119 3 7MB
German Pages 838 [840] Year 2012
I
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 168
II
III
Christoph Althammer
Streitgegenstand und Interesse Eine zivilprozessuale Studie zum deutschen und europäischen Streitgegenstandsbegriff
Mohr Siebeck
IV Christoph Althammer, geboren 1972; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Regensburg; 2004 Promotion; 2009 Habilitation; seit 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung sowie für Deutsches, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht an der Universität Konstanz; Annahme eines Rufs auf eine Professur für Bürgerliches Recht und Zivilverfahrensrecht an die Universität Passau im Jahr 2011.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT e-ISBN 978-3-16-152251-2 ISBN 978-3-16-150926-1 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2012 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Stempel-Garamond gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
V
Vorwort Trotz des Vorwurfs der Begriffsjurisprudenz nimmt im deutschen Recht der Streitgegenstand noch immer eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung zivilprozessualer Fragestellungen ein. Die jahrzehntelange Auseinandersetzung um seine Bestimmung wurde durch die Entwicklung auf europäischer Ebene in Gestalt der „Kernpunkttheorie“ des EuGH neu entfacht. Obgleich diese primär die Koordinierung grenzüberschreitender Parallelverfahren nach Art. 27 EuGVVO im Blick hat, könnte ihre dogmatische Sprengkraft langfristig Folgen für das nationale Streitgegenstandsverständnis haben. Die vorliegende Studie hatte sich deswegen damit zu beschäftigen, inwieweit bei der Ermittlung der Streitgegenstandsidentität in Zukunft einer weiten, auf den gemeinsamen „Kernpunkt“ bzw. funktional abgegrenzten Lebenssachverhalt ausgerichteten Betrachtungsweise gefolgt werden sollte, wie sie auch angloamerikanischen Vorstellungen entspricht. Im Ergebnis wird einer Sichtweise der Vorzug gegeben, die den konkreten Interessenkonflikt der Parteien betont, der dem Verfahren seine rechtliche Prägung verleiht. Die Arbeit ist im Januar 2009 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Habilitationsschrift angenommen worden. Für die Veröffentlichung wurden die Nachweise auf den neuesten Stand gebracht sowie wichtige Rechtsprechung und Literatur bis Mai 2011 berücksichtigt. Insbesondere konnte noch auf den Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der EuGVVO vom 14.12.2010 an verschiedenen Stellen eingegangen werden. In besonderer Weise danken möchte ich meinem hochverehrten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Herbert Roth, der das Entstehen der Schrift über die Jahre hinweg gefördert und in ständigen Gesprächen mit Rat und Ermutigung begleitet hat. Im Rahmen meiner Tätigkeit als Assistent an seinem Lehrstuhl erhielt ich jede erdenkliche Förderung für meinen weiteren wissenschaftlichen Weg. Herzlich danken möchte ich auch dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Andreas Spickhoff, für die schnelle Erstellung seines Votums, aber auch für manch aufmunterndes Wort. Dank gilt darüber hinaus den übrigen Mitgliedern des betreuenden Fachmentorats, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Gottwald und Prof. Dr. Robert Uerpmann-Wittzack, sowie der gesamten juristischen Fakultät der Universität Regensburg für ein unkompliziertes und rasches Verfahren. Für einige weiterführende Gespräche danke ich Herrn Rechtsanwalt Roman Sachs und Herrn Dr. Maximilian Seibl.
VI
Vorwort
Die Arbeit wurde im Jahre 2009 mit dem Habilitationspreis des Vereins der Freunde der Universität Regensburg e.V. ausgezeichnet, wofür ich ebenfalls herzlich danke. Danken möchte ich darüber hinaus dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Sehr verbunden bin ich auch Herrn Dr. Franz-Peter Gillig für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Jus Privatum. Schließlich haben sich die Mitarbeiter an meinem Konstanzer Lehrstuhl (Tobias Bailer, Verena Bauer, Peter Gaedeke, Marilen Hilbert und Erika Köhler) große Verdienste bei verschiedenen Korrekturarbeiten und bei der Herstellung des abschließenden Layouts erworben. Von Herzen aber danke ich meiner stets verständnisvollen Frau sowie meinen Eltern. Ihnen und meinem Sohn Ludwig widme ich diese Arbeit. Konstanz, im September 2011
Christoph Althammer
VII
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
§ 1 Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen aktionenrechtlichen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
11
§ 3 Streitgegenstand und actio im römischen Formularprozess . . . . . . . . . § 4 Das nachklassische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5 Die Bedeutung der actio im gemeinen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
Zweiter Teil: Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO . . . . . . . .
35
§ 6 § 7 § 8 § 9 § 10 § 11 § 12 § 13
35
Der Einfluss Windscheids und die Vorgaben der CPO von 1877 . . . . . Materiellrechtliche Streitgegenstandstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung eines prozessualen Streitgegenstandsverständnisses Prozessuale Streitgegenstandslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reformierte materiellrechtliche Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relativität des Streitgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Streitgegenstandsbegriff in der Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sachverhalt als allein streitgegenstandsbestimmender Faktor . . .
Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO und die Kernpunktlehre des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 21
40 42 51 65 85 94 99
115
§ 14 Das Streitgegenstandsverständnis in den nationalen Rechten . . . . . . . 115 § 15 Anspruchsidentität im Rahmen von Art. 27 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . 123 § 16 Rezeption der Kernpunkttheorie durch die nationalen Prozessrechte – ein Weg zurück zu Savigny? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
VIII
Inhaltsübersicht
Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses § 17 § 18 § 19 § 20
Generalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitgegenstand und Funktionszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Zusammenhang zwischen Prozesszweck und Streitgegenstand . Der Adressat des prozessualen Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand § 21 § 22 § 23 § 24 § 25 § 26
. . . . . . . . . . . . . . 197 197 206 238 251
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
Konkrete Berücksichtigung des Prozesszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung des Klägerinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normatives Gerüst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wertungsparallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ermittlung des Klägerinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrenskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs – Der Urteilsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 27 Zur Bedeutung von § 308 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 28 Urteilsgegenstand und Klageantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 29 Die Begrenzung des Urteilsgegenstandes durch den (vorgetragenen) Lebenssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 30 Eigene Ansicht: Das Interesse als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 31 Präjudizialität und erweiterte Rechtskraftbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . § 32 Rechtskraftpräklusion – insbesondere: Die Präklusion von Gegenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Siebter Teil: Besonderheiten für bestimmte Klagearten . . . . . . . . . . . .
255 265 292 355 372 441
477 477 489 491 505 554 573 593
§ 33 Gestaltungsklagen und Feststellungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 § 34 Besonderheiten im Bereich der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604
Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH – Kernpunkttheorie und Rechtsschutzinteresse
. . . . . . . . 617
§ 35 Die Methodenfrage: Autonome Auslegung von Art. 27 I EuGVVO . § 36 Der teleologische Zusammenhang zwischen Art. 27 EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . § 37 Die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Schrifttum . . . . . . . . . § 38 Abschließende Stellungnahme zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO . . . . . . . . . .
617 626 650 670
Inhaltsübersicht
IX
§ 39 Folgerungen für Art. 27 EuGVVO und Art. 28 EuGVVO . . . . . . . . . . 692 § 40 Konsequenzen für einzelne Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712
Zusammenfassung der Ergebnisse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
Erster Teil:
Rechtshistorische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
Zweiter Teil:
Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO . . . . . . . . . . . . . 742
Dritter Teil:
Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EU und die Kernpunktlehre des EuGH . . . . . . . . . . . . . . 745
Vierter Teil:
Grundlagen des eigenen Verständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747
Fünfter Teil:
Ergebnisse zum Verfahrensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
Sechster Teil: Ergebnisse zum Urteilsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 Siebter Teil:
Besonderheiten für Gestaltungs- und Feststellungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
Achter Teil:
Abschließende Bewertung: Kernpunkttheorie und Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809
X
XI
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
§ 1 Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
§ 2 Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen aktionenrechtlichen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
§ 3 Streitgegenstand und actio im römischen Formularprozess . . . . . . . . . . 11 I. Die Lösung von Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Die actio als Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 § 4 Das nachklassische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Generalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Die Besonderheiten der Solutionskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 § 5 Die Bedeutung der actio im gemeinen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Die Bedeutung des Jüngsten Reichsabschieds . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aktionenrechtliches Denken bei Savigny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das subjektive Recht und seine prozessuale Umsetzung bei Savigny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Savignys Rechtskraftverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 23
Zweiter Teil: Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO . . . . . . . . .
35
23 27
§ 6 Der Einfluss Windscheids und die Vorgaben der CPO von 1877 . . . . . . 35 § 7 Materiellrechtliche Streitgegenstandstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 § 8 Die Entwicklung eines prozessualen Streitgegenstandsverständnisses 42
XII
Inhaltsverzeichnis
I. Abstraktes publizistisches Klagerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konkretes publizistisches Klagerecht: Die Lehre vom Rechtsschutzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Geburtsstunde des prozessualen Anspruchs: Die Lehre Hellwigs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Lehre von Lent: Die konkrete Rechtsbehauptung . . . . . . . .
42
§ 9 Prozessuale Streitgegenstandslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
I. Die Bedeutung des Klageantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die abstrakte Rechtsbehauptung: Die Auffassung von Nikisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Klagebegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51 51 55
II. Zweigliedrig prozessualer Streitgegenstandsbegriff: Die Lehre Habscheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die eingliedrige Lehre Schwabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57 60
§ 10 Reformierte materiellrechtliche Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. II. III. IV.
Einheitlicher Verfügungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruchskonkurrenz und Anspruchsnormenkonkurrenz . . Streitgegenstand und Rechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Mischlehren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessualer Streitgegenstandsbegriff mit materiellrechtlich geprägtem Lebenssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 46 49
65 65 69 72 76
a) Das „dreigliedrige Verständnis“ von Böhm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung nach materiellrechtlichen Tatbeständen . . . . . . . . . . .
76 77 78
2. Die Übertragung des eingliedrigen prozessualen Begriffs ins materielle Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
§ 11 Relativität des Streitgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
I. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unterscheidung nach Untersuchungs- und Verhandlungsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sachlicher und prozessualer Streitgegenstandsbegriff . . . . . . . . IV. Vorläufige Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85 90 92 92
§ 12 Der Streitgegenstandsbegriff in der Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
§ 13 Der Sachverhalt als allein streitgegenstandsbestimmender Faktor . . .
99
I. Der Lebenssachverhalt im „völkischen Denken“ . . . . . . . . . . . . . 99 1. Die Vorschläge von de Boor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Kritische Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Inhaltsverzeichnis
XIII
II. Rechtsvergleichende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Der Sachverhalt im angloamerikanischen Recht . . . . . . . . . . . 104 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Erste Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
2. Griechisches Recht: Die Ausrichtung am Rechtsverhältnis . 111
Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO und die Kernpunktlehre des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
§ 14 Das Streitgegenstandsverständnis in den nationalen Rechten . . . . . . . 115 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Insbesondere: Der romanische Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 § 15 Anspruchsidentität im Rahmen von Art. 27 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . 123 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Die Kernpunktlehre des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Die Entscheidung in der Sache Gubisch/Palumbo: Leistungsklage und vorgreifliche Feststellungsklage . . . . . . . 126 a) Prozessgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
2. Die Entscheidung in der Sache Tatry: Negative Feststellungklage versus Leistungklage . . . . . . . . . . 129 a) Prozessgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
3. Die Entscheidung Drouot Assurances SA – Festlegung der subjekten Grenzen der Rechtshängigkeitssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Die Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Vorläufige Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
4. Rechtssache Gantner/Basch: Einwendungen des Beklagten 136 a) Entscheidungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aussetzung der Entscheidung über die Aufrechnung . . . . . . . bb) Aussetzung des gesamten Zweitverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . .
136 138 138 141
5. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mærsk . . . 144 a) Prozessgeschichte und Stellungnahme des Generalanwalts . . . . . . 144 b) Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
XIV
Inhaltsverzeichnis
III. Analyse der Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Derselbe Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dieselbe Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147 149 152 156
IV. Bewertung der Kernpunktlehre in der Literatur . . . . . . . . . . . . . 1. Methodische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das systematische Verhältnis von Artt. 27 und 28 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der teleologische Zusammenhang mit Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158 158 159 160
V. Die Rezeption der Kernpunktlehre in der nationalen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Die Judikatur des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Negative Feststellungsklage hinsichtlich einer für die spätere Leistungsklage desselben Klägers vorgreiflichen Frage . . . . . . . . . 162 b) Negative Feststellungsklage und gegenläufige Leistungsklage hinsichtlich desselben Anspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Negative Feststellungsklage hinsichtlich einer für die gegenläufige Leistungsklage des Beklagten vorgreiflichen Frage . . . . . . . . . . . . 165
2. Vorläufige Gesamtbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Weitere Beispiele aus der obergerichtlichen Judikatur . . . . . 170 a) Materiellrechtliche Vorprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
§ 16 Rezeption der Kernpunkttheorie durch die nationalen Prozessrechte – ein Weg zurück zu Savigny? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 I. Befürworter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedenken gegen eine Übernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abkoppelung der Rechtshängigkeit vom Streitgegenstand? 2. Die Ausrichtung am funktionell abgegrenzten Lebensverhältnis und die Einbeziehung vorgreiflicher Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Widerspruchsgefahr und Prozessökonomie . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ablösung der Rechtshängigkeit von der Rechtskraft . . . . . . 5. Parallelregelungen für Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. § 323 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gerichtsstand des Sachzusammenhangs und Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Fazit und vorläufige Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173 175 175
178 180 183 185 187 189 192
XV
Inhaltsverzeichnis
Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
. . . . . . . . . . . . . . 197
§ 17 Generalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. II. III. IV. V. VI.
Streitgegenstand und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgleich zwischen Kläger- und Beklagteninteressen . . . . . . . . Das Einheitsdogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die dynamische Entwicklung des Prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . Materiellrechtliche oder prozessrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . Verfahrenskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197 199 199 201 202 203
§ 18 Streitgegenstand und Funktionszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Das Verhältnis von Rechtshängigkeit und Rechtskraft . . . . . . . 1. Historische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Litiscontestation als Vorwirkung der exceptio rei iudicatae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Zusammenhang zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtskrafterweiternde Funktion der Kompensation, § 322 II ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtshängigkeit als Vorwirkung der Rechtskraft . . . . . . . . . bb) Bedenken gegen das Dogma der Vorwirkung . . . . . . . . . . . . . .
206 206 208 210 210 211 211 213
4. Ausländische Entscheidung und Vorwirkung . . . . . . . . . . . . . 216 5. Funktionen der Rechtshängigkeitssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Öffentliches und privates Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geordnete Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhinderung von Urteilskollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleich zur EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schutz des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217 219 219 219 220 224
6. Folgenvergleich: Präklusionsumfang und rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Klageänderung und Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 III. Rechtshängigkeit und Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 IV. Rechtshängigkeit und Aussetzung des Verfahrens . . . . . . . . . . . 232 § 19 Der Zusammenhang zwischen Prozesszweck und Streitgegenstand . 238 I. Bedeutung des Prozesszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Schutz subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Bewährung der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
XVI
Inhaltsverzeichnis
3. Rechtsfrieden als Prozesszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4. Prozesszweck in anderen Verfahrensordnungen . . . . . . . . . . . 247 II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 § 20 Der Adressat des prozessualen Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
§ 21 Konkrete Berücksichtigung des Prozesszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Der Inhalt des subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Der Einfluss Windscheids auf die CPO von 1877 . . . . . . . . . . . . 261 § 22 Die Bedeutung des Klägerinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 I. Erste begriffliche Grundlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Klägerinteresse und Erfüllungskonnexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Klageantrag und Klägerdisposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrenzung durch den Klageantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur teleologischen Ausrichtung von § 308 ZPO im Speziellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) b) c) d)
Beschränkung der richterlichen Spruchgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung des Antrags als Prozessgerüst . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionszusammenhang mit § 264 Nr. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . Notwendiger Korrekturbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterschiedliche Anträge bei gleichem Interesse . . . . . . . . . . . bb) Teilidentische Anträge und Rechtshängigkeitssperre . . . . . . . cc) Qualitative Teilidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
265 267 271 271 273 273 275 276 277 277 278 279
3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 IV. Abgrenzung zu verwandten Standpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Standpunkte von Rimmelspacher und Henckel . . . . . . . 2. Die Ansicht von Bub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ansicht von Wernecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Materielle Sinnzusammenhänge: Die Lehre Zeuners . . . . . . 5. Anspruchskonkurrenz bei Rechtsfolgendivergenz . . . . . . . .
281 281 283 284 286 287
V. Zusammenfassung: Bedeutung für das laufende Verfahren . . . 289 § 23 Normatives Gerüst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 I. Zur Bedeutung von § 264 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das allgemeine Klageänderungsverbot und § 264 ZPO . . . . 2. Der Begriff „Interesse“ in § 264 Nr. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausweitung von § 264 Nr. 3 ZPO durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292 292 295 297
Inhaltsverzeichnis
XVII
4. Zum normativen Charakter von § 264 Nr. 2, 3 ZPO: Gesetzlich zulässige Klageänderung, Fiktion oder deklaratorische Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 5. Klageänderung und Änderung des Streitgegenstands . . . . . . 303 6. Zur Konvergenz von Rechtshängigkeit und Klageänderung 306 a) Globalrechtshängigkeit und Prozessökonomie bei der Teilklage . . 306 b) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
7. Änderung des Klagegrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 8. Exkurs: Das Verhältnis von Klageänderung und Klagerücknahme mit Blick auf § 264 ZPO . . . . . . . . . . . 315 9. Die Verfolgung des Klägerinteresses in zweiter Instanz . . . 317 a) Zulässigkeit der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 b) Auslegung von § 533 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
10. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 II. Die Komplementärvorschrift des § 213 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 a) Streitgegenstand und Umfang der Verjährungshemmung . . . . . . . 324 b) Die gesetzlichen Erweiterungen in §§ 477 III, 639 BGB a.F. . . . . . 327
2. BGH: Verjährungsspezifischer Streitgegenstand? . . . . . . . . . 328 3. Die Vorarbeiten Henckels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 4. Zur Auslegung von § 213 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Die Bedeutung des einheitlichen Klägerinteresses . . . . . . . . . . . . . 336 b) Die Einfügung des Merkmals „aus demselben Grunde“ . . . . . . . . 338
5. Parallele: Verjährungsunterbrechung kraft Fiktion . . . . . . . . 6. Verjährungshemmung und Rechtssicherheit bei antragsverschiedenen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Schuldnerschutz und Präjudizialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verjährungshemmung bei Teilklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Zusammmenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
342 344 348 349 351
III. Zwischenergebnis und Bedeutung für das eigene Konzept . . . . 352 § 24 Wertungsparallelen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 I. Der genetische Zusammenhang von Erfüllungsund Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Einheit der Obligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Bedeutung von § 893 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. (Weitere) Wechselwirkungen im Verjährunsgrecht . . . . . . . .
355 355 359 361
II. Parallelen im Rahmen der Streitwertbemessung . . . . . . . . . . . . . 362 1. Das Angreiferinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 2. Anspruchshäufung im Rahmen von § 5 ZPO . . . . . . . . . . . . . 363
XVIII
Inhaltsverzeichnis
3. Streitgegenstand und wirtschaftliche Betrachtungsweise . . 365 4. Gebührenstreitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 a) Klage und Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 b) Haupt- und Hilfsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 c) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
III. Exkurs: Das Gläubigerinteresse im Falle von § 422 BGB . . . . . 370 § 25 Die Ermittlung des Klägerinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 I. Interesse und Klageantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 1. Die Individualisierungsfunktion des Klageantrags . . . . . . . . 372 2. Judikative Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 a) Der Form nach identische Klageanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 b) Unterschiedliche Klageanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
II. Rechtsschutzform und Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der Rechtsschutzform: Der Meinungsstand 2. Die Unterscheidung zwischen Rechtsbehauptung und Begehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme: Rechtsschutzformunabhängiges Interesse . III. Die Bedeutung des Klagegrundes bei der Ermittlung des Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anhaltspunkte im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Substantiierungs- und Individualisierungslehren . . . . . . . . . . 3. Die Konturierung des Klagegrundes in der herrschenden Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
378 378 380 384 386 391 392 393
395 a) Natürliche Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 b) Abgrenzung des Klagegrundes nach materiellen Kriterien . . . . . . 398
4. Die individualisierende Funktion des Tatsachenstoffs . . . . . 399 IV. Erfüllungskonnexität und materiellrechtliche Vorprüfung . . . 404 1. Koordination unterschiedlicher Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . 404 2. Kraft Erfüllungskonnexität verbundene Klagegründe . . . . . 406 V. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wechselanspruch und Kausalanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Primär- und Sekundäranspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schadensersatz und Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachmängelbedingte Rückzahlungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . a) b) c) d)
Verjährungsrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streitgegenstand und Verfahrenskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . Eigenes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
409 409 411 413 414 414 416 418 420
Inhaltsverzeichnis
5. 6. 7. 8. 9.
XIX
Einheitliches Schadensereignis und Schadensarten . . . . . . . . Vertragliche Pflichtverletzungen im Schadensersatzprozess Einheit des Leistungsobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klage aus eigenem und abgetretenem Recht . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . .
421 423 426 428 429
VI. Zusammenhang mit der richterlichen Aufklärungspflicht . . . . 1. Generalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antragsbindung und richterliche Aufklärungspflicht . . . . . 3. Die Begrenzung der richterlichen Hinweispflicht auf das Streitinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Begriff der Sachdienlichkeit im Rahmen von § 139 ZPO und § 263 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Veränderungen im Tatsachenvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
430 430 432 434 438 439
§ 26 Verfahrenskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 I. Konzentrationslast des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konzentration von Tatsachenkomplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abweichende, aber interessenidentische Rechtsfolgen . . . . . 3. Teilklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
441 441 444 445
II. Konzentrationslast aus Sicht des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 1. Widerklagelast des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 a) Historisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Rechtskraftpräklusion und Widerklagelast im US-amerikanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgerungen aus dem Interessebegriff für die Widerklagelast . . . .
446 448 449 452
III. Insbesondere: Das Verhältnis von Feststellungsund Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 1. Positive Feststellungsklage und selbständige Leistungsklage des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 b) Unbezifferte Feststellungs- und Teilleistungsklage . . . . . . . . . . . . 455
2. Negative Feststellungsklage und Leistungsklage . . . . . . . . . . 456 a) Primäre Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Feststellungsklage ist zeitlich vorrangig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Auffassungen nach Inkrafttreten der CPO . . . . . . . . . . . . bb) Die Auffassung der Judikatur: Primat der Leistungsklage . . . cc) Die Kritik der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vermittelnde Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Der Einfluss der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . ff) Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
456 457 457 458 460 462 463 464
XX
Inhaltsverzeichnis (1) (2) (3) (4)
Prozessökonomische Kritik an der Auffassung des BGH . Der Aspekt der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutzformunabhängiges Interesse . . . . . . . . . . . . . Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
464 466 467 469
3. Vorgreifliche (präjudizielle) Feststellungsklage und Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 4. Positive Feststellungsklage und negative Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs – Der Urteilsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
477
§ 27 Zur Bedeutung von § 308 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 I. Bindung an Klageantrag und Klagegrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Antragsbindung und relative Streitgegenstandslehre . . . . . . . . . III. Die Berücksichtigung des Beklagtenvortrags zwischen Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Bedeutung äquipollenten Beklagtenvorbringens . . . . . . . . . V. Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
477 479 480 482 485
§ 28 Urteilsgegenstand und Klageantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 § 29 Die Begrenzung des Urteilsgegenstandes durch den (vorgetragenen) Lebenssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 I. Die Bedeutung des Tatsachenvortrags nach der zweigliedrigen Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Begrenzung durch den entschiedenen Sachverhalt nach der eingliedrigen Streitgegenstandslehre . . . . . . . . . . . . . . . . III. Relative Streitgegenstandslehre: Begrenzung auf den vorgetragenen Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Bedeutung der Verhandlungsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Begrenzung auf den entschiedenen Klagegrund bzw. die geprüften Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
491 494 496 500 502
§ 30 Eigene Ansicht: Das Interesse als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 I. Aufgaben der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Materielle Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das geltend gemachte Interesse als Grenze des Rechtskraftumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Folgerungen für den Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anspruchskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Additive Tatbestandskomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
505 506 510 513 514 516
Inhaltsverzeichnis a) b) c) d) e) f) g)
Einzelne Erwerbs- oder Gestaltungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschiedene Pflichtverletzungen im Schadensersatzprozess . . . . Klage aus eigenem und abgetretenem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachmängelgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprüche im Alternativverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzbarkeit des Interesses, insbesondere: Schadensarten . . . . Einheit des Leistungsobjekts: Beispiel Räumungsklage . . . . . . . . .
V. Tatsachenpräklusion, allgemeine Präklusion und „rechtskraftfremde Präklusion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Globaler Streitgegenstand und richterliche Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gleichlauf bei stattgebender und abweisender Entscheidung . VIII. Materiellrechtsfreundliche Auslegung und Rechtskraftumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konkurrenz possessorischer und petitorischer Ansprüche 2. Ansprüche aus Wechsel und Scheck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ablehnung einer allgemeinen Beschränkungsbefugnis . . . . a) b) c) d)
Vertragliche und dingliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkennbare unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . Sonderfall: Wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage . . . . . . . . . Ermittlung der Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI 519 524 526 528 530 531 532 534 536 539 540 542 544 546 546 547 548 548
4. Normative Beschränkungen durch Zuständigkeitsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 § 31 Präjudizialität und erweiterte Rechtskraftbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 I. II. III. IV.
Logisch konstruktive Sinnzusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftlicher Wert und identische Rechtsposition . . . . . . . . Rechtskraft und Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelne Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Facultas alternativa nach § 249 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfüllungsanspruch und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schadensersatz statt der Leistung und Rücktritt . . . . . . . . . . 4. Wandelung/Rücktritt und Minderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vertraglicher Unterlassungsanspruch und Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Teilurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
554 558 560 561 561 565 566 567 568 569
V. Rechtsvergleichung: Bindung und Präjudizialität in der Rechtsprechung des OGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 § 32 Rechtskraftpräklusion – insbesondere: Die Präklusion von Gegenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
XXII
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung: Kontradiktorisches Gegenteil und Interesse . . . . 1. Kontradiktorisches Gegenteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterungen: Kontradiktorisches Interesse . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
573 574 574 575 579
III. Rechtskraftpräklusion bei selbständigen Gegenrechten . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Saldierungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung: Selbständige Rechnungsposten – Restvergütung und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedenken und eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
580 580 581 584 586
IV. Rechtskraftfremde Präklusion: Abänderung von Unterhaltstiteln nach § 323 ZPO/§ 238 FamFG . . . . . . . . . . . . . . 588 V. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
Siebter Teil: Besonderheiten für bestimmte Klagearten . . . . . . . . . . . .
593
§ 33 Gestaltungsklagen und Feststellungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 I. Streitgegenstand der Gestaltungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Existenz eines materiellen Gestaltungsklagerechts . . . . . . . . 2. Folgerungen für den Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insbesondere: Häufung von Gestaltungsgründen . . . . . . . . . a) Eherechtliche Gestaltungsklagen (-anträge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aktienrechtliche Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage . . . . . . aa) Rechtsschutzform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Klagegrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Streitgegenstand bei „rein“ prozessualen Klagen . . . . . . . . . . . . . .
594 594 596 598 598 599 599 600 601
II. Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 § 34 Besonderheiten im Bereich der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 I. Klageantrag und Kerntheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 II. Klagegrund und gespaltener Streitgegenstandsbegriff . . . . . . . . 607 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
Inhaltsverzeichnis
Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH – Kernpunkttheorie und Rechtsschutzinteresse
XXIII
. . . . . . . . 617
§ 35 Die Methodenfrage: Autonome Auslegung von Art. 27 I EuGVVO . 617 I. Die Auffassung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 II. Nationale Vorbilder für die Kernpunkttheorie . . . . . . . . . . . . . . . 619 III. Der (fehlende) systematische Zusammenhang mit den objektiven Grenzen der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 § 36 Der teleologische Zusammenhang zwischen Art. 27 EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . 626 I. II. III. IV.
Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO durch den EuGH Grenzen des teleologischen Zusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachgelagerter autonomer Schutz der Urteilsanerkennung 2. Vorbehalte gegen ein weites Rechtskraftkonzept . . . . . . . . . . V. De lege ferenda: der Kommissionsvorschlag vom 14.12.2010 . .
626 630 634 639 639 641 645
§ 37 Die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Schrifttum . . . . . . . . . 650 I. Orientierung an Rechtskraftzusammenhängen . . . . . . . . . . . . . . 650 1. Die Auffassung von Leipold und Lenenbach . . . . . . . . . . . . . . 650 2. Bedenken und Folgen für die Auslegung von Art. 27 I EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 II. Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 1. Die Ansicht von Manfred Wolf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 2. Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 III. IV. V. VI.
Ausrichtung an Art. 28 III EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Materiellrechtlicher Unvereinbarkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . Materielle Stimmigkeit im weitesten Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . .
661 662 665 669
§ 38 Abschließende Stellungnahme zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO . . . . . . . . . . 670 I. Anerkennungsfeindlicher Anachronismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unterschiede zwischen Art. 34 Nr. 3 und Nr. 4 EuGVVO . . . III. Konkrete Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO . . . . . . . . . . . 1. Rechtskraftkonflikt bei Streitgegenstandsidentität: Die Bedeutung des Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtskräftig entschiedene Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Präjudizialitätsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorfragenentscheidung ohne Rechtskraftwirkung . . . . . . . .
670 675 677 678 678 680 684
XXIV
Inhaltsverzeichnis
5. Vorzüge und Nachteile der Ausrichtung an Rechtskraftkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 6. Die Bedeutung der Interessenidentität bei Abgrenzungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 § 39 Folgerungen für Art. 27 EuGVVO und Art. 28 EuGVVO . . . . . . . . . . 692 I. Ausrichtung von Art. 27 I EuGVVO: Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen und Prognoseentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Generell erweiterter Umfang der Rechtshängigkeitssperre . . . 1. Ausrichtung an prozessökonomischen Überlegungen . . . . . 2. Justizgewährungsanspruch und Präjudizialverhältnisse . . .
692 695 695 697
III. Umfang der Interessenbefriedigung im Erstprozess: Die Parallele zur Rechtssache Drouot Assurances SA . . . . . . . . IV. Konnexität nach Art. 28 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis zu Art. 27 I EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachteile einer Koordination über Art. 28 EuGVVO . . . . .
704 708 708 709
§ 40 Konsequenzen für einzelne Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712 I. Das Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Chancengleichheit und Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . 3. Torpedoklagen bei Immaterialgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . . 4. Torpedoklagen und überlange Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . 5. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sonderfall: Parallelverfahren im Rahmen von Art. 31 CMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anspruchskonkurrenz und Kernpunkttheorie . . . . . . . . . . . . . . III. Teilklagen bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten . . . . . . IV. Wechselseitige Schadensersatzklagen bei einheitlicher Sachverhaltsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Materiell konträre Klagen vor verschiedenen Gerichten
Zusammenfassung der Ergebnisse
712 712 714 717 719 729 730 733 734 735 736
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
Erster Teil:
Rechtshistorische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
Zweiter Teil:
Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO . . . . . . . . . . . . . 742
Dritter Teil:
Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EU und die Kernpunktlehre des EuGH . . . . . . . . . . . . . . 745
Inhaltsverzeichnis
XXV
Vierter Teil:
Grundlagen des eigenen Verständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747
Fünfter Teil:
Ergebnisse zum Verfahrensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
Sechster Teil: Ergebnisse zum Urteilsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 Siebter Teil:
Besonderheiten für Gestaltungs- und Feststellungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
Achter Teil:
Abschließende Bewertung: Kernpunkttheorie und Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809
XXVI
1
Einführung § 1 Aufgabenstellung Jede neue Schrift zum Streitgegenstand begegnet angesichts der Fülle einschlägiger Literatur hohem Erwartungs- und Rechtfertigungsdruck.1 Obgleich es sich dabei nach wie vor um einen der Schlüsselbegriffe bei der Bewältigung zivilprozessualer Fragestellungen handelt2, wurde in jüngster Zeit eine intensive Befassung mit dem Phänomen Streitgegenstand als nicht (mehr) lohnend3 bzw. in ihrer praktischen Bedeutung als zu gering empfunden.4 Auch der BGH hat den „Streit um den Streitgegenstand“ bereits als unfruchtbar bezeichnet.5 Die Wogen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung der Nachkriegsjahre haben sich geglättet6 und die praktischen Ergebnisse weitgehend angenähert.7 Trotz des Siegeszugs der prozessualen zweigliedrigen Streitgegenstandslehre8 ist je1 Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 1: „Eine weitere zivilprozessuale Arbeit stünde deshalb unter einigem Rechtfertigungsdruck.“ 2 Etwa, Rödig, Theorie, S. 184, im Anschluss an Grunsky, Grundlagen, S. 21: „Angelpunkt“ des Prozessrechts; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 14; Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 60: „zentraler Begriff des Zivilprozesses“. Unter den „Klassikern“ zivilprozessualer Qualifikationsschriften nimmt dieses Thema einen besonderen Platz ein: vgl. Nikisch, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß (1935); Schwab, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß (1954); Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß und im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (1956); Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß (1961); Georgiades, Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht und Zivilprozeßrecht (1968); Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozeß (1970). 3 In diesem Sinne Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 68. 4 Etwa Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 9; Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens (2005), S. 200; A. Blomeyer, ZZP 75 (1962), 3: Der Streit gehöre zur Zuständigkeit der Rechtsphilosophie; Henckel, in: FS Schwab, S. 213 ff. weist darauf hin, dass Prozessrechtstheorien nicht zum Selbstzweck werden sollten, sondern dort ansetzen müssten, „wo praktische Probleme zu lösen sind.“ Vgl. auch Leipold, Nihon Hogaku 27 (1977) Nr. 1, S. 2 f.: nicht das Zentralproblem des Zivilprozesses; Schlosser, ZPR, Rn. 425: Im Ergebnis sei nur die Praxis durch ständig neue Theorien verwirrt worden; vgl. auch Prütting in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Einl. Rn. 19. 5 BGH Warn. 1970 Nr. 21, S. 48; vgl. dazu Musielak, Grundkurs, Rn. 148. 6 Habscheid, in: FS Schwab, S. 181 ff. 7 Prütting, in: FS Beys II, S. 1273. 8 Dies gilt auch für Österreich, OGH IPRax 2002, 410; zur zweigliedrigen Streitgegenstandslehre ausführlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11 f.
2
Einführung
doch zu keinem Zeitpunkt völlige Einigkeit erzielt worden.9 Und obgleich sich mit diesem zweigliedrigen Streitgegenstandsverständnis in der Praxis viele Fragen zufrieden stellend lösen lassen, beginnen Unbehagen und Kritik bereits bei der Konturierung eines nur schwer fassbaren Lebenssachverhalts als ein dem Klageantrag gleichwertiges Bestimmungselement. Darüber hinaus fordern materiellrechtlich orientierte Ansätze ständig dazu auf, den prozessualen Primat zu überdenken. Mit ungeahnter Vehemenz neu entfacht wurde die nationale Streitgegenstandsdiskussion in Deutschland und Österreich wieder durch den „Europäischen Paukenschlag“: Mit der in den Entscheidungen Gubisch/Palumbo bzw. Tatry10 vom EuGH entwickelten Kernpunkttheorie hat der Gerichtshof bekanntlich dogmatisches Neuland beschritten. Wenngleich hierfür in den nationalen Verfahrensordnungen nicht unmittelbar Vorbilder existieren, kann eine gewisse Nähe zum romanischen Rechtskreis nicht geleugnet werden. Durch diese Entwicklung auf europäischer Ebene ist erstmals das Merkmal in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt, das gemeinhin als fester Parameter aller nationalen Streitgegenstandslehren galt: der Klageantrag. Der EuGH vermeidet in seiner Rechtsprechung zu Art. 21 EuGVÜ (Art. 27 EuGVVO) parallele Verfahren vor den Gerichten verschiedener Vertragsbzw. Mitgliedsstaaten und hieraus resultierende unvereinbare Entscheidungen, indem er die Identität des (prozessualen) Anspruchs nicht mehr am formellen Klageantrag bemisst, sondern auf den Kernpunkt der Prozesse achtet. Bereits diese Entwicklung hätte Anlass für eine neue Studie geboten, da weder die Richtigkeit noch der Umfang der Kernpunktlehre als geklärt gelten können.11 Wenngleich die Rechtsprechung des EuGH vor allem parallele Verfahren betrifft, ist sie dennoch so revolutionär, dass mit ihr die deutsche Streitgegenstandslehre insgesamt ins Wanken geraten könnte. Diese Entwicklung hat Rolf Stürner vor mehr als zehn Jahren zu einer viel zitierten Äußerung veranlasst: „Niemand kann ernsthaft annehmen, dass dieser gemeineuropäische prozessuale Anspruchsbegriff die herkömmliche deutsche Streitgegenstandslehre unberührt lassen wird, wobei man die heraufdämmernde Orientierung am französischen und englischen Recht 9 Vgl. Rödig, Theorie, § 45, S. 185, der die Bildung einer splendid isolation durch die Wissenschaft moniert. Ansätze einer für den Zivil- und Strafprozess übergreifenden Betrachtungsweise finden sich hingegen bei Baumann, ZZP 69 (1956), 356 ff. 10 EuGH, Urt. v. 8. 12. 1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861 = IPRax 1989, 157 (Schack); EuGH, Urt. v. 6. 12. 1994, Rs. C-406/92 – The Tatry/ The Maciej Rataj, Slg 1994 I- 5439. Vgl. hierzu Prütting, in: FS Beys II, S. 1274. 11 Kritisch auch R. Stürner, RabelsZ 69 (2005), 250: „Thus, the European Court of Justice has established within the framework of the Brussels Regulation a res judicata doctrine that tends to follow the common law model of issue preclusion and to expand the res adjudicata effect to material elements of a judgment, though as of now many questions remain open and undecided.“
§ 1 Aufgabenstellung
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entweder als Rückkehr zu einem gemeineuropäischen ius commune begrüßen oder als Rückschritt im Sinne eines Verlustes an Rechtsklarheit kritisieren kann. Jedenfalls ist auch in der Streitgegenstandslehre die Zeit dogmatischer Unschuld und systematischer Konstruktion vorbei – die Arbeiten der früheren und späteren Nachkriegszeit könnten so heute nicht mehr geschrieben werden.“12
Mit der Vorstellung, Streitgegenstand sei der jeweilige Kernpunkt des Verfahrens, rückt der EuGH zweifellos in die Nähe der Rechtskraftlehre Savignys13, der den Blick auf das im Streit befindliche Rechtsverhältnis als Ganzes richtete.14 Beys hat sich deswegen in diesem Kontext – nicht zu Unrecht15 – die Frage erlaubt, ob es sich bei der deutschen prozessualen Streitgegenstandslehre und der damit verbundenen Ablehnung jeglicher Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe um eine rationale Behandlung des Problems oder bloß um die letzte hoffnungslose Verteidigung einer im internationalen Bereich verlorenen Sache handle.16 Allerdings treten dieser europäischen Entwicklung gegenläufig internationale Modellordnungen wie die Principles of Transnational Civil Procedure wieder für den Grundsatz der Parteidisposition ein und halten an der Bedeutung des Klageantrags fest.17 Die vorliegende Schrift hat deswegen auch zu klären, ob sich der dogmatischen Sprengkraft der Kernpunktrechtsprechung des EuGH mit den Instrumentarien nationaler Prozessualistik Herr werden lässt oder ob es langfristig ihrer Rezeption in den Mitgliedstaaten, insbesondere in Deutschland, bedarf.18 Zweifellos geraten statische Konstrukte wie der als „Lieblingskind der Begriffsjurisprudenz“ geschmähte19 deutsche Streitgegenstandsbegriff immer 12 R. Stürner, in: FS Lüke (1997), S. 836: Der Modellentwurf der Storme-Kommission stehe eher in der romanischen Tradition. Dass der EuGH mehr in diese Richtung tendiere, liege auch an der französischen und englischen Amtssprache. Eine ähnliche Prognose trifft Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 91: „Unter dem Einfluss des europäischen Rechts wird wohl ein rein ‚prozessualer‘ Einheitsbegriff nicht unverändert aufrechtzuerhalten sein.“ 13 Angedeutet von Rüßmann, ZZP 111 (1998), 401, 421: Weg zurück zu Savigny; zur Rechtskraftlehre von Savigny vgl. Gaul, in: FS Flume, S. 471 ff.; unten § 5 II. 14 Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 64. 15 Vgl. auch die Stellungnahme von Hess, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455 ff., der in den engen deutschen Rechtskraftvorstellungen einen Wettbewerbsnachteil auf nationaler Ebene erkennen will. 16 Beys, in: Die Dialektik des prozessualen Rechts, Bd. III, S. 70 f.: „Die deutsche (zweigliedrige) prozessuale Streitgegenstandstheorie war zu ihrer Blütezeit eine wirkliche wissenschaftliche Errungenschaft. Aber die praktischen Bedürfnisse des modernen internationalen Marktverkehrs als Ziel der europäischen Konvergenz scheint diese Theorie nicht befriedigen zu können.“ 17 Hierzu Stürner, ZZP Int 11 (2006), 381 f.; ders. RabelsZ 69 (2005), 201 f.; allgemein zur Parteidisposition ders., in: FS Heldrich (2005), S. 1064 ff. 18 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 15. 19 Ekelöf, ZZP 85 (1972), 145. Diese Aussage wird den mit dem Streitgegenstandsbegriff zusammenhängenden Sachfragen aber nicht gerecht. Vgl. zu dieser Gefahr Detterbeck, Streitgegenstand, S. 1; kritisch auch Böhm, in: FS Kralik, S. 83 f.
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stärker unter Druck. 20 Insoweit könnte diese europäische Entwicklung einer dynamischen Betrachtungsweise mehr Rechtfertigung verleihen.21 Die bisherigen Einheitsvorstellungen im Streitgegenstandsdenken sind zweifellos nicht allen Anliegen gerecht geworden. Gerade in jüngster Zeit setzt sich deswegen unter manch würdigem Verfechter einer für den Prozessverlauf einheitlichen Begrifflichkeit 22 die Erkenntnis durch, dass eine Patentlösung für alle Streitgegenstandsfragen kaum zu erreichen sein wird. Die Einheitlichkeit mag zwar wünschenswert sein, eine unabänderliche Doktrin stellt sie jedoch nicht dar. Erinnert sei an die Worte Karl Blomeyers:23 „Man sollte die Bemühungen aufgeben, aus einzelnen Bestimmungen der ZPO, die von Streitgegenstand oder Anspruch sprechen, etwas hierfür herzuleiten, was als Gegenstand des Erkenntnisverfahrens in jedem Zivilprozess anzusehen ist. Die ZPO gebraucht das Wort Streitgegenstand und ebenso das Wort Anspruch durchaus nicht einheitlich. Bei jeder Vorschrift ist aus deren Zweck festzustellen, was Streitgegenstand oder Anspruch in deren Sinne ist. Von ‚Anspruch der ZPO‘ sollte man deshalb nicht reden. Der Begriff, um den es sich handelt, ist kein gesetzlicher Begriff, sondern ein Hilfsbegriff der Rechtswissenschaft…“24
Ein weiteres Augenmerk dieser Arbeit soll deswegen auf die bisher wenig untersuchten funktionalen Zusammenhänge zwischen Rechtshängigkeit, Rechtskraft, Klageänderung und objektiver Rechtskraft gerichtet sein. Die Streitgegenstandsfrage sollte kein juristischer Selbstzweck bleiben. Vielmehr bedarf jedes prozessuale Institut einer eigenständigen Funktion, um weiter Existenzberechtigung zu verdienen. 25 So hatte Bruno Rimmelspacher den beifallswerten Versuch unternommen, Fragen, die an sich dem klassischen Aufgabenbereich des Streitgegenstands zuzurechnen sind, stärker anhand des Zwecks und der Teleologie einzelner Vorschriften zu beantworten 26, aber auf diese Weise seinen Wert relativiert. Dieser normzweckorientierten Methode27 wird auch im weiteren Verlauf gefolgt, ohne auf einen Streitgegenstandsbegriff von vorneherein verzichten zu wollen. 20
So R. Stürner, in: FS Lüke (1997), S. 837. R. Stürner, aaO., S. 839: „Der Rückgriff auf die grobe Linie könnte gefragt bleiben, nicht aber das ziselierte System.“ 22 Schwab, in: FS Lüke, S. 800 f. 23 K. Blomeyer, ZZP 65 (1952), 58. 24 Zur Rolle des Streitgegenstands als wissenschaftlicher Hilfsbegriff bereits die Motive der Ersten Kommission zum BGB, Mugdan, Materialien I, S. 550 zu § 293 CPO: „Wann Identität vorliegt, bleibt der Rechtslogik vorbehalten.“ 25 „Theorien im Zivilprozessrecht sind nicht um ihrer selbst willen da. Die Prozessrechtswissenschaft steht, da sie der Rechtsverwirklichung dient, im Dienste der Praxis. So sind prozessuale Theorien Hilfsmittel für die Rechtspraxis… Sie sind also nicht Selbstzweck, sind keine schöngeistigen „Glasperlenspiele“, sondern sie stehen im Dienste der Rechtsverwirklichung. Dies gilt auch für die Lehre vom Streitgegenstand“, Habscheid, in: FS Schwab, S. 181. 26 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 173 f., 176, 177, 226. 27 Hierzu Gaul, AcP 168 (1968), 43. 21
§ 1 Aufgabenstellung
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Die Einheitlichkeit von materiellem Recht und Prozessrecht ist heute sicherlich eine andere als von den Vätern der CPO beabsichtigt, d.h. der prozessuale Anspruch stimmt nicht mit dem materiellrechtlichen Anspruch überein. Dennoch bestehen weiter starke Verbindungen. 28 An kaum einer anderen Stelle des Prozessrechts treten die Wechselwirkungen zwischen materiellem Recht und Prozessrecht so deutlich hervor wie bei der Bestimmung des Streitgegenstands. 29 Aufgabe dieser Arbeit ist es deswegen auch, zwischen beiden Materien eine funktionelle Einheit wiederherzustellen.30 Damit muss der Blick weg von der einzelnen Rechtsfolge und vom formellen Klageantrag hin auf die beanspruchte materiellrechtliche Position in ihrer Gesamtheit gewendet werden. Insoweit gilt es, trotz Rechtsfolgendivergenz materielle Erfüllungs- und Befriedigungszusammenhänge stärker zu berücksichtigen. Zum einen wird hierdurch deutlicher, um was die Parteien kämpfen. Zum anderen ist dieser Blickwinkel der dienenden Funktion des Prozessrechts angemessen. Aufgegriffen wird damit nicht die bekannte Tendenz, die Annäherung von materiellem Recht und prozessualem Anspruch durch Justierungen am bürgerlichrechtlichen Anspruch (§ 194 BGB) zu forcieren.31 Entscheidend ist vielmehr das Streben nach einer Systemeinheit, die sich begrifflich im kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen formellem und materiellem Recht zeigt. Neue Impulse zum Überdenken des überkommenen Streitgegenstandsverständnisses entstammen dabei auch dem reformierten Verjährungsrecht. Diese Materie, die seit langem zu Unrecht ein Schattendasein in der Streitgegenstandsdiskussion führt32, gibt Anlass, den eigenen Standpunkt zu überdenken. Denn § 213 BGB bestimmt: „Die Hemmung, die Ablaufhemmung und der erneute Beginn der Verjährung gelten auch für Ansprüche, die aus demselben Grunde wahlweise neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind.“33 Ausweislich der Gesetzesbegründung wird hierdurch das vom Kläger verfolgte materielle (wirtschaftliche) Interesse stärker in den Vordergrund gerückt. Rein formal drängt sich eine Parallele zu § 264 Nr. 3 ZPO auf. Mit der Vorstellung eines identischen Interesses sind zudem partiell Fallgruppen angesprochen, bei welchen Zeuner rechtskrafterweiternde Sinn-
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Fischer, ZZP 57 (1933), 340. Bereits Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 7. 30 Koussoulis, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 460, wies auf der Tagung der Zivilprozessrechtslehrer in Leipzig darauf hin, dass das materielle Recht nun wieder stärker in die Streitgegenstandslehre zu integrieren sei, „allerdings ohne eine Rückkehr zu Savigny“. 31 So etwa Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 1 f., 225 f.; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 4, 15, 175. 32 Vgl. auch der Hinweis von Henckel, JZ 1992, 221. 33 Angedeutet bei Prütting, in: FS Beys II, S. 1277; Hess, Schuldrechtsreform und Zivilprozess, S. 670. Allerdings handelt es sich ausweislich der Gesetzesbegründung um streitgegenstandsfremde Hemmung. 29
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zusammenhänge erkennen wollte.34 Im Unterschied zu Zeuners Lehre wird im Rahmen dieser Arbeit ein für Rechtshängigkeit und Rechtskraft gleichermaßen taugliches Gesamtkonzept erarbeitet, was nicht notwenig in einen einheitlichen Streitgegenstand münden muss. Wenngleich die hier vorgelegte Studie sich vornehmlich mit dem deutschen Zivilprozess beschäftigt, wird hiermit auch ein auf gemeineuropäischer Ebene praktikables Konzept angestrebt. Dabei erscheint im Hinblick auf die Rezeption der Kernpunktlehre des EuGH der Hinweis von Leipold hilfreich, wonach es gelte, unter Beschränkung auf Rechtshängigkeit und Rechtskraft eine stärker an das materielle Recht angelehnte Lösung zu finden, welche die Interessen der Parteien in den Vordergrund rückt.35 Wörtlicher als von Leipold gedacht, wird deswegen im Rahmen dieser Studie versucht, die Bedeutung des Klägerinteresses als Abgrenzungsmerkmal zu konkretisieren, ohne dass damit der Anspruch erhoben würde, alle denkbaren Fallkonstellationen mitbedacht zu haben. Die Arbeit beschäftigt sich denn auch im Schwerpunkt mit der Leistungsklage. An verschiedenen Stellen wird jedoch deutlich, dass für Feststellungs- und Gestaltungsklagen ähnliche Überlegungen Verwendung finden könnten. Im Hinblick auf eine mögliche Rezeption der Kernpunktlehre wird sich diese Arbeit mit der aus der Methodenlehre bekannten Antinomie von Lebenssachverhalt und Interesse zu beschäftigen haben: Hiernach lässt sich jeder Konflikt im Bereich der sozialen Wirklichkeit als Interessengegensatz beschreiben: „Dabei formen die jeweils fundamentalsten Begehrungsvorstellungen der streitenden Parteien eine Art Basiskonflikt, den sog. Sachverhaltskern. Gerade dieser Sachverhaltskern ist es aber, der dem Rechtsanwendenden ein erstes Signal für die Regelungsbedürftigkeit der betreffenden Lebensverhältnisse gibt … Für eine wertungsjuristische Methode bedeutet dies, dass den Interessen eine Doppelfunktion zukommt: Sie dienen einmal der Auswahl und Auslegung der eventuell einschlägigen Normen – und zum anderen der Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen.“36
Auch K. Larenz37 betont in seiner Methodenlehre diese Bedeutung des Sachverhaltskerns für die konkrete Rechtsanwendung. Seiner Ansicht nach meine dies jedoch nicht den grundlegenden Interessengegensatz der Parteien, sondern allein die Tatsachen, welche diesen verursachen. Larenz verdeutlicht dies an dem Beispiel, dass eine Frau vom Hund des Nachbarn in die Hand gebissen wird. In diesem Fall werde der Kern des Lebenssachverhalts durch den Hundebiss und die dadurch der Frau zugefügten Schmerzen und Nachteile gebildet. Hruschka38 hat dem mit Recht entgegen gehalten, dass diese Auffassung an der 34
Zeuner, Objektive Grenzen der Rechtskraft, S. 1 ff. Leipold, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455 f. 36 Meyer, Grundzüge einer systemorientierten Wertungsjurisprudenz, S. 34 f.; Hruschka, Konstitution des Rechtsfalles, S. 37 f. 37 Larenz, Methodenlehre, S. 278 f., 308. 38 Hruschka, Konstitution des Rechtsfalles, S. 37. 35
§ 1 Aufgabenstellung
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Oberfläche bleibe. Der Beweggrund für die juristische Betrachtung des Falles sei nicht der Hundebiss als solcher, sondern die Empfindung eines Bedürfnisses nach Schadensersatz und Genugtuung für die verletzte Frau. Entscheidend ist damit der konkrete Interessenkonflikt zwischen Tierhalter und der Frau.39 Der Sachverhaltskern bleibt nach Hruschka auf den grundlegenden Interessengegensatz bezogen. Übertragen auf die prozessuale Streitgegenstandsdiskussion40 steht dieser Gedankengang für die Entscheidung, ob die Rechtslehre und Praxis in Zukunft einer durch den Lebenssachverhalt bestimmten Betrachtungsweise folgen sollte, wie sie der US-amerikanischen Lehre und z.T. auch der Rechtsprechung des EuGH41 entspricht, oder ob der konkrete Interessenkonflikt der Parteien, welcher dem Sachverhalt erst sein rechtliches Gepräge gibt, den Ausschlag geben sollte.42 Insoweit wäre zu überlegen, ob der europäische Rechtskreis der tatsachenbasierten cause of action angloamerikanischer Prägung ein auf eigener Rechtstradition beruhendes und „exportierbares“ Modell entgegensetzen kann. Dazu will diese Arbeit einen kleinen Beitrag leisten.
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Allgemein Henkel, S. 314 f. Allgemein zur Interessenjurisprudenz im Zivilprozessrecht Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 58. 41 So die Deutung von R. Stürner, RabelsZ 69 (2005), 250: „This is so especially after recent decisions of the European Court of Justice, which seem inclined towards the Anglo-American conception when analyzing issues of claimed ‚identity of the subject matter‘ of two actions by the criterion of identity of the essential core issues (‚core issue theory‘)“. 42 Vgl. auch P. Gottwald, ZZP 95 (1982), 245: „Soziologischer formuliert: Ein bestimmter konkreter Interessenkonflikt zwischen Privatpersonen ist im Prozeß zu klären und nach rechtlichen Kriterien zu lösen.“ 40
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§ 2 Gang der Darstellung Die vorliegende Studie widmet sich vor allem der Frage, inwieweit eine Annäherung von materiellem Recht und Prozessrecht bei der Bestimmung des prozessualen Anspruchs gelingen kann und welche Gestalt der kleinste gemeinsame Nenner dabei annehmen müsste. Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozess verlangen dabei nach einer klaren und für die Praxis handhabbaren Lösung.43 Der Erste Teil der Arbeit beschäftigt sich zunächst mit den rechtshistorischen Grundlagen aktionenrechtlichen Denkens und der actio in ihrer Rolle als Streitgegenstand des Verfahrens. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, in welcher Weise der römische Formularprozess und später das gemeine deutsche Verfahrensrecht materiellrechtliche „Befriedigungszusammenhänge“ berücksichtigten (§§ 3, 4, 5). Die Kernpunktlehre des EuGH hat hier insbesondere wieder Assoziationen zur Aktionen- und Rechtskraftlehre Savignys geweckt. Im Zweiten Teil werden die wesentlichen Entwicklungslinien der deutschen Streitgegenstandslehre seit Inkrafttreten der CPO von 1877 im Jahr 1879 nachgezeichnet. Nachdem Savignys Metamorphoseverständnis im Hinblick auf das subjektive Recht zunächst das Entstehen zivilistischer Klagerechtstheorien begünstigt hatte, entzog Windscheids Anspruchsverständnis in Folge allen Klagerechtstheorien schlagartig die Berechtigung. Die beginnende Prozessualisierung im Streitgegenstandsdenken vollzog sich jedoch in langsamen Schritten (§§ 8, 9). Ein Schwerpunkt der Darstellung in diesem Teil liegt neben den relativen Streitgegenstandslehren (§ 11) auch bei den neueren materiellrechtlich orientierten Ansätzen von Henckel, Rimmelspacher und Georgiades (§ 10). Gleiches gilt gewissermaßen als Gegenmodell für die Bemühungen de Boors (§ 12) um eine lebensnahe Darstellung des tatsächlichen Streitgeschehens im „Kampf gegen das aktionenrechtliche Denken“. Rechtsvergleichende Überlegungen werden dabei bereits mit einbezogen. Der Dritte Teil der Arbeit richtet seinen Blick über die nationalen Grenzen hinaus auf die Streitgegenstandskonzepte ausgewählter europäischer Mitgliedstaaten (§ 14). Daran anschließend erfährt die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO (Kernpunkttheorie) ausführliche Darstellung (§ 15). In diesem Dritten Teil wird bereits (vorläufig) die Frage nach Sinn
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So K.H. Schwab, ZZP 65 (1952), 101.
