1848 - Revolution in Europa: Verlauf, politische Programme, Folgen und Wirkungen [1 ed.] 9783428497782, 9783428097784

Die Französische Revolution von 1789 hinterließ an die Zukunft die Frage, ob und auf welche Weise sich das National- und

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1848 - Revolution in Europa: Verlauf, politische Programme, Folgen und Wirkungen [1 ed.]
 9783428497782, 9783428097784

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HEINER TIMMERMANN (Hrsg.)

1848 - Revolution in Europa

Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen Herausgegeben von Heiner Timmermann

Band 87

1848

Revolution in Europa Verlauf, politische Programme, Folgen und Wirkungen

Herausgegeben von

Heiner Timmermann

Duncker & Humblot · Berlin

Dieses Projekt wurde mit Hilfe der Union-Stiftung, Saarbrücken, und der ASKO-Europa-Stiftung, Saarbrücken, unterstützt.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme 1848 - Revolution in Europa : Verlauf, politische Programme, Folgen und Wirkungen I hrsg. von Heiner Timmermann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen e.V.; Bd. 87) ISBN 3-428-09778-5

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0944-7431 ISBN 3-428-09778-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (sä~gefreiem) Papier entsprechend ISO 9706~

Vorwort Die Französische Revolution von 1789 hinterließ an die Zukunft die Frage, ob und auf welche Weise sich das National- und Verfassungsprinzip in der europäischen Staatenwelt durchsetzen werde. Die Antworten mußten in der Theorie und in der geschichtlichen Wirklichkeit kontrovers ausfallen. Die Revolution von 1848 erfaßte direkt und indirekt nahezu alle europäischen Staaten. Die nationalen, liberalen und sozialen Kämpfe endeten vordergründig in Niederlagen. Die politischen Programme und Ideen aber verschwanden nicht. Der vorliegende Sammelband enthält überarbeitete Beiträge eines Kolloquiums, das im Dezember 1997 in der Europäischen Akademie OtzenhausenfSaar stattfand. Die Beiträge wurden vom Herausgeber wie folgt strukturiert: I.

Übergreifende Themen,

II. Verlauf, III. Programme, IV. Folgen und Wirkungen. Überschneidungen waren nicht zu vermeiden.

Heiner Timmermann

Inhaltsverzeichnis I. Übergreifende Themen Heiner Timmennann Europa und die Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Helmut Reinalter Die Europäische Revolution von 1848/49 inderneueren Forschung

25

Hannelore Horn Zum Wandel des Revolutionsbegriffs {1848;--1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

Imanuel Geiss Die Europäische Revolution 1848 - 1998. Makro- und welthistorische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

Walter Schmidt Die europäischen Revolutionen von 1848/49. Versuch eines historischtypologischen Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

Matthias Schulz Die gescheiterten Revolutionen und das europäische Staatensystem 1848-1851

111

II. Verlauf Malte Bouyssy 1848 ou l'inconvenance de Ia violence politique

135

Michael Bregnsbo Dänemark und 1848: Systemwechsel, Bürgerkrieg und Konsensus-Tradition

153

Tibor Piehier 1848 und das slowakische politische Denken

165

8

Inhaltsverzeichnis

Antoni Podraza Das Präludium der Revolution des Jahres 1848. Die polnischen Ereignisse des Jahres 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173

Jan Havranek Böhmen im Frühjahr 1848 - Vorbild der nationalen Problematik in Europa für das folgende Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

Milan Hlavacka Böhmen und die Habsburgermonarchie im Revolutionsjahr 1848/49

199

Wolfgang Häusler Der kroatisch-ungarische Konflikt von 1848 und die Krise der Habsburgermonarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209

György Spira

A propos de l'histoire posthume de Ia Hongrie de Saint Etienne

231

Bernd Rill Die Revolution in Sizilien 1848/49- Ein Vergleich auf europäischer Ebene

247

A ngelica Gernert Italien 1848 - Revolution auf italienisch

265

Detlef Jena Russische Reichspolitik und die Revolution von 1848/49

Klaus Ries Die ländlichen Unruhen in der deutschen Revolution von 1848/49

281

297

111. Programme Erich Nickel Monarchisches Prinzip und deutsche Verfassungsproblematik nach 1849. Das Beispiel des Norddeutschen Bundes (1867- 1871} . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

Helmut Bleiber Pro oder Kontra? Zur Rolle der Bauern in der deutschen Revolution 1848/49

335

Inhaltsverzeichnis

9

Wolfgang Wippermann "Gesunder Volksegoismus" . Vorgeschichte, Verlauf und Folgen der Polendehatte in der Paulskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351

Zoran Konstantinovic Variationen der Mitteleuropaidee 1848 und danach

367

IV. Folgen und Wirkungen W alerij Afanassiev Die zeitgenössische russische Reaktion auf die 1848er Revolution in Europa

383

Ralf Graber Zur Bedeutung der Revolutionen von 1798 (Helvetische Revolution) und 1847/48 (Bundesstaatsgründung) für die Ausgestaltung des politischen Systems der modernen Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

391

Detlef Rogosch Nach dem Scheitern der Revolution: Versuche zur Herstellung einer deutschen Einheit aus der Sicht von Mittelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . .

415

Jürgen Brand Die Paulskirchenverfassung als Wegbereiter einer Integration der Arbeitsrechtsordnung in das staatliche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

423

Ludwig Richter Die Nachwirkungen der Frankfurter Verfassungsdebatten von 1848/49 auf die Beratungen der Nationalversammlung 1919 über die Weimarer Verfassung

441

Jürgen Elvert Die Revolution 1848/49 in der historiegraphischen Rezeption der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

467

Roland Ludwig 1848 und die Englische Revolution (1640-1660). Die Englische Revolution als politisches Argument in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

481

Erkki K ouri Auswirkungen der Revolution an der Peripherie Europas: Das J ahr 1848 in Finnland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

505

10

Inhaltsverzeichnis

Jörg-Peter Findeisen Wichtiger Meilenstein auf dem Wege zur Annullierung des "Ständeparlaments" in Schweden - Die europäischen Revolutionen von 1848 . . . . . . . . . . . . .

513

Dan Berindei Die Revolution von 1848 in Rumänien und ihre Folgen

525

A ndras Gergely "Wie Trabanten in unserem Planetensystem"? Zukunftshorizont der deutschen und der ungarischen Liberalen um 1848 .. . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

535

Elisabeth Molnar Auf dem mühevollen Weg der Verbürgerlichung

549

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Übergreifende Themen

Europa und die Revolution Von Heiner Timmermann

I. Wie immer eng oder weit man den Begriff der Revolution faßt, man kommt nicht umhin, die Begriffsgeschichte von der Antike bis ins moderne Revolutionsverständnis zu fassen. 1789 schließlich bezeichnet man als eine Ereigniskette, die an die Zukunft die Frage hinterließ, ob und auf welche Weise sich das National- und Verfassungsprinzip in der europäischen Staatenwelt durchsetzen werde. Die Außenseite der Revolution verbindet sich mit Masse, Straße, Gewalt und Blut, die Innenseite mit radikalen Veränderungen aller Lebensumstände und Wertvorstellungen 1 . Die konservative Revolutionskritik bekämpft den gewaltsamen Bruch der Kontinuität als "Ur-Verbrechen" 2 . Dagegen erhob die Restaurationsideologie das Legitimitätsprinzip als die Wiederherstellung eines früheren politischen Zustandes, meist Wiedereinsetzung von infolge der Revolution beseitigten Dynastien zur Handlungslinie, wobei die Bewertungskriterien je nach politischem, ideologischem und zeitlichem Standort recht unterschiedlich waren/sein können. Im Brennpunkt von 1848 traf sich auch der Systemkonflikt zwischen Ost und West für lange Jahre und damit auch das Thema: "Geschichte und Politik" : Seit Leopold von Ranke sich in seiner Antrittsvorlesung "Über die Verwandtschaft und den Unterschied der Historie und Politik" 3 mit diesem Thema beschäftigt hat, haben sich zahlreiche Historiker, Politikwissenschaftler, Publizisten, Soziologen und Literaten hiermit 1 Hans-Georg Wehling und Angelika Hauser-Hauswirth: Die großen Revolutionen im deutschen Südwesten. Stuttgart 1998, S. 9. 2 Waldemar Besson(Hg.): Geschichte. Das Fischer Lexikon. Frankfurt 1961, S. 310. 3 Leopoldus Ranke: De historiae et polices cognatione atque discrimine. Pro loco in Facultate philosophica Universitatis litterarum Friedericae Guillemae. rite obtiendo sripsit. Berolina 1836, 19 Seiten.

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Heiner Timmermann

auseinandergesetzt. Nach den selbst gesetzten Maßstäben der Historiker haben "Weiße Flecke" in der Geschichtsschreibung eigentlich keinen Platz. Aber bei einer zu engen Verkettung von Geschichte und Politik lief und läuft Geschichte immer Gefahr, Instrument zu werden. Das war sie bei den politischen Historikern des 19. Jahrhunderts. Sie war auch es bei dem Versuch des nationalsozialistischen Staates, die Geschichtswissenschaft sich ihm zu unterwerfen. Das galt für jene Teile Europas, die vom Kommunismus beherrscht wurden. "Das Ende des Systemkonflikts zwischen Ost und West ließ nach 1989 den Streit um das Erbe von 1848 noch weiter in den Hintergrund treten. Ähnlich wie dies Francois Furet bereits vor langer Zeit für die Große Französische Revolution getan hat, kann man daher heute mit einigem Recht die Revolution von 1848/49 für beendet erklären.... Die ideologischen Schlachten der Vergangenheit müssen nicht mehr stets von neuem geschlagen werden" 4 .

II. Wann und wo begann 1848? 1830 in Frankreich, mit der WirtschaftskriseinEuropa in den 40iger Jahren, in der Schweiz 1847, in Palermo im Januar 1848, in Paris im Februar 1848, in den deutschen Mittelstaaten, in Berlin, Wien im März 1848- oder gar in England 1660/88, in Amerika 1776 oder in Frankreich 1789? Waren die Ereignisse in der Schweiz das aktuelle Vorspiel? Die Schweiz war nach dem Zwischenspiel der zentralistischen Helvetischen Republik (1798-1815) gemäß den Bestimmungen des Wiener Kongresses wieder als locker gefügter Staatenbund errichtet worden. (Art. 74-84, 92 der Wiener Kongreßakte). Die Integrität der 19 + 3 Kantone wurde anerkannt, und ein locker gefügter Staatenbund wurde errichtet. Das Schwergewicht des politischen Lebens lag in den einzelnen souveränen Kantonen. Dennoch dominierte die Schicht, die schon vor 1798 die Macht gehabt hatte. Vielerorts hatten sich die aus dem Mittelalter ererbten Vorrechte des Adels und des städtischen Patriziats erhalten. Ja, diese Rechte wurden im Zeitalter der Restauration wieder gestärkt. Zwischen 1815 und 1830 konnten die Kantonsregierungen in der Ruhe der Restauration ein patriarchalisches Regiment entfalten. Dagegen erhob sich eine liberale Bewegung mit demokratischen und nationalen Zügen. Die konfessionellen Gegensätze verbanden sich mit den politischen. Zwischen Österreich, Frankreich und dem sich im Deutschen Zollverein einigenden Deutschland war die Schweiz mit ihrem kantonalen Münzwesen, Maßen, Gewichten und Binnenzöllen verkehrs- und wirtschaftspolitisch nicht mehr konkurrenzfähig. Die 4 Dieter

Hein: Die Revolution von 1848/49. München 1998, S. 8.

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katholischen Kantone waren konservativ gesonnen und traten für die Souveränität der einzelnen Kantone ein. Die liberale Bewegung, welche den Bundesstaat an Stelle des Staatenbundes erstrebte, hatte in den reformierten Kantonen ihren Rückhalt. Es bildeten sich zwei Kantonsgruppen: Konservative, agrarische und ausschließlich katholisch-klerikale Kantone einerseits, die 1845 den Sonderbund gründeten; andererseits die weit überlegene Gruppe der liberalen bzw. freisinnig-katholischen Kantone. Die Spannung entlud sich im Sonderbundskrieg 1847, in dem der Sonderbund der katholischen Kantone rasch besiegt wurde. Die Liberalen und Konservativen Europas verfolgten mit leidenschaftlicher Teilnahme den Krieg. Zeitweise drohte sogar der Eingriff der drei östlichen Großmächte unter Führung Metternichs zugunsten des Sonderbundes, während England die Schweizer Liberalen unterstützte. Der Sieg der Majorität im Sonderbundskrieg, November 1847, ermöglichte die Annahme einerneuen Bundesverfassung, und die Schweiz wurde nach amerikanischen Vorbild ein Bundesstaat5 • 111.

Die Bedeutung des Jahres 1848 liegt in dem Komplex von liberalnational-sozialen Revolutionen und Aufständen, die in Italien, Frankreich, Deutschland, Österreich und Ungarn ausbrachen. Diese Aufstände und Revolutionen gewannen gewiß einen starken Antrieb aus der Pariser Februar-Revolution, in der die Monarchie der Orleans gestürzt und die Republik proklamiert wurde. Tatsächlich hatte sich Palermo bereits am 12. Januar 1848 erhoben und ein Parlament und Autonomie für Sizilien gefordert. Am 29. Januar 1848 mußte der König von Neapel eine Verfassung bewilligen, die nach dem Muster der französischen von 1830 geschaffen und am 1. Februar 1848 angenommen wurde. Diese eröffnete dann den Reigenall der anderen liberalen Verfassungen des Jahres 1848. Diese Revolutionen und Verfassungen waren die Fortsetzung der in der Aufklärung entwickelten Ideen mit ihren großen Zäsuren 1776/1783 auf dem amerikanischen Kontinent und 1789 in Frankreich, der intensiv einsetzenden Verfassungsbewegung in vielen Teilen Europas nach 1815 und die Ausdehnung der Revolution von 1830, insbesondere auf zwei Länder: Deutschland und Italien6 •

5 Theodor Schieder (Hg.): Handbuch der Europäischen Geschichte. Band 5. Stuttgart 1981, S. 968 ff.; Ulrich Im Hof: Geschichte der Schweiz, Stuttgard u.a., 6. Aufl., 1997, s. 92ff. 6 Benedetto Croce: Geschichte Europas im 19. Jahrhundert. (1935). Ausgabe InselVerlag. Frankfurt/Main-Leipzig 1993, S. 147 ff.

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Heiner Timmermann

In Frankreich wuchsen in den 40iger Jahren die durch Korruptionsskandale bestärkten Zweifel der Oberschicht an der Kompetenz des Regimes. Zwischen 1845-47 trat eine Phase von Mißernten und wirtschaftlicher Depression ein, die auch durch den Abschluß der Eroberung Algeriens nicht aufgefangen werden konnte, was die allgemeine Unruhe steigerte. Das Julikönigtum hatte im Sinne des wohlhabenden Bürgertums, mit dem sich das Beamtenturn verband, regiert. Da das Wahlrecht an einen hohen Steuersatz geknüpft war, war die Mehrheit des Bürgertums und die Arbeiterschaft ohne Wahlrecht. Nur etwa 240.000 Bürger durften wählen. Die Lage der Arbeiterschaft war ähnlich beklagenswert wie in England vor der Fabrikgesetzgebung. Forderungen nach Erweiterung des Wahlrechts wurden immer lauter. Als Francais Guizot, Ministerpräsident, diesbezügliche, von den Republikanern organisierte öffentliche Bankette "Reformbankette" - verbot, brach im Februar 1848 in Paris ein Aufstand aus, in deren Verlauf Studenten- und Arbeiterdemonstrationen, gipfelnd in dem Sturm auf das Royal Palais, die Abdankung und Flucht des Königs, die Proklamation der Zweiten Republik sowie die Einsetzung einer von Alphanse de Lamartine geführten provisorischen Regierung erzwangen. Wieder wurde eine Nationalversammlung gewählt, um dem Staat eine Verfassung zu geben, diesmal auf Grund des allgemeinen, geheimen und direkten Wahlrechts. Aber die Zweite Republik enwickelte sich zu einer Republik ohne Republikaner. Die Nation war heillos in Parteien zerrissen, die verfassungspolitisch entgegengesetzte Ziele verfolgten. In den Reihen der Republikaner klaffte bald der Abgrund zwischen Bürgertum und sozialrevolutionärer Arbeiterschaft. In Paris kam es im Juni 1848 zu einem Arbeiteraufstand, der im Auftrage der Nationalversammlung blutig niedergeschlagen wurde. Im Bürgertum gewann aus Furcht vor der Arbeiterschaft der monarchische Gedanke schnell an Boden. In der Auseinandersetzung um die Eindämmung sozialistischer Forderungen setzte sich bald die Herrschaftstechnik des Bonapartismus durch, die durch Louis Napoleon Bonaparte das Sicherheitsbedürfnis des Besitzbürgertums, die Deklassierungsängste der Bauern und die wachsende Not der städtischen Unterschichten gleichermaßen für die Etablierung einer autoritären Staatsform zu nutzen wußte. Die Verfassung vom 4. November 1848 hatte die Arbeiterrechte wieder eingeschränkt und an die Spitze der Exekutive einen bei vierjähriger Amtszeit nur einmal wählbaren und direkt vom Volk gewählten Präsidenten gestellt. Am 20. Dezember 1848 wurde der von den Orleanisten und der Kirche unterstützte Abgeordnete der Nationalversammlung, Louis Napoleon Bonaparte, auf vier Jahre mit über 70 % der Stimmen gewählt (5,5 Mio von 7,5 Mio). Mit ihm gelangte der Typ des politischen Abenteurers an die Macht. Als Mittel zur Macht gebrauchte

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er Terror und Propaganda. Er gab sich als Republikaner, versprach jeder Partei etwas. Unter geschickter Ausnutzung des napoleonischen Mythos steigerte er seine Popularität. Als die Nationalversammlung durch ein neues Gesetz die Arbeiter von den Wahlen auszuschließen versuchte, gingen sie in Scharen zu Napoleon über, zumal er soziale Reformen verhieß. Am 2. Dezember 1851 wagte er den Staatsstreich. Die Nationalversammlung wurde aufgelöst, ihre angesehensten Mitglieder verhaftet und das allgemeine Wahlrecht wiederhergestellt. Napoleon appellierte an das Volk, das ihm in einer Volksabstimmung mit 7,5 Millionen gegen rund 600.000 Stimmen ermächtigte, eine Verfassung herzustellen. Die neue Verfassung schuf einen Scheinkonstitutionalismus, wie ihn schon Napoleon I. geschaffen hatte. Ein Jahr später übertrug das französische Volk Napoleon in einer erneuten Volksabstimmung die erbliche Kaiserwürde. Nur noch etwa 250.000 Neinsager gab es jetzt. Am 2. Dezember 1852 wurde er als Napoleon III. zum "Kaiser der Franzosen durch die Gnade Gottes und den Willen der Nation" proklamiert. Gestützt auf die Armee und die Kirche, die mit der konservativen Schulgesetzgebung von 1850 ihre traditionelle Ordnungsmachtfunktion wiedererlangt hatte, errichtete Napoleon III. ein scheindemokratisches Regime. In dessen Rahmen wurden die gesetzlichen Körperschaften zwar noch immer durch allgemeine Wahlen bestimmt, sie waren jedoch von jeder wirksamen Regierungskontrolle ausgeschaltet, so daß der Kaiser eine nahezu autokratische Machtfülle in Anspruch nehmen konnte. Diese nutzte er zur polizeilichen Unterdrückung der Opposition, zur Reglementierung der Presse und zur Durchsetzung umfangreicher, der Arbeitsbeschaffung dienender Bauprogramme7 .

IV. Die französische Revolution vom Februar 1848 griff sofort auf die deutschen Staaten über. Die revolutionäre Bewegung erfaßte zunächst die Klein- und Mittelstaaten8 . Sie war, anders als in Frankreich, vor allem eine bürgerliche Revolution, in der sich die Forderungen nach liberalen Reformen mit der Frage nach der nationalen Einheit verbanden, wodurch in den Randgebieten, wie in Schleswig und in den nichtdeutsch besiedelten Gebieten Österreichs, Nationalitätenprobleme aufbrachen9 . Das Ziel, das man anstrebte, war in den deutschen Staaten bekannt. Darum liefen die 7 Heinz-Otto Sieburg: Geschichte Frankreichs. 5. Auflage. Stuttgart u.a. 1995, S. 300 ff.; Roger Pryce: 1848 - Kleine Geschichte der europäischen Revolution. Berlin 1992, S. 43 ff.; Wolfgang J. Mommsen: 1848- Die ungewollte Revolution. Frankfurt 1998, S. 104 ff.; Schieder (Anm. 5): S. 269 ff. 8 Dieter Hein: Die Revolution von 1848/49. München 1998. passim; Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49. Frankfurt/Main 1985. passim. 9 Siehe in diesem Band die entsprechenden Beiträge.

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Ereignisse ziemlich ähnlich ab. Überall rotteten sich Massen zusammen, schlugen die "Forderungen des deutschen Volkes" an Mauern und Zäune, richteten Petitionen an die Regierungen und bauten auch hier und da Barrikaden. Vom deutschen Südwesten ausgehend, wurden in den Kleinund Mittelstaaten die liberalen Forderungen fast widerstandslos erfüllt oder ihre Verwirklichung versprochen: Konstitutionelle Verfassungen, Ersetzung der Vormärz-Regierungen durch Reformministerien, Pressefreiheit, Schwurgerichte, Volksbewaffnung und schließlich die Wahl eines gesamtdeutschen Parlamentes. Als auf dem Lande Bauernunruhen ausbrachen, hoben die Regierungen die letzten Reste der Feudallasten auf. Der Bundestag erklärte die bisher verfemten Farben Schwarz-Rot-Gold zu Bundesfarben und beschloß, über eine neue Bundesverfassung zu beraten. Aber die politischen Führer hatten bereits von sich aus das Heft des Handeins und eine Bundesreform in die Hand genommen. Am 5. März 1848 kamen 51 von ihnen in Heidelberg zusammen, meist Abgeordnete der süddeutschen Landtage. Sie luden alle Mitglieder der deutschen gesetzgebenden Körperschaften und andere angesehene Männer zu einem "Vorparlament" nach Frankfurt/Main, wo sie die Wahl zu einem verfassungsgebenden deutschen Parlament vorbereiten sollten. Da brach in Wien und Berlin die Revolution aus. In Österreich10 waren die inneren Zustände seit langem reif für eine Revolution. Die Habsburger Monarchie drohte auseinanderzubrechen. Die Tschechen und die von Kossuth geführten Ungarn strebten nach Autonomie, zunächst noch im Rahmen des Gesamtstaates, die Italiener verlangten Befreiung vom Habsburger Joch. In Wien erhoben sich die Deutsch-Österreicher und forderten den Anschluß an das neu zu begründende Deutsche Reich. In Wien wurde der erste Sieg der Revolution am 13. März 1848 erfochten. Als es zu blutigen Zusammenstößen kam, wurde der Mann entlassen, der ein Menschenalter hindurch die Geschicke des Landes und darüberhinaus geleitet hatte. Die Revolution in Wien verlief in mehreren Phasen. Die 1., ganz das Werk der Bürger und Studenten, endete schon am 15. März. Sie bestand in der Entlassung Metternichs, Aufhebung der Zensur, Errichtung einer Nationalgarde und dem Versprechen einer Verfassung. Schwarz-Rot-Gold wurden als Farben anerkannt, Wahlen zu einem deutschen Parlament zugestanden. Gleichzeitig erhielt Ungarn eine selbständige Regierung. Die 2. Phase dauerte vom 25. April - 16 Mai. Am 25. April wurde die versprochene Verfassung veröffentlicht. Sie wurde ablehnend beurteilt, ein 10 Dieter Langewiesche: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849. München 1985, S. 79 ff., 98 ff.; Schieder (Anm. 5), S. 493 ff.

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revolutionäres Zentralkomitee bildete sich, das die Regierung anerkennen mußte. Die Regierung mußte auch die vorgelegte Verfassung zurückziehen und eine verfassungsgebende Reichsversammlung versprechen. In der 2. Phase traten die Arbeiter verstärkt hervor. Am 17. Mai floh der Kaiser nach Innsbruck. Dadurch wurde die Revolution gespalten, da die Wiener kaisertreu waren. Es begann die 3. Phase: der Hof in Innsbruck, die Regierung (anfangs noch Pillersdorf, dann Doblhoff) in Wien. Am 22. Juli trat der aus indirekten Wahlen hervorgegangene Reichstag zusammen, am 12. August kehrte der Hof zurück. Die 4. Phase dauerte bis zur zweiten Flucht des Kaisersam 6. Oktober, die 5. und letzte bis zur Einnahme Wiens. Der Reichstag beschloß die volle Befreiung der Bauern. Die Monate August und September waren voller Spannung mit zeitweiligen Arbeiterunruhen. Die Verbindung der Wiener Revolutionäre mit ungarischen Abgesandten führte am 6. Oktober zur Meuterei der gegen Ungarn bestimmten Thuppen und Ermordung des Kriegsministers Latour. Da beschloß die Regierung die gewaltsame Unterdrückung der Revolution. Das alte System war wie ein Kartenhaus zusammengebrochen, und niemand konnte ahnen, wie schnell die absolutistischen Gewalten wieder erstarken sollten. Auch Preußen 11 befand sich bei Ausbruch der Februar-Revolution in einer Krise. Zwar hatte Friedrich Wilhelm IV. 1847 den "Vereinigten Landtag" berufen, weil er Geld für den Bau der Ostbahn brauchte, doch das war für ihn ein einmaliger "Gnadenakt". Erst als es Anfang März zu Unruhen kam, bewilligte er die lange verweigerte Periodizität. Damit war die öffentliche Meinung jetzt nicht mehr zufrieden. Sie forderte jetzt eine konstitutionelle Verfassung mit gewählter Vertretung des ganzen preußischen Volkes. Am 18. März hob Friedrich Wilhelm IV. die Pressezensur auf und verhieß die baldige Einführung einer Verfassung. Aus einem Zwischenfall bei einer Dankeskundgebung vor dem Schloß entstanden blutige Straßenkämpfe mit den Thuppen, die auf Befehl des Königs schließlich abzogen. Am 22. März 1848 wurde das liberale Kabinett Camphausen berufen. Noch im Mai konstituierte sich eine verfassungsgebende Versammlung. Doch bereits im Frühsommer vereinigte das "Junkerparlament" die schärfsten Gegner der revolutionären Bewegung und vermochte sich schließlich mit Hilfe der Armee durchzusetzen. Die Ereignisse in den beiden größten deutschen Staaten hatten ihre Auswirkungen auf die Frankfurter Nationalversammlung, die in ihrem Verfassungswerk scheiterte, da Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die ihm angetragene Kaiserwürde nicht annahm. Die Ablehnung der Verfassung durch die beiden deutschen Großmächte und die größten Mittelmächte 11 Mommsen

2*

(Anm. 7}, S. 127 ff., Schieder (Anm 5}, S. 482; Hein (Anm. 8}, passim.

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trug ebenso zum Niedergang der Nationalversammlung wie das Erstarken antirevolutionärer Kräfte bei.

V. Daß an dem von Parteiverschwörungen durchwühlten und von Bürgerkriegen zerrütteten Königreich Spanien12 die Februar-Revolution nicht spurlos vorübergehen würde, war vorauszusehen. Am 1. März teilte Ministerpräsident Narvaez der Cortes den Sturz von Louis Philippe und die Errichtung der Republik mit und verband damit die Forderung, ihm durch zeitweilige Aufhebung der Artikel 7 und 8 der Verfassung eine Art Diktatur zu übertragen. Außerdem sollte die Summe von 200 Millionen Realen beschafft und nach Ermessen der Regierung zur Aufrechterhaltung der Ruhe verwendet werden. Die Kammer der Deputierten und der Senat bewilligten die Mittel und wurden daraufhin von Narvaez vertagt. Die Oppositionspartei der Progressisten beschloß über diese Maßnahmen, nachdem durch Petitionen und Zeitungsartikel nichts erreicht wurde, zu den Waffen zu greifen. Am 26. März 1848 kam es in Madrid zu Scharmützeln mit der Polizei. Die Aufständischen wurden noch in der derselben Nacht besiegt und entwaffnet, teils vors Kriegsgericht gebracht, teils in Gefängnisse gebracht, teils verbannt. Zu Todesurteilen kam es nicht. Die Niederwerfung des Aufstandes war so rasch gelungen, daß die Provinzen keine Zeit hatten, sich demselben anzuschließen. In dem durch Bürgerkriege verheerten Königreich Portugal war das einzige wesentliche Ereignis dieser Zeit ein am 29. März 1848 vollzogener KabinettswechseL In Konstantinopel13 trafen am 14. März 1848 Depeschen des türkischen Botschafters in Paris und französische Zeitungen ein, welche die Nachricht von den Februar-Vorgängen brachten. Die Wirkung, die die Nachricht von den Ereignissen in Paris in der Türkei hervorbrachte, war eine andere, als man hätte erwarten können. Großwesir Reschid-Pascha, der an der Spitze einer Reformbewegung stand, verlangte am 27. April vom Sultan Abdul-Meschid die Entlassung des Anführers der alttürkischen Anhänger, Großadmiral Said Pascha. Doch der Sultan härte mehr auf die Schilderung Said Paschas, nach denen die revolutionären und fürstenfeindlichen Gesinnungen des Abendlandes einen Abscheu vor dem weiteren Eindringen in die Türkei hervorrufen müßte, und entließ ReschidPascha. Ende Juni gewann dieser allerdings wieder das Vertrauen des 12 Schieder

13 Schieder

(Anm. 5), S. 912 f. (Anm. 5), S. 987 ff.

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Sultans und trat als Minister ohne Geschäftsbereich wieder in das Kabinett ein. Sein Widersacher Said Pascha wurde bereits am 12. Mai gestürzt. In Griechenland14 verbreitete sich Mitte März die Nachricht von der Februar-Revolution, rief aber, obwohl das Lande nicht minder wie Spanien von Bürgerkriegen zerrüttet war, keinen größeren Aufstand hervor. Das bisherige Kabinett trat am 20. März zurück. Eine allgemeine Amnestie, welche bald darauf für die aufständischen Generale Grivas und Grisiotis erlassen wurde, hatte den einzigen Erfolg, daß der bereits bestehende Bandenkrieg neuen Aufschwung erhielt. Nach Mühen gelang es der Regierung, die zahlreichen bewaffneten Banden teils zu zersprengen, teils an die Grenzen zu drängen. Auch in Rußland15 rief die Revolution einen Widerhall hervor. Die Ereignisse im Westen mögen bei einzelnen Sympathien hervorgerufen haben. Wie aber Zar Nikolaus selbst die Lage einschätzte, zeigte ein am 14./26. März 1848 erlassener Ukas, in welchem die Ausbreitung der Revolution mitgeteilt und verdammt und der feste Wille des Zaren ausgesprochen wurde, die Bewegung von den Grenzen Rußlands fernzuhalten. Am 25. Februar 1848 war die Kunde von der Februar-Revolution über den Kanal nach England 16 gekommen. Der Regierung schien das Ereignis nicht ungelegen zu kommen, war sie doch in den vergangenen Jahren oft genug mit der französischen Politik in Konflikt geraten. Am 28. Februar 1848 erklärte Lord Russell im Unterhaus, England werde sich in keiner Weise in die inneren Angelegenheiten Frankreichs einmischen. Bereis am 2. März anerkannte England die französische Republik. Louis Philippe erhielt Asyl im Lande. Der gewaltige Sturm, der den Kontinent erschüttern konnte, vermochte in England nichts auszurichten. In England selbst waren es die Chartisten, in Irland die Nationalpartei, die gemäßigten Anhänger des "alten" und die Radikalen des "jungen" Irlands, welche die Zeit zur Erreichung ihrer Wünsche für gekommen hielten. Dennoch führten die Verhältnisse in England nicht zu einer Revolution. "Vielmehr sorgten dort bemerkenswerterweise eine Reihe von begrenzten Konzessionen, besonders das Reformgesetz von 1832 und die Rücknahme der Korngesetze von 1846, zusammen mit der von den Chartisten verbreiteten Angst vor Aufruhr und Revolution dafür, daß radikale Politik beim Bürgertum immer weniger Anklang fand" 17 . 14 Langewiesche (Anm. 10), S. 71. 15 Schieder (Anm. 5), S. 616 ff. 16 Schieder (Anm. 5), S. 319 ff; Pryce (Anm. 7), S. 40 ff, 50 ff. 17pryce (Anm. 7), S. 40.

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Heiner Timmermann

In der belgiseben Hauptstadt Brüssel18 hatten sich am Abend des 25. Februar große Menschenmassen versammelt, um auf die neuesten Nachrichten aus Paris zu warten. König Leopold und sein Ministerium Rogier verstanden es, durch Mäßigung und Klugheit die Gefahren zu bannen, die insbesondere durch eine Mißernte und den Parteihader zwischen Liberalen und Klerikalen erwuchsen. Am 26. Februar erklärte Leopold seinem Ministerrat, er sei bereit, auf die Krone zu verzichten, falls seine Person ein Hindernis für das Glück und die Ruhe des Landes sei. Der Ministerrat erklärte einstimmig, daß der Wunsch nach einer Republik nicht bestehe. Ein Grund für eine durchgreifende Änderung der Verfassung sei auch nicht gegeben. Wenig später wurde der Wahlzensus herabgesetzt, der Zeitungsstempel aufgehoben und die Nichtwählbarkeit von Beamten zu Parlamentsmitgliedern beschlossen. Das Revolutionsjahr 1848 brachte politisches Neuland in die Niederlande19. Der König wandelte sich unter dem Eindruck der aus Deutschland kommenden Nachrichten vom Konservativen zum Liberalen. Es kam zur Durchführung der klassischen Grundsätze der konstitutionell beschränkten Monarchie. Das stark Persönliche, das bis dahin das königliche Regiment trug, wurde zurückgedrängt, und die Kompetenz der Generalstaaten erweitert. Auch fanden die bürgerlichen Freiheiten ihre Garantie in der Verfassung. Die Ereignisse und Folgen in Polen, Slowakei, Dänemark, Schweden, Ungarn, Rumänien werden in nachstehenden Beiträgen speziell behandelt20. VI. Noch nie hatte ein Ereignis so viele europäische Staaten und Nationen so gleichmäßig und überraschend schnell erschüttert als jener Frühlingssturm, der von den Pariser Barrikaden aus fast den ganzen Kontinent durchzog, vielerorts die Schranken der alten Ordnung niederwerfend. "Dieses Jahr 1848 hinterließ bei den Überlebenden den Eindruck der Trunkenheit, des Traumhaften, des jugendichen Wahnsinns und zugleich der allmählichen Ernüchterung, der Rückkehr zur Wirklichkeit und allgemeinen Desillusion.... Aber wie groß auchalldie Unzulänglichkeiten, Schwächen, Irrtümer gewesen sein mochten, - die Menschheit durchlebte damals dennoch einen jener seltenen Momente, in denen alle von freudi18 Schieder

(Anm. 5), S. 951 ff. (Anm. 5), S. 958 ff. 20 Siehe die entsprechenden Beiträge in diesem Band. 19 Schieder

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gern Vertrauen auf sich selbst getragen und mit Hoffnung für die eigene Zukunft erfüllt sind, ... Und die Feinde selbst, die verhaßten Monarchen, die verachteten Despoten und verabscheuten Tyrannen, schienen nicht mehr die gleichen zu sein, sei es, daß sie selbst wirklich mitgerissen waren, oder sei es, daß sie sich aus Berechnung und aus einem Instinkte der Verteidigung heraus so gaben, oder daß sie selbst nicht wußten, welchem dieser beiden Motive sie gehorchten" 21 . Von einem Scheitern der Revolution von 1848 kann aus historischer Perspektive nicht gesprochen werden. Zwar haben die Ereignisse nicht immer zu den gewünschten Zielen der einen oder anderen Seite geführt, für die Entwicklung der politischen Ideen, des Konstitutionalismus in Europa war 1848 Markstein und Übergang zugleich.

Literatur B ergeron, Luois/ Furest, Francois/ Koselleck, Reinhard (Hg.): Das Zeitalter der europäischen Revolution 1780-1848. Frankfurt/Main (1969) 1987. Dowe, Dieter/ Haupt, Heinz-Gerhard/ Langewiesche, Dieter (Hg.): Europa 1848. Revolution und Reform. Bonn 1998. Hein, Dieter: Die Revolution von 1848/49. München 1998. Langewiesche, Dieter: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815- 1849. München 1985. Mommsen, Wolfgang J.: 1848- Die ungewollte Revolution. Frankfurt 1998. Price, Roger: Kleine Geschichte der europäischen Revolution. Berlin 1992. Schieder, Theodor (Hg.): Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 5: Europa von der Französischen Revolution zu den nationalstaatliehen Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Stuttgard 1981.

21 Croce

(Anm. 6), S. 148 f.

Die Europäische Revolution von 1848/49 in der neueren Forschung Von Helmut Reinalter Zum 150. Jahrestag der Europäischen Revolution von 1848/49 sind zwar einige neuere Arbeiten erschienen, die jedoch das Gesamtbild der Revolution kaum wesentlich verändern. Die Revolutionen im 19. Jahrhundert haben sich an der großen Französischen Revolution von 1789 orientiert. Die Revolutionsvorstellungen waren aber alles eher als einheitlich, so daß es stets mehrere konkurrierende Revolutionsbilder gab. Unter der Perspektive ihrer Zielsetzung scheiterte zwar die Revolution 1848/49 teilweise, trotzdem war sie für die weitere Entwicklung in Europa von Bedeutung. 1848 waren mehr Staaten auf dem europäischen Kontinent von der Revolution betroffen als zuvor. Das Revolutionsgebiet erstreckte sich von Frankreich über den mitteleuropäischen Raum des Deutschen Bundes und der Habsburgermonarchie bis zu deren· südosteuropäischen Territorien und den osmanischen Donaufürstentümern Moldau und Walachei, und von Dänemark bis Italien. Die neuere Forschung meint, daß Revolution, Revolutionsabwehr und Gegenrevolution 1848 Europa zu einer Einheit verbanden. "In der Revolution und durch sie wuchs der Kontinent zu einem Kommunikations- und Handlungsraum zusammen und erreichte eine neue, zuvor nicht gekannte Informationsdichte- geographisch, sozial und auch über die Politikgrenze hinweg, welche traditionell die Frauenräume von der Männeröffentlichkeit trennte" (Heinz-Gerhard Haupt/ Dieter Langewiesche). Zu den zentralen Forderungen der Revolutionsbewegungen zählten die Parlamentarisierung und Demokratisierung der staatlichen Herrschaftsordnung. Darin stimmten viele Revolutionäre überein. Über die Tiefe der Reformen kam es jedoch zu einer erbitterten Grundsatzdebatte zwischen Liberalen und Demokraten. In der Diskussion um die Staatsform spitzte sich dieser Gegensatz weiter zu und kulminierte in der Forderung: Republik oder parlamentarische Monarchie? In dem folgenden Forschungsüberblick sollen die Tendenzen und Perspektiven der neueren Arbeiten in drei Schwerpunkten aufgezeigt werden:

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Helmut Reinalter

I.

Einheit oder Vielfalt der Revolutionsbewegungen in Europa,

II. Ursachen der Revolutionen, III. Gründe und Folgen des (teilweise) Scheiterns der Revolution. I. Einheit oder Vielfalt der Revolutionsbewegungen in Europa?

