet. Ironie der Geschichte, weist der Begriff Maghreb doch etymologisch auf die untergehende Sonne. Wie sich zeigte, verhinderte dies keineswegs eine politische Zuordnung als nicht-westlich. 437 Arnold Hottinger, „Die Rolle der Religionsgemeinschaften in der nahöstlichen Politik. Ihre Bedeutung für die Konflikte in der Region“, in: Europa-Archiv 45 (1990), S. 159–166, insbes. S. 159. 438 Ebd., S. 161.

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dennoch hob Hottinger hervor, dass das Verständnis von Religion und Staat schnell zu Diskriminierung führe: Die islamische Religionsgemeinschaft bilde das Staatsvolk. „[…] die anderen werden von ihm ‚geschützt‘.“ 439 Eher in Anlehnung an die klassischen Einteilungen des Kalten Krieges schätzte der DGAP-Forscher Helmut Hubel im gleichen Jahrgang der Zeitschrift die Bedrohungsszenarien Südund Westeuropas ein. Als militärstrategisch bedrohte Staaten in der Region sah er Italien, Griechenland und die Türkei an. „Eines Tages“, so Hubel, könne auch Westeuropa zwar nicht mehr aus dem Osten, aber aus dem Süden bedroht sein: „Die Europäer täten gut daran, sich darauf rechtzeitig einzustellen.“ 440 Sowohl Hubel als auch Hottinger fassten die südliche Mittelmeerküste im Kontext regionaler Bedrohungsszenarien; Hubel vor allem im Rahmen einer sicherheitspolitischen Fragestellung (die in der DGAP besonderes Gewicht hatte); Hottinger nutzte als bekannter Journalist das Europa-Archiv als Forum, um weniger sicherheitspolitisch und mehr auf einer kulturgeschichtlichen Ebene zu argumentieren. Dagegen argumentierte ein DGAP-Mitarbeiter, Thomas Enders, dass vorrangig mit einer Bedrohung des Friedens zu rechnen sei. Ein neuer Konflikt könne entlang einer Linie „durch den Mittelmeerraum und den Nahen Osten“ entstehen. Im Anschluss an Hubel war für Enders die „Bevölkerungsexplosion“ und die mögliche außenpolitische Destabilisierung das Kernproblem. Die Einwohner des Maghrebs würden rasant „auf etwa 140 Millionen im Jahre 2025 zunehmen.“441 Die von den DGAP-Forschern geschilderte Bedrohung stellte Stanley Hoffmann mehr als vorgestellte Furcht – wenn auch unterfüttert mit „echten kulturellen Zusammenstößen“ – dar. Der prominente Politikwissenschaftler am Harvard Center for European Studies und Experte für europäische Integration, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausbildung in Frankreich ein Bindeglied zu den Pariser Institutionen war, beschäftigte sich in seinem Artikel vor allem mit der Wahrnehmung der Anderen durch die Europäer selbst. Der „demographische Status Westeuropas“ nähre die Ängste vor der Herausforderung.442 Hoffmann und andere Autoren begriffen Bevölkerungsentwicklung als Faktor, der die Umgebung als „Anderes“ von Westeuropa unterschied. Ähnlich argumentierte Altbundeskanzler Willy Brandt und wies auf den gefährlichen Zusammenhang von mangelnder Entwicklung und Migration hin, wobei er allerdings zu hohe Erwartungen dämpfte. Umfangreiche finanzielle Mittel könne die EG nicht bereitstellen.443 Maghreb und Maschrek wurden als das Andere, aus dessen Bereich 439 Ebd., S. 160. 440 Helmut Hubel, „Neue Waffen in der Dritten Welt und ihre Folgen“, in: Europa-Archiv 45 (1990), S. 453–460, insbes. S. 459. 441 Thomas Enders, „Militärische Herausforderungen Europas in den neunziger Jahren“, in: Europa-Archiv 45 (1990), S. 321–329, insbes. S. 325. Enders wurde später Manager des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS. 442 Stanley Hoffmann, „Abschied von der Vergangenheit. Politik und Sicherheit im Europa der neunziger Jahre“, in: Europa-Archiv 45 (1990), S. 595–606, insbes. S. 601. 443 Willy Brandt, „Eine Friedensordnung für den Nahen Osten“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 137–142, insbes. S. 141. Die abgedruckte Rede datierte vom Februar 1991.

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Migrationsbewegungen drohen könnten, gleichgesetzt. Zeitweise gab es eine Überschneidung in der Annahme, der Maghreb sei bedürftig, sowie in der Analyse, von ihm gehe eine große Migrationsgefahr aus. Das Andere konnte auf dem Wege der Migration zum Problem für das Eigene werden, wobei oft der Maghreb gemeint war, auch wenn nur vom Mittelmeer die Rede war. Aus dieser Herausforderung folgte eine Konzentration auf Entwicklungszusammenarbeit, zu dieser Zeit noch unter dem Stichwort Entwicklungshilfe. Der Fachpolitiker Volkmar Köhler warnte ähnlich wie Brandt, die Migration werde das entscheidende Problem „Europas“ werden.444 Nicht nur Politiker, auch Mittelmeerexperten wie der Franzose Claude Nigoul wiesen auf die innenpolitischen Auswirkungen dieser Migration hin. Bereits im Laufe des Transformationsprozesses und noch vor dem Ende der Sowjetunion schrieb Nigoul in einem Artikel zum westlichen Mittelmeer, dass nicht nur Frankreich, sondern auch andere Gemeinschafts-Mitglieder ein politisches Problem mit der Einwanderung aus den demographisch unterschiedlichen Ländern hätten.445 Die politische Brisanz dieser Vorstellungen zeigte sich an Statements von Politikern, die den europäischen Kontinent von der Bevölkerungsentwicklung an der Südküste des Mittelmeers herausgefordert sahen. Während der ehemalige Außenminister Jean François-Poncet für eine Vertiefung eines gemeinsamen europäischen Projektes plädierte,446 beschrieb er zugleich drei außenpolitische Kernprobleme der Situation nach dem Zweiten Golfkrieg. Erstens gebe es eine wirtschaftliche Herausforderung (dieser Hinweis auf die Erdöl-Abhängigkeit bezog sich auf den Nahen Osten, wobei Algerien über bedeutende Vorkommen verfügt). Zweitens sei das „Europa von morgen“ ideologisch herausgefordert: Die Bewegungen des politischen Islamismus richteten sich jeweils nationalistisch gegen den gesamten Westen. Drittens nannte François-Poncet die Migration, der Druck „auf die südlichen Grenzen Europas“ werde wachsen.447 Der damalige Senator unterstrich in seinem Beitrag im dritten Punkt die europäische Dimension des Themas. Man kann analytisch davon ausgehen, dass Politiker wie FrançoisPoncet annahmen, die Migration werde sich europäisch und nicht gesamtwestlich oder weltwirtschaftlich auswirken. Ähnlich argumentierten viele Expertinnen und Experten. Für eine „stabile Sicherheitsordnung des mittelmeerischen Raumes“

444 Volkmar Köhler, „Die Neuorientierung der Entwicklungshilfe“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 153–160. Diese Schlussfolgerung zeigt sich ähnlich in einem Zeitungsartikel Köhlers im Vorfeld der Maastricht-Folgekonferenz 1996. Entwicklungs- und Kooperationspolitik gegenüber „dem Süden“ auf übernationaler Ebene solle „als Sicherheitspolitik“ verstanden werden. Algerien und Marokko bildeten in dem Argument wichtige Beispiele. Ders., „Selbstfindung im Süden. Eine gemeinsame Entwicklungspolitik könnte zugleich Bonn, Europa und der Dritten Welt helfen“, in: Die Zeit, (29.12.1995). 445 Nigoul, Jahrgang 1936, war Direktor des Institut européen des hautes études internationales in Nizza. Nigoul, „Mittelmeer“, a.a.O., (Anm. 216). 446 Zu diesen Aspekten seines Beitrags siehe die Darstellung im Abschnitt zu Eigenrepräsentationen. François-Poncet, „Herausforderung“, a.a.O., (Anm. 421). 447 Ebd., S. 329.

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und Schutz vor Migration aus Nordafrika hatte bereits der ehemalige Direktor des Royal Institute of International Affairs in London geworben.448 Das Andere und das Eigene bedingten sich in den Zukunftsentwürfen oft auf diese Weise. In seinem Zukunftsausblick vor der Jahresversammlung der DGAP 1991 verwies der EG-Kommissar Peter M. Schmidhuber ebenfalls auf die Migrationsproblematik. Die „Übervölkerung“ des südlichen Mittelmeerraums begründe einen „Bevölkerungsdruck“ auf die EG und die hauptsächlich betroffenen Länder Italien, Frankreich und Spanien. Als zweites Problem nannte er den Umweltschutz, konkret die Verschmutzung des Mittelmeers.449 Bereits in der Einleitung seines Vortrags zog Schmidhuber Mittelmeerraum und Golfregion aus finanzpolitischer Sicht als Regionen zusammen, die unter Mithilfe der Gemeinschaft zu stabilisieren seien.450 Auch hier wird deutlich, wie der Maghreb als buchstäblich naheliegender Teil des imaginären Anderen zum europäischen Selbstverständnis beitrug. Aus der Erkenntnis, dass der Maghreb und der östliche Mittelmeerraum militärstrategisch eine „Gefahrenquelle“ bildeten, ließen sich Auswirkungen für Bündnisse wie die NATO ableiten. Georges Tan Eng Bok und Beatrice Heuser wiesen in ihrem Europa-Archiv-Artikel zur Zukunft des westlichen Verteidigungssystems darauf hin, dass das Mittelmeer NATO-Gebiet sei. In einer Fußnote unterstrichen sie, dass sich nach der Unabhängigkeit Algeriens dieses Vertragsgebiet geändert habe, das Meer selbst jedoch weiterhin dazugehöre.451 Heuser zeigte für die französische Seite mit diesem Rückbezug eine auch historische Kompetenz im Bereich der Militärforschung. Beide Beratungsinstitutsmitglieder prognostizierten aus der Sicht Frankreichs und Großbritanniens zunehmende Spannungen in der Region, der Risikozeitpunkt komme im Mittelmeerraum „gegen die Jahrhundertwende“.452 Auffällig ist, dass die Textpassagen, in denen ein Bewusstsein dafür erkennbar ist, wie das Verhältnis zu den Anderen und die eigenen Handlungen zusammenhängen, sich oft auf Vergangenheit und Zukunft bezogen: Die historischen Bezüge dienten zur Abgrenzung der Räume im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen. Ein deutscher Experte, der ähnliche An-

448 Zu diesen Aspekten seines Beitrags siehe ebenfalls die Darstellung im Abschnitt zu Eigenrepräsentationen. Eberle, „Sicherheitsinteressen“, a.a.O., (Anm. 390), S. 124. 449 Schmidhuber, „Weiterentwicklung“, a.a.O., (Anm. 394), S. 489. 450 Ebd., S. 487. Zukunftsvisionen wie ein europäischer Bundesstaat entstanden hier auf finanzpolitischem Wege, das deutsche Bundesverfassungsgericht entschied allerdings später im Zusammenhang mit dem Maastrichter Vertrag, dass kein Bundesstaat auf europäischer Ebene existiere. Maximilian Müller-Härlin, Nation und Europa in Parlamentsdebatten zur europäischen Integration. Identifikationsmuster in Deutschland, Frankreich und Großbritannien nach 1950 (Nomos-Universitätsschriften Geschichte, 17), (Baden-Baden: Nomos, 2008), insbes. S. 335. 451 Georges Tan Eng Bok & Beatrice Heuser, „NATO am Scheideweg“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 719–728, insbes. S. 720 Anm. 4. Der Beitrag erschien gleichzeitig in der Dezemberausgabe der Pariser Fachzeitschrift Défense Nationale. 452 Ebd., S. 722.

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sichten zur NATO und ihrer neuen Rolle vertrat, war der SWP-Forscher Uwe Nerlich. In einem Artikel, der im Jahr 1994 im Europa-Archiv erschien, verwies er ebenfalls darauf, dass Algerien zu Beginn der NATO noch Vertragsgebiet gewesen sei – gerade darum sei der Maghreb für die europäische Sicherheit wichtig.453 Aus- und Rückblicke waren nicht frei von Ambivalenzen. 1992 unterstrich der frühere Jahrbuch-Referent der DGAP, Curt Gasteyger,454 die Bedeutung der Sicherheitspolitik und kritisierte indirekt die Institutionen Westeuropas, die nicht bereit seien, mehr Verantwortung zu übernehmen.455 Gasteyger kann exemplarisch für den blinden Fleck bezüglich eines institutionell nur von einer Seite getragenen Vorgehens stehen. Ein solcher Schritt führt oft zu Grenzziehungen und Einteilungen, sofern in einem Raum gehandelt wird, in dem nicht alle betroffenen Akteure Mitglieder der in Rede stehenden Organisationen sind, wie es besonders im westlichen Mittelmeerraum bis heute der Fall ist. Wenn hingegen beispielsweise der SPD-Politiker Peter Glotz die Notwendigkeit der Zusammenarbeit in der Region anerkannte, verwies er wie andere Autorinnen und Autoren darauf, dass der Maghreb Sorgen bereite, Gefahren seien Handelsstreitigkeiten, Massenfluchten, Fundamentalismus und Einwanderungsdruck.456 Zwar nannte Glotz auch hier den Maghreb und den Nahen Osten in einem Atemzug, seine Ausführungen zum Eigenen Europas machten aber deutlich, dass der Schwerpunkt seiner Analyse auf dem Maghreb lag, insbesondere auf Algerien. Noch bevor er Herausgeber der DGAP-Zeitschrift wurde, äußerte sich Werner Weidenfeld zusammen mit seinem Mitarbeiter bei der Forschungsgruppe Europa, Olaf Hillenbrand, zum Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb.457 Das Mittelmeer bildete in ihrer Deutung keine topographische, sondern eine auf den Lebensstandard bezogene Grenze. Mit dem Maghreb verbanden Weidenfeld und Hillenbrand Überbevölkerung, Wasserknappheit, politische Instabilität und Massenarbeitslosigkeit; allesamt Faktoren, die ihrer Meinung nach einen „erhöhten Auswanderungsdruck“ bedingten.458 Neben diversen anderen Problemen stand meist die Bedrohung durch Migration im Mittelpunkt der Repräsentation eines anderen Maghreb, der dem davon abgegrenzten Europa die eigenen Vorzüge vorspiegelte.

453 Uwe Nerlich, „Die NATO als Kernstück einer europäischen Sicherheitsarchitektur“, in: Europa-Archiv 49 (1994), S. 499–508, insbes. S. 502. 454 Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 176. 455 Curt Gasteyger, „Ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem?“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 475–482, insbes. S. 478. 456 Glotz, „Europa“, a.a.O., (Anm. 396), S. 506. 457 Werner Weidenfeld & Olaf Hillenbrand, „Wie kann Europa die Immigration bewältigen? Möglichkeiten und Grenzen eines Einwanderungskonzepts“, in: Europa-Archiv 49 (1994), S. 1–10. Die Forschungsgruppe war zu diesem Zeitpunkt noch an der Universität Mainz angesiedelt. 458 Ebd., S. 1.

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In globaleren Fragen, etwa wenn es um die Weltbevölkerung insgesamt ging, war ein differenzierter Spiegeleffekt festzustellen. Eberhard Rhein, ein Kommissionsbeamter, führte einzelne Maghrebstaaten als Beispiele für „erfolgreiche“ oder misslungene Bevölkerungspolitik an. So stellte er fest, dass sich unter den islamischen Ländern beispielsweise Marokko und Tunesien sehr für Familienplanung engagierten und damit in kurzer Zeit historische Widerstände überwunden hätten,459 während Algerien in dieser Hinsicht „eher versagt“ habe. 460 In diesem speziellen Fall wurde der Maghreb einmal nicht als einheitliches Problemfeld betrachtet; derartige Differenzierungen waren in den Publikationen der DGAP eher die Ausnahme.461 Nachdem Werner Weidenfeld Herausgeber der in Internationale Politik umbenannten Zeitschrift der DGAP geworden war, wiederholte er in der ersten Ausgabe seine Einschätzungen der Herausforderungen im Mittelmeerraum („Migrationswellen, Umweltzerstörung und Gewalt“).462 Die politische Instabilität setzte er gleichzeitig breiter an und münzte sie auf den islamischen Fundamentalismus, er begreife sich als einzige Ideologie der Gegenwart „in bewußter Abgrenzung zu westlichen Werten“.463 Im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs blieben in einer solchen bewussten Abgrenzung gegenüber dem Anderen, welches das europäische Eigene bedrohte, die naheliegenden Sicherheitsrisiken Gewalt, Konflikt und letztlich Krise oder Krieg auf der Agenda. Zugespitzt formuliert eroberten diese Assoziationen die Repräsentationen des Anderen zurück, nachdem sie zu Beginn des Jahrzehnts weniger ausgeprägt gewesen waren. In einem weiteren Artikel zu Europas Stellung in der Welt im gleichen Jahr unterstrich Weidenfeld die Wiederkehr der Kriegsgefahr noch deutlicher. Er identifizierte den Mittelmeerraum als eine von drei Regionen, aus denen diese Gefahr drohte.464 Ende 1995 meinte auch der englische Analyst John Roper, ehemaliger Direktor des Pariser Instituts für

459 Eberhard Rhein, „Die Verlangsamung des Bevölkerungswachstums - eine vordringliche Aufgabe der internationalen Politik“, in: Europa-Archiv 49 (1994), S. 479–483, insbes. S. 482. 460 Ebd., S. 483. Es wäre zu fragen, ob Rhein in diesem Fall nicht eine Fehlannahme in Kauf nahm. Insbesondere in Frankreich lässt sich zeigen, dass die Geburtenraten der Herkunftsländer in verfälschender Weise auch für die maghrebinischen Migranten angenommen wurden. Rémy Leveau, „Der Islam in Frankreich: Wandel und Kontinuitäten“, in: Der Islam in Europa. Der Umgang mit dem Islam in Frankreich und Deutschland, hrsg. von Alexandre Escudier, Brigitte Sauzay & Rudolf von Thadden, (Göttingen: Wallstein, 2003), S. 12–25, insbes. S. 20. 461 Anzumerken ist noch, dass Rheins Beispiele bereits einem im Prinzip einseitigen Kontext entstammen: Zur Diskussion stand nämlich die Bevölkerungsentwicklung in den sogenannten Entwicklungsländern, die dadurch bereits den sogenannten entwickelten Ländern gegenübergestellt waren. 462 Weidenfeld, „Ernstfall“, a.a.O., (Anm. 400). 463 Ebd., S. 14. 464 Ders., „Europa – Weltmacht im Werden“, in: Internationale Politik 50 (1995), 5, S. 17–22, insbes. S. 21.

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Sicherheitsstudien der Westeuropäischen Union (WEU), dass die „Lage im Süden“ indirekt als Herausforderung wirken könnte.465 Französische Wissenschaftler wie der emeritierte Professor Joseph Rovan unterstrichen in der Zeitschrift Internationale Politik, dass man dem Islamismus aufmerksamer begegnen müsse. Rovan entwarf das Szenario chinesischer Raketen, die von Algerien aus drohen und „wesentliche Änderungen des Mächtesystems der Welt bewirken“ könnten.466 Teil des Gedankenspiels war die Machtübernahme eines islamistischen Regimes in Algier. Eine solche Lage ließe sich nicht mit dem Krieg der USA gegen Hitlerdeutschland vergleichen, weil die Eingliederung der Einwanderer aus Nordafrika und der Türkei vernachlässigt worden sei.467 Rovan machte außerdem auf ein zusätzliches, aus der Kombination von Islamismus und Migration erwachsendes Gefahrenpotential aufmerksam: Die in der Vergangenheit bereits erfolgte Migration konnte ebenfalls ein Anderes, nämlich ein Anderes im Eigenen bedeuten. Die Repräsentation dieses Anderen erweiterte sich mit Hilfe der Chiffre Islam auch auf andere Migrationskonstellationen. Dazu zählte das Verhältnis zwischen Europa und nichtmaghrebinischer Türkei.468 Die Barcelona-Konferenz rief Gefahren ins Gedächtnis. 1995 vertrat Werner Weidenfeld in einem Editorial die Ansicht, dass Mittelmeerpolitik eine europäische Antwort auf die Frage sein solle, wie mit Bedrohungen durch Migration, Umweltzerstörung und Terrorismus umgegangen werden könnte.469 Das bereits ausgeprägte Bedrohungsbewusstsein blieb auf der Agenda der Zeitschrift. Das Februarheft der Zeitschrift Internationale Politik nahm bereits zwei Monate nach der Erklärung von Barcelona das Thema der Konferenz auf: Die Überschrift „Brennpunkt Mittelmeer“ lenkte die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb. Weidenfeld mahnte in seinem Vorwort zu dieser Ausgabe allerdings ein stärkeres Denken in Zusammenhängen an: Nicht einzelne Regionen, sondern der „Gesamtzusammenhang“ der Probleme sollte im Zentrum stehen.470 Hanspeter Mattes vom Deutschen Orient-Institut in Hamburg nannte schon im Titel seines Aufsatzes drei Problemstellungen, die

465 John Roper, „Der verwundbare Kontinent. Westeuropas Sicherheit im 21. Jahrhundert“, in: Internationale Politik 50 (1995), 12, S. 10–14, insbes. S. 12. Roper fokussierte noch ausdrücklicher auf Westeuropa als Weidenfeld. 466 Joseph Rovan, „Der fundamentalistische Islamismus bedroht Europa“, in: Internationale Politik 50 (1995), 2, S. 47–52, insbes. S. 47. 467 Ebd., S. 52. 468 Wobei gegen Ende des Jahrzehnts auch solche Stimmen Gehör fanden, die umgekehrt positive Rückkopplungseffekte für möglich hielten. Rémy Leveau, „Der Islam – eine Herausforderung für den Westen“, in: Internationale Politik 52 (1997), 8, S. 25–32. Siehe auch das Kapitel zu Bezügen, Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen den Instituten. 469 Werner Weidenfeld, „Den Frieden sichern“, in: Internationale Politik 50 (1995), 12, S. 1–2, insbes. S. 1. 470 Ders., „Herausforderung Mittelmeer“, in: Internationale Politik 51 (1996), 2, S. 1–2, insbes. S. 2.

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direkt auf die Beziehungen zwischen den beiden Regionen verwiesen. Die Umweltproblematik umriss der Autor nach einer Einleitung, die auf die Position des deutschen Außenministers auf der Barcelona-Konferenz verwies, eher allgemein. Allerdings betonte er in seiner Übersicht die Verantwortung der „reichsten Mittelmeer-Länder Frankreich, Italien und Spanien“ für die industrielle Umweltverschmutzung und für die durch Abwasser und Algen entstehenden Problemzonen des Mittelmeers.471 Die Migrationsprobleme untermauerte er mit statistischem Zahlenmaterial. Algerien und Marokko, aber auch die „1992 rund 2 Millionen Maghrebiner“, bei denen Familienzusammenführungen legal zunehmend schwerer zu bewerkstelligen seien, waren als Beispiele zentral.472 Abschließend verfolgte Mattes die Transportwege im Drogenschmuggel und die Verteilung des Drogenkonsums an der Nord- und Südküste des Mittelmeerraums, wobei er den Maghreb und insbesondere Marokko aufgrund der zunehmenden Cannabisproduktion und der „traditionellen Handelsrouten“ heraushob.473 Gerade Migration und Drogen waren in Darstellungen zum Verhältnis von Europa und dem Maghreb als Bedrohungen durch das Andere sehr präsent. Als Gastautor schrieb im Februar auch der Forscher Roberto Aliboni vom praxisorientierten Forschungsinstitut Istituto Affari Internazionali in Rom über „Südmediterrane Herausforderungen“. Er führte die Probleme im Mittelmeerraum auf zwei Hauptgründe zurück: erstens die politischen Ordnungen „vieler arabischer Regime“; zweitens die wirtschaftlichen Ordnungen, die durch „Vetternwirtschaft“ gekennzeichnet seien.474 Die Migration in die EU blieb für den Italiener jedoch das größte Problem, wenn er den Prozess auch als Folge der politischen und wirtschaftlichen Lage verstand.475 Eberhard Rhein ging in der Mittelmeerausgabe der DGAP-Zeitschrift auf die historische Entwicklung der Mittelmeerpolitik ein. Der Maghreb könne als Initiativraum dieser Politik aufgefasst werden, die aktive Ostpolitik der Gemeinschaft folge der Politik im Mittelmeerraum nach. Trotz dieser Vorreiterrolle, die die Mittelmeerstaaten bei der Ausgestaltung des Verhältnisses zu ihren Nachbarn einnahmen, verwies Rhein explizit auf die Bedrohung aus dieser Richtung, die auch 2010 noch bestehen werde, wie er prognostizierte.476 Betrachtet man die kulturelle Komponente der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP), zeigt sich, dass unter Rheins Führung die politischen und wirtschaftlichen Konzepte innerhalb des Programms relativ früh ausgearbeitet, die kulturellen Initiativen jedoch stiefmütterlich behandelt worden waren. Wenn die Euro-Mediterranen Partner-

471 Hanspeter Mattes, „Umwelt-, Migrations- und Drogenprobleme. Bedrohliche Entwicklungen im Mittelmeer-Raum“, in: Internationale Politik 51 (1996), 2, S. 3–8, insbes. S. 4. 472 Ebd., S. 5. 473 Ebd., S. 6–7. 474 Aliboni, „Herausforderungen“, a.a.O., (Anm. 403), S. 9–10. 475 Ebd., S. 13. 476 Eberhard Rhein, „Mit Geduld und Ausdauer zum Erfolg. Die neue Mittelmeer-Politik der Europäischen Union“, in: Internationale Politik 51 (1996), 2, S. 15–20.

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schaft (EMP) aus der vermeintlichen Bedrohung aus dem Süden resultierte, erscheint dies logisch.477 Die Autoren in der Zeitschrift Internationale Politik nahmen in der Darstellung des Maghrebs als Gegenüber Europas sowohl aufeinander als auch vermehrt auf mediale Berichterstattung Bezug. Etwa wenn eine Regionalwissenschaftlerin, Sigrid Faath, in einem Artikel der Zeitschrift der DGAP auf einen Zeitungsartikel verwies, um die Beziehung zwischen Europa und dem Maghreb eher aus dem Blickwinkel der Bedrohung einzuleiten. Erst kürzlich habe Joseph Rovan die europäische Problematik eines atomar bewaffneten islamistischen Regimes in Algier aufgeworfen. Seit Beginn der 1990er Jahre sei ein „ausgeprägteres Interesse an der innenpolitischen Entwicklung in Nordafrika“ zu erkennen.478 Die Problematik der internationalen Beziehungen im Mittelmeerraum, plakativ am Beispiel eines raketenstarrenden Algerien vor Augen geführt, war für Autoren und Verantwortliche in der DGAP auch deshalb von Interesse, weil es in Öffentlichkeit und Politik im Trend lag. Dies gilt trotz des Vorbehalts, das Bild Nordafrikas der 1990er Jahre dürfe nicht auf ein Land verengt werden.479 Die Herausforderung Maghreb wurde vom Direktor des Forschungsinstituts der DGAP, Karl Kaiser, aufgegriffen. Im Kontext der NATO zählte Kaiser drei Weltregionen auf, von denen das Bündnis neu herausgefordert würde. An erster Stelle nannte er Nordafrika.480 Die Meinung, Europas Peripherie sei instabil, wurde im Laufe des Jahres 1996 sehr häufig auf die eine oder andere Weise in den Publikationen der DGAP verbreitet. Mit der zunehmenden Eintrübung der Erfolgsaussichten im Nahostfriedensprozess mehrten sich spätestens 1997 die Stimmen, die eine neue Bedrohung im Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb ausmachten: eine problematisch enge Verklammerung der Beziehungen mit den Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern. Der SWP-Forscher Jens van Scherpenberg war zwar im Hinblick auf den in Barcelona geplanten „Integrationsraum“ noch positiv gestimmt, wies aber Anfang 1997 in einer Ausgabe der Zeitschrift Internationale

477 Vgl. Schäfer, Kulturdialog, a.a.O., (Anm. 104), S. 108. 478 Sigrid Faath, „Stabilität und Autoritarismus in Nordafrika“, in: Internationale Politik 51 (1996), 2, S. 21–26, insbes. S. 21. Kurios ist, dass sich Faath nicht auf die in ähnlicher Weise bereits Anfang des Jahres 1995 in der DGAP-Zeitschrift entworfene Bedrohungslage bezog. Joseph Rovan zitierte Faath nach dem Hamburger Abendblatt, 8.9.1995. Vgl. Rovan, „Islamismus“, a.a.O., (Anm. 466). Dieser Titel wurde von ihr ebenfalls als zusätzlicher Vergleich genannt. 479 Faath, „Stabilität“, a.a.O., (Anm. 478), S. 22. Curt Gasteyger zählte wenig später Nordafrika als Unsicherheitsherd nur an vierter Stelle; die Gefahr werde möglicherweise überschätzt. Curt Gasteyger, „Neue Konturen europäischer Sicherheit“, in: Internationale Politik 51 (1996), 12, S. 21–28, insbes. S. 24. 480 Karl Kaiser, „Umgestaltung der NATO“, in: Internationale Politik 51 (1996), 6, S. 35–46, insbes. S. 38.

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Politik zum Thema „Handel und politischer Wandel“ auf die möglichen negativen Folgen hin, falls die Probleme im Friedensprozess zunehmen sollten.481 Mit der politischen Ordnung im Maghreb im Zusammenhang mit den Problemen in der arabischen Welt insgesamt beschäftigte sich eine Expertin des Pariser Partnerinstituts IFRI, Bassma Kodmani-Darwish. In dem Artikel, der nach den algerischen Wahlen im Herbst 1997 in der Zeitschrift der DGAP erschien, kritisierte sie die ambivalenten Ziele der Regime „ungeachtet der jeweiligen Orientierung“ in politischer Hinsicht. Die Autorin hielt in diesem Zusammenhang das Beispiel der staatlichen Gewalt und der Gegenreaktion der islamistischen Bewegung in Algerien für bedeutsam. Die Spezialistin für die arabische Welt betonte, dass der Konflikt von den Islamisten zu einer Wiederholung des Unabhängigkeitskampfes gegen Frankreich stilisiert werde.482 Auch wenn dies in den Augen von Kodmani-Darwish nur ein Teilaspekt der Probleme in der arabischen Welt war, lässt sich sagen, dass diese Reminiszenz an ein anderes Europa, jenes der Kolonialzeit, ein Bedrohungsbewusstsein hervorrief. In der Ausgabe der DGAP-Zeitschrift nach den algerischen Wahlen meldete sich auch der Wissenschaftler Werner Ruf zu Wort, der einen Appell an die europäischen Staaten richtete, eine Verhandlungslösung im Bürgerkrieg zu erzwingen; seine Prognose lautete, dass im Fall eines weiter so die Eskalation weitergehen werde.483 Insbesondere Algerien stand für ein drohendes Gewaltpotential aus dem Süden. Die Herausforderung Europas durch Gewalt fassten die Autoren in den Publikationen der DGAP im Verhältnis mit dem Maghreb oft unter der Formel Terrorismus zusammen. Der freie Journalist Clemens Altmann beschäftigte sich in seinem Artikel der Augustausgabe 1998 fast ausschließlich mit den inneralgerischen Machtverhältnissen, die Gewalt hervorbrächten. In seinen Augen hätte weder die algerische Armee noch „Europa“ eine islamistische Machtübernahme je zugelassen.484 In den abschließenden Ausführungen wurde deutlich, dass der Journalist gleichzeitig von einem Einflussverlust Frankreichs in Algerien ausging. Zudem überdecke der Terrorismus nur eine zukünftige massive Auseinandersetzung in Algerien.485 Terrorismus und Bürgerkrieg waren Bestandteile einer

481 Jens van Scherpenberg, „Konkurrenz um die Weltmärkte. Regionale Wirtschaftsintegration als Hebel“, in: Internationale Politik 52 (1997), 4, S. 13–19, insbes. S. 15. Zur zeitgenössischen Wahrnehmung der Kompromissversuche im Rahmen der EMP siehe darüber hinaus ausführlicher: Johan Grußendorf & Friedhelm Hoffmann, „‚Frieden, Wohlstand und Menschenrechte rund ums Mittelmeer‘ – Die Erklärung von Barcelona (1995)“, (2010), http://www.europa.clio-online.de/2010/Article=453 (16.1.2014). 482 Kodmani-Darwish, „Islamismus“, a.a.O., (Anm. 85), S. 19–20. 483 Ausdrücklich rief Ruf andere Staaten als das in seinen Augen in den Konflikt verstrickte Frankreich auf, sich zu engagieren. Werner Ruf, „Nach den Wahlen in Algerien – was tun?“, in: Internationale Politik 52 (1997), 8, S. 59–60, insbes. S. 60. 484 Clemens Altmann, „Terrorismus als Garant für die Marktwirtschaft? Algerien in einem Dilemma“, in: Internationale Politik 53 (1998), 8, S. 28–32, insbes. S. 29. Der Beitrag beruhte auf einem Vortrag vor der DGAP in Berlin am 7. Mai 1998. 485 Ebd., S. 32.

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Repräsentation des Anderen, bei der Algerien den Maghreb symbolisierte und eine Herausforderung für das Eigene darstellte. In ihrer hauseigenen Zeitschrift veröffentlichten DGAP-Forscher zu diesem Thema eher weniger. Der Frankreichspezialist Jean-Pierre Froehly machte in einer Analyse der deutsch-französischen Beziehungen im Hinblick auf europäische Außenpolitik den Islamismus als möglicherweise wachsendes Problem des Maghrebs aus. Die Friedensinitiative des deutschen Außenministers Klaus Kinkel in Algerien vom Januar 1998 sei zwar von Frankreich unterstützt worden, an der Bedrohungssituation hätte sich aber wenig geändert.486 Das Muster war auch hier eindeutig: Der Maghreb stellte eine, wenn nicht die Herausforderung dar.487 Von anderen DGAP-Mitarbeitern wurde das Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb wiederum unter dem Stichwort Migration aufgegriffen. Zu diesem Thema betreute der Mitarbeiter Steffen Angenendt mehrere Projekte. In einem Artikel, der sich mit weltweiten Bevölkerungsbewegungen auseinandersetzte, fasste er die Migration aus dem Süden in die Gemeinschaft als Solidaritätsproblem auf.488 Die Bedrohung durch das Andere und die Erwartung, die Geschlossenheit des Eigenen könne gefestigt werden, gingen in den Darstellungen Hand in Hand. In dieser Darstellungsform, die positive Auswirkungen der Herausforderung oder Bedrohung für das Eigene erhoffte, unterschieden sich die DGAPMitglieder und französischen Gastautoren und Gastautorinnen kaum. Die Forscherin Thérèse Delpech (CERI) stellte gegen Ende eines Aufsatzes zur Zusammenarbeit Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands in der EU eine zentrale Frage zur zukünftigen Rolle Europas in der Mittelmeerpolitik: „Wie können die Gefahren gemindert werden […]?“ 489 In einer Bilanz der internationalen Bedrohungen diente die Region als Beispiel für die sogenannte „Risikostaatenprävention“. Ein Mitarbeiter Werner Weidenfelds, Sven Behrendt, stellte sich mit seinem Beitrag in die Denktradition seines Vorgesetzten, der bereits Mitte der 1990er Jahre den erweiterten Sicherheitsbegriff insbesondere für das westliche Mittelmeer für sinnvoll befunden hatte. Behrendt erwartete dieser Denkweise folgend im Sommer 1999 positive Auswirkungen auf die EU-Staaten, die er als primär handelnde Akteure ansah. Eine Verringerung der von den anderen Staaten ausgehenden Gefahr war in seinen Augen wünschenswert – in erster Linie deshalb, weil er sich davon präventive Effekte für die Staaten versprach, denen er sich zugehörig fühlte.490

486 Jean-Pierre Froehly, „Der ‚neue‘ deutsch-französische Dialog. Abstimmung in der europäischen Außenpolitik“, in: Internationale Politik 53 (1998), 9, S. 26–32, insbes. S. 31. 487 Ebd. Wobei die Überschrift in diesem Fall „Herausforderung Algerien“ lautete. 488 Steffen Angenendt, „Flucht und Migration. Aktuelle Probleme der weltweiten Wanderungen“, in: Internationale Politik 54 (1999), 4, S. 1–10, insbes. S. 9. 489 Thérèse Delpech, „Dreierdiplomatie der Zukunft. Neue sicherheitspolitische Koordinaten in Europa“, in: Internationale Politik 54 (1999), 5, S. 63–67, insbes. S. 67. 490 Sven Behrendt, „Reintegration und Prävention von ‚Risikostaaten‘“, in: Internationale Politik 54 (1999), 6, S. 29–34, insbes. S. 31–33. Die anderen Staaten spielten für Behrendt vor allem

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Der in den USA lehrende Wissenschaftler Fouad Ajami stellte in einem Artikel in der Internationalen Politik neben Algerien auch Tunesien als Negativbeispiel dar. Der Autor plädierte in diesem Zusammenhang für eine Verbesserung der arabischen politischen Traditionen. Von Algerien bis Saudi-Arabien würden Reformen herbeigesehnt, wie sie, so Ajami, in Lateinamerika oder Ostasien auf den Weg gebracht seien.491 Auch hier wurde somit der Unterschied zwischen der Nord- und Südküste des Mittelmeers indirekt herausgestrichen. Bei der Betrachtung der gesamten Dekade wird deutlich, dass der erweiterte Sicherheitsbegriff auf die Repräsentationen vom Maghreb und von Europa ambivalent wirkte. Einerseits ist insbesondere in der interessierten Öffentlichkeit, für welche die Zeitschrift der DGAP stehen kann, eine Zunahme der Auseinandersetzung mit europäisch-maghrebinischen Themen festzustellen. Gleichzeitig kreisen die Beiträge – überspitzt formuliert – häufig um die Schlagworte Immigration und Islamismus.492 Die untersuchten Texte zeigen auch eine reflexivere Verunsicherung in den Fremdrepräsentationen, die nachfolgend diskutiert wird. Der Maghreb als nationale Projektionsfläche europäischer Entwicklung Das Eigene im Spiegel der Entwicklung des Anderen zu betrachten, kann auch bedeuten, auf Widersprüche in der mental map des Spiegelbildes zu stoßen. In den Publikationen der DGAP legten Experten am naheliegenden Fallbeispiel Maghreb dar, inwiefern sich hinter der Rhetorik institutioneller und kultureller Einigkeit in Europa unterschiedliche Selbst- und Fremdverständnisse verbargen. Solche Analysen verblieben dabei nicht zwangsläufig auf einer primär außenpolitischen Diskussionsebene; manche Texte zeigen, dass innenpolitische Folgen der nationalstaatlichen Beziehungen im Mittelmeerraum gleichermaßen als trennend aufgefasst wurden. Der langjährige IFRI-Forscher Walter Schütze äußerte sich schon Anfang 1990 in einem Beitrag für das Europa-Archiv allgemein zur geostrategischen Problematik des politischen Umbruchs für Frankreich. Nur widerstrebend nehme die Elite Frankreichs den grundlegenden Wandel der „politischen Landschaft auf dem Kontinent“ zur Kenntnis.493 Außerdem verwies Schütze bereits auf die im Laufe des Untersuchungszeitraums zunehmende Tendenz, Europa mit dem konstitutionellen Europa gleichzusetzen.494 Trotz der hellsichtigen Analyse der Folgen des in vollem Gange befindlichen Transformationsprozesses lässt sich die

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eine reaktive Rolle. Behrendt arbeitete unter Weidenfeld am Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) in München. Fouad Ajami, „Reform versus Tradition. Tragfähigkeit und Qualität der arabischen politischen Ordnung“, in: Internationale Politik 54 (1999), 7, S. 30–36. Neutraler war auch von Migration bzw. dem Verhältnis von Westen und Islam die Rede. Walter Schütze, „Frankreich angesichts der deutschen Einheit“, in: Europa-Archiv 45 (1990), S. 133–138, insbes. S. 134. Ebd., S. 135.

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Deutung als eine Vorstufe zukünftiger Projektionen verstehen. Es zeigte sich zwar ein Bewusstsein für mögliche Unterschiede in der Weiterentwicklung des europäischen Projektes und damit auch für unterschiedliche Europarepräsentationen; diese Divergenzen bezogen sich allerdings noch nicht auf ein Nicht-Europa. Ebenfalls 1990 wurde ein weiterer Artikel aus Frankreich von der DGAP veröffentlicht, wobei in diesem Fall ein in Paris arbeitender Fulbright Research Fellow zu den tagespolitischen Vorgängen in Frankreich Stellung bezog. Der Maghreb wurde vom US-Amerikaner David Yost in den Kontext der spezifischen Einwanderungssituation in der Fünften Republik eingepasst: Innenpolitisch seien die Eliten mit der Einwanderung und dem Rassismus gegenüber Nordafrikanern, sicherheitspolitisch mit Überschneidungen zwischen Golfkrise, islamischem Fundamentalismus und Terrorismus befasst; Frankreich sehe sein „rayonnement“ in Gefahr.495 Die Beziehungen zum Maghreb und das Bewusstsein für die weltpolitische Umgebung der europäischen Staaten seit dem Ende des Kalten Krieges waren für Yost sehr nationalspezifisch und wenig einheitlich europäisch. In einem Vortrag aus der Zeit des Zweiten Golfkrieges kritisierte Altbundeskanzler Willy Brandt indirekt das mangelnde Bewusstsein für die „fehlenden Entwicklungsperspektiven im Maghreb und Maschrek“ in den NichtMittelmeerstaaten der „EG“. Durch appellative Rhetorik versuchte Brandt diese Bewusstseinsunterschiede zu entschärfen, wobei er „EG“ und Europa gleichsetzte.496 Sein Text ist somit ein weiteres Beispiel für den Trend, den Walter Schütze schon Anfang 1990 erkannt hatte. Der Leiter der deutsch-französischen Arbeitsstelle der DGAP, Ingo Kolboom, prangerte in einem Arbeitspapier, das im April 1991 veröffentlicht wurde, die verzerrende französische Darstellung der deutschen Orientierung in Europa an. So kritisierte er den Publizisten Alain Minc, der einen deutschen Drang nach Osten zu konstruieren versuche.497 Ähnlich argumentierte Kolboom in einem Artikel im breiter rezipierten Europa-Archiv Anfang 1992. In einem von ihm und einem Romanisten, Wolfgang Asholt, gemeinsam verfassten Beitrag kam der „Drang nach Osten“ als Originalzitat aus der französischsprachigen Monatszeitung Le Monde Diplomatique vor.498 Trotz der Kritik an Teilen der französischen Publizistik enthielt die Analyse eigenen Projektionen. Wenn die Experten fragten, 495 David S. Yost, „Frankreich in einem neuen Umfeld“, in: Europa-Archiv 45 (1990), S. 691– 701, insbes. S. 700, 702. Im Artikel selbst wurde „rayonnement“ mit „außergewöhnliche Ausstrahlung“ (in die Welt) übersetzt (Zitat S. 700). 496 Brandt, „Friedensordnung“, a.a.O., (Anm. 443), S. 141. Das Manuskript der Rede erschien nach dem Waffenstillstand am Golf. 497 Kolboom, Deutschland-Bilder, a.a.O., (Anm. 373), S. 36. Das französische Fallbeispiel IFRI zeigt, dass Alain Minc als Redner und Diskutant innerhalb der Pariser Außenpolitikzirkel durchaus von Bedeutung war. Siehe die Abschnitte zu Repräsentationen des Eigenen im Kapitel zum IFRI. 498 Wolfgang Asholt & Ingo Kolboom, „Frankreich und das vereinigte Deutschland. Ein Rückblick nach vorn“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 179–186, insbes. S. 179.

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ob an den französischen „Bildern und Phantasmen“ 499 etwas wahr sein könnte, zeigte dies eine unterschiedliche Perspektive auf Europa und das europäische Projekt. Anfang 1992 erschien in der DGAP-Zeitschrift eine Rezension des von dem CERI-Forscher Gilles Kepel verfassten Standardwerks „Die Rache Gottes. Radikale Moslems, Christen und Juden auf dem Vormarsch“. Damit wurde ein weiterer Unterscheidungsaspekt aufgegriffen, denn nach Ansicht des Religionswissenschaftlers Peter Antes zeigte dieses Buch verschiedene Entwicklungslinien in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung innerhalb Europas zwischen „Etat laïque“ und einer Religionsfreiheit einfordernden islamischen Bevölkerung. Das französische Prinzip der Neutralität in Religionsfragen („laïcité“) sei durch die Angleichungstendenzen innerhalb der EG-Mitgliedsstaaten bedroht. Als Gegenbeispiel zur Desintegration nannte Antes das deutsche Schulsystem.500 Jedoch wies er auch darauf hin, dass eine Ähnlichkeit in der Art der Konflikte um Religionsfragen in Zukunft für alle Staaten der Gemeinschaft erwartet werden müsse. Zudem zielte sein Argument nicht allein auf die islamische Minderheit, sondern auf Tendenzen in weiteren Weltreligionen.501 Dennoch wurden gerade die innereuropäischen Unterschiede in der Auseinandersetzung mit den Migrationsgruppen skizziert. Im französischen Fall waren damit implizit vor allem die aus dem Maghreb stammenden Franzosen und Maghrebiner in Frankreich gemeint. Eine französische Entwicklungslinie, die ebenfalls mit den speziellen Beziehungen zum Maghreb in Verbindung gebracht werden kann, war der Erfolg der rechtsextremen Partei Front National. Sie war Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre vor allem mit der Problematik der sogenannten „Ausländer“ und Sicherheitsthemen groß geworden. Frankreichspezialisten und -spezialistinnen wie die Münchener Politikwissenschaftlerin Gisela Müller-Brandeck hoben die Partei als aktuelle Entwicklung in Frankreich hervor und stellten sie in den Kontext der Maastricht-Debatten.502 In anderen Beiträgen zur Debatte wurde allerdings gerade der innenpolitische Aspekt der Migrationsprozesse aus dem Maghreb und dem Mittelmeerraum als gemeinsame Herausforderung aufgefasst.503 Der Maghreb, der Mittelmeerraum und der Süden als Gegenstück zu einem europäischen Norden wurden auf eine unterschiedliche Entwicklung im Europa ohne Eisernen Vorhang übertragen. Der DGAP-Forscher Helmut Hubel diskutierte in einem Arbeitspapier, welches im Dezember 1992 abgeschlossen und 499 Ebd., S. 186. 500 Peter Antes, „Die Weltreligionen und der moderne Staat“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 171–178, insbes. S. 177. 501 Ebd., S. 177–178. 502 Gisela Müller-Brandeck, „Ist die V. Republik reformbedürftig? Aktuelle Entwicklungen und Debatten in Frankreich“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 403–412. 503 Zu den Experten, die entsprechend argumentierten, zählte Hartmut Kistenfeger (DGAP), der wiederum aus anderen Gründen 1994 ebenfalls verschiedene Orientierungen Deutschlands und Frankreichs in der Maghrebpolitik erkannte.

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1993 mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes veröffentlicht wurde, die Lage Deutschlands aus „internationaler Sicht“.504 Dabei zitierte er einen polnischen Außenamtsbeamten, der in einer Publikation der US-amerikanischen Brookings Institution vor einem Europa-eigenen „Nord-Süd-Konflikt auf einer Ost-WestAchse“ warnte.505 Der Nord-Süd-Konflikt bildete eine weitere Projektionsfläche für die Bedeutung des Maghrebs. Im beschriebenen Beispiel nutzte Hubel allerdings das vermeintlich Andere der südlichen Staaten, um vor verschiedenen Entwicklungen zwischen Westeuropa und Osteuropa zu warnen. Verschiedene Europas der Zukunft zeigten sich besonders auch im Bereich der Verteidigungspolitik, selbst wenn eine höhere Gemeinsamkeit Ziel der Gedankenführung war. Beispielsweise schrieb der ehemalige Hamburger Senator Hans-Joachim Seeler in einem Beitrag in der DGAP-Zeitschrift, dass eine „Europäische Legion“ nach dem Vorbild der französischen Fremdenlegion eine Lösung für die europäische Sicherheitspolitik sein könnte, die durch die Vorbehalte der Nationalstaaten blockiert werde. Gleichzeitig fügte er hinzu, dass die nationalen Armeen fortbestünden, um Interessen etwa in ehemaligen Kolonien einzelner Mitgliedsstaaten zu wahren.506 Damit war auf gewisse Weise von zwei Entwürfen die Rede, einer gemeinsamen Sicherheitspolitik, aber auch jeweils national gesteuerter Verteidigungspolitik von europäischem Boden aus. In der DGAP hatte die Diskussion von deutsch-französischen Differenzen lange Tradition. Was den untersuchten Zeitraum angeht, ergaben sich entsprechende Fragen im Hinblick auf die internationalen Beziehungen aus der zukünftigen Gestaltung der europäischen Einheit. Am Beispiel des Zweiten Golfkrieges von 1991 betonte der Gastautor Philip H. Gordon Anfang 1994 in einem Arbeitspapier die unterschiedlichen nationalen Perspektiven auf Europa. Diese leitete er aus dem Ende des Kalten Krieges und der neuen Situation eines eskalierenden regionalen Konflikts ab. In dieser Situation wurde Frankreich als besonders mit der arabischen Welt und mit Nordafrika verbunden dargestellt. Die Konzeptionen der französischen Europapolitik wichen daher von denen Deutschlands ab. Zur Begründung verwies der Autor auf die in Frankreich lebenden Araber und die internationalen Beziehungen zu nordafrikanischen Staaten, deren Bevölkerung proirakisch eingestellt gewesen sei. Die Haltung der Eliten im Maghreb wurde dagegen nicht thematisiert.507 Für Gordon wurde dieser Aspekt in Gefahrenanalyse wichtig: Die Regionalinteressen gegenüber Nordafrika (Frankreich) und Osteuropa (Deutschland) könnten jeweils „im Alleingang“ über-

504 Helmut Hubel, Das vereinte Deutschland aus internationaler Sicht. Eine Zwischenbilanz (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 73), (Bonn: Europa-Union-Verl., 1993). 505 Ebd., S. 75. 506 Hans-Joachim Seeler, „Neue Wege einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“, in: Europa-Archiv 48 (1993), S. 12–18, insbes. S. 16. 507 Gordon, Partnerschaft, a.a.O., (Anm. 418), S. 8.

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nommen werden. Daraus folge eine weitergehende interessensmäßige Divergenz, als sie schon „heute aufgrund von Geschichte und Geographie“ existiere.508 Es war eine verbreitete Sichtweise, dass aus den unterschiedlichen regionalen Bezügen krisenhafte Entwicklungen innerhalb Europas entstehen könnten, insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich.509 Gordon diskutierte auch die sicherheitspolitischen Aspekte der verschiedenen Entwürfe. Dabei berief er sich auf eine Rede des britischen Premiers John Major, der im Januar 1991 kritisiert hatte, Europa sei offensichtlich noch nicht bereit für weitere Integrationsschritte.510 Gordons Beurteilung erschien etwas willkürlich, da in den vorausgehenden Passagen seines Arbeitspapiers vor allem deutsch-französische Aspekte im Mittelpunkt standen. Er beschränkte seine Beurteilung nicht auf nationale Europakritiken, wie die Abschnitte zu Eigenrepräsentationen in den Publikationen der DGAP bereits deutlich gemacht haben. Zudem kritisierte er bereits im Kontext der Jugoslawienkrise, bei der Deutschland und Frankreich divergierten, die unausgewogene Berichterstattung der konservativen Presse in Deutschland.511 Die unterschiedlichen nationalen Perspektiven wurden vom DGAPMitarbeiter Hartmut Kistenfeger explizit auf den Maghreb bezogen. In seiner Einschätzung der Entwicklungsmöglichkeiten deutscher Außenpolitik in der Region stellte er die deutsche Ausrichtung derjenigen Frankreichs gegenüber: Eine außenpolitische Orientierung, die nach französischem Vorbild dem Maghreb das gleiche politische Gewicht wie Ost- und Mitteleuropa zubilligt, kommt für Deutschland nicht in Frage. Wirtschaftliche, geographische und sicherheitspolitische Faktoren geben dem Osten Europas Priorität in der deutschen Außenpolitik.512

Kistenfeger erweiterte in seiner Analyse die sicherheitspolitische und geostrategische Komponente der unterschiedlichen Konzeptionen europäisch eingebetteter Außenpolitik mit außenwirtschaftlichen Argumenten. Er prognostizierte eine ökonomische Ausrichtung Deutschlands auf Mittel- und Osteuropa, während er Frankreich eng mit seinen ehemaligen Kolonien in Nordafrika verbunden sah. Kistenfeger bezeugte damit ein brüchiges europäisches Selbstverständnis, welches davon ausging, dass Deutschland und Frankreich eher auseinandertrieben.

508 Ebd., S. 93. 509 Eine Deutung, die immer wieder auch auf die Sicherheitspolitik bezogen wurde; als naheliegend bot sich in erster Linie der Hinweis auf direktere Auswirkungen von Destabilisierungen in Mittel- und Osteuropa (Russland eingeschlossen) an. Vgl. Joachim Schild, „L’Allemagne entre l’Est et le Sud“, in: Politiques méditerranéennes. Entre logiques étatiques et espace civil : une réflexion franco-allemande, hrsg. von Jean-Robert Henry, (Paris, Aix-en-Provence: Éd. Karthala; IREMAM, 2000), S. 177–189, insbes. S. 183. 510 Gordon, Partnerschaft, a.a.O., (Anm. 418), S. 17. 511 Ziebura, Beziehungen, a.a.O., (Anm. 24), S. 392. 512 Kistenfeger, Maghreb, a.a.O., (Anm. 399), S. 177. Das Papier wurde im Dezember 1994 veröffentlicht, 1993 hatte Kistenfeger zu einem ähnlichen Thema eine 136-seitige Magisterarbeit in Heidelberg geschrieben (siehe im Vorwort des Papiers).

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Die Sicherheitspolitik war ein wichtiger Bestandteil der Bewusstmachung von innergemeinschaftlichen Brüchen im Verhältnis zum Maghreb; als ein entscheidender Faktor kristallisierte sich der algerische Bürgerkrieg heraus. In einer gemeinsamen Analyse der Außenpolitik Frankreichs kamen der DGAP-Forscher Ingo Kolboom und der IFRI-Mitarbeiter Hans Stark unter der Überschrift „Die Südschiene zum Mittelmeer“ zu dem Schluss, Frankreich sei gegenüber seinem ehemaligen Departementgebiet hilflos. In dem Artikel in der Zeitschrift der DGAP wurden gleichzeitig Einflussnahmen der französischen Regierung auf die Haltung der Kommission der EU dokumentiert, die eine französische Sicht der Dinge befördern sollten.513 Der Artikel unterstrich somit eine Perspektive, welche die unterschiedliche Herangehensweise an die EU-Politik gegenüber dem Maghreb und insbesondere Algerien hervorhob. Wie die Bundesrepublik von ihren ausländischen Partnern wahrgenommen wurde, war ebenfalls Gegenstand von Untersuchungen. Die DGAP-Mitarbeiter Helmut Hubel und Bernhard May kritisierten im Juni 1995 die deutsche Politik. Unter Verweis auf ein Interview des französischen Premierministers in der Zeitung Le Monde zeichneten beide Autoren ein Bild, demzufolge Frankreich gemeinsam mit Spanien und Italien gegen Deutschland Politik machte, um die Marginalisierung durch die Ost- und Norderweiterung der EU zu bekämpfen. Der Akzent liege auf der „Mittelmeer-Problematik“.514 Wie unterschiedlich Frankreich und die Bundesrepublik die Bedeutung und Dringlichkeit einer EU-Mittelmeerpolitik einschätzten, zeigten weitere Analysen aus der Arbeitsstelle Frankreich der DGAP. Axel Sauder zog dieses Politikfeld als Beispiel der französischen Suche nach „Unterstützung von anderen EU-Staaten“ heran.515 Das Andere zeigte sich als Neukonzeption der deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa. Ihr Ziel war es, einem weiteren Anderen gegenüberzutreten. Nicht nur im Zusammenhang mit der EU, sondern gelegentlich auch im Kontext der NATO wurde diskutiert, wie die Beziehungen zum Maghreb ent513 Ingo Kolboom & Hans Stark, „Frankreichs Abschied von der Weltpolitik?“, in: Internationale Politik 50 (1995), 5, S. 29–36, insbes. S. 34. 514 Helmut Hubel & Bernhard May, Ein „normales“ Deutschland? Die souveräne Bundesrepublik in der ausländischen Wahrnehmung (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 92), (Bonn: Europa-Union-Verl., 1995), insbes. S. 114. Das zitierte Interview (noch mit Edouard Balladur) erschien am 30. November 1994. 515 Axel Sauder, „Realismus statt Vision. Bonn und Paris bleiben aufeinander angewiesen“, in: Internationale Politik 50 (1995), 9, S. 31–36, insbes. S. 33. Sauder war auch einer der beiden Redakteure der deutschen Fassung eines Buches, dass aus der „Tradition der von den vier Instituten [DGAP, IFRI, Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC), Paris und Deutsch-Französisches Institut, Ludwigsburg] gemeinsam veranstalteten deutsch-französischen Konferenzen“ hervorging. Da die französische Fassung in der Reihe „Travaux et recherches de l’IFRI“ erschien, wird im entsprechenden Kapitel genauer auf einzelne Beiträge eingegangen. Karl Kaiser, René Lasserre, Thierry de Montbrial & Robert Picht, „Vorwort“, in: Handeln für Europa. Deutsch-französische Zusammenarbeit in einer veränderten Welt. Redaktion: Axel Sauder und Joachim Schild, hrsg. von CIRAC, DFI, DGAP & IFRI, (Opladen: Leske & Budrich, 1995), S. 7, insbes. S. 7.

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wickelt werden sollten und ob es in dieser Frage abweichende Konzepte im Süden und Norden Europas gab. 1996 meldete sich in der Zeitschrift Internationale Politik der Bundesverteidigungsminister Volker Rühe zu Wort. Eine NATOIntegration von Ländern östlich von Deutschland sei nur möglich, wenn Deutschland seine Fokussierung auf diese Region zurücknehme. Er appellierte, nicht nur „Stabilität in Mitteleuropa“ herzustellen. Den Mittelmeerraum zu stabilisieren sei „ebenso eine europäische Aufgabe“.516 Dieser Aufruf an die deutsche Politik und Expertenöffentlichkeit zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt von einer Übereinstimmung in der Einschätzung keine Rede sein konnte. Die deutsche Militärpolitik war ein weiteres Beispiel, an dem sowohl Veränderungen in Richtung größerer Gemeinsamkeit, aber auch weiterhin entscheidende Differenzen innerhalb Europas festgemacht wurden. Der Journalist der französischen Zeitung Le Monde, Daniel Vernet, kommentierte 1997 in der DGAP-Zeitschrift den Einsatz der Stabilisierungsstreitkräfte im ehemaligen Jugoslawien. In einer Fußnote wies er darauf hin, dass ein innerdeutscher Konsens zum Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes nicht hätte erreicht werden können, wenn etwa deutsche Soldaten „nach Afrika“ geschickt worden wären.517 Die Gegenüberstellung mit der französischen Bereitschaft zu Einsätzen in Nord- und SubsaharaAfrika war in diesem Fall implizit, die unterschiedliche Gewichtung dieser Region gegenüber Mittel-, Südost- und Osteuropa wurde dennoch deutlich. Im September 1998 wurde wiederum von einem DGAP-Mitarbeiter der Arbeitsstelle Frankreich in der Zeitschrift Internationale Politik auf die außenpolitischen Ausrichtungen Frankreichs und Deutschlands verwiesen, die aufgrund „ihres jeweiligen Selbstverständnisses von national-staatlichem Handeln in der Welt“ divergierten.518 Frankreich zeichnete sich für den DGAP-Mitarbeiter JeanPierre Froehly im Gegensatz zu Deutschland durch eine Einflusspolitik in der arabischen Welt aus. Der frankophon-afrikanische Bereich der Welt wurde als „chasse gardée“ skizziert.519 Der Maghreb lässt sich als Schnittmenge deuten, da sowohl die Zuschreibungen zu der breit verstandenen Gruppe der französischsprachigen Staaten als auch die zur arabischen Welt möglich sind.520 Demzufolge lag in den Ausführungen, welche im außenpolitischen Selbstverständnis klar

516 Volker Rühe, „Strukturreform der NATO. Atlantische, europäische und strategische Dimensionen“, in: Internationale Politik 51 (1996), 4, S. 42–46, insbes. S. 44. 517 Daniel Vernet, „Europäisches Deutschland oder deutsches Europa? Deutsche Interessenpolitik in Europa“, in: Internationale Politik 52 (1997), 2, S. 15–22, insbes. S. 17, Anm. 4. 518 Froehly, „Dialog“, a.a.O., (Anm. 486), S. 26. 519 Frei übersetzt in etwa: „geschütztes Jagdrevier“. Ebd., S. 27. 520 Frankophonie als Besonderheit sollte nicht ausschließlich im Sinne der Organisation internationale de la Francophonie (OIF) verstanden werden (Marokko und Tunesien waren Mitglieder, Algerien nicht), vgl. Hélène Miard-Delacroix, Im Zeichen der europäischen Einigung. 1963 bis in die Gegenwart. Übersetzt von Birgit Lamerz-Beckschäfer (WBG Deutsch-Französische Geschichte, 11), (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011), insbes. S. 296.

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zwischen deutscher und französischer Sicht unterschieden, eine Sprengkraft. Das Selbstverständnis, was Europa außenpolitisch bedeutete, war nicht einheitlich. Nicht nur innerhalb der deutsch-französischen Expertenzirkel, sondern auch von externen Betrachtern wurden die Differenzen in den außen- und europapolitischen Ausrichtungen Deutschlands und Frankreichs dokumentiert. Die britischen Deutschlandspezialisten William E. Paterson und Charlie Jeffery schrieben 1999 in der DGAP-Zeitschrift, das Problem liege darin, dass der Mittelmeerraum nach dem Umbruch durch das Ende des Kalten Krieges in den Prioritäten der EU nicht mehr so weit oben stehe. Die sicherheitspolitischen Ausrichtungen Frankreichs und Deutschlands hätten sich auseinander bewegt. Auf der anderen Seite verwiesen die Autoren auf Paketabkommen, die aus deutscher Sicht diese Ausrichtungen versöhnen sollten. Dazu zählten sie auch die Vereinbarung des Essener Gipfels 1994, auf dem eine Heranführung der mittel- und osteuropäischen Länder mit einer verstärkten Mittelmeerstrategie verbunden worden sei.521 Die Einschätzung der Unterschiede in der Politik den Anderen gegenüber war nicht immer pessimistisch, die Rolle der verschiedenen Traditionen, Interessen und Entwicklungslinien wurde allerdings betont. Der DGAP-Forscher Steffen Angenendt sah die Verbindungen und Auseinandersetzungen zwischen Europa und dem Maghreb aus einer anderen Perspektive. Er untersuchte die unterschiedliche Asyl- und Migrationspolitik der einzelnen EU-Staaten vor dem Hintergrund europäischer Gesetzgebung und Kompetenzen in diesem Bereich.522 Angenendt diskutierte in diesem Zusammenhang auch die internationalen Beziehungen im Mittelmeerraum; die großen EUMittelmeeranrainer – Frankreich, Spanien und Italien – strebten ihmzufolge 1995 und 1996 nach einem Gegengewicht zur osteuropäisch ausgerichteten EUAußenpolitik, daher die Barcelona-Konferenz. Dort sei die „Umverteilung der EU-Hilfsmittel zugunsten der Mittelmeerländer“ durchgesetzt worden. Eine Zielsetzung sei gewesen, „den Auswanderungsdruck in diesen Staaten zu reduzieren“.523 Das Thema Migration war geeignet, um sowohl das Eigene – das Europäische – bewusst zu machen, als auch das Andere zu charakterisieren. Es konnte aber auch als Aufhänger dienen, um Unterschiede darzustellen. Unabhängig davon, welche Entwicklungslinie sie verfolgten, bezogen sich die Autorinnen und Autoren am häufigsten auf die Unterschiede zwischen Deutsch-

521 William E. Paterson & Charlie Jeffery, „Deutschland, Frankreich – und Großbritannien? Eine britische Sicht deutscher Europa-Politik“, in: Internationale Politik 54 (1999), 12, S. 19–27, insbes. S. 20. 522 Steffen Angenendt, Gibt es ein europäisches Asyl- und Migrationsproblem? Unterschiede und Gemeinsamkeiten der asyl- und migrationspolitischen Probleme und der politischen Strategien in den Staaten der Europäischen Union (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, 102), (Bonn: Europa-Union-Verl., 2000), insbes. S. 4. Ein verbindendes Element mit früheren Arbeiten des Jahrzehnts bestand hier in der Förderung eines übergeordneten Projektes durch die Fritz Thyssen Stiftung. 523 Ebd., S. 65.

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land und Frankreich.524 Ob Migration, außenpolitische Traditionen oder die Haltung zur Erweiterung oder Vertiefung der EU, deutsch-französische Divergenzen bedrohten potentiell den Kern des europäischen Projektes. Dies gilt, obwohl beispielsweise die Süd-Nord-Wanderungen Italien seit den späten 1980er Jahren mehr betrafen als andere Länder Europas.525 Warum also das deutschfranzösische Beispiel? Es lässt sich auf den Maghreb und das Mittelmeer zurückführen, die thematisch schnell mit Frankreich verbunden werden konnten. Zudem wurde dem deutsch-französischen Motor in der Geschichte der europäischen Integration eine herausgehobene Rolle zugeschrieben. Nicht zuletzt spiegelte es auch die DGAP als Institution wider, die mit der Arbeitsstelle Frankreich/deutschfranzösische Beziehungen ein besonderes Augenmerk auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in diesem Bereich legte. Neben den genannten Fällen, in denen das Andere sich gewissermaßen in viel enger verstandenen Beziehungen wie der deutsch-französischen Partnerschaft zeigte, führt die letzte Gruppe von Fremdverständnissen in einen globaleren Sinnzusammenhang. Der Maghreb als nicht-westliche und nicht-europäische Region Neben den bisher untersuchten Repräsentationen des Anderen – die direkte Herausforderung Europas durch den Maghreb526 und die über die Auseinandersetzung mit der Andersartigkeit der Region zu Tage tretenden Differenzen zwischen den europäischen Staaten527 – lässt sich in den Publikationen der DGAP noch eine weitere Art von Repräsentationen nachweisen. Dieser Deutungszusammenhang entsteht dadurch, dass der Maghreb in erweiterte weltpolitische Zusammenhänge eingeordnet wurde, in denen er oft als nicht-westlich, Europa hingegen als westlich verstanden wurde. Letztlich wurde auf diesem Wege die Abtrennung eines nicht-europäischen Maghreb innerhalb verschiedener umfassenderer Kontexte, zum Beispiel der arabischen Welt, Afrikas oder des globalen Südens betont. Die Verwendung der Begriffe Orient und Okzident bezeichnet eine weitere historische Trennung zwischen Europa und dem Maghreb. Der Herausgeber der Zeitschrift Europa-Archiv, Wolfgang Wagner, verwies im Frühjahr 1991 vor dem Hintergrund des Zweiten Golfkrieges auf die zwei Seiten in diesem Konflikt

524 Wenn die Beiträge deutlich machen sollten, dass in den einzelnen europäischen Ländern jeweils unterschiedliche europäische Außenbeziehungen konzipiert wurden, stellte der deutsch-französische Fall in den DGAP-Publikationen das vordringlichste Beispiel dar. 525 Klaus J. Bade, Sozialhistorische Migrationsforschung. Hrsg. von Michael Bommes & Jochen Oltmer, (Göttingen: V & R Unipress, 2004), insbes. S. 485. 526 Wenn diese Priorität unterstrichen wurde, war letztlich unerheblich, wie dieses Europa institutionell aussehen würde. Vgl. den Beginn des vorliegenden Abschnitts. 527 Vgl. den vorangegangenen Unterabschnitt.

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zwischen sogenanntem Morgen- und Abendland;528 in der Beschreibung des Konfliktes neigte er zur westlichen Position. Die Gegenüberstellung verwies vor allem auf den Gegensatz zwischen der maghrebinischen Bevölkerung, die den in ihren Augen angegriffenen Irak unterstützte, und dem marokkanischen König, der die Koalition gegen den Irak unter Führung der USA befürwortete.529 Im direkt mit der Maghrebwahrnehmung zusammenhängenden WestsaharaKonflikt wurde in einem Artikel von Joachim Tzschaschel 1991 zwar die jeweils spezifische Situation der beteiligten Konfliktparteien geschildert. Der Autor zählte die Vereinten Nationen – die über die Selbstbestimmung der Westsahara ein Referendum organisieren wollten – und die wichtigen interessierten Spieler USA, Frankreich, das Europäische Parlament und Spanien auf.530 Die Interessenlage all dieser Parteien – wobei die erwähnten EG-Beteiligten als „Europa“ firmierten – fasste er jedoch abschließend mit einem einzigen Satz zusammen: „Europa teilt mit den Vereinigten Staaten das Interesse an einem stabilen Maghreb.“ 531 Der Maghreb als das Andere verschmolz die Wünsche der USA und eines diffusen nationalstaatlichen, aber auch gemeinschaftlich-institutionalisierten Europas. Der Diplomat Lutz Hermann Görgens ordnete den Maghreb in einem Artikel zur „neuen Weltordnung“ Ende 1992 in den Kreis der arabischen Welt ein. Es bleibe abzuwarten, ob Versuche revolutionärer Einigungsbewegungen, wie sie von Libyen und Irak versucht worden seien, nicht in Zukunft die „internationale Ordnung“ bedrohen könnten. Er machte die potentielle Gefahr deutlich, mit „weiteren Ausbrüchen eines panarabischen oder fundamental-islamischen Nationalismus“ sei zu rechnen.532 Görgens verband den Maghreb, indem er ihn mit dem so wahrgenommenen Schurkenstaat Libyen assoziierte, zum nichtwestlichen, nicht-europäischen Teil einer Bedrohung globalen Ausmaßes. Den Maghreb als Staatengruppe in der islamisch-arabischen Welt zu zeichnen, betonte die Abgrenzung zu den USA. Aber auch zu den mit den USA verbündeten NATO-Europäern ergab sich so eine klare Unterscheidung. Andreas Rieck, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Orient-Institut in Hamburg, überschrieb 1993 einen Artikel in der Zeitschrift der DGAP mit der Frage nach einer gesamtarabischen Solidarität. Diese wurde eher verneint, dennoch reflektierte der Autor über die Begeisterung der Bevölkerungsmehrheiten auch in Tunesien, Algerien und Marokko für den Irak. Diese Parteinahme für den vom 528 Mit dem Begriff Abendland klang hier der Streit zwischen Westeuropa- und Abendlandkonzept in der Nachkriegszeit nach. Diesen hat Vanessa Conze sehr anschaulich nachgezeichnet. Vanessa Conze, Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920–1970) (Studien zur Zeitgeschichte, 69), (München: Oldenbourg, 2005). 529 Wolfgang Wagner, „Orient und Okzident. Zwei konträre Sichten des Konflikts am Golf“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 169–179. 530 Tzschaschel, „West-Sahara-Frage“, a.a.O., (Anm. 395), S. 628–630. 531 Ebd., S. 630. 532 Lutz Hermann Görgens, „Goethe und die neue Weltordnung“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 631–636, insbes. S. 635.

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Westen gebrandmarkten Aggressor und gegen das überfallene Kuwait begründete Rieck mit dem Bevölkerungsreichtum der Maghrebstaaten, die zudem, so der Autor, über vergleichsweise wenig Bodenschätze verfügten.533 Selbst wenn also Autorinnen und Autoren der DGAP-Publikationen innerhalb der Staaten mit arabischer Bevölkerungsmehrheit differenzierten, so machten sie dennoch zumeist auf die potentielle Gefahr eines Aufeinandertreffens verschiedener Weltsichten aufmerksam. Sie stärkten damit ein Bewusstsein für Unterschiede zwischen einem westlichen Europa und einem nicht-westlichen Maghreb. Eine andere Demarkationslinie, an der entlang sich globale Entwicklungen im Mittelmeerraum abbilden ließen, war die Einordnung des Maghrebs in die Dichotomie zwischen Afrika und dem Westen. Die Beschreibung knüpfte an die Stellvertreterkonflikte des Kalten Krieges an und reflektierte insofern das Ende des Blockkonflikts aus einer dritten Perspektive. Der Afrikaspezialist Samuel M. Makinda schilderte in einem Artikel im Herbst 1993 die unterschiedlichen Reaktionen auf den Putsch gegen Michail Gorbatschow im August 1991 und den Putsch der algerischen Armee im Januar 1992, nach der ersten Runde der algerischen Wahlen und dem absehbaren Wahlerfolg der Islamischen Heilsfront (FIS). Er warf den westlichen Regierungen zweierlei Maß bei der Bewertung der beiden undemokratischen Vorgänge vor.534 Mit der Gegenüberstellung des durch Demokratie und wirtschaftlichen Liberalismus gekennzeichneten Westens535 und einem davon geschiedenen Afrika stellt er – trotz aller Kritik daran, wie der Westen mit den von ihm selbst proklamierten Werten umging – fest, dass der Maghreb nicht zum vor allem wirtschaftlich gekennzeichneten Westen gehöre. Nach dem Zweiten Golfkrieg und nach dem Westsahara-Konflikt bot der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien ebenfalls einen Anlass, den Maghreb in einen weltreligiösen Kontext einzuordnen. Der Islamwissenschaftler Bassam Tibi unterstrich gefährliche historische Erinnerungen. Den Muslimen in Algier, Tunis, Fez und anderen Städten mit einer „islamischen Öffentlichkeit“ riefen, so Tibi, die Berichte vom Balkan die Kreuzzüge ins Gedächtnis.536 Im Europa-Archiv des Jahres 1993 schilderte er die Kritik an der EG und ihrem Vermittler Lord David Owen aus der islamischen Welt: Owen wolle die Anerkennung „des durch Aggression geschaffenen Status quo“ erzwingen. Die islamische Welt sehe darin „Ausdruck der Politik“ der EG „gegenüber den Muslimen“.537 Obwohl in diesem Fall auch der Schaden für die Beziehung Europas zum Islam thematisiert wurde, bestand die Schilderung überwiegend aus einem Gegensatz der islamischen Welt 533 Andreas Rieck, „Gesamtarabische Solidarität? Die Palästinenser und die NahostVerhandlungen“, in: Europa-Archiv 48 (1993), S. 491–498, insbes. S. 462. 534 Samuel M. Makinda, „Demokratie und Entwicklung in Afrika“, in: Europa-Archiv 48 (1993), S. 567–576, insbes. S. 574–575. 535 Makinda verwies vor allem auf die Rolle der Bretton-Woods-Institutionen, den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. 536 Bassam Tibi, „Die islamische Dimension des Balkan-Krieges“, in: Europa-Archiv 48 (1993), S. 635–644, insbes. S. 639. 537 Ebd., S. 643.

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zum Westen. Der Maghreb erschien also als nicht-westlicher und nichteuropäischer Beobachter dieses europäischen Krieges. Neben militärischen Szenarien finden sich auch weitere Zuschreibungen eines nicht-europäischen Anderen. Im Arbeitspapier des Gastwissenschaftlers Philip H. Gordon vom April 1994 zog dieser die demographische Entwicklung heran, um Europa und Afrika voneinander abzugrenzen. Gordon nannte soziale Instabilität und Islamismus als Folgen, die aus der „Bevölkerungsexplosion in Afrika und speziell in Nordafrika“ erwachsen könnten.538 Islamismus und die Tatsache, dass diese Ideologie fortschreitend Land gegenüber einem vormaligen arabischen Nationalismus gewann, war für den Journalisten Arnold Hottinger ein Trennungsmerkmal. Anders als der aus dem Westen stammende Vorgänger Nationalismus sei der Islamismus tief in der islamischen politischen Kultur verwurzelt, außerdem verleihe ihm jedes Versagen der elitären Politik Kraft.539 Ein wichtiges Beispiel für diese Prozesse war für den Korrespondenten das Beispiel Algerien. Die inneren Konflikte seien vor dem Hintergrund der islamischen Religion und der islamistischen Bewegungen zu sehen.540 Dieser in der Zeitschrift der DGAP geschilderte maghrebinische Fall zeigte, dass sich der Westen und der Maghreb fundamental unterschieden. Ein weiterer Artikel des Jahres 1995 trug den Titel: „Europa und der Nahe Osten. Auf dem Weg zu einer neuen Ordnung“. Der Beitrag war ein Auszug aus einem Strategiepapier für die Kronberger Nahostgespräche der Bertelsmann Stiftung. Erarbeitet wurde er in der Forschungsgruppe Europa unter der Leitung von Werner Weidenfeld unter besonderer Mitwirkung von Peter-Christian Hanelt, Josef Janning, Gregor Meiering, Dirk Rumberg und Jürgen Jurek. „Nordafrika“ und den Nahen Osten schilderten die Autoren als eng miteinander verwoben; die gesamte politische Ökonomie der meisten Staaten der Region sei reformbedürftig, weitere Kennzeichen seien „autoritäre Strukturen“, „eine schwache Staatsentwicklung“ und die „Tendenz zur Internationalisierung innerer Spannungen“.541 Die Forschungsgruppe unterstrich die grundsätzlichen Unterschiede, wenn auch das von Weidenfeld in anderen Artikeln betonte gemeinsame Handeln im Angesicht dieser Unterschiede ebenfalls eine Rolle spielte. Den Maghreb ordneten Autoren in Artikeln der Zeitschrift der DGAP zudem aufgrund ihrer politischen Funktion in größere Zusammenhänge ein. Caio KochWeser, stellvertretender Präsident der Weltbank und Leiter der Abteilung Naher Osten und Nordafrika, nannte in seinem Artikel die Maghrebstaaten Marokko und

538 Gordon, Partnerschaft, a.a.O., (Anm. 418), S. 8. 539 Arnold Hottinger, „Vom Nationalismus zum Islamismus. Ideologischer Wandel in der islamischen Welt“, in: Internationale Politik 50 (1995), 4, S. 54–60, insbes. S. 59. 540 Ebd., S. 57–58. 541 Forschungsgruppe Europa der Universität München, „Europa und der Nahe Osten. Auf dem Weg zu einer neuen Ordnung“, in: Internationale Politik 50 (1995), 7, S. 31–36, insbes. S. 31.