§ 2 Gang der Darstellung
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und Zweck einer Rezeption der Kernpunkttheorie durch die nationalen Prozessrechte aufgeworfen (§ 16). Der Vierte Teil erläutert die Grundlagen des eigenen (methodischen) Verständnisses. Ein Hauptaugenmerk ist hier auf die übergreifenden Funktionszusammenhänge zwischen den einzelnen prozessualen Bewährungsproben des Streitgegenstands (Rechtshängigkeit, Anspruchshäufung, Klageänderung und Rechtskraft) gerichtet, denen in der bisherigen Diskussion zu geringe Bedeutung beigemessen wurde (§ 18). Der weitere Fortgang der Arbeit erfordert auch eine Erläuterung des Zusammenhangs zwischen Prozesszweck und Streitgegenstand (§ 19). Der Fünfte Teil der Arbeit ist aufbauend auf den Erkenntnissen der Prozesszwecklehre und der Bedeutung des subjektiven Rechts der Konturierung des Verfahrensgegenstandes gewidmet (§§ 20, 21). Infolge wird vor allem den Erkenntnissen Rudolf von Iherings Rechnung getragen, der den naturalistisch geprägten Begriff der Willensmacht durch den Begriff des rechtlich geschützten Interesses substituierte. Der eigene Versuch, den Gegenstand des Verfahrens anhand des vom Kläger verfolgten materiellen Interesses zu konturieren, wird im Laufe der weiteren Darstellung verifiziert (§§ 21, 22). Als normatives Gerüst dieser These dient dabei der Nexus zwischen § 264 Nr. 3 ZPO und § 213 BGB. Im Anschluss werden die sich hieraus ergebenden praktischen Folgen, insbesondere für den Umfang der Verfahrenskonzentration, erläutert. Der Sechste Teil der Arbeit widmet sich aufbauend auf den bisherigen Erkenntnissen der Bestimmung der objektiven Grenzen der Rechtskraft, respektive dem Urteilsgegenstand. Neben der dogmatischen Bedeutung von § 308 ZPO (§ 26) steht die Frage im Vordergrund, ob es des Lebenssachverhalts zur Begrenzung des Präklusionsumfangs zwingend bedarf (§ 28). Desweiteren wird versucht, der Interessenidentität materieller Rechtsfolgen auch beim Umfang der Rechtskraftbindung (Präjudizialität, erweiterte Bindungswirkung) bzw. der Rechtskraftpräklusion angemessene Bedeutung zu verleihen (§§ 29, 30). Der Siebte Teil dient dem Bemühen, die bisherigen Ergebnisse zur Leistungsklage für die Feststellungs- und Gestaltungsklage nutzbar zu machen. Aufmerksamkeit wird weiter der besonderen Ausgestaltung des Streitgegenstands im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage gewidmet. Der Achte Teil der Arbeit schlägt schließlich wieder die Brücke zum Europäischen Prozessrecht. Nach einer kritischen Würdigung der Kernpunktlehre des EuGH und insbesondere des teleologischen Zusammenhangs zwischen Art. 27 EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO wird die Frage im Vordergrund stehen, welchen Beitrag das Interessekriterium alternativ auf gemeineuropäischer Ebene leisten kann. Erwähnung findet hier auch der Vorschlag für eine Neufassung der EuGVVO, den die Europäische Kommission vorgelegt hat.
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Erster Teil:
Rechtshistorische Grundlagen aktionenrechtlichen Denkens Der prozessuale Anspruch stellt einen Hilfsbegriff der Wissenschaft dar, der sich stets am jeweils geltenden Prozessrechtssystem zu orientieren hat. Der folgende rechtshistorische Überblick will einige wichtige Entwicklungslinien aktionenrechtlichen Denkens vom römischen Formularprozess bis zum Inkrafttreten der CPO von 1877 in Erinnerung bringen. Die Auswahl bleibt jedoch kursorisch und beschränkt sich auf die für die Themenstellung relevanten Punkte. Hierbei bedarf es insbesondere eines Eingehens auf die durch die Kernpunktlehre des EuGH wieder in das Bewusstsein der Rechtswissenschaft gerufene Streitgegenstands- und Rechtskraftlehre Savignys. Zudem wird ein besonderes Augenmerk auf die Frage gerichtet sein, in welcher Weise materiellrechtliche „Befriedigungszusammenhänge“ im römischen Formularprozess und im gemeinen Recht prozessuale Berücksichtigung fanden.
§ 3 Streitgegenstand und actio im römischen Formularprozess I. Die Lösung von Konkurrenzen Im römischen Formularprozess diente die actio als Verfahrenshandlung zur Anrufung des Schutzes des Gerichtsmagistrats. Sie beinhaltete nicht nur das (formale) Recht auf Erteilung der formula, sondern vereinigte sämtliche materiellen und prozessualen Bedingungen für den prozessualen Erfolg.1 Als solche bildete sie das klare Zentrum des damaligen juristischen Denkens. 2 Die celsinische Definition3 lautet: Nihil aliud est actio quam ius, quod sibi debeatur, iudicio persequendi.4 Dabei enthielt die actio materiellrechtliche Re1
Lenze, Streitgegenstand, S. 40. Kaufmann, JZ 1964, 483; Kaser SZ 78, 175; Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 28 f.; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 11 f. 3 D. 44.7.51. 4 Windscheid, Actio, S. 1; Hasse, Über das Wesen der actio, 1 f.; Löwisch, Streitgegenstand, 2
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Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen aktionenrechtlichen Denkens
flexe, die jedoch weit entfernt von den Ausprägungen eines subjektiven Rechts waren.5 Im zweigeteilten römischen Formularprozess musste die Bedeutung des Streitgegenstands gemessen an modernen Vorstellungen notwendigerweise eine völlig andere sein. Die Ausrichtung an der actio und die fehlende Trennung von materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Ebene führten dazu, dass die Institute der Klagenhäufung6 und der Klageänderung bedeutungslos waren.7 Dazu trug im Übrigen die Wirkung der litis contestatio bei. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die formulae keinen förmlichen Klageantrag voraussetzten. Der Prätor übersetzte das Klagebegehren stattdessen in eine alternative Verurteilungs- bzw. Freisprechungsanweisung an den iudex. Im zweiten Verfahrensabschnitt (apud iudicem) stand der Gegenstand aufgrund der formula8 im Wesentlichen fest.9 Bedeutung gewann der Prozessgegenstand im Rahmen von „Rechtshängigkeit“ und Rechtskraft.10 Bewährungsprobe war zunächst die litis contestatio11, mit der die Parteien den Gegenstand (die actio) bestimmten. Die litis contestatio betrifft mit der Festlegung des Prozessprogramms somit auch die Bestimmung des Streitgegenstands.12 Die vollzogene litis contestatio verhindert ein weiteres Verfahren über dieselbe Streitsache (de eadem re). Der bereits aus den Legisaktionen bekannte13 Satz bis de eadem re agere non licet galt auch für den Formularprozess.14 Die Konsumtionswirkung tritt bei den S. 20 ff.; Lenze, Streitgegenstand, S. 41 f., bestreitet, dass es aufgrund dieser Definition nötig sei, der actio eine allzu große materiellrechtliche Bedeutung zuzuerkennen. 5 So Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 11 f. Immerhin enthalten die ersten drei Bücher der Institutionen von Gaius materielles Recht. Das vierte Buch behandelt das römische Prozessrecht in Gestalt des Aktionensystems gesondert, Kaufmann, JZ 1964, 483. 6 Zu einer Aktionenhäufung kam es nur, wenn zwei völlig verschiedene Ziele verfolgt wurden. Ansonsten gab der Prätor nur eine actio, Hesselberger, Streitgegenstand, S. 55 f. 7 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 31, 55 f.; H. Kaufmann, JZ 1964, 482 ff.; Kaser, Das altrömische ius, S. 174 ff. 8 Sie enthielt die Voraussetzungen (intentio) und den Inhalt (condemnatio) einer späteren Verurteilung. Der Richter war in seiner Prüfung auf eine bestimmte actio und deren Rechtsgrund festgelegt. Ein Wechsel zwischen vertraglichen und deliktischen Gesichtspunkten, etwa von der actio locati zur actio legis Aquiliae, war nicht möglich, Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 14. 9 Die Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht spielte auch hier keine Rolle, Kaufmann, JZ 1964, 483. 10 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 30. 11 Der Streit über eine rechtserhebliche Frage wird auch mit dem Ausdruck lis gekennzeichnet. Von diesen Wendungen abgeleitet ist die Bedeutung „Streitgegenstand“, sei es der körperliche oder juristische, Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 11, S. 75 Fn. 35. 12 Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 41 I, S. 288 f. 13 Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 43 I, S. 301, Hesselberger, Streitgegenstand, S. 48. 14 Sätze dieser Art seien Ausdruck eines allgemeinen rechtspolitischen und rechtsethischen Prinzips, das mit unterschiedlichen Mitteln verfolgt worden sei, Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 11 IV.2, S. 80. Prozessökonomische Gründe treten bereits unterstützend hinzu, Okko Behrends, Der Zwölftafelprozeß, S. 65 f., 70 f.
§ 3 Streitgegenstand und actio im römischen Formularprozess
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actiones in personam automatisch ein. Die der actio in personam zugrunde liegende obligatio ging mit dem Vollzug der litis contestatio unter, womit auch die actio erlosch.15 Hinsichtlich der actiones in rem, actiones in factum und bei judicia, quae imperio continentur ist diese Konsumtionswirkung nicht anzutreffen. Um eine Wiederholung desselben Streits zu verhindern, verleiht der Prätor dem Beklagten gegen die zweite actio aber die exceptio rei in iudicium deductae16. Die Konsumtion verhinderte nicht nur die Wiederholung derselben actio für denselben Streitgegenstand. Der Satz bis de eadem re ne sit actio muss auch so verstanden werden, dass dem Kläger eine konkurrierende actio de eadem re nicht gestattet war.17 Die Litiscontestation erstreckte sich somit auf alle weiteren actiones (Konsumtionskonkurrenz).18 Aus prozesspraktischer Sicht war nicht entscheidend, welche Rechte die materielle Rechtslage bereit hielt, sondern welche der konkurrierenden actiones mit Sicherheit den erwünschten Erfolg garantierte.19 Bei einer Mehrheit von actiones musste somit die Wahl des Klägers gut überlegt sein. Nur im Fall der Kumulationskonkurrenz konnten die actiones nebeneinander bestehen und erloschen erst mit Befriedigung (solutio). Die Frage nach der eadem re20 war somit entscheidend: Nach Levys 21 Untersuchungen sollten neben der Identität der Personen die Identität des Ziels oder 15 Ähnlich der merger-Wirkung des amerikanischen Prozessrechts, wenngleich dort das Urteil den Bezugspunkt bildet und nicht bereits die Streiteinsetzung. 16 Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 43 I.2, S. 230; Georgiades, Streitgegenstand, S. 15. 17 Diese Entdeckung muss wohl Eisele zugerechnet werden, AcP 79 (1892), 329 ff.; ders., AcP 77 (1891), 374 f.; vgl. auch Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 15; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 54 f. Hingegen ging v. Savigny, System V, S. 209, noch davon aus, dass die vollzogene Litiskontestation Erfüllungswirkung hinsichtlich der übrigen konkurrierenden Aktionen hatte. 18 „Quotiens concurrunt plures actiones eiusdem rei nomine una quis experiri debet“, D 50.17.43.1., Ulp.28 ad ed.; Windscheid, Actio, S. 31; Löwisch, Streitgegenstand, S. 20. Dieselbe Fragestellung stellt sich heute für die Anspruchskonkurrenz, weil die konkurrierenden Ansprüche der Erreichung eines (vermögensrechtlichen) Erfolges dienen. Im Fall der Kumulationskonkurrenz führte hingegen erst die solutio des Klägers zum Erlöschen der konkurrierenden actiones. Insgesamt stellt auch der concursus actionum der klassischen Epoche ein Vorläufergebilde der heutigen Anspruchskonkurrenz dar. Vgl. insbesondere Eisele und Levy, die entscheidend zur Durchdringung dieser Materie beigetragen haben, Levy, Bd. I, S. 189 f.; Medicus, SZ 80 (1963), 457 ff. 19 Kaufmann, JZ 1964, 284; kritisch de Boor, Gerichtsschutz, S. 11: „Damit war freilich die Prozessaufgabe weit mehr als wünschenswert vom Richter auf den Kläger verschoben.“ Man war in einen unauflösbaren Gegensatz zum Grundsatz iura novit curia geraten. 20 Levy, Bd. I, S. 49 f.; Neratius, D 44.2.27: „Cum de hoc, an eadem res sit, quaeritur, haec spectanda sunt; personae, id ipsum de quo agitur, causa proxima actionis“. Ungenauer ist dagegen die Gleichstellung von eandem rem mit eadem quaestio, vgl. Ulpian D. 44.2.7.1. 21 Vehement gegen diesen Begriff der eadem res wendet sich Liebs. Seiner Ansicht nach war weder der „Rechtssatz, dass ein Urteil (bzw. bereits die Klageerhebung) einen zweiten Prozess über dieselbe Sache stets präkludiere“, in dieser Allgemeinheit im römischen Recht ausgebildet, Liebs, SZ 84 (1967), 104 ff., noch war der Begriff der eadem res zur Lösung der Konkurrenzfrage von einheitlichem Nutzen. Die Zahl der Fälle, in denen die judiziale Konsumtion über Billigkeitserwägungen zum Einsatz kam, sei weitaus größer gewesen.
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Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen aktionenrechtlichen Denkens
Zwecks (idem corpus, id ipsum de quo agitur“) bzw. die Identität des Klagegrundes (causa proxima actionis, eadem causa petendi) ausschlaggebend sein.22 So ist mit eadem causa etwa das vertragliche Verhältnis oder das deliktische Geschehen gemeint, bei den actiones in rem das dingliche Recht. 23 Unterschiedliche Ziele verfolgten etwa die reipersekutorischen (sachverfolgenden) Klagen 24 im Verhältnis zu den poenalen actiones, die die Zahlung einer Buße anstrebten. 25 Erstere hingegen wollten den Kläger in Form von Schadensersatz, Erfüllung oder Herausgabe der Bereicherung entschädigen. Divergierende Leistungen würden aus heutiger Warte unterschiedliche Streitgegenstände bedingen. Für das römische Zivilprozessrecht lässt sich hingegen der Leistungsinhalt nicht ohne weiteres für die Frage der Streitgegenstandseinheit oder -mehrheit fruchtbar machen. Die condemnatio selbst war wenig aussagekräftig, den Streitgegenstand zu individualisieren. Das Prinzip der einheitlichen condemnatio pecunaria (Geldverurteilung) führt nicht automatisch zu einem einheitlichen Klageziel. Voraussetzung der Begrenzung der Konsumtionswirkung durch die einzelne Leistung (praestatio) war somit, dass diese konkreten Ausdruck in der intentio gefunden hat. Ansonsten (bei der intentio incerta) muss die Mehrheit der verfolgten Klageziele unbeachtlich bleiben, „weil die auf quidquid … gestellte intentio sämtliche denkbaren praestationes26 in sich fasste und zur Konsumtion brachte.“27 Das Ziel kann sich durch den konkreten Formelinhalt verändern, muss es aber nicht. Kumulation der Aktionen tritt etwa ein, wenn das Ziel einer Poenalklage unabhängig von einer Ersatzleistung verwirklicht werden soll. 28 22 Bei den actiones in personam wurde der jeweilige Grund der Entstehung der Verpfl ichtung, bei den dinglichen Klagen das dingliche Recht selbst zur causa petendi erhoben, ohne Rücksicht auf den einzelnen Entstehungsgrund, Löwisch, Streitgegenstand, S. 23 f. Fn. 7; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 58, 59. 23 Vgl. auch Paulus, D 44.2.14.2: „actiones in personam ab actionibus in rem hoc differunt, quod cum eadem res ab eodem mihi debeatur, singulas obligationes singulae causae sequuntur, nec ulla earum alterius petitione vitiatur; at cum in rem ago non expressa causa, ex qua rem meam esse dico, omnes causae una petitione apprehenduntur.“ Keine eadem res liegt aufgrund divergierender Klagegründe (Eigentum des Bestohlenen und der Diebstahl selbst) und auch der Klageziele vor im Verhältnis der rei vindicatio und der actio furti. 24 Diese verfolgen den Ausgleich eines Vermögensnachteils, den der Kläger durch die Nichterfüllung seines berechtigten Verlangens oder einen sonstigen klagebegründenden Sachverhalt erlitten hat, Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 43 II, S. 304. 25 Levy, Bd. I, S. 115 f. 26 Nach Levy, Bd. I, S. 119 f. stellt die praestatio (Leistung) zwar nicht einen unbekannten Begriff dar, er war jedoch nicht so subtil ausgebildet, weil er weniger zum Aktionensystem passte als zum heutigen Anspruchsmodell. 27 Levy, Bd. I, S. 118. 28 Levy, Bd. I, 416 f., S. 119: „Der Charakter der Kondemnationssumme gibt den Ausschlag, wo es die der actio immanente Natur als Straf- oder Sachverfolgungsklage zu erkunden gilt. Über das konkrete Begehren in einem speziellen reipersekutorischen iudicium dagegen sagt die condemnatio nichts aus. Hier kommt es auf die praestatio an, deren Objekt und
§ 3 Streitgegenstand und actio im römischen Formularprozess
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Entscheidende Bedeutung hatte somit die intentio der formula, weil sie das Klageziel enthielt, bei den actiones certae auch den Klagegrund. Bei den quidquid-Formeln wird aber auf einen bestimmten „Antrag“ des Klägers verzichtet. 29 Schwierig ist die Abgrenzung bei actiones mit intentio incerta30 deswegen, weil die Leistung somit mit der demonstratio (dem Sachverhalt) bestimmt werden musste: „Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine Identität des Zieles dann vorlag, wenn sich das Begehren des Klägers auf Grund der Identität der intentiones und – gegebenenfalls – der demonstrationes als im wirtschaftlichen Sinne auf einen und denselben Erfolg gerichtet qualifizieren ließ.“31 Weiter begrenzen in einem rechtlichen Sinne konnte der Kläger den Streitgegenstand schließlich durch die Aufnahme einer praescriptio.32 Erwähnenswert erscheint weiter die Tatsache, dass in manchem Fall der Kumulationskonkurrenz sich dennoch der Wunsch durchsetzte, konkurrierende actiones zu vermeiden; dies selbst, wenn Klagegrund oder Klageziel sich nicht vollständig deckten. Ein Beispiel bildet das Aufeinandertreffen von einer ‚gemischten‘ Strafklage mit einer deliktischen Klage auf Ausgleich. Hierzu erweiterte man nicht die Grenzen der eadem res, sondern der Prätor oder der Judex verhinderte je nach Einzelfall ein Parallelverfahren durch die exceptio doli oder denogatio.33 Diese ermessensgesteuerten Elemente erinnern an die aus dem angloamerikanischen Rechtsraum bekannte forum non conveniens – Doktrin.34 Im Rahmen der judizialen Konsumtion finden z.T. auch Gesichtspunkte wie die Identität des Gläubigerinteresses Berücksichtigung.35
Inhalt lediglich in der durch praescriptio oder demonstratio gegebenenfalls präzisierten intentio zum Ausdruck gelangt.“ 29 Liebs, Klagenkonkurrenz, S. 254. 30 Vgl. auch Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, §§ 34, 35, Rn. 1 f.: In Gesetzen und Klageformeln werden als Leistungsinhalte dare, facere und praestare verwendet. Jede dieser Leistungen muss im klassischen Formularprozess in Geld schätzbar sein, da jedes Leistungsurteil auf eine bestimmte Geldsumme lauten muss. Ermessensspielraum besteht hingegen bei der Formel quanti ea res erit oder quanti (actoris) interest. Bei den formulae incertae mit unbestimmten Leistungsgegenständen ist entscheidend, quod (bzw. quanti) mea interest, also das konkrete Gläubigerinteresse. 31 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 59, S. 61. 32 Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 45 VII, S. 320. 33 Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 43 II.3, S. 307; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 17. 34 Vgl. Collins/Davenport, LQR 110 (1994), 325 ff. Zu spezielleren Mitteln N. Schulte, S. 21 ff., 70 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 322. 35 Vgl. Levy, Bd. II 1, S. 80 f., 90 f. Zu gewissen unabhängig vom Konkurrenzrecht eintretenden Gesamtwirkungen vgl. Levy, Nachträge, S. 51 f., und hierzu kritisch Medicus, SZ 80 (1963), 461 f.
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II. Die actio als Streitgegenstand Da sich der Vorgang der litis contestatio stets auf eine bestimmte actio bezog, scheint für die klassische Epoche die Annahme zutreffend, dass Streitgegenstand die konkrete actio war.36 Zu den für die Streitgegenstandsfrage maßgeblichen Bestandteilen der formula rechneten dabei die intentio, in der das klägerische Begehren Ausdruck fand, und die demonstratio, welche den Sachverhalt umriss und die bei einer intentio certa entbehrlich war.37 Bei actiones mit intentio incerta musste hingegen auf die demonstratio auslegungsweise zurückgegriffen werden.38 Im Gegensatz hierzu handelte es sich bei der zur Ermittlung der Aktionenkonkurrenz relevanten „eadem res“ um ein „materiellrechtlich“ orientiertes Kriterium, das sich vom konkreten Klagebegehren des Rechtssuchenden unterschied und allein dem Identitätsvergleich diente.39 Es erscheint deswegen zweifelhaft, ob eadem res mit Streitsache bzw. Streitgegenstand gleichgesetzt werden kann. Jedoch waren, wie bereits erwähnt, die ipso iure-Konsumtion bzw. die exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae als praktisch wesentliche Folgen nicht auf die einzelne actio beschränkt. Obwohl also den Entscheidungsgegenstand die jeweilige actio bildete, reichte die Konsumtionswirkung im Umfang der eadem res darüber hinaus.40 Immerhin kristallisiert sich eine verwertbare Grundaussage heraus. Bei der Identitätsbestimmung von Verfahren sind über das konkrete Klageziel hinaus 36
So etwa Hesselberger, Streitgegenstand, S. 59; Bethmann-Hollweg, Civilprozeß II, S. 300 bezeichnet in einem Fall die formula als den getreuen Ausdruck des Streitgegenstands. 37 Ausführlich Hesselberger, Streitgegenstand, S. 43 f. 38 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 53. Den Römern war im Übrigen ein Teilurteil unbekannt. Dies erklärt die Absonderlichkeit der vollen Klageabweisung bei der plus petitio im Falle einer actio mit intentio certa. Der Sachverhalt besaß somit nur eingeschränkte Bedeutung, Löwisch, Streitgegenstand, S. 27. 39 Vgl. deutlich Löwisch, Streitgegenstand, S. 25 f.: „Wenn auch der Wortlaut der Konsumtionsregel auf den ersten Blick eine Gleichstellung der römischen res mit der heutigen Streitsache nahe zu legen scheint, da auch über die Streitsache, also den Streitgegenstand des modernen Prozessrechts, nicht mehrfach verhandelt und entschieden werden soll, so hat sich doch bei näherer Untersuchung des Konsumtionsprinzips sowie bei einem Vergleich seiner Bestandteile, der res und der actio, erwiesen, dass sich das in dem römischen Recht entscheidende prozessuale Gewicht auch hier wiederum auf die actio verlagerte. In der actio äußerte sich das – jeweils streng spezialisierte -Klagebegehren, nach dem sich der Umfang und Gang des Verfahrens ausrichtete. Der res bedurfte es zur Vermeidung mehrfacher Klagebegehren mit demselben Inhalt nur, um die infolge der stark festgelegten äußeren Formen fehlende inhaltliche Elastizität der actiones auszugleichen.“ Allerdings wird auch in diesem Zusammenhang teilweise mit eadem res der Streitgegenstand bezeichnet, Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 43 II 2, S. 305 f. 40 Die res bezog sich im Gegensatz zur actio nicht nur auf ein bestimmtes Ziel, sondern diente einer globaleren Betrachtung. Teilweise wird im gemeinen Recht von einem der obligatio ähnlichen Gebilde gesprochen. Vgl. auch Schlinker, Litis contestatio, S. 13.
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auch materielle Gesichtspunkte zu bedenken. Wenngleich der Richter nur über die konkrete actio entscheiden konnte, diente der Begriff der „res“ weitergehend der Bündelung unterschiedlicher Aktionen nach materiellen Gesichtspunkten. Zur Ermittlung des Konsumtionsumfangs war nicht die einzelne actio ausschlaggebend, sondern die Identität des allgemeinen Rechtsschutzzieles.41
41 Der gleiche Erfolg, Levy, Bd. I, S. 79 und v. Savigny, System V, S. 205 f. Zur Interesseklausel Levy, Bd. II, S. 80 f.