Für die verschiedenen Revolutionsbewegungen von 1848 gibt es neben einer nicht mehr überschaubaren Fülle von Untersuchungen zu speziellen Themen und mehreren nationalhistorischen Synthesen auch einige neuere europäische Gesamtdarstellungen. Die gesamteuropäischen Verklammerungen und Querverbindungen der revolutionären Prozesse waren nicht nur den meisten Zeitgenossen der Revolutionen klar, sondern auch vielen Historikern. So argumentiert z.B. Eric J. Hobsbawm, daß "die Revolution von 1848 die einzige" war, "die sowohl entwickelte als auch rückständige Regionen ergriff." Es überrascht allerdings, wenn trotz dieser Akzeptanz des europäischen Charakters der Revolution in den meisten Gesamtdarstellungen die nationalen Revolutionsbewegungen relativ isoliert untersucht werden. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß Europa in der Idee der Revolution nicht nur seine Einheit offenbarte, sondern im Verlaufsprozeß auch seine Vielfalt. Dazu kommt noch, daß die revolutionären Zonen gesellschaftlich und politisch so uneinheitlich waren, daß jede Revolution ihre eigene Darstellung erfordern würde. Neben der Vielfalt existierten allerdings auch bedeutsame Verbindungslinien zwischen den Revolutionen in Europa. Wie diese Gemeinsamkeiten aussahen, wird in der Historiographie allerdings sehr unterschiedlich bewertet und beurteilt. Während einige Forscher in allen Revolutionen vergleichbare soziale und geistige Kräfte sehen, insbesondere auch die Spannungen und ideologischen Gegensätze zwischen den revolutionären Gruppen, heben andere stärker die unterschiedlichen Ursachen und Formen der Revolutionen hervor. Als gemeinsames Element wird u.a. der "allgemeine Erregungszustand" gewertet, der sich auf soziale, politische, nationale und gleichzeitig auch kosmopolitische Motive zurückführen lasse. So urteilt Hobsbawm, wenn er für die europäischen Revolutionen "eine gemeinsame Stimmungs- und Stillage" konstatiert, die er als "eine eigenartige romantisch-utopische Atmosphäre und eine ebensolche Ausdrucksgebärde" bestimmt. Die frühere DDR-Geschichtswissenschaft unterstellte die unterschiedlichen Voraussetzungen, Handlungsbedingungen und Verlaufsformen der

Die Europäische Revolution von 1848/49 in der neueren Forschung

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europäischen Revolutionen einem übergreifenden Entwicklungsprozeß, wobei als einheitstiftende Ebenen genannt wurden: die gemeinsamen Ursachen, die "gesamteuropäische Dimension der revolutionären Schauplätze" und die gegenseitigen Abhängigkeiten der "nationalen Revolutionen im europäischen Gesamtzyklus", der "vorwiegend bürgerlich-demokratische Charakter in Zielsetzung und Triebkräften" und die "europäische Reichweite der Konterrevolution als Ausdruck der allgemeinen Systemkrise" (Manfred Kossok). Die marxistische Revolutionstypologie ordnete die Ereignisse von 1848 einem Entwicklungsmodell ein, das an "objektiv" vorgegebene "historische Aufgaben" anknüpfte und die Handlungen der beteiligten Persönlichkeiten danach beurteilte, wie sie diese geforderten Aufgaben erfüllten. Auf diese Weise wurde der Revolutionsdeutung eine Perspektive gegeben, die im Rahmen dieses historischen Entwicklungsmodells nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Mit diesem Problem sind allerdings auch nicht-marxistische Interpretationen befaßt, die z.B. die Revolutionen von 1848 als gescheitertes Vorspiel zur Gründung des deutschen und des italienischen Nationalstaates sehen. II. Die Ursachen der Revolutionen

In der Revolution von 1848/49 kamen soziale und politische Spannungen, die sich schon vorher abzuzeichnen begannen, in einer einzigartigen Konstellation zum Ausdruck. Allerdings war, wie neuere Forschungen nachweisen konnten, keine Form des Protestes wirklich neu. Es gab die gewaltfreien Formen des Interessenvertretung, wie das Forum der Ständekammern, die begleitenden Wahlkampagnen, die bürgerliche vorpolitische Vereinsbildung und die Presse im Rahmen des von der Zensur geduldeten Freiheitsspielraumes. Im Raum des Ungesetzlichen bewegte sich der sozial motivierte gewaltsame Kollektivprotest. Das Bürgertum bevorzugte in der Regel die gewaltfreien Formen der Interessenvertretung, die radikalen Demokraten bekannten sich zum sozialen Protest und zu den Volksunruhen, in denen kollektive Gewalt zur Geltung kam. Die Bundesgesetzgebung engte den Spielraum freier Presse und Vereinsbildung ein, und das System staatlicher Repression verschärfte sich dort, wo sich eine autonome politische öffentlichkeit als Opposition herausbildete. Dabei bediente sie sich sämtlicher legislativen, administrativen und polizeilichen Mittel. In diesem Zusammenhang sind die Bundesbeschlüsse von Karlsbad (1819) und deren Verschärfungen nach der Julirevolution 1830 zu nennen, die die Presse knebelten und politische Vereinsbildung uneingeschränkt verboten. Die Hauptprobleme der politischen und sozialen Forderungen vor der Revolution 1848/49 bestanden darin, daß die bürgerlichen Postulate nach

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politischer Partizipation in den Staaten der monarchisch-legistischen Restauration unerfüllt blieben, daß die Bestrebungen nach nationaler Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zunahmen, daß sich die Krise vorindustrieller, handwerklicher Berufe verschärfte und Mißernten, Hunger- und Teuerungskrisen der Jahre 1845, 1846 und 1847 die soziale Situation verschlechterten. Die Demokratisierungstendenzen, die Nationalisierung und der sozial-ökonomische Konfliktstau manifestierten sich in parallelen Verlaufskurven: ein beinahe übereinstimmender Beginn, ein kurzer Höhepunkt und schließlich der Rückschlag im Sommer und Herbst 1848, dem der Niedergang in der ersten Hälfte 1849 folgte (Wolfram Siemann). Den sozial- und politikwissenschaftlichen Revolutionstheorien ist eine Klärung der Frage, wann und warum Revolutionen ausbrechen, bisher nicht überzeugend gelungen. Dies trifft auch auf die Geschichtswissenschaft zu, die keine Übereinkunft über die vielfältigen Ursachen der europäischen Revolutionen erzielt hat. Die Verschwörungstheorien, die von Gegnern der Revolution entwickelt und vertreten wurden, gelten heute zwar in der neueren Forschung als problematische Erklärungsversuche, sagen aber andererseits relativ viel über die Zeitstimmung aus. Wenn man in der neueren Forschung die übereinstimmenden Aussagen über die Ursachen der Revolution von 1848 prüft, so muß hier v.a. der weitgehende Verzicht auf monokausale Erklärungen hervorgehoben werden. In den neueren Untersuchungen nehmen die sozialen und ökonomischen Probleme im Ursachenbündel einen hohen Stellenwert ein. Sie werden aber heute durch die starke Betonung politischer Faktoren ergänzt. Besonders stark sind die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen in der Arbeit von Wolfgang Häusler akzentuiert, der die Ursachen der Revolution im wesentlichen im "doppelten Druck eines überlebten feudalen Herrschaftssystems" und des harten "frühen Kapitalismus" erblickt, der die unterdrückte Masse schwer belastete. Der Versuch, Revolutionen aus der Gesellschaftsstruktur abzuleiten, ist nicht neu. Schon Friedrich Engels hat in seinem 1845 erschienen Werk "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" diesen Weg gewählt. Warum in England, aber auch im bereits stark industrialisierten Belgien die von Engels für unmöglich gehaltene "friedliche Lösung" Realität wurde, zählt seit 1848 zu den wichtigen Fragen, die sich bei der Suche nach ökonomischen Ursachen der Revolutionen stets stellen. Industriell bedingte Klassengegensätze sind offenbar nicht in der Lage, die Revolutionen von 1848 allein zu erklären. Hobsbawm bezeichnet den Hunger als den "Dynamo der Manifestationen, die in Revolutionen umschlugen." Diese Feststellung überrascht insofern, als Hobsbawm als bedeutsamer Vertreter der Protestforschung gilt, die recht überzeugend aufzeigen konnte, wie zahlreich und intensiv die verschiedenen Protestwellen vor der Revolution

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waren. Diese vielfach durch Versorgungskrisen ausgelösten Bewegungen sind jedoch nicht in Revolutionen übergegangen. Durch die Forschungen von Ernest Labrousse wissen wir, daß die Agrarkrise von 1847 keine revolutionäre Situation geschaffen hat und daß sich die wirtschaftlichen Probleme nach dem Ausbruch der Revolution gegen die Revolutionsregierungen richteten. Jürgen Bergmann bestätigt diese Ansicht in seiner Studie über die wirtschaftlichen Krisen in Deutschland zwischen 1845 und 1848, indem er betont, daß die Forschung von "keiner einfachen und automatischen Beziehung zwischen ökonomischen Prozessen und den Motiven und Aktivitäten sozialer Gruppen vor und während der Revolution" ausgehen dürfe. Die Verbindung von einer besonderen Verelendung und Notlage zu einer revolutionären Haltung hält er für verfehlt. Viele Autoren neuerer Arbeiten lehnen solche "einfachen" Erklärungen ab und befassen sich stärker mit der Diagnose einer "gesamtgesellschaftl_ichen Krise". Die Krisenfaktoren werden allerdings sehr unterschiedlich bewertet und gewichtet, und es wurde auch keine Einigkeit darüber erzielt, ob die Revolutionen 1848 unvermeidbar gewesen sind. Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft ordnete die Revolutionen von 1848 in die gesetzmäßige Abfolge aufsteigender Gesellschaftsformationen (Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus) ein, während ein Teil der nicht-marxistischen Historiker meint, daß sie vielleicht vermeidbar gewesen wäre. W. L. Langer unternahm den Versuch, dies durch einen Vergleich der Anfangsphase des Revolutionsprozesses in Paris, Wien und Berlin mit dem Verlauf der Chartistendemonstration im April 1848 zu beweisen: der Einsatz einer effizienten Polizei durch eine Regierung, die von der Mehrheit der Bürger akzeptiert wurde, hat 1848 in London eine Revolution nach kontinentalem Muster verhindert. Langer hebt hier einen wesentlichen Ursachenfaktor der Revolutionen von 1848 hervor, nämlich "den Verlust an Vertrauen im Bürgertum und den Verfall politischer Führungsfähigkeiten auf Seiten inflexibler kontinentaler Regierungen, die evolutionären Wandel blockierten und damit den revolutionären Durchbruch dieser Reformblockade provozierten" (Dieter Langewiesche). Diese Argumentation erklärt allerdings nicht, warum sich die Bevölkerung in einigen Staaten Europas mit reformunwilligen Regierungen oder mit schnell gewährten Zugeständnissen zufrieden gab, während in anderen Staaten trotz Reformen der politische Machtverfall noch beschleunigt wurde. Als einen weiteren Hauptgrund für die Entstehung von revolutionären Situationen und der Revolution von 1848 erwähnen viele Historiker die nationalen Bewegungen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt die staatliche Ordnung in Mittel-, Süd- und Südosteuropa

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bedrohten. 1848/49 zählte die Schaffung neuer Nationalstaaten zu den großen Zielen der Revolution, die sogar- wie in Italien und Ungarn- den Charakter von Befreiungskriegen annahmen. Frankreich war allerdings bereits 1848 ein gefestigter Nationalstaat. In diesem Zusammenhang muß auch gesehen werden, daß der Nationalismus nicht nur eine wichtige Voraussetzung und eine Triebkraft der Revolution war, sondern auch eine der Ursachen ihres teilweisen Scheiterns. Einige Forscher haben aus diesen Schwierigkeiten, eine gesamteuropäische Erklärung für die Revolution 1848/49 zu finden, eine nicht unproblematische Schlußfolgerung gezogen, indem sie die Komplexität von 1848 als das "eigentliche Signum der Revolutionen" bezeichneten. Andere Historiker sehen in dem "subjektiven Faktor" die Möglichkeit, die doch weitgehend unbefriedigenden Teilerklärungen zu einem geschlossenen Ursachengeflecht zusammenzuführen. Sie argumentieren damit, daß eigentlich erst das Bewußtwerden der "objektiven Widersprüche in den staatlichen und gesellschaftlichen Systemen" die revolutionäre Situation hergestellt habe und nicht die Widersprüche an sich. Hier wird die Analyse der Revolution und ihrer Ursachen zu einem "Studium sozialer Psychologien" (Ernest Labrousse), bei dem wirtschaftliche und politische, aber auch emotionale, moralische, kulturelle und nationale Faktoren eine wesentliche Rolle spielen. Die neuere Forschung hat überzeugend aufgezeigt, daß trotz dieser Vielfalt möglicher Voraussetzungen und Ursachen und uneinheitlicher Wahrnehmungsformen der Hinweis auf die Singularität der Revolutionen 1848/49 keinen Rückzug auf eine enge nationalgeschichtliche Perspektive zur Folge haben muß. Auch nationalhistorische Untersuchungen können auf den europäischen Vergleich nicht verzichten. Es geht letztlich in der Revolutionsforschung darum, einerseits die nationale Besonderheiten der Ursachen, Prozesse und Folgen herauszuarbeiten und gleichzeitig auch die übernationalen Gemeinsamkeiten zu erfassen. 111. Gründe und Folgen des (teilweisen) Scheiterns der Revolution In der Frage, ob die Revolution 1848/49 gescheitert ist oder nicht, zeigen sich die unterschiedlichsten und gegensätzlichsten Interpretationen der revolutionären Bewegungen. Die Schwierigkeiten einer angemessenen Einschätzung erschweren sich noch dadurch, daß sich die Revolutionsdeutungen seit 1848/49 selber sehr stark gewandelt haben, wie historiographische Untersuchungen verdeutlichen. Die Ursachen

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des teilweisen Scheiterns der Revolution zu untersuchen, bedeutet vor allem, auch die Politik der revolutionären Trägergruppen in den Blick zu nehmen. Die gängige Charakterisierung der 48er Revolution als "bürgerliche Revolution" hebt besonders die zentrale Rolle des liberalen und demokratischen Bürgertums im Revolutionsprozeß hervor. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, daß in Italien, Ungarn und Polen auch der liberale Adel eine wichtige Rolle spielte. Die neuere Forschung hat sich weitgehend darauf geeinigt, daß die liberalen Führungskräfte in den revolutionären Bewegungen keine politisch-soziale Totalumwälzung ins Auge faßten, sondern stärker Reformen anstrebten. Umstritten ist hingegen die Frage nach der Politik der liberalen "Revolutionäre". Eine andere Position bezog zu diesem Fragenkomplex die marxistischleninistische Geschichtsschreibung, die das Versagen der Bourgeoisie vor ihrer "historischen Führungsaufgabe" in der bürgerlichen Revolution besonders akzentuierte. Gestützt auf Marx, Engels und Lenin sprach man vom sogenannten "Verrat" der Bourgeoisie. Andererseits haben die marxistischen Historiker/innen der Bourgeoisie zumindest einen begrenzten Willen "zur Gestaltung der neuen Gesellschaft nach ihrem Bild und Ebenbild" zugesprochen. Da aber die Bourgeoisie ihre wichtige Aufgabe als "Hegemon der Revolution" nicht wahrnahm und das Kleinbürgertum dazu nicht fähig bzw. die Arbeiterklasse noch nicht dazu in der Lage waren, konnten "junkerliche" bzw. "adelige" Großgrundbesitzer die Führung übernehmen {Manfred Kossok und Walter Schmidt). Die nicht-marxistische Historiographie beurteilt diese Fragen zwar anders, aber nicht einheitlich. Sie deutet die Politik der europäischen Liberalen, die die Schaffung nationaler Verfassungsstaaten in Form von parlamentarischen Monarchien oder als Republik {Frankreich) ins Auge faßten, als Fortführung der bereits vor der Revolution vorhandenen reformerischen Einstellung der Liberalen. Ihre auf Revolutionsbegrenzung angelegte Politik, die auch die Abgrenzung nach links und eine gewisse Offenheit nach rechts umfaßte, wurde von der neueren Forschung als eine der Ursachen für das angebliche Scheitern der Revolution erwähnt. In diesem Zusammenhang wurde die wichtige Frage gestellt, ob es überhaupt eine realistische Alternative gab. In der Beantwortung dieser Frage, die sehr unterschiedlich erfolgte, wurde deutlich, daß mit den Begriffen des "Versagens" oder des "Verrats" des liberalen Bürgertums die Fülle der Probleme nur ungenügend erfaßt werden kann. Zu dieser Komplexität zählt z. B. die schwierige Doppelaufgabe, National- und Verfassungsstaat, Einheit und Freiheit parallel herstellen zu müssen, ein Problem, das bereits die Zeitgenossen der Revolution

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für unlösbar erklärt haben. Die Historiographie betonte, daß damit die liberalen Führungskräfte in Mittel-, Süd- und Südosteuropa überfordert waren, da die rivalisierenden Nationalismen die Realisierung der nationalen Revolutionen schwächten. Es ist daher kein Zufall, daß einige Forscher in der Kulmination der nationalen Rivalitäten die Hauptursache für das Scheitern der europäischen Revolutionen sahen. Obwohl man die Wirkungen der miteinander konkurrierenden Nationalismen 1848/49 für nicht ganz eindeutig hält, steht doch weitgehend außer Diskussion, daß sie im Deutschen Bund, in Italien und im habsburgischen Vielvölkerstaat zum teilweisen Scheitern der Revolutionen geführt haben. In Deutschland kam noch speziell der Versuch einer nationalen Einigung hinzu, der mit dem Problem der internationalen Machtbalance im Zentrum Europas belastet war. Ein deutscher Nationalstaat 1848/49 wäre wahrscheinlich von den europäischen Großmächten, insbesondere von Rußland, wohl nicht ohne militärische Gegenwehr akzeptiert worden. Die Forschung ist sich in dieser wichtigen Frage nicht einig. Sehr kontrovers wird in der neueren Forschung auch das Verhalten der Liberalen zu den großen sozialen Problemen der Zeit diskutiert. Mit diesem Problem ist die Frage verknüpft, inwieweit die national-liberalen Revolutionen 1848/49 auch als soziale Revolutionen eingestuft werden können. In der marxistischen Forschung haben die sozialen Bewegungen einen großen Stellenwert, weshalb sie für Frankreich und Deutschland von Klassenkämpfen spricht, die zu einer Verschärfung der Klassengegensätze und zur Entwicklung eines Klassenbewußtseins führten. Sie hat daher auch den Gegensatz zwischen der liberalen Position und den radikaldemokratischen Ansätzen in der Revolution besonders stark herausgearbeitet. Die Intensivierung der internationalen Revolutionsforschung hat in den letzten Jahrzehnten wesentlich dazu beigetragen, daß wir heute für die Einschätzung der Revolution 1848/49 erklärungskräftigere Deutungsmuster haben, in denen vor allem der komplexe Charakter der Revolutionsprozesse hervortritt. In den neuen Gesamtdarstellungen stehen nicht mehr einzelne Ereignisstränge (z. B. der nationale oder sozialökonomische) als Hauptkennzeichen im Vordergrund, sondern die Komplexität innerhalb der einzelnen nationalen Revolutionen. Diese Betrachtungsweise ist die beste Grundlage für einen noch zu schreibenden europäischen Vergleich, der in erster Linie die Problemlagen in den europäischen Revolutionen zu berücksichtigen hätte. Zweifelsohne haben auch die unterschiedlichen Ziele und Handlungsfarmen der bürgerlichen und adeligen Führungsgruppen und der Unterschichten, die die physische Revolution gemacht hatten, zum

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teilweisen Scheitern der Revolution beigetragen, weil es zu keiner bürgerlich-unterbürgerlichen Allianz kam. Die unterbürgerlich dominierten Revolutionskämpfe bewegten sich, wie Maurice Agulhon und Charles Tilly gezeigt haben, im Rahmen eines traditionellen kollektiven Protestes, der sich mit den Vorstellungen des liberalen und demokratischen Bürgertums nicht mehr deckte. Ähnliches muß auch über die agrarischen Revolten gesagt werden, die mit dem Leitbild der liberalen und demokratischen Führungsschichten nicht übereinstimmten. Die agrarischen Revolten, bis heute noch unzureichend erforscht, bewegten sich im Raum lokaler Lebenswelten, während das liberale und demokratische Bürgertum eine nationale Staatsbürgergesellschaft, individuelle Freiheits- und Besitzrechte, parlamentarische Konfliktregulierung und den Ausbau nationaler Wirtschaftsräume anstrebte. Diese hier angesprochenen Gegensätze lassen sich nicht mit der Bezeichnung "Meinungsunterschiede" angemessen erklären, sondern manifestieren das tiefe Unverständnis zwischen den Liberalen, demokratischen Führungsgruppen und den "Revolutionären der Straße" und zeigen gleichzeitig die Probleme von Gesellschaften, die neue politisch-gesellschaftliche Leitbilder auf dem Weg in die Moderne ins Auge faßten. Nicht wenige Forscher vertreten daher die Auffassung, daß mit dieser Aufgabe in der Revolution 1848/49 alle Gruppierungen überfordert waren. "Die Revolutionen scheiterten, aber sie hatten Folgen" (Dieter Langewiesche). Diese Feststellung ist in der Forschung nicht ganz unumstritten, weil sie z.B. in der Überwindung des Feudalismus (z. B. Bauernbefreiung) und in der Verfassungsbewegung Erfolge hatte. Sehr schwierig ist in diesem Zusammenhang die Frage nach den konkreten Folgen für die ökonomische Entwicklung. Einige Forscher sehen im bürgerlichen Kapitalismus den "großen Sieger" der Revolution von 1848/49, in den wirtschaftshistorischen Trendanalysen wird allerdings die Revolution nicht oder nur am Rande erwähnt. Ch. Moraze spricht vom "ersten großen Sieg des Kapitalismus" und begründet diese Feststellung damit, daß der Agrarkapitalismus durch den Abschluß der Bauernbefreiung durchgesetzt wurde, die "sozialistische Hypothek" durch die Niederlage der französischen Sozialisten und durch das Ende der "englischen Arbeiterbewegung" beseitigt und damit das "bürgerlich-kapitalistische Recht" etabliert wurde. Diese Überlegungen beziehen sich weniger auf direkte wirtschaftliche Wirkungen, sondern verweisen stärker auf ein neues politisch-gesellschaftliches Klima. Die Revolutionen sind schließlich auch als letzte "Schlacht gegen die Industrialisierung" interpretiert worden. Die Forschung geht heute davon aus, daß sie den Weg in die industriestaatliche Moderne ebnete, wenngleich große Teile der revolutionären Bewegungen andere Absichten verfolgten. Die Revolution brachte auch eine "realistische Mentalität" hervor, die 3 limmermann

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sich nicht mehr gegen die Entwicklung der Industriegesellschaft richtete, sondern nach neuen Zukunftsorientierungen suchte. Große Bedeutung hatten die Revolutionen besonders für die politische Struktur. Die Phase der Reaktion verlief in den europäischen Staaten sehr unterschiedlich, trotzdem kann man einige Entwicklungen bei allen Vorbehalten gegenüber Wirkungsvermutungen doch als gesamteuropäisches Erbe der Revolutionen bezeichnen. Insbesondere gilt dies für die Politisierung des öffentlichen Lebens, die sich nicht mehr rückgängig machen ließ und auch Staaten erfaßte, die von der Revolutionsbewegung kaum erreicht worden waren. Diese zunehmende Politisierung verursachte auch eine Veränderung der Grundlagen und Handlungsbedingungen der internationalen und besonders der innerstaatlichen Politik, weil nun mit dem "Eintritt des Volks in die Politik" (Otto Vossler) diese eine neue Legitimierung erforderte, die nur über die Zustimmung der "Massen" erreicht werden konnte. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang auch von der "Vermassung der Politik" und meint damit die langsame Herausbildung des staatlichen Instrumentariums zur "öffentlichen Daseinsfürsorge", die konfliktbeladene Demokratisierung und die Durchdringung des politischen Massenmarktes mit aggressiven populistischen Bewegungen. Die deutsche Revolution erhält insofern einen besonderen Stellenwert im Revolutionsgeschehen, weil sie mit dem Problem des "deutschen Sonderwegs" konfrontiert war. Dieses Problem wurde zu einer kontroversen Diskussion im Hinblick auf die Fernwirkungen der Revolution. Eine nationalpolitisch verbindliche Interpretation gab es allerdings weder im Deutschen Kaiserreich, noch in der Weimarer Republik und auch nicht in der neueren Forschung. Ob die jüngsten Untersuchungen und Bewertungen neue Aspekte bringen werden, ist eher zu bezweifeln. Zumindest kann man aber feststellen, daß die Revolutionen von 1848/49 Gegenstand einer Neubewertung geworden sind, wie z.B. der Sammelband von Christian Jansen und Thomas Mergel verdeutlicht: "Die Revolution beginnt sich als ein zusammenhängendes Ereignis aufzulösen und statt dessen als eine Vielzahl von Ereigniskomplexen, Wahrnehmungsformen, Erfahrungs- und Verarbeitungsweisen begriffen zu werden, die in ihrer jeweiligen Umwelt verschiedenen Stellenwert hatten." Das traditionelle Bild eines großen Ereignisses, das bisher in der Forschung vorherrschte, wird nun durch neuere Untersuchungen brüchiger, weil sich der Blick von der großen Politik abwendet und die Handlungsformen und Wahrnehmungen der Beteiligten stärker in den Mittelpunkt der Forschung rücken. Dieser komprimierte Forschungsüberblick erhebt nicht den Anspruch auf eine Gesamtdarstellung der Revolutionshistoriographie seit 1848,

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sondern versucht, nach drei problemorientierten Schwerpunkten die Forschungsliteratur zu strukturieren. Die Bibliographie am Schluß trägt Auswahlcharakter und erwähnt nur die wichtigsten neueren Untersuchungen, die im Text zitiert wurden.

Bibliographie (Auswahl) Agulhon, Maurice: Le cercle dans Ia france bourgeoise 1810 - 1848, Paris 1977. Bergmann, Jürgen: Ökonomische Voraussetzungen der Revolution von 1848. Zur Krise von 1845 bis 1848 in Deutschland, in: Geschichte als politische Wissenschaft, Stuttgart 1979, S. 24ff. Best, Heinrich: Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland, Göttingen 1979. Biwald, Brigitte: Von Gottes Gnaden oder von Volkes Gnaden? Die Revolution von 1848 in der Habsburgermonarchie. Der Bauer als Ziel politischer Agitation, Frankfurt/Main - Berlin - Bern - New York - Paris - Wien 1996. Conze, Werner (Hg.): Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815-1848, Stuttgart 1970. Dipper, Christof: Die Bauernbefreiung in Deutschland 1790 - 1850, Stuttgart 1980. Dipper, Christoff Speck, Ulrich (Hg.): 1848. Revolution in Deutschland, Frankfurt/Main - Leipzig 1998. Dowe, Dieter/ Haupt, Heinz-Gerhard/ Langewiesche, Dieter (Hg.): Europa 1848. Revolution und Reform, Bonn 1998. Falk, Gebhard: Die Revolution 1848/49 in Brandenburg. Eine Quellensammlung, Frankfurt/Main 1998. Götz von Olenhusen, Irmtraud (Hg.): 1848/49 in Europa und der Mythos der Französischen Revolution, Göttingen 1998. Grab, Walter (Hg.): Die Revolution 1848/49, München 1980. Grab, Walter/ Schoeps, Julius H. (Hg.): Juden im Vormärz und in der Revolution von 1848, Bonn 1983. Hachtmann, Rüdiger: Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Braunschweig-Bonn 1997. Hardtwig, Wolfgang (Hg.), Revolution in Deutschland und Europa 1848/49, Göttingen 1998.

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Zum Wandel des Revolutionsbegriffs {1848-1998} Von Hannelore Horn I. Einf"ührung

Wohl keine historische Erscheinung hat die Phantasie und den Forschungsdrang stärker beflügelt als die Revolution. Neben der Geschiehtsund Rechtswissenschaft nahmen sich die Soziologie, die Politologie und weniger ausgedehnt auch die Psychologie und Ethnologie dieser Problematik an, so daß die Revolutionsliteratur Legion erreicht1 . Fragen nach den Ursachen von Revolutionen, nach ihrem Charakter, nach ihren Verlaufsrythmen, nach ihrer Vergleichbarkeit markieren dabei zentrale Untersuchungsgegenstände, die zu einer Fülle höchst unterschiedlicher, aber auch übereinstimmender Antworten geführt haben. Revolutionstheorien unterschiedlichster Ausprägung2 sind das Ergebnis und damit auch die Definition dessen, was eine Revolution ausmacht. Das Thema dieses Beitrages richtet sich auf die Frage, ob, und wenn ja welchen Veränderungen der Revolutionsbegriff selbst etwa seit der deutschen Revolution von 1848 bis zur Gegenwart unterlag. Infolgedessen können an dieser Stelle die in den Revolutionstheorien behandelten Probleme und Fragestellungen nur in diesem Kontext aufgegriffen werden3 . 1 Bereits 1865 wurde die unüberschaubare Fülle an Literatur zu Revolutionen beklagt. S. Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämtlichen Staatswissenschaften für alle Stände. Hrsg. von Kar! von Rotteck und Kar! Welcker, 3. Aufl., Leipzig 1865, S. 553. 2 Überblicksdarstellungen bei: Johnson Chalmers, Revolutionary Change, {2.Ed.), London 1983; Link, Kurt, Theorien der Revolution, München 1973; Schieder, Theodor, Revolution, in: Kernig, C. G. (Hrsg.), Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie. Bd.5, Freiburg, Basel, Wien 1972, S. 692-721; Sorokin, Pitrim, Die Soziologie der Revolution (Übers. a. d. Amerik.), München 1928; Sztompka, Piotr, The Sociology of Soual Change, Oxford und Cambridge 1996; Zimmermann, Ekkart, Krisen, Staatsstreiche und Revolutionen. Theorien, Daten, neuere Forschungsansätze (Künftig zitiert: Krisen ... ), Opladen 1981. 3 Zum Ablaufund den Problemen der 1848/49iger Revolutionen sei aus der Fülle der Untersuchungen im Hinblick auf das Thema genannt: Blum, Hans, Die deutsche Revolution 1848/49, Florenz und Leipzig 1898; Brandenburg, Erich, Die deutsche Revolution 1848, Leipzig 1912; Meinecke, Friedrich, 1848. Eine Sekundärbetrachtung, Berlin 1948;

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So wird z.B. auch den Typologien von Revolutionen, ihren auslösenden Faktoren, ihren Ursachen, ihren Verlaufsrhythmen einschließlich des Aspekts permanenter Revolution nicht nachgegangen4 . Selbst eine andere, immer wieder gestellte, hochinteressante und aktuelle Frage muß ausgeklammert bleiben: Warum kommen Revolutionen für die Zeitgenossen immer überraschend? Dabei sei unbestritten, daß Revolutionen ohne Analyse ihres jeweiligen sozialen Umfeldes nicht eigentlich begriffen werden können. Auch der so wichtige außenpolitische Faktor, das wechselseitige Geben und Nehmen revolutionärer Einflüsse, die europäischen wie auch weltweiten Interdependenzen revolutionärer Ereignisse über die Staatsgrenzen hinweg, bleibt in diesem Rahmen nur marginal berücksichtigt. Es gilt dennoch das Resümee des berühmten Historikers und Revolutionsforschers Rosenstock-Huessy, daß jede Revolution die einheitliche Zeitrechnung der europäischen Völker in Gefahr bringt und damit ihre geistige Verwandtschaft und Gemeinschaft" 5 . Es steht außer Frage, daß die Geschichte der Menschheit durch permanent anhaltende Wandlungen in ihren gesamten Lebensbereichen gekennzeichnet ist. Revolutionen kommt darin ein besonderer Stellenwert zu, weil sie plötzliche und massive Wandlungsschübe innerhalb einer historisch langsamen Wandlungsentwicklung auslösen. Rosenstock-Huessy nennt sie "Prägestunden der europäischen Nationen" . Das Ausmaß des dabei bewirkten Wandlungsspektrums gibt uns Auskunft über den Charakter von Revolutionen. Dazu vermittelt die Genese des RevolutiMeusel, Alfred, Die deutsche Revolution von 1848, Berlin 1948; Vossler, Otto, Die Revolution von 1848 in Deutschland, Frankfurt/M. 1967; Weber, Alfred, Deutschland und Europa 1848 und heute, Frankfurt/M. 1923. 4 Die Revolutionsforschung macht auf unterschiedliche Typen sowie auf Zyklen bezw. Verlaufsformen von Revolutionen aufmerksam. Alle Revolutionen kennen eine Einleitungs- oder Anbahnungsphase, die Kulmination sowie eine Ausklang- oder Nachhallphase. Die Abgrenzung dieser einzelnen Phasen voneinander sowie ihre Dauer lassen sich nicht eindeutig und allgemeingültig bestimmen bezw. definieren. Ebenso tragen alle Phasen in den verschiedenen nationalen Revolutionen ein unterschiedliches Gesicht ihrer Wirkungszusammenhänge und Ablaufmechanismen. Die Existenz solcher Phasen steht aber außer Zweifel. Ausführlich zu diesen Komplexen bei: Brinton, Crane, Die Revolution und ihre Gesetze (künftig zitiert: Gesetze), 2. Auf!.(Übers.a.d.Engl.), Frankfurt/M. 1959, S. 98f u. 348ff. sowie ders., Europa im Zeitalter der Französischen Revolution (Übers. a. d. Eng!.), Wien 1939; Davies, James, When Men Revolt and Why?, New York 1971; Griewank, Kar!, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung (Übers. a.d.Engl.), 2. Aufl. 1969; Johnson, Ch., Change . . . , S. 111ff; Zimmermann, E., Krisen ... , S. 153-256; Sztompka, P., a.a.O., S. 306f; Dennert, Jürgen, Bemerkungen zum Revolutionsbegriff, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 14/1969, s. 21f. 5 Rosenstock-Huessy, Die europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, 2. Ausg., Stuttgart 1951, S. 20. Dazu auch die einschlägigen Beiträge dieses Bandes.

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onsbegriffs erste Einblicke, zumal sie eine nahezu unpolitische, neutrale Beschreibung des Revolutionsbegriffes erlaubt6 . Unbestritten entstammt der Begriff der Naturwissenschaft, der Astronomie. Folgen wir Karl Griewank, so taucht er als "revolutio" als Substantivierung von "revolvere" schon in der christlich~n Spätantike auf, dann bei Dante zur Beschreibung des Umlaufs und der Wiederkehr der Gestirne. Er findet sich bei den "Vätern des modernen Weltbildes"7, bei Galilei und Nikolaus Kopernikus. Letzterer benutzte ihn für die Beschreibung der Bewegung der Himmelskörper, die sich mit dem Terminus "Kopernikanische Wende" verknüpft. Wandel im Sinne von völliger Umkehr gelangt auch als zentraler Aspekt des Revolutionsbegriffs in seinem lateinischen Herkunftsbegriff "revolvere" zum Ausdruck. Der Begriff markiert also vor diesem Hintergrund in seinem Kerngehalt das Phänomen einer Umkehr bestehender Gegebenheiten aufgrund einer naturgesetzliehen Wandlungsdynamik. Bis in unser Jahrhundert hinein bewahrte diese naturwissenschaftliche Sicht ihren Einfluß auf Teile der geschichtsphilosophischen Revolutionsforschung, insbesondere auf die Erforschung der Ursachen von Revolutionen. Zunächst als Methapher verwandt, hat der Revolutionsbegriff von daher seinen Weg zur Beschreibung politischen Wandels gefunden8 . Seit wann das geschieht, ist nicht klar zu bestimmen. Die Aussagen der Forschung reichen von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zur "Glorious Revolution" oder zur Französischen Revolution von 1789. So benutzten die Geschichtsschreibung sowie die Staatslehre in den Oberund Mittelitalienischen Städten und Stadtstaaten des 14. Jahrhunderts den Revolutionsbegriff für die Beschreibung politischer Unruhen, eines "Durcheinanders" im innen- wie auch im außenpolitischen Bereich und für Aufruhr9 • Die mit solchen Vorgängen verbundenen Veränderungen in der italienischen Renaissance bezogen sich aber nicht auf eine Veränderung der bestehenden Staatsform und blieben auch weitgehend diffus. Dies änderte sich im 17. und frühen 18. Jahrhundert mit der Entwicklung eines politischen Revolutionsbegriffs10 , der sich insbesondere im Zusammenhang mit einem politischen Umbruch vollzog, der als "Glorious Revolution" (1688/89) in die Geschichte Eingang gefunden hat. Hier handelte es sich zwar um einen Umbruch, der im Namen der Wiederherstellung politisch 6 Ders., a.a.O., S. 17; Sztompka, P., a.a .O., S. 302f; Zimmermann, E., Krisen ... , S. 138ff. 7 Rosenstock-Huessy, a.a.O, S. 3. 8 Schieder, Th., a.a.O., S. 693f. 9 Griewank, K., a.a.O., S. 103ff. 10 Ders., a.a.O., S. 143-158.

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legaler Herrschaft unter Zurhilfenahme ausländischer Truppen vollzog. Er verbindet sich aber mit der Ablösung der absoluten Monarchie und der Etablierung eines durch ein Parlament und Gewaltenteilung geprägtes neues Herrschaftssystem sowie mit einem Akt der Befreiung von Tyrannei und des Neuanfangs unter Bruch mit dem Vorangegangenen. Nach Griewank fand seit der "Glorious Revolution" der Revolutionsbegriff als gängiger Ausdruck in die Geschichtswissenschaft und Staatstheorie Eingang und zwar als wertfreier Terminus zur Charakterisierung großer verändernder Ereignisse und Ereignisreihen, vor allem im staatlichen Bereich, aber auch für andere Veränderungen. Der hier in den Vordergrund gerückte Aspekt großer fundamentaler Veränderungen in sektoralen oder darüber hinausgehenden Staats- und Gesellschaftsbereichen öffnet allein für sich betrachtet dem Revolutionsbegriff ein weites Feld. Es reicht bis zu historisch-gesellschaftlichen Phänomenen wie die "Kulturelle Revolution", die "Industrielle Revolution", die "Technische Revolution" usw. mit ihren zeitlich langfristigen, jahrzehntelangen Umwälzungen. Aber auch die uns gegenwärtig erregende und bewegende "Kybernetische Revolution" mit den aus ihr resultierenden sozialen Problemen (Rationalisierungen nicht nur in der Produktion, Arbeitslosigkeit) gehört konsequenterweise dazu11 • Wandlungsprozesse dieser Art, bei Theodor Schieder "prozessuale Revolutionen", machen uns darauf aufmerksam, wie sehr der Revolutionsbegriff inhaltlich zwischen unaufhaltsamen, langfristigen Veränderungen und politisch-sozialer Umgestaltung von Staat und Gesellsachaft schwankt. Erstere stehen jedoch an dieser Stelle ebensowenig zur Diskussion wie die mit dem Namen Trotzkj verbundene "Permanente Revolution" 12 . Hier geht es um die politische Revolution, die mit ihrer sozialen Komponente als historisches Phänomen erst durch die Französischen Revolution allgemein ins Bewußtsein gerückt ist13 • Der wissenschaftliche Umgang mit dem Revolutionsbegriff und seine Methamorphosen setzt nicht unbedingt dessen Definition14 , in jedem Fall 11 Dazu 12 Dazu

prognostisch bei Johnson, Ch., Change ... , S. 190f. Schieder, a.a.O., S. 70lf; Löwy, Michael, Revolution ohne Grenzen. Die Theorie der permanenten Revolution, Frankfurt/M. 1987. 13 Schieder, a.a.O., S. 695. Zu hinterfragen bleibt allerdings seine Interpretation, bereits seither stehe die Bezeichnung für eine totale Veränderung im politischen, sozialen und geistigen Sinne. Diese Sicht mag retrospektiv gelten, für die damalige Sicht aber bezweifelt werden, wenn er damit die Gleichzeitigkeit des Wandels auf diesen Gebieten einfordern will, und nicht - wie Griewank - sektoralen Umbruch in diesen politischgesellschaftlichen Lebensbereichen Raum läßt. 14 Zusammenfassungen in der einschlägigen Literatur vorhandener Definitionen s. bei: Johnson, Ch., Change... ; Sztompka, P., a.a.O., S. 304ff.; Zimmermann, E., Krisen ... , s. 142ff.

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aber eine Beschreibung seiner Wesenszüge voraus. Es kommt entscheidend auf das Kriteriengebäude an, welches die Forschung benutzt, wenn sie bestimmten Ereignissen den Charakter einer Revolution zumißt. Dieses Kriteriengebäude umfaßt im allgemeinen auf Freiheit gerichtete Ziele, Strategien und Formen der politischen Machteroberung durch Massenerhebung und Gewaltanwendung sowie das Ausmaß und d~n Charakter des durch die Revolution bewirkten Wandels in Verbindung mit einem Eliteaustausch und dem Faktor Zeit. Diese Kriterien dienen auch als Grundlage, um an dieser Stelle Wandlungsaspekte zum Revolutionsbegriff etwa der letzten 150 Jahre aufzuzeigen. In der Fülle wissenschaftlicher Revolutionsliteratur haben diese Kriterien selbst durchaus unterschiedlich gewichtete Interpretationen erfahren mit sich ändernden gemeinsamen wie auch divergierenden Zügen 15 • Die Ursache für viele dieser Divergenzen besteht nicht zuletzt in sich wandelnden historischen Erfahrungen mit revolutionären Ereignissen.

II. Freiheitspostulate und Gerechtigkeit Die Skala der Motive, die Menschen zu revolutionären Aktivitäten stimulieren, erweist sich im allgemeinen als außerordentlich komplex. Unter ihnen haben sich in der Geschichte von Revolutionen Freiheitspostulate als zentrale, immer wiederkehrende Revolutionsziele ausgewiesen. Vor einem Revolutionsausbruch sind allerdings die Revolutionsziele keineswegs immer prägnant ausformuliert erkennbar. Selten treten sie als fest umrissen in Erscheinung und pflegen sich bisweilen auch in der Dynamik des Revolutionsgeschehens zu verändern. Die Virulenz vieler unterschiedlicher Interessen verleiht ihnen eher ein amorphes Gepräge. Dennoch ist das Verlangen nach Freiheit ein unverzichtbarer Bestandteil aller öffentlich zum Ausdruck gebrachten Revolutionsziele. Diese Erkenntnis vereint nahezu ungebrochen alle Revolutionsinterpreten und revolutionären Akteure bis zur Gegenwart. Der englische Revolutionsforscher Crane Brinton, der vier europäische Revolutionen vergleichend untersucht hat, formulierte dazu 1935: "Alle Revolutionen werden im Namen der Freiheit gemacht" und er ergänzte, daß im allgemeinen eine Revolution auch nicht ohne das Wort "Gerechtigkeit" auskäme16 , womit er den sozialen Aspekt ansprach. 15 Z.B.: Griewank, K., a.a.O.; Zimmermann, E., Evolutionärer und revolutionärer Wandel politischer Systeme, in: K. v. Beyme, E.-0. Czempiel, Graf Kielmannsegg, P., Funk - Kolleg Politik, Bd.2, Frankfurt/M. 1987; Lieber, Arthur, Vom Geist der Revolutionen, 3. Aufl., Berlin 1919; Dennert, Jürgen, a.a.O., S. 19-31; Loewy, M., a.a.O.; Sztompka, P., a.a.O., S. 301. 16 A.a.O., S. 57 u. 335.

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Hannah Ahrendt beschrieb diese Situation mit folgenden Worten: "Nur wo dieses Pathos des Neubeginns vorherrscht und mit Freiheitsvorstellungen verknüpft ist, haben wir das Recht, von Revolution zu sprechen ... Aber die Kategorie der Gewalt wie die Kategorie des bloßen Wechsels oder Umsturzes ist für eine Beschreibung des Phänomens Revolution ganz unzulänglich; nur wo durch Wechsel ein Neuanfang sichtbar wird, nur wo Gewalt gebraucht wird, um eine neue Staatsform zu konstituieren, einen neuen politischen Körper zu gründen, nur wo der Befreiungskampf gegen den Unterdrücker die Begündung der Freiheit wenigstens mitintendiert, können wir von einer Revolution im eigentlichen Sinne sprechen17 ". Es erscheint in der Tat evident, daß sich von Beginn seines Gebrauchs an der politische Revolutionsbegriff untrennbar mit dem Freiheitsbegriff verknüpft, ihn folglich mit universalistischem Gedankengut umgibt. "Alle echten Revolutionen sind Weltrevolutionen" formuliert in diesem Zusammenhang Rosenstock-Huessy 18 , um die universelle Bedeutung des Freiheitspostulates zu unterstreichen. Die Kehrseite der Freiheitsforderungen bilden Empörung über Ungleichheit und von der Staatsführung zu verantwortende Ungerechtigkeiten aller Art. Die Rücknahme der Bevormundung des Einzelnen durch den Staat oder durch andere private Herrschaftsinstitutionen, der Wunsch nach Freiheit von Unterdrückung generell sowie nach mehr Freiheit wird erfahrungsgemäß im Namen gesellschaftlicher Gruppen oder eines Volkes erhoben. Sie versprechen, eine neue Ordnung zu schaffen, die über Freiheit und Gerechtigkeit letztlich einen neuen Menschen bezw. gerechtere Formen des menschlichen Zusammenlebens hervorbringt. Dennoch besteht ein erheblicher Dissens über die Reichweite von Freiheit und Gerechtigkeit bezw. über die Frage nach dem Ausmaß an notwendigen Veränderungen, um die jeweils vorhandenen Freiheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen zu verwirklichen. Seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts stehen im Rahmen revolutionärer Freiheitsvorstellungen zwei Grundströmungen, zwei Stränge bezw. Einschätzungen im Vordergrund, die bis zur Gegenwart nicht zu einer allseits akzeptierten Symbiose geführt haben. Die wohl älteste Grundströmung weist auf Freiheitsideen, die im Naturrecht und dem Gedankengut der Aufklärung wurzeln und sich mit einem grundlegenden Anliegen des politischen Liberalismus verknüpfen. Die zweite zielt auf den befreiten Menschen durch Sozialismus oder Kommunismus. 17 Arendt,

Hannah, Über die Revolution, München 1963, S. 4lf. S. 5; Johnson, Ch., Change.. , S. 160, hält das Zielelement, für ihn die "Ideologie", für zentral: "Wenn die Zielkultur einer Aufstands-Ideologie vorsieht, die soziale Arbeitsteilung in einer Weise umzugestalten, die bewußt ohne Vorbild in der Geschichte des betreffenden sozialen Systems ist, dann sollten wir von "Revolution" sprechen". 18 A.a.O.,

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Erstere Grundströmung greift bis in die italienische Renaissance zurück, zu den sich um den Revolutionsbegriff rankenden politischen Zielen. Sie erweisen sich zunächst noch weitgehend als diffus, wenngleich die Befreiung von Thyrannis als Forderung eines neu entstandenen Großbürgertums durchaus präsent ist. Bei der "Glorious Revolution" 1688/89 geht es um die Bewahrung bezw. Wiederherstellung einer staatlichen Ordnung mit ihrer für spezifische Gesellschafsgruppen Freiheit sichernden Legalität. Der damit verknüpfte Akt der Bestätigung der "Bill of Rights" bleibt für lange Zeit zentraler Identifikationspunkt für Revolution. Die amerikanische Revolution des Jahres 1776 beherrscht in erster Linie die Verteidigung ihrer bereits erreichten, auf Freiheit und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz beruhenden Bürgerrechte gegen die Kolonialmacht England. Ihr durch Unabhängigkeit und staatliche Selbständigkeit ausgewiesener Erfolg läßt die hier, aber noch nirgendwo in Europa sonst existenten Freiheits- und Bürgerrechte zu einem Fanal für revolutionäre Freiheitsbewegungen werden. Ihre Auswirkungen auf die französische Revolution mit ihren Zielen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im August 1789 sowie auf die europäischen revolutionären Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts bekunden die universelle Gültigkeit dieser Freiheitswerte. Die Französische Revolution von 1789 erweitert aber in ihrem Verlauf den Zielkanon füherer Revolutionen in mindestens zweierlei Hinsicht. Einerseits verbindet sie das Befreiungsziel mit der Abschaffung der Monarchie und etabliert eine auf eine Verfassung verpflichtete Republik. Andererseits ergänzt sie in ihrem Verlauf den Wertekanon um soziale Postulate des "Dritten Standes", formuliert und getragen insbesondere von Robespierre und den Jakobinern. Ein Umbruch der Eigentumsverhältnisse durch Enteignungen von Großgrundbesitz (Kirche und Feudaladel) und Verteilung von Land an die Bauern gehört dazu, nicht jedoch die Aufhebung des Privateigentums an Grund und Boden als Prinzip. Damit richtet diese Grundströmung ihr auf Freiheit zielendes revolutionäres Veränderungsbegehren primär auf die politisch-verfassungsrechtliche Ebene des Staates in Verbindung mit dem Gedanken sozialer Gerechtigkeit. Nicht daß gesellschaftlicher Wandel ignoriert worden wäre. Aber die zentrale Aussage des Zielkanons im Revolutionsbegriff erfaßt zu dieser Zeit die Ersetzung einer Staatsform durch eine andere. Die Ablösung der absoluten Monarchie durch eine Republik oder durch eine konstitutionelle Monarchie markieren Revolutionsziele 1789 in Frankreich, selbst durch den "Dritten Stand".

