Nominalisierte Infinitive: Eine empirisch basierte Studie zum Deutschen [Reprint 2012 ed.] 9783110919738, 9783484304871

Nominalized infinitives are generally considered to be bona fide event nouns that, unlike result nouns, inherit the argu

297 113 8MB

German Pages 145 [148] Year 2004

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
0. Einleitung
1. Ausgangshypothesen
1.1 Argumentrealisierung bei deverbalen Ereignisnomina
1.2 Obligatorik/Fakultativität
1.3 Blockaden
1.4 Fazit: Ausgangshypothesen für die vorliegende Untersuchung
2. Die Fragebogenstudie – Datenerhebung und -auswertung
2.1 Durchführung der Studie
2.2 Auswertung
2.3 Mittlere Bewertungen und Akzeptabilitätsurteile
3. Nominalisierte Infinitive im Wettbewerbsmodell
3.1 Blockaden
3.2 Argumentrealisierung
3.3 Nominalisierte Infinitive: Gewichtung der constraints
4. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick
Anhang
Literatur
Recommend Papers

Nominalisierte Infinitive: Eine empirisch basierte Studie zum Deutschen [Reprint 2012 ed.]
 9783110919738, 9783484304871

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Linguistische Arbeiten

487

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Klaus von Heusinger, Ingo Plag, Beatrice Primus und Richard Wiese

Kerstin Blume

Nominalisierte Infinitive Eine empirisch basierte Studie zum Deutschen

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2004

Für Jasmine

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-30487-1

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2004 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Einband: Digital PS Druck AG, Birkach

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen des DfG-Sonderforschungsbereichs 282 "Theorie des Lexikons" entstanden. Sie ist das Ergebnis einer Untersuchung, die ich in dem von Joachim Jacobs geleiteten Teilprojekt "Valenz im Lexikon" durchgeführt habe, dem ich für die Unterstützung der Studie danke. Auch viele andere Personen haben einen wertvollen Beitrag zur Entstehung dieser Arbeit geleistet. Ihnen allen möchte ich herzlich danken: Gisbert Fanselow, der mich durch sein Interesse und seine stetige Ermutigung ganz besonders unterstützt (und manchmal auch regelrecht angetrieben) hat. Beate Abel, der ich wertvolle Tipps zur Gestaltung der Fragebögen und Durchführung der Studie verdanke. Matthias Schlesewskys, von dessen Kommentaren, Tipps und statistischen Berechnungen das zweite Kapitel sehr profitiert hat. Stefan Engelberg und Ingrid Kaufmann danke ich für hilfreiche und interessante Kommentare zur ersten Fassung des Manuskripts. Allen Freundinnen, Freunden und Bekannten, die die Fragebögen vorab bearbeitet und mit mir diskutiert haben, möchte ich ebenfalls herzlich danken. Zu diesen gehören Birgit Beutler, Irina von Bonin, Astrid Broerse, Ariane Glasner, Lars Koßler, Marcus Michel, Fritz Schwambom, Sabine Tunnat und Manos Varthalitis. Auch den Studentinnen und Studenten, die sich an der Fragebogenaktion beteiligt haben und sehr viel Interesse an der Studie gezeigt haben, danke ich. Meinen Töchtern Kai und Saskia danke ich für ihre Hilfe bei der mühseligen Übertragung der Daten aus den Fragebögen in die Datenbank. Wuppertal, im Mai 2003 Kerstin Blume

Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1

1. Ausgangshypothesen 1.1 Argumentrealisierung bei deverbalen Ereignisnomina 1.1.1 Syntaktische Vererbungstheorien 1.1.1.1 Bhatt 1989 1.1.1.2 Lindauer 1995 1.1.1.3 ZurDP-Struktur 1.1.1.4 Fazit 1.1.2 Semantische Vererbungstheorien 1.1.2.1 Bierwisch 1989 1.1.2.2 Grimshaw 1990 1.1.2.3 Semantisches Linking: Ehrich/Rapp 2000; Ehrich 2002 1.1.3 Argumentrealisierung ohne Vererbung: eine Alternative? 1.2 Obligatorik/Fakultativität 1.3 Blockaden 1.4 Fazit: Ausgangshypothesen fur die vorliegende Untersuchung

4 4 4 4 11 15 17 18 18 21 32 40 42 44 45

2. Die Fragebogenstudie - Datenerhebung und -auswertung 2.1 Durchführung der Studie 2.1.1 Testpersonen 2.1.2 Auswahl der Testitems 2.1.3 Anordnung der Testitems 2.1.4 Gestaltung der Fragebögen 2.1.5 Durchführung 2.2 Auswertung 2.2.1 Gültige und ungültige Bewertungen 2.2.2 Vergleichbarkeit der Bewertungen von Testsätzen mit und ohne Kontext 2.3 Mittlere Bewertungen und Akzeptabilitätsurteile

47 47 48 49 51 52 56 56 56

3. Nominalisierte Infinitive im Wettbewerbsmodell 3.1 Blockaden 3.1.1 Aktionsart 3.1.2 Argumentvererbung 3.1.3 Obligatorische/fakultative Realisierung von Argumenten 3.1.4 Fazit

65 65 66 73 75 81

58 60

viii 3.2 Argumentrealisierung 3.2.1 Nie von Basisverben mit mehreren für Kasus spezifizierten Argumenten 3.2.1.1 Realisierung des ererbten Nominativ-Arguments des Basisverbs beim NI 3.2.1.2 Realisierung des ererbten Akkusativ- bzw. Dativ-Arguments des Basisverbs 3.2.2 Nie von Verben/Verbvarianten mit nur einem für Kasus spezifizierten Argument 3.2.2.1 Realisierung des ererbten Arguments von /Nom-Basisverben beim NI 3.2.2.2 Realisierung des ererbten Nominativ-Arguments von /Nom/P-Verben beim NI 3.2.2.3 Zusammenfassung 3.2.3 Die Belebtheitsrestriktion als Bedingung für die Realisierung von Argumenten 3.2.4 Fazit 3.3 Nominalisierte Infinitive: Gewichtung der constraints

83 84 86 89 91 92 97 100 102 102 103

4. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick

111

Anhang

115

Literatur

135

0. Einleitung

Nominalisierte Infinitive finden in so gut wie jeder Untersuchung zu Ereignisnominalisierungen im Deutschen Erwähnung. Dies heißt aber paradoxerweise nicht, dass man ihnen bislang besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet hätte. Meines Wissens stellt die vorliegende Untersuchung die erste ausfuhrliche Einzeluntersuchung zu diesem Thema dar. Die übliche Auffassung scheint zu sein, dass es bei diesem Phänomen nur einen einzigen interessanten Aspekt gibt, nämlich ihr hybrides Verhalten in Bezug die Wortarten Ν und V, das sich darin manifestiert, dass sie im Unterschied zu allen anderen deverbalen Nomina zusammen mit Adverbien oder Akkusativ-Argumenten realisiert werden können (das Ständig-die-Kinder-Ermahnen). Ansonsten nähert man sich ihnen üblicherweise mit der Haltung, dass das einzig bemerkenswerte an ihnen ist, dass sie sich völlig vorhersehbar verhalten. Sie sind uneingeschränkt produktiv, ihre Semantik ist mit der des Basisverbs weitgehend identisch, und sie werden immer wieder als Paradebeispiele für die Argumentvererbung vom Basisverb ans Nomen herangezogen. Das Desinteresse, das man dem Phänomen entgegenbringt, zeigt sich auch darin, dass in vielen Untersuchungen zumeist unreflektiert davon ausgegangen wird, dass es sich bei nominalisierten Infinitiven um Wortbildungsmuster handelt, die mit einem Suffix der Kategorie Ν gebildet werden (vgl. u.a. Bierwisch 1989: 32f, Fanselow 1988:109, Toman 1983: 82f). Im Unterschied zu Wortbildungssprozessen ist das Ableitungsmuster jedoch, wie bereits erwähnt, uneingeschränkt produktiv. Gegen die Annahme eines -en-Suffixes der Kategorie Ν spricht zudem, wie Höhle schon 1982 feststellt, dass nur die nominalisierten Infinitive auf -en enden, deren Basisverben in der Infinitiv-Form auch auf -en enden, so heißt es z.B. nicht das Sei-en, das Tu-en. Auch die Tatsache, dass alle nominalisierten Infinitive die Stammbetonung des Verbs übernehmen, spricht gegen das Vorliegen eines Wortbildungsprozesses. Der morphologische Ableitungsprozess, der nominalisierten Infinitiven zugrunde liegt, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.1 Ich favorisiere jedoch Haspelmaths (1995) Analyse, nach der auch Flexion Transpositionen (Wortart-Wechsel) verursachen kann. Sprachübergreifend ist es nach Haspelmath typisch für solche durch Flexion ausgelösten Transpositionen, dass sie auf unterschiedlichen syntaktischen Projektionsstufen einer Kategorie stattfinden können. Das erklärt auch das hybride Verhalten der nominalisierten Infinitive: wenn die Transposition erst nach der Realisierung eines Arguments und der Modifizierung durch ein Adverb stattfindet (Vn N°: Das die-Kinder-häufig-Loben), dann verhält sich trivialerweise die komplexe Vn-Projektion vor der Transposition verbal, während das abgeleitete Nomen nach der Transposition wie jedes andere Nomen durch Adjektive modifiziert werden kann und ein Argument in Form eines Genitiv-Attributs zu sich nehmen kann (vgl. das bereitwillige Die-Kinder-häufig-Loben junger Lehrerinnen). Vn-Nominalisierung ist unter der Annahme einer -en-Suffigierung dagegen kaum zu erklären, vgl. dazu Haspelmath (1995: 54).

1

Für eine knappe Diskussion von neueren Analysen der Ableitung von nominalisierten Infinitiven vgl. Eschenlohr 1999.

2 Aber auch Vn-Nominalisierungen werden im Folgenden keine Rolle spielen. Die Untersuchung widmet sich ausschließlich der Untersuchung von nominalisierten Infinitiven als Ereignisnomina. Dabei ist die Abgrenzung verbaler Infinitive von nominalen Infinitiven unproblematisch: als hinreichende Kriterien für das Vorliegen von V0- oder Vn-Nominalisierungen dient uns die Modifizierbarkeit durch Adjektive und das mögliche Auftreten von Genitiv-Attributen. Wie (ld) zeigt, können auch durch Adverbien modifizierte Infinitive mit Artikel oder pränominalem Possessivum auftreten, jedoch nicht mit Genitiv-Attribut. Da Substantive generell Genitiv-Attribute zulassen, kann man davon ausgehen, dass in (ld-e) kein NI sondern ein verbaler Infinitiv vorliegt. (1)

(a)

(meines Bruders) ständiges [Schicken] von Geschenken an die Kinder

(b)

das ständige [Geschenke-Schicken] (meines Bruders) an die Kinder

(c)

das ständige [Den-Kindem-Geschenke-Schicken](meines Bruders)

(d)

das/sein [ständig den Kindern Geschenke schicken] ('meines Bruders)/

(e)

(*der letzten Jahre) [Ständig den Kindern Geschenke schicken] ("meines Bruders) verdirbt ihren Charakter.

Der Schweipunkt der vorliegenden Untersuchung liegt auf den lexikalischen Voraussetzungen für die Bildung nominalisierter Infinitive von Simplex-Verben (im Gegensatz zu V"Nominalisierungen) sowie auf den Bedingungen fur die Realisierung ihrer Argumente innerhalb der DP. Der erste Punkt präsupponiert, dass es Blockaden bei der Bildung von NIen gibt, was der eingangs erwähnten Annahme zu widersprechen scheint, dass das Bildungsmuster uneingeschränkt produktiv ist. Tatsächlich ist das Bildungsmuster unbeschränkt, die Beschränkungen betreffen nur die Verwendung des nominalisierten Infinitivs als Ereignisnomen. So werden Testpersonen bei einer Befragung aussagen, dass die Konstruktion das Kosten der SO € hat mich vom Kauf des Buches abgehalten ungrammatisch ist, sie werden aber nicht sagen, dass es die Nominalisierung das Kosten nicht gibt. Die Existenz eines analogen deverbalen Nomens Kostung werden sie dagegen jedoch zweifellos bestreiten. Aus diesem Grund ist es wichtig im Folgenden im Auge zu behalten, dass es hier immer um nominalisierte Infinitive als Ereignisnomina geht und nicht etwa um die wenigen lexikalisierten Resultatsnomina, vgl. das Schreiben, das Behagen, das Vorkommen etc. oder um einander kontrastiv gegenübergestellte Eigenschaften oder habituelle Haltungen (Das Sein und das Nichts; Sie hat's nicht so mit dem Abnehmen). Bei der Bildung der nominalisierten Infinitive sowie bei der Realisierung der Ereignispartizipanten ist nahezu alles möglich, doch andererseits sind nur Infinitivnominalisierungen von durativen intransitiven Verben (das Toben der Kinder/ das Schaukeln des Bootes) und durativen transitiven Verben mit deutlicher Agens-Patiens- bzw. Agens-Thema-Asymmetrie (mit dem Patiens/ Thema als Genitiv-Attribut, vgl. das Sperren der Autobahn) wirklich völlig unauffällig. Alle anderen werden als mehr oder weniger unglücklich empfunden. Die individuellen Intuitionen bezüglich der Grammatikalität der markierteren Strukturen gehen weit auseinander. Daher war in der Anfangsphase der Untersuchung jeder Versuch, Hypothesen zu bilden, die auch den interessanteren markierten Fällen Rechnung trugen, zum Scheitern verurteilt, denn es ließen sich nie auch nur zwei Sprecherinnen finden, die bezüglich der Grammatikalität mehrerer solcher Konstruktionen dieselben Intuitionen teilten.

3 Jede theoretische Diskussion endete in derselben aussichtslosen Situation, wie sie Ross (1973: 130) so anschaulich beschreibt: For what typically happens, when syntax is being done, and a dispute arises as to the acceptability of some example? Too often, a majority of those present will scoff at, or urge to reconsider, speakers who maintain that some unpopular sentence for them is grammatical, or that some popular sentence is ungrammatical. Probably most readers will have participated in syntactic 'votes' -'How many of you get this?' But of what use are the results of such votes, where it is almost never the case that exactly the same partitioning results from votes on any two questions. Der einzige Ausweg bestand in einer umfangreichen Datenerhebung in Form von Grammatikalitätsurteilen naiver Sprecherinnen. Basierend auf einem Katalog von Ausgangshypothesen habe ich Fragebögen mit Testsätzen zu allen möglichen Konstruktionen erstellt, die nach diesen Hypothesen in Bezug auf ihre Grammatikalität miteinander kontrastieren sollten. Dabei sollten die Testsätze die folgenden von Schütze (1996: 2) aufgezählten Funktionen erfüllen: sie sollten die Untersuchung von Konstruktionen ermöglichen, die selten oder nie in spontaner Sprache oder Korpora auftreten; sie sollten es ermöglichen, negative Evidenz zu erhalten, und sie sollten die Unterscheidung zwischen korpusbelegter misslungener Konstruktionen und grammatischer Sprachproduktion gewährleisten. Dem ersten Durchgang der Datenerhebung folgten noch zwei weitere, bevor die Ausgangshypothesen verifiziert bzw. präzisiert und in ein theoretisches Modell überfuhrt werden konnten. Die Ergebnisse dieser Studie möchte ich im Folgenden vorstellen. Ich werde dabei folgendermaßen vorgehen: In Kapitel 1 werden die der Untersuchung zugrunde liegenden Ausgangshypothesen formuliert und motiviert und gegenüber Annahmen in der einschlägigen Literatur abgegrenzt. In Kapitel 2 werden die Methoden der Datenerhebung ausführlich beschrieben, und in Kapitel 3 werden die Untersuchungsergebnisse diskutiert und ein theoretisches Modell entwickelt, das sie angemessen erfasst. Alle Daten, auf denen dieses Modell basiert, sind in der Übersicht im Anhang aufgelistet.

1. Ausgangshypothesen

1.1 Argumentrealisierung bei deverbalen Ereignisnomina

Dieses Kapitel setzt sich schwerpunktmäßig mit einigen in der einschlägigen Literatur vertretenen Annahmen bezüglich der Vererbung von Argumenten von Verben an abgeleitete Nomina und ihrer syntaktische Realisierung innerhalb der DP auseinander. In Abschnitt 1.1 werden einige ausgewählte Ansätze diskutiert, die häufig vertretene Auffassungen stützen, mit denen ich mich im Folgenden auseinandersetzen möchte. Diese betreifen z.B. Annahmen über die lexikalischen bzw. strukturellen Eigenschaften der Basisverben, die die Argumentvererbung ans deverbale Nomen determinieren und über Restriktionen für die syntaktische Realisierung der vererbten Argumente. Sie werden vor allem in Hinblick auf ihre Relevanz für nominalisierte Infinitive betrachtet. Die Auswahl der vorgestellten Arbeiten in diesem und den folgenden Abschnitten dient hauptsächlich zur argumentativen Hinfuhrung auf die in Abschnitt 1.4 aufgeführten Ausgangshypothesen für die der empirischen Untersuchung zugrunde liegen. Das vorliegende Kapitel erhebt also nicht den Anspruch, einen vollständigen oder repräsentativen Literaturüberblick zu bieten. Abschnitt 1.2 beschäftigt sich mit häufig vertretenen Annahmen über die Obligatorik bzw. Fakultativität der Argumente von Nomina, wobei in verschiedenen Ansätzen zwischen genuinen und abgeleiteten Nomina sowie zwischen verschiedenen Ableitungstypen unterschieden wird. Abschnitt 1.3 listet die wenigen in der Literatur zu findenden, und zum Teil nur en passant erwähnten Annahmen über mögliche Blockaden für nominalisierte Infinitive auf. Die in den Abschnitten 1.1 bis 1.3 entwickelten und motivierten eigenen Thesen werden in Abschnitt 1.4 zusammengefasst. Diese Ausgangshypothesen waren ausschlaggebend für die Auswahl der Testsätze in der Fragebogenstudie.

1.1.1 Syntaktische Vererbungstheorien Unter dem Oberbegriff 'syntaktische Ansätze' werden solche zusammengefasst, in denen durch die morpho-syntaktische Form, die grammatischen Funktion oder durch andere syntaktische Eigenschaften des Arguments eines Basisverbs (z.B. seiner Eigenschaft ein strukturelles bzw. designiertes Argument zu sein) die syntaktische Realisierung dieses Arguments beim abgeleiteten Nomen determiniert wird. Exemplarisch für syntaktische Ansätze sollen hier die Ansätze von Bhatt (1989) und Lindauer (1995) vorgestellt und diskutiert werden.

1.1.1.1 Bhatt 1989 Bhatts Ansatz beruht auf der zentralen Annahme, dass die Argumentvererbung bzw. -reduktion sowie die Argumentrealisierung bei deverbalen Nomina durch strukturelle

5

Eigenschaften der entsprechenden Argumente bei den zugrunde liegenden Verben determiniert werden. Aus den in der Arbeit gewählten Beispielen' und aus einigen exemplarischen Lexikoneinträgen für unterschiedliche Nominalisierungstypen lässt sich ableiten, dass die Argumentrealisierung bei deverbalen Ereignisnominalisierungen in Bhatts Ansatz prinzipiell einheitlich behandelt werden soll. Auf nominalisierte Infinitive geht Bhatt nicht ein, es gibt aber keinen Grund, warum diese aus dem Geltungsbereich der von Bhatt vorgeschlagenen Argumentrealisierungsprinzipien ausgeschlossen sein sollten. Bhatt versteht ihren Beitrag als Erweiterung des von Haider (1987) entwickelten Modells, das sich in erster Linie mit der Argumentrealisierung beim Verb befasst. In Haiders Modell können Verben bis zu zwei strukturelle Argumente haben, aber nur einem Argument in ihrem Rektionsbereich strukturellen Kasus zuweisen. Der vom Verb zugewiesene strukturelle Kasus ist der Akkusativ. Ein allgemeines Realisationsprinzip bestimmt, dass ein Argument jedes funktionalen Elements2 extern, also außerhalb des Rektionsbereichs des funktionalen Elements realisiert werden muss. Bei funktionalen Elementen mit zwei strukturellen Argumenten ist das Argument, das extern realisiert werden muss, in der lexikalischen Repräsentation der Argumentstruktur besonders gekennzeichnet, vgl. die unterstrichenen Argumente in (1). Diese werden als designierte Argumente bezeichnet (1) transitive Verben {© h Θ 2 } intransitive Verben {Θι} unakkusative Verben {Θι} Von den Verben mit nur einem strukturellen Argument, verfugen nur die unergativen über ein designiertes Argument. Bei den unakkusativen Verben 3 garantiert das Realisationsprinzip, dass das einzige thematische Argument extern realisiert wird. Bhatt modifiziert Haiders Modell, indem sie auch Nomina die Fähigkeit zuschreibt, strukturellen Kasus zuzuweisen. In ihrem Modell sind Nomina funktionale Elemente, die den Genitiv wahlweise an die pränominale oder die postnominale Position zuweisen können: (2)

1

2 3

(a) (b)

des Mannes/Vaters Arbeitsplatz4 der Arbeitsplatz des Mannes

Als Beispiele fur die Argumentrealisierungsprinzipien dienen deverbale Nomina auf -ung, -nis und -t sowie die Stammnominalisierungen Arbeit und Schlag. Die Nomina werden weder in Bezug auf den Ableitungstyp noch in Bezug auf die Produktivität des Bildungsmusters unterschieden. Funktionale Elemente sind in Haiders Theorie solche, die Argumente fordern. Sowohl unakkusative als auch intransitive Verben haben nur ein strukturelles Argument. Die Unterscheidung zwischen unakkusativen und intransitiven Verben wird an der Hilfsverbselektion festgemacht: unakkusative Verben selegieren das Perfekt-Auxiliar sein, intransitive haben. Unakkusative Verben bilden eine Klasse, die sich aufgrund einer Reihe lexikalischer und syntaktischer Eigenschaften von intransitiven Verben unterscheiden. Bhatts Analyse der pränominalen Argumentrealisierung bezieht sich neben Eigennamen, die durch -s morphologisch als Possessoren markiert sind, auch auf DPs im Genitiv (vgl. Bhatts Beispiel des Zuges Ankunft, das sie lediglich als semantisch abweichend betrachtet). Diese sind jedoch im heutigen Deutsch nicht mehr gebräuchlich.

6 Das deverbale Nomen erbt die Argumentstruktur des Verbs. Für die ererbten strukturellen Argumente, d.h. für das designierte und das nicht-designierte Argument, gibt es in der NP jeweils eine Position, vgl. (3). (3)

DP SI

Ν1

DP (DA = designiertes Argument)

N° kann strukturellen Kasus nur unter Adjazenz zuweisen. Das designierte Argument kann also in seiner ursprünglichen Position keinen Kasus erhalten, wenn ein DA' vorhanden ist, sondern nur extern in [Spec, DP] unter Adjazenz zu D°. Werden zwei Argumente realisiert, kann nur das designierte Argument in dieser Position realisiert werden. Durch diese Restriktionen werden die Daten in (4) korrekt erfasst, wenn man für behandeln bzw. Behandlung die Argumentstruktur {©!, ©2} annimmt: (4)

(a) (b) (c) (d)

Peters Behandlung Peters Behandlung seiner Mutter *Peters Behandlung seiner Mutter •die Behandlung Peters seiner Mutter

(Peter (Peter (Peter (Peter

= DA) = DA, Mutter = DA') = DA', Mutter = DA) = DA', Mutter = DA)

(4c) belegt, dass wie vorhergesagt nur das DA extern realisiert werden kann und (4d) bestätigt, dass das DA nicht in seiner ursprünglichen Position verbleiben kann, da es dort keinen Kasus erhält. Allerdings zeigt (5), dass das DA nicht extern realisiert werden muss, wenn das DA' weggelassen wird: (5)

(a) (b) (c)

'die Behandlung des Arztes die Erklärung des Arztes das Verständnis des Arztes

(Arzt = DA) (Arzt = DA) (Arzt = DA)

Bhatt merkt an, dass (5a) mit der intendierten Interpretation ftlr manche Sprecher ungrammatisch ist, (5b) und (5c) sind jedoch völlig akzeptabel, obwohl die Argumentstruktur von verstehen und erklären analog zu der von behandeln ist. Die geringe Akzeptabilität von (5a) führt sie auf die Ambiguität des Ausdrucks zurück, die daraus resultiert, dass beide Argumente von Behandlung belebt sind. Zwar können auch bei Verständnis beide Argumente durch belebte Referenten realisiert werden, jedoch wird die Disambiguierung in

5

Gisbert Fanselow (persönliche Mitteilung) weist zu Recht darauf hin, dass Bhatt keinerlei Daten präsentiert, die belegen, dass bei Realisierung eines einzigen Arguments dieses tatsächlich in der vorgesehenen DA- bzw. DA'-Position auftaucht.

7 diesem Fall dadurch gewährleistet, dass das zweite Argument bei Verständnis mit der Präposition fiir realisiert werden muss.6 Bhatt stellt fest, dass Haiders Realisationsprinzip für die Argumentrealisierung bei deverbalen Nomina offensichtlich nicht einschlägig ist. Die einzige Bedingung, die erfüllt sein müsse, sei die Kasuszuweisung unter Adjazenz und m-Kommando (die Domäne für mKommando ist nicht der erste dominierende Knoten einer verzweigenden Struktur, sondern die maximale Projektion). Die Annahme, dass Kasus unter m-Kommando zugewiesen wird, ist motiviert durch die Struktur (6), in der beide ererbten Argumente des Verbs verstehen realisiert sind: (6)

N° t¡ (= DA') Verständnis

DP (= DA) Peters

PP für Mariai

In dieser Struktur hinterlässt das nicht-designierte Argument, das aus seiner ursprünglichen Position herausbewegt wurde und als PP an die NP adjungiert wurde, eine Spur, die aber die Adjazenzbeziehung zwischen N° und dem designierten Argument nicht stört, so dass der Genitiv über m-Kommando zugewiesen kann. Nun sieht sich Bhatt jedoch mit dem Problem konfrontiert, wie sie Konstruktionen wie (4c) ausschließen kann, wenn Kasus unter m-Kommando über leere Knoten hinweg zugewiesen werden kann, vgl.:

(7)

e (= DA') Behandlung

6

DP (= DA) des Arztes

Es bleibt völlig unklar, wodurch sich die Annahme, dassfiirMaria ein strukturelles Argument von Verständnis ist, rechtfertigt. Dieses Argument kann nicht als Genitiv-Attribut realisiert werden. Zudem ist unklar warum es in die Adjunktposition bewegt werden sollte, wo es mit einer idiosynkratischen Präposition realisiert wird, nachdem ihm in seiner ursprünglichen Position vom Nomen struktureller Kasus zugewiesen wird. Für weitere Kritik an dieser Analyse vgl. Lindauer (1995:97) und die folgende Diskussion.

8

Hier muss Bhatt stipulieren, dass das DA' in der [Spec, DP]-Position basisgeneriert wird und mit der leeren DA'-Position koindiziert ist.7 Die Realisierung von des Arztes als DA ist hier ausgeschlossen, weil die leere Kategorie e im Gegensatz zur Spur t zwischen N° und dem DA interveniert und die Adjazenzbeziehung stört. DA kann also in (7) keinen Kasus erhalten und ist somit in dieser Position nicht realisierbar. Diskussion: Bhatts Ansatz beruht auf der Annahme, dass Substantive den Genitiv als strukturellen Kasus zuweisen. Der Genitiv der postnominalen DP korreliert jedoch eins zu eins mit einer bestimmten syntaktischen Position. Er ist ebenso unabhängig von lexikalischen Eigenschaften des Substantivs, als dessen Attribut die DP auftritt, wie von der semantischen Funktion des Attributs. Bei einem relationalen Nomen kann deshalb entweder das Argument als Genitiv-Attribut oder ein Modifikator erscheinen, aber nicht Argument und Modifikator (vgl. (9c-e)). Dagegen kann ein von einem Verb selegiertes AkkusativArgument immer beim entsprechenden Verb realisiert werden, auch wenn das Verb zusätzlich durch eine Temporalphrase im Akkusativ modifiziert wird (vgl. (8c)). (8)

(a) (b) (c)

Sie naschen den ganzen Tag. Sie naschen Schokolade. Sie naschen den ganzen Tag Schokolade.

(9)

(a) (b) (c) (d) (e)

der Ansprechpartner Ihres Vertrauens der Ansprechpartner der Privatkunden *der Ansprechpartner der Privatkunden des Vertrauens *der Ansprechpartner des Vertrauens der Privatkunden ""die Bastelabende der Klasse 3b der Vorweihnachtszeit

Was die Argumentvererbungstheorie angeht, ergeben sich eine ganze Reihe von Problemen für Bhatts Ansatz. So wird z.B. durch die für das Verständnis Peters flir Maria angenommene Struktur (vgl. (6)) eine wichtige Generalisierung verschenkt. Bhatt schließt offenbar aus der Tatsache, dass das strukturelle Thema-Argument von verstehen bei Verständnis realisiert werden kann, dass das entsprechende Argument auch ein strukturelles Argument des Nomens ist. Es muss jedoch aus ungeklärten Gründen aus seiner Argumentposition herausbewegt und als PP an die NP adjungiert werden. Das Phänomen, dass ein strukturelles Argument eines Verbs nicht als strukturelles Argument des abgeleiteten Nomens realisiert werden kann, sondern nur als PP mit idiosynkratischer Präposition, kommt relativ häufig vor, vgl. die Beispiele in (10), und bedarf einer Erklärung, die Bhatt nicht liefert. (10) (a) (b) (c)

die Liebe zu seiner Mutter die Kritik an seinem Vorschlag die Aufforderung an den Vorsitzenden

Entscheidender ist aber in diesem Zusammenhang, dass bestimmte Argumente von Verben prinzipiell nicht als Genitiv-Attribute deverbaler Nomina realisiert werden können, nämlich alle, die in Chomskys und Haiders Terminologie 'lexikalischen Kasus' tragen, vgl.:

7

Beachte, dass Konstruktionen wie Peters Behandlung mit Peter als DA' völlig akzeptabel sind.

9 (11) (a) (b) (c) (d) (e) (f)

Sie helfen den Kleineren. *die Hilfe der Kleineren/ die Hilfe für die Kleineren Die Gemeinde gedachte der Opfer. *das Gedenken der Opfer/ das Gedenken an die Opfer Sie vergaben ihren Peinigern. -> ""die Vergebung der Peiniger/ die Vergebung für die Peiniger

Bhatt selbst geht auf die Nominalisierung von Verben mit lexikalischem Kasus nicht ein. Ihre Theorie sagt jedoch korrekt voraus, dass nur strukturelle Argumente von Verben an die abgeleiteten Nomina vererbt werden. Wenn aber die PPs in (6) und (10) nur über die Spur in der Argumentposition der Nomina mit den strukturellen Argumenten des Basisverbs assoziiert werden können, wie erfolgt dann die Identifikation der PPs in (11) mit den nicht strukturellen Argumenten der zugrunde liegenden Verben? Nimmt man dagegen die Tatsache, dass bestimmte Argumente des Basisverbs (im Deutschen) nicht als Genitiv-Attribut (oder pränominaler Possessor) beim abgeleiteten Nomen auftreten können, als Evidenz dafür, dass die entsprechenden Argumente keine strukturellen Argumente des Nomens und folglich nicht ererbt sind, kann man die Generalisierung erfassen, dass Argumente, denen vom Verb lexikalischer Kasus zugewiesen wird, nie ans Nomen vererbbar sind. Ein weiterer Vorteil für Bhatts Ansatz wäre, dass unter dieser Annahme in Konstruktionen wie das Verständnis Peters fiir Maria die Spur zwischen Verständnis und Peters wegfallen würde, für die stipuliert werden muss, dass sie die Adjazenzbeziehung der beiden Konstituenten nicht stört. Die Identifikation der adjungierten PPs der abgeleiteten Nomina mit den NP-Argumenten der Basisverben stellt kein Problem dar, da die Präpositionen entweder semantisch transparent sind oder über Analogie zu Verben und Nomina mit verwandten Bedeutungen interpretiert werden können. Mit dem Problem, dass bestimmte strukturelle Argumente von Verben nicht vererbt werden können, ist Bhatts Ansatz zudem auch konfrontiert, wenn man an der Analyse (6) festhält, denn bestimmte strukturelle Argumente von Verben können selbst als PP nicht beim deverbalen Ereignisnomen realisiert werden, vgl. (12): (12) (a) (b) (c) (d)

Der Vortrag interessiert die Studenten. *das Interessieren der Studenten/ bei den Studenten *das Interessieren des Vortrage -> *sein Interessieren

Hier zeichnet sich bereits ab, dass eine Theorie, die verlässliche Voraussagen über die Argumentrealisierung bei deverbalen Nomina machen will, auf semantische Eigenschaften der Nomina und ihrer Argumente Bezug nehmen muss. Hier sind vor allem die aspektuellen Eigenschaften der Basisverben und die thematischen Eigenschaften ihrer Argumente zu untersuchen. Auch die produktiven Ereignisnominalisierungstypen verhalten sich nicht so einheitlich bei der Argumentrealisierung wie dies bei Bhatt implizit vorausgesetzt wird. Während die Argumente bei -ung-Nomina relativ frei in prä- oder postnominaler Position auftreten können, ist dies bei NIen nicht der Fall, vgl.:

10 (14) (a) (b) (c) (d)

Die Untersuchung des Urologen dauerte mehrere Stunden. ""Das Untersuchen des Urologen dauerte mehrere Stunden. (Ungrammatisch mit Urologe als Agens) Die Operation des Urologen dauerte mehrere Stunden. '"Das Operieren des Urologen dauerte mehrere Stunden.

Es ist nicht klar, wie diese nominalisierungstypspezifíschen Restriktionen in einem rein syntaktischen Ansatz adäquat erfasst werden könnten.8 Ein weiteres Problem in Bhatts Ansatz betrifft die Zuordnung der Argumente zu Ereignispartizipanten. Hat ein Nomen zwei Argumente, so können beide an der Oberfläche unter bestimmten Bedingungen sowohl extern als auch intern realisiert werden. In diesem Fall ist die Identifikation der Argumente allein durch die Koindizierung mit der Spur bzw. mit e in ihrer ursprünglichen Position innerhalb der NP garantiert. D.h. bei der Sprachverarbeitung ist die Möglichkeit der Identifizierung der Argumente nicht in gleicher Weise wie etwa beim Verb anhand eindeutiger an der Oberfläche wahrnehmbarer morpho-syntaktischer Kriterien gegeben. Ambige Strukturen, die dies bestätigen würden existieren aber nicht. Dies fìihrt direkt zum nächsten Problem, denn die syntaktische Realisierung der strukturellen Argumente zweistelliger Ereignisnomina ist gar nicht so frei, wie es die Theorie erlaubt. Wie Bhatt in ihrer Analyse der Beispiele in (5) selbst feststellt, ist die Realisierung der Argumente nur dann frei, wenn die Argumente anhand syntaktischer oder semantischer Kriterien unterschieden werden können. Wenn das ererbte nicht-designierte Argument beim Nomen z.B. nur als PP realisiert werden kann (das Verständnis des Arztes, vgl. (5c)) oder wenn ein weggelassenes nicht-designiertes Argument sich anhand sortaler Eigenschaften wie Belebtheit vom designierten Argument unterscheiden lässt (die Erklärung des Arztes, vgl. (5b)), dann darf das designierte Argument in der NP-intemen Position verbleiben. Diese Einschränkung zeigt deutlich, dass bei der Sprachverarbeitung fur die Identifizierung der Partizipanten wahrnehmbare Merkmale der Argumente benötigt werden. Ansonsten hätte man bei der Sprachrezeption keine Chance zu ermitteln, welche Begleiter eines Nomens mit welchen Argumentpositionen in der mentalen Repräsentation des Ausdrucks bei dem/der Sprachproduzenten/in koindiziert sind. Zudem ist unklar, wie lexikalisch-semantische Restriktionen für die Argumentrealisierung in Bhatts Modell erfasst werden sollen, denn die postnominale Realisierung designierter Argumente darf ja nicht prinzipiell ausgeschlossen werden (insbesondere nicht bei intransitiven Nomina), sondern nur für die KoArgumente9 impliziter (nicht-realisierter) belebter nicht-designierter Argumente. Solche weichen miteinander interagierenden Restriktionen lassen sich naturgemäß besser in einem modulübergreifenden Wettbewerbsmodell erfassen als in einem rein syntaktischen Modell.

g Für einen rein syntaktischen Ansatz, der diesem Kontrast Rechnung trägt, jedoch mit anderen Problemen befrachtet ist, die hier nicht diskutiert werden können, vgl. Alexiadou (2001). Als Ko-Argumente bezeichne ich nebeneinander vorkommende thematische Argumente, die durch die Bedeutung ein- und desselben Prädikats impliziert sind, unabhängig davon, ob diese in einem aktuellen Ausdruck realisiert sind oder nicht.

11 1.1.1.2 Lindauer 1995 Lindauers Ansatz versteht sich als ableitungstypübergreifend. Es wird explizit erwähnt, dass er neben anderen produktiven Ableitungstypen auch Nie erfassen soll, vgl. Lindauer (1995: 123). Ebenso wie Bhatt (1989) nimmt Lindauer an, dass strukturell kasusmarkierte Argumente des Verbs an das deverbale Nomen vererbt werden und innerhalb der DP/NP strukturell kasusmarkiert werden können. Er geht von zwei strukturellen Argumentpositionen innerhalb der DP aus: Hat ein Nomen zwei Argumente, so werden beide innerhalb der NP basisgeneriert, das Kopfhomen kann jedoch nur an seine Schwester den Genitiv zuweisen. Das andere Argument wird entweder in die [Spec, DP]-Position bewegt und bekommt dort den Genitiv von D zugewiesen oder es wird über P-Einsetzung, d.h. vermittels einer Präposition von Ν kasusmarkiert.10 Ob ein Kopfhomen die Fähigkeit hat, zwei Argumente kasuszumarkieren, hängt von dem Merkmal μ von D ab: Ein lexikalisch gefülltes D trägt entweder das Merkmal [strong] oder [weak] (ein nicht realisiertes D ist immer [weak]). Dieses Merkmal wird an den Kopf des NP-Komplements zugewiesen. Nur wenn Ν das Merkmal [strong] zugewiesen bekommt, hat es die Fähigkeit, Kasus an zwei Argumente zuzuweisen. Durch diese Kasuszuweisungsmechanismen kann Lindauer drei verschiedene Strukturen (Argumentrealisierungstypen) für zweistellige Nomina generieren, vgl. Lindauer (1995: 76f). In (15) weist D das Merkmal [strong] an das Kopfhomen seines NP-Komplements zu und beide Argumente des Nomens werden innerhalb der NP kasusmarkiert (die P-Einsetzung gilt als struktureller Kasus). Die Unterscheidung von internem und externem Argument des Verbs spiegelt sich bei den Argumenten des Nomens in der strukturell höheren (externes Argument) bzw. tieferen Position (internes Argument) innerhalb der NP. Das Argument, das dem externen Argument des Basisverbs entspricht (bzw. seine Spur) c-kommandiert innerhalb der NP jeweils das andere Argument, das dem internen Argument des Basisverbs entspricht (bzw. seine Spur). Die Zuweisung der Θ-Rollen erfolgt innerhalb der NP durch das Kopfhomen über m-Kommando.

10

Hierdurch sollen Fälle erfasst werden, in denen der pränominale Possessor durch Eigennamen oder Verwandtschaftsbezeichnungen realisiert wird. Lindauer fasst das -i-Morphem als Genitiv auf. Es handelt sich allerdings keineswegs um ein Genitiv-i, vgl. (ii) und (iv): (i) Das Haus des Vaters (ii) Vaters Haus (iii) Das Haus der Mutter (iv) Mutters Haus Vgl. auch die ausführliche Argumentation gegen verbreitete Annahme eines pränominalen Genitivs im Deutschen und anderen Sprachen in De Wit und Schoorlemmer (1996). Auf Lindauers Analyse der Kasusmarkiening pronominaler Possessoren möchte ich hier nicht eingehen.

12 (15)

die Entdeckung Amerika Kolumbus die Entdeckung Amerikas [pp durch Kolumbus] In (16) weist D das Merkmal [weak] zu. Entsprechend kann das Kopfnomen seines Komplements nur einen strukturellen Kasus zuweisen. Es ergeben sich die Möglichkeiten in (17) und (18): (16) SpecD [weak]

NP [weak]

N'.* [P-Einsetzung] [μ weak] Ν [weak]

^ p g ^

e Entdeckung

Amerika

DP

Kolumbus

In (17) wird das strukturell tiefere Argument in die externe Argumentposition bewegt und bekommt dort von D Kasus zugewiesen. Alternativ kann auch das strukturell höhere Argument in die externe Position bewegt werden. Da der Genitiv von Ν nur an adjazente Konstituenten zugewiesen werden kann, ist gewährleistet, dass nur in diesem Fall das in der NP verbleibende Argument den Genitiv zugewiesen bekommt. (17)

AmerikaSj

e Entdeckung



durch Kolumbus

13 (18)

DP

Lindauers Modell sieht explizit vor, dass es vorkommen kann, dass strukturelle Argumente des Verbs nicht als strukturelle Argumente des Nomens realisiert werden können. Er unterscheidet Fälle, in denen das Akkusativ-Argument des Verbs beim Nomen mit idiosynkratischer Präposition11 realisiert wird, vgl. Fälle in (10) oben, von solchen, in denen ein strukturelles Argument eines Verbs beim abgeleiteten Nomen überhaupt nicht realisiert werden kann, vgl. die Fälle in (12). Im ersten Fall sowie in allen Fällen, in denen ein Dativoder Genitiv-Argument des Verbs beim Nomen mit idiosynkratischer Präposition realisiert wird, kann auch das Subjekt des zugrunde liegenden Verbs als einziges strukturelles Argument adjazent zum Nomen realisiert werden und in dieser Position den Genitiv zugewiesen bekommen. Lindauer nimmt an, dass die Tendenz, eine idiosynkratische Präposition für ein strukturelles Argument des Basisverbs zu selegieren, umgekehrt proportional zum Grad der Produktivität des morphologischen Bildungsmusters des Kopfnomens ist. Erwartungsgemäß finden sich idiosynkratische Präpositionen häufiger bei stark lexikalisierten Nomina. Die Unmöglichkeit bestimmte strukturelle Argumente des Basisverbs beim Nomen zu realisieren (vgl. *Ottos Erwartung der Gäste\ *das Verstehen Marias durch Peter/Peters Verstehen Marias) führt Lindauer auf semantische Einflüsse zurück, auf die er aber nicht eingeht. Diskussion: Der entscheidende Vorteil diese Ansatzes ist, dass Lindauer explizit vorhersagt, dass deverbale Nomina nur Nominativ- und Akkusativ-Argumente des zugrunde liegenden Verbs erben können, vgl. die Daten in (11) und (19): (19) (a) (b) (c) (d) (e)

11

Kai widerspricht ihrem Vater. ""Kais Widersprechen des Vaters "Vaters Widersprechen12 ""der Widerspruch des Vaters "Vaters Widerspruch

Auch die Argumente mit idiosynkratischer Präposition werden nach Lindauer vom Nomen unter m-Kommando Θ-markiert. Ungrammatisch in der in (19a) vorgegebenen Interpretation.

14 Die entsprechende Restriktion kann nicht über die semantischen/thematischen Eigenschaften der entsprechenden Verben/Argumente erfasst werden, vgl. die nominalisierten Infinitive der folgenden konversen Verben:13 (20) (a) (b) (c)

Omas frühzeitiges Bemerken des Rauchs hat eine Katastrophe verhindert. "Omas frühzeitiges Auffallen des Rauchs hat eine Katastrophe verhindert. "Sein frühzeitiges Auffallen der Oma hat eine Katastrophe verhindert.