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Tunesien als positive Beispiele für Wachstum in der Region.542 Zudem umriss er knapp das Arbeitsprogramm, das auf der Konferenz von Barcelona verabschiedet werden sollte und das ebenfalls eine Einordnung des Maghrebs in eine größere Region, den Mittelmeerraum, vorsah.543 Der Artikel enthielt Passagen, in denen die Herausforderung in erster Linie als Aufgabe für den Westen, nicht für die betroffenen Länder selbst zu gelten schien. Für den Leser des Artikels in der Zeitschrift der DGAP ergab sich diese Standortbestimmung darüber hinaus, weil die Weltbank als Institution der westlichen Staaten verstanden werden konnte. Abschließend wurde im Artikel erneut auf die Herausforderungen verwiesen; deren Bewältigung sei für die ganze Welt von Vorteil.544 Im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Algerien unterstützte der ehemalige Diplomat Joachim Tzschaschel in einem Artikel aus dem Frühjahr 1996 zwar die Unterscheidung zwischen Westen und Maghreb, distanzierte sich jedoch von Deutungen, die einen Kulturkampf à la Huntington heraufziehen sahen.545 Er verwies eher auf die hausgemachten Konfliktgründe, wobei er zugestand, dass die algerischen Islamisten sich durch dezidierte „West-Feindlichkeit“ und teilweise das „Konzept eines ‚Großen islamischen Maghreb‘ mit dem Fernziel eines ‚Islamischen Mittelmeers‘“ auszeichneten. Andererseits gebe es die Abhängigkeit von Exporten und Hilfe aus dem Westen.546 Zwar verwies Tzschaschel auch auf die Bedeutung einzelner westlicher Akteure, indem er Frankreich oder die EU nannte; die generalisierende Bezeichnung als der Westen überwog jedoch. In einem Editorial zum Augustheft der Zeitschrift Internationale Politik zum Thema „Islamische Welt im Wandel“ behandelte der Herausgeber der DGAPZeitschrift Werner Weidenfeld die verschiedenen Welten, neben der islamischen auch die arabische, die der „westlichen“ gegenübergestellt wurden. Für die Defizite der arabischen Staaten wurde die Arbeitslosigkeit in Ländern wie Algerien oder Ägypten ins Feld geführt.547 Die islamisch geprägten Zukunftsentwürfe sah Weidenfeld kritisch: Teile der islamischen Welt versuchten, sich auf die „die einstmalige Vormachtstellung der arabischen gegenüber der westlichen Welt“ zu besinnen und so „einen Weg über die Religion in die Moderne“ zu beschreiten.548 Die modernisierungstheoretisch unterlegte Kritik an diesem Weg war deutlich, ein gemeinsamer Weg von Westen und Islam wurde nur bedingt eröffnet. Mittels einzelner Institutionen konnte – wie schon am Beispiel der Weltbank gezeigt – ebenfalls eine Trennlinie gezogen werden. Bassma Kodmani-Darwish, 542 Caio Koch-Weser, „Herausforderung und Vision. Die wirtschaftliche Wiederbelebung des Nahen Ostens und Nordafrikas“, in: Internationale Politik 50 (1995), 7, S. 43–50, insbes. S. 45. 543 Ebd., S. 48–49. 544 Ebd., S. 50. 545 Tzschaschel, „Algerien“, a.a.O., (Anm. 385). 546 Ebd., S. 30. 547 Werner Weidenfeld, „Über die Religion in die Moderne?“, in: Internationale Politik 52 (1997), 8, S. 1–2, insbes. S. 1. 548 Ebd., S. 2.

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eine Expertin des Pariser IFRI, bezog in der Augustausgabe der Zeitschrift Internationale Politik den Internationalen Währungsfonds (IWF) in ihre Analyse der arabischen Welt mit ein. Die vom IWF für Algerien vorgesehenen finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen würden vom Regime genutzt, das unkritische Verhalten der „ausländischen Partner“ sei zudem durch die Angst vor den Islamisten bedingt.549 Der IWF und die Partner im Ausland waren damit von der arabischen Welt und ihren inneren Problemen unterschieden. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums waren eklatante Differenzen zwischen Interessen der nördlichen und südlichen Staaten des Mittelmeerraums offenkundig. Der Nahostfachmann der SWP, Volker Perthes, schrieb im Juli 1999, dass der KSZE-Prozess nur in Europa als „gutes Modell“ erscheine, die arabischen Eliten wollten dagegen nicht das Schicksal „der sozialistischen Regime Osteuropas“ teilen.550 Perthes bezog diesen Gegensatz auf das Projekt der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP), die unterschiedlichen Vorstellungen, inwieweit die jüngste europäische Geschichte als Modell dienen könnte, wogen für ihn schwer.551 Der Maghreb spiegelte im gesamten untersuchten Zeitraum die europäische Entwicklung im Sinne eines Nicht-Europa. Die Publikationen der DGAP wandten sich gegen Ende allerdings tendenziell von dieser internationalen Beziehung ab, die zuvor ein zentrales Beispiel dafür gewesen war, wie Europa mit seiner Peripherie interagierte. Wie beschrieben geriet damit das Etikett Westen ins Hintertreffen gegenüber anderen Mustern, mit denen die Autorinnen und Autoren den Maghreb und Europa voneinander abtrennten. DIE VERFLECHTUNG IN DEN PUBLIKATIONEN DER DGAP Wie in den vorangegangenen Abschnitten deutlich wurde, diskutierten nicht nur DGAP-Mitglieder Repräsentationen des Eigenen und des Anderen; auch Politiker, Gastautorinnen und Gastautoren beteiligten sich an der Debatte. Eigen- und Fremdrepräsentationen waren die häufigsten Mechanismen, die in den Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb wirksam wurden. Im Folgenden geht es um die dritte Variante, die selteneren Momente der Verflechtung. Unter dem Stichwort Verflechtung versteht die Forschung auch einen Prozess, in welchem sich verschiedene internationale Verbindungen enger verzahnen. Neue internationale Verflechtungen gehörten zu den Faktoren, die die europäischen Gesellschaften ab den 1970er Jahren prägten.552 Entsprechende Repräsentationen im Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb hatten im Vergleich zu den

549 Kodmani-Darwish, „Islamismus“, a.a.O., (Anm. 85), S. 24. 550 Perthes, „Frieden“, a.a.O., (Anm. 187), S. 10. Die Textpassagen finden sich im Kontext in: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 89, Anm. 44. 551 Vgl. Ebd., S. 89. 552 Kaelble, Wohlfahrtsstaat, a.a.O., (Anm. 13), S. 187–188.

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bisher behandelten allerdings einen geringeren Anteil an den Publikationen der DGAP. Es lassen sich hier drei Deutungen unterscheiden, die unterschiedlich oft auftraten: Erstens wurden der Maghreb und das Mittelmeer sowie Europa sowohl aus politisch-historischer als auch aus geographischer Perspektive skizziert. Zweitens fand sich in den Expertisen und Prognosen gelegentlich eine Verflechtung, die sich auf Bedrohungen aus aktuellen oder vorhergesagten Krisen bezog. Dieses Argument bildet einen Kontrapunkt zur Repräsentation eines maghrebinischen Anderen, die sich aus der Beschreibung krisenhafter Herausforderungen speiste. Drittens wirkten sich bei den Verflechtungsrepräsentationen die engen Kontakte der DGAP zur Wirtschaft aus. Manche Berater argumentierten wirtschaftsliberal, dass engere Beziehungen zwischen nationalen Ökonomien eine verbindende Kraft entfalten würden. Die erste Deutung – die eines gemeinsamen Raumes – stellte die meistverbreitete Form dar, in der Verflechtung zwischen Europa und dem Maghreb eine Rolle spielte. Der Maghreb und das Mittelmeer als gemeinsamer Raum Nicht nur der Begriff Maghreb, auch das Mittelmeer steht für eine Region. Es verwundert aufgrund der alltagssprachlichen Geläufigkeit nicht, dass DGAPPublikationen Verflechtungen in räumlicher Hinsicht zumeist mit diesem Begriff umschrieben. Für den Politologen Mir A. Ferdowsi fanden sich in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) positive Verflechtungen, die ähnlich in einer Konferenz für den Mittelmeerraum realisiert werden sollten.553 Ferdowsi berührte neben diesem multilateralen Ansatz speziell den weiteren Maghreb, konkret die westsaharischen Rebellen und die marokkanische Regierung. Beide Konfliktparteien näherten sich seiner Meinung nach einer Verhandlungslösung an; die Westsahara kristallisiere sich als ein Beispiel für einen positiven Trend innerhalb dieses Raumes heraus.554 Die Einordnung von Mittelmeerraum und Maghreb in solche optimistischen Zukunftsentwürfe wie bei Ferdowsi legte einen gemeinsamen Raum nahe; seine Vorstellung erschien als eine Zukunftsprognose, die im Trend lag.

553 Das KSZE-Modell für den Mittelmeerraum sollte letztlich scheitern. Jünemann, „Mittelmeerpolitik“, a.a.O., (Anm. 102), S. 43–45. Dennoch griff Ferdowsi noch 1992 optimistisch Diskussionen um gemeinsame Räume auf, die von Werner Weidenfeld (später Herausgeber der DGAP-Zeitschrift) vorangetrieben wurden, siehe Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 85–86. 554 Der Beitrag sprach in diesem Zusammenhang allerdings auch von der Frage einer „Anwendung“ europäischer Erfahrungen mit der KSZE gegenüber einer durchaus als anders eingestuften „Dritten Welt“. Mir A. Ferdowsi, „Die KSZE als Modell? Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung in der Dritten Welt“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 76–83, insbes. S. 77.

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Die beschriebenen klaren Grenzziehungen zwischen Eigenem und Anderem rivalisierten mit Repräsentationen eines gemeinsamen Raumes. Um die herrschende Meinung vom Mittelmeer der zwei Ufer anzugreifen, konnte die geographische Lage der Region anders gedeutet werden. Im August 1992 veröffentlichte die DGAP beispielsweise einen Artikel, der die Nichtexistenz einer topographischen Trennlinie „Mittelmeer“ behauptete. Der Autor, Curt Gasteyger, war ein ehemaliger Mitarbeiter der DGAP.555 In diesem Gebiet – „gemeinhin, aber deswegen nicht weniger unpräzise als ‚Europas Südflanke‘ bezeichnet – gebe es mehr und mehr Herausforderungen. Der Autor gab generell zu bedenken, dass zu viele Mitglieder die Effizienz von Organisationen wie der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erschwerten.556 Die Statements in der DGAPZeitschrift bewegten sich somit auf einem schmalen Grat zwischen Verflechtungs- und Abgrenzungsrepräsentationen Europas. Der Bezug zu einem eher kulturell als politisch geprägten Raum wurde von der Autorin Inge Gräßle in der letzten Folge der Zeitschrift Europa-Archiv des Jahres 1992, in der sie das national oder supranational geförderte Auslandsfernsehen beleuchtete, hergestellt. Einen gemeinsamen Raum in dem Bereich gebe es aus nationaler Sicht mit dem französischen Programm TV 5 Europe „in 23 europäischen Staaten, im Maghreb und seit Mai 1992 auch südlich der Sahara“.557 In supranationaler Hinsicht betonte Gräßle Frankreichs Initiativen, welche die EG-Politik in diesem Bereich maßgeblich geprägt hätten, unter anderem die audiovisuelle Produktionsförderung.558 Die Autorin setzte in ihrem Text den Begriff einer „kulturellen europäischen Identität“ in Anführungszeichen, verwies aber dennoch auf den gemeinsamen Markt. Im kulturellen Bereich nahm Gräßle einen Zusammenhang von Markt und wachsender Übereinstimmung an. Allerdings machte sie auch auf die Wahrnehmung des Auslandsfernsehens als erneuten kolonialen Akt aufmerksam.559 Auch in diesem weniger geographisch definierten Kulturraum standen den Verflechtungshypothesen damit historisch begründete Argumente entgegen. Nachdem die ersten Autorinnen und Autoren ein Europabewusstsein zeigten, das einen gemeinsamen Raum Mittelmeer im Verhältnis zwischen Maghreb und Europa ins Spiel brachte, wurde diese Verflechtungsrepräsentation später noch wichtiger. So unterstrich im Juliheft der Zeitschrift Internationale Politik der 1995 neu bestimmte Herausgeber, Werner Weidenfeld, wiederum einen politikhistorisch begründeten gemeinsamen Raum zwischen Nahem Osten, Nordafrika und Europa: „Aus europäischer Sicht ist regionale Kooperation mehr als ein

555 Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64), S. 176. 556 Gasteyger, „Sicherheitssystem“, a.a.O., (Anm. 455), S. 478. 557 Inge Gräßle, „Fernsehen im Dienst der Außenpolitik“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 664– 670, insbes. S. 664. 558 Ebd., S. 665. 559 Ebd., S. 667–668.

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modischer Exportartikel.“ 560 Weidenfeld sah eine einzigartige Gelegenheit, zu einer größeren Einheit zu kommen, die aus einer Vielzahl von Gründen verloren gegangen sei. Seit der Neuzeit sei es wirkungsvoller, die Nachbarn als anders bewusst zu machen, dabe gebe es „das Bewußtsein um gemeinsame Wurzeln und Interessen.“ 561 Er betonte, dass Norden und Süden gemeinsame, kooperative Anstrengungen unternehmen müssten und dabei auf einen einheitlichen Raum bauen könnten, der historisch herzuleiten sei. Er kritisierte gleichzeitig die Irrtümer und die Betonung der Unterschiede zwischen Norden und Süden. Wenig später, in der Februarausgabe der DGAP-Zeitschrift des Jahres 1996, plädierte er in einem Editorial auf ähnliche Weise für eine multiperspektivische Betrachtung des Mittelmeers.562 Dieser Text kann als eine Kategorisierung des Mittelmeers beziehungsweise des südwestlichen Mittelmeers als herausforderndes Anderes gesehen werden; dennoch wandte sich Weidenfeld gegen eine klare Abgrenzung und hin zu einem Verflechtungsbewusstsein. 1996 zeichneten sich bereits erste Schwierigkeiten in der Ende 1995 ins Leben gerufenen Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) ab. Nicht nur bei den Ausführungen von Weidenfeld blieb das zentrale Dokument der Partnerschaft, die Erklärung von Barcelona und ihr ambitioniertes Arbeitsprogramm, trotz oder wegen dieser Misserfolge noch einige Zeit im Mittelpunkt des Interesses. In den Publikationen der DGAP hatte die europäische Initiative wegen der proeuropäischen Ausrichtung der Gesellschaft sogar noch einige Zeit einen wichtigen Rang, wenn der Blick sich auf den Nahostkonflikt richtete, in dem die entscheidende Rolle der USA unbestritten war. Der Nahostexperte der SWP, Volker Perthes, bewertete den Barcelona-Prozess in der Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik vom September 1996 allerdings etwas anders als Weidenfeld dies vorher getan hatte; für ihn war er in größerem Maße an den Interessen der EU orientiert. Das Mittelmeer als Raum diene als verbindendes Element.563 Mehr als Weidenfeld versuchte Perthes, auch auf die Perspektive der Nicht-EUMitglieder in der Partnerschaft hinzuweisen. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums findet sich ein weiterer Beitrag, der zumindest teilweise von einem gemeinsamen Raum im Mittelmeer ausging. Zu diesem Zeitpunkt hatte Werner Weidenfeld die Forschungsgruppe Europa bereits in das Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) in München integriert. Unter dem Stichwort „Risikostaatenprävention“ schrieb sein Mitarbeiter Sven Behrendt über eine „transmediterrane Wertegemeinschaft“. Diese gemeinsame Verflechtung wurde jedoch im Kontext der Bedrohung der internationalen Be-

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Weidenfeld, „Nahost“, a.a.O., (Anm. 401), S. 2. Ebd. Weidenfeld, „Herausforderung“, a.a.O., (Anm. 470). Bei dieser auf die Interessen der EU fokussierten Sicht auf einen gemeinsamen Raum Mittelmeer ging es somit nicht um die Perspektive der südlichen oder östlichen Mittelmeeranrainer. Perthes, „Eisbox“, a.a.O., (Anm. 187), S. 45.

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ziehungen durch einzelne Staaten diskutiert.564 Hier zeigte sich, dass Verflechtung zunehmend defensiver vorgetragen und bewusst gemacht wurde. Zusammenfassend zeichnen sich, was die Repräsentationen der Verflechtung zwischen Europa und Maghreb in den Publikationen der DGAP angeht, zwei Haupttrends ab: zum einen die bewusste Betonung eines gemeinsamen Raumes aufgrund von kulturellen, wirtschaftlichen oder wertebasierten Einordnungen. Zum anderen der Rückgriff auf begriffliche, das heißt geopolitische, (politik-)historische oder schlicht politische Einordnungen, um die Gemeinsamkeit des Mittelmeerraums herauszustellen. Im letzteren Falle veranschaulichten Experten und Politiker ihren Ansatz gelegentlich mit Hilfe von Institutionen oder Foren wie der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) oder der EG/EU. Dieses Verdeutlichen schwankte zwischen einer modellhaften Beschreibung der in Europa erprobten Institutionen und der Vorstellung einer gemeinsam zu schaffenden Variante. In jedem Falle blieben die Repräsentationen eines gemeinsamen Raumes im Untersuchungszeitraum ambivalent, da sie mit Repräsentationen verwoben waren, die eher eine Abgrenzung des Anderen oder die Betonung des Eigenen bewirkten. Gegen Ende der 1990er Jahre blieb das Bewusstsein eines gemeinsamen Raumes erhalten, die Expertisen lasen sich allerdings weniger optimistisch, was auch mit einem zunehmenden Krisenbewusstsein zu tun hatte. Es zeigte sich allerdings, dass Krisen auch Verflechtungsrepräsentationen förderten. Krisen – Notwendigkeit gemeinsamen Handelns Die Motive einer Bedrohung, die nicht vom Anderen ausging, thematisierten die gleichen Krisenanzeichen, die bereits im Abschnitt zu den Fremdrepräsentationen geschildert wurden. Die dort ausführlich diskutierte Sicht der Herausforderung aus dem Maghreb war folglich nicht unhinterfragt. Der Umbruch im weltpolitischen Gleichgewicht der Supermächte, die Bevölkerungsbewegungen, Religions-, Wirtschafts- und Umweltfragen wurden nicht nur als spaltende Elemente, sondern auch als übergreifende Gefahren begriffen. Aus diesem Blickwinkel waren diese Krisenthemen gemeinsame Herausforderungen, welche die Bedeutung der Beziehung deutlich machten. Schon der vergleichsweise geringere Umfang des nun folgenden Unterabschnitts ist ein Hinweis darauf, dass diese Deutungen seltener waren. Der Historiker Imanuel Geiss analysierte in der vorletzten Folge des EuropaArchivs 1991 die Umbruchsituation und betonte die gemeinsame Verantwortung gegenüber einem Phänomen von wellenartigen Flüchtlingsbewegungen. Solche 564 Behrendt, „Reintegration“, a.a.O., (Anm. 490), S. 34. In einer Rede des spanischen Außenministers, die 2000 bereits in der Berliner Repräsentanz der DGAP gehalten wurde, finden sich solche Überlegungen in ähnlicher Weise. Piqué, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 407), S. [12].

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Probleme, prognostizierte er, würden aus der Richtung des globalen Südens in vermehrtem Maße auf Deutschland und Europa zukommen.565 Der letzte Satz seines Artikels richtete sich gegen Eurozentrismus, dagegen, die Entwicklungen in der „Wohlstands-Festung Europa“ isoliert zu betrachten. Geiss forderte, um im Bild zu bleiben, die Welt hinter und vor den Mauern als aufeinander bezogen betrachten. Für „Europa selbst“ wäre es katastrophal, wenn neben bereits vorhandener Feindseligkeit „gegen im Lande befindliche Fremde“ in Zukunft an den Grenzen „aggressiv-defensiv“ agiert würde.566 Im Kontext ausländerfeindlicher Entwicklungen – in Frankreich vor allem, in Deutschland zum Teil gegen aus dem Maghreb stammende Fremde – wurden hier Ungleichheiten als gemeinsame Problemstellung verstanden. Gilles Kepel, zu Beginn des untersuchten Zeitraums vor allem im Kontext des CERI aktiv, differenzierte in einem eigenen Artikel, der 1992 erschien. Er schilderte die Entstehung des strenggläubigen, missionarischen „Tabligh“ zwar ebenfalls aus einem nicht-europäischen Hintergrund des indischen Subkontinents heraus, unterstrich aber seine Ausbreitung nicht nur etwa in Algerien, sondern auch „unter der in Westeuropa angesiedelten muslimischen Bevölkerung“.567 Die Reislamisierungsbewegungen wurden so nicht als monolithisch und nicht kategorisch auf Nordafrika oder den Nahen und Mittleren Osten beschränkt angesehen.568 Wie bereits erwähnt, bezog der SPD-Europapolitiker Klaus Hänsch 1993 sowohl zum eigenen Kern der im Werden befindlichen EU als auch zum gemeinsamen kontinentalen Vorgehen Stellung. Zu den zukünftigen Herausforderungen schrieb er: „Sie überschreiten zum Teil die Grenzen des Kontinents […].“ 569 Eine feste Kooperation mit den südlichen und östlichen Mittelmeerstaaten sei notwendig. Neben der Betonung des Eigenen erfolgte in diesem Fall eine Schilderung der Gemeinsamkeit, wobei für den Maghreb wiederum die Chiffre Mittelmeer (beziehungsweise dessen Südküste) fungierte. Gegen eine zu einseitige Sichtweise wandte sich auch der französische Forscher und Berater Rémy Leveau. In einem auf Algerien bezogenen Artikel von 1994 sprach er sich 565 Imanuel Geiss, „Europa 1991“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 691–700, insbes. S. 699. Rückblickend lässt sich nachzeichnen, wie die steigende Anzahl an Möglichkeiten, in die Festung Europa einzudringen sowie die Mittel dagegen die Diskussion um europäische Migration bestimmten. Bade, Migrationsforschung, a.a.O., (Anm. 525), S. 490. Noch 2004 bemängelten Bade und Oltmer, dass „Europa selbst“ am Feindbild der „illegalen Einwanderung“ mitwirke. Klaus J. Bade & Jochen Oltmer, Normalfall Migration (Deutsche Zeitbilder, 15), (Bonn: BpB, 2004), insbes. S. 139. 566 Geiss, „Europa“, a.a.O., (Anm. 565), S. 700. 567 Gilles Kepel, „Der lange Marsch der Islamisten“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 71–75, insbes. S. 74. Kepels Publikationen aus dieser Zeit wurden allerdings in den DGAPPublikationen im Zusammenhang mit Repräsentationen des Anderen (des Islamismus) gedeutet. 568 Ebd., S. 71. 569 Hänsch, „Vertiefung“, a.a.O., (Anm. 423), S. 390. Zur zentralen Rolle der EU bei Hänsch siehe den Abschnitt zu Eigenrepräsentationen.

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dafür aus, Krisenphänomene zu nutzen, um „ganz Europa – vor allem Nordeuropa, das den größten Teil der Zuwanderung aus dem Maghreb aufnimmt – mit dem Süden zu verbinden“.570 Während bei Hänsch die Herausforderung sehr allgemein beschrieben wurde, hob Leveau explizit die „Auffälligkeit der islamischen Kultur“ 571 hervor. Beide Beiträge riefen zu einer differenzierten Betrachtungsweise von Krisen auf. Für den DGAP-Forscher Hartmut Kistenfeger bestand nicht nur eine Verflechtung zwischen der EU und Nordafrika, sondern auch die Stellung Deutschlands innerhalb der Union hing in seinen Augen mit der erstgenannten Beziehung zusammen. In einem Arbeitspapier der Gesellschaft betonte er die Gemeinsamkeit der Bedrohung. Würde die EU – auch durch Deutschlands Untätigkeit – die Chance verpassen, auf bestehende und zukünftige Krisenherde Einfluss zu nehmen, würden die politischen und sozialen „Folgen von Krisen“ auch Deutschland treffen. Daher sollte die Bundesregierung „bei der Formulierung einer europäischen Maghreb-Politik aktiv mitarbeiten“.572 Als Beispiel einer solchen Bedrohung führte der DGAP-Forscher Algerien auf. Er schilderte das Dilemma eines drohenden Wahlsiegs der fundamentalistischen Heilsfront und den aus der Reaktion der Armee hervorgehenden bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen.573 Die „Maghreb-Problematik“ berühre die „europäische Innenpolitik“. Die europäischen Positionen müssten im Dialog überprüft werden, historische Erfahrungen in Deutschland – genannt wurde das Scheitern der Weimarer Republik – könnten als Erfahrungswerte eingebracht werden. Für eine Zusammenarbeit sei es wichtig, keinerlei moralische „Überlegenheit“ daraus zu ziehen.574 Kistenfeger plädierte somit ähnlich wie einige Gastautoren für eine differenziertere Betrachtung der Beziehung zwischen dem Maghreb und dem konstitutionellen Europa. In anderen Passagen unterstrich er jedoch die Eigenlogiken eines verstärkten Engagements insbesondere der EU.575 Obwohl unter der Überschrift „Das Gegenkonzept des Westens“ aufgeführt, schilderte auch der französische Historiker Joseph Rovan in einem Artikel zum fundamentalistischen Islam Aspekte, die eine gemeinsame Bedrohung betrafen. Der Fundamentalismus, so schrieb er mit Blick auf die Einwanderer in den (west-)europäischen Ländern, müsse sowohl in islamischen Staaten „als auch bei uns blockiert werden“, denn die westlichen Werte könnten „auch in islamischen Gesellschaften anziehend wirken“.576 Zwar wurde von Rovan ein gemeinsamer und bedrohter Raum hergestellt, sein Mittel der Verteidigung dieses Raumes mutete dabei eher einseitig an. 570 571 572 573 574 575

Leveau, „Brandherd“, a.a.O., (Anm. 426), S. 649. Ebd. Kistenfeger, Maghreb, a.a.O., (Anm. 399), S. 172–173. Ebd., S. 180. Ebd., S. 181. Kistenfeger sah besonders die supranationalen Ansätze in der EU als Pluspunkt. Vgl. den Abschnitt zu Eigenrepräsentationen. 576 Rovan, „Islamismus“, a.a.O., (Anm. 466), S. 52.

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Aus einer Zusammenführung von Globalisierungs- und KulturkampfTheorien (unter anderem von Raymond Aron und Samuel P. Huntington) zog der syrischstämmige Politikwissenschaftler Bassam Tibi im Januar 1996 in der Zeitschrift Internationale Politik den Schluss einer gemeinsamen Herausforderung für Islam und Westen, besonders im Mittelmeerraum.577 Er plädierte für eine Suche nach „Gemeinsamkeiten zwischen den miteinander wetteifernden Zivilisationen“. Tibi verwies auf seine eigenen Thesen aus seinem Buch „Krieg der Zivilisationen“: Die westlichen Staaten dürften ihren universellen Zivilisationsanspruch nicht verleugnen, damit ein Austausch gelinge. Da die islamische Welt und der Westen im Mittelmeerraum aneinandergrenzten, habe die Konferenz von Barcelona eine „besondere politisch-kulturelle Friedensfunktion“.578 In Tibis Artikel hatte der gemeinsame Umgang mit einer Krise der weltpolitischen, globalen Neuorientierung nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes deutliche Züge von Konkurrenz. Gemeinsamkeiten in der globalen Verschränkung von sozioökonomischen Zusammenhängen machte die Regionalwissenschaftlerin Sigrid Faath aus. In der Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik zum Thema „Brennpunkt Mittelmeer“ folgerte sie Anfang 1996, das verabredete Abfedern von sozialen Folgen einer „Internationalisierung“ sei im Verhältnis zwischen der EU und Nordafrika zwingend notwendig.579 Wie in diesem Beitrag, in dem ebenfalls die Bedrohung durch den anderen Maghreb eine Rolle spielte, wurde bei den Beiträgen, die eine Gemeinsamkeit in der Krise sahen, oft mit einer negativen Zukunftsprognose gearbeitet, die eintreten würde, falls die jeweilige Gemeinsamkeit nicht gestärkt werde. Während Faath sich in ihrem Beitrag – abgesehen von der Beschreibung der algerischen Islamisten als „antiwestlich“580 – vor allem mit den Gemeinsamkeiten zwischen EU-Europa und Nordafrika beschäftigte, ging der französische Maghreb-Spezialist Rémy Leveau 1997 einen anderen Weg. Schon in der Überschrift bezeichnete er (ähnlich wie zuvor Tibi) den Islam als „Herausforderung für den Westen“. Inhaltlich fokussierte er jedoch auf die „Islamisierung Europas“. Diese sei legitim und müsse von Europa akzeptiert werden.581 Der Begriff Westen erschien in diesem Beitrag eher als übergeordnetes Schema (mit dem Gegenüber Islam), in den Ausführungen selbst ging es jedoch speziell um die Gemeinsamkeiten im Umgang mit „islamistischen Bewegungen“ in Europa und dem Maghreb.582

577 Bassam Tibi, „Strukturelle Globalisierung und kulturelle Fragmentierung. Dialog zwischen den Zivilisationen“, in: Internationale Politik 51 (1996), 1, S. 29–36, insbes. S. 29. 578 Ebd., S. 32. 579 Faath, „Stabilität“, a.a.O., (Anm. 478), S. 26. 580 Ebd., S. 22. 581 Leveau, „Islam“, a.a.O., (Anm. 468), S. 26. 582 Ebd., S. 32.

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Ein Forscher aus Werner Weidenfelds Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) stellte Migration vorsichtiger als gemeinsame Herausforderung auf dem „alten Kontinent“ und in einer kleineren Welt heraus. Olaf Hillenbrand unterstrich in seinem Beitrag die Notwendigkeit einer Stabilisierung der Regionen in der Peripherie Europas, bis hin zu einer „internationalen Regimebildung“ im Hinblick auf Migrationspolitik.583 Das Thema der Migrationsgemeinden innerhalb Europas und der Verbindung zum Maghreb konnte also, wie das vorliegende Beispiel zeigt, auch ohne Verweis auf die religiös-kulturellen Aspekte, dagegen mit dem Fokus auf sozioökonomische Beweggründe als Gemeinsamkeit diskutiert werden. In der Einschätzung von Konfliktpotential nach dem Ende des Kalten Krieges konnte ebenfalls ein gemeinsamer Ansatz verborgen sein. Der Heidelberger Politikwissenschaftler Frank R. Pfetsch deutete in einer tour d’horizon zu gegenwärtigen Konfliktkonstellationen des Jahres 1998 die Auseinandersetzungen als im Kern transnational. Es ginge vor allem um Phänomene „wie ökologische Schäden, Verknappung von Ressourcen, Bevölkerungsexplosion, Migration, Terrorismus, Drogen usw.“.584 Hier klang die Problematik des Mittelmeerraums durchaus an, abschließend meinte Pfetsch jedoch optimistisch, dass transnationale (Wirtschafts-)Konflikte nicht in gleichem Maße Krieg hervorrufen könnten, wie der geopolitisch bestimmte Ost-West-Gegensatz.585 In der nächsten Ausgabe ging es in einem Beitrag von Bethuel A. Kiplagat, der Afrika als Einheit betrachtete, zumeist um Subsahara-Afrika. Die Beilegung des Grenzkonflikts zwischen Algerien und Marokko 1963 wurde als positives Beispiel für eine innerafrikanische Konfliktbewältigung genannt.586 Die „Geberländer“ wurden zu einer „konzertierte[n] Anstrengung“ gemeinsam mit den Staaten und Zivilgesellschaften „auf diesem krisengeschüttelten Kontinent“ aufgerufen.587 Dieser Aufruf wies darauf hin, dass die Krise als gemeinsames Problem der afrikanischen und nicht-afrikanischen Akteure angesehen wurde. Der Direktor des Forschungsinstituts der DGAP, Karl Kaiser, verwies auf die allgemeinen Folgen der Globalisierung für die Demokratie auf der ganzen Welt. In der „sich verflechtenden Weltwirtschaft“ stelle sich die Frage nach den „demokratiepolitischen Folgen der Globalisierung“ für die EU insgesamt, für ihre Mitgliedsstaaten und für Nicht-EU-Mitglieder.588 Er mahnte eine weltweite Anstrengung für die demokratischen Prinzipien an: 583 Olaf Hillenbrand, „Wirksame Migrationspolitik. Aufgabe für die europäische und globale Politik“, in: Internationale Politik 52 (1997), 12, S. 57–62, insbes. S. 62. 584 Frank R. Pfetsch, „Globale Konfliktformationen“, in: Internationale Politik 53 (1998), 3, S. 1–8, insbes. S. 4. 585 Ebd., S. 8. 586 Bethuel A. Kiplagat, „Zivilgesellschaft und Konfliktmanagement in Afrika“, in: Internationale Politik 53 (1998), 3, S. 16–22, insbes. S. 16–17. 587 Ebd., S. 22. 588 Karl Kaiser, „Globalisierung als Problem der Demokratie“, in: Internationale Politik 53 (1998), 4, S. 3–11, insbes. S. 8.

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Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik Wenn nicht Wissenschaft und Praxis eine große Anstrengung unternehmen, wird dem Sieg der Demokratie am Ende des 20. Jahrhunderts ihre schleichende Erosion im Gefolge der massiv wachsenden Globalisierung im 21. Jahrhundert folgen. 589

Die Verflechtung wurde von Kaiser und anderen auf die gesamte Welt bezogen, in der es allerdings den Spezialfall der EU und an sie anschließenden Nicht-EU gab. Algerien und auch die anderen Maghrebstaaten nahm der französische Islamwissenschaftler Olivier Roy als Beispiele dafür, dass sich „in den muslimischen Staaten in den achtziger Jahren eine Reislamisierung“ vollzogen habe.590 Abschließend stellte er hingegen die nicht auf Reislamisierung hindeutenden Entwicklungen in der muslimischen Welt heraus. Im Krisenphänomen des „Neofundamentalismus“ sei der Westen zudem eng mit dieser anderen Welt verbunden. Roy ging so weit, die westliche Welt als „Randbezirk des Islam“ zu bezeichnen.591 In gewisser Weise war hier der Westen aus seiner üblichen Zentrumsposition in die Peripherie verlagert, gängige Vorstellungen wurden so unter Nutzung von Verflechtungsansätzen umgekehrt. In den Publikationen der DGAP, die eine gemeinsame krisenhafte Bedrohung von Maghreb und Europa diagnostizierten, war das Verhältnis zwischen Islam und Europa das vorherrschende Thema. Beiträge zu Migrations- und Wirtschaftsverflechtungen erweiterten diese Perspektiven durch die Diskussion ökonomischer und sozialer Auseinandersetzungen, die nach Ansicht der Autorinnen und Autoren Gemeinsamkeit erzeugen konnten, oder zumindest ein gemeinsames Handeln erforderlich machten. Gegenseitige Handels- und Arbeitsmarktabhängigkeiten Eine positivere Deutung der Globalisierung lieferten nur wenige Beiträge, in denen Gemeinsamkeiten zwischen Maghreb und Europa gesehen wurden.592 Dies verwundert, weil die DGAP aufgrund ihrer Mitgliederstruktur ein besonders wirtschaftsfreundliches Profil aufgebaut hatte, weshalb die entsprechenden Deutungen hier in Form eines eigenständigen Unterabschnitts präsentiert werden. Der Herausgeber des European Journal of International Affairs (Rom), Giuseppe Sacco, legte in einem Gastbeitrag in der DGAP-Zeitschrift drei Europa589 Ebd., S. 11. 590 Olivier Roy, „Reislamisierung und Radikalisierung. Die Entwicklung der neunziger Jahre“, in: Internationale Politik 54 (1999), 2–3, S. 47–53, insbes. S. 47. 591 Ebd., S. 53. Olivier Roy gehörte während des untersuchten Zeitraums zu den bei der französischen Vergleichsinstitution CERI assoziierten Forschern. CERI, Rapport 1992, a.a.O., (Anm. 88), S. 97. Er gab in einem Zeitschriftenartikel 2011 zu Protokoll, dass seine Generation der Nachkriegskinder noch leicht Forschungsstellen bekommen hätte, mittlerweile gerade bei der Beschäftigung mit der islamischen Welt oft nur die „think tanks“ als Arbeitgeber übrig blieben. Lagarde, „Diplomatie“, a.a.O., (Anm. 5). 592 Vgl. die bereits in den Krisenanalysen im vorangegangenen Unterabschnitt unter diesem Stichwort aufgeführten Phänomene.

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Entwürfe dar. Es sei eine aktuelle Erkenntnis, dass historisch bedingt drei europäische Projekte Geltung beanspruchten, erstens ein wirtschaftliches Projekt, zweitens ein politisches Projekt mit dem Ziel, „ein größeres Gewicht in der Weltpolitik“ zu erlangen, und drittens ein Friedensprojekt, vor allem zwischen Deutschland und Frankreich.593 Bezüglich des ökonomischen Ansatzes einer marktwirtschaftlichen Zone führte Sacco aus, es sei nach dem Ende des Kommunismus folgerichtig, wenn eine solche Zielsetzung „nicht nur die osteuropäischen Länder, sondern auch Marokko, die Türkei und andere Länder“ einschließen solle.594 Aus wirtschaftlicher Sicht wurden zu Beginn des Untersuchungszeitraums von diesem Autor die ehemals sowjetischen Satellitenstaaten und die EGbeitrittswilligen Mittelmeerstaaten gleichrangig behandelt.595 Der Leiter der Vertretung der Kommission in Bonn, Gerd Langguth, verwies in einem Europa-Archiv-Artikel Mitte 1992 auf die Abkommen mit Maghrebländern seit den 1970er Jahren und unterstrich das Wirtschaftspotential, welches hier gemeinsam nutzbar gemacht werden könne.596 All dies ordnete er in die Diskussion der außenpolitischen „Chancen der Europäischen Integration“ ein. Aufgrund des wirtschaftlichen Hintergrundes der EG waren diese wirtschaftlichen Beziehungen ein Weg, auf dem die Expertise der DGAP gegenseitige Abhängigkeiten im Verhältnis zwischen Maghreb und Europa unterstrich. Der ehemalige Militärattaché in Algier, Joachim Tzschaschel, ordnete in seinen Analysen den Maghreb zwar einerseits als nicht-westliche und nichteuropäische Region ein, beharrte andererseits aber auf Handelsübereinstimmungen zwischen nördlicher und südlicher Küste des Mittelmeers. In einer Bewertung Algeriens im Zusammenhang mit dem dort eskalierenden Bürgerkrieg verwies Tzschaschel auf „realitätsorientierte Überlegungen“ wie die Abhängigkeit Algeriens von „westlichen“ Ländern im Hinblick auf Ölabnahmen.597 Derartige Ausführungen standen nicht im Widerspruch zu den von ihm vorgenommenen Unterscheidungen – vor allem bezüglich der Differenz zwischen globalem Westen, zu dem (West-)Europa gerechnet wurde, und globalem Süden, zu dem der Maghreb gezählt wurde. Allerdings implizierten sie gegenseitige Beziehungen von Angebot und Nachfrage.

593 Giuseppe Sacco, „Rückbesinnung auf den Ursprung der Europäischen Integration. Lehren aus dem Golf-Krieg“, in: Europa-Archiv 46 (1991), S. 461–469, insbes. S. 464–466. Das Zitat findet sich auf S. 464. 594 Ebd., S. 464. 595 Wobei er ein nur als Markt verstandenes Europa als unzulänglich bewertete, dieses Projekt jedoch nicht als unvereinbar mit den anderen Europaprojekten ansah. Ebd., S. 468, 466. 596 Gerd Langguth, „Außenpolitische Chancen der Europäischen Integration. Die Europäische Gemeinschaft und die Dritte Welt“, in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 222–230. 597 Tzschaschel, „Algerien“, a.a.O., (Anm. 385), S. 30. Wie oben im Abschnitt zu Fremdrepräsentationen erwähnt, verwies Tzschaschel zwar auf die Einteilung zwischen Westen und Maghreb, wandte sich aber gegen eine seiner Meinung nach zu undifferenzierte Sichtweise im Sinne Huntingtons.

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Das Potential der DGAP in Wirtschaftsfragen und die guten Beziehungen zeigten sich, wenn beispielsweise in einem Artikel im September 1996 der Leiter der „Deutsch-Arabischen Handelskammer“ in Kairo, Peter Göpfrich, zu Wort kam. In der Zeitschrift Internationale Politik beschrieb der Wirtschaftsexperte mehrere Szenarien, wie sich die Handelsströme in und um Europa entwickeln könnten. In seinem zweiten Szenario griff er dabei auf Arbeiten des regional zuständigen Kommissionsdirektors Eberhard Rhein zurück und argumentierte, „intramediterraner Handel“ folge logisch aus der europäisch-nahöstlichen Politik.598 Die gemeinsamen Wirtschaftsinteressen zwischen den verschiedenen Mittelmeeranrainern, also auch EU-Mitgliedern und den Maghrebstaaten, wurden wie in diesem Beispiel in den DGAP-Publikationen zwar herausgestellt, aber im gesamtregionalen Politikkontext bewertet. Auch im Kontext der Globalisierung wurde eine Verflechtung von Europa und dem Maghreb diskutiert. Nach seinem Ausscheiden aus der Kommission beschäftigte sich Rhein in einem „Herausforderung der Globalisierung. Europa vor neuen Aufgaben“ überschriebenen Beitrag in der DGAP-Zeitschrift mit dem Wettbewerbsnachteil von Volkswirtschaften, die im Vergleich zu Staaten wie etwa Südkorea im Bereich der Wirtschaft weniger liberalisiert waren. Zu den ins Hintertreffen geratenen Ökonomien zählte er gleichermaßen die europäischen und die nordafrikanischen, die sich in ähnlicher Weise im ostasiatischen (Export-)Fokus befänden.599 Vor diesem globalen Hintergrund entstand durch den Vergleich mit den asiatischen Staaten zwischen den nördlichen und südlichen Ländern um das Mittelmeer eine Art negative Gemeinsamkeit. Der SWP-Forscher Jens van Scherpenberg betrachtete aus wirtschaftlicher Sicht den Maghreb nicht ausschließlich als den anderen Konkurrenzraum zu Europa. In einem Beitrag im April 1997 verwies er auf die mit der Konferenz von Barcelona geplante Schaffung eines integrativen Wirtschaftsraums, „der das gesamte geographische Europa und die Region um das Mittelmeer“ vereine und bis 2010 annähernd den rechtlichen Besitzstand des EU-Binnenmarktes verwirklichen könne.600 Trotz der Schwierigkeiten der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) – die auch van Scherpenberg durchaus als Herausforderung wahrnahm – wurde zu diesem Zeitpunkt noch der Erfolg der schrittweisen Annäherung im Verhältnis zwischen EU und den Maghrebländern für möglich gehalten. Nach dieser positiven Einschätzung, die wohlgemerkt von einem SWPSpezialisten in der Zeitschrift der DGAP vorgetragen wurde, finden sich keine wirtschaftspolitischen Sichtweisen mehr auf das Verhältnis von Europa und dem Maghreb. Die zeitliche Verteilung – zwei entsprechende Artikel zu Beginn des

598 Peter Göpfrich, „Kein Gegensatz, sondern Ergänzung. Intraregionaler Handel im Osten“, in: Internationale Politik 51 (1996), 9, S. 47–52. 599 Eberhard Rhein, „Herausforderung der Globalisierung. Europa vor neuen Aufgaben“, in: Internationale Politik 52 (1997), 1, S. 55–60, insbes. S. 59. 600 van Scherpenberg, „Konkurrenz“, a.a.O., (Anm. 481), S. 15.

Fazit

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untersuchten Zeitraums und ein vermehrtes Auftreten in den Jahren 1996 und 1997 – kann unterschiedlich gedeutet werden: zum einen vor dem Hintergrund der ökonomischen Orientierung in den Ländern, die eng mit der UdSSR verbunden waren. Nach dem weltpolitischen Umbruch breitete sich der Kapitalismus aus. Zum anderen mit den anfangs positiv bewerteten wirtschaftlichen Ansätzen im sogenannten Barcelona-Prozess. Die realitätsorientierte Perspektive Tzschaschels fällt etwas aus dem Rahmen, ähnlich wie die erwähnte skeptische Einschätzung der Globalisierung durch Kaiser im Unterabschnitt zu Krisen, die gemeinsames Handeln motivierten.601 Beide sind letztlich dennoch Mosaiksteinchen eines vielschichtigen Bildes, welches sich nicht allein auf Repräsentationen des Eigenen und des Anderen beschränkte. FAZIT Die DGAP ist eines der beiden unter den hier untersuchten Instituten, das über eine eigene, mit ihm verbundene außenpolitische Zeitschrift verfügt.602 Im Fall der DGAP existierte die Zeitschrift sogar schon vor der Gründung des Instituts. Eine solche Zeitschrift ist ein im Hinblick auf Eigen- und Fremdrepräsentationen nicht zu unterschätzender Faktor, da sie die Bandbreite der Meinungen und Analysen innerhalb des Instituts vergrößern kann, auch wenn im Fall der DGAPZeitschrift eine relativ strikte, proeuropäische Redaktionslinie vorgegeben war.603 Eine solche Grundhaltung weist in jedem Fall darauf hin, dass die Einrichtungen wie die DGAP nicht nur Foren für Diskussionen, sondern auch Beteiligte an der Debatte waren. Bereits vor dem weltpolitischen Umbruch und über den gesamten Untersuchungszeitraum von 1990 bis 2000 bestimmte der Direktor des Forschungsinstituts, Karl Kaiser, maßgeblich dessen Ausrichtung. Institutionell ergaben sich – neben der transatlantischen Orientierung Kaisers – für die DGAP über die institutseigene deutsch-französische Arbeitsstelle enge Kontakte nach Frankreich. Unter anderem aus dieser Verbindung resultierte bei der Repräsentation des Eigenen eine Konzentration auf die Mittelmeerpolitik. Deutschland und Frankreich hatten aus proeuropäischer Sicht ein Interesse an einer einheitlichen Politik im Namen Europas, nicht zuletzt gegenüber dem Maghreb. Dies ging soweit, dass man von einem deutsch-französischen Schwerpunkt in der praxisorientierten Verarbeitung der Umbrüche von 1989 bis 1991 sprechen kann. Vor allem in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums hatten entsprechende Aussagen innerhalb der DGAP Konjunktur. Was die Prognosen anging, so entwickelten sich hier zwei grundsätzliche Arten von Eigen-

601 Kaiser, „Globalisierung“, a.a.O., (Anm. 588). 602 Vgl. zur französischen Zeitschrift Politique étrangère das Kapitel zum französischen IFRI. 603 Die Ausrichtung machte bereits der Gründungsname der DGAP-Zeitschrift, Europa-Archiv, deutlich.

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repräsentationen.604 Die eine stützte sich auf innereuropäische Errungenschaften oder Herausforderungen, die in die Zukunft projiziert wurden. Für die andere Art spielten die internationalen Beziehungen Europas aus der Außensicht eine Rolle. Beide befeuerten Zukunftsvisionen eines gestärkten Europas, die Supranationalität, die Erweiterung der europäischen Institutionen und die Abgrenzung von USamerikanischen Entwürfen thematisierten. Vielgestaltig konnte damit auch das jeweils Andere als Pendant zum Eigenen erscheinen: Ob in Form der direkten Herausforderung einer eigenen Rolle, als Symbol verschiedener Selbst- und Fremdwahrnehmungen innerhalb Europas oder schlicht als Rest, der dem Westen gegenüberstand – der Maghreb fand sich immer öfter in diesen Funktionen auf den mentalen Karten verortet.605 Es gab aber auch Stimmen, die Europa und den Maghreb als gemeinsamen Raum entwarfen. Die genannten Zukunftsprognosen mussten sich ebenfalls nicht allein auf den damals aktuellen Europabegriff beschränken, sondern beschrieben teilweise anhand von Bedrohungen, teilweise anhand von wirtschaftsliberalen Erwartungen Repräsentationen der Verflechtung, die den Begriff des Euro-mediterranen mit konkreten Inhalten aufluden. Allerdings erschienen jene Vorstellungen weniger erklärungsbedürftig, die weniger auf Verflechtung und eher auf Unterscheidung setzten.

604 An dieser Entwicklung waren sowohl DGAP-Mitglieder und Gäste mit Arbeiten im Institut oder Beiträgen in der Zeitschrift beteiligt. 605 Vgl. den Titel eines 2002 erschienenen Buches des konservativen Publizisten Roger Scruton: Roger Scruton, The West and the Rest. Globalization and the Terrorist Threat, (Wilmington: ISI Books, 2002). Anspielend auf den etymologischen Ursprung des Wortes Maghreb und unter Bezug auf Scrutons englischen Titel sei die Anmerkung erlaubt, dass der Westen und der Maghreb jeweils beides waren: west- und rest-lich. In dieser sprachlichen Umkehrung der zur Abgrenzung herangezogenen Begriffe wird die Relativität der eigenen Positionen und Trennungen sehr schön veranschaulicht.

CENTRE D’ETUDES ET DE RECHERCHES INTERNATIONALES Das heutige Centre d’études et de recherches internationales (CERI) wurde 1952 von Jean Meyriat und Jean-Baptiste Duroselle als Centre d’étude des relations internationales gegründet. Einige Jahre lang arbeitete dort nur ein festangestellter Forscher in Vollzeit, den weitere Freiwillige aus Forschung und Lehre zeitweise unterstützten. Unter der Leitung von Jean Meyriat (Duroselle firmierte als zweiter Direktor) entwickelte sich das CERI seit dem Ende der 1950er Jahre zu einem der wichtigsten Zentren in Frankreich, das die Disziplin der internationalen Beziehungen verkörperte.606 Das CERI gehört zur 1945 gegründeten Stiftung Fondation nationale des sciences politiques (FNSP), welche vor allem die Verwaltung des Institut d’études politiques (IEP) gewährleisten sollte.607 Es entwickelte sich innerhalb dieses Gesamtkomplexes bald zu einem eigenständigen Forschungszentrum weiter, dessen Zusammenhalt allerdings für einige Beteiligte noch zu wenig entwickelt war. So vermerkte Duroselle Ende 1954 in einer Notiz, dass die zu den Entwicklungsländern gebildete Arbeitsgruppe zu unabhängig arbeite und die Organisation des Zentrums gestrafft werden müsse. In seinen Augen hatte das CERI allerdings großes Potential; im Gegensatz zu den anderen französischsprachigen Einrichtungen (Institut des hautes études internationales, Centre de politique étrangère) könne das CERI die akademischen internationalen Beziehungen entscheidend voranbringen. Neben den damals finanzierten geographischen Schwerpunkten drängte er auf die Einrichtung 606 Die Information, dass auch Jean-Baptiste Duroselle offiziell Direktor des Zentrums war, konnte nicht zweifelsfrei belegt werden. Ein spätere Archivquelle spricht in der Rückschau als „co-directeur“ von ihm. In einer Jubiläumsbroschüre heißt es: „[…] Jean Meyriat qui était devenu le seul directeur en titre […] souhaitait faire du CERI, un lieu d’analyse de la scène internationale […].“ CERI, 1952–2002. 50 ans, (Paris, 2002), insbes. S. 7. Zu den Namen und ihren Schreibweisen ist eine etwas erweiterte Fußnote unerlässlich. Zu Fußnoten vgl. Walter Moers, Rumo & Die Wunder im Dunkeln, (München, Zürich: Piper, 2006 [2003]), insbes. S. 144. Die Namensgebung ist nicht einheitlich, so erinnert sich z. B. der Direktor der Fondation nationale des sciences politiques (FNSP), Jacques Chapsal, an den Titel „Centre d’études des relations internationales“, auch in vielen Archivdokumenten taucht er in dieser Form auf: Jaques Chapsal, „‚Jean Meynaud‘“, in: Bulletin des anciens Sciences Po (1972), S. 45. Die Schreibweise von Abkürzungen und Zentrumsnamen (z. B. die Groß- und Kleinschreibung) wurde vor allem im französischen Fall aus Gründen der Einheitlichkeit abgesehen von direkten Zitaten und Quellenangaben angeglichen. 607 Richard Descoings, Sciences Po. De la Courneuve à Shanghai, (Paris: Presses de Sciences Po, 2007), insbes. S. 57. Die Gesamtstruktur dieser Pariser Hochschule wird oft auch als Sciences Po bezeichnet. Anfangs diente das CERI vor allem als Dokumentationszentrum, u. a. auch für die Bibliothek des IEP.

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weiterer regionaler und themenbezogener Arbeitsgruppen.608 Die besagte Arbeitsgruppe zu den Entwicklungsländern beschäftigte sich im akademischen Jahr 1953/1954 noch nicht explizit mit dem Maghreb. Als Themenschwerpunkte listete ein Papier der Zentrale lediglich die benachbarten Regionen, den Mittleren Osten und Schwarzafrika, auf.609 Ab 1958 stellte die US-amerikanische Ford-Stiftung jährliche Mittel für die Lateinamerikaforschung zur Verfügung; auch die Fondation nationale des sciences politiques (FNSP) trug zur Finanzierung des expandierenden Zentrums bei.610 Zu dieser Zeit gab es am CERI ein knappes Dutzend regionalbezogene Stellen – darunter eine für den Bereich Nordafrika zuständige Forschungsassistentin – sowie drei Professorenstellen.611 Ein Schwerpunkt der Arbeit dieser Zeit bildete die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Disziplin der internationalen Beziehungen; eine der drängenden Frage war für Duroselle, auch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, wie „unterentwickelte Staaten“ in dieser Wissenschaft zu betrachten seien.612 Praktisch zuständig war für die Betrachtung Nordafrikas 1960 jedoch nicht das CERI selbst, sondern das in

608 Das französische Außenministerium finanzierte in dieser Zeit den Schwerpunkt für die „Satellitenstaaten“ sowie jenen für die „UdSSR“, das Hohe Kommissariat in Bonn den für „Deutschland“. Eine der von Duroselle als nicht gleichermaßen leistungsfähig eingeschätzten Konkurrenzeinrichtungen, das Centre de politique étrangère, war der Vorgänger des IFRI (vgl. das nächste Kapitel). Jean-Baptiste Duroselle, „Brief von Jean-Baptiste Duroselle an Jean Touchard“, (14.11.1954), 7 Seiten Handschrift, Centre d’histoire de Sciences Po, Archives d’histoire contemporaine, 2 SP 34. 609 Fondation Nationale des Sciences Politiques, „Groupe d’Etudes sur les Pays Sousdeveloppes“, (8.6.1953), Centre d’histoire de Sciences Po, Archives d’histoire contemporaine, 2 SP 34, insbes. S. 3. „[…] deux séminaires consacres l’un aux pays du Moyen-Orient, l’autre à l’Afrique noire.“ 610 CERI, 1952–2002, a.a.O., (Anm. 606), S. 7. Die Fondation nationale des sciences politiques (FNSP) profitierte wiederum nicht unwesentlich von einer gewissen Langfristigkeit USamerikanischer Förderungskontakte. Die Rockefeller-Stiftung hatte sich so bereits vor 1945 bei einem Institut engagiert, das nach dem Krieg in die FNSP integriert wurde, und förderte daher auch die FNSP. Ab den 1950er Jahren verstärkte auch die Ford-Stiftung ihr Engagement in Europa. Helke Rausch, „Verordnetes Wissen? Amerikanische Forschungsförderung in Deutschland und Frankreich nach 1945 als Moment einer transatlantisch vergleichenden Wissen(schaft)sgeschichte“, in: Archiv für Sozialgeschichte 49 (2009), S. 185– 214, insbes. S. 188–201. Die Ford-Stiftung unterstützte das CERI mit 25 Millionen Franc jährlich. Im Vergleich nehmen sich die 2 Millionen Franc des Außenministeriums für die UdSSR-Bereiche bescheiden aus. Conseil d’administration de la FNSP, „Note sur la situation de la Fondation au début de l’année universitaire 1959–1960“, (November 1959), Centre d’histoire de Sciences Po, Archives d’histoire contemporaine, 2 SP 31, insbes. S. 1. 611 Pierre Renouvin, „Proces verbal de la reunion du conseil d’administration de la fondation nationale des sciences politiques“, (4.12.1959), Protokoll (présidence Renouvin), Centre d’histoire de Sciences Po, Archives d’histoire contemporaine, 2 SP 31 – 2.2, insbes. S. 11. Jean-Baptiste Duroselle war von diesen drei Professoren der bekannteste. 612 Jean-Baptiste Duroselle, „Note sur les perspectives d’avenir de la science politique française“, (Mai 1959), 16 Blatt maschinengeschrieben, Centre d’histoire de Sciences Po, Archives d’histoire contemporaine, 2 SP 31 – 2.2, insbes. S. 7.

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Aix-en-Provence ansässige Forschungszentrum, das eher Dokumentationsaufgaben übernahm.613 Anfang der 1960er Jahre hatte das CERI neben den genannten Finanzmitteln weitere Mittel eingeworben – zu den erwähnten Sponsoren kamen noch die Rockefeller-Stiftung und die NATO hinzu.614 Eine Veranstaltung, die sich mit dem Maghreb beschäftigte und über die politische Analyse eine Verbindung zu anderen untersuchten Fragestellungen herstellte, war „Le communisme dans les pays du Maghreb“ am 8. Februar 1967.615 In einer Aufstellung vom Oktober 1968 führte Jean Meyriat vor allem die Redaktionsarbeit an der Zeitschrift Maghreb als Arbeit der Sektion Nordafrika an, zudem bereite die CERI-Forscherin Nicole Grimaud kleinere Studien über Algerien und über die Bildungslandschaft in Nordafrika vor.616 Am 12. Dezember 1968 wurde Jean Meyriat per Beschluss des Zentrumsbeirats alleiniger Direktor des CERI. Außerdem wurde Jean-Baptiste Duroselle von seiner Funktion als zweiter Direktor („co-directeur“) „aufgrund seiner universitären Verpflichtungen“ entbunden (er sollte fortan als wissenschaftlicher Berater im CERI wirken) und die Einrichtung einer halben Stelle für die Sektion Nordafrika beschlossen.617 Diese Professionalisierung auch der regionalen Kompetenzen führte dazu, dass das CERI sich mehr und mehr als eigenständige wissenschaftliche Organisation etablierte, 1967 wurde es als „Laboratoire associé“ in die Forschungsorganisation Centre national de la recherche scientifique (CNRS) aufgenommen.618 Das CERI wurde Ende der 1960er Jahre in geograph613 Jean Meyriat, „Programme du Centre d’Etude des Relations Internationales : annexe“, (21.3.1960), Centre d’histoire de Sciences Po, Archives d’histoire contemporaine, 2 SP 31 – 2.2, insbes. S. 8. 614 Ebd., S. 1. In der Förderpraxis der Rockefeller-Stiftung galten auch politische Maßstäbe, wenn etwa darauf bestanden wurde, dass eine Zusammenarbeit mit als „kommunistisch eingestuften französischen Wissenschaftlern nicht wünschenswert“ war. Rausch, „Wissen“, a.a.O., (Anm. 610), S. 202. 615 CERI, „Calendrier des reunions plenieres“, (Januar 1967), 1 Seite maschinengeschrieben, Centre d’histoire de Sciences Po, Archives d’histoire contemporaine, 2 SP 34. Eingeleitet wurde die Veranstaltung dem Dokument zufolge von „A.-P. Lentin“. 616 Jean Meyriat, „Travaux en cours (avant-projet). Org. 73 (Annexe)“, (31.10.1968), 5 Seiten maschinengeschrieben, Centre d’histoire de Sciences Po, Archives d’histoire contemporaine, 2 SP 34, insbes. S. 5. Die Zeitschrift wurde allerdings nicht vom CERI, sondern von der staatlichen Dokumentationsstelle La Documentation française herausgegeben; sie wurde später in Maghreb-Machrek, dann in Monde arabe – Maghreb-Machrek umbenannt. Die Arbeit über Algerien sollte in der Reihe Etudes magrébines erscheinen. 617 CERI, „Conseil de Laboratoire. Compte rendu du la réunion du 12 décembre 1968“, (8.1.1969), Centre d’histoire de Sciences Po, Archives d’histoire contemporaine, 2 SP 34. Dies war eine maßgebliche Stärkung der Arbeit zum Maghreb, laut dem Dokument gab es allerdings einen weitergehenden Vorschlag von Louis-Jean Duclos, einem ehemaligen Mitarbeiter dieser Sektion. Er hatte angeboten, sich in Vollzeit mit der arabischen Welt zu beschäftigen. 618 CERI, 1952–2002, a.a.O., (Anm. 606), S. 7–8. 1994 stieg es zu einer „Unité de recherche associée“ auf und wurde 1997 schließlich eine „Unité propre de recherche de l’enseignement supérieur associée“.

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ische Sektionen gegliedert: europäische Politik, UdSSR und Osteuropa, China, mediterranes Europa, USA, Lateinamerika, subsaharisches Afrika, Süd- und Südostasien, die arabische Welt. Im Oktober 1975 löste Guy Hermet Jean Meyriat als Direktor ab. Während dieser Phase war das Forschungszentrum auf mehrere Standorte in Paris verteilt: am Sciences Po-Stammsitz, aber auch im Maison des sciences de l’homme in der rue Lille, rue de Verneuil und in der rue de l’Abbaye. Sechs Monate nachdem Guy Hermet den Direktorposten übernommen hatte, zog das CERI in die Reid Hall um,619 dennoch bestanden weitere Standorte fort und erst 2000 wurden sämtliche Mitarbeiter im Hôtel d’York, rue Jacob, an einem Ort zusammengeführt.620 Diese Institutionalisierung ist ein Vergleichsaspekt zwischen den untersuchten Einrichtungen. Zur Frage nach den Repräsentationen gehört immer auch das Erforschen des Ortes, an dem die Prozesse von Wissensakkumulation und -weitergabe stattfanden. Zum einen geht es hier an der Basis um einen Vergleich zwischen einem zentral orientierten, mikrokosmosartigen Pariser Institutionengefüge und einer eher dezentralen deutschen Beratungsstruktur, in der sich erst im Laufe der 1990er Jahre Veränderungen unter dem Stichwort Berlin ankündigten. Zum anderen sollten auch konkrete Vorgänge wie die Finanzierung von Gebäuden, die institutionelle Verfasstheit und die Nähe zu entscheidungsnahen Eliten nicht vernachlässigt werden. Bereits Guy Hermet betrieb eine Politik der verstärkten Beratungstätigkeit für Entscheidungseliten, was auch in der 1976 erfolgten Änderung des Namens in Centre d’études et de recherches internationales deutlich wurde, denn „études“ sollte nun für Arbeiten nach dem Modell der Beratungsexpertise stehen. 621 Sowohl international fokussierte Arbeiten als auch die Analyse ausländischer politischer Systeme sollte ermöglicht werden. Letztere nahmen schon damals einen bedeutenderen Rang ein. Trotz der Namensänderung blieb die erste Priorität des CERI die Grundlagenforschung, aber auch die Antwort auf die Anfragen und Aufträge seitens staatlicher Einrichtungen, Unternehmen, internationaler Organisationen oder Verbänden. Gleichzeitig wurde eine stärkere Öffnung gegenüber der Presse, der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft vorgenommen. 1985 wurde Jean-Luc Domenach als Direktor des CERI berufen. Es kam zu einer Publikationsstrategie, Buch-Reihen des CERI wurden bei den Verlagshäusern Complexe und Le Seuil veröffentlicht, darüber hinaus entstand eine ArbeitspapierReihe, die Cahiers du CERI. Jean-Luc Domenach pflegte die Beziehungen zum

619 Ebd., S. 8. 620 Jean-François Bayart, „Editorial : 56, rue Jacob“, in: Nouvelles du CERI (2000), Juni 2000.. Vgl. Descoings, Sciences Po, a.a.O., (Anm. 607), S. 77 Anm. 47, 211–212. Descoings setzt bereits 1999 als Umzugsdatum an, effektiv eingerichtet war das CERI allerdings erst zum 3. Juli 2000. 621 CERI, 1952–2002, a.a.O., (Anm. 606), S. 8.

Institutionelle Entwicklungen

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Außen- und Verteidigungsministerium, so dass das Budget des CERI rasch anwuchs.622 Während das CERI anfangs für die Etablierung von Repräsentationen noch keine große Rolle spielen konnte (wobei Einzelpersönlichkeiten wie Duroselle durchaus Wirkung entfalteten), war das Institut in den 1970er und 1980er Jahren bereits zu einem etablierten Zentrum in der Pariser Beratungs- und Forschungslandschaft geworden. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums war das Institut, das in beiden Bereichen wirken wollte und Kompetenz zeigte, kein unbeschriebenes Blatt mehr. Die in den Analysen der Institutsmitglieder entwickelten Europarepräsentationen hatten daher einiges Gewicht. INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN Im Pariser Mikrokosmos mit seiner vergleichsweise überschaubaren Beratungslandschaft im Bereich der internationalen Beziehungen623 sind die politischen Orientierungen von institutionellen Akteuren und Einzelpersonen sehr wichtig. Der Bedeutungszuwachs des CERI geht in den hier betrachteten 1990er Jahren vor allem auf seine zwei Direktoren zurück.624 An erster Stelle ist hier der bereits erwähnte Jean-Luc Domenach zu nennen, dessen Posten ab 1994 Jean-François Bayart625 übernahm. Jean-Luc Domenach wurde am 11. August 1945 in Hauterives (Drôme) geboren. Er stammt aus einer Familie von Intellektuellen. Sein Vater, Jean-Marie Domenach (1922–1997), war ein bedeutender Publizist, der im Zweiten Weltkrieg in der Résistance aktiv war und sich nach Kriegsende für die deutsch-französische Aussöhnung engagierte. Jean-Luc Domenach wurde am Institut d’études politiques (IEP) in Paris ausgebildet und studierte gleichzeitig am Institut national des langues et civilisations orientales (INALCO) Sinologie. Er hat einen Doktortitel (doctorat d’État) in Geschichte. Von 1972–1976 war Domenach assistant de recherche, dann attaché de recherche, 1978/1979 und 1981–1985 chargé de

622 Ebd., S. 9–10. Die Broschüre nennt einen dehnbaren Zeitraum für eine Verdopplung der Betriebsmittel. „Jean-Luc Domenach développa aussi les relations avec le Quai d’Orsay ainsi qu’avec le ministère de la Défense qui contribuèrent, par le (co-)financement de colloques et de contrats de recherche, à doubler le budget de fonctionnement du CERI en quelques années.“ Administrativ Verantwortliche für die Publikationsstrategie war Rachel Bouyssou. 623 Lagarde, „Diplomatie“, a.a.O., (Anm. 5). 624 „[Le] Centre, qui souffrait d’une image collective faible, a acquis ‚un rôle d’accueil de personnalités de passage plus important et un rayonnement collectif croissant‘.“ PierreEmmanuel Moog, Les clubs de réflexion et d’influence, (Paris: Express Éditions, 2006), insbes. S. 69. 625 Wegen kritischer Forschungen über subsaharische Staaten publizierte der spätere Direktor schon früh unter dem Namen seiner Mutter, sein Geburtsname, Leguil, tauchte jedoch in einigen Berichten und Rundbriefen in Form eines Doppelnamens auf, vgl. z. B. CERI, „En bref…“, in: Nouvelles du CERI (1995).

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recherche, schließlich dann von 1985–1994 Direktor des CERI. Unterbrochen wurde seine Zeit im CERI durch eine Tätigkeit als Kulturattaché in Hongkong (1976–1978). Zudem war er chargé de mission beim Centre d’analyse et prévision (CAP) (1979–1981). Von 1994–1995 war er directeur adjoint scientifique, von 1995–2000 directeur scientifique der Fondation national de sciences politiques (FNSP). Seit 1990 war er zudem directeur de recherche am CERI.626 Während das CERI in den 1980er Jahren noch kaum bekannt war und der Bereich der internationalen Beziehungen vor allem vom noch jungen IFRI dominiert wurde, baute Domenach als Direktor die Öffentlichkeitsarbeit des CERI, unter anderem durch die Einstellung einer Kommunikationsbeauftragten, aus. Auch seine engen Kontakte zu wichtigen französischen Zeitungen (Ouest-France, La Croix, Le Nouvel Observateur, Le Monde) unterstützten dieses Ziel. Gleichzeitig wurde die Ausrichtung des CERI auf die Grundlagenforschung verstärkt.627 In den neun Jahren seiner Amtszeit verneunfachte sich das Budget des Instituts. Auch nach dem Ende seiner Amtszeit übte er dank einer engen Zusammenarbeit mit seinem Nachfolger, der seinen Kurs im Großen und Ganzen fortsetzte, einen bedeutenden Einfluss aus. Die finanziellen Mittel wurden einmal mehr verdoppelt.628 Jean-Luc Domenach war politisch eher links verortet und wollte das spezialisierte Wissen des Forschungszentrums einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen. Er entwarf diverse Verfahren, um den Kontakt mit der Presse, auch der ausländischen, zu intensivieren und das bis dahin eher in Fachkreisen bekannte CERI in stärkerem Maße in die allgemeine politische Diskussion in Paris und Frankreich einzubringen. So wurden etwa die Nouvelles du CERI, ein Rundbrief, der unter seiner Leitung eingeführt wurde, auch an Redaktionen verschickt. Mit Veranstaltungen wie den „Rencontres du CERI“ – öffentlichen Vorträgen – oder dem „Club Presse“ – einem regelmäßigen Hintergrundgespräch, insbesondere mit Hauptstadtjournalisten der regionalen Presse wie der auflagenstarken Regionalzeitung Ouest-France – machte das CERI von sich reden. 629 Während der Direktorenzeit Domenachs waren sowohl der Maghrebexperte Rémy Leveau als auch sein Schüler Gilles Kepel mit dem CERI verbunden.630 Vor allem

626 Die biographischen Angaben stützen sich auf das französische „Who’s who“, Ausgabe 2006. 627 Seine Kontakte zur Medienwelt konnten auf der publizistischen Tätigkeit seines Vaters – besonders in der Zeitschrift Esprit – aufbauen. Die Frau von Jean-Luc Domenach war ihrerseits aktiv in der Politik, u. a. in der Parteizentrale der französischen Sozialisten (als „secrétaire nationale“). Die Kommunikationsbeauftragte Karolina Michel wurde zunächst als „chargée de valorisation“ (etwa „Inwertsetzungsbeauftragte“) bezeichnet, vgl. CERI, Rapport 1992, a.a.O., (Anm. 88), S. 61. 628 Die Darstellung der Entwicklungen des CERI unter Domenachs Führung beruhen auf: Gespräch mit Jean-Luc Domenach, Büro CERI, (10.5.2010). 629 Gespräch mit Karolina Michel, Büro CERI, (28.5.2010). 630 François Dufay, „Gilles Kepel, le Prophète et Pharaon“, in: L’Histoire, 242, April 2001. Wie bereits in den Kapiteln zu den deutschen Fallbeispielen erwähnt, war Rémy Leveau während

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gegen Ende seiner letzten Amtszeit arbeiteten beziehungsweise veröffentlichten wichtige Exponenten der französischen Islamwissenschaften im CERI. Unabhängig von der inhaltlichen Arbeit war jedoch auch im Fall von Jean-Luc Domenach die politische Orientierung von sehr großer Bedeutung. Die Elitenbildung in Frankreich – mit einer fast ausnahmslos identischen Ausbildung der handlungsleitenden Eliten – führte dazu, dass Expertise jeweils eng mit den politischen Konstellationen verbunden war.631 Domenachs Amtszeiten fallen in die Regierungszeit des sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, familiär war er beispielsweise über seine Frau mit der politischen und intellektuellen Sphäre eng verbunden und gut vernetzt, was in Frankreich von großer Bedeutung ist. Aus historischen, politischen und soziologischen Gründen unterscheidet sich der Umgang mit der Öffentlichkeit generell von dem in anderen Gesellschaften, insbesondere was die Unterscheidung zwischen Staat und Öffentlichkeit angeht. Während in Deutschland staatliche Subventionen eine der Allgemeinheit verpflichtete, unabhängige Forschung garantieren sollen, wird in Frankreich eher ein Beeinflussungsrisiko angenommen.632 Die folgende Äußerung des Direktors des Institut de relations internationales et stratégiques (IRIS) illustriert diese schwierige Position der Beratungsinstitute im Geflecht der Pariser Institutionen: Il y a une méfiance traditionnelle des responsables gouvernementaux et des structures ministérielles à l’égard des think tanks. Tout ce qui n’est pas strictement gouvernemental est considéré le plus souvent comme une source de perturbation.633

Jean-François Bayart leitete das CERI von 1994 bis 2000, nachdem er bereits als junger Forscher (auf einem Posten des Centre national de la recherche scientifique) Mitglied geworden war. Während seiner Amtszeit führte er die Politik seiner beiden Vorgänger Guy Hermet und Jean Domenach, das CERI weiter in der Grundlagenforschung zu verankern, fort, setzte aber auch neue Akzente. Wie Jean-Luc Domenach steht auch er für eine enge Verbindung des CERI mit dem Centre d’analyse et prévision (CAP) im französischen Außenministerium, für das er ständiger Berater („conseiller permanent“) war. Inhaltlich setzte er die Ausrichtung des CERI auf den Politikvergleich und die internationalen Beziehungen fort. Gleichzeitig forcierte er die Kompetenz des Zentrums im Bereich der europäischen Studien634 und der „économie politique“.

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dieser Zeit für drei Jahre am Centre Marc Bloch in Berlin. Gilles Kepel, „Le Semeur: en hommage à Rémy Leveau“, in: Politique étrangère 70 (2005), 2, S. 241–242. Dies ist bis in die jüngste Vergangenheit hinein festgestellt worden, vgl. Carpentier-Tanguy, „Expertise“, a.a.O., (Anm. 71), S. 7. Ebd. Pascal Boniface in Lagarde, „Diplomatie“, a.a.O., (Anm. 5). Die Zurückhaltung ist in den 1990er Jahren mit einer geringeren Verbreitung von Beratungsinstitutionen in Paris noch höher einzuschätzen. Die Stärkung der europäischen Studien geschah auch auf Veranlassung von Alain Lancelot, dem damaligen Direktor des Institut d’études politiques (IEP). Seit 1950 waren die

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Mit der Arbeitspapier-Reihe Les Études du CERI wurde in seiner Amtszeit ein zusätzliches Publikationsorgan geschaffen, das sich einerseits dem Bereich der Beratung zuordnen ließ, andererseits auch der Ausrichtung der Forschung diente, da über das Budget der Reihe beispielsweise Forschungsaufenthalte finanziert werden konnten. In seiner Amtszeit wurden die beiden Forscher Luis Martinez, der vor allem über Algerien arbeitete, und Béatrice Hibou, deren Themen sowohl die Industrie- als auch die nordafrikanischen und afrikanischen Länder waren, publikationsgebunden gefördert und später eingestellt. Er füllte seine Rolle als Direktor politischer als seine Vorgänger aus, meldete sich sowohl in Debatten der Forschungsförderung als auch in der Presse zu Wort. Obwohl mit seinen Verbindungen zu Politik und Wirtschaft der beratende Anteil an den Aktivitäten des CERI eher zunahm, verstand er diese mehr im Sinne einer Forschungsförderung denn im Sinne eines policy making, für das seiner Ansicht nach eher das IFRI zuständig war.635 Nachdem Jean-François Bayart den Direktorenposten übernommen hatte, führte er eine neue, „Le séminaire stratégique du CERI“ betitelte Veranstaltungsreihe ein, die in einem exklusiven Umfeld (mit beschränkter Teilnehmerzahl) Wissenschaftlern sowie Vertretern der Wirtschaft und Medienöffentlichkeit Diskussionen zu aktuellen Themen ermöglichen sollte: Le séminaire stratégique du CERI apporte un éclairage fondamental sur un problème international d’actualité. Le temps de la politique n’est pas seulement le temps court, que privilégient inévitablement les medias. Seule la moyenne, voire la longue durée permet de dégager les vrais enjeux et les évolutions prévisibles d’une situation.636

Als weiteren Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit konzipierte er die Revue de Presse du CERI, einen Pressespiegel, der die Arbeiten der Mitglieder des Zentrums auflistete und weiterverbreitete.637 Daneben gründete er wegen der zunehmenden Schwierigkeiten von CERI-Mitgliedern, ihre Arbeiten zu veröffentlichen, die Reihe Recherches Internationales. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ab 1998 verhandelte er als conditio sine qua non seiner erneuten Direktorentätigkeit, dass das CERI eigenständig im Internet präsent sein sollte, und schließlich wurde Ende 1998 die CERI-Zeitschrift Critique Internationale gegründet.638 Wie sich eine CERI-Angestellte aus dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit erinnert, beschleunigte Bayart die internen Abläufe. Er warb zusätzliche Mittel ein und

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Direktoren des Instituts auch immer Leiter („administrateur“) der Fondation nationale des sciences politiques (FNSP). Gespräch mit Jean-François Bayart, Büro CERI, (20.4.2010). CERI, „Séminaires stratégique“, in: Nouvelles du CERI (1995), 24, Juni 1995. Zum Thema, wie sich Beratung und Forschung zur Öffentlichkeit verhalten sollten, hatte er sich bereits 1989 im Kontext der damaligen Direktorenentscheidung klar mit einem Aufsatz zur Forschungsfreiheit und -unabhängigkeit positioniert. Gespräch mit Bayart, a.a.O., (Anm. 635). Dominique Lagarde betont im Hinblick auf das CERI ebenfalls, dass es enge Beziehungen mit der Verlagslandschaft in Frankreich pflege, Lagarde, „Diplomatie“, a.a.O., (Anm. 5).