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Auch in der 1848iger Revolution in Deutschland zielt das Freiheitsbegehren nicht auf fundamentalen gesellschaftspolitischen Wandel sondern auf die Ersetzung des Absolutismus durch eine konstitutionelle Monarchie, auf die Schaffung frei gewählter Parlamente als entscheidende Träger politischer Macht, auf Demokratie mit entsprechenden Wahlsystemen. Sie gelten als Voraussetzung für die Realisierung menschlicher Freiheit und Gerechtigkeit. Durch liberal-demokratisch-pluralistische politische Positionen charakterisiert, motivierten sie bis zum Ende des 20. Jahrhunderts zu revolutionären Aufbrüchen. Es handelte sich bei der 1848iger Revolution in Deutschland daher um eine von liberalem Gedankengut dominant geprägte politische Erhebung, die den Wertekanon der Freiheit und befreiender Gerechtigkeit über eine demokratisch orientierte grundlegende Umgestaltung der Staatsform anstrebte. Bei diesen Revolutionären der ersten Stunde spielten soziale Komponenten noch eine untergeordnete Rolle, auch wenn sie nicht ohne Belang für die beteiligte Arbeiterschaft sowie die in Unruhen aufbegehrenden Bauern blieben. Die zweite Grundströmung weist primär nach Frankreich, wo sich die Wurzeln der auf Freiheit gerichteten Revolutionsziele am ausdrücklichsten zeigten. Unter Anschluß an die Freiheitsideen der Jakobiner wirkten dort stärker sozialistische bis kommunistischen Ideen, die später, insbesondere in der Pariser Commune von 1871, ihren prägnantesten Ausdruck fanden. Zunächst verknüpft mit den Namen Blanqui und Babeuf19 - dann mit denen von Marx bis Lenin20 - verbinden diese Strömungen den Revolutionsbegriff mit dem Klassengedanken und dem Klassenkampf. Eine Befreiung des Menschen im Sinne einer weitreichenden gerechten sozialen Gleichstellung und damit zu bewirkender schließlieber mentaler Einebnung erscheint als alleiniges Freiheitsunterpfand. Nur durch fundamentalen gesellschaftlichen Wandel mittels Klassenkampf und der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, einschließlich Grund und Boden, erschien hier eine Selbstbefreiung des Menschen möglich. Dieser Ideenwelt liegt ein Menschenbild zugrunde, in dem die Entfaltung der vermeintlich primär positiven, gesellschaftlich orientierten Charaktereigenschaften der Menschen allein durch die äußeren Umstände, insbesondere durch das Privateigentum an Produktuionsmitteln, verhindert werden. Als allein geeignetes Instrument und Voraussetzung für die Verwirklichung solch kommunistischer Freiheits- und Gesellschaftsziele gilt ihnen eine proletarische Revolution. Damit erfuhr der Freiheit sichernde 19 Schmidt, Frithjof, Metamorphosen der Revolution. Der Wandel des Revolutionsbegriffsvon Blanqui bis zum Eurokommunismus, FrankfurtfM., New York 1988, S. 34 ff. 20 Ebd. , S. 69-94.

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Zielkatalog von Revolutionen eine fundamentale Erweiterung und zwar auf eine, die gesamte Gesellschaft erfassende Transformation. Trotz einer Reihe historisch in Erscheinung getretener Modifikationen innerhalb beider prägen diese beiden, in ihrem Kern höchst unterschiedlichen Befreiungs- und Freiheitsvorstellungen den Revolutionsbegriff seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Beide sind zwar geeignet, die verbal-mentale Vorbereitung von Revolutionen mit weitreichenden Verheißungen und Versprechungen über zukünftige Freiheitsund Glückszustände zu begünstigen sowie einen "Hang zur Illusion" 21 zu befördern. Aber ihre umfassenden, oft auch diffus in die Öffentlichkeit dringenden Freiheitsziele, verkörpern dennoch den eigentlichen Legitimationskern jeder Revolution. Sie gelten daher nicht nur als unverzichtbarer Bestandteil des Revolutionsbegriffs sondern markieren auch begrifflichen Wandel. 111. Revolutionäre Machteroberung

Die Vehemenz bezw. Radikalität, mit der die oft utopischen, weil nicht realisierbaren Freiheitspostulate und dem ihnen innewohnendem Fortschrittsglauben erhoben werden, beeinflussen auch die Formen und Strategien revolutionärer Machteroberung. Es sind vor allem zwei Elemente revolutionärer Machteroberung, an denen sich das Bild einer Revolution - einer erfolgreichen oder gescheiterten- formt: an der Massenerhebung sowie an der Gewaltanwendung. 1. Massenerhebung

Freiheitspostulate bilden das eigentliche Elexier für Massenmobilisierungen und in ihrer Folge Massenerhebungen, zumal sie geeignet sind, alle Formen der als Unterdrückung bezw. als ungerecht begriffenen politischgesellschaftlichen Gegebenheiten abzudecken. Allen Volkserhebungen ist damit auch ein soziales Anliegen immanent. Die Historiographie zitiert als Ausgangspunkt zur Beantwortung der Frage nach dem Charakter von Revolutionen oftmals einen berühmt gewordenen Satz, welcher in einem Gepräch zwischen dem französischen König Ludwig XIV. und dem Duc de la Rochefoucauld-Liancourt in der Nacht nach dem Sturm auf die Bastille gefallen sein soll. Während der König zu den Ereignissen ausrief: 21 Sorokin,

P., a .a.O., S. 175.

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"Das ist eine Revolte", lautete die Antwort: "Non Sir, das ist keine Revolte, das ist eine Revolution" 22 . Die Abgrenzung zwischen Revolten verschiedenster Art und Revolution gehört zum festen Bestandteil der Revolutionsforschung. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal betrifft die Beteiligung von Volksmassen. Eben darauf zielte die Antwort des Duc, der das, was damals in den Straßen von Paris passierte, unterschieden wissen wollte von historisch erfahrenen Rebellionen, Meutereien oder Putschen, derer sich einzelne zivile oder militärische Gruppen als Instrumente der Machteroberung mit dem begrenzten Ziel reinen Machtwechsels bedienten. Bis ins 20. Jahrhundert hinein erscheint die Auffassung unbestritten, daß eine Massenerhebung zu jeder Revolution gehört. Im Urteil Karl Griewanks machte die in der französischen Revolution durch einen Aufstand der Massen, des souveränen Volkes, erzwungene Umwälzung die Massenbeteiligung zum prägenden Revolutionsmerkmal23 . Viele Revolutionsforscher teilen diese Einschätzung bis zur Gegenwart und halten die Massenbeteiligung- bezw. erhebung für ein unverzichtbares Qualifikationsmerkmal von Umbrüchen, die die Etikette "Revolution" verdienen. Hinzu kommt, daß eine Massenerhebung, die durch den Druck eines relativ kurzfristigen revolutionären Aktes als Promotor des Wandels die alte Staatsgewalt hinwegfegt, damit die Revolution, den Umbruch legitimiert. Die bis etwa zum Anfang dieses Jahrhunderts gemachten historischen Erfahrungen mit revolutionären Vorgängen stützen diese Einschätzung. Im 20. Jahrhundert erfuhr dennoch dieses Urteil über die Bedeutung von Massenerhebungen im revolutionären Prozeß einen begrenzten Gewichtsverlust. Er verknüpft sich mit dem Aspekt der Spontaneität, mit der Bewertung dessen, ob eine Revolution spontan entsteht oder "gemacht" wird. Unzweifelhaft geht allen Revolutionen eine Bewußtseinsschärfung oder-veränderung hinsichtlich beklagter Mißstände im Staate voraus, die im allgemeinen durch Intellektuelle auf verschiedensten Wegen vorbereitet und verbreitet werden. Während jedoch- abgesehen von Verschwörungstheorien24- die revolutionären Erhebungen des 18. und 19. Jahrhunderts als spontane Ausbrüche gelten, geht es schließlich mehr und mehr um 22 Nach. Griewank, a.a.O ., S. 189ft'. Ausführlicher zur Unterscheidung beider bei Johnson, Ch., Change ... , S. 157-172.; Hobsbawn, Eric J ., Revolution und Revolte. Aufsätze zum Kommunismus, Anarchismus, Umsturz im 20. Jahrhundert (Übers.a.d.Engl.), Frankfurt/M. 1977. 23Griewank, K., a.a.O., S 189. 24S. Schieder, Th., a.a.O., S. 703.

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gemachte Revolutionen. So stellte es ein historisches Novum dar, als sich die russischen Kommunisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbst als Revolutionäre bezeichneten, die eine Revolution vorbereiten. Sie und ihre Nachfolger hatten die französische Revolution nicht nur studiert sondern wollten auch eine machen und gingen dabei selbst bis zur Kopie25 . So zeigt das 20. Jahrhundert in seinen Revolutionen von rechts bis links durchaus auch den weitgehenden Verzicht auf spontane Revolutionsbeteiligung durch Massen. Die Revolution wird von wenigen gemacht26 (z.B. "revolutionäre Befreiungsbewegungen"), nicht zuletzt durch gezielte Versuche, Unzufriedenheit unter den Massen zu schüren, um sie für die eigenen politischen Ziele zu nutzen. Spontane Massenbeteiligung erscheint aber für das Revolutionsimage so wichtig, daß - wenn nicht vorhanden - ihre Existenz manipulativ-propagandistisch vorgegeben wird27 . Die russische Revolution, die als eine der großen Revolutionen dieses Jahrhunderts gilt, ist durch die Umstände der Machteroberung eher einem Staatsstreich28 als einer von Volksmassen getragenen Revolution vergleichbar. Dieser Vorgang entbehrte weitestgehend einer unmittelbaren Beteiligung der Massen; es sei denn, man könnte Theodor Schieder folgen, der den Aufstand und die Mitwirkung von Arbeitern und Truppen unter Leitung des damaligen "Petrograder Militärischen Revolutionskomitees" der Bolschewisten als Massenbeteiligung interpretiert29 . Hingegen wurde die Februarrevolution von 1917 in Rußland von Massen getragen. Unbestreitbar existierte auch im Oktober eine revolutionäre Situation. Lenins eigentliche Revolutionsziele aber waren zu keinem Zeitpunkt Grundlage einer von Volksmassen getragenen Massenerhebung. Seine von den Bolschewisten öffentlich zur Massenmobilisierung benutzten Ziele (insbes. Frieden, Landverteilung, Arbeiterkontrolle) waren weit davon entfernt. Auch die gescheiterte Machtübernahme durch Bela Kun in Ungarn oder die chinesische Revolution mit der Machtübernahme 25 Rosenstock-Huessy, a.a.O., S. 14f. "Tatsächlich aber begreift sich im Selbstverständnis diese Revolution von 1917 als Antithese gegen den gesamten vorherigen Weltzustand; sie ist damit einzigartig und die letzte" . 26 Brinton, C., Gesetze ... , S. 219 formulierte dazu: "In großen Massen kann man das Fieber der Revolution nicht lange genug aufrechterhalten. Die Massen machen keine Revolution. Sie können für Aufmärsche rekrutiert werden, sobald die aktiven wenigen die Revolution gewonnen haben". 27 Z.B. für die russische Oktoberrevolution von 1917. S. Neidhart, Christoph, Die "Erstürmung des Winterpalais", in: Neue Züricher Zeitung 1/2. Dez. 1997, Wochenendbeilage, S. 6lf. 28 Zur Differenzierung zwischen Staatsstreich und Revolution s. Goodspeed, D. J., The conspirators: a study of the coup d'etat, London 1962. 29 Schieder, Th., a.a.O., S. 699. Johnson bezieht als ein Revolutionskriterium den "militarisierten Massenaufstand" ein, in: Revolution and the social system, Stanford 1964, s. 30. 4 Timmermann

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durch die Kommunisten fanden ohne Massenerhebung statt. Auch die vierziger Jahre unseres Jahrhunderts kannten keine Massenerhebung bzw.- bewegungdes Volkes zugunsten kommunistischer Revolutionsziele, obwohl alle vorgaben, im Namen von Volksmassen zu handeln. Die Massenerhebung als unerläßliches Merkmal jeder Revolution erfuhr damit in unserem Jahrhundert eine Relativierung bezw. erlitt einen Bedeutungsverlust im Spektrum aller Revolutionskriterien. Erst durch die Revolutionen von 1989 trat die revolutionäre Massenerhebung als bedeutendes und unerläßliches Wesensmerkmal von politisch-sozialen Revolutionen wieder ins Rampenlicht. Es war insbesondere das massenhafte, Druck auf die alte Ordnung ausübende Aufbegehren, das die alten Führungen zum Abtritt zwang. Dieser, Zwanghaftigkeit innewohnende Tatbestand des massenhaft unterstützten Drucks "von unten" führt dazu, daß allen Revolutionen ein Geruch der lllegalität anhaftet. Er richtet sich ja auf die partielle oder umfassende Beseitigung der Legalität einer bestehenden politischen Ordnung. Rosenstock-Huessy stellte dazu fest, daß bei den Totalumwälzungen "die Zwirnsfäden des Rechts reißen"; es ginge um den Bruch mit einem Rechtszustand, der Aufkündigung des Gehorsams, in deren Folge die bisherige Ausnahme zur Regel und die bisherige Regel zur Ausnahme erniedrigt werde30 • Da jedoch allein das durch Freiheitsbegehren unterschiedlichsten Inhalts motivierte massenhafte Aufbegehren gegen die Legalität einer Revolution die Weihe der Legitimität verleiht, handelt sich bei jeder Revolution zwar um einen Rechtsbruch, aber nicht notwendig um ein Verbrechen31 . 2. Gewaltsamkeit Wie die Massenerhebung gehört im allgemeinen auch die Anwendung von Gewalt zum Spektrum und zu den ältesten, als unerläßlich verstandenes Wesensmerkmalen jeder Revolution. Sie galt für den Revolutionserfolg als unerläßlich und als legitim zur Gewinnung einer besseren, freiheitlicheren Ordnung. Der amerikanische Revolutionsforscher Chalmer Johnson begreift auch noch 1966 die Revolution selbst als eine Form politischer Gewaltanwendung; eine gewaltfreie Revolution hingegen als "contradictio 3°Rosenstock-Huessy, a.a.O., S. 9, 24f, 68, 359. 31 Biuntschli, J.E., Revolution und Reform, in: Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. 8, Stuttgart, Leipzig 1864, S. 608.

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in adiectio" 32 . Unzweifelhaft entscheidet das Ausmaß der gewaltsamen Radikalität, mit der ein revolutionärer Umbruch herbeigeführt wird, über das Gelingen oder Mißlingen einer Revolution. Dennoch können wir ähnlich wie bei der Massenerhebung - auch bei der Einschätzung der Gewaltanwendung als Wesensmerkmal von Revolutionen eine deutliche Relativierung beobachten.

Im 19. Jahrundert dominierte die Annahme, daß eine Strategie der Gewaltanwendung durch die siegreichen Revolutionäre unerläßlich sei, um die Revolutionsziele verwirklichen zu können. Der Staatsrechtier Bluntschli meinte sogar: "Um so gewaltsamer und willkürlicher die Umgestaltung durchgeführt wird, um so entschiedener hat sie den Charakter der Revolution" 33 . Um das Prädikat einer erfolgreichen Revolution zu gewinnen, sei die Handhabung der Gewaltinstumentarien, insbesondere des Militärs und Polizei, durch die Revolutionäre oder ihre Exponenten unerläßlich, meint auch der Revolutionsforscher Karl Griewank34 • Das Scheitern der Revolution von 1848/49 habe beispielsweise in der mangelnden Bereitschaft der liberalen und demokratischen Revolutionäre, sich dieser Instrumentarien zu bedienen, seinen Ursprung. Ihre Tendenz, sich auf Aufklärung und Überzeugung zu stützen, habe sich als unfruchtbares und untaugliches Mittel erwiesen. Im allgemeinen setzte sich die Auffassung durch, daß Gewalteinsatz als conditio sine qua non, als unerläßliches Kennzeichen jeder Revolution einzuschätzen sei und zwar ihre Anwendung sowohl von Seiten der alten Regierungen als auch seitens der Revolutionäre. Crane Brinton formulierte dazu: Noch nie ist eine Regierung von Revolutionären gestürzt worden, ehe sie die Herrschaft über ihre Truppen oder die Fähigkeit zu deren zweckmäßigem Einsatz verloren hatte. Umgekehrt hat noch keine Revolution gesiegt, ehe sie das Übergewicht der militärischen Machtmittel auf ihre Seite gebracht hatte. Das gilt von Pfeil und Bogen bis zu Maschinengewehr und Gas35 • Zur revolutionären Gewaltanwendung gesellen sich erfahrungsgemäß unwillkommene Begleiterscheinungen. Für Max Weber gehört zu den 32 Johnson, Ch., Change ... , S. 21f u.157. Er begreift unter Gewalt "Handeln, das absichtlich oder unabsichtlich das Verhalten anderer desorientiert". Bei der Gewaltanwendung sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Im Vordergrund steht die der Revolutionäre, um damit den Sturz der Staatsführung und auf diesem Wege die Realisierung ihrer Ziele zu erreichen. Auf der anderen geht es um die gewaltsame Gegenwehr der Inhaber politischer Macht. Beide Formen der Gewaltanwendung sind im allgemeinen mit menschlichen Opfern und materiellen Schäden verbunden. 33 Bluntschli, J. E., a.a.O., S. 606. 34 Dazu ausführlicher bei: Zimmermann, E., Krisen ... , S. 140. 35 Brinton, C ., a.a.O., S. 57.

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Erfahrungsschätzen, daß "Gewalt stets aus sich heraus Gewalt gebiert" 36 • Die historischen Revolutionserfahrungen legen davon ein besonders eindrucksvolles Zeugnis ab. Aus der revolutionären Dynamik erwachsene Gewaltexesse mit ihren Opfern, in Revolutionen auftretende mentale und sittliche Destruktionsprozesse, Erscheinungen von Despotismus und Terrorismus mit ihren materiellen und menschlichen Kosten bezw. Verlusten, bilden abschreckende Erfahrungen37 • Infolgedessen formte sich bereits seit der Französischen Revolution von 1789 in liberalen und demokratischen politischen Lagern eine grundlegende Skepsis gegenüber Revolutionen38 . Obwohl die vorangegangenen Revolutionen einst von liberal, konstitutionell/monarchistisch oder /und demokratisch und republikanisch orientierten politischen Strömungen getragen, machte sich ein Revolutionspessimismus breit. Angesichts solch negativer Begleiterscheinungen von Revolutionen setzte sich mehr und mehr die Einsicht durch, politischen und gesellschaftlichen Wandel nurmehr durch demokratisch legitimierte Reformer und Reformen anzustreben. Wegen ihrer zerstörerischen Kraft galten Revolutionen zunehmend als illegales und illegitimes, politisch nicht erstrebenswertes, verabscheuungswürdiges Instrument politischen Wandels bezw. politischer Machteroberung. Dieser Revolutionspessimismus erfaßte nicht nur Deutschland sondern es handelte sich um ein europäisches Phänomen. Rosenstock-Huessy charakterisierte dazu die Entwicklung bis zur Jahrhundertwende vielleicht überspitzt folgendermaßen: "Bis dahin galten Revolutionen als entsetzliche Katastrophe und als unmoralisch" 39 , eine Einschätzung, die allerdings angesichts der Philippika Pitrim Sorokins aus dem Jahre 1927 gegen die Revolution in zeitlicher Hinsicht nicht haltbar ist. Neben diesen Ablehnungstendenzen setzt die kommunistische Revolutionstheorie und -Strategie eine entgegengesetzte Beurteilung von Revolutionen in Gang, die sich auf die Revolution als ausschließliches und eigentliches historisches Wandlungsinstrument orientiert einschließlich der Akzeptanz bezw. Befürwortung von Gewaltsamkeit. Die Revolution wird hier zum allein wirksamen historisch-politischem Wandlungselexier stilisiert bezw. mystifiziert und damit als allein erstrebenswertes und legitimes Mittel politischen Machtwechsels mit gesamtgesellschaftlichen 36 Weber,

s. 357.

Max, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, 5. Aufl., Tübingen 1976,

37 Diese Seite beschreibt ausführlich aus soziologischer Sicht Piotr Sorokin und verbindet sie mit grundsätzlicher Ablehnung von Revolutionen. A.a.O., S. 170ff. Dazu u.a. Meinecke, F., relativierend für die deutsche Revolution von 1848, a.a.O., S. (14), generell S. 21f und der Aspekt kommunistischer Bedrohung, S. (22f); Griewank, K., a.a.O., S. 195ff u. 202ff; Bluntschli, J.E .. , a.a.O., S. 609. 38 Griewank, K, a.a.O, S. 195ff. 39 A.a.O., S. 5.

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Wandlungsfolgen verherrlicht. Diese kommunistische Version repräsentiert damit eine sich im 19. und. 20. Jahrhundert weltweit ausbreitende politische Strömung. In ihren vielfältigen Ausformungen deckt sie viele Formen gewaltsamer Machteroberung ab ( Aufstände, Militärische Staatsstreiche, "Befreiungskriege", Guerilla-Bewegungen, Revolten, Putsche, Rebellionen usw.), die einen an kommunistischen Zielen orientierten Umbruch gesellschaftlicher Verhältnisse anstreben. Wir haben es folglich seither mit zwei konträr zueinander stehenden politischen Grundhaltungen zur Revolution zu tun. Das Problem der Akzeptanz oder Ablehnung von politischen Revolutionen führt infolgedessen seitdem auch zu diametral entgegengesetzte Antworten, wenn die Legitimität politischer Machteroberung, staatlicher Macht- und Gewaltausübung zur Debatte stehen. Die kommunistische Beurteilung der Gewaltanwendung als unerläßliches Element einer Revolution erfuhr allerdings seit etwa der Mitte des 20 Jahrhunderts eine Relativierung, als im Eurokommunismus die theoretische Notwendigkeit revolutionärer kommunistischer Machteroberung zwar nicht über Bord geworfen aber auch der parlamentarische Weg akzeptiert wurde. Ohnedies haben Erfahrungen mit revolutionären Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dazu beigetragen, den Gewaltaspekt neu zu gewichten. Die kuhanisehe Revolution mit ihren relativ wenigen Opfern (2-2500) erscheint geeignet, den Gewaltaspekt zu relativieren40 ; ebenso revolutionäre Bewegungen wie die Indira Ghandis in Indien, die auf friedlichen, aber fundamentalen revolutionären Wandel zielten41 . Mögen diese Beispiele noch Skepsis erzeugen hinsichtlich der Entbehrlichkeit revolutionären Gewalteinsatzes, so bestätigen die Revolutionen der Jahre 1989/90 (Ausnahme Rumänien) bis hin zur "samtenen Revolution" in der damaligen Tschechoslowakei die Notwendigkeit, die Einschätzung zurrevolutionären Gewalt zu modifizieren. Sie sind es, die uns das erste, durchschlagende Beispiel für die Entbehrlichkeit von revolutionärer Gewaltanwendung lieferten und damit ein Argument zugunsten der Chancen für sich friedlich vollziehende Revolutionen. Wird das Element Gewalt nicht im Sinne von stuktureller Gewalt begriffen sondern als physische Einwirkung, so ist der Einschätzung zuzustimmen, daß Gewaltanwendung kein notwendiges Charakteristikum einer Revolution darstellt; sie ist entbehrlich, läßt sich aber höchst selten vermeiden42 • Ausbleibende Gewaltsamkeit ist allerdings mit dem Preis des Verlustes von Revolutionserfolgen behaftet. In dem von den Massen auf den Straßen ausgehenden Druck auf die jeweils Herrschenden bleiben jedoch Elemente von Gewaltsamkeit immanent. 40 Z.B.

Zimmermann, E., Krisen ... , S. 140f. zählt sie dazu. A.a.O., S. 305. 42 Zimmermann, E., Krisen ... , S. 140. 41 Sztompka

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Während somit das Postulat der Freiheit mit allerdings unterschiedlichem Inhalt durchgehend als Merkmal jeder Revolutionserscheinung wissenschaftlich unbestritten ist, sind die Massenbeteiligung und die Gewaltanwendung aufgrundjüngerer historischer Erfahrungen zumindest modifizierter Sichtweise unterworfen. Sie gehören aber nach wie vor zu gewichtigen Merkmalen einer Revolution.

IV. Revolutionäres Wandlungsspektrum Einer veränderten Einschätzung unterlag auch ein weiteres, vielleicht das zentrale, aussagekräftigste Revolutionskriterium, das Wandlungsspektrum. Dabei steht das Ausmaß an Veränderungen zur Diskussion, die revolutionäre Ereignisse hervorbringen bezw. zu bewirken haben, um die Qualifikation einer Revolution zu verdienen43 . Diese Entwicklung bewegte sich von den rein politischen Wandlungskomponenten über politisch-soziale bis hin zu allein sozialen. Mit der wachsenden Bedeutung sozialer Fragen im politischen Leben der Gesellschaften schoben sich in das revolutionäre Wandlungsspektrum mehr und mehr soziale Komponenten und zwar neben die Kategorie politisch-verfassungsrechtlichen Wandels. 1. Politische und/oder soziale Umgestaltung

Noch bei der "Glorious Revolution" oder der amerikanischen Revolution von 1776 handelte es sich um eine Neugestaltung der politischen Verfaßtheit der Staaten, um grundlegend veränderte politische Systeme, die damit keineswegs nur im Selbstverständnis als Revolutionen galten. Insbesondere die Reichweite der amerikanische Revolution mit ihren großen Einflüssen auf revolutionäre Entwicklungen im Europa des 19. und auch 20. Jahrhunderts einschließlich des europäischen. Verfassungsdenkens44 läßt sie als große Revolution hervortreten. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts und bis in unsere Zeit gilt auch nach wie vor ein unter bestimmten Bedingungen vollzogener grundlegender politischer Systemwandel als entscheidendes Kriterium für eine Revolution. Es ist insbesondere die juristisch beeinflußte Betrachtungsweise von Revolutionen, die weitestgehend den politischen und verfassungsrechtlichen Wandel als Revolutionsmerkmal verhaftet bleibt. Revolution wird 1864 als "gründlichste Umgestaltung des Staates" oder 1865 als "Umwälzung 43Dazu

Griewank, K., a.a.O., S. 201. Robert R., Das Zeitalter der demokratischen Revolution (Übers. a. d. Amerik.), Frankfurt/M. 1970; Tilly Ch., Tilly L., Tilly R., The Rebellious Century (18301930), Garnbridge 1975. 44 Palmer,

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des rechtlichen Bestandes des Staates" begriffen und über hundert Jahre später (1992) auf die Umgestaltung des politischen Systems und der bestehenden Verfassungsordnung bezogen45 • Nachschlagewerke, die am Ende des vergangenen Jahrhundert in Deutschland mit wissenschaftlicher Hilfe erstellt wurden, benennen als Revolution noch die Ersetzung von Herrschaftsformen durch andere oder als die gewaltsame, das bestehende Recht durchbrechende oder vernichtende Neuordnung der öffentlichen Angelegenheiten46 . Die zielgerichtete, bis zur persönlichen Lebensweise und zu mentalen Umbrüchen reichende revolutionäre Umgestaltung kommt darin nicht vor, es sei denn, als unbeabsichtigte Folgewirkung. Im Gegensatz dazu hatte bereits die Französische Revolution von 1789 das Bild von einem umfassenden politisch-sozialen Wandel geprägt, der im Verlauf ihrer revolutionären Ereignisse angezielt bezw. partiell verwirklicht wurde und zwar mit weltweiter Ausstrahlung. In ihrem Verlauf wurden soziale Postulate virulent und damit die Frage nach Enteignungen und der Verteilung von Eigentum, um spezifische Freiheitsund Gerechtigkeitspostulate zu befriedigen. Die Spannbreite sozialen Wandels ist damit allerdings nicht konkret fixiert. Das eine Revolution charakterisierende Wandlungsspektrum kommt aber nicht mehr ohne die soziale Komponente aus, so daß die Geschichtswissenschaft, insbesondere aber die Soziologie und Politologie politisch-sozialen Wandel als Revolutionskriterium zugrunde legen. Wenn aber als Wesensmerkmal einer Revolution das Ausmaß revolutionären politisch-sozialen Wandels entscheidend ist, hält die Geschichte der Revolutionen angesichts der im Namen des kommunistischen Klassenkampfes vorgenommenen totalen politisch-gesellschaftlichen Umstrukturierungen noch Beispiele bereit, die über liberal orientierte Intentionen weit hinausreichen. Den im Namen von Kommunismus und Sozialismus vorgenommenen politisch sozialen Umwälzungen wird der Charakter von Revolutionen zugemessen und zwar wegen des Ausmaßes der folgenden politisch-gesellschaftlichen Transformationsakte, obwohl sie nur von einer kleinen, durch Staatsstreich an die Macht gekommenen Gruppe von Revolutionären vollzogen wurde. 45 Bluntschli, a.a.O., S. 606; Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, hrsg. von Karl von Rotteck und Karl Welcker, 3. Aufl., Leipzig 1865, S. 548; "Revolution ist die nicht legale, tiefgreifende und für einen gewissen Zeitabschnitt anhaltende Änderung grundlegender Prinzipien des gegebenen politischen Systems und der bestehenden Verfassungsordnung", in: Deutsches Rechtslexikon, 2. Aufl., Bd. 3, München 1992, S. 146. 46 Meyers Konversations-Lexikon, 5. Aufl., Bd. 14, Wien Leipzig 1898, S. 685; Brackhaus' Konversations=Lexikon, 14. Aufl., Bd. 13, Leipzig, Berlin, Wien 1898, S. 810. Letzteres bezeichnet Revolutionen als Katastrophen.

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Während in dem von der Aufklärung beeinflußten liberalen Denken das Privateigentum als unerläßlichers Attribut individueller menschlicher und insbesondere bürgerlicher Freiheitsrechte gilt, welches erst das Interesse eines Bürgers an der staatlichen Rechtsordnung garantiert, gilt in kommunistischer Sicht die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln als unerläßliche Voraussetzung für die Befreiung der Menschheit. Die Französische Revolution von 1789 kannte zwar auch Eingriffe in das Eigentum und die nachfolgende Monarchie machte sie nicht rückgängig. Aber eine grundlegende Abschaffung von Privateigentum an Produktionsmitteln gehörte bis dahin nicht in diese Vorstellungswelt, auch nicht der Jakobiner. Diese doppelte und konträre Grundorientierung zum Ausmaß revolutionärer Umgestaltung blieb nicht ohne Einfluß auf den politischen Revolutionsbegriff. Sie führte zu seiner erheblichen Erweiterung und zwar zu dem eines umfassenden, totalen politisch-sozialen Wandels. Piotr Sztompka charakterisiert eine Revolution sogar als "Peak of social change" 47 . Diese Ausweitung des Revolutionsbegriffs schließt nun auch eine grundlegende Umkehr vorhandener Eigentumsstrukturen sowie weitgehende, gezielt in das persönliche materielle und geistige Leben der Menschen eingreifende Umbrüche ein, womit weit über den Wechsel von Staatsformen oder sozialen Umstrukturierungen bis hin zur Auflösung ständischer Strukturen oder partieller Enteignungen hinausgegangen wird. Der bis zur Gegenwart ausgeformte "moderne" Revolutionsbegriff betont also als unerläßliches Wesensmerkmal einer Revolution die politischsozialen Folgen, er rückt damit das Ergebnis in den Vordergrund. Als maßgebend erscheint die Komplexität des Umbruchs, nicht die Ziele oder die Methoden oder Instrumentarien, die dieses Ergebnis ermöglicht haben. Wir haben es also durch die stärkere Betonung des Wandlungsspektrums mit einer Gewichtsverlagerung in der modernen Revolutionsbetrachtung zu tun, auf Kosten von Massenerhebungen oder Gewaltanwendung. Unschwer läßt sich beobachten, daß wissenschaftliche Interpretationen insbesondere der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts den Revolutionsbegriff zunehmend mit Attributen wie "Totalumwälzung" , "Totalrevolution" oder "totaler Umbruch" mehr und mehr versehen, ein Begriff der als "TotalRevolution" schon 1793 von dem deutschen Schriftsteller Friedrich Gentz für die Französische Revolution benutzt wurde48 . Allerdings verdeutlicht die einschlägige Gegenwartsliteratur nicht immer, ob damit auch ein fun47 A.a.O., 48 Nach

S. 301. Griewa.nk, K., a.a.O., S. 201.

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damentaler und umfassender Eigentumsumbruch durch Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln erfaßt sein soll49 . Die Revolutionen von 1989 sind u.a. durch die Rückwendung zum Privateigentum an Produktionsmitteln gekennzeichnet. Auch sie verweisen damit auf den fundamentalen Stellenwert von P~ivateigentum in revolutonären Umbrüchen. So wählte die Revolutionsforschung und Revolutionstheorie der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts immer stärker den totalen Umbruch innerhalb des politisch-sozialen Gefüges eines Staates als Meßlatte für die Charakterisierung revolutionärer Eigenschaften. Revolution meint damit fundamentale Veränderungen in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen in der einen oder anderen Form. Es handelt sich damit um ein weites Feld, um ein äußerst komplexes Phänomen, dessen Erforschung im Interesse möglichst umfassender wissenschaftlicher Erkenntnis eine außerordentliche Fülle von Variablen zu berücksichtigen hat. Partielle Umbrüche ohne gesamtgesellschaftliche fundamentale Wandlungsintentionen und Wandlungsfolgen treten bei der Zuweisung des Revolutionscharakters dahinter zurück. Bisweilen unterscheidet die Literatur zwischen den beiden großen, umfassenden Revolutionen, der Französischen von 1789 und der russischen von 1917, die allein als "Totalrevolutionen" gelten sowie anderen, die z.B. Rosenstock-Hussy als "Lehnrevolutionen" bezeichnet. Innerhalb der Umstrukturierung des politischen und sozialen Körpers einer Gesellschaft bezw. seines Staatswesens und dem Eigentumsumbruch erfaßt der revolutionäre Umbruch zwei weitere Lebensbereiche der Gesellschaft, die die Revolutionsforschung in besonderer Weise beschäftigen: den Personalaustausch in politisch-gesellschaftlichen Führungsschichten (Eliteaustausch) sowie mentalen Wandel in der gesamten Gesellschaft. 2. Austausch politisch-gesellschaftlicher Führungskräfte

Der Austausch von politisch Führungskräften, der Eliteaustausch, gilt als ein konstitutives Merkmal des Revolutionsbegriffs50 . Dieser Aspekt des Austausches von gesellschaftlich tragenden, insbesondere politischen Führungsgruppen, kennzeichnet ein gewichtiges Kriterium, weil das Ausmaß des Elitewechsels über Erfolg oder Mißerfolg einer Revolution entscheiden kann. Mit dieser Problematik verbindet sich beispielsweise die Frage, wie die siegreichen Revolutionäre mit der bis dahin herrschenden 49 Zimmermann, E., Krisen ... , S. 14lf. Er versteht unter Revolution einen "grundlegenden Wandel in der Sozialstruktur". 50 Ebd., S. 142f; Sztompka, P., a.a.O., S. 301.

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politisch-gesellschaftlichen Führungsschicht bezw. Elite umgehen, ob sie dabei den alten Eliten Chancen für neue Loyalitäten eröffnen oder nicht, wie sie den Wechsel vollziehen, insbesondere ob Gewaltsamkeit im Spiele ist. Die menschlichen und politischen Denkstrukturen der Revolutionäre, das Ausmaß an Unversöhnlichkeit bezw. wechselseitiger Feindschaft markieren Faktoren, die im allgemeinen die Methoden des Eliteaustausches bestimmen. Jede Revolution wird durch Intellektuelle vorbereitet und braucht von Visionen beflügelte Führergestalten. Rosenstock-Huessy bemerkte dazu: "Was gesagt wird, ist wichtig. Aber ebenso wichtig ist, wer was sagt" 51 . Die Revolutionäre, die erfahrungsgemäß allen gesellschaftlichen Schichten entstammen, beeinflussen den Verlauf einer Revolution, ihr Gelingen bezw. Mißlingen. Ihre Rolle bei der Vorbereitung einer Revolution wird von vielen Forschern aufgegriffen. In dem "Abfall der Intellektuellen" sieht Brinton die Aufkündigung der Loyalität gegenüber dem alten System. Johnson geht insofern weiter, als er ihren Anteil an der Revolution in gesellschaftlicher Destruktionspolitik erkennt, weil: ... "die Elite sich aber nicht bemüht, die wesentlichen Bestandteile der Wertestruktur zu bewahren, sondern eine Politik verfolgt, die die Wirkung hat, die Werte selbst zu diskreditieren" 52 • Es spricht daher viel dafür, daß diese grundsätzliche Konfrontation zum alten politischen System sowie die Etablierung eines anderen tendenziell nur durch einen umfassenden Austausch der politisch-gesellschaftlichen Führungsschicht sinnvoll zu lösen ist. Zum Revolutionsbegriff gehört daher auch die Frage, ob die Ersetzung der alten politische-gesellschaftlichen Führungsschicht durch eine neue, durch die Träger der Revolution oder ihrer Exponenten, zu den Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen Revolution zu zählen ist. Wenn ja, stellt sich das Problem des Umfanges eines solchen Personalttransfers. Die historischen Erfahrungen mit revolutionären Vorgängen weisen überall aus, daß es dabei strategisch um einen wie auch immer gearteten Druck auf die bestehende Staatsführung ging, und zwar nicht, um diese zur Aufgabe einer bestimmten politischen Linie und zu Reformen zu zwingen sondern sie zum Abtritt zu veranlassen und für die Revolutionäre in der Staatsführung Platz zu machen. Schließlich sind es die Revolutionäre, die für die Verwirklichung der Revolutionsziele stehen, die an den Hebeln der Staatsmacht als verläßlichste Garanten des Wandels gelten.

51 Rosenstock-Huessy, a.a .O., S. 102. Zum Typus des Revolutionärs s. Brinton, C., a.a.O., S. 143-176. 5 2 Johnson, Ch., a.a.O., S. 115.

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Brinton gelangt in seiner vergleichenden Untersuchung zu dem Ergebnis, daß mit der Revolution immer der Aufstieg einer anderen herrschenden Klasse verbunden gewesen sei, die sich mindestens teilweise aus Personen rekrutierte, die vor der Revolution nicht zur herrschenden Klasse gehörten. Es etabliert sich zumindest eine neue politische Führungsgruppe, die bisher nicht an der Staatsmacht teilhatte. Das Mißlingen .der deutsche Revolution von 1848 dient oftmals als überzeugendes Beispiel für einen letztlich mißlungenen Personalaustausch in entscheidenden staatlichen Führungspositionen. Die fundamentale Bedeutung eines solchen Austauschen der Inhaber von Schlüsselpositionen im alten Regime für den Sieg oder die Niederlage revolutionärer Zielsetzungen wird damit unterstrichen. Es zeigte sich jedoch immer wieder, daß sich ein voller Austausch der alten durch neue Eliten nahezu nirgends unmittelbar vollzogen hat und vollzieht. Selbst die russischen Revolutionäre mit ihren radikalen Klassenkampfintentionen sahen sich veranlaßt, zunächst auf zaristische Offiziere und Beamte zurückzugreifen. Auch gegenwärtig ist in allen, einst von kommunistischen Parteien regierten Transformationsländern sehr anschaulich zu beobachten, daß selbst höchste kommunistische Kader in politische Führungspositionen verbleiben bezw. neu gelangen. Es bestätigt sich auch hier die Erkenntnis, daß sich. im allgemeinen die Revolutionäre der ersten Stunde nur höchst begrenzt in der Lage oder Willens zeigen, unverzüglich sachgerecht und vollumfänglich die Staatsgeschäfte zu führen. Die neuen Kräfte mögen oder können infolgedessen auf Erfahrungen der alten nicht verzichten. Im allgemeinen lehrt die Revolutionserfahrung, daß wohl ein Eliteaustausch zur Verwirklichung der Revolutionsziele unbedingt erforderlich ist und in gewissen Grenzen auch erfolgt. Unklar bleibt aber, in welchem Ausmaß er überhaupt möglich oder notwendig ist, um den revolutionären Zielsetzungen und Erwartungen zu einem Sieg zu verhelfen bzw. ihn zu verhindern. Ohne Zweifel erschwert mangelnde revolutionäre Gewaltsamkeit Revolutionserfolge, wenn eine nicht zu Loyalität zum neuen System bereite alte Führungsschicht in einer Fülle von Staatspositionen verharren bezw. erneut in sie eindringen kann. Diese hat sich zwar innerhalb der neuen politischen Strukturen zu bewegen, aber ihre Möglichkeiten für gezieltes, jedoch kaum erkennbares Obstruktionsverhalten sind grenzenlos. In der Geschichte hat sich als probates, existenzsicherndes Aktivitätsfeld für alte, aus ihren staatlichen Positionen verdrängte Eliten insbesondere das breite Feld der Wirtschaft erwiesen. Das gilt vermehrt auch für die Gegenwart, wenngleich sie uns damit einen Treppenwitz der Weltgeschichte schenkte: Die Jagd kommunistischer Kader auf Privateigentum an Produktionsmitteln.

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3. Mentaler Wandel

Ein weiterer, höchst bedeutsamer Aspekt eines durch Revolutionen bewirkten ausgreifenden Wandels betrifft die Mentalitätsebene eines Volkes. Es handelt sich um den in Revolutionen zu beobachtenden, nahezu ruckartigen mentalen Wandel, der nahezu alle Angehörigen einer Gesellschaft erfaßt. Immer trifft der revolutionäre Umbruch auch den Wertekanon einer Gesellschaft wie auch ihre psychischen bis kulturellen Lebensbereiche. Damit greift jede Revolution tief in die persönlichen Lebensauffassungen und Lebensbedingungen der Menschen ein53 . Geradezu dramatisierend kennzeichnet Rosenstock-Huessys diesen Zustand: "Die Revolutionen unterscheiden sich vom Staatsstreich dadurch, daß sie nicht Tage oder Wochen, sondern viele Jahre dauern. Sie sind eine Krise, ein Einschmelzungsvorgang, der alle Anschauungen, Einzelzüge und Sitten des Volkes in Weißglut versetzt. Einen Volkscharakter prägt nicht ein Staatsstreich um, sondern nur eine Leidenszeit, durch die alle Zeitgenossen in die Hohe Schule genommen werden. Es ist die totale, das Volk mit Wahnsinn bedrohende vaterländische Umkehr, von der Hölderlin spricht" 54 • Piotr Sztompka benennt - offenbar aufgrund seiner Eindrücke aus den 1989iger Revolutionen - als ein Kriterium jeder Revolution das Hervorbrechen besonderer gefühlsmäßiger und intellektueller Emotionen der Beteiligten und Zeitzeugen, eine Eruption der Massenmobilisierung, des Enthusiasmus, der Erregung und Begeisterung: "Revolutions are the most spectacular manifestations of social change. They mark fundamental ruptures in the historical process, reshape human society from within und remould the people. They leave nothing as it was before; they close epochs and open new ones. At the moment of revolution, societies experience the peak of their agency, the outhurst of the potential for selftransformation. In the wake of revolutions, societies and their members seem to be revitalized, almost born anew. In this sense revolutions are the signs of social health" 55 .

53 Dazu sehr eindrucksvoll Liebert, A., a.a.O., S. 7f. In seiner Sicht hat sich jede Revolution der geschichtlichen Vernunft unterzuordnen. Dies führt zur Evolution, weil es eine reine Revolution gar nicht geben könne. Ihrem vernünftigen Sinn entsprechend könne sie reine Revolution nie bleiben, sie werde zur Evolution bezw. sei Evolution. "Und diesem Sinn und Begriff entspricht auch das tatsächliche Schicksal, das jeglicher einzelnen Revolution widerfahren ist, ganz gleich, auf welche Forderungen sie sich stübte, welche Reformen sie im Auge hatte, welchem Gebiet sie zugewendet war" . 54 Rosenstock-Huessy, a.a.O., S. 22 u. 24. 5 5Sztompka, P., a.a.O., S. 301.