Diese Generalisierung ist bereits in Bhatts Modell angelegt, wurde aber nicht herausgearbeitet. Was die Nachteile des Ansatzes betrifft, kann im Prinzip darauf verwiesen werden, was bereits zu den Nachteilen von Bhatts Theorie oben gesagt wurde: Auch fur Lindauers Ansatz gelten die folgenden Kritikpunkte: a) der Ansatz basiert auf der falschen Annahme, dass Ν ein Kasuszuweiser ist; b) es bleibt die Frage offen, wie bestimmte semantische Restriktionen bezüglich der Argumentvererbung bzw. -realisierung erfasst werden können; c) die syntaktische Oberflächenstruktur der NP bietet keine wahrnehmbaren Reflexe für die Zuordnung der Argumente von Nomina mit mehr als einem Argument zu Ereignispartizipanten. Ausschlaggebend ist allein die Anordnung der Argumente in der Tiefenstruktur. Unter dieser Voraussetzung wäre die Sprachverarbeitung in unplausibler Weise erschwert. Ein weiterer Nachteil von Lindauers Theorie ist, dass sie die folgenden Konstruktionen erlaubt, die der Struktur (17), vgl. (21a), entsprechen, aber im Gegensatz zu dieser stark abweichend sind: (21) (a) (b) (c)

Amerikas Entdeckung durch Columbus "Amerikas ungewollte Entdeckung durch Columbus "Amerikas Entdecken durch Columbus

Nur deverbale Nomina, die wie Entdeckung in (21a) Resultatszustände bezeichnen, lassen die pränominale Realisierung des Partizipanten zu, der dem Thema-Argument des Basisverbs entspricht. Durch ein Adjektiv, das die Agenshandlung modifiziert, wird jedoch eine Ereignislesart induziert. Nominalisierte Infinitive (21c) sind nicht prinzipiell ambig zwi-

Maling (2001) nimmt dagegen an, dass im Deutschen wie im Englischen die Nichtvererbbarkeit von Argumenten an Ereignisnomina allein durch ihre thematischen Rollen determiniert ist: Thema-Argumente sind vererbbar, Goal-Argumente dagegen nicht. Sie stützt diese Annahme für das Deutsche allein auf deverbale Stammnominalisierungen: (i) *Die Bitte des Priesters (der Priester wird gebeten) (ii)*Der Anruf der Polizei (die Polizei wird angerufen) Allerdings sind Stammnominalisierungen im Deutschen voll lexikalisiert und lassen unabhängig von der thematischen Rolle die Realisierung des Objekts des Verbs als Genitiv-Attribut in der Regel nicht zu, vgl. die folgenden Patiens-Argumente: *Der Mord der unschuldigen Kinder/ *Der Schlag des Kopfes/ *Der Stoß der Kugel. Bei produktiven deverbalen Nominalisierungstypen sind Akkusativ-Goals dagegen ohne Weiteres vererbbar: Die Anrufung einer höheren Instanz/ Das Besuchen von Patienten mit ansteckenden Krankheiten.

15 sehen einer Ereignis- und einer Resultatszustandslesart, sondern haben im unmarkierten Fall Ereignisreferenz. Bei beiden kann nur der Partizipant, der dem Agens-Argument des Basisverbs entspricht, pränominal realisiert werden. Diese Restriktion für die Argumentrealisierung kann in Lindauers Theorie nicht erfasst werden.

1.1.1.3 Zur DP-Struktur Bisher sind wir noch nicht auf die Frage eingegangen, welche DP-Struktur angemessen ist. Diese Frage soll auch nicht besonders intensiv erörtert werden, denn für die hier zu entwickelnde Theorie spielt die DP-Struktur eine eher untergeordnete Rolle. Im Folgenden wird die von Delsing (1998: 93) vorgeschlagene Struktur vorausgesetzt, vgl.: (22)

Possessivpronomina

KopfNomen

Genitiv-DP

Im Unterschied zu Lindauer (1995, 1998), Bhatt (1989, 1990) und vielen anderen, die im Anschluss an Abney (1987) Possessivpronomina bzw. das -j-Suffix des nominalen Possessors unter D° positionieren, vgl. etwa Krause (2000) und Radford (1993),14 nimmt Delsing an, dass Possessivpronomina funktionale Köpfe sind. Nach Delsing haben sie die folgenden Eigenschaften von Köpfen: a) sie kongruieren mit dem Kopfnomen in Bezug auf Numerus, Genus und Kasus; b) im Unterschied zu Personalpronomina können sie nicht durch Quantifizierer, Nomina, Adjektive, Relativphrasen, PPs etc. modifiziert werden, vgl. (23) und (24):

14

(23) (a) (b) (c)

du Schatz er, der dort steht sie mit dem Hut

(24) (a) (b) (c)

"[dein Schatz] Haus *[sein, der dort steht] Haus *[ihr mit dem Hut] Haus

Hoekstra (1999: 179) muss dagegen eingestehen, dass er keine Idee hat, wo er in der von ihm vorgeschlagenen Struktur den pränominalen Possessor unterbringen soll.

16

Für die Annahme der PossP als Komplement von D>5 spricht nach Delsing, dass in einigen Sprachen wie z.B. im Italienischen dem Possessivpronomen ein Artikel vorangeht, vgl. il mio libro, wörtlich: 'das mein Buch'. Eigennamen und als Eigennamen verwendete Verwandtschaftsbezeichnungen, die als pränominale Possessoren realisiert werden, (vgl. Peters/Mutters Hase), werden bei Delsing als Nomina mit suffigiertem Artikel16 analysiert, der in D lizenziert werden muss. Das Nomen muss daher zum Suffix in die D Position bewegt werden. Diese Analyse passt nicht in das hier vorausgesetzte Modell, da sie auf der Annahme basiert, dass morphologische Prozesse in der Syntax stattfinden. Meines Erachtens spricht nichts dagegen, dass auch diese nominalen Possessoren den Kopf der PossP realisieren. Damit würde man zugleich auch der Tatsache Rechnung tragen, dass im gegenwärtigen Deutsch keine Phrasen als pränominale Possessoren realisiert werden können. Auch Eigennamen, die als pränominale Possessoren realisiert werden, können nicht durch Adjektive, Relativphrasen, PPs etc. modifiziert werden. Der einzige Unterschied zu den Possessivpronomina besteht darin, dass sie anscheinend nicht mit dem Kopfhomen kongruieren, sondern durch das possessive -s markiert sein müssen. Eigennamen können aber ohnehin keine Kongruenzmerkmale tragen, da sie im Deutschen nicht für Kasus flektieren.17 Ob sie kongruieren oder nicht lässt sich also nicht nachweisen. Das -s-Suffix (im Gegensatz zu Delsings Annahme handelt es sich nicht um ein Geniti v-s, vgl. Fußnote 10) könnte eine obligatorische Kennzeichnung des Poss-Kopfes sein, die beim Possessivpronomem überflüssig ist, da es inhärent possessiv ist.18 Delsings Analyse halte ich vor allem deshalb fur attraktiv, weil sie im Unterschied zu den Ansätzen von Bhatt (1989, 1990), Lindauer (1995, 1998), Szabolcsi (1981) und vielen anderen nicht auf der Annahme basiert, dass der pränominale Possessor aus der postnominalen Position heraus in die pränominale Position bewegt wird. In allen diesen Ansätzen geht man davon aus, dass das entsprechende Argument in beiden Positionen den Genitiv zugewiesen bekommt. Wie wir bereits gesehen haben, ist Ν aber erstens kein Kasuszuweiser und zweitens ist das -s-Suffix nicht mit dem Genitiv gleichzusetzen.

15

Vgl. für eine solche Analyse De Wit und Schoorlemmer (1996). Dieser Artikel entspricht nach Delsing dem Artikel vor Eigennamen in einigen Dialekten des Deutschen, vgl. der Otto ist gekommen. Delsing selbst bemerkt, dass unklar ist, warum dieser Artikel nur in dem oben genannten speziellen Fall suffigiert sein sollte, wenn er in allen anderen Fällen als freies Morphem auftritt. Eigennamen als postnominale Possessoren weisen Genitivmarkierung auf, vgl. Das Haus Peters. Dies stellt aber die hier entwickelte Argumentation nicht in Frage. Auf den ersten Blick scheinen Konstruktionen wie Herrn (Abgeordneten) Meiers Einwand (Genossen Meyers Einwand ist nach der Duden-Grammatik 19844 auch noch üblich) Delsings Annahme zu stützen, dass das -¿-Suffix ein Genitiv-Marker ist, mit dem die Namenszusätze kongruieren. Setzt man aber statt Herr oder Abgeordneter hier einen Titel ohne Kasussynkretismus im Dativ und Genitiv ein, so zeigt sich, dass der Titel im Dativ steht: (i) Kaiser Karls Wahlspruch/ *Kaisers Karls Wahlspruch (ii)Stadtrat Meyers Rede/ *Stadtrats Meyers Rede Möglicherweise handelt es sich hierbei um einen Default-Dativ, der zunehmend durch den Default-Nominativ ersetzt wird, vgl. Genösse Meyers Einwand/ Herr Meyers Einwand. Vgl. zu einem weiteren Kontext, in dem Dativ-Default auftritt, Duden Grammatik (1984 4 : 666, 5).

17 Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Vorkommen des postnominalen Genitivs an eine bestimmte strukturelle Position gebunden, nämlich an die dem Kopf der NP unmittelbar folgende. Unter dieser Annahme lässt sich auch erklären, warum innerhalb der NP neben einem Argument kein Modifikator als Genitiv-Attribut realisiert werden kann, vgl. die Beispiele in (9) oben. Diese Beschränkung kann durch die Annahme, dass Ν nur einen Kasus zuweisen kann, nicht erfasst werden.

1.1.1.4 Fazit Die Ansätze von Bhatt (1989) und Lindauer (1995) haben den Vorteil, dass sie Vorhersagen darüber erlauben, welche Argumente eines Verbs prinzipiell an ein deverbales Nomen vererbt werden und als Genitiv-Attribut bzw. pränominaler Possessor realisiert werden können und welche nicht. So sind Nominativ- und Akkusativ-Argumente in der Regel vererbbar und in diesen Positionen realisierbar, Dativ- und Genitiv-Argumente dagegen bei keinem Ableitungstyp. Diese Restriktion lässt sich nicht unter Bezugnahme auf semantische oder thematische Eigenschaften der Argumente erfassen (vgl. dazu auch Reis 1988). Beide Autor/inn/en stellen im Hinblick auf unterschiedliche Phänomene fest, dass auch semantische Faktoren die Argumentvererbung und die syntaktische Realisierung der Argumente beeinflussen. Dies kann in rein syntaktischen Argumentvererbungsmodellen jedoch nicht erfasst werden und erfordert folglich eine Erweiterung der Modelle um eine semantische Dimension. Das größte Problem beider Modelle besteht in der Zuordnung bzw. Identifizierung der strukturellen Argumente zweistelliger deverbaler Nomina. Beide Ansätze gehen davon aus, dass beide Argumente eine bestimmte Position innerhalb der NP einnehmen. Da nicht beide Argumente vom Kopfnomen kasusmarkiert werden können (bzw. den Genitiv zugewiesen bekommen können), muss eines der Argumente entweder als PP realisiert werden oder nach [Spec, DP] bewegt werden, wo es seinen Kasus von D zugewiesen bekommt. Allerdings ist die [Spec, DP]-Position nicht einem bestimmten Argumenttyp vorbehalten (etwa dem externen Argument des Verbs). Deshalb lässt sich die Zuordnung der Argumente in beiden Ansätzen nicht eindeutig aus der syntaktischen Oberflächenstruktur der DP ableiten. Dies ist nur anhand von Koindizierung der bewegten Konstituenten mit einer Spur in einer bestimmten Position innerhalb der NP möglich. Diese Lösung ist im Hinblick auf die Sprachverarbeitung sehr unbefriedigend: Welche Konstituente mit welcher Spur koindiziert ist, kann nur der Produzent/ die Produzentin einer syntaktischen Struktur wissen. Aus diesem Grund sind die Argumente eines Verbs universell aufgrund morpho-syntaktischer Merkmale eindeutig voneinander unterschieden. Bekanntlich ist z.B. im Deutschen die Stellung der Argumente ja nur dann frei, wenn zwischen diesen anhand ihrer Kasusmarkierungen disambiguiert werden kann. Da die Argumente von Nomina nicht anhand wahrnehmbarer Markierungen in der syntaktischen Oberflächenstruktur unterschieden werden können, ist nicht einzusehen, warum sie überhaupt Restriktionen bezüglich ihrer Positionierung innerhalb der NP/DP unterliegen sollten. Die Ausgangshypothese der vorliegenden Untersuchimg ist deshalb, dass bei zweistelligen Nomina beide Argumente prinzipiell als pränominaler POSS oder als GenitivAttribut erscheinen können. Die Realisierung und Identifizierung der Argumente wird durch eine Reihe von semantischen und pragmatischen Faktoren restringiert bzw. ermög-

18 licht. Semantische Eigenschaften der Argumente, die die Disambiguierung erleichtern, wurden ansatzweise schon von Bhatt angesprochen, vgl. die Erläuterungen zu den Beispielen in (5).

1.1.2 Semantische Vererbungstheorien Die Modelle von Bierwisch (1989), Grimshaw (1990) und Ehrich/Rapp (2000) basieren auf der Annahme, dass nominalisierte Infinitive Argumentstrukturen mit vom Basisverb ererbten Argumentpositionen haben, Restriktionen bezüglich der Argumentvererbung und -realisierung aber ausschließlich auf lexikalisch-semantische Informationen Bezug nehmen. Dabei kann es sich um Informationen bezüglich der Ereignis- bzw. Dekompositionsstruktur des Basisverbs handeln, um aspektuelle Eigenschaften oder um die thematischen Rollen der Argumente. Ein Einfluss der morpho-syntaktischen Spezifizierungen der Argumente der Basisverben auf die Vererbung wird insbesondere von Ehrich/Rapp (2000) abgelehnt.

1.1.2.1 Bierwisch 1989 Bierwischs Theorie soll durch Affigierungsprozesse abgeleitete deverbale Ereignisnomina erfassen. Bierwisch nimmt jedoch an, dass die Prinzipien, die bei Derivationsprozessen einschlägig sind, auf alle anderen morphologischen Prozesse übertragen werden können.19 Wie Bhatt und Lindauer (s.o.) geht auch Bierwisch davon aus, dass Nomina wie Verben strukturellen Kasus zuweisen. Nach Bierwisch weisen Verben strukturellen Nominativ und Akkusativ zu, Nomina strukturellen Genitiv. Jede Position im Θ-Raster (d.h. der fur thematische Rollen spezifizierten Argumentstruktur) eines lexikalischen Elements (Stamm oder Affix), der eine Θ-Rolle zugewiesen wird, muss mit einem Kasusmerkmal oder einem anderen grammatischen Merkmal assoziiert sein, vgl. Bierwisch (1989: 6). Der strukturelle Genitiv wird in der Argumentstruktur des Nomens mit dem internen Argument assoziiert. Für die Θ-Raster von Verben gilt: a) es gibt genau eine designierte Θ-Rolle in jedem Θ-Raster; b) es gibt eine referentielle Θ-Rolle; c) die Abfolge der Θ-Rollen im Θ-Raster ist (von rechts nach links): referentielle Rolle > designierte Rolle > interne Rollen; d) nur interne Rollen können optional sein; e) Optionalität von Θ-Rollen ist bei Verben und Präpositionen lexikalisch spezifiziert. 19

Es ist nicht ganz klar, welchem morphologischen Prozess die Infinitivnominalisierung bei Bierwisch zugerechnet wird. Einerseits spricht er davon, dass das Infinitiv-Morphem einen verbalen Stamm in ein Nomen im Neutrum verwandelt, was man so interpretieren könnte, dass er wie der vorliegende auf Haspelmath (1995) basierende Ansatz davon ausgeht, dass es sich bei der Infinitivnominalisierung um einen Flexionsprozess (flektierende Konversion) handelt. Andererseits schlägt er eine Repräsentation für -n vor, vgl. Bierwisch (1989: 34, (42)), in der dem Suffix die lexikalischen Eigenschaften eines Massennomens zugeschrieben werden, was dafür spricht, dass es sich nach Bierwischs Auffassung um ein Derivationssuffix handelt.

19 Zur Illustration gibt Bierwisch (1995: 8) die lexikalische Repräsentation der Argumentstruktur eines Verbs an, die (24) entspricht, jedoch anderen Notationskonventionen folgt: (24) retí-

Xy λχ Xs [s INST [x RESCUE y]]

In dem oben angeführten Θ-Raster, in dem Lambda-Operatoren fur Argumentpositionen stehen, ist Xs die referentielle Θ-Rolle. Links davon stehen zuerst die interne Rolle (Patiens) und dann die designierte (Agens). Das referentielle Argument ist bei Verben das Situationsargument. Es kann syntaktisch nicht realisiert werden, wohl aber mit den externen Argumenten von Modifikatoren identifiziert werden. Die in eckigen Klammern angegebene lexikalische Struktur (LS) besagt, dass die Proposition, dass Partizipant χ Partizipanten y rettet, durch die Situation s instantiiert (INST) wird. Die Θ-Raster von Nomina unterscheiden sich nun durch einige generelle Eigenschaften von denen von Verben: a) die referentielle Rolle ist die designierte; b) interne Rollen sind normalerweise optional. Im Unterschied zu deverbalen Nomina, die auf Individuen referieren (wie z.B. Nomina Agentis, vgl. der Bohrer), übernehmen deverbale Ereignisnomina das komplette ©-Raster der verbalen Basis. Die einzigen Unterschiede zum Θ-Raster des Basisverbs ergeben sich aus den beiden oben angegebenen allgemeinen Bedingungen fur die Θ-Raster von Nomina, d.h. λβ ist in (26) sowohl die referentielle als auch die designierte Θ-Rolle und λχ und Xy sind beide interne Argumente und daher beide fakultativ. (26) Rettung

Xy λχ Xs [s INST [x RESCUE y]]

Während bei Verben sowohl die interne als auch die designierte Θ-Rolle mit strukturellen Kasusmerkmalen assoziiert sind, sind bei Nomina nur die internen Θ-Rollen mit dem strukturellen Genitiv assoziiert. Diskussion: Die Erkenntnis, dass deverbale Ereignisnomina die Argumentstrukturen der Basisverben bis auf die erzwungene Identifizierung des referentiellen mit dem designierten Argument Ubernehmen, ist ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung. Dem Ereignisnomen stehen so die Argumentpositionen aus dem Verbeintrag zur Verfügung, diese werden aber beim Nomen nicht automatisch mit strukturellem Genitiv assoziiert wie etwa bei Bhatt oder Lindauer. 20 Prinzipiell besteht die Möglichkeit, dass die internen ererbten ΘRollen mit idiosynkratischen Präpositionen assoziiert werden, was j a auch häufig vorkommt. Ein Nachteil des Ansatzes besteht jedoch darin, dass die syntaktische Realisierung der ererbten Argumente der Ereignisnomina als pränominaler Possessor oder als Genitiv-Attribut in keiner Weise restringiert ist. Wie wir oben bereits gesehen haben, ist die Distribution der Argumente auf die entsprechenden Positionen ja keineswegs beliebig, sondern vermut20

Bierwisch verschenkt die Generalisierung, dass nur Θ-Rollen, die beim Verb mit strukturellem Kasus assoziiert sind, ans Nomen vererbt werden können. So ist nach seiner Einschätzung nicht voihersagbar, dass das Genitiv-Argument von schämen (vgl. Er schämt sich seiner Tat) nicht an das Nomen Scham vererbt werden kann (*Die Scham seiner Tat).

20

lieh von verschiedenen lexikalisch-semantischen Eigenschaften des abgeleiteten Nomens bzw. seiner Argumentstruktur abhängig, vgl. dazu etwa die Bemerkungen zu (5) in 1.1.1.1. Generell lässt sich feststellen, dass bei von transitiven Verben abgeleiteten NIen das Objekt des Basisverbs als pränominaler Possessor wenig oder überhaupt nicht akzeptabel ist: (27) (a)

(b)

Der Hund hat bereits mehrmals kleine milien fordern, dass er eingeschläfert Töten mit aller Macht verhindern. Der Hund hat bereits mehrmals kleine milien fordern, dass er eingeschläfert Tötung mit aller Macht verhindern.

Kinder gebissen. Die betroffenen Fawird, *aber die Besitzer wollen sein Kinder gebissen. Die betroffenen Fawird, aber die Besitzer wollen seine

Die Beispiele zeigen zudem, dass bei den Ereignisnominalisierungen ableitungstypspezifische Argumentrealisierungsrestriktionen unterschieden werden müssen. Dies sieht Bierwischs Modell ebenfalls nicht vor. Ein spezielleres Problem, auf das Bierwisch selbst hinweist, ergibt sich für den Ansatz in Bezug auf psychologische Zustandsverben wie irritieren, beschämen, enttäuschen, begeistern etc. Ebenso wie Lindauer (s.o., 1.1.1.2) stellt Bierwisch (1989: 58) fest, dass bei Nominalisierung der Verben dieser Klasse das Nominativ-Argument des Basisverbs in keiner Form realisiert werden kann: (28) (a) (b) (c)

Der Auftritt der Klasse 3b begeisterte/ beschämte/überraschte die Eltern. *die Begeisterung/ Scham/ Irritation/ Überraschen des Auftritts *das Begeistern/ Irritieren/ Überraschen des Auftritts der Klasse 3b

Bierwisch fuhrt dies darauf zurück, dass bei den entsprechenden Nominalisierungen die Zustandspassivform der Verben zugrunde liegt (d.h. irritiert sein, beschämt sein, enttäuscht sein etc.). Bei diesen Verbformen ist durch die Passivmorphologie das designierte Argument aus dem Θ-Raster eliminiert worden. Er bleibt aber eine Erklärung schuldig, warum bei psychologischen Verben nur die Passivform nominalisiert werden kann und warum bei anderen Verben dieses Phänomen nicht auftritt. Die Tatsache, das bei Nominalisierungen von psychologischen Verben wie in (28) und (29) die Realisierbarkeit des Stimulus anscheinend durch die Linkingeigenschaften des Verbs determiniert wird, stellt auch Theorien, die zwischen strukturellen und lexikalischen Kasus unterscheiden und davon ausgehen, dass bei Nominalisierung nur strukturelle Argumente vererbbar sind, vor ein Problem. Sie können die Restriktion, dass nur AkkusativStimuli (im Gegensatz zu Nominativ-Stimuli) als Genitiv-Attribute deverbaler Nomina realisiert werden können, nur unter der Annahme erfassen, dass die Nominativ-Argumente der Verben mit Nominativ-Stimuli für lexikalischen Kasus spezifiziert sind.21 (29) (a) (b) (c) 21

die Kenntnis der Sachlage die Erkenntnis der Unabwendbarkeit des Übels die Verachtung der jugendlichen Straftäter

In Bierwischs Modell ist dies ausgeschlossen, da er annimmt, dass in jedem Θ-Raster genau eine designierte Θ-RoUe enthalten ist. Diese kann nur mit strukturellem Nominativ assoziiert sein. Diese Annahme wird aber durch Daten wie mir graut vor ihm und mich friert widerlegt.

21 Angesichts dieser Daten übernehmen wir hier als Ausgangshypothese eine abgeschwächte Variante von Bierwischs Grundannahme, nämlich dass deverbale Ereignisnomina im unmarkierten Fall die Argumentstrukturen der Basisverben komplett übernehmen.22 Als markierte Fälle werden solche zu untersuchen sein, bei denen der Kasusrahmen des Verbs 23

nicht-kanonische Kasusmuster aufweist (etwa /Nom/Dat oder /Nom/Gen) oder in denen das Verb nicht-kanonische Linkingeigenschaften hat (Nom-STIM/Akk-EXP). Im Gegensatz zu den Ansätzen von Lindauer und Bhatt macht Bierwischs Ansatz keine Vorhersagen bezüglich der syntaktischen Distribution der ererbten Argumente beim deverbalen Ereignisnomen. Auch die hier wirksamen semantischen Restriktionen bedürfen noch einer genaueren Untersuchung. 1.1.2.2 Grimshaw 1990 Grimshaws Theorie der Argumentvererbung an deverbale Nomina bezieht sich auf alle Ableitungstypen. Obwohl eine universelle Gültigkeit ihrer Prinzipien intendiert ist, orientiert sich ihre Untersuchung ausschließlich an englischen Daten. Sie greift die traditionelle Unterscheidung zwischen Resultatsnomina und Ereignisnomina auf und zeigt anhand deverbaler Nomina, die zwischen beiden Lesarten ambig sind (vgl. (30)), Restriktionen bezüglich der Vererbbarkeit der Argumentstrukturen von Verben auf, die nur die Resultatsnomins betreffen. Resultatsnomina sind solche, die das Resultat des vom Verb bezeichneten Ereignisses bzw. das effizierte Objekt des Verbs bezeichnen (vgl. (30a)). Sie haben nach Grimshaw keine Argumentstrukturen. Ereignisnomina (vgl. (30b)) können dagegen die Argumentstrukturen der Basisverben erben: (30) (a) (b)

the examination/exam was long/ on the table. the examination / *exam of the patients took a long time/ *was on the table. (Beispiele aus Grimshaw 1990:49)

Allerdings verfügen auch nicht alle ereignisdenotierenden Nomina über Argumentstrukturen, sondern nur solche, die intern strukturierte Ereignisse bezeichnen. Diese nennt Grimshaw complex event nomináis (CENs), die anderen Ereignisnomina, die man als monolithisch bezeichnen könnte, nennt sie simple event nomináis (SENs).24 Zur Abgrenzung der CENs von den result nouns und SENs gibt Grimshaw eine ganze Batterie von Kriterien an, von denen die meisten auch für deutsche CENs einschlägig sind, z.B.: 22

Die Identifizierung des designierten Arguments mit dem referentiellen ist nicht spezifisch für Ereignisnominalisieningen, sondern betrifft die ganze Wortart Nomen. Notationen wie /Kasusi/Kasus2/... geben die lexikalisch festgelegten formalen Spezifizierungen der Argumente eines Lexems an. Die Reihenfolge entspricht dabei der Rangfolge der morphosyntaktischen Spezifizierungen in der Hierarchie Nom(inativ) > Akk(usativ) > Dat(iv) > Gen(itiv) > Präpositionen. Grimshaw gibt keine Definition des Begriffs 'simple event nominal' an. Aus ihren Beispielen lässt sich folgern, dass neben nicht-abgeleiteten Nomina wie event, trip und process (vgl. Grimshaw 1990: 59) auch deverbale Nomina wie translation, attempt, announcement, ... (vgl. Grimshaw 1990:95) eine Variante als SEN haben können.

22

a) Nicht-Pluralisierbarkeit (*seine Untersuchungen der Patienten dauerten Stunden vs. seine Untersuchungen wurden international rezipiert) b) Kombinierbarkeit mit konstant oder häufig im Singular25 (die häufige/konstante Wiederholung der Behauptung macht sie nicht wahrer vs. *der häufige Schlag/ die häufigen Schläge gegen den Kopf); c) Kombinierbarkeit mit Adverbien, die die Agenshandlung modifizieren (die absichtliche Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte vs. *die absichtliche Verletzung am Kopf): d) Kombinierbarkeit mit aspektuellen Modifikatoren (die Anfertigung eines Referates in 2 Stunden vs. *das Referat in zwei Stunden; die stundenlange Diskussion dieses Punkte vs. 71 das stundenlange Referat über Mülltrennung). Nominalisierte Gerundien sind nach Grimshaw im Englischen immer CENs. Da sich Nie im Deutschen in Bezug auf alle von Grimshaw aufgeführten Kriterien parallel zu den englischen nominalisierten Gerundien verhalten, sollte sich Grimshaws Generalisierung auch auf diese übertragen lassen. Wir werden aber in 1.2 sehen, dass sie zu stark ist, da Nie in bestimmten Kontexten eine SEN-Lesart erhalten. Das entscheidende Kriterium zur Identifizierung von Argumenten deverbaler Nomina ist bei Grimshaw ihre potentielle Obligatorik.26 Grimshaw geht nicht explizit auf die Frage ein, was die Obligatorik der Argumente von CENs determiniert, ihre Ausführungen deuten aber in die Richtung, dass obligatorische interne Argumente des Basisverbs beim abgeleiteten CEN ebenfalls obligatorisch sind. So weist sie mehrfach den Argumentstatus des Begleiters eines deverbalen Nomens dadurch nach, dass der entsprechende Begleiter weder beim Basisverb noch beim Nomen weglassbar ist, vgl. z.B. Grimshaw (1990: 51): (31) (a) (b)

The instructor's examination '"(of the papers) took a long time, The instructor examined *(the papers).

Für die ererbten Argumente eines CENs sind in der Argumentstruktur des Nomen dieselben Theta-Rollen spezifiziert wie beim Basisverb. Allerdings unterscheiden sich CENs von Verben nach Grimshaw dadurch, dass sie keine Kasuszuweiser sind, und auch in Bezug auf ihre Fähigkeit, Theta-Rollen zuzuweisen, defektiv sind. So stellt Grimshaw fest, dass eng-

25

Alexiadou (2001) weist daraufhin, dass von telischen/resultativen Verben abgeleitete Nomina im Singular nicht mit häufig kombiniert werden können. Sie fuhrt dies ohne nähere Erläuterung auf das analoge Verhalten von zählbaren Einheiten im Individuenbereich und telischen/resultativen Einheiten im Ereignisbereich bzw. von nicht-zählbaren und Stativen/durativen in den entsprechenden Domänen zurück (vgl. zu dieser Parallelität ausführlich Brinton 1995). Nie im Deutschen sind im Gegensatz zu -u/ig-Nominalisierungen immer durativ (vgl. dazu Ehrich 2002). Entsprechend sollten nach Alexiadou Nie von telischen/resultativen Verben im Gegensatz zu -tmg-Nominalisierungen im Singular mit häufig kombinierbar sein, diese Voraussage wird durch den folgenden Kontrast bestätigt: (i) *die häufige Renovierung der Wohnung (ii)das häufige Renovieren der Wohnung 26 Zur Obligatorik/ Fakultativität der Argumente von CENs vgl. Abschnitt 1.3 unten.

23 lische CENs ihrem Argument nur über semantisch transparente Präpositionen (so genannte 'theta transmitters'), z.B. of oder to, eine thematische Rolle zuweisen können.27 Aus der Annahme, dass Nomina Argumenten nur vermittels Präpositionen Theta-Rollen zuweisen können, folgt, dass sie prinzipiell keine DP- oder CP-Argumente haben können. Den satzwertigen Begleitern der Nomina in (32) wird also der Argumentstatus abgesprochen, vgl. Grimshaw (1990: 95). (32) (a) (b) (c)

Their assertion that the answer was obvious ... Their attempt to leave earlv ... Their request that he leave earlv ... 28

Die entsprechenden Nomina werden als SENs klassifiziert, die ja per definitionem keine Argumentstruktur haben. Die syntaktische und semantische Übereinstimmung dieser Begleiter mit den satzwertigen Ergänzungen der Basisverben erklärt Grimshaw damit, dass sie beim Nomen durch einen Partizipanten (ein Argument) in der lexikalisch-semantischen Repräsentation (Ics) lizenziert sind. Ein SEN wie attempt hat z.B. eine Ics wie in (33), vgl. Grimshaw (1990: 97): (33) attempt: [an] e[vent] such that χ attempts y (y an I) Der satzwertige Begleiter wird in dieser Repräsentation durch das y-Argument lizenziert. Die formale Identität des Begleiters mit dem des Verbs (man beachte, dass der Infinitivsatz in (32b) nicht durch einen durch that eingeleiteten Satz ersetzt werden kann) wird durch den Zusatz in Klammern gewährleistet, der festlegt, dass y vom "semantic type of infinitives like the one with attempt" ist.29 Diesen Typ nominaler Begleiter nennt Grimshaw complements. Complements sind auch die als pränomimaler Possessor realisierten internen Argumente der Basisverben bei den SENs30 in (34), vgl. Grimshaw (1990: 98), für die es im Deutschen keine Entsprechung gibt: (34) (a) (b) (c)

The man's murder was gruesome. The buildings construction was timely. Reagan's defeat was quick.

Auch bei diesen Begleitern kann es sich nicht um Argumente handeln, da interne Argumente ja nur über Präpositionen als Theta-Transmitter ihre thematische Rolle zugewiesen bekommen. Complements sind wiederum zu unterscheiden von Modifizierern, die nicht über Partizipanten in der les des Nomens lizenziert werden, sondern deren externes Argument mit dem

27

Diese Annahme ist sicher nicht unmittelbar auf das Deutsche (und andere Sprachen) übertragbar, 28 vgl. dazu die Diskussion in 1.1.2.2.1. Anhand der oben angegeben Kriterien wird jeweils nachgewiesen, dass es sich bei den Nomina in den Konstruktionen in (33) und (34) nicht um CENs handeln kann. Die hier implizierte Annahme, dass Infinitivsätze genau einem semantischem Typ entsprechen und umgekehrt, erscheint mir völlig ungerechtfertigt. 30 Siehe Fußnote 27.

24

externen (referentiellen) Argument des Nomens identifiziert wird.31 Typische Modifikatoren sind Possessoren bei nicht-relationalen Nomina (z.B. Peter's dog). Modifizierer haben mit complements gemeinsam, dass sie prinzipiell weglassbar sind, was beide von Argumenten unterscheidet. Complements teilen mit Argumenten die Eigenschaft, dass sie im Unterschied zu Modifizierem nicht aus der DP auslagerbar sind: (35) (a)

Argumente The constant assignment *(of unsolvable problems)/ *was of unsolvable problems

(b)

complements the attempt to leave early/ *was to leave early John's/the murder; *the murder was John's

(c)

Modifizierer John's dog / the dog was John's the book by/ about/ on Chomsky; the book was by/ about/ on Chomsky

Neben Argumenten, complements und Modifizierern gibt es nach Grimshaw noch einen vierten Typ von Begleitern bei deverbalen Ereignisnomina; vgl.: (36) (a) (b)

The teachers constant assignment of unsolvable problems The constant assignment of unsolvable problems by the teacher

Das als pränominaler Possessor oder fry-Phrase realisierte Agens-Argument des Basisverbs kann kein complement sein, da complements nur bei simple event nouns auftreten. Es kann aber auch kein Argument sein, da die Realisierung des Agens bei CENs prinzipiell fakultativ ist, die von Argumenten dagegen nicht. Es kann schließlich auch kein Modifizierer sein, da es einen Partizipanten der les realisiert und weder in der einen noch in der anderen Form aus der DP auslagerbar ist. Für diesen Begleitertyp prägt Grimshaw den Begriff argumentadjunct. Diese verhalten sich einerseits wie Adjunkte, weil sie keine Argumentstelle sättigen und daher grundsätzlich fakultativ sind, und andererseits wie Argumente, weil sie einen Bezug zu Argumentstruktur haben. Sie werden nämlich wie die ¿^-Phrasen passiver Verben durch eine unterdrückte Argumentposition in der Argumentstruktur lizenziert, vgl. Grimshaw (1990: 115ff): repress

(X (y)) Agens Thema

(b)

be repressed

(x-0 (y)) Agens Thema

(c)

repression

(x-0 (y)) Agens Thema

(37) (a)

31

Grimshaw stellt fest, dass auf diese Weise der Modifizierer modifiziert, was immer das Nomen denotiert, es wird aber nicht gezeigt, wie die Bedeutung von Peter's dog über die Identifikation der externen Argumente der beiden Nomina berechnet werden kann.

25 Die Unterdrückung der Argumentposition basiert nach einer ersten Hypothese Grimshaws bei der Passivform des Verbs und beim deverbalen Nomen auf demselben Prozess, d.h. sie unterliegt jeweils derselben Restriktion: Es muss beim zugrunde liegenden Verb ein externes Argument vorhanden sein.32 Nach dieser Hypothese ist bei Verben, die kein externes Argument haben, die Bildung des Passivs ebenso blockiert wie die von CEN. Dies betrifft die psychologischen Zustandsverben (s. Fußnote 29) und die unakkusativen Verben. Tatsächlich sind die folgenden CENs von psychologischen Zustandverben ausgeschlossen: (38) (a) (b) (c)

*The movies depressing of the audience *The audience's depressing by the movie "The depressing of the audience by the movie (Bspe. von Grimshaw 1990: 123)

Wie Grimshaw (1990: 122f) selbst feststellt, sind dagegen CENs von unakkusativen Verben im Englischen belegt, vgl.: (39) (a) (b)

The (rapid) melting of the ice The (rapid) freezing of the sea (Bspe. von Grimshaw 1990: 123)

Sie bietet daher die alternative Erklärung an, dass das externe Argument des Verbs beim CEN deshalb unterdrückt werden muss, weil das Nomen ein eigenes vom Verb abweichendes externes Argument ausbildet, das referentielle Argument. Wenn ein Verb kein externes Argument hat, ist die Argumentunterdrückung bei Bildung des CENs nicht erforderlich. Die Ungrammatikalität der Beispiele in (38) folgt aus der Bedingung, dass ein agentives argument adjunct durch ein unterdrücktes Agens-Argument lizenziert sein muss. Diskussion: Der von Grimshaw eingeführten Unterscheidung zwischen nur CENs und simple event und result nouns, von denen nur erstere intern strukturierte Ereignisse bezeichnen, und ihrer Annahme einer Korrelation zwischen Ereignis- und Argumentstruktur, verdankt der Ansatz seine große Popularität. In dem folgenden Exkurs werde ich zeigen, dass sich diese Annahme auch unabhängig motivieren lässt: Wie Blume (2000) und Engelberg (2000) ausführlich gezeigt haben, bezeichnen Verben intern strukturierte Ereignisse, wobei die Partizipanten am jeweils bezeichneten Ereignis nicht in jedes Teilereignis eingebunden sein müssen. So bezeichnet etwa das Verb jagen in einer Variante ein Ereignis mit zwei Teilereignissen, wobei im 32

Bei Grimshaw ist das exteme Argument als das Argument definiert, das in der Argumentstruktur sowohl thematisch als auch aspektuell die prominenteste Relation innehat. Agens-Argumente sind immer die prominentesten der Argumentstruktur. Argumentstrukturen, in denen das prominenteste thematische Argument nicht gleichzeitig das aspektuell prominenteste ist, sind nach Grimshaw die psychologischer Zustandsverben mit unbelebtem Thema-Argument wie z.B. frighten, depress, worry (vgl.: The storm frightens the children). Das prominenteste thematische Argument dieser Verben ist nach Grimshaw der Experiencer und das prominenteste aspektuelle das Thema, da es nach Grimshaws Analyse der VeruTsacher des Zustands ist Für eine Argumentation gegen die Analyse der Thema-Argumente von psychologischen Zustandsverben als Verursacher, vgl. Blume (2000: 151).

26 ersten Teilereignis Partizipant χ absichtlich etwas tut, das Partizipant y wahrnimmt und dem y entgehen will. Im zweiten Teilereignis Partizipant flüchtet y. Die beiden Teilereignisse finden zeitlich parallel statt. Auf beide Teilereignisse kann durch Modifikatoren Zugriffen werden, vgl.: (40) Schmidt jagt Meier mit Höchstgeschwindigkeit durch den Park. Die PP mit Höchstgeschwindigkeit in (40) kann entweder das erste Teilereignis oder das zweite Teilereignis modifizieren. Im ersten Fall bedeutet der Satz, dass Schmidt Meier mit Höchstgeschwindigkeit verfolgt; im zweiten Fall, dass Schmidt etwas tut, so dass Meier mit Höchstgeschwindigkeit flüchtet. Verben bezeichnen also intern strukturierte Ereignisse mit Teilereignissen, an denen eine lexikalisch spezifizierte Anzahl von Partizipanten auf unterschiedliche, ebenfalls lexikalisch spezifizierte Weise beteiligt ist. In Blume (2000) werden diese Situationsstrukturen (SIT-Ren) in Repräsentationen wie in (41) angegeben, die die Beteiligung der Partizipanten anhand der thematischen Rollen spezifizieren, die sie in ihnen einnehmen: (41) jag- SIT-R: s l [χ*™· * , y*™] o s2 [y^*·""] 33 SENs verhalten sich in dieser Hinsicht völlig anders: Sie bezeichnen intern nicht weiter spezifizierte Ereignisse (Monolithen), an denen eine beliebige Anzahl von Partizipanten in nahezu beliebiger Weise beteiligt sein kann. Das simple event noun Unfall kann ein Ereignis mit einem Partizipanten bezeichnen (ein Fußgänger stürzt), mit einem belebtem und einem unbelebten (jmdm. fällt ein Blumentopf auf den Kopf, jmd. tritt in eine Harke, jmd. fährt gegen einen Baum) oder mit dreien oder sehr vielen (belebten und unbelebten) Partizipanten (z.B. eine Massenkarambolage). Simple event nouns bezeichnen also wie CENs Ereignisse und haben daher temporale Ausdehnung, können zeitlich lokalisiert werden und involvieren auch Partizipanten, aber da die Ereignisse intern nicht strukturiert sind, implizieren sie keine festgelegte Anzahl von Partizipanten, die bestimmte Rollen innehaben. Folglich haben diese Nomina keine Argumentstrukturen. Result nomináis bezeichnen demgegenüber Objekte oder Resultatszustände des vom Verb bezeichneten Ereignisses, haben also ebenfalls keine Situationsstruktur und keine Argumentstruktur. Das Vorhandensein einer vom Verb ererbten Argumentstruktur geht bei Grimshaw einher mit Realisierungsforderungen für bestimmte Argumente, die vom abgeleiteten CEN ausgehen können. Tatsächlich haben wir im Vorfeld unserer Untersuchung die Beobachtung gemacht, dass entgegen verbreiteter Auffassung Argumente des Basisverbs beim NI nicht prinzipiell weglassbar sind, vgl. (42): (42) Meine Jacke ist schon wieder sauber. "Das Reinigen innerhalb von einer Stunde war natürlich entsprechend teuer.

33

Aus der Repräsentation geht hervor, dass χ im ersten Teilereignis Si die Proto-Agens-Rollen 'Kontrolle' und 'Aktivität' hat und y die Proto-Agens-Rolle 'Bewusstheit. Am zweiten, temporal parallelen Teilereignis s2 (angezeigt durch die Verknüpfung ' o ' ) ist χ nicht beteiligt und y hat die Proto-Agens-Eigenschaften 'Kontrolle' und 'Aktivität'. Die Proto-Rollen-Eigenschaften gehen auf Dowty (1991) zurück. Zu dem hier verwendeten Proto-Rollen-Modell vgl. Blume (2000: Kap. 6).