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intensivierte die Zusammenarbeit mit Ministerien, Unternehmen und Organisationen. Im Rahmen einer kostenpflichtigen privilegierten Partnerschaft („partenariat privilégié“) erhielten diese sämtliche Publikationen und Einladungen des Zentrums, zudem bestand je nach regionalen und inhaltlichen Interessen die Möglichkeit, spezielle Beratungstreffen wahrzunehmen. Die akademische Reihe im Verlag Fayard wurde in den Feuilletons der großen französischen Zeitungen wie Le Monde und Le Figaro gut angenommen. Auch die Reihe Les Études du CERI, die anfangs als eine Art graue Literatur ohne Buchhandelsnummer erschien, war erfolgreich.639 Bayarts Direktorentätigkeit hat dazu beigetragen, dass das CERI heute vom französischen Außenministerium an zweiter Stelle genannt wird, wenn es um französische Expertisen in den internationalen Beziehungen („la pensée française sur les relations internationales“) geht. Das CERI sei, so der Quai d’Orsay, die „größte Ansammlung von Forschern und Spezialisten“ in diesem Bereich.640 In einem Rückblick auf seine sechs Jahre als Direktor bilanzierte Jean-François Bayart im Rundbrief Nouvelles du CERI, das CERI habe sich seit den 1970er Jahren einen Platz unter den bedeutenden, mit den internationalen Beziehungen beschäftigten Einrichtungen in Europa und auch jenseits des Atlantiks erobert, auch wenn seine Mittel mit den wichtigen think tanks und Universitäten Nordamerikas nicht zu vergleichen seien. Die Expansion sei mit einer besseren Sichtbarkeit des Zentrums in den Medien, der Verwaltung und der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft einhergegangen; die Ziele seiner Amtszeiten, wie die Neuaufstellung („relance“) der vergleichenden Politikwissenschaft in den internationalen Beziehungen, die Entwicklung der europäischen Studien und die „économie politique“ setzte Bayart mit der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit in Beziehung. Das CERI sei unabhängig vom französischen Staat und anderen Akteuren, obwohl es der politischen Klasse, der Verwaltung und den Unternehmen näher stehe als je zuvor.641 Der Rückblick zeigt, dass Bayart trotz des Primats der Grundlagenforschung andere, praxisorientierte und gut vernetzte Forschungsinstitute als Konkurrenz ansah – und das CERI für konkurrenzfähig hielt. Die Laufbahn eines wichtigen Maghrebexperten des CERI soll im Folgenden das personale Element illustrieren. Luis Martinez schloss 1993 sein Sciences PoStudium mit einem diplôme d’études approfondies (DEA) ab. Die Anzeige der von Rémy Leveau betreuten Arbeit mit dem Titel „L’Algérie dans la guerre civile?“ in der Revue française de science politique erfolgte noch unter seinem 639 Gespräch mit Michel, a.a.O., (Anm. 629). 640 Ministère des Affaires étrangères, „La pensée française sur les relations internationales“, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/actions-france_830/chercheurs-historiens_3119/penseefrancaise_3129/index.html (16.1.2014). Der Hinweis auf die Seite des französischen Außenministeriums bildet den Schluss eines Artikels von Xavier Carpentier-Tanguy. CarpentierTanguy, „Expertise“, a.a.O., (Anm. 71), S. 9. 641 Jean-François Bayart, „Octobre 2000“, in: Nouvelles du CERI (2000), Oktober 2000. Als weitere Akteure nannte Bayart die Brüsseler Kommission und die Zivilgesellschaft.

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Geburtsnamen Azzedine Rakkah.642 Spätere Arbeiten Rakkahs wurden unter seinem Pseudonym Luis Martinez veröffentlicht, welches er aus Sicherheitsgründen für die Arbeit über Algerien annahm.643 Wegen seiner Publikationstätigkeit unter diesem Pseudonym wird im Folgenden dieser Name verwendet. Nach eigenem Bekunden begann seine akademische Karriere zu einer Zeit, in der die Anzahl der Promotionen zum Maghreb eher zunahm. Er beschäftigte sich mit dem Maghreb, insbesondere mit Algerien und dem dortigen Bürgerkrieg; zu Vergleichszwecken zog Martinez Libyen heran. Feldforschungen in Algerien Anfang der 1990er Jahre ließen ihn die europäische Komponente unterstreichen, sie sei in dieser Zeit im Maghreb bereits von Bedeutung gewesen. Deutsche, spanische und italienische Investitionen in der Region seien damals auch von französischer Seite aus willkommen gewesen. Auch Bedenken, dieses Engagement könne die Stellung der französischen Sprache schwächen, hätten auf französischer Seite nicht bestanden, wohl aber eine Konfliktlinie der französischen Behörden und der britischen Außen- und Sicherheitspolitik (die wiederum im Zusammenspiel mit den USA gestanden habe). Mit der Entführung des Fluges von Algier nach Marseille 1994 sei für die französischen Stellen klar gewesen, dass der islamistische Terrorismus eine neue Qualitätsstufe erreicht habe, da der eigentliche Plan ein gezielter Anschlag auf den Eiffelturm gewesen sei. Diese Befürchtungen seien aber von britischer Seite während der 1990er Jahre noch nicht geteilt worden. Martinez hob in den Einschätzungen der Maghrebexpertisen im Rahmen des CERI (aber auch des IFRI) hervor, dass schon auf Doktorandenebene enge Verbindungen zu Regierungsstellen bestanden. Rückblickend betonte er, die Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) sei für die Arbeit über die Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb förderlich gewesen.644 Vergleicht man seine Erinnerungen an die zehn Jahre zurückliegende Zeit mit dem am CERI entstandenen Material, so haben sich einige Kritiken abgeschliffen, so zum Beispiel die Kritik am Netzwerk Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo), die Martinez im gemeinsam mit Béatrice Hibou verantworteten Beitrag in der Reihe Les Études du CERI 1998 noch sehr pointiert vortrug.645 Es

642 o. A., „Travaux universitaires inédites de science politique (année 1993). Deuxième partie“, in: Revue française de science politique 44 (1994), 4, S. 718–769. 643 Gespräch mit Sylvie Haas, Büro CERI, (25.5.2010). 644 Gespräch mit Luis Martinez, Büro CERI, (16.12.2008). Besonders der seit 2007 als Leiter des Institut d’études de sécurité de l’Union Européenne/European Union Institute for Security Studies (IES/EUISS) in Paris fungierende Álvaro de Vasconcelos habe hier Engagement gezeigt; das IES/EUISS funktionierte im Untersuchungszeitraum als ein Institut der WEU, Institut d’études de sécurité de l’Union de l’Europe occidentale. 645 Béatrice Hibou & Luis Martinez, Le Partenariat euro-maghrébin : un mariage blanc ? (Les Études du CERI, 47 der Gesamtfolge), (Paris, 1998), insbes. S. 35. Bis mindestens 2012 tauchte die Mitgliedschaft im Netzwerk auf der Internetpräsenz des CERI auf, Repräsentant des Forschungsinstituts war Luis Martinez. CERI, „Partenariat scientifique. Resaux universitaires“, http://www.ceri-sciences-po.org/cerifr/part_sc.php (18.3.2012).

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gab, gerade was seine Laufbahn angeht, im Hinblick auf das Netzwerk nicht nur Konfrontation, auch Forschungsverbindungen auf dieser Ebene lassen sich weit zurückverfolgen und wurden beispielsweise schon von seinem akademischen Lehrer Rémy Leveau selbst gepflegt.646 Martinez’ persönliche Schwerpunktsetzungen, also der Vergleich zwischen Algerien und Libyen sowie die jeweilige Nutzung der Öleinkünfte im internationalen Kontext, sind ein Beispiel für die Grenzen, aber auch die Vorteile einer thematisch und institutionell angelegten Untersuchung. Sicherlich zeigt das Beispiel, dass Libyen zu dieser Zeit trotz des UN-Embargos ein wichtiger Vergleichsgegenstand und ebenfalls ein Spiegel für Europarepräsentationen war. Im Hinblick auf das europäische Bewusstsein der Akteure spielten die Herkunft, die Erwartungshorizonte und das nicht publizierte Wissen, wie beispielsweise die Deutung der Flugzeugentführung als neuartige terroristische Attacke auf ein französisches, wenn nicht europäisches Symbol eine Rolle.647 In der Forschung nach Prägemustern, die Gemeinsamkeiten bewusst machen, die Selbstverständnisse artikulieren oder Zugehörigkeiten anzeigen, müssen diese Einzelheiten jedoch eher vernachlässigt werden, da das gesamte CERI und in diesem Kontext entstehende Europarepräsentationen in den Vordergrund rücken. Mit einer solchen Perspektive lässt sich wiederum vor dem Hintergrund der institutionellen Entwicklungen des CERI in den 1990er Jahren argumentieren, dass Stimmen aus dem Zentrum in der französischen Hauptstadt Gehör fanden. Die so vertretenen Repräsentationen des (europäischen) Eigenen, (maghrebinischen) Anderen oder auch des (euro-mediterran) Verflochtenen entstanden in einer besonderen Nähe zu den Eliten aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft.648 Dafür sprechen nicht zuletzt die einflussreichen Direktoren des CERI, wobei das politische Klima mit der Ablösung des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand durch Jacques Chirac 1995 für eher im linken Spektrum verortete Forscher schwieriger wurde.

646 Álvaro de Vasconcelos war zudem bereits Herausgeber eines Buches gewesen, welches Anfang der 1990er Jahre unter Mitarbeit einer CERI-Forscherin, Catherine Wihtol de Wenden, die Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb thematisierte. Álvaro de Vasconcelos (Hrsg.), Européens et Maghrébins. Une solidarité obligée (Collection „Hommes et sociétés“), (Paris: Éd. Karthala, 1993). 647 Vgl. Henri Loyrette, „Der Eiffelturm“, in: Erinnerungsorte Frankreichs. Mit einem Vorwort von Etienne François, hrsg. von Pierre Nora, (München: Beck, 2005). Mit Etienne François könnte man argumentieren, dass es sich beim Eiffelturm heute um einen „indirekten“ europäischen Erinnerungsort handelt. Vgl. Etienne François, „Europäische lieux de mémoire“, in: Transnationale Geschichte: Themen, Tendenzen und Theorien, hrsg. von GunillaFriederike Budde, Sebastian Conrad & Oliver Janz, (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), S. 290–303, insbes. S. 297–299. 648 Wobei es auch Stimmen gibt, die dem CERI eine gewisse Distanz zur Wirtschaft attestieren. „[Le CERI] est […] peu en contact avec le monde des entreprises.“ Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 69.

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DAS EIGENE IN DEN PUBLIKATIONEN DES CERI In diversen Texten diskutierten Forscherinnen und Forscher des CERI vermehrt die Rolle des konstitutionellen Europas.649 Neben positiven Einschätzungen setzte man dabei – anders als das IFRI oder die deutschen Institute – auch kritische Akzente. Im Gegensatz zum CERI konnte sich das IFRI keine allzu kritische Haltung gegenüber der EU erlauben, da sie die treibende Kraft in der EuroMediterranen Partnerschaft (EMP) war; die IFRI-Beteiligung im Partnerschaftsnetzwerk Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) musste berücksichtigt werden. Auch ohne direkte Teilhabe kamen aus dem CERI, das auf eine lange Entwicklungslinie der regionalwissenschaftlichen Spezialisierung zurückblickte, jedoch auch positive Stimmen – die europäische Außenpolitik könne die traditionelle Ausrichtung des Zentrums erweitern. Eigenrepräsentationen zwischen europäischer Integration und regionalwissenschaftlicher Tradition Bei ihren Untersuchungen zum Komplex Europa/Maghreb mussten die Forscherinnen und Forscher am CERI abwägen, ob die eigene (das heißt europäische) Rolle oder die traditionelleren, regionalwissenschaftlichen Aspekte des Themas im Vordergrund stehen sollten. Außerdem war bei der Diskussion der dem Maghreb gegenüber zu verfolgenden Politik Europa als einheitlicher Akteur von dem jahrzehntelang damit befassten Frankreich abzugrenzen. Aus dieser Perspektive war Europa nur ein weiterer externer Faktor.650 Im folgenden Unterabschnitt wird untersucht, inwiefern trotz dieser unterschiedlichen Pole die Autorinnen und Autoren auf die Fortentwicklung des konstitutionellen Europas reagierten, die mit den drei Stichworten Maastricht, Schengen und EuroMediterraner Partnerschaft (EMP) verbunden war. 1992 findet sich in den Rundbriefen des CERI – Nouvelles du CERI – ein Veranstaltungshinweis direkt zum Thema der Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb, hier allerdings unter dem Titel westliches Mittelmeer. Es handelte sich um einen Studientag zu Stabilität und Sicherheitspolitik mit „Instituten aus Südeuropa und aus dem Maghreb“.651 Aus dem Engagement in dieser Gruppe lässt sich schließen, dass das CERI sich in diesem Fall zu den Instituten aus Südeuropa zählte – zusätzlich schien die Unterscheidung zwischen dieser Kategorie und den maghrebinischen Instituten mitteilenswert. Hier zeigte sich ein europäisches Bewusstsein, welches gleichzeitig die Einteilung mitbegründete,

649 Die Analyse bezieht dabei nicht nur publiziertes Material mit ein, zudem sind auch Veranstaltungen, die in enger Verbindung zum CERI standen, von Bedeutung. 650 Was bedeutete, dass der Maghreb als ein Anderer gegenüber dem französischen Eigenen galt, Europa in diesem Fall gleichermaßen ein Anderes darstellte. 651 CERI, „Journées d’études. 6 et 7 février“, in: Nouvelles du CERI (1992), 15, März 1992.

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wenn auch noch nicht von nicht-europäischen Teilnehmern oder Ähnlichem die Rede war. Die Öffentlichkeitsarbeit des CERI und die Personalpolitik erweckten den Eindruck, dass mit der zunehmenden Bedeutung der EG/EU die europäische Kompetenz des Zentrums unterstrichen werden sollte. Mit Stand vom Oktober 1992 gab eine Nachricht zu Neuanstellungen am CERI 48 Forschungsstellen an und skizzierte die zukünftigen Tätigkeitsbereiche – regionale Schwerpunkte waren „Europa, USA, die Ex-UdSSR und die japanisch-pazifische Region“; der Maghreb oder das westliche Mittelmeer wurden nicht genannt.652 Dies war sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass das CERI sich hinsichtlich der Fragen der maghrebinischen Region gut aufgestellt sah, zeigte aber auch eine Tendenz, mehr Wert auf europäische Prozesse und damit auch auf die Entwicklungen in Richtung eines konstitutionellen Europas zu legen. Andere Hinweise in den Rundbriefen des CERI zeigen, dass eine Annäherung von regionalwissenschaftlichen und europawissenschaftlichen Zugängen öffentlichkeitswirksam propagiert werden sollte. In einem Rundbrief des CERI aus dem Jahr 1993 standen die Forschungen zu Europa im Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang wurden der Maghreb und seine Beziehungen nach Norden ins Spektrum der Europaforschung eingeordnet. Seit der Gründung des CERI würden „europäische Probleme“ im Hinblick auf Vielfalt und Einheit gleichermaßen untersucht. Nicole Grimaud und Rémy Leveau würden hierbei auch die Beziehungen zwischen Maghreb und Europa bearbeiten.653 Die Rede von Einheit und Vielfalt deutete in Richtung eines Europabewusstseins, welches als kleinsten gemeinsamen Nenner diese Formel beanspruchen konnte. Zugleich gewann Europa damit bereits eine Einheit gegenüber anderen Regionen, wobei sich der Maghreb offensichtlich ideal für die Repräsentation eines solchen regionalen Gegenübers eignete. Ein Teil der Regional-Kompetenz im Maghrebraum entfernte sich allerdings immer weiter vom CERI, wobei es in den Nouvelles du CERI verstanden wurde, diesen Vorgang in ein gutes Licht zu rücken. So hieß es im Rundbrief vom März 1994, Rémy Leveau sei seit dem 10. März 1994 in Berlin angestellt, nachdem er vorher directeur d’études am Institut d’études politiques (IEP) gewesen war. Mit der Betonung seiner Anstellung als Forscher am „Centre Franco-Allemand de Recherches en Sciences Sociales de Berlin“ wurde in der Nachricht allerdings eine deutsch-französische Beziehung des CERI mit eben jenem Zentrum unterstrichen.654 Das sozialwissenschaftliche Zentrum, später Centre Marc Bloch, verfolgte die Beziehung von Europa zur islamisch-arabischen Welt allgemein als ein transversales Thema. Die Leitung des Centre hob das Thema als einen Schwerpunkt hervor, der Probleme in Deutschland und Frankreich gleichermaßen mit 652 CERI, „La politique de recrutement du CERI“, in: Nouvelles du CERI (1992), 17, November 1992. 653 CERI, „Les Recherches sur l’Europe au CERI“, in: Nouvelles du CERI (1993), 19, Juni 1993. 654 CERI, „En bref…“, in: Nouvelles du CERI (1994), 21, März 1994.

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behandelte.655 Die Beziehung, im Fall von Rémy Leveau besonders im westlichen Mittelmeerraum, wurde damit in einen innereuropäischen, deutsch-französischen Kontext eingeordnet. Auch in internen Berichten, zum Beispiel für den Zeitraum vom Juni 1990 bis Juni 1994, unterstrichen die Verantwortlichen des CERI die Verbindung von regionalwissenschaftlicher Kompetenz im Maghreb und vor allem sicherheitspolitischen Forschungen zu den Beziehungen zwischen Südeuropa und dem Maghreb. Auch hier lag wiederum der Fokus auf der schon im Rundbrief genannten Zusammenarbeit mit südeuropäischen und maghrebinischen Instituten. Im Rahmen der nicht formalisierten Kontakte stach ein portugiesisches Institut hervor (Instituto de Estudios Estratégicos e Internacionais, Lissabon), mit dem das CERI, so der Bericht, in einem Programm zur Sicherheitspolitik im westlichen Mittelmeerraum zusammenarbeite.656 Das Istituto Affari Internazionali (IAI, Rom) sei seit einer gemeinsamen Veranstaltung im Juni 1992 der italienische Partner im Arbeitsprogramm über die Sicherheitspolitik im westlichen Mittelmeerraum. An diesem Programm „Stabilité et sécurité en Méditerranée occidentale“ nähmen auch Institute aus dem Maghreb teil, ein Tagungsband wurde im Verlag Karthala unter dem Titel „Européens et Maghrébins : une solidarité obligée“ herausgegeben.657 Zudem wurden internationale Netzwerke aufgeführt, hier unter anderem das Consortium européen de recherche politique, in dem der am CERI assoziierte Forscher Didier Bigo eine Arbeitsgruppe zum Thema „Sécurité intérieure/sécurité extérieure en Europe“ leite. Didier Bigo hätte auch Unterstützung von der Kommission aus Brüssel für ein Programm mit dem ähnlichen Titel „Police, sécurité et frontières en Europe“ erhalten.658 Ein Annex zum wissenschaftlichen Bericht verzeichnete die Auftragsarbeiten. Für das Ministère de la recherche et de la technologie war von 1990 bis 1991 unter anderem ein von Rémy Leveau und Riva Kastoryano geleitetes Forschungsprojekt für 300.000 Franc durchgeführt worden, das den Titel „Formes de solidarité dans l’espace européen. Les réseaux de relations transnationaux des populations immigrées“ trug. Der assoziierte Forscher Didier Bigo führte für das gleiche Ministerium (100.000 Franc) und für das zum Innenministerium gehörende Institut des hautes études de la sécurité intérieure (200.000 Franc) von 1990 bis 1992 eine Studie zum Thema „L’Europe et les problèmes de terrorisme à l’horizon 1992“ durch. Ein umfangreicher Auftrag zum Thema „Stabilité et sécurité en Europe dans les années 1990“ wurde für die Zeit von 1991 bis 1993 vom Ministère de l’éducation nationale – Direction de la recherche et des études doctorales vergeben (300.000 Franc). Anne-Marie Le Gloannec bearbeitete den Teil „Sécurité en Europe“, Rémy Leveau das Thema „Migrations Nord-Sud en

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François, „Centre“, a.a.O., (Anm. 152). CERI, Rapport 1990–1994, a.a.O., (Anm. 398), S. 93. Ebd., S. 98–99. Ebd., S. 94, 96.

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Europe“.659 Trotz der Betonung einer über das Mittelmeer reichenden Solidarität war die Schwerpunktsetzung ambivalent, da besonders unter den allgemeineren Titeln Bigos der Sicherheitsaspekt für die (süd-)europäischen Staaten und die europäische Staatengemeinschaft insgesamt im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit dem Maghreb stand. Der Institutsbericht vom Juni 1996 enthält einen Auszug aus dem Protokoll des Zentrumsbeirats vom 16. Mai 1994 mit den Ausführungen des Verwaltungsleiters der Fondation nationale des sciences politiques (FNSP), Serge Hurtig, zur Nachfolge Jean-Luc Domenachs. Bezüglich der regional- beziehungsweise europawissenschaftlichen Akzentuierung gibt das Protokoll einige Hinweise. Der zweite Mann der Stiftungsleitung führte aus, dass die Repräsentativität des Gremiums von einigen Forschern in Zweifel gezogen worden sei, was er zurückwies. Im gleichen Bericht wurde der scheidende Direktor des Zentrums mit dem Wunsch wiedergegeben, dass die Grundsatzdebatte, die Gilles Kepel über die Internationalisierung anstoßen wollte, ernst genommen werden möge. Sie erfordere umfangreiche Investitionen und es stelle sich das Problem der Harmonisierung von europäischer und globaler Sphäre.660 Dieser Teil des Protokolls ist ein Beleg dafür, wie wichtig das personale Element in den Europarepräsentationen der Beratungsinstitute ist. In den ersten Berichten des neuen Direktors Jean-François Bayart deutet sich ein interner Machtkampf zwischen ihm und Gilles Kepel um die Nachfolge Jean-Luc Domenachs an, an den sich Bayart auch selbst erinnerte.661 Nachdem Kepel als Spezialist für die arabische Welt in diesem Konflikt unterlag, gab es eine Absetzungsbewegung vom CERI in Richtung der Doktorandenschule über das Studienprogramm zur arabischen Welt, worüber sowohl die Leitung des CERI als auch der Fondation nationale des sciences politiques (FNSP) nicht glücklich waren.662 Die Europawissenschaft bekam dadurch mehr Gewicht, wie auch spätere Protokolle deutlich machten. In der nun folgenden Darstellung der auf den Maghreb bezogenen Arbeiten des CERI nehmen deshalb die von einem europäischen, genauer: von einem EU-Standpunkt ausgehenden Sichtweisen breiteren Raum ein. Dadurch – und auch durch die zunehmende Vernetzung innerhalb des europäischen Forschungs- und Politikraums – wurden Europarepräsentationen gestärkt, die sich von einer regionalisierten Nicht-EU abgrenzten. Im internen Bericht vom Juni 1996 war außerdem auffällig, dass es zwischen den Arbeitsgruppen, die jeweils eher Europa oder den Maghreb behandelten, keine personellen Übereinstimmungen gab. Für die Hauptforschungsbereiche des

659 Ebd., S. 144–145. 660 CERI, „Extrait du Compte rendu de la réunion du Conseil de laboratoire du 16 mai 1994“, in: Rapport scientifique. Juin 1994–Juin 1996, hrsg. von CERI, (Paris, 1996). Der Auszug aus dem Protokoll (Annex I) enthält im Gegensatz zum restlichen Bericht keine Seitenzahlen. 661 Gespräch mit Bayart, a.a.O., (Anm. 635). 662 Gespräch mit Jean Leca, Büro IEP, (4.5.2010).

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CERI hatte die Konstruktion, Erweiterung und regionale Bezogenheit der EU (Euro-Mediterrane Partnerschaft [EMP], Zollunion mit der Türkei) eine hohe Priorität.663 Zu den europäisch-zentrierten Gruppen zählte die von Anne de Tinguy und Catherine Wihtol de Wenden geleitete Arbeitsgruppe „Migrations Est-Ouest et Nord-Sud en Europe“.664 „Système politique de l’Union Européenne“ wurde von Christian Lequesne und Andy Smith (CERAT Grenoble) geleitet;665 die afrikazentrierte Gruppe „Economie et société en Afrique“ schließlich wurde von Jean-François Bayart, Béatrice Hibou, Luis Martinez und dem nicht zum CERI gehörenden Richard Banegas geleitet.666 Die Ausgaben der Publikation La Revue de Presse du CERI erscheinen im Untersuchungszeitraum seit November 1995 und enthalten unter einem einheitlichen Deckblatt kopierte Zeitungsbeiträge und Interviews von Forschern des CERI. Auch das Thema Europa und der Maghreb spielte in diesen Zusammenstellungen eine Rolle. Zur Ergänzung inhaltlicher Positionen der CERI-Forscher und als exemplarische Prozesse der Verknüpfung von wissenschaftlicher und medialer Sphäre werden einige dieser Beispiele herangezogen. Der als Kolumnist („collaborateur“) vorgestellte Rémy Leveau667 veröffentlichte im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen in Algerien im November 1995 einen Artikel in der Zeitung La Croix, in dem er auf die Erklärung von Präsident Jacques Chirac vom 26. Oktober 1995 verwies, wonach die Hilfe für Algerien an die Entwicklung des Demokratisierungsprozesses geknüpft werden könne. Dieses sei, so Leveau, eine auch an die anderen Länder der EU gerichtete Botschaft gewesen. Bedauerlich sei, dass der Vorschlag, den Präsident François Mitterrand nach seiner Zusammenkunft mit Kanzler Helmut Kohl gemacht habe, untergegangen sei. Die Anregung, man solle auf einem europäischen Wege vermitteln, habe wegen der cohabitation beziehungsweise des Wahlkampfs keine Wirkung entfaltet. Die EU könne gegenüber dem Maghreb ein vergleichbares Interesse wie gegenüber den Ländern im Osten entwickeln. Der Blick nach Osten werde von

663 CERI, Rapport scientifique. Juin 1994–Juin 1996, (Paris, 1996), insbes. S. 4. 664 Ebd., S. 18. Zu ihr gehörten Didier Bigo (assoziiert), Pierre Hassner, Riva Kastoryano, Marie Mendras und Semih Vaner. Nach Auskunft der Leiterin war die Forschergruppe auf die Migrationen zwischen Osten und Westen zentriert, vertikale Bewegungen spielten wenn dann im Zusammenhang mit kleineren, nicht über das Mittelmeer reichenden Entwicklungen eine Rolle, z. B. von Polen nach Italien. Gespräch mit Catherine Wihtol de Wenden, Büro CERI, (23.5.2011). 665 CERI, 1994–1996, a.a.O., (Anm. 663), S. 19. Hier waren Didier Bigo, Hélène Delorme, Zaki Laïdi und Françoise de La Serre Teilnehmer. 666 Ebd., S. 20. Anm. Béatrice Hibou und Luis Martinez waren zu diesem Zeitpunkt noch keine regulären Mitarbeiter des CERI, Ebd., S. 13. 667 Er wurde als Forscher des CERI und der Fondation nationale des sciences politiques (FNSP) vorgestellt, aber auch die Anbindung an das Centre Marc Bloch in Berlin wurde erwähnt.

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Deutschland forciert, Frankreich könne aber seine Rolle als Bindeglied und Vermittler („intermédiaire“) zwischen den beiden Systemen wiederfinden.668 Anfang des Jahres 1996 tauchten die ersten Hinweise auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Erklärung von Barcelona auf. Unter den „Rencontres du CERI“ finden sich beispielsweise Hinweise auf Veranstaltungen mit einer ehemaligen SWP-Expertin, die vor allem vor dem Hintergrund von Verflechtungsrepräsentationen interessieren.669 Das CERI setzte auch auf internationale Vernetzung mit deutschen und Brüsseler Experten, um sein Profil in der Auseinandersetzung zwischen Europa und dem Maghreb zu schärfen. Äußerungen, die in der Auseinandersetzung mit einem Maghrebstaat auf ein europäisches Bewusstsein hindeuten, finden sich in einem Text der Gastautorin Béatrice Hibou. Der Beitrag erschien in der Publikationsreihe Les Études du CERI und behandelte die wirtschaftliche Öffnung Marokkos im Zuge des Freihandelsabkommens mit der EU und nach der Verabschiedung der Erklärung von Barcelona im November 1995. Die Verfasserin kennzeichnete die EU als wichtigen Partner und Helfer insbesondere für den marokkanischen König, wobei sie mit dem Begriff „Europe“ vor allem die südeuropäischen Staaten meinte. Sie stellte dabei nicht einzelne nationale Projektionen gegeneinander, sondern beschrieb Spezialisierungen in den Wirtschaftsbeziehungen, genauer gesagt in den Warenströmen. So wurde zum Beispiel Frankreich als privilegierter Partner für die Weiterverarbeitung von Stoffen, Italien für Schuhe genannt. Vor allem Unternehmen aus südlichen EU-Mitgliedsstaaten (Frankreich, Italien, Spanien) würden Betriebsstandorte nach Marokko verlagern.670 Auch zu dem Thema der französischen Außenpolitik demonstrierte das Institut in verstärktem Maße seine europäischen Kompetenzen, insbesondere was die Bewertung des Integrationsprozesses anging. Ende 1996 wurde im Rundbrief des CERI eine dreitägige Veranstaltung zur Außenpolitik François Mitterrands für Mai 1997 angekündigt. Themenschwerpunkte waren die deutsche Wiedervereinigung, der Jugoslawienkrieg, das Ende des Kommunismus im Osten, die europäische Integration, der Angriff des Iraks auf Kuwait und die Politik im subsaharischen Afrika.671 Während die Konferenz ein sichtbares Zeichen für diese

668 Rémy Leveau, „L’Algérie au-delà de l’élection présidentielle, Réflexion – Notre collaborateur Rémy Leveau essaie de dégager des perspectives d’avenir pour le dossier algérien“, in: La Croix, (16.11.1995). 669 CERI, „Rencontres“, in: Nouvelles du CERI (1996), 25, Januar 1996. Der Titel der Veranstaltungen mit Gudrun Krämer lautete „Islamisme et démocratisation dans le monde arabe“; ein weiterer ähnlicher Fall war der Vortrag: „Le partenariat euro-méditerranéen après Barcelone“ (Michael Köhler). Siehe ausführlicher den Abschnitt zu Verflechtungsrepräsentationen. 670 Béatrice Hibou, Les enjeux de l’ouverture au Maroc. Dissidence économique et contrôle politique (Les Études du CERI, 15), (Paris, 1996), insbes. S. 22. 671 Im wissenschaftlichen Beirat („comité scientifique“) der Konferenz, die von Samy Cohen, einem Spezialisten für Sicherheitspolitik, organisiert wurde, saßen übrigens keinerlei Maghrebexperten, was die Nichtbehandlung des Themas Nordafrika ebenfalls nahelegte. Der

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Forschungsausrichtung war, wurde die verstärkt an europäischen Phänomenen interessierte Orientierung intern in einem Protokoll des Zentrumsbeirats deutlich, das in einem späteren Bericht abgedruckt war. Dort hieß es, die Fondation nationale des sciences politiques (FNSP) wünsche die Beziehungen mit USamerikanischen Universitäten zu vertiefen. Themen, die aus deren Perspektive im Hinblick auf Kooperationen interessierten, seien die Arbeiten zu Europa, daher habe das CERI auch die Teilnahme von vier Forschern an der Konferenz der European Community Study Association (ECSA) in Seattle im März 1997 finanziert. Bayart beabsichtige außerdem, Christian Lequesne als Vizedirektor (adjoint au directeur) einzusetzen, um die internationale Kooperation des CERI voranzutreiben (Christophe Jaffrelot solle die gleiche Position für den Bereich Asien einnehmen).672 Richard Descoings, der Direktor der Stiftung, informierte in diesem Zusammenhang mit motivierendem Unterton über weitere europäische Projekte. Das Zentrum Observatoire français des conjonctures économiques (OFCE) werde unter Beteiligung von Wissenschaftlern anderer europäischer Länder ab 1998 jährlich einen Bericht über den Zustand der EU veröffentlichen. Das Europazentrum habe ein Themennetzwerk und Stipendien zum Thema ins Leben gerufen. Unter der Leitung von Jean-Louis Quermonne und mit Unterstützung von Pierre Muller, der dem Centre d’étude pour la vie politique française (CEVIPOF) zugeordnet war, sowie von Christian Lequesne sei ein Cycle supérieur d’études européennes an der Doktorandenschule eingerichtet worden.673 In den wissenschaftlichen Bericht für die Jahre 1997 bis 1998 (Juni 1998) wurden zwei Listen über Auftragsforschungen in den Jahren 1997 und 1998 aufgenommen. Die Listen enthielten Angaben zu Auftraggeber, Inhalt, Höhe der Zuwendung und Laufzeit, jedoch nicht über die Verantwortlichen im CERI. Das Commissariat général du plan wurde mit einer Studie zum Thema „Les conséquences des accords euro-méditerranéens“ im Zeitraum 22. November 1996 bis 31. Oktober 1997 vermerkt (142.842 Franc).674 Unter den Leistungen im Rahmen einer globalen Förderung durch die Délégation aux affaires stratégiques (DAS) 675 gab der Bericht – neben Studien und Beratungsleistungen (consultances) – auch die Veranstaltung zur GASP an, die unter dem Titel „La PESC face à la nouvelle régionalisation du système international : Perspectives et priorités“ am 6. und 7. November 1997 abgehalten wurde. Auch die Volkswagenstiftung war

672 673 674 675

Beirat bestand aus Jean-François Bayart (dem CERI-Direktor und Spezialisten für SubsaharaAfrika), Pierre Hassner (einem Vordenker der Politischen Theorie und Philosophie), Denis Lacorne (einem USA-Spezialisten), Jacques Rupnik (einem Ost- und Mitteleuropaexperten) und Christian Lequesne (einem aufstrebenden EU-Forscher). CERI, „La politique extérieure de François Mitterrand à l’épreuve de l’àpres-guerre froide. Colloque organisé par le CERI les 13, 14 et 15 mai 1997“, in: Nouvelles du CERI (1996), 27, November 1996. CERI, „Conseil“, a.a.O., (Anm. 69), S. 30–31. Ebd., S. 32. CERI, Rapport scientifique. 1997–1998. Juin 1998, (Paris, 1998), insbes. S. 42. Dabei handelt es sich um eine Planungseinheit im französischen Verteidigungsministerium.

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mit einem Projekt vom 1. Januar 1997 bis 1. Januar 1999 aufgeführt, welches den Titel: „Intercultural Relations, Identity and Citizenship“ trug und mit 143.700 DM beziffert war.676 In der Liste zum Jahr 1998 wurde die Förderung des CERI von Seiten der Délégation aux affaires stratégiques (DAS) unter dem gleichen Titel aufgeführt, die Laufzeit war etwas verlängert und das Budget deutlich erhöht. Neben einigen Studien wurde unter den Beratungsleistungen unter anderem das Thema „La guerre civile en Algérie“ aufgeführt.677 Bei den Veranstaltungen drehte sich eine der drei aufgeführten am 26. und 27. November 1998 um das allgemeine Thema: „La question démocratique dans la société musulmane : le militaire, l’entrepreneur et le paysan“.678 Die EU wurde im Zuge der diversen euro-mediterranen Partnerschaftsabkommen als Akteur im Mittelmeerraum wahrgenommen und die Brüsseler Kommission trat vermehrt als Auftraggeberin für Expertisen in Erscheinung, teils in Kombination mit klassischen regionalwissenschaftlichen Themen. Auch in der 1998 gegründeten Zeitschrift des CERI, Critique Internationale, spielte die EU mit ihren Beziehungen nach Süden von Beginn der Publikation an eine wichtige Rolle. Ein Artikel des spanischen Beraters Víctor Pérez-Díaz (Analistas SocioPolíticos, Madrid) zur „europäischen Stadt“ beziehungsweise zum „europäischen Stadtstaat“ (Cité européenne), verstanden als das Konstrukt der europäischen Integration an der Schwelle zu einem neuen Ufer unter dem Stichwort Eurozone/Euroland, ging auf die GASP ein. Indem er sich auf Peter Ludlows gerade erschienenes Buch „The EU on the Eve of the 21st Century“ stützte, legte er dar, dass die EU eine echte Außenpolitik brauche, allerdings nicht im Sinne von hard power, sondern im Sinne eines „zivilen Raumes“ um Europa herum. Dieser solle im Osten und Süden als Erstes geschaffen werden, vielleicht als Etappe einer internationalen Zivilgesellschaft: À cette fin, il est de notre intérêt que les institutions fondamentales du gouvernement représentatif, de la vie politique libérale, de l’économie de marché et de la tolérance culturelle se répandent tout autour de nous.679

In den zunehmend in hauseigenen Publikationen veröffentlichten Arbeiten zum Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb nahm in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums die Kritik an der europäischen Seite zu. In einem gemeinsamen Papier der vom Direktor des CERI besonders protegierten Forscher Béatrice Hibou und Luis Martinez wurde die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) unter die Lupe genommen.680 Bei aller Skepsis fand sich in der speziellen 676 677 678 679

Ebd., S. 43. Ebd., S. 44. Ebd., S. 45. Víctor Pérez-Díaz, „La Cité européenne“, in: Critique Internationale (1998), 1 der Gesamtfolge, S. 101–126, insbes. S. 110. 680 Hibou & Martinez, Partenariat, a.a.O., (Anm. 645). Vgl. zum Thema der zunehmenden Kritik an der europäischen Politik den nächsten Unterabschnitt.

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Frage von Privatisierungen und Wettbewerb aber auch eine möglicherweise positive Rolle von Unternehmen aus EU-Mitgliedsstaaten. Im Laufe des Jahres 1998 hatte es eine Änderung in der Privatisierungspolitik gegeben, zwei maghrebinische Zementwerke wurden an Investoren aus Spanien und Portugal veräußert. Dies wurde im Artikel positiv vermerkt, eine vorteilhafte Wirkung auf Qualität und Organisation der Betriebe könne sich einstellen.681 Dieses spezielle europäische Engagement wurde somit nicht als schlecht angesehen, vielmehr sein Entwicklungspotential betont. Die Beziehungen zwischen der EU und den Nicht-EU-Ländern wurden im Rundbrief aus dem Januar 2000 thematisiert. Das Nachdenken über die europäische Integration und die Erweiterung wurde als schon lange bestehendes Forschungsinteresse des CERI dargestellt, genannt wurden Françoise de La Serre, Christian Lequesne und Jacques Rupnik. Mit der Perspektive der EU-Präsidentschaft Frankreichs in der zweiten Jahreshälfte 2000 habe sich das Engagement natürlicherweise intensiviert. Als Forschungsprojekt wurde hier unter anderem genannt: „Was europäische Zugehörigkeit bedeutet: Vergleich der politischen Ökonomie der europäischen Süd- und Osterweiterungen“.682 Interessant erscheint hier, dass die Kategorie Süden von derselben Forscherin abgedeckt wurde, die zuvor zur Ökonomie der Maghrebländer geforscht hatte, der Wirtschaftsexpertin Béatrice Hibou. Hier gab es ansatzweise eine Verbindung von europa- und regionalwissenschaftlicher Forschung. In dem Bestreben, mit den Vorurteilen gegenüber dem CERI als einem rein regionalwissenschaftlich orientierten Zentrum aufzuräumen, unterstrich der erste Abschnitt des Rundbriefs vom Januar 2000 die beiden Ausrichtungen des Instituts. Man wies darauf hin, dass es am CERI neben den Spezialisten für einzelne Regionen auch Forscher gebe, die sich schwerpunktmäßig mit den internationalen Beziehungen beschäftigten: „Or la spécificité du CERI tient notamment à ce qu’il abrite simultanément des spécialistes de différentes ‚aires culturelles‘ et de spécialistes des relations internationales.“683 Diese beiden Beiträge zeigen, dass die Leitung eine in erster Linie regionale Ausrichtung des Zentrums nicht wünschte, weshalb die Kompetenz im Bereich der akademischen internationalen Beziehungen und der EU-Schwerpunkt der CERI-Forschung unterstrichen wurden. Dies gilt im Übrigen für den ganzen Untersuchungszeitraum. Insbesondere die nach Außen gerichteten Publikationen und Verlautbarungen kommunizieren diese Ausrichtung des CERI. Zwar gab es mehr und mehr Berichte und Forschungsprojekte, die sich mit dem Verhältnis des Maghrebs

681 Ebd., S. 27. 682 Im Original lautete der hier frei übersetzte Titel: „Ce qu’appartenir à l’Europe veut dire : économie politique comparée des élargissements européens au sud et à l’est“. CERI, „Les écheances européennes du CERI“, in: Nouvelles du CERI (2000), Januar 2000. 683 Unter den aufgezählten Namen (zu denen allerdings sowohl CERI-Mitglieder als auch assoziierte Forscher gehörten) waren auch Zaki Laïdi und Ghassan Salamé. CERI, „Le CERI et les ‚aires culturelles‘“, in: Nouvelles du CERI (2000), Januar 2000.

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zu südeuropäischen Staaten oder dem konstitutionellen Europa als Ganzem beschäftigten, auch hier waren allerdings konzeptionelle und Personalstreitigkeiten zu erkennen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Der Slogan Einheit in Vielfalt oder die Vorstellung, dass europäische Investoren im Maghreb Dinge zum Positiven wenden konnten, waren Formen eines europäischen Bewusstseins, das die eigene (süd-)europäische Rolle in Bezug zum Maghreb definierte. Zwar thematisierten die Autoren, wann immer von Südeuropa die Rede war, häufig implizit das unterschiedliche Engagement innerhalb der Gemeinschaft; eine explizite Gegenüberstellung der Interessenlagen im Osten und Süden kam jedoch selten vor. Rémy Leveau als Wanderer zwischen den Welten machte allerdings genau diese Unterscheidung zwischen den deutschen und den französischen Interessen – nicht ohne eine Lösung anzubieten, bei der Frankreich vermitteln sollte.684 Sicherlich waren nicht alle Einschätzungen der europäischen Projekte positiv – vielfach wurde im gleichen Atemzug gelobt und kritisiert – und doch zeigten gerade die internen Berichte, dass die CERI-Leitung und die einzelnen Forscherinnen und Forscher sich zunehmend auf Vorhaben aus Brüssel einstellten, die das westliche Mittelmeer, das Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb oder die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) betrafen. Insbesondere die Auflistungen der Forschungsaufträge sind Indikatoren für diese Veränderungen. In diesem Zusammenhang tauchten Repräsentationen auf, die Europa als eine zu kritisierende Macht darstellten, dem damit also (zumindest implizit) eine teilweise Akteursfähigkeit zugesprochen wurde. Kritik an der Rolle des konstitutionellen Europas im Maghreb Im CERI verstanden Forscherinnen und Forscher die europäische Seite in der Beziehung zwischen Europa und Maghreb als die eigene. Allerdings war die Kritik an dieser Rolle dort auch am stärksten ausgeprägt, auch wenn die zunehmende Ausrichtung auf Prozesse im Maghrebraum, die auf das konstitutionelle Europa zurückgingen, zunächst dagegen zu sprechen scheint.685 Teilweise vernichtende Kritiken finden sich vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, also eben zu der Zeit, als unter Jean-François Bayart die Kompetenz des CERI in europäischen Fragen zunahm. Bei genauerem Hinsehen ist dies aber doch nicht verwunderlich, da im Beratungsmetier kritische Stimmen im Vergleich zu optimistischen Ein-

684 Leveau, „Algérie“, a.a.O., (Anm. 668). 685 In der Wahrnehmung der europäischen Seite als der eigenen Rolle unterscheiden die CERIMitglieder sich nicht von den anderen untersuchten Fallbeispielen. Zur vermehrten Orientierung des Zentrums am konstitutionellen Europa siehe den Abschnitt zu institutionellen Entwicklungen.

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schätzungen eine profundere Kenntnis verheißen.686 Zudem billigt jede Kritik ihrem Gegenstand Relevanz zu (sonst könnte man ihn ignorieren). Daher lohnt es sich, die wichtigsten Kritikpunkte zusammenzustellen und als eine spezielle Form der Selbstrepräsentation zu betrachten – nicht zuletzt, um sie mit denen der anderen untersuchten Institute zu vergleichen. Eine frühe Kritik ist ausgerechnet in dem einzigen Beitrag einer CERIForscherin in einem Sammelband enthalten, der aus der Zusammenarbeit mit südeuropäischen und maghrebinischen Instituten hervorging. Die Migrationsexpertin Catherine Wihtol de Wenden nahm hier deutlicher, als dies die Maghrebexperten des CERI zu dieser Zeit taten, den Zusammenhang zwischen gemeinschaftlichem Europa und Problemen im westlichen Mittelmeerraum unter die Lupe. Der Text beschäftigte sich vor allem mit der Einwanderungspolitik der einzelnen Länder, die je nach Lage und Tradition unterschiedlich auf neue Herausforderungen reagierten, und beleuchtete die Perspektiven für Europa und den Mittelmeerraum. Die Einführung des freien Personenverkehrs mit der Einheitlichen Europäischen Akte habe die Gegensätze zwischen Gemeinschaftsangehörigen und „Außergemeinschaftlichen“ („communautaires“; „extra-communautaires“) verstärkt. In Westeuropa lehne man die Rolle als Immigrationsziel für den Süden und Osten tendenziell ab.687 Drei Perspektiven seien beinahe unvermeidbar: ein beständiger Migrationsdruck, die Versuchung, in einen europäischen Isolationismus abzugleiten und die Notwendigkeit, im Mittelmeerraum zu regionalen Integrationsformen zu gelangen. Zwar sei seit Beginn der 1970er Jahre in den drei Maghrebländern ein Rückgang der Geburtenrate festzustellen, der demographische Druck bleibe aber über das Jahr 2000 hinaus bestehen.688 Der Isolationismus zeige sich unter anderem in einem zurückgehenden Interesse am Mittelmeerraum, da die europäischen Prioritäten die EG und Osteuropa seien.689 Vor allem das Schengener Abkommen führte nach Ansicht von Wihtol de Wenden dazu, dass dem Ost/West- ein Nord/Süd-Gegensatz folge.690 Einige Indizien deuteten auf eine im Entstehen begriffene „regionale mediterrane Identität“ („identité régionale méditerranéenne“) hin, zum Beispiel die „Scheinbewerbungen“ („candidature fictive“) von Marokko und der Türkei um eine EGMitgliedschaft.691 In Europa bleibe noch viel zu tun, um eine Immigration aus dem Süden annehmbar zu gestalten, die eines der entscheidenden Elemente des 686 Im Kontext der deutschen Beratungslandschaft weist Martin Thunert darauf hin, dass in der ersten Stufe des Beratungsprozesses, der Problemdefinition, Expertisen als Warnungen und Leitlinien Einfluss im politischen Prozess haben. Thunert, „Germany“, a.a.O., (Anm. 383), S. 85. 687 Catherine Wihtol de Wenden, „Flux migratoires et politiques d’immigration européennes“, in: Européens et Maghrébins. Une solidarité obligée, hrsg. von Álvaro de Vasconcelos (Collection „Hommes et sociétés“), (Paris: Éd. Karthala, 1993), S. 65–87, insbes. S. 78. 688 Ebd., S. 79. 689 Ebd., S. 81. 690 Ebd., S. 83. 691 Ebd., S. 84.

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Dialogs beziehungsweise Konflikts zwischen dem Maghreb und Europa sei. 692 Diese vor allem auf Defizite der europäischen Staaten und der Gemeinschaft dieser Staaten bezogene Sichtweise nimmt viele Argumente vorweg, die später im CERI, aber auch in den anderen hier untersuchten Instituten geäußert wurden. Möglicherweise gerade wegen des Publikationskontextes beleuchtete der Beitrag im Gegensatz zu vielen anderen Auslegungen besonders die Seite eines europäischen Bewusstseins, das sich nach Meinung der Autorin vor allem in der Migrationsfrage weg von einer Konfliktbereitschaft und hin zum Dialog entwickeln sollte. Derzeit sei es von einem angemessenen Verständnis der eigenen Rolle aber noch weit entfernt. Der CERI-Forscher Zaki Laïdi betrachtete die EU vor allem aus dem Blickwinkel der Veränderungen des internationalen Systems. In einer der ersten Ausgaben des Pressespiegels Revue de Presse du CERI nahm die Redaktion einen Artikel aus der Monatszeitung Le Monde Diplomatique auf, der einen kurzen Hinweis auf das CERI enthielt.693 In dem Artikel, der neue Formen von Konflikten und regionale Konfliktlösungsmechanismen zum Thema hatte, wurde die EU als ein Ergebnis der Erinnerung an den Krieg charakterisiert. Diese habe vierzig Jahre lang als Motivation gedient; für die kommende Generation sei dies allerdings als einziges Ziel problematisch. Die Gewalt sei gleichwohl nicht aus der Welt, denn an den Grenzen der Union gebe es Konflikte in Hülle und Fülle. Abschließend warf Laïdi die Frage auf, ob diese Bedrohung für die Konstruktion einer europäischen Identität genüge: Désormais, il devient difficile d’inciter les jeunes à édifier l’Europe dans le seul but de prévenir la guerre entre eux. Pour leur grande majorité, celle-ci est devenue impensable. Naturellement, les risques de conflits aux frontières de l’Union sont légion, mais suffisent-ils à forger une identité européenne ?694

In dieser Kritik findet sich das Bewusstsein eines Mangels an innereuropäischer Übereinstimmung. Laïdi stellte im gleichen Atemzug die Katalysatorfunktion der Sicherheitspolitik gegenüber den Anderen am Rand der EU in Frage. Schließlich verband er damit die Suche nach „Identität“ nach dem Ende des 40-jährigen Kalten Krieges. Heute hat diese Umbruchsdeutung als die alt gewordene Geschichte „vom europäischen Phönix aus der Asche“ Konjunktur, im CERIKontext tauchte sie allerdings seltener als anderswo auf.695 Aufgrund der

692 Ebd., S. 85–86. Wihtol de Wenden meinte in diesem Zusammenhang, eine konzertierte Kooperation lasse sich nur durch einen Dialog der Zivilgesellschaften verwirklichen. 693 „Chercheur au CNRS [Centre national de la recherche scientifique] (Centre d’études et de recherches internationales), auteur d’Un monde privé de sens. Fayard, Paris 1994.“ Hervorhebung im Original, Laïdi, „Après“, a.a.O., (Anm. 39). 694 Ebd. 695 Andreas Wirsching, „Nation, Demokratie, Integration. Ein europäisches Modell für die ‚Weltgesellschaft‘?“, in: Entwicklungsmodell Europa. Entstehung, Ausbreitung und Herausforderung durch die Globalisierung, hrsg. von Paul Messerli, Rainer C. Schwinges & Thomas Schmid, (Zürich: vdf Hochschulverl., 2011), S. 71–86, insbes. S. 81.

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politischen Ausrichtung der Zeitung Le Monde Diplomatique veröffentlichte Laïdi später auch zu anderen Themen nicht mehr dort, sondern eher in der Tageszeitung Le Monde.696 Auf seiner Kommentarseite in der Monatszeitschrift Croissance beschäftigte sich der Direktor des CERI, Bayart, im April 1997 mit den oft verdrängten Problemen im Maghreb, die seiner Meinung nach die EU zumindest mitverursachte. Die Publikation erschien ab 1990 unter diesem Titel im Verlagshaus Malesherbes-publications.697 Bayart zufolge stellte der beabsichtigte Freihandel mit der EU Marokko und Tunesien vor große Probleme. Aus der Sicht des Maghrebs sei die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) sehr fragil, da die EU nicht alle Konsequenzen aus dem Projekt ziehe; als Beispiel nannte er die Visapolitik des Schengenraums. Europa müsse sich hier entsprechend seiner Ambitionen in der Region verhalten, anstatt der Fiktion einer „immigration zéro“ (Null-Immigration) hinterherzulaufen. Ähnlich wie Catherine Wihtol de Wenden meinte Bayart in diesem Beitrag, dass die Gemeinschaft der europäischen Staaten in ihren außenpolitischen Vorhaben nicht weit genug gehe.698 Im März 1998 konzentrierte sich Jean-François Bayart an gleicher Stelle auf eine Mission des Europäischen Parlaments in Algerien und machte bei dieser Gelegenheit auf eine grundlegende Inkonsequenz der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) aufmerksam. Die Konflikte in Algerien, schrieb er, seien vielschichtiger, als dies in der EU wahrgenommen werde. Auch die Beiträge des Intellektuellen BernhardHenri Levy in der Zeitung Le Monde kritisierte Bayart mit derselben Begründung. Die Union propagiere die Partnerschaft im Maghreb einerseits als Demokratisierungsprojekt, andererseits begreife man die Zusammenarbeit lediglich als Teil einer Sicherheitsmaschinerie zur Eindämmung der Islamismus- und Migrationsgefahr.699 In der ersten Ausgabe der unter seiner Leitung gegründeten Zeitschrift, Critique Internationale, äußerte sich Bayart unter der einleitenden Rubrik „Gegenlicht“ (Contre-jour) zur Debatte um die EU und die Rolle von Laizität und Demokratie in der Türkei. Dabei streifte er auch das Thema der weiteren Beziehungen der EU und die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP). Letztere werde mit der Politik der EU gegenüber der Türkei auf eine Sicherheitspartnerschaft reduziert, da das ökonomische Gewicht der Türkei vernachlässigt werde. Zudem 696 Gespräch mit Zaki Laïdi, Büro Centre d’études européennes, (25.5.2011). 697 Der vormalige Direktor des CERI, Jean-Luc Domenach, saß in einem Beratungsgremium des Verlagshauses. 698 Jean-François Bayart, „Les eaux dormantes du Maghreb“, in: Croissance (1997), 403, April 1997, S. 50. Die EU-Organe hatten hier weniger Einfluss, dennoch bekam die Kommission in dieser Zeit mehr Möglichkeiten, gemessen am Stand vor Maastricht (auch mit dem Vertrag von Amsterdam 1997). Ulrich Brückner, „Kompetenzerweiterung partout – Die Europäische Kommission im Prozeß der Europäischen Integration“, (1999), http://www.diss.fuberlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000000206 (17.1.2014), insbes. S. 12. 699 Jean-François Bayart, „Euro-pantomime au Maghreb“, in: Croissance (1998), 413, März 1998, S. 50.

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werde nicht nur die Türkei insgesamt, sondern auch Istanbul, eine Stadt, die mit der zunehmenden Abgrenzung der „Festung Europa“ („forteresse Europe“) eine zentrale Position zwischen dem russischen Raum, dem Balkan, Zentralasien, Nordafrika und sogar Subsahara-Afrika einnehme, abgewiesen.700 Der Afrikaund Türkeispezialist machte seine Kritik an einem ebenso symbolträchtigen wie historischen Ort, der Stadt Istanbul, fest und argumentierte einmal mehr gegen eine zu starke Betonung der sicherheitspolitischen Aspekte in den Beziehungen zwischen der EU und anderen Weltregionen. Einen wichtigen Stellenwert innerhalb der anderen Regionen nahm auch bei ihm Nordafrika ein, obwohl Bayarts Hauptinteresse der Türkei und vor allem dem subsaharischen Afrika galt. Ausführlicher erfolgte eine Kritik an der Rolle der EU und der europäischen Staaten in dem wissenschaftlichen Arbeitspapier zur Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP), welches insbesondere die Verbindungen zwischen Europa und dem Maghreb in den Blick nahm und dabei auch einige positive Aspekte anführte. Im Hinblick auf die angestrebte Transformation der südlichen Anrainer des Mittelmeeres setzten die Autoren Béatrice Hibou und Luis Martinez hinter die Rolle „Europas“ in diesem Beitrag jedoch ganz explizit ein Fragezeichen. Zahlreiche Probleme, die nicht in der Hand der Partnerschaft lägen, stellten ihrer Meinung nach Fortschritte in Bereichen wie Sicherheit, Demokratie und Wirtschaft zumindest in Frage: L’énumération des conditions nécessaires à la réalisation des cercles vertueux suggère les difficultés que doivent surmonter les pays pour que le Partenariat ait un véritable impact positif sur le maintien de la paix et de la sécurité, sur l’amélioration des situations démocratiques et sur le développement économique. […] On peut se demander ce que le Partenariat peut concrètement apporter aux gouvernements chargés de gérer ces transformations et quel est le rôle exact de l’Europe. 701

Auch die Konzentration in der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) darauf, einen Transformationsprozess anstelle von Entwicklungszusammenarbeit zu befördern, sei kritikwürdig. Wirtschaftspolitisch stellten die Autoren dem Projekt ein schlechtes Zeugnis aus: Die Politik der Gemeinschaft sei eine Fortsetzung der Vorgaben des Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Weltbank und wiederhole deren Fehler, indem sie die Finanzierungsvorbehalte aufweiche („l’assouplissement des conditionnalités“) und die Vergabe der Mittel des MEDA-Fonds zu wenig beaufsichtige. Wegen ihrer Fokussierung auf Transformationsprozesse hätten die EU-Mitgliedsstaaten wichtige EU-Instrumente wie die Förderung des Gesundheits- und Bildungswesens vernachlässigt und damit ein wichtiges politisches Instrument aus der Hand gegeben.702 Deutliche Kritik übten Hibou und Martinez auch an der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) und ihren Mitgliedern. Die im Verbund zusammengeschlossenen 700 Ders., „L’Europe et la laïcité contre la démocratie en Turquie“, in: Critique Internationale (1998), 1 der Gesamtfolge, S. 15–22. 701 Hibou & Martinez, Partenariat, a.a.O., (Anm. 645), S. 18. 702 Ebd., S. 31–33.

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sicherheits- und verteidigungspolitischen Institute stärkten im Gegensatz zur Zielsetzung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) im Maghreb die Position der militärischen und paramilitärischen Institutionen gegenüber der Zivilgesellschaft.703 Noch immer als frei verpflichtete Autorin steuerte Béatrice Hibou im Dezember 1999 eine weitere Studie in der Reihe Les Études du CERI bei, deren Titel frei übersetzt „Die Spielräume eines wirtschaftlichen Musterschülers: Das Tunesien Ben Alis“ lautete.704 In dem Text ging Hibou der Frage nach, warum Tunesien trotz der „sowjetischen“ Ergebnisse bei den Wahlen vom Oktober desselben Jahres von seinen internationalen Partnern weiterhin als Musterschüler in Sachen Ökonomie wahrgenommen werde. Sie fragte sich darüber hinaus in der Tradition der politischen Ökonomie, warum keinerlei Druck wegen der politischen Missstände ausgeübt wurde. Hibou stellte fest, dass in wirtschaftlicher Hinsicht sowohl der Internationale Währungsfonds (IWF) als auch die Weltbank unbeeindruckt von politischen oder humanitären Zuständen viel Geld in die Hand nähmen, um die tunesischen Projekte zu unterstützen. Über die internationalen Organisationen näherte sie sich den Vorstellungen des Eigenen an. Die Rolle Europas kennzeichneten dabei Entscheidungen in Brüssel: Vor und nach der Konferenz von Barcelona sei Tunesien immer das am großzügigsten bedachte Empfängerland in der Region gewesen. Auf nationaler Ebene werde in Frankreich das „Modell“ Tunesien glorifiziert.705 An den internationalen Institutionen, aber auch an einzelnen Partnerstaaten, übte Hibou Kritik für die apolitische Haltung angesichts der Menschenrechtsverstöße des tunesischen Regimes. Die EU habe es in der Erklärung von Barcelona vermieden, einen politischen Vorbehalt zu setzen. Der politische Teil der Deklaration nehme auf die jeweiligen Umstände der einzelnen Partner Rücksicht, wenn es darum gehe, einen Rechtsstaat beziehungsweise eine Demokratie zu entwickeln. Eine solche Formulierung sei eine Blankovollmacht, was dadurch bestätigt werde, dass Reaktionen auf Menschenrechtsverletzungen im Kontext der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) ausgeblieben seien.706 In ihrer Analyse des „Musterschülers“ erkannte Hibou eine spezifisch europäische Komponente in den Beziehungen zwischen südlichem und nördlichem Ufer des Mittelmeers. Das Urteil über die Politik fiel in dieser Hinsicht negativ aus, vor allem in Menschenrechtsfragen, die auch Teil der Erklärung von Barcelona waren.707 Der kritische Impetus führte häufig zu einer eher die Unterschiede zwischen beiden Mittelmeerküsten unterstreichenden Sicht auf die Maghrebländer. Wenn es

703 Ebd., S. 35. 704 Béatrice Hibou, Les marges de manœvre d’un „bon élève“ économique : la Tunisie de Ben Ali (Les Études du CERI, 60), (Paris, 1999). In der Autorenanmerkung wurde sie als „Chercheur au CNRS“ beim „Centre d’Etude d’Afrique Noire“ (CEAN) in Bordeaux angegeben. 705 Ebd., S. 3. 706 Ebd., S. 28 Anm. 115. 707 Grußendorf & Hoffmann, Frieden, a.a.O., (Anm. 481).

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darum ging, wie sich die Handelnden auf der eigenen Seite verhielten, übten die Autorinnen und Autoren auch hier deutliche Kritik. Zumeist wurde in diesen Fällen ein zu großer Optimismus angeprangert, der den Blick auf die Beziehungen kennzeichne. Beide Perspektiven zusammengenommen führten zu Europarepräsentationen, die eine größere Kluft zwischen Nord- und Südküste, zwischen Rhetorik und Realpolitik beinhalteten. Die Selbstrepräsentation eines ambivalenten Akteurs EU im Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb hatte im Untersuchungszeitraum mit dem Arbeitspapier „Le Partenariat euro-maghrébin“ ihren Höhepunkt. Sie ist eng verbunden mit den Einschätzungen des damaligen CERI-Direktors, Jean-François Bayart, und der von ihm geförderten Autorin Béatrice Hibou, zu einem geringeren Teil auch mit denen des Nachwuchsforschers Luis Martinez. In der Schärfe der Angriffe unterschieden sich die Kommentare und Analysen im Umfeld des CERI und seines Leiters deutlich von den aus anderen Instituten stammenden – im Hinblick auf die Kritik an der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) sind sie sogar einmalig. Das verwundert nicht, waren doch alle anderen untersuchten Institute Gründungsmitglieder dieses Netzwerks. Die kritischen Meinungen können nicht ausschließlich mit der Tatsache erklärt werden, dass das CERI im Untersuchungszeitraum kein Netzwerkmitglied war, sicher ist allerdings, dass die kritisch gehaltene Beschreibung der Krise von der Annahme ausging, dass auf diese Situation reagiert werden konnte. In jedem Fall sind sowohl die kritischen als auch die positiveren Einschätzungen der eigenen Rolle nicht ohne die Fremdwahrnehmungen – die Repräsentation des Anderen im Maghreb – zu verstehen. DAS ANDERE IN DEN PUBLIKATIONEN DES CERI Das CERI steht historisch mehr als alle anderen untersuchten Institute für einen Ansatz, der die Repräsentationen des Anderen stark betonte. Jedoch lässt sich feststellen, dass im gesamten Untersuchungszeitraum eine mehr oder weniger ausschließlich regionalwissenschaftliche Betrachtung des Maghrebs nicht mehr gefragt war. Insofern sind die herausgearbeiteten Muster, mit denen CERIMitglieder den Maghreb als anders charakterisierten, motivisch verwandt mit den bereits geschilderten Eigenrepräsentationen in den Beschreibungen und Debatten über die Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb. Parallel zum Argument, dass geographische Gegebenheiten einen südeuropäischen oder europäischen Akteur in den internationalen Beziehungen erforderten, ließ sich zum Beispiel die Akteursrolle des Maghrebs ebenfalls erdkundlich begründen.708 Dabei fällt auf, dass neben der räumlichen zuweilen eine 708 Akteur konnte der Maghreb, verstanden als relativ einheitliche Region, sein. Alternativ erfolgte die Gegenüberstellung Europas als handelnde Einheit gegenüber einzelnen Maghrebstaaten.

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zeitliche Ordnung benutzt wurde, die sich auf unterschiedliche Entwicklungsphasen am nördlichen und südlichen Rand des Mittelmeers stützte, um in gewisser Weise einen Gegenpart zum vormals ähnlicheren Europa zu konstatieren. Forscherinnen und Forscher aus dem Bereich der internationalen politischen Ökonomie analysierten aus der Sicht ihres Faches Divergenzen zwischen Europa und Maghreb.709 In den Analysen des CERI wurden ökonomische und damit zusammenhängende politische und administrative Eigenheiten der Maghrebstaaten als trennende Faktoren sichtbar. Wie schon bei den deutschen Instituten gezeigt, bot die Untersuchung einzelner nationaler Perspektiven auf das Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb eine weitere Möglichkeit, Fremdrepräsentationen zu formulieren. Diese stilisierten den Maghreb als das Andere, aber nicht einer vorhandenen europäischen Einheit, sondern als Projektion, an deren Beispiel deutlich wurde, dass die Vielfalt der außenpolitischen Entwürfe die Fragilität des Einigungsprojektes selbst offenlegte. Diese Perspektive war eher selten; sie verschränkte sich allerdings mit dem Thema der Gewalt und der Krise insbesondere in Algerien, da hier die unterschiedlichen historischen Entwicklungslinien zwischen europäischen Staaten zu Tage traten. Der algerischfranzösische Krieg rief so auch dreißig Jahre später noch Fremdzuschreibungen hervor. Räumliche und zeitliche Unterscheidungsmerkmale und Ordnungsmuster Auch wenn einzelne Maghrebstaaten sich in ihrer Entwicklung unterschieden, die CERI-Forscherinnen und -Forscher nutzten räumliche und zeitliche Unterscheidungsmerkmale beziehungsweise Ordnungsmuster, um den Maghreb insgesamt als grundverschieden von Südeuropa beziehungsweise Europa zu zeichnen. Damit soll nicht verschwiegen werden, dass einzelne Entwicklungen in den Maghrebstaaten, die sich voneinander unterschieden, ebenfalls Eingang in die Darstellungen fanden. Dennoch ergab sich oft der Eindruck, dass großräumigere Prozesse auch größere Relevanz hatten. Wie schon im Falle der SWP und DGAP konnte etwa die Richtung der Migrationsströme dazu dienen, Differenzen zu unterstreichen. „Streben nach Zugehörigkeit“, so könnte man frei einen Ausdruck übersetzen, mit dem Anfang der 1990er Jahre der CERI-Forscher Zaki Laïdi den Global-Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden charakterisierte.710 Protagonisten des

709 In diesem Forschungsfeld standen nicht so sehr die kulturellen Unterschiede im Mittelpunkt, sieht man davon ab, dass auch Herrschafts- und Wirtschaftsordnung kulturell (beispielsweise mit dem Begriff althergebracht) betrachtet wurden. 710 Der frühe Verweis Laïdis bildet auch ein Beispiel in dem breiter angelegten Diskussionsbeitrag: Johan Grußendorf & Andreas Weiß, Europarepräsentationen. Spanien, Frankreich und Deutschland im Vergleich (Working Papers des Sonderforschungsbereiches 640, 3/2010), (Berlin, 2010), http://edoc.hu-berlin.de/series/sfb-640-papers/2010-3/PDF/3.pdf (18.3.2012).

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Nordens waren für ihn die USA, Japan und Europa, für den Süden standen unter anderem Algerien und Marokko, die in diesem Konflikt als unterlegene „Tiers Monde“ (Dritte Welt) auftraten.711 Hinter dieser Einteilung stand mehr als nur eine ökonomische Klassifikation von Staaten oder Erdteilen, sie stand auch für ein europäisches Selbstverständnis. Die Forschung zeigt in diesem Zusammenhang einen Wandel der europäischen Perspektive: Die Idee einer universalen Zivilisation war in vielen Bereichen aufgegeben worden; die Lücke sollte die europäische Integration und eine spezielle Form der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit mit der „Third World“ füllen. Diese Repräsentation hing eng mit der Geschichte der europäischen, insbesondere der französischen Beziehungen zu den arabischen Staaten des nördlichen Afrikas zusammen.712 Im CERI bekam neben der Vorstellung verschiedener Welten im Hinblick auf Unterscheidungsmerkmale und räumliche Ordnungsmuster die Migrationsthematik besonderes Gewicht. Laut dem Forschungsbericht des CERI vom Juni 1994 waren Rémy Leveau und die CERI-Forscherin Nicole Grimaud für die Maghrebregion und vornehmlich die Themen Außenpolitik der drei Staaten sowie deren Beziehungen zu Frankreich und zur EG zuständig.713 Der Bericht enthielt außerdem ein Verzeichnis der Auftragsarbeiten des CERI. Für das Thema Migration war vor allem das erwähnte Forschungsprojekt unter Leitung von Rémy Leveau und Riva Kastoryano von Bedeutung.714 In einem Interview mit der CERI-Forscherin Nicole Grimaud kristallisierte sich die Fremdrepräsentation in Form einer Aufgabenstellung der französischen Regierung heraus. Au-delà de la nécessaire clarification de ses rapports avec Alger, le Gouvernement français devrait favoriser entre le Maroc et la Tunisie une coopération nécessaire à la stabilité régionale. Il devrait également encourager les trois Etats du Maghreb à définir une gestion harmonieuse de leur immigration.715

Obwohl das Interview nur etwa einen Monat vor der Barcelona-Konferenz im November 1995 stattfand, verwies die Forscherin nur kurz auf die Konferenz, der Fokus des Gesprächs lag klar auf der Migrationsfrage. Aufhänger war zudem nicht die sich abzeichnende Konferenz, sondern die Spannungen zwischen dem 711 Zaki Laïdi, De l’hégémonie à la „prédation“ ? Hypothèses sur la transformation de la puissance américaine (Les Cahiers du CERI, 1), (Paris, 1991). 712 Erik Tängerstad, „‚The Third World‘ as an Element in the Collective Construction of a PostColonial European Identity“, in: Europe and the other and Europe as the other, hrsg. von Bo Stråth (Series multiple Europes, 10), (Brüssel, Bern, Berlin u. a.: Peter Lang, 2000), S. 157– 193. 713 CERI, Rapport 1990–1994, a.a.O., (Anm. 398), S. 34. 714 Ebd., S. 144. 715 Jean-François Verdonnet, „Chirac pris au piège de la politique algérienne. L’annulation de la rencontre du président français et de Liamine Zeroual rélève une fois encore les ambiguïtés de la politique de Paris en Algérie“, in: Tribune de Geneve, (24.10.1995). Aus dem weiteren Kontext wurde deutlich, dass die Immigration aus dem Maghreb nach Frankreich gemeint war.

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französischen Präsidenten Jacques Chirac und dem algerischen Staatsoberhaupt Liamine Zeroual. Die nationale Agenda war neben der räumlichen Unterscheidung anhand von Migrationsrouten entscheidend.716 In einer Notiz, die der Nummer 14 der Reihe Les Cahiers du CERI vorangestellt war, erläuterte Zaki Laïdi, dass der vorliegende Band das Resultat einer mehrjährigen, interdisziplinären Untersuchung sei, die an der Erneuerung der akademischen Disziplin der internationalen Beziehungen mitwirken sollte.717 Der Text werde vorab zur Debatte gestellt („mis en débat“), er solle bei einer Buchveröffentlichung unter dem Titel „Le temps mondial“, die im Brüsseler Verlagshaus Complexe erscheinen sollte, als Einleitung dienen.718 „Le temps mondial“ sollte, so Laïdi, neben der Vorstellung einer Zeitgebundenheit und Beschleunigung der Politik auch darauf verweisen, dass jede Gesellschaft das Weltgeschehen nicht direkt, sondern in einen regionalen Kontext eingebettet wahrnahm. Dans une société mondiale où les Etats-nations existent toujours, le temps mondial transite généralement par un espace régional de sens auquel les sociétés s’identifient plus ou moins explicitement : l’Europe pour les Français, le Maghreb ou le monde musulman pour le Maroc, l’Asie pour le Japon ou la Chine, etc.719

Für Marokko bedeute dies, dass vor allem der Bezug auf Algerien die Wahrnehmung dessen bestimmte, was als „temps mondial“ bezeichnet wurde. Die Aufstände in Algier 1988 seien aus diesem Blickwinkel sehr viel wichtiger als der Mauerfall in Berlin ein Jahr später. Indirekt beeinflusse der Bürgerkrieg in Algerien mittlerweile die Geldgeber Marokkos, da keinerlei Anstrengungen mehr unternommen würden, beispielsweise das Anwachsen des öffentlichen Dienstes, die mangelhafte internationale Wettbewerbsfähigkeit, den Protektionismus, die Massenarbeitslosigkeit und die zunehmende soziale Ungleichheit zu bekämpfen.720 Laïdi verstand sich selbst nicht als Regionalwissenschaftler, sondern befasste sich in erster Linie aus theoretischer Warte mit den internationalen Beziehungen; gleichwohl hatte er einen familiären Hintergrund, wie er zum Beispiel an deutschen Instituten selten war.721 716 Ebd. 717 Aus dem CERI sei Christophe Jaffrelot beteiligt gewesen, ein Indienspezialist, Kommentare zu einem Studientag seien u. a. von Jean-François Bayart, Gilles Kepel und Rémy Leveau sowie Jean Leca (Institut d’études politiques [IEP], Paris) eingeflossen. 718 Diese Notiz zeigt eindrücklich die Verschränkung der verschiedenen Formen, wie Texte aus dem CERI in die Debatte Eingang fanden: Mit Bayarts Strategie (siehe auch im einleitenden Abschnitt zu den institutionellen Entwicklungen) konnten Texte als Arbeitspapier Diskussionen anregen, bevor sie in Buchform erschienen. Zaki Laïdi, Le temps mondial. Enchaînements, disjoncitons et médiations (Les Cahiers du CERI, 14), (1996), insbes. S. 3. 719 Ebd., S. 30. 720 Ebd., S. 30–32. 721 Gespräch mit Leca, a.a.O., (Anm. 662). Diese Bezüge konnte er in Fallbeispielen mobilisieren, selbst wenn er in seiner Forschung wenige Verbindungen in diese Richtung herstellte.

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In der Publikationsreihe Les Cahiers du CERI veröffentlichte der CERIDirektor Jean-François Bayart 1996 den aktualisierten Text eines Vortrags, den er 1989 auf einer Konferenz der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung und dem Institute of Development Studies (Universität Sussex) in Berlin gehalten hatte.722 In dem Papier ging es um die historischen Prozesse, die zu einer sozialen und kulturellen Anverwandlung der Institutionen der europäischen Staaten in Afrika und Asien geführt hatten. Bayart griff immer wieder auf nordafrikanische Beispiele zurück. Wenig bekannt sei, dass die Maghrebstaaten bereits vor ihrer Abhängigkeit vom Okzident existiert hätten – auch die Konflikte in der Sahelzone zeigten, dass sie ihren „Drang nach Süden“, den die europäische Kolonialverwaltung nur unterbrochen habe, wieder aufnähmen.723 Auch Bayart führte Algerien als zentrales Beispiel dafür an, dass der jeweilige eigene Kontext externe Einflüsse und Ereignisse vermittele. Als historischen Fall für solche äußeren Einflüsse nannte Bayart die nationalistische Mobilisierung nach dem Zweiten Weltkrieg, als aktuellere Entwicklung, dass die Menschen vermehrt Demokratisierung einforderten. Der Fall der Berliner Mauer habe ohne Zweifel weniger zum Erwachen der Demokratie beigetragen als der Übergang Algeriens zu einem Mehrparteiensystem. Andererseits verwies er auf die auf dem Rücken der Frauen ausgetragenen Kampagnen für oder gegen Verschleierung in Algerien, um zu verdeutlichen, dass es bei der Untersuchung von Institutionen, politischen Systemen und sozialer Ungleichheit notwendig sei, kulturelle Bewegungen mit einzubeziehen.724 Wie schon Laïdi wählte auch Bayart eine historische Perspektive für seine Überlegungen, wenn er sich unter Berufung auf den französischen Historiker Fernand Braudel gegen die These wandte, der zeitgenössische Staatsapparat sei in Afrika und Asien fremd.725 Obwohl er gegen eine Europamanie726 anschrieb und sich auch wenig Hinweise in seinem Text finden, dass europäische Einflüsse im Maghreb besonders zentral waren, also kein ausgeprägtes europäisches Bewusstsein von ihm herausgestellt wurde, gab es doch eine paradoxe europäische Komponente, was die Staatsvorstellungen anging, die er mit seiner Sichtweise kritisch hinterfragte. In der Publikationsreihe Les Cahiers du CERI wurden so von Anfang der 1990er Jahre bis in die Mitte des Jahrzehnts im Spiegel des Anderen verschiedene, zunehmend abgeschlossene Europa-

722 Jean-François Bayart, L’historicité de l’Etat importé (Les Cahiers du CERI, 15 der Gesamtfolge), (1996), insbes. S. 3. 723 Ebd., S. 11–13. Zitat S. 13, im Original deutsch. 724 Ebd., S. 18. „[…] en Algérie, les terroristes islamistes entreprennent d’abattre les femmes non violées, meurtres auxquels répondent des assassinats de femmes violées […].“ Ebd., S. 18, 38. 725 Auf die Entwicklung in Richtung Determinismus, für den Braudel in der historiographischen Tradition Frankreichs steht, ging Bayart zwar nicht ein. Vgl. Burke, Annales, a.a.O., (Anm. 271), S. 134. In seinen Argumenten ließ sich eine Anlehnung an die Strukturen langer Dauer jedoch erkennen. 726 Bayart, L’Etat importé, a.a.O., (Anm. 722), S. 11. Der von Bayart genutzte Begriff lautete: „européomania“.