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So geht mit Revolutionen im allgemeinen für die Menschen die Notwendigkeit einher, sich auf fundamental veränderte Bedingungen im staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen bis hin zu persönlichen Lebensbedingungen einstellen zu müssen. Rosenstock-Huessy vertritt die Auffassung, daß die durch eine Revolution eingeleitete mentale Umformung eines Volkes in seiner Substanz nur erfolgen könne, wenn mindestens dreißig Jahrgänge in eine solche Umwälzung verstrickt werden, und sich diese mit denen treffen, die nichts mehr vom dem aus eigenem Erleben wissen. Erst dann erscheint ihm die Revolution vollendet. Bis dahin aber verwirrten die Orientierungen der sich nicht mehr verstehenden alten und neuen revolutionären Menschen. Es sei ein Zeitalter der Empörung, geprägt durch diese Doppelseitigkeit. Es sei aber auch die Zeit der Verwilderung, der Selbstzerfleischung. In Revolutionen werde "Die Unterwelt des Wahnsinns und des Hasses aufgerissen .... Aber diese Unterwelt kann ihre Tore schließen, sobald Alte und Neue das erste gemeinsame Wort sprechen". Dieses Wort aber bestehe in der gemeinsamen Akzeptanz einer neuen führenden Personengruppe56 . Diese müsse ein Stück des Alten leben lassen, das Neue damit verbinden. Damit werde die Personengruppe, die das Neue hervorgetragen hat, legitimiert. Mentaler Wandel, ein fundamentales Elixier jeder Revolution, verweist somit auf einen Grundwiderspruch, der jeder Revolution immanent ist und eine schwere Hypothek für ihren Erfolg in sich birgt: Der Widerspruch zwischen dem erforderlichen und vielfach auch erwarteten schnellen Umbruch sowie die einen weit längeren Zeitraum in Anspruch nehmende Anpassung an neue Bedingungen mit ihren Ansprüchen an mentalen Wandel. Neben dem erwarteten schnellen Veränderungen steht die Behäbigkeit mentalen Wandlungsvermögens. V. Der Faktor Zeit Die Bedeutung des Zeitfaktors für die mentale Ebene führt zu der Frage, wie schnell denn ein revolutionärer Umbruch zu erfolgen hat, um ihm den Charakter einer erfolgreichen Revolution zuzumessen. Wie bereits erwähnt, haben Revolutionserfahrungen insbesondere des 20. Jahrhunderts dazu geführt, daß das Ausmaß des Wandels als Revolutionskriterium Modifikationen erfuhr. Weniger die Umstände des Wandels sondern seine Ergebnisse, die politisch-soziale Komplexität 56 Rosenstock-Huessy, a.a.O., S. 26. Die Französische Revolution 1789 sei zu Ende gewesen, als 1815 die Bourbonen eine geschriebene Verfassung gewähren mußten und den Verkauf der Adelsgüter nicht rückgängig machten.

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des Revolutionserfolges, erhielt in der Forschung ein größeres Gewicht. Damit wird auch der Frage weniger Bedeutung zugemessen, in welchen unterschiedlichen Formen, insbesondere aber in welch unterschiedlichen Zeiträumen sich der fundamentale Wandel vollzieht57 • In die Bestimmung charakteristischer Merkmale einer Revolution spielte seit je die Frage hinein, wie lange der Zeitraum anzusetzen sei, innerhalb dessen die Revolutionsziele ihrer Verwirklichung zugeführt sein müssen, um als Revolution zu gelten. Dem Aspekt eines sich den Gegebenheiten langsam anpassenden evolutionären Wandels oder durch Reformen vollzogenen steht der revolutionäre, eruptive Wandel gegegenüber. Im 19. Jahrhundert existierte nahezu Konsens über die Notwendigkeit eines kurzfristigen, unter dem Druck von Massenerhebungen erfolgten abrupten Umbruchs, um einen Vorgang als Revolution zu kennzeichnen. Der gewöhnliche Sprachgebrauch, so formulierte das Staats-Lexikon 1865, gebraucht den Revolutionsbegriff im Sinne einer in verhältnismäßig kurzer Zeit und auf gewaltsame Weise vor sich gehende Umwälzung. Die französische Revolution von 1789 wurde nicht zuletzt wegen der 'in wenigen Jahren durchgesetzten vielen Veränderungen als erfolgreiche Revolution eingeschätzt, die von 1830 oder die deutsche von 1948 als gescheiterte ungeachtet der von ihnen ausgehenden langfristig wirkenden Veränderungsimpulse. Das gilt z.B. nicht weniger für die gescheiterte russische Revolution von 1905/06. Nicht zuletzt durch Rosenstock-Huessy sowie durch die Arbeiten des amerikanischen Politologen Russel hat sich in der theoretischen Bewertung zur Gewichtung der Bedeutung des Zeitraumes ein Sichtwandel vollzogen zugunsten längerfristiger Perioden58 • Wenn der Revolutionscharakter primär an Ergebnissen fixiert wird, relativiert sich notwendig die Bedeutung des Zeitraumes, innerhalb dessen sich der Umbruch zu vollziehen hat. Immerhin erfolgte in Rußland/ Sowjetunion einer der fundamentalen Umbruchsakte, die Kollektivierung der Landwirtschaft, erst nach über einem Jahrzehnt und die "Kulturrevolution" in China fast zwei Jahrzehnte nach der Eroberung der Staatsmacht durch die Revolutionäre. Die gegenwärtige Umbruchsituation dauert in der Sowjetunian/Rußland schon seit 1984, nachdem Gorbatschow die Partei- und dann die Staatsführung übernommen hatte. Hier hat es zwar 57 Dabei stehen nicht diejenigen Einschätzungen zur Debatte, die die Weltgeschichte sich in fortdauernden revolutionären Prozessen vollziehen sehen. S. dazu bei Dennert, Jürgen, a.a.O., S. 21f. 58 Zu dieser Problematik s. Rosenstock-Huessy, a.a.O., S. 22f; Russe!, D. E . H., Rebellion, revolution, and armed force: a comparative study of fifteen countries with special emphasis on Cuba and South Africa, New York 1974, S. 56-69; Zimmermann E., Krisen ... , S. 150f.

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keine Massenerhebung gegeben, aber letztlich handelt es sich doch um einen politischen Totalumbruch, wenngleich "von oben" vollzogen. Der Zeitraum, innerhalb dessen der revolutionäre Wandel erfolgt, erweist sich damit als höchst diffus und bietet daher wenige Anhaltspunkte, um ihn als ein markantes Revolutionskriterium zu positionieren. Auch wenn er nicht konkret fixierbar ist, bleibt der Zeitfaktor dennoch ein unerläßlicher Untersuchungsgegenstand jeden Versuchs, einen politischsozialen Umbruch als Revolution zu klassifizieren.

VI. Fazit Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, aber schon mit Wurzeln in das 19. Jahrhundert zurückreichend, zeichnet sich nicht zuletzt unter dem Einfluß kommunistisch orientierter Revolutionspraxis und weiterer Revolutionserfahrung im 20. Jahrhundert ein interpretatorischer Wandel der zentralen Kriterien des Revolutionsbegriffs ab. Während bis zu Beginn dieses Jahrhunderts die Massenerhebung, Gewaltanwendung, ein weitgehender Austausch der politischen Führungsschicht sowie ein schneller Umbruch im politisch-staatlichen Bereichen als Wesensmerkmale einer Revolution galten, kommt es nun bei der Charakterisierung von Revolutionen zu verschiedenen Modifikationen sowie zu Gewichtsverlagerungen zugunsten des Umbruchsspektrums59 Es besteht Einigkeit, daß es sich bei politischen Revolutionen um grundlegenden Wandel in politisch-gesellschaftlichem Bereich handelt. Einheitlichkeit und Kontinuität in der Einschätzung betrifft auch Aspekte der Freiheit, Gerechtigkeit und - später stärker hinzukommend - sozialer Forderungen einschließlich der Erweiterung des Menschheitsfortschritts als unerläßliche Zielsetzungenall jener Umbrüche, die den Charakter einer Revolution verdienen. Erst sie vermitteln den beteiligten Massen eine Legitimitätsüberzeugung und sind geeignet, ihr Aufbegehren gegen die Legalität zu rechtfertigen. Hingegen erfuhren die Faktoren Gewalt, Massenbeteiligung sowie der Zeitfaktor Modifikationen im Sinne von Gewichts- bezw. Bedeutungsverlust im Gesamtspektrum der Merkmale. So hält beispielsweise Piotr Sztompka an der Notwendigkeit der Massenbeteiligung in einem plötzlichen Ausbruch fest, nicht aber an der Gewaltsamkeit, den Eliteaustausch 59 Griewank, K.,konstatierte noch in der Mitte unseres Jahrhunderts als Einheit zu betrachtende Merkmale der Revolution: einen stoßweisen und gewaltsamen Vorgang, einen Durchbruch oder Umbruch, insbesondere von Staats- und Rechtsverhältnissen, Gruppen- und Massenbewegungen , ein sozialer Inhalt und positive Ziele im Sinne der Erneuerung mit einer zündenden Idee oder Ideologie zugunsten des Menschheitsfortschritts; a.a .O., S. 22.

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sowie an bestimmten zeitlichen Vorgaben. Ähnlich beurteilt Ekkart Zimmermann die Situation60 . Spontane oder organisierte Massenerhebungen unter Beteiligung aus vielen Schichten der Bevölkerung galten noch im 19., gelten aber nicht immer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als unverzichtbare Attribute einer Revolution. Das gilt in gleicher Weise für die Faktoren Gewalteinsatz und den politischer Eliteaustausch. Ein Rückblick auf die Revolutionen der letzten anderhalb Jahrhunderte führt zu der Erkenntnis, daß wohl kein als Revolution begriffener politischer oder politisch-sozialer Umbruch alle aufgezeigten Revolutionskriterien aufzuweisen hat. Den angeführten Kriterien ist daher keinesweg ein Syndromcharakter eigen, der ihre Gleichzeitigkeit, ihr gleichzeitiges Auftreten und deren Wechselwirkung erforderlich macht, soll ein Umbruch die Qualifikation als Revolution verdienen. Es bleibt aber die Frage, ob oder welche einzelnen Faktoren schon allein oder in Teilen einen Revolutionscharakter begründen. Die Schwierigkeit einer solchen Zuordnung beleuchtet Theodor Schieder61 unter Hinweis auf den deutlich vollzogenen politischen Führungsaustausch unter Faschisten in Italien und Nationalsozialisten in Deutschland. Er erkennt darin revolutionäre Elemente, während ein emanzipatorischer revolutionärer Umbruch ausblieb. Die revolutionäre Qualität eines Umbruchs ist folglich höcht differenzierend für jeden Einzelfall zu untersuchen und an den aufgezeigten Revolutionskriterien zu messen. Eine Klassifizierung als gelungene Revolution legt sicher in erster Linie das Ausmaß des politischen oder politisch-sozialen Umbruchs zugrunde. Eine erfolglose Revolution bezieht ihre revolutionäre Qualität neben den Zielsetzungen insbesondere aus dem Aufbegehren mobilisierter Massen und der in Erscheinung getretenen Gewaltsamkeit. Das jeweilige Selbstverständnis der Träger bezw. Akteure solcher Umbrüche sollte in der Wissenschaft nicht als entscheidende Meßlatte für revolutionäre Qualitäten gelten. VII. Die deutsche Revolution von 1848 im Spiegel eines sich wandelnden Revolutionsbegriffs

Unter Berücksichtigung modifizierter bezw. gewandelter Einschätzungen zu einigen Kriterien des Revolutionsbegriffs bedarf die Beurteilung der deutschen 1848iger Revolution einer deutlich positiveren Bewertung. Im allgemeinen gilt sie zwar als eine Revolution, aber als eine gescheiterte. Sie erfüllte damals alle als wesentlich geltenden Attribute einer Revolution. Im Namen von Freiheit und Gerechtigkeit zielte sie auf eine neue Staatseozimmermann, E., Krisen . . . , S. 130ff. 61 A.a.O., S. 698.

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form als konstitutionelle und parlamentatrische Demokratie. Durch eine Massenerhebung, "die Berliner Volkserhebung", wie Friedrich Meinecke sie nannte62 , rückte sie diese in greifbare Nähe. Das ganze deutsche Volk, nicht nur das preußische, ist damals in allen seinen Schichten in Bewegung geraten, so daß es sich um eine wirklichen Revolution handelte. Es gab allerdings keinen revolutionären Einheitswillen5 3 • Die liberal und demokratisch sowie auch sozial orientierten Revolutionäre vertraten keine einheitliche politische Linie sondern waren durch nationale, soziale, und politische Differenzen geprägt. Sie bekamen die Gewaltinstrumentarien des Staates nicht in ihre Hand, so daß der politische Führungswechsel mit der Abschaffung des preußischen Obrigkeitsstaates und damit der politisch-gesellschaftliche Umbruch nicht gelang. Das Zurückweichen der alten Macht im Berliner Straßenkampf und der kurze Sieg der Revolutionäre am 18./19. März 1848 kündeten allerdings trotz seines militärischen Sieges von der Brüchigkeit des alten Systems. Dieses fand schließlich dennoch Unterstützung auch aus den Reihen des Bürgertums, ein Verhalten, das Friedrich Meinecke nicht zuletzt aus der Erfahrung mit der staatlichen Zersplitterung Deutschlands erklärt, das aber auch aus der Furcht vor aufbrechenden sozialen Postulaten resultierte. Das Etikett des Scheiterns dürfte dafür verantwortlich sein, daß im allgemeinen diese Revolution in den Revolutionstheorien nur ein marginales Dasein fristet. Die Zuordnung der 1848iger Revolution in Deutschland zu den gescheiterten Revolutionen erscheint jedoch problematisch angesichts des mit dem Revolutionsbegriff verknüpften unklaren Zeitfaktors. Zwar traten in ihrem Verlauf alle Wesensmerkmale einer Revolution in Erscheinung und sie war kurzfristig erfolglos. Aber in Politik und Gesellschaft des Landes blieb wenig so wie vor ihr. Thr Ideengut einschließlich der erarbeiteten Entwürfe zur Verfassungsgestaltung des Landes behaupteten sich dauerhaft im politischen Denken und bei der folgenden politischreformerischen Gestaltung im deutschen Sprachraum. Kein Geringerer als der Historiker Erich Brandenburg formulierte 1912 zu dieser Problematik: "Überblicken wir alles, was wir auf den verschiedensten Gebieten des Volks-und Staatslebens während des Revolutionsjahres wahrgenommen haben, so müssen wir sagen, daß das Jahr 1848 gleichsam ein Brennpunkt unserer gesamten Entwicklung während des 19. Jahrhunderts gewesen 62 Meinecke,

Friedrich,1848. Eine Sekularbetrachtung, Berlin 1948, S. (8} u. (10}. den Ursachen und dem Scheitern dieser 1848iger Revolution s. Meinecke, F ., a.a.O., S. 12, 16f, 20f u . S. 24f. In seiner Sicht gingen in dieser Revolution das Nationale und Soziale Hand in Hand und keiner siegte. Dazu auch: Brandenburg, Erich, Die Deutsche Revolution 1848, Leipzig 1912, S. 2-36; Griewank, Kar!, Ursachen und Folgen des Scheiterns der deutschen Revolution von 1848, in: Histor. Ztschr.170 (1950}, s. 495-523. 63zu

5 Timmermann

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ist. Alles, was in den vorhergehenden Jahrzehnten das Volk bewegt hatte, oft nur unklar empfunden war und sich in dem Sonderleben der Einzelstaaten zersplittert hatte, das wurde hier zusammengefaßt, um dann mit verstärkter Kraft wieder auszustrahlen in die kommenden Jahrzehnte hinein. . .. Es wäre falsch, die Bedeutung dieses Jahres nur nach dem unmittelbar sichtbaren Erfolg anzuschlagen; seine stille Nachwirkung ist unendlich groß gewesen, und die Probleme, die damals aufgeworfen wurden, sind nie wieder zur Ruhe gekommen. Auf allen Gebieten hat die Arbeit der späteren Zeit an das wieder angeknüpft, was die Männer von 1848 gewollt und getan haben" 64 • Die in der Pauslskirche entwickelte Reichsverfassung mit der von ihr beabsichtigten Etablierung einer konstitutionellen Demokratie mit weitreichenden demokratischen Strukturen (gewählte Parlamenten) erlangte in weiten Bereichen Vorbildfunktion. Im Norddeutschen Bund von 1866/67 und dann in der Bismarckschen Reichsverfassung 1871 konnten zwar nicht alle Blütenträume der 1848iger Revolutionäre reifen, weil sie "liberalen und demokratischen Prinzipien nur Teil- und Scheinerfolge gönnte" 65 , sie fanden damit aber doch mehr als eine partielle Verwirklichung66 • Ebenso zeigte sich der Einfluß der 1848iger Ideen auf die Verfassung der Weimarer Republik als unverkennbar. Ihre Ausstrahlungskraft erwies sich immerhin nach hundert Jahren noch als so groß, daß sie selbst für mißbräuchliche politische Zwecke hilfreich erschien und in Anspruch genommen wurde. So suchte die kommunistische, von Moskau in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands etablierte politische Führung, nach 1945 Herrschaftslegitimation durch Berufung auf vermeintliche politische Kontinuität zur 1848iger Revolution zu gewinnen. Aber auch interpretativ wurde die 1848iger Revolution verleumderisch in Anspruch genommen, wenn die dortige Geschichtsschreibung "die Macht des Adels in Gesellschaft und Staat zu brechen" als eine in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) gelungene Aufgabe der 48iger Revolution darstellte67 • Friedrich Meinecke formulierte aus Anlaß der lOOsten Wiederkehr der 1848iger Revolution: "Möge es uns, den durch Unglück reif Gewordenen endlich gelingen, das Ziel ihrer reinen und edlen Sehnsucht zu erreichen - die nationale Einheit im demokratischen Gemeinschaftsstaat" 68 . 64Brandenburg, E., a.a.O., S. 128f. 65Meinecke, F., a.a.O., S. (9). 66 Dazu Weber, Alfred, Deutschland und Europa 1848 und heute, Festrede zur 75. Wiederkehr der Eröffnung des ersten deutschen Parlamentes, Frankfurt/M. 1923, S. 8f. 67 Meusel, Alfred, Die Deutsche Revolution von 1848, Berlin 1948, S. 23. 68 Meinecke, F., a.a.O., S. (29) .

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Die deutsche Revolution von 1989, nach klassisch marxistisch-leninistischer Lehre eine Konterrevolution, ist insbesondere neben ihren Freiheitspostulaten durch Massenbewegung und Gewaltfreiheit gekennzeichnet. Angesichts der Gewaltfreiheit und des höchst begrenzt erfolgten Austausches von Führungskräften gerade der mittleren Ebene bleibt jedoch ihre Zuordnung als erfolgreiche Revolution noch offen. Aber die in ihr zum Ausdruck gebrachte Abwendung von den vermeintlich höherwertigen Gesellschaftszielen des Kommunismus und ihre Hinwendung zu liberalen, demokratischen Zielsetzungen vorangegangener Revolutionen, gleichen weitgehend auch denen der deutschen 1848iger Revolution. Wesentliche Werte der menschlichen Emanzipation in den englischen "Bill of Rights" des 17. Jahrhunderts, in den amerikanischen und französischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts, fanden ihren Niederschlag und neue Ausprägungen in der deutschen von 1848. Sie erwiesen sich in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts als so universell und politisch wirksam, daß sie als Leitlinie revolutionären Handeins wirkten. Es hat sich eben nicht bewahrheitet, was 1948 von marxistischer Seite formuliert wurde: "Im Kampf um die Aufrechterhaltung der nationalen Einheit und um eine antifaschistische Demokratie haben eindeutig die antifaschistisch-demokratischen Kräfte, an ihrer Spitze die sozialistische Arbeiterbewegung, die Führung übernommen. Die Nachfahren der Camphausen und Heinrich von Gagern sind zu offenen Verrätern an der Nation geworden" 69 . Wird also die Langfristigkeit der Wirkung stärker in Rechnung gestellt, so verdient die deutsche 1848iger Revolution nicht das Prädikat einer "gescheiterten Revolution". Der Sieg ihrer politischen Ideen und Konzeptionen für eine demokratisch-pluralistische, liberale Ordnung in Deutschland ist evident.

69 Albin,

s. 39. s•

Felix, Marx und Engels und die Revolution von 1848, in: Meusel, A., a.a.O.,

Die Europäische Revolution 1848-1998 Makro- und welthistorische Perspektiven Von Imanuel Geiss

I. Die welthistorische Stellung der Revolution 1848/49 Die Frage nach der welthistorischen Stellung der Revolution von 1848, wie sie der große Franz Schnabel genannt hätte, ist, nach 150 Jahren, eine unwiderstehliche intellektuelle Herausforderung. Skepsis vor dem Versuch, 1848/49 großflächig zu analysieren, läßt sich hoffentlich auflösen: Grundsätzlich ist es berechtigt und möglich, jedes größere Ereignis im historischen Rückblick für die Gegenwart immer wieder neu einzuordnen, z.B. 1453, 1492, 1648, 1789, mit historischen Voraussetzungen und Wirkungen bis heute. Sonst wären alle Jubiläumsbetrachtungen zu runden Daten historische Spekulationen. Auch beginnt Frankreichs Zeitgeschichte (Histoire Contemporaine) 1789, faßt also über 200 Jahre zusammen. Die eigene Methode ist makrohistorisch, aus der Satelliten- oder Mond-Perspektive große Zusammenhänge anzubieten, als Synthese im Prinzip bekannter historischer Fakten. Sie muß gemeinsame Nenner für unterscheidende Zähler herausarbeiten, stets zu korrigieren und nuancieren durch Detailkenntnisse der Spezialisten. 1 Wie in der modernen Luftarchäologie erst von einer bestimmten Höhe Linien auf dem Boden sichtbar werden, die dem Forscher sur place entgehen, so gibt die Vogeloder Satellitenperspektive weitere Zusammenhänge preis, die jedoch ohne Spezialkenntnisse oberflächlich bleiben. So ist auch die Europäische Revolution von 1848/49 in weiteren Perspektiven zu sehen - allgemein 1 Für die eigene Qualifikation zu diesem Wagnis allgemein lmanuel Geiss: Geschichte griffbereit, 6 Bde., Neuaufi. Dortmund 1993; Geschichte im Überblick. Daten und Zusammenhänge der Weltgeschichte, Neuaufl. Reinbek 1995 (Poln. Ausgabe, Katowice 1997); speziell: Geschichte des Rassismus. Frankfurt/Main 1988; Die deutsche Frage 1806-1990. Mannheim 1992 (erw. eng!. Ausgabe London 1997); Europa-Einheit und Vielfalt. Eine historische Erklärung. Mannheim 1993.

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macht- und welthistorisch wie revolutionsgeschichtlich zumindest seit 1789 über 1917 bis zur Ostwende von 1989/91. Quer dazu verläuft die Einigung Europas nach 1945 als Antimaterie zur Tradition europäischer Konflikte und Kriege. In der longue duree erscheint die Revolution 1848/49 als zusammenhängendes Ganzes, das sich in noch größere Ganzheiten einfügt: Im Symboldatum 1848/49 bündeln sich Symbolfiguren (z.B. Lamartine, Hecker, Gagern, Kossuth, Jellacic) und -orte (z.B. Paris, Wien, Berlin, Frankfurt, Dresden, Rom, Venedig) zu spektakulär komplexe Prozesse, während andere wichtige Ereignisse und Vorgänge davor, daneben und danach aus großer Distanz im Schatten der Groß-Faktoren bleiben. Im Symbol-Ereignis welthistorischen Ranges verschlingen, brechen, arbeiten sich unzählige Faktoren vielfältig miteinander ab, mit historischen Voraussetzungen und Nachwirkungen zu neuen Groß-Ereignissen, zwischen Französischer Revolution 1789 und Ost-Wende 1989/91 samt Folgen, oder zwischen Wiener Kongreß 1815 und Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914. Der makrohistorische Überblick betont notwendig große Faktoren, ist aber offen für Nuancierungen der Spezialisten, deren Detailforschung, soweit sie auf dem Kolloquium zu erfahren war, schon Eingang in die Endfassung fand. Möglich ist als Rohskizze des gewaltigen historischen Prozesses nur ein Essay, buchstäblich als Versuch oder grober Holzschnitt, der sich, mit größerem Umfang, fast beliebig weiter detaillieren und nuancieren ließe.

II. Systematische Zugänge: 1848/49 als Europäische Revolution

Zunächst sind Abgrenzung als handhabbare Definition und revolutionshistorische Einordnung von 1848/49 nach vor- und rückwärts erforderlich. Zur zeitlichen und räumlichen Definition treten sachliche Inhalte, die soziale und nationale Dimension angestrebter wie erzielter Veränderungen, stets im Vergleich zu früheren und späteren Revolutionen. Parallel zur politischen Revolutionsgeschichte lief die Industrielle Revolution, mit im gesellschaftsgeschichtlichen Überschwang oft vernachlässigten außen- und machtpolitischen Komponenten. Nationalhistorische Stränge der Revolution von 1848 blieben oft in nationalen Revolutionsgeschichten isoliert, bilden aber für die historische Zusammenschau die unentbehrliche Grundlage: Erst das Panorama nationaler Revolutionen macht die Europäische Gesamtrevolution 1848/49 deutlich. Schon um nationale Verengungen zu

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vermeiden, ist der Gesamtprozeß zu betonen, als Europäische Revolution mit nationalen Varianten, die sich vielfältig gegenseitig beeinflußten, wie auch immer bewertet. 2 1. Zeitliche und räumliche Abgrenzung: Lateinisches Europa 1848/49 Zwischen 1789 und 1917 lag 1848 zeitlich fast in der Mitte der Revolutionsgeschichte, rutschte aber im Ablauf der Zeit heute zum Ende des ersten Drittels. So veränderte sich auch die historische Perspektive - quantitativ im Hinzuwachsen von Zeit, qualitativ durch inhaltliche Veränderungen im Zeitstrom, nationale wie soziale. Europäische Revolution 1848/49 umreißt die räumliche Dimension und Begrenzung. Als "offizieller" Beginn gilt hier die Pariser Revolution vom 22. Februar 1848, als Ende die Kapitulation der Stadtrevolution in Venedig am 28. 8. 1849. Zur engeren Vorgeschichte gehörten als "Präludium" die Krakauer Revolution 1846 (Podraza), Rest einer polenweit geplanten Nationalrevolution; der Schweizer Sonderbundskrieg 1847 und die Mailänder Unruhen vom Januar 1848. Aber deswegen begann die Europäische Revolution nicht schon 1846, 1847 oder Januar 1848. Das gewaltige Geschehen drängt sich auf 1 1/2 Jahre zusammen, kürzer als die Große Französische Revolution, die je nach Standort, für jakobinische bis kommunistische Republikaner nur bis 1799 reicht, für alle, die Napoleon I. als Erben und Vollstrecker der Revolution sehen, wenn auch nicht mehr in alleinseligmachende Republik, bis 1815. Dafür hatte 1848/49 einen weiteren Einzugsbereich, war in der Gewaltanwendung fast noch zivil, ohne revolutionäre Machtexzesse: Es gab nichts, das mit dem Großen Terror 1793/94 oder den Massenverbrechen kommunistischer Regime zu vergleichen wäre: Gewaltexzesse begingen Verteidiger des Ancien Regime, von der blutigen Niederschlagung des Pariser Juniaufstandes 1848 durch Cavaignac bis zu Massenexekutionen nach der Kapitulation der ungarischen Armee im August 1849. Die räumliche Begrenzung ergibt sich aus dem Namen - Europäische Revolution, fast beschränkt auf das lateinische Europa westlich von Rußland. Historische Voraussetzungen in West und Ost steuerten ihre Reichweite: Wie 1789 wiesen England und das zaristische Rußland aus entgegengesetzten strukturellen Gründen die Revolution ab: Im gefestigten Rechts-, Verfassungs- und Nationalstaat England herrschte schon das 2 Eine vorzügliche Gesamtdarstellung von Jean Sigmann: Eighteenfortyeight. The Romantic and Democratic Revolutions in Europe. London 1973; ferner Roger Price: 1848: Kleine Geschichte der europäischen Revolution. Berlin 1993.

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Parlament, als Fernwirkung der Englischen Revolutionen von 1640-60 und 1688/89, die erstmals die konstitutionelle und parlamentarische Monarchie 1688/1701 durchgesetzt hatte, seit der Großen Wahlrechtsreform von 1832 als Nahwirkung der Julirevolution 1830 mit Tendenz zur Demokratisierung durch schrittweise Ausweitung des Wahlrechts. Das zaristische Rußland dagegen ließ an seiner Autokratie die nationale und soziale Revolution abprallen. Aber in West und Ost bestätigten charakteristische Ausnahmen die strukturellen Faktoren: England erstickte zwar mit der ChartistenBewegung die soziale Revolution im eigenen nationalen Haus. Aber koloniale Zustände im Hinterhof Irland, Albions Ostelbien, jedoch im äußersten Westen, provozierten mit der ungelösten sozialen (Land-)Frage, verschärft durch die Große Hungersnot 1846-48, 1848 den Aufstand von Young Ireland in Munster, als Ausgangspunkt zur nationalen Revolution der Iren, mit Auswirkungen bis zum ethnisch-sozialen Bürgerkrieg in Nordirland seit 1966, der jetzt endlich vielleicht friedlich endet. Ähnlich wie England 1688/89, fand auch Dänemark 1848 für seinen nationalen Kernbereich einen friedlichen Übergang vom Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie, aber der integrale dänische Liberalismus und Nationalismus provozierte mit seinem Beharren darauf, den ethnischsprachlich gemischten Süden der Monarchie, Schleswig, in den neuen dänischen Nationalstaat einzugliedern, einen ethnischen Bürgerkrieg (Bregnsbo). Im orthodoxen Kernbereich Rußlands konnte sich die Revolution aus strukturellen Gründen noch nicht entfalten, rührte sich aber an einer Stelle seines lateinischen Westrandes, im Großherzogtum Finnland, das mit seiner Autonomie in der sonst zentralistischen Autokratie ohnehin eine Sonderstellung hatte. Ähnlich regten sich die westlichsten ebenfalls lateinischen und notorisch unruhigen Polen, nur in Posen, während Kongreß-Polen äußerlich ruhig blieb, erschöpft nach dem Novemberaufstand 1830/31. 2. Revolutionshistorische Einordnungen, 1789-1989/91

War die deutsche Revolution 1848/49 ein historischer "Knotenpunkt" 3 , in den viele Faktoren eingingen, so erst recht die Europäische Revolution: Über die Julirevolution 1830 war 1848 auch Folgerevolution zu 1789: Die meisten sozialen und nationalen Bewegungen Europas gingen durch die Revolution 1848/49, direkt oder indirekt, wie später durch den Ersten 3 Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. 2. Bd. Von der Reformära bis zur industriellen und politischen "Deutschen Doppelrevolution". München 1986, s. 660.

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Weltkrieg. Zeitlich nach vorn verweist 1848/49 über die Pariser Kommune 1871 auf die Oktoberrevolution 1917, deren Träger sich als radikalste Vollstrecker von 1789 und 1848/49 fühlten: Marx und Engels hatten 1848/49 erste praktische wie theoretische Erfahrungen mit Revolution und wollten sie als Auftakt zur proletarischen Weltrevolution weitertreiben. Als Vorlauf zu 1789 liegen die beiden Englischen Revolution von 1640-60 und 1688/89 ("Glorious Revolution") sowie der "Abfall der Niederlande von Spanien" (Schiller) als Achtzigjährige Krieg 1567-1648, wie er im kollektiven Gedächtnis der Niederlande fortlebt. Für die europäische Revolutionsgeschichte hätten wir ein gewaltiges Doppel-Triptychon, jeweils mit komplexen Verbindungen: 1789 - 1848 1917 und, als Vorlauf, 1567-1648- 1640-60- 1688/89, die vielfältig auf die revolutionären Prozesse ab 1789 einwirkten. Die Oktoberrevolution 1917 beschleunigte und intensivierte zunächst den Revolutionsprozeß, bereitete aber selbst dialektisch seinen Zusammenbruch 1989/91 in Europa vor staatliche Etablierung, Institutionalisierung und Repression, im Kalten Krieg seit dem heißen Afghanistankrieg zu Agonie und Kollaps eskaliert. 3. Die Industrielle Revolution: Wandel und Gewalt Inhaltliche Faktoren schlagen durch, erweitern wir den historischen Horizont noch mehr: Der moderne Revolutionsprozeß seit 1789 bewegte sich auf dem alles umwälzenden Boden der Industriellen Revolution mit Vorlauf seit der Frühen Neuzeit, der Expansion Europas in Übersee - Columbus in Amerika 1492, Vasco da Gama in Indien 1498. Man braucht kein Marxist (gewesen) zu sein, um dem gewaltigen Transformationsprozeß, der buchstäblich alle Lebensbereiche erfaßt und umwälzt, überragende Bedeutung zuzuerkennen: Politische Evolution, Reformen und Revolutionen suchten nach angemessenen Formen und Institutionen für den großen Wandel, den besten Staat für die Industrielle Revolution, vorangetrieben von großen Kriegen mit lang- wie kurzfristigen Folgen und schweren Wirtschaftskrisen. So drängt sich dem Historischen Realismus der Zusammenhang zwischen Veränderung und Gewalt auf: Je größer, rascher und tiefer Wandel je mehr Menschen erfaßte, desto mehr Gewalt war bisher verknüpft Krieg nach innen (gewaltsamer Umsturz, Bürgerkrieg, Terror) und außen (Kriege). "Die Rolle der Gewalt in der Geschichte" (Engels) schlägt auch im modernen Revolutionsprozeß durch, zu dem 1848/49 gehörte, früher oder später nach dem Durchbruch revolutionärer Gewalt. Was Lenin von der eigenen Revolution richtig feststellte, läßt sich auf andere Revolutionen übertragen - "Die Geburt der Revolution aus dem Kriege": Von

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der Französischen Revolution 1789 an ist der Zusammenhang zwischen Kriegen und Revolutionen unabweisbar. Kollapsrevolution entstanden aus schweren militärischen Niederlagen nach außen, die nach innen stets schwere Krisen auslösten, in der älteren Geschichte Sturz des Monarchen, gar der Dynastie und Agonie eines bislang expandierenden Reiches4 , in der neueren - Revolution: 1789 war erste moderne Kollapsrevolution aus der eskalierenden Staatskrise des Ancien Regime Frankreichs seit Scheitern seiner ersten Expansionsphase unter Ludwig XIV. im Spanischen Erbfolgekrieg, nach 75 Jahren. Der Sturz des Zweiten Empire 1870 und die Pariser Kommune 1871 waren klassische Kollapsrevolutionen als sofortige Reaktion auf eine schwere militärische Niederlage nach außen. In Rußland eskalierte die Revolution in einer Kette militärischer Niederlagen, vom Krimkrieg 1856 über den russisch~japanischen Krieg 1904/5 bis zum Ersten Weltkrieg 1917. Die mit~ teleuropäischen Revolutionen 1918 gingen aus dem militärisch~politischen Zusammenbruch der Mittelmächte am Ende des Ersten Weltkriegs hervor. Agonie und Sturz des Sowjetimperiums 1989/91 waren kurzfristig Folgen des Afghanistankriegs5 , langfristig innerer Strukturprobleme, mittelfristig einer anderen Trias von Kriegen, deren Dialektik sich gegen das Mutterland des historischen und dialektischen Materialismus wandte: Der sowjetische Pyrrhus~Sieg im Zweiten Weltkrieg, zudem nur dank westlicher Material~ und Strategiehilfe (Zweite Front), mit 1945 weit nach Westen vorpreschender Westexpansion als Vorgriff auf die geplante und erhoffte Weltrevolution; der Kalte Krieg, den die stalinistische Westexpansion provoziert hatte; zuletzt der Afghanistankrieg 1979-88, als klassische Niederlage an der Peripherie, den den Sturz eines bisher expandierenden Machtzentrums einleitete. Zwar begann die Revolution 1848 ohne vorherigen Krieg, setzte aber dafür einen Knäul innerer und äußerer Konflikte frei - Bürgerkriege (Frankreich im Juni 1848), "ethnische Bürgerkriege" (Pichler, Bregnsbo), u.a. in Schleswig-Holstein, Posen, Gro~Ungarn; internationale Kriege (Dänemark-Deutscher Bund, Österreich-Piemont), Unterwerfung isolierter Regional- und Stadtrevolutionen (Moldau-Walachei; Paris, Prag, Wien; Baden, Pfalz; Rom, Venedig). Darüber schwebte der Traum vom Kreuzzug der europäischen Völker zum Sturz des Zarismus und zur Befreiung Polens. 4 Näher skizziert bei I. Geiss: Great Powers and Empires: Historkai Mechanisms of their Making and Breaking, in: Geir Lundestad, Hg.: The Fall of Great Powers. Peace, Stability and Legitimacy. Oxford, New York 1992, S. 23-43. 5 Für eine begleitende zeitgeschichtliche Analyse jetzt ders.: Zukunft als Geschichte. Prognosen und zeitgeschichtliche Analysen zum Zerfall der Sowjetunion, 1980-1992. Stuttgart 1998.

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Selbst für die engste Vorgeschichte von 1848 lassen sich Marxsche Einsichten produktiv mobilisieren, den Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrisen und Ausbruch der Revolution: Gewiß nicht zufällig waren 1789 und 1848 jeweils schwere Agrarkrisen unmittelbar vorausgegangen, Mißernten, wie einer Agrargesellschaft angemessen, mit Teuerung der Grundnahrungsmittel und Hungerrevolten, beide Male ver~chärft durch je einen extrem schweren Winter 1788/89 und 1847/48. Gewiß mußten andere, eben politische Krisen, zum Durchbruch der Revolution hinzukommen. Aber die schweren Agrarkrisen und Winter erklären sehr wohl die auffällige Mobilisierung der Unterschichten, die eben am härtesten betroffen waren, der Armut in Stadt und Land (Landlose, Häusler). Nur akademischer Wohlstand in sozialer Distanz kann diese unmittelbaren Zusammenhänge leugnen oder gering achten. Zu Recht war für Wehler die Revolution 1848/49 "mehr als eine verspätete Reaktion auf die Hungerkrise von 1846/47", bei der Benennung verschiedener Faktoren zu ihrer Erklärung: Sie war auch, auf europäischer Ebene noch mehr als nur auf deutscher, "Kumulierung von gravierenden Modernisierungskrisen", für die die "springflutartige Expansion von Deprivationserfahrungen bis zum revolutionären Protest von 1848" gebührend zu berücksichtigen ist. 6 Analog schuf die chronische Wirtschaftsmisere im Sowjetimperium interne Voraussetzungen zum Kollaps, zumal durch den permanent aufreizenden Vergleich zum im Osten legendär überhöhten "Goldenen Westen". Im kommunistischen Osten dementierte tagtäglich das triste materielle Sein das ideale Bewußtsein eines selbstgeschaffenen sozialistischen Paradieses auf Erden.

4- Fünf Europäische Strukturgrenzen Die globale Industrielle Revolution als sozio-ökonomische Basis der politischen Revolution führt zu einer Gemeinsamkeit beider Prozesse, die für uns so selbstverständlich ist, daß es schon besonderer intellektueller Anstrengung bedarf, sie überhaupt wahrzunehmen und sie als mehr denn formale Banalität zu bewerten. Dazu wird erforderlich, schlichte Geographie zur elementaren Erklärung von Geschichte einzusetzen, die hierzulande riskiert, als "geopolitisch" und rechtsextrem diffamiert zu werden, seit dem "Historikerstreit" .7 Ausgangspunkt für gesunden historischen Menschenverstand ist die Beobachtung, daß sich Industrielle wie Politische Revolution generell von Norden nach Süden, von Westen 6 H.-U.

Wehler: Ebenda, S. 660, 693, 699. Wolfgang Wippermann: Wessen Schuld? Vom Historikerstreit zur GoldhagenKontroverse. Berlin 1997, S. 34-36. 7 Vgl.

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nach Osten bewegen, zeitlich versetzt in komplexen Unzeitgleichzeitigen von inhaltlicher (nationaler und sozialer) Substanz und Formen (Verfassungen) des riesigen Transformationsprozesses. Das Nord-Süd- und West-Ost-Gefälle von Industrialisierung und Revolution enthüllt ein noch älteres Doppel-Gefälle seit der Antike, das die gesamte schriftlich artikulierte Geschichte Europas durchzieht: Seitdem die antike Zivilisation, ursprünglich aus dem Alten Orient, das damals noch periphere und barbarische Europa erfaßte, gruben sich fünf große Strukturgrenzen in die historische Landschaft ein, wo der "Prozeß der Zivilisation" (Norbert Elias) für längere Zeit anhielt (zweimal je rund 300 Jahre) oder sich tiefgreifend differenzierte, hier in ungefähr chronlogischer Reihenfolge: 8 1. Der römische Limes, primär an Rhein und Donau (ca. 100), sekundär auch im Norden Britannias, der Europa in den schon zivilisierten Süden/Westen und noch auf ein weiteres rundes Jahrtausend barbarisch bleibenden Osten/Norden teilte. 2. Die Grenze von 395 (endgültige Reichsteilung Roms) und 1054 (letztes Schisma zwischen Ost- und Westkirche), Latinität im Westen und Orthodoxie im Osten. 3. Die Grenzen des lateinischen Christentums und Karolingerreichs um 800, primär gegen den slawischen, noch heidnischen Osten und muslimisch eroberten Süden Italiens (Mezzogiorno) und Spaniens, sekundär auch gegen die schon christlichen, aber noch unabhängigen romanisierten Kelten(Bretagne, Wales, Irland). 9 4. Doppelgrenze von Reformation/Gegenreformation 1517/63 - Süden überwiegend katholisch geblieben, Norden überwiegend protestantisch geworden, mit zwei nationalen Ausnahmen, Irland im Westen, PolenLitauen im Osten, in der Mitte Gemengelage, vor allem Deutschland, wo sich Revolutionskriege entzündeten. 5. Das Übergreifen osmanischer Expansion auf den Balkan ab 1359 schuf eine Grenze zwischen "Europa" und dem Islam, institutionalisiert in der Österreichischen Militärgrenze seit 1522, genau an der Nahtstelle zwischen lateinischem und orthodoxem Südosteuropa an der 8 In Buchform erstmals bei I. Geiss: Europa - Vielfalt und Einheit, S. 13f., dort allerdings noch ohne die fünfte, letzte Strukturgrenze, die ich nach dem Hinweis von Zoran Konstantinovic in der Diskussion in Otzenhausen seitdem gern hinzufüge. 9 Hierzu eindrucksvoll Jenö Szücs: Die drei historischen Regionen Europas. Aus dem Ungarischen. Berlin 1990.