27 In bestimmten Kontexten ist das Argument beim selben NI dagegen ohne Weiteres weglassbar. Die entsprechenden Kontexte sind genau die, in denen Nie nicht auf konkrete Ereignisse referieren, sondern z.B. eine habituelle, genetische oder kontrastive Lesart haben vgl. (43): (43) Reinigen geht schneller als Waschen. Auf diese Fälle werde ich in 1.2 ausführlicher eingehen. An dieser Stelle ist es nur wichtig, festzuhalten, dass es entgegen Grimshaws Annahme keine deverbalen Nomina gibt, die in jedem Kontext CENs sind. Die Annahme, dass nur CENs, also Nomina, die wie Verben intern strukturierte Ereignisse bezeichnen, über Argumentstruktur verfügen können und dass somit auch nur von diesen Realisierungsforderungen für Argumente ausgehen können, ist dagegen sehr überzeugend und stellt eine zentrale Ausgangshypothese für die vorliegende Arbeit dar. Obwohl Grimshaws Ansatz sehr häufig zitiert wird, hat er doch kaum Anhänger gefunden. Dies wird hauptsächlich daran liegen, dass er durch seine dreifache Unterscheidung deverbaler Ereignisnomina und die Annahme von vier verschiedenen Mechanismen der Realisierung adnominaler Begleiter hochgradig komplex ist. Hinzu kommt, dass die unterschiedlichen Klassen der deverbalen Nomina nicht besonders klar voneinander abgegrenzt werden, was umso verwirrender ist, da einige Ableitungstypen, z.B. viele englische Nomina auf -ion, sich nicht nur einer Klasse zuordnen lassen, sondern ambig sind. Betrachten wir die beiden von Grimshaw neu eingeführten Mechanismen der Realisierung von Partizipanten, der von Nomina (simple event nouns und CENs) bezeichneten Ereignisse: 1. Argument adjuncts Es scheint, dass die Annahme der von Argumenten verschiedenen argument adjuncts einzig und allein durch die prinzipielle Fakultativität dieser Begleiter motiviert ist. Die Tatsache, dass (unter anderem) auch die Argumente relationaler Nomina generell weglassbar sind, zeigt, dass die Verfügbarkeit lexikalisch determinierter Realisierungsforderungen keine notwendige Bedingung für den Argumentstatus eines Begleitertyps ist. Zudem ist die Annahme, dass das externe Argument des Basisverbs in der Argumentstruktur des CENs unterdrückt werden muss, da das CEN ein vom Verb verschiedenes externes Argument hat, wenig überzeugend. Sie wird schon durch die von Grimshaw herangezogenen Daten widerlegt, denn psychologische Prädikate wie depress haben kein externes Argument, sollten also CENs ohne Agens-argument adjunct bilden. Grimshaw (1990: 121) stellt aber fest, dass Konstruktionen wie in (44a,b) ungrammatisch sind. Dieselbe Restriktion ist offensichtlich auch im Deutschen wirksam, vgl. (44 c,d): (44) (a) (b) (c) (d)

*the depressing of the patients *the worrying of the public *das Deprimieren der Patienten *das Interessieren der Öffentlichkeit

Betrachtet man das Deutsche, fällt zudem auf, dass psychologische Verben, die das Passiv bilden und vow-Phrasen erlauben, trotzdem die Bildung von CENs mit und ohne durchPhrase blockieren:

28 (45) (a) (b)

Das Kind wurde von seinen Klassenkameraden gemocht/ gehasst/ abgelehnt, *das Mögen/ Hassen/ Ablehnen des Kindes (durch die Klassenkameraden)

Diese Verben verhalten sich analog zu den oben analysierten psychologischen Zustandsverben, obwohl sie offensichtlich über ein externes Argument verfügen. Die Blockade der CENs scheint also eher durch aspektuelle Eigenschaften der Verben oder thematische Eigenschaften der Argumente ausgelöst zu werden. Es zeigt sich also, dass die Annahme der von Argumenten verschiedenen argument adjuncts nicht nur schlecht motiviert ist, sondern auch keinen Vorteil bei der Erklärung der Argumentrealisierungseigenschaften von CENs bringt. Zudem spricht gegen die AdjunktAnalyse, dass es gute Argumente für die Auffassung gibt, dass pränominale Possessoren zumindest im Deutschen Köpfe sind (s.o., 1.1.3) und somit gar keine Adjunkte sein können. 2. Complements Complements realisieren Partizipanten, die in die von SENs bezeichneten Ereignisse involviert sind. Betrachtet man die von Grimshaw zusammengestellten Beispiele, so können Complements als pränominale Possessoren, als postnominale semantisch transparente PPs oder als Sätze auftreten. Complements sind ein Begleitertyp, der auch in Grimshaws Theorie nicht bei Verben vorkommt, und es stellt sich wie oben in Bezug auf die argument adjuncts die Frage, ob die Annahme dieses Begleitertyps ausreichend motiviert ist, d.h. ob der Phänomenbereich der diesem Typ zugeordnet wird, tatsächlich eine homogene Klasse bildet, die sich von den Argumenten einerseits und den Modifikatoren andererseits abgrenzen lässt. Complements unterscheiden sich von Argumenten dadurch, dass ihnen keine Theta-Rollen zugewiesen werden, da SENs nicht über Argumentstrukturen verfügen, in denen diese spezifiziert werden können. Von Modifikatoren unterscheiden sie sich dadurch, dass sie mit einem Argument in der les des Nomens identifiziert werden, während das externe Argument eines Modifikators mit dem externen Argument des Nomens identifiziert wird. Was spricht aber dagegen, anzunehmen, dass auch Begleiter von simple event nouns, die als Ereignispartizipanten interpretiert werden, Modifikatoren sind? Schließlich können sich auch attributive Adjektive, die wohl eindeutig als Modifikatoren zu klassifizieren sind, auf nicht realisierte Ereignispartizipanten beziehen. (46) (a) (b)

ein ungewollter Mord ein tödlicher Schlag

Man könnte annehmen, dass prä- oder postnominale Begleiter Modifikatoren sind, die bei genuinen Nomina bevorzugt als Possessoren im eigentlichen Sinne interpretiert werden, während sie bei simple event nouns mit irgendeinem durch den Kontext nahe gelegten Referenten identifiziert werden. Dies können neben Ereignispartizipanten auch Partizipanten an einem übergeordneten Ereignis sein: (47) Petras Hochzeit -> das Ereignis, das darin bestand, dass Petra geheiratet hat das Ereignis, von dem Petra immer erzählt -> das Ereignis, das Petra gefilmt hat -> das Ereignis, das Petra plant

29 Nach Grimshaw ist die Auslagerbarkeit aus der DP ein Kriterium zur Unterscheidung von Modifikatoren und complements. Dieses Kriterium erlaubt aber nur die Unterscheidung der Possessoren im engen Sinne (vgl. (48a,b)) von allen anderen Begleitertypen in prä- oder postnominaler Position (vgl. (48 c-f)), dies gilt für das Deutsche ebenso wie für das Englische: (48) (a) (b) (c) (d) (e) (f)

Peter's dog/ the dog was Peter's mein Haus/ das Haus ist meins the man's murder/ *the murder was the man's das Verbrechen an den Kindern/ *das Verbrechen war an den Kindem Petras Hochzeit (die H., von der P. immer erzählt)/ ""die Hochzeit, die mir langsam zum Halse heraushängt, ist Petras (die H., von der P. immer erzählt) yesterday's announcement/ '"the announcement was yesterdays

Das von Grimshaw vorgeschlagene komplizierte System der Realisierung adnominaler Begleiter lässt sich entscheidend vereinfachen, wenn man die Mechanismen auf zwei reduziert: die wortarttypischen und die fur CENs mit ererbter Ereignis- und Argumentstruktur. Die wortarttypischen findet man in erster Linie bei genuinen relationalen Nomina. Ein relationales Nomen hat eine Argumentstruktur mit einer Position für das referentielle Argument und einer Argumentposition, die durch einen Possessor im engeren Sinne gesättigt wird (vgl (49a)). Die Realisierung des Possessors ist immer fakultativ. Grimshaws Annahme, dass Nomina keine thematischen Rollen zuweisen können, es sei denn, sie verfugen über vom Verb ererbte Ereignis- und Argumentstrukturen, bildet die zentrale Ausgangshypothese der vorliegenden Untersuchung.34 Dies ist nach der hier vertretenen Auffassung jedoch nicht mit der Annahme gleichzusetzen, dass genuine Nomina keine Argumente haben können. Relationale Nomina fordern Argumente, weisen ihnen aber nicht in der in (41) exemplifizierten Weise thematische Rollen zu. Possessoren können als pränominales Possessivpronomen realisiert werden oder als Genitiv-Attribut. In diesen Positionen können bei genuinen Nomina und allen abgeleiteten Nomina außer CENs aber auch Possessoren im weiteren Sinne und andere Modifikatoren mit beliebiger kontextinduzierter Interpretation vorkommen (vgl. (49b-d)). (49) (a) (b) (c) (d) (e) (f)

Vaters Tante/ die Tante meines Vaters mein Vater ist der Neffe der Frau Du immer mit deinen Tanten! deine Art, alle Frauen als Tanten zu bezeichnen Und, hast du deine Tante endlich gefunden? die Frau, die du für die Rolle der Tante suchst Die Tante meines Freundes/ von meinem Freund ist viel besser geraten als meine. -> Die Figur, die der Freund gemalt/ erfunden hat. die Mutter des Jahres der Liebhaber deiner Träume

Deverbale Nomina, die keine Argumente der Basisverben erben, realisieren ihre Begleiter nach dem wortarttypischen Modus. Begleiter in pränominaler oder postnominaler Position

34

Vgl. für eine abweichende Position Barker/ Dowty (1993).

30 können als Possessor im engeren Sinne interpretiert werden, als beliebige Partizipanten am bezeichneten Ereignis oder als Modifíkatoren: (50) (a) (b)

seine Rede die Rede, deren Autor er ist (Besitzrelation)/ die er gehalten hat/ die zu seinen Ehren gehalten wurde/ von der er erzählt hat etc. die Rede des Jahres/ eine Rede der Spitzenklasse

Die Interpretationen in (50a) werden nicht durch Zuweisung thematischer Rollen an den entsprechenden Begleiter erzielt, sondern durch den Interpretationsspielraum, den Possessoren im Allgemeinen erlauben. Ich gehe mit Fanselow (1989: 106) davon aus, dass "the correct interpretation [...] can be computed by applying the semantic operation of inducing a prominent relation from the meaning of one of the parts of the construction".33 Jedes Nomen kann nur einen Possessor als Begleiter haben (vgl. (51a)), ein pränominaler Possessor und sogar ein postnominaler Possessor36 kann jedoch zusammen mit einem Modifikator in der Position des Genitiv-Attributs vorkommen (vgl. (51c,d)): (51) (a) (b) (c) (d)

""Seine Tante meines Vater/ ""seine Rede meines Vaters die Erkenntnis des Jahres/ die Bastelabende der Vorweihnachtszeit Petras Erkenntnis des Jahres/ unsere Bastelabende der Vorweihnachtszeit. Der Kanzler des Vertrauens der Westdeutschen ist der Kanzler der Lüge der Ostdeutschen. 37

Bei CENs sind die Position des pränominalen Possessors und die des postnominalen Genitiv-Attributs Argumentpositionen, Modifíkatoren sind daher in diesen Positionen ausgeschlossen. Dies lässt sich besonders an den Begleitern von NIen demonstrieren, die ja außer in speziellen Kontexten immer CENs sind: (52) (a) (b) (c)

35

Die Klinikleitung verspricht den Patienten einen Service der Spitzenklasse. ""Von einem Betreuen der Spitzenklasse habe ich in diesem Krankenhaus nichts gemerkt. ""ihr friedliches Zusammensitzen der Vorweihnachtszeit

Fanselow nimmt an, dass Argumentvererbung nur dort stattfindet, wo der Ableitungsprozess nicht mit einer Veränderung der Bedeutung des Basisverbs einhergeht, also eben bei NIen und -ungNominalisierungen. Diese Auffassung ist mit der hier vertretenen kompatibel. Ich danke Gisbert Fanselow für die entsprechenden Daten und zusätzliche Daten, die belegen, dass auch zwei Modifíkatoren als Genitiv-Attribute problemlos kombinierbar sind. Alexiadou (2001: 112ff) nimmt an, dass complex event nomináis prinzipiell unakkusativ sind: Teilereignisse, die einen Agens-Partizipanten involvieren, sind aus ihrer lexikalischen Struktur getilgt, entsprechend können sie auch nicht durch agensbezogene Adverbiale modifiziert werden. Dies trifft jedoch auf deutsche Nie von agentiven Verben nicht zu, vgl. den folgenden Kontrast zwischen der Medium-Variante von öffnen und dem von der transitiven Variante abgeleiteten NI: (i) *Die Tür öffnet und schließt sich absichtlich so schnell, um Heizkosten zu sparen. (ii) Durch das geschickte Öffnen des Tresors wurden Spuren am Schloss vermieden.

31 Auch Possessoren, die ja bei nicht-relationalen Nomina nach unserer Auffassung immer Modifikatoren sind,38 können bei CENs nicht auftreten. Entsprechend sind die Begleiter von CENs nicht aus der DP auszulagern. (53) (a) (b)

"Das laute Rülpsen im Unterricht war Lottes, Der laute Schrei im Unterricht war Lottes.

Die beiden Argumentpositionen der CENs können gleichzeitig durch verschiedene Begleiter gefüllt werden, vgl. (54a,b). Dasselbe ist bei SENs nicht möglich, selbst wenn diese auf Ereignispartizipanten referieren, vgl. (54c,d). Allerdings ist es möglich, einen weiteren Partizipanten durch eine PP mit transparenter Präposition zu realisieren, vgl. (54e). (54) (a) (b) (c) (d) (e)

Petras langatmige Erklärung der Aufgabe Petras langatmiges Erklären der Aufgabe Petras Audienz die Audienz des Papstes Petras Audienz *des Papstes/ beim Papst

Ein letzter Kritikpunkt an Grimshaws Ansatz betrifft ihre Annahme, dass Nomina keine morpho-syntaktischen Merkmale ihrer Begleiter fordern können. Zumindest für das Deutsche trifft diese Annahme nicht zu, denn wie die Daten in (55a-c) belegen, können Nomina Präpositionen regieren. Deverbale SENs selegieren hin und wieder idiosynkratische Präpositionen (vgl. (55a)) und können idiosynkratische Präpositionen der Basisverben nicht immer übernehmen (vgl. (55b)), bei CENs verhält es sich dagegen genau umgekehrt (vgl. (55c,d)). (55) (a) (b) (c) (d)

der Hass auf/ das Interesse an/ das Angebot an/ die Hilfe für/ die Furcht vor der Glaube an/ *Das Leid unter das Glauben an/ Das Leiden unter/ das Warten auf *das Sich-Interessieren an/ *das Anbieten an/ *das Helfen für

Fazit: Wir nehmen mit Grimshaw an, dass einige deverbale Ereignisnomina auf intern strukturierte Ereignisse referieren. Diese werden als complex event nomináis (CENs) bezeichnet. Diese und nur diese Ereignisnomina erben die Argumentstrukturen der Basisverben. Ereignisnomina, die keine Situationsstruktur haben, nennen wir mit Grimshaw simple event nomináis bzw. result nomináis. Manche Nomina sind ambig zwischen beiden Erscheinungsformen, wobei zwischen diesen nur anhand der oben (S. 23) aufgelisteten Krite-

38

Partee und Borschev (2000) entwickeln in ihrer sprachübergreifenden Studie zum Status prä- und postnominaler Begleiter genuiner Substantive einen Vorschlag, nach dem Possessoren im eigentlichen Sinne Argumente sind. Aber auch die hier vertretene Position erscheint ihnen nicht unplausibel, wie ihre Schlussworte zeigen: "The line between arguments and modifiers is not intrinsically sharp in terms of 'what is being expressed', and can only be investigated in theoiydependent ways. It will be hard to find shaip differences between a theory in which the genitive construction contributes a 'possessive' relation and a theory in which the genitive construction causes the head Ν or N-bar to shift to a relational interpretation possibly involving a 'possessive' relation as one of its 'preferred' relations. At this point we see more hope for a unified approach which takes all genitives as modifiers than for one which analyses all genitives as arguments."

32 rien disambiguiert werden kann. Nie sind in der Regel CENs. Sie erhalten nur in einigen leicht zu identifizierenden Kontexten eine SEN-Lesart (vgl. dazu 1.2). Im Unterschied zu Grimshaw nehmen wir nur zwei Typen der Realisierung adnominaler Begleiter an: Argumentrealisierung und Modifikation. Als Argumente genuiner relationaler Nomina kommen nur Possessoren im engen Sinne in Frage. Bei nicht-relationalen genuinen Nomina sowie bei SENs können in prä- oder postnominaler Position nur Modifikatoren auftreten, die u.a. als Possessoren im engen Sinne oder Partizipanten des bezeichneten oder eines übergeordneten Ereignisses interpretiert werden können. Possessoren bzw. Ereignispartizipanten können bei einem SEN nur jeweils in einer der beiden Positionen realisiert werden. Zusätzlich können noch weitere Ereignispartizipanten als PPs mit semantisch transparenten oder idiosynkratischen Präpositionen auftreten. CENs erlauben in prä- oder postnominaler Position nur die Realisierung der vom Verb ererbten Argumente. Modifikatoren können in diesen Positionen bei CENs nicht erscheinen. Im Unterschied zu SENs erlauben sie die gleichzeitige Besetzung beider Positionen durch verschiedene Argumente. Auch was die Fähigkeit von Nomina betrifft, Argumenten morpho-syntaktische Merkmale zuzuweisen, weichen wir von Grimshaws Auffassung ab: Nomina haben die Fähigkeit, Präpositionen oder bestimmte satzwertige Begleiter zu regieren. Deverbale SENs können entweder idiosynkratische Präpositionen regieren oder Forderungen nach bestimmten Präpositionen vom Basisverb erben. Die Restriktion, dass nur CENs die kompletten Argumentstrukturen vom Basisverb erben können, lässt sich darauf zurückfuhren, dass nur diese Nomina die Situationsstrukturen der Verben erben, in denen die thematischen Rollen der Argumente für Teilereignisse spezifiziert sind. Da Nomina keine Kasus regieren, ist die Identifizierung der ererbten, für Kasus spezifizierten Argumente des Basisverbs nur anhand ihrer Distribution auf die Argumentpositionen des Nomens möglich. Diese unterliegt noch zu bestimmenden semantischen Restriktionen.

1.1.2.3 Semantisches Linking: Ehrich/Rapp 2000; Ehrich 2002 Das Hauptanliegen des Ansatzes von Ehrich/Rapp (2000) ist es, nachzuweisen, dass die syntaktische Realisierung des bzw. der ererbten Argumente eines deverbalen Nomens allein aus der Art der Einbettung der Argumente innerhalb der lexikalischen Dekompositionsstruktur abgeleitet werden kann. Sie nennen dies 'semantisches Linking'. Dieser Begriff ist jedoch irreführend, da in den Argumentstrukturen der Nomina nicht wie etwa bei Bierwisch (1989) thematische Rollen mit morpho-syntaktischen Markern gelinkt bzw. koindiziert sind. Ehrich/Rapps Modell zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die Argumentstrukturen von Nomina keine Subkategorisierungseigenschaften enthalten.39 Die Untersuchung beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit deutschen -wng-Nominalisierungen, die vierfach ambig sein können zwischen den folgenden Sorten, die durch verschiedene semantische Operationen auf der lexikalischen Bedeutungsstruktur des Basisverbs abgeleitet werden: 39

Linkingmodelle für (deverbale) Nomina im eigentliche Sinne sind demgegenüber die Ansätze von Barker/Dowty (1993) und der von Nunes (1993).

33

1. 2. 3. 4.

Prozess-Nominalisierungen (atelisch) Ereignis-Nominalisierungen (telisch) Resultatszustands-Nominalisierungen Resultat-Objekt-Nominalisierungen

Die Möglichkeit der Ableitung eines vierfach polysemen -««g-Derivats wird durch das folgende Beispiel illustriert, vgl. Ehrich/Rapp (2000:267): (56) (a) (b) (c) (d)

Er ist bei der Bemalung der Wand vom Stuhl gefallen. (Prozess: P-NOM) Nach der Bemalung der Wand sind die Kinder davongelaufen. (Ereignis: ERNOM) Die Bemalung der Wand besteht unverändert fort. (Resultatszustand: RZNOM) Der Hausmeister hat die Bemalung der Wand entfernt. (Resultat-Objekt: RONOM)

Die unterschiedlichen Lesarten können anhand der folgenden Kriterien disambiguiert werden: Die Referenten von RO-NOMs bezeichnen Objekte und können deshalb physischer Veränderung unterliegen (vgl. die Bemalung der Wand ist verwittert). P-NOMs erlauben Verlaufsmodifikation, sie sind mit Verben kombinierbar, die sich auf bestimmte Teilabschnitte der bezeichneten Vorgänge beziehen (vgl. die Bemalung der Wand beginnt/ wird abgebrochen/ wird fortgesetzt)·, P-NOMs sind außerdem mit Durativspezifikationen kombinierbar (vgl. die stundenlange Bemalung der Wand). ER-NOMs erlauben wie P-NOMs die Verlaufsmodifikation, lassen sich aber im Unterschied zu diesen mit Rahmenprädikaten wie innerhalb von zwei Stunden kombinieren (vgl. die Bemalung der Wand innerhalb von einer Stunde). RZ-NOMs können mit Durativspezifikationen und mit stationären Prädikaten wie z.B. bestehen bleiben kombiniert werden. Die lexikalisch-semantische Bedeutungsstruktur eines -ung-Nomens entspricht entweder der Dekompositionsstruktur des Basisverbs oder ist durch bestimmte semantische Operationen von dieser abgeleitet. Die aspektuellen Informationen leiten sich aus der Kombination der Basisprädikate ab, die in der lexikalischen Struktur eines Lexems enthalten sind: DO40 und BEC sowie alle Prädikate, die unter BEC eingebettet sind, entsprechen Prozessen, POSS, BE und APPL entsprechen Zuständen. Wird ein DO-Prädikat mit einem BECPrädikat koordiniert, so besteht qua Bedeutungspostulat zwischen den beiden Konjunkten eine Verursachungsrelation. Die resultierende Struktur ist also kausativ und entspricht einem Ereignis. Die aspektuellen Informationen werden zudem durch unterschiedliche Situationsargumenttypen in den lexikalischen Strukturen verzeichnet: V steht fur Prozess, 's' für Zustand und 'e' für Ereignis. So ergibt sich die mehrfache Ambiguität von Bemalung aus der aspektuell komplexen Dekompositionsstruktur des Applikatiwerbs bemalen. Bemalen bezeichnet nach Ehrich/Rapp ein Ereignis, das intern in einen Prozess und einen Resultatszustand gegliedert ist, vgl. Ehrich/Rapp (2000: 287):

40

Die Prädikate sind folgendermaßen zu lesen: DO - 'do' (Aktivitäten); BE = 'be' (Zustandsprädikat); BEC = 'become' (Zustandsveränderung); POSS = 'possess' (Besitzrelation); APPL = 'apply1.

34 (57) bemalen·, λγ λχ λβ [DO ((χ,y) r) & BEC ((APPL ((ζ,y) s) e)] 41 Die Struktur drückt aus, dass ein Partizipant χ eine Handlung an einem Partizipanten y (die zu bemalende Fläche) ausführt, wobei Partizipant ζ (das aufgetragene Material) auf y appliziert wird. Die Argumentstruktur eines Lexems enthält jeweils nur ein Situationsargument, unabhängig davon, in wie viele Situationstypen sich die Dekompositionsstruktur gliedert. Unter den Situationsargumenten in der lexikalischen Struktur eines Verbs wird jeweils das ranghöchste der aktionalen Hierarchie e > r > s auf den Gesamtvorgang projiziert. Die relative Anordnung der beiden Argumente eines mehrstelligen Prädikats wird durch thematische Hierarchien determiniert: Beim DO-Prädikat ist das Agens-Argument das strukturell höhere und beim APPL-Prädikat ist das Applikatum strukturell höher als das Relatum. Nach Ehrich/Rapp steht innerhalb der DP nur die Position des Genitiv-Attributs zur Realisierung adnominaler Argumente zur Verfügung. Wie Grimshaw (1990) gehen sie davon aus, dass Partizipanten, die als pränominale Possessoren realisiert werden, Argument-Adjunkte sind. Den in (54) aufgeführten Lesarten von Bemalung entsprechen nun die folgenden lexikalischen Strukturen, die sich alle regulär aus der lexikalischen Struktur von bemalen (vgl. (55)) ableiten lassen: (58) (a) (b) (c) (d)

Bemalung Bemalung Bemalung Bemalung

{ER-NOM): (P-NOM): (RZ-NOM): (RO-NOM):

(Xy) λε [DO ((x,y) r) & BEC ((APPL ((z,y) s) e)] (λγ) (λχ) λΓ [DO ((χ,y) r)]42 (λγ) Xs [DO ((x,y) r) & BEC ((APPL ((z,y) s) e)] (Xy) λζ [DO ((x,y) r) & BEC ((APPL ((z,y) s) e)]

Die Ereignislesart resultiert daraus, dass das Nomen die lexikalische Struktur des Basisverbs übernimmt. Die P-NOM-Lesart wird dadurch erzielt, dass nur das erste Konjunkt der lexikalischen Struktur des Basisverbs übernommen wird. Auch bei der RZ-NOM-Lesart stimmt die lexikalische Struktur komplett mit der des Basisverbs überein, nur das referentielle Argument des abgeleiteten Nomens ist im Gegensatz zu dem des Verbs ein Zustandsargument. Jede der drei Lesarten kann nur dann erzeugt werden, wenn das Basisverb über das entsprechende Situationsargument in seiner lexikalischen Struktur verfugt. Da Bemalung ein komplexes Ereignis bezeichnet, das sowohl einen Prozess als auch einen Zustand beinhaltet, ist es in aspektueller Hinsicht dreifach ambig. Die Resultat-Objekt-Lesart, die im Folgenden ignoriert wird, resultiert aus der Identifizierung des affizierten Thema-Arguments des Verbs mit dem referentiellen Argument des Nomens.

41

'DO' kann sowohl ein einstelliges als auch ein zweistelliges Prädikat sein, je nachdem wie viel Partizipanten in den jeweils durch die Verbbedeutung implizierten Prozess involviert sind. Da Prädikate unter anderem durch ihre Stelligkeit definiert sind, müsste man streng genommen zwei verschiedene Prädikate für Agens-Aktivitäten annehmen. Argumentpositionen in runden Klammern können fakultativ realisiert werden. Die hier angegebene lexikalische Struktur soll so verstanden werden, dass entweder das x-Argument oder das yArgument fakultativ als Genitiv-Attribut realisiert werden kann. Um dies eindeutig zu repräsentieren, müsste man mindestens 2 Argumentstrukturen angeben, in denen jeweils nur eines der beiden fakultativ zu realisierenden Argumente spezifiziert ist, denn die Struktur in (56b) schließt die durch die Theorie nicht vorgesehene gleichzeitige Realisierung beider Argumente als GenitivAttribut nicht aus

35 Welches der thematischen Argumente des Basisverbs nun beim Nomen realisiert werden kann, folgt ganz automatisch aus der Einbettungstiefe des Arguments in die lexikalischsemantischen Struktur (LSS), vgl. Ehrich/Rapp (2000: 276): Regel zur Argumentstruktur von -ung-Nominalisierungen (a) Enthält die LSS kein Zustandsveränderungsprädikat, so treten alle thematischen Argumente in der AS [Argumentstruktur] auf. (b) Enthält die LSS ein Zustandsveränderungsprädikat, so tritt neben dem Situationsargument nur das rangniedrigste effizierte Argument in der AS auf.

Angewendet auf (58a) und (58b) greift die Regel das y-Argument aus der LSS heraus, da es das Argument ist, das am tiefsten unter BEC eingebettet ist. (58b) enthält kein Zustandsveränderungsprädikat, fallt also unter Teilregel (a). Bei -u/ig-Nomina mit dieser Interpretation kann jedes der Argumente des Basisverbs realisiert werden, jedoch im Gegensatz zu dem, was die Regel vorhersagt, jeweils nur ein Argument pro NP. Eine Zusatzregel fìir Nominalisierungen, die unter (a) fallen, legt fest, dass das Genitiv-Attribut präferiert als das rangniedrigste Argument in der LSS interpretiert wird, wenn der Kontext keine andere Interpretation nahe legt. Durch die Regel wird ausgeschlossen, dass bei -M«g-Nomina mit Ereignis- oder Resultatszustand-Lesart das Subjekt des Basisverbs als Genitiv-Attribut realisiert werden kann, während dies bei der Nominalisierung mit Prozess-Lesart möglich sein sollte: (59) (a) (b) (c) (d)

*die Bemalung meiner Tochter in drei Stunden (Tochter als Agens) "die stundenlange Bemalung meiner Tochter Das Zimmer müssen wir renovieren. ?Die stundenlange Bemalung meiner Tochter hat die Tapete ruiniert. Das Zimmer wird nicht renoviert. '"Die Bemalung meiner Tochter bleibt bestehen.

Die Beispiele in (59) bestätigen die Voraussagen der Argumentstrukturregel. Es zeigt sich auch, dass bei P-NOMs die Interpretation des Genitiv-Attributs als rangniedrigstes Argument (in (58b) das y-Argument) präferiert ist, vgl. (59b), es sei denn der Kontext erzwingt eine andere Interpretation, vgl. (59c). Es fragt sich nun, welche Voraussagen, die Theorie fur die Argumentrealisierung bei NIen macht. Nach Ehrich (2002) referieren Nie grundsätzlich auf Prozesse, vgl. (60b). (60) (a) (b) (c) (d)

'"die einstündige Füllung des Zahns/ Ausgrabung der Mumie/ Überquerung des Flusses das stundenlange Füllen des Zahns/ Ausgraben der Mumie/ Überqueren des Flusses die Füllung des Zahns/ Ausgrabung der Mumie/ Überquerung des Flusses innerhalb einer Stunde 'das Füllen des Zahns/ Ausgraben der Mumie/ Überqueren des Flusses innerhalb einer Stunde (Bspe. und Grammatikalitätsbewertungen von Ehrich 2002:78ίϊ)

Werden sie von Verben abgeleitet, deren LSS ein Zustandsveränderungsprädikat enthält, so wird dieses nicht wie in (58b) getilgt, denn die aspektuelle Information des Basisverbs

36 bleibt erhalten, vgl. (60d). Das referentielle Argument des NIs ist immer ein r-Argument. Der NI Bemalen hätte also die folgende LSS: (61) Bemalen (P-NOM):

(Xy) Xi [DO ((x,y) r) & BEC ((APPL ((z,y) s) e)]43

Nach Ehrich ist der Resultatszustand bei NIen von Accomplishments und Achievements nicht gleichermaßen als Bezugssituation für übergeordnete Ereignisse verfügbar wie bei -««g-Nomina: (62) (a) (b)

Nach der Zerstörung der Grabmale flüchteten die Täter, "Nach dem Zerstören der Grabmale flüchteten die Täter.

Die Argumentstrukturregeln, die Ehrich (2002: 87) für Nie annimmt, besagen, dass generell das rangniedrigste Argument, das unter BEC eingebettet ist, bevorzugt realisiert wird. Diskussion: Den härtesten Testfall für Ehrich/Rapps rein semantischen Argumentrealisierungsansatz stellen Nominalisierungen von Verben mit idiosynkratischen Kasus dar. Ehrich/Rapp haben den Anspruch nachzuweisen, dass ihr Ansatz diese Fälle ohne Rückgriff auf die Subkategorisierungseigenschaften der Basisverben erfassen kann. Sie gehen davon aus, dass die Kasuswahl bei einem Verb wie zustimmen nicht idiosynkratisch, sondern semantisch motiviert ist. Dieselben semantischen Eigenschaften, die die Kasuswahl beim Verb determinieren, verhindern nach ihrer Auffassung auch die Realisierung des entsprechenden Arguments beim Nomen. (63) (a) (b) (c) (d)

Sie befürwortet den Vorschlag. die Befürwortung des Vorschlags Sie stimmt dem Vorschlag zu ""die Zustimmung des Vorschlags

Dies setzt voraus, dass zwischen befiirworten und zustimmen ein semantischer Unterschied besteht, der die unterschiedliche Kasuswahl rechtfertigt. Nach Ehrich/Rapp ist zustimmen im Gegensatz zu befiirworten ein benefaktives Verb, das eine Handlung bezeichnet, die einer Person zugute kommt. Die Person müsse entweder direkt genannt oder erschlossen werden können. Aus diesem Grund nehmen sie für das Verb eine Dekompositionsstruktur an, die ein POSS-Prädikat einbettet. Das POSS-Prädikat steht auch für Empfindungen und Wahrnehmungen. Sein ranghöheres Argument ist der Experiencer oder Possessor, das rangniedrigere das Thema oder Possessum. Zustimmen wird also als kausatives Verb mit einem Benefizienten analysiert, befiirworten dagegen als activity-Verb mit einem Propositions-Argument (p), vgl. (Ehrich/ Rapp 2000: 272): (64) (a) (b)

zustimmen: λχ Xy Xe [DO ((x) r) & BEC ((POSS ((y,z) s)) e)] befiirworten·. λχ λρ Χτ [DO ((χ,ρ) r)]

43

Die Dekompositionsstnikturen bei Ehrich (2002) unterscheiden sich von denen bei Ehrich/Rapp (2000) in Bezug auf das Inventar der Basisprädikate und die Repräsentation der Kausativität. Hier wird ausschließlich das Repräsentationsformat aus Ehrich/Rapp (2000) verwendet. Dass Sie stimmte dem Vorschlag zu mit 'Sie stimmte dem Vorschlagenden zu' gleichgesetzt werden kann, wie Ehrich/Rapp (2000: 272) behaupten, halte ich für zweifelhaft.

37

Die Besonderheit bei zustimmen ist, dass das z-Argument implizit bleiben muss. Das y-Argument wird beim Verb ganz regulär wie alle mittleren Argumente im Dativ realisiert. Da bei -ung-Nomina nur das rangniedrigste Argument des Zustandsprädikats (falls vorhanden) realisiert werden kann, ergibt sich ebenfalls ganz regulär, dass dieses Argument nicht an das Nomen vererbt werden kann, denn es ist ja in der AS des Basis verbs nicht enthalten. Die Analyse ist jedoch wenig überzeugend: Zweistellige Verben wie favorisieren, begünstigen und protegieren, die ebenfalls (und sehr viel klarer) einen Benefizienten als Partizipanten implizieren, fordern den Akkusativ und nicht den Dativ und lassen, soweit -««^-Ableitungen möglich sind - auch die Realisierung dieser Partizipanten als GenitivAttribut zu. Ein weiteres Problem ergibt sich bei daraus, dass polyseme -ung-Nomina mit Prozessund Ereignislesart sehr verschiedene Bedeutungsrepräsentationen haben, die nur im ersten Konjunkt, dem DO-Prädikat mit seinen Argumenten, übereinstimmen. Die beiden Lesarten von Kürzung, die mit verschiedenen Argumentrealisierungsoptionen korrespondieren, resultieren z.B. aus den unterschiedlichen LSSen, die der telischen und atelischen Variante des Basisverbs entsprechen, vgl. (65b,c). Dieselben Bedeutungsvariationen findet man nach Ehrich/ Rapp bei vielen Modifikationsverben, wie z.B. renovieren, umgestalten und verändern. (65) (a)

kürzen Xy λχ λβ [DO ((x,y) r) & BEC ((BE ((y) s)) e)]

(b)

Kürzung (der Artikels) (E-NOM) (Xy) Xe [DO ((x,y) r) & BEC ((BE ((y) s)) e)]

(c)

Kürzung (des Redakteurs)/( des Artikels) (P-NOM) (Xy) (λχ) λτ [DO ((χ,y) r)]

Nur bei der telischen Variante des Verbs bzw. der -ung-Nominalisierung ist nach (65) eine Zustandsveränderung des Thema-Arguments impliziert, bei der atelischen dagegen nicht. Demnach sollte keiner der Sätze in (66) in sich widersprüchlich sein. Tatsächlich kann aber jeder der Sätze nur als ironisch gemeint interpretiert werden, was dafür spricht, dass sowohl die ER-NOM als auch die P-NOM von Kürzung eine Zustandsveränderung impliziert.45 (66) (a) (b) (c)

Nach der stundenlangen Kürzung des Redakteurs war der Artikel genauso lang wie vorher. Nach der stundenlangen Kürzung des Artikels war er genauso lang wie vorher. Nach der Kürzung des Artikels in nur 10 Minuten war er genauso lang wie vorher.

Auf der Repräsentation der aspektuellen Unterschiede von ER- und P-NOMs anhand der An· bzw. Abwesenheit von Zustandsveränderungsprädikaten in der LS basieren in Ehrich/ 45

Dasselbe lässt sich nicht für die ER- und P-Varianten der -ung-Derivate von Bearbeitungsverben nachweisen, da Ehrich/Rapp für diese Verben Dekompositionsstrukturen annehmen, die Basisprädikate enthalten, die weder durch die Bedeutung der telischen noch der atelischen Verben impliziert sind. So ist durch bearbeiten beispielsweise nicht impliziert, dass dabei etwas Materielles entsteht. Entsprechend ergibt sich auch kein Widerspruch, wenn die Entstehung einer materiellen Manifestation der Bearbeitung im Kontext negiert wird.

38 Rapps Modell die Vorhersagen bezüglich der Realisierbarkeit des Subjekts transitiver Basisverben bei -ung-Nomina. 6 Die folgenden -«ng-Nominalisierungen von resultativen Verben haben eine P-NOM-Lesart und erlauben daher nach Ehrich/Rapp (2000: 280) die Realisierung des Subjekts des Basisverbs als Genitivattribut: (67)

(a)

Investigationsverben Die Ausfragung der Polizei Die Ausforschung des Anwalts Die Beobachtung des Astronomen Die Durchsuchung der Grenzer Die Prüfung des Rechnungshofes

(b)

Betreuungs-/ Behandlungsverben Die Belehrung des Professors Die Beratung der Experten Die Versorgung der Eltern

(c)

Kampfverben Die Belagerung der Feinde Die Bombardierung der Luftwaffe Die Verfolgung der Angreifer

Gehen wir mit Ehrich/Rapp davon aus, dass alle diese Beispiele unter der intendierten Interpretation voll akzeptabel sind (was m.E. nicht der Fall ist), so gibt es doch eine angemessenere Erklärung der Daten, die nicht auf die oben kritisierte Tilgung von Komponenten der LSS des Basisverbs angewiesen ist. Da alle diese Nomina sich anhand des von Grimshaw vorgeschlagenen Kriteriums als simple event nominal erweisen, vgl. (68) können wir davon ausgehen, dass es sich bei den Partizipanten nicht um Agens-Argumente, sondern um Possessoren mit agentiver Interpretation handelt (vgl. (68d)). (68) (a) (b) (c) (d)

'"die häufige Befragung/ Ausforschung/ Beobachtung/ Prüfung des Richters 47 *die ständige Beratung/ Belehrung der Experten ""die wiederholte Belagerung/ Bombardierung/ Verfolgung der Feinde Wir sprechen von der Befragimg/ Prüfung des Richters, nicht von meiner.

Zu dieser Beobachtung passt, dass einige der -««g-Derivate, die nach Ehrich/Rapp keine PNOM-Lesart haben, im Plural trotzdem die Realisierung eines Genitiv-Attributs zulassen, das mit dem Subjekt des Basisverbs assoziiert werden kann (pluralisiert werden können ja nur SENs):

46

47

Ehrich (2002) nimmt an, dass bei NIen prinzipiell nur das rangniedrigste Argument realisiert werden kann. Für die vorliegende Untersuchung ist die Diskussion der Argumentrealisierungseigenschaften der -ung-Derivate trotzdem relevant, da gezeigt werden soll, dass sie besser durch eine Unterscheidung der complex- bzw. simple-event-Lesart der entsprechenden Nomina erklärt werden können. Die Unterscheidung dieser Lesarten spielt, wie sich herausstellen wird, auch für die Argumentrealisierung bei NIen eine Rolle. Natürlich sind alle diese Ausdrucke voll akzeptabel, wenn das Genitiv-Attribut mit dem Thema-/ Patiens-Partizipanten assoziiert wird.

39 (69) (a) (b) (c)

die Absetzungen des Kanzlers die Hinrichtungen des Scharfrichters die Ausgrabungen des Forschers

Ehrich/Rapp stellen fest, dass der Begleiter der von Vernichtungsverben abgeleiteten Nomina aus konzeptuellen Gründen nicht als Thema interpretiert werden kann, wenn das Nomen im Plural erscheint, da jedes Ding nur einmal vernichtet werden kann. Daher kann der Begleiter nur als Agens interpretiert werden. Nichtsdestotrotz sollte die Realisierung des Agens als Argument bei diesen Nomina ungrammatisch sein, da nach der Argumentstrukturregel das Argument nicht in der AS enthalten ist. Ähnlich ist bei Verben die Realisierung eines Arguments, das in der Bedeutungsstruktur vorhanden ist, für das aber keine Argumentposition verfügbar ist, ausgeschlossen, vgl. *Sie lügt diese Unverschämtheit. Betrachten wir nun die Argumentrealisierungseigenschaften der Nie. Wie wir oben gesehen haben, sind Nie per Default CENs. Die folgenden Beispiele zeigen, dass die Realisierung des Agens als Genitiv-Attribut bei NIen von mehrstelligen Basisverben unabhängig von der Anwesenheit eines Zustandsveränderungsprädikats in der LS S ist. Die Nie von resultativen Verben in (70a) erlauben ebenso wenig ein postnominales Agens-Argument wie die in (70b) von durativen: (70) (a) (b)

"'das Ausspionieren/ Durchsuchen/ Belagern der Paparazzi *das Beobachten/ Bewundern/ Versorgen der Eltern

Eine Regel, die bei einem CEN die Realisierung des Subjekts eines obligatorisch mehrstelligen Basisverbs als Genitiv-Attribut generell verbietet, würde die Daten nicht nur besser erfassen als Ehrich/Rapps Theorie, sie würde zudem auch eine einheitliche Behandlung aller deverbalen Nomina erlauben, insbesondere von -ung-Nomina und NIen. Daher wird eine solche Restriktion in der folgenden Untersuchung als Ausgangshypothese vorausgesetzt, vgl. 1.4. Unattraktiv ist auch Ehrich/Rapps Annahme, dass die in pränominaler Poss-Position realisierten Begleiter Argument-Adjunkte darstellen. Die Kritik an dieser Annahme wurde bereits oben in 1.1.2.2 im Zusammenhang mit Grimshaws (1990) Ansatz formuliert. Abweichend von Grimshaw (1990) und in Übereinstimmung mit Lindauer (1995) nehmen Ehrich/Rapp jedoch an, dass Argument-Adjunkte als ¿wrcA-Phrasen basisgeneriert werden und dann in die Poss-Position bewegt werden. Die Annahme, dass es sich bei durch-Phiasen um Adjunkte handelt, ist plausibel; dass pränominale Possessoren nach vorne bewegte dwrcA-Phrasen sind, dagegen nicht, wie Nie von intransitiven Verben belegen (*Das Husten/Hüpfen/Stottern durch ihn, aber Sein Husten/ Hüpfen/ Stottern). Auch einige Nie von transitiven Verben erlauben nur pränominale Possessoren als Agens-Argumente, vgl. Sein aufmerksames Zuhören, Mitdenken etc. Fazit: Der von Ehrich/Rapp (2000) vorgeschlagene Ansatz zur Bestimmung der Argumentrealisierungseigenschaften von Ereignisnomina aufgrund der Einbettung der Argumente in die LSS hat eine Menge gravierender Nachteile. Für viele Verben und deverbale Nomina müssen Dekompositionsstrukturen angenommen werden, die aufgrund der semantischen Eigenschaften der Lexeme schlecht bzw. überhaupt nicht zu motivieren sind. Ein Beispiel hierfür ist die Annahme, dass die Prozess-Lesart eines -«ng-Derivats aus der Ereignis-Lesart durch Tilgung des Zustandsveränderungsprädikats und aller darunter eingebetteter Prä-

40 dikate und Argumente abgeleitet wird. Zudem kann der Ansatz nur Voraussagen über die Argumentrealisierung bei -κ/ig-Nomina machen; für Nie muss, wie Ehrich (2002) bestätigt, eine eigene Regel angenommen werden. Diese Nachteile fallen besonders ins Gewicht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Modell trotz aller Komplexität nur die Besetzung einer einzigen syntaktischen Argumentposition regeln kann, obwohl gute Gründe dafür sprechen, zwei syntaktische Argumentpositionen für deverbale Ereignisnomina anzunehmen, vgl. dazu die Diskussion in 1.1.2.2. Es hat sich gezeigt, dass die Argumentvererbungsregeln für deverbale Ereignisnomina entgegen den Annahmen von Ehrich/Rapp auf bestimmte Subkategorisierungseigenschaften der Basisverben und auf die Unterscheidung von CEN- und SEN-Lesarten der abgeleiteten Nomina Bezug nehmen müssen. Ansätze, die dies berücksichtigen, erlauben eine einheitliche Behandlung aller Ereignisnominalisierungen.