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§ 4 Das nachklassische Verfahren I. Generalia Die Aufhebung der Zweiteilung des klassischen römischen Zivilverfahrens brachte massive Änderungen mit sich.42 Im Byzantinischen Prozess unter Justinian, der eine Reaktion auf das eingliedrige Kognitionsverfahren darstellt43, ist die Konsumtionswirkung der Litiscontestation verloren gegangen.44 Dies gilt sowohl für die ipso iure-Konsumtion als auch für die exceptio rei in iudicium deductae.45 In den zeitgenössischen Quellen46 findet sich lediglich die exceptio rei iudicatae, die nunmehr an das Urteil anknüpft.47 Ähnlich wie im Kognitionsprozess ist für den Ausschluss nicht mehr die „Rechtshängigkeit“ maßgeblich, sondern das ergangene Urteil. Dennoch kann der Kläger in der Regel kein Parallelverfahren über dieselbe Streitsache (actio) beginnen. Der systematische Unterschied liegt darin, dass dieser Mechanismus nicht mehr auf einer gegen die actio gerichteten exceptio des Klägers beruht, sondern auf einem Prozessverbot.48 Mit der Befreiung von der formula werden causa actionis und Klagegegenstand freier bewertet. Mit Eintritt der Rechtshängigkeit wird der Klageanspruch nicht mehr konsumiert, womit auch die Klagenkonkurrenzen erweitert werden.49 Das Verfahren wird entformalisiert und mehr den privatrechtlichen Möglichkeiten angepasst.50
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Löwisch, Streitgegenstand, S. 27 f.; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 67. Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 18. 44 Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 90 IV.2, S. 594; Bayer, S. 595; v. Savigny, System VI, S. 307. 45 Das Justinianische Recht wird nicht von ungefähr mit einem „Trümmerfeld halbverstandener Bestimmungen“ verglichen, Dernburg, Lehrbuch, S. 275. 46 Inst. 4,13,5 mit Gai. 4, 106; D. 44,2 rubr, R. Schmidt, Klageänderung, S. 5, 202. 47 Bethmann-H., Civilprozeß III, S. 296 ff.; Wenger, Institutionen, S. 299 ff. 48 Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 94, S. 614; § 90 Fn. 17. Zeitlich wird die Litiscontestation auf den Verfahrensbeginn vorverlagert, Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 18; vgl. auch Celsus, 2.2.4 rest. 49 Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 94 II 3. Vgl. plastisch Liebs, Klagenkonkurrenz, S. 59 f.: „Der Streitgegenstand, der rechtshängig gemacht ist, wird, nachdem die Bindungen an die formula weggefallen sind, nach dem Willen der Parteien und des Richters bestimmt. Die Gefahr des Prozessverlustes durch pluris petitio wird beseitigt, auch stellt man es dem Kläger frei, seine Klage nachträglich abzuändern.“ 50 Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, S. 580 Fn. 29. 43
§ 4 Das nachklassische Verfahren
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II. Die Besonderheiten der Solutionskonkurrenz Die litis contestatio des Formularprozesses zielte nicht primär auf die Befriedigung des Klägers ab. Deswegen war die vereinzelte Annahme im gemeinrechtlichen Schrifttum, die Fälle der Aktionenkonkurrenz seien nicht durch Erweiterung der Konsumtionswirkung, sondern mittels Erfüllungswirkung gelöst worden, zum Scheitern verurteilt. Die Ersetzung des Formularverfahrens durch einen amtlichen Prozess51 war eine Folge des erstarkenden Kaisertums. Mit der Materialisierung der actio gewinnt auch der Gedanke der solutio (Erfüllung) an Gewicht. Damit wird die Konkurrenzfrage unter Justinian vom Prozessrecht stärker auf das materielle Recht verlagert.52 Der formalprozessrechtliche Vorgang verliert an Bedeutung. Entscheidend ist die Erfüllung im oder außerhalb des Prozesses. Der Umstand, dass dem Kläger nicht zweimal zugesprochen werden kann, was ihm nur einmal gebührt, wird strukturell anders gelöst als im Formularprozess. Der Justinianische Prozess führt zur Trennung von Prozessrecht und materiellem Recht in Gestalt von Konsumtion und solutio.53 Erhob der Kläger die identische Klage (actio) noch einmal, so knüpfte die Ausschlusswirkung nicht mehr an die Litiscontestation54, sondern an das Urteil in Form der exceptio rei iudicatae. Die Erhebung einer auf eandem rem gerichteten unterschiedlichen actio war hingegen nicht ausgeschlossen. Folge war die Konkurrenz mehrerer Aktionen mit selbständigen Streitgegenständen, die sich prozessual nicht berührten. Die Konkurrenzfrage wurde auf materieller Ebene gelöst. Erst die solutio bereitete einem zweiten Verfahren ein Ende.55 Die zweite Klage wurde im Falle der Befriedigung abgewiesen.56
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Hesselberger, Streitgegenstand, S. 63. Levy, Bd. I, 159 f.; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 18; Wenger, Institutionen, S. 177: „Jetzt ist die Frage der eadem res eine rein materiellrechtliche: Hängen die Obligationen so eng zusammen, dass die Tilgung der einen auch die Tilgung der anderen bedeutet?“. 53 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 65. Der doppelfunktionale Charakter der actio des klassischen Rechts wich einem mehr materiellrechtlichen Verständnis. 54 Die Formelerteilung fand nicht mehr statt. 55 Levy, Bd. I, S. 163; Wenger, Institutionen, S. 176 f., 279. Im Justinianischen Prozess hatte die eine actio auf die andere keinen konsumierenden Einfluss: „Numquam actiones (praesertim poenales) de eadem re concurrentes alia aliam consumit“, D. 50, 17, 130 = Inst. 4, 9, 1. 56 Levy, Bd. II, S. 16 f. 52
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III. Zwischenergebnis Die bisherigen Erörterungen zeigen, dass materielle Erfüllungszusammenhänge bei der Verhinderung von Parallelverfahren (Stichwort: Aktionenkonkurrenz) sowohl im römischen Formularverfahren als auch im Byzantinischen Prozess eine entscheidende Rolle spielten. Strukturell bestehen jedoch bei der Umsetzung erhebliche Unterschiede.
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§ 5 Die Bedeutung der actio im gemeinen Recht Spätestens seit dem Mittelalter nahm parallel zur Aktionenlehre die Entwicklung eines (rudimentären) Systems subjektiver Rechte ihren Anfang57, die zugleich als causa actionis dienten58, während im Prozess selbst der Antrag des Klägers (petitio bzw. intentio) stärker in den Mittelpunkt der Betrachtung rückte. Zwar werden Klageantrag und materielles Recht unterschieden, rein äußerlich wird das Verhältnis von subjektivem Recht und prozessualen Möglichkeiten aber nicht neu geformt.59 Der Kläger hatte sich und das Gericht weiter auf eine bestimmte actio (Klage) festzulegen, die stark mit materiellrechtlichen Akzenten versetzt war und das Recht beinhaltete, vom Verpflichteten einen bestimmten Erfolg mit Hilfe des Gerichts zu verlangen. Die actio fungierte jedoch zunehmend nur als Begründung der petitio. Im 16. und 17. Jh. begann die Bedeutung der actio im Prozessrecht weiter abzunehmen.60 Der Kläger hatte keine bestimmte actio mehr zu benennen und der Richter war an etwaige Angaben nicht gebunden.61
I. Die Bedeutung des Jüngsten Reichsabschieds Besondere Bedeutung für die gemeinrechtliche Entwicklung des Zivilverfahrens hatte der Jüngste Reichsabschied von 1654, wobei als Basis der sächsische und der kammergerichtliche Prozess dienten.62 Nach § 34 JRA63 existierte kein Bedürfnis mehr für den Kläger, sich durch die Angabe eines nomen actionis
57
Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, S. 39 f.; ausführlich Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 289 ff. 58 Lenze, Streitgegenstand, S. 41 f. Vgl. zum kanonischen Recht Lickleder, S. 20 ff. 59 Kaufmann, JZ 1964, 484. 60 Lenze, Streitgegenstand, S. 41 f. 61 R. Schmidt, Lehrbuch, S. 87 f., 91. 62 Lenze, Streitgegenstand, S. 35 f.; Ahrens, Prozessreform und einheitlicher Zivilprozess, S. 13, 25. 63 Die Vorschrift lautete: „Kläger solle seine Klag oder Libell nit Articuls, sondern allein summarischer weiss übergeben, darinne das Factum kurtz und nervose, jedoch deutlich und distincte, klar verfaßt und ausgeführt seye, mit angegebener Conclusion und Bitte.“ Vgl. auch R. Schmidt, Lehrbuch, S. 91.
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rechtlich festzulegen.64 Erforderlich waren lediglich die Stellung eines Antrags in der Klageschrift und ein diesen stützender Tatsachenvortrag.65 Auch war das Gericht nicht auf eine bestimmte actio festgelegt.66 Bei den Reichsgerichten wurde das überkommene Artikularverfahren und infolge auch der Kalumnieneid abgeschafft.67 Der Kläger musste sich vielmehr von Anfang an auf einen vollständigen Tatsachenvortrag konzentrieren.68,69 Das damas erstmals aufkeimende Prozessrecht war ganz und gar am großen Vorbild des materiellen Rechts orientiert, wie die Einverleibung des materiellen Klagerechtsbegriffs zeigt.70 Eine eigene prozessuale Handschrift wird nur am Beispiel weniger Systembegriffe deutlich, wie etwa der litis contestatio71 und auch der Klageschrift.72 Das Institut der Rechtshängigkeit als solches führte im gemeinrechtlichen Schrifttum im Vergleich zu den Wirkungen der res iudicata jedoch ein Schattendasein. Die Wirkungen der Litispendenz begannen nicht mit der tatsächlichen Einlassung des Beklagten auf die Behauptungen der Klageschrift, sondern bereits mit der richterlichen Mitteilung des Klagelibells an den Beklagten.73 Diese waren weitaus geringer als im klassischen römischen Recht die Wirkung der exceptio rei in iudicium deductae (vel iudicatae). Durfte dort über eine bestimmte res, sobald sie zum iudex übergeleitet war, nicht nochmals verhandelt und entschieden werden, verhinderte nun die exceptio litis pedentis nur die mehrfache parallele Verhandlung derselben Streitsache.74 Ihr Umfang ähnelte den Regeln der Solutionskonkurrenz des Justinianischen Rechts. Unzulässig war es lediglich, dieselbe actio zeitgleich anzustellen. Verhindert wurde dagegen nicht ein Prozess über alle konkurrierenden actiones de eadem re. Der Umfang der Prozesssperre war nicht an der eadem re, als vielmehr an der jeweiligen lis ausgerichtet.75 In den Mittelpunkt dieser als solche noch nicht benannten „Streitgegenstandsfrage“ rückten zwar Grund und Gegenstand der ersten actio. „Offiziell“ wurde indes weiter die actio selbst als Gegenstand des Verfahrens bezeichnet.76 64
Kaufmann, JZ 1964, 487. v. Savigny, System V, S. 147 f.; R. Schmidt, Lehrbuch, S. 91; Kaufmann, JZ 1964, 487. 66 Wetzell, System, S. 178, Lenze, S. 52. 67 Hierzu Lenze, Streitgegenstand, S. 52; Kaufmann, JZ 1964, 487. 68 R. Schmidt, Lehrbuch, S. 91. 69 Simshäuser, S. 48 f. 70 Lenze, S. 37. 71 Hierzu insbesondere Wetzell, System, S. 113 ff.; Bayer, Vorträge, S. 578 f. 72 Bayer, Vorträge, S. 525 f.; Simshäuser, S. 49; Lenze, S. 37. 73 Bayer, Vorträge, S. 559 f.; Endemann, Zivilprozess, S. 404. 74 Was unter „lis“ zu verstehen war, blieb überwiegend ungeklärt; vgl. aber Windscheid, Actio, S. 68, der von der Identität des Anspruchs spricht. 75 Löwisch, Streitgegenstand, S. 64. 76 Lenze, Streitgegenstand, S. 34. Diese actio war das gemeinsame Band von materiellem Recht und seiner prozessualen Umsetzung. Nachhaltigen, wenn auch indirekten Einfluss auf die Lösung dieser Einheit hatte das Werk Windscheids, Die Actio des römischen Zivilrechts 65
§ 5 Die Bedeutung der actio im gemeinen Recht
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II. Aktionenrechtliches Denken bei Savigny Savignys materiellrechtliches Aktionensystem hatte maßgeblichen Einfluss auf das Streit- und Rechtskraftverständnis der gemeinrechtlichen Lehre.
1. Das subjektive Recht und seine prozessuale Umsetzung bei Savigny Die Deutung der actio durch Savigny hängt eng mit seinem Verständnis des subjektiven Rechts zusammen. Savigny 77 begreift das materielle Privatrecht als System einzelner subjektiver Rechte. Dabei bedient er sich, obwohl selbst kein Anhänger der Naturrechtslehre, der von ihr ins Leben gerufenen Idee einer Gesamtordnung subjektiver Rechte.78 Das subjektive Recht selbst definiert er als die der einzelnen Person zustehende Willensmacht.79 Dabei musste dem Anliegen der historischen Rechtsschule entsprechend auch der Bedeutung der actio Rechnung getragen werden.80 Folge war die Konstruktion eines materiellen Aktionenrechts. Für Savigny ist die actio das verletzte subjektive Recht „im Zustand der Verteidigung“ gegen den Verletzer.81 Durch die Verletzung erfährt das als Kontinuum verstandene subjektive Recht seine Metamorphose zum Klagerecht (actio).82 Das subjektive Recht selbst enthält keine aktionenrechtlichen Elemente mehr83, so dass der verfahrensrechtliche Schutz, anders als bei Donellus84, kein Teil des subjektiven Rechts
vom Standpunkt des heutigen Rechts (1856). Der Einfluss Windscheids war so nachhaltig, dass der Begriff des Anspruchs, der freilich bereits in der AGO bekannt war, in das Verfahrensrecht übernommen wurde. 77 v. Savigny, System I, S. 7; hierzu Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, S. 19; Volanthen, S. 11; Lenze, Streitgegenstand, S. 37; de Boor, Gerichtsschutz, S. 14. 78 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 373 f., S. 359 f.; H. Roth, Einrede, S. 18 f., zur Einredelehre; Vossius, S. 225: „Der naturrechtliche Gedanke der Rechtsverletzung wird auch von der Historischen Rechtsschule Savignys rezipiert. Zugleich aber verknüpft die Historische Schule dieses naturrechtliche Erbe mit den Quellen des römischen Rechts; die römische actio erscheint als das verletzte Recht.“ Auf diese Metatheorie lässt sich sicherlich auch der materielle Streitgegenstandsbegriff zurückführen. Die CPO von 1877 atmet trotz Windscheids Anspruchsbegriff noch den Geist des materiellen Aktionenrechts der Historischen Rechtsschule. 79 v. Savigny, System I, S. 7, S. 331. Die Anleihen bei Kants Ethik der sittlichen Autonomie sind offenbar, Lenze, S. 38. Vgl. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 375. 80 Kaufmann, JZ 1964, 485. 81 v. Savigny, System V, S. 2 f. 82 v. Savigny, System V, S. 3; Kaufmann, JZ 1964, 488. 83 Man kann von einer prozessrechtlichen Hülle des subjektiven Rechts sprechen, Neussel, Anspruch, S. 14 f. 84 Zu Donellus ausführlich unten § 21 I 1.
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ist.85 Dieses materielle Aktionenrecht bedeutet aus heutiger Sicht86 zweifellos einen Fehler im System Savignys, setzt eine Klage doch eine Rechtsverletzung nicht zwingend voraus. Fortschrittlich im Vergleich zu späteren gemeinrechtlichen Lehren ist der Ansatz insofern, als bei diesen die actio nicht vom subjektiven Recht getrennt wird87, so dass auch dem unverletzten Recht aktionenrechtliche Elemente zugeordnet werden.88 Für Savigny entsteht durch die Verletzungshandlung ein neues Rechtsverhältnis zwischen Verletzer und Verletztem mit dem Inhalt, dass der Verletzte vom Gegner die Aufhebung der Verletzung verlangen kann.89 Dieses Klagerecht wird materiellrechtlich gedeutet.90 Die Klage im materiellen Sinne hat für ihn somit zwei Bedeutungen, Recht und Rechtsverletzung, die beide in untrennbarem Zusammenhang stehen.91 Ohne Recht sei eine Rechtsverletzung undenkbar. Umgekehrt könne ohne Rechtsverletzung das Recht nicht die besondere Gestalt einer Klage annehmen. Das materielle Klagerecht wird rein vorprozessual begriffen, während eine publizistische Deutung des Klagerechts bei Savigny noch nicht erkennbar ist.92 Sein aktionenrechtliches Verständnis kommt folgerichtig zum Ausdruck bei der Unterscheidung nach Klagegründen. Da die Klassifizierung in Leistungs-, Feststellungs-, und Gestaltungsklage noch unbekannt war, erfolgte die Differenzierung im Hinblick auf die mit der Klage zu schützenden Rechte.93 Savigny unterscheidet somit nach der Art des verletzten Rechts zwischen Klagen in personam (zum Schutze der Obligationen) und in rem. Präjudizialklagen, Vorläufer der Feststellungsklagen, ordnet er den actiones in rem zu, weil er eben von der Verletzung eines dinglichen Rechts ausgeht.94 Zum Prozessrecht selbst gehörten für Savigny nur die „auf die Herstellung des gestörten Rechtszustandes abzweckenden Formen“.95 Vertreter der Prozessrechtslehre, wie etwa Wetzell, übernahmen in der Folge diesen materiellen
85 Böcking, Pandekten, S. 501. Das subjektive Recht verfügt nur über die Fähigkeit, sich zum Klagerecht zu verwandeln. 86 de Boor, Gerichtschutz, S. 14 f. 87 Lenze, S. 44. 88 Etwa Puchta, Pandekten, § 81: actio als ein „Annex des subjektiven Rechts“; ausführlich Neussel, Anspruch, S. 14 f. 89 Neussel, Anspruch, S. 14. 90 Lenze, S. 45. 91 v. Savigny, System V, S. 5. 92 Lenze, S. 45 f. 93 v. Savigny, System V, S. 11; hierzu Simshäuser, Entwicklung, S. 54. 94 v. Savigny, System V, S. 20 f., wobei er ihre ursprüngliche prozessuale Fassung außen vor lässt. 95 v. Savigny, System V, S. 2; vgl zur Prozessökonomie und den Klagegründen System VI, Beilage XVII.
§ 5 Die Bedeutung der actio im gemeinen Recht
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Klagerechtsbegriff.96 Der Grundstein aller materiellrechtlich orientierten Streitgegenstandslehren war gelegt.97 Aus dem Zusammenhang von subjektivem Recht und dem bei seiner Verletzung entstehenden materiellrechtlichen Klagerecht (actio) ergibt sich als Konsequenz, dass nach damals wohl h.L. Streitgegenstand auch die actio war98, wenngleich Savignys Äußerungen hier nicht eindeutig sind. Denn für die Bestimmung des Bindungsumfangs der Rechtskraft hebt Savigny auf das Rechtsverhältnis in seiner Gesamtheit ab99, so dass die exceptio rei iudicatae auch auf andere, aber zielidentische actiones Anwendung fand. Über die Identität des Streites entschieden dann – wie es der Tradition der historischen Rechtsschule entsprach – Kriterien wie eadem res, die bereits im römischen Prozess gebräuchlich waren.100 Der Streitgegenstand selbst ist m.E. aber für diese Lehre deswegen enger zu fassen, weil auch nach Savigny der Richter über den konkreten Antrag und eine bestimmte actio zu entscheiden hat.101 Deswegen könnte für Savigny auch differenziert werden zwischen dem unmittelbaren Gegenstand des Verfahrens, der einzelnen actio, und einem mittelbaren Gegenstand, eadem res, der in einem erweiterten Sinne alle konkurrierenden, zielidentischen actiones in die Rechtskraft einschloss.102 Dabei wurde von Savigny bereits gesehen, dass im Prozess nur behauptete Rechte und Rechtsverletzungen von Bedeutung sein können.103 Die Rechtsverletzung sei „nur in den seltensten Fällen … eine anerkannte und zugestandene“.104 Auch wenn sich das Recht als nicht bestehend erweisen sollte, hat der Prozess somit einen Streitgegenstand.105 Das (behauptete) verletzte materielle Recht bildete den Streitgegenstand. Die Klagebitte musste, wie es Wetzell beschreibt, lediglich die Angabe eines allgemein anerkannten materiellen Rechts 96 Wetzell, System, S. 2; Bayer, Vorträge, S. 577; Simshäuser, Entwicklung, S. 149; H. Roth, Einrede, S. 140 f. Wenngleich das Aktionenrecht nach Savignys Meinung allein dem materiellen Recht zuzuordnen ist, ist die Grenze zum Prozessrecht fließend. Es müsse der Entscheidung eines jeden Bearbeiters der einen oder anderen Disziplin überlassen bleiben, „wie viel er von diesem Grenzgebiet zur vollständigen Entwicklung seiner Gedanken in Besitz zu nehmen nötig findet“, Savigny, System V, S. 2. 97 Die Frage des Streitgegenstandes selbst fi ndet im gemeinrechtlichen Schrifttum kaum Erörterung, Lenze, S. 50. 98 Vgl. auch Nikisch, Streitgegenstand, S. 20; Henckel, Parteilehre, S. 20. 99 v. Savigny, System V, S. 3; ders. System VI, S. 304: „… durch das rechtskräftige Urtheil (…) stets das streitige Rechtsverhältnis für immer festgestellt.“; Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 64. 100 Lenze, Streitgegenstand, S. 67. 101 A.A. Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 64 f.; wohl auch Lenze, S. 50. 102 So Lenze, Streitgegenstand, S. 70; Löwisch, Streitgegenstand, S. 70, 73. 103 Nikisch, Streitgegenstand, S. 14 f., hat eine Stelle bei v. Savigny insoweit fehl gedeutet, Simshäuser, S. 58. 104 v. Savigny, System VI, S. 1, 291 f. 105 Ebenso Lenze, S. 50 f.
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erkennen lassen.106 Die fehlende Notwendigkeit nach dem Jüngsten Reichsabschied, die konkrete actio zu benennen, führte nicht dazu, dass der Streitgegenstand nun durch Klageantrag und Tatsachenvortrag bestimmt wurde. Streitgegenstand war weiter die actio, welche nun einem verletzten materiellen Recht entsprach. Die Klageschrift selbst enthielt neben der Angabe des Klagegrunds (rechtlichen Grundes) eine Tatsachenschilderung und als drittes einen bestimmten Antrag.107 Diese Tatsachenschilderung bildete kein selbständiges Element des Streitgegenstands, sondern diente lediglich der Individualisierung des Klagerechts.108 Stärker als Savigny hat aber Wetzell auf die Bedeutung der Behauptung des Klagerechts hingewiesen.109 Dieser materielle Klagerechtsbegriff des Privatrechts vermochte in der beginnenden Zivilprozessrechtslehre nicht in voller Reinheit Fuß zu fassen. Vielmehr unterschieden die Prozessualisten bei der ordnungsgemäßen Klageerhebung zwischen der Behauptung eines von der Rechtsordnung allgemein anerkannten Rechts in abstracto (sog. Rechtsgrund)110 und dem Bestehen in concreto, wofür Tatsachen vorgetragen werden mussten. 111 Der Begriff der actio und des Rechtsgrunds wurden gleichgesetzt.112 Wenngleich eine Nennung des konkreten Rechtsgrundes unterbleiben konnte, musste dieser sich dennoch mit eindeutiger Sicherheit dem Klagelibell entnehmen lassen.113 Der Begriff „Streitgegenstand“ selbst ist nicht unbe106
Wetzell, System, S. 115 f.; Bayer, Vorträge, S. 526; Lenze, S. 53. Bayer, Vorträge, S. 525; Wetzell, System, S. 115 f.; Lenze, S. 53. 108 Ebenso Lenze, S. 54: „Wenn damit die in die Geschichtserzählung aufzunehmenden Tatsachen nicht allein von dem abstrakt bezeichneten Gesuch, sondern von dem konkret gewählten Rechtsgrund und damit letztlich von der actio abhingen, dann hatte der Sachverhalt keine so entscheidende Bedeutung, dass er zusammen mit dem Antrag einen zweigliedrigen Streitgegenstand bildete.“ A.A. Löwisch, Streitgegenstand, S. 90, 91, der bereits ein zweigliedriges Streitgegenstandsverhältnis erkennen will. 109 Wetzell, System, S. 2, 8, 134, 143 f.; Degenkolb, Einlassungszwang, S. 3. Mit dieser Kritik an der gedachten Einheit von subjektivem Recht und actio nimmt das Entstehen eines prozessualen Streitgegenstandsdenkens seinen Anfang. 110 Wetzell, System, S. 115; zusammenfassend Simshäuser, Entwicklung, S. 59 ff. 111 Bayer, Vorträge, S. 525 f. 112 Hierzu Kaufmann, JZ 1964, 482 f. Die Rechtsbehauptung in abstracto tritt an Stelle der actio wie sie aus der Verbindung mit Klagelibell aus der romanistisch-kanonistischen Lehre entstanden ist. 113 Simshäuser, Entwicklung, S. 59 ff.; Wetzell, System, S. 178 f. Die meisten Stimmen gehen davon aus, dass der Rechtsgrund oder entfernte Klagegrund, fundamentum agendi remotum, wie der Tatsachenvortrag oder der nahe faktische Klagegrund, fundamentum agendi proximum, stets Bestandteil eines juristischen Syllogismus sei. Beide Voraussetzungen einer richtigen Klageerhebung müssten in dem Verhältnis zueinander stehen, dass die dritte Voraussetzung einer solchen Klage (der bestimmte Antrag) mit Sicherheit aus der Subsumtion der Tatsachen unter den Rechtsgrund zu ermitteln sei, Bayer, Vorträge, S. 388 f.; Linde, Lehrbuch, S. 199 f.; abweichend Osterloh, LB II, S. 13. Vgl. auch Wetzell, System, S. 972, der meinte, es sei lediglich eine Sache der Form, wenn in der Bestimmung des § 34 des Jüngsten Reichsabschieds die Klagebitte als eine aus den Klagetatsachen gezogene Forderung erscheine. In der Klagebitte brauchte nur ausnahmsweise der 107
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kannt. So sprechen etwa Linde114 und Osterloh115 davon, dass das Urteil über den Streitgegenstand ergeht.116 Die Bedeutung der einzelnen „Klagbitte“ und damit des konkreten Klageantrags wird freilich bereits relativiert, soweit dasselbe Interesse im Streit steht. So soll keine Änderung der Klage vorliegen117 bzw. die Rechtskraft u.U. einem zweiten Verfahren entgegenstehen118, wenn trotz unterschiedlicher Klageanträge quanti ea res gefordert wird. Dies gilt für den Fall, dass der ursprünglich geforderte Gegenstand untergeht und an seiner Stelle Entschädigung verlangt wird (vgl. nun § 264 Nr. 3 ZPO). Insbesondere zeigt sich daran, dass die gemeinrechtliche Lehre moderne Streitgegenstandsfragen nicht anhand einer einheitlichen Methode beantwortete. Die aufkommende prozessuale Selbständigkeit wird insbesondere im Rahmen der Rechtskraft von materiellem Denken überlagert, so dass z.T. weiter auf den Begriff der einheitlichen obligatio abgehoben wird.119
2. Savignys Rechtskraftverständnis Die gemeinrechtliche Lehre120 hatte im Anschluss an das römische Recht ihr Augenmerk vornehmlich auf die Litiscontestation und ihre Wirkungen gerichtet.121 Die „exceptio rei iudicatae“ wurde insofern vernachlässigt, weil, wie Puchta es treffend ausdrückte, diese Frage „durch die Grenzscheidung unter Civilrecht und Prozeß zwischen die zwei Lehrstühle zu sitzen kam“.122 Dies änderte sich, nachdem F. L. Keller im Jahre 1827, inspiriert durch den sog. „Gaiusfund“123, also die Wiederentdeckung der Institutionen des Gaius, seine Arbeit „Über Litiscontestation und Urteil“ vorgelegt hatte. Erst Savigny aber gelang es als Begründer der materiellen Rechtskrafttheorie das wissenschaftliche Interesse wieder auf die Rechtskraft als die im Vergleich zur Litiscontestation be-
Entstehungsgrund zur Bestimmung ihrer „juristischen Individualität“ angeführt zu werden. Näher auch Simshäuser, Entwicklung, S. 64. 114 Linde, Lehrbuch, S. 230. 115 Osterloh, LB I, S. 217 f. 116 Wetzell, System, S. 958 f., erhebt aber grundsätzlich die Klagebitte und die Klagetatsachen zu den entscheidenden Merkmalen des (gemeinrechtlichen) Streitgegenstands. Vgl. auch Hesselberger, Streitgegenstand, S. 82, 83 f. 117 Wetzell, System, S. 956. 118 Wetzell, System, S. 582, spricht vom gleichen Rechtskraftgegenstand, wenn Objekt und Grund der Klage identisch sind. 119 Kritisch deswegen Hesselberger, Streitgegenstand, S. 85. 120 Kerameus, AcP 167 (1967), 241 f. 121 Gaul, in: FS Flume, S. 447. 122 Puchta, Rhein. Museum für Jurisprudenz 2 (1828), 251. 123 Durch Niebuhr im Jahre 1816; Gaius, Institutiones III, 180, 181 und IV, 106 ff. Näher Nörr, in: Tradition und Fortschritt, S. 82.