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Drina, mit Bosnien-Herzegovina als Keil, der auf Wien (1529, 1683) zielte. Das Osmanische Reich isolierte fast 500 Jahre den orthodoxen, fortan teilweise muslimischen Südosten von der aus Nordwesten kommenden Modernisierung, mit explosiven Folgen. Alle Strukturgrenzen brachen 1848/49 unmittelbar als Konfliktlinien wieder durch: Die Revolution mitsamt ihren lang- wie kurzfristigen historischen Voraussetzungen kam von diesseits des Limes, aus England und Frankreich. Ihr Einzugsbereich konzentrierte sich auf das lateinische Europa, allerdings südlich Skandinaviens. In Preußen-DeutschlandMitteleuropa wurde die Strukturgrenze von 800/1492-98 neu virulent, im Konflikt zwischen agrarisch-junkerliebem Ostelbien und sich industrialisierendem liberal-revolutionären "Westelbien". Da die neue deutsche Hegemonialmacht Preußen betont protestantisch war, schlug auch die Strukturgrenze von Reformations und Gegenrevolution sekundär durch, vorübergehend als berühmte Maingrenze, kurzfristig institutionalisiert im Norddeutschen Bund (1867-71). Die Niederwerfung des revolutionären Wien u.a. durch Truppen des Ban Jellacic von der Militärgrenze mobilisierte die jüngste Strukturgrenze zwischen lateinischem und muslimischen Europa, da sich die "Grenzer", wie in vergleichbaren Situationen, in jahrhundertelangen erbitterten Grenzkämpfen ihren Feinden zumindest partiell angepaßt hatten, in Erscheinung, Mentalität und Kampfesweise. 5. Historische Gefälle - Süd-Nord und West-Ost

Folgen der Strukturgrenzen sind dramatisch - vielfältige Bruch- und Konfliktlinien: Von den überragenden Zivilisationszentren Europas taten sich zwei große Zivilisations-, Macht- und Prestigegefälle der longue duree auf: Ein älteres Süd-Nord-Gefälle drehte sich in der Neuzeit mit der Wanderung des ökonomischen Schwerpunktes von Italien seit den Kriegen um Italien (1494-1559), die zugleich die Kulturblüte der italienischen Renaissance beendeten, über Flandern nach Holland und England von Nord nach Süd um, verschärft durch Englands Industrielle Revolution. Das neuzeitliche Nord-Süd-Gefälle verlängerte sich generell nach Süden, über Kolonialreiche, Entwicklungsländer und "Dritte Welt" im Kalten Krieg zwischen "Erster" und "Zweiter Welt". Ein jüngeres West-Ost-Gefälle hielt sich seit dem Schwenk der römischen Legionen zum Rhein vor 2000 Jahren, seit dem Sturz des Kommunismus 1990/91 mehr denn je zuvor. Es ist an den großen Strömen Europas abzulesen, vom Wohlstandshöhenrücken Rhein-Rhone-Italien bis Rom nach Osten über Eibe, Oder-Neisse, Weichsel, Bug, Djnepr, Wolga

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bis nach Zentralasien, wo sich von Fernost ein neues Wohlstands- und Prestigefälle aufbaute. Wer "höherstand", schaute auf "unter" ihm herab, als "Barbaren", die ihrerseits mit einer Mischung aus Minderwertigkeitskomplexen gegenüber "Höherstehenden" und Überlegenheitskomplexen gegenüber ihren "Niedrigerstehenden" reagierten, zwischen und in Völkern und Staaten, z.B. Frankreich, Italien, Spanien von Nord nach Süd, in Deutschland und slawischen Ländern, von West nach Ost. Dahinter wirkt ein eherner Mechanismus, der sich quasi-naturwissenschaftlich so umschreiben läßt: Der Einfluß von Zivilisation, Entwicklung und Modernisierung, in der Neuzeit auf industrieller Basis, und Macht nimmt räumlich schnell ab, symbolisch mit dem Quadrat der Entfernung. Kommen gravierende geographische Hindernisse hinzu, wie zerklüftete Gebirge (Balkan, Kaukasus), ausgedehnte Sümpfe und Wälder, so tritt leicht die dritte und vierte Potenz hinzu, Höhe und Zeit. Entsprechend schwächte sich die zivilisatorische Entwicklung ab, je weiter von den mittelalterlichen Zentren Europas entfernt - erst Konstantinopel/Byzanz, danach Italien im Süden, Frankreich im Westen. Mit, der Industriellen Revolution trat England als neues Zivilisationszentrum hinzu. Daher erreichten den Norden und Osten, also jenseits des Limes, Christentum, als Symbol für das höchste in der Region erreichbare zivilisatorische Niveau im Mittelalter, und komplexere Wirtschaftsformen um Jahrhunderte später als den Süden und Westen: Den lateinischen Westen prägte die Ausbreitung der römischen Kirche vom Süden (Italien) und Westen (Irland; England, Frankenreich). Der mittelalterlicher Landesausbau vom Pariser Becken ab ca. 787, nach Norden und Osten über Deutschland, ermöglichte ein freiwirtschaftendes Bauerntum, zeitlich versetzt, die allmähliche Bauernbefreiung, seitdem sich französische Kronbauern ab 1315 durch einmalige Zahlung freikaufen konnten. Vorangetrieben wurde der Prozeß durch Bauernaufstände im Umland der Haupstadt der großen Nationalmonarchien (Jacquerie, 1356: Paris; Wat Tyler-Aufstand, 1381 London), parallel zu Aufständen der städtischen Armut, angeführt von Webern. 10 Proto-Nationalmonarchien als poströmische Nachfolgestaaten kamen aus dem äußersten Westen, Städte mit kommunaler Autonomie aus römischer Wurzel von Italien (Benevent 1015), Stände als gesamtgesellschaftliche Repräsentationsorgane mit regionalen Autonomien begannen im Nordspanien der Reconquista (Leon ab 1188) und wurden Vorläufer der 10 Allgemein Michel Mollat/Philippe Wolff: The Popular Revolutions of the Late Middle Ages. Aus dem Französischen, London 1973.

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modernen Parlamente. Renaissance und Aufklärung, das römische Recht, kodifiziert in Konstantinopel {529), rezipiert in Bologna (um 1100), wurde Grundlage zum Code Napoleon {1804) mit nationalen Fortschreibungen (in Deutschland, der BGB 1900), die großen Baustile von Romanik bis Barock - alle große Entwicklungen in Europa entstanden im Westen oder Süden des lateinischen Europa und erreichten den Norden und Osten entsprechend später: Wer kreuz und quer durch Europa reiste, bewegte sich wie in einer riesigen historischen Zeitmaschine, rückwärts und vorwärts durch ältere und jüngere Entwicklungsstufen in strukturellen Ungleichzeitigkeiten. Das "Projekt Moderne" {Habermas) verschärfte mit beschleunigtem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, mit Rechtsund Verfassungsstaat, Industrieller wie Politischer Revolution und Säkularisierung das klassische West-Ost-Gefälle, nach Westen verlängert in die Neue Welt Neu-Europas. Drei wichtige Modifizierungen sind erforderlich: 1. Italiens außerordentliches Kulturprestige seit der Antike, Frankreichs

seit dem Mittelalter blieb ungebrochen, selbst wenn sich ihre politische Macht als poströmisches Machtvakuum aufgelöst (Italien seit dem Symboldatum 476) oder als überragende Großmacht vermindert hatte {Frankreich seit 1815) und Deutschland sie qualitativ in vieler Beziehung seit ca. 1800 überholte.

2. In ex-Jugoslawien überschnitten und verstärkten sich beide Gefälle katastrophal: Slowenien und Kroatien lagen im lateinischen Westen und Norden, waren daher stärker industrialisiert und modernisiert als der agrarisch "rückständige", orthodox-muslimische Osten und Süden. So zerbrach Jugoslawien zweimal an seiner internen Strukturdiskrepanz. 11 3. Anders überschnitten sich Nord-Süd- und West-Ostgefälle in Rußland, jeweils an ihrem unteren Ende, so daß Rußland, auf seinem Andreaskreuz wie ein Sisyphos, seinen Felsbrocken gleich zwei schiefe Entwicklungsbahnen hochwälzen mußte. Die großen Strukturgefälle der longue duree mit unvermeidlichen Ungleichzeitigkeiten machen jede Klage über "deutschen Sonderweg", "verspätete Industrialisierung" oder "verspätete Nation" zu moralisierendem Voluntarismus, der nachträglich die Geschichte am liebsten für die Vergangenheit korrigieren möchte, zum rechten "Holzweg" 12 einer linken 11 Ausführlicher bei I. Geiss/Gabriele Intemann: Der Jugoslawienkrieg, Brennpunkt Geschichte. Frankfurt/Main 2 1995. 12 Hierfür und für das Folgende ausführlicher I. Geiss: Der Holzweg des deutschen Sonderwegs, in: Kirchliche Zeitgeschichte (KZG), 7/2, 1994, S. 191-208.

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political correctness, der für die Vergangenheit strukturgeschichtlich in die Irre führt: Die ehernen Strukturgefälle legen mit ihrer Nähe oder Distanz zu den großen Zivilisationszentren, allen Nuancierungen nach Zeit und Raum zum Trotz, die Position aller Regionen, Völker und Staaten fest, steuern unerbittlich ihren jeweiligen Weg durch die Geschichte: Daher gibt es zahlreiche nationale und regionale "Sonderwege", eben auch einen deutschen, mit seinem Extrem an "nationalen" Extrempositionen innerhalb des Spektrums europäischer Möglichkeiten und absoluten Ausnahmen, seinen komplexen Verzahnungen vor allem zwischen West und Ost, da drei der europäischen fünf Strukturgrenzen durch Deutschland gehen und für mannigfache Verwerfungen, Komplikationen und Irrationalitäten bis historisierende Hysterien sorgten. 6. Das revolutionäre West-Ost-Gefälle

Alle Groß-Themen der europäischen Geschichte lassen sich mit den oben umrissenen Faktoren rational analysieren, gewiß noch mit weiteren historischen Mechanismen- moderner Nationalstaat und Nationalismen, Revolutionen im allgemeinen, die Europäische Revolution 1848/49 im besonderen: Alle großen Stränge europäischer Modernisierung nahmen ihren Ausgang im Nordwesten- Holland im 16./17., England und Südschottland im 17./18. Jahrhundert. Oberflächlich folgte die Industrialisierung zunächst den Kohlefeldern unter der Erde, von England über Belgien, Nordostfrankreich, Ruhr- und Saargebiet, Oberschlesien, Westpolen bis zum Don- und Donezbecken im Süden des zaristischen Rußland, diagonal quer durch Europa von Nordwest nach Südost. Aber im Aufstieg der Industriellen Revolution waren konstitutionelle und damit politische Faktoren nicht minder wichtig: Ohne intellektuelle, wissenschaftlich-technische und soziale Infrastrukturen war es nicht möglich, die Kohlefelder aufzuspüren und auszubeuten. Oft kamen Techniker und Ingenieure aus dem Westen, so Engländer und Schotten für Deutschland, Deutsche für Polen und Rußland. Während England das anfangs fortgeschrittenere Frankreich mit dem Durchbruch zur Industriellen Revolution ab ca. 1760 überflügelte, zog Frankreich 1789 politisch mit seiner gegenüber 1640-60 und 1688/89 radikaleren Revolution nach und. bestimmte nun das Tempo der Revolution. Der Wellenschlag der Großen Revolution wie der Folgerevolutionen von 1830 und 1848 verebbte generell im agrarischen Osten, modifiziert durch Polen als große Ausnahme, das sich in nationalem Interesse an Frankreich orientierte, am Nachbar seines westlichen Nachbarn Deutschland, vertreten durch die beiden Teilungsmächte Österreich und Preußen. Je weiter im Ost-West-Strukturgefälle die Revolution fortschritt, desto später kam sie, orientiert am "fortschrittlicheren" Westen, der

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dem zurückgebliebenen Osten die Zukunft wies (Marx). Vor allem galt es, "revolutionäre Errungenschaften" im Mutterland der Revolution einzuholen, bis zum extremen Voluntarismus der Bolschewiki, die alle vorausgegangenen Revolutionen studierten, um sie in Rußland systematisch und planmäßig von unten zu machen, im Militärstaatsstreich der Oktoberrevolution 1917 (Hannelore Horn). Östlich von Frankreich eiferten Völker der "Grande Nation" nach, möglichst rasch auch das Niveau der souveränen, sich nach innen und außen selbstregierenden Nation zu erreichen. Kleine, schwache, staatslose, "geschichtslose" Bauernvölker, als "Völkerruinen" und "Trümmer von Nationalitäten" (Marx/Engels) bisher als verachtete Objekte imperialer Großreiche umhergestoßen, wurden selbst "Subjekt werden wollende Völker" (Pichler), wollten souveräne Nationalstaaten haben. Hindernisse waren der agrarischfundierte Adel mit ständischen Privilegien seit dem Mittelalter, auf dem Kontinent vor allem Steuerfreiheit und rechtliche Bevorzugung, staatlich verfaßt in dynastischen Reichen der "Nordischen Höfe", wie es noch bis etwa im amtlichen Sprachgebrauch hieß, also Rußland, Österreich und Preußen, ferner das Osmanische Reich: (Schriftliche) Verfassung und Nationalstaat wurden revolutionäre Forderungen. Für die Konstituierung des neuen Nationalstaates bot der sich liberalisierende Westen nach 1789 verschiedene Modelle - zunächst die jakobinisch-republikanische Tradition der "Demokraten", wie bis nach 1848/49 noch Befürworter der extremsten Form der Revolution hießen. Eine radikalere Variante des liberalen Konstitutionalismus war die spanische Verfassung von Cadiz von 1812. Für eine gemäßigte liberale Verfassung gab es nochmals zwei Unter-Varianten - die französische Charte Constitutionnelle von 1814 oder die parlamentarische Monarchie Englands, die sich seit 1688/89 ohne danach zusätzlich revolutionäre Brüche weiterentwickelt hatte. Moderner liberaler Konstitutionalismus und radikaler Republikanismus kamen immer aus dem Westen, die Menschenrechte sogar aus Amerika. Daher standen, wie in Frankreich seit 1789, am Anfang von Revolutionen oft Verfassungsgebende Nationalversammlungen: Orientierte sich die Französische Revolution 1789 teilweise auch nach dem englischen Präzedenzfall aus dem 17. Jahrhundert, so schaute Europa östlich des Rheins später meist nach Frankreich. 7. Die soziale und nationale Dimension Scheinbar formale (räumliche, zeitliche) Quantitäten schlugen in inhaltliche Qualitäten zu Differenzierungen der Industriellen und Politischen 6 Tirnrnermann

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Revolution um. Die Unterscheidung zwischen sozialer und nationaler Revolution ist nur theoretisch möglich, denn die historische Wirklichkeit war, wie stets, zwischen beiden, idealtypischen Polen gemischt: "Soziale" Revolution enthielt stets auch "nationale" Elemente und umgekehrt. Der Inhalt der "sozialen Frage" war im Westen industriell, im Osten agrarisch, Deutschland, wie so oft, in der Mitte, auch hier im West-Ost-Gefälle. Die "nationale Frage" enthielt zudem politische Elemente, die wieder sozio-ökonomisch bedingt waren, vor allem eine moderne Verfassung nach westlichem Vorbild. Nach 1848. begann auch eine für nationalgemischte Regionen typische Entwicklung: Stadtbevölkerungen, in der sozio-ökonomisch wie kulturell Angehörige einer anderen Nationalität dominierten, von West nach Ost Deutsche, Juden, Polen, wurden in der sich anschließenden Industrialisierung durch Zuzug aus dem agrarischen Umland gleichsam überschwemmt und durch eine neue Stadtbevölkerung der dominierenden Nation mehr oder weniger ersetzt, z.B. Tschechen, Slowaken, Polen, Ukrainer, nach Südost Slowenen, Kroaten. Der Prozeß fand teilweise erst durch den Zweiten Weltkrieg und seine unmittelbaren Folgen ein Ende. Für den revolutionären "Fortschritt" drängt sich eine Faustregel auf: Je weiter östlich, desto später Industrielle und Politische Revolution; je später und östlicher die Revolution, desto mehr war an Transformationen im Verhältnis zum Westen nachzuholen, desto radikaler konnte Revolution durch- und zuschlagen, weil der Erwartungshorizont inzwischen immer weiter gestiegen war. Je später und östlicher die Revolution vordrang, desto mehr veränderte sich ihre inhaltliche Substanz: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" war 1848 nur möglich, wo es schon Industrie mit Industrieproletariat gab, ungefähr westlich des Rheins, mit nur punktuellen Ansätzen östlich des Rheins. Im noch immer überwältigend agrarischen Osten bestand die soziale Frage vor allem aus der Landfrage - Land für Bauern, je weiter im Osten desto schärfer. Hier zeigen sich verspätete Folgen eines Vorgangs, dessen Dramatik erst jüngst so recht aufging: 1. Leibeigenschaft und Gutwirtschaft ab 1492-98 luden die Strukturgrenze von 800 nach Osten sozio-ökonomisch auf und spalteten den Kontinent gleichsam unterirdisch: Während der westliche Rand am Atlantik zur Expansion Europas in Übersee und Modernisierung aufbrach, fiel der Osten, jetzt auch die Ost-Lateiner östlich der Elbe-Enns-Linie, um Jahrhunderte in ihrer Entwicklung zurück. Im Westen bildeten tendenziell freiwerdende Bauern, Stadtbürger und niederer Landadel (in England: gentry) die soziale Grundlage für die Nationalmonarchie. Dagegen waren 2. Leibeigenschaft und Gutswirtschaft soziale Grundlagen der absoluten Monarchie bis hin zur Agrarsklaverei der

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zarischen Autokratie, von West nach Ost stärker. Gleichzeitig wurden oder blieben kleinere Völker dynastischen Großreichen integriert, die verachteten staats- und "geschichtslosen" Bauernvölkern und rechtslosen Untertanen die umstürzenden Errungenschaften des lateinischen Westens erst recht verweigerten. So erklärt sich die Verschränkung der sozialen mit der nationalen Revolution östlich des Rheins, die 1848/49 erstmals auf breiter Front durchbrach: Revolutionäre Volksbewegungen wollten nachholen, was die absolute bis autokratische Monarchie im Interesse des Machterhalts blockiert hatte - den vollen Rechtsstaat, u.a. mit Geschworenengerichten, die schon die Englische Revolution im 17. Jahrhundert erkämpft hatte; die volle Bauernbefreiung, in Deutschland auch die (fast völlige) Judenemanzipation; (schriftlich fixierte) Verfassungen mit Parlamenten, Trennung von Fürsten- und Staatshaushalt, wie in England seit dem Act of Settlement 1701. Alle solche Forderungen galten ab 1789 als revolutionär. Im saturierten Westen kommen sie uns heute als banale Selbstverständlichkeiten vor, während die Ost-Lateiner sie nach ihren Erfahrungen mit rechts- wie linkstotalitären Regimen sehr viel besser zu würdigen wissen. Daher nahm 1848/49 die Stärke der Nationalrevolution von West nach Ost ab, der Sozialrevolution entsprechend zu, wandelte sich die Substanz der sozialen Frage: In Frankreich, wo die Bauern schon seit 1789 frei von letzten feudalen Lasten waren, brach die soziale Frage erstmals voll als industrielle Arbeiterfrage durch, wie in den "Erinnerungen" Tocquevilles nachzulesen. 13 In Deutschland wiederholte die "heftigste Agrarrevolution" 14 zunächst den Deutschen Bauernkrieg und erzwang die Beseitigung der letzten Reste feudaler Grundherrschaft. In Schlesien richteten Bauern zahlreiche Petitionen mit Beschwerden über ihre schlechte Lage an die Behörden (Ries), in Substanz und Wirkung ähnlich den "cahiers de doleances" von 1789. Sonst verharrten in weiten Gebieten östlich der Eibe die Bauern noch in traditioneller Loyalität gegenüber angestammten Obrigkeiten, als "des Königs Volk" (Pichler). Der junge Bismarck wollte gar mit seinen altmärkischen Bauern nach Berlin ziehen, um die Stadt-Revolution niederzuschlagen. Erste Arbeitervereine blieben noch peripher und verliefen im Sande: Östlich des Rheins gab es ohnehin kaum ein "Proletariat", das sich hätte vereinigen können. 13 A. de Tocqueville: Erinnerungen, mit einer Einleitung von Carl J . Burckhardt. Stuttgart 1954, S. 109f. 14 H.-U. Wehler: Ebenda, S. 666, nur auf Preußen gemünzt, aber auf Deutschland insgesamt übertragbar.

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Zugleich brach die Strukturgrenze von 800 und 1492/98 wieder durch, innerhalb Preußens und Deutschlands zwischen einem agrarischen konservativ-reaktionären Ostelbien, das die Konzession an die Revolution in Form einer (wenn auch oktroyierten und beschränkten) Verfassung machen mußte, und (dem so nie genannten) "Westelbien", das sogar mit der Märzregierung mit Industriellen und Bankiers vom Rhein anfangs die politische Führung in Berlin übernahm und Marx das Erscheinen seiner "Neuen Rheinischen Zeitung" als Organ der revolutionäresten "Demokraten" ermöglichte.

8. Nationale Fragen und Nationalismen Aus dem West-Ost-Gefälle erklärt sich die Gemengelage nationaler und sozialer Faktoren in der Europäischen Revolution 1848/49, östlich des Rheins und südlich Dänemarks als Primat der nationalen Revolution: Agrarische Völker unter Fremdherrschaft aristokratisch-monarchische Reiche suchten ihr Heil in rascher Modernisierung, ökonomisch durch Industrialisierung, politisch in Nationalstaaten. So heben sich vier große Zonen abgestufter nationalstaatlicher Entwicklung ab15 , die daher auch den Verlauf der Revolution 1848/49 bestimmten: Diesseits des Limes existierten die vier traditionellen Nationalstaaten, von denen sich zwei seit ihrer Expansion in Übersee 1492/98 faktisch von Europa abgewandt hatten, bis zum Ende ihrer Kolonialreiche 1975 (Portugal, Spanien), während England und Frankreich die Ausgangszentren des Verfassungsstaates und der modernen Revolution waren. Hinzu traten etwa ab 1000 die skandinavischen Nationalmonarchien, ferner die Schweiz (ab 1291) und die neuen Niederlande (ab 1581) als Nationalstaaten neuen Typs. Abgesehen von Schwankungen in den Revolutions- und Napeoleonischen Kriegen 1792-1815, blieben sie als Nationalstaaten unangefochten. Östlich des Rheins und südlich Skandinaviens schloß sich die große Zone Nationaler Fragen und Instabilitäten an, von West nach Ost nochmals unterteilt in zwei Unterzonen: Italien und Deutschland waren poströmisch-imperiale Machtvakuen, seit 476 bzw. 1198 (Thronkrieg Staufer-Welfen), fragmentiert in zahlreiche italienische bzw. deutsche Staaten, deren Hauptproblem im Zeitalter des Nationalismus wurde, sich zu einem Nationalstaat zusammenzuschließen. Östlich davon lagen die Völker, die um 1800 überhaupt keinen Staat hatten, wiederum unterteilt in drei Unter-Unterzonen: Östlich von Deutschland und Italien schlossen 15 Ausführlicher I. Geiss: Nation und Nationalismus in der modernen Welt, in: Dietrich Schlegel, Hg.: Der neue Nationalismus. Ursachen, Chancen, Gefahren. Schwalbach/Ts. 1994, s. 9-29.

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sich (meist) lateinische Völker an, die irgendwann seit dem Mittelalter einen früheren (souveränen oder autonomen) Proto-Nationalstaat mit imperialen Ansprüchen verloren hatten - Griechen (169 v. Chr., bzw. 1204); Kroaten (1102), Ungarn (1526), Litauer (1569), Böhmen (1620/23), Polen (1795). Hinzu kamen, generell noch weiter östlich, die östlichsten lateinischgeprägten Völker, die nie einen eigenen Staat hatten (Slowenen, Slowaken; Letten, Esten, Finnen). Ihnen folgten orthodoxe Völkern, die ihren mittelalterlichen Staat verloren (Bulgaren, Serben) oder nie einen eigenen Staat hatten (Albaner, Ukrainer, Weißrussen), während die Rumänen in den Donaufürstentümern als periphere Vasallenstaaten des Osmanischen Reiches ihre prekäre Autonomie behaupteten. Noch weiter im Osten dräute mit Rußland der Koloß des Zarenreiches, das die meisten Völker absorbiert hatte und mit seiner traditionellen Expansion noch weitere zu verschlingen drohte, also an der Schaffung Nationaler Fragen erheblich beteiligt war, die im Völkerfrühling 1848 erst aufbrechen konnten. Da ihr Nationalismus territoriale Ansprüche im Rückgriff auf ältere (noch so kleine oder kurzlebige) "Reiche" ableitete, überschnitten sich Grenzforderungen meist in Randgebieten: "Groß-deutsche", "großungarische", "groß-serbische", "groß-kroatische", "groß- bulgarische" Nationalismen kollidierten früher oder später, wo sie dieselben Territorien reklamierten, mit "historischen" Rechten und Ansprüchen, z.B. in Makedonien und Bosnien-Herzegovina. Der "Völkerfrühling" 1848 setzte erstmals die Völker in ihren (angeblichen oder wirklichen) "Völkerkerkern" frei, zugleich auch nationale Konflikte und "ethnische Bürgerkriege", bis hin zu ex-Jugoslawien in unseren Tagen. Ältere Loyalitäten zu Dynastie, Religion oder Region wurden im Prozeß einer von aufgeklärten Intellektuellen initiierten Fundamentalpolitisierung ersetzt durch die "Nation", deren historische Grundierung in einem älteren "Reich" tatsächlich weitgehend fiktiv war. Nur soweit erscheint die modische These von der "Erfindung" der Nation einigermaßen plausibel und hilfreich. In ethnisch und sprachlich gemischten Gebieten, meist zur Peripherie eines kompakten Nationalterritoriums, polarisierten sich Differenzen zu nationalen Gegensätzen: Wie in Schleswig-Holstein (Bregnsbo) verlangten neue Nationalismen Identifizierung und offene Bekenntnisse, zerrieben so ältere Regional-ldentitäten in "ethnischen Bürgerkriegen", so ab 1848 auch in Böhmen und Mähren zwischen Tschechen und Deutschen, Posen zwischen Polen und Deutschen, später auch in Oberschlesien, in Ulster, seit dem Zerfall Jugoslawiens auch in Bosnien-Herzegovina, mit den bekannten Folgen.

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War die Revolution 1848 im etablierten, in der älteren Geschichte wurzelnden Nationalstaat Frankreich ein letztes Mal ausgebrochen, schon mit überwiegend (industriellen) sozialen Inhalten, vorangetrieben vom sich revolutionierenden Industrieproletariat, so dominierte in den Zonen der verschiedenen Nationalen Fragen eindeutig das nationale Element. Im deutschen "tollen Jahr" überwog, nach kurzen aber heftigen Revolutionen in Land und Stadt16 , die parlamentarische Kanalisierung, vor allem in Frankfurt und Berlin, der Ruf nach Verfassungen und einem neuen Reich als Nationalstaat. Auch hier liegt die Verknüpfung von sozio-ökonomischen mit politischen Erwartungen auf der Hand: Der größere gesamtdeutsche Markt eines (groß- oder kleindeutschen) National-Reichs würde auch der darniederliegenden Wirtschaft aufhelfen, was ja auch eintrat, und dazu mußte für das neue Reich eine Verfassung her. 9. Die Russische Revolution Dagegen brach sich zunächst die revolutionäre Welle am und im orthodox-autokratischen Rußland. In seiner dreifachen Randlage und Zivilisationsferne am Schnittpunkt der beiden europäischen Strukturgefälle (Byzanz, lateinischer Westen) und China hatte Rußland, ächzend unter der "Tyrannei der Entfernungen" 17 , enorme Distanzen zu verkraften. Nach Erlöschen seines traditionellen, ohnehin schon längst in Orthodoxie erstarrten Kulturzentrums Byzanz 1453 erlaubte die zarische Autokratie punktuelle Reformen zur Modernisierung nur im Interesse eigener Machtpolitik, in gewollter Selbstisolierung vom Westen, der meist als feindlich galt, obwohl von ihm Kapital, Techniker und Innovationen kamen. So hielt der Zarismus 1789-1815 wie 1848/49 die Revolution vom eigenen Machtbereich fern, selbst wenn sie sich hinter der autokratischen Fassade seit der Rückkehr russischer Offiziere aus Frankreich 1814 doch schon regte, sichtbar erstmals im Dekabristenaufstand 1825 und der Reaktion Nikolaus I. auf ihn, indem er einige revolutionäre Forderungen von oben behutsam aufgriff (Detlef Jena) und die innerrussische Opposition 1848 die Revolution im Westen heimlich begrüßte (Afanassiev), womit sich im vor-revolutionären Untergrund selbst der zarischen Autokratie schon das Reformpotential seit Alexander II. wie die spätere Revolution vorbereitete. 1849 jedenfalls hielt Nikolaus I. die Revolution im Westen nieder - direkt in Ungarn, nachdem Österreich 16 Zusammenfassend, aber mit strukturell erhellenden Details, H.-U. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, II, S. 706-715; S. 715- 724. 17 So für die Anfange der modernen Geschichte Australiens: Geoffrey Blainey: The Tyranny of Distance. How Distance Shaped Australia's History. Melbourne 1972.

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allein zu schwach war, sowie, in Zusammenarbeit mit dem Osmanischen Sultan, in den Donaufürstentümern, indirekt durch politischen Druck auf Preußen, im westelbischen Deutschland (Rheinland, Pfalz, Baden) sowie in Sachsen die revolutionäre Reichsverfassungskampagne durch militärische Intervention zu ersticken- "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!". Als rocher de bronze entfernte sich das zarische Rußland mit seinem konterrevolutionären Triumph noch weiter vom sich nun erst recht industrialisierenden und liberalisierenden Westen, dem es im Krimkrieg unterlag. Zur Vermeidung einer anarchischen Leibeigenenrevolution führte der Reformzar Alexander Il. seit der Bauernbefreiung 1861 punktuelle Elemente westlicher Rechtsstaatlichkeit ein, behielt aber die Autokratie bei. Nach innen sollten Bauernbefreiung und liberale Anschlußreformen durch sozialen Umbau Rußland den Weg zur Industrialisierung nach preußischem Vorbild ebnen, um sich als Großmacht zu behaupten. Gleichzeitig begann in den eroberten Untertangebieten eine verschärfte Russifizierung, während die traditionelle Expansion nach Osten und Süden einen neuen Schub erhielt. Mit seinen Reformen, ohne Preisgabe der Autokratie, wurde Alexander Il. jedoch Opfer der revolutionären Intelligentsjia, die er gerade durch seine liberale Reformen freigesetzt hatte. So führte er mit seinem Ritt auf dem Tiger eigenhändig die tödliche Dialektik von Industrieller und Politischer Revolution vor, die Bismarck als preußischer Botschafter in St. Petersburg sofort scharfsinnig erfaßte: Hinter der Fassade der scheinbar ungebrochenen Autokratie lauert bereits die soziale und nationale ( = panslawistische) Doppelrevolution, die bei der nächsten schweren Niederlage durchbrechen wird, weshalb Bismarck das Zarenreich tunliehst außen- und machtpolitisch schonen wollte. Dem Reformschub nach dem Krimkrieg entsprach nach einer ersten Industrialisierungsphase um 1900 der erste Revolutionsschub 1905/6 als nächste Kollaps-Reaktion auf die nächste schwere Niederlage, gegen Japan 1904/5. Der faktische begrenze Konstitutionalismus, aber ohne theoretisch den Anspruch des Zaren auf Beibehaltung seiner Autokratie anzutasten, blieb als "Scheinkonstitutionalismus" noch hinter Frankreich 1789 und Mitteleuropa 1848 zurück. Die Kollaps-Revolution vom Februar /März 1917 holte mit der parlamentarischen Republik formal Frankreich 1792 und 1848 ein. Aber in der Oktoberrevolution überschlug sich der Revolutionsprozeß förmlich, denn sie machte alle rechts- und verfassungsstaatlichen Errungenschaften aus dem Westen seit 1861 mit einem Schlag wieder rückgängig, bis auf technokratisch die schon punktuell angelaufene Industrialisierung, ideologisch den aus dem Westen gekommenen Marxismus. Industrielle und politische Revolution sollten fortan zeitlich wie inhaltlich synchron verlaufen und sich gegenseitig

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stärken: "Sozialismus = Räteherrschaft + Elektrifizierung des Landes" (Lenin). Das rückständige agrarische Rußland sollte sich in einem gewaltigen Kraftakt aus eigener Kraft industrialisieren und modernisieren, den jahrhundertelangen Vorsprung des lateinischen Westens aufholen und überholen. Als Avantgarde der proletarischen Weltrevolution, jedoch im Bündnis mit dem industriell und sozialistisch fortgeschrittenen Deutschland, sollte Sowjetrußland zur Weltmacht aufsteigen, zur revolutionären Weltherrschaft. Der hybride Voluntarismus scheiterte an der dreifachen Randlage Rußlands. Die stalinistische Roßkur trieb das linkstotalitäre Sowjetimperium in den Kollaps 1989/91.

10. Machthistorische Dimensionen, innen wie außen Der Blick über den unmittelbaren engeren Einzugsbereich der Europäischen Revolution 1848/49 nach Osten führt automatisch ins Labyrinth der russischen Revolutionsgeschichte, die sich nach 1989/91 als abgeschlossene historische Periode überblicken läßt, von da zu machthistorischen Zusammenhängen, die in revolutionshistorischen Analysen sonst meist untergehen, beschränkt auf die Machtfrage nach innen. Gewiß bleibt für die Revolutionsgeschichte der sonst an sich fragwürdige "Primat der Innenpolitik" (Wehler) einigermaßen plausibel, aber nur wenn zur Abwechslung und notwendigen Ergänzung gelegentlich auch revolutionäre Außenpolitik in den Blick kommen darf. Für die allgemeine Welt- und Machtgeschichte rückt die moderne Revolution in eine etwas andere Optik: Zwischen Wiener Kongreß 1815 als Abschluß der Französischen Revolution und Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 war die Europäische Revolution 1848/49 wichtigstes innenpolitisches Einzelereignis mit außenpolitischen Folgen, während der zeitlich benachbarte Krimkrieg 1853/54-1856 wichtigstes überwiegend "außenpolitisches" Einzelereignis zwischen 1815 und 1914 war, mit schwerwiegenden "innenpolitischen" Konsequenzen, u.a. Reichsgründung 1871 als wesentliche Voraussetzung zum Ersten Weltkrieg - eine starke Mitte Europa, imperial zusammengefaßt, ökonomisch und demographisch in einem geradezu atemberaubenden Aufstieg begriffen. Von der Reichsgründung 1871 war es sachlich wie zeitlich nicht mehr weit zum Ersten Weltkrieg, der schon nach drei Jahren in Rußland die nächste Stufe der Revolution hervorbrachte. Kriege hatten, wie schon gezeigt, gerade auch in Rußland, eine überragende Rolle als Auslöser und Geburtshelfer von Revolutionen, eben meist bei Verlierern zur Bewältigung der üblichen Folgekrisen als Begleichung von Schuldzuweisungen für die Niederlage - überwiegend sozial in Frankreich 1789, 1917 in Rußland, 1918 in Deutschland, Öster-

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reich und Ungarn, technokratisch-reformerisch in Preußen ab 1807 und Rußland ab 1861 sowie 1906. Niederlagen und Revolution verwandelten ein bisheriges Machtzentrum in ein Machtvakuum, bis die revolutionäre Ordnung durch Modernisierung früher oder später den alten Status als Machtzentrum wieder herstellte, stets mit Beibehaltung der traditionellen Expansionslinien des soeben gestürzten Ancien Regime 1 wenn auch durch Export der Revolution ideologisch anders verbrämt. Revolutionsexport diente auch der eigenen machtpolitischen wie sozialpolitischen Entlastung: Die li. Französische Republik unter Lamartine beteuerte zwar das Gegenteil, betrieb aber insgeheim mit Agenten und Geld die Revolutionierung der nationalen Minderheiten in Österreich, um den traditionellen Erbfeind nachhaltig zu schwächen. Zugleich waren Revolutionskriege als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im großen Stil für die notleidenden Unterschichten gedacht, nunmehr in Uniform gesteckt, durch Sold, Beteiligung an der Beute, hohen Kriegskontributionen und Besatzungskosten in eroberten/"befreiten" Ländern. 18 Die soziale Misere der ex-sowjetischen Besatzungsarmeen in die triste russische Heimat nach 1990 demonstriert schlagartig denselben sozialimperialistischen Effekt, wenn sogar die Offiziere zu Hause sozial ins Nichts abstürzten. 111. Ein chronologischer Durchgang

Die allgemeinen systematischen Kategorien erleichtern abschließend einen chronologischen Durchgang, gewiß in Siebenmeilenstiefeln: Historische Voraussetzungen, Ablauf und Wirkungen der Europäischen Revolution 1848/49 lassen immer wieder dieselben Faktoren und historische Mechanismen erkennen, wenn auch nach Zeit und Raum mannigfach abgewandelt. Abgesehen vom allgemeinen Industrialisierungs- und Revolutionsprozeß, ist hier nur auf den engeren historischen Hintergrund seit dem Wiener Kongreß 1815 näher einzugehen, soweit er zum Verständnis von 1848/49 notwendig erscheint. 1. Historische Voraussetzungen: Politische und Industrielle Revolution Allgemeinste Voraussetzung zur Europäischen Revolution 1848/49 ist das Mettemichsehe System seit dem Wiener Kongreß 1815: Eigentliche Sieger der Napoleonischen Kriege waren auf dem Kontinent der autokratische Zarismus in Rußland und die See- und Weltmacht England. Zwischen den Polen in West (England) und Autokratie in Ost (Rußland) bewegten sich Zwischenpositionen in dem nun vertrauten West-Ost-Gefälle: Paria18 James Chastain: The Liberation of Sovereign Peoples. The French Foreign Policy of 1848. Athens(Ohra) 1988.

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mentarische Monarchie (England, Holland), Konstitutionelle Monarchie (Frankreich), eingeschränkter Konstitutionalismus in den süddeutschen Staaten, absolute Monarchie im übrigen Europa, bis hin zur russischen Autokratie. Aber selbst das Metternich'sche System der Restauration war schon Produkt der Dialektik von Krieg und Revolution: War 1789 verzögerte Kollapsrevolution zum Spanischen Erbfolgekrieg, so gingen die Revolutionsund Napoleonischen Kriege aus der Französischen Revolution hervor. Metternichs große Idee war es, den Revolution-Krieg-Nexus zu unterbrechen: Um künftige Revolutionen bei Verlierern zu vermeiden, die durch neue Revolutionskriege ganz Buropa in Mitleidenschaft ziehen würden, galt es, im wiederhergestellten System der Europäischen Pentarchie einen großen Krieg zu vermeiden, damit sich Verlierer nicht in Kollapsrevolution flüchten könnten. Als Quelle künftiger Revolutionen erkannte Metternich die durch die Französische Revolution erstmals in Bewegung geratenen Völker, kleinere wie große, jenseits der schon etablierten Nationalstaaten. Ihre zerstörerische Dynamik sei am besten stillzulegen durch Rückbindung in übernationale dynastische Großmächte mit traditionellen Loyalitäten und Legitimitäten, durch Restauration der Monarchien, wo sie die Französische Revolution oder Napoleon I. beseitigt hatte. Dazu wurden die Völker durch die Restauration tunliehst in die absolute Monarchie zurückgezwungen oder wenigstens in den Kompromiß einer angedeuteten Tendenz zur konstitutionellen Monarchie. Alle politischen Bewegungen, die darüber hinaus gingen, wurden mehr oder minder rigoros unterdrückt, inspiriert und koordiniert durch die Heilige Allianz als institutionalisiertes Dauerbündnis zur Erhaltung der gegenrevolutionären Solidarität der Monarchen. Metternich zielte also durchaus auf Befriedung Europas nach innen wie außen. Aber sein System litt von vornherein an einem Konstruktionsfehler und wurde, von seinem Urheber damals noch nicht bemerkt, von den sozialen und politischen Konsequenzen der Industriellen Revolution 1848 überrannt: Als Kompromiß zwischen parlamentarischer Monarchie im Westen und ungebrochener Autokratie im Osten wäre die konstitutionelle Monarchie eine Mittelposition gewesen, wie sie in Frankreich und den Niederlanden herrschte und die Restauration nach dem historischen Präzedenzfall von 1660 in England für weite Bereiche weiter östlich hätte sein können. Immerhin galt für den Deutschen Bund das Gebot der Wiener Schlußakte, "landständische Verfassungen" einzurichten, ein Wechselbalg zwischen ständischer und konstitutioneller Monarchie, der ohnehin nur in den süddeutschen Staaten umgesetzt wurde. In Italien, Spanien und Portugal, wo die Restauration als blanke Reaktion und

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Rückkehr zur unverhüllten absoluten Monarchie auftrat, brachen prompt die nächsten Revolutionen aus, 1821 und 1823. Gleichzeitig zerstörten unterschiedliche ideologische wie machtpolitische Interessen der Großmächte um den Befreiungskampf der Griechen die proklamierte Eintracht der Monarchen. Schließlich rannte die elementare Industrielle Revolution mit ihrem Gleichklang von sozialen und nationalen Forder~ng das ganze Mettemichsehe Kartenhaus über den Haufen, in Deutschland angezeigt durch den Deutschen Zollverein 1834 als ökonomischen Präzedenzfall zur kleindeutschen Reichsgründung 1871, durch Revolution 1848/49 und drei Reichseinigungskriege 1864-71 hindurch.

2. Der Völkerfrühling 1848 - von West nach Ost Da Metternich alle noch so friedliche Bewegungen nationaler wie sozialer Art unterdrücken ließ, schaltete er soziale und nationale Spannungen im vorrevolutionären Untergrund gleich, wie in einem System kommunizierender Röhren, so daß Eruptionen im traditionellen Epizentrum Frankreich sofort auch Ausbrüche im übrigen Europa mit vergleichbaren Bedingungen freisetzten, 1830 im kleineren, mit dem vielzitierten Völkerfrühling 1848 im größeren Maßstab. Das raschere Tempo des Revolutionsprozesses Anfang 1848 erklärt sich zusätzlich aus technischen Innovationen der Industriellen Revolution: Wie der Buchdruck mit Luthers Schriften die Reformation ab 1517 rasch verbreitet hatte, so war die Revolution 1848 erstes Groß-Ereignis für das neue Medium des Telegraphen, der gerade 1847 aufgekommen war. Meldungen über die Revolution in Paris breiteten sich blitzartig aus und entzündeten schlagartig das im Untergrund des Metternich'schen Systems kommunizierender Röhren angesammelte Konfliktmaterial, wiederum von West nach Ost fortschreitend: Der nächste Schritt in die Mediengesellschaft erlaubte plötzlich ganz neue historische Gleichzeitigkeiten. Wenigstens an einer Stelle mobilisierte das ebenfalls neueste Vehikel der Eisenbahn den Bauernprotest und konzentrierte ihn auf eine Territorialhauptstadt, als 30.000 Bauern Anfang März 1848 zu einer Massendemonstration in Wiesbaden zusammenströmten. 19 Erst im Italienischen Krieg 1859 spielte die Eisenbahn auch militärisch eine begrenzte, im deutsch-französischen Krieg 1870/71 eine bedeutende Rolle. Im lateinischen Europa der Nationalfragen fegte der Sturm des "Völkerfrühlings" die Fassaden des Metternich'schen Systems weg. Aber anders als Mazzini hoffnungsfroh naiv geträumt hatte, reichte es nicht, einfach 19 H.-U.

Wehler, Ebenda, S. 710.