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repräsentationen entwickelt und der Forschungs- und Beratungsöffentlichkeit zugänglich gemacht. In den Arbeitspapieren Les Études du CERI wählte die Autorin Béatrice Hibou im April 1996 in einigen Textpassagen Beispiele, die eigene zeitliche und kontextuelle Entwicklungslinien der Maghrebstaaten betonten. Historisch argumentierte Hibou vor allem mit der vorkolonialen Erfahrung, wonach die (in erster Linie von der Nordküste des Mittelmeers stammenden) ausländischen Mächte mal als unterstützende, mal als schwächende Faktoren in der innermarokkanischen Auseinandersetzung zwischen Zentralgewalt und regionalen Gruppen wirkten. Aus dieser Perspektive beschrieb sie die Verankerung Marokkos in „Europa“ als etabliert und so historisch gewachsen, dass sie einen nicht zu vernachlässigenden Vorteil für das Land darstelle.727 Gegen Ende des Untersuchungszeitraums unterstrich Luis Martinez zeitliche Unterscheidungsmerkmale der algerischen Situation, der Bürgerkriegsgewalt und -wirtschaft – er verknüpfte chronologische Ordnungsmuster so mit weiteren Repräsentationen des Anderen. In einem Artikel in der noch jungen Zeitschrift des CERI (Ausgabentitel „Les ‚bonnes œuvres‘ des extrémistes“) zog Martinez mehrfach Parallelen zwischen dem algerischen Bürgerkrieg und seiner politischen Ökonomie und den Kriegen des Mittelalters. Er zitierte den Historiker Georges Duby, demzufolge das Prestige der mittelalterlichen Fürsten von ihrer Freigiebigkeit abhing – sie hätten nur geraubt, um danach um so mehr zu geben. In ähnlicher Weise, so Martinez, würden heute die eigentlich für die Bürgerkriegsopfer vorgesehenen Mittel von den lokalen Eliten unterschlagen, die sie umverteilten, um ihr Ansehen zu steigern: Georges Duby relève que, dans l’Europe médiévale, la guerre, „activité économique régulière, d’importance considérable“, remplissait aussi une fonction de redistribution sociale : „Quant aux princes, leur prestige était fonction de leur générosité : ils ne ravissaient – avec une cupidité qui paraît insatiable – que pour donner plus largement“. En Algérie, le détournement des fonds publics destinés aux familles de victimes des massacres par les notables locaux permet à ces derniers, en les redistribuant, d’accroître leur prestige. 728

Betrachtet man in diesem Fall die Bezüge zwischen deutscher und französischer Öffentlichkeit durch das Abdrucken eines Teils des Artikels (unter anderem ohne die Fußnoten) in der deutschen Spezialzeitschrift Der Überblick, waren diese Parallelen nicht so wichtig, kamen aber doch vor. Zentral behandelte der Artikel die Politik der Wohltätigkeit in den Zeiten des algerischen Bürgerkrieges. Hier wurde auch ein Vergleich mit vormodernen Zuständen und auch die Nennung

727 Hibou, Enjeux, a.a.O., (Anm. 670), S. 34–38. Zu Textpassagen, welche die eigene europäische Rolle verdeutlichten, vgl. den vorangegangenen Abschnitt zu Eigenrepräsentationen. 728 Luis Martinez, „Guerre civile et œuvres pies en Algérie“, in: Critique Internationale (1999), 4 der Gesamtfolge, S. 127–137, insbes. S. 128. Die Zitate Dubys entstammten einem Werk von 1973 (Guerriers et paysans. VIIe-XIIe siècles, premier essor de l’économie européenne).

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Dubys für wichtig erachtet und blieb in der deutschen Fassung erhalten (im Gegensatz zur zitierten Parallele): Sicherlich hat auch der wirtschaftliche Wandel, der sich im Laufe des Jahrzehnts vollzogen hat, für die Privatisierung der Wohltätigkeit eine Rolle gespielt. Die Deregulierung zahlreicher Wirtschaftsbereiche wurde vom Auftreten neuer „großer Männer“ begleitet, auf die der Staat einen Teil seiner Aufgaben ablud. Das ist von einer Raubwirtschaft begleitet ähnlich der, wie sie laut dem französischen Historiker Georges Duby im europäischen Mittelalter die Ausweitung des Handels gefördert hat. 729

Dass die deutsche Textfassung ebenfalls auf den französischen Historiker Bezug nahm, zeigt eines sehr anschaulich: Die zeitliche Fremdzuschreibung über den historischen Vergleich funktionierte im französischen und deutschen Kontext gleichermaßen. Nicht nur in diesem Beispiel lag zumindest implizit eine abgestufte ökonomische Entwicklung, ja ein Entwicklungsmodell nach dem Vorbild Europas nahe – bei Martinez in der Heranziehung des Annales-Historikers Duby. Daher waren diese zeitlichen Repräsentationen eng mit ebensolchen von Andersartigkeit verknüpft, die sich vermeintlich unabhängig von chronologischen Ordnungsmustern attestieren ließen, sei es die Gewalt und Instabilität, oder auch die wirtschaftliche und administrative Differenz. Administrative Regime und Ökonomie als Unterscheidungsfaktoren Unterschiede zwischen Staaten oder Regionen können politikwissenschaftlich im Zusammenspiel zwischen Administration und Wirtschaft analysiert werden. Dabei ergaben sich im konkreten Fall enge Parallelen zwischen den zuvor beschriebenen Deutungen, bei denen die CERI-Mitglieder räumlich und zeitlich argumentierten. Die Differenzen zwischen europäischen und maghrebinischen Staaten und Wirtschaftssystemen wurden in solchermaßen gekoppelter Darstellung mit entsprechend kontextualisierenden Markierungen versehen. Ein Beispiel, wie die Regime- und Wirtschafts-Analyse mit räumlichen Zuordnungen verbunden wurde, war der Begriff „Tiers Monde“ (Dritte Welt), der auch in den räumlichen und zeitlichen Einteilungen eines Zaki Laïdi eine wichtige Rolle spielte. Eine chronologische Verbindung unter Verwendung historischer Argumente wurde beispielsweise von einer Forscherin wie Béatrice Hibou hergestellt, indem sie marokkanische Ad-hoc-Interventionen, die vom Königspalast gesteuert wurden, als „modernisierte“ Formen einer alten Herrschaftsordnung deutete. Diese Beispiele mögen als Einleitung in die Repräsentationen des anderen Maghrebs in polit-ökonomischer Hinsicht genügen. Ergänzend ist noch zu bemerken, dass einige Forscher im CERI eine dritte Sichtweise vertraten (die der eben beschriebenen eng verwandt ist): Krise und Gewalt wurden hier als Fremd729 Ders., „Terror, Krieg und fromme Werke. Wohltaten zu verteilen, spielt in Algerien eine große Rolle beim Streit um politische Macht“, in: Der Überblick (1999), 4/1999, Dezember 1999, S. 34–40, insbes. S. 40.

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zuschreibungen im Zusammenspiel mit wirtschaftlichen und politischen Abweichungen von der so verstandenen europäischen Norm eingeordnet. Solche oft mit einem wirtschaftlichen Hintergrund in den Blick genommenen Repräsentationen der maghrebinischen Differenz begannen mit einer Verschärfung der Gewalt in Algerien in der ersten Hälfte der 1990er Jahre. Der Autor Raymond Benhaïm bezeichnete die Maghrebstaaten in einer 1994 in der Reihe Les Cahiers du CERI erschienenen ökonomischen Analyse als „Tiers Monde“, von der er Europa abgrenzte; die Begrifflichkeit war mit dem Verschwinden des sowjetisch dominierten Blocks offensichtlich nicht sofort irrelevant geworden.730 Rémy Leveau zog in der gleichen Ausgabe weniger klare Trennlinien. Aus der politischen Perspektive kritisierte er die extrem elitären Machtstrukturen in den Maghrebstaaten, die zudem die Tendenz hätten, das politische Europa zum Komplizen ihrer inegalitären Herrschaftssysteme zu machen. Die Strategie der Staatengemeinschaft im südlichen Mittelmeerraum bot so eher Anlass zu Pessimismus, obwohl Leveau vor allem die Elitenproblematik im Maghreb beschrieb. Trotzdem zog seine Kritik, die sich auf die Machteliten nördlich und südlich des Mittelmeers bezog, auch eine Trennlinie, indem er nur dem Süden die extreme Abschottung der Eliten vom Rest der Bevölkerung und politische Ungleichheit zuordnete.731 Die erste Publikation des Nachwuchsforschers Luis Martinez in den periodischen Erscheinungen des CERI erfolgte bereits in der dritten Folge der Veröffentlichungen unter dem Namen Les Études du CERI.732 In seinem Beitrag widmete er sich anhand verschiedener Akteure der Analyse des algerischen Bürgerkrieges als einem Mittel zur ökonomischen Bereicherung.733 Aufgrund der Fokussierung auf den Handel schrieb Martinez in seinem Artikel häufig über den Internationalen Währungsfonds (IWF). In diesem Zusammenhang ist diese Institution des „Westens“ als eine auch von Frankreich, der EU und dem darüber hinaus gehenden Europa beauftragte (Hilfs-)Organisation zu sehen. Deren Vorgehen allerdings stellte der Forscher am Ende seiner Beschreibung der Praktiken in Algerien in Frage, indem er anmerkte, dass die Privilegierung des Privatsektors durch den IWF eine Kriegsökonomie der islamistischen Widerstandsgruppen fördere und damit den Bürgerkrieg in ein Element des sozialen Aufstiegs verwandele.734 Diese Kritik hatte er bereits zuvor auch mit dem Hinweis auf Rémy 730 Raymond Benhaïm, „Perspectives économiques maghrébines“, in: Le Maghreb en suspens, hrsg. von CERI (Les Cahiers du CERI), (Paris, 1994), S. 29–44. 731 Rémy Leveau, „Crise des Etats et transitions incertaines“, in: Le Maghreb en suspens, hrsg. von CERI (Les Cahiers du CERI), (Paris, 1994), S. 45–58. 732 Luis Martinez, Les groupes islamistes entre guérilla et négoce. Vers une consolidation du régime algérien ? (Les Études du CERI, 3), (Paris, 1995). 733 Wie bei vielen sogenannten Produkten des CERI ging es in erster Linie darum, die Hintergründe des entsprechenden Falles innerhalb seiner nationalen Grenzen verständlich zu machen. Wie selbstverständlich gab es jedoch auch hier immer wieder Bezüge zu anderen Perspektiven. 734 Ebd.

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Leveau explizit an die internationale Gemeinschaft gerichtet. Die von ihr bereitgestellten Finanzmittel könnten, so Martinez, auch als Einkommensquellen der Bürgerkriegsparteien angesehen werden, so dass sich die Gewalt direkt bezahlt mache.735 Beispiele wie ein formal legaler Automarkt in Algier, wo überwiegend gestohlene europäische Autos gehandelt wurden, oder die Handelsverbindungen ehemaliger Armeeangehöriger mit Auswanderervierteln in Frankreich, Spanien und der Schweiz zeigten weitere europäische Verbindungen zur Bürgerkriegsökonomie Algeriens.736 Parallelwirtschaftliche Beziehungen zwischen den Anrainern des Mittelmeers liefen letztlich auf die Etablierung von Grenzen zwischen ihnen hinaus.737 Wenn algerische Akteure, die er beobachtet und befragt hatte, eine Vorstellung oder Einschätzung der sozialen Ordnung Frankreichs – und damit womöglich auch anderer Aspekte der europäischen Seite des Mittelmeers – äußerten, wurde dieses in dem Artikel auffällig wenig eingeordnet.738 Zudem kritisierte der Autor den Versuch, die „strukturellen Verbindungen“ Algeriens und Frankreichs, insbesondere im Finanzwesen, zu schmälern. Der Hinweis auf die USA und ihr Engagement unterschätze diese Beziehungen: „Le sentiment d’amélioration du système administratif et bancaire est toutefois tempéré par un rejet des relations structurelles qui lient l’Algérie à la France“.739 Dieses Beispiel zeigt, welches Bewusstsein Autoren aus dem Umkreis des CERI zum Ausdruck brachten, wenn es um Unterscheidungsfaktoren in den Verbindungen zwischen Europa, insbesondere Frankreich, und dem Maghreb, insbesondere Algerien, ging. Die Presseausschnittssammlung La Revue de la Presse du CERI verzeichnete zu der Publikation eine Rezension in der Zeitung Le Monde. Die Rezensentin beklagte in ihrer Besprechung von „Les groupes islamistes entre guérilla et négoce“ von Luis Martinez das Fehlen einer Erklärung dafür, warum das Ausbeutungssystem der Islamisten einer ungewissen Zukunft entgegengehe sowie die mangelnde Unterscheidung zwischen Staat und Regime. Die spezialisierte Journalistin war ein Beispiel dafür, dass nicht nur öffentlich eine grundlegende Differenz diskutiert wurde. Sie brachte auch der Prognose Skepsis entgegen, dass sich die Situation wandeln würde.740 Auch klassische außenpolitische Analyse und Diplomatiegeschichte, oftmals mit wirtschaftlicher Interessenpolitik verknüpft, ermöglichte die Vorstellung einer Andersartigkeit des Maghrebs. In diesem Fall wurde zumeist auf den nationalen französischen Rahmen zurückgegriffen und die davon unterschiedene Außenpolitik beziehungsweise die diplomatischen Gepflogenheiten eines Maghrebstaats 735 Ebd., S. 9. „[…] une source de revenus dans la violence, grâce aux fonds versés par la communauté internationale […].“ 736 Ebd., S. 19–20. 737 Das „Stiften“ von Grenzen ist nach Roger Chartier eine wichtige Funktion von Repräsentationen. Chartier, Vergangenheit, a.a.O., (Anm. 23), S. 19. 738 Martinez, Groupes, a.a.O., (Anm. 732), S. 8–9. 739 Ebd., S. 24. 740 Catherine Simon, „Les islamistes algériens, bons combattants, bons commerçants …“, in: Le Monde, (28.8.1995).

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untersucht. Solche Analysen fanden guten Anklang in der Presseöffentlichkeit. Das Buch „La Tunisie à la Recherche de sa sécurité“ wurde zum Beispiel 1995 in der Zeitschrift Le Point rezensiert. Seine Veröffentlichung komme genau zur rechten Zeit, da der französische Präsident Jacques Chirac Tunesien gerade besucht habe (5. und 6. Oktober 1995). Eine Verbindung mit europäischen Angelegenheiten stellte der Magazinautor in der Besprechung nicht her, der Schwerpunkt lag auf der Darstellung der mehrfachen tunesischen Diplomatie-Wechsel zwischen pro-französischer und pro-US-amerikanischer Politik. In einem Arbeitspapier von 1996, in dem sie sich hauptsächlich mit Marokko beschäftigte, gab die Gastautorin Béatrice Hibou einen Eindruck von der südeuropäischen wirtschaftlichen Verantwortung. In der Beschreibung der marokkanischen Schattenwirtschaft verdunkelte sich das Bild. Insofern behandelte Hibou ein Selbstverständnis, welches die Gegensätze zwischen Europa und seinen Peripherien betonte. Die Autorin schilderte, dass die Schmuggel-, Drogen-, Markenimitations-, Autodiebstahl- und Prostitutionsgeschäfte eine in Teilen mit der italienischen vergleichbare Schattenwirtschaft darstellten. Interessant erscheint, dass Süditalien, quasi als innereuropäische Peripherie, hier als Vergleichsmoment fungierte.741 Solche Zuschreibungen gingen nach Hibou auch in die innermarokkanische Debatte ein. Die ideologische Einschätzung der Drogenproblematik und die sicherheitszentrierte Beurteilung der illegalen Migration durch die EU und ihre Mitgliedsstaaten seien entscheidend: La perception qu’en ont les principaux partenaires et bailleurs de fonds du Maroc a été déterminante dans la dénonciation actuelle. Les critiques ont récemment fusé de toutes parts : l’Union européenne et les pays membres pour des raisons idéologiques (drogue) et de sécurité (immigration clandestine) [...]. 742

Mit der kritischen Betrachtung solcher Zuschreibungen hinterfragte Hibou derartige Prozesse, während gleichzeitig klar wurde, dass die Haltung der EU und der europäischen Staaten für die Situation in Marokko zentral geworden war und durchaus ein Unterschied zwischen dem Maghrebstaat und den Gefilden nördlich des Mittelmeers (auch im Hinblick auf die Schattenwirtschaft) bestand, auf den sich die Ideologie oder das Sicherheitsdenken fokussieren konnte. In der Einleitung eines internen Berichts vom Juni 1996 hieß es zur Strategie des Centre im Bereich wirtschaftspolitischer Studien allgemein, mangels Personals sei die Behandlung der politischen Ökonomie nicht im gewünschten Maße ausgebaut worden. Die dritte Ausgabe der Reihe Les Études du CERI zu den Islamistengruppen (Luis Martinez) in Algerien wurde allerdings in diese Anstrengung eingeordnet,743 genauso wie auch die 15. Ausgabe zur Herausforderung der wirtschaftlichen Öffnung Marokkos (Béatrice Hibou). Zudem sei im Bereich

741 Hibou, Enjeux, a.a.O., (Anm. 670), S. 26–32. 742 Ebd., S. 32–33. 743 CERI, 1994–1996, a.a.O., (Anm. 663), S. 5.

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der engeren internationalen Beziehungen dem Bedeutungszuwachs des Transnationalen und der Globalisierung Rechnung getragen worden.744 Zwei Jahre später war es wiederum Béatrice Hibou, die anhand von Beispielen aus dem Maghreb das Deutungsmuster einer wirtschaftspolitischen Unterscheidung aufnahm, indem sie die These einer „Privatisierung des Staates“ in den Beispielländern vertrat.745 Tunesien habe beispielsweise unter dem Druck der Bretton-Woods-Institutionen mit dem direkt dem Präsidenten zugeordneten „Fonds national de solidarité“ ein privates Steuersystem eingeführt.746 In Tunesien wie in Marokko sei die Steuerflucht ein häufiges Delikt, was aber nicht auf inexistente Kontrolle zurückzuführen sei, sondern aus politischen und strategischen Gründen toleriert werde.747 Das Wechseln zwischen politischen Funktionen und Posten, die Möglichkeiten zur Bereicherung böten, sei in allen Beispielgesellschaften als dauerhafte Charakteristik des politischen Feldes anzusehen. In Marokko seien unvorhersehbare Interventionen, zum Beispiel in Zollfragen, durch den Königspalast und seine Umgebung eine „modernisierte“ Fortsetzung der althergebrachten Herrschaftsordnung. In Tunesien wiederum sehe das Vorgehen zur Vorbereitung des Freihandelsabkommens mit der EU der vorherigen Epoche ähnlich, während der das Regime ohne Rücksicht auf die Wirtschaft interveniert und geplant habe.748 In Algerien machten etwa zwei Dutzend private Gas- und Öl-Firmen in der Sahara das finanzielle Überleben des Regimes unabhängiger von öffentlicher Entwicklungshilfe aus Frankreich, Europa oder den Institutionen von Bretton Woods.749 Noch immer als freie Autorin, das heißt vor ihrer späteren Anstellung am CERI, steuerte Béatrice Hibou im Dezember 1999 eine weitere Studie in der Reihe Les Études du CERI bei, die speziell den tunesischen Fall auch im Hinblick auf die im Artikel von 1998 schon genannten wirtschaftlichen Besonderheiten unter die Lupe nahm.750 Im RechenschaftsBericht der Jahre 1996 bis 2000 wurde auch die Arbeit der Forschungsgruppe „Economie et société au Maghreb“ (Leitung Béatrice Hibou, die zum Zeitpunkt der Berichtsabfassung eine Stelle am CERI angetreten hatte, und Luis Martinez) verwiesen. Diese habe sich besonders mit der Problematik der politischen Ökonomie beschäftigt.751 Dazu hieß es in der Studie von Hibou, im Gegensatz zu anderen afrikanischen oder mittelöstlichen Staaten verstünden es die Offiziellen in Tunesien, ihre Vorhaben in den vorherrschenden internationalen Diskurs einzu744 Ebd., S. 6. 745 Béatrice Hibou, „Retrait ou redéploiement de l’État?“, in: Critique Internationale (1998), 1 der Gesamtfolge, S. 151–168, insbes. S. 152. 746 „L’exemple tunisien offre une autre modalité de cette privatisation fiscale : […] le président Ben Ali a instauré, depuis la fin de l’année 1992, une véritable fiscalité privée.“ Ebd., S. 155– 156. 747 Ebd., S. 164. 748 Ebd., S. 166. 749 Ebd., S. 168. 750 Hibou, Tunisie, a.a.O., (Anm. 704). 751 CERI, Rapport scientifique. 1996–2000, (Paris, 2000), insbes. S. 14.

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ordnen. Sie arbeiteten geschickt mit der Rede vom Liberalisieren, Privatisieren und Herstellen von Wettbewerbsfähigkeit. So gelinge es, unabhängig von tatsächlichen Verstößen gegen die entsprechenden Dogmen, „la ‚mise à niveau‘“ (das Angleichen) zu großen Teilen von Weltbank und EU finanzieren zu lassen.752 Der Fokus auf die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen dem Maghreb und Europa kristallisierte sich während der 1990er Jahre heraus, in deren Verlauf das CERI sich institutionell profilierte. Die Ablösung von Jean-Luc Domenach durch Jean-François Bayart sorgte für einen einschneidenden Wandel im Führungsstil, mit dem auch eine Ausweitung der Kompetenz im Bereich der internationalen politischen Ökonomie – auch im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand Maghreb – verbunden war. Die Veränderungen führten zu einer kritischeren Einschätzung der maghrebinischen Entwicklung, in deren Folge vermehrt Repräsentationen formuliert wurden, die den Maghreb als distinkt abweichend von vorherrschenden Wirtschafts- und Verwaltungssystemen in Europa erscheinen ließen. Einzuschränken ist diese Deutung jedoch dann, wenn Autorinnen und Autoren wie Béatrice Hibou oder Rémy Leveau innerhalb Europas ähnliche Defizite wie im Maghreb anprangerten. Immer ging es bei solchen Beispielen um ein wirtschaftliches oder wirtschaftspolitisches Anderssein, das die Maghrebstaaten von den europäischen Staaten abgrenzte, sei es über den Begriff „Tiers Monde“ (der gegen Ende des Untersuchungszeitraums im CERI kaum noch verwendet wurde), über die Kritik an althergebrachten Herrschaftsordnungen oder durch den Hinweis auf den Zusammenhang von Gewalt und Bereicherung.753 Dies gilt paradoxerweise auch, wenn diese Zuschreibungen explizit angezweifelt wurden, da ein solches Infragestellen dennoch ihre Reproduktion voraussetzte. Der Maghreb als nationale Projektionsfläche europäischer Entwicklung Neben den Vorstellungen, dass der Maghreb und Europa sich in wirtschaftlicher und administrativer Hinsicht unterschieden, war auch Gewalt ein Gegenstand der Abgrenzung. Mit der Verschärfung des algerischen Bürgerkrieges erschien die Gewalttätigkeit als besonders geeignet, um eine Grenze zu ziehen, weshalb das Thema in CERI-Publikationen und internen Berichten in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums vermehrt aufgegriffen wurde; auch in der ersten Hälfte

752 Hibou, Tunisie, a.a.O., (Anm. 704), S. 11. Die Presseausschnittssammlung La Revue de la Presse du CERI verzeichnete zu diesem Arbeitspapier ebenfalls eine leicht gekürzte und veränderte deutsche Fassung in der Spezialzeitschrift Der Überblick: Dies., „Trügerischer Aufschwung? Das autoritäre Regime in Tunesien kurbelt die Wirtschaft nicht an, es korrumpiert sie eher“, in: Der Überblick (1999), 4/1999, Dezember 1999. 753 Bei der Gewalt ging es in erster Linie um die Bürgerkriegsgewalt in Algerien, daneben kamen aber auch Tunesien und Marokko zur Sprache. Entscheidend ist in dieser Hinsicht, dass Gewaltproblematik und wirtschaftliche Analysen zusammen erfolgten. Zu weiteren Formen der Fremdrepräsentation auf dem Wege der Gewaltanalyse siehe den folgenden Unterabschnitt.

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lässt sich allerdings ein Hinweis finden, dass der Maghreb und insbesondere Algerien als krisengeschütteltes Gebiet Aufmerksamkeit erhielt. In einem internen Bericht für die Geldgeber des CERI war im Abschnitt zu eingeworbenen Drittmittelprojekten für den Zeitraum vom Juni 1990 bis Juni 1994 eine Beratungsleistung vermerkt, die mit den beiden Schlagwörtern „Algerien“ und „Krise“ in dieses Deutungsmuster einzuordnen ist. Rémy Leveau verantwortete eine mit 131.931 Franc bezifferte Studie für die Délégation aux affaires stratégiques (DAS) beim Verteidigungsministerium, die den Titel „Les évolutions possibles de la crise algérienne“ trug.754 In einer Einleitung zu einem Tagungsband führte die CERI-Forscherin Catherine Wihtol de Wenden gemeinsam mit dem deutschen Politikwissenschaftler Claus Leggewie historische Argumente an, um die Unterschiede in der Migrationsfrage in Deutschland und Frankreich zu unterstreichen.755 Frankreich sei Ziel von Migranten aus dem Süden, Deutschland aus dem Osten.756 Zwei Gewalterfahrungen riefen eine Verantwortlichkeit hervor: zum einen die NS-Zeit mit ihrer rassistischen Politik, zum anderen der Algerienkrieg: „[…] la guerre d’Algérie et sa fiction d’une France ‚une et indivisible‘ allant de Dunkerque à Tamanrasset“.757 Im Rundbrief des Zentrums wurde auf eine Veranstaltung unter dem Titel „Le séminaire stratégique du CERI“ hingewiesen, die im März 1995 ebenfalls den Krisenbegriff verwendete, um sich dem Maghreb zu nähern – konkret mit einer Veranstaltung zur „algerischen Krise“, die für einen begrenzten Publikumskreis stattfand: A raison de huit à dix séances par an, introduites par un ou deux spécialistes, le séminaire stratégique du CERI propose à un nombre restreint de participants un espace de réflexion et de débat sur le monde contemporain. Trois réunions ont déjà eu lieu : 16 mars : „La crise algérienne“, autour de Lucile Provost et Luis Martinez. [...]758

Die auf den Maghreb spezialisierte Journalistin Catherine Simon analysierte im September 1995 die exzessive Gewalt in Algerien, besonders zwischen Armee und Islamisten. Luis Martinez wurde von ihr als Koautor von „L’Algérie dans la guerre“ vorgestellt, aber auch mit dem CERI in Verbindung gebracht.759 In einem Kommentar in der Tageszeitung La Croix bezog sich Rémy Leveau (der andere Koautor von „L’Algérie dans la guerre“) wiederum auf die Algerienkrise. Zusätzlicher Aufhänger waren die Präsidentschaftswahlen in Algerien im November 754 CERI, Rapport 1990–1994, a.a.O., (Anm. 398), S. 146. 755 Claus Leggewie & Catherine Wihtol de Wenden, „Introduction“, in: Au miroir de l’autre. De l’immigration à l’integration en France et en Allemagne. Actes du colloque de Francfort-surle-Main (15 et 16 mai 1993), hrsg. von Bernhard Falga, Catherine Wihtol de Wenden & Claus Leggewie (Bibliothèque franco-allemande), (Paris: Éd. du Cerf, 1994), S. 11–18. 756 Ebd., S. 11. 757 Ebd., S. 13. Die Zielrichtung der Publikation lag allerdings im Herausarbeiten gemeinsamer Zukunftsaufgaben, siehe unten. 758 CERI, „Séminaires“, a.a.O., (Anm. 636). Luis Martinez besaß zu diesem Zeitpunkt noch keine feste Stelle am CERI. 759 Catherine Simon, „Vertiges meurtriers en Algérie“, in: Le Monde, (14.9.1995).

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1995, am Jahrestag der Attentate des sogenannten Toussaint rouge 1954. Leveau wiederholte in dem Artikel mehrfach die Formel, dass die verschärfte Krise aus Algerien eine Art „reiches Somalia“ machen könne. Die Wahl sei im Gegensatz zu Beispielen wie Südafrika oder Namibia eine Strategie für eine noch gewalttätigere Repression und diene zudem dazu, bedingungslose Unterstützung von Frankreich und anderen europäischen und westlichen Staaten zu erhalten.760 Zum einen zeigt sich an diesem Beispiel die enge Verbindung von Repräsentationen des Eigenen (der Aushandlung von Unterstützung in Europa unter der Federführung Frankreichs) und des Anderen (der Krise an der Südküste des Mittelmeers). Zum anderen waren die Stichworte Krise und Gewalt eng mit den politischen Rahmenbedingungen verknüpft, wenn von mangelnder Demokratie und europäischen Vermittlungsbemühungen die Rede war. Im Herbst 1997 erschien im Schweizer Tagesanzeiger ein längerer Artikel von Martinez über den algerischen Bürgerkrieg. Aufhänger war das Massaker an hunderten von Dorfbewohnern in Raïs am 29. August 1997, das seiner Ansicht nach zum ersten Mal seit Beginn des Krieges eine „Welle der Empörung um die Welt“ gehen ließ. Das Schweigen zum Bürgerkrieg sei unter anderem auf die wirtschaftlichen Verflechtungen vor allem mit europäischen Ländern zurückzuführen, im Falle Frankreichs komme noch eine besondere historische Hypothek hinzu: Die Hauptakteure des Kriegs profitierten zudem davon, dass Frankreich als ehemalige Kolonialmacht die Greueltaten des Bürgerkriegs nicht verurteilen konnte, weil das Land einen äusserst blutigen Krieg gegen Algerien geführt hatte. Aus historischen Gründen und sicherheitspolitischen Überlegungen versuchte Frankreich, sich aus dem Bürgerkrieg herauszuhalten – vergeblich.761

Das Zitat zeigt, wie historische Argumente über die Zeit- und Raumerfahrung im Maghreb mit dem Gewaltargument zusammenflossen. Die Gewalttaten des Bürgerkrieges der 1990er Jahre als prägendes Element für die Wahrnehmung des gesamten Maghrebs standen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite wurde eine Verbindung mit den 1950er/1960er Jahren und dem algerisch-französischen Krieg hergestellt. Ein ähnliches Thema, wiederum behandelt von Luis Martinez, tauchte auch im CERI-Bericht für die Jahre 1996 bis 2000 auf. Während der Veranstaltung „Les usages politiques des massacres“ (16. November 1999) sprach unter anderem Luis Martinez zum Thema „Algérie : les massacres de civils dans la guerre“.762 Die Themen Krise und Gewalt stellten ein besonders eindrückliches Unterscheidungsmerkmal dar, mit dem CERI-Forscherinnen und -Forscher das Verhältnis von Europa und dem Maghreb beschrieben. Mehr als in anderen Bereichen wurden hier Algerien auf der maghrebinischen und Frankreich auf der europäischen Seite herausgehoben, weil sich konkret aus der konfliktbeladenen De760 Leveau, „Algérie“, a.a.O., (Anm. 668). 761 Luis Martinez, „Geschäfte sind wichtiger als Massaker“, in: Tagesanzeiger, (24.9.1997). 762 CERI, Rapport, a.a.O., (Anm. 751), S. 47.

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kolonisierung der ehemaligen Departements verhängnisvolle Entwicklungslinien ergaben. Dennoch zeigten sich Verbindungen zu den bereits skizzierten Deutungsmustern: Gewalt konnte ökonomisch motiviert sein, die Krise in enger Verbindung zu historischen Entwicklungen stehen.763 Gerade weniger historisch beeinflusste Gegenwartsanalysen stellten allerdings auch Verbindungen her und operierten in stärkerem Maße nach dem Grundmuster der globalen oder wirtschaftlichen Verflechtung. Auf diese Deutungen soll im nächsten Abschnitt eingegangen werden. DIE VERFLECHTUNG IN DEN PUBLIKATIONEN DES CERI In der Gesamtschau überwiegen die Vorstellungen, die den Maghreb und Europa als organisch verbunden auffassten, gegenüber rein wirtschaftsbezogenen Vorstellungen. In erster Linie verstand sich das CERI als praxisorientiertes politikund sozialwissenschaftliches Institut und nicht als Berater der Wirtschaft. In dieser Hinsicht unterscheidet es sich kaum von den anderen Instituten.764 So konnten beispielsweise Untersuchungen zum Zusammenhang von Globalisierung und lokalen Prozessen oder politikwissenschaftliche Entwürfe zur Weltordnung Verflechtungsrepräsentationen beinhalten. Allerdings bildeten wirtschaftliche Verflechtungen einen Teil der Analysen euro-mediterraner Prozesse der 1990er Jahre, die Forscherinnen und Forscher im Kontext des CERI in erster Linie kritisch einschätzten. Europa und der Maghreb vor dem Hintergrund globaler Entwicklungen Vor allem in den von den beiden Direktoren im Untersuchungszeitraum etablierten neuen Publikationen wurden Verflechtungstendenzen mit der Globalisierung beziehungsweise weltweiten Entwicklungen begründet. Die entsprechenden Untersuchungen beschränkten sich dabei nicht auf den Maghreb und Europa, sondern gingen von weltweiten Trends aus. Wenn die Expertise das Lokale und das Globale miteinander verband, wurden beide „aires culturelles“ nicht nur regionalwissenschaftlich, sondern auch als Teil internationaler Prozesse verstanden. Daneben zeigten auch einzelne journalistische Beiträge im Umfeld des CERI Ansätze zu einer verbundenen Betrachtungsweise. Und schließlich 763 Daher lautete der Titel von Martinez’ Artikel in der Zeitung Tagesanzeiger auch „Geschäfte sind wichtiger als Massaker“. Martinez, „Geschäfte“, a.a.O., (Anm. 761). Umgangssprachlich könnte man den entstehenden Eindruck als einen typisch maghrebinischer Geschäfte beschreiben. Siehe auch den vorangegangenen Unterabschnitt. Ein epochaler Bezugspunkt blieb im gesamten untersuchten Zeitraum der algerisch-französische Krieg. 764 Sowohl die DGAP als auch das IFRI positionierten sich im Ganzen wirtschaftsnäher, was aber in der Detailfrage der Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb nicht entscheidend war (vgl. die entsprechenden Kapitel zu beiden Instituten).

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zeigten individuelle Kontakte und Bezüge, vor allem was die Leitungsebene des CERI anging, dass die nördliche und südliche Küste des Mittelmeers nicht ohne Vorstellungen existierten, die beide Regionen miteinander verwoben. CERI-Mitglieder wie Zaki Laïdi und Gilles Kepel zeigten schon früh – auch im Kontext der verstärkten Publikationsbemühungen –, dass Europa und der Maghreb auch in Bereichen wie „der neuen Weltordnung“ und religiösen Dynamiken als verbunden dargestellt werden konnten. Bereits der wissenschaftliche Bericht des Zentrums vom Juni 1992 erwähnte sowohl eine Reihe mit internationaler Reichweite als auch kleinere Aktivitäten des CERI (das nun vermehrt selbst als institutioneller Herausgeber in Erscheinung trat). Was die internationale Reihe anging, so hatten die Fondation nationale des sciences politiques (FNSP) und der Verlag Berg 1990 eine französisch-amerikanische Reihe gegründet (Questions internationales/International Issues), in der bis dato zwei Bände aus dem CERI veröffentlicht worden waren, darunter die von Laïdi verfasste Monographie „L’ordre mondial relâché. Sens et puissance après la guerre froide“ (1992).765 Das CERI hatte außerdem im Verlag Complexe eine Taschenbuchreihe aufgelegt. Schließlich sollte beim Verlagshaus Le Seuil eine jährliche Veröffentlichung („ouvrage annuel“) erscheinen, wobei als erste Ausgabe das von Kepel herausgegebene Sammelwerk „Les politiques de Dieu“ geplant war.766 Mit dieser Art von Verflechtung nahmen die Experten für die arabisch-muslimische Welt in den Ankündigungen der Nouvelles du CERI einen prominenten Platz ein. Das erste Erscheinen der neuen CERI-Reihe beim Verlagshaus Le Seuil (L’idée du Monde) war schließlich im Februar 1993 von einer Debatte in den Räumen des Zentrums begleitet, die sich mit der Welt-Ordnung beziehungsweise -Unordnung und religiösen Entwicklungen beschäftigte.767 Weitere Verflechtungsarten zeigten sich bei der Untersuchung der Umbrüche in Europa und in der europäischen Nachbarschaft, aber auch in anderen Weltregionen. Umbruchsdeutungen waren in den 1990er Jahren anschlussfähig. Da es Konsens war, dass nicht nur Europa einen Wandel erlebte, in dessen Folge demokratische Staatsformen zunahmen, verständigten sich CERI-Mitglieder mit ihren Kontakten im Ausland darüber, was die Transformationen ausmachte. Auch die Leitungsebene des CERI folgte diesem Trend: so nahmen Jean-François Bayart (als Afrikaspezialist) und der ehemalige Direktor Guy Hermet (als Spezialist für das südliche Europa) am Forum der Fondation Abderrahim Bouabid „Les transitions démocratiques dans le monde“ in Rabat am 6. und 7. Januar 1997 teil.768

765 CERI, Rapport 1992, a.a.O., (Anm. 88), S. 56–57. 766 Ebd., S. 58. 767 „‚Expansions religieuses et stratégies de pouvoir dans le désordre mondial‘, débat à l’occasion de la parution du premier volume annuel de la collection du CERI : ‚L’idée du Monde‘ aux Editions du Seuil (Gilles Kepel, dir., Les politiques de Dieu).“ CERI, „Débat. 4 février“, in: Nouvelles du CERI (1993), 18, März 1993. 768 CERI, „En Bref…“, in: Nouvelles du CERI (1997), 28, April 1997.

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Pressereaktionen und Artikel von CERI-Forscherinnen und Forschern in Zeitungen und Publikumszeitschriften boten ebenfalls Gelegenheiten, um Verflechtungen zwischen dem Maghreb und Europa zu unterstreichen. Ghassan Salamé wurde in seiner Funktion als Forscher des CERI in der Aprilausgabe der Zeitschrift Croissance zum Barcelona-Prozess interviewt. Er bemängelte die doppelte Strategie der Mitgliedsstaaten, die zwar Themen wie Terrorismus und Immigration in der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) diskutieren wollten, aber wirklich strategische Fragen, zum Beispiel im Rahmen der NATO und der European Maritime Force (Euromarfor), weiterhin in einem exklusiv europäischen/US-amerikanischem Zusammenhang entschieden. Seiner Meinung nach war nicht Indifferenz die Gefahr, sondern ein Rückfall in eine reaktive Sicht auf die Probleme der Region. Der Test für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sei fehlgeschlagen. Im Hinblick auf Algerien wies Salamé auf die unterschiedlichen Vorstellungen in Deutschland und Frankreich, wie Immigranten zu integrieren seien, hin. Zudem könne Europa nicht die europäische Karte spielen, wenn es um die Handelsbeziehungen mit dem Mittelmeerraum gehe und die westliche, wenn strategische Fragen betroffen seien. Der Kalte Krieg habe in gewisser Weise die Beziehungen im euro-mediterranen Raum unterbrochen. Sein Ende erlaube nun Europa, seinen Platz im Mittelmeerraum wiederzufinden, sofern es der neokolonialen Versuchung widerstehe.769 Auch nach dem Wechsel an der Spitze blieben die Publikationen des CERI weiterhin auf globale Phänomene fokussiert, allerdings gab es Akzentverschiebungen, wie im wissenschaftlichen Rechenschaftsbericht vom Juni 1998 deutlich wurde. Die neue Reihe Recherches Internationales (Verlagshaus Karthala), die ausführliche Studien über das internationale System und die Gesellschaftspolitik („sociétes politiques“) im Zeichen der Globalisierung bot, löste die Reihe L’idée du Monde ab.770 Der Zusammenhang zwischen Globalisierung und lokaler Kompetenz, der sich an dieser Publikationsstrategie recht gut ablesen lässt, wurde im Rundbrief vom Januar 2000 nachträglich erläutert. Die Globalisierung schreite im Wege einer Wiedererfindung von Differenzen voran. Global und lokal existierten nur wechselseitig. Diese Bezogenheit sollte unter anderem mit den Publikationen wie der Zeitschrift Critique internationale, der Reihe Recherches Internationales und schließlich der englischsprachigen CERI Series in Comparative Politics and International Relations (Hurst, London und Columbia University Press, New York) geleistet werden.771

769 Sandrine Tolotti, „Un problème de voisinage, Interview mit Ghassan Salamé“, in: Croissance (1998), 414, April 1998, S. 36–37. 770 CERI, 1997–1998, a.a.O., (Anm. 674), S. 38. 1998 erschien in der neuen Reihe u. a. „La guerre civile en Algérie, 1990–1998“ von Luis Martinez, 1999 gab Béatrice Hibou darin das Sammelwerk „La privatisation des États“ heraus. 771 CERI, „Aires culturelles“, a.a.O., (Anm. 683).

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Diese Zusammenfassungen zeigen, dass sich die im CERI reproduzierten Verflechtungsideen gegen zweierlei Repräsentationen richteten: erstens gegen die Vorstellung von zwei strikt getrennten Forschungsgebieten (regionale und internationale Studien); zweitens gegen die These, dass die Globalisierung besonders gut in den Zentren der ökonomischen Wertschöpfung beobachtet werden konnte und die sogenannte Peripherie bei entsprechenden Analysen weniger wichtig war.772 Letztlich können die globalen Verflechtungsideen daher auch als ein spezifischer Weg des CERI gesehen werden, regionalwissenschaftliche Kompetenz auch für die Erforschung globaler Phänomene nutzbar zu machen. Zu diesen weltweiten Entwicklungen zählten auch die regionale Integration und das Beispiel des europäischen Einigungsprojekts. Sozioökonomische Verflechtung Weniger als in den anderen untersuchten Instituten und Beratungseinrichtungen wurden im CERI Osteuropa und der Maghreb, was die wirtschaftliche Verflechtung angeht, parallel betrachtet. Vor allem gegen Ende des Untersuchungszeitraums entwickelte sich eine Verflechtungsrepräsentation, die Europa und dem Maghreb eine sozioökonomische Verflechtung attestierte und darüber hinaus an ihrer Art und Weise teils scharfe Kritik übte. Erstens gab die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den europäischen Staaten und Algerien – welche als Eskalationsfaktor im Bürgerkrieg angesehen wurde – den CERI-Mitgliedern Anlass zur Sorge: Die aus europäischer Sicht vermeintlich unvorstellbare Gewalt in dem Maghrebstaat werde wegen der wirtschaftlichen und persönlichen Interessen der Eliten in Algerien nicht adäquat berücksichtigt. Zweitens kritisierten vor allem die jüngeren Forscherinnen und Forscher, die in den 1990er Jahren ihre wissenschaftliche Karriere in Schwung brachten, Reproduktionen althergebrachter Repräsentationen, die das Beziehungsgefüge im Mittelmeerraum unzulässig vereinfachten und nur auf veraltete Ordnungsvorstellungen zurückgriffen. Insbesondere die politischen Vorhaben der Kommission in Brüssel standen im Fokus der Kritik. Bereits 1994 beschrieben diverse Autoren in den Les Cahiers du CERI unter dem Titel „Le Maghreb en suspens“ verschiedene Beziehungs-, aber auch Abgrenzungsmuster zwischen Europa und dem Maghreb.773 Eine wichtige Beziehungsrepräsentation war in diesen Texten die Figur eines Zwischenraums 772 Thomas Mergel verweist darauf, dass im Hinblick auf die Homogenisierung europäischer Gesellschaften im 20. Jh. gerade die Nord- und Südperipherie wichtig war. Vgl. Thomas Mergel, „Die Sehnsucht nach Ähnlichkeit und die Erfahrung der Verschiedenheit. Perspektiven einer Europäischen Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts“, in: Archiv für Sozialgeschichte 49 (2009), S. 417–434, insbes. S. 423–424. 773 Beide Begriffe wurden nicht einheitlich verwendet; mit Europa war zumeist die EG/EU gemeint, während der Maghreb in den meisten Fällen für Marokko, Algerien und Tunesien stand. Vgl. z. B. Benhaïm, Courbage & Leveau, Maghreb, a.a.O., (Anm. 86).

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(„espace intermédiaire“),774 der Europa und die arabische Welt verbinde. Auch die historischen Entwicklungslinien wurden eher als verbindendes Element beschrieben – oft mit Teilbereichen wie der Ökonomie, der Kultur und der Sprache. So wurden die mittelfristigen Tendenzen in den Bereichen Bildung, Urbanität und soziale Entwicklung als ermutigend dargestellt. Allerdings kann kritisch angemerkt werden, dass insbesondere das Thema Migration und Transfer775 sowie die zukünftige Entwicklung demokratischer und pluralistischer Gesellschaften tendenziell eher positiv dargestellt wurden. Auch Rémy Leveaus Beitrag enthielt entsprechende Passagen, etwa wenn von der „Errichtung eines neuen, euromaghrebinischen Raums der Solidarität und des Ausgleichs“ die Rede war.776 Die Etablierung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) Ende 1995 war ein Aufhänger für sozioökonomische Verflechtungsvorstellungen. Anfang 1996 tauchten die ersten Hinweise auf eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Erklärung von Barcelona auf. In den „Rencontres du CERI“ war für den 26. Januar 1996 eine Veranstaltung mit Gudrun Krämer, die von 1982 bis 1994 Nahostreferentin der SWP war, aufgeführt. Am 27. Februar wurde Michael Köhler angekündigt, der zu dieser Zeit für die EU-Kommission arbeitete und vorher in Marokko und Tunesien für die Konrad-Adenauer-Stiftung tätig war. Für beide Veranstaltungen war Ghassan Salamé verantwortlich.777 Für die wirtschaftlichen Verbindungen – in diesem Fall eine gewisse Komplizenschaft auf ökonomischer Grundlage – lässt sich auch in einer deutschsprachigen Zeitung ein Beispiel finden. Im Tagesanzeiger aus der Schweiz veröffentlichte Luis Martinez im September 1997 einen Artikel, der auf wirtschaftliche Verflechtungen hinwies: Die Hauptabnehmer des algerischen Erdöls und Gases sind Italien, Frankreich, die USA, Deutschland und Spanien. Die Möglichkeit, dass die „Emire“ (Bandenchefs der GIA [Groupes islamiques armés, bewaffnete Islamistengruppen, J. W.]) ans Ruder kommen könnten, hat das Verhältnis zwischen dem Maghrebstaat und dessen politischen und wirtschaftlichen Partnern eher verbessert. 778

774 Rémy Leveau, „Introduction“, in: Le Maghreb en suspens, hrsg. von CERI (Les Cahiers du CERI), (Paris, 1994), S. 5–7. 775 Youssef Courbage, „Migration internationale et transition démographique au Maghreb“, in: Le Maghreb en suspens, hrsg. von CERI (Les Cahiers du CERI), (Paris, 1994), S. 9–28. Zum Beispiel der positiven Rücktransfers in Folge der Migration sei eine Passage zum Geburtenrückgang zitiert (S. 27): „Sans l’émigration, ses envois de fonds et de biens de consommation et surtout les transferts des valeurs et de mentalités qu’elle a occasionnés, la transition vers les basses fécondités aurait avancé d’un pas beaucoup moins alerte.“ 776 Leveau, „Crise“, a.a.O., (Anm. 731), S. 46. „Pourtant la construction d’un nouvel espace de solidarité et d’équilibre euro-maghrébin pourrait constituer un projet mobilisateur agissant sur l’imaginaire, surmontant les craintes, engendrant des richesses et créant un mouvement de stabilisation des systèmes sociaux et politiques des trois pays [Marokko, Algerien und Tunesien, J. W.].“ 777 CERI, „Rencontres“, a.a.O., (Anm. 669). 778 Martinez, „Geschäfte“, a.a.O., (Anm. 761).

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Neben diesen bilateralen Verbindungen ging Martinez zudem auf die Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) – die auch in anderen Publikationen immer wieder diskutiert wurde – sowie die Liberalisierung des Öl- und Gasmarktes ein: 1994 brachten eine Strukturanpassung unter der Ägide des Internationalen Währungsfonds sowie eine Umschuldung einen enormen Zufluss an Geldern, die teilweise in den Aufbau der Kriegsmaschinerie investiert wurden. Zudem liessen sich nach der 1991 vom Volk gutgeheissenen Liberalisierung des Brennstoff-Sektors grosse ausländische Mineralölgesellschaften nieder, die durch die Modernisierung der Anlagen die Staatseinnahmen erhöhten. 779

Für Martinez standen die Ansichten über ein anderes, nach europäischen Maßstäben der 1990er Jahre unvorstellbar gewalttätiges Algerien und die Diskussion um ein Regime, welches in engem Austausch mit vor allem europäischen Partnern stand, in einem engen Zusammenhang, weil Letzteres Ersteres begünstige: Ohne die Verflechtung auf wirtschaftlicher Basis seien weder die Beschleunigung der „Kriegsmaschinerie“ noch die weitgehende Gleichgültigkeit gegenüber den Gewalt- beziehungsweise Kriegshandlungen denkbar. Die Kritik an wirtschaftlichen Verflechtungen beziehungsweise derartigen Projektionen brachte ein gemeinsames Papier von Martinez und Béatrice Hibou auf den Punkt. Mit in gewisser Weise als „Aufrufe zum Imperium“ („appels d’Empire“) zu verstehenden Vorstößen hätten die Maghrebländer besonders die Kommission in Brüssel zu der Annahme verleitet, dass vor allem eine wirtschaftliche Verknüpfung mit der Region auch aus europäischer Sicht erfolgversprechend sei.780 Mit der Zitation der „appels d’Empire“ nahmen die Autoren Bezug auf ein 1996 erschienenes Buch des Forschers Ghassan Salamé, in dem er die These vertrat, dass sich die Sicherheitspolitik re-nationalisiere, und realpolitische Grundlagen dafür verantwortlich machte, dass zunehmend sowohl in den um Hilfe ersuchenden Ländern als auch in den interventionsfähigen Machtzentren einige Stimmen nach imperialer Machtentfaltung riefen. Das CERI-Papier konkretisierte das realpolitische Interesse an der Partnerschaft für die Maghrebländer. Sie seien besonders angesprochen von dem in der BarcelonaErklärung entworfenen „gemeinsamen Friedens- und Stabilitätsraum“,781 da sie sich verzweifelt von den Unterzeichnerstaaten im Osten des Mittelmeers abgrenzen wollten.782 Hibou und Martinez beschrieben in ihrem Papier eine trügerische Vorstellung, der überkommene Repräsentationen anheimfielen: Sie machte ein vereinfachendes, an historische Entwicklungslinien anknüpfendes Bild von den Beziehungen und Ordnungen im Mittelmeerraum aus, das sich in einer Art Komplizenschaft zwischen den Eliten in Brüssel und jener der beteiligten Staaten verfestigt habe. 779 780 781 782

Ebd. Hibou & Martinez, Partenariat, a.a.O., (Anm. 645), S. 6. Europäische Kommission, Barcelona, a.a.O., (Anm. 314), S. 154. Hibou & Martinez, Partenariat, a.a.O., (Anm. 645), S. 6. Hibou und Martinez nahmen direkt auf die Barcelona-Erklärung Bezug („zone de paix et de stabilité“). Das Zitat im Kontext findet sich in: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 91–92.

Fazit

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Die wirtschaftlichen Verflechtungsvorstellungen nehmen am CERI in Bezug auf das Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb (wie an den anderen Instituten auch) nicht den gleichen Raum ein wie andere Thematiken. Diese Aspekte wurden eher von den Forschern, die generell zu den Verflechtungen im internationalen System arbeiteten, mitbehandelt. Hierbei ging es dann zumeist um zwischenstaatliche Bereiche (wie beispielsweise die Euro-Mediterrane Partnerschaft [EMP]), in denen verflochtene Strukturen sichtbar wurden. Die Spezialistinnen und Spezialisten für den Maghreb nahmen eher die konkreten wirtschaftlichen Prozesse in den Blick, wobei diese ebenfalls aus der Perspektive einer wirtschaftlichen und administrativen Differenz geschildert werden konnten. Es gab allerdings auch CERI-Publikationen, in denen auf Verflechtungen hingewiesen wurde. Eine Besonderheit im Vergleich zum IFRI und den deutschen Instituten stellt die Kritik an der Politik der EU dar, die insbesondere gegen Ende des untersuchten Zeitraums am CERI formuliert wurde. FAZIT In den 1970er und 1980er Jahren entwickelte sich das CERI zu einer auch in der Öffentlichkeit agierenden und wirkenden Institution, in deren Kontext Themen wie die Repräsentationen des Maghrebs und die Frage nach den Mittelmeerbeziehungen Europas verhandelt wurden. Während der 1990er Jahre verstärkte Jean-Luc Domenach diesen Trend; unter der Leitung von Jean-François Bayart wurde das Thema auch vermehrt aus einer kritischen Perspektive behandelt. Das CERI verortete sich selbst in erster Linie als südeuropäisches, mit anderen vergleichbaren Organisationen in Italien oder Spanien eng verbundenes Institut. Daneben gab es jedoch, wie die Forschungsaufträge und Veranstaltungen zeigten, auch stärker auf Sicherheitsfragen abzielende Vorstellungen des Eigenen. Im Rahmen einer pointierten Kritik an der Partnerschaftsrhetorik der EU gegenüber den Maghrebländern – diese ist vor allem mit den Namen Luis Martinez und Béatrice Hibou verbunden – betonte man eine eigene, europäische Rolle. Für die Ausbildung der Vorstellungen von einem anderen Maghreb sollte die Wirkung der eskalierenden Situation in Algerien nicht unterschätzt werden. Die damit verbundene Migrationsthematik konnte ebenfalls als Trennungslinie dienen: Emigration und Immigration wurden dann dem Maghreb beziehungsweise Europa zugeordnet. Unterschiedliche Perspektiven und Ansätze innerhalb der vergleichsweise großen Struktur des CERI führten oft zu ähnlichen Unterscheidungsmustern. Neben der Algerienkrise und der Migration dienten beispielsweise die Zeit oder der Raum als Ordnungsmuster, aus denen sich Repräsentationen des Fremden – oder auch von Verflechtungen – ergaben. Die Zeit zwischen 1990 und 2000 wurde im Rahmen dieser Verflechtungshypothesen als Periode eines enger zusammenrückenden Raumes beschreiben. Teilweise griffen CERI-Mitglieder

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zudem spezielle wirtschaftliche Verflechtungen heraus. Der Gesamtraum aus Europa und dem Maghreb783 war in dieser Sichtweise gleichermaßen von globalen Entwicklungen betroffen.

783 Wobei hier oft das konstitutionelle Europa gemeint war, aus dem Weltmaßstab gelegentlich aber auch Gesamteuropa und der Maghreb beispielsweise gegenüber China gemeinsam betrachtet wurden: „L’arrivée du coût de l’heure de travail chinoise sur le marché mondial, véritable séisme économique du prochain siècle, appelle l’Europe à développer une stratégie des deux rives [beider Ufer des Mittelmeeres, J. W.].“ Benhaïm, „Perspectives“, a.a.O., (Anm. 730), S. 37. Der Maghreb wiederum war nicht ausschließlich als Ensemble Teil von Verflechtungen, je nach wirtschaftlichem Sektor konnten auch einzelne Maghrebstaaten Teil der Verflechtungen sein.

INSTITUT FRANÇAIS DES RELATIONS INTERNATIONALES Die Haupttätigkeitsfelder des in Paris ansässigen Institut français des relations internationales (IFRI) sind die Politikberatung und die Forschung im Bereich der akademischen internationalen Beziehungen. Die seit 1979 bestehende Organisation sieht sich in der Tradition des 1935 von insgesamt sechs Institutionen784 und mit Unterstützung des Außenministeriums und der philanthropischen Stiftung Carnegie Endowment for International Peace gegründeten Centre d’études de politique étrangère (CEPE). Von 1936 bis 1979 gab das CEPE die renommierte Zeitschrift Politique étrangère heraus. Nach seiner Wiedereröffnung im August 1945 leitete Jacques Vernant das Zentrum. Er war directeur d’études an der École pratique des hautes études, 6e section (der späteren École des hautes études en sciences sociales). Seit Oktober 1954 gehörte das Comité d’étude des relations franco-allemandes (CERFA) zur Organisationsstruktur des CEPE. Die Einrichtung dieses Komitees geht auf das deutsch-französische Abkommen von La CelleSaint-Cloud zurück.785 Eine zentrale Figur ist der im Untersuchungszeitraum und darüber hinaus amtierende Gründungsdirektor Thierry de Montbrial, der zuvor erster Leiter des wichtigsten Planungsstabes im französischen Außenministerium war, dem Centre d’analyse et prévision (CAP).786 Dieser Stab wurde im Juli 1973 vom damaligen Außenminister Michel Jobert gegründet, dem er auch direkt unterstand. Das Personal der Einrichtung bestand aus Angehörigen des Ministeriums und externen Experten.787 Mit Unterstützung des Premierministers Raymond Barre und der Außenminister Louis de Guiringaud und auch Jean François-Poncet übernahm de Montbrial am 19. Januar 1979 die Leitung des CEPE. Eine seiner ersten Entscheidungen war die Gründung des IFRI.788 Sehr schnell entwickelte das Institut eine sich immer weiter auffächernde Publikationsaktivität. Bereits im März 1981 erschien der erste Rapport annuel mondial sur le système économique et les

784 Dies waren die Pariser Universität, die École libre de sciences politiques, die Commission française de coordination des hautes études internationales, die Bibliothèque de documentation internationale contemporaine, das Centre de documentation sociale de l’École normale supérieure sowie die Groupe d’études diplomatiques. 785 IFRI, L’institut français de relations internationales. 1979–1999, (Paris, 1999), insbes. S. 6. 786 Klaus Manfrass, Politik und politische Wissenschaft in Frankreich: Politische Organisationen, Publikationen, Presseorgane, Dokumentationsstätten, Forschungseinrichtungen (Dokumentation Westeuropa, 3), (München, New York, London, u. a.: Saur, 1979), insbes. S. 62. 787 Carpentier-Tanguy, „Expertise“, a.a.O., (Anm. 71), S. 9. 788 Rechtlich erfolgte dieser Schritt über neue Statuten, die im Gesetzesblatt vom 14. März 1979 veröffentlicht wurden. IFRI, 1979–1999, a.a.O., (Anm. 785), S. 7.

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stratégies (RAMSES); auch die Zeitschrift Politique étrangère wurde weitergeführt.789 Das Thema Maghreb wurde laut einer Auflistung in der zum zehnjährigen Jubiläum herausgegebenen Broschüre vor allem in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre vermehrt untersucht: Ein erster Aufsatz erschien in RAMSES 1986/1987; 1988 folgten zwei Studientage, aus denen ein 1990 publizierter Sammelband hervorging. Die erwähnte Jubiläumsschrift nannte Michel Jobert als einen von fünf Vortragenden zum Thema Maghreb („Le Maghreb à l’ombre de ses mains“, 23. Januar 1986).790 Ähnlich wie das CERI in den 1950er Jahren konnte auch das IFRI nichtstaatliche Unterstützung gewinnen. Eine Spende der Ford-Stiftung (1988) und die Unterstützung durch große französische Unternehmen trugen dazu bei, dass das Institut aus angemieteten in eigene Räume umziehen konnte.791 Das IFRI sieht sich in stärkerem Maße als das CERI als Ideenschmiede nach US-amerikanischem Vorbild. INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN Ganz in US-amerikanischer Tradition setzte das IFRI schon sehr früh auf private Mittel, um die Abhängigkeit von öffentlichen Zuwendungen zu verringern, und erreichte so ein abnehmendes Ungleichgewicht zwischen Geldern aus staatlichen und nichtstaatlichen Quellen.792 Diese gemischte Finanzierung machte (und macht) das IFRI zu einem zentralen Akteur im außenpolitischen Beratungssektor. Das Institut konnte so besonders in der Abstimmung mit Partnerunternehmen erfolgreich Programme entwickeln.793 Der Vorwurf, dass das Institut eine gleichsam marktbeherrschende Stellung innehabe, ist nach Pierre-Emmanuel Moog nicht unberechtigt. Thierry de Montbrial kennzeichnet er als einen „Liberalen, der das Monopol liebt“.794 Wie die vorangegange Gründungsgeschichte des IFRI deutlich macht, spielte de Montbrial als Direktor eine zentrale Rolle. Im Untersuchungszeitraum war er 789 Ebd., S. 25. 790 IFRI, 1979–1989. 10 ans de recherches et de publications, (Paris, 1989). 791 Der neue Standort war die rue de Procession im 15. Arrondissement, zuvor befand sich das Institut in der rue Ferrus. IFRI, 1979–1999, a.a.O., (Anm. 785), S. 26. Die Verankerung im akademischen, wirtschaftlichen und politischen Bereich (nach eigenem Verständnis ohne parteipolitische Bindung) macht das IFRI am ehesten ähnlich zu angelsächsischen Modellen. Catherine Fieschi & John Gaffney, „French think tanks in comparative perspective“, in: Think tank traditions. Policy research and the politics of ideas, hrsg. von Diane Stone & Andrew Denham, (Manchester, New York: Manchester Univ. Press, 2004), S. 105–120, insbes. S. 118. 792 Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 75. 793 Eine Broschüre von 1994 führt als „Sociétés membres“ neben vielen Banken (darunter auch die Deutsche Bank) beispielsweise geostrategisch interessierte Energieunternehmen wie Electricité de France (EDF) oder Gaz de France (GDF) auf. IFRI, Institut français des relations internationales, (Paris, 1994), insbes. S. 22–24. 794 Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 78.

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die herausragende Persönlichkeit, mit der das Institut identifiziert wurde. Der 1943 geborene de Montbrial entstammt einer Familie, die schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Elitekreisen bekannt war, sein Vater war inspecteur général, eine prestigeträchtige Position innerhalb der leitenden Beamtenschaft des französischen Staates, des sogenannten grands corps de l’État.795 In einer Jubiläumsbroschüre vom Juli 1989 wurde de Montbrials Vita folgendermaßen umrissen: Als Absolvent der École polytechnique (Corps des mines) promovierte de Montbrial an der University of Berkeley in den USA und wurde von 1973 bis 1979 erster Direktor des Centre d’analyse et de prévision (CAP) des französischen Außenministeriums. Neben seiner Tätigkeit als Direktor des IFRI wurde seine Funktion als Professor an der École polytechnique und am Institut d’études politiques (IEP) in Paris aufgeführt. Bezüglich internationaler Vernetzungen erwähnte die Broschüre seine Mitgliedschaft im internationalen Beirat des Institute of International Strategic Studies (IISS) in London.796 Für die führende Rolle Thierry de Montbrials ist darüber hinaus seine Mitgliedschaft im Verwaltungsrat (Conseil d’administration) des Centre d’études de politique étrangère (CEPE) hervorzuheben. Sein Ziel war es, das IFRI im Gegensatz zur Vorgängerinstitution eher nach dem Modell des auf politische Entscheidungsprozesse bezogenen Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington aufzubauen. Im Gegensatz zu den Kollektivmitgliedschaften für diplomatische Vertretungen und insbesondere Partnerunternehmen wurden Einzelpersonen lange Zeit nur im Kooptationsverfahren aufgenommen.797 In einer zweisprachigen Broschüre vom Juni 1994 wurde darauf verwiesen, dass de Montbrial seit 1989 Kommentator bei der konservativen Zeitung Le Figaro und seit 1991 Mitglied des Herausgebergremiums (comité éditorial) war.798 Diese Position sollte er über den gesamten Untersuchungszeitraum innehaben; 2002 wechselte er zur Zeitung Le Monde.799 Außerdem war er Herausgeber der traditionsreichen Revue des Deux Mondes. Besonders hervorgehoben wurde die Aufnahme in das Institut de France (Académie des sciences morales et politiques) im Juni 1992.800 Von 1989 bis 1991 war de Montbrial demnach zusätzlich Präsident der European Strategy Group (ESG); mit dem Vorsitz in dieser Gruppe übernahm sein Institut auch die Organisation (das Sekretariat) des Netzwerks – Funktionen, die alle drei Jahre zwischen den Mitgliedsinstituten rotierten.801

795 Die biographischen Angaben zum Vater von Thierry de Montbrial stützen sich auf das französische „Who’s who“, Ausgabe 2006. 796 IFRI, 1979, a.a.O., (Anm. 790). Im Zusammenhang mit dem IISS war vom Conseil d’administration die Rede. 797 Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 76. 798 IFRI, Institut 1994, a.a.O., (Anm. 793), S. 19. 799 Gespräch mit Thérèse Vigne, Büro IFRI, (27.5.2010). 800 IFRI, Institut 1994, a.a.O., (Anm. 793), S. 12. 801 Ebd., S. 19.

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Auch wenn die Broschüre hierzu keine Angaben macht, ist anzunehmen, dass de Montbrial auch weiterhin die treibende Kraft bei der Einwerbung von ausländischen Geldern war, da er mehrfach die Ausrichtung des IFRI nach USamerikanischem Vorbild forciert hatte. Zu den erwähnten ausländischen Stiftungen zählten die Ford-Stiftung (die das IFRI bei der Gründung unterstützte), aber auch der German Marshall Fund of the United States, die MacArthur-, die Rockefeller- und die Sloan-Stiftung. Die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Volkswagenstiftung wurden als unterstützende deutsche Partner genannt, daneben auch die japanischen Stiftungen National Institute for Research Advancement und die französisch-japanische Sasakawa-Stiftung.802 Auch im Bereich der transatlantischen Beziehungen war das IFRI involviert: Das jährliche „quadripartite“Treffen wurde jeweils von einem der vier beteiligten Institute ausgerichtet.803 Die Broschüre erwähnte außerdem wichtige, am IFRI tätige Forscherinnen und Forscher: Philippe Moreau Defarges, geboren 1943, gehört mit einem Studium an der École nationale d’administration (ENA) wie der Direktor des IFRI zum Kreis der Absolventen der grandes écoles. Als außenpolitischer Berater („conseiller des Affaires étrangères“) bekleidete er mehrere Verwaltungspositionen, vor allem im Bereich der europäischen Integration. Dieses Thema bearbeitete er auch am IFRI als „chargé de mission auprès du directeur“ und lehrte außerdem am Institut d’études politiques (IEP) in Paris.804 Seiner Meinung nach waren die Forschungstätigkeiten am IFRI, die sowohl die europäischen Aspekte als auch die Gegenüberstellung dieser Perspektiven mit der Peripherie des Maghrebs in den Blick nahmen, sehr begrenzt.805 Bassma Kodmani-Darwish, Jahrgang 1958, studierte am Institut d’études politiques (IEP) in Paris und erwarb einen Doktor in Politikwissenschaft. Sie war seit 1981 zuständig für die Arbeiten über die arabische Welt und den Islam. Ende 1988 wurde sie maître de recherche, zudem lehrte sie an der Universität Paris 1 und an der Universität Marne-la-Vallée.806 May Chartouni-Dubarry, geboren 1962, studierte Politikwissenschaft an der Universität Paris 1. Sie war als chargée de recherche seit 1987 am IFRI beschäftigt und lehrte als professeur associé an der École militaire de Saint-Cyr. Der Broschüre aus dem Jahr 1994 zufolge beschäftigte sie sich schwerpunktmäßig mit den islamistischen Bewegungen im

802 Ebd., S. 21. 803 Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 77. Die vier Institute waren das IFRI, die SWP, das Royal Institute of International Affairs (Großbritannien) und die RAND Corporation (USA). 804 IFRI, Institut 1994, a.a.O., (Anm. 793), S. 49. Eine Ethnographie über das Europakolleg in Brügge legt nahe, dass dieses sich ab den 1970er Jahren stärker vom Modell eines elitären englischen college in Richtung einer französischen grande école entwickelte – nur eben mit dem Anspruch, eine ähnliche Rolle für die Führungskräfte der europäischen Integration zu spielen wie z. B. die ENA für den französischen Staat. Kerstin Poehls, Europa backstage. Expertenwissen, Habitus und kulturelle Codes im Machtfeld der EU, (Bielefeld: transcript, 2009), insbes. S. 75–77. 805 Gespräch mit Philippe Moreau Defarges, Büro IFRI, (20.5.2010). 806 IFRI, Institut 1994, a.a.O., (Anm. 793).

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Libanon.807 May Chartouni-Dubarry war aus der Sicht der Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit des IFRI zudem für die Beziehungen zwischen Maghreb und EU zuständig und darüber hinaus verantwortlich für die Verbindung zur EuroMediterranean Study Commission (EuroMeSCo).808 Zum IFRI gehörte das Comité d’études des relations franco-allemandes (CERFA), das bei der Entwicklung von deutschen und französischen, auf den Maghreb bezogenen Europarepräsentationen eine wichtige Rolle spielte; es war vor der Gründung des IFRI Teil seiner Vorgängerinstitution, dem Centre d’études de politique étrangère (CEPE).809 Nach der Pensionierung des langjährigen Direktors Walter Schütze übernahm der sicherheitspolitische Experte Hans Stark, der sich bereits vorher am IFRI engagiert hatte, die Leitung. Eine so traditionsreiche Stelle, die paritätisch von beiden Außenministerien, dem Auswärtigen Amt und dem Quai d’Orsay, finanziert wurde, gab es nur in Paris. Die ähnlich ausgerichtete Arbeitsstelle Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der DGAP wurde hingegen staatlicherseits nur vom deutschen Außenministerium finanziell unterstützt; ihr fehlte auch eine vergleichbare Tradition. Stark zufolge waren die Beziehungen zwischen dem Maghreb und den europäischen Staaten bei der Betrachtung der deutsch-französischen Beziehungen allerdings nur ein Aspekt unter vielen.810 Der bereits aus dem Kontext des CERI bekannte Rémy Leveau trat besonders ab 1999 für das IFRI in Erscheinung. Leveau nahm seine Arbeit zeitgleich mit der Islamexpertin Khadija Mohsen-Finan auf. Wenig später begann ein von der FordStiftung finanziertes Projekt zum Thema „New European Identity and Citizenship“.811 In einem Nachruf verwies der früher ebenfalls im CERI aktive Gilles Kepel 2005 auf Leveaus Aktivitäten als Organisator von Projekten, aber auch als Forscher, der mit konkreten Studien in seinen letzten Lebensjahren zu seinen akademischen Wurzeln zurückgekehrt sei.812 Im Editorial der Zeitschrift des IFRI wurde zudem deutlich, dass Rémy Leveau ab 1999 bis zu seinem plötzlichen Tod

807 Ebd., S. 52. 808 Gespräch mit Natacha Crance, Büro IFRI, (19.5.2010); IFRI, Rapport 1999, a.a.O., (Anm. 88), S. 21. 809 Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 77. Weitere Substrukturen während des Untersuchungszeitraums fielen nicht im gleichen Maße ins Gewicht. Das Centre franco-autrichien (CFA) wurde als zwischenstaatliche Institution von Frankreich und Österreich 1978 gegründet und 1982 ins IFRI integriert. Das Centre français sur les États-Unis (CFE) wurde 1999 zeitgleich mit dem Center of the United States and France (CUSF) in der Brookings Institution, Washington gegründet. Ebd. 810 Gespräch mit Hans Stark, Büro IFRI, (24.5.2011). 811 Gespräch mit Khadija Mohsen-Finan, Bistro rue de Procession, (11.5.2010); IFRI, Rapport 1999, a.a.O., (Anm. 88), S. 24. 812 Kepel, „Semeur“, a.a.O., (Anm. 630), S. 242. Das Centre Marc Bloch wird auch heute noch immer wieder als Beispiel für die Forschungsintegration zwischen Frankreich und Deutschland genannt. Miard-Delacroix, Einigung, a.a.O., (Anm. 520), S. 336.

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2005 im IFRI aktiv gewesen war, indem er beispielsweise Vorträge organisierte.813 Zentrale Bedeutung hatte und hat für das IFRI auch die Herausgabe der Zeitschrift Politique étrangère. In einer Sondernummer zum 70-jährigen Jubiläum im Jahr 2006 stimmte der Chefredakteur Dominique David in einem Editorial ein Loblied auf die lange Tradition des publizistischen Aushängeschildes an. Vor siebzig Jahren sei Russland noch sowjetisch und Europa der entscheidende Schauplatz in der Welt gewesen. Was habe also eine frühe Ausgabe mit einer aus dem 21. Jahrhundert gemeinsam? Il fallait, pour le savoir, recourir à une mise en scène des idées, ordonner entre hier et aujourd’hui un dialogue de thématiques et de compétences. […] il fallait puiser dans la richesse des auteurs de Politique étrangère pour ordonner une sorte de polyphonie, mêlant plusieurs âges de la réflexion. 814

In der Rückschau auf die in der Zeitschrift behandelten Themen und die Forschungsschwerpunkte nach 1989 wies David darauf hin, dass der Maghreb keine besondere Bedeutung für die französische Außenpolitik habe. Zwar gebe es eine spezielle Beziehung Frankreichs zum Maghreb, die aber nicht mit außenpolitischer Relevanz gleichzusetzen sei – auch Deutschland habe spezielle Verbindungen mit östlichen Räumen, die Frankreich nicht teile. So würde Frankreich das Baltikum weniger emotional betrachten.815 In den Untersuchungszeitraum fallen allerdings mehrere Ausgaben, die für eine gewisse Relevanz des Maghrebs sprechen. Um das Zustandekommen von thematischen Schwerpunkten besser zu verstehen, sind folgende Merkmale der Zeitschrift einzubeziehen: Die Politique étrangère erschien vierteljährlich und zeichnete sich durch zahlreiche thematische Blöcke aus. Innerhalb des IFRI war es üblich, dass Dossiers, die in das Fachgebiet von IFRI-Mitgliedern fielen, von diesen persönlich betreut wurden.816 So ließ sich der Einleitung von May Chartouni-Dubarry zu dem Artikel „Le Maghreb à l’épreuve de l’Algérie“ (Heft 2/1995) entnehmen, dass sie an der entsprechenden Ausgabe der Politique étrangère substantiellen Anteil hatte.817 Eine weitere erwähnenswerte Publikationsaktivität des IFRI ist die Herausgabe des RAMSES-Jahrbuchs (Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies). Im Vorwort zu einer Aufsatzsammlung mit sämtlichen Vorworten der Jahrbücher von 1989 bis 2003 wies Thierry de Montbrial darauf hin, dass der Bericht dem Fachpublikum, aber auch Dozenten und

813 Redaktion Politique étrangère, „Éditorial“, in: Politique étrangère 70 (2005), 2, S. 237–240, insbes. S. 238. 814 Dominique David, „Editorial“, in: Politique étrangère (2006), S. 718–720, insbes. S. 718. Hervorhebung im Original. 815 Gespräch mit Dominique David, Büro IFRI, (19.5.2010). 816 Gespräch mit Stark, a.a.O., (Anm. 810). 817 May Chartouni-Dubarry, „Le Maghreb à l’épreuve de l’Algérie. Introduction“, in: Politique étrangère 60 (1995), 2, S. 327–328.