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Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen aktionenrechtlichen Denkens
deutendere Materie zu lenken.124 Dabei konnte Savigny auf den Erkenntnissen Kellers aufbauen, der die positiven Wirkungen der exceptio rei iudicatae neben die Konsumtionswirkungen der litis contestatio stellte. In systematischer Hinsicht ordnete Savigny die Rechtskraft als Teil des materiellen Aktionenrechts ein und nicht des Prozessrechts. Überwiegend wird mit Savignys Namen jedoch die heute abgelehnte Teilnahme der Entscheidungsgründe an der Rechtskraft verbunden.125 Ausgangspunkt für Savignys Rechtskraftverständnis126 ist die „Fiktion der Wahrheit“, die das frühere Urteil für sich in Anspruch nimmt (res iudicata pro veritate accipitur).127 Hierauf stützt er – in scharfem Gegensatz zur Konsumtion im römischen Recht – die von ihm nur in ihrer positiven Funktion anerkannte Wirkung der res iudicata.128 Der Umstand, dass die in den Gründen enthaltenen Elemente des Urteils in Rechtskraft erwachsen, lässt sich allein mit dieser Fiktion der Wahrheit aber nicht begründen.129 Auch für Savigny ist diese Fiktion eher Ausdruck der Rechtskraft als ihr eigentlicher Grund.130 Maßgeblich ist vielmehr die Entschiedenheit der Rechtssache, womit der für die Rechtssicherheit und Rechtsgewissheit unerträgliche Zustand wiederholter oder widersprechender Judikate verhindert werde.131
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v. Savigny, System VI, S. 258; A. Blomeyer, ZPR, § 88 III, Gaul, in: FS Flume, S. 445. v. Savigny, System VI, S. 389 f.; Gaul, in: FS Flume, S. 447. 126 v. Savigny, System V, S. 415, grenzte die Lehre von der Klagenkonkurrenz folgendermaßen von der Rechtskraft ab: „Der Grundsatz der Concurrenz soll verhindern, dass der durch eine Klage geforderte und zuerkannte Gegenstand noch einmal gefordert werde; der Grundsatz unserer Einrede [der Rechtskraft] soll verhindern, daß der im früheren Rechtsstreit geforderte und abgesprochene Gegenstand ferner gefordert werde.“ Diese Gegensätze zwischen beiden Instituten waren nach Ansicht von Savigny im unterschiedlichen Erfolg der früheren Klage begründet. Die Gemeinsamkeit bestand in der Identität des ersten und zweiten Rechtsstreits. Jedoch hatte die Identität bei der Rechtskraft eine ganz andere Bedeutung als im Rahmen der Konkurrenz: Das Prinzip der Klagenkonkurrenz führte zur Aufhebung des Klagerechts, wenn der Kläger seine Befriedigung erlangt hatte und zwar auch aufgrund einer anderen konkurrierenden Klage, die auf denselben juristischen Gegenstand gerichtet war. Die Lehre von der Klagenkonkurrenz hatte im Ergebnis weder mit der Rechtskraft in ihrer negativen noch in ihrer positiven Funktion etwas gemein, näher Gaul, in: FS Flume, S. 468. 127 Vgl. auch Gaul, in: FS Henckel, S. 253: Danach habe v. Savigny vor allem „die Befestigung des gerechten Urteils“ bezweckt, der die Rechtskraft diene. Das unrichtige Urteil sei hingegen als unvermeidliches Übel hinzunehmen. 128 Gaul, in: FS Flume, S. 454. 129 So aber Bülow, AcP 62 (1879), 95 ff. 130 Treffend Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 127 Anm. 4; Braun, Grundfragen der Abänderungsklage, S. 47 (auch zu Unstimmigkeiten in Savignys Lehre). 131 Savigny, System VI, S. 261 f., Zur „Entschiedenheit an sich“ – unabhängig von der Wahrheit oder Unwahrheit des Urteilsinhalts – als Geltungsgrund, Gaul, in: FS Henckel, S. 252, unter Hinweis auf die auch von Savigny in Rekurs genommene Paulusstelle D. 44, 2, 2: „Singulis controversiis, singulas actiones“. 125
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Die Rechtskraft der Urteilsgründe befürwortet Savigny aus folgenden Überlegungen: Lege man entweder die auf Verurteilung oder auf Klageabweisung lautende Urteilsformel zu Grunde, so sei diese in ihrer Abstraktion wenig geeignet, die Wirkung der Rechtskraft für die Zukunft zu sichern. Diese Wirkung besage aber, dass der Inhalt des rechtskräftigen Urteils in einem künftigen Rechtsstreit über dieselbe Rechtsfrage als wahr behandelt werden soll. Deshalb könne nach Savignys Ansicht nur das Urteil in unzertrennlicher Verbindung mit dem vom Richter bejahten oder verneinten Rechtsverhältnis rechtskräftig werden, indem „die Elemente der streitigen Rechtsverhältnisse und des (den Streit entscheidenden) Urteils“ in Rechtskraft erwachsen.132 Zur richterlichen Aufgabe gehöre es auch, das streitige Rechtsverhältnis festzustellen und die Wirksamkeit dieser Feststellung zu sichern.133 Erforderlich sei hierfür „nicht bloß die augenblickliche Abwehr äußerer Rechtsverletzung, sondern auch die Sicherung durch die in alle Zukunft fortwirkende Rechtskraft.“134 Rechtskräftig werde deswegen alles, was der Richter infolge der spruchreif gewordenen Verhandlung entscheiden wolle.135 Zur Begrenzung der Rechtskraftwirkung unterschied er zwischen objektiven und subjektiven Gründen. Nur diese objektiven Gründe, die seiner Ansicht nach Bestandteile des Rechtsverhältnisses selbst sind, nehmen als „Urteilselemente“ an der Rechtskraft teil.136 Die Folge war, dass nicht allein die Entscheidung über den durch Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch rechtskräftig werden sollte, sondern auch die Feststellungen über Präjudizialfragen bzw. Legitimationspunkte in Rechtskraft erwachsen sollten.137 Rechtskräftig festgestellt werde etwa das Eigentum des Grundstückseigentümers im Prozess über die Servitutenklage138 oder die Kapitalschuld im Prozess über die Zinsen.139
132 v. Savigny, System VI, S. 358. Auch die Verfasser des BGB schreiben noch: „Das rechtskräftige Urteil ist maßgebend für das Rechtsverhältnis der Parteien“ (zu § 191 I S. 1 E I), Motive I, S. 372. Die zweite Kommission hat den Satz jedoch nur mit Blick auf § 293 CPO (§ 322 I ZPO) als missverständlich gestrichen, Prot. I, S. 255. Eine Ablehnung in der Sache erfolgte nicht. 133 Art. 322 hlZPGB bestimmt heute noch, dass die Rechtskraft die entschiedene Frage insoweit erfasst, als das Urteil endgültig über ein durch Klage, Widerklage, Hauptintervention oder Aufrechnungseinrede geltend gemachtes Recht bzw. Rechtsverhältnis entschieden hat. Jedoch erstreckt das hellenische Recht – abhängig von der sachlichen Zuständigkeit des erkennenden Gerichts (Art. 331 hl ZPGB) – die Rechtskraft auch auf Vorfragen. Vgl. Beys, ZZP 105 (1992), 155. 134 v. Savigny, System VI, S. 358. 135 v. Savigny, System VI, S. 355, 359 f. 136 v. Savigny, System VI, S. 361. 137 Gaul, in: FS Flume, S. 473. 138 v. Savigny, System VI, S. 435 f. 139 v. Savigny, System VI, S. 451 f.; hierzu auch Gaul, in: FS Flume, S. 473.
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Zum einen ist die Rechtskraftwirkung der Urteilselemente mit der von Savigny angenommenen positiven Funktion der Rechtskraft erklärbar.140 Zum anderen ist sie Ausdruck der Tatsache, dass Savigny das gesamte einheitlich verstandene Rechtsverhältnis als Gegenstand der Rechtskraft betrachtete. Für Savigny war das Recht „weniger ein System subjektiver Rechte als ein System der Rechtsverhältnisse.“141 Hiernach zeigt sich das subjektive Recht „vorzugsweise in sichtbarer Gestalt, wenn es bezweifelt oder bestritten und nun das Dasein und der Umfang desselben durch richterliches Urteil anerkannt wird.“142 Dennoch werde hierdurch „das Wesen der Sache nicht erschöpft“, weil das entsprechende Urteil gewissermaßen nur mehr oder weniger zufällige Streitpunkte betreffe. Maßgeblich sei deswegen das Rechtsverhältnis als solches143, 140 Braun, Grundfragen der Abänderungsklage, S. 47, weist aber mit Recht darauf hin, dass sich die Konsumtionsfunktion des Urteils in versteckter Form weiter bei v. Savigny finde. Denn an der negativen Funktion der Rechtskraft habe er zumindest insoweit festgehalten, als er die Rechtskraft auf die ganze Forderung erstrecken wollte, wenn der Kläger nicht teilweise abgewiesen wurde, sondern wenn er mit einer verdeckten Teilklage voll durchgedrungen war. Vgl. Savigny, System VI, S. 301 ff.: „Jedes Urteil, worin der Beklagte auf weniger verurteilt wird, als der Kläger forderte, ist stets ein gemischtes Urteil, indem darin die Freisprechung von dem übrigen Teil der Forderung stillschweigend mit enthalten ist. In keinem Fall also kann auf diesen übrigen Teil jemals wieder geklagt werden, auch wenn derselbe in dem früheren Urteil nicht namentlich erwähnt ist. – Ja man kann sogar noch weiter gehen und jede Verurteilung überhaupt (auch ohne sichtbare Abweichung von dem Antrag des Klägers) als ein gemischtes Urteil ansehen, indem dabei der stillschweigende Zusatz hinzuzudenken ist: Ein Mehreres hat der Kläger nicht zu fordern.“ 141 So mit Recht Gaul, in: FS Flume, S. 474, unter Hinweis auf v. Savigny, System I, S. 5 f., wo sein Rechtsverständnis deutlich zum Ausdruck kommt. Ungenau hingegen die Deutung durch Kerameus, AcP 167 (1967), 252. 142 v. Savigny, System I, S. 5 ff. 143 Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 64, bezeichnet deswegen das Rechtsverhältnis als Streitgegenstand im Sinne der Lehre Savignys. Dazu passt aber nicht, wenn er kurz zuvor meint: „Die Verurteilung hat sich nach dem gestellten Antrag und dem zugrunde liegenden materiellen Recht zu richten, während die Inhaltsbindung darüber hinaus geht und den gesamten prozessualen Anspruch erfasst, den man gegenüber der Klagenkonkurrenz abzugrenzen habe.“ Sicherlich richtet v. Savigny die Inhaltsbindung am Rechtsverhältnis aus. Jedoch ist dieses m.E. nicht selbst Streitgegenstand, weil eben die Verurteilung sich an einer bestimmten actio orientiert, vgl. auch Lenze, Streitgegenstand, S. 70 f. Die Feststellungswirkung reicht somit über den Entscheidungsgegenstand hinaus. Entgegen Reischl war diese Rechtskraftweite somit keine Folge des damaligen Streitgegenstandsbegriffs. Zumindest unmittelbarer Streitgegenstand blieb die actio, während über den Begriff der eadem res eine Erweiterung des Rechtskraftumfanges auf konkurrierende, aber zielidentische actiones stattfand. Instruktiv zu dieser Fragestellung auch Münch, in: Ritsumeikan Law Review Nr. 20 (2003), 225: „… im selben Atemzug heißt er [Savigny] sämtliche Vorfragen Rechtsverhältnisse und dann doch nur Elemente eines einzigen umfassenden Rechtsverhältnisses. Insofern bleibt der genaue Fixpunkt offen: Geht es hier um den übergreifenden Streitgegenstand? Oder geht es um verselbstständigte Subsumtionsschritte auf dem Weg zur Streitentscheidung?“. Zu der Fragestellung, ob Streitgegenstand das Rechtsverhältnis oder der materiellrechtliche Anspruch ist, aus griechischer Sicht, Beys, ZZP 105 (1992), 155. Interessanterweise bezeichnet Bruns, ZPR, Rn. 230 f., auch für § 322 ZPO das Rechtsverhältnis als den eigentlichen
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„von welchem jedes einzelne Recht nur eine besondere, durch Abstraktion ausgeschiedene Seite darstellt, so dass selbst das Urteil über das einzelne Recht nur insofern wahr und überzeugend sein kann, als es von der Gesamtanschauung des Rechtsverhältnisses ausgeht.“144 Insoweit bilde das gesamte Rechtsverhältnis die Urteilsgrundlage. Bemerkenswert ist, wie Savigny und die Mehrheit der ihm folgenden Rechtslehrer mit ihrer Auslegung über geltendes Partikularrecht hinweggehen. Denn immerhin lautete § 38 der Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten: „Die Kollegia und die Urteilsfasser müssen sorgfältig Acht geben, dass überall die wirkliche Entscheidung und deren Gründe deutlich von einander unterschieden und nicht etwas, das zu der ersteren gehört, in die letzteren, noch auch umgekehrt, mit eingemischt werde, indem bloße Entscheidungsgründe niemals die Kraft eines Urteils haben sollten.“145 Im Gegensatz dazu sah § 36 vor, dass „Präjudizialfragen, wohin auch die Incidentpunkte gehören …, in dem Urteil selbst … abgemacht …“ und „bei jedem Punkte die Gründe der Entscheidung beigefügt“ werden. Savigny146 verstand die Vorschrift dahin, dass die erforderlichen Aussprüche des Gerichts über Vorfragen „dennoch in das Urtheil selbst aufgenommen und dadurch der Rechtskraft unzweifelhaft unterworfen werden sollten“ und sah in der Vorschrift nur eine Bestätitgung der von ihm vertretenen Rechtskraft der „objektiven Gründe“ des Urteils.147 Die preussische Praxis lehnte indes diese weitgehende Interpretation ab. Die entscheidende Rechtfertigung seiner Elementelehre entnahm Savigny dem Bedürfnis nach einer „künftigen Wirkung der Rechtskraft“ und der „Aufgabe des Richteramtes“.148 Dabei räumte er eindeutig logischen Argumenten den Vorrang vor der historischen Darstellung ein.149 Kerameus150 betont dabei zutreffend, dass die Einordnung der Rechtskraft durch Savigny im materiellen Recht in eine Diskussion mündete, welche die materiellrechtlichen Wurzeln nicht mehr erkennen ließ.151
Entscheidungsgegenstand: „Für den Inhalt der Entscheidung bilden Rechtsfolge und gründendes Rechtsverhältnis die kaum zerreißbare Sinneinheit.“ Trotzdem bestehe seiner Ansicht nach die Gefahr einer uferlosen Ausweitung nicht, Rn. 238. 144 v. Savigny, System I, S. 5 f. Vgl. Gaul, in: FS Flume, S. 475 f.: Erstaunlich erscheint insofern, dass Windscheid trotz der Einführung der Anspruchslehre über Savigny hinausging und nicht nur die Rechtskraft der „präjudiziellen Rechtsverhältnisse“ betonte, sondern auch die der festgestellten Tatsachen befürwortete, Actio, S. 77 f. Eine ähnlich weitgehende Feststellungswirkung kennt das US-amerikanische Prozessrecht in Gestalt der issue preclusion, unten § 13 II 1. 145 Kerameus, AcP 167 (1967), 245; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 25. 146 Savigny, System VI, S. 394. 147 Gaul, in: FS Flume, S. 474. 148 v. Savigny, System VI, S. 389 f. 149 Kerameus, AcP 167 (1967), 252. 150 Kerameus, AcP 167 (1967), 252. 151 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 27 ff., 43 ff.
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Dieser Standpunkt Savignys ist nicht in die CPO übernommen worden.152 Durchgesetzt hat sich dort vielmehr die Ansicht Ungers und Wetzells, welche die Rechtskraft auf den Urteilsausspruch begrenzen wollten. Präjudizialpunkte erwachsen somit nicht in Rechtskraft. Das Urteil könne hiernach nicht weiter reichen, „als die Absicht der Parteien gegangen ist“, und womöglich Folgen erzeugen, „deren sich die Parteien im Lauf des Prozesses vielleicht gar nicht bewusst gewesen sind.“153 Das Wörtchen „nur“ verleiht der Kernaussage von § 322 I ZPO Ausdruck: Die Rechtskraft reicht „nur“ so weit, „als über den durch die Klage … erhobenen Anspruch entschieden ist.“ Der Begriff Anspruch erscheint ebenfalls dieser engen Beschränkung der Rechtskraft auf das petitum geschuldet zu sein.154 Es war somit nicht nur Windscheids Einfluss, der sich bei der Fassung von § 293 CPO bemerkbar machte, sondern m.E. auch das praktische Bedürfnis nach einem prägnanten Abgrenzungskriterium.155 Zudem ist diese Gesetzesfassung auch Ausdruck der Dispositionsbefugnis der Parteien156 , während bei Savigny der Richter über ein bestimmtes, die Streitentscheidung bedingendes materielles Rechtsverhältnis als Ganzes entschied. Über die Grenzen der Entscheidung konnte er somit mehr oder weniger mitbestimmen. Diese Sichtweise wäre aber mit einer Prozessordnung, die wie die ZPO sich dem Schutz des subjektiven Rechts verschrieben hat, nur schwer in Einklang zu bringen. Als Konzession an Savigny und gewissermaßen als Ausgleich für die strenge Rechtskraftbegrenzung wurde den Parteien die Möglichkeit der Zwischenfeststellungsklage an die Hand gegeben (§ 256 II ZPO), was der Dispositionsmaxime entspricht.157 Die Parten selbst sollten den Umfang der Rechtskraft steuern können. Die Abgrenzungsschwierigkeiten, welche Savignys Elementelehre in der Praxis mit sich brachte, fanden während der Beratung der Reichs152 Sayigny, System VI, S. 350. Durchgesetzt hat sich im Gesetzgebungsverfahren zu § 293 CPO die wesentlich engere Auffassung Ungers, System, Bd. II, S. 615 ff., und Wetzells, System, § 47 bei Fn. 94 ff.; Hahn, Materialien II/1, S. 290 ff., S. 608 f.; Foerste, ZZP 108 (1995), 169 f. 153 Wetzell, System, S. 575 f. Allerdings deutete noch Klöppel, Die Einrede der Rechtskraft, S. 124, die Vorschrift § 293 CPO (= § 322 ZPO) so, dass „der ‚Anspruch‘ als bloß tatsächliches Ziel des Klagebegehrens nicht Gegenstand einer rechtlichen Entscheidung sein“ könne, sondern dass der Gegenstand des Rechtsstreits und der Entscheidung das Rechtsverhältnis sei. 154 Vgl. bereits Unger, System, Bd. II, S. 622 f.:„Was durch den Prozeß zur Frage (quaestio), durch das Urteil zur Entscheidung kommt, sind Rechtsansprüche.“ Demnach richte sich der Inhalt des Urteils nach dem Inhalt des Petits. Vgl. zu den Motiven des Gesetzgebers, Hahn, Materialien II/1, S. 291. 155 Auch der norddeutsche Entwurf (§ 359 I) beschränkt die Rechtskraft auf den durch die Klage erhobenen und das Urteil entschiedenen Anspruch. 156 Gaul, in: FS Flume, S. 478. 157 Hingegen hatte der Abgeordnete Struckmann folgende Neufassung von § 293 CPO vorgeschlagen: „Urtheile sind der Rechtskraft in so weit fähig, als über den durch Klage, Einrede, oder Widerklage erhobenen Anspruch und über das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses, welches ganz oder theilweise jenen Anspruch bedingt, entschieden ist“, vgl. Hahn, Materialien II/1, S. 608.
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justizgesetze ausführliche Erörterung.158 Insgesamt blieb damit der Übergang vom Aktionen- zum Anspruchsdenken unter dem Gesichtspunkt der Rechtskraft mit Schwierigkeiten belastet.159 Der bisher durch den Gedanken der Konsumtion des Klagerechts sichergestellte Schutz des Beklagten musste auf andere Art und Weise sicher gestellt werden. Der Verbrauch von Klagemöglichkeiten verträgt sich zwar mit einem System der Aktionen, aber nicht mit einer Rechtsordnung von Ansprüchen. Zwischen der Rechtskraftlehre Savignys und der auf das Stadium der Rechtshängigkeit gemünzten Kernpunktlehre des EuGH bestehen160, wie noch zu zeigen sein wird161, zweifellos Parallelen.162 Allerdings kann im laufenden Verfahren der Bedeutung des materiellen Rechtsverhältnisses zweifellos auf schonendere Weise Rechnung getragen werden, als dies bei der Bemessung der Rechtskraftgrenzen möglich ist. Denn hier droht nicht die Gefahr, dass die Parteien aufgrund einer weitreichenden Präklusions- und Bindungswirkung zu überschießendem Vortrag angehalten werden und so künstlich zur Streitaufblähung beitragen. Die Identität des Rechtsverhältnisses würde nur als Orientierungsmaßstab für den Umfang der Rechtshängigkeits- oder Klageänderungssperre dienen. Dabei gilt es auch, sich der engen Beziehung zwischen Rechtsverhältnis und Anspruch bewusst zu werden. Der Anspruch trägt zur Verfestigung des Rechtsverhältnisses bei.163 Neussel definiert ihn treffend „als eine aus der objektiven Rechtsordnung entspringende subjektive Berechtigung, die auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogen ist, in welchem die Festlegung ihres Inhalts notwendig ist.“164 Dagegen weist das Rechtsverhältnis als solches eine viel dynamischere und weniger streng abgegrenzte Komponente auf, die dem laufendenden Verfahren besser entspricht als dem Stadium der Rechtskraft.165 Die Klageerhebung leitet den „Verfestigungsprozess“ hin zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen ein, das vom Beklagten verlangt wird. Der Akt als solcher findet jedoch erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
158 Vgl. insbesondere die Stellungnahme des Abgeordneten Becker, in: Hahn, Materialien II/1, aaO.: Diese seien sowohl juristischer (wann liegt eadem causa und eadem quaestio vor?) als auch tatsächlicher Art. 159 Braun, Grundfragen der Abänderungsklage, S. 48. 160 Gaul, in: JbJZRWiss 1999, S. 9, 30; Lakkis, Gestaltungsakte, S. 202 f.: „Nur am Rande sei angedeutet, dass sich die Rechtsprechung des EuGH darauf auswirken könnte, dass eine Rückbesinnung auf das Rechtsverhältnis stattfindet, denn durch seine Kernpunkttheorie bezüglich der Identität des Streitgegenstands stellt der EuGH nicht mehr auf den punktuellen Anspruch ab, sondern auf das Rechtsverhältnis als solches.“ 161 Unten § 16. 162 Vgl. unten §§ 15, 16. 163 Neussel, Anspruch, S. 53 f. 164 Neussel, Anspruch, S. 53 f. 165 Zur dynamischen Komponente des Prozesses, Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., vor § 1 Rn. 49.
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Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen aktionenrechtlichen Denkens
durch den Richter statt.166 Ohne der Elementelehre Savignys das Wort reden zu wollen, sollte dieser materiellrechtliche Ausgangspunkt bei der Rechtshängigkeit deswegen nicht sofort Ablehnung erfahren.167
166 Neussel, Anspruch, S. 53 f.: „Die prozessuale Geltendmachung selbst löst diese Wirkungen noch nicht unmittelbar aus, denn der Zeitpunkt der Klageerhebung spielt für den Anspruch keine so große Rolle, dass eine Verfestigung des Rechtsverhältnisses notwendig wäre, wenn sie auch Wirkungen auf das Rechtsverhältnis haben kann.“ Der allerletzte Akt der Verfestigung trete aber mit Ablauf der Rechtsmittelfrist ein. 167 Näher unten § 15 f.
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Zweiter Teil:
Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO Die folgende Darstellung bleibt auf die Nachzeichnung der wichtigsten dogmatischen Entwicklungslinien der Lehre vom Streitgegenstand seit Inkrafttreten der CPO im Jahre 1879 beschränkt. Umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Meinungsbild der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts finden sich bereits in den Arbeiten von Nikisch1, Schwab2 und Habscheid.3 Dogmatische „Zentimenterkämpfe“ vergangener Jahrzehnte werden deswegen nicht im Detail nachgezeichnet, wenn sie rückblickend wenig ergiebig geblieben sind. Mehr Aufwand wird hingegen auf die jüngeren Schriften von Henckel, Rimmelspacher und Georgiades verwendet, die sich sämtlich einem materiellrechtlich orientierten Standpunkt verschrieben haben. Für den in dieser Studie hervorgehobenen Zusammenhang von Streitgegenstand und materiellrechtlichen Befriedigungsmechanismen sind vor allem deren Erfahrungssätze von Bedeutung.