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die Fürsten zu verjagen, und dann würden sich die Völker brüderlich in die Arme sinken, vereint zum letzten Krieg für die Befreiung Polens und den Sturz des Zarismus. Auch ohne finstere konterrevolutionäre Komplotte gingen sie sich lieber an die Gurgeln, verwandelten den Traum von der "Völkerfreundschaft" zum Alptraum nationalistischer Exzesse. Entwöhnt vom weisen Gebrauch der Macht, jagten alle Völker ihrerseits Träumen von versunkenen Reichsherrlichkeiten nach, die sie nun romantisch wiederbeleben wollten. Überall wo sich Grenzforderungen aus dem Rückgriff auf ältere "Reiche" überschnitten, kollidierten die befreiten Völker mit ihren je unterschiedlichen Nationalen Fragen in einem Knäul ethnisch-nationaler Konflikte. 9. Folgen und Nachwirkungen Am kompliziertesten und konfliktträchtigsten war die Deutsche Frage, wegen der quantitativen (Bevölkerung, Territorium) und qualitativen (Bildung, Infrastruktur, Wirtschaft) Stärke der Deutschen, zumal machthistorisch in der Mitte Europas, so daß fast alle Nationale Fragen des Kontinents mit der Deutschen verzahnt waren, vor allem durch den Österreichischen Kaiserstaat als Wurmfortsatz des 1806 untergegangenen römisch-deutschen Alten Reichs: Jede Verwirklichung des nationalen Selbstbestimmungsrechts der Nicht-Deutschen würde automatisch Umfang und Macht eines deutschen Nationalstaats beeinträchtigen, soweit er, wie alle anderen auch, in naiver Selbstverständlichkeit auf ihr mittelalterliches Reich zurückgreifen würde. Die Spannung zwischen großdeutscher und kleindeutscher Lösung, einem National-Reich geführt von Österreich oder Preußen, eskalierte 1848/49 zur Aporie und zum Scheitern des ersten gesamtdeutschen Einigungsversuchs. Aber das Schwanken zwischen beiden Alternativen entfaltete eine Selbstzerstörerische Eigendynamik - über Reichseinigungskriege, kleindeutsche Reichsgründung 1871 und Zweites Kaiserreich zum Ersten Weltkrieg, Novemberrevolution 1918 und Weimarer Republik zum erst klein-, 1938 großdeutschen Dritten Reich Adolf Hitlers, von da logisch in den Zweiten Weltkrieg. Am katastrophalen Ende von Drittem Reich und Zweitem Weltkrieg stand die Teilung Europas und Deutschlands, etwa entlang der Strukturgrenze von 800, 1949-90 mit zwei Teilstaaten, die unterschiedlich an die deutsche Revolution 1848/49 anknüpften. Nationalrevolutionen in Italien und den Donaufürstentümern waren wesentliche Etappen zum italienischen und rumänischen Risorgimento, mit Rückwirkungen auf Europa. Der Posener Aufstand 1848 zur Rettung der "Reorganisation" im wiederherzustellenden Großherzogtum Posen

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mit Autonomie für die Polen reihte sich ein in die lange Sukzession polnischer Aufstände gegen die eine oder andere Teilungsmacht, vom Kosciusko-Aufstand 1794 bis zum Posener Aufstand im November 1918, und bereitete so Polens prekäre Wiederauferstehung 1918 vor, eingeklemmt zwischen feindlichen Groß-Nachbarn, Deutschen und Russen. Der Prager Aufstand zu Pfingsten 1848 parallel zum 1. Slawenkongreß eröffnete den sich allmählich entfaltenden Nationalismus der Tschechen. Aber er war nur tschechische Reaktion gegen den sich schon etwa ab 1835 regenden Prota-Reichspatriotismus der Deutschböhmen, der sich von Wien nach Berlin umorientierte und so aus älteren böhmischen Gemeinsamkeiten hinausstrebte, eskalierend zur deutschböhmischen ("sudetendeutschen") und tschechischen Doppelkatastrophe von 1938/39 und 1945. 20 Wie in Böhmen und anderen ethnisch-national gemischten Gebieten zerrieben ethnisch-nationale Bürgerkriege 1848 erstmals sichtbar ältere Regionalidentitäten und zwangen zur polarisierenden Identifizierung mit dem einen oder anderen konkurrierenden Nationalismus, wie im deutschen sich stärker industrialisierenden und modernisierenden Süden und noch stärker agrarischen dänischen Norden Schleswig-Holsteins. Der 1. deutsch-dänische Krieg 1848/49 war zugleich erste Etappe zum 2. deutsch-dänischen Krieg von 1864, der Dänemarks noch bis heute traumatischen Absturz von einer respektablen Mittelmacht zum europäischen Kleinstaat besiegelte. Die zunächst siegreiche National-Revolution in Ungarn führte sofort die Aporie eines zentralisierenden und assimilierenden Nationalismus vor, wenn er auf ein älteres dynastisches Reich zurückgreift: In Abwehr eines überbordenden ungarischen Imperial-Chauvinismus unterstützten bedrohte "Minderheiten" an der Peripherie lieber die übernationale Krone Habsburgs, am aktivsten die Kroaten und Serben, auch von der k.u.k. Militärgrenze, unter ihrem Ban Jellacic bei der Eroberung des revolutionären Wien im Herbst 1848 (Häusler). 1848 wirkten Kroaten und Serben gegen Groß-Ungarn noch zusammen. Aber regionale Massaker an bessergestellten deutschen Minderheiten im Südosten der Monarchie wirkten schon wie fernes Wetterleuchten, das auf Massaker auf dem Balkan in späteren Kriegen und Nationalkonflikten hinweist, bis zum Jugoslawien- und Bosnienkrieg. Die Restauration der groß-ungarischen 20 Detailliert jetzt Frank Boldt: Kultur versus Staatlichkeit. Zur Genesis der mdernen politischen Kultur in den böhmischen Ländern im Widerspruch von kulturellen und politischen Bewußtsein bei den böhmischen Tschen und Deutschen bis zum Jahre 1898. Prag 1996.

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Stephanskrone 1867, zur Vermeidung einer Sezession nach Österreichs Niederlage im Deutschen Krieg 1866, verschärfte und verlängerte den Konflikt mit der aufsteigenden Südslawischen Bewegung, vorangetrieben von Serbien mit seinem großserbischen Reichschauvinismus. Über Sarajevo I 1914 und zwei Weltkriege führte der Aufstieg und Fall von Jugoslawien I und Jugoslawien II zu Sarajevo II 1991-95, aus überwiegend hausgemachten Gründen in den Jugoslawien- und Bosnienkrieg, der uns vermutlich auch nach Dayton 1995 noch lange erhalten bleiben wird, mit noch ungeahnten Weiterungen: Das blutige Chaos in ex-Jugoslawien hat schon auf Albanien übergegriffen und könnte jederzeit auf weitere Teile des Balkans übergreifen, zunächst Kosovo und Makedonien. Die Stabilität Europas wäre nachhaltig bedroht, dessen lateinischer Kern erstmals in seiner Geschichte an sich die Chance hätte, sich dauerhaft zusammenzuschließen, in welcher Form auch immer. IV. Ausblick Gegenüber den vielfältigen Komplexitäten der Europäischen Revolution 1848/49 mit ihren verwirrend gebrochenen Nachwirkungen bis heute, "positiv" wie "negativen", erweist sich die glatte Formel von der "gescheiterten bürgerlichen Revolution" als nachträglich voluntaristische Parteinahme, ohne wissenschaftlichen Erkenntniswert. Erst recht naiv ist die Gleichsetzung demokratischer Absichten mit friedlichen Wirkungen, wie der Stoßseufzer einer Fersehautorin vor etwa 20 Jahren, der Sieg der Demokraten 1848/49 hätte uns Hitler erspart. Dagegen gilt es, schärfer zu nuancieren, z.B. zwischen einzelnen "nationalen" Gesellschaften, zwischen nationalen und sozialen Dimensionen: Im etablierten Nationalstaat war die Revolution überhaupt nicht "gescheitert", führte aber in Dänemark trotz friedlicher Durchsetzung in die Katastrophe des ethnischen Bürgerkrieges und Kollision mit dem stärkeren Deutschland. Dort scheiterte die Revolution 1848/49 zwar politisch im ersten Anlauf mit der geplanten Reichsgründung von unten, setzte sich aber ökonomisch und sozial mit der neuen Konjunktur von 1850, wie so oft in der Geschichte, hinter dem Rücken der formalen Sieger, mittelfristig kompensatorisch durch, stürzte sich jedoch über Zweiten und Drittem Reich in die Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Implizierte ideologisch-politische Wertungen sollten zur Vorsicht mahnen: 1848 galt Nationalismus als Auflehnung gegen "Feudalismus" als "fortschrittlich", seit 1871 eher als "Reaktionär" und "rechts", als "gut" bzw. "schlecht". Ideologische Urteile post festurn sind ohnehin nicht Aufgabe der Historiker.

Die europäischen Revolutionen von 1848/49 Versuch eines historisch-typologischen Vergleichs

Von Walter Schmidt

Das Phänomen gleichzeitiger Revolutionen in mehreren Ländern Europas in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat seit längerem historisches Interesse erregt. Es war immerhin erstmalig, daß große Teile eines Kontinents im gleichen Moment von einer revolutionären Welle erfaßt wurden, die sich rasch ausbreitete, unerwartet schnell erste Erfolge errang, dann aber allmählich abebbte und nach rund 15 Monaten von den konservativen Gegenkräften schließlich in allen Länder gänzlich gestoppt, nirgends zu einer schlagartig durchgreifenden Wandlung der gesellschaftsund machtpolitischen Verhältnisse, aber auch nicht zur Rückkehr zum status quo ante führte. Bis zum Centenaire von 1948 war dieses historische Phänomen in der Forschung wie im historischen Diskurs - im Unterschied zur politischen Publizistik - allerdings kein oder nur ein ganz marginales Thema, obwohl sich zwischen 1917 und 1923 eine sozial allerdings anders geartete Revolutionierung des europäischen Kontinents wiederholt hat. Erst das Jahrhundertjubiläum von 1948 brachte einen ersten Höhepunkt historiographischer Aufarbeitung dieses außergewöhnlichen europäischen Ereigniskomplexes, was mehrere, zum Teil erst nach 1948 erschienene Publikationen bestätigen. Verwiesen sei hier auf die Actes du Congres Historique du Centenaire de la Revolution de 1848, Paris 1948, auf F. Fetjö, Le printemps des Peuples 1848 dans le monde, 2 Bände, Paris 1948; F . W. Potjomkin / A. I.Molok, Revoljucii 1848-1849, Moskau 1952; Priscilla Robertson, Revolutions of 1848. A social history, Princeton 1952. Doch stand in diesen Arbeiten noch mehr die Sicht auf die Revolution in den einzelnen Ländern und auf deren Spezifika im Vordergrund denn eine historisch bereits vergleichende Analyse und Synthese der einzelnen "nationalen" Revolutionen wie des gesamteuropäischen Revolutionsgeschehens, in denen "nationale" Unterschiede wie europäische Gemeinsamkeiten

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gegeneinander abwogen werden. Die Revolutionsgeschichten der verschiedenen Länder blieben weitgehend isoliert nebeneinander gestellt, nur durch "Buchbindersynthese" europäisch vereint. Nur vereinzelt finden sich in dieser Zeit Ansätze historischer Revolutionskomparation, so etwa in Charles H. Pouthas Studie zur "Komplexität von 1848" 1 oder im Schlußkapitel des sowjetischen Zweihänders von Potjomkin/Molok2 • In den siebziger Jahren ist in der internationalen Geschichtswissenschaft auf dem Hintergrund einer generell intensiveren Beschäftigung mit Revolutionsgeschichte erneut eine auffallend starke Hinwendung auch zu den europäischen Revolutionen von 1848/49 feststellbar. Dabei spielten sicherlich der 125. Jahrestag der 1848er Revolution (1973), aber auch das 150. Jubiläum von 1830 (1980) eine förderliche Rolle. Dieser Aufschwung der 1848er Revolutionsforschung thematisierte nun aber in Ost wie West das Jahr 1848/49 erstmals massiv und vordergründig als europäisches Ereignis, problematisierte die vielfältigen Wechselwirkungen im mehrere Länder erfassenden Revolutionsgeschehen und praktizierte in bislang nicht gekannter Weise auch den historischen Reyolutionsvergleich. Ich nenne hier die Arbeiten der angelsächsischen Historiker William Leonhard Langer (1971), 3 R. W.Lougee (1972) 4 und Peter N. Stearns (1974), 5 des Franzosen J. Gorleehot (1971),6 der Deutschen Theodor Schieder (1977)1 und Horst Stuke/ Wilfried Forstmann8 wie die aus dem von Walter Markow /Manfred Kossok initiierten und geleiteten Leipziger Kolloquium zur vergleichenden Revolutionsgeschichte herausgewachsenen "Studien zur Revolutionsgeschichte" (1974 ff.) 9 , namentlich den Band: 1 Charles H. Pouthas, Complexite de 1848, in: Revue des revolutions contemporaines, 184, 1949, S. 1 ff.; deutsch in: Die europäischen Revolutionen von 1848, hg. von Horst Stuke und Wilfried Forstmann, Königsstein/Ts. 1979, S. 17 ff.; siehe auch ders., The Revolutions of 1848, in: The Cambridge Modern History, Bd. 10, Cambridge 1971, S. 389 ff. 2 F.V. Potjomkin/A.I.Molok, Revoljucii 1848-1849, Moskva 1952, Bd. 2, S. 435 ff. 3 William Leonhard Langer, The Revolutions of 1848, New York 1971. 4 R. E. Lougee, Midcentury Revolution 1848. Society and Revolution in France and Germany, Lexington 1972. 5 Peter N. Stearns, The revolution of 1848, London/New York 1974. 6 Jacques Godechot, Les revolutions de 1848, Paris 1971. 7 Theodor Schieder, Staatensystem .als Vormacht der Welt 1848-1918 (=Propyläen Geschichte Europas, Bd. 5), Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1977, S. 28 ff. 8 Horst Stuke und Wilfried Forstmann (Hg.), Die europäischen Revolutionen von 1848, Königstein/Ts. 1979. 9 Es erschienen in dieser Reihe insgesamt elf Bände, von denen auf folgende verwiesen sei: Manfred Kossok (Hg.), Studien zur vergleichenden Revolutionsgeschichte, Berlin 1974; ders. (Hg.), Rolle und Formen der Volksbewegung im bürgerlichen Revolutionszyklus, Berlin 1976; ders. (Hg.), Revolutionen der Neuzeit 1500-1917, Berlin 1982; ders. und Werner Loch (Hg.), Bauern und bürgerliche Revolution, Berlin 1984; ders. (Hg.), Die französische Julirevolution von 1830 und Europa, Berlin 1985; ders. (Hg.), Proletariat und bürgerliche Revolution (1830-1917), Berlin 1990.

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Revolutionen der Neuzeit 1500-1917 (1982), 10 den Prager Sammelband über die Revolutionen von 1848/49 in Mitteleuropa11 und die Studien des Ungarn György Spira.12 Dieser Trend zur 1848er Revolutionskomparation hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt und im Grunde noch verstärkt. Dafür sprechen Langewiesches in der Oldenbourg Reihe "Grundriß der Geschichte" publizierte, die bisherigen Forschungen analysierende und problematisierende Band "Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849" (1985 und 1993),13 Kossoks Revolutionen der Weltgeschichte (1989) 14 und des Engländers Roger Price "Kleine Geschichte der europäischen Revolution 1848" (London 1988, deutsch 1992) 15 ebenso wie der jüngst (1995) erschienene produktive deutsch-französische 1848er Hauptstadtvergleich Paris-Berlin16 , Sperbers Abhandlung über die europäischen Revolutionen 1848-1851 (1994) 17 und nicht zuletzt der zum 150. Jubiläum angekündigte und wohl schon in Kürze erscheinende umfassende, zahlreiche Bereiche der Revolutionsentwicklung (wie Ursachen und Verlauf, politisches System im revolutionären Prozeß, Revolution der Straße, Nation und Internationalität, Stadt und Land, Gesellschaft im Umbruch, Folgen der "gescheiterten Revolution") in den verschiedenen europäischen Ländern historisch vergleichende Studienband "Europa in den Revolutionen von 1848". Wie 10 Manfred Kossok (Hg.), Revolutionen der Neuzeit, Berlin 1982, insbes. S. 271 ff.: Walter Schmidt und Margot Hegemann/Werner Loch/Dietmar Stübler/Eberhard Wolfgramm, Die europäischen Revolutionen 1848/49. Siehe auch: Die Revolution von 1848/49 als europäisches Ereignis. Wiss. Zeitschrift der Universität Rostock. Gesellschafts- und sprachwiss. Reihe, 23, 1974, H. 8; Siegfried Schmidt, Zur europäischen Sicht der Revolution von 1848, in: Wiss. Zeitschr. Humboldt-Univ. Berlin. Gesellschaftsund sprachwiss. Reihe, 25, 1976, H. 2, S. 121 ff. 11 Revoluce 1848-1849 ve Strednl Evrope, Praha 1974. 12 György Spira, Auf der Suche nach dem besseren Verstehen des ungarischen Achtundvierzig, in: Acta Historica Scientiarum Hungaricae 13, 1967, S. 415 ff.; ders., Über die Besonderheiten der ungarischen Revolution von 1848-49, in: Österreichische Osthefte, 12, 1970, H. 3, S. 168 ff.; ders., Les journees critiques de Ia r~volution Hongroise en Septembre 1848, Budapest 1975; J. Di6szegi, Ungarn und die europäischen Revolutionen von 1848/49, in: W . Bachhofer, H. Fischer (Hg.) Ungarn und Deutschland, München 1983, S. 263 ff. 13 Dieter Langewiesche, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849, München 1985 und 1993. 14 Manfred Kossok, In Tyrannos. Revolutionen der Weltgeschichte, Leipzig 1989, S. 299 ff.: Die Europäische Revolution ; ders. u.a., Allgemeine Geschichte der Neuzeit 1500-1917, Berlin 1986, S. 297 ff.: Siegfried Schmidt,Die europäische Revolution von 1848/49. 15 Roger Price, The revolutions of 1848, London 1988, deutsch: 1848. Kleine Geschichte der europäischen Revolution, Berlin 1992. 16 11ja Mieck, Horst Müller, Jürgen Voss (Hg.), Paris und Berlin in der Revolution 1848, Sigmaringen 1995. 17 Jonathan Sperber, The European Revolutions 1848-1851, Cambridge 1994.

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dieser Band so deutet auch eine Jenenser Konferenz von Sommer 1996 zur "Revolution von 1848/1849 in Thüringen im Epochen- und Regionalvergleich"18 darauf hin, daß ein gewichtiger wissenschaftlicher Ertrag des 1998er Jubiläums gerade in der speziellen Revolutionskomparation bestehen könnte. 1848 bietet sich aus mehreren Gründen für einen historischtypologischen Revolutionsvergleich besonders an. Die europäischen Revolutionen in der Mitte des 19,. Jahrhunderts bilden in ihrer Gesamheit den nach der Französischen Revolution von 1789 mächtigsten und wirkungsvollsten gesellschaftspolitischen Vorstoß zur Durchsetzung bürgerlicher Gesellschaftsverhältnisse in Europa. Sie waren der wohl stärkste sozialpolitische Modernisierungsschub des vergangeneo Jahrhunderts. In diesen Revolutionen reflektierten sich erstmals wie in einem Fokus die neuen stadialen Bedingungen industriekapitalistischer Entwicklung, die im Gefolge der sog. Doppelrevolution von bereits in Gang gesetzten reformerisch vollzogenen bürgerlichen Umgestaltungen und gleichzeitiger industrieller Revolution entstanden waren. Wiewohl Nachfolgerevolution von 1789 repräsentiert 1848 doch zugleich eine neue Qualitätsstufe neuzeitlicher bürgerlicher Revolution, 19 neben anderen Momenten vor allem charakterisiert durch eine neue soziale Komponente, die erstmalige massive Intervention proletarischer Elemente mit eigenen, teilweise bereits eindeutig antikapitalistischen Forderungen. Historisch-typologischer Vergleich ist 1848/49 aber vor allem deshalb herausgefordert, weil zu diesem Zeitpunkt - wie bereits genannt - weltgeschichtlich erstmals eine Vielzahl europäischer Länder gleichzeitig revolutioniert wurde. Das betraf sowohl ökonomisch-sozial (kapitalistisch) wie machtpolitisch (von Fraktionen des Bürgertums dominierte bürgerlich konstitutionell) entwickelte Staaten wie Frankreich, von bürgerlichen Reformen in den sozial-politischen Umgestaltungsprozeß bereits einbezogene Länder wie Deutschland als auch noch stark feudal geprägte Regionen wie die Habsburgermonarchie und Rumänien. Der folgende historisch-typologische 18 Vgl. die Materialien dieser Konferenz sowie deren Protokoll: Hans Werner Hahn/Werner Greiling (Hg.),Die Revolution von 1848/1849 in Thüringen im Epochenund Regionalvergleich, Rudolstadt 1998. 19 Mit vollem Recht formuliert Dieter Langewiesche, daß die deutsche 1848er Revolution keineswegs eine mißlungene Nachahmung von 1789, des "französischen Modells" war, sondern vielmehr der "Versuch, dieses Modell entsprechend dem inzwischen erreichten politischen und sozioökonomischen Entwicklungsstand wesentlich zu modifizieren und zu korrigieren. Die gegenüber 1789 veränderte Gesamtsituation verlangte auch eine veränderte Revolutionsstrategie. Eine historisch fundierte Revolutionstheorie ... darf deshalb den Typus der deutschen Revolution von 1848/49 trotzoder gerade wegen ihres Scheiteros nicht unberücksichtigt lassen." Vgl. Dieter Langewiesche, Liberalismus und Demokratie in Württemberg zwischen Revolution und Reichsgründung, Düsseldorf 1974, s. 102 f.

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Vergleich verzichtet auf eine Gegenüberstellung des europäischen 1848 zu bürgerlichen Revolutionen früherer oder späterer Entwicklungsstadien des Kapitalismus, auch auf den Vergleich mit den neuzeitlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts. Gegenstand der Komparation sind vielmehr und allein die verschiedenen gleichzeitig ablaufenden "nationalen" Revolutionen der knapp eineinhalb Jahre von Februar 1848 bis Sommer 1849. Es soll der Frage nachgegangen werden, worin die Gemeinsamkeit revolutionären Geschehens in europäischer Dimension, sein europäischer Charakter besteht und welche Spezifika die Revolutionen in den einzelnen Ländern ungeachtet bestimmter Gemeinsamkeiten aufweisen. Eine historisch- komparative Analyse der 1848er Revolutionen, die zu einer Revolutionstypologie beitragen will, wird, so scheint mir, verschiedene Ebenen und Aspekte in den Blick zu nehmen haben. An erster Stelle ist wohl nach der Rolle und Funktion zu fragen, die den Revolutionen dieser beiden Jahre im Prozeß der bürgerlichen Neugestaltung der Gesellschaft, der "Modernisierung" zufiel. Selbst ein Resultat der sozialen und politischen Konflikte, die sich mit dem Voranschreiten des Kapitalismus in Europa, namentlich im Gefolge der sich ausbreitenden industriellen Revolution, angehäuft hatten, wirkten die Revolutionen als Schubkraft zur weiteren Überwindung überholter feudaler Zustände in Staat und Gesellschaft und zur Freisetzung bzw. weiteren Ausgestaltung der bürgerlichen Gesellschaft und eines ihr adäquaten parlamentarisch-demokratischen Herrschaftssystems. Es handelte sich deshalb ungeachtet des Wirkens unterschiedlicher, ja oft gegensätzlicher sozialer Kräfte in den verschiedenen Ebenen des Revolutionsgeschehens durchweg um bürgerliche Revolutionen. Zwar unterschiedlich gewichtet, waren dennoch drei miteinander verschränkte Probleme zu bewältigen: die Errichtung bzw. der Ausbau parlamentarisch- konstitutionell abgesicherter bürgerlich-demokratischer Herrschaftsverhältnisse; die Freisetzung bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaftsbeziehungen in Stadt und Land und die Konstituierung bzw. weitere Ausgestaltung bürgerlicher Nationalstaaten. Aus dem unterschiedlichen Grad der Verbürgerlichung in den verschiedenen Regionen ergaben sich, was die konkreten gesellschaftspolitischen Schwerpunkte anging, dennoch beträchtliche Unterschiede. In meiner Sicht lassen sich 1848 drei Typen von bürgerlichen Revolutionen ausmachen. 20 20 Ausfürlieh dazu: Manfred Kossok/Walter Markov, Zur Methodologie der vergleichenden Revolutionsgeschichte der Neuzeit, in: Manfred Kossok (Hg.) , Studien zur vergleichenden Revolutionsgeschichte 1500-1917, Berlin 1974, 8.10 f.; Manfred Kossok, Vergleichende Revolutionsgeschichte der Neuzeit: Forschungsprobleme und Kontrover-

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Erstens. In Frankreich, wo seit 1830 unter Louis Philippe konservative Fraktionen des Bürgertums, vor allem die Finanzbourgeoisie, an der Macht waren und die bürgerliche Gesellschaft sich durchgesetzt hatte, war gleichwohl im Gefolge der industriellen Revolution, die namentlich die Industriebourgeoisie gestärkt und in den Vordergrund gerückt hatte, ein sowohl machtpolitischer als in gewissem Sinne auch sozialer Um- und Ausbau dieser Gesellschaft notwendig geworden. Mangelnde, ja fehlende Anpassungsfähigkeit der herrschenden bürgerlichen Klassenfraktion hatte zu einem erneuten gesellschaftlichen Konfliktstau geführt, den - anders als in England, wo mit der Reformbill von 1830 und der Aufhebung der Kornzölle von 1846 der Reformweg erfolgreich beschritten wurde21 - eine dritte französische Revolution auflösen sollte. Es ging hier also - wie schon in der Pariser Julirevolution von 1830 - um eine weitere Ausgestaltung des bürgerlichen Gesellschaftssystems, vorangetrieben durch den Übergang der politischen Macht von einer sozial rückständigen zu einer fortgeschritteneren Fraktion des Bürgertums, verbunden mit einer weiteren Demokratisierung, deren Grad vor allem von der - wenn auch nur zeitweiligen- Einflußnahme der nichtbourgeoisen, sog. unterprivilegierten Klassen während des Revolutionsverlaufs bestimmt wurde. Die Errichtung einer stark sozial orientierten Republik am Ende der Pariser Februarrevolution war denn auch das Werk radikaler Aktionen kleinbürgerlicher und proletarischer Kräfte, die diese Errungenschaft allerdings nicht erhalten konnten. Die französische Revolution von 1848 war eine bürgerliche Revolution bereits im Kapitalismus zum weiteren Ausbau und zur Festigung des etablierten bürgerlichen Gesellschaftssystems. sen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG), 26, 1978, H. 1. S. 10 ff.; ders., Vergleichende Geschichte der neuzeitlichen Revolutionen. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1981, 2G, Berlin 1981, S. 9 ff.; ders.fWolfgang Küttler, Die bürgerliche Revolution: Grundpositionen einer vergleichenden Analyse, in: ders. (Hg.), Vergleichende Revolutionsgeschichte - Probleme der Theorie und Methode, Berlin 1988, S. 9 ff.; Walter Schmidt, Die internationale Stellung der deutschen Revolution von 1848 in der Sicht von Marx und Engels, in: ZfG, 13, 1965, Sonderheft: Evolution und Revolution in der Weltgeschichte, S. 96 ff.; ders., Zum historischen Platz der bürgerlich- demokratischen Revolutionen von 1848/49 in Europa. Ein Beitrag zur historisch-vergleichenden Revolutionsbetrachtung, in: Horst Barte!, Heinz Helmert, Wolfgang Küttler und Gustav Seeher (Hg.), Evolution und Revolution in der Weltgeschichte. Ernst Engelberg zum 65. Geburtstag, Bd. 1, Berlin 1976, S. 67 ff., insbes. S. 81 f.; erweitert auch in: Helmut Reinalter (Hg.), Revolution und Gesellschaft. Zur Entwicklung des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs, Innsbruck 1980, S. 79 ff.; ders., Zu Problemen der europäischen bürgerlichen Revolutionen von 1848/49. Hegemoniefrage, Typologisierung, Ergebnisse, in: ZfG, 27, 1979, H. 7, S. 639 ff.; auch in: ders., Bürgerliche Revolution und proletarische Emanzipation in der deutschen Geschichte, Berlin 1990, S. 219 ff. bes. S.232 ff. 21 Georges Rude, Why was there no Revolution in England in 1830 or 1848, in:Manfred Kossok (Hg.), Studien über die Revolution, Berlin 1969, S. 231 ff.

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Zweitens. In den Ländern der Habsburgermonarchie (Österreich, Ungarn, Böhmen, Slowakei, südslawische Länder) und in den rumänischen Donaufürstentümern herrschten im wesentlichen noch feudale Verhältnisse vor. Die bürgerliche Umwälzung war noch nicht eingeleitet. Einer Revolution fiel unter diesen Bedingungen - ähnlich wie 1789 in Frankreich - die Aufgabe zu, den Weg zur bürgerlichen Gesellschaft überhaupt erst zu öffnen und eine revolutionäre oder reformerische Überwindung des überholten feudalen Systems zu erzwingen.Typologisch gesehen standen diese 1848er Revolutionen der Großen Französischen Revolution noch am nächsten. Es waren Revolutionen unter im wesentlich noch feudalen Bedingungen zum Sturz eines überholten Feudalsystem. Drittens. In den Ländern, in denen im Gefolge der Französischen Revolution von 1789 die bürgerliche Umgestaltung zumeist auf dem Wege von Reformen bereits in Gang gesetzt war und zu teilweise beträchtlichen Fortschritten bei der Entfeudalisierung geführt hatte (Deutschland, Italien, Teile Polens), kam der Revolution eine doppelte Funktion zu: Einmal die schon vorangeschrittene, irreversible, aber noch nicht vollendete bürgerliche Modernisierung zuendezuführen; zum anderen aber bot eine Revolution zumindest die Chance, den bisherigen reformerischen Weg der Verbürgerlichung der Gesellschaft zu verlassen und die Neugestaltung der Gesellschaft auf revolutionär-demokratischem Wege und in rascherem Tempo abzuschließen. Sieg oder Niederlage der Revolution entschieden nicht mehr über das Schicksal der bürgerlichen Umgestaltung, sondern nur noch über Tempo sowie Art und Weise der Zuendeführung einer schon in vollem Gange befindlichen bürgerlichen Umwälzung. Es war dies ein neuer Typ von bürgerlicher Revolution, die einen bereits eingeleiteten und nicht mehr rückgängig zu machenden kapitalistischen Modernisierungsund Verbürgerlichungsprozeß beschleunigte, eine Revolution auf dem Wege zur bürgerlichen Gesellschaft. In Abhängigkeit vom Stand der kapitalistischen Entwicklung wie von historischen Traditionen stehen auch Konstellation und Beziehungsgeflecht der die Revolution tragenden, fördernden und leitenden gesellschaftlichen Kräften in den einzelnen Ländern. Zwar rang die sich formierende Gesellschaft als ganzes um ihre Freisetzung von feudalen Bindungen, Hemmnissen und Bevormundungen; doch war Gewicht, Einsatzfähigkeit und -bereitschaft der verschiedenen sozialen Klassen und Gruppierungen, die die sich etablierende bürgerliche Gesellschaft bilden, je nach sozialer Interessenlage und - befriedigung in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Überall erwies sich das Bürgertum als Hauptinteressent an der Durchsetzung neuer sozialer und politischer Verhältnisse. Es stellte dank seiner

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ökonomischen Stellung und der daraus erwachsenen sozialen Stärke mit den Liberalen in der Regel auch die politischen Führungskräfte im gesamten Umgestaltungsprozeß und in den bürgerlichen Revolutionen im speziellen. Allerdings war deren Haltung in bzw. der (bisher noch wenig erforschte) Anteil der verschiedenen Fraktionen des Bürgertums an der Revolution sehr differenziert. Im bürgerlichen Frankreich stand die ökonomisch erstarkte, jedoch nicht an der Macht beteiligte Industriebourgeoisie in offener Opposition zur herrschenden Finanzaristokratie. Sie erreichte im Februar 1848 einen Machtwechsel zu ihren Gunsten, gab allerdings die in der Zweiten Republik verwirklichte direkte, parlamentarisch-demokratische Herrschaft der Gesamtbourgeoisie aus objektiv unbegründeter Furcht vor dem erstmals selbständig für soziale Rechte auftretenden Proletariat preis, erhielt gleichwohl im Bonapartismus ihre ökonomischen und sozialen Bedürfnisse weitgehend befriedigt. In den Ländern, in denen das Bürgertum noch ganz von der Macht ausgeschlossen war (Deutschland, Österreich, Italien), drängte es als Gesamtklasse nach Übernahme politischer Verantwortung, stellte sich im März 1848 auch an die Spitze der Opposition, begnügte sich aber zumeist mit der durch die Märzrevolution der Reaktion abgezwungenen Machtbeteiligung und bestand nicht auf einer völligen Ausschaltung der alten Adelseliten, war indes bestrebt, durch parlamentarisch abgestützte Reformen ein konstitutionell-parlamentarisches Herrschaftssystem zu installieren und die Gesellschaft bürgerlich umzugestalten. Die adligmonarchische Konterrevolution verdrängte Ende 1848 ihrerseits das Bürgertum aus den gewonnenen politischen Machtpositionen, suchte zugleich aber dessen ökonomisch-soziale Interessen - wie auch die der Bauern - durch relativ weitgreifende bürgerliche Reformen zu befriedigen (Reformkonservatismus). 22 Das Bürgertum agierte in beiden Fällen als Hegemon der Revolution, ohne freilich die durch die Revolution geschaf22 Hierzu Gunther Hildebrandt, Österreich 1849. Studien zur Politik der Regierung Schwarzenberg, Berlin 1990; Konrad Canis, Die preußische Gegenrevolution: Richtung und Hauptelemente der Regierungspolitik von Ende 1848 bis 1850, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.), Die Revolution 1848/49 in Deutschland und Europa, Berlin 1998; ders., Vom Staatsstreich zur Unionspolitik. Die Interdependenz von innerer, deutscher und äußerer Politik der preußischen Regierung am Ende der Revolution 1848/49, in: Walter Schmidt {Hg.), Demokratie, Liberalismus und Konterrevolution. Studien zur deutschen Revolution von 1848/49, Berlin 1998. Unvollendet blieb das Werk von Horst Stuke: Reaktion und Fortschritt. Verfassungs-, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen über die neoabsolutistische Gesellschaftsform in Österreich zwischen Oktoberrevolution und Oktoberdiplom {1848 bis 1860), das offenbar in die gleiche Richtung zielte. Vgl. Werner Conze, Gedenkrede für Horst Stuke vom 16. Dezember 1977, in: Horst Stuke, Sozialgeschichte - Begriffsgeschichte - Ideen geschichte, Stuttgart 1979, S. 12.

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fenen Möglichkeiten zur Sicherung und Konsolidierung ihrer politischen Herrschaft auszuschöpfen. In Ländern mit einem schwach entwickelten Kapitalismus (Ungarn, Polen), in denen sich das Bürgertum noch nicht zu einer handlungsfähigen Klasse konstituiert hatte, übernahmen liberale Vertreter des Adels die Führung der Revolution. Der Adel stellte in diesen Ländern keine rein feudale Klasse mehr da, sondern war dank bürgerlicher Reformen auf dem Wege der Verbürgerlichung (Polen) oder tendierte zumindest zur Einführung kapitalistischer Großproduktion auf seinen Gütern (Ungarn). Das sich aus faktischer Teilnahme an kapitalistischen Entwicklungen ergebende Hegemoniepotential liberaler Adelsfraktionen in einer bürgerlichen Revolution wurde noch wesentlich befördert durch deren nationale Form als Unabhängigkeitskampf gegen äußere Unterdrückung. Der Adel war in diesen Ländern mehr oder weniger als ganzes in eine politisch oppositionelle, ja revolutionäre Stellung versetzt. Aus dem unterschiedlichen Stand der Kapitalismusgenese in den einzelnen Regionen ergaben sich, auch was das Gewicht und die Rolle der sozialen Triebkräfte des revolutionären Geschehens betraf, beträchtliche Unterschiede. Im kapitalistisch fortgeschrittenen Frankreich hatte die Arbeiterfrage bereits die Agrar- oder Bauernfrage der frühen bürgerlichen Revolutionen abgelöst. Im Zentrum der französischen Revolution, in Paris, beeinflußte das Proletariat die politische Szenerie bereits wesentlich, erwies sich als radikalstes Element, das die Revolution im ersten Anlauf zu weitgehenden, bislang nicht erreichten demokratischen und sozialen Konsequenzen trieb. Diese gefährdeten objektiv den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zwar keineswegs, steigerten aber die subjektiven Ängste der besitzenden Klassen nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern Europas enorm. Rigoroses Abblocken jedes politisch radikalen und mehr noch sozial geprägten Demokratisierungsprozesses der bereits etablierten oder sich gerade etablierenden bürgerlichen Gesellschaften bestimmte fortan das politische Konzept des französischen wie gesamten europäischen Bürgertums. Die französische Bauernschaft verhielt sich weitgehend konservativ. Soweit revolutionäre Potenzen der Landbevölkerung hier nochmals wirksam wurden - wie im Frühjahr 1849 - , waren sie nicht mehr antifeudal motiviert, sondern beruhten bereits auf den sozialen Gegensätzen der bürgerlichen Gesellschaft, war ihnen schon eine zumindest tendenziell antikapitalistische Stoßrichtung eigen. Auch in Deutschland begann das Proletariatsproblem der Agrarfrage bereits den Rang abzulaufen. 1848 erlebte Deutschland zum letzten Mal eine Welle revolutionärer

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Bewegungen der Landbevölkerung, die hauptsächlich noch gegen feudale Abhängigkeitsverhältnisse, aber partiell auch schon gegen die für die Bauern ungünstige Reformpraxis bei der Ablösung der Feudalverpflichtungen gerichtet waren. Die sozialen Fernwirkungen der 1848er Landvolkbewegungen waren erheblich. Zwar wurde keine schlagartige entschädigungslose Abschaffung der noch bestehenden Feudallasten erzwungen, wohl aber deren endgültige Beseitigung durch neue, weiterreichende Agrarreformen. In Österreich und den anderen Ländern der Habsburgermonarchie brachte die Revolution von 1848 sogar erst den Beginn der Bauernbefreiung auf reformerischem Wege, aber zu für die Bauern signifikant günstigeren Bedingungen als in Preußen. Die deutsche Revolution kannte keine mit der Pariser Juniinsurrektion vergleichbare proletarische Erhebung, aber durchaus starke ökonomische, soziale und politische Emanzipationsbestrebungen von Arbeitern (Streiks, lokale Arbeiterunruhen, lokale und regionale proletarische Organisationen und die im nationalen Rahmen organisierte Arbeiterverbrüderung) und zugleich einen hohen Arbeiteranteil sowohl an den revolutionären Kämpfen als auch an der organisierten demokratischen Bewegung. Die Arbeiterbewegung war 1848 in Deutschland kein marginales Phänomen mehr; sie hatte vielmehr in der Revolution ihre Geburtsstunde als Massenbewegung, erlebte freilich - wie in Frankreich - mit deren Niederlage einen Rückschlag, der erst in den sechziger Jahren wieder wettgemacht wurde. In den übrigen revolutionierten Ländern trat die Arbeiterbewegung als wesentlicher Faktor der Revolution jedoch noch nicht oder kaum in Erscheinung. Eine historisch-vergleichende Betrachtung muß auch die spezifischen Formen in Betracht ziehen, in denen sich die bürgerlichen Revolutionen in den einzelnen Ländern vollzogen. Außer in Frankreich waren 1848 alle Revolutionen in Europa mit nationalen Bewegungen verbunden. In dem Maße, wie der Kapitalismus die mittel-, süd- und südosteuropäischen Regionen erfaßte, in denen entweder feudalstaatliche Zersplitterung oder/und nationale Unterdrückung vorherrschten, wurdenTendenzen nationalstaatlicher Zentralisation und Emanzipation relevant und nahmen nationale Bestrebungen zugleich Massencharakter an. Eine typologische Auffächerung entsprechend den nationalpolitischen Zielsetzungen wird von dem Verhältnis ausgehen können, in dem die innere (Zentralisation) und äußere (Erringung der Unabhängigkeit) Seite im Prozeß von Nationsbildung und Nationalstaatskonstituierung standen. 1. In Deutschland dominierte unbestritten die innere Seite, die national-

staatliche Einigung bei untergeordneter äußerer Komponente.

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2. In Italien könnte man von einem Gleichgewicht von innerer Zentralisation und Abschüttelung der äußeren Unterdrückung sprechen. 3. Der äußere Faktor: die Erringung nationaler Unabhängigkeit entweder in Gestalt eines eigenen Nationalstaats oder nationaler Gleichberechtigung hat in Polen und Ungarn sowie bei den Tschechen, Slowaken, den südslawischen Völkern und den Rumänen den Vorrang. Die Gleichzeitigkeit national-revolutionären Aufbruchs in weiten Teilen Europas (der sog. Völkerfrühling) provoziert die Frage nach den Wirkungen nationaler Bestrebungen auf den Gang und Ausgang des europäischen Revolutionsprozesses. Die großen Hoffnungen in der Anfangsphase der Revolution auf rasche und unkomplizierte einvernehmliche Befriedigung der zahlreichen verschiedenartigen nationalen Ansprüche erwiesen sich im Gestrüpp sich kreuzender Forderungen bald als illusionär. Bei den Liberalen, aber auch in demokratischen Kreisen griff in allen Ländern "nationaler Egoismus" Raum. Vor allem nationales Unabhängigkeitsstreben gegen äußere Bevormundung setzte in verschiedenen Situationen so in Deutschland in der Schleswig-Holstein-Frage, in der Revolution im Großherzogtum Posen, im Frühjahr 1848 in Böhmen, vor allem aber in der italienischen und in der ungarischen Revolution - zwar starke revolutionäre Potenzen frei. Doch waren die den nationalen Interessendivergenzen entspringenden Belastungen, zumal da sie von der adlig-monarchischen Konterrevolution insbesondere in der Habsburgermonarchie in ihrem Sinne politisch instrumentalisiert wurden, wesentlich stärker. Eine typologische Differenzierung der europäischen Achtundvierziger Revolutionen ist schließlich aus ihren unterschiedlichen Bewegungsabläufen abzuleiten. Dafür kann die durch einen Vergleich der französischen Revolution von 1789 und 1848 gewonnene Marxsche Unterscheidung zwischen Revolutionen in "aufsteigender" und "absteigender Linie" als Kriterium gelten. Im "18. Brumaire des Louis Bonaparte" heißt es zu dieser Problematik: "In der ersten französischen Revolution folgt auf die Herrschaft der Konstitutionellen die Herrschaft der Girondin's und auf die Herrschaft der Girondin's die Herrschaft der Jakobiner. Jede dieser Parteien stützt sich auf die fortgeschrittenere. Sobald sie die Revolution weit genug geführt hat, um ihr nicht mehr zu folgen, noch weniger ihr vorangehen zu können, wird sie von dem kühnem Verbündeten, der hinter ihr steht, bei Seite geschoben und auf die Guillotine geschickt. Die Revolution bewegt sich so in aufsteigender Linie.

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Umgekehrt die Revolution von 1848. Die proletarische Partei erscheint als Anhang der kleinbürgerlich-demokratischen. Sie wird von ihr verraten und fallen gelassen am 16. April, am 15. Mai und in den Junitagen. Die demokratische Partei ihrerseits lehnt sich auf die Schultern der bourgeois-republikanischen. Die Bourgeois-Republikaner glauben kaum festzustehen, als sie den lästigen Kameraden abschütteln und sich selbst auf die Schultern der Ordnungspartei stützen. Die Ordnungspartei zieht ihre Schultern ein, läßt die Bourgeois-Republikaner purzeln und wirft sich selbst auf die Schultern der bewaffneten Gewalt. Sie glaubt noch auf ihren Schultern zu sitzen, als sie an einem schönen Morgen bemerkt, daß sich die Schultern in Bajonette verwandelt haben. Jede Partei schlägt von hinten aus nach der weiterdrängenden, und lehnt sich von vorn über auf die zurückdrängende. Kein Wunder, daß sie in dieser lächerlichen Positur das Gleichgewicht verliert, und, nachdem sie die unvermeidlichen Grimassen geschnitten, unter seltsamen Kapriolen zusammenstürzt. Die Revolution bewegt sich so in absteigender Linie, und sie findet sich in dieser rückgängigen Bewegung, ehe die letzte FebruarBarrikade weggeräumt und die erste Revolutionsbehörde constituirt ist." 23 Soweit man die Revolutionen von 1848 in den verschiedenen Ländern Europas als einen einheitlichen Prozeß, als "europäische Revolution" fassen kann- was sicher nicht ganz unproblematisch ist, wofür es aber einige gewichtige Argumente gibt -, ist nach einem relativ kurzen Aufschwung im Frühjahr 1848 wohl der für gescheiterte Revolutionen charakteristische Verlaufstyp in "absteigender Linie" kennzeichnend. Doch stimmt dieser von den beiden Zentren der europäischen Revolutionsbewegung- Frankreich und Deutschland - geprägte Revolutionsrhythmus keineswegs mit dem Rhythmus der anderen "nationalen" Revolutionen überein. Unter diesem Aspekt lassen sich, so scheint mir, folgende vier Verlaufstypen unterscheiden. 1. Die französische und die deutsche Revolution gerieten relativ früh ins Stocken und entwickelten sich- in Frankreich augenfällig seit Juni 1848, in Deutschland spätestens seit dem Frühherbst, rückläufig. Die konservativbürgerliche Konterrevolution in Frankreich gewann mit der Niederwerfung der Pariser Juniinsurrektion, die adlig-monarchische Gegenrevolution in Deutschland und in Österreich nach dem Mißerfolg der revolutionären Kräfte in der deutschen Septemberkrise und dann endgültig mit der Rückeroberung Wiens in Österreich und dem preußischen Staatsstreich in Preußen im Spätherbst 1848 die Oberhand. In beiden Fällen wurde die durch die Februar- und Märzrevolution (bzw. in Österreich durch die Maierhebung 1848) herbeigeführte neue Machtkonstellation- der Einfluß 23 Karl

Marx, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, in: MEGA, I/11, S. 117.