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Studierenden wohlbekannt sei.818 In den 1990er Jahren zeigte die Entwicklung des IFRI-Jahrbuchs, in welche Richtung sich die Forschungsstrategie des Instituts insgesamt bewegen sollte. Wegen rückläufiger Einkünfte aus institutionellen Mitgliedschaften entschieden sich de Montbrial und sein geschäftsführender Direktor in den 2000er Jahren, Forschungsprogramme speziell für einzelne staatliche oder private Akteure zu entwickeln, um Einkünfte für das Institut zu generieren.819 Als regionale Tätigkeitsbereiche erlangten der Maghreb sowie der Nahe und Mittlere Osten in den 1990er Jahren eher als Schwerpunkt von Forschungs- und Forumsaktivitäten Bedeutung. Obwohl das IFRI und das CERI in diesem Bereich auch kooperierten, gab es eine unausgesprochene Konkurrenzsituation zwischen den beiden Pariser Instituten. Die CERI-Leitung wollte das Zentrum verstärkt als öffentlichen Ort des Austauschs profilieren. In dieser Hinsicht war allerdings das IFRI als Gründungsmitglied der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) gut positioniert, insbesondere im Hinblick auf Repräsentationen der Verflechtung zwischen Europa und dem Maghreb. Dessen Netzwerkstrukturen erleichterten es IFRI-Mitgliedern, über die Kontakte mit anderen Partnern, unter anderem auch der SWP und der DGAP in Deutschland, Bezüge zu anderen nationalen Zusammenhängen herzustellen und beispielsweise Verflechtungsrepräsentationen zu entwickeln, welche die Vorstellungen eines französischen oder europäischen Eigenen im Gegensatz zum maghrebinischen Anderen aufzuweichen versuchten.820 DAS EIGENE IN DEN PUBLIKATIONEN DES IFRI Das Eigene in den Publikationen und Veranstaltungen des IFRI lässt sich mit dem Begriff euro-mediterran gut beschreiben. Die Verkoppelung der beiden Adjektive, die nichtsdestotrotz als separate Bestandteile erkennbar bleiben, und die Voranstellung Europas illustrieren die Ansicht der Akteure im IFRI und der dort gehaltenen Vorträge. Die Mehrheit konnte sich gut damit arrangieren, dass der gesamte Mittelmeerraum zwar als mit Europa verknüpft, aber nicht länger als konstitutiver Bestandteil Europas wahrgenommen wurde – Europa ohne den Mittelmeerraum stand an erster Stelle. Diese Priorität ergab sich nicht zuletzt daraus, dass das Institut eher als Forum und Ort für Debatten fungierte. Das Gleiche galt für die hauseigene Zeitschrift, obwohl Forscherinnen und Forscher sie auch nutzten, um eigene Forschungsergebnisse zu publizieren. Daneben traten

818 Thierry de Montbrial, Quinze ans qui bouleversèrent le monde. De Berlin à Bagdad, (Paris: Dunod, 2003), insbes. S. X. 819 Gespräch mit Vigne, a.a.O., (Anm. 799). 820 Nebenbei war EuroMeSCo eine der wenigen praktischen, vertrauensbildenden sicherheitspolitischen Maßnahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft, Mark Furness, EuroMediterranean Security Cooperation. Striking a Sub-Optimal Bargain? Diss., (Berlin, 2009), insbes. S. 31.

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Eigenrepräsentationen, die Europa entweder als politisch attraktives Gebilde präsentierten oder das institutionelle Vorgehen, zum Beispiel der EU, im Namen Europas ambivalent bewerteten. Europa und die Verantwortung gegenüber seiner Peripherie Im IFRI legte man im Unterschied zum CERI schon früh sehr viel Wert darauf, im Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb eine europäische Sprecherrolle einzunehmen. Dies lag zum einen an der starken Persönlichkeit des Leiters Thierry de Montbrial, der mit seinem Karrierehintergrund einem anderen Teil der herrschenden Klasse innerhalb Frankreichs zuzuordnen ist, als etwa die institutionelle Struktur des CERI für die meisten seiner Mitglieder nahelegt.821 Aus der ihm eigenen wirtschafts- und wirtschaftsingenieurwissenschaftlichen Sicht nahm de Montbrial immer wieder Stellung zur Frage, was das Eigene, das Europäische in den Beziehungen im Mittelmeerraum war. Zum anderen arbeitete das Institut selbst – anders als das primär universitäre CERI – praxisorientiert und verwaltungsbezogen und verlegte sich eher auf umfassendere Themen und Zusammenhänge als auf eine regionalwissenschaftliche Spezialisierung. Die Entwicklung einer Rolle Europas in den traditionell französisch-national dominierten Beziehungen zum Maghreb war für das IFRI damit ein in höchstem Maße lohnenswertes Ziel. Die am IFRI gehaltenen Vorträge in der Phase direkt nach dem Ende des Kalten Krieges zeigen, dass die Auseinandersetzung mit dem Maghreb nicht vordringlich war. Philippe Moreau Defarges, Spezialist für die europäische Integration, erinnerte im Zusammenhang mit der ungewissen Zukunft der DDR Anfang 1990 an den Kompromiss zwischen Norden und Süden, der über die Finanzen der Gemeinschaft geschlossen wurde und von 1988 bis 1992 galt. Die Nicht-Mitglieder der Gemeinschaft am Mittelmeer hatten, so Moreau Defarges, bereits den Eindruck gewonnen, dass die EG den Süden zugunsten des Ostens vernachlässige.822 In einem Vortrag zur europäischen Einigung und Sicherheitspolitik des an der École polytechnique ausgebildeten ehemaligen Verteidigungsministers und Energiefachmanns André Giraud wurde der südliche Teil des Mittelmeerraums in einem Atemzug mit dem Mittleren Osten als zukünftiges Stabilitätsrisiko und Bedrohung bezeichnet, den eine Verteidigungspolitik auf 821 Boike Rehbein, Die Soziologie Pierre Bourdieus (UTB Soziologie, 2778), (Konstanz: UVKVerl.-Ges., 2006), insbes. S. 182. Nach Bourdieu sind die Ingenieurschulen wie die École polytechnique (Thierry de Montbrial begann dort seine Karriere) eine Möglichkeit der Elitenausbildung, der Werdegang im Rahmen von Sciences Po (der institutionelle Hintergrund des CERI) eine andere, vom „wirtschaftlichen Strukturwandel“ begünstigte. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, 16. Aufl., (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2005), insbes. S. 471. 822 Philippe Moreau Defarges, „L’unification communautaire et les bouleversements du paysage européen“, in: Politique étrangère 55 (1990), 1, S. 139–148, insbes. S. 144–145.

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Ebene eines „echten politischen Europas“ nicht ignorieren könne.823 Hier stand nicht die Herausforderung durch den anderen südlichen Raum, sondern der Wunsch nach einem deutlichen Fortschritt in der Konstitutionalisierung der europäischen Staatengemeinschaft nach dem Umbruch im Mittelpunkt. Die Deutsche Einheit war Thema eines von Karl Kaiser, Direktor der DGAP, gehaltenen Vortrags, demzufolge die Mehrheit der Deutschen unter dem Eindruck der Golfkrise ein militärisches Engagement Deutschlands außerhalb Europas, „genauer außerhalb der Zone des Nordatlantik-Paktes“, ablehne.824 Wie man sieht, reichten die Verbindungen des IFRI über den Pariser Mikrokosmos hinaus und bezogen Vertreter der deutschen Institute mit ein. Diese argumentierten wie im vorliegenden Fall eher aus einer Position heraus, aus der sie auch mit innenpolitischen Erklärungen das Vorgehen Deutschlands aufschlüsselten. Sie wurden als Spezialisten für die deutsche Außenpolitik konsultiert, so dass die Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb selten Thema waren. Kurz nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik äußerte sich beispielsweise auch der Chefredakteur der DGAP-Zeitschrift, Jochen Thies. In seinem Artikel ging es ebenfalls um die deutsche Sicht auf die Außenpolitik. Thies wies darauf hin, dass das Ende des Kalten Krieges vielleicht die letzte Chance der Europäer sei.825 Das vordringlichste Problem schien die Zukunft Deutschlands innerhalb der europäischen Integration zu sein. Schon früh wurde im Rahmen einer Diskussionsrunde im IFRI die Frage nach einer Erweiterung oder Vertiefung des politischen Europas gestellt; vor dem Hintergrund der europäischen Sicherheitspolitik diskutierten Experten diese beiden Alternativen. Allerdings verwies nur der Debattentitel, „Europa nach dem Golfkrieg“, auf den Mittelmeerraum und den Nahen und Mittleren Osten; die Rolle Deutschlands und der östlichen Nachbarstaaten war eindeutig wichtiger.826 Ganz vernachlässigt wurden Mittelmeerthemen jedoch nicht. Ein Bericht von sechs „europäischen Instituten für internationale Beziehungen“ erschien in französischer Sprache in der Reihe Les cahiers de l’IFRI. Neben dem IFRI waren auch das Forschungsinstitut der DGAP und die SWP vertreten. Er behandelte die EWG und die „neuen europäischen Demo-

823 IFRI, „Conference de M. André Giraud. Construction européenne, 11 avril 1990“, in: IFRI conférences (1990), April/Mai 1990. 824 Walter Schütze, „Conférence de M. Karl Kaiser. L’unification allemande : bilan et perspectives, 10 janvier 1991“, in: IFRI conférences (1990), Dezember/Januar 1990/1991. 825 „Tout le monde devra donc prendre des risques. Peut-être les prendra-t-on d’autant plus facilement, quand on aura compris qu’il s’agit là probablement de la dernière chance des Européens. La guerre du Golfe ne facilite pas les choses.“ Jochen Thies, „L’Allemagne après l’unification“, in: Politique étrangère 56 (1991), 1, S. 91–98, insbes. S. 98. 826 Es handelte sich um Jacques Lesourne (ebenfalls ein Absolvent der École polytechnique, Anfang der 1990er Jahre in leitender Position bei der Zeitung Le Monde), den Publizisten Alain Minc, Dominique Moïsi vom IFRI und Jacques Rupnik, Osteuropaexperte vom CERI. Marie-Christine Michel, „Débat entre MM. Jacques Lesourne, Alain Minc, Dominique Moïsi et Jacques Rupnik. L’Europe après la guerre du Golfe, 24 avril 1991“, in: IFRI conférences (1991), April/Mai 1991.

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kratien“ und trug als Titelzusatz die Datumsangabe 1991.827 Vor dem Hintergrund der Wirtschaftsbeziehungen zu Mittel- und Osteuropa diskutierte darin ein Experte des italienischen Istituto Affari Internazionali (IAI, Rom) die Frage, welchen Stellenwert Nordafrika, die Mittelmeerregion und der Mittlere Osten haben sollten.828 Sein Fazit lautete, dass die Mittelmeerpolitik eine wichtige Priorität der gesamten Gemeinschaft bleiben müsse.829 Die in der EG verbundenen Staaten sollten beispielsweise im Mittelmeerraum und im Mittleren Osten, langfristig aber auch in Südafrika, Lateinamerika und Fernost, die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) aufrechterhalten, meinte Bonvicini.830 Auch in proeuropäischen Gastbeiträgen und -vorträgen hatte der Mittelmeerraum nicht immer Priorität. Bei einem Vortrag des Generalsekretärs der Westeuropäischen Union (WEU) im Frühjahr 1992 betonte dieser die Rolle seiner Organisation: Seit dem Gipfel von Maastricht könne sie als Sicherheitseinrichtung mit der europäischen Verteidigungsidentität gleichgesetzt werden.831 Gerade in der Sicherheitspolitik wurde die Identität und Verantwortung Westeuropas beschworen, die Frage, was an der südlichen Peripherie geschehen sollte, blieb allerdings noch unbeantwortet. Besonders nach der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht ging es in den Veranstaltungen zur EU um die Frage nach der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Robert Toulemons Vortrag – er war zu dieser Zeit inspecteur général des finances – wurde im Herbst 1992 unter anderem mit der Prognose zusammengefasst, die Chancen, mit Maastricht in eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einzumünden, seien vor einer Klärung der Zukunft der NATO nicht groß. Zudem sei es unumgänglich, die Erweiterung beziehungsweise Vertiefung als Prüfung der gemeinsamen Politik der Mitgliedsstaaten zu debattieren.832 Im Jahrbuch von 1992 wurde ein Bericht über eine IFRI-Konferenz veröffentlicht, an der die Direktoren etlicher Beratungsinstitute, darunter Karl Kaiser von der DGAP, teilgenommen hatten, und in deren Rahmen der Vergleich der beiden 827 IFRI (Hrsg.), La communauté et les nouvelles démocraties européennes. Rapport de six instituts européens de relations internationales (Les cahiers de l’IFRI, 10). Juin 1991, (Paris: IFRI, 1991). 828 Gianni Bonvicini, „Le cadre politique plus large d’une stragie communautaire à l’egard de l’Europe centrale et orientale, (IAI)“, in: La communauté et les nouvelles démocraties européennes. Rapport de six instituts européens de relations internationales. Juin 1991, hrsg. von IFRI (Les cahiers de l’IFRI, 10), (Paris: IFRI, 1991), S. 113–130, insbes. S. 119. 829 Ebd., S. 121. 830 Ebd., S. 123. Im französischen Original wurde das Kürzel CPE (Coopération Politique Européenne) verwendet. 831 UEO ist die französische Abkürzung für die WEU. In den konkreten Fragen konzentrierte er sich jedoch auf das ehemalig sowjetisch dominierte Osteuropa. Marie-Christine Michel, „Conférence de M. Willem F. van Eekelen. L’avenir de l’Union de l’Europe occidentale, 15 avril 1992“, in: IFRI conférences (1992), April/Mai 1992. 832 Dies., „Conférence de M. Robert Toulemon. L’après-Maastricht, 23 juin 1992“, in: IFRI conférences (1992), Juni/September 1992.

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arabischen Regionen Maghreb und Maschrek vorgenommen wurde. Bassma Kodmani-Darwish unterstrich, dass die Vorstellung vom Süden präziser werde, wenn man diesen als islamisch begreife. Vor dem Zusammenbruch des Ostblocks habe man den Süden in globale Analysen einbezogen.833 Seitdem habe trotz der zeitlichen Parallelität der Ereignisse eine Entkopplung von Osten und Süden stattgefunden; die beiden Räume bildeten nun ein unterschiedliches Betätigungsfeld für die Länder der Gemeinschaft. Den Osten unterstützte man eher, während der Süden tendenziell abgeschottet werden solle. Allerdings sei die Tendenz, eine derartige Unterscheidung vorzunehmen, nicht in allen europäischen Ländern gleich stark ausgeprägt. Der maghrebinische Raum sei aber im Kontext des Friedensprozesses im Nahen Osten eine wichtige Herausforderung für Europa. Sollte Europa tatsächlich eine aktive Rolle im Jugoslawienkonflikt spielen, wäre dies ein großer Fortschritt in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik; trotzdem würden gestärkte Beziehungen zum Maghreb die internationale Bedeutung Europas in noch größerem Maße bekräftigen. Ein Erfolg in dieser Region würde der Gemeinschaft einen Einfluss in den internationalen Beziehungen mit der Gesamtheit der arabischen Welt ermöglichen.834 Im Anschluss an diesen Beitrag wurde in dem Tagungsbericht der Kommentar des IFRI-Direktors abgedruckt, der nochmals unterstrich, Europa müsse sich vor allem mit dem Maghreb beschäftigen, im Mittleren Osten werde die europäische Rolle vermutlich eher marginal bleiben.835 In der Einleitung des IFRI-Jahrbuchs für 1993 beschäftigte sich de Montbrial insbesondere auch mit Algerien. In seiner tour d’horizon ging es vor allem um die Bedeutung des Maghrebs für Europa, sowohl aufgrund der geographischen Nähe als auch der Bevölkerungsverschiebungen. Westeuropa müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, sonst drohten wieder harte Zeiten („le temps des malheurs“).836 Neben Algerien blieb für die Behandlung des Themas der Beziehungen Europas zum Maghreb die Verbindung zu italienischen Akteuren wichtig, wie etwa die IFRI-Rundbriefe 1993 mit dem Hinweis auf eine Tagung in Rom zeigen. Die Konferenz thematisierte die „südliche Dimension“ europäischer Sicherheit: „La région méditerranéenne et l’identité de la sécurité européenne“.837 Für das IFRI nahm die Nachwuchsforscherin May Chartouni-Dubarry teil.

833 URSS ist die französische Abkürzung für die UdSSR. Bassma Kodmani-Darwish, „Les relations avec le monde islamique“, in: Colloque „Maastricht et après“. Compte rendu des interventions présentées le 3 novembre 1992 à l’occasion du lancement du RAMSES 93, hrsg. von IFRI, (1992), S. 15, insbes. S. 15. 834 Ebd. 835 Thierry de Montbrial, „Commentaire“, in: Colloque „Maastricht et après“. Compte rendu des interventions présentées le 3 novembre 1992 à l’occasion du lancement du RAMSES 93, hrsg. von IFRI, (1992), S. 16. 836 Ders., „Introduction“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial, (Paris, 1992), S. 11–27. Drucklegung war 1992, der Text war auf den August datiert. 837 IFRI, „Rencontres extérieures“, in: IFRI informations (1993), 69, April 1993.

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Ein Verweis auf die Mittelmeerregion findet sich auch in einem Bericht über einen Vortrag Wolfgang Ischingers – damals Chef des Planungsstabes im Auswärtigen Amt – der betonte, wie wichtig die fortgesetzte deutsch-französische Zusammenarbeit für ein politisches Europa sei. Bei allem Gewicht, das eine Erweiterung nach Osten haben müsse, dürfe Frankreichs Orientierung in Richtung des Mittelmeers von Deutschland nicht vernachlässigt werden. Gemeinsam müssten beide Partner nach Stabilität im Mittelmeerraum streben. Die Mittelmeerstaaten hätten im halb-mediterranen Frankreich („à moitié méditerranéenne“) einen Fürsprecher. Trotz der Konzentration auf den Osten dürfe man die Stabilitätsprobleme der Mittelmeerregion nicht vernachlässigen.838 Damit wandte sich Ischinger gegen die Haltung, besonders an der südlichen Peripherie lediglich nationale Projektionen am Werk zu sehen; im Gegenteil begriff er Europa mit den wichtigen Hauptpartnern Deutschland und Frankreich als globale Macht, die über eine einheitliche Politik gegenüber allen Randregionen ihren Anspruch in der Welt unterstreichen solle. In den Zusammenfassungen der IFRI conférences lautete auch die Einschätzung zum IFRI-Treffen mit dem deutschen Außenminister Klaus Kinkel im März 1994, ähnlich wie bei Wolfgang Ischinger, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit in Europa zentral sei. Jedoch kam hier die gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik weniger zur Sprache, im Fokus stand die im IFRI bereits früh entbrannte Debatte um die Erweiterung oder Vertiefung Europas.839 Es mag der Kürze der Zusammenfassung der IFRI conférences geschuldet sein, im Gegensatz zu einem fast zeitgleich erscheinenden Artikel Kinkels in der Zeitschrift der DGAP war explizit von einer Zusammenarbeit im Hinblick auf Nordafrika nicht die Rede.840 In der Ausgabe der IFRI informations des Frühjahrs 1994 fand sich ein erster Hinweis auf ein Forschungs-Netzwerk mit Blickrichtung Mittelmeer: Bassma Kodmani-Darwish habe am 25. und 26. Februar an einer Konferenz des Istituto Affari Internazionali (IAI, Rom) teilgenommen. Die Veranstaltung wollte mit der Einrichtung einer Mediterranean Study Commission (MESCO) das Nachdenken über die internationalen Beziehungen und die Sicherheit im Mittelmeerraum voranbringen.841 In einer Analyse einer umweltpolitischen „epistemischen Gemeinschaft“ im Kontext des Mittelmeers konnte bereits gezeigt werden, dass französische Mitglieder nicht in gleichem Maße auf internationale Partizipation

838 Anne Bonraisin, „Conférence de M. Wolfgang Ischinger. La France et l’Allemagne dans la nouvelle Europe, 20 janvier 1994“, in: IFRI conférences (1994), Dezember/Januar 1993/1994. Für einen Ausschnitt der Quelle siehe: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 86, Anm. 27. 839 IFRI, „Conférence de M. Klaus Kinkel. La France et l’Allemagne dans la nouvelle Europe, 24 mars 1994“, in: IFRI conférences (1994), Februar/März 1994. 840 Vgl. Kinkel, „Deutschland“, a.a.O., (Anm. 415). 841 IFRI, „Réunions extérieurs“, in: IFRI informations (1994), 74, April 1994.

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angewiesen waren, um ihre Reputation zu steigern.842 Es verwundert daher nicht, dass der Anstoß zur Bildung der Kommission aus einem anderen Mittelmeerland kam. Das Netzwerk der Mediterranean Study Commission (MESCO) war der Vorläufer der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo), in der heute alle untersuchten praxisorientierten Institute Mitglied sind. Im Frühjahr 1994 trug zudem Robert Toulemon ein weiteres Mal seine Thesen im IFRI vor, wobei er mehr als noch beim ersten Vortrag im Untersuchungszeitraum für eine verstärkte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) plädierte. Sein Vortrag trug die damalige Debatte im Titel, in der Zusammenfassung der IFRI conférences stand die Analyse der Wirtschafts- und der Balkankrise im Vordergrund. Am Rande wurden geostrategische Themen gestreift. Die Union sei eine Herausforderung, um sie zu erfüllen, benötige die EU eine vollwertige Institutionalisierung und budgetäre sowie militärische Mittel in entsprechendem Umfang.843 In der Einleitung des IFRI-Jahrbuchs, das 1994 erschien, hob Thierry de Montbrial Algerien wieder explizit hervor. Die inneralgerische Entwicklung wurde als eine besonders schwierige Situation südlich der EU beschrieben. Die Gewalt sei dabei, sich in alle Bereiche der Gesellschaft auszudehnen, Menschenrechte würden von keiner Seite im Konflikt beachtet. Frankreichs Hoffnung auf einen Weg ohne islamistisches Regime oder Bürgerkrieg hob de Montbrial ausführlich hervor, hier vor allem die Rolle im Club de Paris, um die Auslandsschuldenlast abzumildern. Im Großen und Ganzen sei die Lösung des algerischen Problems vergleichbar mit der Frage der von Osten kommenden MafiaOrganisationen, die gleichfalls die ganze EU infizieren könnten.844 Zum Abschluss konstatierte er, die EU sei an dieser Frage augenblicklich interessiert und gut aufgestellt.845 Ein Vorbote der spanischen Impulse in Richtung der EuroMediterranen Partnerschaft (EMP) war der Vortrag von José-Maria Aznar, damals Vorsitzender der spanischen Volkspartei, im Januar 1995. Ein Konsens innerhalb der EU zur Sicherheitspolitik sei notwendig. Drei Weltregionen seien dabei vorrangig: erstens die beiden Amerikas, Impulsgeber für Lateinamerika sei insbesondere Spanien. Zweitens nannte Aznar Nordafrika und die Mittelmeerregion, hier seien Frankreich und Spanien gemeinsam gefragt. Drittens führte der spätere

842 Peter M. Haas, „Do Regimes Matter? Epistemic Communities and Mediterranean Pollution Control“, in: International Organization 43 (1989), 3, S. 377–403, insbes. S. 395–397. 843 Übersetzt lautete der Titel „Europa zwischen Erweiterung und Vertiefung“. Odile Cnapelynck, „Conférence de M. Robert Toulemon. L’Europe entre élargissement et approfondissement“, in: IFRI conférences (1994), März/April 1994. 844 Wörtlich sprach de Montbrial von der Südflanke der EU: „Les difficultés de l’Union européenne sont augmentées par la fragilité de son flanc sud, dont le maillon le plus faible se situe aujourd’hui en Algérie.“ Thierry de Montbrial, „La situation internationale à l’été 1994“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jaquet, (Paris: Dunod, 1994), S. 13–30, insbes. S. 27. 845 Ebd., S. 28.

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spanische Ministerpräsident auch Russland als wichtigen Partner in sicherheitspolitischen Fragen auf. […] l’UE doit d’abord parvenir à un consensus sur une politique extérieure de sécurité autour de 3 axes : conserver l’alliance traditionnelle avec l’Amérique du Nord tout en l’élargissant, sous l’impulsion de l’Espagne, à l’Amérique latine ; élaborer une politique de sécurité avec la région méditerranéenne et l’Afrique du Nord – la France et l’Espagne ayant un rôle essentiel à jouer dans ce processus ; renforcer le partenariat avec la Russie […].846

In seinem Vorwort zum 1996er IFRI-Jahrbuch847 diskutierte de Montbrial unter anderem die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als eine der Herausforderungen für Frankreich. Neben der Sicherheitsarchitektur im Sinne eines umfassenden Europas, inklusive Russlands und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), sei auch eine soweit wie möglich einheitliche Politik gegenüber dem Mittleren Osten und Nordafrika notwendig. Die Konferenz von Casablanca im Oktober 1994 sei ein Zeichen für die Suche der arabischen Völker nach wirtschaftlichem Wohlergehen und politischer Freiheit. Die Europäer würden früher oder später ihren natürlichen Platz in der Region finden, die wirtschaftliche und strategische Interessen gleichermaßen berühre. Die Interessen der ganzen Union müssten dabei allerdings gewahrt bleiben, ein Wettstreit zwischen den großen Ländern der EU wäre desaströs. Frankreich müsse eine europäische Dimension in seiner Nordafrika-Politik anerkennen (besonders in Algerien), diese sei zu sehr von privaten Interessen geleitet.848 Der Widerstreit von privaten Interessen und der Ausrichtung Frankreichs auf die Gemeinschaft stellte keine neue Deutung dar. Bereits im Hinblick auf die Algerienpolitik General de Gaulles ab 1958 gab es diese Perspektive. In einer solchen Deutung erschienen die Kursänderung in dem Konflikt und die relance européenne mit den römischen Verträgen nicht nur als zeitliche Koinzidenz. Nach dem französischen Historiker René Gallissot ergab sich die französische Dekolonisation aus den zunehmend auf Europa fokussierten wirtschaftlichen Investitionen.849 Die im Juli 1996 abgeschlossene Einleitung zum Band für das kommende Jahr stellte zum einen die Bedeutung der Entscheidung für eine europäische Verteidigungsidentität innerhalb der NATO heraus, die beim NATO-Gipfel am 6. Juni 1996 in Berlin gefallen sei. Auf eine Bedeutung für den Maghrebraum ver-

846 UE ist die französische Abkürzung für die EU. Murielle Dugay, „Conférence de M. JoséMaria Aznar. L’Espagne européenne, 16 janvier 1995“, in: IFRI conférences (1995), Dezember/Januar 1994/1995. 847 Es erschien 1995 für das kommende Jahr. 848 Thierry de Montbrial, „Regards sur le monde juillet 1995“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jaquet, (Paris: Dunod, 1995), S. 17–35, insbes. S. 33. 849 René Gallissot, „La décolonisation du Maghreb“, in: La guerre d’Algérie. 1954–2004, la fin de l’amnésie, hrsg. von Benjamin Stora & Mohammed Harbi, (Paris: R. Laffont, 2004), S. 47–76, insbes. S. 69. Vgl. David Birmingham, The Decolonization of Africa, (London: UCL Press, 1995), insbes. S. 21.

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wies Thierry de Montbrial allerdings nicht explizit.850 Im Oktober 1996 wurde im Zuge der zahlreichen Besuche ehemaliger Amtsträger auch der Bundesaußenminister a. D. ins IFRI eingeladen. Hans-Dietrich Genscher appellierte, die EU müsse sich nach Osten und Süden öffnen. Die Stabilität der mediterranen Welt sei von grundlegender Wichtigkeit für die Mitgliedsstaaten, die Freihandelszone, die auf der Barcelona-Konferenz beschlossen wurde, müsse vor dem Jahr 2010 eingerichtet werden. Die deutsch-französische Zusammenarbeit sei in all diesen Herausforderungen das Schlüsselelement, nicht nur aus bilateraler, sondern auch aus europäischer Sicht.851 In der Ausgabe der IFRI informations vom April 1997 schrieb May Chartouni-Dubarry unter dem Titel „Rund um die Euro-Mediterrane Partnerschaft“ einen Kurzbericht über das Netzwerk Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo). Das Netzwerk sei offiziell im Juni 1996 in Sesimbra (Portugal) gegründet worden und bestehe aus Instituten im Bereich der akademischen internationalen Beziehungen aus den 27 Unterzeichner-Staaten der Erklärung von Barcelona. Zwei Arbeitsgruppen hätten sich im Sinne der politischen/sicherheitspolitischen Zusammenarbeit (Korb 1) und der humanitären Zusammenarbeit (Korb 3) gebildet. Die Themen, die in diesem Kurzbericht genannt wurden, waren allerdings eher auf einen sicherheitspolitischen Nenner gebracht. Zum einen ging es um die Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit, zum anderen um die Rüstungskontrolle, vertrauensbildende Maßnahmen und Konfliktprävention.852 Die Arbeiten dieser Gruppen sollten demnach Ende 1997 veröffentlicht werden. Darüber hinaus seien Empfehlungen für die Ausgestaltung der EuroMediterranen Partnerschaft (EMP) erarbeitet worden. Dieser Bericht sei am 11. Mai 1997 in Den Haag vor Vertretern der beteiligten Institute und hohen Beamten, die mit der Ausführung der Partnerschaft betraut seien, präsentiert worden. Die Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) diene dem Transfer zwischen der Sphäre der gouvernementalen und der non-gouvernementalen Zusammenarbeit. Trotz der vielversprechenden Anfänge hänge der Erfolg des Netzwerks aber vom Erfolg der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) ab, ein Prozess, der zwar notwendig sei, sich allerdings immer noch in einem unsicheren Stadium befinde.853 Rémy Leveau stellte die Beziehungen Europas mit dem Maghreb wenig später in den allgemeinen Kontext der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Über den ebenfalls in deutschen Veröffentlichungen angestellten Ver850 Thierry de Montbrial, „Regards sur le monde julliet 1996“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jaquet, (Paris: Dunod, 1996), S. 29–46, insbes. S. 32. 851 Hans Stark, „Conférence de M. Hans-Dietrich Genscher. Allemagne-France : une communauté de responsabilités pour l’Europe, 29 octobre 1996“, in: IFRI conférences (1997), Januar 1997. 852 May Chartouni-Dubarry, „Autour de partenariat euro-méditerranéen“, in: IFRI informations (1997), April 1997. Hervorhebung im Original. 853 Ebd.

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gleich zwischen den internationalen Beziehungen zur Türkei und Algerien unterstrich er, dass beide Staaten in diese Richtung vorangehen müssten. Neben dem Schlagwort vom deutsch-französischen Kern ging Leveau zudem auf die anderen Maghrebländer ein. Europa brauche eine Politik nicht nur gegenüber dem algerischen Bürgerkrieg, sondern auch gegenüber der marokkanischen Thronfolge. Darüber hinaus müsse es sich positionieren, je nachdem wie sich der tunesische Autoritarismus weiterentwickle.854 Im Jahr 1998 trat im IFRI die Rolle Europas in den Hintergrund, die Diskussionen drehten sich eher um das vermeintlich Andere im Maghreb. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums hingegen finden sich wieder Tätigkeiten am und im Institut, welche die Rolle insbesondere Westeuropas unterstreichen. Die am IFRI als chargée de mission auprès du directeur geführte Nicole Gnesotto äußerte sich Ende 1998 zur Erneuerung des politischen Europas. Jenes, so wurde ihr Vortrag zusammengefasst, sei im Projektstatus verblieben, weil es im Kontext des Kalten Krieges nicht von den USA und der NATO unabhängig gedacht werden konnte. Die französischen, britischen und deutschen Positionen hätten sich nach dem Ende dieser Phase und mit der Einführung des Euro allerdings angenähert und könnten in strategischen Fragen ein unabhängigeres Europa hervorbringen. Es stelle sich die Frage, ob die drei Staaten fähig seien, als Motor eines politischen Europas zu agieren und ob nationale Souveränität und Verteidigungsintegration innerhalb der EU vereinbar seien.855 Obwohl die Zusammenfassung in diesem Fall allgemein blieb und die strategischen Fragen nicht spezifiziert wurden, lassen andere Aussagen Gnesottos darauf schließen, dass auch und gerade das Mittelmeer als einer dieser Fragekomplexe angesehen wurde.856 In jedem Fall zeigte die Erwähnung des Dreigespanns aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland, dass es ihr um die Verantwortung Westeuropas ging. Gelegentlich traten Politiker auch gemeinsam in der Vortragsreihe des IFRI auf. Günter Verheugen und Pierre Moscovici, Deutschlands und Frankreichs verantwortliche Regierungsmitglieder im Bereich Europa, sprachen im März 1999 zum Thema „In Richtung eines politischen Europa“. Trotz einiger Differenzen, versicherte die Berichterstatterin des IFRI, habe die Veranstaltung eine große Übereinstimmung sowohl in der Entwicklung der EU als politische Macht als auch im Festhalten an der Rolle Deutschlands und Frankreichs als einem Motor der europäischen Integration gezeigt. Das Europa der Bürger müsse gestärkt werden. Schließlich sei es notwendig, im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik den wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten der Union angemessene

854 Rémy Leveau, „Mythes et réalités de la politique arabe“, in: Politique étrangère 62 (1997), 3, S. 355–370, insbes. S. 367. 855 David Mugnier, „Conférence de Mme Nicole Gnesotto. Le renouveau de l’Europe politique, 8 décembre 1998“, in: IFRI conférences (1999), März 1999. 856 Nicole Gnesotto, Le partage du fardeau dans l’OTAN. Enjeux et réalités (Les notes de l’IFRI, 11), (Paris: IFRI, 1999), insbes. S. 49.

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Instrumente zur Seite zu stellen.857 Die Einleitung des IFRI-Jahrbuchs für das Jahr 2000 (Drucklegung 1999) war weniger auf einzelne Regionen, sondern auf umfassende Trends und weltweite Strömungen gemünzt. Im Zusammenhang mit dem Thema der Globalisierung behandelte Thierry de Montbrial auch die Länder an der Peripherie der EU; als Beispiel nannte er Algerien. Der islamische Fundamentalismus sei auf die schlechte Regierungsführung nach der Dekolonisation zurückzuführen. In Bezug auf die berüchtigten „Afghanen“ hätten aber auch die westlichen Mächte ihren Anteil an dem algerischen Drama.858 Die Situation Algeriens zur Jahrtausendwende beschrieb de Montbrial nichtsdestoweniger als „relativ ermutigend“.859 In diesem Kontext, in dem auch im IFRI die Andersartigkeit des Maghrebraums betont wurde, machte sein Direktor auf die Mitverantwortung des Westens860 für die Entwicklungen aufmerksam. Im Anschluss beruhigte er jedoch die Leser wieder, was angesichts weitaus pessimistischerer Prognosen kaum mehr als ein Jahr zuvor auch nicht verwundert. Da sich das IFRI als Ort des Zusammentreffens von Akteuren aus Beratung und Politik etabliert hatte, gab es zahlreiche Berührungspunkte nicht nur zu anderen Expertinnen und Experten aus dem Pariser Mikrokosmos (unter anderem aus dem CERI), sondern auch aus deutschen Instituten und außenpolitisch interessierten Kreisen. Repräsentationen, welche die Verantwortung Europas gegenüber der Peripherie betonten, konnten auch in anderen Institutskontexten nachgewiesen werden, jedoch gab es am IFRI öfter auch die explizite Rede von der Verantwortung Westeuropas gegenüber dem Maghreb. Ein Unterschied zu den deutschen Instituten war des Weiteren der Standpunkt, den die Vortragenden und die IFRI-Mitglieder einnahmen. Aus der Perspektive, die dieses spezielle Pariser Forum erforderte – die deutschen Akteure blieben dabei durchaus nicht außen vor – waren die Beziehungen Frankreichs zum Maghreb und zu Deutschland zumeist getrennte Bereiche. Während allerdings in den deutschen Instituten in einigen Fällen schon zu Beginn der 1990er Jahre Themen zusammen diskutiert wurden, die sowohl als deutsch-französisch als auch als deutsch-französisch-maghrebinisch verstanden werden konnten, kam dies im IFRI erst mit dem Barcelona-Prozess auf. Daneben lässt sich die spezielle Rolle italienischer Partner bei der Bildung eines vor allem sicherheitspolitischen Netzwerks, das im Zuge der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) an Bedeutung gewann, in den Aussagen zum Mittelmeerraum ebenfalls nachvollziehen. Mit der Barcelona-Konferenz trat auch die iberische Halbinsel in dieser Hinsicht mehr hervor. 857 Stéphanie Dargon, „Conférence de MM. Pierre Moscovici et Günter Verheugen. Vers une Europe politique, 9 mars 1999“, in: IFRI conférences (1999), Juni/Juli 1999. 858 Thierry de Montbrial, „Le monde au tournant du siècle“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jacquet, (Paris: Dunod, 1999), S. 13–35, insbes. S. 20. 859 Ebd., S. 20–21. 860 Damit war auch Westeuropa gemeint – daher war es nach de Montbrial indirekt für die Umstände in Algerien mitverantwortlich.

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Vorbildfunktion der europäischen Staatengemeinschaft für den Maghreb Von den IFRI-Akteuren wurde aber nicht nur die Verantwortung Europas betont, sondern auch auf seine Attraktivität für die Maghrebregion verwiesen. Für dieses Argumentationsmuster war sowohl ihre gute Vernetzung im Maghreb und in der weiteren arabischen Welt als auch im Kontext der westeuropäischen Beratungsinstitute hilfreich. Man prognostizierte, dass die Anziehungskraft der immer enger vereinten europäischen Staaten im Laufe des Jahrzehnts zunehmen werde. Zudem waren die Brüsseler Initiativen in der Region Anlass, die Staatengemeinschaft als ideales Gegenüber für die Maghrebstaaten zu skizzieren. Indem IFRI-Mitglieder und -Gäste so nahelegten, dass im südwestlichen Mittelmeerraum komplementäre Partner zusammenarbeiteten, bedienten sie sowohl die mit den EU-Vorstößen verbundene Erwartung einer größeren Übereinstimmung als auch die Haltung, eher die fortschrittlichen, positiven Seiten der Mitgliedsstaaten zu betonen. Im IFRI-Jahrbuch für das Jahr 1990 ging ein nicht genannter Autor (vermutlich Bassma Kodmani-Darwish, Expertin für die arabische Welt) von einer neuen intermaghrebinischen Dynamik aus. Besonders die am 17. Februar 1989 gegründete Maghrebunion – Union du Maghreb arabe (UMA) – gab Anlass zur Hoffnung auf Besserung der regionalen Lage. Die Konflikte in der Region um die Westsahara seien auf einem guten Weg, eine Lösung möglich. Nur Algerien wurde kritisch beobachtet, die Unruhen im Oktober des Vorjahres wurden als Zeichen einer dringenden Reformbedürftigkeit des politischen Systems gedeutet.861 Bassma Kodmani-Darwish äußerte sich darüber hinaus in der Einleitung zu einem Band in der Reihe Travaux et recherches de l’IFRI, der 1990 zum Maghreb erschien, zu den wechselseitigen Beziehungen der Region zu Europa. Neben der Herausstellung des europäischen Vorhabens, die weltweit stärkste Wirtschaftsmacht zu werden, wurde ein interessantes Bild geliefert. Von Europa aus gesehen, ähnele der Maghreb – hier meinte Kodmani-Darwish vor allem seine geringe wirtschaftliche Dynamik – einer „kranken Kreatur“ („une créature malade“). Der Rückstand gegenüber Europa sei gewaltig und es bestehe die Gefahr, dass er sich in den kommenden Jahren vergrößere.862 In der Zusammenfassung eines Vortrags Thierry de Montbrials vom Juni 1990 wurde im Gegensatz dazu allerdings eher das Bild einer Uneinheitlichkeit des europäischen Kontinents angesichts der Entwicklungen in Deutschland und Russland gezeichnet.863 Schon in der kurz darauf abgefassten Einleitung des Jahr861 IFRI, „Les changements au Maghreb“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Jaques Edin, (Paris: Dunod, 1989), S. 83–84. 862 Bassma Kodmani-Darwish, „Introduction générale. Le Maghreb dans les années 90“, in: Maghreb : Les années de transition, hrsg. von Bassma Kodmani-Darwish (Enjeux internationaux/Travaux et recherches de l’IFRI), (Paris, Mailand, Barcelona u. a.: Masson, 1990), insbes. S. 11. 863 Pascal Lorot, „Conférence de M. Thierry de Montbrial. L’Europe éclatée“, in: IFRI conférences (1990), Juni 1990.

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buchs für 1991 wurde einerseits die Thematik als in größerem Maße miteinander verbunden gesehen, andererseits wurde weniger Gewicht auf die Länder des Maghrebs selbst gelegt. In der Einleitung ging es Thierry de Montbrial zum einen um Marokko, sein Beitrittsgesuch zur EG wurde als Beispiel für die Attraktivität der Gemeinschaft verwendet. Es seien nun eben auch die osteuropäischen Länder, die an die Tür der Gemeinschaft klopften.864 Zum anderen wurde in der Einleitung auch die Zukunft des Maghrebs als düster dargestellt. Darauf folgte die Hoffnung, die Gemeinschaft werde aktiver auf die Maghrebunion (UMA) zugehen: L’avenir du Maghreb, particulièrement de l’Algérie, paraît sombre et sera source de bien de difficultés. Peut-être la Communauté serait-elle bien inspirée de se montrer plus active dans ses relations avec les pays de l’Union du Maghreb arabe. 865

Ganz ähnlich argumentierte der Europaspezialist Philippe Moreau Defarges, der im Jahrbuch für 1991 die Beziehungen mit dem Mittelmeerraum als Beispiel für zukünftige Verhandlungen und Kompromisslösungen zwischen den Staaten der Gemeinschaft nannte und damit die intergouvernementalen Elemente betonte. Die Mittelmeerpolitik war bei dem IFRI-Mitglied ein zentrales Aktionsfeld („dossier spécifique“), bei dem die Staaten ihre Konzeptionen überein bringen müssten.866 Die IFRI-Expertinnen für die arabische Welt Bassma Kodmani-Darwish und May Chartouni-Dubarry zeigten in einem kleinen Band in der Reihe Points Ramses 1991 wegen des Zweiten Golfkrieges eher Skepsis gegenüber der bisherigen Politik Frankreichs und der Europäer im Mittelmeerraum. Dennoch bestanden die Autorinnen darauf, dass die langfristigen Interessen der Maghrebiner in einer engen Kooperation über das Mittelmeer hinweg liegen, wobei sie einräumten, dass das arabische Kernland identitär entscheidend bleibe: Die Maghrebstaaten identifizierten sich mit dem Herz der arabischen Welt.867 Die Solidarität Westeuropas mit Osteuropa ab 1989 habe sie enttäuscht, da ihre eigenen Schwierigkeiten aus dem Blickpunkt ihrer Gegenüber geraten seien.868 Seltener wurden die Beziehungen zwischen den beiden regionalen Repräsentationen Europa und Maghreb explizit zum Thema von Vorträgen gemacht. Am 23. Mai 1993 hielt Driss Alaoui Mdaghri einen Vortrag, dessen Titel übersetzt lautete: „Die Rolle Marokkos in den Beziehungen Europa/Maghreb“. 864 Thierry de Montbrial, „Introduction“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial, (Paris: Dunod, 1990), S. 7–18, insbes. S. 14. 865 Ebd., S. 17. 866 Philippe Moreau Defarges, „La CEE et le nouveau paysage européen“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial, (Paris: Dunod, 1990), S. 75–80, insbes. S. 80. 867 „[…] c’est à l’Est, au cœur du monde arabe, qu’ils [die Maghrebstaaten, J. W.] puisent leur identité.“ Die Reihe war eine Ergänzung zu den Jahrbüchern des IFRI, die mit der Abkürzung RAMSES betitelt waren. Bassma Kodmani-Darwish & May Chartouni-Dubarry, Golfe et Moyen-Orient : Les conflits. Préface de Thierry de Montbrial (Points Ramses), (Paris: Dunod, 1991), insbes. S. 99. 868 Ebd.

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Der Energieminister Marokkos argumentierte, das politische Europa nach der Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht würde sich einen einheitlicheren Maghreb wünschen. Einen Maghreb, mit dem sich eine Kooperation einfacher gestalten ließe. Eine Freihandelszone, die sich auf den gesamten Maghreb ausdehne, sei ein Beispiel für eine solche Kooperation.869 Eine Metapher, in deren Rahmen über die allgemeine Zukunft der europäischen Staaten im neuen internationalen System diskutiert wurde, war das empire. Der Publizist Alain Minc problematisierte die internationale Situation als eine Rückkehr ins Mittelalter, was einer ungeordneten Welt gleichkäme. Als mögliche Lösung diskutierte er die EG. Wäre es nicht möglich, so wurde er zusammengefasst, ein empire wiederzuerfinden, das weder erblich noch adelsbasiert sei, sondern demokratisch und gleichzeitig genügend integrierend, um die inneren Spannungen zu mindern und die Gesamtheit seiner Glieder zu stärken? Ein Hinweis, den Maghreb in dieses Unterfangen einzubeziehen, wurde jedoch nicht gegeben.870 In der dritten Ausgabe der Reihe Les notes de l’IFRI von 1997 druckte das IFRI einen Aufsatz des außenpolitischen Beraters und IFRI-Forschers Moreau Defarges zur EU.871 Am Schluss des Textes stellte der Autor unter der Überschrift „In Richtung einer Wiederherstellung der römischen Sphäre?“ Überlegungen zu strategischen und politischen Entwicklungen im Mittelmeerraum an, wobei auch die vermeintliche Europabezogenheit Russlands gestreift wurde.872 Europa sei nach den zwei Weltkriegen in einem Stadium, in dem die historischen Vorhaben einer Vereinigung Europas unwiderruflich vereitelt schienen. Amerika und Russland, beides Gesellschaften, die vom römischen Beispiel besessen seien, hätten eine derartige Entwicklung unmöglich gemacht. Nun aber erfinde sich Europa, indem es sich zusammenschließe, als ein Imperium ohne Kaiser neu. Es sei auf dem Weg, das geographische Gebiet des antiken Rom – mit dem Mittelmeer als „Achse“ („pour l’axe, la Méditerranée“) – wiederzufinden.873 Moreau Defarges äußerte in diesem Fall für das IFRI eine ähnliche Zukunftserwartung, wie sie zu Beginn der 1990er Jahre Alain Minc dargelegt hatte. Allerdings stellte er die

869 Catherine Risset-Hemad, „Conférence de M. Driss Alaoui Mdaghri. Le rôle du Maroc dans les relations Europe/Maghreb, 24 mai 1993“, in: IFRI conférences (1993), April/Mai 1993. 870 Dies., „Conférence de M. Alain Minc. Le retour du Moyen-Âge, 24 november 1993“, in: IFRI conférences (1993), Oktober/November 1993. Andreas Wirsching kritisiert vor aktuellem Hintergrund, es sei ahistorisch, solche Parallelen allzu schnell zu ziehen. Vgl. Wirsching, „Integration“, a.a.O., (Anm. 695), S. 80. 871 Philippe Moreau Defarges, L’Union européenne : la fédération-nébuleuse (Les notes de l’IFRI, 3), (Paris: IFRI, 1997). Der Begriff „nébuleuse“ (ursprünglich astronomisch zur Bezeichnung von Sternen-Clustern geprägt) wurde in wissenschaftlichen Kreisen, die sich in der Annales-Tradition Blochs, Febvres und Braudels sahen, in dieser Zeit bereits für die Beschreibung menschlicher Gruppen verwendet. Burke, Annales, a.a.O., (Anm. 271), S. 147. 872 Moreau Defarges, Fédération-nébuleuse, a.a.O., (Anm. 871), S. 59. 873 Ebd., S. 60. Dieses Beispiel für das „Imperium als Modell“ findet sich ausführlich zitiert in: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 89–90.

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imperiale Rückbesinnung auf den Mittelmeerraum explizit her, während dieser Gravitationskern bei der Zusammenfassung des Minc-Vortrages implizit im empire-Begriff mitschwang. May Chartouni-Dubarry unterstrich in ihrer Kurzbeschreibung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) im Jahresbericht für 1998 die weitreichende Zielrichtung der Initiative. Das Vorhaben ziele darauf ab, eine eigene Identität des euro-mediterranen Raumes zu konstruieren und habe eine Langzeitperspektive.874 In der Befürwortung einer solchen Politik lag bei der Beraterin die Annahme, dass der europäische Anteil bei dieser neu entstehenden regionalen Identität anziehend auf die bis dato nicht-europäischen Anteile wirke. Das Mitglied einer anderen Pariser Einrichtung, der Fondation pour les études de défense, François Géré, sprach am 1999 zur französischen Strategie im 21. Jahrhundert und betonte die europäische Dimension. Die westeuropäischen Staaten seien kulturell übereingekommen, Krieg als ein Mittel ihrer internen Konflikte auszuschließen. Dieser Prozess könne ausgeweitet und Europa zu einer expandierenden Zone des Friedens werden. Militärische Strategien müssten von wirtschaftlichen Maßnahmen flankiert werden.875 Tony Judt sah 2005 in dieser Lesart eines Nachkriegseuropas, das sich von seiner eigenen dunkleren Geschichte abgrenzt, eine Leistung der europäischen Integration. Er warnte allerdings, dass diese „Mahnung und moralische Zielvorgabe“ in jeder Generation erneut vermittelt werden müsse.876 Géré sprach davon, dass Westeuropa von einem französischen Frieden gekennzeichnet sei. Mit einer Überlegung, diesen Prozess zu erweitern, empfahl er das für ihn mit nationaler Identifikation verbundene Bild von Europa in Fragen der innergesellschaftlichen Ordnung und der Konfliktlösung. Die südliche Peripherie der westeuropäischen Staaten spielte dabei eine bedeutende Rolle. Schon in einem Epilog zu dem bekannten Buch des Historikers und Soziologen Edgar Morin, Europa denken, hatte dieser Anfang der 1990er Jahre in ähnlicher Weise über den Frieden geschrieben. Europa müsse sich „mit dem Süden“, und zwar „über das Mittelmeer“, verbinden, um nicht mehr als Eindringling, sondern als Friedensbringer zu kommen.877 In einem weiteren Titel des Europaspezialisten Moreau Defarges in der Reihe Les Notes de l’IFRI ging es um die USA und Frankreich. Gegen Ende des Textes wurde Frankreichs Position wiederum gegenüber der EU und Afrika bestimmt. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) brauche eine politische europäische Union, ein Anfang sei mit dem Vertrag von Amsterdam gemacht, der

874 Chartouni-Dubarry, „Proche“, a.a.O., (Anm. 87), S. 77. 875 Daniel Marier, „Conférence de M. François Géré. Pour une stratégie de paix française au XXIe siècle ?, 18 janvier 1999“, in: IFRI conférences (1999), März 1999. 876 Tony Judt, Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, (München, Wien: Hanser, 2006), insbes. S. 966. 877 Edgar Morin, Europa denken, erw. Neuausg., (Frankfurt a. M., New York: Campus, 1991), insbes. S. 219–220. Morin war einer der Autoren, die in Deutschland mit der 1968er Bewegung entdeckt wurden. Miard-Delacroix, Einigung, a.a.O., (Anm. 520), S. 334.

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in diesem Bereich einen Herrn GASP oder eine Frau GASP vorsehe.878 Afrika sei eines der Gebiete, in dem Frankreich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre den USA abwehrend gegenübergestanden habe, mittlerweile habe sich Frankreich unwiederbringlich von Afrika entfernt und bemühe sich nur noch, präzise Interessen (Erdöl) zu wahren.879 Jedoch habe Frankreich mit Europa eine große Aufgabe vor sich: die Errichtung eines euro-mediterranen Raumes des Friedens und des Wohlstands. Dies sei eine europäische Betätigung, die EU sei ein Ankerpunkt sowohl für die osteuropäischen Länder als auch für die Länder des Mittelmeerraums von Marokko bis Ägypten. Europa habe wie die USA in einer globalisierten Welt regionale Projekte zu stemmen, nicht nur die Osterweiterung, sondern auch die Entwicklung der Beziehungen mit jenen, die nicht Mitglieder der EU werden würden, insbesondere der Türkei, der Ukraine und Russland.880 Der Jahresbericht des IFRI für das Jubiläumsjahr 1999 (Gründungsdatum des Instituts war 1979) führte unter dem Stichwort Méditerranée eine Kurzbeschreibung der Abläufe im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) auf und umfasste hier vor allem ein Projekt im Zusammenhang des Netzwerks Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo), in dessen Rahmen unter der Leitung von May Chartouni-Dubarry ein Bericht zur Partnerschaft erstellt worden sei.881 Zudem wurde in dem Bericht darauf verwiesen, dass das IFRI gemeinsam mit dem Istituto per gli Studi di Politica Internazionale (Mailand) in Monaco das Institut d’études politiques méditerranéennes (IEPM) gegründet habe. Die Anfangsphase des Instituts (Dezember 1999) sollte demnach vor allem EU-Themen gewidmet sein.882 Auf den Maghreb verwies eine eigene Überschrift. Unter dieser waren zwei Veranstaltungen von Rémy Leveau und Khadija Mohsen-Finan verzeichnet, eine zu den Beziehungen zwischen USA und dem Maghreb (8. Oktober 1999), bei der auch die pensionierte CERI-Forscherin Nicole Grimaud und der CERI-Forscher Luis Martinez als Vortragende aufgeführt waren, eine andere zur algerischen Krise (15. Dezember 1999) mit zwei Landesspezialisten, Naoufel Brahimi El Mili – expert financier, chargé de cours à l’Institut d’études politiques (IEP), Paris – und Akram Ellyas, Journalist der Zeitung La Tribune (Paris).883 Unter der Überschrift „Problèmes globaux“ wurde

878 Philippe Moreau Defarges, Les États-Unis et la France. La puissance entre mythes et réalités (Les notes de l’IFRI, 14), (Paris: IFRI, 1999), insbes. S. 57. Damit war der in diesem Vertrag erstmals vorgesehene „Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) gemeint. 879 Ebd., S. 58. 880 Ebd., S. 66. 881 Als Teilnehmer wurde auch Volker Perthes (SWP) genannt. IFRI, Rapport 1999, a.a.O., (Anm. 88). 882 „Le rôle de l’Union européenne dans la consolidation et la multilatéralisation de la paix au Moyen-Orient“; „L’implication de l’Europe du Nord dans la construction d’un espace euroméditerranéenne ?“; „Existe-t-il une Europe méditerranéenne ?“; „L’Union européenne dans la politique extérieure et de sécurité d’Israël“. Ebd., S. 22. 883 Ebd.

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das von der Ford-Stiftung finanzierte Forschungsprogramm „New European Identity and Citizenship“ angekündigt, welches unter der wissenschaftlichen Leitung von Rémy Leveau von Khadija Mohsen-Finan bearbeitet werde. Der Schwerpunkt liege im Vergleich von Migrationsidentitäten in Deutschland und Frankreich.884 Ob als attraktiver Bezugsrahmen, Ankerpunkt oder Gravitationskern, die Gemeinschaft der europäischen Staaten war im IFRI der Hintergrund, vor dem die Maghrebstaaten gesehen wurden. Gleichzeitig war der Maghreb den Entwicklungen in den Machtzentren dieser Gemeinschaft untergeordnet. Die vorherrschende Meinung bei IFRI-Mitgliedern und -Gästen war, dass die Staaten der Region sich eher anhand von Vorgaben aus dem Norden orientieren sollten; eine Eigenständigkeit oder eine gegenseitige Beeinflussung und Verflechtung wurden in diesem Kontext weniger thematisiert. Europa und seine Rolle in einer widersprüchlichen Welt Nicht so häufig wie die Motive eines verantwortlichen beziehungsweise attraktiven Europas waren Deutungen, die auf Widersprüche abzielen. Im IFRI waren zwei Arten vorherrschend: erstens die Ansicht, dass Europa beziehungsweise diverse europäische Staaten widersprüchlich und inkonsistent agierten; zweitens, dass sich die Welt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts aus europäischer Sicht pluralistischer entwickle, sich damit allerdings auch Unstimmigkeiten vervielfältigten. Die Maghrebstaaten und die regionale Situation – mit dem extremen Beispiel Algeriens – waren in diesem Zusammenhang Teil jener Welt, die die Widersprüchlichkeit im europäischen Denken und Handeln hervorrufen könne. In der Einleitung, die Thierry de Montbrial im Sommer 1991 für den Jahresband 1992 verfasste, rückte einmal mehr Algerien ins Zentrum der Aufmerksamkeit.885 Der Staat wurde in dem Text als Beispiel angeführt, dass Armut der Demokratie nicht dienlich sei: „Die Not bildet keinen Nährboden für die Entfaltung der Demokratie.“ 886 Den Maghreb bezeichnete er in einer späteren Passage als Südflanke Europas, daher sei in diesem regionalen Kontext eine verbesserte Anstrengung im Bereich der Entwicklung, insbesondere im Hinblick auf mehr Demokratie, nötig. Des Weiteren wurde Algerien erwähnt, als es um die Folgen einer weltweiten Inflation und höherer Zinsen für die Entwicklungsländer ging. Die entwickelten Länder dürften hier nicht tatenlos zusehen. In diesen Zusammenhang sei der Besuch Pierre Bérégovoys in Algier (30. Juli 1991) einzu-

884 Ebd., S. 24. 885 Thierry de Montbrial, „Introduction“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial, (Paris: Dunod, 1991), S. 7–23. 886 „La misère ne constitue pas un terrain favorable pour l’épanouissement de la démocratie.“ Ebd., S. 14.

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ordnen.887 Im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Zukunft der europäischen Integration gab es auch Auswirkungen auf die Debatte um Europa und den Maghreb, wobei häufig nicht mit der konkreten Region argumentiert wurde – in den Vortragszusammenfassungen tauchten übergreifende Begriffe wie „arabische Welt“ oder „arabische Politik Frankreichs“ auf, etwa in einem Resümee des Maastricht-Kritikers Jean-Pierre Chevènement. Es wurde eine Linie von den Verträgen von Evian 1962 bis in die Gegenwart der französischen Außenpolitik gezogen. Der IFRI-Forscher Jérôme Paolini gab Chevènement 1992 mit dem Wunsch nach einer Konföderation wieder: Im Maastrichter Vertrag habe man versucht, ein „kleines Europa“ mit einer föderalen Zielsetzung zu entwerfen, während der Kontinent ein „großes Europa“ („une grande Europe“) nötig habe. In der Ordnung von Jalta habe Frankreich seine Verschiedenheit deutlich gemacht: „Sa politique arabe était une réalité.“888 Neben Chevènement gehörte de Montbrial zu den Stimmen, die vernehmbar die wirtschaftspolitische Tradition Frankreichs hochhielten, um die Rolle Europas zu stärken.889 Europas Platz in der Welt wurde über die Entwicklungen an seinem Rand determiniert. In einem Konferenzbericht890 thematisierte die IFRI-Forscherin May Chartouni-Dubarry in einem Beitrag die „islamistische Herausforderung“, insbesondere in Algerien. Nach einer umfangreichen Schilderung der internen Entwicklungen des islamistischen Extremismus – unter besonderer Berücksichtigung Irans, Sudans, Ägyptens und Algeriens – wurde abschließend die zunehmende Unruhe des Westens angesichts dieser Gefahr dargestellt. Die transnationale Dimension würde besonders dazu beitragen, dass die Hauptpartner von Ägypten und Algerien – hier waren implizit die USA beziehungsweise Frankreich gemeint – im Angesicht der Machtlosigkeit der herausgeforderten Staaten zögerten.891 Mit dem Hinweis auf Prozesse, die den klassischen Rahmen der internationalen Konflikte sprengten, ist die vorgestellte Argumentation ein Beispiel für die Widersprüchlichkeit der Welt, innerhalb der sich ein Europa konstituieren sollte. 887 Ebd., S. 22. Pierre Bérégovoy (1925–1993). Wirtschafts- und Finanzminister unter den Regierungen Fabius, Rocard und Cresson. Premierminister von 1992–1993. De Montbrial, Quinze, a.a.O., (Anm. 818), S. 94. 888 Jérôme Paolini, „Conférence de Jean-Pierre Chevènement. L’identité de la France dans le monde de l’après-Yalta, 17 mars 1992“, in: IFRI conférences (1992), April/Mai 1992. Das Argument Chevènements, welches Gilbert Ziebura durchaus für valide hält, besagt im Kern, dass der Maastrichter Vertrag vor allem Frankreich binde. Er verließ als Maastricht-Gegner bald die Sozialistische Partei, in der er mit dieser Haltung eine Minderheitsposition vertrat. Ziebura, Beziehungen, a.a.O., (Anm. 24), S. 383. 889 De Montbrial war als Kommentator der konservativen Tageszeitung Le Figaro aktiv. JanHenrik Meyer, The European Public Sphere. Media and Transnational Communication in European Integration 1969–1991, (Stuttgart: Steiner, 2010), insbes. S. 269. Siehe auch: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 87. 890 Die Konferenz fand anlässlich der Veröffentlichung des IFRI-Jahrbuchs Ende 1993 statt. 891 May Chartouni-Dubarry, „Le défi islamiste“, in: Colloque „L’Europe introuvable“. Compte rendu des interventions présentées le 3 octobre 1993 à l’occasion du lancement du RAMSES 94, (Paris, 1993), S. 26–28.

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Die inneren Entwicklungen nicht nur, aber auch im Maghreb hatten aus dieser Perspektive eine einschränkende Wirkung sowohl für die Handlungs- und Verhandlungsfähigkeit Frankreichs als auch seiner europäischen Partner. Im IFRI-Jahrbuch für 1996 wurde mit dem Fokus auf Algerien einerseits und der Migrationsbeziehung zwischen südlicher und nördlicher Mittelmeerküste andererseits ein Schwerpunkt auf die widerstreitenden Prinzipien im Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb gelegt. Der Gastautor Bernard Ravenel lieferte dazu einen kurzen historischen Abriss, beginnend mit dem Ausbruch der Krise in Algerien.892 1991 wurde als das Jahr der besonders ausgeprägten Immigrationsbewegungen nach Südeuropa beschrieben, für Frankreich wurde das Beispiel der Fluchtwelle aus Algerien vor den Wahlen genannt. Europa hätte in dieser Zeit seinen Schwerpunkt auf Osteuropa gelegt.893 Als Exkurs diskutierte Ravenel die Lage in Algerien aus europäischer Perspektive. Algerien sei ein geopolitisches Labor für den westlichen Mittelmeerraum. Frankreich und Europa stünden vor einem Dilemma. Entweder unterstützten sie den Status quo und würden damit in einen offenen Konflikt mit dem politischen Islam verwickelt, wie von einem Teil der öffentlichen arabischen Meinung und mindestens indirekt von den USA gewünscht, oder sie befürworteten einen politischen Prozess, der die traditionellen Gleichgewichte im gesamten Maghreb verschieben und so die Beziehungen mit der EU grundlegend verändern werde. . Jede auf eine Veränderung der politischen Situation zielende europäische Initiative, wie etwa der Vorstoß der römischen Vermittler („la plateforme adoptée à Rome“) würde die traditionellen Partner Frankreichs in Afrika zu beunruhigen, daher plädierte der Autor für eine Politik der privilegierten Nachbarschaftsbeziehungen zur Region, welche einer echten geopolitischen Vision („vision géopolitique“) Rechnung tragen sollten.894 Interessant ist, dass der spätere CERI-Forscher Luis Martinez als Autor im 1997er IFRI-Jahrbuch auftaucht. Der betreffende Abschnitt des Sammelwerks befasste sich unter anderem mit dem Mittelmeerraum und machte im Hinblick auf Algerien darauf aufmerksam, dass es widersprüchliche Tendenzen zwischen Europa und dem Maghreb gebe, insbesondere bezüglich der proklamierten Ziele

892 Bernard Ravenel, „Méditerranée : avancées vers la paix et instabilités. L’Union Européenne et le Maghreb“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jaquet, (Paris: Dunod, 1995), S. 102–108. 893 Ebd., S. 102. 894 Ebd., S. 106–108. In einem Informationskasten lieferte der Autor eine Chronologie bis in die Vorbereitung der Konferenz von Barcelona hinein. Demnach habe am 2. März 1992 Spanien eine Freihandelszone zwischen Europäischer Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und den interessierten Staaten des Maghrebs vorgeschlagen, weil es Letzteren als Zeitbombe wahrgenommen habe. Am 26. Juni 1992 habe der Europäische Rat in Lissabon erklärt, der Maghreb sei die südliche Grenze der Union. Nach den Ratssitzungen in Korfu und Essen 1994 habe ein umfassenderer Ansatz obsiegt, der die gesamte Mittelmeerzone einbeziehe und die Konferenz von Barcelona eingeläutet habe. Ebd., S. 103.

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und der realen Politik.895 Die Angst vor einem islamistischen Staat führe nicht nur zu einer Unterstützung der großen internationalen Einrichtungen wie der Weltbank und des Internationalem Währungsfonds (IWF) gegenüber dem Regime, sondern bringe „einige besonders betroffene Staaten“ dazu, den Verantwortlichen finanziell und militärisch zur Seite zu stehen.896 Die entstandenen Eliteeinheiten zur Guerillabekämpfung hätten neue Professionalisierungsgrade erreicht und seien mit Spezialequipment aus französischer Produktion ausgestattet.897 Die Wachstumsrate (3,2 % laut IWF) und die positive Handelsbilanz, die das Jahr 1996 kennzeichneten, seien ein wichtiger Einschnitt in den „vier Jahren Bürgerkrieg“. Bezüglich der Ölgeschäfte verwies der Autor auf eine Ausgabe der Zeitschrift Jeune Afrique (Nr. 1830, 1996). Am Ende stelle sich die Frage, ob es nicht eine islamistische Einkommensquelle („rente islamiste“) für das Regime gebe. Die Konferenzen von Barcelona und Scharm El-Scheik wurden als Beispiele für die Unterstützung Europas im Kampf gegen den „Terrorismus“ angeführt.898 Eine Art Nachklang zu der Suche nach einer europäischen Rolle gegenüber dem Maghreb und vor allem dem Algerien des Bürgerkrieges findet sich in einem theoretischen Vortrag, der 1999 das Thema Bürgerkrieg und die Selbstreflexion über die eigenen Fehler verband. Bezogen auf den algerisch-französischen Krieg lässt sich die Reflexion über eigene Fehler mit der französischen oder umfassender europäischen Kolonialgeschichte verbinden. In dem theoretischen Vortrag (frei übersetzt: „Die Reue: eine politische Tat?“) behandelte der IFRIForscher Philippe Moreau Defarges die gesellschaftlichen Vorgänge nach einem Bürgerkrieg oder einer Besatzung. In solchen historischen Situationen gehe es um das Eingeständnis von Fehlern. Drei Faktoren seien hier zentral: erstens die Psychoanalyse, die auf eben diesem Eingeständnis von Fehlern basiere, zweitens die Beziehung von Politik und Religion, die im 20. Jahrhundert zu einer Akzentuierung von Gut und Böse in der internationalen Politik geführt habe, und drittens die Geschichtsschreibung, die mittlerweile nicht mehr ausschließlich von denjenigen genutzt werde, die sich als Sieger sähen: „À notre époque, l’attitude des victimes et des vaincus à changé.“899 Die Hinweise aus dem Kontext des IFRI, die auf eine komplizierte Rolle Europas in der Ära nach dem Kalten Krieg hinwiesen, nahmen ihren Ausgang zumeist in der jeweiligen Situation im Bürgerkriegsland Algerien, auch wenn dies nicht immer offensichtlich war. Neben den paradoxen Entscheidungsproblemen in 895 Luis Martinez, „Méditerranée et Moyen-Orient : quelles logiques politiques ? Algérie : logiques de guerre et sorties politiques“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jaquet, (Paris: Dunod, 1996), S. 72–78. Im Autorenverzeichnis wurde Luis Martinez als „allocataire de recherche“ geführt. 896 Ebd., S. 74–75. 897 Ebd., S. 76. 898 Ebd., S. 77. 899 Algerien blieb aber implizit; Daniel Marier, „Conférence de M. Philippe Moreau Defarges. La repentance : acte politique ?, 14 avril 1999“, in: IFRI conférences (1999), Juni/Juli 1999.

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der konkreten Konfliktsituation waren auch generelle, eher interne Schwierigkeiten zwischen den europäischen Staaten Anlässe, die die Suche nach einer neuen Rolle motivierten. Die zunehmende Darstellung der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik (GASP) als Zukunftsprojekt war ein Hinweis darauf, dass im Untersuchungszeitraum dem Maghreb gegenüber noch unterschiedliche nationale Politikansätze verfolgt (oder eben nicht verfolgt) wurden. Wenn dem Maastricht-Europa ein großes Europa entgegengehalten wurde, richtete sich dies zum einen gegen französische oder innereuropäische Befürworter der Vertragsreform (also auch gegen die meisten deutschen Akteure), implizierte zum anderen aber auch eine weniger aus Brüssel koordinierte Politik gegenüber dem Maghreb und der arabischen Welt. DAS ANDERE IN DEN PUBLIKATIONEN DES IFRI Repräsentationen des Anderen lassen sich in den Publikationen und Vorträgen des Instituts in zwei Gruppen einteilen. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums war die Herausforderungsthematik sehr dominant; die Protagonisten dieser Denkweise forderten ein strategisches Handeln gegenüber dem Maghreb, der als bedrohlich naher Fokuspunkt einer transnationalen Islamismusbewegung schnell ausgemacht war. Daneben finden sich Ansätze, welche die Region entweder aus Gründen der krisenhaften Gewalt oder aus der Erkenntnis einer verschiedenartigen innereuropäischen Haltung ihr gegenüber als anders definierten. In einer politischen Betrachtungsweise führten letztlich beide Haltungen zu einer zunehmenden Abschottung. Im ersten Fall spielte das koloniale Andere Frankreichs eine nicht zu unterschätzende Rolle, im zweiten Fall bot sich Deutschland als Beispiel für die negativ bewerteten Differenzen der Mitglieder der Gemeinschaft an. Der folgende Unterabschnitt richtet den Blick jedoch zunächst auf die besonders stark vertretene Repräsentation einer strategischen Herausforderung. Der Maghreb als strategische Herausforderung Besonders zu Beginn der 1990er Jahre war im IFRI die Wahrnehmung vorherrschend, der Maghreb sei eine strategische Herausforderung. Verschiedene Faktoren flossen in diese Analyse eines anderen Maghreb ein. Zum einen war das der Islamismus, der insbesondere in Algerien aufmerksam und vor allem als etwas Fremdes beobachtet wurde, etwa indem IFRI-Mitglieder die Situation in den Ländern der Region verglichen und festhielten, dass der größte Maghrebstaat am meisten internationale Beunruhigung hervorrufe. Zum anderen betraf die Analyse die sonstigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Maghreb, die neben dem Nachdenken über die Rolle Europas vor allem die Fragen von Abgrenzung beziehungsweise Einhegung aufkommen ließen. In einem Band des IFRI, der 1990 erschien und die „Übergangsjahre“ im Maghreb thematisierte, traten bereits beide Aspekte dieser Herausforderung auf

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den Plan. Gleichzeitig wies die Hauptverantwortliche, Bassma Kodmani-Darwish, im Vorwort darauf hin, der Fortschritt des Maghrebs bis zur Gegenwart würde bei aller berechtigten Kritik selten gewürdigt.900 Gesellschaftlichen Wandel und Gefahr durch den Islamismus verstand Kodmani-Darwish als eng miteinander verbunden. Es sei ein Paradox, dass von einer demokratischen Öffnung vor allem die Islamisten profitierten.901 Als Risiko und Bedrohung wurde der Maghreb beziehungsweise der südliche Mittelmeerraum bereits im Mai 1990 in einer Vortragszusammenfassung bezeichnet. Die strategische Herausforderung bildete nicht das zentrale Denkmodell des ehemaligen Verteidigungsministers André Giraud, gehörte aber klar zum gedanklichen Instrumentarium eines solchen Redners am IFRI, der wie Thierry de Montbrial polytechnicien war.902 Mit dem Krieg zwischen US-geführter Koalition und dem Irak am Persischen Golf drängten sich andere Themen in den Vordergrund. Es erschien logisch, dass die regional zuständige Bassma KodmaniDarwish zum Beispiel im Heft der IFRI conférences für Oktober und November 1990 in einer Debatte zur Golfkrise vertreten war. Die arabische oder muslimische Welt wurde nun nicht unter dem Gesichtspunkt der alten Verbindungen Frankreichs diskutiert, die US-amerikanisch geführte Politik dominierte. Dennoch gab es neben der koalitionären Verbrüderung ein Befremden gegenüber der partiellen arabischen Identifikation – auch im Maghreb – mit Saddam Hussein. In dieser Hinsicht hatte die Arbeit Kodmani-Darwishs durchaus Berührungspunkte mit den Einschätzungen der CERI-Experten.903 Die Auseinandersetzung zwischen US-geführter Koalition und dem Irak gab dem deutschen DGAP-Forscher Ingo Kolboom Anlass zu seiner Analyse, Frankreich habe vor dem Krieg ein letztes Mal die Illusion von Größe gehabt. Sein Artikel über die alten Dämonen im deutsch-französischen Verhältnis erschien 1991 in der Zeitschrift des IFRI. Im Hinblick auf die überzogene Reaktion der Medien auf die Entstehung einer größeren und souveränen Bundesrepublik verwies Kolboom auf ein Arbeitspapier und nannte als eine der zu bewältigenden Herausforderungen die „Flanke des Mittelmeers“.904 Ein Sprecher aus dem Bereich der Wirtschaft, Yves-Marie Laulan, stellte wenig später in einem IFRI-Vortrag dem „Europa der Zwölf“ Afrika als Ganzes entgegen, welches für ihn eine politische, wirtschaftliche und soziale Instabilität 900 Kodmani-Darwish, „Introduction“, a.a.O., (Anm. 862), S. 9. Das Buch wurde noch vor Beginn des Untersuchungszeitraums fertiggestellt. 901 Ebd., S. 10–11. 902 IFRI, „Giraud“, a.a.O., (Anm. 823). 903 IFRI, „Questions régionales“, in: IFRI conférences (1990), Oktober/November 1990. Die Debatte fand zwischen Kodmani-Darwish und Admiral Pierre Lacoste, einem hohen französischen Militär, statt. 904 Auf Französisch war dies „le flanc méditerranéen“. Ingo Kolboom, „À la chasse aux vieux démons : la France et l’Allemagne unie“, in: Politique étrangère 56 (1991), S. 715–721, insbes. S. 716, 720–721. Das zitierte DGAP-Arbeitspapier erschien bereits im April des gleichen Jahres: Kolboom, Deutschland-Bilder, a.a.O., (Anm. 373).

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verkörperte.905 Obwohl dies in der Zusammenfassung nicht explizit wiedergegeben wurde, ist davon auszugehen, dass Laulan auch die Maghrebstaaten mit in dieses Bild eines instabilen, gefährdenden Afrikas einsetzte. Obwohl nicht explizit genannt, ergaben sich in dieser Sicht Parallelen zu den schon im Kontext des CERI auffälligen Zuweisungen von Bezeichnungen wie „Tiers-Monde“ oder administrativer Differenz. Eine europäische Armee (im Kern deutsch-französisch) müsse das Vakuum füllen, welches der US-Abzug hinterlassen habe. Afrika bilde einen großen Unsicherheitsfaktor, Europa habe noch die Möglichkeit, zu einem Sicherheitsanker zu werden. Im Zusammenhang mit dem Vortragsbericht zeigt sich zudem, dass europäisches Selbstverständnis und Herausforderungsrhetorik miteinander verbunden waren: „Ainsi, l’Europe des Douze est-elle capable de survivre à la fin de l’Empire soviétique ?“ Im Vorwort zum Jahresbuch des IFRI, welches Thierry de Montbrial Mitte 1992 verfasste, nahm der IFRI-Direktor einen weiteren Faktor der Herausforderung in Nordafrika in den Blick. In einem längeren Abschnitt über den Maghreb ging es zuvorderst um seine Bedeutung für Europa, sowohl aufgrund seiner geographischen Nähe als auch wegen der Bevölkerungsverschiebungen. Im Anschluss ging es vor allem um den Islamismus; Marokko beschrieb de Montbrial als im Allgemeinen besser auf die islamistische Herausforderung eingestellt als seine Nachbarn. Algerien sei natürlich das Land, das in dieser Situation die meiste Unruhe auslöse: „C’est évidemment sur l’Algérie que se focalise actuellement l’inquiétude.“906 Im Hauptteil des Bandes malten Kodmani-Darwish und Chartouni-Dubarry ein düsteres Bild von der Region. Zwar wurden in der Gesamtsicht der Region Maghreb und Maschrek die Risiken eines Konflikts zwischen Staaten als verringert eingestuft, dennoch sei die interne Situation der Staaten beunruhigend (womit hier wohl vor allem Unruhe im Westen gemeint war). In der Aufzählung wurden aus dem Bereich des Maghrebs Algerien und Tunesien genannt.907 Die algerische Krise wurde als die größte seit der Unabhängigkeit dargestellt. Sie stelle sogar das Gewicht Algeriens in der Region in Frage.908 Mit dem Beginn des Bürgerkrieges stellte sich die Situation für die IFRIMitglieder in folgender Weise dar: Es ginge für die entscheidungsnahen Eliten in Frankreich und in anderen europäischen und westlichen Staaten darum, den Status quo zu erhalten.909 Im IFRI kamen vereinzelt Stimmen auch aus der arabischen Welt zu Wort. Im Januar 1993 sprach der Generalsekretär der Arabischen Liga und forderte die An905 Marie-Christine Michel, „Conférence de M. Yves-Marie Laulan. Balkanisation et sécurité en Europe, 9 janvier 1991 [1992]“, in: IFRI conférences (1992), Dezember/Januar, 1991/1992. 906 De Montbrial, „Introduction“, a.a.O., (Anm. 836), S. 26. 907 Bassma Kodmani-Darwish & May Chartouni-Dubarry, „Maghreb-Machrek : détente régionale et périls intérieurs“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial, (Paris: Dunod, 1992), insbes. S. 137. 908 Ebd., S. 142. 909 Gespräch mit Stark, a.a.O., (Anm. 810).