§ 6 Der Einfluss Windscheids und die Vorgaben der CPO von 1877 Für die Prozessrechtswissenschaft bedeutete die materiellrechtliche Entkleidung der actio durch Windscheid 4 und die damit verbundene Auflösung der Einheit von materiellem Recht und Prozessrecht ihre eigentliche Geburtsstunde. Dabei war von Windscheid insbesondere die Überlegung Savignys angegriffen worden, dass die actio im Sinne des Klagerechts einer Rechtsverletzung bedürfe. Die actio und damit auch der Anspruch ist seiner Ansicht nach nicht lediglich ein Annex: „Sie ist nichts hinter dem Recht Stehendes, sondern anstatt des Rechtes.“5 Sie sei vielmehr im Sinne eines selbständigen Ausdrucks 1
Nikisch, Streitgegenstand, S. 5 ff. Schwab, Streitgegenstand, S. 14 ff. 3 Habscheid, Streitgegenstand, S. 18 ff. 4 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts, 1856; vgl. hierzu Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 III 1 Rn. 8; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 3 ff. 5 Windscheid, Actio, S. 3 ff. 2
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Zweiter Teil: Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO
des Rechts als gerichtlich verfolgbarer und rechtlich anerkannter Anspruch zu verstehen.6 Das subjektive Recht wird somit aus dem Begriff der actio destilliert, vom Klagerecht gesondert und der Begriff des Anspruchs geprägt.7 Mit der Eliminierung materiellrechtlicher Elemente aus der römischen actio und deren Verselbständigung im Begriff des Anspruchs gelingt es Windscheid, die theoretische Grundlage für ein neues System materieller Rechte zu schaffen. Der von den bisherigen zivilistischen Klagerechtstheorien betonte Zusammenhang von subjektivem Recht und actio ist damit unhaltbar geworden. Die verletzungsbedingte Metamorphose des subjektiven Rechts hin zum Klagerecht erweist sich damit als Trugbild.8 Der materielle Anspruch ist nichts „Abgeleitetes“, der eine Rechtsverletzung verlangen würde, sondern selbständiger Ausdruck für seine Anerkennung durch das materielle Recht.9 Der Eindruck, den die wissenschaftliche Neuschöpfung Windscheids in Gestalt des materiellen Anspruchsbegriffs hinterlassen hatte10, war so groß, dass dieser Eingang in die CPO fand. Obwohl das Zivilverfahren seinen eigenen Regeln folgte, übernahm es das „Prunkstück“ der neuen materiellen Privatrechtsordnung.11 Mit dem Anspruch des Prozessrechts war somit der Anspruch des materiellen Rechts (§ 194 BGB) gemeint.12 6
Windscheid, Actio, S. 3 ff.; ders., Abwehr gegen Muther, S. 7 f., 25. Bub, Streitgegenstand, S. 5. Das Klagerecht bzw. die actio gehört nach v. Savigny noch zur Metamorphose des subjektiven Rechts. Windscheid löste die materiellrechtliche Grundlage aus dem Begriff der actio. Das Klagerecht selbst erkennt er zwar an, schlägt es aber nicht dem materiellen Recht, sondern dem Prozessrecht zu, Windscheid, Abwehr gegen Muther, S. 26, 29. Im Unterschied zur Lehre Savignys, der das mit der Klage geltend gemachte Recht mit dem verletzten subjektiven Recht gleichsetzt, erfordert für Windscheid der Anspruch bzw. die actio nicht regelmäßig eine Rechtsverletzung, vgl. Windscheid, Abwehr gegen Muther, S. 7; vgl. hierzu insbesondere Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 17, 19; G. Wagner, Prozessverträge, S. 401. Später kam es dennoch wieder zur Annäherung von Anspruch und Klagerecht, die Windscheid im Gegensatz zu seiner früheren Linie selbst begünstigte, vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl., § 122 Anm. 5, S. 346. Vor diesem Hintergrund ist die auch heute noch umstrittene Frage zu begreifen, ob das Klagerecht Teil des materiellen Anspruchsbegriffs ist, bejahend H. Roth, ZZP 98, 287 (312); ders., Einrede, S. 305; Stein/Jonas/H. Roth, vor § 253 ZPO Rn. 121. Die Motive zum BGB, Motive I, S. 357, stellen eine gewisse Nähe zwischen Klagbarkeit und Anspruch her: „Der Begriff des subjektiven Privatrechts bedingt für das moderne Recht die gerichtliche Verfolgbarkeit. Die Klagbarkeit kann dem Anspruche fehlen, aber sie fehlt ihm nur, wenn sie ihm abgesprochen ist. Die Klagbarkeit der Rechte ist die selbstverständliche Regel.“ 8 Simshäuser, Entwicklung, S. 78. 9 Windscheid, Actio, S. 7. 10 Die actio praeiudicialis hat Windscheid allerdings später selbst als rein prozessrechtliche Erscheinung gedeutet, Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl., S. 103 f. 11 Die Rede Habscheids, Streitgegenstand, S. 20, von der „monistischen Auffassung“, die in Privatrecht und Verfahrensrecht eine Einheit erblicke, erscheint etwas übertrieben; einschränkend mit Recht Hesselberger, Streitgegenstand, S. 101, im Hinblick auf den „Nenner“ Anspruch. 12 Freudenstein, Rechtskraft, S. 71 f.; zusammenfassend: Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 212 f.; Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 500 ff., 568, glaubt hingegen, dass die 7
§ 6 Der Einfluss Windscheids und die Vorgaben der CPO von 1877
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Die gemeinrechtliche Prozessrechtslehre selbst war dieser Entwicklung nicht gewachsen. Wetzell bezeichnete noch in der 3. Auflage seines „Systems des ordentlichen Zivilprozesses“, die kurz nach der Verabschiedung der CPO erschien, die actio als Streitgegenstand des Zivilprozesses.13 Der Entwurf des Norddeutschen Bundes von 1874 bedient sich hingegen bereits des Anspruchsbegriffes. Da sich die Schöpfer der Reichsjustizgesetze der revolutionären Änderungen im materiellen Recht bewusst waren, erscheint eine unreflektierte Übernahme des Anspruchsbegriffs in die CPO nicht wahrscheinlich. Der Gesetzgeber rezipierte den Begriff vielmehr bewusst, was auch das Fehlen einer eigenständigen Definition für das Prozessrecht erklärt. Die Kohärenz der Rechtsordnungen wird zudem deutlich an einer Stelle der Motive zum BGB der Ersten Kommission: Der materielle Anspruch werde geltend gemacht, über ihn werde entschieden und die Entscheidung über ihn erwachse in materielle Rechtskraft.14 Mit Windscheid 15 ist zwar die Aufbrechung des aktionenrechtlichen Systems und seine Scheidung in materielles Recht und Verfahren verbunden. Dennoch existierten die gemeinrechtlichen Klagerechtslehren zunächst als Ausdruck des lange vorherrschenden monistischen Verständnisses von materiellem Recht und Verfahrensrecht fort.16 Die Begriffswahl der CPO von 1877 ist für die Frage des Streitgegenstands keine einheitliche. Die ZPO verwendet den Begriff des Streitgegenstands regelmäßig, wenn sie seinen Wert meint (§§ 2, 3 ZPO, § 81 ZPO). Hingegen wird dieser selbst meist mit dem Wort „Anspruch“ umschrieben (§§ 253 II Nr. 2, 322 I, 506 ZPO), der durch Klage oder Widerklage erhoben, oder nach §§ 5, 33 64, 81, 592 ZPO geltend gemacht wird, ohne hierfür eine vom BGB unabhängige Definition anzubieten. Dieser „Anspruch“ wird auch nach §§ 81, 83, 307 ZPO anerkannt.17 Er wird nach § 281 ZPO von der Rechtshängigkeit ergriffen und die Entscheidung über den „Anspruch“ erwächst nach § 322 I ZPO in Rechtskraft. In § 60 ZPO heißt es, dass Ansprüche und Verpflichtungen, in § 148 ZPO, dass ein Rechtsverhältnis den Gegenstand des Rechtsstreits bildet. Auch § 147 ZPO kennt den Gegenstand des Streites, während in § 139 ZPO hingegen vom Streitverhältnis gesprochen wird18 und in § 261 ZPO von der Streitsache, welche
Verfasser der ZPO in erster Linie das materielle Aktionenrecht Savignys als Vorlage benutzten. Im Ergebnis sind beide Einflüsse spürbar. 13 Wetzell, System, S. 37 f.; Lenze, Streitgegenstand, S. 92. 14 Vgl. Motive I zum BGB, S. 357: Der Kläger habe nach der Rechtsanschauung ein Recht und keine Klage. 15 Kaufmann, JZ 1964, 487 f. 16 Bereits Habscheid, Streitgegenstand, S. 30. 17 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 5 f.; vgl. auch Zeiss/Schreiber, ZPR, § 44 Rn. 3. 18 Löwisch, Streitgegenstand, S. 3; Habscheid, Streitgegenstand, S. 18; Schwab, Streitgegenstand, S. 2; Nikisch, Streitgegenstand, S. 41.
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Zweiter Teil: Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO
rechtshängig wird.19 Dieser Befund20 lässt daran zweifeln, ob dem Gesetzgeber bei der Begriffswahl ein Regelungsplan oblag, oder ob die Vielfalt an Begrifflichkeiten mehr oder weniger auf Zufälligkeiten beruht. Die CPO bezeichnete den Streitgegenstand ohne Ansehen der Rechtsschutzform als Anspruch 21, obgleich Wach alsbald deutlich machte, dass dies für die Klage auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses kaum gelten könne. 22 Die Begrifflichkeit passt denknotwendig nur für Leistungs- und nicht für Feststellungs- oder Gestaltungsklagen. 23 Insbesondere bei der negativen Feststellungsklage berühmt sich der Kläger keines eigenen Anspruchs gegenüber dem Beklagten. 24 Von einem für sämtliche Rechtsschutzformen gleichermaßen passenden Begriffsgebilde konnte somit keine Rede sein.25 Des weiteren erwies sich die Gleichstellung von materiellrechtlichem und prozessualem Anspruch alsbald als ungeeignet in den Fällen der Anspruchskonkurrenz. 26 Identifizierte man den prozessualen Anspruch mit dem einzelnen subjektiven Recht, konnte der Kläger nach Abweisung ungehindert neue Klagegründe vorbringen. Weiter führend war hier die Erkenntnis, dass das Privatrecht mit der Verleihung materieller Berechtigungen vor allem auf einen bestimmten Rechtserfolg abzielt und die erstrebte Leistung trotz verschiedener Anspruchsgründe (Vertrag, Delikt) dieselbe bleiben kann. 27 Die Übertragung von Windscheids materiellrechtlicher „Schöpfung“ in die CPO stellte rückblickend betrachtet einen Akt dogmatischer Unbekümmertheit dar, der heute als gescheitert gelten muss. Im Schrifttum und in der Rechtsprechung des BGH werden die Begriffe Streitgegenstand und prozessualer Anspruch zwar
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Nikisch sieht als Streitsache den prozessualen Anspruch verbunden mit dem Rechtsschutzziel an, aaO. S. 54. 20 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 f. Rn. 2 ff. 21 Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand, S. 25. 22 Wach, Feststellungsanspruch, S. 15; eingehend Hesselberger, Streitgegenstand, S. 101 ff. 23 Nikisch, Streitgegenstand, S. 41; Schwab, Streitgegenstand, S. 2; ders., JuS 1965, 82; Henckel, Parteilehre, S. 255; Beys, ZZP 105 (1992), 155, hat aber darauf hingewiesen, dass dieser Grund für das hellenische ZPGB nicht Platz greife, weil nicht an den materiellrechtlichen Anspruch, sondern an das eingeklagte materielle Recht angeknüpft werde. 24 Wach, Handbuch, S. 16; hierzu Hesselberger, Streitgegenstand, S. 101 f. Näher § 7 II. 25 Schwab, Streitgegenstand, S. 73: „Das Ziel jeder Streitgegenstandslehre muss es sein, einen einheitlichen Begriff des Streitgegenstands zu finden, der sich bei allen Klagen und bei allen Einrichtungen bewährt, für die der Streitgegenstand von Bedeutung ist.“ Ebenso Rosenberg, Lehrbuch, § 88 I 2 b. Vgl. auch Henckel, Parteilehre, S. 25: „Vielmehr muß umgekehrt der historische Ausgangspunkt Anlaß geben, den Streitgegenstand möglichst einheitlich zu fassen und von dem Leitbild des Gesetzgebers nur dort abzuweichen, wo es die prozessuale Einordnung der Rechtsschutzformen gebietet.“ Vgl. auch Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 7. 26 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 229 ff. 27 In diesem Sinne bereits R. Schmidt, Lehrbuch, S. 759. Damit war die Initialzündung für sämtliche prozessualen Lehren gegeben.
§ 6 Der Einfluss Windscheids und die Vorgaben der CPO von 1877
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gleichwertig verwendet. 28 Eine Gleichsetzung des behaupteten materiellrechtlichen Anspruchs mit dem prozessualen Anspruch wird jedoch allgemein abgelehnt.
28 Schwab, Streitgegenstand, S. 2, 185; ders., JuS 1965, 81; Habscheid, Streitgegenstand, S. 19; Nikisch, Streitgegenstand, S. 20.
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§ 7 Materiellrechtliche Streitgegenstandstheorien Trotz der früh geäußerten Fundamentalkritik fand die ausschließlich am einzelnen materiellrechtlichen Anspruch orientierte Streitgegenstandslehre29 in Rechtsprechung und Lehre bis in das 20. Jahrhundert ihre Anhänger. Durch die Gleichsetzung des Streitgegenstands mit dem materiellrechtlichen Anspruch30 wird aber die Vervielfältigung von Verfahren begünstigt, wenngleich sich diese Lehre auf den Willen des historischen Gesetzgebers berufen kann, wie § 322 I ZPO zeigt. Der Gesetzgeber der CPO folgt, obgleich er formell Windscheids Anspruchsbegriff zu Grunde legt, unausgesprochen auch noch der gemeinrechtlichen Lehre vom privaten Klagerecht, wie sie seit Savigny herrschend war.31 Dieses Recht zur Klage wird weiter als Ausfluss der Verletzung des subjektiven Rechts (nunmehr des Anspruchs) interpretiert. Der weit reichende Einfluss dieser Ansicht kommt in der Begründung zu § 230 CPO (§ 253 ZPO) noch deutlich zum Ausdruck. Den Klagegrund bilden hiernach „diejenigen Tatsachen, welche nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts an sich geeignet sind, den erhobenen Anspruch als in der Person des Klägers entstanden und zugleich als durch den Beklagten verletzt erscheinen lassen.“32 Diese Ineinssetzung des Klagegrundes mit den Tatbestandsvoraussetzungen eines subjektiven materiellen Rechts führte zu einem engen, auf den einzelnen materiellrechtlichen Anspruchstatbestand beschränkten Verständnis des Streitgegenstands.33 Auch nach § 240 CPO (§ 264 ZPO) sollte der Klagegrund den Streitgegenstand mit begrenzen. Selbst in der Begründung für die im Ersten Entwurf zum BGB noch enthaltenen Regelungen über Urteil und Rechtskraft findet sich diese Definition des Klagegrundes wieder.34 29
Kleinfeller, AcP 137 (1933), 147; das RG folgte diesem Standpunkt zunächst; zusammenfassend Habscheid, Streitgegenstand, S. 20 ff. 30 Vgl. hierzu Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor §§ 253 ff. Rn. 7 f. 31 v. Savigny, System V, S. 1 f.; System I, S. 393 f.; hierzu ausführlich Hesselberger, Streitgegenstand, S. 72 f.; Simshäuser, Entwicklung, S. 46 ff. Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 500 ff., 568, meint, dass die Verfasser der ZPO das materielle Aktionenrecht Savignys als Vorlage benutzten, ebenso Kocher, Funktionen, S. 328. 32 Hahn, Materialien II/1, S. 255; Wetzell, System, S. 144. 33 Bub, Streitgegenstand, S. 5. 34 Motive I, S. 365; Bub, Streitgegenstand, S. 6; Kocher, Funktionen, S. 317. Die Vorschläge wurden nicht übernommen, weil man der Ansicht war, dass die CPO dafür nicht der geeignete Ort sei. Abgelehnt wurde schließlich auch die Existenz, vgl. Mugdan, Materialien I,
§ 7 Materiellrechtliche Streitgegenstandstheorien
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Das rein materiellrechtlich orientierte Streitgegenstandsdenken prägte Prozesswissenschaft und Rechtsprechung in der Folge35, was sich etwa anschaulich bei den Beratungen von § 477 III BGB a.F. durch die Zweite Kommission zeigt.36 Die Unterbrechung der Verjährung, welche sich ihrerseits an der Reichweite des Streitgegenstands orientiert, wird im Grundsatz beschränkt auf den einzelnen gewährleistungsrechtlichen Rechtsbehelf. Die Vorstellungen der Zweiten Kommission waren somit von der Überlegung getragen, den prozessualen Anspruch mit dem Anspruchstatbestand des materiellen Rechts gleich zu setzen.37 In diesem Kontext wird die Diskussion, ob ein Übergang von der Wandlungs- zur Minderungsklage eine unzulässige Klageänderung darstellt, verständlich.38 Die Tatsache, dass Wandlungs- und Minderungsanspruch zumindest z.T. dasselbe Interesse verwirklichen, fand dabei nur insoweit Berücksichtigung, als das Bedürfnis erkannt wurde, eine Vervielfältigung von Prozessen in derselben Streitsache zu vermeiden. Auch das RG ließ sich zunächst von dieser am einzelnen materiellrechtlichen Tatbestand orientierten Sichtweise des Gesetzgebers der CPO inspirieren 39, von der die Emanzipation hin zu einer prozessual orientierten Konzeption nur schrittweise gelang.40
S. 512, eines materiellen Feststellungsanspruchs, welchen die Motive zur CPO für die Feststellungsklage gerade voraussetzen. 35 Nikisch, Streitgegenstand, S. 45. 36 Protokolle, Bd. II, S. 310 f.; Mugdan, Materialien II, S. 393. 37 Bub, Streitgegenstand, S. 4. 38 Protokolle, Bd. I, S. 699; Mugdan, Materialien II, S. 676. Bähr sah, um eine Prozessvervielfältigung zu vermeiden, in seinem Gegenentwurf zum BGB eine Vorschrift vor, nach der ein Übergang von der Wandelungsklage zur Minderungsklage nicht als Klageänderung gelten sollte, wenn er deswegen erfolgt, weil der Käufer die Kaufsache nicht mehr im ursprünglichen Zustand zurück geben kann, Bähr, Gegenentwurf, § 376, 2. Fall, S. 80. Dieser Vorschlag wurde aber in den Beratungen der zweiten Kommission nicht berücksichtigt, Jakobs/ Schubert, Bd. II, S. 163. Zwar wurde beantragt, einen Absatz mit dem Inhalt aufzunehmen, dass der Übergang von der Wandlungsklage zur Minderungsklage und umgekehrt nicht als Klageänderung gilt, oder die ZPO entsprechend zu ändern. Der Vorschlag wurde später aber zurückgezogen. Teilweise scheint § 240 Nr. 2, 3 CPO (vgl. nunmehr § 264 Nr. 2, 3 ZPO) als ausreichend erachtet worden zu sein. Vgl. zu dieser Diskussion auch Bub, Streitgegenstand, S. 4; auch Furtner, MDR 1958, 648 ff. 39 Vgl. etwa RGZ 27, 385 f. 40 So in RGZ 63, 268 (269); RGZ 118, 209 (210); RGZ 153, 210 (215); Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor 253 Rn. 10.
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§ 8 Die Entwicklung eines prozessualen Streitgegenstandsverständnisses I. Abstraktes publizistisches Klagerecht Vor allem Degenkolb41 erkannte die Notwendigkeit, die gedachte Identität von Klagerecht und Privatrecht aufzulösen.42 Die dem Klagerecht innewohnende Klagebefugnis war seiner Ansicht nach nicht privatrechtlicher, sondern prozessualer Natur.43 Das Klagerecht wird von Degenkolb als (abstraktes) publizistisches Recht begriffen, das sich aus dem Wesen des Prozesses selbst ergebe.44 Mit dem Einlassungszwang des Beklagten korrespondiere die Anwartschaft des Klägers auf ein Urteil. Dieser Anspruch auf Gerichtsfolge sei nicht auf ein konkretes klägerisches Privatrecht gestützt, sondern auf „das Recht darauf, dass Recht überhaupt bestehe, und auf das Recht an der Friedensbewahrung innerhalb der auf Recht und Frieden begründeten Gemeinschaft.“ Das Verhältnis des Klägers zum Beklagten wird beschrieben als „Anwartschaft auf Mithilfe dazu, dass geurteilt werden könne.“45 Anders als bei den gemeinrechtlichen Klagerechtstheorien war dieses publizistische Recht vom Bestehen des in der Klage behaupteten materiellen Rechts unabhängig.46 Dennoch bedurfte dieses – bereits vorprozessual bestehende – Klagerecht gewisser subjektiver und objektiver Voraussetzungen.47 Zur ersten gehörte die Redlichkeit des Klägers. Für die 41 Degenkolb, Einlassungszwang, S. 41 f.; vgl. auch Simshäuser, Entwicklung, S. 115 f.; Hesselberger, S. 97 ff. 42 Vgl. Degenkolb, Einlassungszwang, S. 32. 43 Einen ersten Schritt in Richtung publizistisches Klagerecht ging bereits Muther, Lehre von der Römischen Actio, S. 40 ff., in seiner Kritik an Windscheid. Dieser, Abwehr gegen Muther, S. 29, akzeptierte in seiner Erwiderung den Gedanken, wies jedoch darauf hin, dass das Klagerecht in das Prozess- und nicht das Zivilrecht gehöre, so dass für ihn in seinem Werk über die Actio kein Bedarf bestand, sich näher damit auseinanderzusetzen. Vgl. auch H. Roth, Einrede, S. 25, 295: Windscheid kennt daneben auch eine Art „materielles Klagerecht i.S. einer gegen den Anspruchsgegner gerichteten Befugnis, durch Klage zu verfolgen, was von ihm in Anspruch genommen wird.“ 44 Degenkolb, Einlassungszwang, S. 80; ähnlich Plósz, Beiträge, S. 15, 103 ff: dieses Recht sei „staatsrechtlicher Natur“; vgl auch Hesselberger, S. 97 ff. 45 Degenkolb, Einlassungszwang, S. 32 f. 46 Degenkolb, Einlassungszwang, S. 3 f., 10 ff. 47 Degenkolb, Einlassungszwang, S. 41 f.
§ 8 Die Entwicklung eines prozessualen Streitgegenstandsverständnisses
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zweite ist die rechtlich erhebliche Behauptung einer Rechtsgenussverkümmerung nötig.48 Der fortschreitende Dualismus von Prozess- und Privatrecht ist schließlich entscheidend durch die Lehre vom Rechtsschutzanspruch befördert worden.
II. Konkretes publizistisches Klagerecht: Die Lehre vom Rechtsschutzanspruch Insbesondere Wach versuchte aus der Warte des Prozessrechts ein konkretes publizistisches Klagerecht zu entwickeln, ein subjektives öffentliches Recht49, das gegen den Staat gerichtet ist und dem einzelnen Rechtsschutz verspricht. Der dogmatische Wert dieser Lehre darf rückblickend nicht zu gering eingeschätzt werden.50 Wachs Zweifel an der Begrifflichkeit des Anspruchs entzündeten sich an der Feststellungsklage.51 Zwar versuchten die Gesetzesväter in den Motiven glaubhaft zu verkünden, die Feststellungsklage beruhe auf einem materiellen Anspruch auf Anerkennung des streitigen Rechts oder Rechtsverhältnisses (vgl. auch § 256 I ZPO).52 Diese Einordnung der Feststellungsklage als Unterfall der Leistungsklage konnte jedoch die Unzuträglichkeiten der Begrifflichkeit nicht beseitigen. Wach hat dies am Beispiel der negativen Feststellungsklage exemplifiziert.53 Ein materieller Anerkennungsanspruch sei insoweit nicht denkbar, weil derjenige, der die rechtskräftige richterliche Verneinung des berühmten Rechts fordere, keinerlei eigenen Anspruch gegenüber dem Gegner geltend macht. Der telos der negativen Feststellungsklage erschöpfe sich im rechtskräftigen Ausspruch. Gleiches müsse auch für die positive Feststellungsklage gelten, der ebenfalls kein materieller Feststellungsanspruch zugrunde liege.54
48 Mit diesem Begriff knüpft Degenkolb an die Überlegungen Iherings zum Begriff des Interesses an, v. Ihering, Geist des römischen Rechts, Bd. III, § 60, S. 339 f. 49 Den Weg dazu bereitet hatten die Werke von Gerber, Über öffentliche Rechte, 1852, und Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vgl. H. Roth, Einrede, S. 294; auch Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 587. Vgl. zur Entwicklung auch Schaper, S. 43 f. 50 Detterbeck, AcP 192 (1992), 338 f.; vgl. auch bereits Kohler, ZZP 33 (1904), 211 f. 51 Wach, Feststellungsanspruch, S. 5 ff. 52 Vgl. auch Windscheid, Actio, 17; Simshäuer, Entwicklung, S. 110; insoweit wurde an die Erkenntnisse Otto Bährs in seiner Schrift „Anerkennung als Verpfl ichtungsgrund“ angeknüpft, Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 5. 53 Wach, Handbuch, S. 16. 54 Wach, Handbuch, S. 17. Des weiteren hat Wach auf die eigentliche Bedeutung der Gestaltungsklage hingewiesen, die ebenfalls auf keinen materiellen Anspruch zurückgeführt werden könnte. Die Terminologie der CPO passt auch hier nicht, K. H. Schwab, JuS 1965, 82; Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 18, 355 f.; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 102.
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Zweiter Teil: Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO
Folglich musste nach Wach die Umdeutung des als unzureichend erkannten Anspruchsbegriffes der CPO in einem publizistischen Sinne erfolgen.55 Seine Errungenschaft ist der Rechtsschutzanspruch, der „an den außerprozessualen Tatbestand angeknüpfte Anspruch gegenüber dem Staate, das Rechtsschutzinteresse in prozessordnungsgemäßer Form gegenüber dem Beklagten zu befriedigen, den Anspruch gegenüber dem Gegner, die Rechtsschutzhandlung zu dulden.“56 Wachs Rechtsschutzanspruch richtet sich gleichermaßen gegen Staat und Beklagten, wenngleich ersterer ihn allein befriedigen, der Gegner ihn zumindest gegenstandslos machen kann, indem er das Rechtsschutzinteresse des Klägers durch Leistung beseitigt.57 Im Gegensatz zu den von Wach abgelehnten abstrakten publizistischen Klagerechtstheorien58 soll der Rechtsschutzanspruch ein Anspruch im eigentlichen Sinne sein, freilich nicht geknüpft an ein subjektives Recht, sondern „selbständig in seinen Voraussetzungen“. Eine Verbindung besteht zu bestimmten außerprozessualen Tatbeständen, wobei auch Selbständigkeit in den subjektiven Beziehungen, im Inhalt und seiner Befriedigung herrsche.59 Der Rechtsschutzanspruch ist damit nach Wach ebenfalls publizistischer Natur.60 Da er aber, anders als die abstrakte Klagerechtstheorie Degenkolbs, auf ein günstiges Urteil nach Maßgabe des Privatrechts gerichtet ist, handelt es sich um ein konkretes publizistisches Klagerecht.61 Die Angleichung von Leistungs- und Feststellungsprozess führte allmählich zur Aufgabe der privatrechtlichen Klagerechtstheorien. Denn liegt von Anfang an kein materieller Anspruch vor, so kann auch keiner verletzt werden.62 Wach kann m.E. auch als früher Vertreter einer relativen Streitgegenstandslehre gelten. Seiner Ansicht nach werde in §§ 93, 253, 281, 322 I, 306, 307, 506, 537 ZPO der Rechtsschutzanspruch angesprochen und sei damit unmittelbarer Gegenstand des Zivilprozesses.63 Mittelbarer Gegenstand sei dabei das den Klagegrund bildende privatrechtliche Rechtsverhältnis.64 Für die Fragen der Klageänderung und der objektiven Anspruchshäufung hält Wach allein den ma-
55 Wach wollte den Rechtsschutzanspruch aber nicht als Klagerecht im Sinne der „publizistischen Seite des subjectiven Rechts“ verstanden wissen, Wach, Feststellungsanspruch, S. 13, 15 f.; ebenso G. Wagner, Prozessverträge, S. 405. 56 Wach, Handbuch, S. 19. 57 Wach, Handbuch, S. 21. 58 Vgl. Hesselberger, Streitgegenstand, S. 103. 59 Wach, Feststellungsanspruch, S. 15. 60 Wach, Feststellungsanspruch, S. 15. 61 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 105, 107 f.; zum Rechtsschutzanspruch auch Binder, S. 20 f. 62 Wach, Feststellungsanspruch, S. 3 f., 22 ff. 63 Wach, Feststellungsanspruch, S. 15, 24 f.; ders. ZZP 32 (1904), 32; Langheineken, Urteilsanspruch, S. 5, 52; Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 127; vgl. Simshäuser, Entwicklung, S. 125 f. 64 Langheineken, S. 45, 52, 99.