1.1.3 Argumentrealisierung ohne Vererbung: eine Alternative? Kaufmann (2002) weist auf eine Tendenz hin, die sich bei Ehrich/ Rapps (2000) bereits abzeichnet und die bei Ehrich (2002: 87) noch expliziter wird, nämlich anstelle von Argumentlinking- bzw. -realisierungsregeln für deverbale Ereignisnomina Regeln für die präferierte Interpretation des Genitiv-Attributs zu formulieren. Kaufmann überlegt, wodurch die Annahme von Argumentstrukturen bei deverbalen Ereignisnomina überhaupt gerechtfertigt ist, wenn anscheinend bei Nomina alle Argumente prinzipiell fakultativ sind und wenn die Argumentpositionen nicht mit morpho-syntaktischen Merkmalen koindiziert sind und wenn darüber hinaus in einigen Ansätzen (z.B. Grimshaw 1990, Ehrich/Rapp 2000) davon ausgegangen wird, dass auch Partizipanten, die nicht in der Argumentstruktur eines Ereignisnomens verankert sind (bei Grimshaw die unterdrückten externen Argumente), innerhalb der DP realisiert werden können. Kaufmann skizziert einen Vorschlag, nach dem die Argumentstrukturen deverbaler Nomina das referentielle als einziges Argument enthalten. Die durch die Bedeutung implizierten Partizipanten können mit denselben grammatischen Mitteln realisiert werden, die auch für die Modifikation zur Verfügung stehen, d.h. durch Genitiv-Attribute, pränominale Possessoren und PPs.48,49 Obwohl der von Kaufmann skizzierte Ansatz zweifellos elegant ist und auch Vorteile für die Erklärung reflexiver Argumente bei NIen bietet (vgl. dazu Kaufmann 2002), soll der

48

Auf die Möglichkeit, Partizipanten durch Adjektive zu realisieren, vgl. das deutsche Eingreifen, möchte ich in dieser Arbeit nicht eingehen. Im Gegensatz zum Englischen ist diese Option im Deutschen nicht produktiv. Der Hinweis, dass alle grammatischen Mittel zur Realisierung von Partizipanten auch für die Modifikation genutzt werden, spricht nicht gegen die Annahme von syntaktischen Argumentpositionen in der DP. Auch beim Verb gibt es kein grammatisches Mittel, das ausschließlich zur Realisierung von Argumenten zur Verfügung steht, so gibt es Prädikative im Nominativ (Er ist ein Schwein) und im Akkusativ (Er schimpfte sie eine Idiotin), temporale Akkusative und Genitive (Sie schreien den ganzen Tag/ verschwanden eines Tages) und verschiedene Dative, die keine Argumente realisieren (Sie ist ihm zu kalt; Lach mir nicht zu früh!).

41 Vorschlag hier nicht aufgegriffen werden, da einige gewichtige Argumente für eine Argumentvererbungstheorie sprechen: Kaufmann selbst weist darauf hin, dass Forderungen nach bestimmten Präpositionen vom Verb vererbt werden können, vgl. Sie bestand auf der Trennung - ihr Bestehen auf der Trennung. Gegen die generelle Ablehnung von Argumentvererbung sprechen auch bestimmte Restriktionen bezüglich der syntaktischen Realisierung von Argumenten, die davon abhängig sind, wie viele obligatorische Argumente das Basisverb hat. Die Realisierung des Nominativ-Arguments eines intransitiven Verbs kann beim NI beliebig prä- oder postnominal erfolgen, vgl. Barbaras nächtliches Schreien/ das nächtliche Schreien des Kindes; bei NIs von Verben mit obligatorischem Akkusativ-Argument dagegen nicht, vgl. Ihr ungeschicktes Falten/ *das ungeschickte Falten der Kinder. Das Nominativ-Argument eines intransitiven Verbs kann beim NI auch dann postnominal realisiert werden, wenn das Verb ein implizites Patiens-Argument vererbt, vgl. (71).50 (71) (a)

(b)

zuschlagen51 SYN-VALi /Nom1 SEM-VAL, λχ 1 Xs [ZUSCHLAG y,x,s)

Babette schlägt zu.

Zuschlagen SYN-VALi /0 1 B.s Zuschlagen war Thema No. 1/ SEM-VAL! λχ 1 Xs [ZUSCHLAG y,x,s] Das Zuschlagen meiner Schwester war Thema No. 1

Eine Theorie, die nur auf die Partizipanten in der Bedeutungsrepräsentation in eckigen Klammern Bezug nimmt, kann nicht erfassen, warum das Agens bei Zuschlagen (71b), nicht aber bei Falten, das ebenfalls zwei Partizipanten impliziert, postnominal realisiert werden kann. Dies kann man nur erklären, wenn man annimmt, dass Falten zwei Argumentstellen vererbt, die bestimmten Restriktionen bezüglich der syntaktischen Realisierung unterliegen, um die Disambiguierung zu gewährleisten, was bei Nomina, die nur ein Argument haben, nicht nötig ist. Für die Annahme von Argumentstrukturen bei CENs spricht auch, dass bei diesen Nomina die pränominale Possessor-Position und die Position des Genitiv-Attributs ausschließlich durch die ererbten Argumente gefüllt werden kann und nicht durch Modifikatoren, vgl. (72b,d). Dagegen kann bei genuinen Nomina und SENs die POSS-Position immer durch einen Possessor im eigentlichen Sinne gefüllt werden, vgl. (72a). Auch in der Position des Genitiv-Attributs können bei solchen Nomina Modifikatoren auftreten, vgl. (72c). (72) (a) (b) (c)

50

51

Das ist nicht Peters Freundin/ Moderation/ Zusage, das ist meine. *Das ist nicht Peters Aufstehen, das ist meins. Die Klinikleitung verspricht den Patienten eine Betreuung der Spitzenklasse.

In dem von Jacobs (1992b) entwickelten Repräsentationsformat für Verbvalenzen ist die morphosyntaktische Spezifizierung 'nom'(inativ) in der syntaktischen Valenz (SYN-VAL) mit einer Argumentposition in der semantischen Valenz koindiziert. Die SYN-VAL des NIs enthält ebenfalls eine Stelle, diese ist aber nicht formal spezifiziert ('0'). Das gewählte Repräsentationsfoimat entspricht nicht dem, das Kaufmann (2002) verwendet.

42 (d)

*Von einem Betreuen der Spitzenklasse kann in diesem Krankenhaus keine Rede sein.

1.2 Obligatorik/Fakultativität

Alle in diesem Kapitel vorgestellten Ansätze zur Argumentrealisierung bei deverbalen Nomina im Deutschen gehen davon aus, dass bei Nomina grundsätzlich alle Argumente fakultativ sind, solange die Partizipanten aus dem Kontext zu erschließen sind. Bhatt (1989: 31) weist jedoch daraufhin, dass Thema-Argumente in bestimmten Fällen bei deverbalen Ereignisnomina obligatorisch sind, vgl. Die Errichtung *(des Denkmals). Genauer geht sie auf diese Frage jedoch nicht ein. Grimshaw (1990) nimmt für das Englische an, dass bei CENs zumindest eine Disposition zu obligatorischen Realisierungsforderungen für bestimmte Argumente vorhanden ist.52 Sie scheint davon auszugehen, dass sich solche Realisierungsforderungen vom Verb ans Nomen vererben. Die folgenden Daten legen nahe, dass es bestimmte ableitungstypspezifische Unterschiede bezüglich der Weglassbarkeit von Argumenten bei CENs gibt, die bisher in den einschlägigen Untersuchungen nicht berücksichtigt wurden: (73) (a)

(b)

Die Vitrinen können leider nicht vor Januar geliefert werden. Die Fertigstellung (der Möbel) innerhalb eines Monats ist wegen der großen Nachfrage nicht möglich. Die Vitrinen können leider nicht vor Januar geliefert werden. Das Fertigstellen "(der Möbel) innerhalb eines Monats ist wegen der großen Nachfrage nicht möglich.

Bei den in der Literatur zitierten Beispielen, die die prinzipielle Weglassbarkeit aller Argumente bei Ereignisnomina belegen sollen, treten Nie in Kontexten ohne Argumente auf, in denen auch die entsprechenden obligatorischen Argumente der Basisverben weggelassen werden können, vgl. dazu die folgenden Belege aus dem cosmos-Korpus des IDS-Mannheim: (74) (a) (b)

(c) (d)

52

Schenken statt (nur) Vererben sollte die Devise für alle sein, die sich über die Freude der Bedachten freuen. So heißt es eben in der Pfalz - Genießen, Ausprobieren, Zufriedensein und ein bisschen Stöbern - bis man als Pfälzer (...) das Seine für sich entdeckt hat. Häufiges Shampoonieren schadet feinem Haar. Das in diesen Kreisen verbreitete unreflektierte Konsumieren

Nunes (1993) geht dagegen explizit davon aus, dass die am tiefsten in der Bedeutungsstruktur eingebetten Argumente von -/ng-Nominalisierungen prinzipiell obligatorisch sind.

43 Kontrastivität (74a), Generizität (74b,c) und Habitualität (74d) sind einige der Kontexte, die in Blume (1993) als weglassungsbegünstigend fur obligatorische Ergänzungen von Verben identifiziert wurden, vgl.: (75) (a) (b) (c) (d)

Wir schenken nicht, wir verkaufen nur. Pfälzer genießen gern/ ?Pfálzer probieren gerne aus. ? Bei feinem Haar ist es schädlich, zu häufig zu shampoonieren. Er ist dafür bekannt, dass er unreflektiert konsumiert.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Beispiel, fur das Grimshaw (1990) nach eigenen Angaben keine Erklärung hat. In einer Fußnote (vgl. Grimshaw 1990: 178) stellt sie fest, dass der folgende Ausdruck grammatisch ist, obwohl das Patiens-Argument nach ihrer Theorie obligatorisch sein sollte (und in anderen Kontexten auch ist): (76) Only frequent examination by the doctors kept John healthy. Das Beispiel belegt, dass sich auch im Englischen CENs bei habitueller Interpretation wie SENs verhalten und die Weglassung ihrer ansonsten obligatorischen Argumente erlauben. Eine Gemeinsamkeit der weglassungsbegünstigenden Kontexte ist, dass in ihnen Verben und deverbale Nomina nicht auf Ereignisse referieren. Die Relevanz der Ereignisreferenz für die Grammatik hat Bayer (1986) nachgewiesen: Bayer zeigt, dass sowohl wie-Fragen als auch unter Wahrnehmungsverben eingebettete infinite Konstruktionen Ereignisbezug haben müssen, vgl.: (77) (a) (b) (c) (d)

Wie hat Jochen den Eintopf gekocht? "Wie ist Jochen zufrieden? Wir sehen Jochen den Eintopf kochen. ""Wir sehen Jochen zufrieden sein.

Kontexte, in denen die Ereignisreferenz nicht-statischer Verben aufgehoben werden kann, sind nach Bayer z.B. Modalverben (78a,b), Negation (78c,d) und bei habitueller Interpretation (78e,f): (78) (a) (b) (c) (d) (e) (f)

Wie will/muss Jochen den Eintopf kochen? * Wenn Jochen den Eintopf kocht, wie will/muss er es? *Wir sahen Jochen den Eintopf kochen müssen/wollen. *Wie kocht Jochen den Eintopf nicht? *Wir sahen Jochen [den Eintopf nicht kochen]. Wie trinkt Jochen? "Jochen trinkt stark (ist ein starker Trinker). Wir sehen Jochen trinken. Φ Wir sehen, dass Jochen ein Trinker ist.

Ob die Weglassbarkeit der ererbten Argumente von NIen denselben Bedingungen unterliegt wie beim Basisverb, wird noch eingehender zu untersuchen sein.

44

1.3 Blockaden

Die Nominalisierung von Infinitiven ist zwar ein uneingeschränkt produktives Ableitungsmuster, jedoch gibt es Nie, die nur in sehr eingeschränkten Kontexten verwendet werden können, in denen sie nicht auf Situationen referieren, vgl. Schlanksein ist alles, Auffallen heißt die Devise. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um die in (72 a-d) illustrierten Kontexte, in denen auch die Realisierungsforderungen nicht gelten. Hier soll es nur um Blockaden für Nie in Kontexten gehen, die die Ereignislesart erzwingen. Mögliche Blockaden fur Konstruktionen mit NIen sind in der einschlägigen Literatur kaum untersucht worden. Toman (1983: 84) unterscheidet zwei mögliche Ursachen für Blockaden: a) aktionsartbedingte Blockaden wie in (79) bei statischen Verben, b) rollenbedingte Blockaden, z.B. bei Psych-Verben mit Akkusativ-Experiencern, wie in (80) (vermeintliche Ausnahmen wie Erstaunen, MißJallen sind lexikalisiert): (79) (a) (b)

""Das Zusammenhängen dieser Ereignisse hat Heini beunruhigt, ??Das Enden der Straße in diesem Wald erwartete niemand.

(80) (a) (b)

*Er erwähnte das Überraschen (der Eltern) (über seine Frau).53 *Das Begeistern (der Gäste) (über den Eintopf) nahm kein Ende.

Interessant ist jedoch, dass die von Toman als aktionsartbedingt klassifizierten Blockaden keineswegs genau an der Grenze zwischen Ereignis- und Zustandsverben beginnen. So können typische Zustandsverben wie schlafen, sitzen usw. ohne Weiteres in Nie umgeformt werden. Hier stellt sich die Frage, ob wirklich die Aktionsart (also die interne Struktur der beschriebenen Situation) entscheidend iür die Blockade des NIs ist. Es fällt auf, dass den Beispielen in (79) gemeinsam ist, dass das Genitiv-Attribut keinen belebten Partizipanten realisiert. Dagegen lassen Zustandsverben, die auf belebte Partizipanten beschränkt sind, die Infinitivnominalisierung anscheinend problemlos zu, vgl. dazu die folgenden Akzeptabilitätskontraste: (81) (a) (b)

Das Herumstehen von Kindern/ "Koffern auf Bahnsteigen ist gefährlich, Das Kind-Sein/"'Verb-Sein in solchen Umgebungen bedeutet...

Bei den Verben in (80) stellt sich dagegen die Frage, ob hier tatsächlich die thematischen Rollen der Akkusativ-Argumente der Basisverben ausschlaggebend für die Blockade sind oder vielmehr die Aktionsart der Verben, vgl. dazu die kausativen Varianten dieser Nie in (82). Die Basisverben dieser Nie haben im Unterschied zu (80) unmarkierte Linkingmuster, da die Nominativ-Argumente agentiver sind als die Akkusativ-Experiencer. Zudem handelt es sich bei diesen Varianten nicht um statische Prädikate, vgl. die Kinder überraschten die Eltern um Mitternacht mit einem Ständchen/ es gelang dem Schüler, seine Lehrerför mehrere Jahre mit seinen Aufsätzen zu begeistern. (82) (a) 53

?

Das häufige Überraschen der Eltern machte den Kindern Freude.

Toman (1983) scheint nicht bemerkt zu haben, dass die Verben überraschen und begeistern nur im Zustandspassiv eine über-PP selegieren. Entsprechend ist auch nicht zu erwarten, dass die PP vom aktiven Verb an den NI vererbt wird.

45 (b)

?

Das Begeistern der Lehrer gelingt nicht jedem Schüler.

Welche dieser Faktoren bei der Blockade von NIen eine Rolle spielen und wie sie miteinander interagieren, soll in der vorliegenden Arbeit näher untersucht werden. Kandidaten sind jedenfalls Aktionsart und Linkingeigenschaften der Verben sowie die sortalen und thematischen Eigenschaften ihrer Argumente

1.4 Fazit: Ausgangshypothesen für die vorliegende Untersuchung

Die im folgenden Kapitel beschriebene Fragebogenstudie basiert auf den folgenden Ausgangshypothesen, die zum Teil aus den in diesem Kapitel vorgestellten und diskutierten Theorien übernommen werden und sich zum Teil aus der Kritik an diesen ergeben. 1. Mit Bierwisch (1989) nehmen wir an, dass Nie die Bedeutungsstrukturen der Basisverben übernehmen, wobei lediglich das referentielle Argument mit dem externen Argument identifiziert wird. Bedeutungsstrukturen werden jedoch nicht als Dekompositionsstrukturen wie bei Bierwisch repräsentiert, sondern als temporal gegliederte Situationsstrukturen, in denen fUr jede Teilsituation die thematischen Rollen der beteiligten Partizipanten spezifiziert sind. Die Argumentstruktur des Basisverbs kann ein NI prinzipiell ebenfalls erben, dies unterliegt jedoch zusätzlichen syntaktischen und semantischen Restriktionen. So können Genitiv- und Dativ-Argumente von Verben generell nicht an deverbale Nomina vererbt werden. Ein weiterer Faktor, der möglicherweise die Vererbung von Argumenten beeinflusst, sind die Linkingeigenschaften der Basisverben: Akkusativ-Experiencer scheinen sich z.B. der Vererbung zu widersetzen. 2. Deverbale Nomina werden unterschieden in complex event nomináis und simple event nomináis. Nur erstere können die Argumente der Basisverben erben. Nie sind per Default (von wenigen lexikalisierten Ausnahmefällen abgesehen) complex event nomináis. In bestimmten Kontexten (z.B. bei generischer, habitueller oder kontrastiver Lesart) können sie auch als simple event nomináis verwendet werden. 3. Innerhalb der DP stehen genau zwei Positionen zur Realisierung von ererbten und beim Basisverb für Kasus spezifizierten Argumenten zur Verfugung. Bei complex event nomináis können diese Positionen nur durch Argumente realisiert werden. Bei relationalen Nomina können in diesen Positionen auch Modifikatoren erscheinen. Bei simple event nomináis können nur Modifikatoren als Begleiter auftreten, diese können jedoch als Ereignispartizipanten interpretiert werden. 4. Wird mehr als ein für Kasus spezifiziertes Argument an einen NI vererbt, so unterliegt die syntaktische Realisierung der Argumente semantischen Restriktionen, um die Identifizierung der Argumente zu gewährleisten. Nur die Argumente von einstelligen Basisverben bzw. Varianten, sowie von zweistelligen Verben, deren zweites Argument eine PP ist, können beim abgeleiteten Nomen beliebig prä- oder postnominal realisiert werden. 5. Nie erben die Realisierungsforderungen der Basisverben. Diese Eigenschaft ist ableitungstypspezifisch, was der Vergleich mit -uRg-Nominalisierungen belegen soll, deren Argumente prinzipiell weglassbar sind.

46 6. Blockaden fiir Infînitivnominalisierungen können durch aspektuelle Eigenschaften der Basisverben, durch die thematischen Rollen oder sortalen Eigenschaften ihrer Argumente sowie durch Realisierungsforderungen fur nicht vererbbare Argumente begründet sein.

2. Die Fragebogenstudie - Datenerhebung und -auswertung

In diesem Kapitel werden die Methoden der Erhebung der Daten, die der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen beschrieben. In 2.1 gehe ich darauf ein, welche Überlegungen bei der Gestaltung der Fragebögen eine Rolle gespielt haben, welche Testpersonen an der Fragebogenstudie teilgenommen haben und wie genau die Datenerhebung durchgeführt wurde. Im zweiten Abschnitt (2.2) geht es darum, wie die in den Fragebögen abgegebenen Grammatikalitätsurteile der Testpersonen gewertet wurden, d.h., welche gezählt wurden und wie. Außerdem wird diskutiert inwiefern Daten, die in unterschiedlichen Durchgängen der Untersuchung unter leicht verschiedenen Bedingungen erhoben wurden, miteinander vergleichbar sind. Im letzten Abschnitt werden bestimmte "Intervalle" mittlerer Bewertungen Labels wie 'voll akzeptabel', 'leicht abweichend', 'stark abweichend' und 'ungrammatisch' zugeordnet. So wird in der späteren Diskussion der Ergebnisse etwa über Sätze, die mittlere Bewertungen zwischen 1,0 und 1,4 erhielten, gesagt, dass diese als 'voll akzeptabel' empfunden werden. Dies erleichtert die verallgemeinernde Bezugnahme auf Sätze mit bestimmten Bewertungen, die tatsächlichen Bewertungen werden aber immer angegeben und die Labels, deren Zuordnung nicht aufgrund statistischer Berechungen gerechtfertigt ist, können auch ignoriert werden. Sie haben keine Auswirkung auf die Richtigkeit der später entwickelten Theorie.

2.1 Durchführung der Studie 1 2 Die Fragebögen enthielten zwischen 70 und 105 Testitems. Insgesamt umfasst die Studie sieben Fragebögen, die (abgesehen vom dritten Fragbogen, der bei der Auswertung nicht berücksichtigt wurde) jeweils 30 Studentinnen und Angestellten der Universität GH Wuppertal vorgelegt wurden. Für jedes Testitem war ein Akzeptabilitätsurteil auf einer Skala von 1-5 abzugeben, wobei die besten Sätze mit T zu bewerten waren und die schlechtesten mit '5'. Jeder der fünf Bewertungskategorien war eine kurze Charakterisierung der so zu bewertenden Sätze zugeordnet, etwa "Sätze, die Wendungen enthalten, die Sie ohne Weiteres in einer Unterhaltung, allerdings nicht in Aufsätzen verwenden würden, erhalten die Bewertung '2'". Getestet wurde das in den Ausgangshypothesen vorausgesetzte Verhalten von NIen bezüglich Blockierung, Argumentvererbung und -realisierung. Die in den Testsätzen einge1

2

Bei der Entwicklung der Fragebögen hat mich Beate Abel, die nicht nur Sprachwissenschaftlerin, sondern auch Diplompsychologin ist, beraten. Für die letztendliche Gestaltung der Fragebögen sowie für die Formulierung und Zusammenstellung der Testitems trage ich jedoch die alleinige Verantwortung. 'Item' bzw. 'Testitem' benutze ich als Oberbegriff für die in den Fragebögen zu bewertenden Sätze, unabhängig davon, ob es sich tatsächlich um Testsätze handelte oder um Füllsätze, die nur zur Ablenkung der Testpersonen vom tatsächlichen Untersuchungsgegenstand dienten.

48 betteten Nie wurden nach bestimmten, vorher genau spezifizierten Eigenschaften ihrer jeweiligen Basisverben ausgewählt, und zu jedem festgelegten Eigenschaftsbündel wurden genau vier unterschiedliche Nie getestet. So wurde der Einfluss der Aktionsart des Basisverbs u.a. an NIen von vier psychologischen Zustandsprädikaten mit Nominativ-Stimulus und Akkusativ-Experiencer und an vier NIen von Zustandsprädikaten mit zwei unbelebten Thema-Argumenten wie enthalten und umspannen getestet. Die vier Sätze mit NIen, die einem bestimmten Eigenschaftscluster zugeordnet sind, nenne ich eine Testgruppe. Um das spezifische Verhalten der Nie gegenüber dem der Basisverben, anderer deverbaler Nomina und nicht abgeleiteter Nomina abgrenzen zu können, wurden auch einige Testgruppen mit diesen Einheiten aufgenommen. Die Studie wurde in 3 Durchgängen durchgeführt. Die beiden Fragebögen des ersten Durchgangs enthielten Testsätze zu allen drei Fragekomplexen ('Blockaden bei für situationsbezogene Nie', 'syntaktische Realisierung der vom Verb ererbten Argumente' und 'Obligatorik/ Fakultativität der Argumentrealisierung1), die beiden weiteren enthielten zum Teil Testgruppen zu Fragestellungen, die sich aus der Auswertung der ersten Fragebögen neu ergeben hatten, zum Teil auch neu konstruierte Sätze, die einzelnen Testgruppen aus den vorherigen Fragebögen zugeordnet waren, wobei aber die ursprünglichen Testsätze dieser Gruppe aus unterschiedlichen Gründen keine eindeutigen oder zweifelhafte Beurteilungen erhalten hatten. Insgesamt wurden in den sechs Fragebögen, die in der Auswertung berücksichtigt wurden, 315 Testsätze vorgelegt. Diese Summe beinhaltet alle Testsätze, also auch die, die bei der späteren theoretischen Auswertung der Daten aus verschiedenen Gründen durch in späteren Durchgängen erneut getestete Sätze ersetzt wurden. Die Bewertungen aller dieser Testsätze wurden zur Beurteilung des Bewertungsverhaltens der Testpersonen herangezogen, d.h. sie wurden daraufhin untersucht, welche Testsätze besonders gut bzw. besonders schlecht bewertet wurden, bei welchen Testsätzen die Übereinstimmimg bei der Bewertung unter den Testpersonen besonders hoch bzw. besonders niedrig war und bei welchen Testsätzen besonders viele ungültige Urteile abgegeben wurden, vgl. dazu ausführlich Abschnitt 2.2. Diese Fragen spielten eine Rolle bei der Entscheidung, bestimmte Intervalle mittlerer Bewertungen mit Grammatikalitätsurteilen wie 'akzeptabel', 'abweichend', 'ungrammatisch' gleichzusetzen, vgl. dazu 2.2.3.3 Die mehrfach getesteten oder ausgetauschten Nie aus ein und derselben Testgruppe wurden jedoch nicht alle für die sprachwissenschaftliche Auswertung der Daten herangezogen. Hier wurde von ausgetauschten Testsätzen nur der jeweils zuletzt getestete berücksichtigt.

2.1.1 Testpersonen Alle Testpersonen waren Muttersprachlerinnen des Deutschen. Sie waren mit dem theoretischen Hintergrund der Studie nicht vertraut. Die Probanden wurden aufgefordert, auf dem Fragebogen Angaben zu Fachrichtung, Semesterzahl, Alter und Geschlecht zu machen. Fragen zur regionalen Herkunft der Informantinnen wurden nicht gestellt. Bei den persönlichen Eingangsgesprächen wurde jedoch 3

Letztendlich ist diese Gleichsetzung jedoch aufgrund der heterogenen Versuchsbedingungen sowie der heterogenen Kriterien, nach denen die Auswahl der Füllsätze getroffen wurde (vgl. dazu 2.1.2) nicht aufgrund statistischer Methoden zu ermitteln.

49 festgestellt, dass die Sprache keiner Testperson stark dialektal gefärbt war. Alle Probanden waren sich zudem bewusst, dass die vorgelegten Testitems als Sätze des Standarddeutschen zu bewerten waren. Von den 180 Testpersonen, deren Fragebögen in der Auswertung berücksichtigt wurden, waren 48 (27%) Studentinnen der Germanistik, wobei die 11 (6%) Sprachwissenschaftlerinnen extra gezählt wurden. Des Weiteren nahmen 52 nicht-geisteswissenschaftliche Studentinnen an der Untersuchung teil und 30 Studentinnen der Erziehungswissenschaften (17%). Fünf Probanden haben keine Angaben über ihre fachliche Orientierung gemacht, ein Teilnehmer war Abiturient und zwei Teilnehmerinnen waren nichtwissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Universität. An der Untersuchung nahmen insgesamt 59 Männer (33%) und 121 Frauen (67%) teil. Die Testpersonen waren zwischen 19 und 60 Jahre alt. Das Alter der Männer betrug im Schnitt 28, das der Frauen 25. Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen waren am Beginn ihres Studiums, es gab jedoch auch einige Langzeitstudentinnen unter den Testpersonen, eine Testperson studierte im 43. Semester. Im Durchschnitt absolvierten die Studentinnen ihr 6. Semester.

2.1.2 Auswahl der Testitems Die Testsätze waren wie bereits erläutert den drei Themenkomplexen 'Blockaden fiir situationsbezogene Nie', 'syntaktische Realisierung der vom Verb ererbten Argumente1 und Obligatorik/ Fakultativität der Argumentrealisierung' drei Blöcken zugeordnet. Innerhalb dieser Blöcke wurden Testgruppen nach den relevanten lexikalischen Eigenschaften der Basisverben bzw. der zu testenden Nie und ihrer Argumente bestimmt. So wurde z.B. im Testblock 'Blockaden' u.a. der Einfluss der Aktionsart und der Linkingeigenschaften des Basisverbs auf die Möglichkeit der Bildung von NIen getestet. Eine Gruppe von Testsätzen enthielt etwa Nie von psychologischen Zustandsprädikaten mit Dativ-Experiencern, eine andere Nie von Stativen Psych-Verben mit Akkusativ-Experiencern und eine weitere Nie von Stativen Psych-Verben mit Akkusativ-Stimuli. Zu diesen drei Testgruppen wurden, soweit existent, korrespondierende inchoative Testgruppen zusammengestellt. In einigen Fällen wurden auch Testgruppen mit prä- oder postnominaler Realisierung eines bestimmten Arguments beim NI einander gegenübergestellt. Die Formulierung und Auswahl der Testsätze wurde neben den sich aus den Ausgangshypothesen ergebenden Fragestellungen hauptsächlich durch den Anspruch determiniert, Akzeptabilitätsurteile für eine repräsentative Datenmenge zu erzielen, die aussagefähig und bezogen auf die untersuchten Phänomene innerhalb eines Themenkomplexes vergleichbar sein sollten. Um repräsentative Ergebnisse zu erzielen, wurde jedes Phänomen an mehreren NIen mit denselben klar spezifizierten Eigenschaften (Testgruppen) getestet. Um die Vergleichbarkeit der Bewertungen zu gewährleisten, wurde die Anzahl der Sätze innerhalb der Testgruppen konstant gehalten. Die Anzahl der Testsätze einer Gruppe konnte jedoch nicht zu hoch sein, da manche der für die zu testenden Nie spezifizierten Eigenschaftscluster so speziell waren, dass sich nur mühsam entsprechende Beispiele finden ließen (dies galt besonders für den Themenkomplex "Blockaden für situationsbezogene Nie' - nicht umsonst gelten Nie bei vielen als uneingeschränkt produktiv). Zudem gab es so viele zu berücksich-

50 tigende Kreuzklassifizierungen der relevanten Eigenschaften der Nie bzw. der Basisverben, dass die Anzahl der Testsätze innerhalb einer Gruppe auch klein gehalten werden musste, um die Konzentrationsfähigkeit der Testpersonen nicht durch eine Unmenge gleichartiger Konstruktionen überzustrapazieren. Aufgrund dieser Überlegungen wurde die Anzahl der Testsätze innerhalb einer Gruppe auf vier festgesetzt. Das spezielle Erkenntnisinteresse bei dieser Untersuchung brachte es mit sich, dass die meisten zu testenden NI-Konstruktionen nach meiner eigenen Einschätzung bzw. nach dem zuvor durch informelle Befragungen ermittelten Meinungsbild als leicht bis stark abweichend galten. Hinzu kam, dass der Nominalstil stilistisch markiert ist und bei den meisten Testpersonen Widerwillen hervorruft.4 Daher war es in unserem Interesse, bei den Testpersonen einen Lemeffekt durch Gewöhnung an die getesteten Konstruktionen bzw. wachsende Ablehnung5 zu verhindern. Dies wurde einerseits durch geschickte Verteilung der Sätze der einzelnen Testgruppen bzw. Themenkomplexe (vgl. dazu 2.1.3) und andererseits durch Einstreuung andersartiger Füllsätze erzielt. Allerdings konnte aufgrund der großen Menge von Testsätzen ein ideales Verhältnis von Füllsätzen und Testsätzen (50:50) nicht erzielt werden: die beiden Fragebögen des ersten Durchgangs enthielten deshalb bei über 100 Items insgesamt nur 25% Füllsätze, die vier Ergänzungs-Fragebögen der folgenden Durchgänge enthielten bei ca. 75 Items jedoch immerhin zwischen 42 % und 44 % Füllsätze. Einen großen Teil der Testsätze des zweiten und dritten Durchgangs machten die aus, die Testsätze aus Testgruppen vorhergehender Durchgänge ersetzen sollten. Die Ersetzung von Testsätzen konnte aus unterschiedlichen Gründen notwendig erscheinen: einige Testsätze enthielten trotz mehrfacher Kontrolle unbeabsichtigte Fehler, die zu negativen Bewertungen führten, etwa weil ein Determiner im Satz fehlte oder weil der im Satz enthaltene NI doch andere Eigenschaften aufwies als die übrigen der Gruppe. Auch Verständnisprobleme konnten zu abweichenden Bewertungen fuhren: in einem Fall wurde in einem Satz eine Vokabel verwendet (Patchwork-Familie), die den meisten Testpersonen unbekannt war. Die Probanden konnten den Satz deshalb nicht interpretieren und bewerten ihn negativ. Ein anderer Satz enthielt eine Anapher mit unklarem Bezug, was ebenfalls die Interpretation erschwerte und damit die Akzeptabilität verringerte. Häufiger kam es jedoch vor, dass für Sätze aus ungeklärten Gründen von vielen Testpersonen keine oder ungültige Bewertungen (vgl. dazu 2.1.6) abgegeben wurden, was die Vergleichbarkeit der Bewertungen beeinträchtigte. Neben Ersetzungen enthielten die Fragebögen der Durchgänge 2 bis 3 auch neue Testgruppen zu Fragestellungen, die sich aus der Auswertung der Fragebögen der vorhergehenden Durchgänge ergeben hatten.

4

Die Testsätze aller Testgruppen, also auch solcher, die nach den Ausgangshypothesen von den Testpersonen auf Ablehnung stoßen sollten, wurden so konstruiert, dass sie inhaltlich plausibel waren und möglichst natürlich klangen. Schütze (1996: 135ff) zitiert Untersuchungen, die belegen, dass die wiederholte Präsentation grammatisch abweichender Testsätze nicht die aus psychologischen Experimenten erwartete Gewöhnung an den Stimulus bewirkt, sondern im Gegenteil zur schärferen Beurteilung der abweichenden Sätze führt.

51 2.1.3 Anordnung der Testitems Die Testsätze jedes Durchgangs waren auf jeweils zwei Fragbögen verteilt. Dabei wurde darauf geachtet, dass Testsätze einer Gruppe bzw. eines Themenkomplexes innerhalb des Fragebogens nicht zu eng aufeinander folgten. Außerdem wurde in den Fragebögen eine Häufung von Sätzen, die markierte und stark markierte Konstruktionen enthielten, vermieden, und Füllsätze6 wurden möglichst gleichmäßig verteilt. Von den Testsätzen jeder Testgruppe eines Durchgangs wurden jeweils zwei im ersten und zwei im zweiten Fragebogen eines Durchgangs präsentiert. Die Füllsätze in den beiden Fragbögen waren identisch und erschienen auch jeweils an derselben Stelle (z.B. als 14. Testitem in beiden Fragebögen). Auch die Position, an denen die Sätze der komplementären Testsatz-Paare einer Gruppe erschienen, waren in beiden Fragebögen identisch. Die Testsätze 1-4 einer beliebigen Testgruppe waren in den Fragebögen eines Durchgangs also etwa folgendermaßen angeordnet: in Fragebogen A erschienen Satz 1 als Testitem 27 und Satz 3 als Testitem 53; im komplementären Fragebogen Β erschienen Satz 2 und Satz 4 ebenfalls als Item 27 bzw. 53. Das heißt, dass in den komplementären Fragebögen eines Durchgangs die relative Anordnung der Testsätze aus den unterschiedlichen Testgruppen völlig symmetrisch war. Die Idee dabei war, mögliche Kontexteinflüsse aus der unmittelbaren Umgebung der Testsätze auf deren Bewertung in beiden Fragebögen so weit wie möglich konstant zu halten, um die Vergleichbarkeit der Bewertungen von Sätzen innerhalb einer Gruppe und gruppenübergreifend zu gewährleisten. Schütze (1996: 134f) empfiehlt, die Anordnung der Testitems innerhalb der Fragebögen zu variieren, da Untersuchungen von Greenbaum 1973 und 1976 ergeben haben, dass bei einer gegebenen Liste von Testsätzen bei jeder möglichen Anordnung der Sätze der jeweils zuerst präsentierte Satz signifikant negativer beurteilt wurde als die jeweils folgenden Sätze. Keine andere Position auf der Liste zeigte in ihrer Untersuchung einen ähnlichen Effekt. In der vorliegenden Untersuchung bekamen alle Testpersonen die Testitems in derselben Reihenfolge präsentiert, der erste Satz eines jeden Fragebogens war jedoch ein Füllsatz. Zur Sicherheit wurde aber überprüft, ob bei der Bewertung der Testsätze eine Korrelation zwischen positiver bzw. negativer Bewertung am Anfang bzw. am Ende eines Fragebogens bestand. Sowohl positivere als negativere Beurteilungen der Testsätze am Ende der Befragung wären denkbar gewesen: strengere Beurteilungen hätten durch eine wachsende Aversion gegen die sich ständig wiederholenden stilistisch und grammatisch markierten Konstruktionen ausgelöst werden können. Positivere Beurteilungen hätten durch Ermüdung und Langeweile zustande kommen können, denn die Beurteilung eines Testitems mit Τ erforderte den geringsten Arbeitsaufwand, da bei allen anderen Beurteilungen zusätzlich der Teil des Satzes unterstrichen werden musste, der als abweichend oder markiert empfun-

6

Füllsätze dienten in erster Linie zur Ablenkung von dem zu untersuchenden Phänomen. Die meisten, aber nicht alle FUllsätze waren voll akzeptabel. Es gab auch stark abweichende und eindeutig ungrammatische Füllsätze. Die mittleren Bewertungen dieser Sätze dienten später als Anhaltspunkt für die Zuordnung der mittleren Bewertungen Testsätze zu Akzeptabilitätsurteilen wie 'voll akzeptabel1, 'abweichend' und 'ungrammatisch'.

52 den wurde (s.u.)·7 Die folgenden Zahlen belegen, dass weder die eine noch die andere Tendenz existierte. Es wurde zunächst die mittlere Bewertung aller Testitems ermittelt. Die lag bei 2,01: FB, (1,99); FB2 (1,88); FB3 (2,00); FB4 (2,07); FB5 (2,01); FB6 (2,08). Danach wurde fur jeden Fragebogen getrennt das Mittel der Bewertungen der Testsätze der ersten Fragebogenhälfte mit denen der zweiten Hälfte verglichen: die Bewertungen der Testsätze der Fragebögen des ersten und letzten Durchgangs lagen sowohl in der ersten als auch in der zweiten Fragebogenhälfte genau im Durchschnitt: FB! (2,0/2,1); FB2 (2,0/2,0) und FB5 (2,0/2,1); FB6 (2,1/2,1). Die Testsätze in der ersten Hälfte der Fragebögen des zweiten Durchgangs wurden im Mittel deutlich negativer bewertet als die in der zweiten Hälfte: FB3 (2,4/2,2) und FB4 (2,5/2,2). Diese Fragebögen enthielten jedoch zum Ausgleich für die hohe Konzentration von Testsätzen mit markierten Konstruktionen verhältnismäßig viele akzeptable Füllsätze, so dass auch in diesen Fragebögen das Mittel der Bewertungen aller Testitems in beiden Fragebogenhälften im Durchschnitt lag: FB3 (2,1/2,0) und FB4 (2,1/2,0).

2.1.4 Gestaltung der Fragebögen Bei der Gestaltung der Fragebögen wurde großer Wert auf Benutzerfreundlichkeit gelegt. Dies beinhaltete eine klare Aufgabenstellung, anschauliche Beispiele und ein übersichtliches Layout, vgl. dazu auch Schütze (1996). Auf der ersten Seite der mehrseitigen Fragebögen hatten die Testpersonen nur ihre persönlichen Angaben einzutragen, ansonsten bereitete das Blatt durch Anweisungen und Beispiele auf die Aufgabenstellung vor. Dieses Blatt enthielt bei den Fragebögen 3 bis 6 keine von den Testpersonen zu bewertenden Testsätze, die möglicherweise von der Aufgabenstellung abgelenkt hätten. Die Aufgabenstellung war einfach und knapp formuliert und richtete sich an naive Sprecherinnen des Deutschen. Die Testpersonen wurden zunächst aufgefordert, jedem der Testsätze eine "Note" zwischen Τ und '5' zu geben. Es wurde daraufhingewiesen, dass nur die sprachliche Angemessenheit zu bewerten sei und nicht die Orthografie. Anschließend wurde genauer spezifiziert, wie die Noten zu vergeben waren, vgl. den Originaltext: "Sätze, die Sie so auch in einem Aufsatz schreiben würden, erhalten die Bewertung T . Sätze, die Wendungen enthalten, die Sie ohne weiteres in einer Unterhaltung, allerdings nicht in Aufsätzen verwenden würden, erhalten die Bewertung '2'. Sätze, die Wendungen enthalten, die Sie eher vermeiden würden, weil Sie sich nicht sicher sind, ob sie grammatisch korrekt sind, erhalten die Bewertung '3'. Sätze, die Ihnen eindeutig falsch erscheinen, deren Bedeutung aber klar ist, erhalten die Bewertung '4'. Sätze, deren Sinn kaum zu verstehen ist, erhalten die Bewertung '5'". Eine Kurzform dieser Zuordnung von Noten zu Eigenschaften der Testsätze erschien in einem Kasten unterhalb der Aufgabenstellung, vgl. den Original7

Ermüdung und wachsende Lustlosigkeit hätten auch zu einer steigenden Frequenz ungültiger Bewertungen zum Ende der Befragung fuhren können. Eine solche Tendenz war ebenfalls nicht zu beobachten. Die folgenden Zahlen geben jeweils für die erste bzw. zweite Hälfte der Fragbögen den Prozentsatz der ungültigen Bewertungen an, die fUr die Testsätze abgegeben wurden: FB] (7,5/4,7); FB2 (8,1/8,1); FB3 (4,8/4,5); FB< (2,4/4,5); FB« (6,7/5,0).

53 Kasteninhalt: "1 = im Schriftdeutschen o.k.; 2 - in der gesprochenen Sprache o.k.; 3 = klingt falsch, aber manchmal zu hören; 4 = eindeutig falsch; 5 = kaum zu verstehen". Dieser Kasten erschien außerdem als Kopfzeile auf jeder folgenden Seite des Fragebogens. Während die Noten Τ bis '4* sich ausschließlich auf syntaktische Eigenschaften der Testsätze bezogen, war die Note '5' semantisch nicht wohlgeformten Sätzen vorbehalten. Diese vermeintliche Inkonsistenz der zu bewertenden Eigenschaften war jedoch kein Lapsus, sondern in Bezug auf das zu untersuchende Phänomen durchaus folgerichtig. Ein großer Teil der Untersuchung beschäftigte sich ja mit der syntaktischen Realisierung des Subjekts bzw. Objekts eines Basisverbs beim NI. Bei diesen Konstruktionen lässt die Nicht-Interpretierbarkeit aufgrund des Kompositionsprinzips auf schwere Verletzungen syntaktischer Prinzipien schließen. Die zu bewertenden Eigenschaften waren also deshalb nicht inkonsistent, weil in den gewählten Testsätzen Nicht-Interpretierbarkeit nur aus der syntaktischen Struktur der Konstruktionen resultieren konnte und nicht aus Verletzungen, die die Kompatibilität lexikalisch-semantischer Eigenschaften der beteiligten Konstituenten betrafen. Dies soll an einem Beispiel erläutert werden: Einer der drei am schlechtesten bewerteten Sätze entsprach etwa (1): (1)

Die Aufführung hat mir nicht gefallen, aber es hat mir doch Leid getan, dass das Applaudieren der Schauspieler kaum zu hören war.