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wesenden dem Vortragsbericht zufolge auf, „Europa“ müsse einen Dialog der „gegenseitigen Negation“ auf beiden Seiten des Mittelmeerbeckens vermeiden. Esmat Abdel Megid habe unterstrichen, dass Extremismus nicht ausschließlich im islamischen und arabischen Kontext auftrete.910 Die einseitige Sicht auf die Herausforderung wurde in diesem Beispiel zwar in Frage gestellt, in den Vortragszusammenfassungen bildeten derartige Stimmen allerdings eine Minderheit. Zudem können solche und ähnliche Veranstaltungen des IFRI mit einigem Recht in die Funktionszusammenhänge einer „intellektuellen Diplomatie“ eingeordnet werden. Kritiker werfen dem IFRI heute durchaus vor, auf dem Weg zu einem einfachen Austauschforum zu sein.911 Wie auch immer man diesen Anteil an der IFRI-Tätigkeit bewertet, in diesem Fall gab es eine diplomatische Komponente, das heißt, die Sprachregelungen eines solchen Vortrags ähnelten jenen, die bei offiziellen Anlässen angemessen schienen. Pierre-Emmanuel Moog zitiert eine IFRI-eigene Informationsquelle, nach der sich das IFRI als Anlaufstelle für Offizielle – zu Gast in Frankreich – versteht. Das Institut sehe sich als eine fast verpflichtende Adresse: „[…] étape naturelle pour de nombreuses personnalités officielles […].“.912 Im IFRI-Jahrbuch, welches 1993 erschien, war ein ganzer Abschnitt betitelt mit der „islamistischen Herausforderung“.913 Die Islamisten wurden als fähig angesehen, die gesamte arabische Welt zu destabilisieren. Ihre gleichzeitigen Offensiven in Algerien und Tunesien gaben Beispiele ab, wie selbstbewusst nach Meinung der IFRI-Forscherin May Chartouni-Dubarry diese Bewegungen mittlerweile agierten.914 Sie zitierte den Historiker Benjamin Stora, der einen Bürgerkrieg zwischen einem politischen Islam und einem muslemischen Republikanismus am Werk sah, wobei die Beziehung zur alten Kolonialmacht Frankreich einen zentralen Platz einnehme.915 Wenn IFRI-Mitglieder wie May Chartouni-Dubarry 1993 bei einer Konferenz des Instituts die Wahrnehmung Algeriens diskutierten, ging es nicht nur um die Rolle Europas in der Welt. Mit ihrem Hinweis auf die transnationale Dimension meinte sie zweierlei. Zum einen hob sie damit auf die über Staaten hinausreichende Verbindung von islamistischen Extremisten, also einer netzwerkartigen Struktur von fundamental Andersgesinnten, ab. Diese seien auf Konfrontationskurs gegenüber den europäischen oder westlichen Partnern der Regime in vielen arabischen Ländern. Zum anderen sprach sie die Auswirkungen der Islamismus910 Catherine Risset-Hemad, „Conférence de SEM. Esmat Abdel Megid. La Ligue des Etats arabes et l’avenir des relations avec l’Europe“, in: IFRI conférences (1993), Dezember/Januar 1992/1993. 911 Vgl. Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 78. 912 Ebd., S. 77. 913 May Chartouni-Dubarry, „Le défi islamiste“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jaquet, (Paris: Dunod, 1993), S. 50–53. 914 Ebd., S. 50. 915 Ebd., S. 51.

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ideologie bis in die westlichen Partnerstaaten hinein an. Insofern war diese Vorstellung auch eine, welche die Differenz der verschiedenen europäischen Länder unterstrich, etwa wenn es wichtig erschien, dass algerischstämmige Menschen in Europa vor allem in Frankreich lebten.916 Bassma Kodmani-Darwish beschäftigte sich zudem mit generellen Themen der Region, am 1. und 2. September 1993 nahm sie in Amman an einer Veranstaltung des palästinensischen Arab Thought Forum teil. Es handelte sich um einen sogenannten „Arab-European Dialogue (V)“, bei dem es um die Kernthemen Islamismus und Immigration ging.917 Mit dem Istituto Affari Internazionali (IAI) in Rom war das IFRI im Hinblick auf die arabische Welt ebenfalls vernetzt: Bassma Kodmani-Darwish trug an einer vom IAI veranstalteten Konferenz in Bologna vor. Die Konferenz behandelte die politische Rolle der islamistischen Bewegungen in der arabischen Welt. Ihr Beitrag trug den Titel: „Les implications régionales du mouvement islamiste.“918 Damit stand auch hier wieder die internationale Herausforderung durch den Islamismus im Zentrum. Genereller um Risiken, Bedrohungen und Destabilisierungstendenzen ging es in einem Tableau der Herausforderungen für Europa, das der IFRI-Forscher Dominique David Anfang 1994 veröffentlichte. Beispiele reaktiver Organisationsversuche vor dem Hintergrund der destabilisierenden Trends fand er im Maghreb und speziell in Algerien. Sein Ausblick war allerdings düster, was mit seiner Einschätzung einer zunehmenden Desorganisation in Europa zusammenhing. Diese Vervielfältigung von Europakonzepten auf dem europäischen Kontinent am Beispiel des Maghrebs wurde im Kontext der Repräsentationen eines Anderen thematisiert.919 In seiner damaligen Funktion als Abgeordneter und diplomatischer Berater von Jacques Chirac sprach im Juni 1994 Pierre Lellouche zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Die Analyse unterstrich die Bedrohung des Eigenen durch das Andere, unter anderem in der Bekräftigung, dass Europa eine von Unsicherheit bedrohte Zone sei.920 Im Zusammenhang mit den zunehmenden Spannungen in Algerien lautete der Titel des Rundbriefs IFRI informations vom Oktober 1994: „Algérie : l’amorce d’un dialogue miné“. Der Artikel von May Chartouni-Dubarry war sehr skeptisch bezüglich der Zukunft Algeriens; Implikationen für Europa deutete sie nur ganz

916 Chartouni-Dubarry, „Défi (colloque)“, a.a.O., (Anm. 891). 917 IFRI, „Réunions extérieures“, in: IFRI informations (1993), 71, Oktober 1993. 918 IFRI, „Réunions extérieures“, in: IFRI informations (1993), 72, Dezember 1993. Das Konferenzthema lautete: „The Political Role of Islamic Movements and Parties in the Arab World: Domestic, Regional and International Dimensions.“. 919 Dominique David, „Après l’Europe ?“, in: Politique étrangère 59 (1994), 1, S. 261–272, insbes. S. 265–266. David verwies auf mehrere Problembereiche: den einer exklusiven Beziehung Frankreichs und Südeuropas zum Maghreb, den einer gesamteuropäischen Herausforderung – „du fait de l’ouverture des frontières“ und den der Differenz zwischen den zwei Ufern des Mittelmeers („la différence entre les deux rives de la Méditerranée“). Zitate S. 266. 920 Camille Grand, „Conférence de M. Pierre Lellouche. La politique extérieure et de sécurité de l’Europe, 14 juin 1994“, in: IFRI conférences (1994), Juni/September 1994.

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am Ende mit dem Hinweis auf das Dilemma vieler Menschen im Land an, die sich entweder mit dem Krieg abfinden oder ins (zumeist europäische) Exil gehen müssten.921 Der speziell mit Algerien befasste Teil des ungefähr zur gleichen Zeit erscheinenden Jahrbuchs betonte die Bürgerkriegslage. Ahmed Rouadjia, assoziierter Forscher am Centre national de recherche scientifique (CNRS), zeichnete ein beinahe apokalyptisches Bild. Ein Vergleich zwischen der Zeit unmittelbar nach der Unabhängigkeit in den 1960er Jahren und der Kapitalflucht sowie des brain drain der 1990er Jahre böte sich an. Die sozialen Spannungen nähmen aufgrund der Krise laufend zu. Die algerische Krise sei somit eine Gemengelage aus internationalen Beziehungen und inneralgerischen Konflikten und trage bereits die Züge eines Bürgerkrieges.922 Mehr und mehr Algerier würden sich aus Frustration über die eigene politische und wirtschaftliche Lage nichts mehr als die französische Staatsangehörigkeit zurückwünschen, was noch vor vier Jahren unvorstellbar gewesen wäre.923 Nur die Islamisten könnten aus dieser Lage politischen Profit schlagen und über kurz oder lang die Macht erlangen.924 Der Titel des Beitrags, „Turbulences islamistes“, zeigt, dass vor der medialen Konjunktur der „Islamisten“ in den 2000er Jahren in der Expertise bereits Diskussionen zum Thema stattfanden.925 In der Einleitung zu diesem Maghrebteil des IFRI-Jahrbuchs wurde die EUPerspektive weniger als in der Einführung des gesamten Bandes von Thierry de Montbrial verfolgt. Die Rede war in erster Linie vom Westen. May ChartouniDubarry – mittlerweile auch professeur associé an der École militaire de SaintCyr – verfasste die Vorbemerkungen zu den maghrebinischen Themen. Den Umgang von Algerien und Marokko mit den Islamisten stellte die Autorin als zwei gegensätzliche Herangehensweisen dar (mit Algerien wurde Ägypten, mit Marokko Jordanien und der Libanon erwähnt). Die westlichen Partner der Länder seien insbesondere wegen des algerischen Beispiels sehr fokussiert auf das Problem des Islamismus, denn die Beziehungen mit dem Westen seien hieran gebunden.926 Diese sicherheitspolitische Interpretation des Islamismus wurde allerdings auch kritisiert, da die Gründe und Folgen von Fall zu Fall unterschied921 May Chartouni-Dubarry, „Algérie : l’amorce d’un dialogue miné“, in: IFRI informations (1994), 76, Oktober 1994. 922 Ahmed Rouadjia, „Turbulences islamistes. L’Algerie entre immobilisme et guerre civile“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jaquet, (Paris: Dunod, 1994), S. 86–93, insbes. S. 90. 1994 arbeitete Rouadjia im Rahmen seiner CNRS-Anbindung an einer Forschungseinrichtung in Amiens. 923 Ebd., S. 91. 924 Ebd., S. 93. 925 Vgl. Bruno Étienne, „Représentations médiatiques et discours politiques sur l’étranger immigré“, in: Immigrances. L’immigration en France au XXe siècle, hrsg. von Benjamin Stora & Émile Temime, (Paris: Hachette Littératures, 2007), S. 299–330, insbes. S. 313. 926 May Chartouni-Dubarry, „Turbulences islamistes. Introduction“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jaquet, (Paris: Dunod, 1994), S. 84–86, insbes. S. 84.

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lich seien. In Algerien herrsche eine spezielle Lage, da sich in zunehmendem Maße eine Bürgerkriegssituation entwickelt habe.927 Auch in einem Band, der 1995 in einer Buchreihe des IFRI erschien, nahmen der Mittelmeerraum und die algerische Krise ihren Platz in der Auflistung deutsch-französischer Themen ein. In der Einleitung hieß es gleich zu Beginn: La crise algérienne rappelle aux Allemands que les dangers ne touchent pas seulement l’Europe de l’Est, mais aussi le bassin méditerranéen. 928

In diesem deutsch-französischen Buchprojekt war auch Chartouni-Dubarry mit einer Analyse aus dem Blickwinkel der zwischenstaatlichen Kooperation vertreten. Sie forderte mehr französische Initiative, um einer Destabilisierung des Maghrebs zu begegnen. Frankreich müsse die algerische Frage auf die deutschfranzösische Agenda bringen, um einen wichtigen Test für die EU zu wagen. Dazu müsse teilweise die Exklusivität der französischen Rolle in der Region in Frage gestellt werden.929 In der französischen Version des Bandes hatte neben Chartouni-Dubarry auch der DGAP-Forscher Helmut Hubel die Möglichkeit, seine regionalwissenschaftlichen Überlegungen einem französischsprachigen Publikum vorzustellen. Obwohl es im französischen Titel scheinbar nur um den Nahen Osten ging, schloss Hubel den Maghreb mit ein.930 Er wandte sich gegen das Ausspielen von Osterweiterung gegen Südkooperation, beharrte aber darauf, dass in beiden Regionen Bedrohungen vorhanden seien. Für die Länder südlich des Mittelmeers seien Hilfen erforderlich, welche wirtschaftlich und politisch zu einer Stabilisierung oder Verbesserung der Lage beitragen könnten. Das Ende des Sowjetreiches habe im Osten zu großen ökonomischen, sozialen und politischen Spannungen geführt, auch hier sei Unterstützung notwendig.931 In den Vorträgen, die zu dieser Zeit am IFRI gehalten wurden, tauchte die algerische Krise als Teil der strategischen Herausforderung auf. Entweder ganz explizit, wobei wenig auf die französischen oder europäischen Komponenten eingegangen wurde, oder indirekt mit der Diskussion um die französische Mittelmeerdiplomatie. Im Rahmen der Mittelmeerpolitik Frankreichs war oft das Bestreben erkennbar, verschiedene nationale Vorstellungen von Europa beziehungs-

927 Ebd., S. 86. 928 Valérie Guérin-Sendelbach, Ingo Kolboom, Robert Picht, Hans Stark & Henrik Uterwedde, „Introduction. Questions européennes“, in: Agir pour l’Europe. Les relations francoallemandes dans l’après-guerre froide, hrsg. von Hans Stark (Travaux et recherches de l’IFRI), (Paris: Masson, 1995), S. 15–34, insbes. S. 15. Das Buch erschien sowohl in einer französischen als auch in einer deutschen Version (u. a. im Namen der DGAP). 929 May Chartouni-Dubarry, „France/monde arabe : le recentrage sur le Maghreb“, in: Agir pour l’Europe. Les relations franco-allemandes dans l’après-guerre froide, hrsg. von Hans Stark (Travaux et recherches de l’IFRI), (Paris: Masson, 1995), S. 187–195, insbes. S. 195. 930 Helmut Hubel, „Europe et Proche-Orient : les conséquences de la fin de la guerre froide“, in: Agir pour l’Europe. Les relations franco-allemandes dans l’après-guerre froide, hrsg. von Hans Stark (Travaux et recherches de l’IFRI), (Paris: Masson, 1995), S. 177–185. 931 Ebd., S. 184.

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weise seiner Rolle in den internationalen Beziehungen herauszuarbeiten.932 PaulMarie de La Gorce’ Vortrag im April 1995 trug den Titel „La crise algérienne“, auch in einem Artikel in der IFRI-Zeitschrift des gleichen Jahres fand sich dieser Ausdruck. De La Gorce unterstrich hier die Rolle Frankreichs, was bei Verhandlungen im Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Milderung der Krise oder in der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen zwischen europäischen und maghrebinischen Ländern zentral gewesen sei. In letzterer Frage habe der französische Innenminister Charles Pasqua die gewissermaßen anti-terroristische Kooperation zwischen Tunesien, Algerien, Spanien, Portugal, Italien und Frankreich im westlichen Mittelmeer institutionalisiert.933 Im Gegensatz zu einem Politiker wie Jean-Pierre Chevènement unterstrich er in seinem Vortrag die ambivalente Wirkung des Friedensvertrages von Evian, da sich auch dreißig Jahre danach viele Menschen durch die Politik nicht vertreten fühlten. Der algerische Präsident habe auf US-amerikanischen Druck Verhandlungen eröffnet, wegen der Erinnerungen an Evian seien sie gescheitert.934 Die Vereinbarungen von Evian besiegelten im März 1962 zwar einen offiziellen Waffenstillstand in Algerien. Die Gewalt in Form von Terror zwischen Bevölkerungsgruppen, Massenflucht und Machtkämpfen eskalierte danach aber weiter. Dies gilt auch, nachdem Frankreich im Juli 1962 die Unabhängigkeit Algeriens anerkannt hatte.935 Mit der Verschärfung der Gewalt in dem nordafrikanischen Land nahm dieses Thema auch in der Einleitung des IFRI-Jahrbuchs, welches im Herbst 1996 erschien, einen wichtigen Raum ein. Algerien wurde hier ganz im Zeichen des Islamismus herausgegriffen. Unter Bezugnahme auf den Westen verwies Thierry de Montbrial auf die Investitionen von großen Ölkonzernen (BP, Arco, Total) und die Refinanzierung der algerischen Schuldenlast 1994 und 1995, die seitdem zu einem Wiederanziehen der Wirtschaft führe. Dies verlängere allerdings den Krieg, da der Druck von den Mächtigen genommen sei, für eine Lösung zu sorgen. Als Beispiel für die Auswüchse des Krieges nannte der Autor den Mord an sieben französischen Trappistenmönchen.936 Die IFRI-Zeitschrift stellte neben Journalisten auch für Politiker eine Plattform dar; in einem Artikel zur europäischen Agenda bis zum Jahr 2000 schilderte Klaus Kinkel die Mittelmeerregion als problembeladen. Um die Vielzahl von Schwierigkeiten dort zu lösen, forderte der damalige deutsche Außenminister, Deutschland und Frankreich müssten die neue euro-mediterrane Politik ohne Vorbehalte unterstützen.937 932 Siehe oben, insbesondere die Reden von Jean-Pierre Chevènement. 933 Clara Basoni, „Conférence de M. Paul-Marie de La Gorce. La crise algérienne, 6 avril 1995“, in: IFRI conférences (1995), April/Mai 1995; Paul-Marie de La Gorce, „La France et le Maghreb“, in: Politique étrangère 60 (1995), 4, S. 927–939, insbes. S. 933–937. 934 Basoni, „de La Gorce“, a.a.O., (Anm. 933). 935 Benjamin Stora, Histoire de la guerre d’Algérie (1954–1962), 4. Aufl., (Paris: La Découverte, 2004), insbes. S. 76–86. 936 De Montbrial, „Regards“, a.a.O., (Anm. 850), S. 42–43. 937 Klaus Kinkel, „L’agenda européen à l’horizon 2000“, in: Politique étrangère 61 (1996), 3, S. 507–511, insbes. S. 509–510.

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Erst mit der anstehenden Einführung des Euro wurde die Herausforderungen im Maghreb als Repräsentationen eines Anderen wieder aktuell. In einem Beitrag in den IFRI informations vom Mai 1998 beschrieb Philippe Moreau Defarges die Einführung des Euro als Buchgeld zum 1. Januar 1999 als Sprung ins Ungewisse: „[…] l’euro requiert une mutation de l’Union européenne.“938 Die Europäische Zentralbank (EZB) werde zur Geburt eines europäischen Volkes beitragen, welches im Euro ein Symbol der Stärke und des Stolzes sehen werde. Die EU bleibe nichtsdestoweniger verwundbar: Im Osten verbleibe die Unsicherheit gegenüber Russland, im Süden der „Hexenkessel“ Mittelmeer. Die EU und die Eurozone benötigten mehr Zusammenhalt, der Euro sei irreversibel.939 In der Einleitung des Jahrbuchs für das Jahr 2000 wurde ein globaler Ansatz präferiert. Thierry de Montbrial nannte Algerien als ein Beispiel für jene Länder, die an der Peripherie Europas von der Globalisierung betroffen seien. In diesem Land stelle der Islamismus ein vordringliches Problem dar. Er habe sich entwickeln können, weil die Regierungsgeschäfte nach der Dekolonisation schlecht geführt worden seien.940 Der IFRI-Direktor wies zwar auf die internationalen Zusammenhänge des Konflikts hin, stellte gleichzeitig aber die Besonderheit Algeriens heraus. Damit befand er sich auf einer Linie mit der Analyse der Journalistin José Garçon. Sie schrieb in der IFRI-Zeitschrift Politique étrangère nach der manipulierten Wahl im April 1999, bei der nach Wahlbetrügereien letztlich nur ein Kandidat für das Präsidentenamt übrig blieb, Algerien trete in eine Phase der Unsicherheit ein.941 Betrachtet man in der Rückschau die Vorträge und Publikationen des CERI, in denen der Maghreb als eine Herausforderung in Form eines Anderen auftauchte, zeigt sich über die Zeit die dominierende Behandlung Algeriens – andere Kontexte, wie der Zweite Golfkrieg, die Beziehungen zwischen Europa und arabischer Welt oder Europa und Afrika waren nur Teile der Deutung. Die IFRIMitglieder, die Gäste auf Veranstaltungen sowie institutsexterne Beiträge in den Publikationen brachten die Thematik Algerien zudem häufig mit dem ersten Punkt der Herausforderungsanalyse zusammen, der Entwicklung des Islamismus. Der Maghreb als nationale Projektionsfläche europäischer Entwicklung Wie im CERI nahm auch im IFRI die Vorstellung zu, dass nach dem Ende des Kalten Krieges verschiedene nationale Sichtweisen auf den Maghreb existierten. Gleichzeitig gingen aufgrund von Krisen in der zweiten Hälfte des Unter-

938 Philippe Moreau Defarges, „Le saut dans l’euro“, in: IFRI informations (1998), 90, Mai 1998. 939 „L’Union européenne, elle, est vulnérable : à l’Est, subsiste l’incertitude russe et, au Sud, le chaudron méditerranéen.“ Ebd. 940 De Montbrial, „Tournant“, a.a.O., (Anm. 858), S. 20. 941 José Garçon, „Algérie, l’impossible restauration“, in: Politique étrangère 64 (1999), 2, S. 343–356, insbes. S. 356.

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suchungszeitraums die Akteure bei den Beiträgen und Veranstaltungen auf Distanz zur Region. Im Unterschied zum vor allem wissenschaftlich orientierten CERI zeigt sich bei den Gästen des IFRI aber expliziter die politische Dimension sowohl dieser Deutung des Maghrebs als Krisenherd als auch jener einer nationalen Projektionsfläche. Im vorliegenden Unterabschnitt werden diese Differenzen bezüglich einer politik- und diplomatienahen Diskussion zusammenhängend geschildert. Die gemeinsamen Repräsentationen des Anderen zwischen den angenommenen Unterschieden in den Betrachtungsweisen einzelner Staaten im Norden und dem Ziehen einer Grenze im Süden mit dem Unterscheidungsargument der Gewalt waren erstaunlich groß. Die Repräsentationen des Anderen im Maghreb in Form quasi verschiedener Europas der Zukunft beziehungsweise als Unterscheidung zwischen der anderen, maghrebinischen Gewalt und der eigenen erfolgreichen Friedfertigkeit erscheinen auf den ersten Blick als kaum miteinander verwandt. Im Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland sind beide Repräsentationsansätze jedoch eng miteinander verwoben. Zum einen ist die Geschichte der Krise im Maghreb eng mit der französischen und sogar europäischen Kolonialgeschichte verbunden. Zum anderen bezieht sich eine nationale französische Betrachtungsweise oft auf eben diese koloniale Erfahrung und darüber hinaus auf die Eigen- und Fremdrepräsentationen auf der anderen Seite des Rheins. Im Zusammenhang mit dem Golfkrieg hieß es in einer Darstellung in der Reihe Points Ramses, die französische und zu einem gewissen Grad auch die deutsche Politik wären in eine andere Richtung als die britische gegangen. Die arabische Politik Frankreichs – womit in diesem Fall auch das Agieren gegenüber den südwestlichen Mittelmeeranrainern gemeint war – müsse während des Konflikts mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden.942 Die historische Sonderbeziehung Frankreichs zu den arabischen Staaten wurde durch diese Nennung der „politique arabe“ für das französische Publikum kurz in Erinnerung gerufen. Zudem wurde die geographische Nähe Frankreichs zum Maghreb als Unterscheidungsmerkmal besonders gegenüber den USA, aber auch gegenüber den nicht-mediterranen europäischen Staaten angeführt: Die Divergenzen würden besonders von denen unterstrichen, die gegen eine Übernahme US-amerikanischer Strategien seien. Diese Stimmen unterstrichen demnach, dass sich anti-westliche Haltungen im Maghreb ausbreiteten.943 Eine besonders französische – das heißt auf nationalen Entwicklungslinien beruhende – Konzeption Europas machte vor dem Hintergrund der Maastricht-Kritik beispielsweise der Politiker der Parti socialiste (PS) Jean-Pierre Chevènement deutlich. Die Haltung zum Maghreb reflektierte seinen divergierenden außenpolitischen Kurs in Europafragen, etwa wenn das historische Beispiel der Verträge von Evian als positiv erschien.944 Nicht zu vernachlässigen ist die partei942 Kodmani-Darwish & Chartouni-Dubarry, Golfe, a.a.O., (Anm. 867), S. 63. 943 Ebd., S. 61–62. 944 Paolini, „Conférence“, a.a.O., (Anm. 888).

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politische Seite dieser Geschichtsauffassung von Evian als positivem Einschnitt. Gerade zu diesen Verträgen erwies sich bereits die zeitgenössische deutsche Wahrnehmung als kritischer als in Frankreich, was insbesondere für das linke Spektrum der bundesdeutschen Politik gilt.945 Auch zeigte die in den 1990er Jahren beginnende Diplomatiegeschichte zum Thema widersprüchliche Züge. In dem Vorabdruck eines Essays Ende 1992 verwies Stanley Hoffmann auf drei Ziele der französischen Diplomatie in Europa und darüber hinaus: Ein Vorhaben bleibe die nationale Unabhängigkeit Frankreichs, daneben trete die westeuropäische „Entität“ als Mittel für verschiedene nationale Projekte. Schließlich unterstrich Hoffmann den Willen der französischen Diplomatie, den Einfluss Frankreichs außerhalb Europas aufrechtzuerhalten. In der Aufzählung einzelner Bereiche nannte er dabei sowohl Nordafrika als auch Algerien. Der Aufsatz verdeutlichte aus einer anderen Blickrichtung die verschiedenen Konzepte und Widersprüche, zum Beispiel zwischen den genannten Zielen und der französischen Angst, Deutschland könne eine bestimmende Rolle in Osteuropa spielen.946 Jean-François Daguzan, maître de recherche an der École polytechnique machte in einem historischen Abriss in der IFRI-Zeitschrift ebenfalls auf die zweigleisige französische Politik gegenüber dem euro-mediterranen Raum aufmerksam. Besonders aus Frankreichs Bezug auf Algerien heraus erkläre sich, dass die EG seit Anfang der 1990er Jahre verstärkt im westlichen Mittelmeer aktiv sei (Neue Mittelmeerpolitik, 5+5-Dialog). Jedoch bestehe die Gefahr, dass Frankreich die mediterrane Lösung verwerfe und sich ganz einer europäischen Integration widme, welche Daguzan mit dem Adjektiv „eurocentrée“ beschrieb. Ähnlich wie bei Stanley Hoffmann standen sich in diesem Beitrag zwei Positionen gegenüber.947 Obwohl deutsche Diplomaten und Politiker – wie der damalige Chef des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, Wolfgang Ischinger – sich im IFRI gegen nationale Sichtweisen auf die Beziehung zwischen Europa und dem Maghreb wandten, wurden indirekt doch Unterschiede deutlich, etwa wenn die Divergenzen zwischen Frankreich und Deutschland in Bezug auf das Mittelmeer deutlich gemacht wurden.948 Zugespitzter formulierte Dominique David: Es drohe die Vielheit, die Verschiedenheit, das Unverständnis in Europa. Nicht viel sei von der Hoffnung des Jahres 1993, welche mit einer Erfüllung der europäischen Pflicht gegenüber dem Süden verbunden wurde, übrig geblieben. Im Kontext der unsicheren Situation im Maghreb bestand er darauf, neben der vorrangigen Be-

945 Jean-Paul Cahn & Klaus Jürgen Müller, La république fédérale d’Allemagne et la guerre d’Algérie (1954–1962). Perception, implication et retombées diplomatiques, (Paris: Félin, 2003), insbes. S. 446–456. 946 Stanley Hoffmann, „Dilemmes et stratégies de la France dans la nouvelle Europe (1989– 1991)“, in: Politique étrangère 57 (1992), 4, S. 879–892, insbes. S. 880–881. 947 Jean-François Daguzan, „Les rapports franco-algériens, 1962–1992. Réconciliation ou conciliation permanente ?“, in: Politique étrangère 58 (1993), 4, S. 885–896, insbes. S. 893–895. 948 Bonraisin, „Conférence“, a.a.O., (Anm. 838).

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teiligung der Gemeinschaft auch andere Wege des Dialogs aufrechtzuerhalten.949 Mit der Zunahme der Spannungen und der Verschärfung der bürgerkriegsähnlichen Zustände in Algerien rückte dieser Teil des Maghrebs besonders in den Fokus des Instituts. Eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Senator Xavier de Villepin und dem Historiker Benjamin Stora wurde allerdings ohne einen Verweis auf die europäische Komponente zusammengefasst. Die bilateralen Beziehungen standen im Vordergrund. Zum Abschluss des Berichts hieß es, die Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien dürften nicht unterschätzt werden.950 Algerien war wie in diesem Beispiel oft der Anhaltspunkt, an dem verschiedene Entwürfe für die außenpolitische Haltung Europas deutlich wurden. Die französischen Hilfen und ihre Wirkung waren gegenüber der gesamteuropäischen Perspektive vordringlicher: „Enfin, les relations entre la France et l’Algérie ne sont pas à négliger.“951 Neben der Gesamtforderung nach einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik forderten Redner im IFRI auch dezidiert südeuropäische Projekte für diese gemeinsame Politik. In einer Vortragszusammenfassung zur Rede des konservativen spanischen Politikers und späteren Ministerpräsidenten José-Maria Aznar hieß es zum Mittelmeerraum als spanisch-französischem Projekt für die EU, dass die Union dort eine Sicherheitspolitik betreiben müsse. Gleichzeitig verwies Aznar darauf, dass Frankreich und Spanien eine wesentliche Rolle in dem Prozess spielen sollten.952 Der Historiker Benjamin Stora grenzte in einem Artikel speziell Algerien als ohnmächtig gegenüber Europa ab. Dies wirke sich sowohl auf den Rang des Landes innerhalb der internationalen Gemeinschaft als auch auf die sozialen und kulturellen Beziehungen mit seiner europäischen Auslandsbevölkerung negativ aus.953 In diesem Fall bildete Algerien nicht nur aufgrund der Krise ein anderes Gegenüber, auch das Machtgefälle in den internationalen Beziehungen verdichtete sich derart, dass wenig an Gemeinsamkeit übrig blieb. In zahlreichen Publikationen zum algerisch-französischen Krieg vertrat Stora in der Rückschau die Ansicht, die 1990er Jahre hätten eine latente Krise der Erinnerung und des Gedächtnisses an den Krieg offengelegt.954

949 David wurde zusätzlich zu seiner IFRI-Funktion als Professor an der École spéciale militaire de Saint-Cyr vorgestellt. David, „Europe“, a.a.O., (Anm. 919), S. 266, 271–272. 950 Xavier de Villepin war Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses. Odile Cnapelynck, „Conférence de MM. Xavier de Villepin et Benjamin Stora. L’Algérie dans la tourmente, 5 octobre 1994“, in: IFRI conférences (1994), Oktober/November 1994. 951 Ebd. 952 Dugay, „Aznar“, a.a.O., (Anm. 846). Siehe auch das wörtliche Zitat im Abschnitt zu den Eigenrepräsentationen im IFRI-Kontext. 953 Benjamin Stora, „Conflits et champs politiques en Algérie“, in: Politique étrangère 60 (1995), 2, S. 329–342, insbes. S. 335. 954 Z. B. Stora, Histoire, a.a.O., (Anm. 935), S. 103. „En Algérie, le terrible drame [… der Bürgerkrieg der 1990er Jahre, J. W.] marque l’éclatement au grand jour de la crise latente de mémoire.“

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Im Zusammenhang mit Vortragsveranstaltungen ist auch erkennbar, dass die Beratungsinstitutionen untereinander vernetzt waren. 1995 wurde in den IFRI conférences über eine Debatte zu Nationalismen in der Zeit nach dem Kalten Krieg berichtet, bei der die CERI-Forscher Pierre Hassner und Jacques Rupnik Mitdiskutanten waren. In der inhaltlichen Beschreibung hieß es, die politischen Aneignungen einer nationalistischen Haltung würden gegen ein freiheitliches und grenzenloses Europa verwandt. Obwohl die Nationalismusfrage in Bezug auf die Behandlung des Maghrebs nicht die Hauptsache war, spiegelt auch diese Diskussion zumindest die Angst vor verschiedenen nationalen Europaprojekten wieder. Diese würden dann Europa als Ganzes von der Verpflichtung entbinden, in Konflikte einzugreifen. Die politischen Diskurse „assimilierten das Phänomen“ („assimilent ce phénomène“) des als notwendig erachteten ÜbergangsNationalismus.955 Im Mai 1995 wurde der Politiker Jean-Pierre Chevènement als Gastredner ans IFRI eingeladen, er vertrat ähnliche Thesen im Hinblick auf den Mittelmeerraum wie 1992.956 Es sei gefährlich, nur die europäische Dimension zu verfolgen: Pour Jean-Pierre Chevènement, l’évolution historique de la France conduit à définir sa diplomatie par rapport à la notion de laïcité, plutôt que par rapport à l’idée de chrétienté. La France a, par sa position géographique, une vocation d’ouverture sur la Méditerranée, donc vers l’Afrique et l’Orient. Cette ouverture la met dans une position délicate car la Méditerranée est une plaque tournante extrêmement conflictuelle. Principale puissance de la Méditerranée, il serait dangereux pour la France de s’enfermer dans une dimension purement européenne, comme elle tend à le faire. 957

In diesem Fall gab die Auseinandersetzung mit dem Maghreb einer französischnationalen Deutung Nahrung, beim Maastricht-Kritiker Chevènement war dennoch eine Vorbildrolle Europas im Mittelmeerraum erkennbar.958 Dass ein Handeln eingefordert wurde, welches den geographischen Gegebenheiten im Mittelmeerraum Rechnung trug, lässt eine andere Europarepräsentation als die eines kleinen Europas erkennen. Ein gutes Beispiel für die Verbindung zwischen Krieg und Gewalt und nationalen beziehungsweise regionalen Spaltungen innerhalb Europas bietet der

955 Murielle Dugay, „Débat avec MM. Pierre Hassner, Jacques Rupnik et Mme Marisol Touraine. Les nationalismes à l’épreuve de l’après-guerre froide, 28 mars 1995“, in: IFRI conférences (1995), Februar/März 1995. 956 Anne-Laure Jolivet, „Conférence de M. Jean-Pierre Chevenement. La France et la Méditerranée : pour une diplomatie laïque, 2 mai 1995“, in: IFRI conférences (1995), April/Mai 1995. Vgl. Paolini, „Conférence“, a.a.O., (Anm. 888). 957 Jolivet, „Conférence“, a.a.O., (Anm. 956). 958 Diese Rolle war gekoppelt mit eher französischen Modellen wie der Laizität. Zur Laizität als französischer Eigenheit in der Moderne siehe Eisenstadt zum Unterschied zwischen britischer Insel und Kontinent. Shmuel Noah Eisenstadt, „Multiple Modernities“, in: Multiple Modernities, hrsg. von Shmuel Noah Eisenstadt, (New Brunswick, NJ: Transaction Publishers, 2002), S. 1–29, insbes. S. 10. Zum Gesamtkomplex siehe auch: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 86–87.

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Artikel zur Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) von May Chartouni-Dubarry im IFRI-Jahrbuch, das 1997 erschien. Die Spaltung der westeuropäischen Staaten in südliche und nördliche hätte zu einer Verzögerung des Projekts geführt, der Zweite Golfkrieg und die Verschlechterung der Situation in Algerien hätten in dieser Hinsicht wie Elektroschocks gewirkt.959 Es gebe durchaus einen Unterschied zu vorherigen Initiativen, die immer zwischen einem romantischen Blick eines mare nostrum als Brücke einerseits und einer Überzeugung der Geschlossenheit von Nord- und Südküste andererseits geschwankt hätten.960 Die Freihandelszone bilde den Sockel der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP), die politischen Schwierigkeiten, gerade im Mittleren Osten, könnten die Fortschritte jedoch bald wieder zunichtemachen.961 So entwickelte Chartouni-Dubarry in ihrem Beitrag die Verbindung von Krisen und der Spaltung nach südlichen und nördlichen Staatengruppen innerhalb Westeuropas weiter, daneben verband sie die scheinbare Überwindung erneut mit der Gefahr von Schwierigkeiten im politischen Bereich, in dem unterschiedliche nationale Reaktionen möglich schienen. Neben der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) war Algerien eines der Bindeglieder der Beratungsinstitute, auf das man sich im Rahmen von Krisenanalysen bezog. Am 4. November 1997 folgte beispielsweise der zu diesem Zeitpunkt noch als chargé de recherche (Fondation nationale des sciences politiques/CERI) fungierende Luis Martinez einer Vortragseinladung über das Land im Hinblick auf die Kommunalwahlen. Der Titel war neutral gehalten, doch liegt nahe, dass es eher um eine distanzierte Betrachtungsweise der Andersartigkeit algerischer Wahlvorgänge ging, da das Land vor allem als durch den Bürgerkrieg zerrüttet imaginiert wurde.962 Im darauf folgenden Jahr konzentrierte sich das Jahrbuch des IFRI zudem stärker auf das Thema Algerien. Die auf den Maghreb spezialisierte Journalistin José Garçon von der politisch links stehenden Tageszeitung Libération verfasste den entsprechenden Beitrag. In einem Artikel von 1995 hatte Garçon bereits im Hinblick auf die USA festgestellt, es gebe hier keine starken Unterschiede zur Außenpolitik Frankreichs. Aus US-amerikanischer Sicht sei es entscheidend, dass weder Südeuropa im Allgemeinen noch Frankreich im Speziellen durch Algerien destabilisiert werde. Insofern nahm die Journalistin bereits 1995 an, das algerische Regime könne bei einer veränderten Rhetorik weiter seine Macht erhalten, ohne den inneralgerischen Dialog zu suchen.963 1998 verstärkte sich dieses Bild einer unbeirrt verfolgten Linie der algerischen 959 960 961 962 963

Chartouni-Dubarry, „Proche“, a.a.O., (Anm. 87), S. 77–78. Ebd., S. 78. Ebd., S. 79. IFRI, „Novembre 1997“, in: IFRI conférences (1997), November 1997. José Garçon, „L’Algérie, si loin de Washington…“, in: Politique étrangère 60 (1995), 2, S. 427–434, insbes. S. 433–434. Im Autorenverzeichnis der IFRI-Zeitschrift Politique étrangère hieß es, Garçon sei seit 1974 bei der Zeitung Journalistin und arbeite vor allem zum Maghreb, insbesondere zu Algerien. IFRI, „Les auteurs“, in: Politique étrangère 60 (1995), 2, S. 315–317, insbes. S. 315.

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Regierung. Die algerische Diplomatie baue in Fragen von Gewaltexzessen seitens der Sicherheitskräfte auf die Spaltungen in der EU. Aus diesen Parametern wurde eine negative Zukunftsprognose für Algerien und sein Verhältnis zu Frankreich und Europa gezogen.964 Nachdem die rot-grüne Koalition 1998 die Kohl-Regierung abgelöst hatte, sprach Karl Kaiser von der DGAP im IFRI zur Außenpolitik Deutschlands. Der Vortrag machte verschiedene Konzepte in Frankreich und Deutschland deutlich, beispielsweise gegenüber der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Die neue Regierung wolle der europäischen Verteidigungsidentität Gewicht verleihen und die Ränge zwischen EU und Westeuropäischer Union (WEU) schließen. Außenminister Fischers europäische „Macht neuen Zuschnitts“ könne allerdings mit französischen Konzepten in Konflikt geraten.965 Dieses Beispiel ist symptomatisch für die Spaltungsrepräsentationen, die sich sowohl an geographisch-politischen als auch historisch-politischen Räumen festmachen lassen. Implizit und auch explizit schwang darin der unterschiedliche Umgang mit Gewalt und Krise im Maghreb und anderswo mit. Kurze Verweise auf die besonderen Beziehungen Frankreichs zum Maghreb beziehungsweise auf die spezielle Politik Frankreichs gegenüber der Region stellten zudem oft den Bezug zu historischen Entwicklungslinien her. Nicht immer beinhaltete diese Rückschau so zielgerichtete Thesen wie etwa beim Politiker Chevènement. Er unterstrich Unterschiede oder projizierte sie gar in die Zukunft. Wie schon beim CERI waren auch diese nationalen Projektionen – French connections – nicht losgelöst von den Repräsentationen sowohl des Eigenen als auch solchen, die eher verflochtene Dynamiken in den Vordergrund stellten.966 Ob zum Beispiel die nationalen Sichtweisen und Bezüge ein Gegenbild zu einem einheitlichen Europa hervorriefen oder eher im Einklang mit den Verflechtungen standen, hing stark von der Akzentuierung und dem Kontext ab. Beispielsweise konnten solche Perspektiven durchaus dazu dienen, die engere Kooperation mit Deutschland zu unterstreichen und somit stärker werdende Beziehungen Frankreichs sowohl über den Rhein als auch über das Mittelmeer zu beschreiben. Der folgende Abschnitt behandelt dabei zunächst breiter gefasste Verflechtungen, anschließend werden speziell wirtschaftliche analysiert.

964 José Garçon, „Autoritarisme politique et contestation islamiste. La crise algérienne“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jacquet, (Paris: Dunod, 1998), S. 64–68, insbes. S. 68. 965 David Mugnier, „Conférence de M. Karl Kaiser. La politique étrangère de l’Allemagne, 2 décembre 1998“, in: IFRI conférences (1999), März 1999. Für einen Ausschnitt der Quelle siehe: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 91, Anm. 50. 966 In einem noch unveröffentlichten Manuskript beschreibt ein Spezialist für die akademischen internationalen Beziehungen, Nicolas Guilhot, den Aufschwung der Disziplin in Frankreich im 20. Jahrhundert mit diesem anspielungsreichen Titel. Guilhot, Connection, a.a.O., (Anm. 64).

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DIE VERFLECHTUNG IN DEN PUBLIKATIONEN DES IFRI Verflechtungsrepräsentationen sind zu einem gewissen Grad immer paradox: Sie sind auf Einheiten angewiesen, denen Verflochtenheit attestiert werden kann, da sich nur distinkte Elemente verflechten können.967 Wenn entsprechende Prozesse die Unterscheidungsmerkmale reduzieren, können Verflechtungen zu einer Infragestellung der Ausgangseinheiten führen. Auch im IFRI schwankten die seltener anzutreffenden Repräsentationen von Verflechtungen zwischen Europa und dem Maghreb zwischen den Polen einer weitgehenden Aufrechterhaltung der Abgrenzungen und einem Zweifel an bisher gültigen Einheiten. Als wichtigster Anknüpfungspunkt stellten sich die tradierten Beziehungen zu den Maghrebstaaten hinaus, während gegen Ende des Untersuchungszeitraums mit dem Bild der Globalisierung ein mächtiger Rivale die Vorstellungswelt betrat. Wie in allen anderen Fallbeispielen finden sich auch im Kontext des IFRI Verflechtungsdeutungen, die primär auf wirtschaftlichen Erwägungen aufbauen. Der Maghreb rückte auf diese Weise insbesondere näher an das östliche Europa heran, auch Rohstoffhandel oder internationale Initiativen fungierten als Verflechtungsvehikel. Mit der beabsichtigten Freihandelszone spielte besonders die EuroMediterrane Partnerschaft (EMP) im letzteren Fall eine Rolle für die Mitglieder und Gäste des IFRI. Traditionelle Verbindungen und globalisierte Welt In Deutungen, die innerhalb des IFRI die Verflechtungen zwischen dem Maghreb und Europa unterstrichen, spielten auch nationale Perspektiven eine wichtige Rolle. Dies war vor allem in den ersten Jahren des Untersuchungszeitraums der Fall. In einer Situation, in der die Entwicklung der Weltordnung unklar erschien, konnte die Betonung von traditionellen Beziehungen und Verbindungen strukturierend wirken. Zudem spielte die Neuentdeckung von Unterschieden zwischen der Politik Frankreichs und jener der USA gegenüber der arabischen Welt und dem Mittelmeerraum und insbesondere dem Maghreb eine Rolle. Gegen Ende der 1990er Jahre wurden weniger nationale Verflechtungen herausgestellt. In den Arbeiten und Veranstaltungen des IFRI wies der Trend in Richtung einer Globalisierungsrepräsentation, welche die allgemeine Verflechtung der Welt insgesamt unterstrich. Damit einher ging teilweise ein Deutungsmuster, welches

967 Das Argument, wonach Einheiten oder Gesellschaften konstruiert werden müssen, um Änderungen bezüglich der Unterschiede oder Gemeinsamkeiten festzustellen, wird im Zusammenhang mit Vergleichsansätzen schon länger bemüht, ist aber bei der Frage nach Verflechtungen oder Transfers ebenfalls anwendbar. Vgl. Hartmut Kaelble, „Foreword: Representations and Transfers“, in: Cultural Transfers in Dispute. Representations in Asia, Europe and the Arab World since the Middle Ages, hrsg. von Jörg Feuchter, Friedhelm Hoffmann & Bee Yun, (Frankfurt am Main: Campus, 2011), S. 9–13, insbes. S. 11.

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regionale Abgrenzungen vornahm. Europa und die Maghrebregion wurden innerhalb dieser Repräsentation bei aller Verflechtung als unterschiedliche Blöcke eingeordnet. Bassma Kodmani-Darwish organisierte am 15. Juni 1990 eine Veranstaltung anlässlich der Veröffentlichung eines Sammelbandes, bei der die Zukunft Algeriens nach den Wahlen am 12. Juni desselben Jahres, die Maghrebunion und die Kooperation zwischen Frankreich und dem Maghreb diskutiert wurden. 968 Zwar macht einerseits die nüchterne Betrachtung der Folgen der Wahlen und der regionalen Kooperationsbemühungen eine distanzierte Perspektive deutlich, andererseits gab es auch einen Ansatz, der eher auf den Abbau von Unterschieden setzte, die Kooperation in einem teilweise nationalstaatlichen Rahmen. Sowohl die Hoffnung auf eine positive Entwicklung als auch das Beharren auf der Bedeutung des Nationalen schwächten sich im Laufe des Untersuchungszeitraums ab. Eine national verflochtene Sicht wurde durch eine eher abgegrenzte nach neuem Schema ersetzt. Obwohl weiterhin die Verflechtung gerade in Bezug auf eine Globalisierung der Welt betont wurde, lief dies auf eine grobe Einteilung hinaus: dort der Maghreb, hier Europa. Ein Beispiel für diese Perspektive einer nationalen Verflechtung fand sich auch in einer Veranstaltungsteilnahme, die im Rundbrief des IFRI auftauchte: „In welcher Weise können die Beziehungen zwischen Frankreich und dem Maghreb von den aktuellen Veränderungen in Europa beeinflusst werden?“ lautete der übersetzte Titel einer Debatte in Fontainebleau, an der Bassma Kodmani-Darwish im Oktober 1990 am Centre d’études des secteurs public et privé teilnahm.969 Der Zweite Golfkrieg war für die IFRI-Forscherinnen und Forscher ebenfalls ein Anlass, um über die traditionellen Verbindungen Frankreichs zur arabischen Welt insgesamt zu räsonieren. Zu einer Veranstaltung am 20. März 1991 im Senat, die sich mit der Situation im Nahen und Mittleren Osten nach dem Golfkrieg beschäftigte, schrieb May Chartouni-Dubarry im Rundbrief des IFRI, dass Ghassan Salamé als directeur de recherches (Centre national de la recherche scientifique [CNRS]) die Perspektive der arabischen Welt insgesamt eingenommen habe, welche einen generellen Verlust an Souveränität zugunsten der USA beklage.970 Salamé fungierte hier als Instanz, die den Gegensatz zwischen arabischer und US-amerikanischer Sicht unterstrich. Dieser Antagonismus war nützlich, da er eine Verbindung der arabischen Welt mit dem ebenfalls um Eigenständigkeit bemühten Frankreich schuf. Die Rubrik „Unternehmen“ in einem Rundbrief des IFRI aus dem Jahr 1992 präsentierte Habib Ben Yahia, tunesischer Außenminister und ehemaliger Botschafter Tunesiens in Washington und Tokyo, als Ehrengast einer Festveranstaltung im Hotel Meurice. Diese Zusammenkunft habe dem Austausch über 968 IFRI, „Conférences“, in: IFRI informations (1990), 56, Oktober 1990. 969 IFRI, „Conférences“, in: IFRI informations (1990), 57, Dezember 1990. 970 May Chartouni-Dubarry, „Le Moyen-Orient dans la crise du Golfe“, in: IFRI informations (1991), 59, April 1991.

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Tunesien und die französisch-tunesischen Beziehungen gedient.971 Solche und ähnliche Veranstaltungen des IFRI zu Beginn der 1990er Jahre waren von einer Verflechtungsperspektive in dieser weitestgehend nationalstaatlichen Form geprägt. So fand unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs der Arabischen Liga eine Veranstaltung des Centre d’études euro-arabes in Paris statt, bei der May Chartouni-Dubarry einen Vortrag hielt. Vom 25. bis 27. Januar 1993 tagte die Konferenz zum Thema „Le monde arabe et les défis à l’ombre de nouvel ordre mondial“. Der Titel ihres Beitrags lautete: Le nouvel équilibre géo-politique mondial après l’effondrement de l’URSS et ses répercussions sur la paix et la sécurité au sud de la Méditerranée. 972

Die globalen Ereignisse und insbesondere das Ende der UdSSR bildeten in den Deutungen der IFRI-Mitglieder den zentralen Bezugspunkt. An dem vorangegangenen Beispiel des Beitrags am Centre d’études euro-arabes zeigt sich die verflochtene Sichtweise auf das neue Mächteverhältnis mit nur einer verbliebenen Supermacht in der Ära nach dem Kalten Krieg. Der Maghreb, beziehungsweise in diesem Fall der „Süden des Mittelmeerraums“, wurde von Chartouni-Dubarry geostrategisch mit diesen weltweiten Veränderungen in engen Zusammenhang gesetzt. Bei anderen Problemen, die Vortragende im IFRI thematisierten, wurden gelegentlich Aussagen über die Beziehungen zwischen Europa und dem Mittelmeerraum gemacht, wobei die Zusammenfassungen meist nicht zwischen südwestlichen und südöstlichen Anrainern unterschieden. Saadollah Ghaussy, ein ehemaliger Diplomat und zum Zeitpunkt seines Vortrages Professor für internationale Beziehungen in Tokyo, wurde mit den Worten wiedergegeben, Japan habe begonnen, im Rahmen der G7-Konsultationen vor allem mit den Europäern Kontakt aufzunehmen. Diese seien „traditionell offener dem Mittelmeerraum gegenüber“ als die USA.973 Die relativ jungen Entwicklungen im Rahmen der G7-Staaten brachte so ein Vortragender am IFRI mit den Traditionen in der europäischen Außenpolitik in Verbindung und verknüpfte auf diese Weise Globalisierungsanalysen mit regionaler Spezifik. Kritisch anzumerken ist, dass die Beschreibung einer allgemeinen europäischen Offenheit gegenüber dem Mittelmeerraum nur in der Gegenüberstellung mit den Vereinigten Staaten tragfähig erschien. Selbst aus dieser globalen Sicht ließen militärische Gesichtspunkte auch eine andere Deutung zu. In den mittleren Jahren des untersuchten Zeitraums fanden sich wenige Ansätze einer verflochtenen Perspektive in Bezug auf das Thema der Beziehungen zwischen Europa und Maghreb. Die IFRI-Mitglieder nahmen sich der Verflechtung zwischen beiden gedachten Gemeinschaften unter anderen Ge-

971 IFRI, „Entreprises“, in: IFRI informations (1992), 63, Februar 1992. 972 URSS ist die französische Abkürzung für die UdSSR. IFRI, „Conférences“, in: IFRI informations (1993), 68, Februar 1993. 973 Catherine Risset-Hemad, „Conférence de M. Saadollah Ghaussy. La politique japonaise au Moyen-Orient, 25 mars 1993“, in: IFRI conférences (1993), Februar/März 1993.

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sichtspunkten an. Gegen Ende der 1990er Jahre gab es eine Verstärkung der Globalisierungsrepräsentation, die bereits bei Saadollah Ghaussy anklang. Lediglich die langjährige CERI-Forscherin Nicole Grimaud vertrat Anfang 1995 in einer Ausgabe der IFRI-Zeitschrift Politique étrangère die Meinung, sicherheitspolitische Verflechtungen mit langjähriger Tradition blieben in der Krise des Maghrebs zentral. In ihrem Artikel diskutierte sie, wie sich der algerische Bürgerkrieg speziell am Beispiel Tunesien im Mittelmeerraum auswirke. Die regionalen Integrationsbemühungen in der Maghrebunion (UMA) böten weniger denn je einen sicherheitspolitischen Rahmen. Aus diesem Grund habe der französische Innenminister Charles Pasqua im Januar 1995 eine Sitzung zum gemeinsamen Vorgehen gegen islamistische Aktivisten in Tunis organisiert. Das Treffen sei zwar unmittelbar von den europäischen Amtskollegen unterstützt worden, dennoch seien die treibenden Kräfte vor allem Frankreich, Italien und Spanien.974 Schwerpunktmäßig stellte diese Analyse fest, dass Tunesien sich entscheidend von Algerien unterscheide. In der Frage, wie die Netzwerkstrukturen der als islamistisch beschriebenen Regimegegner zu bekämpfen seien, betonte Grimaud euro-mediterrane Ansätze wie das genannte Treffen in Tunis. Dagegen betonte der Rechtswissenschaftler und Berater Alain Chenal in derselben Zeitschriftenausgabe, Charles Pasqua stehe für die absolute Unterstützung der algerischen Regierung. Dies gelte selbst in Zeiten, in denen die offizielle französische Linie einen Mittelweg einschlage. Die europäische Tendenz, Hilfen an Bedingungen zu knüpfen, wertete der den Sozialisten nahestehende Chenal als einen Gegensatz zu Pasquas Politik. Er charakterisierte diese als Ablehnung jeglichen Dialogs und damit als Übereinstimmung mit jener des algerischen Regimes.975 In seiner Einleitung zum Jahresbuch des IFRI, das 1997 erschien, beschrieb Thierry de Montbrial einerseits ähnlich wie Ghaussy bereits 1993 die USA als nur interessengeleiteten Spieler im Mittelmeerraum. Andererseits kritisierte de Montbrial die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) als „lettre morte“, das heißt, sie sei weitgehend unbeachtet geblieben. Eine solche Kritik mahnte eine stärkere Geschlossenheit des europäischen Blocks gegenüber anderen Einheiten im internationalen System an. Die US-amerikanische Politik reduziere sich auf das Interesse am Rohstoff Erdöl. Sie ziele auf ein System vom Mittelmeerraum bis nach Pakistan und Zentralasien.976 Das Konzept einer Gemein974 Aus dem Maghreb nahmen demnach die Innenminister Tunesiens und Algeriens teil. Charles Pasqua erlangte als Vertreter einer harten Linie in Fragen der inneren Sicherheit u. a. mit restriktiven Einwanderungsgesetzen Bekanntheit („lois Pasqua“). Nicole Grimaud, „La spécificité tunisienne en question“, in: Politique étrangère 60 (1995), 2, S. 389–402, insbes. S. 401. 975 Alain Chenal, „La France rattrapée par le drame algérien“, in: Politique étrangère 60 (1995), 2, S. 415–425, insbes. S. 421. 976 Thierry de Montbrial, „Perspectives juillet 1997“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jacquet, (Paris: Dunod, 1997), insbes. S. 12.

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samen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) bleibe nach dem Gipfel von Amsterdam vom 16. bis 18. Juni 1997 hingegen ein Papiertiger.977 Das IFRI-Jahrbuch von 1999 bot zum ersten Mal eine „Panorama“ genannte Schlüsselwortübersicht mit ungefähr 60 Einträgen von Afrika bis Wirtschafts- und Währungsunion. Hier fand sich auch ein Eintrag zu Algerien (allerdings keiner zu anderen Maghrebstaaten oder zum Mittelmeerraum). Er wurde von der neu am Institut tätigen Khadija Mohsen-Finan – chargée de recherche – verantwortet. Während der größte Teil des Eintrags die inneralgerischen Konflikte vor allem seit 1991 zusammenfasste, wurde im letzten Absatz darauf verwiesen, dass der seit April 1999 amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika als Friedensbringer versuche, ausländisches Kapital aufzubringen. Dies sei notwendig in einem Land, „das unter der Aufsicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) unwiderruflich auf dem Weg in eine freie Marktwirtschaft“ sei.978 Algerien war in diesem Fall der Aufhänger, um die Bedeutung internationaler Kapitalströme und Instrumente wie die Maßnahmen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu unterstreichen. Die gleichzeitige Schilderung der Bürgerkriegszustände hielt in Mohsen-Finans Beitrag die Verflechtungskomponente in engen Grenzen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die IFRI-Forscherinnen und Forscher die Verflechtungsdeutungen sowohl aus nationalstaatlichen Traditionen heraus als auch im Sinne einer weltweiten Annäherung weniger stark betonten als andere Bestandteile der Repräsentationen von Europa und dem Maghreb. Während zu Beginn des Untersuchungszeitraums die Einordnung in klassische Muster der internationalen Beziehungen im nationalstaatlichen Rahmen vorherrschte, wandelten sich die Wahrnehmung und die Präsentation der Verhältnisse gegen Ende der 1990er Jahre in eine globale Betrachtung, die Elemente wie den Internationalen Währungsfonds (IWF) oder die gesamtstrategische US-Außenpolitik und die Reaktionen darauf in den Blick nahm. Neben diesen vornehmlich politischen Verflechtungsansätzen gab es weitere Ausprägungen einer Verflechtungsrepräsentation, die eher wirtschaftliche Parameter in den Vordergrund stellten. Dabei wurden zum einen Osteuropa und der Maghreb gemeinsam betrachtet und verglichen, zum anderen ein euro-mediterraner Wirtschaftsraum prognostiziert beziehungsweise angeraten. Wirtschaftliche Verflechtungen Wirtschaftliche Verflechtungsrepräsentationen waren in den Publikationen und Veranstaltungen des IFRI vor allem in zweierlei Hinsicht vertreten. Erstens setzten die Autoren und Redner im Institutskontext den Maghreb und Osteuropa 977 Ebd., S. 19. 978 Khadija Mohsen-Finan, „Algérie. Une nouvelle donne politique se dessine“, in: RAMSES. Rapport annuel mondial sur le système économique et les stratégies, hrsg. von Thierry de Montbrial & Pierre Jacquet, (Paris: Dunod, 1999), S. 293–294.

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wirtschaftlich in Beziehung zueinander. Zweitens verwiesen sie zunehmend auf die Möglichkeit oder sogar die Existenz einer euro-mediterranen ökonomischen Dynamik. Beispiele für solche positiv bewerteten Prozesse waren Gesetzesänderungen – etwa wenn in den südlichen Mittelmeeranrainern Investitionen aus dem Norden erleichtert wurden. Zudem konnten kollektive Schuldenerlasse für Maghrebstaaten oder zunehmende Rohstoff- oder Warenexporte aus diesen Ländern die Einschätzungen der IFRI-Akteure positiv beeinflussen. Im Verhältnis zu Osteuropa gab es sowohl die Befürchtung einer Konkurrenz und auseinandergehenden Entwicklung als auch die Meinung, es handele sich um ähnliche Formen der Verflechtung. Ein Gastautor im Rundbrief des Instituts, Pascal Lorot, schrieb Anfang 1990 einen Beitrag zu der Frage, wie Osteuropa bei der Transformation, also vor allem dem wirtschaftlichen Übergang zur Marktwirtschaft, geholfen werden solle. Am Ende des Artikels stellte der Autor die Frage, ob sich eine Öffnung der Gemeinschaft gegenüber dem sich modernisierenden Osteuropa nicht ungünstig für bestimmte Entwicklungsländer auswirken würde. Es waren zwar die Länder der Lomé-Abkommen gemeint, dennoch machte Lorot eine Verbindung bewusst, die später oft im Zusammenhang mit den Beziehungen der Gemeinschaft zum Maghreb hergestellt wurde.979 Zwischen Islamismus und Modernismus sah Bassma Kodmani-Darwish die Länder des Maghrebs bei einem Vortrag im Institut du citoyen. Als Herausforderungen für den Maghreb wurden in den IFRI informations ökonomische und demographische Probleme, die Instabilität der Regime und die kulturelle Krise aufgeführt. Der Maghreb sei hin- und hergerissen zwischen seinen arabischen und islamischen Wurzeln sowie seiner Nähe zu und Abhängigkeit von Europa.980 Im Jahrbuch des IFRI für das Jahr 1993 (Erscheinungsdatum 1992) war Bassma Kodmani-Darwish gemeinsam mit ihrer jüngeren Kollegin May ChartouniDubarry mit einem Beitrag zum Ensemble von Maghreb und Maschrek vertreten. Darin wurden vor allem die Probleme im Maghreb betont und eine fundamental andere Region mit internen Spannungen und Krisensymptomen geschildert. Daneben parallelisierten die Autorinnen auch die Umbrüche im Maghreb, besonders in Algerien, mit denen in Osteuropa und äußerten die Hoffnung, dass sich der wirtschaftliche Bereich verbessern werde. Die algerische Staatspartei FLN sei ähnlich wie die kommunistischen Parteien in Osteuropa erschöpft und korrumpiert.981 Positiv bewerteten die Autorinnen allerdings, dass eine neue Gesetzeslage ausländischen Firmen ermögliche, im Ölsektor zu investieren.982 Diese wirtschaftliche Aufbruchstimmung fällt in eine Serie ähnlicher Perioden seit dem Anfang der 1980er Jahre, die durch große Hoffnungen in verschiedenen Bereichen geprägt waren. Von 1989 dauerte die erste ökonomische Hochphase, 979 980 981 982

Pascal Lorot, „Aider l’Europe de l’Est“, in: IFRI informations (1990), 53, Februar 1990. IFRI, „Conférences“, in: IFRI informations (1991), 58, Februar 1991. Kodmani-Darwish & Chartouni-Dubarry, „Maghreb“, a.a.O., (Anm. 907), S. 143. Ebd., S. 144.

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die im untersuchten Zeitraum von Bedeutung ist, bis in das Jahr 1991 an. Daneben kamen der „Globalisierungs-Hype“ (1995 bis 1997) und der Anfang der Euphorie um die sogenannte New Economy zum Tragen.983 Seltener als die wirtschaftlichen Verflechtungen in vor allem privaten Sektoren kam die Sprache auf Verflechtungen der Wirtschaftskooperation zwischen der maghrebinischen und europäischen (Wirtschafts-)Region. Der Energieminister Marokkos sprach in einem IFRI-Vortrag davon, dass eine Freihandelszone, die sich auf den gesamten Maghreb ausdehne, ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit sein könne und war damit einer der vereinzelten Vertreter einer solchen Argumentation.984 Der Direktor des IFRI, Thierry de Montbrial, trug mit seinem volkswissenschaftlichen Hintergrund ebenfalls zur Verflechtungsdeutung aus wirtschaftlicher Sicht bei. So hieß es im IFRI-Jahrbuch für das Jahr 1995, Frankreich hoffe auf eine positive Wirkung seines Engagements im Club de Paris. Dieses habe das Ziel, die Auslandsschuldenlast zu mildern.985 Zur Verflechtungsrolle des Pariser Clubs äußerte sich dagegen in einem Artikel der Zeitschrift Politique étrangère der Algerienspezialist Ahmed Rouadjia sehr kritisch. In der Maghrebausgabe schrieb der Hochschullehrer, dass während der Umschichtung der Schulden die algerischen Eliten vor allem damit beschäftigt seien, sich im Zuge dieser und ähnlicher Transaktionen zu bereichern.986 In einer Doppelpublikation zu deutsch-französischen Themenfeldern beschrieb der DGAP-Forscher Helmut Hubel die Verflechtung als einen Ansatzpunkt für einen Kompromiss zwischen Deutschland und Frankreich. Im Grunde seien die Herausforderungen im Süden und im Osten ähnlich. Beide Länder seien innerhalb der EU besonders gefordert, diesen „grand écart“ zwischen Ost und Süd zu meistern.987 Weitere Beispiele für wirtschaftliche Verflechtung nach einer Phase der starken Konzentration Europas auf Osteuropa nannte der Gastautor Bernard Ravenel in seinem Beitrag im IFRI-Jahrbuch, welches 1995 erschien.988 Anfang der 1990er Jahre hätten die Regime im Maghreb kurzzeitig eine auch demokratische Öffnung erwogen, jetzt gehe es aber vor allem um Wirtschaftshilfe. Als Beispiele für Wirtschaftszweige, für die Unterstützung erwartet wurde, nannte Ravenel die Textilindustrie sowie die Tomaten- und Olivenöl-

983 Vgl. Hartmut Kiehling, „Weltfinanzkrisen 1929 und 2008 im Vergleich“, in: Globalisierung in der Geschichte. Erträge der 23. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte vom 18. bis 21. März 2009 in Kiel, hrsg. von Rolf Walter, (Stuttgart: Steiner, 2011), S. 257–269, insbes. S. 263–264. 984 Risset-Hemad, „Mdaghri“, a.a.O., (Anm. 869). 985 De Montbrial, „Situation“, a.a.O., (Anm. 844), S. 27. 986 Ahmed Rouadjia, „L’État algérien et le problème du droit“, in: Politique étrangère 60 (1995), 2, S. 351–363, insbes. S. 362. Rouadjia promovierte 1989 in Geschichtswissenschaften zum Moscheebau in der algerischen Stadt Constantine beim Historiker René Gallissot. 987 Hubel, „Proche-Orient“, a.a.O., (Anm. 930), S. 184. 988 Ravenel, „Méditerranée“, a.a.O., (Anm. 892). Mit Europa war bei diesen Beispielen vor allem die EU gemeint, mit Osteuropa wiederum die ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten.

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Landwirtschaft.989 Die Uneinheitlichkeit der Politik – vor allem des Rates der Gemeinschaft – auch in Fragen der Landwirtschaft stelle seit dem Beginn der Beziehungen eine Schwierigkeit dar. Als Beispiel führte der Autor Italien an, das die euro-maghrebinischen Pläne schon in den 1960er Jahren untergrub. Wären die Maghrebländer schnell assoziiert worden, hätte das für die italienischen Produkte eine große wirtschaftliche Konkurrenz bedeutet.990 Ravenel verbreitete jedoch Optimismus. Europa müsse auf diese Herausforderungen antworten, denn seine Zukunft sei direkt betroffen. Das Projekt eines euro-mediterranen Wirtschaftsraums wurde vor allem anhand des Kommissionsvorschlags in Richtung Rat und Parlament vom 8. März 1995 diskutiert. Am 12. April sei mit Tunesien das erste bilaterale Abkommen der fünfzehn Mitgliedsstaaten mit einem Mittelmeerpartner geschlossen worden. Außerdem sei bis zum Jahr 2000 eine signifikante Aufstockung der Transferleistungen auf 5,5 Milliarden ECU991 zuzüglich einer ebenso großen Summe von der Europäischen Investitionsbank vorgesehen. Ravenel stellte abschließend die Frage, ob sich aus den Milliardenhilfen in naher Zukunft eine regionale Entwicklung im Maghreb etablieren könne.992 Im Jahr 1998 konzentrierte sich das Jahrbuch des IFRI verstärkt auf das Thema Algerien. Die europäische Komponente dieses Konflikts zwischen der algerischen Regierung und diversen islamistischen Gruppen schilderte die Gastautorin José Garçon (Libération) vor allem am Ende des Beitrags. Sie beschrieb die finanzielle Gesundheit der algerischen Wirtschaft, die von steigenden Verkäufen von Gas an Italien und Spanien profitiere.993 In ihrer Analyse bildeten diese wirtschaftlichen Verflechtungen einen Gegenpol zu ihren pessimistischen Einschätzungen, dass Einfluss europäischer Staaten, allein oder in Gemeinschaft, die Gewalt im wichtigsten Maghrebland kaum eindämmen könne. In der Zeitschrift des IFRI erörterte Eberhard Kienle im gleichen Jahr die Option, die Verflechtungen mit Hilfe des Freihandels zu verstärken. Der Professor an der spezialisierten School of Oriental and African Studies (SOAS) und Forscher am Centre d’études et de documentation économique, juridique et sociale (CEDEJ) in Kairo, sah die Einflussnahme der europäischen Staaten zwar kritisch. Letztlich plädierte er jedoch für eine auch wirtschaftliche Öffnung der EU gegenüber dem Maghreb. Eine hinterfragende Sicht auf die wirtschaftlichen Vorhaben der Euro-

989 Ebd., S. 103. 990 Vgl. Houda Ben Hamouda, „À la recherche d’une identité européenne sous l’angle de la politique étrangère de la CEE, envers le Maghreb, de 1957 aux années 1970“, in: Cultures nationales et identité communautaire. Un défi pour l’Europe?, hrsg. von Marloes Beers & Jenny Raflik (Euroclio, 57), (Brüssel, Bern, Berlin u. a.: Peter Lang, 2010), S. 47–60, insbes. S. 59. 991 Mit dem Europäischen Währungssystem (EWS) entstand bereits 1979 auch die ECU (European Currency Unit), eine „Korbwährung“, die bis zur Einführung des Euro innerhalb der Gemeinschaft eine wichtige Rolle als „gemeinsamer Nenner“ spielte. Gerhard Brunn, Die europäische Einigung von 1945 bis heute, (Bonn: BpB, 2004), insbes. S. 226–227. 992 Ravenel, „Méditerranée“, a.a.O., (Anm. 892), S. 104. 993 Garçon, „Autoritarisme“, a.a.O., (Anm. 964), S. 68.

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Mediterranen Partnerschaft (EMP) führe nicht dazu, alte Ansätze wiederzubeleben, die gescheitert seien. Die Einzelheiten, wie genau der „Süden“ geöffnet werden solle, seien allerdings kritisch zu hinterfragen.994 Drei Aspekte kennzeichnen die Hinweise auf wirtschaftliche Verflechtungen zwischen Europa und Maghreb im Kontext des IFRI in der untersuchten Zeitspanne. Zum einen argumentierten die Redner oder Autoren im Institut, wie im letzten Beispiel gezeigt, mit statistischen Indikatoren, wie der Bedeutung des Rohstoffhandels. Weitere Beispiele für solche Handelsbeziehungen waren landwirtschaftliche Güter oder Textilien. Zum anderen prognostizierten die Expertinnen und Experten zunehmende Verflechtungsdynamiken, was auch mit dem EU-Projekt einer Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) zusammenhing. Nicht zuletzt gab es in dieser Betrachtungsweise einen speziellen Ost-Süd-Blick, der politische und ökonomische Schwierigkeiten verglich und zu dem Ergebnis kam, die Herausforderungen (ein immer wieder genutzter Begriff) im Zuge der zahlreichen Verflechtungen seien analog. FAZIT Will man die Rolle des IFRI in der Europa-Debatte unter Berücksichtigung der Maghrebaktivitäten zusammenfassen, sind in erster Linie zwei Aspekte des Instituts hervorzuheben. Zum einen betrifft das die doppelte Zielrichtung des Instituts. Neben der Selbstverortung als Forschungsinstitut hatte die Einrichtung auch die Funktion eines Forums inne, welche sich aus der Vorgeschichte mit dem institutionellen Vorläufer Centre d’études de politique étrangère (CEPE) ergab. Zum anderen ist die zunehmende Orientierung an den Initiativen der EU zu nennen. Diese lässt sich aus den Entstehungskontexten der geschilderten Repräsentationen ablesen.995 Sie zeigt sich daneben in der Institutsentwicklung über den Untersuchungszeitraum hinaus: In den 2000er Jahren eröffnete das IFRI ein Büro in der EU-Schaltzentrale Brüssel.996 Einen wichtigen Kontinuitätsfaktor stellte der Institutsdirektor Thierry de Montbrial dar. Immer wieder äußerte er sich zu Themen wie der europäischen Wirtschaftsentwicklung im internationalen oder mediterranen Gefüge oder zur sicherheitspolitischen Bedrohung Frankreichs und Europas im Zuge der so994 Eberhard Kienle, „Libre-échange contre libéralisation politique : partenariat et stabilité dans le bassin méditerranéen“, in: Politique étrangère 63 (1998), 1, S. 51–67, insbes. S. 59, 66–67. 995 Hier sei nur an die frühe Beteiligung des Instituts an dem an der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) orientierten Forschungs- und Beratungsnetzwerk Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) erinnert, vgl. den Abschnitt zu Eigenrepräsentationen in den Publikationen des IFRI. 996 Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 76. Damit ist das IFRI in den betrachteten Fallstudien nicht allein. Auch die SWP reaktivierte in den 2000er Jahren ihren langjährigen Mitarbeiter Reinhardt Rummel, um ein Büro in Brüssel zu eröffnen. Gespräch mit Zunker, a.a.O., (Anm. 165).

Fazit

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genannten Algerienkrise. Neben ihm wirkten die Expertinnen und Experten für regionale und europäische Studien; aber auch die Beiträge in den IFRIPublikationen von externer Seite und die Gäste der Veranstaltungen des Instituts entfalteten ihre Wirkung im Bereich der Repräsentationen des Eigenen, des Anderen und der Verflechtung. In diesem Kontext ist zudem auf die Forschungsund Öffentlichkeitsstrategie des Instituts in den 1990er Jahren hinzuweisen. Auch durch zunehmende Konkurrenz – unter anderem zum CERI – profilierten sich die IFRI-Mitglieder in vielen Foren, speziell in euro-mediterran organisierten Netzwerken. Auf die Repräsentationen des Eigenen wirkten diese gemeinsam mit italienischen Partnern realisierten Kooperationen als Verstärker. Unter Bezugnahme auf euro-mediterrane Partner, vor allem aus Italien und Spanien, unterstrich die Koordinatorin May Chartouni-Dubarry die Verantwortung der europäischen Länder im Mittelmeerraum. Über diese südeuropäische Argumentationshilfe hinaus bot das IFRI zudem ein Forum für außenpolitische Vordenker, in dem sich bei aller Suche nach Alleinstellungsmerkmalen auch Kontakte beispielsweise zum CERI oder deutschen Entscheidern etablierten. Gelegentlich finden sich Repräsentanten der Maghrebstaaten, welche in den Chor derjenigen einstimmten, die Europa mit seinen Integrationserfolgen als attraktiv für die Region beschrieben. Daneben ließen Expertinnen und Experten innerhalb der IFRI-Strukturen ähnliche Europarepräsentation entstehen, beispielsweise wenn Philippe Moreau Defarges anmahnte, für eine euro-mediterrane Zukunftsvision aktiv zu werden: „l’édification d’une espace euro-méditerranéen de prospérité et de paix.“997 Algerien hingegen warf einen Schatten auf die Eigenentwürfe eines attraktiven und verantwortlichen Europas. Dies verwundert nicht, ergaben sich doch in den 1990er Jahren vermehrt Entscheidungen, welche laut den Autorinnen und Autoren auf die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest (Islamisten) und Cholera (militärisch-politisches Regime) hinausliefen. Zudem vermischten sich diese debattierten Vorstellungen mit den Auseinandersetzungen um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und um generelle Integrationsschritte wie den Maastrichter Vertrag. Algerien konnte darüber hinaus Bilder der Fremdheit befördern. Wenn innerhalb des IFRI eigene Forscherinnen und Forscher oder Gäste den Maghreb als Herausforderung für Europa einordneten, drängte sich das algerische Thema förmlich auf, daneben spielte auch der Zweite Golfkrieg als Machtdemonstration der USA eine Rolle. Es tauchten in dieser weltpolitischen Situation auch globalere Repräsentationen auf, welche die Akteure gegenüberstellten; zu Afrika als Gegenpart zu Europa zählte dann der Maghreb. Die Region bot des Weiteren diverse Eigenschaften, die ihre Andersartigkeit in einer indirekten Weise unterstrichen, indem Spaltungen der europäischen Staaten sich in den internationalen Beziehungen im westlichen Mittelmeerraum spiegelten. Zum Beispiel verwies die Journalistin José Garçon darauf, dass die algerische Diplomatie Spaltungen in der EU ausnutze, um gegen seine Gegner ungehindert vorgehen zu können. 997 Moreau Defarges, États-Unis, a.a.O., (Anm. 878), S. 66.