§ 8 Die Entwicklung eines prozessualen Streitgegenstandsverständnisses
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teriellen Anspruch für maßgeblich.65 Über Klageänderung und Klagehäufung entscheidet ein materieller Streitgegenstand, während den Urteilsgegenstand dagegen der Rechtsschutzanspruch bilde.66 Ein erstaunliches Ergebnis, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Rechtskraft näher am materiellen Recht liegt. Wach zählt das materielle Recht zu den Voraussetzungen des Rechtsschutzanspruches und versucht beide zu einem einheitlichen Gegenstand zu verbinden: Im Rechtsschutzanspruch, welcher das der Partei günstige Urteil bzw. die gewollte Vollstreckung zum Inhalt hatte, war als mittelbarer Streitgegenstand der materiellrechtliche Tatbestand enthalten.67 Der Rechtsschutzanspruch weist somit eine Doppelfunktion auf als publizistischer Anspruch des Klägers gegen den Staat und den Beklagten auf Erlass eines günstigen Urteils nach Maßgabe des Privat- und Verfahrensrechts.68 Die Lehre vom Rechtsschutzanspruch69 war ein Versuch, die durch Windscheid zerstörte Einheit der actio wiederherzustellen.70 O. Bülow hat dem mit Recht entgegengehalten, dass es kaum einsichtig sei, dass der Rechtsschutzanspruch bereits im Vorfeld des Verfahrens existiere, aber doch von dessen Ergebnis abhängig sei.71 Insgesamt erweist sich die Lehre vom Rechtsschutzanspruch in der Deutung Wachs als unausgegoren. Erwähnenswert bleibt der Hinweis von G. Wagner 72, dass die These, der Kläger habe unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf ein ihm günstiges Urteil, auch so verstanden werden könnte, dass der Rechtsschutzanspruch unabhängig vom konkreten Verlauf des Prozesses als unbedingtes Recht auf ein günstiges Urteil verliehen würde. Hierdurch bliebe aber zweifellos der konkrete Prozessverlauf und die Bedeutung der Präklusionsvorschriften (§ 296 f. ZPO) außer Acht. Die von Wach begründete Lehre vom Rechtsschutzanspruch betrachtete es als ihr erklärtes Ziel, die Systemeinheit von materiellem Recht und Prozessrecht wieder herzustellen. In seiner Abhandlung „Der Feststellungsanspruch“73, wenige Jahre nach seinem Handbuch erschienen74, hat Wach den Rechtsschutzanspruch dann als unmittelbaren Gegenstand des Zivilprozesses bezeichnet. An Stelle des strittigen subjektiven Rechts wird von ihm in einer späteren Abhandlung als 65 Wach, Feststellungsanspruch, 41 f.; ders., ZZP 32 (1904), 32; ders., Handbuch I, 296 f.; Henckel, Parteilehre, S. 26. 66 Henckel, Parteilehre, S. 26. 67 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 109; Simshäuser, Entwicklung, S. 125 f. 68 Zu Unrecht wurde damit der Blick weggelenkt vom Beklagten. 69 Vgl. auch Bruns, in: FS Ekelöf, S. 163 ff.: der materiellrechtliche Anspruchsbegriff sei auf den Zivilprozess zugeschnitten. Gesetzgebung, Theorie und Praxis kommen nicht um Sätze, Begriffe und Folgerungen herum, die in einer „Zuschneidung“ des materiellen Rechts auf den Prozess ihre Wurzel hätten. In diesem Sinne auch Medicus, AcP 174 (1974), 314 f. 70 So Böhm, Unterlassungsanspruch, S. 47 f. 71 O. Bülow, Klage und Urteil, S. 5 ff. 72 G. Wagner, Prozessverträge, S. 406. 73 Wach, Feststellungsanspruch, S. 15. 74 Wach, Handbuch, S. 296.
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Schutzobjekt das „schutzbedürftige privatrechtliche Interesse“ erwähnt.75 Mit der insgesamt nicht widerspruchsfreien Auffassung von Wach76 ist der Boden für die von Hellwig eingeleitete Periode bereitet.
III. Die Geburtsstunde des prozessualen Anspruchs: Die Lehre Hellwigs Im Gegensatz zu Wach erkannte Hellwig nicht das Klagerecht selbst als Streitgegenstand an.77 Die Gleichsetzung von Rechtsschutzanspruch und Streitgegenstand wurde von ihm ausdrücklich abgelehnt.78 Dies rührt daher, dass Hellwig im Gegensatz zu Wach den Rechtsschutzanspruch lediglich mit Blick auf den Staat, aber nicht auf die Parteien hin versteht.79 Das Klagerecht wird damit von der Streitgegenstandslehre ferngehalten. Prozessgegenstand ist nach Hellwig vielmehr das behauptete materielle Recht: der durch den Klageantrag bezeichnete, an das Gericht aber gegen den Beklagten gerichtete prozessuale Anspruch.80 Hellwigs Verständnis prägte die folgende Diskussion entscheidend.81 Nach Ansicht von Herbst hatte Hellwig mit diesem Begriff „auf anderem Wege als Wach erreicht, dass der von der ZPO (§§ 253, 322) verwendete Anspruchsbegriff kraft seiner neuen Bedeutung alle Rechtsschutzformen umfassen konnte, also etwa auch die Feststellungsklage, der kein Leistungsanspruch zugrunde liegt.“82 Der prozessuale Anspruch deckte sich nicht mit dem Rechtsschutzanspruch oder dem materiellrechtlichen Anspruch. Streitgegenstand war vielmehr das behauptete (konkrete) subjektive Recht: Bei der Leistungsklage war es der behauptete Anspruch, bei der Feststellungsklage das behauptete oder verneinte Recht oder Rechtsverhältnis, bei der Gestaltungsklage das (private) Recht auf Rechtsänderung gegenüber dem Beklagten. Die Lehre vom Rechtsschutzanspruch und die Lehre vom Streitgegenstand waren getrennt.83 Insoweit stimmt der mittelbare Streitgegenstand Wachs mit dem Streitgegenstand Hellwigs über75
Wach, ZZP 32 (1904), 29 f.; vgl. auch Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch,
S. 13. 76
Wach, ZZP 32 (1904), 29. Hierzu Herbst, S. 124. 78 Ähnlich auch R. Schmidt, Lehrbuch, S. 308; Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 127. 79 Simshäuser, Entwicklung, S. 125 f. 80 So Simshäuser, Entwicklung, S. 126; vgl. auch Mösbauer, S. 72. 81 Herbst, S. 124; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 115; ders., S. 137; Hellwig, Anspruch, S. 154 f., arbeitet demnach mit drei Anspruchsbegriffen (dem materiellen Anspruch, dem prozessualen Anspruch und dem Rechtsschutzanspruch). 82 Herbst, S. 282; Hellwig, Anspruch, S. 155 f. 83 Gegen die Identität von Streitgegenstand und Rechtsschutzanspruch auch Stein, ZPO, 11. Aufl., Vorbem. III a.E. vor § 253. 77
§ 8 Die Entwicklung eines prozessualen Streitgegenstandsverständnisses
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ein.84 Beide orientieren sich inhaltlich am materiellen Recht. Mit der Trennung von Rechtsschutzanspruch und Streitgegenstand durch Hellwig hat die Lehre vom Rechtsschutzanspruch ihre praktische Bedeutung verloren.85 Simshäuser 86 meint demgegenüber, dass die Lehre vom Rechtsschutzanspruch sich, wenn sie sich nicht aufgrund anderer Einsichten als unhaltbar erwiesen hätte, bis heute neben den Streitgegenstandsauffassungen hätte behaupten können, welche den prozessualen Anspruch am materiellen Recht ausrichten und die Rechtsschutzform einbeziehen. Gleichwohl hielt insbesondere Pohle auch in Folge die Gleichsetzung von Rechtsschutzanspruch und Streitgegenstand für möglich.87 So glaubte Pohle, dass der Rechtsschutzanspruch nicht den Erlass irgendeines Urteils, sondern ein Urteil mit dem vom Kläger erstrebten Inhalt zum Gegenstand habe. Mes hielt dem entgegen, dass die Lehre vom Rechtsschutzanspruch für die Bestimmung des Streitgegenstandsbegriffs nichts leiste, womit sie wertlos sei.88 Diese auch von Nikisch89 vertretene Auffassung erscheint zutreffend, da jede Streitgegenstandslehre die Aufgabe haben muss, den Umfang des zu gewährenden Rechtsschutzes im jeweiligen Verfahrensabschnitt zu bestimmen.90 Die Rechtsschutzlehre versucht lediglich die allgemeine Frage nach dem Inhalt der richterlichen Urteilspflicht zu beantworten. Ein konstruierter Zweckbegriff ist für den Umfang des Streitgegenstands jedoch wenig aussagekräftig.91 Bei der Bestimmung des Streitobjektes ist nicht die subjektive Berechtigung des Klägers gegenüber dem Staat maßgeblich. Die Verkennung der verschiedenen Aufgabenbereiche von Rechtsschutzanspruch und Streitgegenstand stellt m.E. auch 84
Herbst, S. 283. So Henckel, Streitgegenstand, S. 27; K.H. Schwab, ZZP 81 (1968), 421 ff.; Langheineken, Urteilsanspruch, S. 45, 99; G. Wagner, Prozessverträge, S. 406; vgl. insbesondere Hellwig, Anspruch, S. 157: „Mit dem Klagrecht in unserem Sinne ist der Anspruch in dem […] Sinne der CPO nicht identisch. Das Klagrecht ist das publizistische Recht, welches die CPO um des „Anspruchs“ willen, zu seinem Schutze und zu seiner Verwirklichung verleiht. Nicht dieses gegen den Staat gerichtete Recht ist Prozessgegenstand, sondern das durch den Klagantrag bezeichnete, behauptete Rechtsverhältnis.“ 86 Simshäuser, Entwicklung, S. 127 Fn. 73. 87 Pohle, in: Stein/Jonas/Pohle, ZPO, 19. Aufl, Einl. E I 3, III 1c; einschränkend ders., in: Festschrift für Segni, S. 102; anders A. Blomeyer, ZPR, § 1 III, S. 5 f. Fn. 5; kritisch hierzu K.H. Schwab, ZZP 81 (1968), 412 f., 419, 420; auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 335. 88 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 127. 89 Nikisch, ZPR, § 2 III, S. 7; K.H. Schwab, ZZP 81 (1968), 419 ff.; eingehend auch Stein/ Jonas/H. Roth, ZPO, vor §§ 253 f. Rn. 17. 90 Sie muss deswegen an den einzelnen „Prüfsteinen“, der Klageänderung, der Klagenhäufung, der Rechtshängigkeit, aber auch der Rechtskraft auf ihre Tauglichkeit hin beurteilt werden. 91 So Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 128 f.; Baumgärtel, Prozeßhandlungen, S. 94; A. Blomeyer, Festschrift für Bötticher, S. 72. Der Streitgegenstand sei die Frage nach dem inhaltlich bestimmten Klagebegehren, der Rechtsschutzanspruch hingegen die nach der Berechtigung eines solchen Begehrens im Hinblick auf die Erlangung eines Urteils. 85
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Zweiter Teil: Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO
die Lehre vom Rechtsschutzanspruch selbst in Frage.92 Ohnehin ähnelt ein auf solche Weise reduzierter Rechtsschutzanspruch dem Justizgewährungsanspruch in verdächtiger Weise.93 Detterbeck94 hat deswegen in jüngerer Zeit die Gleichsetzung von Rechtsschutzanspruch und Streitgegenstand auf überzeugende Weise abgelehnt. Der entscheidende Einwand rührt seines Erachtens daher, dass mit der Gleichsetzung von Rechtsschutzanspruch und Streitgegenstand der Blickwinkel zu sehr auf das Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Staat verengt werde.95 Der Rechtsschutzanspruch hat zwar das Recht der Parteien zum Inhalt, vom Staat den Erlass eines richtigen oder günstigen Urteils zu verlangen. Jedoch wird in der Tat nicht in erster Linie hierüber gestritten. Denn der Streitgegenstand betrifft als prozessualer Anspruch vornehmlich ein materielles Begehren des Klägers96 , auch wenn hiermit nicht der materiellrechtliche Anspruch des Klägers gemeint sein kann. Entscheidend ist damit der Anspruch des Klägers auf eine konkrete Leistung oder ein Verhalten des Beklagten und nicht der Anspruch des Klägers auf ein richtiges oder günstiges Urteil.97 Danach dient der Rechtsschutzanspruch aber der gerichtlichen Durchsetzung des prozessualen Anspruchs.98 Der Rechtsschutzanspruch wird von ihm daher als das staatsgerichtete Komplementärinstitut zur urteilsförmigen Bewehrung des prozessualen Anspruchs bezeichnet. Der eigentliche Verdienst der Lehre vom Rechtsschutzanspruch bestehe darin, dass die öffentlich-rechtlichen Bezüge des „eigenartigen prozessualen Dreiecksverhältnisses“ in anschaulicher Form verständlich gemacht werden.99 Angesprochen ist damit die noch zu klärende Frage, an wen sich der prozessuale Anspruch in erster Linie richtet100: an den Staat oder an den Gegner. Ansonsten bleibt zu konstatieren, dass die Bedeutung des Rechtsschutzanspruchs für die Konturierung des Streitgegenstands im Weiteren vernachlässigt werden kann.
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A.A.: Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 129. G. Wagner, Prozessverträge, S. 407. 94 Detterbeck, AcP 192 (1992), 338 f. 95 So bereits Hesselberger, Streitgegenstand, S. 128. 96 So auch Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 128; Herbst, S. 302. 97 „Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Adressat des prozessualen Anspruchs nicht (auch) das Gericht sein könnte: Auch wenn der prozessuale Anspruch das Verhältnis zwischen den Parteien betrifft, kann er sich dergestalt gegen das Gericht richten, dass es über dieses Verhältnis entscheiden soll. Bei dieser Sichtweise räumt der prozessuale Anspruch dem Kläger aber kein subjektives öffentliches Recht gegen das Gericht auf eine günstige Entscheidung ein. Dies ist vielmehr Inhalt des Rechtsschutzanspruchs“, Detterbeck, AcP 192 (1992), 339; ders., Streitgegenstand, S. 30 f. 98 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 128; Herbst, S. 316 f. 99 Vgl. Kollhosser, Zur Stellung und zum Begriff des Verfahrensbeteiligten, S. 64. 100 Vgl. § 20. 93
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IV. Die Lehre von Lent: Die konkrete Rechtsbehauptung Ähnlich wie Hellwig befürwortete vor allem Lent eine am materiellen Recht orientierte Sichtweise, die den Streitgegenstand zwar nicht mit dem materiellen Anspruch gleichsetzte, aber doch maßgeblich an ihm ausrichtete.101 Im Sinne dieser konkreten Rechtsbehauptung führten mehrere materielle Ansprüche auch zu einer Mehrheit von Streitgegenständen.102 Ebenso wie Hellwig hält auch Lent einen prozessualen Anspruchsbegriff für unabdingbar.103 Anders als später Nikisch bemisst er diesen aber nicht anhand einer abstrakten, sondern noch an einer konkreten Rechtsbehauptung.104 Der Richter sei bei der Prüfung auf die vom Kläger konkret bezeichnete Rechtsfolge beschränkt.105 Maßgeblich sei somit nicht ein Recht bestimmten Inhalts, sondern ein „konkretes“ Recht.106 Gegen die hiermit verbundene Vervielfältigung von Streitgegenständen hat insbesondere Rosenberg107 massive Kritik geäußert. Lents stark am materiellen Recht orientiertes Verständnis wird etwa in dem Fall deutlich, dass der Kläger aufgrund von Mängeln der gekauften Sache Schadensersatz verlangt und der behauptete und erwiesene Tatbestand für diesen Anspruch nicht ausreicht, sondern nur die Minderung rechtfertigt. Das Gericht könne sich hier auf die Abweisung der Klage beschränken und müsse nicht stattdessen auf Minderung erkennen. Des weiteren sei es dem Richter verwehrt, bei einer Herausgabeklage, die auf ein Erbrecht gestützt werde, im Hinblick auf ein Vermächtnis des Erblassers zur Übereignung der herausverlangten Sache zu verurteilen.108 Eine Ausnahme bildeten lediglich Fälle der Gesetzeskonkurrenz, bei denen bereits auf materieller Ebene nur ein Recht existiere.109 Später wurde 101 Lent, Gesetzeskonkurrenz, Bd. II, S. 21; ders., ZZP 57 (1933), 1 ff.; ders., JW 1935, 3439 ff.; ders. ZZP 63 (1943), 3 ff.; ders. ZZP 65 (1952), 315 f.; zu Lent bereits ausführlich Habscheid, Streitgegenstand, S. 67 ff.; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 137 ff.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 20 f.; Schwab, Streitgegenstand, S. 11 ff.; Mösbauer, S. 72. 102 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 140 f. 103 Beide sprechen von der Rechtsbehauptung. Habscheid, Streitgegenstand, S. 64 f., sieht darin zwischen materiellen und prozessualen Vorstellungen vermittelnde Lehren; vgl. auch Georgiades, Streitgegenstand, S. 115. 104 Vgl. hierzu Henckel, Parteilehre, S. 256. 105 Nur auf den ersten Blick deckt sich Lents Verständnis mit der prozessualen Lehre Rosenbergs: „Nach meiner Auffassung ist die Rechtsbehauptung des Klägers durch Sachverhalt und Antrag stets individualisiert“, Lent, ZZP 57 (1933), S. 12 vor Ziff. 2; Rosenberg, ZZP 57 (1933), 79. 106 Eingehend Hesselberger, Streitgegenstand, S. 139. 107 Rosenberg, ZZP 57 (1933), 80. 108 Rosenberg meint dagegen zu Recht, dass in jedem Fall nur ein Prozessgegenstand vorliege. Rosenberg, ZZP 57 (1933), 82. 109 Ein Beispiel bildet das Verhältnis von § 823 I zu II BGB oder zu § 826 BGB, vgl. Lent, ZZP 57 (1933), 58.
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dieser Gleichlauf zum materiellen Recht von Lent selbst abgeschwächt.110 Bei Anspruchskonkurrenz liege trotz verschiedener materieller Ansprüche im Ergebnis doch nur ein prozessualer Anspruch vor, wobei der Kläger den Streitgegenstand willentlich auf einzelne Ansprüche beschränken könnte. Anspruchskonkurrenz sei anzunehmen, wenn mehrere selbständige materielle Ansprüche bestehen, „die sich zumindest im wesentlichen, wenn nicht völlig im Inhalt gleichen, also praktisch auf das gleiche Ziel sich richten und daher mit der Erfüllung eines von ihnen sämtlich erlöschen.“111 Der Sachverhalt dient sowohl bei Hellwig als auch bei Lent lediglich zur Festlegung (Individualisierung) der konkreten Rechtsbehauptung und ist damit von untergeordneter Bedeutung.112 Zum eingliedrigen Prozessgegenstand in Gestalt der Rechtsbehauptung rechnet der Sachverhalt aber nicht.113 Der Kläger muss im Übrigen diese konkrete Rechtsfolge nicht rechtlich qualifizieren. Dies ist vielmehr Aufgabe des Richters. Insofern erfährt der Streitgegenstand eine Veränderung hin zum Entscheidungsgegenstand, der im Sinne des durch den Richter aus der Rechtsfolgenbehauptung des Klägers herauskristallisierten materiellen Rechts verstanden wird.114 Diese Lehre Lents führt im Prozessverlauf zu unmöglichen Ergebnissen115, gilt es doch eine Vervielfältigung von Prozessen und Leistungstiteln durch Kunstgriffe verschiedenster Art zu vermeiden. Schlagendes Argument dürfte jedoch sein, dass der Kläger im Ergebnis nicht um einzelne konkrete Rechtsfolgenbehauptungen streiten will, sondern an einer einzigen positiven Entscheidung über die gesamte von ihm begehrte Rechtsposition interessiert ist. Die Lehre von der konkreten Rechtsbehauptung ist damit abzulehnen.116
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Lent, ZZP 65 (1952), 334 ff. Lent, ZZP 65 (1952), 333. 112 Lent, ZZP 63 (1943), 4; vgl. auch ders., JbAkDR 1939/40, 208 f; ders., ZAkDR 1939, 397 ff. . 113 Hellwig, Wesen und subjektive Begrenzung, S. 11. 114 Lent, ZZP 72 (1959), 73 ff. Vgl. näher unten § 29 V. 115 Vgl. Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 115 f. 116 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 140. Im Übrigen sei auf die Ausführungen von Schwab, Streitgegenstand, S. 11 f., verwiesen. Schnorr von Carolsfeld, in: FS Lent, S. 258, glaubt hingegen, dass es nicht störe, wenn bei Zugrundelegung seines streng materiellrechtlich orientierten Begriffes eine Vielzahl von Streitgegenständen entstünde, die auf verschiedene rechtliche Erwägungen (Vertrag, unerlaubte Handlung und Geschäftsführung) gestützt würden, aber doch alle auf dasselbe wirtschaftliche Interesse gerichtet seien. 111
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§ 9 Prozessuale Streitgegenstandslehren I. Die Bedeutung des Klageantrags 1. Die abstrakte Rechtsbehauptung: Die Auffassung von Nikisch Nikisch zählt zu den bedeutendsten Protagonisten einer prozessualen Streitgegenstandslehre. Er erkennt an, dass der prozessuale Anspruch eine Erscheinung des Verfahrensrechts ist und betont dabei die Bedeutung des Klageantrags als Ausgangspunkt.117 Die Abkehr von den älteren materiellrechtlich orientierten Ansätzen wird somit deutlich. Nikisch versteht unter dem Streitgegenstand „die Rechtsbehauptung, über die der Kläger eine der Rechtskraft fähige Entscheidung begehrt.“118 Auf den ersten Blick scheint er sich mit dieser Definition nicht allzu sehr von der Auffassung Lents oder Hellwigs zu unterscheiden. In der Sache besteht allerdings ein großer Unterschied, da seine Rechtsbehauptung einer abstrakten Rechtsfolgebehauptung entspricht, die sich am Klageantrag orientiert.119 Hingegen hatte Lent den Streitgegenstand noch mit dem konkret behaupteten materiellen Recht identifiziert. Indem Nikisch auf die Rechtsbehauptung abstellt, wendet er sich zudem gegen alle publizistischen Tendenzen, die das Rechtsschutzbegehren gegenüber dem Gericht in den Mittelpunkt rücken wollen. Für ihn ist das Recht auf staatlichen Rechtsschutz ähnlich problematisch wie der Rechtsschutzanspruch. Die Verfasser der ZPO hätten als Streitgegenstand den materiellrechtlichen Anspruch des Klägers gegen den Beklagten bezeichnet, welchen der Beklagte mit der Wirkung anerkennen könne, dass das Gericht ihn als bestehend anzusehen habe (§ 307 ZPO). Dies könne für einen gegen den Staat gerichteten Anspruch nicht gelten. Nikisch bemühte sich vor allem in seiner späteren Schaffensperiode, Fälle auszusondern, bei denen keine echte Anspruchskonkurrenz vorliege, sondern 117 Hierzu Lüke, in: FS Ishikawa, S. 241 f.: Nikisch wende sich einerseits gegen die Gleichsetzung des materiellen Anspruchs mit dem prozessualen, andererseits gegen die Auffassung, welche das Begehren mit dem Streitgegenstand gleichsetzt. Im Ergebnis vertritt Nikisch einen zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff, Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 31: Zweigliedrig sei er nach Nikisch bei der abstrakten Rechtsfolgebehauptung. Bei den wenigen Fällen einer konkreten Rechtsbehauptung (etwa bei der Feststellungsklage) sei der Sachverhalt hingegen entbehrlich. 118 Nikisch, Streitgegenstand, S. 19; ders., ÖJBl 1955, 261 f. 119 Näher Hesselberger, Streitgegenstand, S. 152.
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trotz mehrerer rechtlicher Grundlagen nur ein einziger materiellrechtlicher Anspruch.120 Entscheidend sei hierfür, dass die verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkte, die der Sachverhalt vermittle, als gleichwertig gelten könnten, ohne dass einem der Vorrang gebühre. Dieser Ansatz versöhne die zivilrechtliche Dogmatik wieder mit dem Prozessrecht. Damit sei auch der rechtlich mehrdeutige Sachverhalt zu lösen, dass der Schuldner zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers diesem gegenüber eine neue Verbindlichkeit erfüllungshalber übernimmt (§ 364 II BGB).121 Im „Kaufpreis-Wechsel-Fall“ etwa stellt der Käufer, welcher den Kaufpreis nicht sofort begleichen kann, dem Verkäufer einen Wechsel in entsprechender Höhe aus, womit dieser seinen Zahlungsanspruch auf zwei selbständige Klagegründe zu stützen vermag.122 Hier nimmt Nikisch echte Anspruchskonkurrenz an, weil die Unterschiede bereits im materiellen Recht selbst angelegt seien. Zwar müsse die Ausstellung des Wechsels nicht immer als selbständiger Lebensvorgang erscheinen. Jedoch mache das Gesetz deutlich, dass der Anspruch aus dem Wechsel mit dem Anspruch, den der Wechsel befriedigen soll, nicht identisch sei. Dass die Rechtskraft eines den Wechselanspruch abweisenden Urteils dem Verfahren hinsichtlich der Kaufpreisforderung nicht entgegenstünde, sei niemals bestritten worden.123 Dies sei aber nur mit der Annahme einer Anspruchsdivergenz erklärbar. Insoweit übt er auch Kritik an der Auffasung von K.H. Schwab124, der im Fall der Rechtshängigkeit beider Ansprüche von deren Identität ausgeht. Die Rechtshängigkeit könne die Erhebung der zweiten Klage so wenig hindern wie die Rechtskraft, wenn über den zweiten Anspruch schon entschieden worden sei. Zu verhindern gelte es lediglich eine doppelte Vollstreckung, soweit der Kläger in beiden Prozessen obsiege: Zahle der Beklagte im ersten Prozess, sei der zweite für erledigt zu erklären. Die Tatsache, dass der Kläger doppelte Prozesskosten zu tragen habe, sei nicht zu beanstanden, weil er beide Ansprüche bestritten habe. Fraglich werde die Situation erst, wenn die Ansprüche in einer Klage geltend gemacht würden. Da beide Ansprüche nicht nur inhaltlich übereinstimmten, sondern auch wirtschaftlich auf dasselbe Ziel gerichtet seien, könne er nur einen Klageantrag gestellt haben. Denn der Kläger sei materiellrechtlich auch nur ein120
Nikisch, AcP 154 (1954), 282; hierzu auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 31. Die Erkenntnis, dass ein und derselbe Anspruch unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten begründet sein kann, ist vor allem der Verdienst Rosenbergs. 121 Nikisch, AcP 154 (1954), 283. Insoweit sei es Sache der Prozessualisten, ihre Theorie dem materiellen Recht anzupassen und eine Mehrheit prozessualer Ansprüche dort anzuerkennen, wo unzweifelhaft mehrere auf das gleiche wirtschaftliche Ziel gerichtete privatrechtliche Ansprüche vorlägen. 122 Vgl. hierzu Grunsky, Grundlagen, § 5 II 1, S. 22. 123 Nikisch, AcP 154 (1954), 283 f.; Schwab etwa kommt zu diesem Ergebnis nur, weil er annimmt, das Gericht habe über diesen Sachverhalt noch nicht entschieden. Hingegen will Rüßmann, ZZP 113 (1998), 405 f. in diesem Fall auf die ne bis in idem-Sperre zurückgreifen. 124 Vgl. hierzu unten § 9 III.