In (1) wurde das Dativ-Objekt des Basisverbs beim NI als Genitiv-Attribut realisiert. Obwohl die Realisation von Akkusativ-Adressaten als Genitiv-Attribut ohne Weiteres möglich ist (vgl. das Beschimpfen des Publikums) und obwohl der Kontext die Interpretation des Attributs als Adressat nahe legt, bewerteten 53% der Testpersonen den Satz als 'kaum verständlich1. Dies hat offensichtlich einerseits mit dem Vererbungsverbot für oblique markierte Argumente von Verben zu tun und andererseits mit der Restriktion, nach der die Position des Genitiv-Attributs bei von transitiven Verben mit obligatorischem Objekt abgeleiteten NIen für agentive Argumente reserviert ist, vgl. dazu Kap. 3.2.1.1. Die Aufgabenstellung beinhaltete die fett gedruckte Aufforderung, in allen nicht mit Τ bewerteten Sätzen unbedingt die "Wendung" zu unterstreichen, die als störend empfunden wurde. Abschließend wurde in zwei besonders herausgestellten Hinweisen betont, dass jeder Satz für sich zu bewerten sei, ohne Vergleiche mit früher bewerteten ähnlichen Sätzen anzustellen, und dass die Untersuchung nicht darauf abziele, die Grammatikkenntnisse der Testpersonen zu testen, weswegen man sich ganz auf das eigene Sprachgefühl verlassen solle. Zur Illustration der Bewertung wurden in den ersten beiden Fragebögen zwei Beispielsätze mit den Bewertungen Τ bzw. '5' angegeben; in den folgenden Fragebögen zusätzlich noch ein dritter Beispielsatz mit der Bewertung '4', vgl. dazu (2) unten mit Beispielen aus den Fragebögen 3 - 6 . Keiner der Beispielsätze enthielt eine Konstruktion mit einem NI, da die Testpersonen in keiner Weise beeinflusst werden sollten. Die Testsätze in den ersten beiden Fragebögen waren kontextfreie Sätze. Sie wurden in Tabellenform präsentiert. Das Ende jeder Zeile bildeten fünf quadratische Kästchen mit den Ziffern Τ bis '5'. Hier sollten die Testpersonen den jeweiligen Satz durch Ankreuzen bewerten. Am Ende jedes Fragebogens hatten die Testpersonen Gelegenheit, eigene Kommentare zu den Fragebögen, den Testsätzen oder der Untersuchung abzugeben. Diese Möglichkeit

54 wurde auch von relativ vielen Testpersonen genutzt, um über Beobachtungen zu ihrem Bewertungsverhalten bzw. ihren Einstellungen gegenüber den Testitems zu berichten. Die Fragebögen des zweiten und dritten Durchgangs hatten dasselbe Layout wie die des ersten Durchgangs, sie unterschieden sich von den ersten beiden Fragebögen nur in der Aufgabenstellung mit den Bewertungsbeispielen sowie durch die Präsentation der Testsätze, die nach den Erfahrungen im ersten Durchgang noch benutzerfreundlicher gestaltet wurden.8 Die Testsätze in den Fragebögen 3-6 wurden jeweils als Antwort auf eine Frage in einem Dialogausschnitt präsentiert. Durch die Dialogform konnte für jeden Testsatz ein möglichst natürlich wirkender Kontext bereitgestellt werden. Die Aufgabenstellung war wie folgt formuliert: Aufgabe: Die folgenden ungeordneten Frage-Antwort-Paare wurden in einer Konversationsrunde geäußert, an der neben deutschen Muttersprachler/innen Erwachsene aus unterschiedlichen Herkunftsländern teilnehmen, um ihr Deutsch zu verbessern. Einige Teilnehmer dieser Runde sind seit Jahren befreundet, andere kennen sich nur durch diese Gruppe. 9

Ihre Aufgabe ist es, die sprachliche (nicht inhaltliche!) Angemessenheit der Antworten zu bewerten. Orthographie und Zeichensetzung spielt hier keine Rolle. Antworten, an denen nichts auszusetzen ist, erhalten die Bewertung T . Antworten, die Wendungen enthalten, die Ihnen holprig oder unnatürlich, aber nicht falsch erscheinen, sollten mit '2' bewertet werden. Antworten, die Wendungen enthalten, die Sie eher vermeiden würden, weil sie falsch klingen, erhalten die Bewertung '3'. Antworten, die Ihnen eindeutig falsch erscheinen, die aber als Antwort auf die Frage noch zu verstehen sind, erhalten die Bewertung '4'. Antworten, deren Bezug zur Frage Sie erst nach wiederholtem Lesen verstehen, erhalten die Bewertung '5'. Bitte unterstreichen Sie in Antworten, denen Sie eine schlechtere Bewertung als Ί ' geben, unbedingt die Wendung, die Sie stört. Durch das in der Aufgabenstellung beschriebene Szenario sollten die Muttersprachlerinnen stärker ermutigt werden, sich auf ihr Sprachgefühl zu verlassen, da sie vermeintliche Äußerungen von Personen zu beurteilen hatten, die über genau dieses Sprachgefühl nicht verfügen. Damit wurden sie gleichzeitig von dem störenden und verunsichernden Verdacht abgelenkt, dass sie einen Grammatiktest zu absolvieren hatten. Das erfundene Szenario erforderte eine etwas andere Charakterisierung der Eigenschaften der mit den Noten Τ bis '5' zu bewertenden Testsätze. Inhaltlich stimmten die g Zur statistischen Vergleichbarkeit der Ergebnisse des ersten Durchgangs mit denen des zweiten und dritten Durchgangs, vgl. Abschnitt 2.2 Diese Einschränkung fehlte in der Aufgabenstellung des ersten Durchgangs, wurde aber trotzdem im Vorgespräch angesprochen. Wie auch Schütze (1996) feststellt, sind die meisten Versuchspersonen aber nicht in der Lage, diese Unterscheidung zu treffen. Dies bestätigt auch die vorliegende Untersuchung: ein Füllsatz im dritten Durchgang, der eine pragmatische Fehlleistung enthielt, sprachlich aber einwandfrei war, erhielt in beiden Fragebögen die mittlere Bewertung 3,7. Die relative Vergabe der einzelnen "Noten' stimmte bei beiden Fragebögen genau überein. Es ist also m.E. ratsam, die Testsätze so zu formulieren, dass sie inhaltlich völlig unmarkiert sind. Die obligatorischen Unterstreichungen der abweichenden Konstruktionen im Testsatz (durch die Testpersonen) haben sich in der vorliegenden Untersuchung auch im Hinblick auf dieses Problem bewährt.

55 Charakterisierungen der mit 'Γ, '3', '4' und '5' zu bewertenden Sätze jedoch mit denen im ersten Durchgang Uberein. Nur die Note '2' erhielt auch inhaltlich eine etwas andere Charakterisierung. Es hätte keinen Sinn gemacht, in den letzten beiden Durchgängen Sätzen, die in der gesprochenen Sprache angemessen sind, die Note '2' zuzuordnen, denn alle Testsätze sollten ja angeblich Ausschnitte aus Dialogen einer Konversationsrunde wiedergeben. Daher wird die Bedingung für die Bewertung von Sätzen mit '2' hier negativ ausgedrückt "Sätze, die Ihnen holprig oder unnatürlich, aber nicht falsch erscheinen". Die unterschiedliche Formulierung der Bewertungskriterien sollte aber als Einfluss auf das Bewertungsverhalten der Testpersonen nicht überbewertet werden, da auch im ersten Durchgang bei mit '2' bewerteten Sätzen die "störende Wendung" unterstrichen werden musste, woraus folgt, dass in allen Durchgängen nur solche Sätze mit '2' bewertet wurden, die als leicht abweichend empfunden wurden. Der Kasten mit den Stichworten für die Bewertung, der als Kopf jeder Seite erschien, enthielt die folgenden Zuordnungen: 1 = völlig o.k.; 2 = kann man sagen, klingt aber nicht so gut; 3 = sollte man anders ausdrücken, weil es falsch klingt; 4 = eindeutig falsch; 5 = unverständlich. Wie im ersten Durchgang folgten auf die Aufgabenstellung mit den anschließenden besonders hervorgehobenen Hinweisen (s.o.) die Beispiele für die Bewertung der Testsätze, vgl.(3). 10 (3)

2

F: Was halten Sie vom System der Mulltrennung und Wiederverwertung? A: Ich halte es für fraglich, ob solche Maßnahmen wirklich dem Umweltschutz dienen. F: Kommt Ihre Freundin heute nicht? A: Möglicherweise hat sie wieder einmal vergessen.

Beispiel 3

F: Sie wohnen doch in Brühl. Was sagen Sie zum Fall Kaplan? A: Der Mord der unschuldigen Kinder hat mich sehr schockiert.

Beispiel 1

Beispiel

H

Wie die Beispiele zeigen, wurden die Testsätze wieder in Tabellenform präsentiert, wobei die zu bewertenden Antworten einen Punkt größer gedruckt waren als die Fragen, die ja bei der Bewertung nicht berücksichtigt werden sollten. Tatsächlich hatten die Testpersonen keine Schwierigkeiten damit, Testsätze und Kontext (Fragen) auseinander zu halten. Alle Fragbögen wurden im Vorfeld der Untersuchung Bekannten und Freunden (naiven erwachsenen Sprecherinnen) vorgelegt. Sie bearbeiteten die Fragebögen alleine und gaben nachher detailliert Auskunft Uber ihre Schwierigkeiten bei der Bewertung bestimmter Testsätze, Doppeldeutigkeiten, missverständliche Sätze und darüber, wie bestimmte Bewertungen (die von meinen eigenen Intuitionen abwichen) zustande gekommen waren. Nach diesem Testlauf wurden die Fragebögen zum letzten Mal überarbeitet und erhielten die Form, in der sie den Testpersonen vorgelegt wurden.

10

Alle Fragebögen bestanden aus mehreren gehefteten DinA4-Blättern im Querformat, waren also übersichtlicher als die folgende Illustration im Hochformat.

56 2.1.5 Durchführung Die gesamte Fragebogenaktion wurde in einem Projektraum an der Universität durchgeführt. Alle Testpersonen füllten ihren Fragebogen in diesem Raum aus. So war gewährleistet, dass die Bearbeitung bei allen Probanden unter den gleichen Bedingungen (ohne Unterbrechungen, ohne Ablenkung, ohne Hilfsmittel etc.) stattfand. Die Probanden wurden angewiesen, die Aufgabenstellung gründlich durchzulesen. Anschließend wurden sie noch einmal mündlich daraufhingewiesen, dass es nicht darum ginge, ihre Grammatikkenntnisse zu testen, sondern dass vielmehr ermittelt werden solle, wie deutsche Muttersprachlerinnen tatsächlich sprechen. Besonders eindringlich wurde den Probanden eingeschärft, dass sie nicht vergessen sollten, bei allen Bewertungen außer Ί', den Teil des Satzes zu unterstreichen, der ihnen abweichend erschien. Sie wurden darauf hingewiesen, dass Bewertungen zwischen '2' und '5' nur dann gezählt werden könnten, wenn sie diese Regel befolgten. Sie wurden auch darüber aufgeklärt, dass ihre eigenen Bewertungen der Beispielsätze am Anfang des Fragebogens durchaus von den angegebenen Bewertungen abweichen könnten und dass es in der Tat viele Personen gebe, die die Sätze anders bewerten würden. Einige Testpersonen ergriffen die Gelegenheit, über die Bewertungen in den Beispielsätzen zu diskutieren. Tatsächlich waren die Beispiel-Testsätze des zweiten Durchgangs Füllsätze des ersten Durchgangs. Die exemplarischen Bewertungen gaben jedoch nicht die mittleren Bewertungen der Testpersonen im ersten Durchgang wieder, sondern meine eigenen. Ich beabsichtigte dadurch auch, den Testpersonen klar zu machen, was es bedeutet, sich auf das eigene Sprachgefühl zu verlassen. Bevor sie mit der Bewertung der Testsätze begannen, ermutigte ich die Testpersonen, Fragen zu stellen, wann immer ihnen etwas unklar sei. Es gab keine Übungsphase. Nach der Erläuterung der Aufgabenstellung begannen die Testpersonen sofort mit der Bearbeitung des Fragebogens.

2.2 Auswertung

2.2.1 Gültige und ungültige Bewertungen Die Daten jeder Testperson wurden in eine Datenbank aufgenommen. Bewertungen von Testsätzen (außer T ) wurden jedoch nur gezählt, wenn in Testsätzen ein NI bzw. eines seiner Argumente unterstrichen worden war. Nicht gewertet wurden auch Beurteilungen zwischen '2' und '5', die mit der Unterstreichung eines ganzen Satzes einhergingen. Entsprechendes galt auch für die Testsätze, die zur Abgrenzung des Verhaltens von NIen gegenüber dem ihrer Basisverben bzw. anderer deverbaler oder genuiner Nomina herangezogen wurden. Auch hier mussten bei gültigen Bewertungen von '2' bis '5' die relevanten Konstituenten unterstrichen sein. Die Füllsätze unterlagen etwas anderen Bedingungen. In den Fragebögen 1 und 2 gab es zwei Hauptkategorien von Füllsätzen: 1. Abweichende oder ungrammatische Sätze, die

57 eine Einschätzung des Bewertungsverhaltens der Testpersonen ermöglichen sollten." Bei diesen wurden nur Bewertungen zwischen '2' und '5f gezählt, die durch Unterstreichung auf die abweichenden bzw. ungrammatischen Konstruktionen bezogen waren. 2. Eine verhältnismäßig große Anzahl von grammatischen Füllsätzen, die wenig frequente Verben enthielten (z.B. nahegehen, anhängen (Vereinigung), entnerven usw.). Von diesen Verben waren wegen ihrer besonderen lexikalischen Eigenschaften Nie abgeleitet worden, die in den Testsätzen vorkamen. Die Füllsätze dienten zur Überprüfung der Akzeptanz dieser Verben, die abgesehen von den fur die Untersuchung relevanten lexikalischen Eigenschaften auch einen Einfluss auf die Akzeptanz der Nie haben konnte. Bei diesen Füllsätzen wurden nur Bewertungen >'1' gezählt, die sich durch Unterstreichimg auf die entsprechenden Verben bezogen. Bei den wenigen grammatischen Füllsätzen, die ebenfalls zur Einschätzung des Bewertungsverhaltens der Testpersonen dienten, wurden Bewertungen > T nicht gewertet, wenn die Unterstreichungen offensichtlich grammatische Konstruktionen markierten und sich augenscheinlich auf pragmatische oder stilistische Unangemessenheit bezogen. Im Durchschnitt waren pro Fragebogen 5,7% der Bewertungen ungültig. Das waren je nach Anzahl der in den verschiedenen Fragebögen enthaltenen Testitems zwischen vier und fünf Bewertungen. In sechs der insgesamt 180 Fragebögen waren mehr als 20% der Bewertungen ungültig. Trotzdem wurden die Fragebögen im Unterschied zu einigen anderen (die etwa keine Unterstreichungen enthielten oder sonst wie erkennen ließen, dass die Testperson die Aufgabenstellung nicht verstanden hatte) nicht aussortiert, denn das Bewertungsverhalten der Testpersonen unterschied sich ansonsten nicht von dem der anderen Teilnehmerinnen, d.h. Testitems, die allgemein negativ bewertet wurden, erhielten auch bei diesen Probanden schlechtere Bewertungen relativ zu den Testitems, die allgemein positiv bewertet wurden, und umgekehrt. Es ließ sich beobachten, dass einige Testpersonen Schwierigkeiten hatten, zu entscheiden, welche Konstituente in einem Satz die Ungrammatikalität verursacht oder die Akzeptabilität beeinträchtigt. Etwa 20% der Testpersonen zeigten nur bei den ersten Testitems Unsicherheit (ca. 1-2 Fehlleistungen) und identifizierten anschließend treffsicher die abweichenden Konstruktionen. Diese Beobachtung würde fur eine Übungsphase vor dem Bearbeiten der Fragebögen sprechen. Die Fragebögen dokumentieren jedoch, dass die meisten Teilnehmerinnen (61%) keine Schwierigkeiten hatten, diese Konstituenten zu identifizieren. 13% der Testpersonen gaben durch die ganze Befragung hindurch vereinzelte Fehlurteile ab und bei den verbleibenden 6% der Probanden traten ein oder 2 Fehlurteile in der Mitte des Fragebogens auf.

11

Matthias Schlesewsky (pers. Mitteilung) machte mich darauf aufmerksam, dass meine Fragebögen zwar Sätze enthalten, die eindeutig und von allen Testpersonen mit 'Γ bewertet wurden, nicht aber solche, die ebenso übereinstimmend mit 'S' bewertet wurden. Ein solcher unzweifelhaft ungrammatischer Satz wäre etwa Die Kind bestrafen die Mutter. Wenn auch solche Füllsätze in den Fragebögen enthalten gewesen wären, hätte man das Bewertungsverhalten der Testpersonen besser einschätzen können.

58

2.2.2 Vergleichbarkeit der Bewertungen von Testsätzen mit und ohne Kontext Wie in 2.1.4 beschrieben, wurden den Testpersonen des ersten Durchgangs kontextfreie Sätze präsentiert, während die Testsätze des zweiten und dritten Durchgangs als Antworten in Dialogausschnitten konstruiert waren, wobei die Fragen als sprachlicher Kontext für die Testsätze dienten. Auch die Aufgabenstellung war in den letzten beiden Durchgängen etwas anders formuliert. Da aus den im vorigen Abschnitt erläuterten Gründen Testsätze aus dem ersten Durchgang in den folgenden Durchgängen durch andere ersetzt wurden, waren in der bei der theoretischen Auswertung analysierten Datenmenge sowohl innerhalb eines Themenkomplexes als auch innerhalb einzelner Testgruppen Sätze aus dem ersten und den letzten beiden Durchgängen vermischt. Es stellt sich daher die Frage, ob die Bewertungen der Sätze aus dem ersten Durchgang mit denen der beiden letzten Durchgänge überhaupt vergleichbar sind. Die Bewertungen eines einzelnen Testsatzes sowie von zwei Testgruppen, die sowohl in kontextfreien Sätzen sowie eingebettet in Frage-Antwort-Paare getestet wurden, belegen jedoch die Vergleichbarkeit der Daten aus den verschiedenen Durchgängen. Zu den Testgruppen aus dem ersten Durchgang, die mit anderen NIen bzw. Verben im letzten Durchgang erneut getestet wurden, gehörte zum einen die, in der die Akzeptanz der Weglassung des obligatorischen Rezipienten/Adressaten von /Nom/Akk/Dat-Verben geprüft wurde (vgl. (4a,b), und zum anderen die Testgruppe mit den entsprechenden abgeleiteten NIen, in denen die Rezipient und Patiens zusammen durch gegenseitig realisiert wurden (vgl. (5) bzw. (6)). Die entsprechenden Testgruppen bestanden im ersten Durchang aus 5 und mehr Testsätzen und wurden zur Vereinheitlichung im letzten Durchgang durch zwei neue Vierergruppen ersetzt. Der Aufbau der Testsätze, die die dreistelligen Verben enthielten, war in den beiden Durchgängen ähnlich (alle sind in eine zw-Infinitiv-Konstruktion eingebettet, in denen das Akkusativ-Argument des Verbs, nicht aber das Dativ-Argument realisiert war.) Leider wurden in beiden Durchgängen unterschiedliche Prädikate verwendet, so dass ein Vergleich der Bewertung desselben Verbs unter den unterschiedlichen Testbedingungen nicht möglich ist. Der Durchschnitt der mittleren Bewertungen der Sätze der hier verglichenen Testgruppen war in beiden Durchgängen 1,9. (4)

(a)

1. Durchgang12 Er schreibt gerne Briefe, aber es ist ihm oft lästig, die Post zuzusenden. (1,8)

(b)

2. Durchgang F: Wieso versuchen Sie es nicht einmal mit einer kleinen List, wenn Sie sonst nichts aus Ihrem Sohn herausbekommen? A: Ich weiß nicht, ich finde es dem Kind gegenüber unfair, unfreiwillige Geständnisse zu entlocken. (1,8)

Insgesamt waren die Bewertungen der Testsätze der Testgruppe, der die Sätze in (4) angehören, jedoch unter beiden Testbedingungen sehr uneinheitlich (zwischen 1,6 und 2,3 bei kontextfreien Sätzen und zwischen 1,4 und 2,7 mit Kontext). Deutlicher zeigt sich die Vergleichbarkeit der in den unterschiedlichen Durchgängen erhobenen Daten daher bei der 12

Die Zahlen in Klammem geben die mittleren Bewertungen der Testsätze an.

59 folgenden Gruppe, obwohl auch hier die Bewertungen innerhalb der Gruppe vergleichsweise heterogen waren (vgl. dazu 2.2.3). Auch hier stimmte der Durchschnitt der mittleren Bewertungen der Testsätze der Gruppe in beiden Durchgängen überein. Er lag jeweils bei 1,7. In dieser Gruppe lassen sich aufgrund der ähnlichen Konstruktion die Testsätze mit demselben NI (5d) und (6d) direkt vergleichen: (5)

(a)

(b) (c) (d) (e) (6)

(a)

(b)

(c)

(d)

1. Durchgang Das gegenseitige Überlassen ihrer Hausaufgaben ist unter Freunden selbstverständlich. (1,8) Das gegenseitige Zusenden von SMS' ist im Unterricht strengstens untersagt. (1,2) Bei diesem Spiel geht es um das gegenseitige Einflößen von Flüssigkeiten mit verbundenen Augen. (1,8) Das gegenseitige Schenken von Geld und Gutscheinen ist eine Unart. (1,5) Es war bekannt, dass die beiden sich das gegenseitige Widmen ihrer Bücher versprochen hatten. (2,0) 2. und 3. Durchgang F: Alle vier sind so sympathisch und interessant, wieso liegen sie sich nur dauernd in den Haaren? A: Ich glaube, das Hauptproblem in dieser Familie ist der übertriebene Ehrgeiz und das gegenseitige Missgönnen beruflicher Erfolge. (1,3) F: Wie verstehst du dich denn mit deinen neuen Arbeitskolleginnen? A: Eigentlich gut. Nur manchmal bringen sie mich mit dem Mitteilen privater Probleme in Verlegenheit. (2,2) F: Und was hast du früher am liebsten mit deinen Freundinnen gespielt? A: Am meisten Spaß hat uns das gegenseitige Entlocken unserer kleinen Geheimnisse gemacht. (1,7) F: Was hattest du denn an unserer Weihnachtsfeier auszusetzen? A: Ach, dieses geistlose gegenseitige Schenken nutzloser Gegenstände hat mir einfach die Freude verdorben. (1,4)

Testsätze (5d) und (6d) wurden nicht nur gleich bewertet (Unterschiede von 0,1 sind nicht aussagekräftig), sondern es stimmte auch die Häufigkeit der Vergabe der einzelnen Noten fur die beiden Testsätze ungefähr überein: fur (4d) wurde 19-mal die Τ vergeben, 5-mal die '2' und 4-mal die '3'. Zwei Bewertungen waren ungültig. Für (5d) wurde 18-mal die Τ vergeben, 8-mal die 2 und 2-mal die '3'. Zwei Bewertungen waren ungültig. Auch der Vergleich der Bewertungen der folgenden beiden Testeinheiten bestätigt, dass nicht nur die mittleren Bewertungen übereinstimmen, sondern auch die relative Verteilung der vergebenen Noten: (7)

(a)

1. Durchgang Sie hatte sehr auf das Passen der knappen Hüfthose nach der Diät gehofft. (2,3)

60 (b)

2. Durchgang F: Der Anzug war doch sicher sehr teuer. A: Ja, aber das perfekte Passen der Hose hat mich überzeugt. (2,3)

(7a) wurde 8-mal mit Τ bewertet, 14-mal mit '2', 6-mal mit '3' und 2-mal mit 4; (7b) 6-mal mit Ύ, 14-mal mit '2' 7-mal mit '3', 2-mal mit '4' und einmal mit '5'. Schütze (1996) untersucht den Zusammenhang zwischen Grammatikalitätsurteilen und Kontexteinbettung der Testsätze. Ein solcher Zusammenhang lässt sich nur für ambige oder sehr markierte, schwer analysierbare Konstruktionen nachweisen. Er empfiehlt dennoch die Einbettung von Testsätzen in einen geeigneten Kontext, um auf diese Weise die Interpretation des Testsatzes zu kontrollieren, da einiges daraufhindeutet, dass Testpersonen kontextfreie Sätze von sich aus in einen Defaultkontext einbetten bzw. als abweichend bewerten, weil sie keinen adäquaten Kontext konstruieren können. Durch die Spezifizierung des Kontextes können deshalb einheitlichere Bedingungen für die Bewertung geschaffen werden. Für die Interpretation in der vorliegenden Untersuchungen untersuchten Konstruktionen waren Kontextinformationen in der Regel nicht zwingend nötig. Trotzdem ist die Angabe des Kontextes aus dem oben genannten Grund ratsam.

2.3 Mittlere Bewertungen und Akzeptabilitätsurteile

In der linguistischen Literatur werden graduelle Grammatikalitätsabstufungen von Sätzen traditionell anhand der vier Labels 'grammatisch' bzw. 'voll akzeptabel'; 'leicht abweichend'; 'stark abweichend' und 'ungrammatisch' kategorisiert. Um besser bestimmte Tendenzen bei der Bewertung der Testsätze der vorliegenden Untersuchung erfassen zu können, sollen diesen Labels bestimmte Intervalle mittlerer Bewertungen zugeordnet werden. Wenn die Zuordnung von Bewertungsintervallen zu diesen Labels auch aufgrund der speziellen Art der Auswahl der Test- und Füllsätze sowie aufgrund der unterschiedlichen Testbedingungen in den verschiedenen Durchgängen sich statistisch nicht zwingend begründen lässt,13 so wurde das Bewertungsverhalten der Testpersonen doch genau untersucht, und bestimmte Beobachtungen, die die Zuordnung beeinflusst haben, sollen hier ausführlich nachvollzogen werden. Alle mittleren Bewertungen der einzelnen Testsätze lagen zwischen 1,0 und 4,2, wobei mittlere Bewertungen über 3,6 sehr selten waren. Das gesamte Spektrum der Bewertungsskala wurde nicht ausgenutzt. Wie bereits in Fußnote 9 erwähnt, ist dies ein Nachteil der vorliegenden Untersuchung, der sich durch eine ausgewogenere Auswahl der Füllsätze hätte vermeiden lassen. Worin der Nachteil besteht, wird sich weiter unten zeigen. Der Durchschnitt aller mittleren Bewertungen der Testitems lag bei 2,0. Auch daran zeigt sich, dass Bewertungen schwerpunktmäßig im oberen Bereich der Skala vorgenommen wurden. Ein Verfahren, um Graimnatikalitätsurteile zu erheben, die eine solche Zuordnung erlauben, ist Magnitude Estimation (vgl. Bard et al. 1996). Leider war mir dieses Verfahren zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht bekannt.

61 Für alle Testsätze wurde der Grad der Übereinstimmung bei der Bewertung festgestellt, d.h. es wurde errechnet, wie viel Prozent der Testpersonen, die am häufigsten vergebene Bewertung abgegeben haben. Auch die Standardabweichung bei der Bewertung aller Sätze wurde berechnet. Außerdem wurde ermittelt, wie hoch der Prozentsatz der fehlerhaften, also nicht mitgezählten Bewertungen war (z.B. Bewertungen, die nicht durch Unterstreichung auf die als abweichend empfundene Konstruktion im Satz bezogen waren oder Bewertungen, die sich nicht auf den NI bzw. die zu testende Konstruktion bezogen).

Diagramm 1 Korrelation zwischen mittlerer Bewertung und Standardabweichung

0,00 1,0

mittlere Bewertung

63 Anschließend wurde überprüft, ob eine Korrelation zwischen Grad der Übereinstimmung, Standardabweichung oder Häufigkeit der Fehler und der mittleren Bewertung der Sätze bestand. Während keine Korrelation zwischen Fehlerhäufigkeit und mittlerer Bewertung bestand, war eine Korrelation zwischen Übereinstimmungsgrad und mittlerer Bewertung ebenso zu erkennen wie zwischen Standardabweichung und mittlerer Bewertung. Aussagekräftiger ist hier die Standardabweichung, weil durch sie einheitliches Bewertungsverhalten genauer erfasst wird. Diagramm 1 zeigt, dass die Standardabweichung bei mittleren Bewertungen zwischen 1,0 und etwa 2,9 kontinuierlich ansteigt und dann zwischen 2,9 und 4,2 wieder kontinuierlich absinkt. Hier manifestiert sich nun der Nachteil, der aus der ungleichen Verteilung der eindeutig relativ guten und relativ schlechten Testitems sowie aus dem völligen Fehlen total inakzeptabler Testitems resultiert: die U-Form der Kurve ist nicht perfekt. Allerdings besteht tatsächlich ein Zusammenhang zwischen der mittleren Bewertungen und der Standardabweichung, d.h. die Streuung ist im mittleren Bereich der Skala, also bei mittleren Bewertungen zwischen 2,2 und 3,3 am höchsten und an den äußeren Enden der Skala am geringsten. Der Grad der Korrelation beträgt 0,644.14 Das Diagramm ist horizontal durch drei Balken unterteilt. Diese kennzeichnen die Bewertungsintervalle, die den vier Labels zugeordnet werden: mittlere Bewertungen zwischen 1,0 und 1,4 werden mit der Beurteilung als 'voll akzeptabel' gleichgesetzt, Bewertungen zwischen 1,5 und 1,7 werden als 'leicht abweichend' eingestuft, Bewertungen zwischen 1,8 und 2,8 als 'stark abweichend' und Bewertungen ab 2,9 werde ich mit dem Label 'ungrammatisch' belegen. Es fällt auf, dass die Größe der angenommenen Intervalle sehr unterschiedlich ist. Diese Einteilung ist jedoch nicht zufällig, sondern durch eine Reihe von Beobachtungen gestützt, auf die ich kurz eingehen will. Die durchschnittliche Standardabweichung bei der Bewertung aller Sätze betrug 0,91. Mittlere Bewertungen unter 1,5 hatten eine mittlere Standardabweichung von 0,5; bei Bewertungen zwischen 1,5 und 1,7 liegt die mittlere Standardabweichung nur noch knapp unter dem Gesamtdurchschnitt und bei höheren bzw. schlechteren Bewertungen liegt sie schon deutlich über dem Durchschnitt.(um 1,1) Die höchste Standardabweichung haben Bewertungen um 2,9, deshalb habe ich hier die 'Schallgrenze' angesetzt, ab der Bewertungen mit einer Beurteilung als ungrammatisch gleichgesetzt werden. Diese Einteilung wird zudem durch weitere Beobachtungen gestützt: Die Bewertungen grammatisch korrekter Füllsätze bewegte sich zwischen 1,0 und 1,6. Der Mittelwert war 1,2. Geht man davon aus, dass Bewertungen, die sich mit einem Spiel von 0,2 nach oben und nach unten um diesen Mittelwert bewegen grammatisch einwandfreien Sätzen zugeordnet werden, hat man genau das oben angesetzte erste Intervall. Der Mittelwert aller Bewertungen von NIen, die über dem Gesamtdurchschnitt von 2,0 lagen, lag bei 2,8/2,9. Auch dies stützt die Annahme der Schallgrenze bei 2,9. Bei der Diskussion der Untersuchungsergebnisse wird also auf die folgende Zuordnung Bezug genommen: Bewertungen, die im Mittel zwischen 1,0 und 1,4 liegen, entsprechen einer Beurteilung als völlig akzeptabel. Bewertungen, die im Mittel zwischen 1,5 und 1,7 liegen, entsprechen einer Beurteilung als leicht abweichend. 14

Ich danke Matthias Schlesewsky für diese und andere Berechnungen.

64 Bewertungen, die im Mittel zwischen 1,8 und 2,9 liegen, entsprechen einer Beurteilung als stark abweichend. Bewertungen, die im Mittel zwischen über 2,9 liegen, entsprechen einer Beurteilung als ungrammatisch. Abschließend sei noch einmal daran erinnert, dass diese Zuordnungen als Sprachkonventionen zu verstehen sind und dass die Richtigkeit der zu entwickelnden Theorie davon völlig unabhängig ist.

3. Nominalisierte Infinitive im Wettbewerbsmodell

In diesem Kapitel werden zunächst in 3.1 und 3.2 die Ergebnisse der Fragebogenstudie bezüglich der in Kapitel 1 formulierten Ausgangshypothesen vorgestellt. Abschnitt 3.1 beschäftigt sich mit dem Themenkomplex 'Blockaden für situationsbezogene Nie' und 3.2 mit dem Bereich 'Argumentrealisierung bei NIen'. Es wird sich zeigen, dass die Untersuchungsergebnisse die Ausgangshypothesen weitgehend bestätigen, dass letztere aber in einigen Fällen nicht differenziert genug waren. Die syntaktischen und semantischen Beschränkungen, denen Konstruktionen mit NIen unterliegen, sind also etwas komplizierter als zunächst angenommen. Es wird sich zeigen, dass die Prinzipien in vielfaltiger Weise miteinander interagieren. In 3.3 wird ein Vorschlag skizziert, wie sich die Art dieser Interaktion in Form eines Wettbewerbsmodells erfassen lässt, in dem jedem Prinzip eine Gewichtung zugeteilt wird, die proportional zu dem Akzeptabilitätsverlust ist, die nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen mit der Verletzung des Prinzips einhergeht. Die Gewichtung der Prinzipien wird anhand nummerischer Werte notiert, die den Strukturen, die sie verletzen in Form von Punktabzügen zugeordnet werden. Bei Strukturen, die mehrere Prinzipien verletzen oder Mehrfachverletzungen eines Prinzips aufweisen, wird der Interaktion der Prinzipien durch die Summierung der jeweiligen Punktabzüge Rechnung getragen.

3.1 Blockaden

In den Ausgangshypothesen wurden als mögliche Faktoren, die einen Einfluss auf die Blockade von NIen haben, zunächst Aktionsart im Zusammenspiel mit markierten Linkingmustern bei psychologischen Prädikaten genannt (vgl. dazu Toman 1983), aber auch die Nicht-Vererbbarkeit von Argumenten des Basisverbs sowie nicht erfüllte bzw. erfüllbare Realisierungsforderungen des NIs wurden zumindest bei ereignisreferierenden NIen als zusätzliche Faktoren in Erwägung gezogen. Alle diese Faktoren wurden in der Untersuchung soweit wie möglich isoliert betrachtet, so dass in den folgenden Teilabschnitten recht differenziert analysiert werden kann, wie stark und unmittelbar der Einfluss der einzelnen Faktoren ist, von welchen Parametern er jeweils abhängt und wie die Faktoren miteinander interagieren. In Abschnitt 3.1.1 wird vor allem der Einfluss der Zustandhaftigkeit untersucht, wobei besonderes Augenmerk darauf gerichtet wird, ob in diesem Zusammenhang bestimmte Linkingmuster eine zusätzliche Rolle spielen, wie Toman (1983) annimmt, oder ob eine Bezugnahme auf die Linkingmuster redundant ist, da die markierten Linkingmuster, von denen die Rede ist, eben nur bei statischen Prädikaten auftreten. In 3.1.2 wird nachgewiesen, dass bestimmte Argumentstellen der Basisverben tatsächlich nicht an den NI vererbt werden können, was dann bei gleichzeitig vorliegenden Realisierungsforderungen für diese in der Bedeutungsstruktur des NI noch vorhandenen impli-

66 ziten Argumente zu Blockaden führen kann. Dass Nie entgegen verbreiteter Ansicht tatsächlich die obligatorische Realisierung bestimmter Argumente fordern können und dass diese Realisierungsforderungen genauso stark sind wie die vom Verb ausgehenden, wird in 3.1.3 gezeigt. 3.1.4 bietet einen Überblick über die im vorliegenden Abschnitt identifizierten Einflussfaktoren und erläutert, wie diese miteinander interagieren.

3.1.1 Aktionsart Der von Toman (1983) vorausgesetzte Einfluss von Aktionsart und Linkingmuster auf die Bildbarkeit von NIen (vgl. Kap. 1) wurde an 11 Testgruppen bzw. 44 Testsätzen (vgl. 1.1 01-44) untersucht.1 In Kapitel 1 wurde die Notwendigkeit gezeigt, zwischen Restriktion bezüglich der Bildung von NIen von Zustandsverben einerseits und Einflüssen, die vom Linkingmuster bzw. der Verteilung der thematischen Rollen beim Basisverb und von Belebtheitsrestriktionen für bestimmte Partizipanten herrühren, andererseits zu differenzieren, vgl. dazu 1.3. Die Testgruppen umfassen daher neben den beiden von Toman (1983:84) genannten Klassen, vgl. b) und i), eine Vergleichsgruppe zu i) mit markiertem Kasusmuster, vgl. j); sowie viele weitere Gruppen mit NIen von Psych-Verben, nämlich Nie von statischen Psych-Verben mit unterschiedlichen Linkingmustern, vgl. a) und c); Nie von Varianten statischer Psych-Verben mit unterschiedlichen Linkingmustern bei erzwungener agentiver Lesart, vgl. d) und f); inchoative/ punktuelle Psych-Verben mit unterschiedlichen Linkingmustern, vgl. e), g) und h); und schließlich auch eine Gruppe Nie von intransitiven statischen Verben, vgl. k): a) Nie von statischen Psych-Verben mit Nominativ-Experiencer und Akkusativ-Stimulus (Mögen, Spüren, Wissen, Hören)·, b) Nie von statischen Psych-Verben mit Nominativ-Stimulus und Akkusativ-Experiencer (Begeistern, Faszinieren, Entnerven, Abstoßen)·, c) Nie von statischen Psych-Verben mit Nominativ-Stimulus und Dativ-Experiencer (Nahegehen, Bekommen i.S.v. vertragen, Zusetzen, Schweifallen) d) Vergleichsgruppe 1 zu a): Nie von in unmarkierter Lesart statischen Psych-Verben mit Nominativ-Experiencer bei erzwungener agentiver Lesart (Interessieren, Ängstigen, Beeindrucken, Ärgern)·, e) Vergleichsgruppe 2 zu a): Nie von punktuellen inchoativen Psych-Verben mit Nominativ-Experiencer und Akkusativ-Stimulus (Bemerken, Vergessen, Erblicken, Erkennen)·, f) Vergleichsgruppe 1 zu b): Nie von in unmarkierter Lesart statischen Psych-Verben mit Nominativ-Stimulus bei erzwungener agentiver Lesart (Hassen, Spüren, Hören, Akzeptieren i.S.v. hinnehmen); 1

Die Testsätze mit den jeweiligen mittleren Bewertungen (sowie die Anzahl der ungültigen Bewertungen, die Standardabweichung und der Prozentsatz der Übereinstimmung in Bezug auf die am häufigsten vergebene Bewertung) finden sich im Anhang. (Zur Erläuterung dieser Größen, vgl. Kap. 2.) In den durch römische Ziffern gekennzeichneten drei Haupttestblöcken sind die Testsätze durchnummeriert. Die Signatur 1.1 01 bezieht sich also auf Satz 1 in Testblock 1.1 im Anhang. Die Testblöcke untergliedern sich in Themenbereiche (gekennzeichnet durch arabische Ziffern) und Testgruppen (alphabetisch geordnet).

67 g) Vergleichsgruppe 2 zu b): Nie von (nicht-agentiven) punktuellen bzw. inchoativen Psych-Verben mit Nominativ-Stimulus und Akkusativ-Experiencer {Erschüttern, Überraschen, Verunsichern, Ärgern); h) Vergleichsgruppe zu c): N i e von (nicht-agentiven) punktuellen bzw. inchoativen PsychVerben mit Nominativ-Stimulus und Dativ-Experiencer (,Einfallen, Zustoßen, Entgehen, Herausrutschen)·, i) Nie von statischen /Nom/Akk-Verben mit zwei Thema-Argumenten 2 {Enthalten, Wiegen, Besitzen, Ergeben)·, j ) N i e von statischen /Nom/Dat-Verben mit zwei Thema-Argumenten {Anhängen, Dienen, Gehören, Zustehen); k) N i e von intransitiven statischen Verben mit belebten Partizipanten {Schlafen, Frieren, Dösen, Bluten). Die folgende Tabelle enthält die mittleren Bewertungen, die Standardabweichung und den Grad der Übereinstimmung bei der Bewertung 3 der Sätze in diesen Testgruppen: (Tab. 1) NI: statisch, agentiver Kontext 2,0:1,53:52 2,4:1,03:46/ 2,0:1,01:434

NI: punktuell/ inchoativ 1,5:0,80:66

Basisverb

NI: statisch

NOM-EXP/AKK-STIM

2,6:1,03:44

NOM-STIM/AKK-EXP

3,4:1,07:45

NOM-STIM/DAT-EXP

3,3:1,05:46

-

2,6:1,11:41/ 2,8:1,18:37

NOM-TH/AKK-TH

3,0:0,97:43

-

-

NOM-TH/DAT-TH

3,3:1,05:42

-

-

NOM-TH

1,9:0,78:53

-

-

3,2:1,29:35

Betrachten wir zunächst die erste Spalte: hier haben wir in der ersten Zeile N i e von statischen Psych-Verben mit unmarkiertem Linkingmuster, 5 denn bei diesen Verben wird der 2

4

Traditionelle Thetarollen-Labels wie 'Agens', Experiencer', 'Stimulus' etc. werden hier nur aus Gründen der Anschaulichkeit verwendet. Als theoretisches Modell wird hier die in Blume (2000) eingeführte Variante von Dowtys Proto-Rollen-Ansatz vorausgesetzt, in dem die thematische Rolle eines Arguments durch die Menge der Eigenschaften des Proto-Agens- und/oder ProtoPatiens-Konzepts definiert ist, die im vom Verb bezeichneten Ereignis für den entsprechenden Partizipanten impliziert sind. Stimuli weisen in dem in Blume (2000) angenommenen Proto-RollenInventar weder Proto-Agens- noch Proto-Patiens-Eigenschaften auf. Die Abwesenheit von ProtoRollen-Eigenschaften wird in Blume (2000) durch das Label 'thematisch' gekennzeichnet. Stimuli werden also unter Thema-Argumente subsumiert. Vgl. dazu Fußnote 1. Der Wert hinter dem Schrägstrich gibt jeweils den Mittelwert ohne einen in der Gruppe enthaltenen Ausreißer an. Vgl. zu den Linking-Mechanismen Blume (2000). Vorausgesetzt wird das von Dowty (1991) eingeführte Proto-Rollen-Modell in leicht abgewandelter Form. Als Proto-Agens-Eigenschañen gelten Kontrolle, Interesse, Aktivität und Bewusstheit. Ein Argument mit Proto-Agens-Eigen-

68

schwach agentive Experiencer im Nominativ kodiert und das Stimulus-Argument ohne Agens-Eigenschaften im Akkusativ, vgl. z.B. den NI Spüren in (1): (1)

F: Wie hat Ihnen das Märchen gefallen? A: Nicht besonders. Ich verstehe nicht, wieso alle die Prinzessin für das Spüren einer Erbse bewundern. (2,6)

Wie alle anderen Nie von zweistelligen statischen Verben in der ersten Spalte werden sie als nicht akzeptabel eingestuft.6 Bei erzwungener agentiver Lesart erzielt man eine bessere Bewertung (2). (2)

Das genüssliche Spüren kostbarer Stoffe auf ihrer Haut war ein Luxus, der sie einiges kostete. (2,3)

Allerdings werden auch diese Nie als abweichend eingestuft. Ebenfalls als abweichend werden die Nie von den Verben mit dem markierten NOM-STIM/AKK-EXP-Linkingmuster (3) bei erzwungener agentiver Lesart bewertet. Hier ist der Abstand zur Bewertung der entsprechenden Nie mit nicht-agentiver Lesart jedoch wesentlich größer als bei den NIen von Psych-Verben mit Nominativ-Experiencern, auf die ich weiter unten zurückkommen werde. (3)

Das Beeindrucken der Mädchen war in der 6. Klasse das Hauptziel der beiden Freunde. (2,1)

Der Kontrast zwischen den mittleren Bewertungen der Nie von Verben mit AkkusativExperiencern mit statischer und agentiver Interpretation ist besonders deutlich, wenn man Testsatz 1.1 23 (vgl. (4)) nicht berücksichtigt, der in der agentiven Testgruppe einen Ausreißer darstellt. Anders als die anderen Nie dieser Gruppe sperrt sich Interessieren gegen die agentive Lesart, was auch durch die geringe Akzeptanz des entsprechenden passivierten Verbs in dem Füllsatz Durch diesen Kurs sollen Mädchen för technische Berufe interessiert werden bestätigt wird.7 (4)

Die Dozenten streben mit diesem Programm ein intensives Interessieren der Studentinnen an. (3,4)

Den oben als punktuell/ inchoativ bezeichneten NIen liegen Verben zugrunde, die in Vendlers Klassifikation in etwa den achievement terms entsprechen. Unter diesen erhalten

7

schatten ist prädestiniert für die Kodierung im Nominativ. Dabei sind in dem in Blume (2000) entwickelten Modell die schwach potenten Eigenschaften 'Interesse' und 'Bewusstheit' aber weniger ausschlaggebend als die anderen potenteren. Da das Experiencer-Argument statischer PsychVerben nur schwach potente Proto-Agens-Eigenschaften hat, ist auch das markierte Linkingmuster NOM-STIM/AKK-EXP möglich. Auf die Tatsache, dass sie trotzdem deutlich besser bewertet werden als die Nie von anderen statischen Verben, gehe ich weiter unten ein. Zum Zusammenhang zwischen Agentivität und Passivierbarkeit vgl. Zifonun (1992). Im Unterschied zu dem Satz Bei Durchfall sollte dem Säugling mehrmals täglich Tee eingeflößt werden mit einem passivierten agentiven Verb, der mit einer mittleren Bewertung von 1,3 allgemein als grammatisch akzeptiert wurde, erhielt der Testsatz mit interessieren im Passiv nur eine mittlere Bewertung von 1,9.