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Geographisch ließ sich der Maghreb mit dem Begriff „proximité“ zwischen Südeuropa und der arabischen Welt einordnen. Aus geschichtlicher Perspektive bot die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) schließlich zwar neue Ansätze, die Probleme der vorangegangenen Initiativen oder auch in der Vorbereitung der EMP vergaßen die IFRI-Forscherinnen damit nicht.998 Als Grundmuster neben den Repräsentationen eines europäischen Eigenen und eines maghrebinischen Anderen finden sich auch im IFRI Vorstellungen, welche die Verflechtungen zwischen nördlichen und südlichen Ländern unterstrichen. Als Beispiel sei die Ehrengastrolle des tunesischen Außenministers bei einer Festveranstaltung genannt, die letztlich auch eine diplomatische Funktion erfüllte. Daneben existierten im Hinblick auf Verflechtungsrepräsentationen auch Bezüge zum CERI, beispielsweise wenn eine CERI-Forscherin euro-mediterrane Ansätze zur Schaffung eines „sicherheitspolitischen Rahmens“ hervorhob.999 Die im engeren Sinne wirtschaftliche Verflechtung trat gegenüber den vorgenannten Verflechtungsideen in den Hintergrund. Die ökonomischen Parallelen zwischen dem Maghreb und Osteuropa bildeten eine wirtschaftliche Grundannahme, welche IFRI-Mitglieder in ähnlicher Weise wie zum Beispiel die SWP registrierten. Gastautoren bemängelten die Bereicherungen der maghrebinischen Eliten, insbesondere bei der Umschuldung Algeriens im Rahmen des Pariser Clubs. Auch stellten sie die Frage, ob ein regionaler Entwicklungsschritt im Maghreb in Zukunft möglich sei. Das IFRI konnte historisch auf einer traditionsreichen Vorgängereinrichtung aufbauen, entscheidend für das Institut war darüber hinaus der enorme Kontinuität verkörpernde Direktor und ehemalige Diplomat Thierry de Montbrial.1000 Aus dieser Konstellation ergibt sich der nahe an der offiziellen Diplomatie angesiedelte Ort IFRI – als Ursprung wissenschaftlicher Expertise und Beratung und als zentrales Pariser Forum für außenpolitisch Interessierte über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg. Nach der hiermit erfolgten Schilderung aller vier Fallbeispiele erfolgt im nächsten Kapitel eine Gesamtanalyse im Zusammenhang.1001

998 Z. B. Garçon, „Autoritarisme“, a.a.O., (Anm. 964); Kodmani-Darwish & Chartouni-Dubarry, Golfe, a.a.O., (Anm. 867), S. 61–62. Schließlich zur Vorgeschichte der EMP innerhalb des IFRI-Kontextes vor allem die Forscherin May Chartouni-Dubarry: Chartouni-Dubarry, „Proche“, a.a.O., (Anm. 87). 999 IFRI, „Entreprises“, a.a.O., (Anm. 971); Grimaud, „Spécificité“, a.a.O., (Anm. 974), S. 401. Im französischen Original war der Begriff „cadre sécuritaire“, es war deutlich, dass es um die Bekämpfung von (vermeintlichen) tunesischen Islamisten ging. 1000 2009 konnte der polytechnicien sein dreißigstes Dienstjubiläum als Direktor feiern – er war damit schon 2010 länger im Amt als der ähnlich lange amtierende Direktor des Forschungsinstituts der DGAP, Karl Kaiser (1973 bis 2003). 1001 Bereits in den Einzelanalysen der Institute (Kapitel 2 bis 5) wurde zudem immer wieder auf die zahlreichen Verbindungen verwiesen, die sich auch durch die Forumseigenschaften wie beim IFRI ergaben.

BEZÜGE, UNTERSCHIEDE UND GEMEINSAMKEITEN Mit Bezügen sind die Verbindungen der primär nationalen Beratungsinstitute untereinander gemeint: die Anerkennung der jeweils anderen Institution und ihre Vermittlung im eigenen Land, die Rezeption und Übersetzung von Ideen, Strömungen und Eigenheiten. Da eine umfassende Beschreibung aller Bezüge eine andere Gliederung der Arbeit und damit eine Vernachlässigung der nationalen und institutionellen Entwicklungslinien mit sich gebracht hätte, soll hier in erster Linie der Maghrebexperte Rémy Leveau, der in Frankreich und Deutschland im Kontext aller vier untersuchten Institute arbeitete, als Beispiel für die Nutzung und das Herstellen solcher Bezüge dienen. Bei den Unterschieden sind nur die entscheidenden Alleinstellungsmerkmale behandelt; weitere Details sind in den Einzelkapiteln und Zusammenfassungen zu den jeweiligen Instituten zu finden. Die Gemeinsamkeiten zwischen den Instituten stellen angesichts der Tatsache, dass diese Einrichtungen in ihren jeweiligen Ländern verankert sind, sich auf unterschiedliche Finanzierungsmodelle (die einen mehr staatlich, die andern mehr privat geprägt) stützen und sich in ihrer Arbeit auf spezifische außenpolitische Traditionen und Vorstellungen beziehen, ein überraschendes Ergebnis der Debattenanalyse dar.1002 Insgesamt zeigt die Untersuchung der Bezüge, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den vier verschiedenen Konstellationen insbesondere bei den Repräsentationen des Eigenen einen grundsätzlichen Wandel. Dieser lässt sich in drei Schlussfolgerungen zusammenfassen (Fazit). BEZÜGE ZWISCHEN DEN INSTITUTEN Die Beratungsszene in Deutschland und Frankreich befand sich in den 1990er Jahren in einer Situation, in der die Internationalisierung und Europäisierung zunahm. Beide Prozesse kann man als eng miteinander verbunden, zugleich jedoch nicht als linear oder einheitlich verstehen.1003 Es stellt sich die Frage, ob in einer

1002 Obwohl die Einzelanalysen zahlreiche Bezüge zwischen den Instituten zeigen, ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass ähnliche Phänomene selbst in benachbarten Gesellschaften nicht zwangsläufig auf Transferprozessen beruhen. Vgl. Kaelble, „Representations and Transfers“, a.a.O., (Anm. 967), S. 12. 1003 Hartmut Kaelble, „Europäisierung“, in: Dimensionen der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Hannes Siegrist zum 60. Geburtstag, hrsg. von Matthias Middell, (Leipzig: Leipziger Univ.-Verl., 2007), S. 73–89; von Hirschhausen & Patel, „Europeanization“, a.a.O., (Anm. 27). Eine deutsche Fassung findet sich unter: http://docupedia.de/zg/Europäisierung. Eine englische Version eines Teils der in diesem Ab-

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Bezüge, Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Situation des Umbruchs und der Neudeutung verschiedene Netzwerke und Allianzen positiv auf die institutionelle und persönliche Durchsetzung auch im Hinblick auf die Repräsentationen Europas beziehungsweise Nicht-Europas wirken konnten. Für viele Akteure der Beratungslandschaft bestand bereits damals kein Zweifel, dass sich ein Wandel der Europapolitik vollziehen müsse. Geschichtswissenschaftlich werden diese politischen Verschiebungen mittlerweile besonders mit der Perspektive auf das deutsch-französische Tandem gedeutet: Frankreich konnte die Integration nicht länger als westeuropäisches Nachkriegsprojekt und damit vor allem als Deutschlandpolitik betreiben. Auch die Bundesrepublik musste in einem „neuen“ Europa ihre Rolle finden.1004 Netzwerke und Allianzen konnten am einfachsten mit Hilfe von Bezügen hergestellt werden. Zwischen Instituten und einzelnen Akteuren konnten Bezugnahmen zweierlei bedeuteten. Der jeweils eigene Kontext konnte mit der Situation, auf die sich bezogen wurde, verglichen, daneben konnten Wissensbestände oder Deutungen transferiert werden. Die Wissensproduktion und die Wissensbestände über Transfer sind abhängig von den jeweiligen Kontexten und stechen in der Formulierung von „uns“ und „sie“ hervor. Die Überlegungen machen deutlich, dass für eine Handhabung des Konzepts eines Kulturtransfers Definitionen von Einheiten Voraussetzungen sind.1005 Der zu Beginn des Untersuchungszeitraums am CERI assoziierte, später auch am IFRI aktive Maghrebexperte Rémy Leveau konnte seine Reputation auch in Deutschland zur Geltung bringen.1006 Seine Tätigkeit am nach dem Fall der Mauer gegründeten französischen sozialwissenschaftlichen Institut in Berlin machte Publikationen sowohl im Kontext der SWP als auch der DGAP möglich, da beide Institute bereits vor den Hauptumzügen Büros in Berlin hatten.1007 An einem Arbeitspapier der SWP lässt sich demonstrieren, wie Leveau neue Bezüge, in

schnitt entwickelten Gedanken findet sich in: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 80– 84. 1004 Wirsching, „Integration“, a.a.O., (Anm. 695), S. 81. 1005 Jörg Feuchter, „Cultural Transfers in Dispute: An Introduction“, in: Cultural Transfers in Dispute. Representations in Asia, Europe and the Arab World since the Middle Ages, hrsg. von Jörg Feuchter, Friedhelm Hoffmann & Bee Yun, (Frankfurt am Main: Campus, 2011), S. 15–37, insbes. S. 18–20. 1006 Er lebte von 1932 bis 2005 und war von 1999 bis zu seinem Tod am IFRI verantwortlich für ein Forschungsprojekt. Khadija Mohsen-Finan, „Hommage à Rémy Leveau“, in: Musulmans de France et d’Europe. en partenariat avec l’IFRI, hrsg. von Rémy Leveau & Khadija Mohsen-Finan (CNRS science politique), (Paris: CNRS Éditions, 2005), S. IX–X. Drei Jahre wirkte er Mitte der 1990er Jahre von Berlin aus. Kepel, „Semeur“, a.a.O., (Anm. 630). 1007 Das französische sozialwissenschaftliche Institut bekam den Namen Centre Marc Bloch. François, „Centre“, a.a.O., (Anm. 152). Nachdem die Villa Borsig in Tegel zeitweise als Standort der SWP geplant war, zog die Stiftung schließlich Ende 2000 an den Ludwigkirchplatz in Berlin. Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 272–275. Die DGAP zog als Ganzes ab Januar 1999 nach Berlin. DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 349), S. 5. Zur Rolle der Büros in Berlin vgl. auch die jeweiligen Abschnitte zu den institutionellen Entwicklungen.

Bezüge zwischen den Instituten

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diesem Fall zwischen dem Maghreb, Deutschland und Frankreich, herstellte.1008 Er äußerte sich in seinem Teil des Arbeitspapiers in einer Zusammenschau der politischen Situation in Algerien und der Türkei zu dem Spannungsfeld, in dem sich die europäische Politik gegenüber den islamistischen Bewegungen befinde.1009 Die Verbindung der Argumentationsstränge zur Algerienkrise und zur sogenannten Türkeifrage1010 kann mit der Zielgruppe des Arbeitspapiers erklärt werden: Da es sich an deutsche Leser richtete, kam einem möglichen EU-Beitritt der Türkei eine besondere Bedeutung zu. Außerdem verwies Leveau auf die geostrategische Bedeutung der Türkei, die Regionalbeziehungen innerhalb der NATO und vom Balkan über den Kaukasus bis zum Mittleren Osten unterhalten könne. Explizit hob der französische Forscher auf die deutsche Öffentlichkeit ab, die ebenso wie die französische nicht auf die Fragen vorbereitet sei, die sich nach einem Türkeibeitritt stellten, denn dann werde die Kandidatur der drei Maghrebstaaten aktuell. Aus Leveaus Sicht konnte eine solche Süderweiterung positive Wirkungen haben: Zum einen könnten Einwanderungen damit zugelassen und so Radikalisierung eingeschränkt werden. Zum anderen eröffne sie die Möglichkeit, in Zukunft auf an diese Länder grenzende Staaten Einfluss zu nehmen. In dem auf Deutsch gedruckten Beitrag ordnete Leveau diesen Erwartungshorizont historisch ein. Seit der Suezkrise 1956 habe es solche Perspektiven europäischer Länder, die Situation in der Region zu beeinflussen, nicht mehr gegeben.1011 Für Kenner der europäischen Integrationsgeschichte klang dies verheißungsvoll, denn wie Wilfried Loth schreibt, verbesserte das erzwungene Ende der Suez-Unternehmungen die Rahmenbedingungen, um das Gemeinschaftsprojekt voranzubringen.1012 Eine solche Deutung – welche die regionalen Themenkomplexe der Türkei und des Maghrebs sowie die Dimension einer historischen Chance verband – knüpfte sowohl in Deutschland als auch in Frankreich an wichtige Diskussionen an. Dabei ging es jedoch nicht um eine abstrakte Beschäftigung mit dem Anderen an sich oder um die internationalen Beziehungen im Allgemeinen. Leveaus Ziel war es, ergänzend zur Vermittlung von Regionalkenntnissen und der Beschreibung der internationalen Entwicklungen Aspekte der Selbstverständigung

1008 In dem Arbeitspapier der SWP ist Leveau von März 1994 bis Juli 1997 als Projektleiter am Centre Marc Bloch in Berlin genannt. Leveau & Fuller, Nachbarschaft, a.a.O., (Anm. 151), S. 9. Die Arbeitspapiere waren ein wichtiges Mittel, um einem ausgewählten Publikum die internationalen Kontakte der Stiftung zu präsentieren. 1009 Ebd., S. 9–31. 1010 Die Diskussion um den möglichen EU-Beitritt der Türkei wird zuweilen als „Lackmus-Test“ für die Frage nach „Europas Außengrenzen“ bezeichnet. Andreas Wirsching, Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit, (München: Beck, 2012), insbes. S. 354–359. 1011 Leveau & Fuller, Nachbarschaft, a.a.O., (Anm. 151), S. 28. 1012 Wilfried Loth, Der Weg nach Europa. Geschichte der europäischen Integration 1939–1957 (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1551), 3., durchges. Aufl., (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1996), insbes. S. 126–128.

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Bezüge, Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Europas zu beleuchten.1013 Solche Prozesse der Selbstbeschreibung waren daher von den auf den Maghreb bezogenen regionalen und internationalen Beobachtungen nicht zu trennen; sie bezogen sich vielmehr konkret auf diese Region und ihre Bedeutung in einer globalisierten Welt. Leveau schlug am Ende des Arbeitspapiers den Bogen zum Beginn, indem er hinsichtlich der Eigenrepräsentationen sowohl den Westen als auch Europa einbezog, und seinen Adressaten die Schaffung von Regionalsystemen empfahl. Sein Vorschlag war, den Maghreb nach europäischem Vorbild zu organisieren.1014 Auch wenn die EU hier als Modell diente, schränkte Leveau seine Kritik an undemokratischen Gesellschaftsordnungen unter Verweis auf die europäische Historie stark ein. 1015 Leveau ging nicht unreflektiert von einer linearen Entwicklung nach europäischem Vorbild aus; in einem weiteren Text für ein deutsches Publikum kritisierte er diese Selbstbetrachtung „im Spiegel“ als typisch europäische Haltung: Seit gut einem Jahrtausend zeigt Europa – sei es aus Angst oder aus Faszination – ein Interesse an der muslimischen Welt. Die Beschäftigung mit den Türken oder den Persern, die Vorstellung ihrer Reaktionen gegenüber den europäischen Gesellschaften war oftmals ein Mittel für diese, ihre eigene Entwicklung im Spiegel der anderen zu betrachten. 1016

In dem im Dezember des gleichen Jahres in der Zeitschrift der DGAP erschienenen Artikel bezog sich die im Titel angesprochene „Herausforderung“ durch den Islam zwar auf die Gesamtheit der „muslimischen Welt“, unter der Überschrift „Perspektiven“ beschäftigte sich der Autor jedoch mit der Türkei und Algerien; er warnte vor einem Militärputsch „nach algerischem Vorbild“.1017 In beiden Beiträgen zur Debatte um Europa und den Maghreb bezog sich Leveau auf das den Deutschen näherliegendere Beispiel Türkei, um seine Thesen zu unterstreichen. Seine Deutung wirkte in den französischen Kontext zurück, indem er 1013 Der Begriff „internationale Beziehungen“ ist als Bezeichnung für eine Disziplin der Politikwissenschaft wie auch für den Gegenstand eben jener Disziplin zuweilen im allgemeinen Sprachgebrauch ein wenig irreführend, da er eine Art akademischer Entrücktheit nahelegt. Ernst-Otto Czempiel, „Internationale Beziehungen: Begriff, Gegenstand und Forschungsabsicht“, in: Einführung in die internationale Politik. Studienbuch, hrsg. von Manfred Knapp, Gert Krell & Alexander Brand, 4., überarb. und erw. Aufl., (München: Oldenbourg, 2004), S. 2–28. Gerade in den Beratungskontexten ging es jedoch um anschauliche Fragestellungen. 1014 Leveau & Fuller, Nachbarschaft, a.a.O., (Anm. 151), S. 30. Leveaus Modellvorstellung lehnte sich damit aus historischer Perspektive am Modell institutioneller Integration an, welche ein Ziel in der Supranationalität sieht, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa geschaffen wurde. Vgl. Jürgen Osterhammel, „Europamodelle und imperiale Kontexte“, in: Journal of Modern European History 2 (2004), 2, S. 157–182, insbes. S. 165. 1015 Leveau & Fuller, Nachbarschaft, a.a.O., (Anm. 151), S. 13. Leveau verglich diachron zwischen den arabischen Regimen und europäischen Herrschaftsformen der vergangenen Jahrhunderte, siehe Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 83. 1016 Leveau, „Islam“, a.a.O., (Anm. 468), S. 25. 1017 Ebd., S. 30. Hier stellte Leveau Bezüge zur Situation in Algerien Anfang der 1990er Jahre her, siehe Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 83–84.

Bezüge zwischen den Instituten

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bei der Analyse in der Zeitschrift des IFRI 1997 einen Verweis auf andere Perspektiven und damit eine Relativierung der eigenen Standpunkte in die französische Debatte einspeiste. Auch hier fehlte nicht der Hinweis, dass eine europäische Politik gegenüber dem Maghreb notwendig sei.1018 Allerdings war das Schaffen von Bezügen, Gemeinsamkeiten und Unterschieden und die mentalen Vorstellungen derselben eine zweischneidige Angelegenheit, sowohl auf persönlicher als auch auf institutioneller Ebene. In diesen Zeiten des Umbruchs, in denen es um Deutungsmacht und die Beeinflussung politischer Prozesse ging, konnte eine Bezugnahme in Form eines Vergleichs mit der eigenen Situation, aber auch der Transfer von eigenem Wissen sowohl Vorals auch Nachteile bringen. Einerseits konnte das eigene Ansehen oder das des jeweiligen politischen Beratungsinstituts wachsen, wenn innerhalb erweiterter Zusammenhänge international, intersektoral oder im europäischen Rahmen argumentiert wurde. Folgt man Ansätzen, die Europäisierung sowohl im Sinne einer gedachten Gemeinschaft als auch einer sozialen Praxis Europa verstehen, waren europäisierte Argumentationen mehr und mehr gefragt.1019 Andererseits war es für ein Beratungsinstitut und sein jeweiliges Mitglied wichtig, sich im Konkurrenzkampf um Aufträge und Forschungsmittel gewisse Alleinstellungsmerkmale für die eigene Wissensproduktion zu bewahren. Mit Helmut Schelsky könnte man von einer Art Herrschaftswissen sprechen, das es zu erhalten galt – allerdings nicht in dem Sinne einer Beherrschung durch Belehrung, Betreuung und Beplanung, in der Schelsky den Begriff in den 1970er Jahren benutzte, sondern vielmehr als Machterhaltung mit Hilfe von Wissen, das dabei half, die jeweiligen großen Einheiten verständlich zu machen.1020 Die Bezüge beruhten neben der Aktivität einzelner auswärtiger Wissenschaftseinrichtungen, wie etwa im Fall von Leveau dem Berliner Centre Marc Bloch, auch auf der Kooperation solcher Einrichtungen, zum Beispiel arbeiteten die Goethe-Institute und ihre französischen Pendants (Instituts français) zusammen. Das Ergebnis war ein Sammelband, der von der Immigrationsexpertin des CERI, Catherine Wihtol de Wenden, gemeinsam mit einem deutschen Sozialwissenschaftler herausgegeben wurde.1021 Der Koordinator des Treffens, Bernhard Falga, unterstrich die Zusammenarbeit beider Forscher bei der Organisation von Konferenz und Sammelband.1022 Die Spiegelung der 1018 Leveau, „Mythes“, a.a.O., (Anm. 854). 1019 Vgl. von Hirschhausen & Patel, „Europeanization“, a.a.O., (Anm. 27), S. 8–9. 1020 Vgl. zur Historisierung Schelskys Thesen: Metzler, „Integration“, a.a.O., (Anm. 12), S. 61. Vgl. zum Verhältnis von Wissen und Repräsentation Chartier, Vergangenheit, a.a.O., (Anm. 23), S. 10–11. 1021 Bernhard Falga, Catherine Wihtol de Wenden & Claus Leggewie (Hrsg.), Au miroir de l’autre. De l’immigration à l’integration en France et en Allemagne (Bibliothèque francoallemande). Actes du colloque de Francfort-sur-le-Main (15 et 16 mai 1993), (Paris: Éd. du Cerf, 1994). 1022 Bernhard Falga, „Avant-propos“, in: Au miroir de l’autre. De l’immigration à l’integration en France et en Allemagne. Actes du colloque de Francfort-sur-le-Main (15 et 16 mai 1993),

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Bezüge, Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Migrationsproblematiken verblieb in diesem Fall allerdings auch weitgehend auf deutsch-französischer Ebene, in der Einleitung verwiesen das CERI-Mitglied und sein deutscher Counterpart auf gemeinsame Aufgaben für die Wissenschaft, die Politik und den deutsch-französischen Dialog.1023 Wihtol de Wenden kam allerdings in einem späteren Zusammenhang, in dem der Islam in Deutschland und Frankreich zur Diskussion stand, auch auf die „europäische Identität“ zu sprechen. Mit dem Schengen-Europa spielten Grenzen in diesem Begriff eine wichtige Rolle. Das Andere sei hierbei so herausgehoben, weil es nicht gelänge, ein „kollektives Wir“ („nous collectif“) zu finden.1024 Auch die Verbindungen zwischen der DGAP und dem IFRI institutionalisierten sich zunehmend. Neben dem genannten Buchprojekt1025 gab es zahlreiche Bezüge zwischen den Zeitschriften beider Institute. So veröffentlichte Josef Janning Anfang 1996 einen vom IFRI-Mitglied Hans Stark übersetzten Artikel in der Zeitschrift des französischen Instituts. Janning war zwar selbst kein Mitglied der DGAP, nahm in dieser Zeit die Position eines engen Vertrauten des Herausgebers der hauseigenen Zeitschrift ein. Indirekt ergab sich auf diesem Wege eine Verbindung zwischen beiden Instituten. Janning verwies im Zusammenhang mit der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands in der zweiten Jahreshälfte 1994 auf diverse Schwierigkeiten; die Probleme im Zusammenhang mit den neuen Ländern hätten die Debatte über die europäische Integration verstummen lassen, die deutschen finanziellen Reserven für europäische Kompromisse existierten nicht mehr. Darüber hinaus gelänge es nicht mehr, französische und deutsche Positionen zur Gemeinschaft zu harmonisieren. Ein Austarieren – „un rééquilibrage“ (ein Begriff des damaligen französischen Botschafters) – der osteuropäischen beziehungsweise mediterranen Politik der Union sei jedoch immerhin in finanzieller Hinsicht erfolgt.1026 Derartige Verbindungen gab es nicht nur bei den Institutsmitgliedern und „Assoziierten“; auch Außenpolitiker wie Klaus Kinkel veröffentlichten zu Mittelmeerfragen in beiden Institutszeitschriften ähnliche Artikel.1027 Die genannten Fallbeispiele zeigen, wie über das Herstellen von Bezügen und Verbindungen europäisierte – das heißt, europäisch informierte – Kompetenz

hrsg. von Bernhard Falga, Catherine Wihtol de Wenden & Claus Leggewie (Bibliothèque franco-allemande), (Paris: Éd. du Cerf, 1994), S. 7–9. 1023 Leggewie & Wihtol de Wenden, „Introduction“, a.a.O., (Anm. 755), S. 18. 1024 Catherine Wihtol de Wenden, „Conclusion. La contribution de l’immigration à la défiition d’une identité européenne“, in: L’islam en France et en Allemagne. Identités et citoyennetés, hrsg. von Rémy Leveau, Khadija Mohsen-Finan & Catherine Wihtol de Wenden, (Paris: La documentation Française, 2001), S. 137–139. 1025 Als Beispiel die französische Version des Buches: Stark (Hrsg.), Agir, a.a.O., (Anm. 29). Zur deutschen Buchausgabe erschien z. B. in der Wochenzeitung Die Zeit eine weitgehend wohlwollende Rezension: Klaus-Peter Schmid, „Ernüchternde Prognose“, in: Die Zeit, (26.10.1995). 1026 Josef Janning, „La politique européenne de l’Allemagne entre désir et réalité“, in: Politique étrangère 61 (1996), 1, S. 23–36, insbes. S. 24–26. 1027 Kinkel, „Deutschland“, a.a.O., (Anm. 415); Kinkel, „2000“, a.a.O., (Anm. 937).

Unterschiede der Institute

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vermittelt werden konnte. Die Rolle der Institute in diesen Prozessen sollte allerdings nicht überschätzt werden; viel hing von den einzelnen Akteuren, ihren Interessen und ihren Netzwerken ab. Die Interessenlage ist wiederum nicht ohne eine Konzentration auf solche Entfaltungsmöglichkeiten zu verstehen, da sich alle untersuchten Leitungsebenen mit solchen Aktivposten profilieren konnten.1028 Die Zusammenschau der verschiedenen untersuchten Institutionen weist daneben jedoch signifikante Unterschiede auf. UNTERSCHIEDE DER INSTITUTE Bevor nun auf die Unterschiede zwischen den Instituten in Deutschland und Frankreich eingegangen werden kann, ist es notwendig, an die wichtige Überlegung zum methodischen Umgang mit den Einheiten „außenpolitische Beratungsinstitute“ zu erinnern. Jedes Institut besteht aus einer Vielzahl von einzelnen Akteuren. Die Tatsache, dass das Quellenmaterial, das die Grundlage der vorliegenden Untersuchung bildet, weder in den jeweiligen Ländern, noch in jedem einzelnen Untersuchungsobjekt einheitlich ist, stellt im historischen Vergleich eine normale Situation dar.1029 Insofern können die nachfolgend aufgeführten Unterschiede und Gemeinsamkeiten nur eine Annäherung an einen vielstimmigen Gesamtkomplex sein. Über die Institutionenperspektive wird allerdings die politische Kultur der verglichenen Länder besser sichtbar, da die Gesamtausrichtung der außenpolitischen Beratungsinstitute durchaus zum Politikum werden konnte. Eine Nachwuchsforscherin oder ein Nachwuchsforscher hatte mit einem üblicherweise speziellen Tätigkeitsbereich zumeist weniger politische Bedeutung; die Besetzung der Führungsspitzen wurde hingegen nicht selten zur politischen Frage.1030 Letztlich ist auch der Vergleich verschiedener Institute selbst ein Mittel, um übergreifende Strömungen von Einzelentwicklungen zu unterscheiden. In den Publikationen der SWP beispielsweise bildete der Maghreb als wichtiger, in Migrationsfragen wichtigster Teil des Mittelmeerraums eine

1028 So hieß es beispielsweise in einem Bericht des französischen CERI, die Einrichtung des deutsch-französischen Berliner Zentrums für Sozialwissenschaften, für das Rémy Leveau für einen Langzeitaufenthalt beurlaubt („détache“) sei, fördere die deutsch-französische Zusammenarbeit. CERI, Rapport 1990–1994, a.a.O., (Anm. 398), S. 97–98. 1029 Kaelble, Vergleich, a.a.O., (Anm. 285), S. 148. Zum Umgang mit dem Untersuchungsgegenstand siehe den Abschnitt zu methodischen Überlegungen der Einleitung. Eine englische Version eines Teils der in diesem Abschnitt entwickelten Gedanken findet sich in: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 92–96. 1030 Zum Direktorenposten der SWP und der Personalie Stürmer schreibt beispielsweise der Politikwissenschaftler Winand Gellner: „Die heftig diskutierte Berufung des ehemaligen Kanzlerberaters Michael Stürmer zum Nachfolger von [Klaus] Ritter verdeutlichte, daß auch Ebenhausen [also die SWP, J. W.] nicht völlig frei von parteipolitischen Absichten und Interessen ist.“ Winand Gellner, Ideenagenturen für Politik und Öffentlichkeit. Think Tanks in den USA und in Deutschland, (Opladen: Westdt. Verlag, 1995), insbes. S. 172.

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Konstante als Experimentierfeld für die europäische Mittelmeerpolitik, man argumentierte unter Einbeziehung verschiedener sicherheitspolitischer Aspekte. Dabei stellten die Autorinnen und Autoren der SWP militärstrategisch dominierte Szenarien neben weichere Aspekte wie Migration oder Menschenrechtsverletzungen. Dennoch blieben für sie in den 1990er Jahren die Repräsentationen des Eigenen gegenüber dem Maghreb eng mit den vorrangig sicherheitspolitischen Themen des Instituts verknüpft.1031 Die Gründungskonzeption der SWP zielte darauf ab, „dass Sicherheit im Sinne von Friedenssicherung ein ziemlich durchgehender Aspekt unterschiedlichster Ausschnitte internationaler Entwicklung ist […].“ 1032 Aus diesem Ansatz heraus ergaben sich breitere Diskussionen über eigene und fremde Rollen in der internationalen Ordnung, als der Kalte Krieg auch für die Institutsmitglieder überraschend endete. Für sie eröffnete sich eine neue Sicht auf Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit. Kritik und Skepsis gegenüber der Aufrichtigkeit der Verantwortungsrhetorik der EU und einzelner Akteure in Europa waren in der SWP in vielen Fällen erkennbar. Ein wichtiger Verfechter einer solchen Sicht war der Nahostexperte Volker Perthes.1033 Diese Kritik enthielt erstens eine Bestätigung, dass die EU in dem Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb eine herausragende Bedeutung erlangt hatte. Zweitens war sie Teil der Beratungstätigkeit der Expertinnen und Experten, die gegenwärtige und vergangene Zustände kritisierten, um Verbesserungen in der Zukunft vorzuschlagen. Die SWP war in Deutschland die erste Adresse für praxisorientierte, sicherheitspolitische Forschung zum Thema der europäisch-maghrebinischen Beziehungen; dies hing auch mit der überlegenen personellen Ausstattung der SWP im Bereich Bibliothek und Dokumentation zusammen.1034 In den Veröffentlichungen und Veranstaltungen der DGAP wurde im Laufe der 1990er Jahre die Mittelmeerpolitik als gemeinsames Interessengebiet der Mitgliedsstaaten der europäischen Institutionen definiert und daraus die Notwendigkeit abgeleitet, in der Region zu handeln. Für die institutionelle Vielgestaltigkeit bürgerte sich die Chiffre Europa ein – ähnlich für den Maghreb und den Nahen

1031 Diese herausragende Kompetenz der SWP im sicherheitspolitischen und strategischen Bereich wurde z. B. auch von der Leitungsebene des französischen CERI beobachtet: „[...] dans le domaine des études stratégiques, où la Stiftung Wissenschaft und Politik d’Ebenhausen joue un rôle prédominant [...]“. CERI, Rapport 1990–1994, a.a.O., (Anm. 398), S. 97. 1032 Klaus Ritter zit. n. Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 158–159. 1033 Recht deutlich in Perthes, „Barcelona-Prozeß“, a.a.O., (Anm. 184). 1034 Dieser Bereich wurde später in Fachinformation umbenannt; im Untersuchungszeitraum hatte allenfalls eine Hamburger Einrichtung, das Deutsche Übersee-Institut, eine ähnliche Ausstattung. Gespräch mit Rogalski, Weiher, a.a.O., (Anm. 142). Seit den 2000er Jahren heißt das Institut in einem neu geschaffenen Verbund German Institute of Global and Area Studies (GIGA)/Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien. Der Begründer der Nah/Mittelost-Fachgruppe der SWP, Udo Steinbach, war langjähriger Leiter des Deutschen Orient-Institutes in Hamburg, dessen Wissenschaftler ebenfalls in den Verbund wechselten. Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 160.

Unterschiede der Institute

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und Mittleren Osten der Begriff Mittelmeer.1035 In den Publikationen der Gesellschaft schloss die Mittelmeerpolitik den Maghreb mit ein, denn Algerien war einer der Krisenherde, die es nahelegten, den Mittelmeerraum als gemeinsames europäisches Interessengebiet zu behandeln. Darüber hinaus boten sich nicht nur aktuelle Probleme, sondern auch die Geschichte als Untersuchungsthemen an. Schließlich fällt in den Publikationen ein zeitlicher Zusammenhang mit den Hoffnungen im Nahostfriedensprozess und der Konferenz von Barcelona auf. In der Frage einer besonderen deutsch-französischen Perspektive lässt sich zu Beginn des Untersuchungszeitraums eine exklusive Deutung des Umbruchs feststellen, der durch das Ende des Kalten Krieges ausgelöst wurde. Das Ende des Blockkonflikts definierten vor allem Institutsmitglieder aus dem Bereich Deutschland/Frankreich als Ereignis, das Europa als am stärksten profitierender Kontinent vom Rest der Welt unterschied. Doch die Zeit drängte; in ihrer Untersuchung von europäischen mental maps bei deutschen und französischen Politikern weist Laetitia Harcour darauf hin, dass in dieser Zeit in Fragen der europäischen Integration verstärkter Handlungsdruck bestand.1036 DGAP-Mitglieder und Gäste verwiesen vor allem bei drei europäischen Themen auf den Mittelmeerraum: Erstens im Zusammenhang mit der supranationalen und in Zukunft möglicherweise föderativen Struktur des konstitutionellen Europas. Bei diesen Überlegungen schwang immer mit, dass eine weitergehende Integration ohne den harten Kern aus Deutschland und Frankreich nicht denkbar erschien. Zweitens, wenn von Prozessen der Abgrenzung – insbesondere gegenüber den USA – die Rede war. Und drittens war die Frage nach der Erweiterung der europäischen Institutionen ein Anlass, über Begrenzungen nachzudenken. Insgesamt wurde über diese Faktoren die Repräsentation eines abgeschlossenen Europas mehr und mehr gestärkt. Die DGAP hatte einen deutschfranzösischen Schwerpunkt, der sowohl personell als auch innerhalb der Institutsstruktur auf die Diskussionen um Europa und den Maghreb abfärbte. Im CERI war im gesamten Untersuchungszeitraum eine zu starke regionalwissenschaftliche Note nicht mehr en vogue. Mit der „qualitiativen Veränderung des verschachtelten Systems der intergouvernementalen Zusammenarbeit und der drei Europäischen Gemeinschaften“ 1037 zur EU spielte in der Maghrebforschung das konstitutionelle Europa als Akteur eine wichtigere, öffentlichkeitswirksame Rolle. Anhand von Berichten lassen sich (Personal-)Streitigkeiten und Auseinandersetzungen um diesen Internationalisierungsprozess und Europäisierungs1035 Bereits das Heft Nr. 2/1996 der DGAP-Zeitschrift Internationale Politik bildete mit einer alarmierenden Überschrift ein Beispiel; der Hefttitel lautete: „Brennpunkt Mittelmeer“. Darin z. B. Weidenfeld, „Herausforderung“, a.a.O., (Anm. 470). 1036 Laetitia Harcour, „La représentation mentale de l’espace européen chez les dirigeants politiques allemands et français et son incidence sur la construction de l’Europe (1950– 2000)“, in: Quelle(s) Europe(s)? Nouvelles approches en histoire de l’intégration europénne, hrsg. von Katrin Rücker & Laurent Warlouzet (Euroclio, 36), (Brüssel, Bern, Berlin u. a.: Peter Lang, 2006), S. 97–107, insbes. S. 105. 1037 Brunn, Einigung, a.a.O., (Anm. 991).

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kurs des Zentrums nachvollziehen.1038 Die Rolle Europas fassten die Mitglieder und die Assoziierten am CERI dabei in verschiedene Formen von europäischem Bewusstsein. Das konnten zum Beispiel die immer wieder bemühte Rede von der Einheit in Vielfalt oder das Argument eines Qualitätsschubs durch europäische Investoren (oft aus Südeuropa) im Maghreb sein. Nicht alle Einschätzungen bewerteten die europäischen Projekte positiv; gerade die internen Berichte zeigen generell, dass die CERI-Führung und die einzelnen Forscher sich zunehmend auf die Vorhaben aus Brüssel einstellten. Das betraf die Auseinandersetzung mit dem westlichen Mittelmeer, mit europäischmaghrebinischen Themen und mit der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP). Insbesondere die Auflistungen, die Auftragsforschungen präsentierten, zeigen solche Veränderungen. Eine in diesem Zusammenhang einzeln darstellbare Repräsentation Europas im Maghrebraum erscheint paradox: Eine Europarepräsentation, welche die Rolle Europas kritisierte, sprach zumindest implizit eine Akteursfähigkeit zu.1039 Die Europarepräsentation eines ambivalenten europäischen Akteurs gegenüber dem Maghreb verschärfte sich im untersuchten Zeitraum mit der Arbeit von Béatrice Hibou und Luis Martinez zur „euromaghrebinischen“ Partnerschaft.1040 Sie ist eng verbunden mit den Einschätzungen des damaligen CERI-Direktors, Jean-François Bayart, und der von ihm geförderten Autorin Hibou. Dies gilt weniger für den Nachwuchsforscher Martinez, der engere Kontakte zum anders ausgerichteten IFRI pflegte. Da sich das IFRI als Forum für den Beratungs- und Politikbetrieb etabliert hatte, wurden hier nicht nur innerhalb des Pariser Mikrokosmos (unter anderem zum CERI), sondern auch nach Deutschland Kontakte geknüpft und gepflegt. Aufschlussreich sind daher Argumentationsmuster, welche die Verantwortung Europas gegenüber der Peripherie betonten. Ein naheliegender Unterschied betrifft die Art und Weise, wie sich die aus dieser Perspektive agierenden Personen im IFRI selbst verorteten. Es ging es zumeist um eine Perspektive für die Eliten

1038 Als Beispiel für einen internen Bericht, der die Auseinandersetzung um die eher europäische oder eher globale Ausrichtung des Instituts, festhielt, siehe CERI, „Conseil“, a.a.O., (Anm. 660). Im Leitartikel des Abschieds-Rundbriefs zum Ende der entsprechenden Direktorenzeit finden sich einige Anspielungen („Le moment est ainsi venu de rappeler quelques-uns des principes qui ont guidé mon action.“) – die Internationalisierung des CERI sei ein Balanceakt (ein indirekter Hinweis auf den Richtungsstreit). Bayart, „Octobre 2000“, a.a.O., (Anm. 641). 1039 Dies lässt sich festhalten, ohne sich in einer politiktheoretischen Diskussion über verschiedene Definitionen der EU zu verlieren, die um Begriffe wie „unvollendeter internationaler Akteur“, „actorness“ oder internationaler Akteur „sui generis“ kreisen. Schumacher, Akteur, a.a.O., (Anm. 54), S. 32–39. Unabhängig von sehr detaillierten Analyserahmen lassen die Kritik und die Beschreibungen, in denen CERI-Forscherinnen und Forscher von Krise sprachen, darauf schließen, dass ein Handeln erwartet wurde. Die politischen Eliten sollten Instrumente wie die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) im Sinne der CERI-Debattenbeiträge weiterentwickeln. 1040 Hibou & Martinez, Partenariat, a.a.O., (Anm. 645).

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der französischen Hauptstadt; die Beziehungen Frankreichs zum Maghreb und zu Deutschland waren unterschiedliche Themenkomplexe, auch für deutsche Gäste. Während in deutschen Instituten in einigen Fällen schon früh das Verhältnis zwischen Europa und dem Maghreb als deutsch-französisches Thema diskutiert wurde, war dies am IFRI erst mit dem Barcelona-Prozess verbreiteter. Im Zuge der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) übernahm es May ChartouniDubarry, mit der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) Kontakt aufzunehmen. In den Rundbriefen, Jahrbüchern und der IFRI-Zeitschrift unterstrichen sie und andere Institutsmitglieder, dass in erster Linie italienische Partner diese beratende Begleitung des Prozesses vorbereitet hatten. Mit der BarcelonaKonferenz erlangten die iberischen Institute (auch aufgrund ihres Standortvorteils) ein größeres Gewicht innerhalb des Zusammenschlusses. Die IFRIMitglieder und Gäste agierten in den Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb am stärksten paradiplomatisch; hier wurde ähnlich wie auf dem offiziellen diplomatischen Parkett argumentiert, was vor allem auf den Einfluss des IFRI-Direktors zurückgeführt wird, der zuvor Leiter des Planungsstabes im Außenministerium war. Zudem erfolge die Finanzierung vor allem aus diesem Ministerium.1041 Für das Jahr 2005 lassen sich die Mittel des IFRI allerdings vor allem dem Premierminister zuordnen.1042 Welche Unterschiede zwischen den vier Instituten gilt es besonders hervorzuheben? Einige entscheidende Faktoren betreffen jeweils nur ein Institut, seltener lässt sich an der deutsch-französischen Linie eine Differenzierung vornehmen. Bei der SWP kann die herausragende Personalausstattung für die gezielte Fachinformation unterstrichen werden. Was den Komplex Deutschland/Frankreich angeht, so wurde er in der DGAP mit ihrer eher als Forum konzipierten Struktur wichtiger als in der SWP.1043 In der DGAP verlief die Diskussion über den Mittelmeerraum im Rahmen des seit Kriegsende erprobten Argumentationsmusters eines deutsch-französischen Motors, das sonst vor allem in Frankreich anzutreffen ist.1044 Für die französischen Institute gilt insbesondere für das IFRI: Die Akteure (auch die deutschen Gäste) wussten, dass sie sich in einem Institutszusammenhang äußerten, den sie zu Recht als ein zentrales Pariser Forum für Außenpolitik verstanden. Ein wichtiger Unterschied zwischen dem IFRI und dem CERI betrifft das Netzwerk der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) – das Ersteres war Gründungsmitglied, das Letztere zunächst kritischer Beobachter. Dieser Gegensatz ist nicht verwunderlich, da das IFRI für die EU-Diplomatie der 1041 Gespräch mit Béatrice Hibou, Büro CERI, (18.12.2008). 1042 Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 75. Demnach entfallen von 5,7 Mio. Euro Budget 1,9 Mio. Euro auf direkte Subventionen – vor allem aus dem Matignon –, 2,4 Mio. Euro auf Programmfinanzierung – besonders durch das Verteidigungsministerium –, 1,2 Mio. Euro auf Mitgliedsbeiträge und Stiftungsmittel und 0,2 Mio. Euro aus diversen Quellen. 1043 Dazu trug der Leiter der deutsch-französischen Arbeitsstelle der DGAP bei, der Frankreichhistoriker Ingo Kolboom, u. a. mit Kolboom (Hrsg.), Deutschland, a.a.O., (Anm. 409). 1044 Vgl. Harcour, „Représentation“, a.a.O., (Anm. 1036), S. 99.

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geeignetere Partner war. In der Schärfe der Angriffe auf die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) unterschieden sich die Kommentare und Analysen aus dem CERI ebenfalls von ähnlicher Kritik, die in anderen Instituten (auch in der deutschen SWP und DGAP) geübt wurde. IFRI, SWP und DGAP waren Gründungsmitglieder des genannten Netzwerks. Im CERI kritisierte man so gegen Ende der 1990er Jahre mit dem theoretischen Hintergrund der internationalen politischen Ökonomie1045 die EU als einen maßgeblichen europäischen Akteur am stärksten. Daneben thematisierten sowohl die Mitglieder des CERI als auch des IFRI implizit das unterschiedliche Engagement innerhalb der Gemeinschaft, indem sie immer wieder von Südeuropa sprachen. Weniger häufig als deutsche Institutsangehörige verglichen sie explizit den Osten und den Süden als Gebiete von Interesse.1046 GEMEINSAMKEITEN DER INSTITUTE In diesem Abschnitt soll es nicht darum gehen, über Unterschiede hinwegzusehen, um Ähnlichkeiten zwischen den Instituten zu konstruieren. Ziel der Arbeit ist vielmehr, neben den institutionellen und nationalen Eigenheiten auch die verbindenden Elemente herauszuarbeiten und die Untersuchung der Repräsentationen in den jeweiligen Institutskontexten in dieser Hinsicht zu ergänzen. Kursorisch sind daher die Analysen von gleichgelagerten Veränderungen mit den politischen Rahmenbedingungen im Untersuchungszeitraum zu thematisieren. Was die internationale Situation angeht, in der sich die deutschen und französischen Institute befanden, so existieren wichtige Gemeinsamkeiten: Die „Zeit nach dem Kalten Krieg“, begonnen mit der deutschen Vereinigung, zeichnete sich auch durch einen gemeinsamen Wandel aus, der „internationale Platz und Stellenwert“ beider Staaten veränderte sich.1047 Die Politisierung der europäischen Handlungsfelder in den 1990er Jahren – die Europapolitik entwickelte sich zu einem viel debattierten Feld1048 – hatte nun entscheidenden Anteil daran, die Akteure für europäische Fragen und Strategien im Namen Europas empfänglich zu machen. Auffällig ist, dass jedes der Institute den Maghreb in Publikationen und Veranstaltungen mit neuen europäischen Entwicklungen in Zusammenhang brachte. Als frühes Beispiel für eine Diskussion von Europa- und Mittelmeerfragen sei an eine Arbeitstagung der DGAP und des IFRI erinnert; das CERI wiederum warb bereits 1991 1045 Die internationale politische Ökonomie räumt dem Zusammenspiel von wirtschaftlicher und politischer Macht besonderes Gewicht ein. Lehmkuhl, Theorien, a.a.O., (Anm. 138), S. 308. 1046 Rémy Leveau als gut vernetzter Forscher lieferte in einem Zeitungsartikel ein Beispiel, in dem er diese deutsch-französische Unterscheidung erwähnte und vorschlug, Frankreich solle zwischen den Orientierungen vermitteln. Leveau, „Algérie“, a.a.O., (Anm. 668). 1047 Miard-Delacroix, Einigung, a.a.O., (Anm. 520), S. 123. Eine englische Version eines Teils der in diesem Abschnitt entwickelten Gedanken findet sich in: Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267), S. 96–97. 1048 Kaelble, Wohlfahrtsstaat, a.a.O., (Anm. 13), S. 272.

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in einem Rundbrief für eine Betrachtungsweise, die gleichermaßen interne und externe politische Entwicklungen berücksichtigte, die für die Region von Belang waren.1049 Wofür allerdings Europa in diesen Diskussionen stand, war anfangs noch eher unklar. Verschiedene institutionelle Optionen bestimmten die Debatte. Indem sich die Mitglieder der Gemeinschaft mit der Vertragsreform von Maastricht in Richtung eines konstitutionellen Europas bewegten, rückten die EU und ihre Initiative weit mehr ins Zentrum eines europäischen Selbstverständnisses, aus dem heraus ein gemeinsames Vorgehen im Mittelmeerraum und gegenüber dem Maghreb betont wurde. Dazu trug in entscheidender Weise die Einrichtung der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) bei, die mit der Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) im Sinne eines Netzwerks dazu beitrug, dass sich die nationalen Beratungsinstitute vermehrt mit der Mittelmeerpolitik der Union auseinandersetzten. In dieser Auseinandersetzung gab es sowohl affirmative als auch ablehnende Überlegungen zum Partnerschaftsprojekt,1050 wobei insbesondere letztere Einschätzungen auch als Strategien gegenüber Einrichtungen gesehen werden können, die auf den Mittelmeerraum spezialisiert waren oder die im Zuge der Entwicklungen auf europäischer Ebene neu gegründet wurden. Hier befanden sich alle vier Institute in einer ähnlichen Situation, weil sie prinzipiell die Gesamtheit der internationalen Beziehungen als ihr Betätigungsfeld verstanden. Die Unterschiede des politischen Kontextes zwischen deutschen und französischen Beispielen sollten dennoch nicht außer Acht gelassen werden; zwar sind die Kontraste bei zu großen Teilen staatlich finanzierten Instituten nicht so gravierend wie bei mehr privaten Einrichtungen, das geographisch auf Paris fokussierte, sozialhistorisch einheitlichere Personal in den „think tanks“ der Fünften Republik bleibt eine Besonderheit Frankreichs, wobei das IFRI wohl das einzige Institut ist, dass einem angelsächsischen Modell folgt.1051 Daneben ist in allen Fallbeispielen der Wandel in den Kommunikationsstrategien und -techniken sowie der Öffentlichkeit bedeutsam. Da die Arbeit keine Studie der europäischen Öffentlichkeit ist, die vor allem auf europäischen Qualitätszeitungen beruhen, ist im Fall der politischen Beratungsinstitute vor allem die Politisierung der Europapolitik von Belang, die mit dem Stichwort Maastricht verbunden ist.1052 Sowohl im kommunikativen als auch im informationstechnologischen Bereich gab es seit 1989 insgesamt einen Schub.1053 Die Einrichtungen 1049 DGAP, Jahresbericht, a.a.O., (Anm. 88), S. 41–42; CERI, „Sur le monde arabe et musulman“, in: Nouvelles du CERI (1991), 12, März 1991. 1050 In Frankreich kam die Kritik vor allem von Autorinnen und Autoren des (noch) nicht zum Netzwerk gehörenden CERI – im Gegensatz zum Netzwerkmitglied IFRI. In Deutschland gab es wiederum bei der SWP mehr Personal, welches direkt auch das Netzwerk in den Blick nehmen konnte. Allerdings war die SWP auch aktives Mitglied, während es bei der DGAP eine unterschiedlich starke Beteiligung aufgrund des Umzugs von Bonn nach Berlin gab. 1051 Fieschi & Gaffney, „French think tanks“, a.a.O., (Anm. 791), S. 107–118. 1052 Meyer, Media, a.a.O., (Anm. 889), S. 42, 285-286. 1053 Wirsching, „Integration“, a.a.O., (Anm. 695), S. 82.

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öffneten sich im Zeitraum von 1990 bis 2000 zunehmend. Dabei ist es unerheblich, ob die „nachholende Revolution in der Mitte und im Osten Europas“ dem von Jürgen Habermas geprägten Begriff vom „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ 1990 „Aktualität“ verlieh, wie im Vorwort der Neuauflage der Habilitationsschrift zu lesen ist.1054 Im Hinblick auf neuartige Informationstechnologie ist innerhalb der deutschen und französischen Beratungsinstitute das Jahrzehnt von 1990 bis 2000 eher als Vorbereitung der schnellen Entwicklung der 2000er Jahre zu verstehen. Die Formulierung zeigt, dass es sich um einen Prozess handelt, der an historischen Maßstäben gemessen recht jung ist. Wie anhand der institutionellen Entwicklungen deutlich wird, gab es zahlreiche Schritte, welche die zentrale Rolle des Internets für die Beratungseinrichtungen in den 2000er Jahren vorbereiteten. Dabei basieren viele Deutungen auch auf Erinnerungen der beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insofern sollte dieses kommunikative Gedächtnis nicht vorschnell als Teil des kulturellen Gedächtnisses gewertet werden.1055 Allgemein lassen sich die vielschichtigen Veränderungen als eine Öffnung, Beschleunigung und Vervielfältigung der Institutsaktivitäten beschreiben. Alle Institute konzentrierten sich in zunehmendem Maße auf die EU als Akteur, wobei die Expertinnen und Experten die Abgrenzung des Eigenen vom Anderen (Dritten oder Drittstaaten) mit den Veränderungen unter den Stichworten Maastricht und Schengen verbanden. Europa und „der von ihm gebildete Raum“ ist historischem Wandel unterworfen, wie es auch die „Mechanismen seiner Binnenintegration“ sind. Der sogenannte Schengenraum entwickelte sich in den 1990er Jahren entscheidend weiter – die Binnengrenzkontrollen wurden schrittweise abgebaut, zugleich stieg der Kontrolldruck an den Außengrenzen.1056 Die vorliegende Arbeit beschreibt eine allen Instituten gemeinsame Tendenz hin zu einer vorherrschenden Raumbeschreibung „EU“ und macht damit gleichzeitig zwei Interpretationen von Raum sichtbar. Die Einteilung der Institute in deutsche und französische – das heißt aus Sicht traditioneller, an Nationen orientierter Geschichtsschreibung stabiler territorialer Kategorien – schafft eine scheinbar statische Grundlage für einen Vergleich. Andererseits zeigt die Analyse, dass es in den Repräsentationen des Eigenen und des Anderen um nicht abgeschlossene, andauernde Prozesse geht. Die sich wandelnden Europarepräsentationen verräumlichten in den Fallbeispielen die politische Entität, welche den Begriff Europa für sich beanspruchte.1057 Dies geschah wiederum ganz und gar nicht 1054 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 891), unveränd. Nachdr., (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1993 [1962]), insbes. S. 11. 1055 Vgl. Apel, „Erzählungen“, a.a.O., (Anm. 89), S. 213. 1056 Wirsching, Freiheit, a.a.O., (Anm. 1010), S. 352. 1057 Vgl. Hannes Siegrist, „Perspektiven der vergleichenden Geschichtswissenschaft. Gesellschaft, Kultur und Raum“, in: Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, hrsg. von Hartmut Kaelble & Jürgen Schriewer, (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2003), S. 305–339, insbes. S. 321.

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statisch, sondern im Gegenteil mit einer Dynamik, die sich selbst in der relativ kurzen Zeitspanne von zehn Jahren in allen Fallbeispielen ablesen lässt. Die Geschichtsschreibung muss sich der Gefahr des zu statischen Bildes daher immer bewusst sein. Bei zu eindimensionalen Vorstellungen warnt Andreas Wirsching in seiner „Geschichte Europas in unserer Zeit“: Zuviel Statik ist fehl am Platze, „die schiere Dynamik der Globalisierung seit den 1980er Jahren lehrt bereits etwas anderes“.1058 Darüber hinaus konnten die EU und ihre Initiativen als Modelle dienen. Dies gilt sowohl für weitere EU-ähnliche Systeme an ihrer Peripherie als auch in der institutionellen Behandlung von komplexen Strukturen. Die Maghrebunion (UMA) war aus politikwissenschaftlicher Sicht der Versuch einer Übertragung des Modells, der Barcelona-Prozess ein neuartiges Phänomen, bei dem für die EU mit der Kommission eine Stimme sprach, die Partner im Prozess dagegen jeweils für sich beteiligt waren. Um die Besonderheit der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) zu beschreiben, bürgerte sich teilweise der Rückgriff auf die Beschreibung „multi-bilateral“ ein.1059 Zum ersten Punkt hieß es schon im IFRIJahrbuch von 1990, die Union der Maghrebstaaten sei ein Lichtblick, was die Transformationsprozesse in der Region angehe. Der Direktor des Instituts, Thierry de Montbrial, mahnte ein Jahr später angesichts der algerischen Probleme auf die Stärkung der Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und der Maghrebunion an.1060 Ähnlich hob auch der sowohl bei der SWP als auch bei der DGAP aktive Autor Joachim Tzschaschel auf die Verantwortung der EG ab. Er legte besonderen Wert auf die Westsahara – deren unklarer Status Spannungen zwischen Algerien und Marokko hervorrief – und forderte, dass die Gemeinschaft ihr Gewicht in die Waagschale werfen müsse, um die inneren Spannungen in der Maghrebunion beizulegen.1061 Deutsche und französische Institutsmitglieder schätzen den regionalen Zusammenschluss im Maghreb schon ab 1992 jedoch skeptischer ein.1062 Was den zweiten Punkt – die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) – angeht, so begann die Debatte nach der Konferenz von Barcelona Ende 1995 Fahrt aufzunehmen. Vereinzelt hatten Institutspublikationen bereits zuvor 1058 Wirsching, Freiheit, a.a.O., (Anm. 1010), S. 355. 1059 Volker Perthes verwies darauf, dass er das „multi-bilaterale“ Konzept vom italienischen Mittelmeerexperten Roberto Aliboni verwende: „It indicates that relations between the European Union and individual non-EU partner states do not actually constitute bilateral relations: they involve 15 states and the Union on one side, and one state on the other.“ Perthes, Germany, a.a.O., (Anm. 184), S. 9, Anm. 5. Für eine eigene, realistische Rückschau auf die Problematik „multi-bilateraler“ Abkommen, vgl. Roberto Aliboni, Ahmed Driss, Tobias Schumacher & Alfred Tovias, Putting the Mediterranean Union in Perspective (EuroMeSCo Papers, 68), (Barcelona, 2008), insbes. S. 20. 1060 IFRI, „Changements“, a.a.O., (Anm. 861); de Montbrial, „Introduction“, a.a.O., (Anm. 864), S. 17. 1061 Tzschaschel, „West-Sahara-Frage“, a.a.O., (Anm. 395), S. 630. 1062 Z. B. Schlie, „Mediterranean“, a.a.O., (Anm. 172); Kistenfeger, Maghreb, a.a.O., (Anm. 399); Grimaud, „Spécificité“, a.a.O., (Anm. 974); Hibou & Martinez, Partenariat, a.a.O., (Anm. 645).

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auf das Thema der euro-mediterranen oder euro-maghrebinischen Freihandelszone verwiesen. Hier gab es anfangs sowohl hoffnungsvolle als auch warnende Stimmen, erst gegen Ende des Jahrzehnts trübten sich die Einschätzungen des Barcelona-Prozesses ein.1063 Eine für alle untersuchten Institute geltende Beobachtung ist zudem, dass innereuropäische Absprachen, Wirtschaftsbeziehungen und Fragen der Zusammengehörigkeit die Repräsentationen Europas in der Auseinandersetzung mit Nicht- oder Rand-Europa kennzeichneten. Die in diesen Prozessen beteiligten Personen bevorzugten je nach Situation verschiedene Herangehensweisen; die Repräsentationsentwicklungen standen in einem Spannungsfeld zur jeweiligen nationalen Agenda.1064 Die untersuchte Akteursgruppe der Institutsmitglieder bevorzugte dementsprechend in erster Linie wissenschaftliche Repräsentationen wie beispielsweise die Interdependenztheorie oder die internationale politische Ökonomie. Sie nutzten diese und alltäglichere Vorstellungen je nach nationalem Kontext, was in noch viel stärkerem Maße für die einbezogenen Politiker und Journalistinnen und Journalisten gilt. Absolventen des Europakollegs in Brügge sind „Akteure unter vielen in der Wissensgesellschaft“, was sie auszeichnet, „ist ihr habitualisiertes Spezialwissen“, das vor allem im „Brüsseler Machtfeld von Bedeutung ist“.1065 Ähnlich nutzten Politiker in nationalen Beratungsinstituten Wissen, welches vor allem im politischen Umfeld Frankreichs beziehungsweise Deutschlands bedeutsam war. Wenn beispielsweise Jean-Pierre Chevènement in einem Vortrag am IFRI Frankreich als „principale puissance de la Méditerranée“ darstellte oder im selben Kontext Günter Verheugen gegenüber seinem französischen Kollegen Pierre Moscovici auf der deutschen Idee einer Verschmelzung von EU und WEU beharrte, war allen Beteiligten klar, dass es auch und in zunehmendem Maße um nationale Interessen ging.1066 Es ergibt wenig Sinn, die nationalen gegen die europäischen Perspektiven auszuspielen: Letztlich lief es für die Mitglieder der Expertise-Community darauf hinaus, die europäischen Entscheidungen der jeweils nationalen Regierungen zu begleiten. Die sich vertiefende 1063 Schon 1993 verwies die Vortragszusammenfassung zur Rede des marokkanischen Energieministers auf eine Freihandelszone. In einer Materialauflistung in einem SWP-Rundbrief kurz vor der Konferenz tauchte die Mittelmeerpolitik der EU ebenfalls auf. Risset-Hemad, „Mdaghri“, a.a.O., (Anm. 869); SWP, „Materialsammlungen“, a.a.O., (Anm. 181). Vorsichtig optimistisch ebenfalls noch vor der Konferenz Nicole Grimaud, La Tunisie à la recherche de sa sécurité (Perspectives internationales), (Paris: Presses univ. de France, 1995), insbes. S. 214. Zu Beginn eher ambivalent z. B. Ravenel, „Méditerranée“, a.a.O., (Anm. 892). Eher positiv Aliboni, „Herausforderungen“, a.a.O., (Anm. 403); Rhein, „EUAußenpolitik“, a.a.O., (Anm. 405). Später skeptisch vor allem Hibou & Martinez, Partenariat, a.a.O., (Anm. 645). Ähnlich in der Zielrichtung z. B. Tolotti, „Voisinage“, a.a.O., (Anm. 769); Perthes, „Barcelona-Prozeß“, a.a.O., (Anm. 184). 1064 Dies gilt nicht nur im Kontext der deutschen bzw. französischen Beratungsinstitute, sondern ist ebenfalls bei der Betrachtung spanischer und deutscher Akteure mit EU-Bezug feststellbar. Vgl. Grußendorf & Weiß, Europarepräsentationen, a.a.O., (Anm. 710), S. 18. 1065 Poehls, Europa, a.a.O., (Anm. 804), S. 40. 1066 Jolivet, „Conférence“, a.a.O., (Anm. 956); Dargon, „Conférence“, a.a.O., (Anm. 857).

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europäische Integration, vor allem hinsichtlich intergouvernementaler Instrumente, beförderte eine solche Ausrichtung. Zwei Vertiefungsschritte nannten die Expertisen sehr häufig, wobei oft nur die Ortsnamen als Stichworte genügten, um beim Leserkreis das Argument zu verdeutlichen: Maastricht – mit einer beispielsweise intergouvernemental organisierten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) – und Schengen – ein Vertragswerk, welches sogar außerhalb der europäischen Gemeinschaftslogik seinen Anfang genommen hatte – zeigten, dass in den 1990er Jahren die regierungsbasierten gegenüber den überstaatlichen europäischen Arrangements privilegiert waren. Abschließend bietet dieser Abschnitt die Möglichkeit, die Europarepräsentationen noch einmal als Ganzes zu thematisieren, um im Rückgriff auf die Einleitung der vorliegenden Arbeit an das sogenannte Dritte beim Vergleich zu erinnern, das mit Fug und Recht „unbedingt explizit zu machen“ ist.1067 Die Entwicklungen der Repräsentationen zeigt bei allen vier Instituten eine Zunahme von trennenden Europarepräsentationen. Unter der Voraussetzung, dass Repräsentationen Perzeptionen und Einschätzungen begründen, entwickelte sich somit ein zunehmendes Konfliktpotential. Es sei an Chartier erinnert: Derartige Repräsentationen erlangen damit eine ähnliche Bedeutung wie Konflikte, die man für real hält. Die Repräsentationen steuern somit die jeweilige Art und Weise, zu benennen und zu handeln.1068 In einer offenen Situation der Transformationen konnte der Maghreb vereinfacht gesprochen als ein zukünftiges Betätigungsfeld sowohl für die Mitgliedsstaaten der EU als auch für die Beratungsinstitutionen selbst imaginiert werden. Europarepräsentationen verbanden sich somit mit Schlagworten wie Verantwortung und Europäisierung. Dies deckt sich mit einer Untersuchung der kulturellen Dimension der internationalen Beziehungen. Im Vorfeld der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) konnte hier auf nationaler wie auf der EU-Ebene der Nachweis erbracht werden, dass zu Beginn der 1990er Jahre das Konzept eines „gemeinsamen, verbindenden“ Mittelmeerraums (wieder) aufkam.1069 Nach einer Phase der Selbstreflexion erschien das Modell eines politischen Europa geradezu als Vorbild für den Süden des Mittelmeerraums. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums nahmen die kritischen Einschätzungen zu. Dies galt für die in Beziehung gesetzten Staaten des Maghrebs, die tendenziell als Bedrohung eingeschätzt wurden. In dieser Hinsicht hielt im Laufe der 1990er Jahre auf die eine oder andere Weise ein vermeintlicher Realismus Einzug, da sich Widersprüche zwischen einem idealen Europa (Europa als Vorbild) und der beobachteten Schwierigkeiten der europäischen Institutionen und auch der Beziehungen von Frankreich und Deutschland zeigten.1070 Zwar nicht explizit, aber

1067 Vgl. Herbst, Komplexität, a.a.O., (Anm. 56), S. 77–80. 1068 Chartier, Defense, a.a.O., (Anm. 34), S. 11. 1069 Vgl. Schäfer, Kulturdialog, a.a.O., (Anm. 104), S. 112. 1070 Es ist bezeichnend, dass etwa zur gleichen Zeit die Bewegung der „neuen Geschichtsschreibung“, die französische Annales-Schule aufgrund ihres Erfolges begann, sich aufzulösen. Vgl. Burke, Annales, a.a.O., (Anm. 271), S. 132. Weitere Untersuchungen sollten

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doch implizit, ergab sich mehr und mehr der Eindruck einer bedrohten Festung, wobei Klaus J. Bade zutreffend argumentiert hat, dass dieses Bild falsch und richtig zugleich ist.1071 Auf der Ebene der Repräsentationen ist es in jedem Fall wichtig, diese Lesart im Blick zu behalten, will man die Eindrücke festhalten, die sich aus einer Zusammenschau der Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Bezüge ergeben. Da in diese Betrachtung die Ergebnisse der Einzelanalysen eingeflossen sind, ergeben sich drei Schlussfolgerungen. Dabei ist es notwendig, den eigenen Standort und die Fragestellung erneut zu reflektieren, da aus verschiedenen Einheiten allgemeine Schlüsse gezogen werden.1072 FAZIT In diesem Kapitel steht nicht nur der Vergleich zwischen deutschen und französischen Beratungsinstituten im Mittelpunkt, mit der Frage nach den Wandlungsprozessen der nichtstaatlichen und elitennahen Akteure erlangt auch jeder einzelne institutionelle Kontext Bedeutung. Drei Schlussfolgerungen ergeben sich aus dem übergreifenden Blick auf die Institute im Hinblick auf Bezüge, Unterschiede und Gemeinsamkeiten: 1. Vernetzung und Deutungshoheit standen für die Institute und ihre Direktoren, Leiter einzelner Arbeitsgruppen und Bereiche sowie für einzelne Forscherinnen und Forscher in einem ambivalenten Verhältnis. Einerseits brachte Expertise, die dem allgemein zu beobachtenden Trend der Europäisierung oder Internationalisierung folgte, allen Beteiligten ein erhöhtes Renommee ein. Von daher war es vorteilhaft sich zu vernetzen, insbesondere beim Einwerben von Ressourcen. Andererseits galt es, die vor allem nationale Beratungstätigkeit möglichst exklusiv zu halten. Somit bildeten die SWP und die DGAP sowie das CERI und das IFRI jeweils Paare in einer Konkurrenzbeziehung. In zunehmendem Maße entstand jedoch auch ein europäischer beziehungsweise internationaler Wettbewerb, in dem alle Institute sich gegenseitig beobachteten. 2. Der Vergleich der Institute und ihrer Strategien zeigt, dass der Begriff Europa in zunehmendem Maße die eigene Seite im internationalen Spiel der Mächte beschrieb.1073 Neben Frankreich oder Deutschland trat die gedachte europäische Gemeinschaft. Betrachtet man die Beziehungen zwischen den spezieller analysieren, inwieweit Annahmen beispielsweise des Historikers Fernand Braudel auch Eingang in andere Disziplinen wie die praxisorientierte Politikwissenschaft fanden. 1071 Klaus J. Bade, Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Europa bauen), durchges. Sonderausg., (München: Beck, 2002), insbes. S. 450–452. 1072 Vgl. Siegrist, „Perspektiven“, a.a.O., (Anm. 1057), S. 328. 1073 Gegen Ende des 20. Jahrhunderts hatten Europarepräsentationen als Legitimationsressource ein größeres Gewicht in den Außenbeziehungen als noch zur Jahrhundertwende. Hartmut Kaelble, „Representations of Europe as a Political Resource in the Early and Late Twentieth Century“, in: Comparativ 22 (2012), 6, S. 11–20, insbes. S. 13–14.

Fazit

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europäischen Nationalstaaten, dem Raum Europa und dem Raum Maghreb, zeigt sich ein deutlicher Trend: Europarepräsentationen erlebten einen Aufschwung in den Debattenbeiträgen, in denen sich Institutsangehörige eigene Rollen vorstellten und diese reproduzierten. Dies gilt unabhängig vom Schwerpunkt der jeweiligen Einrichtung, sei dieser nun sicherheitspolitisch (SWP), deutsch-französisch (DGAP), politökonomisch (CERI) oder diplomatienah (IFRI). Ein möglicher Erklärungsansatz, der von anderen Untersuchungen weiterverfolgt werden sollte, ist die Beobachtung, dass die Berufung auf Europa dazu diente, in Umbruchphasen stabilisierend zu wirken.1074 3. Europa war darüber hinaus die Repräsentation und Handlungsressource,1075 in deren Rahmen Initiativen und Anreize der EU in den Kontexten der praxisorientierten Forschungsinstitute verhandelt wurden. Im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit kamen hier Experten, Politiker und Journalisten (zumeist Männer 1076) zu Wort. Die EU stellte in 1074 Dies gilt besonders für die Expertise-Öffentlichkeit, die nicht leichtfertig mit europäischer Öffentlichkeit gleichgesetzt werden sollte, siehe: Ders., „Preface“, in: Building a European Public Sphere/ Un espace public européen en construction. From the 1950s to the Present/ Des années 1950 à nos jours, hrsg. von Robert Frank, Hartmut Kaelble, Marie-Françoise Lévy & Luisa Passerini (Multiple Europes/ Europe plurielle, 44), (Brüssel, Bern, Berlin u. a., 2010), S. 9–18, insbes. S. 11. Forschungsprojekte am Berliner Sonderforschungsbereich 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ berühren diese Thematik aus europäischer und außereuropäischer Sicht in Umbruchphasen im späten 19. Jahrhundert bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in jüngster Zeit. Für erste Überlegungen neben vorliegender Untersuchung siehe: Kaelble, „Political Resource“, a.a.O., (Anm. 1073); Wagner, „Model“, a.a.O., (Anm. 267); Grußendorf & Weiß, Europarepräsentationen, a.a.O., (Anm. 710); Grußendorf & Hoffmann, Frieden, a.a.O., (Anm. 481); Benjamin Beuerle, „Westernization as the Way to Modernity – Western Europe in Russian Reform Discussions of the Late Tsarist Empire, 1905–1917“, in: Comparativ 22 (2012), 6, S. 21–41; Christian Methfessel, „Spreading the European Model by Military Means? – The Legitimization of Colonial Wars and Imperialist Interventions in Great Britain and Germany around 1900“, in: Comparativ 22 (2012), 6, S. 42–60; Andreas Weiß, „‚Fortress Europe‘ or ‚Europe as Empire‘ – Conflicts between different EU long-term Strategies and its Effects on the Representation of Europe“, in: Comparativ 22 (2012), 6, S. 61–79; sowie: Benjamin Beuerle, „Kokoškins Europa“, (2010), http://www.europa.clio-online.de/2010/Article=457 (18.1.2014); Christian Methfessel, „‚Orient gegen Oxident‘. Europabilder in der Berliner Morgenpost während des Boxerkriegs“, (2010), http://www.europa.clio-online.de/2009/Article=425 (16.1.2014); Andreas Weiß, „Europa aus der Sicht Asiens. Beziehungen in einer Konstruktionsgeschichte“, (2010), http://www.europa.clio-online.de/2010/Article=427 (16.1.2014). Ein Verweis auf die entsprechenden Dissertationsschriften ist dem vorliegenden Buch vorangestellt (Anm. I des Vorworts). 1075 Vor allem verstanden als Mittel, mit dessen Hilfe Unterteilungen und Hierarchien der Welt etabliert werden. Vgl. Chartier, Defense, a.a.O., (Anm. 34), S. 11. 1076 Nicht nur in den Debatten über EU-Initiativen, auch in den Programmen selbst war ein blinder Fleck beim Thema Geschlechterrollen erkennbar. So erzwang beispielsweise erst das Europäische Parlament das EMP-Programm „MEDA-Democracy“, welches auch den Schutz von Frauen fördern sollte. Jünemann, „Mittelmeerpolitik“, a.a.O., (Anm. 102), S. 58–59.

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Bezüge, Unterschiede und Gemeinsamkeiten

diesem Zusammenhang ein Modell für die Lösung mancher Problemstellungen dar. Neben nationalen Projektionen, welche die modellhafte Einheitlichkeit trübten, ist die Entwicklung trennender Europarepräsentationen auffällig. Solche Vorstellungen konnten auf historiographische Ideen der zweigeteilten Mittelmeerwelt zurückgreifen. Sie entstammten vor allem der französischen Geschichtswissenschaft und wurden seit den 1980er Jahren vermehrt auch in Deutschland rezipiert. Der erste Punkt betrifft die Entwicklung der Institute in einer Gesamtschau, wobei die Frage nach Europarepräsentationen bereits eine Rolle spielt, da der dynamische, zu besetzende Raum Europa sich schon in den Öffnungs- und Adaptionsprozessen bemerkbar machte. Neben den sich wandelnden Raumvorstellungen ist es zentral, die zeitliche Dimension eines rapiden Endes der jahrzehntelangen Blockkonfrontation im Blick zu behalten. Punkt zwei behandelt die spezifischen Merkmale der einzelnen Institute und die Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich. Die deutsche Institutslandschaft eröffnete vor allem im sicherheitspolitischen Bereich und teilweise auch im Bereich der deutsch-französischen Beziehungen Spielräume für die untersuchten Einrichtungen. In Frankreich waren die dortigen Institute Teil eines spezifischen Systems der Elitenreproduktion; zudem konnten sie – im Vergleich zu den deutschen Instituten in ihrem weniger zentralistischen Umfeld – in der Metropole Paris eher eine Forumsfunktion übernehmen. Insgesamt ergab sich daraus eine große Nähe zur Diplomatie. Schließlich zeigt der dritte Punkt – Europa anhand von zwei wichtigen Nationalstaaten verstehen zu wollen – ein Europa aus der Achse, um den deutschen Titel eines Buchs von Walter Laqueur zu variieren.1077 Was ist damit gemeint? Die Konzentration auf ein maßgeblich von Deutschland und Frankreich vorangetriebenes Europaprojekt und somit auf das immer geläufiger werdende Akronym EU führte zu einer verstärkten Irrelevanz anderer Vorhaben und Vorstellungen, die nicht diesen großen Buchstaben folgten. Die US-amerikanische Deutung der Verbindung zwischen Bonn und Paris als „linchpin“, als entscheidendes Bauteil einer europäischen Achse, die ein DGAP-Forscher bereits früh aufgegriffen hatte, wirkte mit dem stärkeren Modellcharakter der Integration abgrenzend: Alles, was als Nicht-EU klassifiziert wurde, musste mit einem größeren Gewicht der unionsbezogenen Europarepräsentationen rechnen.1078

1077 Walter Laqueur, Europa aus der Asche, (München, Zürich, Wien: Juncker, 1970). Der deutsche Titel nahm sich thesenhafter aus als der englische Originaltitel Europe since Hitler. 1078 Guérin-Sendelbach, Tandem, a.a.O., (Anm. 375), S. XIII. Das Vorwort der Publikation schrieb der DGAP-Forscher Ingo Kolboom. Europarepräsentationen gewannen wegen dieses Legitimationsaspektes in der allgemeinen politischen Debatte an Bedeutung: „Discussing these representations in a public forum, criticizing them or refining them came to mean more in political terms.“ Kaelble, „Political Resource“, a.a.O., (Anm. 1073), S. 15.

SCHLUSS – „ENTWICKLUNG IM SPIEGEL DER ANDEREN“ Europarepräsentationen am Beispiel von außenpolitischen Beratungsinstituten darzustellen, leistet einen Beitrag zu mehreren Forschungskontexten. Die vorliegende Untersuchung liefert wissenschaftlich notwendige Ansätze zur historischen Analyse der jüngsten zeithistorischen Periode.1079 Indem sie Vergleichs-, Transfer- und Wissensgeschichte im Hinblick auf oft vernachlässigte Akteure politischer Kultur verknüpft, bietet sie einen nützlichen Zugriff auf die 1990er Jahre, deren klassische Archivalien erst in einigen Jahren voll zugänglich sein werden. Mit dem Fokus auf deutsche und französische Institute wird zugleich nicht nur ein Beitrag zur Beantwortung der Frage geleistet, wie neue Abgrenzungen in Europa nach dem Ende des Kalten Krieges entstanden. Nicht zuletzt zeigt sich in den dargestellten Debatten, wie das europäische Projekt, das als französische Initiative begann, sich auch in den 1990er Jahren weiter veränderte. Schließlich glichen sich die Kräfte Frankreichs und Deutschlands immer mehr aus, sodass gegen Ende beide die gleiche Kraft in die Waagschale werfen konnten.1080 Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Im Fall der Beratungsinstitute erfordert das Vorgehen eine Betrachtung des Schwergewichts SWP. Mit ihrer speziellen Gründungsgeschichte und der Anbindung an das Kanzleramt ist sie buchstäblich ein Institut der Politik und der Wissenschaft. Der neuen Institutsleitung gelang im Laufe des Jahrzehnts eine Neuausrichtung; zusätzliche Bereiche der internationalen Beziehungen erweiterten die Bandbreite. Speziell der Maghreb bot Möglichkeiten zu einer Neuorientierung in den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, die von SWP-Mitgliedern ausgelotet wurden. Eine Entwicklung, die auch mit den Führungspersönlichkeiten der SWP zusammenhing, gab es im Bereich der Kontaktpflege und Kommunikation, in den noch vor dem endgültigen Umzug nach Berlin auch der Mittelmeerraum einbezogen wurde. Die SWP reagierte früh auf politische Europaprojekte der 1990er Jahre. Politik und Wissenschaft entdeckten im Laufe der 1990er Jahre den Maghreb und den Mittelmeerraum für sich.1081 Parallel zur Entdeckung des Mittelmeerraums

1079 Vgl. Wirsching, Freiheit, a.a.O., (Anm. 1010), S. 12. 1080 Vgl. Sutton, France, a.a.O., (Anm. 422), S. 8. 1081 Oder wie Volker Perthes 1998 formulierte: Deutschland entwickelte sich schrittweise zu einem Mittelmeerland. Die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) verbesserte seiner

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sparten die politisch-wissenschaftlich geprägten Institutsangehörigen nicht mit Kritik an der Rolle Europas. Damit verbunden war die Vorstellung eines abgegrenzten, einheitlichen und handlungsfähigen Akteurs Europa. Dies war die Voraussetzung, um ein gemeinsames Vorgehen gegenüber Algerien oder einen Fortschritt im Zusammenhang mit Maastricht oder Schengen anzumahnen. Repräsentationen des Anderen formulierten die SWP-Mitglieder im Rahmen ihrer Arbeiten zum Maghreb, zum Mittelmeerraum und der arabischen Welt – in der Regel im Auftrag der politischen Eliten. Immer wieder griffen sie dabei die Themen Migration und demographische Entwicklung auf.1082 Bei den Fremdrepräsentationen wurde zudem nicht nur in der SWP die Entwicklung in Algerien im Laufe der 1990er Jahre zu einem Katalysator, weil sie über das Handlungsfeld des Maghrebs innereuropäische Divergenzen nach dem Ende des Kalten Krieges zum Vorschein brachte. Die Lagebeurteilungen wählten eine deutliche Sprache: Frankreich nehme die politische Gewalt in Algerien anders wahr als Deutschland und wolle europäische Hilfe in seinem Sinne erreichen. Solche Repräsentationen des Anderen hatten für die Akteure den Vorteil, dass sie einen Typus nationaler und europäisierter Kompetenz bildeten. In einem zunehmend durch gegenseitige Bezüge und Beobachtung gekennzeichneten außenpolitischen Beratungsmetier ließ sich so im Hinblick auf internationale Schlüsselthemen eine eigene Position aufbauen. Je nach Zusammenhang setzten die SWP-Mitglieder diese Kombination so ein, dass sie ihnen und ihrer Einrichtung Kompetenz verlieh.1083 Mit Hilfe von Vergleichen bestimmten die SWP-Produkte nicht nur die Repräsentationen des europäischen Eigenen, sondern hefteten zugleich den Anderen gewisse Etiketten an. Die Maghrebunion zeigte dementsprechend nicht nur, welche Fortschritte die europäische Einigung seit den ersten Versuchen europäischer Institutionen im Westeuropa der Nachkriegszeit gemacht hatte, sondern auch, wie mangelhaft das maghrebinische Gegenstück integriert war. Die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) erschien aus dieser Sicht eher als europäische Modellpräsentation für den Mittelmeerraum und nicht als eine Beziehung unter gleichrangigen Partnern. Neben dem Eigenen und dem Anderen finden sich in den Texten der SWP auch Repräsentationen, die eine vermittelnde Position einnehmen. Diese Verflechtungsrepräsentationen konnten sowohl politischer als auch wirtschaftlicher Art sein: In Problembereichen wie der Migration oder den geostrategischen Einflüssen ließen sich demnach durch eine gemeinsame Herangehensweise zusammen mit den Maghrebstaaten Fortschritte erzielen. Die Euro-Mediterranean Meinung nach die Koordination in der EU-Außenpolitik. Perthes, Germany, a.a.O., (Anm. 184). 1082 Der Maghreb erschien bei Vergleichen mit dem ehemaligen Ostblock oftmals als die problematischere Region, nicht zuletzt wegen der ins Feld geführten, militärisch anmutenden „Bevölkerungsexplosion“. 1083 Beispielsweise konnte der Nahostexperte Volker Perthes sowohl im europäischen Netzwerk die speziellen Kenntnisse über die deutsche Sicht auf den Maghreb, in einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wiederum die Brüsseler Seite der Partnerschaftsentwicklung einfließen lassen.