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demokratischer Kräfte in der Pariser Regierung, die Machtbeteiligung der bürgerlichen Liberalen in Preußen und Österreich - rückgängig gemacht. Sieht man einmal ab von den kurzfristigen demokratischen Machtgewinnen im Wiener Oktober 1848 und dann während der Reichsverfassungskampagne in der Pfalz und in Baden im Frühjahr 1849, so fand eine Eskalation der Revolution und eine entsprechende Machtverschiebung nach links, zugunsten linksliberaler, gemäßigt-demokratischer oder gar republikanischer und revolutionär-demokratischer Kräfte nicht statt. Statt dessen fiel bis Ende 1848 die Macht an konservative Führungseliten adliger bzw. bürgerlicher Herkunft zurück. 2. Die national-revolutionären Erhebungen der Polen und Tschechen erlebten im Frühjahr 1848 wie in den anderen Ländern zwar einen enormen Aufschwung, wurden aber schon im Mai bzw. Juni durch preußische bzw. Österreichische Militärmacht blutig unterdrückt und erfuhren keine Wiederbelebung mehr. 3. Auch die italienische Revolution erlitt im Sommer 1848 einen schweren Rückschlag (Custozza, Wiedereroberung Mailands durch Radetzky), den jedoch im Herbst ein zweiter revolutionärer Aufschwung wettzumachen suchte, der mit einer Linksentwicklung, einem Machtgewinn durch radikale, demokratische Kräfte in Rom, in der Toskana und in Venedig verbunden war. Damit aber kam erneut ein Revolutionsverlauf in aufsteigender Linie zur Geltung, der erst im Sommer 1849 mit der Unterwerfung der italienischen Revolutionszentren durch äußere Interventionen wieder gewendet und abgebrochen wurde. 4. Eine durchgehend aufsteigende Tendenz ist der ungarischen Revolution vom März 1848 bis August 1849 eigen (wie übrigens bis Oktober 1848 auch der Revolution in Österreich, genauer in Wien]. Ungarn nimmt in dieser Beziehung eine Sonderstellung ein. Stimuliert durch die Auseinandersetzungen mit der äußeren (habsburgischen) Konterrevolution um die nationale Unabhängigkeit setzte sich in Ungarn - ähnlich wie in der Großen Französischen Revolution, aber auf andere Weise- ein deutlicher Linkstrend durch. Es erfolgte eine Radikalisierung der gesamten liberalen Adelsfraktion, die seit der Bildung des Landesverteidigungsausschusses im September 1848 unter Lajos Kossuth Freiräume für revolutionäre Maßnahmen im Krieg gegen Habsburg gewährte, ohne allerdings- wie 1793/94 in Frankreich- eine Revolutionierung der inneren Verhältnisse zuzulassen. Erst im Sommer 1849 gelang es der Wiener Konterrevolution mit Hilfe der zaristischen Intervention dem ungarischen national-revolutionären Krieg eine vernichtende Niederlage zu bereiten.

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Faßt man den Ablauf der europäischen Revolution als eine in sich widersprüchliche Einheit vielfältiger nationaler Erhebungen, so fällt auf, daß die rückläufige Bewegung in den Zentren Frankreich und Deutschland seit Sommer/Herbst 1848 begleitet war von aufsteigenden Revolutionsentwicklungen an der süd- und südosteuropäischen Peripherie (Italien und Ungarn). Dieser Trend wurde offenbar einerseits begünstigt durch die äußere Abwehrkomponente. Andererseits aber wirkten - ähnlich wie in der Französischen Revolution von 1789 - auch die inneren Bedingungen des "klassischen" Typs bürgerlicher Revolution, der noch ausstehende Bruch mit dem Feudalsystem, stärker als bei den funktional bereits fortgeschritteneren Revolutionstypen in eine solche Richtung. Doch war dieser Trend - entgegen den Hoffnungen der Demokraten - zu schwach, um das Blatt zugunsten der Revolution im europäischen Maßstab nochmals zu wenden. Die Entscheidung über das Schicksal der "europäischen Revolution" konnte nicht an der Peripherie fallen, sondern fiel in deren Zentren, in Frankreich und Deutschland. Wie sich denn bei auch bei späteren revolutionären Prozessen von europäischer oder internationaler Dimension generell gezeigt hat, daß sie dann letzlieh zum Scheitern verurteilt sind, wenn sie auf die Peripherie beschränkt bleiben und es nicht gelingt, die Zentren einzubeziehen. 24 Die bürgerlichen Revolutionen der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa weisen als Konsequenz neuer stadialer Bedingungen der kapitalistischen Entwicklung, des Industriekapitalismus, und bereits eingeleiteter bürgerlicher Umgestaltungen auf reformerischem Wege neue Züge auf. Ein historisch- vergleichender Diskurs sieht sich nach wie vor vor eine Reihe von Problemen gestellt. Weiter zu erörtern bleibt die historische Einordnung dieser Revolutionswelle in die epochalen Transformationsprozesse von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft, die in den einzelnen Ländern einen unterschiedlichen Durchsetzungsgrad erreicht hatten. Insbesondere stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Revolution und Reform, nach dem Gewicht und nach den Verschränkungen und Durchdringungen beider Alternativen bürgerlicher Umgestaltung nach dem Durchbruch von 1789 und mit der einsetzenden industriellen Revolution ("Doppelrevolution"), 24 Vgl. dazu: Manfred Kossok, Das 20.Jahrhundert- eine Epoche der peripheren Revolution, in: Hintergrund, 1993, H. 1, S. 5 ff.; ders., 1917- eine periphere Revolution? in: Alternativen denken. Kritisch emanzipatorische Gesellschaftstheorien als Reflex auf die soziale Frage in der bürgerlichen Gesellschaft. Zum 70. Geburtstag von Joachim Höppner, Berlin 1991, S. 99 ff.; ferner: Werner Röhr, Zentrale Herausforderung oder periphere Revolution. Fragen und Bemerkungen zur Diskussion über das Ende der Epoche seit 1917, in: Ebenda, S. 204 ff.

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die Frage nach Funktion und Chancen von Revolutionen auf einem durch Reformen bereits eingeleiteten Weg zur kapitalistischen Moderne bzw. zur weiteren Ausgestaltung einer bereits etablierten bürgerlichen Ordnung. Weiterer Erforschung und Erklärung bedarf die erstmalige Intervention des sich gerade erst zur Klasse konstituierenden Proletariats in bürgerliche Revolutionen, deren Wirkung auf Konstellation und Verhalten der anderen Klassen wie auf den Gang der Revolution. In kontroverser Debatte steht nach wie vor die Haltung des in den 1848er Revolutionen anerkanntermaßen Hegemonie ausübenden Bürgertums: An welchen Kriterien ist die Politik der liberalen Wortführer zu messen? Inwiefern ist von einem Versagen im Ringen um politische Herrschaft und Demokratisierung der Gesellschaft zu sprechen? Welches sind die gesellschaftlichen Hintergründe für das liberale Konzept eines politischen Kompromisses mit Krone und Adel? Noch kaum ergründet ist das Phänomen adels-liberaler Führungsfähigkeit, -kompetenz und - praxis in den bürgerlich-nationalen Erhebungen kapitalistisch weniger entwickelter Länder im 19.Jahrhundert. Ein historisch-typologischer Vergleich wird sich- in Kontrast zum Jakobinismus von 1793/94- auch mit der Rolle kleinbürgerlich-demokratischer Kräfte in den 1848er Revolutionen befassen, der Frage nach Möglichkeiten und Grenzen einer Wahrnehmung temporärer politischer Führungsfunktionen annehmen müssen. Schließlich bleibt die Agrarfrage, ihr Zurücktreten gegenüber der Arbeiterfrage, ebenso ein Thema historisch-vergleichender Diskussion wie die unterschiedlichen Aktivitäten der verschiedenen Schichten der Landbevölkerung in den einzelnen Revolutionen von 1848.

Die gescheiterten Revolutionen und das europäische Staatensystem 1848-1851 Von Matthias Schulz Die gescheiterten Revolutionen in Europa 1848/49 wirkten sich in ambivalenter Weise auf das europäische Staatensystem aus. Einerseits symbolisierten die Revolutionen vor allem in Mitteleuropa in eindringlicher Weise den Volkswillen zur Durchsetzung des nationalen Prinzips in allen damals vertretenen Schattierungen und damit den - versuchten Aufbruch zum Bau von Nationalstaaten. Das antirevolutionär konzipierte Staatensystem drohte durch das massive Aufeinanderprallen von liberalem Nationalismus und Konservatismus gesprengt zu werden. Allerdings endeten die Revolutionen allerorts mit einem Sieg gegenrevolutionärer und gemäßigter Kräfte und einer Niederlage der nationalen Ambitionen, so daß von einer Grundsteinlegung oder einem Bruch in der Geschichte des europäischen Staatensystems aus dieser Perspektive nicht gesprochen werden kann. Andererseits schickten sich einige Monarchen bereits 1848/49 an, das nationale Prinzip zur Machtrückgewinnung bzw. dynastischen Machterweiterung zu instrumentalisieren. Das nationale Prinzip kam also durch die Paläste wieder zurück auf die politische Tagesordnung. Die vielschichtige Bedeutung der Revolutionsjahre für das europäische Staatensystem wird auch sichtbar, wenn man verschiedene Forschungsmeinungen über die internationalen Beziehungen im Revolutionsjahr Revue passieren läßt.1 Ein Teil der Literatur sieht im Sieg der Gegenrevolution 1 Siehe direkt zum Thema u.a.: Hans-Henning Hahn: "Die Revolutionen von 1848 als Strukturkrise des europäischen Staatensystems", in: Das europäische Staatensystem im Wandel: Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit, hrsg. von Peter Krüger unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, München 1996, S. 131-152; ders.: "Internationale Beziehungen und europäische Revolution. Das europäische Staatensystem in der Revolution von 1848", Phi!. Habil. Köln 1986; Anselm Doering-Manteuffel: Vom Wiener Kongreß zur Pariser Konferenz: England, die deutsche Frage und das Mächtesystem 1815-1856. Göttingen/Zürich, 1991, insb. S. 72-160; ders.: "Großbritannien und die Transformation des europäischen Staatensystems 18501871", in: Das europäische Staatensystem im Wandel, S . 153-170; außerdem einige ältere Arbeiten, hauptsächlich auf die Haltung der Großmächte zur deutschen Frage konzentriert: Günther Gillessen: Lord Palmerston und die Einigung Deutschlands (1848-1851).

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und der erfolgreichen Vermeidung einer kriegerischen Auseinandersetzung der Großmächte untereinander ein Argument für die noch vorhandene Kontinuität und mithin Stabilität des europäischen Staatensystems. Die Revolutionen werden hier z. T. als interne Ereignisse ohne bedeutende Außenwirkung aufgefaßt. 2 Unterstützt wird diese ältere Auffassung u.a. dadurch, daß die europäische Territorialordnung die Revolutionen überlebte, und auch der Deutsche Bund als Teil des europäischen Staatensystems 1851 wiederhergestellt wurde. Selbst die unorthodoxe Ernennung Napoleon Bonapartes zum Kaiser 1852 wurde von den konservativen Großmächten als restaurativer Akt begrüßt. Entsprechend dieser älteren Forschungsmeinung haben erst der "Krimkrieg und Pariser Friede ... als europäische Krisis tief in das europäische Staatensystem eingegriffen" .3 Seit einigen Jahrzehnten jedoch ändert sich das Bild. Die Historiker Richard Elrod und Gordon Craig stellen eine deutliche Schwächung des Staatensystems durch die Revolution fest, beharren jedoch darauf, daß erst der Krimkrieg 1854/55 das Ende des Europäischen Konzerts herbeiführt habe. 4 Hans-Henning Hahn geht in seiner Kölner Habilitationsschrift und einem kürzlich erschienenen Aufsatz einen Schritt weiter und spricht von einer schweren "Strukturkrise des europäischen Staatensystems" angesichts der Revolution 1848/49, die den Krimkrieg quasi erst ermöglicht habe. 5 Paul Schroeder kommt in seinen Arbeiten über das Staatensystem immer wieder auf die Formulierungen 'vor 1848' und 'nach 1848' zurück; er sieht nicht erst den Krimkrieg, sondern das Jahr 1848 als Epochenschnitt, als Beginn des Verfalls, bzw. vielmehr der gewollten Außerkraftsetzung der Wiener Ordnung. Rief die Revolution von 1848 nach 1815 den ersten Lübeck/Hamburg 1961; Alexander Scharff: Die europäischen Großmächte und die deutsche Revolution. Deutsche Einheit und europäische Ordnung 1848-1851. Leipzig 1942; Erich Marcks: "Die europäischen Mächte und die 48er Revolution", in: HZ 142 (1930), S. 73-87; H. Precht: Englands Stellung zur deutschen Einheit 1848-1850. München/Berlin 1925. 2 Siehe z. B. Walter Bussmann: ,.Internationale Beziehungen vom Wiener Kongreß bis zur Einigung Deutschlands", in: Europa von der Französischen Revolution zu den nationalstaatliehen Bezegungen des 19. .Jahrhunderts. Unter Mitarbeit von Mathias Bernath hrsg. von Walter Bussmann, Stuttgart 1981, S. 38-66. (Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 5) - die 1848er Revolution wird in Bussmanns Darstellung der internationalen Beziehungen als unwichtig übergangen; Theodor Schieder, Vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich. Stuttgart 1970, S. 113. 3 Bussmann, S. 52 4 Richard B. Elrod: "The Concert of Europe: A Fresh Look at an International System" , in: World Politics 28 (1976), S. 159-174, S. 172; Gordon A. Craig: Geschichte Europas 1815-1980: Vom Wiener Kongreß bis zur Gegenwart. München 1989{3), S. 124. 5 Hahn: "Internationale Beziehungen"; ders.: "Die Revolutionen von 1848 als Strukturkrise".

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großen Bruch in der Geschichte des Staatensystems im neunzehnten Jahrhundert hervor, der es bis zum Ersten Weltkrieg prägen sollte? Schroeder weist vor allem auf die außenpolitische Neuorientierung der Mächte Frankreich, Österreich, Rußland, Piemont und Preußen ab 1849 hin. 6 An diesem Punkt setzen auch schon einige ältere Arbeiten an, in denen dem Jahr 1848 eine gewisse Bedeutung für das europäische Mächtesystem zugebilligt wird. Schon Ludwig Dehio vertrat in seinem Klassiker "Gleichgewicht und Hegemonie" die Auffassung, daß "die Auswirkung des tollen Jahres (der Revolution, MS) die Energien des Staates (belebte), obgleich doch die revolutionären Gewalten das Feld zu einem erheblichen Teil wieder hatten räumen müssen - vergleichbar der Belebung, die die Vegetation des Niltals beim Zurücktreten der schlammigen Überschwemmung des Stromes erfährt" .7 Und Theodor Schieder konstatierte, daß bereits 1850 alle Groß- (und einige Mittel-)mächte auf dem Kontinent eine "expansive" Tendenz verfolgten.8 Welches also waren die Ursachen dieser Neuorientierung in der Außenpolitik? War der revolutionäre Nationalismus und sein systemsprengendes Potential oder war vielmehr der Einzug der 'Realpolitik' in die Kabinette als Folge des Elitentauschs in der Reaktionsära der eigentliche Grund des Verfalls der Wiener Ordnung? Oder bildete gerade die Synthese der nationalen mit den machtpolitischen Strömungen in Deutschland, Italien und Frankreich die Grundlage für die Destabilisierung des Staatensystems? Unter Berücksichtigung der skizzierten Unterschiede in der Interpretation der 1848er Revolutionen für das europäische Staatensystem werde ich im folgenden nicht anhand einzelner Akteure oder Ereignisse, sondern anhand ausgewählter Strukturelemente die These überprüfen, ob die 1848er Revolution als Systemkrise oder gar Zusammenbruch des Wiener Staatensystems mit begrenzter oder nachhaltiger Wirkung beschrieben werden kann, und welche Symptome bzw. Auswirkungen den Charakter der Krise untermauern. Im einzelnen ziehe ich für die systematischstrukturelle Analyse der Wechselbeziehungen zwischen Revolution und Staatensystem folgende Strukturelemente heran: das Konferenz- und Allianzsystem, monarchische Solidarität und Ideologie, das Nationale als Sprengstoff der Wiener Territorialordnung, das Legitimitätsprinzip und schließlich das Gleichgewicht der Mächte. Damit sind keineswegs 6 Vgl. Paul W. Schroeder: "The Vienna System and lts Stability: The Problem of Stabilizing a State System in Transformation", in: Das europäische Staatensystem im Wandel, S. 107-122; sowie ders.: The Transformation of European Politics 1763-1848. Oxford 1994, S. 797 ff. 7 Ludwig Dehio: Gleichgewicht oder Hegemonie: Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte. Krefeld 1948, S. 177, kursiv MS. 8 Schieder, s. 119.

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alle wichtigen Strukturelemente des Staatensystems umfaßt, doch emlge der wichtigsten, die zur Beantwortung der Fragestellung an dieser Stelle hinreichen. 9 Aufgrund der Vielschichtigkeit der Ursachen und des unterschiedlichen Verlaufs der Revolutionen muß ich an dieser Stelle notgedrungen mit Aggregatsgrößen und Vereinfachungen arbeiten.

I. Das Europäische Konzert 1815-1848 Die Wiener Verträge von 1814/15' und die auf dem Kongress von Aachen 1818 erreichte Re-Integration Frankreichs in das Staatensystem installierten eine Art "reformiertes Gleichgewichtssystem" in Europa, 10 in dem die fünf Großmächte als Europäisches Konzert - von den übrigen Mächten gebilligt - eine besondere Befugnis als gemeinschaftliches Kontroll- und Entscheidungsgremium in europäischen Krisen innehatten. Ihre herausgehobene Stellung stand im Widerspruch zu der formalrechtlichen Gleichheit aller Staaten, weshalb einige Vertreter unserer Zunft die umstrittene Bezeichnung "kooperative Hegemonie" oder "kollektive Hegemonie" für angebracht halten.u Unzweifelhaft enthielt das Wiener Staatensystem jedoch mit der Quadrupelallianz gegen Frankreich auch anti-hegemoniale und mit der Heiligen Allianz der Fürsten und der Pentarchie staatengemeinschaftliche Komponenten. 12 Das Staatensystem wies also sich z. T. widersprechende Strukturelemente auf - wie sie praktisch in jeder Staatenordnung enthalten sind. Das Europäische Konzert der Großmächte versuchte, die nach den Wiener Verträgen benannte Ordnung zunächst durch regelmäßige Kongresse der Außenminister und nach Verona (1822) durch Botschafterkonferenzen sowie ad hoc Kongresse zu bewahren bzw. durch Konsens zu verändern mit dem höheren Ziel, den Frieden und dessen Grundlage - das Gleichgewicht - zwischen den Großmächten zu wahren. Dies gelang ihm recht gut: "Es herrschte" auf der europäischen Bühne, so Ludwig Dehio, "nach 1815 eine idyllische Stille, wie sie nach den Entscheidungen in den früheren Hegemonialkriegen in diesem Maße niemals eingetreten war" .13 Aufgrund des ostentativ ursächlichen Zusammenhangs zwischen den 9 Der Verfasser arbeitet an einer Untersuchung, die die Fragestellung in einem weiteren Zeitrahmen auf breiter Quellenbasis erörtert. 10 Wolf D. Gruner: "Was There a Reformed Balance of Power System or Cooperative Great Power Hegemony?", in: AHR 97/3, 1992, S. 725- 732. 11 Vgl. zur Diskussion ebd.; Schroeder: "The Vienna System"; sowie ("kollektive Hegemonie":) Adam Watson: The Evolution of International Society: A comparative historical analysis. London/New York 1992, S. 238-251. 12 Vgl. Hahn: "Internationale Beziehungen", hier und dort; Watson, S. 238ff.; weiterführend zur Funktionsweise des Staatenystems auch noch Elrod. 13 Dehio, S. 161.

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Leitbildern der Großen Französischen Revolution und den Kriegen von 1792-1815 rückte für die konservativen Ostmächte in der außenpolitischen Praxis die antirevolutionäre Zielsetzung des Staatensystems in den Vordergrund, während England primär die Wahrung des Gleichgewichts der Mächte anstrebte, koordinierte Interventionen gegen revolutionäre Erhebungen ablehnte und hauptsächlich die Diplomatie als geeignetes Mittel zur Friedenswahrung betrachtete. Nach den sechs Kongressen zwischen 1814/15 und .1822 veranstaltete das Konzert im Zeitraum von 1830 bis 1841 fünf Botschafterkonferenzen, auf denen die belgisehe Frage, die Reform des Kirchenstaats und die in den Wiener Verträgen ausgeklammerte Orientfrage erörtert wurden. Oft erzielte der Areopag Europas nur unter großen Schwierigkeiten Kompromisse. Doch seiner Funktion als Instanz der Schlichtung und Entscheidung, Instrument der Mäßigung monarchischer Interessenpolitik im Sinne der Gemeinschaft der Fünf und als Legitimationsinstanz für Wandel wurde er gerecht. Ein großer Krieg zwischen Großmächten ebenso wie zwischen Groß- und Mittelmächten fand nicht statt, obwohl die Westmächte spätestens in den dreißiger Jahren ein liberales, reformorientiertes Lager bildeten, die Ostmächte jedoch konservativ blieben. lnfolge dieser unterschiedlichen Orientierung wurden diplomatische bzw. militärische Interventionen zum Teil zugunsten, zum Teil gegen revolutionäre Bewegungen durchgeführt. Trotz der antirevolutionären, Status-qua-orientierten Politik vor allem Metternichs wurden die griechische und die belgisehe Unabhängigkeitsbewegung im Rahmen des Osmanischen Reichs bzw. der Vereinigten Niederlande pragmatisch anerkannt. Diese Spannungen konnten das Konzert nicht sprengen, weil sich zum einen informelle Einflußzonen herausbildeten, in denen die Westmächte (Spanien, Portugal) bzw. die Ostmächte (Oberitalien, Deutscher Bund, Osmanisches Reich) z.T. unangefochten agieren konnten, und weil die Großmächte zum anderen militärische Gewalt extraterritorial nur nach Absprache mit weiteren Großmächten einsetzten. Der Primat der Mäßigung in der Außenpolitik wurde weitgehend durchgehalten; expansive Tendenzen konnten sich nicht durchsetzen. Weitere typische Konfliktpotentiale - innenpolitischer Reformstau, dynastische Streitigkeiten, wirtschaftliche Krisen - führten wohl innere Auseinandersetzungen, aber keine Kriege zwischen den Großmächten herbei. Allerdings hatten Macht und Fähigkeit des Konzerts zum Krisenmanagement auch Grenzen. Entscheidungen des Konzerts betrafen typischerweise Mittel- bzw. Kleinstaaten oder das nicht zur Wiener Ordnung gehörende Osmanische Reich, nie das Staatsterritorium oder die innere Ordnung einer Großmacht, sondern höchstens deren vermeintliche oder beanspruchte Einflußsphäre. So wurde Frankreich 1840 in der ägyps•

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tischen Frage von den übrigen Großmächten kollektiv zurechtgewiesen und mußte sich den vier übrigen Großmächten beugen, und Rußland mußte 1841 seinen Protektoranspruch gegenüber dem Osmanischen Reich weitgehend zurücknehmen. Doch gerade die inneren Entwicklungen der Großmächte und territoriale Streitigkeiten mit Nachbarn von Großmächten waren es, die 1848 das Staatensystem auf die Probe stellten. Insofern war 1848 nicht nur als europäisches Phänomen, sondern auch als Herausforderung des Staatensystems etwas Neues. II. Der Zusammenbruch des Konzerts und des Allianzsystems

Die Februarrevolution in Frankreich bewirkte außenpolitisch zunächst eines: Sie schürte die Furcht der Nachbarstaaten, daß ein revolutionäres Regime in Paris eine revolutionäre Außenpolitik einschlagen, d.h. einen Befreiungs- und Eroberungskampf vom Zaun brechen und die 1815 z. T . gegen Frankreich errichtete Ordnung zerstören würde. 14 Der Dichter und neue französische Außenminister Alphonse Lamartine erklärte in seinem Manifest vom 4. März 1848 die Wiener Verträge für nicht mehr existent und drohte, nationale Bewegungen überall zu unterstützen. Indes milderte er seine Worte mit dem Hinweis, Veränderungen der europäischen Territorialordnung seien nur in gegenseitigem Einverständnis möglich. Lamartine ließ jedoch der britischen Regierung vertraulich versichern, die lauten Töne seien nur Opium für die radikalen Revolutionäre; die Republik wünsche Frieden und bejahe den Fortbestand der Pentarchie als Areopag Europas. London sprach sich folglich gegen eine Intervention aus - es wäre falsch, Frankreich zu provozieren - und löste sich endgültig aus der Quadrupelallianz. Nikolaus I. dagegen warnte die französische Regierung vor einer revolutionären Außenpolitik in Italien, als dort ebenfalls die Revolution ausgebrochen war. Der von Rußland durchaus erwogene Krieg gegen die Revolution verbot sich jedoch in dem Moment, als die Monarchien in Berlin und Wien im März selbst unter dem - von Lamartines Manifest ermutigten- Ansturm der Revolution wankten, Zugeständnisse machten durch die Berufung liberaler Kabinette und somit als Verbündete des Zaren ausfielen. Sowohl die Quadrupelallianz gegen Frankreich als auch die Heilige Allianz der drei Ostmächte, der konservative Block, brachen also zu Beginn der Revolution auseinander. 15 Damit wurde einer gemeinschaftlichen Ausübung des Mitspracherechts in europäischen Angelegenheiten der Boden entzogen. 14 Vgl. zum Revolutionsverlauf Hahn: "Internationale Beziehungen", S. 63ft'; kürzer, allerdings mit einigen Fehlern z. B. F. R. Bridge und Roger Bullen: The Great Powers and the European States System 1815-1914. London/New York 1980, S. 68-76. 15 Hahn: "Internationale Beziehungen", S. 404-407.

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Im Juni festigten die gemäßigten Republikaner in Frankreich ihre Position durch die völlige Niederschlagung der radikalen Kräfte. Damit war die Gefahr einer revolutionären Außenpolitik von dieser Seite zunächst gebannt. Doch die 48er Revolution ergab eine Reihe weiterer Situationen, die eine Angelegenheit der fünf Großmächte gewesen wären, Situationen, in denen die revolutionären Unruhen direkt eine Veränderung des Staatensystems bzw. seiner Territorialordnung herbeizuführen drohten. Als das Konzert nicht mehr funktionstüchtig war, schlüpften England und Rußland als vom 'Revolutionsvirus' nicht befallene Mächte in die Rolle des 'Schiedsrichters' Europas. 16 Nicht das Konzert, sondern jede Großmacht für sich intervenierte nun diplomatisch oder militärisch mal für, mal gegen die Revolution, je nach Konstellation und herrschender Doktrin. Als der König von Piemont-Sardinien Karl Albert am 24. März Österreich den Krieg erklärte, sich damit aus eigener Schwäche an die Spitze der nationalen Bewegung "flüchtete" und um die Vorherrschaft in Oberitalien kämpfte, forderten England wie Frankreich eine europäische Großmachtkonferenz. Österreich wandte sich jedoch gegen den Vorschlag, indem es zur Bedingung machte, daß sich London und Paris von vornherein gegen territoriale Veränderungen, d.h. zugunsten des Österreichischen Standpunkts und damit der Wiener Territorialordnung von 1815 festlegten.17 Dies freilich lehnten die liberalen Mächte ab. England versuchte sich während der schwelenden Krise zum Vermittler für eine pro-italienische Lösung aufzuschwingen und unterstützte das Nationalitätenprinzip; es verletzte seine Verpflichtungen aus den Verträgen von 1814/15 und die Souveränität der habsburgischen Großmacht. England entfernte sich somit unilateral weiter von der Wiener Ordnung als irgendeine andere Großmacht.18 Erst der Sieg der von Radetzky geführten Armee bei Custozzo am 25. Juli 1848 und- nach Wiederaufnahme der Feindseligkeiten - der erneute Sieg der Österreicher im April 1849 sowie die Kapitulation Venedigs im August entzog den Einmischungsversuchen den Boden. Der unter nationalen Vorzeichen geführte preußisch-dänische Krieg um Schleswig-Holstein führte aufgrund eines dänischen Vermittlungsgesuchs zur diplomatischen Intervention Englands und Rußlands. Unter diesem Druck sah sich Preußen am 26. August 1848 gezwungen, einen Waffenstillstand zu konzedieren. Rußland, Schweden und Frankreich drängten auf eine pro-dänische Garantie, auch England tendierte zugunsten Dänemarks, waren doch seine maritimen Interessen am Sund im Spiel. Geregelt 16 Bridge/Bullen, S. 70. 17 Siehe Francis H. Hinsley:

Power and the Pursuit of Peace: Theory and Practice in the History of Relations Between States. Garnbridge 1967, S. 219. 18 Siehe Hahn: "Internationale Beziehungen", S. 402, hier und dort.

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wurde der Konflikt zunächst praktisch im Alleingang von England auf der ersten Londoner Konferenz 1850, dann 1852 im Konzert mit Schweden, Rußland, Frankreich und den beteiligten Mächten. Dänischen wie preußischen Expansionstendenzen sollte mit der Regelung völkerrechtlich ein Riegel vorgeschoben werden. D.h. gegenüber dem Mittelstaat und der kleinsten Großmacht funktionierte das Großmachtsystem zwar äußerlich; jedoch war die Rolle Britanniens bei der Regelung derart dominant, daß eigentlich nicht das Staatensystem, sondern das Vereinigte Königreich als Hegemonialmacht den Streit zwischen den kriegführenden Parteien nach Maßgabe seiner Interessen und des gesunden Menschenverstands entschied. Preußen erklärte sich erst 1852 mit der dann auf breiter europäischer Basis sanktionierten Lösung des Schleswig- Bolstein-Problems einverstanden. Es zog damit die Konsequenz aus der Olmützer Punktation, durch die Österreich und Rußland Preußen in die Schranken gewiesen und Friedrich Wilhelm IV. zur Aufgabe seiner Unionspolitik gezwungen hatten. Die Frage der Neuordnung Deutschlands wurde seitens Englands wie Rußlands 1849/50 als Gesichtspunkt des ius publicum europeum betrachtet, doch keine Großmacht scheint ernsthaft an eine erfolgreiche Einigung geglaubt zu haben, denn die Diplomaten diskutierten die möglichen Folgen einer deutschen Einigung für das europäische Gleichgewicht nur beiläufig. 19 Daß die deutsche Einheit am Widerstand auswärtiger Mächte gescheitert sei,2° ist eine Legende. 21 Der preußische König lehnte die ihm von der Nationalversammlung dargebotene Kaiserkrone ab, weil die deutschen Königreiche und Österreich nicht zustimmten. Die deutsche Einheit ist somit daran gescheitert, daß Preußen einen deutschen Krieg um die deutsche Einheit nicht riskieren wollte, ferner am Gegensatz zwischen Frankfurt und den Monarchen und ab Mitte 1849 am Antagonismus zwischen Preußen und Österreich, das von Rußland unterstützt wurde. Aus englischer wie französischer Perspektive wäre eine kleindeutsche Einigung wohl akzeptabel gewesen, sofern sie friedlich verlaufen wäre. Allerdings schien ein Eingreifen aus Sicht der Großmächte legitim in dem Moment, wo die deutsche Frage über das Territorium des Deutschen Bundes hinausgriff (Schleswig) und somit das Gleichgewicht auf dem europäischen Kontinent bedrohte. 22

19 Ebd.,

S. 408ff. u.a. Eberhard Maier: Die außenpolitischen Vorstellungen der Paulskirche 1848/49. Berlin 1938. 21 Vgl. Marcks:"Die europäischen Mächte", S. 85ff; Hahn: "Internationale Beziehungen", S. 408ff. 22 Ebd., u .a. S. 408ff.; Werner E. Masse: The European Powers and the German Question. With Special Reference to England and Russia. Cambridge 1958, S. 21. 20 Vgl.

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Das Parameter 'Gleichgewicht' spielte also wohl in den Augen beider Wächter des Staatensystems - England und Rußland - eine wichtigere Rolle als das Völkerrecht, das auf einen sekundären Rang abrutschte. Vor allem das Verhalten Englands in bezug auf den piemontesisch-österreichischen Krieg und in bezug auf Schleswig-Holstein belegt einen Hang zu pragmatischem und interessengeprägtem Vorgehen; d.h. die Wiener Verträge waren in britischen Augen nicht mehr sakrosankt. 23 Ein erfolgreicher Versuch, die Österreichische Schwäche durch eine unilaterale militärische Intervention auszunutzen, ging von Frankreich aus. Wenige Monate nach der Wahl Louis Napoleon Bonapartes zum Präsidenten der Republik ließ er französische Truppen in Italien eingreifen. Zu wessen Gunst? Offensichtlich war sich Napoleon anfangs nicht im klaren, ob er zugunsten der Revolutionäre in Rom oder zugunsten des vertriebenen Papstes - also der Reaktion, der Wiederherstellung des Status quo ante - eingreifen sollte. Da in Frankreich die konservativklerikalen Kräfte seit den Dezemberwahlen wieder dominierten und im Frühjahr 1849 in Österreich und Deutschland allerorten die Reaktion siegte, entschied er sich für die letzte Variante. Sie war weniger gefährlich. Letztlich ging es ja nur darum, Frankreich Einfluß in Italien zu verschaffen. England scheiterte mit seinem Bestreben, eine Stärkung des französischen Einflusses in Italien zu vermeiden.24 Das Europäische Konzert funktionierte folglich in der Krisensituation 1848/49 nicht mehr: Das Allianzsystem war gleich zu Beginn der Revolution zerbrochen - und damit die Grundlage eines gemeinsamen Vorgehens. Über Konflikte wurde nicht mehr gemeinsam beraten und entschieden, sondern vor allem England versuchte- zum Teil erfolgreich - , eine Sonderstellung als Schiedsrichter über kontinentale Angelegenheiten einzunehmen. Es konnte nicht verhindert werden, daß die nationalrevolutionären Kräfte neben innerem Aufruhr auch zwischenstaatliche Konflikte hervorriefen: von einer internationalen Solidarität der nationalrevolutionären Bewegungen keine Spur. Die vertraglichen Grundlagen des Staatensystems wurden relativiert, seine Substanz in Frage gestellt, seine Methoden waren außer Kraft. Überreste des Staatensystems blieben indessen bestehen. Zum einen lag jeder Großmacht weiterhin an der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts bzw. der Verhinderung irgendeines Hegemonieanspruchs. Das Interesse der Großmächte am Frieden überwog immer noch die Neigung zur abenteuerlichen, kriegerischen Machterwei23 Hahn:

"Internationale Beziehungen", S. 402. den genannten Interventionen zeitigte die Revolution natürlich weitere gegenrevolutionäre Militärinterventionen, denen ich mich im nächsten Abschnitt zuwende, da deren Bedeutung woanders liegt. 24 Neben

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terung; keine Großmacht nutzte die Revolution oder die Schwäche einer anderen Großmacht aus, um einen Krieg gegen sie zu führen. Kriege zwischen einer Groß- und einer Mittelmacht, die sich nicht verhindern ließen, wurden erfolgreich lokalisiert. Aber solidarisch war die Politik der Mächte nicht mehr zu nennen. 111. Monarchische Solidarität und Ideologie Die Frage nach der monarchischen Solidarität in Krisenzeiten ist ein aufschlußreicher Indikator für die Auswirkungen der Revolution auf die Pentarchie. Monarchische Solidarität zeigte sich im Wiener System seit 1815 vor allem in der gemeinsamen Ablehnung revolutionärer Veränderungen, im Respekt vor dem territorialen Status quo sowie in gemäßigten außenpolitischen Zielen, insbesondere dem Verzicht auf innereuropäische Expansion. Die monarchische Solidarität war zwar nie absolut verstanden worden, und die Gründung Belgiens gegen den Wunsch und Willen der Oranier zeigte, daß sich die Pentarchie gegebenenfalls über die Interessen einzelner Monarchen in Europa hinwegsetzte. Aber zwischen dem Oranier und den Fünf bestand ein Klassenunterschied - der zwischen einer Mittelmacht und Großmächten. Die monarchische Solidarität muß somit begrifflich enger gefaßt werden: Sie bildete das einigende Band der Pentarchie gegen einen Krieg der Großmächte untereinander. In bezug auf die Ostmächte bildete sie außerdem das gemeinsame konservative Band gegen die Revolution und gegen territorialen Wandel. Gab es schon vor 1848 Tendenzen, die eine Auflösung der monarchischen Solidarität förderten? Sicherlich - die Antinomie zwischen den liberalen und konservativen Mächten. Doch auch nach dem Aufbrechen ideologischer Gegensätze - manifest nach Münchengrätz und der 'liberalen' Quadrupelallianz zwischen England, Frankreich, Portugal und Spanien - erwiesen sich die Interessenkonflikte innerhalb der Westmächte als zu stark, um die ideologische Orientierung zum Drehpunkt der auswärtigen Politik werden zu lassen und die Pentarchie auszuhebeln. 25 So wurde auch der Orientkonflikt 1840/41 zunächst gegen, dann in Form eines Kompromisses mit Frankreich im Rahmen der Pentarchie gelöst. Während der Revolution blieb die Solidarität der Monarchen am augenfälligsten (wie gesagt} insofern bestehen, als daß keine Großmacht die Revolution nutzte, um das Staatensystem durch einen Hegemonialanspruch zu gefährden, auf einen allgemeinen Krieg hinzuarbeiten oder die 25 Vgl. neuerdings übergreifend zu diesem Themenkomplex Alan Ca.ssels: Ideology and International Relations in the Modern World. LondonfNew York 1996.

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Existenz einer anderen Großmacht zu bedrohen. 26 Die Ideologie spielte auch hier eine untergeordnete Bedeutung; die Solidarität der Mächte konnte ebenso ideologieübergreifend sein, wie Konflikte zwischen Mächten gleicher ideologischer Orientierung auftreten konnten. 27 Die Solidarität der Westmächte mit den Ostmächten bestand im Revolutionsverlauf darin, sich pro-revolutionärer Militärinterventionen zum Schaden anderer zu enthalten. Das heißt, die Solidarität der Westmächte mit der Pentarchie äußerte sich gerade in der weitgehenden Abwesenheit einer aggressiven revolutionären Außenpolitik. Als revolutionsfreundliche Außenpolitik kann allein der Versuch Englands, zwischen Piemont und Österreich zugunsten Piemonts zu vermitteln, angesehen werden. Die Solidarität der Monarchen im Deutschen Bund und im Osten untereinander bestand darin, andere Monarchen bei der Niederschlagung von Aufständen zu unterstützen, soweit und sobald die eigene Position es zuließ. Österreich und Preußen leisteten sich schon im November 1848 nach erfolgreicher Schwächung der revolutionären Dynamik wieder konservative Kabinette. Während Rußland in Ungarn aufgrund des kaiserlichen Wunsches zu Hilfe kam und die Habsburger Monarchie damit vor dem Zerfall rettete, räumte Preußen in Folge der Mairevolutionen 1849 in einigen deutschen Klein- und Mittelstaaten auf und stärkte damit seine FUnktion als Ordnungsmacht in Deutschland. Damit wahrten die Ostmonarchien ihre antirevolutionäre Orientierung bezüglich der inneren Ordnung. Allerdings ist augenfällig, daß trotz dieser Solidaritätsbezeugungen Mächterivalitäten aufbrachen, die eine neue Qualität besaßen und auf eine Störung des Solidaritätsgedankens hindeuten. Der konservative Block bekam llisse, als Preußen durch seine Unionpolitik seit dem Frühjahr 1849 versuchte, Österreich in Deutschland auf den zweiten Rang zu verweisen bzw. auszugrenzen. Hierbei versuchte Friedrich Wilhelm IV. durchaus, die Schwäche des Habsburgerreiches auszunutzen; allerdings strebte Preußen keine territoriale Expansion an. Sowohl das österreichisch-russische Veto zur preußischen Unionspolitik als auch das russische, preußische und das französische Veto gegen Fürst von Schwarzenbergs Plan für ein mitteleuropäisches, multinationales 70-Millionen Reich unter Einbeziehung aller habsburgischen Territorien in Deutschland zeigt das Ende der Mäßigung in der Außenpolitik und damit die Zerstörung des Solidaritätsgedankens unter den konservativen Monarchen. Die Revolutionsphase war die Initialzündung für den Konflikt über die deutsche Frage zwischen Preußen 26 Hahn:

2 7Vgl.

"Internationale Beziehungen", S. 397. Cassels, S. 58-64.

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und Österreich. Der Antagonismus konnte indessen bis in die sechziger Jahre in Schach gehalten werden und zerstörte die mitteleuropäische Ordnung von 1815 erst, nachdem Österreich aufgrund seiner unglücklichen Allianzpolitik zwischen Rußland und den Westmächten sowie seiner reformabgeneigten Innenpolitik sich selbst in eine geschwächte Position hineinmanövrierte und Opfer seiner 'imperialen Überdehnung' wurde, 28 die Bismarck geschickt und listig auszunützen verstand. Die monarchische bzw. Mächtesolidarität kam also zum Teil bereits während der Revolution, noch stärker aber in der Reaktionsphase ab 1849 zu Schaden. Die konservativen Mächte mußten, als sie die Oberhand zurückgewonnen hatten, ebensowenig mit einer baldigen Wiederholung revolutionärer Unruhen rechnen wie Frankreich, denn der gemäßigte Teil der Bürgerlichen trat aus Furcht vor einer Radikalisierung ebenso wie aufgrundgeringfügiger Reformen ins Lager der Ordnungschaffenden über. Die folgende innere Konsolidierung im Zeichen der Reaktion und die Hinwendung zu ambitionierten außenpolitischen und machtstaatlichen Zielsetzungen, die die Mächtesolidarität systematisch untergruben, bedingten sich gegenseitig. Die Revolution setzte offensichtlich dynamische Kräfte bei den Führungsschichten in Preußen, Piemont, Österreich, Frankreich und selbst in Rußland frei, die der Unterwerfung unter ein Konferenzsystem und dem Gedanken der Mächtesolidarität und der Unveränderlichkeit der Territorialordnung zuwiderliefen. England erkannte, daß das Staatensystem flexibilisiert werden müsse, um den durch die gesellschaftlichen, ökonomischen und geistigen Umwälzungen geforderten Wandel zu ermöglichen. Das bedeutete notfalls einen Verzicht auf monarchische Solidarität. Die öffentliche Meinung mag zu Beginn der fünfziger Jahre an die Fortexistenz des Europäischen Konzerts geglaubt haben; die geistig-politischen Strömungen und politischen Entwicklungen liefen jedoch auf eine Rückbildung und Flexibilisierung des Staatensystems unter dem modernen Vorzeichen nationalstaatliehen Denkens hinaus. Dies bedeutete keine Rückkehr zum anarchischen Gleichgewichtsdenken des achtzehnten Jahrhunderts, aber eine Rückkehr der Machtpolitik unter Inkaufnahme des Kriegs als politische Lösung für diplomatisch im Rahmen des Konzerts nicht mehr lösbare Konflikte. IV. Die Sprengkraft der nationalen Frage

Das nationale Prinzip hatte 1815 keine ähnliche Kraft und populäre Unterstützung gehabt wie 1848. Vor allem Fürst Metternich als Vertreter 28 Begriff nach Paul Kennedy: Aufstieg und Fall der Großen Mächte: Ökonomischer Wandel und militäricher Konflikt von 1500 bis 2000. Frankfurt/Main 1991.