69 die Nie von punktuellen/ inchoativen Psych-Verben mit Nominativ-Experiencem die besten Bewertungen. Diese werden nur als leicht abweichend empfunden (5a), solche von NOM-STIM/AKK-EXP- und NOM-STIM/DAT-EXP-Verben (5b,c) dagegen als stark abweichend. (5)

(a) (b) (c)

Ihr frühzeitiges Bemerken der Rauchwolken hat uns das Leben gerettet. ( 1,4) Das echte Überraschen der Kinder beim Anblick der Eltern war niemandem entgangea (2,9) Der Schüler betete um das rechtzeitige Einfallen der Lösung. (2,7)

Die Ablehnung der Nie von punktuellen/ inchoativen Verben mit Akkusativ-Experiencer lässt sich darauf zurückführen, dass Verben mit diesem Linkingmuster (ängstigen, interessieren, beeindrucken) und somit auch die abgeleiteten Nie bei unmarkierter Interpretation immer statisch sind und ihre inchoative/ punktuelle Lesart in dieser Testgruppe durch den Kontext erzwungen werden musste. Die wohl von den Testpersonen empfundene Diskrepanz zwischen der lexikalisch festgelegten Aktionsart der Prädikate und der durch den Kontext nahe gelegten manifestiert sich auch in der Unsicherheit bei der Bewertung der Sätze dieser Gruppe: die Urteile der Sprecherinnen gehen weit auseinander und die mittlere Standardabweichung von 1,29 liegt weit über dem Durchschnitt von 0,91. Die geringe Akzeptanz der Nie von Verben mit Dativ-Experiencern wiederum resultiert aus spezifischen vom NI ausgehenden Realisierungsforderungen für das in der Bedeutungsstruktur vorhandene zweite Argument, das aber nicht realisiert werden kann, weil Argumentpositionen für Dativ-Argumente nicht an den NI vererbt werden können, vgl. dazu ausführlich 3.1.2 und 3.1.3.8 Hinzu kommt in diesem Fall noch die Verletzung einer weiteren Restriktion bezüglich der Argumentrealisierung: ein Nominativ-Argument eines mehrstelligen Verbs kann beim NI nicht als Genitiv-Attribut realisiert werden, weil diese Argumentposition bei NIen von mehrstelligen Verben dem Akkusativ-Argument vorbehalten ist. Auf diesen Punkt werde ich in 3.2 näher eingehen.9 Wie die Nie von statischen NOM-EXP/AKK-STIM-Verben (Mögen, Hören) haben auch die Nie von intransitiven statischen Verben eine sehr viel höhere Akzeptanz als die Nie von zweistelligen statischen NOM-STIM/AKK-EXP-Verben (2,6 bzw. 1,9 gegenüber 3,3 im Mittel). Auf den ersten Blick scheint sich hier wie anfangs vermutet eine Interaktion der Faktoren Aktionsart und Linkingmuster bei der Blockade von NIen abzuzeichnen. Allerdings würde das nicht den großen Akzeptabilitätsunterschied zwischen den NIen von den g Eine Ausnahme bildet hier Herausrutschen (vgl. Anhang 1.1 32). Im Gegensatz zu den anderen von /Nom/Dat- Verben abgeleiteten NIen liegt hier möglicherweise ein NI von einem ursprünglich intransitiven Verb mit einer um eine Dativ-Stelle erweiterten Valenz vor, vgl. das Hemd ist herausgerutscht/ das Hemd ist ihm herausgerutscht wie in die Milchflasche ist umgekippt/ die Milchflasche ist ihm umgekippt. Die Bedeutungsstruktur des NI würde also nur eine Argumentvariable enthalten. Dies würde erklären, warum der entsprechende Testsatz eine wesentlich bessere Bewertung erhalten hat als die übrigen Testsätze der Gruppe mit NIen von Veiten mit /Nom/Dat9 Grundvalenz. Da die Nie dieser Testgruppe also mehrere Restriktionen verletzen, ist ihre Bewertung auch schlechter als die Bewertungen der Nie in 3.1.3, bei denen nur Realisierungsforderungen missachtet werden.

70 NOM-EXP/AKK-STIM-Verben und denen von intransitiven Verben erklären, die ja beide unmarkierte Linkingmuster haben. Zu beachten ist auch, dass die mittleren Bewertungen der Testsätze innerhalb der ersten Testgruppe sehr uneinheitlich sind, was ein eher untypisches Ergebnis ist. Die Sätze mit den NIen Mögen (3,4) und Wissen (2,8) werden wie die Sätze mit den NIen von statischen NOM-STIM/AKK-EXP-Verben als stark abweichend bis ungrammatisch beurteilt. Der Testsatz, der den NI Hören (1,7) beinhaltet, wird dagegen wie die Sätze mit NIen von statischen Intransitiva nur als leicht abweichend empfunden. Spüren (2,6) liegt in der Bewertung zwischen diesen beiden Klassen. Einen ähnlichen Bruch finden wir bei den NIen von den statischen NOM-EXP/AKK-STIM-Verben mit erzwungener agentiver Lesart: Hören (1,6) und Akzeptieren (1,6) werden nur als leicht abweichend empfunden, Hassen (2,6) und Spüren (2,3) dagegen als deutlich abweichend. Innerhalb der Gruppe der Nie von statischen Intransitiva stellt Bluten (2,7) wiederum einen Ausreißer dar. Die Frage ist nun, ob es bestimmte testgruppenübergreifenden Gemeinsamkeiten zwischen den besser bewerteten NIen von statischen Verben einerseits und den schlechter bewerteten andererseits gibt. Maienborn (1999) kritisiert, dass es in der Vendlerschen Verbklassifikation einen Unschärfebereich gibt, der die regulären Zustandsprädikate wie sitzen, wachen, ruhen, warten, schlafen etc. betrifft. Diese verhalten sich nach Maienborn anders als die von Vendler (1967) als state terms10 klassifizierten Verben wie wissen, glauben, hassen etc., die er von den activities dadurch abgrenzt, dass erstere zu Zeitpunkten und letztere zu nicht-atomaren Zeiten (Zeitintervallen) bestehen. Im Hinblick auf dieses Kriterium verhalten sich die regulären Zustandsprädikate wie statives. In Bezug auf das Kriterium der Progressivierbarkeit, das nach Vendler ebenfalls state terms von activities unterscheidet, verhalten sich Zustandsprädikate jedoch wie activities (sie bilden progressive-Formen) und nicht wie statives. Maienborn kritisiert die im Anschluss an Vendlers Kategorisierung praktizierte Zusammenfassung der statives und Zustandsverben zu einer Klasse und fuhrt zusätzliche operationale Verfahren ein, um diese beiden Klassen voneinander abzugrenzen: 1. Nur Zustandsprädikate können als Komplemente von Wahmehmungsverben auftreten, 2. nur Zustandsprädikate erlauben situationsbezogene Lokal-Adverbiale 1 und 3. nur Zustandsprädikate erlauben Nominalisierung mit den Derivationsaffixen -erei und Ge-_-e. Anhand dieser Kriterien können wir nun die uneinheitliche Bewertung der Nie innerhalb der Klassen der statischen Prädikate erklären: statives bilden eine eigene aktionale Klasse. Situationsbezogene Nie von statives sind blockiert, Nie von Zustandsverben und inchoativen nicht-agentiven Verben werden als abweichend beurteilt. In der Klasse der Nie von statischen NOM-EXP/AKK-STIM-Verben, vgl. a) oben, gibt es nur ein Zustandsprädikat, nämlich Hören. Mögen, Spüren und Wissen sind statives, wobei sich spüren nicht alle Eigenschaften eines statives aufweist12: 10

Maienborn bezeichnet diese Verbklasse als 'statives'. Ich werde diesen Begriff hier übernehmen. Als Oberbegriff für reguläre Zustandsprädikate und statives verwende ich 'statische Verben/ Prädikate'. Maienborn nennt als weiteres Kriterium die Modifizierbarkeit durch situationsbezogene MannerAdverbiale. In Bezug auf dieses Kriterium verhalten sich jedoch die hier untersuchten statives uneinheitlich, deshalb wird es im Folgenden ignoriert Der Satz mit Spüren (mittlere Bewertung 2,6) wird im Gegensatz zu allen anderen Sätzen mit Stativen NIen nur als abweichend und nicht als ungrammatisch eingestuft.

71 (6)

(a) (b) (c) (d)

Er hörte die Sendung in der Badewanne./ die Nachrichten-Hörerei *Sie wusste die Antwort in der Badewanne.13/ *die Antwort-Wisserei ""Er mochte Spinat in der Küche./ *die Spinat-Mögerei Sie spürte die Erbse im Bett. *Alle sahen sie die Erbse spüren./ 7die ErbsenSpürerei

In der Vergleichsgruppe mit erzwungener agentiver Lesart sind zwei Nie von statives enthalten (.Hassen und Spüren) und zwei von Zustandsverben (Hören und Akzeptieren). Während bei den statives bei erzwungener agentiver Lesart die mittleren Bewertungen erheblich besser ausfallen als bei nicht-agentiver Lesart (Hassen 2,6 und Spüren 2,3), bleibt die Bewertung bei den Zustandsverben konstant (beide 1,6). Dies kann damit zusammenhängen, dass qua konventioneller Implikatur den Nominativ-Experiencem von Zustandsverben die Proto-Agens-Eigenschaft 'Interesse'14 ohnehin zugeschrieben wird, wo dies der Kontext nicht verbietet. Dazu passt auch die Beobachtung von Maienborn (1999), dass für die Ableitung von -erei und Ge-_-e-Nomina agentive Verben prädestiniert sind. Die Testgruppen der Nie von statischen Psych-Verben mit Nominativ-Stimulus und Akkusativ-Experiencer (Begeistern, Faszinieren, Entnerven, Abstoßen) und der Nie von statischen Psych-Verben mit Nominativ-Stimulus und Dativ-Experiencer (Nahegehen, Bekommen, Zusetzen, Schwerfallen) enthalten nur statives. Es scheint, dass Psych-Verben mit markierten Linkingmustern grundsätzlich statives sind, dies bedarf jedoch einer genaueren Untersuchung. Die Nie von ursprünglich statischen NOM-STIM/AKK-EXP-Verben sind bei erzwungener agentiver Lesart kausativ und sollten sich daher der Bildung von Nlen nicht widersetzen. Wenn sie trotzdem als abweichend beurteilt werden, so spiegelt das vermutlich nur den Grad, zu dem sie sich der agentiven Interpretation widersetzen. Verben mit zwei Thema-Argumenten sind die klassischen statives und werden als solche auch in Maienborn (1999) diskutiert. Alle diese Testgruppen erhalten einheitlich durchschnittliche mittlere Bewertungen von > 3,0. Die Testgruppe der Nie von statischen Intransitiva enthält im Unterschied zu allen anderen Testgruppen nur Nie von Zustandsverben. In dieser Gruppe zeigt das Basisverb bluten allerdings ein etwas uneinheitliches Verhalten im Hinblick auf die einschlägigen Kriterien, daraus resultiert möglicherweise auch die schlechtere Bewertung des entsprechenden NIs innerhalb dieser Testgruppe. Bluten lässt sich zwar unter ein Wahmehmungsverb einbetten

13

14

Voll akzeptable Beispiele nach dem Muster In der Badewanne wusste sie die Antwort noch lassen sich mit allen statives bilden. Das Lokaladverbial spezifiziert die bezeichnete Eigenschaft in solchen Beispielen jedoch nicht lokal, sondern temporal: als sie in der Badewanne war, das war die Zeit, in der sie die Antwort wusste, danach hat sie sie vergessen. Alle lokal bzw. temporal modifizierten statives präsupponieren, dass nach der Referenzzeit eine Veränderung eingetreten ist, d.h. der Partizipant hat die bezeichnete Eigenschaft inzwischen nicht mehr. 'Interesse' ist eine Eigenschaft, die auf Partizipanten dann zutrifft, wenn sie ein persönliches Interesse daran haben, dass die vom Verb bezeichnete Situation eintritt bzw. nicht eintritt ( z.B. bei furchten, sterben), vgl. dazu ausführlich Blume (2000). So ist es für die Prinzessin im Märchen z.B. von großem Interesse, die Erbse zu spüren, ein Eigeninteresse am Wahrnehmungsprozess des Spürens ist für den Experiencer durch das Verb jedoch nicht lexikalisch impliziert.

72 (7a), und erlaubt marginal sogar die Bildung von -ere/ und Ge-_-e-Nomina15 (7b), kann aber nicht durch situationsbezogene Lokaladverbiale modifiziert werden (7c). (7)

(a) (b) (c)

Ich sah sie bluten und rief sofort die Ärztin. Die Bluterei/ das Geblute jeden Monat empfinden manche Frauen als Fluch. "Sie blutete stark auf dem Wohnzimmerteppich.

7

Die vorliegenden Ergebnisse deuten stark auf einen Einfluss der Aktionsart auf die Akzeptabilität von NIen hin, sie sind jedoch nicht ausreichend, um das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen aktionalen Eigenschaften der Basisverben und der Blockierung von situationsbezogenen NIen erschöpfend zu klären. Sicher ist, dass Nie von statives blockiert sind. Ihre Akzeptabilität scheint zuzunehmen, wenn eine agentive Interpretation erzwungen wird. Nie von Zustandsverben sind nicht voll akzeptabel. Eine durch den Kontext forcierte agentive Interpretation scheint jedoch anders als bei den statives keinen Einfluss auf ihre Akzeptabilität zu haben, da eine mögliche agentive Interpretation ohnehin die Voraussetzung für die Akzeptabilität der Nie zu sein scheint. Dies würde auch die in Kapitel 1 beobachtete Belebtheitsrestriktion bei NIen von statischen Verben erklären, vgl. die dort genannten Beispiele: (8)

(a) (b)

Das Herumstehen von Kindern/ "Koffern auf Bahnsteigen ist gefahrlich. Das Kind-Sein/ ""Verb-Sein in solchen Umgebungen bedeutet...

Nur bei belebten Partizipanten ist die konversationelle Implikatur von Agens-Eigenschaften möglich. Bei NIen von durativen Verben, bei denen Aktionsartbeschränkungen nicht durch eine agentive Interpretation aufgehoben werden müssen, besteht die Belebtheitsrestriktion dagegen erwiesenermaßen nicht: Nie wie das Tuckern des Motors, das Schaukeln des Bootes erhielten in der Fragebogenstudie die höchsten Bewertungen. Als Ergebnis der vorangegangenen Diskussion können wir also festhalten: 1. Bei der Blockade von NIen interagieren die Faktoren Aktionsart und Agentivität: Nie von statischen Verben (Zustandsverben und statives), bei denen die konversationelle Implikatur von Proto-Agens-Eigenschaften wie 'Interesse' beim Nominativ-Arguments ausgeschlossen ist, werden als ungrammatisch eingestuft. Mit einer im Kontext erzwungenen agentiven Lesart geht bei NIen von NOM-STIM/AKK-EXP-stoftves eine Kausativierung einher, und sie werden in dem Maße akzeptabel, in dem diese Lesart bei den Sprecherinnen evoziert werden kann, vgl. Tabelle 2. Bei NIen von Zustandsverben, die diese ProtoAgens-Eigenschaft zwar nicht implizieren, die Implikatur jedoch erlauben, sind nur geringe Akzeptabilitätseinbußen zu beobachten. Entsprechend werden bei den NIen von Zustandsverben durch Hervorhebung der agentiven Lesart im Kontext auch keine besseren Bewertungen erzielt, vgl. Tabelle 2. Durative und kausative Verben (activities und accompishments) erlauben die uneingeschränkte Bildung von NIen, falls nicht Restriktionen bezüglich

15

Bluten verlangt zwar einen belebten Partizipanten, verbietet aber die Implikatur der Proto-AgensEigenschaft 'Interesse'. Bei den -erei und Ge-_-e-Bildungen in (7b) wird die agentive Interpretation durch den Kontext erzeugt: es besteht bei den Frauen ein Interesse daran, nicht zu bluten. Dass Testitem 1.1 44 eine so schlechte Bewertung in ihrer Testgruppe erhielten, liegt wohl daran, dass in diesem Kontext eine agentive Interpretation ausgeschlossen ist.

73 der Vererbbarkeit von Argumenten und Realisierungsforderungen intervenieren. Auch Nie von punktuellen/inchoativen Psychverben sind nur eingeschränkt akzeptabel. 2. Linkingmuster spielen bei der Blockade von NIen nur eine sekundäre Rolle, insofern als Dativ- und Genitiv-Argumente nicht vom Verb an den NI vererbt werden können, implizit in der Bedeutungsstruktur des NIs vorhandene Argumente aber trotzdem in bestimmten, unten näher zu spezifizierenden Fällen, Realisierungsforderungen des NIs unterliegen können. Beim Linkingmuster NOM-STIM/AKK-EXP, das wir in den Ausgangshypothesen als möglichen Blockade bedingenden Faktor ins Auge gefasst hatten, werden Blockaden jedoch nicht durch die Nicht-Vererbbarkeit des AKK-EXP-Arguments bedingt. (Man beachte, dass der NOM-STIM bei NIen von diesen Verben noch weniger realisert werden kann.) Hier ist die Blockade vielmehr darauf zurückzuführen, dass es sich bei den entsprechenden Verben grundsätzlich um statives handelt. Sowohl Nominativ-Stimuli als auch Akkusativ-Experiencer kommen bei NIen vor, die nicht der Klasse der statives angehören (vgl. das Beobachten der Enten·, das Unterhalten der Gäste). Statives erlauben die Bildung von NIen nur, wenn sie unter erzwungener agentiver Lesart kausativiert werden. (Tab. 2) Basisverb

NI

NI

NI

(erzwungene Agentivitit) (erzwungene inchoative Lesart)

NOM-EXP/ AKK-STIM (Zustand) NOM-TH (Zustand) NOM-EXP/ AKK-STIM (stative) NOM-STIM/ AKK-EXP (stative) NOM-STIM/ DAT-EXP (stative) NOM-TH/ AKK-TH (stative) NOM-TH/ DAT-TH (stative)

(Hören)

(Hören, Akzeptieren)

1,7:0,82:50

1,6:0,89:67

1,6:0,75:56

-

1,4:0,67:70 -

(Hassen, Spüren)

2,9:1,10:37

2,5:1,37:37

3,4:1,07:45

2,0:1,01:43

3,3:1,05:46

-

Lesart nicht evozierbar: 2,8:1,18:37 Lesart nicht evozierbar: 3,2:1,29:35

3,0:0,97:43

-

-

3,3:1,05:42

-

-

3.1.2 Argumentvererbung Die in Kapitel 1 formulierte Ausgangshypothese war, dass Argumente, denen vom Verb andere Kasus als der Nominativ oder Akkusativ zugewiesen werden, nicht an Nie vererbt werden können. Das betrifft also alle Dativ- oder Genitiv-Stellen bei ein-, zwei- oder dreistelligen Verben. Die Hypothese, dass auch Akkusativ-Stellen von Verben mit bestimmten markierten Linkingmustern nicht vererbt werden können, braucht hier nicht weiter überprüft zu werden, da dies nur die Verben mit Nominativ-Stimulus und Akkusativ-Experiencer betrifft (z.B. begeistern, faszinieren), die aufgrund ihrer Aktionsart generell keine Infinitivnominalisierung erlauben, vgl. oben 3.1.1. Ein Einfluss des Linkingmusters des Verbs bzw. der

74 thematischen Rolle des Partizipanten auf die Vererbbarkeit eines Arguments kann deshalb ausgeschlossen werden. Die Vererbbarkeit von Argumenten mit markierten Kasus wurde nur an einer einzigen Testgruppe untersucht, und zwar an agentiven /Nom/Dat-Verben wie folgen, applaudieren, verzeihen, danken etc, vgl. im Anhang 1.2 45-48. Dies hat mehrere Gründe: 1. es gibt nur drei andere Klassen von /Nom/Dat-Verben, bei denen es sich ausnahmslos um Psych-Verben handelt. Diese Klassen wurden in 3.1.1 diskutiert. Bei zwei Klassen handelt es sich um die ohnehin Blockade auslösenden statives, vgl. die Testgruppen c) und j) in 3.1. Bei der dritten Klasse würde bei der Konstruktion von Testsätzen, bei denen das Dativ-Argument des Verbs beim NI prä- oder postnominal realisiert würde, ein Problem auftauchen, das analog auch bei der Realisierung der Dativ-Stelle bei NIen von dreistelligen Verben auftritt: die Testsätze wären mit der intendierten Lesart kaum interpretierbar, vgl. etwa: (9)

(a)

(b)

Das Einfallen der Schüler kann bei Lösungen von derartig komplizierten Aufgaben nicht erwartet werden. ('Es kann nicht erwartet werden, dass Schülern die Lösungen von derartig kompliziert formulierten Aufgaben einfallen.') Das Schenken der Kinder macht Erwachsenen besonders bei Fahrrädern viel Spaß. ('Es macht Erwachsenen besonders viel Spaß Kindern Fahrräder zu schenken.')

Es wäre kontraproduktiv gewesen, die Testpersonen mit solchen Testsätzen zu verwirren, zumal sie ja explizit aufgefordert wurden, nicht die inhaltliche Angemessenheit der Testsätze zu bewerten. 2. Intransitive Verben mit markierten Kasus haben in der Regel eine reflexive Variante bzw. eine Variante mit unmarkiertem Kasusmuster, vgl. er friert/ ihn friert; ihm gruselt/ er gruselt sich. Hier wäre es also unmöglich gewesen, zu differenzieren, welche der beiden als Basisverben in Frage kommenden Varianten die Testpersonen jeweils zugrunde gelegt hätten. Dies gilt auch für die reflexiven Verbvarianten, denn wie Kaufmann (2002) zeigt, sind Nie von reflexiven Verben relativ häufig ohne Reflexivum in Korpora belegt (z.B. das Sich-Schämen vs. das Schämen). Der NI Grauen, dessen Basisverb als einziges nur über das markierte Kasusmuster verfUgt, ist lexikalisiert. 3. Wie Lenz (1997) zeigt, wird der Genitiv als adverbaler Kasus abgebaut. In einigen Fällen wird er zunehmend durch den Dativ ersetzt (vgl. z.B. Lenz' (1997: 4) TV-Beleg So hat er sich seinen Verpflichtungen im Außendienst entledigt). Auch hier wäre es schwierig zwischen den von den Testpersonen jeweils als Basisverb zugrunde gelegten Varianten des Verbs zu differenzieren.16 Die Testgruppe der Nie von agentiven /Nom/Dat-Verben, bei denen das Dativ-Argument als Genitiv-Attribut realisiert wurde (vgl. (10)), ist eine der am eindeutigsten als ungrammatisch bewerteten Gruppen in der gesamten Untersuchung. Sie erhielt das zweitschlechteste Ergebnis. Ein schlechteres Ergebnis erzielte nur die Testgruppe mit analogen Test16

/Nom/Gen-Verben werden zudem als stilistisch gehoben empfunden. Die Datenauswertung hat gezeigt, dass solche Verben und ihre Nie wesentlich besser bewertet wurden als stilistisch unmarkierte in vergleichbaren Konstruktionen.

75

Sätzen, bei denen aber das Dativ-Argument des Verbs beim NI pränominal realisiert wurde. Die Tatsache, dass sich für einige der zwei- und dreistelligen Verben mit Genitiv- bzw. Dativ-Argumenten keine interpretierbaren Sätze mit den entsprechenden Argumenten als Genitiv-Attribut des NIs konstruieren ließen, spricht für die generelle Nicht-Vererbbarkeit von Argumenten mit markiertem Kasus. (10) (a)

(b)

(c)

(d)

F: Kannst du dir vorstellen, deinem Mann aus Eifersucht hinterherzuspionieren, wenn er alleine unterwegs ist? A: Das Folgen meines Mannes wäre Zeitverschwendung, ich weiß doch, dass er immer in der Kneipe sitzt. (3,6) F: Ich habe gehört, dass euch die Aufführung nicht gefallen hat. A: Das stimmt, aber es hat mir trotzdem Leid getan, dass das Applaudieren der Schauspieler kaum zu hören war. (4,2) F: Diesmal ist er wirklich zu weit gegangen. Das kann sie ihm doch nicht durchgehen lassen? A: Ach was, ich bin sicher, dass die beiden in diesem Moment schon das Verzeihen des großen Verführers feiern. (3,9) F: Haben die Cozzas gestern nicht Ihre Tochter aus dem Stinktiergehege geholt? A: Zum Glück! Ich fürchte allerdings, dass ich beim Danken unserer Retter nicht sehr herzlich war. (2,9)

Die Nicht-Vererbbarkeit von Argumenten ist jedoch nur indirekt ein Faktor, der Konstruktionen mit NIen blockiert. Nämlich nur dann, wenn das Argument den spezifischen Realisierungsforderungen des NIs unterliegt, vgl. dazu 3.1.3. Ist das Argument fakultativ, kann der NI problemlos nackt oder mit dem Nominativ-Argument des Verbs in prä- oder postnominaler Position gebildet werden, vgl.: (11) Gemessen am Applaudieren der Zuschauer muss die Vorstellung ein Reinfall gewesen sein. Zudem gibt es Kontexte, die die Weglassung ansonsten obligatorischer Argumente begünstigen. Die Bedingungen für die obligatorische Realisierung von Argumenten des Verbs beim NI werden im nächsten Abschnitt genauer untersucht.

3.1.3 Obligatorische/fakultative Realisierung von Argumenten Wie in Kapitel 1 dargestellt, gehen die meisten Linguistinnen davon aus, dass bei deverbalen Ereignisnomina generell jedes Argument fakultativ ist. Bhatt (1989), die diese Annahme ebenfalls für das Deutsche vertritt, räumt jedoch ein, dass bestimmte Argumente sich der Weglassung widersetzen (vgl. dazu 1.2). Grimshaw (1999) nimmt an, dass Argumente bei complex event nomináis wie bei Verben lexikalisch festgelegten Realisierungsforderungen unterliegen können. Ob Realisierungsforderungen des Verbs an ein complex event nominal vererbt werden oder ob sie beim complex event nominal anderen Bedingungen unterliegen, wird allerdings nicht geklärt. Zudem geht Grimshaw nicht auf die Frage ein, ob Nie oder andere complex event nomináis in allen Sprachen eine Disposition für obligatorische Realisierungsforderungen fur Argumente besitzen. Meines Wissens wurde für das Deutsche nie eine systematische Untersuchung an einer größeren Datenmenge durchge-

76 führt, ob und in welchen Umgebungen die Argumente bestimmter Typen deverbaler Ereignisnomina weglassbar sind. Wenn wir von der einfachsten Annahme ausgehen, die auch bei Grimshaw implizit vorausgesetzt wird, dass nämlich Realisierungsforderungen des Verbs zusammen mit den Argumenten, für die sie gelten, ans complex event nominal vererbt werden, dann folgen daraus drei Voraussagen: 1. Nackte Realisierungen von NIen, deren Basisverben ein obligatorisches Akkusativ-Argument haben, sollten ungrammatisch sein; 2. Realisierungsforderungen von complex event nomináis sollten nicht ableitungstypspezifisch sein, d.h. -ungNominalisierungen sollten in denselben Umgebungen dieselben Realisierungsforderungen aufweisen wie Nie; 3. nackte Realisierungen von NIen, deren Basisverben obligatorische Genitiv- oder Dativ-Argumente haben, sollten voll akzeptabel sein, da diese Argumente nicht vererbbar sind und die sie betreffenden Realisierungsforderungen des Verbs daher für die Nie irrelevant sein sollten. Diese drei Fragen wurden im Rahmen der Fragebogenstudie untersucht und keine der drei Voraussagen erwies sich als völlig korrekt. Die Befragung bestätigte zunächst unsere Ausgangshypothese, dass Realisierungsforderungen ableitungstypspezifisch sind. Zwei Testgruppen enthielten ähnliche Testsätze, wobei die eine Gruppe nackt realisierte Nie von Basisverben mit obligatorischem Akkusativ-Argument enthielt (vgl. im Anhang 1.3 a)) und die andere Gruppe die entsprechenden nackten -ung-Nomina (vgl. im Anhang 1.3 b)). Bei beiden Gruppen handelte es sich um CENs. Während bis auf einen Ausreißer alle nackt realisierten -ung-Nomina als voll akzeptabel beurteilt wurden (durchschnittliche mittlere Bewertung der Gruppe 1,5), wurden die entsprechenden NI durchweg wesentlich schlechter bewertet und können als abweichend kategorisiert werden (durchschnittliche mittlere Bewertung der Gruppe 2,1). Die Bewertungen innerhalb einer Gruppe sowie die Abstände zwischen den Bewertungen der jeweils verglichenen Testsätze beider Testgruppen waren auffällig konsistent. Das folgende Beispielpaar illustriert den beobachteten Akzeptabilitätsunterschied: (12) (a)

(b)

F: Wird die andere Gruppe nicht sauer, wenn sie uns den Raum überlassen muss? A: Ja, aber ich finde, ein Räumen für zwei Stunden ist noch zumutbar. (2,0) F: Wird die andere Gruppe nicht sauer, wenn sie uns den Raum überlassen muss? A: Ja, aber ich finde, eine Räumung für zwei Stunden ist noch zumutbar. (1,2)

Dies könnte so gedeutet werden, dass Realisierungsforderungen vom Basisverb an den NI, nicht aber an die -κ/ig-Nominalisierung vererbt werden. Die Tatsache, dass die Nicht-Erfüllung der ererbten Realisierungsforderung beim NI nur zu abweichenden und nicht zu ungrammatischen Ergebnissen führt, könnte auch daran liegen, dass Verletzung von Realisierungsforderungen generell (also auch beim Verb) nicht so streng bewertet werden wie andere Regelverstöße. Ich werde auf diese Frage weiter unten zurückkommen. Zunächst soll jedoch überprüft werden, ob Realisierungsforderungen zusammen mit einer Argumentstelle vom Verb an den NI vererbt werden. Vergleichen wir hierzu zwei Testgruppen, bei denen in einem Fall die obligatorischen Dativ-Argumente der Basisverben bei den entsprechenden NIen weggelassen wurden und im anderen Fall fakultative Dativ-Argumente, vgl. im Anhang 1.3 c) und d). Die durchschnittliche Akzeptanz der NI-Konstruktionen beider Testgruppen stimmte überein. Das folgende Beispielpaar illustriert, dass die Akzeptanz bei

77

Nicht-Realisierung des fakultativen Arguments eines Verbs beim NI (vgl. (13b)) sogar geringer sein kann als bei Weglassung eines obligatorischen Arguments (vgl. (13a)): (13) (a)

(b)

F: Frau Wröbel hat sich wieder über Herrn Dimitri beschwert. A: Ich weiß, aber wir können ihm dieses penetrante Nachstellen doch auch nicht ausreden. (1,7) Der Hund wurde von allen sehr gelobt, uns stieß sein bedingungsloses Gehorchen aber eher ab. (2,0)

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Weglassungen obligatorischer und fakultativer Argumente von zwei- und dreistelligen Verben mit unmarkierten Kasusmustern, vgl. dazu die Testsätze 1.3 65-72 und die folgende Tabelle: (Tab. 3) Basisverb

/Nom(/Akk) /Nom/Akk /Nom(/Dat) /Nom/Dat /Nom/Akk/Dat

NI ohne Akkusativ- bzw. Dativ-Argument des Basisverbs 1,9:0,88:54 2,1:0,81:54 1,9:1,00:59 1,9:1,07:53 1,7:1,05:64

Intransitiv realisiertes ««¿»-Nomen -

1,5:0,69:77 -

-

Es zeigt sich, dass intransitiv realisierte -ung-Nomina von obligatorisch transitiven Basisverben nicht nur wesentlich besser bewertet werden als Nie, bei denen obligatorische Objekte der Basisverben nicht realisiert sind. Auch die Sicherheit bei der Bewertung ist bei der Testgruppe der -ung-Nomina höher, was sich in größerer Übereinstimmung der Urteile der Testpersonen und in geringerer Standardabweichung manifestiert. Die Übereinstimmung in Bezug auf die am häufigsten vergebene Bewertung ist bei dieser Testgruppe überdurchschnittlich hoch (77%), die Standardabweichung liegt mit 0,69 weit unter dem Durchschnitt von 0,91. Beides trifft auf die Testgruppen der Nie nicht zu. Unsere Daten deuten darauf hin, dass Nie generell eine höhere Akzeptanz haben, wenn obligatorische (Nicht-Nominativ-)Argumente des Basisverbs realisiert sind. Um dies zu überprüfen, wurde zum Vergleich die Akzeptanz von Weglassungen obligatorischer Argumente bei Verben getestet. Dazu wurde bei den dreistelligen Basisverben der zuvor getesteten NIen der Adressat/ Rezipient in ähnlichen Satzkontexten weggelassen, vgl. im Anhang 1.3 f) und g). Auch hier sind die Ergebnisse eindeutig: Weglassungen obligatorischer Argumente des Verbs erzeugen in Kontexten, die die Identifizierung der nicht realisierten Partizipanten erlauben, keinen schwereren Akzeptabilitätsverlust als bei NIen. In manchen Fällen (vgl. (14)) wird die Verletzung der Realisierungsforderung beim Verb sogar als weniger störend empfunden als beim NI. (14) (a)

Er hat den Brief an Tom längst geschrieben, aber das Zusenden schiebt er so lange hinaus, bis der Inhalt längst überholt ist. (2,0) 20:1,27:54

78 (b)

Er hat den an Tom Brief längst geschrieben, aber er sendet ihn erst zu, wenn der Inhalt längst überholt ist. (1,5) 20:0,83:71

(Tab. 4) Prädikat

NI ohne Adressat/ Rezipient

Verb ohne Adressat/ Rezipient

ZUSENDEN

2,0:1,27:54

1,5:0,83:71

EINFLÖßEN

1,8:1,31:72 2,0:1,16:46

ENTLOCKEN

1,4:0,95:77 1,6:1,07:70 1,7:0,92:53

MW

1,7:1,05:64

1,8:1,12:62

ÜBERLASSEN

1,8:1,16:58

Wie in Kapitel 1 ausgeführt, muss die Weglassbarkeit von Argumenten in Kontexten getestet werden, in denen das zu testende Prädikat Ereignisreferenz hat, weil Realisierungsforderungen nur unter dieser Bedingung unumgänglich sind. Auch dies wird durch die Befragung bestätigt, vgl. (15) und (16): (15) (a) (b)

(16) (a)

(b)

(c)

Die Bank plant die Bereitstellung eines Druckers für Kontoauszüge, wodurch das Porto für das Zusenden eingespart werden könnte. (1,4) 7:0,79:75 Bei Fristüberschreitungen werden die Mahnbescheide automatisch zugesandt. (1,1)3:1,1:97 F: Meinst du, dass dir deine Eltern mitten im Jahr so ein teures Buch schenken? A: Wieso nicht? Meine Eltern brauchen zum Schenken doch keinen Kalender. (1,4) 20:0,71:75 F: Meinst du, dass dir deine Eltern mitten im Jahr so ein teures Buch schenken? A: Wieso nicht? Meine Eltern schenken doch nicht nach dem Kalender. (1,6) 7:1,10:71 F: Nehmen Sie Ihrem Kind Kriegsspielzeug, das es von anderen geschenkt bekommt, etwa wieder ab? A: Ich weiß nicht. Bis jetzt ist noch keiner von unseren Verwandten oder Freunden auf die Idee gekommen, Kriegsspielzeug zu schenken. (1,3) 7:0,61:75

Der Vergleich der Sätze in (14) und (15) belegt, dass die Interpretation des Prädikats tatsächlich einen Einfluss auf die Weglassbarkeit von Argumenten hat. Zusenden in (14) referiert auf ein Ereignis, das in der Zukunft liegt, während beide Sätze in (15) auch dann wahr sein können, wenn niemals ein Zusenden-Ereignis stattfindet. In (14a) wird die Weglassung der obligatorischen Argumente des Basisverbs deutlich weniger toleriert als in (15a). Auch der Akzeptabilitätsunterschied zwischen (14b) und (15b) ist auffällig. Die Beispiele in (16) illustrieren dasselbe Phänomen bei schenken in verschiedenen Kontexten, die die Ereignisreferenz des Prädikats ausschließen. Wir können also festhalten, dass bei NIen, die auf Ereignisse referieren, generell die Realisierung aller Argumente des Basisverbs mit Ausnahme des Subjekts präferiert ist.

79 Ein /Nom/Akk-Verb mit einer intransitiven Variante wie akzeptieren kann nur seinen zweistelligen Valenzrahmen vererben, da der NI die Realisierung des bei der intransitiven Variante (vgl. SEM-VAI^ in (17a)) implizit in der Bedeutungsrepräsentation enthaltenen yArguments fordert. Da Substantive die Form, in der ihre Argumente realisiert werden, nicht determinieren, sind die syntaktischen Valenzstellen des NIs in (17b) unspezifiziert ('0'). Auf der Basis der ererbten zweistelligen Valenz des Verbs bildet der NI nun eine alternative einstellige Valenz heraus, in der die Argumentstelle des beim Verb mit dem Nominativ koindizierten Arguments fehlt.17 (17) (a)

akzeptieren SYN-VAL, /Nom'/Akk 2 SEM-VAL! λχ 1 Xy2 Xs [AKZEPTIER x,y,s) SYN-VALj /Nom1 SEM-VAI^ λχ 1 Xs [AKZEPTIER χ,y,s)

(b)

Akzeptieren SYN-VAL! / 0 ' / 0 2 SEM-VAL, λχ 1 Xy2 Xs [AKZEPTIER χ,y,s] SYN-VALz /0 11 SEM-VAL2 Xy Xs [AKZEPTIER Χ,y,s]

Hat das Basisverb ein Genitiv- oder Dativ-Argument, das nicht an den NI vererbt werden kann, fehlt dem NI die entsprechende Argumentposition. Da das Argument aber implizit in der Bedeutungsrepräsentation des NIs enthalten ist, besteht auch die entsprechende Realisierungsforderung, was dazu führt, dass der NI bei Ereignisreferenz blockiert ist, vgl.: (18) (a)

(b)

folgen SYN-VAL, /Nom'/Dat 2 SEM-VAL, Xx1 Xy2 Xs [FOLG x,y,s) Folgen SYN-VAL, /0 1 SEM-VAL, Xx1 Xs [FOLG x,yDEF.,s] SYN-VALz

SEM-VAL2 Xs [FOLG x,y,s]

Die Annahme, dass außer dem Situations- und dem Nominativ-Argument des Verbs alle in der Bedeutungsstruktur vorhandenen Argumente beim NI realisiert werden müssen, erklärt aber nicht die großen Akzeptabilitätsunterschiede zwischen den Testsätzen im Anhang 1.3 d) und e), mit NIen von /Nom(/Akk)- und /Nom(/Dat)-Verben, bei denen das fakultative Argument des Basisverbs nicht realisiert wurde. Die mittleren Bewertungen in diesen Testgruppen liegen im Bereich zwischen 1,3 und 2,9 bzw. 1,0 und 2,4. Derartig große Akzepta17

Es ist unklar, ob die entsprechende Regel auf die Kasusspezifikation des Arguments beim Basisverb Bezug nimmt, oder auf thematische Rollen. Alternativ könnte man sagen, dass jeder mehrstellige Nie mindestens einen reduzierten Valenzrahmen hat, in dem die Argumentposition des Arguments mit den meisten Proto-Agens-Eigenschaften fehlt.

80 bilitätsunterschiede innerhalb von Testgruppen deuten darauf hin, dass die Eigenschaften der Nie, durch die die Testgruppe definiert ist (hier obligatorische Realisierung eines Objekts des Basisverbs), weiter zu differenzieren sind. Daher wurde in einem weiteren Durchgang getestet, ob sich die Akzeptabilitätsunterschiede darauf zurUckfiihren lassen, dass die nicht realisierten Argumente définit bzw. indefinit implizit in der Bedeutung des NIs enthalten sind. Ein Argument, das durch die Bedeutung définit impliziert ist, muss auch unter Negation durch den Kontext spezifiziert werden. So kann sich Sie akzeptiert nicht nur auf das NichtAkzeptieren eines im Kontext erwähnten Vorschlags, Angebots etc. beziehen. Sie liest nicht erfordert dagegen nicht die Spezifizierung einer bestimmten Lektüre im Kontext. Das nicht realisierte Argument ist indefinit in der Bedeutung des Verbs enthalten. Tatsächlich zeichnet sich beim Vergleich der beiden Testgruppen eindeutig die Tendenz ab, dass indefinite Weglassungen beim NI akzeptabel sind, während definite Weglassungen als abweichend bewertet werden: (19) (a)

(b)

(20) (a)

(b)

Indefinite Weglassung eines fakultativen Arguments des Basisverbs F: Fandest du die Themen, die die Mädchen heute Abend vorgeschlagen haben, nicht zu provokativ? A: Nein. Ihr angeregtes Diskutieren hat endlich mal Schwung in die Gruppe gebracht. (1,3) 3:0,61:72 F: Sind deine Kinder auch so ordentlich wie du? A: Ja, meine jüngste Tochter hat erst heute in der Schule ein dickes Lob für ihr vorbildliches Aufräumen bekommen. (1,3) 3:0,47:69 Definite Weglassung eines fakultativen Arguments des Basisverbs F: Wie läuft's bei der Arbeit? A: Ich habe meine Chefin letzte Woche um meine Versetzung gebeten. Mit ihrem spontanen Akzeptieren hatte ich allerdings überhaupt nicht gerechnet. (2,2) 3:0,85:38 F: Du musstest bezahlen? Ich dachte, er hat dich eingeladen? A: Schon, aber sein Bezahlen lief dann so, dass er kurz bevor der Kellner mit der Rechnung kam, auf Toilette musste. (2,6) 13:0,90:50

Die indefiniten Weglassungen erhielten im Durchschnitt die mittlere Bewertung 1,3, können also als voll akzeptabel angesehen werden. Die durchschnittliche mittlere Bewertung der Testgruppe mit den definiten Weglassungen war 2,2. Allerdings enthielt diese Testgruppe einen Ausreißer: (21) F: Was ist denn jetzt schon wieder los? A: Ach, die Spanierinnen wollen Costa aus der Gruppe ausschließen. Sein unablässiges Provozieren hat wohl das Fass zum Überlaufen gebracht. (1,4) 3:66 Eine mögliche Erklärung für die wesentlich bessere Bewertung dieses Satzes im Vergleich zu den übrigen Sätzen der Testgruppe wäre, dass Provozieren habituell interpretiert wird, im Sinne von 'seine Gewohnheit, unablässig zu provozieren1, oder dass die Weglassung auch als indefinit aufgefasst werden kann, vgl. 'sein provokatives Verhalten, das sich gegen keine bestimmte Person richtete'. Der Durchschnitt der mittleren Bewertungen in dieser Gruppe liegt ohne diesen Ausreißer bei 2,5. Das heißt, dass definite Weglassungen bei NIen als stark abweichend empfunden werden.

81 (Tab. 5) Basisverb /Nom(/Akk) (1. Durchgang) /Nom/Akkindef) (2. Durchg.) /NomC/Akkdef) (2. Durchg.)

NI ohne PAT bzw. TH des Basisverbs 1,9:0,88:54 1,3:0,57:74 2,2:0,83:47/2,5:0,92:41

Tabelle 5 bietet einen Überblick der mittleren Bewertungen von NIen, bei denen fakultative Argumente des Basisverbs weggelassen wurden. Dass die Differenzierung zwischen indefinit und définit impliziten Argumenten tatsächlich ausschlaggebend für die vom NI ausgehenden Realisierungsforderungen ist, wird auch dadurch bestätigt, dass der Mittelwert der Bewertungen in den unteren beiden Zeilen den Wert der oberen Zeile ergibt. Zusammenfassend kann man feststellen, dass Nie Argumente, jedoch nicht die mit den Argumenten verbundenen Realisierungsforderungen, vom Basisverb erben. Nie erlauben grundsätzlich die Weglassung des Nominativ-Arguments des Basisverbs. Für die übrigen in der vom Verb übernommenen Bedeutungsstruktur enthaltenen Argumente können vom NI obligatorische Realisierungsforderungen ausgehen. Diese sind nicht wie beim Verb idiosynkratisch, sondern semantisch determiniert: grundsätzlich sind nur indefinite Weglassungen erlaubt. Diese Realisierungsforderungen können in bestimmten Fällen die Nie blockieren, wenn nämlich ein définit in der Bedeutungsstruktur enthaltenes Argument beim NI realisiert werden muss, andererseits aber keine Argumentstelle für das Argument zur Verfügung steht, da diese aufgrund formaler Restriktionen nicht vom Verb an den NI vererbt werden kann. Dies gilt z.B. für Folgen, vgl. (22): (22) Die kleinen Detektive aus der Krimi-AG waren übereifrig. Zum Glück bemerkten die Dealer ihr Folgen nicht. (2,9) 7:36 Die Argumentposition des Dativ-Arguments von folgen kann nicht an den NI vererbt werden. In der Bedeutungsstruktur ist die entsprechende Argumentvariable aber vorhanden. Da sie nicht indefinit weggelassen werden kann, verlangt der NI ihre Realisierung. Dafür müsste aber wiederum eine Argumentposition zur Verfügung stehen. Da dies nicht der Fall ist, ist der NI Folgen als ereignisreferierendes Nomen blockiert.