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Study Commission (EuroMeSCo), ein aus nationalen Forschungsinstituten bestehendes euro-mediterranes Netzwerk, hoben mehrere SWP-Experten als zukunftsweisende Verflechtung hervor.1084 Auch wirtschaftliche Verbindungen ergaben Repräsentationen zunehmender Verflechtung, wobei etwa bei dem Begriff „Kooperationszone“ festzuhalten ist, dass Kooperation nicht auf einer Stufe mit der höher bewerteten Integration stand. Die SWP wird oft – etwa im von Stefan Fisch und Wilfried Rudloff herausgegebenen Band – „nur gestreift“.1085 Dennoch hat sie an Neubewertungen der 1990er Jahre entscheidend mitgewirkt. Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) Die DGAP bewies in den gesamten 1990er Jahren eine bemerkenswerte personelle Kontinuität an der Spitze, da der seit 1972 amtierende Direktor Karl Kaiser weiterhin die Leitung innehatte. Die Mittelmeerpolitik auf europäischer Ebene stellte für die DGAP schon früh eine Repräsentation europäischer Eigenheit dar, die sich seit Ende der 1980er Jahre zunächst im Gefolge der bilateralen Koordination zwischen Deutschland und Frankreich in dem Institut herausgebildet hatte. Unmittelbar nach dem Ende der Blockkonfrontation äußerten viele Stimmen innerhalb der DGAP und ihrer Zeitschrift die Ansicht, dass diese Zäsur vor allem das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich betreffe. Auch die – oft normativ aufgeladene – Haltung gegenüber Dritten, wozu aus französischer Sicht schon zu einem frühen Zeitpunkt die Maghrebstaaten zählten, bildete in solchen Repräsentationen einen Schwerpunkt. Die internationalen Beziehungen beider Länder im europäischen Verbund bildeten einen Themenkomplex, der über die DGAP-Zeitschrift den Weg auf die allgemeine Agenda fand.1086 Die europäischen Institutionen nahmen innerhalb dieses institutionalisierten Dialoges als Symbole der deutsch-französischen Zusammenarbeit einen zentralen 1084 Hierbei mögen die positiven Erfahrungen mit der Vernetzung und Finanzierung eine Rolle gespielt haben. 1085 Stefan Fisch & Wilfried Rudloff (Hrsg.), Experten und Politik. Wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive, (Berlin: Duncker & Humblot, 2004). Das Zitat findet sich in einer Sammelrezension des Politikwissenschaftlers Werner Link (Link war die zentrale Figur im Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien vor dessen Fusion mit der SWP 2000). Werner Link, „Dies Bildnis ist bezaubernd schön. Mit und ohne Kamera: Wissenschaftler, Lobbyisten und Agenturen tummeln sich auf dem Feld der Politikberatung“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, (15.3.2005). 1086 Die Länder des südwestlichen Mittelmeers spielten innerhalb der internationalen Beziehungen eine große Rolle. Das Bedrohungsszenario des islamischen Fundamentalismus war ein wichtiger Bestandteil der stark gewandelten europäischen Repräsentationen des Eigenen und des Fremden. Hartmut Kaelble, „Eine europäische Geschichte der Repräsentationen des Eigenen und des Anderen“, in: Selbstbilder und Fremdbilder. Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel, hrsg. von Jörg Baberowski, Hartmut Kaelble & Jürgen Schriewer (Eigene und fremde Welten, 1), (Frankfurt a. M., New York: Campus, 2008), S. 67–81, insbes. S. 76.

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Platz ein. Beachtenswert ist hier eine weitere Europarepräsentation: Supranationalität als teilweise realisiertes Konzept konnte gegenüber dem maghrebinischen Anderen als entscheidendes Kennzeichen des Eigenen auftreten. Diese Eigenwahrnehmung brachte fast immer eine Forderung nach einer vertieften Integration mit sich. Innerhalb der DGAP-Publikationen erfolgten auch explizite Empfehlungen, das konstitutionelle Europa gegenüber Anderen abzugrenzen. Weitere Impulse für die Eigenrepräsentationen über eine gemeinsame Außenpolitik erfolgten aus deutschsprachigen Kreisen der Brüsseler Bürokratie und seit 1995 durch den neuen Herausgeber der DGAP-Zeitschrift. Die Forderungen, das Eigene vom Anderen abzugrenzen, führten in den Arbeiten der DGAP häufig zu Fremdwahrnehmungen gegenüber dem Maghreb. Das Andere konnte im Kontext der Eigenrepräsentationen sehr unterschiedlich bewusst gemacht werden, beispielsweise als Gefahren, die aus der südlichen Peripherie drohten. Die Migration erschien aus der Logik eines erweiterten Sicherheitsbegriffs heraus als die europäischste der Herausforderungen. Vor allem im Rahmen einer allgemeinen Gegenüberstellung von (westlichem) Europa und nichteuropäischem Rest der Welt und im Zusammenhang mit Fragen der europäischen Sicherheit wurden in der DGAP die Unterschiede zwischen Maghreb und Europa herausgearbeitet. Im Laufe des Untersuchungszeitraums erlebte zudem die Gewalt als Repräsentation des Anderen eine Renaissance. Fragt man hingegen nach Repräsentationen einer Verflechtung von Europa und Maghreb im Kontext der DGAP, sind drei Aspekte zu nennen: erstens eine historische Sichtweise, die auf die lange Tradition von Kommunikation und Austausch im Mittelalter verwies; zweitens eine politikwissenschaftliche Perspektive, die den Maghreb angesichts gemeinsamer weltpolitischer Herausforderungen mit Europa verbunden sah und eine Erweiterung des politischen Projekts forderte. Drittens machte sich der Aspekt der ökonomischen Verflechtungen bemerkbar, der auf die Nähe der DGAP zur Wirtschaft zurückzuführen ist. In einer globalisierten Welt seien nördliche und südliche Mittelmeerküste enger gekoppelt. Der Vergleich mit entfernten (asiatischen) Regionen beförderte aus dieser Sicht die Repräsentation eines zunehmend verflochtenen euro-mediterranen Raumes. Centre d’études et de recherches internationales (CERI) Das CERI kann als ein Kind des Kalten Krieges angesehen werden, in ihm verband sich die Zielsetzung, eine Einrichtung für die Ausbildung der politischen Eliten zu schaffen, mit Regionalstudien und speziell der Maghrebforschung. Bei der Gründung und dem Ausbau des Zentrums in den 1950er und 1960er Jahren spielten US-amerikanische, philanthropische Stiftungen eine finanziell entscheidende Rolle.1087 In den 1970er Jahren umfasste die vergrößerte Bandbreite 1087 Gleichzeitig stand das CERI für den sozialwissenschaftlichen Trend, der die alten internationalen Beziehungen, wie sie die Vorgängereinrichtung des IFRI verkörperte, „in die

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der Arbeit sowohl Studien („études“) als auch Forschungen („recherches“). Wenige Jahre vor dem Untersuchungszeitraum verstärkte sich der Trend einer Markenbildung – das CERI erarbeitete sich in der außenpolitischen Beratung einen guten Ruf. Auch im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb hatte die Einrichtung einige große Namen vorzuweisen. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums nahm das CERI im Zusammenhang mit europäischen Initiativen im Maghreb zudem eine kritische Haltung ein, die sich aus dem Ansatz der internationalen politischen Ökonomie speiste. In den 1990er Jahren gab es am CERI in zweierlei Hinsicht einen Wandel in den Denktraditionen: Der regionalwissenschaftliche Akzent des Zentrums schliff sich ab, und die vermehrte Konstitutionalisierung Europas sowie die Aktivitäten der Kommission lenkten die Aufmerksamkeit auf die europäische Ebene. Zunehmend gab es in den CERI-Publikationen und nichtöffentlichen Texten aus dem Zentrum Hinweise, dass Europa beziehungsweise Südeuropa einen positiven Einfluss auf die Beziehungen im westlichen Mittelmeerraum ausüben könnte. Allerdings nahm auch die Kritik einer vorwiegend jungen Generation von Expertinnen und Experten an der von ihnen als europäisch wahrgenommenen Politik zu. Sie formulierten ihre Schwerpunkte in klaren Worten – politisch handelten demnach Europas Akteure zögerlich, ihre Herangehensweise verfahre zu eindimensional, berücksichtige maßgebliche Faktoren nicht. Beispiele für entsprechende Schlagworte des Zeitraums gehen von den Menschenrechten bis hin zu nicht-intendierten Folgen wirtschaftlicher Initiativen. In dieser Kritik entwickelten sich einheitlichere Repräsentationen Europas. Paradoxerweise musste selbst die Kritik an zu viel Divergenz zwischen Europa und dem Maghreb die Einheit Europas, welches sich damit vom Maghreb kategorisch unterschied, in einem ersten Schritt unterstützen. In welcher Weise die Texte und Veranstaltungen im Kontext des CERI den Maghreb abtrennten, kategorisierten oder in Beziehung setzten, variierte je nach dem vorliegenden Debattenkontext. Die Ordnungsmuster von Raum und Chronologie hatten aufgrund der einerseits regionalwissenschaftlichen, andererseits systembezogenen Ausrichtung der CERI-Forschungen einen hohen Stellenwert. Das Thema der Migration verband Räume, zu Beginn des Untersuchungszeitraums blieben die nationale Agenda und die Bedrohung durch „immigration“ zentral.1088 Das Mittelalter diente als ökonomischer Vergleichshorizont für die algerische Kriegsökonomie. Algerien spielte so in den Repräsentationen des Anderen eine zentrale Rolle. In wirtschaftlichen Fragen konnte Andersartigkeit ohne historische Bezüge herausgestellt werden. Schattenwirtschaft, Korruption und ein Unterlaufen der ökonomischen Wertvorstellungen Europas dominierten

Zange“ nahm; daher gab es anfangs auch wenig Bezüge zwischen beiden Instituten. Guilhot, Connection, a.a.O., (Anm. 64), S. 37–38. 1088 Zwischen Immigration und Emigration wurde klar unterschieden – auch in Bezug auf Osteuropa war die Befürchtung verbreitet, „überrannt“ zu werden. Judt, Geschichte, a.a.O., (Anm. 876), S. 832–833.

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dann die Beschreibungen der Maghrebstaaten. Diese Repräsentationen einer anderen Wirtschaft im südwestlichen Mittelmeer nahmen infolge der stärkeren Kritik an der eigenen, europäischen Vorgehensweise ebenfalls zu. Historische Gewalterfahrungen im Verhältnis insbesondere zwischen Frankreich und Algerien wogen schwer; die algerische Krise offenbarte die unterschiedlichen Interessen der europäischen Staaten. Aus Sicht der CERI-Leitung nützten Verflechtungsrepräsentationen der Ausrichtung des Zentrums, die vermehrt lokale, regionale und globale Sichtweisen zu verbinden suchte.1089 Über die Einordnung in weltweite Umbrüche blieb auch die Maghrebregion im Fokus, auch wenn sie nicht zu den ökonomischen Zentren der Verflechtung zählte. Die Ökonomie konnte als Verflechtungsargument dienen. Institut français des relations internationales (IFRI) Bereits in den 1930er Jahren etablierte sich in Paris das Centre d’études de politique étrangère (CEPE); 1979 gründete der Diplomat Thierry de Montbrial in dieser Tradition das IFRI neu. Private, teilweise konservative Stiftungen hatten bei der Konsolidierung des Instituts eine zentrale Position inne. Noch wichtiger erscheinen allerdings die guten Verbindungen des Gründungsdirektors zu den außenpolitischen Eliten der französischen Hauptstadt. Neben ihm nahmen im Kontext des Instituts auch eigene Nachwuchsforscherinnen, andere bekannte Namen und Gäste Stellung zum Verhältnis zwischen dem Maghreb und Europa. Der Forumscharakter der Einrichtung ist im Hinblick auf die Aussagen zur europäischen Rolle im Maghreb und Mittelmeerraum nicht zu unterschätzen.1090 Wirtschaftliche Themen, die über Grenzen hinweg in Europa für Gesprächsstoff sorgten, machten so im IFRI mehr Furore, als dies etwa im CERI der Fall war, das mehr aus einer regionalwissenschaftlichen Tradition heraus agierte. Das europäische Eigene begriffen die IFRI-Mitglieder und -Gäste jedoch vor allem als Herausforderung der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges. Der Freihandel und eine politische sowie militärische Einheit waren verbreitete Vorschläge, wie die Probleme zu lösen seien. Der EU kam die Aufgabe zu, Bereiche weiterzuentwickeln, in denen ihre Mitgliedsstaaten auf sich allein gestellt nicht mehr erfolgreich agieren konnten. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums waren die Mittelmeerpolitik und die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) oder die Notwendigkeit einer „europäischen Verteidigungsidentität“ wichtige Themen; im 1089 Dies deckt sich mit den Ergebnissen Bouchers und Royos, die hinsichtlich der CERIAusrichtung Jacques Rupnik zitieren: „[…] le CERI a une vocation au départ beaucoup plus tournée vers la recherche proprement dite que vers la formulation d’une politique […].“ Das IFRI habe eine andere Herangehensweise: „[…]son originalité est inscrite dans une ferme volonté d’orienter les travaux de recherche vers l’action.“ Zit. n. Boucher & Royo, Think tanks, a.a.O., (Anm. 6), S. 32. 1090 Kritiker werfen dem IFRI allerdings vor, auf dem Weg zu einem simplen Austauschforum zu sein. Vgl. Moog, Clubs, a.a.O., (Anm. 624), S. 78.

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Laufe der 1990er Jahre zeigte sich bei den Europarepräsentationen eine enge Vernetzung des IFRI mit südeuropäischen, insbesondere italienischen Instituten. Neben der Ansicht, dass es sich um Probleme handelte, gab es auch eine alternative Sichtweise, die auf die Attraktivität der europäischen Einheit verwies (im Maghreb werde sie bewundert). Das regionale Projekt einer Maghrebunion gab aus dieser Perspektive Anlass zu Optimismus. Bei den IFRI-Mitgliedern zeigte sich allerdings vermehrt Skepsis. Unter dem Begriff „empire“ wurden sowohl eine wegen ihrer nicht legitimierungsbedürftigen Macht an das Mittelalter erinnernde Koordination europäischer Politik,1091 als auch eine Wiederbelebung der römischen Sphäre mit dem Mittelmeer als „Achse“ vorhergesagt.1092 Zusätzlich entwickelte sich das Selbstbild eines europäischen Spielers in der algerischen Zwickmühle. Diese kritischere Selbstwahrnehmung erlangte im IFRI jedoch nicht das gleiche Gewicht wie die Europarepräsentationen der Einheit. Ähnlich wie in den anderen Instituten und Zentren standen auch die Europarepräsentationen nicht für sich, sondern waren mit Fremdwahrnehmungen gekoppelt; das Auftreten eines politischen Islamismus und der rapide Wandel in Politik und Gesellschaft hingen in dieser Auslegung der Entwicklungen im Maghreb eng zusammen. Die Bedeutung für Europa schien dabei auf der Hand zu liegen: Geographische Begebenheiten und die Möglichkeit für Betroffene, im Norden vor den in erster Linie inneren Konflikten Schutz zu suchen, festigten den Gegensatz zwischen dem Eigenen und dem Anderen – ausländische diplomatische Gäste am IFRI trugen paradoxerweise ihren Teil dazu bei. Die Gäste aus den Maghrebländern standen als Repräsentanten auch für die Tatsache, dass ein anderer Staat als Frankreich potentiell abweichende Interessen verfolgte. Neben diesen strategischen Repräsentationen wurde der Maghreb entweder durch exklusive Beziehungen in seiner Andersartigkeit bestätigt oder als anders abgegrenzt. Unterschiedliche außenpolitische Kursvorgaben für Europa erläuterten Expertinnen und Experten des IFRI wie selbstverständlich am Beispiel des Maghrebs. Die maghrebinische Entwicklung werde anhand des Rasters eines nach Süden abgeschlossenen europäischen Kontinents (Deutschland) versus eines euro-mediterran geöffneten Europas (Frankreich) verschieden bewertet. Tradierte Verbindungen standem im Vordergrund der verflochtenen Betrachtungsweisen. IFRI-Mitglieder und Gäste gingen soweit, in der traditionellen Distanz zwischen Frankreich und den USA Verflechtungsmöglichkeiten mit dem Maghreb und der arabischen Welt zu sehen. Wirtschaftliche Verflechtung spielte daneben auch eine Rolle, wenn es um die maghrebinischen Auslandsschulden,

1091 Der Publizist Alain Minc warnte vor einem von Deutschland beförderten „empire“. Alain Minc, Le nouveau Moyen Âge, (Paris: Gallimard, 1993), insbes. S. 33–36. Auch während eines Vortrages am IFRI diskutierte er die EG als möglichen Ausweg vor einem chaotischen Europa. Risset-Hemad, „Minc“, a.a.O., (Anm. 870). 1092 „[…] l’Europe, en s’unifiant, réinvente un Empire sans empereur et se trouve conduite à retrouver l’aire géographique de la Rome antique avec, pour l’axe, la Méditerranée.“ Moreau Defarges, Fédération-nébuleuse, a.a.O., (Anm. 871), S. 60.

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eine branchenspezifische Unterstützung oder die regionale Vernetzung innerhalb des Maghrebs ging; vor allem mit der Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) wurde eine positive Verflechtungsentwicklung für möglich gehalten. Vergleich Die Unterschiede im Vergleich der nationalen Institute sind in der Frage der generellen Trends nicht stark ausgeprägt. Bereits die methodischen Überlegungen zu Europarepräsentationen in solchen Einrichtungen legen dies nahe, nicht zuletzt weil es sich bei den verglichenen Untersuchungsgegenständen um andere handelt als noch in der Zeit des traditionellen historischen Vergleichs.1093 Zusammenfassend ist es dennoch ratsam, nach dem groben Muster der Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Transfers zu verfahren. Wie sich gezeigt hat, verläuft bei den Differenzen zwischen den Instituten die Trennlinie nicht immer nach dem Schema deutsche Institute versus französische Institute. Als Ausgangspunkt für den ersten Punkt der Unterschiede zwischen den Instituten mag die SWP dienen. Zwar kann sie einerseits beim späteren Punkt der Gemeinsamkeiten als größte der untersuchten Einrichtungen als Muster für viele Entwicklungen in anderen Instituten dienen, andererseits bildet in Deutschland die 1955 – sieben Jahre vor der SWP – gegründete DGAP mit ihrer starken privatwirtschaftlichen Anbindung das Gegenstück zur überwiegend staatlich finanzierten Stiftung. Ein deutsch-französischer Unterschied besteht darin, dass sich in den 1990er Jahren die SWP aus Ebenhausen bei München und die DGAP von Bonn aus nach Berlin orientierten. Dagegen waren die beiden französischen Einrichtungen CERI und IFRI seit ihrer Gründung (das CERI wurde vor DGAP und SWP zu Beginn der 1950er Jahre gegründet) in Paris ansässig; sie können als Prototypen der in der französischen Hauptstadt konzentrierten entscheidungsnahen Zirkel Frankreichs angesehen werden. Je nachdem, wie weit oder eng man die Identität einer sich wandelnden Einrichtung fasst, hat das IFRI unter den verglichenen Instituten entweder die längste (seit den 1930er Jahren) oder aber die kürzeste Tradition (seit 1979) vorzuweisen. Verlässt man die deutsch-französische Unterscheidung, ähneln sich IFRI und DGAP in der Orientierung an US-amerikanischer Tradition der Gewinnung nichtstaatlicher Finanzierung, der langen Amtsdauer ihrer respektiven Direktoren und der Herausgeberschaft einer zentralen Zeitschrift im französischsprachigen beziehungsweise deutschsprachigen Bereich der internationalen Beziehungen. Aufgrund eines gentleman’s agreement verfügte die DGAP mit ihrer Zeitschrift Europa-Archiv (ab 1995 Internationale Politik) über ein außenpolitisches Sprachrohr mit Praxisbezug. In der traditionsreichen Zeitschrift 1094 wurden regelmäßig 1093 Siehe den Abschnitt zu methodischen Überlegungen der Einleitung. 1094 Zur Entstehung der Zeitschrift und der DGAP sowie ihrer Entwicklung bis 1972, siehe Eisermann, Außenpolitik, a.a.O., (Anm. 64).

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auch von SWP-Mitgliedern verfasste Artikel gedruckt. Ähnliches gilt für die Zeitschrift Politique étrangère (herausgegeben seit 1979 vom IFRI), wobei das CERI in den 1990er Jahren eine eigene Zeitschrift gründete – ein Indiz für eine zunehmende Konkurrenz zwischen den Einrichtungen.1095 IFRI und DGAP stehen in der Zeitschriftenfrage der SWP und in geringerem Maße dem CERI gegenüber. Chronologisch lassen sich die dargestellten Unterschiede in zwei Phasen einteilen: In einer Orientierungsphase, in der das europäische Projekt gleichsam zwischen südlicher und östlicher Nachbarschaft neue Gewissheiten brauchte, entstanden in den Beratungsinstituten mehrere Bausteine. Aus ihnen ließ sich eine Andersartigkeit des Südens und des Ostens denken beziehungsweise konstruieren. Außerdem orientierte sich nach dem Ende des Kalten Krieges wie die Geschichtswissenschaft nach 1989 die Außenpolitikberatung insgesamt neu.1096 Vergleicht man, wie sich die Institute neu orientierten und ruft sich dabei auch wieder deutsch-französische Trennlinien in Erinnerung, tauchen in den Quellen nicht selten national zwischen Deutschland und Frankreich vergleichende Bausteine auf. Die deutsch-französische Perspektive wirkte sich besonders auf die Eigenrepräsentationen Europas aus. Konkret lässt sich aus deutschen Lagebeurteilungen und Prognosen zur Entwicklung in Algerien eine vermutete französische Indienstnahme der europäischen Institutionen ablesen. In beiden deutschen Instituten konnte sich eine Andersartigkeit des Maghrebs ergeben, wenn Expertinnen und Experten die Divergenzen innerhalb Europas gegenüber dieser Region beleuchteten. Innerhalb der nationalen Projektionen, die den Maghreb als Anderes erscheinen ließen, nahm im DGAP-Kontext die deutsch-französische Doppelperspektive einen noch zentraleren Raum ein als etwa in der SWP – sei es, dass man immer wieder feststellte, dass Deutschland sich eher für den Osten, Frankreich eher für den Süden interessiere, sei es, dass man den Maghreb als spezifischen Gegenstand französischer Außenpolitik fasste. Die Traditionslinien einer sogenannten arabischen Politik und der Politik gegenüber frankophonen Ländern, insbesondere in Afrika, spielten hier eine Rolle. Wie in der SWP gaben die Ent1095 In einem Editorial der Sondernummer zum 70jährigen Bestehen der Zeitschrift 2006 ließ es sich das IFRI-Mitglied Dominique David nicht nehmen, einige Verfasserangaben „von Rang“ aufzuzählen. David, „Editorial“, a.a.O., (Anm. 814), S. 719. Die 1998 neu vom CERI etablierte Zeitschrift Critique Internationale verstand sich politisch als Mittel gegen eine reduzierende neo-liberale Lesart der Gegenwart, die zumindest einstweilig hegemonial geworden sei. CERI, „Critique internationale, revue trimestrielle de la Fondation nationale des sciences politiques, produite en partenariat par le CERI et les Presses de Sciences Po“, in: Nouvelles du CERI (1998), September 1998, S. 1–3, insbes. S. 1. 1096 Für die gesamtdeutschen Geschichtswissenschaften in Beziehung zur Außenpolitikberatung hält Martin Sabrow fest, dass die DDR zum alleinigen Gegenstand der Zeitgeschichte avancierte, „der vor 1989 von einer eigenartigen Schattendisziplin in der Schnittmenge von Zeitgeschichte, Soziologie, Politologie und Zukunftsforschung verwaltet worden war“. Martin Sabrow, „Die Historikerdebatte über den Umbruch von 1989“, in: Zeitgeschichte als Streitgeschichte: große Kontroversen nach 1945, hrsg. von Martin Sabrow, Ralph Jessen & Klaus Große Kracht, (München: Beck, 2003), S. 114–137, insbes. S. 125.

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wicklungen in Algerien innerhalb der DGAP Anlass zur Sorge: Algerien stand hier für eine den ganzen Westen und seine Institutionen, Eliten und Werte betreffende Herausforderung. Insgesamt machte der Maghreb indirekt die Risse in der europäischen Einheit sichtbar, wobei diese oftmals historisch fundierte Repräsentation im CERI weniger verbreitet war als in den Vergleichsinstituten. Wie außenpolitische Faktoren in Frankreich bewertet wurden, war vom zeitlichen Kontext abhängig: Mitte der 1990er Jahre, in einer zweiten Phase, erschien beispielsweise der Anfang des Jahrzehnts in der Rückschau als eine Zeit der Orientierungssuche, in der unterschiedliche außenpolitische Zukunftsentwürfe Konjunktur hatten; für Frankreich war Europa zum Mittelmeer hin geöffnet, für Deutschland war es auf den Kontinent beschränkt. Die Analysen aus den Pariser Instituten gewinnen an Gewicht, da insbesondere das IFRI als politisches Beratungsinstitut der französischen Hauptströmung gilt und der Beratungsszene der Seinemetropole in europäischen Fragen eine große Selbstbezüglichkeit attestiert wird.1097 Zwischen 1994 und 2000 entwickelte sich das CERI in Frankreich zu einem der größten Akteure im Bereich der internationalen Beziehungen, in einer Auflistung des französischen Außenministeriums wurde es an erster, das IFRI an zweiter Stelle genannt.1098 Die ganze Zeit hindurch blieben dennoch die Vorbehalte der französischen Ministerialbürokratie gegenüber externer Beratung spürbar. In einem Absatz lassen sich die Besonderheiten aller vier Institute wie folgt beschreiben: In der SWP war aus der sicherheitspolitischen Tradition heraus die Publikationstätigkeit der Mitarbeiter eher eingeschränkt;1099 die DGAP war sowohl der diplomatischen Sphäre als auch den Förderern aus der Wirtschaft verpflichtet. Die CERI-Direktoren unterstrichen besonders vehement den Anteil der „recherche fondamentale“ an der Arbeit des Zentrums;1100 wie die DGAP legte auch das IFRI großen Wert auf die institutionellen Mitglieder aus dem Wirtschaftsbereich und versuchte sich soweit im Tagesgeschäft möglich dem Mainstream anzupassen.1101

1097 Geoffrey Geuens, „Idéologies et hégémonie: la classe dirigeante au prisme des think tanks“, in: QUADERNI (2009), 70, S. 69–77, insbes. S. 73–74. 1098 Zur Einschätzung des französischen Außenministeriums siehe Carpentier-Tanguy, „Expertise“, a.a.O., (Anm. 71), S. 9. 1099 Zunker, Stiftung, a.a.O., (Anm. 38), S. 172–175. 1100 CERI, Rapport 1990–1994, a.a.O., (Anm. 398), S. 77; Christophe Jaffrelot & Christian Lequesne, „Editorial“, in: 1952–2002. 50 ans, hrsg. von CERI, (Paris, 2002), S. 3–5, insbes. S. 4. Wobei es in der Jubiläumsbroschüre bereits eine Ergänzung gibt: „Depuis son changement d’appellation de 1978, le laboratoire a également été animé par la volonté croissante de combiner la recherche fondamentale et la demande sociale, que cette dernière s’exprime par la diffusion des travaux d’expertise auprès des administrations et des entreprises, ou par une présence dans les médias.“ 1101 Geuens, „Idéologies et hégémonie“, a.a.O., (Anm. 1097), S. 73. Geoffrey Geuens wählt das Beispiel des größten französischen Versicherungskonzerns: „Le leader mondial de l’assurance Axa apporte ainsi sa contribution à droite, à l’Institut Montaigne et l’Institut de

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Als zweiter Punkt sind Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Wie sich gezeigt hat, sind viele Repräsentationen nicht exklusiv einer Einrichtung zuzuordnen, sondern finden sich in vergleichbarer Form in diversen institutionellen und nationalen Kontexten. Aufgrund des beendeten Ost-West-Konflikts bestand im Untersuchungszeitraum die Gefahr, dass massiv Ressourcen aus dem außenpolitischen Beratungsbereich der handlungsleitenden Eliten abgezogen wurden. Nach dem Ende des Kalten Krieges bewegte sich der Trend von klassischen nationalstaatlichen Analysen hin zu einer Europäisierung der Sicherheitspolitik. Im Zusammenhang mit einer allgemein beobachteten Öffnung der Institute gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit kommt den Anstößen der EU, die darauf abzielten, nationale Institute zu vernetzen, besonderes Gewicht zu. Beratungsexpertise verfährt oft kritisch gegenüber ihrem Gegenstand; nichtsdestoweniger lässt sich besonders in der speziellen Frage der Europarepräsentationen gegenüber dem Maghreb beobachten, dass die Vorstellung einer handlungsfähigen europäisch-politischen Einheit zunahm. Texten, die Europa als Modell für den Maghreb zeichneten oder die Zweckorientierung der europäischen Vorhaben im südwestlichen Mittelmeerraum kritisierten, war somit eines gemein: Sie stärkten Schritt für Schritt das europäische Selbstverständnis – eine einheitliche Außenpolitik im Namen Europas hieß die Devise. Entsprechende Forderungen besaßen in der Auseinandersetzung mit den maghrebinischen Phänomenen einiges Gewicht. Die Herausbildung der EU als neuartige politische Einheit war nicht zuletzt eine Möglichkeit für deutsche und französische Beratungsinstitute, ihre internationale Expertise in Stellung zu bringen.1102 Die Gemeinsamkeiten liegen nahe, da viele Akteure sich aufeinander bezogen oder direkt im Rahmen von Vorträgen und Gastbeiträgen in Verbindung standen. Gemeinsame Rahmenbedingungen hatten ebenfalls einen Einfluss auf die Beratungsinstitute. So bedeutete die Vertragsreform von Maastricht für alle Einrichtungen, dass auf europäischer Ebene mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ein weiterer Rahmen als zuvor mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) abgesteckt worden war. Wenig später brachte die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) neue, auf den Maghreb bezogene Denkanstöße, die bis 2000 allerdings ihren Glanz verloren hatten. Zur Jahrtausendwende hatte die Debatte über Erweiterung beziehungsweise Vertiefung ihren Höhepunkt bereits überschritten. Wie in der SWP und in der DGAP waren im CERI und auch im IFRI Verflechtungsrepräsentationen zwar nicht vorherrschend, fügten sich aber in einen Trend ein, außenpolitische Phänomene statt bilateral und multilateral vermehrt global zu betrachten.

l’Entreprise (IDEP), au centre-gauche à Confrontations Europe, mais aussi à l’Ifri, think tank mainstream par excellence.“ Hervorhebung im Original. 1102 Vgl. Pierre Lepetit, „Le rôle de think tanks“, in: Problèmes économiques (2006), 2912, 6.12.2006, S. 2–5, insbes. S. 4.

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Beim dritten Punkt, dem Transfer, lässt sich sowohl an die bereits unter Gemeinsamkeiten angedeuteten Verbindungen zwischen den Akteuren denken als auch an die Beziehung zwischen dem Untersuchungszeitraum der Arbeit und vorangegangenen oder nachfolgenden Zeiträumen. Die vorliegende Arbeit stützt die Erkenntnis, dass historisch gesehen Europäisierung kein „einheitlicher, linearer und zielgerichteter Prozess“ ist.1103 Zukünftige Forschungen könnten den untersuchten Zeitraum mit den Entwicklungen des 21. Jahrhunderts in Beziehung setzen, denn Ende der 2000er Jahre sollte die „Union für das Mittelmeer“ zu einer Neuauflage des Barcelona-Prozesses erklärt werden. Die Probleme des alten Kooperationsrahmens, beispielsweise Autoritarismus, Wettbewerbsungleichheiten und Risikowahrnehmung waren jedoch mindestens bis zum „Arabischen Frühling“ im Frühjahr 2011 auch die der neuen Union. Im Angesicht des „Arabischen Frühlings“ gab es in der SWP beispielsweise Überlegungen zur Mittelmeerunion und zur Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS). In der Zeitschrift der DGAP verwies im Herbst 2011 der Historiker Heinrich August Winkler mit Blick auf die deutsche Außenpolitik im Frühling des gleichen Jahres auf die innenpolitischen Beweggründe für die spezifische Haltung gegenüber den nordafrikanischen Entwicklungen.1104 Für Gabriele Metzler ist die Mittelmeerunion ein Beispiel dafür, wie mit der Ordnung der Welt oder der Konstruktion eines Raumes danach gestrebt wird, Einfluss auszubauen. Sie verweist in erster Linie auf die Rolle Frankreichs.1105 Übereinstimmend sind die untersuchten Europarepräsentationen zudem im Kontext der Funktion der politischen Beratungsinstitute im politischen Prozess unter den in der Fachliteratur aufgeführten Stichworten Problemdefinitionen, Warnungen und Leitlinien zu sehen.1106 Vergleicht man aus der Warte der Zeit nach dem Frühjahr 2011 diachron die Einschätzungen der Beratungsszene in Deutschland und Frankreich, stellt sich die Frage, wie nützlich die Analysen des Maghrebs waren. Ein Alarmismus, wie er aus Schlagzeilen wie „Frankreich kennt den Maghreb nicht mehr“ spricht, 1107 scheint unbegründet. Sicherlich hatte der im Untersuchungszeitraum mit eigenen Analysen aktive Volker Perthes recht, wenn er 2011 darauf verwies, dass sich die „Revolten und Revolutionen“ mit ungeheurer Dynamik entfalteten und daher

1103 von Hirschhausen & Patel, „Europeanization“, a.a.O., (Anm. 27), S. 3. 1104 Daniela Schwarzer & Isabelle Werenfels, Formelkompromiss ums Mittelmeer. Die EU verpasst die Chance, die Kooperation grundlegend zu überarbeiten (SWP-Aktuell, 24), (Berlin, 2008), insbes. S. 5; Ronja Kempin & Marco Overhaus, Europa braucht eine neue Sicherheitsstrategie. Überlegungen und Fahrplan zur Neufassung der ESS (SWP-Aktuell, 10), (2012), insbes. S. 2; Heinrich August Winkler, „Politik ohne Projekt. Gedanken über Deutschland, Libyen und Europa“, in: Internationale Politik 66 (2011), 5, S. 28–37, insbes. S. 30–31. 1105 Metzler, „Europa“, a.a.O., (Anm. 22), S. 21. 1106 Vgl. Thunert, „Germany“, a.a.O., (Anm. 383), S. 85. 1107 Lagarde, „Diplomatie“, a.a.O., (Anm. 5).

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Vorhersagen schwerfielen.1108 Dies gilt umso mehr für die im Quellenmaterial angetroffenen Prognosen aus der Zeit zwischen 1990 und 2000 – nicht nur handelte es sich um die Zeit vor den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA, auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung des europäischen Integrationsprojekts war es ein offener Abschnitt.1109 So sind keinerlei prophetische Vorhersagen vorhanden, die mehr als zehn Jahre vor den Ereignissen genau die Umbrüche prognostizierten. Dies sollte nicht der Maßstab einer historischen Bewertung der Tätigkeit der Institute sein. Sie beleuchteten bereits in den 1990er Jahren viele maghrebinische Aspekte der Diskussionen ab 2011, sei es die besondere demographische Situation, Migrationsfragen oder den enormen Abstand von Eliten und breiten Bevölkerungsschichten. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass die französischen Einrichtungen allgemein gesehen kleiner sind als ihre deutschen Gegenüber, während der untersuchte Zeitraum beispielsweise mit dem Netzwerk Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit über nationale Grenzen bereithält.1110 Der politische Einfluss in den Diskussionen sollte nicht leichtfertig aufgrund von in der Rückschau wenig exakten Prognosen verneint werden. Vielmehr ist er nur im Zusammenhang mit der Rolle der Institute im allgemeineren Agendasetting zu verstehen; akzentuiert ist dieser Einfluss in unsicheren Übergangsphasen.1111 Die Entwicklungen in der arabischen Welt seit 2011 unterstrichen die Wirkung von internetbasierten Diensten, der untersuchte Zeitraum war für die analysierten Einrichtungen in ihrer eigenen Nutzung der Möglichkeiten des Internets noch eine Übergangsphase. Es ist verständlich, dass in einer Situation, in der die zukünftigen Betätigungsfelder im Internet noch nicht voll ersichtlich waren, wenig Prognosen zur zukünftigen Bedeutung der Technologie weltweit existieren. Gerade im Hinblick auf Informationstechnologien bestand und besteht zudem die Gefahr, eine „präskriptive Funktion“ mit Blick auf „(behauptete) Entwicklungsdefizite“ zu konstruieren, wie es im Jahr 2003 zum Beispiel mit dem Arab Human Development Report des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen geschah.1112 „Vorwegzunehmen“, wie internationale Politik en détail geänderten

1108 Volker Perthes, „Druckwelle des Wandels. Der arabische Frühling verändert die Kräfteverhältnisse im Nahen Osten. Wer schafft den Sprung in die Demokratie“, in: Die neue arabische Welt. Geschichte und politischer Aufbruch, hrsg. von Annette Großbongardt & Norbert F. Pötzl, 1 Aufl., (München: DVA, 2011), S. 267–276, insbes. S. 268. 1109 Siehe den Abschnitt zu Untersuchungsgegenstand und -zeitraum der Einleitung. 1110 Fieschi & Gaffney, „French think tanks“, a.a.O., (Anm. 791), S. 107. EuroMeSCo als Beispiel führt auch Stone in ihrer Einleitung an: Diane Stone, „Introduction: think tanks, policy advice and governance“, in: Think tank traditions. Policy research and the politics of ideas, hrsg. von Diane Stone & Andrew Denham, (Manchester, New York: Manchester Univ. Press, 2004), S. 1–16, insbes. S. 10. 1111 Ebd., S. 11. 1112 Mit dem Untertitel „Building a knowledge society“ ist der Bericht zugleich ein Beispiel für die teilweise programmatischen Charakter der „Wissensgesellschaft“, siehe AutorInnenkollektiv, Wissen, a.a.O., (Anm. 63), S. 14–15.

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Rahmenbedingungen Rechnung tragen wird – 2009 beispielsweise mit der Aufwertung der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20)1113 – überfordert Vorhersagen ebenfalls. Die dynamische Globalisierung insbesondere in Asien wurde bisweilen bereits im Untersuchungszeitraum als gemeinsame Herausforderung sowohl für die Mitgliedsstaaten der EU als auch für die Maghrebstaaten gesehen.1114 Ebenso machten verschiedene Quellen bereits allgemein die Umweltpolitik als ein wichtiges Thema im Mittelmeerraum aus,1115 ohne überraschende Zusammenhänge bereits so in Schlagworte zu fassen, wie es nur ex post möglich ist: „Global Warming and the Arab Spring“.1116 Ein diachroner Vergleich mit einem Abstand von zehn Jahren und mehr stellt im Endeffekt nicht nur Leerstellen, sondern auch Vorarbeiten der Institute fest. Unterschiede und Ähnlichkeiten, auch die Auseinanderentwicklung von einem gemeinsamen Ursprung und die Zusammenführung von unterschiedlichen Ursprüngen hängen oft mit Transfers zusammen.1117 Spitzt man die Gliederung der Argumente mit den genannten Grundkategorien zu, so lauten die drei Vergleichsaspekte: 1. Die Einstellung zum Maghreb war in den vier Instituten verschieden. Wichtige Unterschiede liegen in der vermuteten französischen Indienstnahme der europäischen Institutionen, in der expliziten Zuschreibung eines Interesses an der östlichen Peripherie für Deutschland und an der südlichen Peripherie für Frankreich und in der Unterscheidung zwischen Offenheit und Geschlossenheit gegenüber dem Mittelmeerraum. Die Aspekte der interessenpolitischen und kulturellen Differenz sind Indizien für eine wahrgenommene oder propagierte schärfere Abgrenzung gegenüber dem Maghreb in deutschen Instituten. Eine weitere deutsch-französische Unterscheidung liegt in der Konzentration auf die nationale Hauptstadt begründet, die in Frankreich eine längere Tradition hatte. 1113 Die sogenannte Gruppe der Acht (G8) verlor damit an Einfluss, siehe Stephan Martens, „L’Europe et les nouvelles cartes d’un monde multipolaire“, in: Deutschland und Frankreich in der Globalisierung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Jean-François Eck & Dietmar Hüser (Schriftenreihe des Deutsch-Französischen Historikerkomitees, 8), (Stuttgart: Steiner, 2012), S. 179–195, insbes. S. 180. 1114 Siehe z. B. Rhein, „Globalisierung“, a.a.O., (Anm. 599), S. 59. Der Direktor des IFRI, de Montbrial, argumentierte gemeinsam mit Politikern wie Jean-Pierre Chevènement schon früh für ein auch nach Süden geöffnetes Europa mit einer starken technologischen und kulturellen Position. Jan-Henrik Meyer, „Europäische Öffentlichkeit aus historischer Sicht“, in: Europäische Öffentlichkeit, hrsg. von Claudio Franzius & Ulrich K. Preuß, (BadenBaden: Nomos, 2004), S. 207–227, insbes. S. 269. 1115 Z. B. Weidenfeld, „Frieden“, a.a.O., (Anm. 469), S. 1.; Stürmer, „Security“, a.a.O., (Anm. 200), S. 55. 1116 So der Titel eines Aufsatzes von 2011, dessen Fazit lautete: „Global warming may not have caused the Arab Spring, but it may have made it come earlier.“ Sarah Johnstone & Jeffrey Mazo, „Global Warming and the Arab Spring“, in: Survival 55 (2011), 2, S. 11–17, insbes. S. 16. 1117 Vgl. Kaelble, „Vergleich und Transfer“, a.a.O., (Anm. 59), S. 478.

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2. Alle vier Einrichtungen orientierten sich in den 1990er Jahren in ähnlicher Weise im Hinblick auf den sich herausbildenden EU-Rahmen. Es kam zu einer Europäisierung der Sicherheitspolitik und gleichzeitig zu einer größeren Öffentlichkeitsorientierung der bis dato meist verschwiegenen Mitglieder einer Expertise-Gemeinschaft. Zum einen machte sich das Ende des Kalten Krieges bemerkbar, zum anderen der Kontext einer neuartigen politischen Einheit. Als Schlagworte seien nur die Entwicklung von den Gemeinschaften zur Union und die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) genannt. Zwar waren darüber hinaus Verflechtungsrepräsentationen in allen vier Instituten nicht dominant, in ihrer Argumentation, die Europa und den Maghreb als verbunden ansah, ähnelten sie sich jedoch. 3. Transfers zwischen den Einrichtungen und den in ihnen aktiven Expertinnen und Experten beförderten die Gemeinsamkeiten neben den im vorigen Punkt genannten Rahmenbedingungen ebenfalls. Wagt man den Transfer der historischen Tendenzen auf die Entwicklung nach dem Untersuchungszeitraum und speziell auf die überraschende Situation des „Arabischen Frühlings“, so sind zwei Dinge anzunehmen: Erstens erfolgte vermutlich eine weitere Zunahme von Transfers und Verbindungen, nichtsdestoweniger fielen zweitens weiterhin Unterschiede zwischen der Beratungslandschaft auf und nationale, innenpolitische Beweggründe beeinflussten die Haltungen gegenüber verschiedenen maghrebinischen Entwicklungen. Nach Charles Tilly handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine, die verschiedene Fälle (jeweils zwei Beratungsinstitute in Deutschland und Frankreich) im Hinblick auf parallele Themen und größere Einheiten – Europarepräsentationen im Zusammenhang mit dem Maghreb – analysiert („encompassing comparison“).1118 Das Fazit trägt daher sowohl den buchstäblichen großen Strukturen als auch den einzelnen Instituten und Institutsmitgliedern Rechnung. Fazit In den internationalen Beziehungen gewinnen Eigen- und Fremdrepräsentationen Sinn als politische Herrschaftsressource aus dem Umfeld, in dem politische Entscheidungen getroffen wurden.1119 Das Betätigungsfeld der außenpolitischen Beratungsinstitute sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ist nach dem Ende des Kalten Krieges durch eine Europäisierung gekennzeichnet. Das Ende der Blockkonfrontation führte nicht zu einem plötzlichen Ende der unterschiedlichen Sichtweisen auf die „Außengrenzen Europas“. Bei den verschiedenen Perspektiven auf die Regionen Maghreb und Ost-/Ostmitteleuropa spielten Fragen der Migration eine wichtige Rolle. Der historische Kontext ist bei der Beurteilung 1118 Charles Tilly, Big Structures, Large Processes, Huge Comparisons, (New York: Russell Sage Foundation, 1984), insbes. S. 125–143. 1119 Kaelble, „Political Resource“, a.a.O., (Anm. 1073), S. 12–13.

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dieser Verschiedenheit zu berücksichtigen. In Deutschland kam es so nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs zu einer Entfremdung gegenüber Zuwanderern aus der „Dritten Welt“;1120 in Frankreich lässt sich eine fälschliche Übertragung von Geburtenraten in den Maghreb-Herkunftsländern auf die maghrebinischen Migrantinnen und Migranten zeigen.1121 Vor dem Hintergrund der Erfahrung des „Arabischen Frühlings“ 2011 gewann zudem die quantitative Unterlegenheit der französischen Beratungsszene gegenüber der Zahl von deutschen Mitgliedern im Bereich der internationalen Beziehungen an Brisanz. Allgemeiner betrachtet kam es in den 1990er Jahren zu einer zunehmenden Bedeutung der europäischen Themen, zu denen auch die Beziehungen zum Maghreb in mehrfacher Hinsicht gehörten. Die vorliegende Untersuchung weist dies für die vier analysierten Beratungsinstitute SWP, DGAP, CERI und IFRI nach. Damit kann aufgrund der Funktion von Beratungsinstituten in den politischen Kulturen beider Länder in den 1990er Jahren von einem größeren Bedarf an beratender Tätigkeit in diesen Fragen in den handlungsleitenden Eliten ausgegangen werden. Mit einer deutsch-französischen Perspektive zeigen sich Unterschiede, beispielsweise im Hinblick auf die Einbindung in Eliten und Regierungsapparate, aber auch Ähnlichkeiten, nicht zuletzt durch Verbindungen zwischen den nichtsdestoweniger national orientierten Einrichtungen. Fasst man die Gesamtschau von Bezügen, Unterschieden und Gemeinsamkeiten zusammen, ergibt sich folgendes Bild: 1. Für die Institute und ihre Mitglieder stellte die Europäisierung eine Herausforderung dar, denn entsprechende Bezugnahmen genossen hohes Ansehen, bargen aber das Risiko, exklusive (nationale) Beratungspositionen aufs Spiel zu setzen. 2. Wie das Eigene im Gegensatz zum Maghreb zu definieren war, wandelte sich. Trotz aller Unterschiede zwischen den Instituten bezeichnete immer selbstverständlicher Europa dieses Eigene. 3. In zunehmendem Maße verbanden Eigenrepräsentationen diesen Europabegriff mit der Institution EU. Beides wurde mental von der Peripherie im südwestlichen Mittelmeer getrennt, stabilisierte sich damit aber auch als vorherrschendes politisches Verständnis Europas. Zu Beginn der Dekade vervielfältigten sich die Ansätze, wie der Umbruch von 1989 bis 1991 zu fassen sei; gegen Ende wurde vermehrt das Eigene mit Europa gleichgesetzt. Außerdem gab es eine zunehmende Anzahl von Repräsentationen, die Europa mit dem Unionsprojekt und nicht-europäisch oder außereuropäisch mit der Klassifikation Nicht-EU gleichsetzten. Die „eigene Entwicklung“ zeigte sich „im Spiegel der anderen“.1122

1120 Bade & Oltmer, Normalfall, a.a.O., (Anm. 565), S. 103–108. 1121 Leveau, „Frankreich“, a.a.O., (Anm. 460), S. 20. 1122 Leveau, „Islam“, a.a.O., (Anm. 468), S. 25.

ABSTRACTS Zusammenfassung Die Arbeit behandelt verschiedene Repräsentationen Europas in der Zeit von 1990–2000, die durch einen grundlegenden Wandel entsprechender Vorstellungen und Denkweisen gekennzeichnet ist. Dabei werden Akteure in praxisorientierten Instituten in Deutschland und Frankreich in den Blick genommen. Als Fallbeispiele werden die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), das Centre d’études et de recherches internationales (CERI) und das Institut français des relations internationales (IFRI) analysiert. Wie nutzten sie Europarepräsentationen im Zusammenhang mit den Debatten über Europa und die Arabische Welt? Ein spezieller Fokus richtet sich auf den Maghreb. Dieser Teil des westlichen Mittelmeers bekam aufgrund der französischen Entwicklungslinien eine besondere Bedeutung auch für die Debatten in Deutschland. Das deutsch-französische Tandem innerhalb der europäischen Integration war für eine solche Perspektive von herausragender Wichtigkeit. Während die Vergleichsfälle in Frankreich in Paris angesiedelt sind, zeigt sich in Deutschland eine dezentralere Struktur. Im Untersuchungszeitraum und -kontext entwickelten sich abgeschlossenere Europarepräsentationen, die sich zudem mehr auf die EU fokussierten. Abstract The doctoral thesis discusses the representations of Europe in the transformation of the 1990s. It compares different institutes for International Relations in Germany and France. The case studies focus on the Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), the Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), the Centre d’études et de recherches internationales (CERI) and the Institut français des relations internationales (IFRI). In this comparison, I focus on the question how actors used and reproduced such representations in dealing with the Arab World, especially the Maghreb. Doing this means to follow an important branch of the historic and social concepts around the notion of the Mediterranean in France. Via the role of the Franco-German axis and its importance for the European Integration the way those relations are handled and debated becomes important also for Germany. The selected examples in the French context are not surprisingly located in Paris, while the German institutions could not rely on an equally centralized social order. As the case studies show, the actors developed representations of Europe that were more and more self-contained and that focused to a greater extent upon the EU.

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Abstracts

Abrégé La thèse traite les représentations de l’Europe dans les années de transition 1990– 2000. Il s’agit d’une comparaison des différentes institutions des relations internationales en France et en Allemagne dans leurs travaux sur le monde arabe, surtout le Maghreb. Les études de cas portent sur la Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), la Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), le Centre d’études et de recherches internationales (CERI) et l’Institut français des relations internationales (IFRI). La focalisation sur le Maghreb s’appuie sur la trajectoire historique de la France. Pour l’Allemagne, cette perspective de recherche est également opérante de fait du rôle du couple franco-allemand dans l’intégration européenne. Les exemples analysés en France donnent un aperçu des représentations élaborés dans les différents pôles de réflexion parisiens. A l’inverse, côté allemand, les organismes comparés s’organisent selon une structure plus décentralisée. Les représentations de l’Europe pendant les années 90 évoluaient de telle manière qu’elles étaient de plus en plus fermées et qu’elles se concentraient sur l’UE.

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HINTERGRUNDGESPRÄCHE Gespräch mit Jean-François Bayart, Büro CERI, (20.4.2010). Gespräch mit Tilmann Chladek, Rüdiger Wittke, Heike Zanzig, Büro DGAP, (20.7.2011). Gespräch mit Natacha Crance, Büro IFRI, (19.5.2010). Gespräch mit Dominique David, Büro IFRI, (19.5.2010). Gespräch mit Jean-Luc Domenach, Büro CERI, (10.5.2010). Gespräch mit Sylvie Haas, Büro CERI, (25.5.2010). Gespräch mit Béatrice Hibou, Büro CERI, (18.12.2008). Gespräch mit Axel Huckstorf, Büro SWP, (15.8.2011). Gespräch mit Uta Kuhlmann-Awad, Aufenthaltsraum DGAP, (17.8.2011). Gespräch mit Zaki Laïdi, Büro Centre d’études européennes, (25.5.2011). Gespräch mit Jean Leca, Büro IEP, (4.5.2010). Gespräch mit Luis Martinez, Büro CERI, (16.12.2008). Gespräch mit Karolina Michel, Büro CERI, (28.5.2010). Gespräch mit Khadija Mohsen-Finan, Bistro rue de Procession, (11.5.2010). Gespräch mit Philippe Moreau Defarges, Büro IFRI, (20.5.2010). Gespräch mit Jürgen Rogalski, Gerhard Weiher, Büro SWP, (4.8.2011). Gespräch mit Hans Stark, Büro IFRI, (24.5.2011). Gespräch mit Thérèse Vigne, Büro IFRI, (27.5.2010). Gespräch mit Angelika Volle, Privatwohnung Berlin, (18.10.2011). Gespräch mit Catherine Wihtol de Wenden, Büro CERI, (23.5.2011). Gespräch mit Albrecht Zunker, Restaurant Kurfürstendamm, (13.10.2011).

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NAMENVERZEICHNIS Abdel Megid, Esmat 224 Ajami, Fouad 120 Alaoui Mdaghri, Driss 213 Aliboni, Roberto 75, 100, 116 Altmann, Clemens 118 Angenendt, Steffen 119, 127 Antes, Peter 122 Arnold, Hans 97 Aron, Raymond 139 Asholt, Wolfgang 121 Aznar, José-Maria 207, 232 Bade, Klaus J. 264 Balta, Paul 32 Banegas, Richard 162 Barre, Raymond 195 Bayart, Jean-François 151, 152ff, 161f., 164, 170f., 173, 177, 184, 188, 193, 256 Becher, Klaus 97 Behrendt, Sven 119, 136 Ben Ali, Zine el-Abidine 172 Ben Yahia, Habib 237 Benhaïm, Raymond 180 Bérégovoy, Pierre 217 Bergstraesser, Arnold 88 Berque, Jacques 32 Bertram, Christoph 39f., 45f., 51, 85f. Bertrand, Louis 31 Bigo, Didier 160f. Bloch, Marc 31 Boniface, Pascal 24, 153 Boucher, Stephan 10 Bouteflika, Abdelaziz 240 Brahimi El Mili, Naoufel 216 Brandt, Willy 110f., 121 Braudel, Fernand 30ff, 71, 177 Carstens, Karl 88 Chartier, Roger 18, 20, 263 Chartouni-Dubarry, May 198ff, 205, 209, 213, 215f., 218, 223ff, 234, 237f., 241, 245, 257 Chenal, Alain 239

Chevènement, Jean-Pierre 218, 228, 230, 233, 235, 262 Chirac, Jacques 157, 162, 176, 182, 225 Christoffel-Crispin, Claudia 48, 61 Conze, Werner 39 Cornides, Wilhelm 87f. Daguzan, Jean-François 231 David, Dominique 200, 225, 231 Delpech, Thérèse 119 Descoings, Richard 164 Deser, Leo 48, 61 Deubner, Christian 41, 48f., 65 Domenach, Jean-Luc 150ff, 161, 184, 193 Domenach, Jean-Marie 151 Duby, Georges 31, 178f. Duroselle, Jean-Baptiste 147ff, 151 Eberle, Sir James 97 Eisermann, Daniel 88, 93 Ellyas, Akram 216 Éltetö, Andrea 43, 63f., 66f., 72f., 78, 86 Enders, Thomas 110 Faath, Sigrid 117, 140 Fabre, Thierry 31 Febvre, Lucien 31 Ferdowsi, Mir A. 134 Fisch, Stephan 14, 269 Fischer, Joschka 235 Fischer, Per 88 François, Etienne 43 François-Poncet, Jean 106, 111, 195 Frank, Robert 16 Frankenberger, Klaus-Dieter 107f. Fries, Susanne 81 Frisch, Thomas 52 Fritsch-Bournazel, Renata 99, 103f. Froehly, Jean-Pierre 119, 126 Gallissot, René 208

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Namenverzeichnis

Garçon, José 229, 234, 243, 245 Gardet, Louis 32 Gasteyger, Curt 113, 135 Gaulle, Charles de 208 Geiss, Imanuel 137f. Gembardt, Ulrich 88 Genscher, Hans-Dietrich 209 Géré, François 215 Ghaussy, Saadollah 238f. Giraud, André 202, 222 Glotz, Peter 98f., 113 Gnesotto, Nicole 210 Göpfrich, Peter 144 Gorbatschow, Michail 9, 130 Gordon, Philip H. 104f., 123f., 131 Görgens, Lutz Hermann 129 Gräßle, Inge 135 Grimaud, Nicole 149, 159, 175, 216, 239 Guérin-Sendelbach, Valérie 91, 94 Guiringaud, Louis de 195 Habermas, Jürgen 39, 260 Hammann, Christine 81 Hänsch, Klaus 106, 138f. Harcour, Laetitia 255 Hassan II., König von Marokko 129, 163 Hassner, Pierre 233 Haupt, Heinz-Gerhardt 22 Held, Joachim 81 Hermet, Guy 150, 153, 188 Heuser, Beatrice 112 Hibou, Beatrice 154, 156, 162f., 165f., 171ff, 178f., 182ff, 192f., 256 Hildebrand, Klaus 39f. Hillenbrand, Olaf 113, 141 Hillgruber, Andreas 39 Hoffmann, Stanley 110, 231 Hottinger, Arnold 109f., 131 Hubel, Helmut 110, 122f., 125, 227, 242 Huntington, Samuel P. 132, 140 Hurtig, Serge 161 Ischinger, Wolfgang 206, 231 Jacobsen, Hans-Adolf 88 Jaffrelot, Christophe 164 Janning, Josef 131, 252 Jeffery, Charlie 127 Jobert, Michel 195f.

Jones, Priska 18 Judt, Tony 215 Jurek, Jürgen 131 Kaelble, Hartmut 16, 18 Kaiser, Karl 88f., 92f., 117, 141f., 145, 203ff, 235, 269 Kastoryano, Riva 160, 175 Kepel, Gilles 122, 138, 152, 161, 188, 199 Khader, Bichara 35 Kienle, Eberhard 243 Kinkel, Klaus 99, 104, 119, 206, 228, 252 Kiplagat, Bethuel A. 141 Kistenfeger, Hartmut 99, 107, 124, 139 Koch-Weser, Caio 131 Kodmani-Darwish, Bassma 118, 132, 198, 205f., 212f., 222f., 225, 237, 241 Koehler, Martin 79 Kohl, Helmut 44, 162, 235 Köhler, Michael 191 Köhler, Volkmar 111 Kolboom, Ingo 93f., 103, 121, 125, 222 Körner, Heiko 61 Krämer, Gudrun 191 Kramer, Heinz 45 Kübel, Heidi 73 La Gorce, Paul-Marie de 228 La Serre, Françoise de 166 Laïdi, Zaki 169f, 174, 176f., 179, 188 Lamby, Werner 91 Langguth, Gerd 143 Laulan, Yves-Marie 222 Le Gloannec, Anne-Marie 160 Leggewie, Claus 185 Leguil-Bayart, Jean-François siehe Bayart, Jean-François Lellouche, Pierre 225 Lemke, Hans-Dieter 44, 68f., 84 Lequesne, Christian 162, 164, 166 Leveau, Rémy 43, 56, 74, 77, 79, 107, 138ff, 152, 155, 157, 159ff, 167, 175, 180f., 184ff, 191, 199f., 209f., 216f., 247ff Lipgens, Walter 88 Lohrmann, Reinhard 88 Lorot, Pascal 241 Loth, Wilfried 249 Major, John 124

Namenverzeichnis Makinda, Samuel M. 130 Manfrass, Klaus 88 Martinez, Luis 154ff, 162, 165, 171, 173, 178ff, 185f., 191ff, 216, 219, 234, 256 Mattes, Hanspeter 115f. Matthias, Erich 39 May, Bernhard 129 Meiering, Gregor 131 Metzler, Gabriele 30, 278 Meyriat, Jean 147, 149f. Minc, Alain 121, 214f. Mitterrand, François 32, 106, 153, 157, 162f. Mohsen-Finan, Khadija 199, 216f., 240 Montbrial, Thierry de 102f., 195ff, 200ff, 205, 207ff, 211ff, 217f., 222f., 226, 228f., 239, 242, 244, 246, 261, 272 Moog, Pierre-Emmanuel 196, 224 Moreau Defarges, Philippe 198, 202, 213ff, 220, 229, 245 Morin, Edgar 32, 215 Moscovici, Pierre 210, 262 Muller, Pierre 164 Müller-Brandeck, Gisela 122 Nerlich, Uwe 113 Nigoul, Claude 59, 111 Nolte, Ernst 39 Nötzold, Jürgen 43, 72 Oudenaren, John van 107 Owen, Lord David 130 Paolini, Jérôme 218 Pasqua, Charles 228, 239 Paterson, William E. 127 Pérez-Díaz, Víctor 165 Perthes, Volker 41f., 51ff, 56ff, 67f., 71, 73, 75, 77, 79f., 83f., 86, 101, 133, 136, 254, 278f. Pfetsch, Frank R. 141 Pirenne, Henri 31f. Pisani, Edgar 32 Provost, Lucile 185

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Quermonne, Jean-Louis 164 Rakkah, Azzedine siehe Martinez, Luis Ravenel, Bernard 219, 242f. Reagan, Ronald 9 Rhein, Eberhard 100f., 114, 116, 144 Rieck, Andreas 129f. Ritter, Gerhard 37 Ritter, Klaus 37 Roper, John 90, 114f. Rößner, Susan 18 Rothfels, Hans 39 Rouadjia, Ahmed 226, 242 Rovan, Joseph 115, 139 Roy, Olivier 142 Royo, Martine 10 Rudloff, Wilfried 269 Rühe, Volker 126 Rühl, Lothar 47f. Rumberg, Dirk 131 Rummel, Reinhardt 42, 48f., 55, 61, 82f. Rupnik, Jacques 166, 233 Sacco, Giuseppe 142f. Salamé, Ghassan 189, 191f., 237 Sauder, Axel 125 Schelsky, Helmut 251 Scherpenberg, Jens van 117, 144 Schlie, Ulrich 40, 48, 53f., 59f., 70, 77f. Schmidhuber, Peter M. 98, 112 Schröder, Gerhard 44 Schulz, Eberhard 93 Schumacher, Tobias 21 Schütze, Walter 120f., 199 Schwarz, Hans-Peter 93f. Seeler, Hans-Joachim 122 Senghaas, Dieter 40f., 53, 59, 77f., 93 Simon, Catherine 185 Smith, Andy 162 Stark, Hans 125, 199, 252 Stora, Benjamin 224, 232 Stürmer, Michael 39f., 55, 59f., 71f., 85f. Tan Eng Bok, Georges 112

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Namenverzeichnis

Thies, Jochen 203 Tibi, Bassam 130, 140 Tilly, Charles 281 Tinguy, Anne de 162 Toulemon, Robert 204, 207 Tzschaschel, Joachim 94, 98, 129, 132, 143, 145, 261 Verheugen, Günter 210, 262 Vernant, Jacques 195 Vernet, Daniel 105, 126 Villepin, Xavier de 232 Volle, Angelika 92f., 95 Volle, Hermann 87, 93

Wagner, Wolfgang 88, 128 Wehler, Hans-Ulrich 39 Weidenfeld, Werner 25, 61, 87, 94f., 99f., 109, 113ff, 119, 131f., 135f., 141 Wessels, Wolfgang 103 Wihtol de Wenden, Catherine 162, 168, 170, 185, 251f. Winkler, Heinrich August 278 Wirsching, Andreas 261 Yost, David S. 121 Zeroual, Liamine 176

SACHVERZEICHNIS 5+5-Dialog 231 Algerienkonflikt 42, 49, 66, 74, 100, 118, 125, 132, 139, 143, 156, 176, 178, 180f., 184, 186, 190, 207, 210, 220, 223f., 226f., 232, 234, 239f. Algerisch-französischer Krieg 109, 174, 186f., 220, 232 Arabischer Frühling 279, 282 Centre d’analyse et prévision (CAP) 152f., 195, 197 Centre d’études de politique étrangère (CEPE) 195, 197, 199, 244, 272 Centre national de la recherche scientifique (CNRS) 149, 226, 237 Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) 24, 136, 141 Conflict Prevention Network 42, 79 Délégation aux affaires stratégiques (DAS) 164f., 185 Euro-Mediterranean Study Commission (EuroMeSCo) 41, 50f., 67, 83ff, 90, 156, 160, 171, 173, 199, 201, 207, 209, 216, 244, 257, 259, 269, 279 EG (Europäische Gemeinschaft) 25, 47f., 53, 55, 70, 86, 89, 96ff, 102, 106, 110, 112, 121f., 129f., 135, 137, 143, 159, 168, 175, 202, 204, 213f., 231, 261 EU (Europäische Union) 17, 35, 42, 47, 49ff, 61f., 65ff, 78ff, 84ff, 96f., 99ff, 103f., 107, 116, 119, 125, 127f., 132, 136, 138ff, 144, 158f., 161ff, 169ff, 180, 182ff, 193, 199, 202, 207ff, 214ff, 219, 227, 229, 232, 235, 242ff, 250, 252, 254f., 257ff , 265f., 272, 277, 280ff Barcelona-Prozess siehe EuroMediterrane Partnerschaft (EMP)

Erweiterungen 25f., 32f., 77, 79, 103, 106, 249 Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) 33, 35, 41, 49ff, 55ff, 62, 66ff, 71, 73, 78, 80f., 83, 100f., 107, 115ff, 127, 132f., 136f., 140, 144f., 158, 162f., 165, 167, 170ff, 189, 191f., 207, 209, 211, 215f., 220, 234, 236, 244, 246, 255ff, 259, 261ff, 268, 274, 277f., 281 Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) 204, 272, 277 Europäischer Rat 15, 25, 42, 243 Europäisches Parlament 42, 83, 106, 129, 170, 243 Europäische Zentralbank (EZB) 51, 229 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) 20, 39, 48ff, 57, 164f., 189, 204, 207f., 215f., 221, 225, 235, 239f., 245, 263, 277 Kommission 42, 52, 72, 81, 101, 125, 143f., 160, 165, 190ff, 207, 261, 271 Vertrag von Maastricht 25, 52, 54, 56f., 61, 107, 122, 158, 204, 214, 218, 221, 230, 233, 245, 259f., 263, 268, 277 Vertrag von Amsterdam 26, 215, 240 Schengener Abkommen 55, 57, 82f., 158, 168, 170, 252, 260, 263, 268 European Strategy Group (ESG) 17, 38, 89, 197 Fondation nationale des sciences politiques (FNSP) 147f., 152, 161f., 164, 188 Golfkrieg (1990–1991) 32f., 97, 104, 111, 121, 123, 128ff, 163, 203, 213, 222, 229, 230, 234, 237, 245

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Sachverzeichnis

Institut de relations internationales et stratégiques (IRIS) 24, 153 internationale Beziehungen 11, 42, 238, 250 Istituto Affari Internazionali (IAI) 75, 160, 204, 206, 225 Jugoslawienkonflikt 49, 124, 126, 130, 163, 205 Kalter Krieg 11, 13, 21, 25, 27, 30, 41, 44, 46f., 53, 57f., 70, 77, 85f., 103f., 108, 110, 121, 123, 127, 130, 141, 148, 169, 189, 202f., 210, 220, 229, 233, 238, 254f., 258, 267f., 270, 272, 275, 277, 281 Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 47, 68, 103, 106, 133f. Kosovo-Krieg 26 Maghrebunion siehe Union du Maghreb arabe (UMA)

NATO (North Atlantic Treaty Organization) 26, 47, 49, 52, 55, 68f., 72, 82, 86, 90, 112f., 117, 125f., 129, 149, 189, 204, 208, 210, 249 Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) 72, 82 RAND Corporation 37, 85, 107 Westeuropäische Union (WEU) 26, 47ff, 90, 115, 204, 235, 262 Westsahara-Konflikt 42, 102, 129f., 134, 212, 261 Wiedervereinigung 15, 25, 44, 163, 203 Union du Maghreb arabe (UMA) 57, 70, 100f., 107, 212f., 239, 261 UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) 9, 59f., 77f., 97, 105, 111, 145, 148, 150, 159, 205, 238

DANKSAGUNG Viele Menschen und Institutionen haben dazu beigetragen, dass das vorliegende Buch in dieser Form zustande gekommen ist. Es ist die überarbeitete Fassung meiner Doktorarbeit, die im Frühling 2012 von der Humboldt-Universität zu Berlin unter dem Titel „Europa das Eigene, der Maghreb das Andere. Europarepräsentationen in deutschen und französischen Beratungsinstituten, 1990–2000“ angenommen wurde.* Sehr viel verdanke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h. c. em. Hartmut Kaelble. In seinem Kolloquium für Doktoranden und Examenskandidaten konnte ich mehrfach in einer produktiven Atmosphäre mein Projekt präsentieren. Auch allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an dieser Runde und Dagmar Lissat sei herzlich gedankt. Über die Jahre habe ich Unter den Linden und in der Mohrenstraße Entscheidendes in der Diskussion von einer eindrucksvollen Bandbreite an verschiedenen Arbeiten gelernt. Prof. Dr. Alexander Nützenadel hat die Zweitbegutachtung meiner Arbeit übernommen und mir die Möglichkeit gegeben, einen relativ fortgeschrittenen Stand in seinem Forschungskolloquium zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu präsentieren. Ich bin sehr dankbar dafür – Wartin bleibt eine schöne Erinnerung. Das Deutsch-Französische Komitee für die Erforschung der deutschen und französischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hat mein Manuskript in die Schriftenreihe des binationalen Vereins aufgenommen. Dies freut mich besonders, da meine Analyse von einem Konnex von deutsch-französischer und europäischer Entwicklung ausgeht. Prof. Dr. Dr. h. c. Wilfried Loth und Prof. Dr. em. Etienne François haben sich außerordentlich für mein Projekt engagiert. Auch Katharina Stüdemann und Sarah Schäfer vom Franz Steiner Verlag haben mir bei der Produktion des Buches unschätzbare Dienste geleistet. Der Sonderforschungsbereich 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ und das Teilprojekt A5 „Repräsentationen Europas und transnationale Öffentlichkeiten im Vergleich“ haben mir als assoziiertem Mitglied viel ermöglicht. Die Teilnahme an Veranstaltungen des Forschungsverbundes in Berlin, Moskau und Istanbul und die Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Wissen und Transfer“ haben mich vorangebracht (auch den verwendeten Zitationsstil habe ich mit einem Kollegen im Haus an der Mohrenstraße aus den Vorgaben des Sonderforschungsbereichs entwickelt); die Drucklegung dieses Bandes hat der Sonderforschungsbereich substantiell unterstützt. *

Das Promotionsverfahren wurde an der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt (Dekan: Prof. Michael Seadle, Ph. D; Disputation: 10.7.2012). Gutachter waren Prof. Dr. Dr. h. c. em. Hartmut Kaelble und Prof. Dr. Alexander Nützenadel.

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Danksagung

Das Deutsch-Französische Doktorandenkolleg „Unterschiede denken. Geschichte als Objekt und Repräsentation“ hat die Interdisziplinarität des Sonderforschungsbereichs um eine zweisprachige Komponente erweitert und mich mit Mobilitätsbeihilfen, Jahresateliers und einem funktionierenden Forschungsnetzwerk gefördert. Eine Auftaktförderung haben meine Recherchen in Paris zudem mit einem Forschungsstipendium des Deutschen Historischen Instituts Paris erhalten. Dort lernte ich bereits Mitdoktorandinnen kennen, die ich später im Doktorandenkolleg wiedertreffen sollte. Nicht existieren würde diese Arbeit jedoch ohne die Graduiertenförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ich bedanke mich dafür, dass sie mich und mein Projekt in den Kreis der Stipendiatinnen und Stipendiaten aufgenommen hat. Über die materielle Förderung hinaus hat mich die Stiftung ideell unterstützt und mir viele gute Erfahrungen sowie gewinnbringende Qualifikationen ermöglicht. Vom Mentorenprogramm der Stiftung habe ich in besonderem Maße profitiert. Die vielen Impulse von Mitgliedern und Gruppen der Friedrich-Ebert-Stiftung, des Deutsch-Französischen Doktorandenkollegs und des Sonderforschungsbereichs verlangen eigentlich einen anderen Rahmen, ich möchte dennoch allen diesen Menschen an dieser Stelle herzlich danken. Auch ohne die zahlreichen Gesprächspartner – bei Weitem nicht nur die in den Kapiteln genannten –, die sich mit mir über Europarepräsentationen in Beratungsinstituten unterhalten haben, hätte ich das Buch nicht in dieser Form schreiben können. Ich danke den von mir untersuchten Einrichtungen und den Menschen, die ich in ihrem Umfeld getroffen habe und die die Institute ausmachen, für Ihre Kooperation und Geduld. Schließlich seien einige genannt, die meine Gedanken oder Teile davon kritisch begleitet haben und die oft mit einem der genannten Kontexte in Verbindung stehen. Meine Dankbarkeit für viele andere Menschen während und vor dieser Zeit auf und abseits von meiner wichtigen intellektuellen Reise würde diese Danksagung sprengen. Die Arbeit meiner Lektoren, Janto Kleinschnittger und Christian Werner, wurde hilfreich flankiert von Benjamin Beuerle, Georg Dufner, Dr. Günter Gödde, Katrin Jordan, Sebastian Klöß, Christian Methfessel, Dr. Christian Nottmeier, Simon Perego, Edith Püschel, Andreas Spreier, Friederike Wagner und Andreas Weiß. Alle Fehler und Irrtümer sind allein mir anzulasten. Berlin, im Februar 2014 Johan Wagner

Beratungsinstitute und ihre Europare­ präsentationen stehen im Zentrum der Studie von Johan S. U. Wagner. Er un­ tersucht deutsche und französische Ein­ richtungen: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Centre d’études et de recherches internationales (CERI) und Institut français des relations internationales (IFRI). Europa hatte für diese außenpolitischen Beratungsinsti­ tute in den 1990er Jahren große Bedeu­ tung, da sie sich nach dem Kalten Krieg neu orientierten. Dabei stellten sie Eu­ ropa als das Eigene und den Maghreb als das Andere gegenüber. Gleichzeitig ent­

wickelte sich die Mittelmeerregion zu einem Schwerpunkt innerhalb der inter­ nationalen Beziehungen, und die Euro­ pabilder der Institute skizzierten die EU allmählich als abgeschlossen. Der Autor beschreibt wissensgeschicht­ lich die politische Kultur Deutschlands und Frankreichs, indem er diese think tanks kritisch beleuchtet. Der Vergleich in der Gründungszeit der Euro­Mediter­ ranen Partnerschaft (EMP) zeigt dabei einen deutsch­französischen Wissens­ transfer. Mit dem „Arabischen Frühling“ und der aktuellen europäischen Nach­ barschaftspolitik gewinnen die For­ schungsergebnisse zusätzlich an Brisanz.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-10647-4

9

7835 1 5 1 064 7 4