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des Habsburger Vielvölkerreiches sorgte dafür, daß es bei der Feststellung der Territorialordnung in Mitteleuropa weitgehend unberücksichtigt blieb. Aus diesem Grund richteten sich die Nationalbewegungen im Vormärz zusehends gegen die antirevolutionär und immobil erscheinende, nationalen Bestrebungen entgegenstehende Wiener Ordnung. Die Hauptkraft der mitteleuropäischen Revolutionswelle, der liberale Nationalismus, stellte das Staatensystem vor unlösbare Aufgaben. Die Forderungen nach nationalkultureller Volkssouveränität, wie sie im Sinne Herders und Mazzinis propagiert wurden, und nach Verfassungsstaatlichkeit, wie sie die Liberalen forderten, waren nicht mit der Territorialordnung kompatibel und wurden von den republikanischen Kräften auch gegen das monarchische Prinzip gerichtet. Die Forderung nach nationalkultureller Volkssouveränität durch Ungarn und slawische Völker bedrohte Österreich mit Zerfall oder mindestens Föderalisierung, die deutschen Fürsten mit dem Verlust einzelstaatlicher Teilsouveränität und damit der Fürsten Macht. Im Falle einer italienischen Einigung mußten Habsburger, Bourbonen und der Papst das Nachsehen haben. Ein polnischer Aufstand hätte die staatliche Integrität Rußlands, Preußens und Österreichs verletzt. Das nationale Prinzip richtete sich aber nicht nur zwangsläufig gegen die Wiener Territorialordnung einschließlich der Praxis des Konzerts, über das Schicksal von Völkern zu bestimmen, sondern rüttelte auch am Gleichgewicht der Mächte. Ein Sieg Piemonts in Oberitalien hätte die Habsburger Monarchie geschwächt, ein Sieg der ungarischen Aufständischen hätte es als Großmacht vernichtet. Die deutschen Parlamentarier in Frankfurt machten sich wenig Gedanken über die Wirkung eines geeinten Deutschlands auf das europäische Gleichgewicht. Die als radikal geltenden Demokraten erwogen im Frühjahr 1848 die Förderung eines polnischen Aufstands, damit Rußland von einem Eingriff in Deutschland abgehalten werde, oder sogar einen Krieg gegen Rußland und die 'Befreiung' Polens als gewalttätiges Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele. Die - politisch wirkungslose - Sistierung des Malmöer Waffenstillstands durch die Nationalversammlung am 5. September 1848 ging ein in die Geschichte als frühes Beispiel unrühmlicher nationaler Anmaßung in bezug auf die territoriale Ausdehnung Deutschlands. Angesichts dieser Sprengkraft des Nationalen für das Staatensystem, die die Zeitgenossen durchaus erkannten, ist es erstaunlich, daß nicht nur die Revolutionäre in Frankfurt, Prag, Mailand und Budapest, sondern auch London und die eigentlich konservativen, ja z. T. sogar gegenrevolutionären Gouvernements in Paris, Thrin und Postdam seit

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1848 unverhohlen oder insgeheim nationale Ideologien aufsogen. Auf dem Kontinent vollzog sich eine Veränderung der Grundhaltung gegenüber europäischem Vertragsrecht, die sich vor 1840 höchstens von französischer Seite - in der Rheinkrise 1840/41 - angedeutet hatte. 1848/49 forderten sowohl Alphonse Lamartine als auch Louis Napoleon einen europäischen Kongreß zur Revision der Territorialordnung insbesondere bezüglich Italien und Polen. Damit hielt sich Frankreich formell an die Spielregeln der Pentarchie, forderte Wandel durch Konsens, lehnte aber die Wiener Territorialordnung ab und zielte auf eine Schwächung der konservativen Mächte. England gab mit seiner Unterstützung Piemonts und der Aufständischen in der Lombardei und in Venetien dem nationalen Argument Vorrang vor dem Vertragsrecht, begünstigte also Wandel unilateral ohne Rücksicht auf die Pentarchie. 29 Der von Piemont vom Zaun gebrochene Krieg gegen Österreich 1848 und dann erneut 1849, die spätere Realpolitik Cavours; der dänische Versuch, Schleswig ins dänische Königreich zu vereinnahmen und dessen Verfassung außer Kraft zu setzen, der preußische Einmarsch in Schleswig-Holstein, der Erfurter Unions-Plan und die erst im Moment eines drohenden Krieges und aufgrund russischen Drucks gestoppte preußische Unionspolitik waren allesamt Versuche, das nationale Prinzip für dynastische Politik zu instrumentalisieren. Darin spiegelte sich eine Unzufriedenheit mit dem Status quo bzw. mit der eigenen Machtstellung. Die Idee Preußens und Piemonts, eine Brücke zu schlagen vom Monarchen zur Nationalbewegung, wurde langfristig fester Bestandteil der Außenpolitik beider Mächte. Die dynamischen Ziele der neuen Außenpolitik zerrieben die monarchische Solidarität ebenso wie der Aufstieg des nationalen Prinzips die Territorialgarantie zerrieben hatte. Damit schwand auch der Anschein von Legitimität.

V. Die Revolution und das Legitimitätsprinzip Das Legitimitätsprinzip - ursprünglich die Rechtfertigung absoluter monarchischer Herrschaft durch Lehns- und Erb- und Gewohnheitsrecht, seit den Wiener Verträgen durch das Plazet der fünf Großmächte - wurde bereits vor der Revolution 1848 auf die Probe gestellt und unterminiert. Eine Restauration hatte bereits 1815 nicht wirklich stattgefunden; weder wurden die Säkularisierung und Mediatisierung der Territorien des Alten Reichs rückgängig gemacht, noch wurden die polnischen Teilungen aufgehoben. Das Legitimitätsprinzip war somit eine Schimäre, ein Scheinargument, hinter dem sich verschleierte monarchische Interessen verbargen. 29 Siehe zur Problematik des 'Wandels' im Wiener System und der Haltung einzelner Mächte Hahn: "Internationale Beziehungen", S. 402, 404f, 424 f.

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Anläßlich der griechischen Aufstände in den zwanziger und dreißiger Jahren sowie des belgiseben Aufstands 1830 erreichten die Großmächte Kompromisse zwischen dynamischen, von den Massen getragenen Kräften und dem Legitimitätsanspruch des europäischen Staatensystems. In beiden Fällen wurde die hergebrachte Territorialordnung durch den Druck von Volksbewegungen und mit Zustimmung der Großmächte verändert. Das Konzert setzte neue Herrscher ein, die aus deutschen Fürstenfamilien stammten. Die Julirevolution und die Einsetzung eines Bürgerkönigs in Frankreich unterminierte ebenfalls das Legitimitätsprinzip. Auch hier wurden die vom Volk bzw. deren Repräsentanten geschaffenen neuen Fakten von den Großmächten anerkannt, erst von England, dann auch vom zögernden Rußland. D.h. Legitimität ging auch aus Fakten hervor; der Konsens der Großmächte bedeutete lediglich, daß es sich nicht lohnte, wegen der neuen Fakten einen Krieg zu beginnen. Dementsprechend flexibel handhabten die Großmächte auch während der Revolution das Legitimitätsprinzip; bezüglich Frankreich setzten sie es außer Kraft, bezüglich der deutschen Zentralgewalt warteten sie mit der Anerkennung lieber ab. Die Großmächte waren 1848 z. T. nicht in der Lage und z.T. nicht willens, wie 1791/92 durch Einmischung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs einen Krieg zu provozieren. Die Ergebnisse der Revolution in Frankreich einschließlich der napoleonischen Präsidentschaft wurden von London sofort anerkannt, während sich der Zar nur widerwillig mit der vom Volk geschaffenen Republik abfand, nachdem Preußen und Österreich wegen der Revolutionen im eigenen Land als Bündnispartner für einen möglichen Frankreichfeldzug ausfielen. Noch mehr als die Wahl des Bürgerkönigs 1830 verspottete die Wahl Napoleons zum Kaiser die konservativen Auffassungen von Legitimität. Die Großmächte trotzten dem Franzosen vor der Anerkennung seiner Kaiserwürde lediglich eine Erklärung über seine friedvollen Absichten ab. Dies illustriert, daß das Legitimitätsprinzip ganz offensichtlich dem staatlichem Eigeninteresse unterworfen war und nichts Prinzipielles, nichts Göttliches oder gar Christliches mehr an sich hatte. Napoleon hatte die Revolution in Frankreich eingedämmt und versprach, brav zu bleiben, also durfte er sich krönen lassen. Das Legitimitätsprinzip im klassischen Sinn hatte also bereits vor 1848 seinen Rang in der Staatenpolitik verloren; mit der Kaiserwahl Napoleons wurde es verspottet, doch erst 1919 endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Die italienfreundliche Position Englands und Frankreichs während der Revolution deutete an, daß nicht mehr der monarchische Rechtsanspruch, sondern die gute Regierung und der Wille des Volkes einer Regierung in Zukunft Legitimität verliehen. Auf diese

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Weise wurde nicht nur ein langer Abschied eingeleitet von Überresten des Absolutismus im Staatensystem, sondern neue Grundsätze, hervorgegangen aus der liberalen Bewegung und letzten Endes der Französischen Revolution, konnten ihre Geltung allmählich auf den Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen ausdehnen.

VI. Das Gleichgewicht der Mächte nach der gescheiterten Revolution Beschränkt man sich auf die Territorialordnung als Definitionskriterium staatlicher Macht, hatte sich das Gleichgewicht durch die Revolutionen 1848 nicht verändert. Auch die Wiederherstellung des Deutschen Bundes als defensives Kräftefeld in Mitteleuropa trug, oberflächlich betrachtet, bei zur Bekräftigung der vorrevolutionären Gleichgewichtskonstellation. Das Verhältnis von Revolution und Gleichgewicht besitzt jedoch eine weitaus größere Komplexität. Wie bereits festgestellt, kam es nach 1848 zu einer allgemeinen Dynamisierung der Außenpolitik, die das Gleichgewicht wesentlich instabiler werden ließ. Insbesondere die Instrumentalisierung der nationalen Frage für dynastisch-territorialstaatliche Expansionsziele nach 1848 bedrohte das Gleichgewicht. Nach preußischer Auffassung konnte die Wiener Ordnung eine Veränderung des Gleichgewichts zu seinen Gunsten und zuungunsten Österreichs gut gebrauchen. Das nationale Prinzip ließ sich dafür einspannen. Ähnlich läßt sich die italienische Frage aus Piemonter Sicht darstellen. Frankreich suchte seinerseits, Vorteile aus der Förderung der nationalen Frage zu erlangen. Entscheidend für die hier verfolgte Fragestellung ist aber, daß die Ursachen für die skizzierte Dynamisierung bereits in der Verschiebung des Gleichgewichts durch die Revolution lagen. Das wichtigste Ergebnis von 1848/49 war die Stärkung der europäischen Flügelmächte. Das Zerbrechen der Quadrupelallianz und faktisch auch der Heiligen Allianz der Ostmächte, die Zentralisierung der Macht im napoleonischen Frankreich seit 1851, der Prestigegewinn Rußlands durch das militärische Eingreifen in Ungarn und seine Schiedsrichterposition in der deutschen Frage (Olmütz) führten ebenso wie die dominierende Vermittlerposition Englands im Schleswig-Holstein-Konflikt zur nachhaltigen Verstärkung der Dominanz der Flügelmächte in Europa. Parallel mußten die Mittelmächte Österreich und Preußen Prestigeverluste hin- und ihren engen Handlungsspielraum zur Kenntnis nehmen

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und lagen, derart geschwächt, obendrein noch miteinander im Streit über die Vorherrschaft in Deutschland. Infolgedessen war der konservative Osten insgesamt geschwächt, denn die preußische Unionspolitik, die Österreichische Hegemonialpolitik, den Deutschen Bund betreffend, und die russische Mäßigung beider deutscher Großmächte im Hegemoniekampf unterminierten den inneren Zusammenhalt. Darüber hinaus war Österreich ganz besonders angeschlagen. Äußerlich völlig wiederhergestellt, konnte die italienische Frage, in der es England und Frankreich gegen sich wußte, bald erneut hervorbrechen, ähnlich die ungarische und die slawische Frage. Außerdem konnte Österreich sich der preußischen Unterstützung in außenpolitischen Angelegenheiten nicht mehr sicher sein, denn wenn Preußen das Ziel seiner Machtausweitung in Deutschland gegen Österreich verfolgte, konnte ihm eine Schwächung Österreichs nur recht sein. Die fehlende preußische Unterstützung - Folge der von Österreich verweigerten Machtteilung in Deutschland - sollte sich im Krimkrieg und noch im Krieg Piemonts und Frankreichs gegen die Habsburgermonarchie auswirken. Das mitteleuropäische Kräftefeld verlor also in Folge der Revolution durch die Auflösung der Quadrupelallianz und die innere Uneinigkeit gegenüber den Flügelmächten zunächst relativ an Gewicht, vor allem Frankreich und England gingen gestärkt aus der Revolution hervor. Rußland wog sich durch die formelle Wiederherstellung der Heiligen Allianz nach der Niederschlagung der Revolution in Sicherheit, war aber tatsächlich nach 1849 isoliert, da die Briten seine Machtstellung gegenüber den Mittelmächten beargwöhnten. 30 Weil es als einzige Kontinentalmacht durch die Revolution unbehelligt geblieben war, 1849 Wien bei der Niederschlagung des ungarischen Aufstands geholfen und Preußen 1850 zur Aufgabe seiner Unionspolitik gezwungen hatte, fühlte es sich in seiner quasi- Hegemonialstellung im Osten gestärkt und in der Lage, nun seine Ziele im Südosten Europas gegen das Osmanische Reich notfalls durch Krieg durchzusetzen. Der Angriff auf das Gleichgewicht im Osten ging England jedoch zu weit, der latente englisch- russische Antagonismus brach hervor und entlud sich im Krimkrieg, dem ersten massiven militärischen Großmachtkonflikt seit 1815, der eine halbe Million Menschenleben kostete.

VII. Fazit Ist das Staatensystem durch die Revolution in den Abgrund gerissen worden? Nun, die Revolution brachte mit dem nationalen Prinzip den 30 Hahn,

"Internationale Beziehungen", u.a. S. 406.

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Sprengkörper zum Vorschein, der von 1859 an - Gründung Rumäniens und Italiens - bis 1919/20 zu einer Kette von Veränderungen in der europäischen Staatenlandschaft führen sollte, doch es war nicht das erste mal, daß der Sprengkörper seit den Wiener Verträgen die Bühne betrat, noch war es die Revolution allein, die den Zerfall des Staatensystems direkt herbeiführte. Es gelang den revolutionären Bewegungen nicht, den erwünschten Wandel des Staatensystems im Sinne des nationalen Prinzips herbeizuführen, aber es gelang doch, die antirevolutionären Spitzen aus dem Staatensystem zu entfernen - die Quadrupelallianz und die Heilige Allianz - und seine Funktionsfähigkeit zu untergraben. Insgesamt betrachtet, war die Revolution seit 1815 der bedeutendste Schritt auf dem Weg zur Auflösung des Europäischen Konzerts als Stabilitätsanker Europas. England versuchte nunmehr, den fälligen Wandel im autokratischen Mitteleuropa auf friedliche Weise zu fördern, opferte dafür das Allianzsystem und suchte seine eigene Rolle als Vermittler und Neugestalter - anstelle des Konzerts - durchzusetzen. Hauptziel der Londoner Politik blieb dabei freilich, den europäischen Frieden zu erhalten und unvermeidbare Kriege, die auf Wandel ,zielten, zu lokalisieren.31 Aus dieser Perspektive erst wird die britische Zuschauerrolle bei den italienischen und deutschen Einigungskriegen in den folgenden zwei Jahrzehnten verständlich. Frankreich forderte Wandel durch einen Konsens der Großmächte, der sich jedoch nicht erzielen ließ aufgrund der gegen die konservativen Großmächte gerichteten französischen Ziele. Im Wesentlichen aber zersetzten erst die Kräfte der Reaktion das von ihren Vorfahren erbaute Wiener System. Die Revolution brachte neue Ideen und eine neue Dynamik hervor, stellte die Staatenordnung übermütig in Frage und weckte schlummernde Begehrlichkeiten bei vielen kontinentaleuropäischen Kabinetten - Preußen, Österreich, Frankreich, Rußland, Piemont, ja selbst Dänemark-, die den Grundstein legten für spätere Kriege zwischen Großmächten bzw. Groß- und Mittelmächten und damit den grundlegenden Wandel der Wiener Ordnung bis 1870/71 herbeiführten.

Die eingangs konstatierte Vielschichtigkeit des Bezugs zwischen 1848 und dem europäischen Staatensystem wird also bestätigt. Sie tritt plastisch hervor einerseits 1. in der oberflächlichen Wiederherstellung des territorialen Status quo dank der Schiedsrichter und Gleichgewichtswahrer Britannien und Rußland, die die Pentarchie in der Krise quasi ersetzten, und andererseits 3l Bridge/Bullen,

S. 70.

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2. in der während der Krise nicht mehr vorhandenen und anschließend nur

noch sehr eingeschränkten Funktionsfähigkeit des Konferenzsystems, im unwiederbringlich zerbrochenen Allianzsystem, in den wachsenden Antagonismen zwischen den Großmächten, der seit 1848/49 zunehmenden Hinwendung zum egoistischen Eigeninteresse zu Lasten der Mäßigung und der monarchischen Solidarität in der Außenpolitik, der Hinwendung zum Nationalen als Instrument dynastischer Machtexpansion im Falle Preußens, Dänemarks und Piemont-Sardiniens, der völligen Substanzentleerung des Legitimitätsprinzips und der in Gang gebrachten Veränderung des Gleichgewichts.

Nicht erst nach dem Krimkrieg, sondern bereits nach der Revolution 1848 war die "Ära geruhsamer weltanschaulicher Solidarität unter Zurückstellung der staatlichen Sonderegoismen ... unwiederbringlich dahin", und: "Nicht früher fand die neue turbulente Ära ihr Ende, als bis zwei neue Großstaaten (Piemont und Preußen, MS) sich über kleinstaatliches Geröll ausgebreitet hatten, als genialste Lösung des 1848 gestellten Problemes: die populären Stürme zur großen Fahrt des Staatsschiffes auszunutzen". 32 Das paradoxe außenpolitische Ergebnis der gescheiterten Revolution war, daß der territoriale Status quo allenthalben wieder hergestellt, die strukturellen Fundamente des Staatensystems jedoch zerbrochen waren.

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9 Timmermann

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II. Verlauf

1848 ou l'inconvenance de la violence politique Par Ma.lte Bouyssy Toute commemoration se fait peu ou prou celebration a fortiori quand le phenomEme est d'ampleur nationale, et, peut-on ajouter sans malice, quand il y a cohabitation institutionneUe de familles politiques de differentes traditions. Aussi nul ne peut s'etonner de Ia coloration consensuelle qui a marque colloques et manifestations lies au souvenir de Ia Revolution de 1848 en France. Triplement poses sous le signe 1. du retour de Ia Republique, notre metafiction nationale,

2. de l'instauration definitive du suffrage "universel" - quand bien meme on insiste ostensiblement sur les guillemets que l'on accompagne, a l'oral, d'une lourde mimique et d'un ecart de ton propre a souligner son caractere exclusivement masculin et 3. de l'abolition effective de l'esclavage car le decret du 16 Pluviöse an II (4 Fevrier 1794) avait ete aboli par Ia loi du 20 Floreal an X (10 Mai 1802) 1 • Ces lieux de celebration excluent Ia reflexion sur Ia violence en Republique, celle de Ia Republique qui entend se defendre a l'interieur, face au peuple de Juin 1848, face a une erneute que nul ne comprit, sauf a l'imputer a Ia misere. La dynamique politique fondee sur l'espace de reserve que constitue Ia barricade, forme magnifiee de secession2 fUt niee, en son temps car necessairement marginale, eile emane de ceux qui n'ont pas Ia legitimite de Ia parole. De surcroit, eile questionne sans donner lieu a une reponse induite. Elle est temps suspendu, ce que 1 II faut souligner l'emoi que crea Lionel Jospin, Premier Ministre P.S., lorsque dans le feu d'un debat il affirma que l'abolition de l'esclavage en 1848 n'avait pas ete consensuel: les protestations vehementes de Ia Droite l'obligerent a une rectification. Prise dans les polemiques nationales, l'histoire reste petrie de points chauds. C'est J'une de nos caracteristiques perennes. 2 Voir a ce propos Je colloque La Barricade SOUS Ia direction d' AJain Corbin et de JeanMarie Mayeur, Universite de Paris I Pantheon-Sorbonne, Publication de Ja Sorbonne,

1997.

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ne comprenait pas Walter Benjamin lorsqu'il s'interrogeait sur le sens du bris des horloges en 18303 , elle n'anticipe rien. Elle est temps pur, "inchoativite" dirait-on, attente de ce qui peut s'inventer, s'imaginer, se creer, en ce sens utopie sans projet C'est donc sur cet aspect generalement absent de la reflexion commune que j'entends revenir, d'autant que j'ai eu l'opportunite d'inventer un texte que le parti de l'ordre s'est ernpresse d'escamoter en 1849, La guerre des rues et des maisans Oll le Marechal Bugeaud exprimait fort explicitement ce qui n'etait, au fond, que Ia position offleieile du temps4 • Quelques retours a l'histoire des faits et a l'historiographie presente et passee s'imposent neanmoins pour situer l'inconvenance qui s'attache tout particum~rement en France et en Republique a l'enonciation de Ia violence reactionnaire. I. La "bonne aubaine 5 "

En 1848, le grand historien Ernest Labrousse lanl}A l'aphorisme selon lequel cette revolution s'etait faite sans les revolutionnaires. On sait les faits. L'emeute eclata SOUS }e COUp de l'emotion politique que suscita une fusillade imprevue boulevard des Capucines, devant le Ministere des Affaires Etrangeres Oll residait Guizot devenu le tres impopulaire symbole de l'immobilisme gouvernemental car il s'opposait a tout elargissement du suffrage censitaire. Aux cris de "Vengeance, on egorge nos freres!", on promena de nuit a la lumiere des torches les corps des victimes, seize cadavres entasses sur un chariot6 • Paris se couvrit de barricades, la garde nationale composee de civils capables de se payer uniforme et armement n'obeit pas, eile pactisa avec l'insurrection et le comite organisateur des banquets reformistes qui, en l'absence de possibilite de reunions publiques, reclamait sous cette forme de rassemblements autorises l'elargissement du suffrage censitaire. En moins de quarante-huit heures, taute alternative politique, taute promesse d'un gouvernement d'ouverture partielle, Mole, Thiers puis Odilon Barrot ·de l'opposition dynastique ne connut que l'echec, n'apaisant rien, d'autant que parallelement, un symbole de la repression a outrance, le marechal Bugeaud, etait appele au maintien de 3 Voir Paris, capitale du XIXeme siede, Le Iivre des passages, Paris, 1993, chap. Haussmannisation, combat des barricades. 4 Voir Marechal Bugeaud, La guerre des rues et des maisons, manuscrit im!dit pn!sente par Mai'te Bouyssy, Paris, Jean-Paul Rocher editeur, 1997, presentation p.1-101, texte p. 105-155. Toute reference au texte correspondra bien evidemment a cette edition.Dans Je cadre du present article,nous ne donnons pas !es references de ce qui y a ete traite in extenso. 5 Formule des republicains de l'epoque que rapporte retrospectivement Maxime du Campdansses Souvenirs de l'annee 1848, Hachette, 1876. Son ton est evidemment tres contempteur. "Divine surprise" penserent plutöt !es n)publicains de coeur. 6 Maxime du Camp, op. cit., p. 69.

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l'ordre7 . A l'Hötel de Ville, un gouvernement provisoire se constitua. 11 promit la Republique, sans la proclamer, reservant cet acte solenne} a la pleine Iegitimite de l'Assemblee constituante qui serait elue. Lamartine qui venait de publier son Histoire des Girondins fut la figure charismatique de l'heure. 11 rallia les enthousiasmes, meme moderes, lorsque la vertu de son eloquence lui permit de resister a. la rue et aux petitions blanquistes qui voulaient faire adopter le drapeau rouge par la Republique. Les mesures politiques furent, somme taute, plus facilement negociees, soit debattues et concedees, que les mesures sociales, teile la proclamation du droit au travail le 25 fevrier avec ce que nous appelons aujourd'hui des mesures d'accompagnement: promesse d 'ateliers nationaux conl}us comme forme collective de travail et non ateliers de charite, mais aussi aides financieres aux associations ouvrieres de production ; le 28 a defaut d'instaurer un ministere du Travail que reclament les manifestants, on etablit au Luxembourg ou siegeaient precedemment les Pairs de France, une commission dirigee par le socialiste Louis Blanc. Le 2 mars enfin est interdit le marchandage qui fait pression a la baisse sur le travail salarie via les intermediaires des entrepreneurs. Enfin on Iimite a dix heures a Paris et a douze heures en province la journee de travail. Le 26 fevrier, l'abolition de la peine de mort en matiere politique et la creation d'une garde nationale mobile afin, entre autres, de licencier les "cipaux", la police municipale honnie et parce que l'on se defie d'une garde nationale qui passait pour orleaniste ou taut du moins moderee. Avec l'abolition de l'esclavage le 4 mars et l'organisation du suffrage universelles 2 et 5 mars, l'ensemble de ces mesures majeures fut etabli en moins de dix jours, a la stupefaction du pays, plus encore des campagnes clont Phistoriagraphie n'a pas fini de noter les reactions contrastees8 • Pour Maurice Agulhon, le röle educateur de la bourgeoisie de gauehe qui subvertit par le suffrage universei Ia resistance des moderes reste la donne fondamentale. La question du suffrage et de l'accueil fait a la Republique a domine les colloques du cent cinquantenaire9 . Les jeunes historiens ont plutöt 7 Voir Maurice Agulhon, Nouvelle histoire de Ia France contemporaine, t. 8, 1848 ou l'apprentissage de Ia Republique, Paris, Points, 1973 et Maurice Agulhon, Les Quarantehuitards, Paris, Archives-Gallimard-Julliard, 1975. 8 Voir Maurice Agulhon, L'histoire vagabonde, Paris, Nrf-Gallimard, bibliotheque des histoires, 1996, t. 3, "1848, Je suffrage universei et Ia politisation dea campagnes franl}aises", p . 61 et suiv. (publie en italien en 1982 a. Milan, dans Ia revue d'histoire de l'Universite de Ia Sapienza). 9 Voir Ia recension des colloquea presente dans Ia Revue d'histoire du XIXe siede, n° 16, 1998-1, 1848, un modele politique a l'epreuve, tant a !'Assemblee nationale, "Cent

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publiedans les numeros thematiques de la Revue d'histoire du XIXe siede (heritiere du Bulletin de la Societe d'histoire de la Revolution de 1848, entre temps devenu, de 1984 a 1994, 1848, Revolutions et mutations au XIXe siede) 10 . L'histoire sociale n'est plus la discipline phare qu'elle fut. La "departementalisation" de l'histoire de France a vecu 11 tout autant que l'economisme d'ou l'on deduisait implicitement, par temps de crise, le destindes revolutions. La crise frumentaire de 1847 a sans doute induit la derniere crise d'Ancien Regime ou la cherte grippe l'economie, les couches populaires ne pouvant plus satisfaire qu'a l'essentiel de leurs besoins alimentaires et se voyant de surcroit touchees par le chornage lie au marasme de la fabrique subsequent. Cette crise a ete revisee a la baisse dans son ampleur, car situee dans une phase d'expansion globale, eile aurait ete autant ajustement a la modernite que dramatique coup d'arret. Le goüt du retour aux preoccupations politiques a meme donne lieu a un surprenant retour a la doxa republicaine chez l'americaine Jeanne Gilmore qui se fonde sur les informations du Grand dictionnaire du XIXe siede de Pierre Larousse. Elle le considere comme une source de "caches", dispersees au fil des entrees de cet ouvrage.L'auteur et son equipe,tous fort lies aux reseaux republicains, lui permettent de presenter les contours d'une Opposition souterraine tres constituee, a la maniere de Ce que vecut le bloc de l'Est des annees 1970 et 1980, mais ce flot de temoignages peu Oll prou verifies frise la desinformation quand surinterpretations et supputations suturent un agencement du texte de type romanesque 12 . Nonobstant, et c'est Francis Demier qui condut ainsi son artide sur l'evolution de l'historiographie en cinquante ans, la dimension dramatique de l'histoire de 1848 et son epicentre reste bien l'interrogation sur

cinquantenaire de Ia Revolution de 1848" qu'a Lyon, "Le Suffrage universei a 150 ans", Aix-en-Provence, "Revolution et pouvoir: quoi de neuf en 1848 ?", Nanterre, "Cent cinquante ans d'elections au suffrage universel" ou Grenoble, "Les Droits de l'homme et Je suffrage universel" et Dijon "La Constitution du 4 Novembre 1848: Je projet d'une republique democratique". lORevue d'histoire du XIXe siede, n° 14, 1997-1, " Cinquante ans de recherches sur 1848", n° 15, 1997-2, "1848, nouveaux regards" et n° 16, 1998-1, "1848, un modele politique a l'epreuve", au total quelques 640 pages et une grandevariete d'etudes peutetre moins centrees sur Ia proliferation des objets, ce foisonnement qui a fait Ja richesse de l'historiographie fran(j.aise depuis vingt ans, que sur des efforts de clarification sur themes connus. 11 et l'on se souvient de l'ironie critique de Jacques Rougerie en 1966, Annales, economie, societes, civilisations, 1966, t. 21, n° 1, "Faut-il departementaliser l'histoire de France ?", p. 178-193. 12 Jeanne Gilmore. La Republique clandestine, 1818-1848, Paris, Aubier, Histoires, 1997. Jean-Baptiste Duroselle, Je grand specialiste des relations internationales s'etait entiche de cette hypothese et a traduit et fait publier l'ouvrage.

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l'enchainement de Fevrier a Juin 13 . La responsabilite sans Ia culpabilite fit töt probleme. La maxime s'en dit ago quod agis,voire ago quod ago.Or,on ne peut qu'opposer les morts hero1ses de Fevrier solennellement enterres a Ia Madeleine14 a ceux qu'evacuerent nuitamment les tapissieres et les Omnibus requisitionnes pour faire disparaitre taute trace15 de Ce qui fut trois jours de guerre civile, une Saint-Barthelemy des proletaires dit Henri Guillemin, le dernier historien romantique. Aujourd'hui, le recours phatique a la morale envahit le champ politique16 mais nul ne veut, taut comme a l'epoque,regarder ces faits autrement que comme un accident, eu egard au röle pacificateur du proces de civilisation entendu a la maniere de Norbert Elias, quand bien meme Wolfgang Sofsky nous avertit 17 qu'il ne s'agit la que d'un masque utile a qui veut croire au progres,y compris moral de l'humanite. li. Silence, on tue

On sait les faits. Jamais plus qu'en Juin 48, Ia violence n'a fait partie des mauvais genies de retour dans Ia cite18 . "La plus fraternelle des Republiques", celle qui revait de "suspendre le malentendu terrible entre les differentes classes" comme le revait Lamartine ecrasa le "Paris libre" 19 de 1848. Au cri de "il faut en finir!" !'Assemblee constituante issue du premier veritable suffrage universei confera au generat Cavaignac, republicain de toujours, le soin d'ecraser l'emeute. Elle lui confera les pleins pouvoirs de l'Etat de siege. Il agit en polytechnicien et en homme du genie, c'est-a-dire avec l'artillerie. Voulant d'abord preserver le Palais-Bourbon et l'Hötel de Ville, les lieux symboliques de la legitimite politique, il usa d'un plan de concentration mene d'ouest en est qui fit que le noble faubourg, le faubourg Saint-Antoine des societes populaires, 13 Revue d'histoire du XIXe siede, n° 14, 1997, 1, "Comment naissent !es Revolutions" . . . Cinquante ans apres", p. 49. 14 Voir de l'exposition Les Revolutions de 1848. L'Europe des images, Assemblee nationale, Galerie des Fetes de !'Hotel de Lassay, commissaire Maurice Agulhon, n° 19, Iithographie du musee Carnavalet intitulee "Funerailles des victimes des journees de Fevrier" reproduite p. 92 du catalogue. 15 in colloque La Barricade, op. cit. voir l'intervention de Frederic Chauvaud, "L'elision des traces. L'effacement des marques de Ia barricade a Paris {1830-1871)". 16 jusque dans l'intervention du 14 Juillet du chef de !'Etat, une interview televisee toujours tres ecoutee des Fran~s . 17 Wolfgang Sofsky, Traite de Ia violence, Gallimard, 1998, en allemand Traktat Yber die Gewalt, Frankfurt-am-Main, 1996. 18 cf Guglielmo Ferrero, Pouvoir, Les genies invisibles de Ia cite, Paris, L.G.F., 1988. G. Ferrero met Ia violence parmi !es genies invisibles de Ia cite au meme titre que !es instances de Iegitimation de Ia legalite. 19 L'expression est reprise de Jacques Rougerie qui definit ainsi Ia Commune in Jacques Rougerie, Paris libre, 1871, Paris, Seuil, 1971.

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ne se rendit que le dernier, le lundi 26 a 11 heures, non qu'il ait davantage combattu, mais parce qu'il fut le dernier attaque. A chaud, ce fils de Conventionnel, frere de Godefroy mort de la tuberculose en diva du parti republicain trois ans plus töt, lächa: "Cette fois, ils ne nous echapperont pas ... Quant a moi, je suis charge d'ecraser l'ennemi et j'agirai contre lui par masse, comme a la guerre. S'ille faut, je l'attaquerai en rase campagne et j'acheverai de le battre". De chaque cöte, l'on perdit presque un millier d'hommes, maisplus de generaux qu'en aucune bataille napoleonienne de rase campagne car il s'agit de combats rapproches et le pire, au dire de tous les temoignages, ce fut d'entendre de nuit, dans le silence de l'apresbataille, les salves des executions sommaires: "Pour de tels moments, on hait, dix annees durant, toute la vie. On ne pense qu'a la vengeance. Malheur a qui pardonne de telles minutes !" ecrivit le revolutionnaire russe Herzen 20 . De plus, les arrestations furent massives: plus de 10 000 personnes furent arretees ou inquietees. Des tribunaux speciaux ordonnaient Ia "transportation", une deportation qui ne voulait pas dire son nom21 . L'embarras des politiques fut grand. La solidarite (de classe ou de position) totale. La langue commune de l'humanite fut perturbee en litterature comme au quotidien. La haine injurieuse devint la seule possible, le relais oblige du lache soulagement de la panique22 • "Des passions, des passions, toujours des passions" murmura a chaud le socialiste Pierre Leroux. "Malheur a Juin" s'ecria Marx avant de s'engager dans une theorie des appartenances sociales, proletariat COntre SOUS-proletariat aliene propre a redonner sens au reel, mais Phistoriagraphie anglo-saxonne mit a mal cette distinction fallacieuse 23 . Sartre vit dans ce massacre le peche originel de la bourgeoisie et Dolf Oehler a montre comment chez les grands auteurs, Baudetaire ou Flaubert, il n'y eut plus que marques ecrans de ce qui est a lire, ironie satanique et derisoires notations telles que le fameux "ce que c'est que d'etre sensible !" du Pere Roque dans L'Education sentimentale en delicatesse avec sa conscience pour un geste meurtrier gratuit 24 . Taute notre contemporaneite discursive, litteraire et politique en fut marquee. 20Voir Dolf Oehler, Le spieen contre l'oubli, Juin 1848, Paris, Payot, 1996 /Ein Höllensturz der alten Welt, Frankfurt-am-Main, 1988. 21 En fait, moins de 500 furent effectuees mais Ia terreur regna cf. Jean-Yves Mollier, Belle-Ile-en-Mer, prison politique (1848-1858)" in Maintien de !'ordre et polices en France et en Europe au XIXe siede, Paris, Creapris, 1987, p. 185-211. 22 Voir Emmanuel Fureix, "Mots de guerre civile. Juin 1848 a l'epreuve de Ia representation" in Revue du XIXe siede, n° 15, 1997-2, p. 21-30. 23 Voir Charles Tilly et Lynn H. Lees "The people of June 1848" in Roger Price, Revolution and Reaction, 1848 and the Second French Republic, Londres et New-York, Bames and Noble Books, 1975 puis Mark Traugott, Armies of the Poor, New Jersey, Princeton University Press, 1985. 24 Cf Dolf Oehler, op. cit.

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Dire l'inadmissible du haut de la tribune de l'assemblee etait plus perilleux encore. On accabla les emeutiers. Pas une seule voix de "courageuse compassion pour dire un mot en faveur de huit mille victimes et pour rejeter une partie de leurs fautes sur l'Assemblee elle-meme" 25 deplora par dessus tout A. Herzen. Juges et partie, les representants de la nation se livrerent a d'acrobatiques esquives. Des le 3 aout, le premier Conseil de guerre incrimina tout a la fois Louis Blanc et Caussidiere, le socialisme et le communisme, des principes et des hommes symboles, le premier auquel on reprochait les ateliers nationaux, le second pour ses fonctions a la prefecture de police non moins que pour son röle actif dans la campagne des banquets qu'avait animee son journal la Reforme. Ce personnage plebeien par trop voyant se vit clone inculpe de complicite dans une erneute resolument sans chefs plausibles. La "revolution surprise" de Fevrier est desormais conl)ue elle-meme comme origine premiere des malheurs ulterieurs. La situation se durcit quand il fallut s'expliquer sur le premier "attentat" porte a Ia souverainete nationale lorsque, le 15 mai 1848, l' Assemblee fut envahie de fai)On imprevue au terme d'une manifestation de soutien au peuple polonais. Par 504 voix contre 252, les deputes chargerent Louis Blanc, Ia ou ils l'avaient blanchi le 3 juin pour les memes faits, par 369 voix contre 337. Caussidiere dut ensuite encaisser la responsabilite de l'insurrection de Juin par le score de 477 a 278. Ainsi liquidait-on le souci d'aller plus avant. A la nettete des accusations foudroyantes prononcees tour a tour par tous les responsables et ministres en charge au moment des faits succeda le temps d'une enquete parlementaire infaisable parce qu'indesirable. Entre declarations tronquees, documents lacunaires ou subtilises, imputations peremptoires et absencetotale de preuves, l'affaire s'enlisa sauf a accabler son president, Quentin-Bauchart, assez naif pour avoir cru pouvoir obtenir des clarifications et suffisamment modere pour se faire decerner un brevet d'"homme de c ur" par la Revue des Deux Mondes. Misen cause pour son inaction flagrante au soir du 23 Juin, Cavaignac alors ministre de la guerre avant d'obtenir les pieins pouvoirs de l'Etat de siege, n'entendit pas assumer en nom propre le naufrage commun. Garnier-Pages qui avait en 1834 deja instruit l'enquete sur la rue Transnonain26 fut seul a oser attaquer. Dans Choses vues, Victor Hugo precise: 25 Alexandre Herzen, Lettres de France et d'ltalie, Geneve, Slatkine, 1979, p. 211, lettre datee du 1er septembre 1848. 26 La Iithographie de Daumier intitulee Le 15 avril 1834, rue Transnonain rend campte de cette atroce "bavure". Au 12 de cette rue, des insurges avaient tire sur Ia troupe. A titre de represailles, taute Ia population de l'immeuble fut massacree, certains corps portant Ia trace de dix coups de ba.i'onnettes. Jean Lacouture integre cette Iithographie

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"11 somma Arago d'intervenir, Ledru-Rollin de parler, Lamartine de s'expliquer. Taus trois garderent le silence manquant a la fois au devoir et a la destinee" 27 , mais le meme Hugo avait deux mois plus töt invite Lamartine au meme silence: "Gardez le silence, vous etes peu en cause. Taut cela s'agite en bas, vous etes en haut" 28 Dire ou ne pas dire "Au seuil tenebreux de cet hiver plein de desastres entrevus" 29 , pour reprendre la formule de Victor Hugo, l'escamotage d'un manuscrit que son auteur se promettait de diffuser largement a toutes les autorites civiles et militaires permet de mieux cerner les enjeux a l' uvre, la crainte de l'emotion populaire, taut autant que de voir qui, des acteurs responsables, intervint. Cette position de vigilance critique au sein d'un parti de !'ordre condamne a l'union mais pas a la publicite de ses positions s'est construite malgre les reticences de l'acteur, Bugeaud, que sa position de seul marechal de France fait duc et pair en tant que conquerant de l'Algerie ne permettait pas de traiter comme une obscur boheme. On le sollicitait d'ordinaire ou on le laissait user de son franc parler, une eloquence rugueuse et coloree30 • Des le 1er juin, il publie dans la Revue des Deux Mondes un texte presque aussi virulent, Des travailleurs de nos grandes villes que celui qui parut le 15 juillet. Ce dernier intitule les socialistes et le travail en commun se voulait plus ideologique. Plagiaire par anticipation, il aborde tous les themes du parti de l'ordre en voie de constitution: "Le communisme pourra bien faire verser des torrents de sang, mais il ne s'etablira jamais. Des les premieres tentatives d'application, le proletaire lui-meme y renoncerait et peut-etre, dans sa colere, punirait-il sincerement les hommes qui auraient preche cette infernale doctrine". Apres avoir somatise cinq mois, d'affreuses migraines qu'il confesse dans sa correspondance, Bugeaud commence a preconiser "des conseils pratiques" en matiere de maintien de !'ordre. n s'interroge, sur les a son Histoire de France en cent tableaux, Paris, Hazan, 1996 et tous Jes ecoliers l'ont un jour ou l'autre commentee au titre de l'horreur qu'implique Ia guerre civile. Bugeaud pretendit toujours que ni lui ni ses troupes n'oeuvrerent Ia mais Garnier-Pages conclut a sa responsabilite en raison de !'ordre du jour muscle qu'il avait intime aux troupes. 27 Victor Hugo, Histoire. Choses vues, Robert Laffont, 5Paris, 1987, p. 1117, seance du 25 Novembre 1848. 28 Id. p. 1073, seance de nuit du 25 Aofit. 29 Id. p. 1106. 3°Cette eloquence fut dite du "picotin d'avoine" en vertu d'un de ses discours ou il avait amalgame !es rations des hommes et des chevaux, mais il contr'attaqua Je Jendemain, mettant !es rieurs de son cöte, quand en bretteur il n'allait pas jusqu'au duel qui fut mortel a un insolent mais doux jeune homme, Dulong,fils nature! du tres vieux et tres respecte republicain Dupont de !'Eure.

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methodes employees au nom de l'humanite qui economise les forces de la repression, "l'intelligence qui atteint le meme but sans faire des sacrifices aussi considerables que ceux qui ont ete faits dans les journees de Juin" et la formation prealable des troupes aussi bien la ligne que la garde nationale (il ne songe pas aux mobiles, troupes qu'il n'a jamais vues ni commandees et reste, depuis son Perigord, etranger au succes de mode que leur firent les Parisiens apres Juin): "Cette instruction preparatoire a donner aux officiers et meme aux soldats de taute la force publique seront une chose bien essentielle". C'est apres avoir ete battu aux elections complementaires de septerobre 48 a Paris, alors que le banquier Fould et meme Ra.spail, enferme a Vincennes, avaient su conquerir les suffrages des Parisiens, et apres s'etre efface, au nom de l'union, devant la candidature de Louis-Napoleon Bonaparte, le 12 novembre, qu'il redige ce texte. 11 a beneficie d'un bref "moment Bugeaud". Son nom a ete avance par le tres catholique et tres conservateur Louis Veuillot,un ami politique. Des republicains de la veille mais moderes lui ont fait savoir, a mesure que Ia papularite voire la credibilite de Cavaignac s'effondraient, qu'ils le consideraient comme une "reserve precieuse", la ou confesse-t-il dans sa correspondance, on ne l'eut regarde deux mois plus töt que bon "a etre lache contre les Autrichiens et les Russes". Apres avoir pense a ecrire sa vie en que}ques pages pour des brochures a quatre OU cinq SOUS qui COnstituent les nouvelles bases de la pratique de la propagande politique liee au suffrage universel, Bugeaud revient a son projet de traite de la guerre des villes. Conformement a son attitude, "un etat permanent de professorat militaire" disait le general Trochu qui avait ete son ordonnance31 . Patelinant, il en parle comme de simples conseils pratiques, "dans le genre des Conseils pratiques contre le cholera" aurait-il dit a Victor Hugo32 qui se livra peut-etre par la a une pointe retrospective puisque, cinq mois plus tard, c'est bien le cholera qui emporta Bugeaud, a trois jours de !'erneute parisienne que Changarnier ecrasa brutalement le 13 juin 1849. Bugeaud, des la fin decembre 1848, re~it le commandement de l'armee des Alpes. 11 s'y etait illustre en 1815, mais faute triplement majeure pour la suite de sa carriere,1° en tant que rallie aux Cent-Jours, 2° face aux Autrichiens, 3° dix jours apres Waterloo qu'il venait d'apprendre. 11 prevint ses troupes tout en les engageant patriotiquement, au nom de la nation. Les Alpes constituent alors la base d'improbables expeditions italiennes: Oudinot n'en prit pas le chemin. Elles permettent en revanche 31 Des 1815, Bugeaud avait voulu consigner ses principes et il avait publie Essai sur quelques manoeuvres d'infanterie. 32 Victor Hugo, Choses vues, op. cit. p. 1179.

a Lyon un

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de contröler Bourges Oll s'instruit le prod~s de Blanqui et du 15 Mai, et plus encore, de surveiller Paris autant que Lyon, ville tumultueuse et democ-soc. Au terme d'une pareille carriere, on ne peut plus guere convoiter que le ministere de la guerre d'oll l'on coiffe l'etat-major, toujours arrogant a l'egard du mousquetaire politique fils de ses oeuvres. Aussi entend-il faire savoir son art du "detail" qui le fait prendre trop facilement pour un "simple" officier d'infanterie et de terrain, d'autant que sa position "patriotique" lui fait user d'une methode "jacobine": Iutter contre les factions en s'appuyant sur la decentralisation de !'initiative et le moral de l'armee. 11 s'agit d'un ordre republicain con