3.1.4 Fazit Die Ergebnisse der Fragebogenstudie zeigen, dass nur Restriktionen bezüglich der Aktionsart des Basisverbs zu harten Blockierungen von NIen führen können. Nie von statives sind, wenn sie auf konkrete Situationen bezogen sind, grundsätzlich ungrammatisch. Nie von Zustandsverben werden als leicht abweichend empfunden und setzen einen Partizipanten voraus, dem mindestens die Proto-Agens-Eigenschaften 'Bewusstheit' und 'Interesse' zugeschrieben werden können. Auch Nie von punktuellen/ inchoativen Verben erwiesen sich als nicht uneingeschränkt akzeptabel. Am besten sind Infinitivnominalisierungen von activities und accomplishments. Dies wurde zwar in der vorliegenden Untersuchung nicht systematisch nachgewiesen, gilt in der Literatur jedoch als unstrittig und auch die vorliegende Un-

82 tersuchung enthält in keinem Testblock Daten, die Zweifel an dieser Annahme rechtfertigen würden. Eine Erklärung für die Restriktionen bezüglich der Aktionsart des Basisverbs lässt sich aus der Beobachtung von Ehrich (1991/2002) herleiten, dass Nie unabhängig von der Aktionsart des Basisverbs immer durativ sind. Voraussetzung dafür, dass aus einem beliebigen Basisverb ein durativer NI abgeleitet werden kann, ist, dass die Situationsstruktur des Verbs einen duratives Teilereignis enthält. So zerlegt Engelberg (2000:62) ein accomplishment-Prädikat wie trocknen in eine durative Aktivität und einen Nachzustand. Der von trocknen abgeleitete NI bezeichnet im Gegensatz zum Verb nur die durative Aktivität, vgl. (23) (a) (b)

Sie trocknete ihre Haare stundenlang/in von 10 Minuten Das stundenlange Trocknen der Haare/ "das Trocknen der Haare in 10 Minuten

Wenn die Situationsstruktur des Verbs kein duratives Teilereignis enthält und auch durch den Kontext keine durative Interpretation eines Teilereignisses erzwungen werden kann (so kann z.B. die initiale Agenshandlung in der Situationsstruktur von sprengen als durativ aufgefasst werden, vgl. das Sprengen des Stadions dauerte mehrere Stunden), dann ist der NI als Ereignisnomen blockiert. Dies könnte der Grund sein, warum der NI des punktuellen Verbs vergessen (1.1 18) so viel schlechter bewertet wurde als die Nie der inchoativen Verben bemerken, erblicken und erkennen, bei denen das Andauern des Nachzustandes durch den Experiencer ausgedehnt werden kann. Allerdings sind Zustände normalerweise unveränderlich. Werden sie durch temporale Modifikation auf bestimmte Zeiträume begrenzt, so setzt dies einen Partizipanten voraus, der Kontrolle über den Zustand hat und ihn aus eigener Initiative aufheben kann (24a), oder es muss im Kontext eine von außen einwirkende Kraft genannt werden, die den Zustand beenden kann (24c), vgl.: (24) (a) (b) (c)

Sie wartete drei Stunden. "Das Auto rostete 4 Monate. Sie ließ das Auto 4 Monate rosten, bevor sie endlich den Lackschaden reparierte.

Da Nie inhärent durativ sind, sind Nie von Zustandsverben wie hören, akzeptieren, schlafen, die keine Kontrolle des Experiences implizieren, nur in Kontexten akzeptabel, in denen die Kontrolle des Partizipanten über seinen Zustand plausibel ist. Dies ist z.B. bei das Vergessen der Geheimzahl (vgl. im Anhang 1.1 18) nicht der Fall. So erklärt sich in diesen Fällen dann auch die Interaktion zwischen den Faktoren Aktionsart und Agentivität bei der Lizenzierung von Infinitivnominalisierungen. Bei NIen von statives wie ängstigen und beeindrucken wird durch die erzwungene Agentivierung eine Kausativierung des Prädikats erzielt. Das Thema-Argument, fur das gar keine Proto-Agens-Eigenschaften impliziert sind (vgl. Die Akustik in der Höhle hat mich beeindruckt), wird durch einen Partizipanten gefüllt, dem im Kontext die Fähigkeit zugesprochen wird, den anderen Partizipanten dazu zu bringen, eine bestimmte Haltung anzunehmen und das Andauern dieser Haltung bei diesem Partizipanten zu kontrollieren (vgl. Die Mädchen bemühten sich, die Jungs zu beeindrucken). Wenn diese Lesart durch den Kontext erzeugt werden kann, ist das so verstandene Prädikat kein stative mehr.

83 Faktoren, die sich nach der vorliegenden Untersuchung indirekt auf die Blockierung von NIen auswirken, sind Argumentvererbung im Zusammenspiel mit Realisierungsforderungen. Wie wir in 3.1.2 gesehen haben, können Dativ- und Genitiv-Argumente (also Argumente mit markierten Kasus) prinzipiell nicht an den NI vererbt werden. Alle Argumente des Verbs sind aber in der Bedeutungsstruktur des NIs impliziert. Nicht-realisierte Argumente sind implizit dort enthalten. In 3.1.3 habe ich nachgewiesen, dass Argumente nur indefinit implizit in der Bedeutungsstruktur eines NIs enthalten sein dürfen; définit implizite Argumente fuhren zu deutlichen Akzeptabilitätsverlusten. Wenn also ein Argument définit implizit bleiben muss, weil seine Argumentposition nicht an den NI vererbt werden kann, führt dies zur Blockade des NIs. Wie die Restriktionen im einzelnen gewichtet sein müssen, so dass die korrekten Voraussagen in Bezug auf die Akzeptabilität des NIs bei Verletzung einer oder mehrerer gemacht werden können, werden wir in Abschnitt 3.3 sehen.

3.2 Argumentrealisierung

Unsere Ausgangshypothese (vgl. Kap. 1) war, dass Nie als CENs bis zu zwei Argumentpositionen von ihren Basisverben erben können. Kasusspezifikationen des Basisverbs sowie Informationen zum Linking gehen dabei verloren. Als einzige formale Spezifikationen werden Forderungen nach idiosynkratischen Präpositionen (vgl. z.B. warten auf -> das Warten auf) vererbt. Wir gehen davon aus, dass bei CENs die Position des pränominalen Possessors und die des (postnominalen) Genitiv-Attributs der Realisierung von Argumenten vorbehalten ist. Modifikatoren können anders als bei anderen Nomina in diesen Positionen nicht realisiert werden, vgl. die der Sieg des Jahres vs. *das Siegen des Jahres. Erbt ein NI mehr als ein fur Kasus spezifiziertes Argument, dann gewährleisten Restriktionen bezüglich ihrer syntaktischen Anordnung innerhalb der DP, dass zwischen ihnen disambiguiert werden kann, d.h. wir erwarten, dass das Nominativ-Argument eines Basisverbs mit mehreren für Kasus spezifizierten Argumenten beim NI nur in pränominaler Position realisiert werden kann und das Akkusativ-Argument nur in postnominaler Position. Argumente mit anderen Kasusspezifikationen können ohnehin nicht vererbt werden.18 Bei NIen von Verben, die in einem ihrer alternativen Valenzrahmen nur eine für Kasus spezifizierte Argumentstelle vorsehen, sollte die freie Realisierung des ererbten Arguments in prä- oder postnominaler Position möglich sein, da eine eindeutige Identifizierung des Arguments in jedem Fall gewährleistet ist. Dies betrifft die Nie von allen einstelligen Verben, von mehrstelligen Verben mit fakultativen Argumenten sowie von zweistelligen Verben mit Präpositionalobjekt. Zur Überprüfung dieser Thesen wurde in der Fragebogenstudie eine 18

Es ist anzunehmen, dass die Restriktionen sich auf thematische Eigenschaften der entsprechenden Argumente beziehen und nicht auf ihre Kasusspezifikationen beim Basisveib. Da aber das Akkusativ-Argument nie agentiver ist als das Nominativ-Argument und da keine anderen Argumente ohne Spezifikation vererbt werden, werde ich die Argumente der Einfachheit halber aufgrund ihrer Kasusspezifikationen beim Basisverb unterscheiden.

84 große Menge von Daten erhoben, die in diesem Abschnitt vorgestellt und diskutiert werden sollen. In 3.2.1 wird zunächst die Hypothese überprüft, dass bei NIen, die mehrere nicht formal spezifizierte Argumente vom Basisverb übernehmen, die syntaktische Realisierung der Argumente restringiert ist. Um auch die Annahme zu bestätigen, dass die angenommenen Restriktionen spezifisch für Argumente sind, wird zudem die Realisierung von Ereignispartizipanten bei SENs untersucht, die ja wie in 1.1.2.2 ausgeführt keinen Argumentstatus haben, sondern grundsätzlich Modifikatoren sind. In 3.2.2 wird die Realisierung der Nominativ-Argumente verschiedener Basisverben mit nur einem für Kasus spezifizierten Argument überprüft. Es wird sich zeigen, dass diese nicht ganz so frei ist, wie zunächst angenommen. Einen Überblick über alle im vorliegenden Abschnitt identifizierten Argumentrealisierungsrestriktionen bietet 3.2.3.

3.2.1 Nie von Basisverben mit mehreren für Kasus spezifizierten Argumenten Wir wollen davon ausgehen, dass die Restriktionen, die die syntaktische Realisierung von mehreren formal nicht spezifizierten Argumenten beim NI beschränken, sich auf thematische Rollen und eventuell sortale Spezifizierungen, d.h. Belebtheit des jeweiligen Partizipanten, beziehen. Es ist nicht nötig die Beschränkungen mit Bezug auf die ausschlaggebenden thematischen Rollen bzw. Proto-Rollen-Eigenschaften auszuformulieren oder näher zu untersuchen, denn ich gehe davon aus, dass es dieselben Rollen sind, auf die sich die Regeln für des Argumentlinking beim Verb beziehen (vgl. zum Argumentlinking Blume 2000). Zudem ist die Bildung von NIen (bzw. die Vererbung von Argumenten) auf Verben mit deutlich asymmetrischer Rollenverteilung beschränkt, denn wie wir in 3.1 gesehen haben, sind Nie von Verben mit zwei Argumenten ohne Proto-Rollen-Eigenschaften wie etwa enthalten, ergeben oder entsprechen blockiert. Nie von mehrstelligen Verben mit einem schwach agentiven Argument und einem Argument ohne Proto-Rollen-Eigenschaften, also von allen statischen Psych-Verben, sind nur marginal akzeptabel. Von Interaktionsverben, also nicht-kausativen Verben mit zwei agentiven Argumenten wie z.B. folgen, nachgeben etc. (vgl. zu Interaktionsverben Blume 2000), kann jeweils nur ein Argument an den NI vererbt werden. Mehrstellige Nie von Verben, die für Linkingtheorien problematische Fälle darstellen, kommen also praktisch nicht vor. Wir können deshalb davon ausgehen, dass das Nominativ-Argument des Basisverbs eines mehrstelligen NIs grundsätzlich deutlich mehr Proto-Agens-Eigenschaften hat als das entsprechende Akkusativ-Argument. Andere Argumente des Basisverbs können nicht vererbt werden (vgl. dazu 3.1.2). Die thematischen Informationen, auf die die Argumentrealisierungsrestriktionen Bezug nehmen, sind in der vom Verb übernommenen Situationsstruktur des NIs enthalten. Wir erinnern uns, dass ein Teil der Bedeutung eines Verbs durch Situationsstrukturen der folgenden Form repräsentiert wird (vgl. dazu 1.1.2.2.2): (24) ermorden

SIT-R: s1 [xkontr'

bew im

· y1**] > s2 [y*] > s3 [y*]

Die Situationsstruktur (SIT-R ) in (24) drückt aus, dass ermorden ein Ereignis mit drei Teilereignissen ist, wobei impliziert ist, dass Partizipant χ im ersten Teilereignis s1 mittelbar

85 oder unmittelbar kontrolliert und aktiv auf einen Partizipanten y einwirkt, z.B. indem er ihn schlägt oder ihm Gift ins Essen mischt. Partizipant χ hat daher die Proto-Agens-Eigenschaften 'Kontrolle' und 'Aktivität', repräsentiert durch die Indizes 'kontr' und 'akt'. Partizipant χ ist sich seiner Handlungsweise außerdem bewusst und hat an der Ausführung der Handlung ein Interesse, verfügt also auch über die übrigen beiden Proto-Agens-Eigenschaften 'Bewusstheit' Cbew') und 'Interesse' ('int'). Da Partizipant y im ersten Teilereignis betroffen ist von der Einwirkung des Partizipanten χ hat er die Proto-Patiens-Eigenschaft 'Betroffenheit' ('betr'). Im zweiten Teilereignis, das sich chronologisch an s1 anschließt (Teilereignisse können auch parallel verlaufen), hat y keine Proto-Rollen-Eigenschaften (repräsentiert durch 'th'), da er keiner äußeren Einwirkung ausgesetzt ist. Er durchläuft den Prozess des Sterbens, der zu Zustand s3 führt, dass y tot ist. Der NI Ermorden als CEN übernimmt diese Situationsstruktur mit allen thematischen Spezifikationen der am Ereignis beteiligten Partizipanten vom Verb. SENs sind dagegen situationsstrukturelle Monolithen, d.h. sie übernehmen die Situationsstruktur vom Verb nicht und verfügen daher auch über keine thematischen Rollenspezifikationen für die am Ereignis beteiligten Partizipanten. Falls Argumentrealisierungsrestriktionen also auf die Proto-Rolleneigenschaften der Argumente mehrstelliger NIs Bezug nehmen sollten, dann sollte sich nachweisen lassen, dass die Partizipanten von SENs solchen Restriktionen nicht unterliegen. Ich werde zeigen, dass dies tatsächlich der Fall ist. Die Hypothese, dass die syntaktische Realisierung zweier formal nicht spezifizierter Argumente von NIen den eingangs genannten Restriktionen unterliegt, wurde an den folgenden Testgruppen überprüft: a) Nie mit postnominaler Realisierung des belebten Nominativ-Arguments agentiver /Nom/Akk-Basisverben {Zugeben, Falten, Betreuen, Reinigen); b) Nie mit postnominaler Realisierung des unbelebten Nominativ-Arguments kausativer /Nom/Akk-Basisverben (Berechnen, Überschwemmen, Absaugen, Erhitzen)', c) Nie mit postnominaler Realisierung des Nominativ-Experiencers psychologischer /Nom/Akk-Basisverben (Bemerken, Wiedererkennen, Übersehen, Erblicken)', d) Nie mit postnominaler Realisierung des Nominativ-Arguments agentiver /Nom/DatBasisverben {Raten, Beistehen, Zureden, Zusetzen)·, e) Vergleichsgruppe SENs {Kritik, Mord, Test, Audienz): prä-/postnominale Realisierung der Ereignispartizipanten; f) Nie mit pränominaler Realisierung des belebten Akkusativ-Arguments von /Nom/AkkBasisverben {Bestrafen, Töten, Täuschen, Überzeugen)·, g) Nie mit pränominaler Realisierung des unbelebten Akkusativ-Arguments von /Nom/Akk-Basisverben {Anfertigen, Reinigen, Reparieren, Backen)·, h) Nie mit pränominaler Realisierung des unbelebten Akkusativ-Arguments psychologischer /Nom/Akk-Basisverben {Begreifen, Erkennen, Spüren, Vergessen): i) Nie mit pränominaler Realisierung des belebten Dativ-Arguments agentiver /Nom/DatVerben {Folgen, Applaudieren, Verzeihen, Danken)·,

86

3.2.1.1 Realisierung des ererbten Nominativ-Arguments des Basisverbs beim NI Ein Problem bei der Untersuchung von Beschränkungen bezüglich der syntaktischen Realisierung von Nominativ-Argumenten transitiver Basisverben ist, dass Verletzungen dieser Restriktion nicht isoliert betrachtet werden können. Realisiert man das Nominativ-Argument des transitiven Basisverbs postnominal, so steht diese Position für die Realisierung des Objekts des entsprechenden Verbs nicht mehr zur Verfügung. Realisiert man das Objekt in derselben Konstruktion pränominal, dann hat man voraussichtlich eine zusätzliche Verletzung einer Restriktion, die die syntaktische Realisierung des Objekts des Basisverbs beim NI beschränkt. Lässt man es aber beim NI weg, so verletzt man zusätzlich mehr oder weniger stark ausgeprägte Realisierungsforderungen des NI für dieses Argument (vgl. dazu 3.1.3). Auch Nie zu wählen, die die Realisierung des Objekts des Basisverbs nicht fordern, ist keine Lösung, denn für solche Nie ist ja die Voraussage, dass das Argument der intransitiven Variante beliebig prä- oder postnominal realisiert werden kann, da die Identifikation des Arguments bei dieser Variante unproblematisch ist. Die hier gewählte Strategie war, nur Nie von Basisverben mit obligatorischen Objekten zu testen und diese beim NI wegzulassen. Leider ist es unmöglich, festzustellen, ob das weggelassene Akkusativ- bzw. Dativ-Argument des Basisverbs définit oder indefinit in der Bedeutung enthalten ist, weil dies ja die Weglassung des Arguments beim Verb voraussetzt. (Test: Sie akzeptiert nicht. Es gibt etwas, dass sie nicht akzeptiert.) Aufgrund der vom Verb ausgehenden Realisierungsforderung führt dies aber zu inakzeptablen und kaum interpretierbaren Konstruktionen, aus denen nichts gefolgert werden kann. (*Sie verzehrt nicht. Es gibt etwas, das sie nicht verzehrt.). Die Unzulässigkeit der Folgerungsbeziehung kann folglich nicht als Kriterium gegen definite Implizitheit des Arguments gewertet werden. Das bedeutet, dass man für die abgeleiteten Nie nicht vorhersagen kann, ob für die weggelassenen Argumente Realisierungsforderungen bestehen oder nicht, denn wie wir in 3.1.3 gesehen haben, sind definite Weglassungen beim NI anders als beim Verb verboten. Es ist also davon auszugehen, dass die meisten der Testsätze im Anhang II. 1 a-d sowohl syntaktische Restriktionen bezüglich der Realisierung des Nominativ-Arguments als auch Realisierungsforderungen fur das jeweils zweite Argument des Basisverbs verletzen. Insofern ist zu erwarten dass bei NIen von Verben mit zwei kasusspezifizierten Argumenten die postnominale Realisierung des Nominativ-Arguments des Basisverbs weniger akzeptabel ist als die pränominale Realisierung des Akkusativ-Arguments, denn bei zweistelligen NIen ist das Nominativ-Argument des Basisverbs ja prinzipiell weglassbar. Bei pränominaler Realisierung des Akkusativ-Arguments wird also nur die Stellungsbeschränkung des Arguments verletzt. Wie sich im nächsten Abschnitt zeigen wird, fuhrt die ausschließliche Verletzung der Stellungsbeschränkung tatsächlich zu weniger schlechten Ergebnissen. Betrachten wir zunächst die Daten mit postnominaler Realisierung des Nominativ-Arguments des Basisverbs, vgl. im Anhang II.l a-d. Die folgenden Beispiele enthalten Testsätze aus den vier untersuchten Testgruppen: (25) (a)

F: Sind sie mit Ihrer neuen Putzfrau zufrieden? A: Nein, das Reinigen dieser Dame musste ständig überwacht werden, da mache ich es lieber gleich selbst. (3,6)

87 (b)

(26) (a) (b)

(27) (a)

(b)

F: Sollen wir auf dem Bastelnachmittag für die Kinder wieder Sterne falten? A: Ich finde, wir sollten etwas anderes machen, das Falten der Kleinen ist noch so langsam und ungeschickt. (3,7) F: Gibt es Neuigkeiten aus dem Katastrophengebiet? A: Ja. Ein ganzes Dorf wurde durch das Überschwemmen der Flutwelle zerstört. (3,2) F: Ist Eure Gasrechnung auch so stark gestiegen? A: Ja. Wir wollen auf unserem Dach einen Wasserbehälter montieren. Durch das Erhitzen der Sonne können wir sehr viel Energie sparen. (2,9) F: Hat Ihrer Familie ihr neues Bild gefallen? A: Nein, wahrscheinlich nicht. Das krampfhafte Übersehen aller Familienmitglieder hat mich sehr geärgert. Das Bild nimmt schließlich eine ganze Wand ein. (3,5) F: Haben Sie noch viel für den Kindergeburtstag vorzubereiten? A: Nein. Mein Mann wird den Gabentisch herrichten. Damit gibt er sich immer besonders viel Mühe, weil das staunende Erblicken des Kindes ihm so viel Freude macht. (3,0)

Die Testsätze in (25) gehören zu der Testgruppe, bei der prototypische Agens-Argumente in der Position realisiert sind, die dem obligatorischen Akkusativ-Argument des Basisverbs vorbehalten ist. Die intendierte Interpretation des Arguments als Agens ist im jeweiligen Kontext unmissverständlich, dennoch wurden beide Testsätze sehr eindeutig abgelehnt. Ähnlich schlecht wurden unbelebte Verursacher und unbelebte Stimuli bei psychologischen Prädikaten in postnominaler Position bewertet, vgl. (26) bzw. (27). Wesentlich bessere Bewertungen erhielten allerdings Konstruktionen mit postnominaler Realisierung des Nominativ-Arguments agentiver /Nom/Dat-Verben, vgl. (28). Die mittlere Bewertung dieser Testgruppe war 2,2 und ohne den Ausreißer (28b) 2,4. Die besonders gute Bewertung des Testsatzes (28b) hängt wohl damit zusammen, dass die intransitive Variante dieses NIs lexikalisiert ist, etwa in Da war alles Zureden zwecklos. (28) (a)

(b)

F: Wer hat keine Probleme mit seiner Mutter? A: Ich verstehe mich gut mit meiner Mutter. Ich kann nur die Einmischungen und das ständige gut gemeinte Raten meines Vaters nicht ertragen. (2,8) F: Hat deine Mutter sich das neue Schlafzimmer gekauft? A: Nein, selbst das tagelange Zureden ihrer Freundin hat nichts genutzt. (1,3)

Die deutlich höhere Akzeptanz der postnominal realisierten Agens-Argumente von /Nom/Dat-Basisverben erklärt sich dadurch, dass bei diesen NIen das Dativ-Argument des Basisverbs nicht vererbt werden kann, was bedeutet, dass die Nie nur eine formal nicht spezifizierte Argumentstelle haben. Das Verbot, agentive Argumente eines NI postnominal zu realisieren, gilt aber nur für Nie mit zwei formal nicht spezifizierten Argumentstellen, da es die Identifizierbarkeit der Ereignispartizipanten gewährleisten soll. Die Zuordnung des Arguments zum richtigen Ereignispartizipanten ist also bei den NIen in (28) in jedem Fall gewährleistet. Die Konstruktionen verletzen deshalb nur die Realisierungsforderung für die Dativ-Argumente, die anscheinend définit implizit sind, denn die mittlere Bewertung dieser Testgruppe stimmt mit der, in der définit implizite Akkusativ-Argumente des Basisverbs weggelassen wurden, überein, vgl. im Anhang 1.3 i) bzw. 3.1.3.

88 Als letztes wurde nun überprüft, ob sich die Begleiter von CENs aufgrund ihres Argumentstatus tatsächlich anders verhalten als die nach der hier vertretenen Theorie als Modifikatoren realisierten Ereignispartizipanten von SENs. Die SENs in (29) haben alle mindestens zwei Ereignispartizipanten, von denen einer der Initiator des bezeichneten Ereignisses ist. Wie die Beispiele zeigen, unterliegen diese aber nicht der allgemeinen Restriktion, in pränominaler Position erscheinen zu müssen, vielmehr scheinen Präferenzen für bestimmte syntaktische Realisierungen der Ereignispartizipanten bei SENs idiosynkratisch zu sein, falls Präferenzen überhaupt existieren: (29) (a) (b) (c) (d) (e) (f)

Der Autor fürchtete wie immer am meisten die Kritik seines alten Freundes. (1,1) 0,28:92 Die Kritik der Aufführung war außerordentlich hart ausgefallen. (2,0) 1,22:55 Die Serie der skrupellosen Morde des entkommenen Psychopathen reißt nicht ab. (1,6) 1,07:71 Der Mord der unschuldigen Kinder hat die Todesstrafe wieder ins Gespräch gebracht. (2,8) 1,50:37 Der Test der Verbraucherorganisation zeigt, dass zwischen den Produkten kaum Qualitätsunterschied bestehen. (1,0) 0,00:100 Viele nahmen das Angebot des Gesundheitsamtes an und ließen einen kostenlosen Test der Leberwerte durchführen. (1,1) 0,41:93

Der Akzeptabilitätsunterschied zwischen (29a) und (29b) zeigt, dass bei Kritik die postnominale Realisierung des Partizipanten, der das Ereignis herbeiführt, deutlich gegenüber der postnominalen Realisierung des Partizipanten, der den Gegenstand der Kritik darstellt, präferiert ist. Bei Mord dagegen wurde keiner der beiden Ereignispartizipanten in postnominaler Position als völlig akzeptabel empfunden. Dies wird auch zusätzlich durch die sehr hohe Streuung bei der Bewertungen beider Testsätze bestätigt (1,07 bzw. 1,50). In (29e) und (29f) akzeptierten die Testpersonen die postnominale Realisierung beider Ereignispartizipanten gleichermaßen und stimmten in ihren Urteilen auch in hohem Maße überein. Zusammenfassend lässt sich jedoch feststellen, dass bei SENs wie in (29) die postnominale Realisierung des Initiators des Ereignisses grundsätzlich möglich zu sein scheint, während die Realisierung des betroffenen Partizipanten (oder des Gegenstandes, auf den sich das Ereignis bezieht) nur bei bestimmten Nomina möglich ist. Bei den Argumenten von NIen verhält es sich genau entgegengesetzt. Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht über die Bewertungen verschiedener Testgruppen, in denen agentive Argumente bzw. Modiflkatoren mit agentiver Interpretation bei Nomina, die Ereignisse mit mehreren Partizipanten bezeichnen, als Genitiv-Attribut realisiert wurden. Es zeigt sich, dass die drei Testgruppen, die Nie mit zwei formal nicht spezifizierten Argumentstellen beinhalteten, übereinstimmend als ungrammatisch bewertet wurden. Wesentlich besser, aber genauso schlecht wie andere Nie, bei denen Realisierungsforderungen verletzt wurden, schneidet die Testgruppe mit NIen von /Nom/Dat-Basisverben ab. Diese verfügen nur über eine Argumentstelle, haben aber ein définit implizites Argument, das bei NIen obligatorisch realisiert werden muss. Modiflkatoren mit agentiver Interpretation bei SENs sind dagegen in postnominaler Position generell akzeptabel.

89 (Tab. 6) Basisverb Nie agentiven /Nom/Akk-Verben Nie von kausativen /Nom/Akk-Verben Nie /Nom/Akk-Psych-Verben Nie von agentiven /Nom/Dat-Verben simple event nomináis (SENs)

NI: postnominale Realisierung des Verursachers/agentiven Arguments 3,4 1,06:37 3,1 1,24:37 3,3 1,17:36 2,2/2,4 0,97:49/1,07:40 1,3 0,61:88

3.2.1.2 Realisierung des ererbten Akkusativ- bzw. Dativ-Arguments des Basisverbs Wie schon im vorigen Abschnitt vorausgeschickt, wurde die pränominale Realisierung formal nicht spezifizierter Patiens- oder Thema-Argumente zweistelliger Nie deutlich besser bewertet als die postnominale Realisierung agentiver Argumente, vgl. die Testsätze in (30) und im Anhang II.3 a) und b). Die mittlere Bewertung der Gruppe mit pränominaler Realisierimg von Patiens-Argumenten lag bei 2,6.19 Der Akzeptabilitätsverlust bei pränominaler Realisierung von Patiens- oder Thema- (bzw. Stimulus-)Argumenten ist geringer als bei postnominaler Realisierung agentiver Argumente bei NIen mit zwei formal nicht spezifizierten Argumenten, weil im ersten Fall nur die Stellungsbeschränkung für das Patiens-/ Thema-Argument verletzt wird. Die gleichzeitige Weglassung des Agens-Arguments, für das die pränominale Argumentposition eigentlich reserviert ist, fuhrt zu keiner zusätzlichen Regelverletzung, denn die Realisierung des Nominativ-Arguments des Basisverbs ist beim NI prinzipiell fakultativ. (30) (a)

(b)

F: Sollen wir das Kostüm waschen, bevor wir es zurückgeben? A: Ich glaube nicht, dass man es waschen kann. Ich würde sein Reinigen empfehlen. (2,5) 7:0,88:54 F: Sollen wir auf dem Basar Zupfkuchen anbieten? A: Ich bin gegen Zupfkuchen, sein Backen ist zu aufwendig. (2,7) 3:0,92:38

Ein überraschendes Ergebnis brachte die Untersuchung der Akzeptanz von belebten Patiens-Argumenten als pränominale Begleiter von NIen, vgl. im Anhang II.3 c) und (31). Die mittlere Bewertung der Gruppe lag bei 3,4.

19

Es wurde auch die pränominale Realisierung unbelebter Stimuli bei NIen von Nom-EXP/AkkSTIM-Verben untersucht. Da die Testsätze dieser Gruppe aufgrund der unterschiedlichen Aktionsart der Nie sehr uneinheitlich bewertet wurden, werden diese Ergebnisse hier nicht berücksichtigt.

90 (31) (a)

(b)

F: Würden Sie einwilligen, Ihren Hund einschläfern zu lassen, wenn er mehrmals Menschen angefallen hätte? A: Ich sehe das Problem, aber ich würde wahrscheinlich alles tun, um sein Töten zu verhindern. (3,1) 7:1,47:32 F: Ich habe gehört, Herr Lieber ist auf eine raffinierte Heiratsschwindlerin hereingefallen? A: Ich weiß nicht, ob die besonders raffiniert war. Sein Täuschen ist jedenfalls keine große Kunst. (4,0) 10:0,96:44

Wie sich in 3.2.1.2 zeigen wird, war in den Testgruppen mit einstelligen NIen die Differenz bei der Beurteilung belebter und unbelebter Argumente in pränominaler Position ungefähr genauso groß (zwischen 0,6 und 1,0) - nur dass in diesem Fall unbelebte Argumente in pränominaler Position schlechter bewertet wurden. Es gibt also keine generelle Belebtheitsrestriktion fur die pränominale Position, sondern eine Belebtheitsrestriktion, die sensitiv ist für die thematische Rolle des Arguments, das in dieser Position realisiert wird. Dies erhärtet die Annahme, dass die Stellungsbeschränkungen für die Argumente von NIen mit mehr als einem formal nicht spezifizierten Argument semantisch gesteuert sind und die Zuordnung von Argumenten zu Ereignispartizipanten gewährleisten sollen. Zudem wird weiter unten nachgewiesen werden, dass die entsprechende Restriktion nur für Argumentpositionen gilt. Echte Possessoren (Modifikatoren) bei genuinen Nomina sind davon nicht betroffen. Die Belebtheit ist offensichtlich ein wichtiger Indikator dafür, ob ein Argument auf den Verursacher oder den Betroffenen des Ereignisses referiert. Verursacher sind in der Regel belebt, Betroffene dagegen nicht. Trifft man in pränominaler Position ein Argument an, das auf einen unbelebten Partizipanten referiert, so erleichtert dies die Interpretation des Partizipanten als Betroffenen, auch wenn die entsprechende Position normalerweise dem Verursacher vorbehalten ist. Das schlechteste Ergebnis der gesamten Untersuchung (4,0) erhielt die Testgruppe mit pränominal realisierten Dativ-Argumenten agentiver Basisverben. Bei postnominaler Realisierung der entsprechenden Argumente stieg die Akzeptanz allerdings nur unwesentlich (3,7). Bei der Bewertung dieser Testgruppen scheint also in erster Linie die Nicht-Vererbbarkeit des Dativ-Arguments ausschlaggebend zu sein. Dies ist nicht überraschend, da diese Begleiter keine Argumente sind und daher Regeln, die die Realisierung von Argumenten determinieren für sie nicht gelten sollten. Tabelle 7 zeigt die mittleren Bewertungen aller Testgruppen mit pränominal realisierten Patiens-/ Thema-Argumenten im Überblick: (Tab. 7) NI: Objekt des Basisverbs pränominal Basisverb

belebt

unbelebt

/Nom/Akk-Verben kausativ bzw. agentiv /Nom/Dat-Verben agentiv

3,4 1,11:44 4,0 0,83:46

2,6 0,88:50

91

Tabelle 8 bietet einen Vergleich der Bewertungen von Testsätzen (ohne Ausreißer), in denen die Restriktionen bezüglich der syntaktischen Realisierung der Argumente von NIen mit zwei formal nicht spezifizierten Argumentstellen verletzt wurden. Es zeigt sich, dass die Konstruktionen, die Verletzungen der Argumentrealisierungsrestriktionen aufweisen, immer als stark abweichend beurteilt werden. Die Bewertungen werden schlechter, wenn es zusätzliche Verletzungen von Regeln oder Präferenzen gibt (Realisierungsforderungen, Belebtheitsrestriktion, Nichtvererbbarkeit von Argumenten). (Tab. 8) NI: Verursacher/ agentives Argument postnominal Basisverb /Nom/Akk-Verben agentiv/ kausativ /Nom/Akk-PsychVerben /Nom/Dat-Verben agentiv

NI: Objekt des Basisverbs pränominal

belebt

unbelebt

belebt

unbelebt

3,4 1,06:37 3,3 1,17:36 (2,4f (1,07:40)

3,1 1,24:37

3,4 1,11:44

2,6 0,88:50

-

-

-

-

-

-

3.2.2 Nie von Verben/Verbvarianten mit nur einem für Kasus spezifizierten Argument Die Untersuchung im vorliegenden Abschnitt betrifft Nie von intransitiven Basisverben, von Basisverben mit einem Nominativ-Argument und einem Präpositionalobjekt und Nie von Basisverben mit einem fakultativen Akkusativ-Argument, das bei Nicht-Realisierung indefinit implizit in der Bedeutung vorhanden ist, so dass der NI über eine einstellige Variante verfugt, bei der nur das Agens-Argument realisiert wird. Alle diese Nie haben einen Argumentrahmen mit nur einer formal nicht spezifizierten Argumentstelle fur das ererbte Nominativ-Argument des Basisverbs. Bei NIen von Verben mit Präpositionalobjekt wird die Spezifizierung der idiosynkratischen Präposition vom Verb übernommen. Die Voraussage fur die formal nicht spezifizierten Argumente der oben aufgelisteten Nie ist, dass sie sowohl prä- als auch postnominal realisiert werden können, da sie in jedem Fall eindeutig dem richtigen Ereignispartizipanten zugeordnet werden können, weil es entweder kein anderes Argument im Argumentrahmen gibt oder das zweite Argument formal spezifiziert ist. Die oben aufgelisteten NI-Typen wurden in Bezug auf die Belebtheit des betrachteten Partizipanten und Intransitivität/ Unakkusativität des Basisverbs weiter differenziert, so dass insgesamt (inklusive zweier Vergleichsgruppen) zwölf Testgruppen untersucht wurden (vgl. auch im Anhang II.4 und Ü.S):

20

Wie oben ausgeführt, liegt hier keine Verletzung der Stellungsbeschränkung vor, weil das betreffende Argument das einzige nicht formal spezifizierte Argument des NI ist. Hier wird lediglich die Realisierungsforderung fttr das nicht-vererbbare Dativ-Argument des Basisveibs verletzt.

92 a) Nie von einstelligen unergativen Basisverben mit belebtem Partizipanten (Schreien, Schweigen, Arbeiten, Pfuschen)·, b) Nie von einstelligen unergativen Basisverben mit unbelebtem Partizipanten {Funktionieren, Enden, Tuckern, Schaukeln)·, c) Nie von einstelligen unakkusativen Basisverben mit belebtem Partizipanten (Eintreffen, Sterben, Schwimmen, Aufstehen)-, d) Nie von einstelligen unakkusativen Basisverben mit unbelebtem Partizipanten (Umkippen, Aufblühen, Anschwellen, Eintreten)·, e) Nie mit fakultativer einstelliger Valenz, postnominales Agens (Diktieren, Lernen, Diskutieren, Aufräumen)·, f ) Vergleichsgruppe Nie mit obligatorischer zweistelliger Valenz: postnominales Agens {Treffen, Akzeptieren, Bezahlen, Provozieren)·, g) Nie von unergativen Basisverben mit PO, belebtes Agens {Sorgen für, Flehen um, Rechnen mit, Zweifeln an)\ h) Nie von unergativen Basisverben mit PO, imbelebtes Thema {Basieren auf, Münden in, Führen zu, Beitragen zu)\ i) Nie von unakkusativen Basisverben mit PO, belebtes Agens {Pilgern nach, Abblitzen bei, Spazieren in, Eintreten für)·, j) Nie von unakkusativen Basisverben mit PO, unbelebtes Thema {Gelangen in, Sickern aus. Abweichen von, Kranken an)·, k) Vergleichsgruppe Konkreta {Futter, Anbau, Schatten, Rand): pränominale Realisierung unbelebter Possessoren; 1) Vergleichsgruppe Abstrakta {Farbe, Form, Gewicht, Aufbau): pränominale Realisierung unbelebter Possessoren.

3.2.2.1 Realisierung des ererbten Arguments von /Nom-Basisverben beim NI Wir wollen zunächst Nie betrachten, die von intransitiven Basisverben bzw. intransitiven Verbvarianten abgeleitet sind. Unter den hier in Frage kommenden Testgruppen lieferten die von Verben mit einstelliger Grundvalenz abgeleiteten Nie mit belebten Partizipanten die klarsten Ergebnisse. Diese erzielten bei den Testpersonen hohe Akzeptanz, unabhängig davon, ob es sich um unergative oder unakkusative Prädikate handelte (vgl. (32a,b) vs. (32c,d)). Dies lässt sich sowohl an den mittleren Bewertungen (zwischen 1,1 und 1,2) als auch an der geringen Streuung und dem hohen durchschnittlichen Übereinstimmungsgrad bei der Bewertung ablesen. (32) (a) (b) (c) (d)

Er nannte sie 'Zuckerpüppchen'. Hätte er ihr nächtliches Schreien ertragen müssen, hätte er sie 'Monster* genannt. (1,0) 7:0,19:96 Die Nachbarn hatten sich immer wieder über das nächtliche Schreien des Kindes beschwert. (1,0) 0:0,00:100 Ihr allmorgendliches Schwimmen hat die Tante bis ins hohe Alter fit gehalten. (1,2) Das allmorgendliche Schwimmen der Patienten dient zur Unterstützung der Therapie. (1,2) 10:0,64:85

93 Auch Nie von einstelligen unakkusativen Verben mit postnominaler Realisierung des einzigen Partizipanten wurden gut bewertet (1,2), vgl. (33): (33) (a) (b)

Sie staunten nicht schlecht über das Aufblühen der Pflanze mitten im Winter. (1,3) 10:0,67:78 Der Arzt versicherte ihr, dass das Anschwellen der Wunde unbedenklich sei. (1,1) 0:0,35:100

Nie von unergativen Verben mit unbelebtem Partizipanten in postnominaler Position wurden dagegen als leicht abweichend empfunden (1,5). In dieser Gruppe gibt es aber einen Ausreißer, vgl. (34): wie statives bezeichnet Enden kein Ereignis, sondern eine Eigenschaft und verhält sich daher auch wie ein stative21 In (34) wird durch das Adjektiv abrupt eine punktuelle Lesart erzwungen. Die Bewertung 2,2 bei postnominaler Realisierung des Arguments zeigt, dass die lexikalischen aktionalen Eigenschaften des Prädikats durch den Kontext nicht vollständig Uberschrieben werden können.22 (34) F: Wie hat Ihnen denn der Vortrag gefallen? A: Ich war leider etwas abgelenkt. Erst das abrupte Enden des Vortrags hat mich aus meinen Gedanken gerissen. (2,2) 10:0,95:33 Die übrigen Testsätze der Gruppe (vgl. (35)) stießen dagegen auf wenig Ablehnung. Zählt man den Ausreißer nicht mit, so ist die Bewertung dieser Testgruppe im Mittel nicht schlechter als die der Nie von unakkusativen Verben mit unbelebtem Partizipanten in postnominaler Position (1,2). (35) (a)

(b)

F: Schreit euer Kind nachts auch so viel? A: Ja, wenn es ganz schlimm wird, setzen wir uns mit ihm ins Auto. Das gleichmäßige Tuckern des Motors beruhigt es sofort. (1,4) 13:1,10:81 F: Kommen Sie nächstes Wochenende wieder mit zum Segeln? A: Nein danke. Ich werde zwar nicht direkt seekrank, aber das Schaukeln des Bootes ist mir unangenehm. (1,1) 17:0,40:96

Realisiert man die unbelebten Partizipanten jedoch in pränominaler Position, die ja bei den Nlen mit zwei formal nicht spezifizierten Argumenten die kanonische Position fur das Nominativ-Argument des Basisverbs ist, dann fuhrt das in beiden Testgruppen zu einem deutlichen Akzeptabilitätsverlust: (36) (a) (b)

21

Diese Pflanze ist wegen ihres Aufblühens im Winter sehr beliebt. (1,7) 7:0,81:46 F: Kommen Sie nächstes Wochenende wieder mit zum Segeln? A: Nein danke. Ich bin auf dem Boot zwar nicht direkt seekrank geworden, aber sein Schaukeln ist mir unangenehm. (2,1) 3:0,94:33 t?

Das belegen die in 3.1.1 vorgestellten Tests: der Vortrag endete in Hörsaal 4 vs. das Boot schaukelte im Hafen; das Geende/*die Enderei des Vortrags vs. das Geschaukele/ die Schaukelei des Bootes",71ich hörte den Vortrag enden vs. ich sah das Boot schaukeln. Zu demselben Schluss sind wir in 3.1.1 bei der Testgruppe Nie von Stativen NOM-EXP/AKKSTIM-Verben wie hassen und spüren gekommen. In neutralem Kontext war die mittlere Bewertung der Testgruppe 2,6, bei erzwungener agentiver Lesart 2,0.

94 Wie bereits im vorigen Abschnitt vorweggenommen, zeichnet sich hier eine Präferenz für unbelebte Partizipanten in postnominaler Position ab, die darauf zurückzuführen ist, dass Agens-Argumente in der Regel belebt sind und dass diese Korrelation bei der Zuordnung des Arguments zu einem Ereignispartizipanten ausgenutzt wird.23 Unsere Ausgangshypothese, dass Nie von Verben mit nur einem fur Kasus spezifizierten Argument im Gegensatz zu denen von Verben mit mehreren Kasusspezifikationen sowohl prä- als auch postnominal realisiert werden können, stellt dieses Ergebnis aber nicht in Frage. Erstens ist die freie Stellung der Argumente bei belebten Partizipanten ja prinzipiell möglich, vgl. (32), und zweitens gilt die Präferenz für belebte Verursacher- und AgensArgumente in pränominaler Position unabhängig von der Stelligkeit des NIs, vgl. (37). Die Beschränkung, die Verursacher- und Agens-Argumente in postnominaler und Patiens- und Thema-Argumente in pränominaler Position verbietet, bezieht sich dagegen auf die Stelligkeit und gilt daher nicht für NIs, die nur ein Argument vom Basisverb erben. (37) Das Programm muss einen Fehler haben. "Sein wiederholtes fehlerhaftes Berechnen der Daten ist schon mehreren Leuten aufgefallen. Eine weitere Gruppe von NIen, für die die freie Stellung des Agens-Arguments vorhergesagt wurde, ist die mit indefinit impliziten Patiens- oder Thema-Argumenten. Diese Gruppe von NIen verfügt neben einem Argumentrahmen mit zwei formal nicht spezifizierten Argumentpositionen über zwei alternative einstellige Argumentrahmen. Einen mit einer Position für das vom Verb geerbte Akkusativ-Argument (vgl. (38b), SEM-VAI^) und einen mit einer Position für das vom Verb geerbte Nominativ-Argument (vgl. (38b), SEMVAL3). Einen reduzierten Argumentrahmen vom ersten Typ (vgl. (38b), SEM-VAL2) hat jeder regulär von einem transitiven Verb abgeleitete Nie. Für Nie mit impliziten x-Argument gilt die in 3.2.1. formulierte Stellungsbeschränkung des y-Arguments: es darf nur in postnominaler Position erscheinen. Was die Nie mit reduzierten Argumentrahmen vom zweiten Typ betrifft, haben wir jedoch erwartet, dass die syntaktische Realisierung des Arguments frei ist, weil dieser Argumentrahmen von der /Nom-Variante des Verbs übernommen wird, weshalb die Realisierung des in ihm enthaltenen Arguments denselben Beschränkungen unterliegen sollte wie alle von intransitiven Verben vererbten Argumente. (38) (a)

lernen SYN-VAL, /Nom'/Akk2 SEM-VAL, λχ'λ^ Xs [LERN y,x,s) SYN-VALz /Nom1 SEM-VAL2 λχ1 Xs [LERN

y¡ndef,X,s)

23

Solche Präferenzen sind jedoch nicht mit den in 3.1.2 formulierten harten Restriktionen bezüglich der Anordnung der Argumente von NIen mit zwei formal nicht spezifizierten Argumentpositionen gleichzusetzen. Verletzungen dieser Restriktionen fuhren immer zu ungrammatischen Konstruktionen, während die Verletzung der weichen Belebtheitsrestriktion nur zu leicht abweichenden Ergebnissen führt.

95 (b)

Lernen SYN-VAL! / 0 ' / 0 2 S E M - V A L , λ χ 1 λγ2 Ks [LERN y,Χ,S]

SYN-VAL2 / 0 1 SEM-VAL2 λχ 1 λβ [LERN Y^F., χ,S] SYN-VALJ / 0 1

SEM-VALj ΛΓ' Is [LERN y,χ,S]

Die durchschnittliche Akzeptanz der Konstruktionen mit postnominaler Realisierung des Agens bei NIen mit indefinit implizitem Patiens bzw. Thema (vgl. im Anhang II.4 e) und die Beispiele in (39)) war etwas niedriger als bei pränominaler Realisierung (mittlere Bewertung 1,6 vs. 1,3). (39) (a)

(b)

F: Wieso soll Paola denn nicht mehr mit Marco Mathe üben? A: Ich kann das stundenlange Lernen der Kinder nicht mehr mit ansehen. Die machen sich doch ganz verrückt. (1,2) 1 3 : 0 , 4 3 : 7 7 F: Fandest du die Themen, die heute Abend vorgeschlagen wurden, nicht zu provokativ? A: Nein. Das angeregte Diskutieren der Mädchen hat endlich mal Schwung in die Gruppe gebracht. (1,9) 7 : 1 , 0 9 : 4 3

Der Akzeptabilitätsunterschied zwischen der prä- und postnominalen Realisierung der Agens-Argumente ist jedoch viel weniger ausgeprägt als bei NIen mit définit impliziten Argumenten (2,8 bei postnominaler Realisierung gegenüber 2,2 bei pränominaler). (40) (a)

(b)

F: Wie läuft's bei der Arbeit? A: Ich habe letzte Woche um meine Versetzung gebeten. Mit dem spontanen Akzeptieren meiner Chefin hatte ich allerdings überhaupt nicht gerechnet. (2,7) 3:1,20:31 F: Du musstest bezahlen? Ich dachte, du warst eingeladen? A: Schon, aber das Bezahlen meines Bruders lief dann so, dass er kurz bevor er Kellner mit der Rechnung kam, auf Toilette musste. (3,0) 13:1,34:31

Bei dieser letzten Gruppe wurde die postnominale Realisierung von Agens-Argumenten in jedem Testsatz um mindestens 0,5 Punkte schlechter bewertet als die pränominale Realisierung, während bei indefinit implizitem Patiens/Thema der Bewertungsunterschied kleiner und unregelmäßiger war. Satz (39a) mit pränominaler Argumentrealisierung wurde sogar schlechter bewertet. Man muss hier auch berücksichtigen, dass die Testgruppe mit indefinit implizitem Patiens/Thema und postnominaler Realisierung des Agens mit 1,6 eine recht gute absolute Bewertung erhalten hat, während die absolute Bewertung der postnominal realisierten Agens-Argumente bei NIen mit définit implizitem Patiens/Thema im unteren Bereich der von den Testpersonen ausgenutzten Bewertungsskala liegt. Die Streuung bei der Bewertung dieser Konstruktionen war zudem außerordentlich hoch, vgl. Tabelle 9. Das deutet auf eine starke Verunsicherung der Testpersonen hin, die damit zu tun haben kann, dass ihnen solche Sätze extrem unvertraut sind. Dagegen war die Streuung bei der Bewertung der anderen Gruppe unterdurchschnittlich niedrig. Insgesamt kann man also sagen, dass die Daten die Ausgangshypothese, dass die Stellung des Agens bei NIen mit weglassbarem Patiens/Thema frei ist, eher bestätigen als widerlegen. Dennoch zeichnet sich die Präferenz ab, bei einstelligen NIen mit impliziten Argumenten Agens-Argumente nur in

96 pränominaler Position zu realisieren. Eine Verletzung dieser Präferenz fuhrt zu einem deutlich geringeren Akzeptabilitätsverlust als die postnominale Realisierung von Agens-Argumenten bei NIen mit zwei formal nicht spezifizierten Argumenstellen. Einen Überblick über die Bewertungen der in diesem Abschnitt diskutierten Testgruppen bietet Tabelle 9: (Tab. 9) NI: Agens/Verursacher belebt Basisverb / N o m uncrg

/ N o m unaidt

/Nom(/Akkindef) /Nom(/Akk jef) /Nom/Akk

NI: Agens/Verursacher unbelebt

postnominal

pränominal

postnominal

1,1

1,1

1,5/1,2

0,37:92

0,36:92

0,71:73/0,63:87

pränominal 2,1/1,9 1,24:44/1,30: 45

1,2

1,2

1,2

1,6

0,40:87

0,52:87

0,50:82

0,88:61

-

-

-

-

-

-

1,6

1,3

0,76:60

0,57:74

3,0

2,5

1,25:35

0,92:41

3,4

2,1

1,06:37

0,81:54

Die Daten bestätigen auch eine weitere in Kapitel 1 formulierte Annahme: der NI erbt vom Verb die alternativen Argumentrahmen, wobei aber für die Realisierung der darin enthaltenen Argumente andere Bedingungen gelten als beim Verb. So darf bei einem NI kein Argument définit implizit bleiben, auch wenn der NI einen reduzierten Argumentrahmen vom Verb erbt, der keine Argumentposition für das betreffende Argument vorsieht. Man könnte sich nun fragen, inwiefern die Annahme, dass Nie und andere CENs Argumentpositionen erben, überhaupt motiviert ist, vgl. dazu Kaufmann (2002). Da die Argumentpositionen nicht formal spezifiziert sind und die Argumentrealisierung sowie Realisierungsforderungen anderen Bedingungen unterliegen als beim Verb, ist ihre Funktion bei CENs nicht offensichtlich. Ein Ansatz, in dem Nie nur die Bedeutungsrepräsentation des Verbs mit den Argumentvariablen erben, nicht aber die Argumentpositionen, kann jedoch den Daten in Tabelle 8 und 9 nicht Rechnung tragen. Unter dieser Analyse würde die Argumentrealisierung ausschließlich durch semantische Bedingungen gesteuert: Wenn in der Bedeutungsrepräsentation des NI zwei Argumentvariablen enthalten sind, so muss das Patiens-/Thema-Argument realisiert werden, es sei denn es wäre bei Nicht-Realisierung indefinit implizit. Man könnte, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, davon ausgehen, dass obligatorische Argumente von Verben bei Weglassung immer définit implizit sind. Bei allen NIen mit nicht-weglassbarem Patiens-/Thema-Argument wäre dann die syntaktische Realisierung der Argumente so geregelt wie in 3.2.1 beschrieben: agentive Argumente dürfen nur pränominal realisiert werden, Patiens-/Thema-Argumente nur postnominal. Bei NIen mit nur einer Argumentvariable wäre die syntaktische Realisierung des Arguments frei. Diese Analyse ist zwar eleganter als die hier angenommene Vererbungstheorie, aber

97 sie kann eine Reihe der hier beobachteten Akzeptabilitätsunterschiede nicht erklären: Bei NIen von Verben, die einen /Nom/Akk-Valenzrahmen haben, aber keinen reduzierten /Nom-Valenzrahmen, betrug die mittlere Bewertung der Konstruktionen mit postnominaler Realisierung des AgensWerursacher-Arguments um etwa 3,4. Nur wenn das obligatorisch zu realisierende Objekt des Verbs ein Dativ-Argument war, stieg die Akzeptanz bei postnominaler Realisierung des Subjekts des Basisverbs (2,2). Wir hatten dies darauf zurückgeführt, dass die Argumentstelle des Dativ-Arguments nicht vererbt werden kann und die Konstruktion daher nur die vom NI ausgehende Realisierungsforderung verletzt (vgl. 3.2.1.1). Es ist unklar, wie der Akzeptabilitätsunterschied in einem Ansatz, der keine Vererbung von Argumentstellen vorsieht, erfasst werden kann. Auch Nie von Verben mit reduzierten einstelligen Valenzen, bei denen jedoch das Patiens/ Thema définit implizit ist, verhalten sich bei postnominaler Realisierung des Agens anders als Nie von Verben, die keine reduzierte Valenz haben. Erstere wurden bei postnominaler Realisierung des Agens im Mittel mit 2,8 bewertet, bei pränominaler Realisierung des Agens mit 2,2. Dagegen erhielten Nie von /Nom/Akk-Verben ohne reduzierte Valenz bei Weglassung des Patiens/Thema im Mittel die Bewertung 2,1 (vgl. im Anhang 1.1.3 a)), bei postnominaler Realisierung des Agens jedoch nur eine durchschnittliche mittlere Bewertung von 3,4 (vgl. im Anhang II. 1 a)). Die absolute Akzeptanz ist also im ersten Fall deutlich höher und der Akzeptabilitätsverlust deutlich geringer, obwohl in beiden Fällen sowohl Stellungsbeschränkungen als Realisierungsforderungen des NIs missachtet wurden. Im vorliegenden Ansatz kann das dadurch erklärt werden, dass Nie mit définit implizitem Argument den reduzierten Valenzrahmen des Verbs erben, weshalb sie nicht in die Domäne der harten Restriktion fallen, die die pränominale Realisierung des Agens fordert. Diese gilt ja nur fììr Nie mit zwei formal unspezifizierten Argumentpositionen. Der zusätzliche Akzeptabilitätsverlust bei postnominaler Realisierung des Agens resultiert aus einer Verletzung von Anordnungspräferenzen, zu denen auch die oben erwähnten Belebtheitsrestriktionen zählen. Eine Missachtung der präferierten Anordnung von Argumenten mit bestimmten semantischen Eigenschaften kann zu falschen Erwartungen bezüglich ihrer Zuordnung zu Partizipanten fuhren, was die Interpretation der Konstruktion erschwert. Sie haben jedoch nicht den Status von harten Restriktionen, was sich empirisch in dem relativ geringen Akzeptabilitätsverlust von etwa 0,5 - 0,8 Punkten manifestiert.

3.2.2.2 Realisierung des ererbten Nominativ-Arguments von /Nom/P-Verben beim NI Als letzte Gruppe von NIen, deren Argumentrahmen nur ein formal nicht spezifiziertes Argument enthält, wenden wir uns nun den NIen von /Nom/P-Verben zu. Die Forderung nach der idiosynkratischen Präposition wird vom NI übernommen, das andere Argument ist somit das einzige ohne formale Spezifikation und sollte daher frei in prä- und postnominaler Position vorkommen können. Um diese These zu überprüfen, wurden den Testpersonen Nie von unergativen und unakkusativen Verben jeweils mit belebtem und unbelebtem Partizipanten in prä- und postnominaler Position vorgelegt. Wider Erwarten wurden die Nie aller Testgruppen mehr oder weniger stark abgelehnt, allerdings unabhängig davon, ob das formal nicht spezifizierte Argument prä- oder postnominal realisiert wurde. Zudem wurden die Nie der verschiedenen Testgruppen recht unterschiedlich bewertet. Eine erschöpfende

98 Erklärung der Daten kann hier deshalb nicht erfolgen, es sollen jedoch einige Vermutungen geäußert werden, die die Richtung für weitere Untersuchungen weisen könnten. Betrachten wir zunächst die unergativen Nie mit präpositionalem Begleiter und einem weiteren formal nicht spezifizierten Argument, gefüllt durch einen belebten Partizipanten. (41) (a) (b) (c) (d) (e) (f) (g)

(h)

Viele Kinder schwärmen für Pinguine, die ihnen wegen ihres gemeinsamen Sorgens für ihren Nachwuchs sympathisch sind. (2,1) 7:1,21:50 Bei Pinguinen kann man ein gemeinsames Sorgen der Eltern für den Nachwuchs beobachten. (2,0) 3:1,05:48 Wir gedachten jedes Jahr der Opfer. Ihr Flehen um Hilfe verfolgt uns heute noch in unseren Träumen. (1,3) 13:0,60:81 Die Passanten gaben vor, das Flehen des Opfers um Hilfe nicht zu hören. (1,7) 17:0,89:52 Ihr ständiges Rechnen mit schrecklichen Schicksalsschlägen geht vielen auf die Nerven. (2,6) 0:1,22:43 Das ständige Rechnen der Tante mit schrecklichen Schicksalsschlägen geht der ganzen Familie auf die Nerven. (3,2) 10:1,08:44 Der Patient soll weiterhin unter Beobachtung bleiben. Sein starkes Zweifeln an der Loyalität seiner nächsten Angehörigen ist besorgniserregend. (1,8) 13:1,39:72 Das starke Zweifeln des Patienten an der Loyalität seiner nächsten Angehörigen ist besorgniserregend. (1,4) 3:0,68:72

Die mittlere Bewertung der Sätze mit pränominaler sowie mit postnominaler Realisierung des Agens/ Experiences ist 2,0. Dass die unterschiedliche Positionierung des Arguments zu keinen Akzeptabilitätsunterschieden fuhrt, könnte man als Evidenz für die Ausgangshypothese werten, dass es keinen Stellungsbeschränkungen unterliegt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass bei zwei NIen {Flehen um und Rechnen mit) mit der postnominalen Realisierung des Experiences ein deutlicher Akzeptabilitätsverlust verbunden ist. In beiden Fällen ist dieser jedoch sehr viel geringer als bei NIen von /Nom/Akk-Verben mit postnominaler Realisierung des agentiven Arguments. Zudem liegt die absolute Bewertung von (41d) klar im oberen Bereich der Bewertungsskala, was auch gegen eine Verletzung der Stellungsbeschränkung spricht. Anscheinend liegen bei jedem der Nie dieser Testgruppe eigene Gründe für die Präferenz der prä- bwz. postnominalen Realisierung vor. Zu Sorgen für und Rechnen mit existiert jeweils ein Homonym ohne präpositionalen Begleiter und die Disambiguierung zwischen diesen wird erschwert, wenn die PP erst nach dem Agens-Argument realisiert wird. Dass (41b) trotzdem nicht schlechter bewertet wurde als (41a), liegt möglicherweise daran, dass der NI in (41a) im Genitiv ist. Bewertungen anderer Testitems haben gezeigt, dass mehrere Genitive innerhalb einer DP von vielen als stilistisch markiert empfunden werden. Flehen um hat eine einstellige Variante ohne präpositionalen Begleiter, 4 auch hier erschwert ein postnominal realisiertes Agens-Argument die Disambiguierung zwischen den beiden Varianten. Zu Zweifeln an gibt es weder ein Homonym mit anderer Bedeutung noch

24

Die Obligatorik/Fakultativität präpositionaler Begleiter beim NI wurde nicht untersucht.

99 eine intransitive Variante, deshalb gibt es auch keinen Grund, der dagegen spricht, das Experiencer-Argument zwischen NI und PP zu realisieren. Alle Nie von unergativen /Nom/P-Verben (vgl. dazu im Anhang II.4 g) und h)), deren formal nicht spezifiziertes Argument durch einen unbelebten Partizipanten gefüllt war (Basieren auf, Münden in, Führen zu, Beitragen zu), erwiesen sich im Nachhinein als statives. Diese Nie sollten nach unseren Erkenntnissen aus 3.1.1 blockiert sein und entsprechend erhielt die Testgruppe dieselbe mittlere Bewertung (2,9/3,0) wie die Gruppe der statives von /Nom/Akk-Verben mit zwei Thema-Argumenten (Enthalten, Wiegen, Besitzen, Ergeben)I in 3.1.1. Die Nie dieser Gruppe widerlegen die Ausgangshypothese der freien Stellung des formal nicht spezifizierten Arguments im Übrigen auch nicht, da die mittlere Bewertung bei prä- und postnominaler Realisierung des Arguments gleich schlecht war. Sie verhalten sich aber andererseits auch nicht entsprechend unseren Erwartungen, da keine Präferenz für die postnominale Realisierung des unbelebten Partizipanten auszumachen ist. Eine mögliche Erklärung hierfür wäre, dass diese Präferenzen für blockierte Konstruktionen nicht gelten und dass Akzeptabilitätsunterschiede bei den blockierten NIen nur reflektieren, inwieweit die Konstruktion überhaupt zu interpretieren ist. Nie von unakkusativen /Nom/P-Verben (vgl. dazu im Anhang II.4 i) und j)) zeigen dagegen denselben Belebtheitseffekt wie Nie von /Nom-Verben. Wie bei letzteren können belebte Argumente prä- und postnominal realisiert werden (vgl. (42)). Bei jedem NI dieser Testgruppe ist die postnominale Realisierung des belebten Partizipanten jedoch mit einem leichten Akzeptabilitätsverlust verbunden. Die mittlere Bewertung bei pränominaler Realisierung des belebten Partizipanten ist 1,6, bei postnominaler 1,8.2 Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass intervenierende Konstituenten zwischen NI und PP generell als störend empfunden werden. Unbelebte Partizipanten sind dagegen in postnominaler Position deutlich präferiert (vgl. (43)). (42) (a) (b) (43) (a) (b)

Sogar die Lokalzeitung hatte über Stefanies couragiertes Eintreten für ihren Mitschüler berichtet. (1,2) 0:0,53:90 Sogar die Lokalzeitung hatte über das couragierte Eintreten der 15-jährigen für ihren Mitschüler berichtet. (1,3) 3:0,72:76 Die Wand hat sich mit Wasser voll gesogen. Sein monatelanges Sickern aus dem schadhaften Rohr hatten wir nicht bemerkt. (2,7) 17:0,89:40 Das stetige Sickern des Wassers aus den schadhaften Rohren war lange unbemerkt geblieben. (1,3) 7:0,76:86

Die mittlere Bewertung der Testsätze mit pränominaler Realisierung des unbelebten Arguments war 2,7; bei postnominaler Argumentrealisierung war die mittlere Bewertung 2,0. Ohne den Ausreißer der Testgruppe, das einzige s/afive-Prädikat Kranken an (3,8/ 3,5) in dieser Gruppe von Zustandsveränderungsprädikaten, ist die mittlere Bewertung bei präno25

Zwei der Nie dieser Testgruppe (Pilgern nach und Eintreten för) wurden (zumindest bei pränominaler Argumentrealisierung) als voll akzeptabel beurteilt (1,1; 1,2). Abblitzen bei und Spazieren in erhielten unabhängig von der syntaktischen Realisierung des Arguments eine deutlich schlechtere Bewertung (durchschnittlich 0,9 Punkte), was sich auf die Gesamtbewertung der Testgruppe auswirkte. Ich habe für die unterschiedliche Bewertung der Nie dieser Gruppe keine Erklärung.

100 minaler Argumentrealisierung 2,3 und bei postnominaler 1,5. Auch bei der präferierten postnominalen Realisierung des Arguments sind diese Konstruktionen also nicht voll akzeptabel. Dies würde ich erneut darauf zurückführen, dass bei postnominaler Argumentrealisierung keine Adjazenz zwischen NI und PP möglich ist. Wie sich in den anderen Testgruppen bereits abzeichnete, ist diese Adjazenzbedingung jedoch relativ schwach, verglichen etwa mit der Belebtheitsbedingung bei pränominaler Argumentrealisierung. (Tab. 10) NI: Agens/Verursacher belebt Basisverb /Nom/P unergativ /Nom/P unakkusativ

postnominal

pränominal

2,0 0,93:54 1,8 0,85:57

2,0 1,11:62 1,6 0,72:74

NI: Agens/Verursacher unbelebt postnominal

pränominal

-

-

2,0/1,5 0,90:58/0,73:66

2,7/2,3 1,18:45/1,11:46

3.2.2.3 Zusammenfassung In diesem Abschnitt wurden Nie von Verben oder Varianten mit nur einem fur Kasus spezifizierten Argument untersucht. Die Voraussage war, dass bei solchen NIen die Argumentrealisierung prä- oder postnominal erfolgen kann. Bei der Zusammenstellung der Testgruppen wurden Nie von intransitiven Verben, von /Nom/P-Verben und von intransitiven Verbvarianten mit indefinit implizitem Argument gesondert untersucht. Die ersten beiden Gruppen wurden nochmals unterteilt in Unergativa und Unakkusativa und bei den resultierenden fünf Gruppen wurde die Realisierung von belebten und unbelebten Partizipanten jeweils gesondert betrachtet. Die Ergebnisse der Gruppe der Nie von intransitiven Verbvarianten mit indefinit implizitem Argument wurde verglichen mit NIen von intransitiven Verbvarianten mit définit implizitem Argument sowie mit NIen von Verben ohne intransitive Variante, bei denen das ererbte Objekt des Basisverbs weggelassen wurde. Einen Überblick über die mittleren Bewertungen dieser Testgruppen (ohne Ausreißer) bietet Tabelle 11:

101 (Tab. 11) NI: Agens/Verursacher belebt Basisverb /Nom „„erg / N o m unakk

/Nom(/Akkindef) /Nom/Pu,^ /Nom/P unerg /Nom(/Akk ¿.f) /Nom/Akk

postnominal

pränominal

NI: Agens/Verursacher unbelebt postnominal

pränominal

1,1

1,1

1,2

1,9

0,37:92

0,36:92

0,71:73/0,63:87

1,24:44/1,30:45

1,2

1,2

1,2

1,6

0,40:87

0,52:87

0,50:82

0,88:61

-

-

1,6

1,3

0,76:60

0,57:74

1,8

1,6

1,5

2,3

0,85:57

0,72:74

0,73:66

1,11:46

-

-

-

-

-

-

2,0

2,0

0,93:54

1,11:62

2,8

2,2

1,27:34

0,83:47

3,4

2,1

1,06:37

0,81:54

Aus diesen Daten leiten sich folgende Annahmen für die Argumentrealisierung ab: Die Stellung des vom Basisverb ererbten Nominativ-Arguments ist abhängig von der Stelligkeit der zugrunde liegenden Variante des Basisverbs. Die Stellung des von inhärent intransitiven Basisverben ererbten Arguments ist prinzipiell frei. Bei NIen, die den einstelligen Argumentrahmen eines /Nom(/Akk)-Verbs übernehmen, ist die Stellung des ererbten Nominativ-Arguments dann frei, wenn das nicht realisierte Argument indefinit implizit ist. Ist das nicht realisierte Argument définit implizit, führt die postnominale Realisierung des Nominativ-Arguments des Basisverbs zu einem deutlichen Akzeptabilitätsverlust (2,8). Einen sehr viel höheren Akzeptabilitätsverlust stellten wir allerdings in 3.2.1.1 bei postnominaler Realisierung des ererbten Nominativ-Arguments von Basisverben mit obligatorischem Akkusativ-Argument fest. Eine solche Argumentrealisierung führte in mehreren untersuchten Testgruppen zu Bewertungen zwischen 3,3 und 3,4. Es ist anzunehmen, dass das weggelassene ererbte obligatorische Akkusativ-Arguments des Basisverbs in diesen Konstruktionen beim NI ebenfalls définit implizit mitverstanden wird, was den Schluss nahe legt, dass die syntaktischen Restriktionen für die Argumentrealisierung beim NI nicht primär auf die Anzahl der Argumente Bezug nehmen, deren Realisierung vom NI gefordert ist, sondern darauf, ob vom Basisverb ein Argumentrahmen mit nur einer oder mehreren für Kasus spezifizierten Stellen vererbt wird. Nie von /Nom/P-Verben verhielten sich ebenfalls entsprechend unserer Ausgangshypothese: die formal nicht spezifizierten Argumente konnten ohne Akzeptabilitätsverlust postnominal realisiert werden. Insgesamt wurden Nie mit präpositionalem Begleiter jedoch als abweichend empfunden, wobei verschiedene Faktoren eine Rolle spielen könnten, die jedoch noch eingehender untersucht werden müssten. Bei den NIen, die prinzipiell die freie Stellung ihres formal nicht spezifizierten Arguments erlauben, wurde eine Belebtheitsrestriktion für die pränominale Position beobachtet.

102 Unbelebte Partizipanten werden in postnominaler Position bevorzugt, die pränominale Realisierung führt zu einem deutlichem Akzeptabilitätsverlust, der jedoch verglichen mit Akzeptabilitätsverlusten bei Verletzung harter Restriktionen wesentlich schwächer ausfiel. Tests an einer Vergleichsgruppe bestätigten, dass die Belebtheitsrestriktion nur fur die Argumente von CENs, nicht aber für pränominale Possessoren bei genuinen Nomina gilt, die im vorliegenden Ansatz den Status von Modifikatoren haben. Für ein unterschiedliches Verhalten der Nie von unergativen und unakkusativen Verben gab es keine Evidenz.

3.2.3 Die Belebtheitsrestriktion als Bedingung für die Realisierung von Argumenten In diesem Teilkapitel haben wir gesehen, dass unbelebte Patiens-/Thema-Argumente von NIen mit zwei formal nicht spezifizierten Argumenten in pränominaler Position deutlich besser bewertet werden als belebte. Bei NIen mit nur einem formal nicht spezifizierten Argument sind unbelebte Argumente in dieser Position dagegen deutlich disfavorisiert. Wir hatten angenommen, dass diese Präferenzen die Zuordnung der Argumente zu Ereignispartizipanten erleichtern sollen. Dies impliziert aber, dass die entsprechenden Präferenzen nur für Argumente und nicht für Modifikatoren gelten. Bei pränominalen Possessoren von genuinen (nicht-relationalen) Substantiven sollte mithin kein Belebtheitseffekt auftreten. Dies wurde an eine Gruppe von Konkreta und einer Gruppe von Abstrakta überprüft (vgl. im Anhang II.5). Tatsächlich erhielt in diesen beiden Gruppen nur ein Testsatz eine schlechtere Bewertung als 1,4: (44) F: Soll ich die Tasche auf den Boden stellen? A: Ja bitte, ich kann nicht gut lesen, wenn ihr Schatten auf mein Blatt fällt. (1,9) 3:1,10:45 Die Streuung bei der Bewertung dieses Satzes war überdurchschnittlich hoch. Dies deutet auf eine Verunsicherung der Testpersonen hin, die möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass der Bezug des Satzes zum Kontext nicht klar genug war. Man sollte sich vorstellen, dass der/die Fragende die Tasche auf den Tisch neben das Blatt des Dialogpartners gestellt hatte. Da (44) der einzige Satz der beiden Testgruppen war, der als abweichend empfunden wurde, liefern die Daten keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass bei genuinen Substantiven belebte Possessoren in pränominaler Position präferiert sind. Belebtheitsrestriktionen treten wie erwartet nur bei CENs auf und sind sensitiv für die thematische Rolle des pränominal realisierten Arguments.

3.2.4 Fazit In diesem Teilkapitel wurden die Modalitäten der Argumentrealisierung bei NIen untersucht. Wir stellten fest, dass die Restriktionen, die die syntaktische Realisierung der Argumente von NIen beschränken, auf die Anzahl der nicht formal spezifizierten Stellen im Argumentrahmen des abgeleiteten NIs Bezug nehmen, die wiederum davon abhängt, wie

103

viele Argumentpositionen vom Verb vererbt werden (können). Dabei sind die folgenden Fälle zu unterscheiden: 1. Das Verb hat zwei für Kasus spezifizierte obligatorische Argumente, die beide vererbbar sind (mehr als zwei Argumentstellen sind prinzipiell nicht vererbbar, vgl. 3.1.2). Von solchen Verben abgeleitete Nie haben in ihrer Grundvalenz zwei formal nicht spezifizierte Argumentstellen.26 In diesem Fall muss das Agens-/Verursacher-Argument pränominal realisiert werden und das Patiens-/Thema-Argument postnominal. Jede andere Anordnung der Argumente ist ungrammatisch. 2. Das Verb hat zwei für Kasus spezifizierte obligatorische Argumente, von denen jedoch nur das Nominativ-Argument vererbbar ist (z.B. /Nom/Dat-Verben). Der abgeleitete NI hat dann nur eine formal spezifizierte Argumentstelle. Die postnominale Realisierung des Agens-/Verursacher-Arguments wird in diesem Fall als weniger abweichend empfunden. Die geringe Akzeptabilität resultiert in diesem Fall aus der Verletzung der Realisierungsforderung für das nicht vererbbare Dativ-Argument des Basisverbs, vgl. 3.1.3. Die pränominale Realisierung des nicht-vererbbaren Arguments ist erwartungsgemäß völlig ausgeschlossen. 3. Bei NIen von Verben, die einen Argumentrahmen zu vererben haben, in dem nur eine Stelle für Kasus spezifiziert ist, ist die Stellung des ererbten Arguments prinzipiell frei. Dies können Nie von intransitiven Verben, Verben mit fakultativen Akkusativ-Argumenten oder Verben mit zusätzlichem Präpositionalobjekt sein. Allerdings kann die Argumentrealisierung auch bei diesen NIen durch intervenierende Restriktionen beschränkt sein, wie z.B. NI-spezifische Realisierungsforderungen für Argumente, deren Realisierung beim Verb fakultativ ist, oder die (Un-)Belebtheitsbeschränkungen für die pränominale Position, oder mögliche syntaktische Restriktionen in Bezug auf die Stellung der PP innerhalb der DP.

3.3 Nominalisierte Infinitive: Gewichtung der constraints

Die in diesem Kapitel aufgrund von Akzeptabilitätsunterschieden identifizierten constraints für Konstruktionen mit NIen sollen nun in ein Wettbewerbsmodell überführt werden. In diesem Modell erhält jeder constraint eine Gewichtung, die mit dem Akzeptabilitätsverlust einer Konstruktion, die ihn verletzt, korreliert. Die Gewichtung eines constraints wird in Form von nummerischen Werten angegeben. Es ist auch möglich, dass zwei oder mehrere constraints dieselbe Gewichtung haben. Verletzt eine Konstruktion einen constraint erhält sie einen Punktabzug in Höhe des Wertes, der die Gewichtung des constraints angibt. Bei Verletzungen mehrerer constraints oder Mehrfachverletzungen eines constraints addieren sich die Punktabzüge. Ähnliche Modelle mit gewichteten Regeln haben schon Uszkoreit (1987) und Jacobs (1988) für Wortstellungspräferenzen im Deutschen vorgeschlagen. In diesen frühen Ansätzen ist im Unterschied zum vorliegenden Modell die Gewichtung der Regeln empirisch 26

Wir erinnern uns, dass jeder NI einen alternativen Argumentrahmen herausbildet, der keine Stelle für das Nominativ-Argument des Basisverbs enthält.

104 nicht begründet. Zudem ist nach Keller (2000: 238) unklar, in welcher Weise die Gewichtungen mit graduell abgestuften Grammatikalitätsurteilen korrespondieren. Im vorliegenden Modell orientiert sich die Gewichtung der constraints an den mittleren Bewertungen der Testgruppen, die sie verletzen. Die Schwierigkeit bei der Ermittlung von Gewichtungen, die proportional zu den entsprechenden mittleren Bewertungen sind, besteht darin, bei miteinander interagierenden constraints genau den Einfluss jedes einzelnen in Isolation zu bestimmen. Der folgende Überblick zeigt das Verhältnis zwischen der Akzeptabilität von Testgruppen und der Summe der Punktabzüge, die mit den entsprechenden mittleren Bewertungen korrespondieren: (45) 1,0-1,4 = - 0 P 1,5-1,9 = - I P 2,0 - 2,4 = - 2 Ρ

2,5-2,8 = - 3 Ρ ab 2,9 = - 4 Ρ

Testgruppen, die keine constraints verletzen (-0 P), haben mittlere Bewertungen zwischen 1,0 und 1,4. Die Wahl dieses Bewertungs-'Intervalls' rechtfertigt sich durch die in 2.3 begründete Annahme, dass Testsätze, die im Mittel zwischen 1,0 und 1,4 bewertet wurden, als völlig akzeptabel empfunden werden. Alle folgenden Punktwerte (außer den letzten beidender Liste) werden ebenfalls Bewertungs-'Iintervallen' von 0,4 zugeordnet. Die Testgruppen mit Bewertungen ab 2,9 wurden nicht in weitere 'Intervalle' unterteilt, was der in Kapitel 2.3 begründeten Annahme entspricht, dass Strukturen mit Bewertungen über 2,9 als ungrammatisch empfunden werden, was keine weiteren graduellen Abstufungen zulässt. Eine weitere Annahme, die auf der Zusammenfassung aller Strukturen mit Bewertung über 2,9 folgt, ist die, dass unter Strukturen, die bestimmte gravierende constraint-Verletzungen aufweisen, keine Akzeptabilitätsunterschiede wahrgenommen werden. Bezogen auf das vorliegende Modell bedeutet das, dass z.B. Strukturen, die einen der beiden härtesten constraints (*STAT oder *NLCHT-ARG, s.u.) verletzen, nicht als akzeptabler empfunden werden als Strukturen, die zusätzlich noch weitere constraints verletzen. Nach Keller und Sorace (2002) sind Modelle mit nummerisch gewichteten, zusammenwirkenden constraints empirisch angemessener als Modelle, in denen der relative Rang eines constraints sich nur aus seiner relativen Position in einer Hierarchie ergibt und nur der/die jeweils ranghöchste/n constraint!s für die Wohlgeformtheit einer Struktur relevant ist/sind. Letzteres trifft auf die Modelle der Standard-Optimality-Theory zu. Modelle mit gewichteten constraints bieten Keller und Sorace zufolge gegenüber Standard-OT-Modellen die folgenden Vorteile: 1. Graduelle Akzeptabilitätsunterschiede zwischen den Kandidaten können erfasst werden. In der OT werden dagegen nur kategorische Grammatikalitätsunterschiede erfasst: der optimale Kandidat ist grammatisch, alle anderen Kandidaten sind ungrammatisch. 2. Empirisch belegte Effekte des Zusammenwirkens niedrig gewichteter constraints können erfasst werden, d.h. durch die Summierung der nummerischen Gewichtungen mehrerer Verletzungen niedrig gewichteter Regeln kann eine Verletzung eines höher gewichteten constraints aufgewogen werden.

105 3. Auswirkungen multipler Verletzungen desselben constraints auf die Akzeptabilität eines Kandidaten können erfasst werden. Auch dies ist in der OT aufgrund der oben genannten Eigenschaften des Modells ausgeschlossen.27 Der von Keller (2000) entwickelte LOT-Ansatz (Linear Optimality Theory) unterscheidet sich von OT-Ansätzen darin, dass nicht nur der optimale Kandidat des Inputs ermittelt wird, sondern aufgrund der oben genannten Eigenschaften graduelle Grammatikalitätsunterschiede zwischen beliebigen Strukturen (auch unterschiedlicher Input-Mengen) erfasst werden können. Die Gewichtungen der constraints basieren bei Keller auf (durch Magnitude Estimation) experimentell ermittelten graduellen Grammatikalitätsurteilen und können nach einem bestimmten Algorithmus bestimmt werden. Das hier vertretene Modell funktioniert im Prinzip wie Kellers LOT-Modelle, nur dass hier nicht nur Kandidaten einer bestimmten Input-Menge miteinander verglichen werden, sondern beliebige Kandidatentypen.28 Die folgende Liste enthält alle durch die oben diskutierten Daten gut belegten constraints mit einer kurzen Charakterisierung und einem Wert, der die Höhe des Punktabzugs bei Verletzung angibt. Nicht berücksichtigt sind mögliche Blockaden von punktuellen Nlen, die nicht systematisch untersucht wurden, und die Restriktionen fìir die syntaktische Realisierung der Argumente bei Nlen von Basisverben mit Präpositionalobjekt. Die sehr heterogenen Bewertungen besonders in den Testgruppen der Nie von Basisverben mit Präpositionalobjekt zeigen, dass die bisher angenommenen Restriktionen zu präzisieren sind. So wie in der Liste sind auch in den Tableaus unten die constraints nicht nach ihrer Gewichtung, sondern nach Themenbereichen angeordnet. 1. Aktionsartbedingte Blockaden: a) * S t a t (- 4): situationsbezogene Nie von statives sind blockiert; b) *ZST(- 1): situationsbezogene Nie von Zustandsverben sind zu vermeiden29 2. Argumentvererbung: " " N i c h t - A r g (- 4): Nicht-Argumente dürfen nicht in Argumentpositionen realisiert werden (d.h. weder als pränominaler Possessor noch als Genitiv-Attribut). Insbesondere dürfen nicht-vererbbare Argumente der Basisverben nicht in diesen Positionen erscheinen.

27

Dies gilt mit der Einschränkung, dass in der OT von zwei Kandidaten, die einen entscheidenden constraint verletzen, deijenige gewinnt, der eine geringere Zahl von Verletzungen des fraglichen 28 constraints aufweist. Ein ähnliches Modell, das allerdings nicht auf empirisch ermittelten Grammatikalitätsurteilen basiert, habe ich bereits in Blume (2000:22 lf) für Linkingprinzipien vorgeschlagen. Die relativ geringe Gewichtung von *ZST trägt dem geringen Akzeptabilitätsverlust Rechnung, den Nie von Zustandsverben mit belebten Partizipanten aufweisen, denen ja qua konventioneller Implikatur die Proto-Agens-Eigenschaft 'Interesse' und die Fähigkeit, ihren Zustand zu kontrollieren, zugeschrieben werden kann. Leider habe ich es versäumt auch Nie von Zustandsverben mit unbelebten Partizipanten zu untersuchen (vgl. das Herumstehen der Koffer auf dem Bahnsteig). Es wird aber erwartet, dass diese deutlich schlechter bewertet werden.

106 3. Argumentrealisierung: a) ARGREAL (- 3): bei NIen mit zwei formal nicht spezifizierten Argumentstellen ist die pränominale Argumentposition fìir das Nominativ-Argument des Basisverbs reserviert und die postnominale Argumentposition für das Akkusativ-Argument des Basisverbs; b) *BELP/ *UNBELA (-1): in pränominaler Position sind belebte Agens-Argumente und

unbelebte Patiens-Argumente präferiert; c) AGENSPOSTNOM (- 1): bei einstelligen NIen mit impliziten Argumenten steht die postnominale Position nicht für die Realisierung des Agens zur Verfügimg. 4. Realisierungsforderungen: a) •DEFIMPL (-3): Argumente dürfen nicht définit implizit in der Bedeutungsstruktur von NIen vorhanden sein; b) *LMPL (-1): (Provisorium)30 Realisiere alle ererbten für Definitheit nicht spezifizierten Argumente des Basisverbs. Die folgenden Tableaus 1 und 2 veranschaulichen die Interaktion der constraints.31 Die Reihenfolge der Kandidaten(typen) in den Tableaus entspricht in etwa der Reihenfolge, in der die entsprechenden Testgruppen in der vorliegenden Arbeit diskutiert wurden. Es fällt auf, dass insgesamt drei Kandidaten(typen) in den Tableaus keine constraints verletzen und daher völlig akzeptabel sind, vgl. j), k) und 1). Dies bzw. dass unterschiedliche Kandidatentypen denselben Akzeptabilitätsgrad erreichen, ist im vorliegenden Modell ausdrücklich vorgesehen. Nur zwei Testgruppen erzielten Bewertungen über 3,4, vgl. f) und g) (Nie, bei denen das Dativ-Argument des Basisverbs post- bzw. pränominal realisiert wurde) in Tableau 1 unten. Die Konstruktionen beider Gruppen sind schwer zu verarbeiten, da jeweils beide durch das Prädikat implizierten Ereignispartizipanten belebt sind. So liegt jeweils die Interpretation des realisierten Partizipanten als Agens (das einzige mögliche Argument, da Dativ-Argumente nicht vererbbar sind) nahe. Dies gilt besonders für die Sätze der Gruppe g), da der Partizipant hier zudem in der für das Agens reservierten Position realisiert wurde. Die Interpretation des Begleiters als Agens ist jedoch mit dem Kontext nicht kompatibel, d.h. die 30

Bei obligatorischen Argumenten des Basisverbs kann nicht zwischen definiter und indefiniter Weglassung unterschieden werden. Weglassungen dieser Argumente führen beim NI aber erwiesenermaßen zu Akzeptabilitätsverlusten. Bei willkürlich gewählten Verben mit fakultativen Akkusativ- oder Dativ-Argumenten fuhrt die Weglassung dieser Argumente zu Akzeptabilitätsverlusten, die ebenso hoch sind wie bei Weglassung ererbter obligatorischer Argumente des Basisverbs. Es ist also anzunehmen, dass in beiden Klassen bei Weglassung definite und indefinite implizite Argumente etwa gleich verteilt sind. *IMPL wird überflüssig sobald ein operatíonales Verfahren gefunden ist, das es erlaubt, indefinit implizite Argumente bei allen Verben zu bestimmen. Stefan Engelberg (pers. Mitteilung) schlägt als Test die Realisierung des Objekts durch ein Indefinitpronomen vor. Nach seiner Intuition ist Er akzeptierte gerade irgendetwas, als ich hereinkam deutlich schlechter als Er verzehrte gerade irgendetwas, als ich hereinkam. Allerdings ist Sie folgte irgendjemandem m.E. völlig akzeptabel, obwohl das Dativ-Argument nach dem einschlägigen Test nur définit weggelassen werden kann, vgl. Sie folgte nicht -> es gibt jemanden/etwas (im Kontext zu spezifizierenden/s), dem sie nicht folgte. Aus Platzgründen können nicht alle Testgruppen in einem Tableau untergebracht werden, deshalb die Unterteilung in Tableau 1 und 2, die jedoch als zwei Teile desselben Tableaus zu betrachten sind.

107 Testpersonen waren mit ganfen-/?a/A-Konstrulctionen konfrontiert. Dass Sprachverarbeitungsprobleme einen Einfluss auf Grammatikalitätsurteile haben, belegen mehrere Untersuchungen, vgl. dazu Schütze (1996: 163f).

108

Summe

Tableau 1





•• ••

J

• • Γ4 •

I *H*

·

•• •• •

• • • •

• • • •





•• •

M Ó



•• •

I R3 · Q T! 2

»AGENS POSTNOM·

A TAJ J Ä Ω « · 2 «OQ «IJ

:

•NICHTARG · · · ·

S ^

H OO Ν *

• • • •

Λ



·

• • •••

Basisverb, NI (Beispiel), mittlere Bewertung der Testgruppe

& *

• • • •

• • • •

••• •

· ·

/S -"© Ν Ν«

— /Ν OS RI Ε S>

S. TÄ Ν S Ρ ΑΪ Ι

Ν Ο' *— R «Ä, ¿J

SÙ Χ ΩΙ ε Ο Ζ

TÁ Ν Κ S ΗΙ ωI ε ε Ο Ζ S /Χ>Ν r—-,

I S H Vi

^ υ

S „' V OU 0,1 X «¿

L χ

Ο ÌT ^ 1 S Â XI H I