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mal berechtigt, die Leistung zu verlangen. Das Gericht dürfe dem Antrag folglich nur einmal stattgeben. Da der Kläger die Leistung aufgrund unterschiedlicher Entstehungsgründe verlange, verfolge er unterschiedliche Ansprüche in alternativer Häufung.125 Bei Gestaltungsklagen will Nikisch dem in der ZPO verwendeten Begriff eine weitere materiellrechtliche Bedeutung zuweisen. Streitgegenstand könne hier nur das vom Kläger behauptete und mit der Klage geltend gemachte Gestaltungsrecht sein.126 Dies werde auch durch den Wortlaut des § 322 I ZPO bestätigt, wonach sich die materielle Rechtskraft auf den mit der Klage erhobenen Anspruch, also das mit ihr verfolgte Recht und nicht auf ein Begehren beziehe. Anspruch sei somit das Gestaltungsrecht, das der Gestaltungsklage inne wohne und das durch einen Tatsachenkomplex individualisiert werde.127 Dieser werde aber nicht bereits durch das Rechtsverhältnis, auf das er sich beziehe, ausreichend bestimmt.128 Käme es auf den Grund des Anspruchs nicht an, wäre Streitgegenstand die „nackte Behauptung“ des Klägers, ein Recht auf die beantragte Gestaltung zu haben. Dass aber Alttatsachen durch die Rechtskraft des Urteils abgeschnitten würden, auch wenn diese dem Gericht nicht unterbreitet wurden, weil sie nicht bekannt waren, sei offensichtlich nicht die Meinung des Gesetzgebers. Eine solch weitgehende Rechtskraftpräklusion könne nicht die Regel sein. Der mit der Gestaltungsklage erhobene Anspruch dürfe von seinem Entstehungsgrunde nicht losgelöst werden.129 Im Übrigen sei nicht zu übersehen, dass „die verschiedenen Vorgänge oder Umstände, von denen jeder für sich allein vielleicht ausreichen würde, das Gestaltungsrecht zu begründen, wenn sie zusammentreffen, nicht selbständig nebeneinander stehen, sondern sich gegenseitig ergänzen und den Gesamttatbestand darstellen, aus dem der Kläger sein Recht ableitet.“130 Ansonsten würde im Falle der Klagehäufung mehrmals das Recht zur Gestaltung desselben Verhältnisses erworben. Werden sie nebeneinander geltend gemacht, ergänzen sie sich. Deshalb liege auch keine Klageänderung vor, wenn dies nacheinander geschehe. Jeder Klagegrund, wird er für sich selbst eingeklagt, kann aber nebeneinander geltend gemacht werden, ohne dass die Gefahr 125
A.A. (nur ein Streitgegenstand bei gleichzeitiger Geltendmachung) noch Nikisch, Streitgegenstand, S. 91 f. Anders: Nikisch, AcP 154 (1954), 286: „Wenn man zu einem dogmatisch einwandfreien, einheitlichen Begriff des Streitgegenstands gelangen will, ist es unerlässlich, im Einklang mit dem bürgerlichen Recht und in Übereinstimmung mit dem, was sich für die Rechtskraft, die Rechtshängigkeit und die Klageänderung ergeben hat, eine Anspruchshäufung anzunehmen, falls die konkurrierenden Ansprüche gleichzeitig in einer Klage geltend gemacht werden.“ 126 Nikisch, Streitgegenstand, S. 289. 127 Nikisch, Streitgegenstand, S. 289. 128 So Bötticher, in: FG Rosenberg, S. 90. 129 Nikisch, Streitgegenstand, S. 291. 130 Nikisch, aaO.
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widersprüchlicher Entscheidungen bestünde. Der Rechtshängigkeitseinwand treffe eine zweite Klage jedoch nicht.131 Nach rechtskräftiger Abweisung der auf einen bestimmten Grund gestützten Gestaltungsklage sei eine zweite auf einen anderen Grund gestützte Gestaltungsklage nicht ausgeschlossen. Desweiteren zählt Nikisch die Rechtsschutzform nicht zum Streitgegenstand. Weil Streitgegenstand seiner Ansicht nach nur die Rechtsbehauptung des Klägers sei, bleibe dieser im Falle eines Übergangs von der Feststellungs- zur Leistungsklage identisch.132 Gegen die Lehre von Nikisch hat insbesondere Bötticher 133 massive Bedenken erhoben. Er betont zum einen, dass die Rechtsschutzform Teil des Streitgegenstands sein müsse. Gegenstand der Scheidungsklage als Gestaltungsklage sei nicht die bloße Feststellung des Scheidungsrechts, sondern nur dessen Verwirklichung durch Urteil. Streitgegenstand sei damit das Scheidungsbegehren nicht seinem Grunde, sondern seinem Ziele nach. Wenn Nikisch134 hiergegen Stellung beziehe, so werde deutlich, dass er seine These bei der Gestaltungsklage nicht aufrechterhalten könne. Aber auch bei den Klagen auf Verurteilung und Feststellung sei der Streitgegenstand nach dem begehrten Rechtsschutzziel auszurichten, d.h. darauf abzustellen, welchen Inhalt das angestrebte Urteil haben soll. Allein um den Urteilsinhalt drehe sich doch der Streit der Parteien. Das Aufstellen von Rechtsbehauptungen erfolge nur, um zu begründen, dass das vom Kläger oder vom Beklagten beantragte Sachurteil ergehen müsse, und sei als solches nur Mittel zum Zweck. Auch aus § 307 ZPO lasse sich nicht zwingend etwas für die Rechtsbehauptung und gegen den Begriff des Rechtsschutzbegehrens ableiten. Habe der Kläger eine Leistungsklage angestrengt, so ergehe auch das Anerkenntnisurteil als Leistungsurteil und nicht etwa nur dahin, dass die Rechtsbehauptung des Klägers festgestellt werde. Auffällig ist darüber hinaus, dass Nikisch seine Begrifflichkeit je nach Prozesssituation verändert. Insbesondere im Rahmen der Gestaltungsklage wird deswegen der Umfang der Klageänderungssperre und der Anspruchshäufung nicht einheitlich gehandhabt. Trotz der teilweise berechtigten Kritik muss Nikischs Lehre von der abstrakten Rechtsbehauptung heute als Meilenstein auf dem Weg zu einer konsistenten prozessualen Streitgegenstandslehre bezeichnet werden. Freilich war 131 Die Gefahr doppelter Verurteilung bestehe, anders als bei Leistungsklagen, nicht, weil im zweiten Prozess Erledigung eintrete. Für die zweite Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis. 132 Für die Rechtshängigkeitssperre interpretiert er jedoch die Identität der Streitsache gerade unter Einschluss der Rechtsschutzform, so dass die Rechtshängigkeit der Feststellungsklage eine nachfolgende Leistungsklage nicht ausschließe, Nikisch, Streitgegenstand, S. 54; abweichend aber ders., AcP 154 (1954), 277; hierzu Lüke, in: FS Ishikawa, S. 247. 133 Bötticher, in: FG Rosenberg, S. 90. 134 Nikisch, Streitgegenstand, S. 46 f.
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Nikisch mit der Betonung der Rechtsbehauptung des Klägers noch wesentlich näher am materiellen Recht orientiert als Rosenberg und Schwab.
2. Das Klagebegehren Der prozessuale Anspruch wird von Rosenberg mit dem Klagebegehren gegenüber dem Gericht auf Vornahme einer gerichtlichen Handlung gleichgesetzt, „das mit den Begriffen des bürgerlichen Rechts nicht wiedergegeben werden kann.“135 Die Begriffe „Rechtsbehauptung“ bzw. „konkrete Rechtsbehauptung“ bezeichnet Rosenberg in Reaktion auf Lent als verschwommen136, obgleich er diese selbst noch in der 2. Auflage seines Lehrbuchs zum Zivilprozessrecht verwendet.137 Den Streitgegenstand definiert er dort „… als das auf rechtskraftfähige Feststellung einer Rechtsfolge gerichtete Begehren, das durch den gestellten Antrag und den zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalt gekennzeichnet wird.“138 An seiner rein prozessualen Sichtweise lässt er keinen Zweifel: „Die Bestimmungsmerkmale des Anspruchs im prozessualen Sinne habe ich … gefunden in dem Antrag, der erkennen läßt, was der Kläger mit der Klage erreichen will, und dem Sachverhalt oder dem geschichtlichen Vorgang, durch den der Kläger den Antrag begründet.139 Das entspricht einer rein prozessualen Betrachtungsweise und vermag allein dem unbestrittenen Satze ‚iura novit curia‘ die Herrschaft zu sichern…“140. 135 Rosenberg, ZZP 49 (1925), 38 f.; ZZP 57 (1933), 79; ders., Lehrbuch des Zivilprozessrechts, 3. Aufl. (1931) § 88 II 2, S. 274. 136 Rosenberg, ZZP 57 (1933), 77. 137 Rosenberg, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 49, S. 250. 138 Rosenberg, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 252: Die Bestimmungsmerkmale des Streitgegenstands, der Klageantrag und der vorgetragene Sachverhalt seien identisch mit dem durch § 253 II ZPO vorgeschriebenen Inhalt der Klageschrift. Vgl. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 19. 139 Nach Rosenberg, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 256, liege eine objektive Klagenhäufung vor, wenn der Kläger entweder mehrere Sachverhalte vortrage oder mehrere Anträge stelle. Keine Klageänderung will er etwa annehmen, wenn der Kläger zuerst aus einem Kaufvertrag auf Schadensersatz geklagt hatte und dann das Gericht, das die Nichtigkeit des Kaufvertrages feststellt, aus ungerechtfertigter Bereicherung verurteilt. 140 Rosenberg, ZZP 57 (1933), 79. Vgl. aber auch ders., Lehrbuch, 2. Aufl., S. 249. „Der Anspruch der ZPO ist demnach – und darüber besteht heute kein Zweifel mehr – ein rein prozessualer Begriff und überhaupt kein subjektives Recht, ähnlich der Einrede, die im BGB ein Recht, in der ZPO ein Tatbestand ist.“ Nach Rosenberg begreift die ZPO das Wort Streitgegenstand in einem dreifachen Sinne. Zum einen sei darunter in einigen Vorschriften das Recht oder Rechtsverhältnis zu verstehen, über das geurteilt werden soll (das Streitverhältnis). Zum anderen sei damit der prozessuale Anspruch im Sinne des Begehrens zu verstehen. Schließlich verstehe die ZPO darunter, vor allem bei den Zuständigkeitsvorschriften, das Objekt dieses prozessualen Anspruches. In der Festgabe für Richard Schmidt, S. 259 f., verdeutlicht Rosenberg zudem das Zusammenwirken von Kläger und Richter: Zwischen beiden bestehe Arbeitsteilung dergestalt, dass der Kläger durch den Antrag und tatsächliche Angaben sein prozessuales Ziel zu erkennen gebe, während der Richter durch Anwendung des objektiven Rechts
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In der Frage der Gleichwertigkeit des Sachverhalts war Rosenberg aber stets schwankend. Da der Klageantrag das Begehren erkennen lasse, komme diesem seiner Ansicht nach das Übergewicht zu, insbesondere, wenn bei einer Leistungsklage oder Feststellungsklage nicht das ganze materiellrechtliche Recht zum Gegenstande des Antrags erhoben werde.141 Präjudizielle Rechtsverhältnisse würden nur durch einen besonderen Antrag rechtshängig (§ 256 I, II ZPO). Gegenstand des Rechtsstreits bei Feststellungsklagen sei zudem das Rechtsverhältnis, z.B. das Eigentum, als solches, wie es durch den Klageantrag zur Entscheidung gestellt werde und nicht nur insoweit, als es durch den vorgetragenen Sachverhalt zu begründen versucht werde. Eine Beschränkung des Klageantrags auf Feststellung des aus dem geltend gemachten Erwerbsgrund entstandenen Rechtsverhältnisses sei unzulässig, da die Feststellungsklage nicht zur Klärung einzelner Elemente verliehen werde.142 In der 4. und 5. Auflage seines Lehrbuchs relativierte Rosenberg die Bedeutung des Sachverhalts für die Bestimmung des Streitgegenstands und definiert ihn als das „auf rechtskräftige Feststellung einer Rechtsfolge gerichtete Begehren, das durch den gestellten Antrag und, soweit nötig, durch den zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalt gekennzeichnet wird“. Rosenberg weist darauf hin, dass dieser Begriff des prozessualen Anspruchs nicht identisch sei mit dem Begriff des Streitgegenstands als Recht oder Rechtsverhältnis, über das geurteilt werden soll. Dies ergebe sich daraus, dass, wenn aus demselben Schuldverhältnis erst auf Feststellung und später auf Leistung geklagt wird, trotz Identität des Rechtsverhältnisses zwei verschiedene Ansprüche im Sinne des Prozessrechts erhoben sind und daher die Einrede der Rechtshängigkeit nicht durchgreife. Wenn dasselbe nicht in umgekehrter Reihenfolge gelte, so liege das nur daran, dass der Gegenstand der Leistungsklage den der Feststellungsklage in sich einschließe. Im Rahmen der Rechtskraft bestünden zwei Besonderheiten: Zum einen werde die Ungewissheit hinsichtlich der rechtlichen Qualifikation durch die Entscheidung über den Streitgegenstand beseitigt. Zum anderen reiche die Rechtskraft nur soweit, als über den Anspruch entschieden werde. Für den Fall, dass aus feststelle, ob der Antrag des Klägers gerechtfertigt ist. Der Richter sei dabei in der rechtlichen Würdigung des Vorgetragenen nach dem Grundsatz da mihi factum, dabo tibi ius bzw. iura novit curia völlig frei. 141 Rosenberg, Lehrbuch, S. 253. Dies bedeute, dass die Wirkungen der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft sich nur auf den geltend gemachten Teil des Anspruchs beziehen. 142 Rosenberg, Lehrbuch, S. 254: Die Abweisung einer die rei vindicatio abweisenden Entscheidung (§ 985 BGB), weil das Eigentum nicht dargetan sei, führe überhaupt zur endgültigen Aberkennung des Herausgabeanspruchs (§ 322 I ZPO). In gleicher Weise liege keine Klageänderung vor, wenn der Kläger während des Prozesses einen anderen Erwerbsgrund vorbringe; ebenso RGZ 72, 145; a.A.: RG JW 1902, 165. Für die Leistungsklage, im Rahmen derer das Eigentum vorgreifliches Rechtsverhältnis sei, gelte dies neben der Feststellungsklage umso mehr, weil hier das Eigentum überhaupt nicht Streitgegenstand sei.
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dem Sachverhalt zivilrechtlich mehrere Ansprüche hervorgegangen seien, das Urteil aber nur aus einem rechtlichen Gesichtspunkt, d.h. nur über einen Anspruch im Sinne des BGB entschieden habe, bedeute das, dass über die anderen rechtlichen Gesichtspunkte keine rechtskräftige Entscheidung vorliege. Es sei somit möglich, dass der Kläger den zivilrechtlichen Anspruch, der weder zuerkannt noch aberkannt sei, in einem neuen Prozess geltend mache. Voraussetzung sei allerdings echte Anspruchskonkurrenz. Bei Gesetzeskonkurrenz würde eine neue Klage mit demselben Sachverhalt und Antrag an der Rechtskraft des abweisenden Urteils scheitern. Der Unterschied zwischen Anspruchs- und Gesetzeskonkurrenz sei anders als für den Streitgegenstand für den Umfang der Rechtskraft von Bedeutung, weil nur „insoweit … über den … Anspruch (des Prozessrechts) entschieden ist.“ Ab der 4. Auflage ändert Rosenberg seinen Standpunkt: „Sind aus einem Sachverhalt mehrere, in Gesetzes- oder Anspruchskonkurrenz stehende materiellrechtliche Ansprüche … hervorgegangen, hat aber das Urteil nur über einen dieser Ansprüche, d.h. im prozessualen Sinne über einen rechtlichen Gesichtspunkt entschieden, so ist der Kläger durch die Rechtskraft gehindert, die anderen nicht zu- oder aberkannten Ansprüche (Gesichtspunkte) in einem neuen Prozess zu erheben.“143
In der 6. Auflage bezeichnet Rosenberg schließlich den Streitgegenstand unter dem Eindruck der Schrift seines Schülers Schwab nur noch als das auf rechtskräftige Feststellung einer Rechtsfolge gerichtete Begehren, das durch den gestellten Antrag gekennzeichnet werde. Das Sachverhaltselement ist vollständig eliminiert.
II. Zweigliedrig prozessualer Streitgegenstandsbegriff: Die Lehre Habscheids Habscheid dürfte der bekannteste Protagonist einer zweigliedrig prozessualen Streitgegenstandslehre sein.144 Eine gewisse Nähe zu den materiellrechtlichen Theorien zeigt sich darin, dass er an der Rechtsbehauptung des Klägers festhält und anders als Rosenberg oder Schwab dem Klagebegehren keine besondere Bedeutung für die Definition des Streitgegenstands beimisst.145 Insofern ist sein Blick stärker auf das Verhältnis der Prozessparteien zueinander gerichtet und weniger auf die Rechtsbitte an das Gericht. Weil § 253 II Nr. 2 ZPO für die Klageschrift die Angabe von „Gegenstand“ und „Grund“ verlange146, 143
Vgl. auch Schwab, Streitgegenstand, S. 36. Vgl. Detterbeck, Streitgegenstand, S. 40. 145 Habscheid, Streitgegenstand, S. 113, für die Rechtskraft: „Wird die Klage zugesprochen, so wird das geltend gemachte Recht bejaht, wird sie abgewiesen, so wird es verneint.“ 146 Habscheid, Streitgegenstand, S. 199: „So steht es in § 253 II Nr. 2 ZPO, so ergibt es sich aus dem Gesamtaufbau des Verfahrensrechts.“ 144
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soll der „prozessuale Anspruch“ nach Habscheid sich aus diesen beiden gleichwertigen Elementen zusammensetzen.147 „Gegenstand des Anspruchs“ sei aber nicht das behauptete Recht im Sinne der geltend gemachten konkreten Rechtsfolge.148 Gegenstand im Sinne von § 253 II Nr. 2 ZPO könne nur die vom Kläger aufgestellte Rechtsbehauptung sein, die sich zunächst an den Beklagten richte. Sie umfasse entgegen Nikisch und Hellwig auch die in Anspruch genommene Rechtsschutzform.149 Habscheid deutet bereits die dogmatische Mittlerrolle seiner Rechtsbehauptung an, die sich auch an das Gericht wendet. Insofern steht seine Rechtsbehauptung zwischen dem nur gegen den Staat gerichteten „Begehren“ Schwabs und einer ausschließlich gegenüber dem Beklagten erhobenen „Rechtsfolgenbehauptung“ im Sinne von Nikisch. Die Rechtsbehauptung setzt sich seiner Meinung nach aus Rechtsfolgenbehauptung und Verfahrensbehauptung zusammen.150 Die Verfahrensbehauptung sei notwendig, um die parallele Erhebung von Feststellungs- und Leistungsklage über denselben materiellrechtlichen Anspruch zu ermöglichen. Sie bezieht die konkrete Rechtsschutzform mit ein. Daneben soll der Anspruchsgrund das faktische Streitprogramm festlegen helfen.151 Er dient dabei nicht nur der Individualisierung: „Die Rechtsbehauptung wird erst zusammen mit dem Wurzelwerk der klagebegründenden Tatsachen zum Streitgegenstand.“152 Den Lebenssachverhalt fasst Habscheid dabei grundsätzlich sehr weit, was ihn dennoch nicht davon abhält, im Wechsel-Kaufpreis-Fall zwei selbständige Lebensvorgänge anzunehmen153, um zu verschiedenen Streitgegenständen gelangen zu können.154 Georgiades wandte hiergegen ein, dass diese Sichtweise umso erstaunlicher sei, weil Habscheid grundsätzlich für ein weit gefasstes Sachverhaltsverständnis eintrete.155 Unterschiedliche Lebenssachverhalte könne man kaum annehmen, wenn der Abschluss des Kaufvertrages und die Begründung der Wechselverbindlichkeit zu seiner Sicherung in einem kürzeren Zeitraum vorgenommen werden als eine Handlung, die zugleich eine Vertragsverletzung und ein Delikt beinhaltet. Auch Blomeyer lehnt die Begründung unterschiedlicher prozessualer Ansprüche unter Zuhilfenahme des Lebenssachverhaltes ab.156 Denn das Er147
Habscheid, Streitgegenstand, S. 140 f. Habscheid, Streitgegenstand, S. 131; vgl. A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 53. 149 Habscheid, Streitgegenstand, S. 140. Vgl. auch K.H. Schwab, ZZP 71 (1958), 155 f. 150 Habscheid, Streitgegenstand, S. 151; dagegen A. Blomeyer, in: Berliner FS, S. 58 f., der zwischen sachlichem und prozessualem Streitgegenstand unterscheidet. 151 Habscheid, Streitgegenstand, S. 191. 152 Habscheid, Streitgegenstand, S. 191 ff. 153 Hierzu auch Beys, ZZP 105 (1992), 145 ff. 154 Habscheid, Streitgegenstand, S. 215; hiergegen Schwab, JuS 1965, 83. 155 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 237. 156 Blomeyer, in: FS Lent, S. 73 f.; gegen die „natürliche“ Betrachtungsweise auch Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 75. 148
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gebnis hänge dann zu sehr vom sachlichen und zeitlichen Zusammenhang im Einzelfall ab.157 Diese natürliche Betrachtungsweise bleibt somit meist eine der Willkür Ausdruck verleihende Floskel, die ein Moment der Rechtsunsicherheit in sich trägt.158 Während Habscheid159 im laufenden Verfahren zur Streitgegenstandsbegrenzung einen objektiv ermittelten Lebenssachverhalt heranzieht, hält er im Rahmen der objektiven Rechtskraftgrenzen den mit Tatsachen ausgefüllten Klagegrund, über den entschieden werde, für maßgeblich. Ähnlich wie Schwab erklärt Habscheid diese Begrenzung des Rechtskraftumfangs mit dem „Wesen der Entscheidung“: Entschieden werde nur über den mit Tatsachen ausgefüllten Klagegrund („insoweit“, § 322 I ZPO).160 Folglich stehe die Rechtskraft eines Urteils, mit dem eine Kaufpreisklage abgewiesen worden sei, einer neuen Klage, gestützt auf den Verbrauch der gelieferten Waren, nicht entgegen. Allerdings hilft Habscheid jenseits der vorgebrachten Tatsachen mit einer allgemeinen Präklusion, um die Einheitlichkeit des Streitgegenstands zu wahren.161 In der heute vorherrschenden Ausprägung der zweigliedrigen Lehre in Schrifttum und Rechtsprechung wird der Streitgegenstand durch Klageantrag und Sachverhalt als gleichwertige Elemente bestimmt.162 Eine rechtliche Qualifikation wird nicht gefordert, bleibt vielmehr Sache des iudex. Nach Auffassung des BGH wird der entscheidende Lebenssachverhalt dabei grundsätzlich nicht durch den Vortrag des Klägers, sondern durch den vollständigen Lebenssachverhalt bestimmt.163 Die Endgültigkeit der Entscheidung bezieht sich nach der prozessual zweigliedrigen Vorstellung nicht auf den historischen Sachverhalt als solchen mit allen denkbaren Rechtsfolgen. Vielmehr bestimmen die Parteien mit ihren prozessualen Anträgen, mit welchem Rechtsschutzziel der historische Sachverhalt richterlicher Beurteilung unterliegen soll. Den Gegenstand des Rechtsstreits und den Umfang der Rechtskraft begrenzen deshalb in erster Linie die Parteianträge. Innerhalb der Grenzen des Antrages müssen die Parteien den Sachverhalt voll ausschöpfen und können nicht nachträglich in einem neuen Prozeß neue Tatsachen und Beweismittel vorbringen.164 Die Rechtskraft erfasst 157 „Die Frage, ob bei Wechsel- und Grundgeschäft Anspruchskonkurrenz vorliegt, wäre dann aber eine tatsächliche, keine juristische“, Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 237. 158 Ihren Ursprung fi ndet sie bei de Boor, Gerichtsschutz, S. 44, der das Lebensverhältnis aus gesunder Volksanschauung heraus entwickeln wollte. 159 Habscheid, Streitgegenstand, S. 191 f., 289. 160 Insoweit kritisch Otto, Präklusion, S. 95 f. 161 Habscheid, Streitgegenstand, S. 295 f.: „… so stellt der allgemeine Präklusionsgrundsatz sicher, dass jede Klage der Abweisung durch Prozessurteil verfallen muss, welche versucht, einen bereits abgeurteilten Streitgegenstand erneut zur gerichtlichen Entscheidung zu bringen.“ Vgl. bereits ders., AcP 152 (1952/53), 170, 174. 162 Vgl. den Überblick bei Beys, ZZP 105 (1992), 153. 163 BGHZ 123, 141; BGH NJW 2002, 3465; zur Ansicht der Rechtsprechung vgl. § 12 und Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11. 164 BGHZ 123, 137, 141. Das deutsche Recht kennt keine „merger – Wirkung“ des Urteils,
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daher den prozessualen Anspruch, gleichgültig, ob der dazugehörige Prozessstoff dem Gericht bekannt war oder nicht.
III. Die eingliedrige Lehre Schwabs Im Anschluss an Böttichers Beitrag165 in der Festschrift für Rosenberg hat Schwab seinen Streitgegenstandsbegriff jenseits der (spärlichen) gesetzlichen Regelungen entwickelt: Dieser sei ein dem Gesetzgeber vorgegebener Begriff, eine Erscheinung nicht nur des deutschen, sondern jeden Prozessrechts, „die der Gesetzgeber vorfindet, die er zu beschreiben versuchen soll, die er aber nicht im eigentlichen Sinne selbst schaffen kann.“166 Schwab betont dabei, er wolle selbstverständlich nicht die Bindung des Richters an jene Normen der ZPO bezweifeln, die sich mit dem prozessualen Anspruch und seinen Auswirkungen beschäftigen.167 Da die prozessuale Natur des Streitgegenstands in den maßgeblichen Verfahrensvorschriften der ZPO aber zu ihrer Entstehungszeit noch nicht erkannt worden sei, komme ihnen keine besondere Bedeutung zu.168 Den prozessualen Anspruch selbst will er von seinen Bewährungsproben aus einheitlich entwickeln. Sein Resümee lautet:169 „Streitgegenstand ist das Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung“. Schwabs Streitgegenstandsbegriff ist somit eine rein prozessuale Schöpfung, die sich vom materiellen Recht gelöst hat.170 Ausschlaggebend ist das im Antrag formalisiert zum Ausdruck kommende Klageziel, während die materiellrechtlichen Ansprüche lediglich die Funktion rechtlicher Gesichtspunkte inne haben.171 Mit diesem Begriff des Klagebegehrens können des weiteren Feststellungs- und Gestaltungsantrag erfasst derzufolge alle Ansprüche eines vom Kläger präsentierten Lebenssachverhaltes abgeurteilt werden, MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 84. 165 Bötticher, in: FG Rosenberg, S. 73 ff. Vgl. bereits Schwab, ZZP 65 (1952), 101 f. für den Eheprozess. 166 Schwab, Streitgegenstand, S. 5. Der methodische Ansatz Schwabs hat mit Recht Kritik erfahren, Habscheid, Streitgegenstand, S. 59 f., 107 f.; Nikisch, Streitgegenstand, AcP 154 (1954), 271 ff.; Schwab hat seine Lehre jedoch weiterhin verteidigt: Rosenberg/Schwab, ZPR, 14. Aufl., 1986, § 96 III 3; ders., JuS 1965, 83 f.; ders., JuS 1976, 71; ihm folgend Hesselberger, Streitgegenstand, S. 253, wenngleich dieser – inspiriert durch Georgiades – einen mehr materiellrechtlichen, an der Leistung orientierten Ansatz wählt (er bezeichnet die eingliedrige Lehre als „Höhepunkt prozessualen Anspruchsdenkens“). 167 Dies stehe aber, so Habscheid, Streitgegenstand, S. 60, 61, in Widerspruch zu seiner Feststellung, dass den gesetzlichen Regeln bei der Erforschung des Wesens des Streitgegenstands keine allzu große Bedeutung zukomme. Nach Habscheids Ansicht könne nur das Gesetz Ausgangspunkt bei der Ermittlung des Streitgegenstandsbegriffes sein. 168 Schwab, Streitgegenstand, S. 5: ein methodologisch fragwürdiger Befund. Näher unten § 17 I. 169 Schwab, Streitgegenstand, S. 183 ff., 190, 191. 170 Vgl. bereits Schwab, ZZP 65 (1952), 101 ff. 171 Schwab, JuS 1976, 71.
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werden. Der Streitgegenstand bezieht die jeweilige konkrete Rechtsschutzart mit ein.172 Ausgeblendet bleibt bei dieser Begriffsbestimmung der Lebensvorgang als tatsächliches Element.173 Dieser sei kein selbständiger Bestandteil des prozessualen Anspruchs.174 Streitgegenstandseinheit liege demnach auch vor, wenn der Kläger seinen Zahlungsantrag zum einen mit einem Kaufvertrag, zum anderen mit einem hierfür abgegebenen Schuldanerkenntnis begründe, weil der Kläger nur eine Entscheidung begehre. Ein Teilurteil sei ausgeschlossen (§ 301 ZPO).175 Schwabs Ansatz wendet sich vor allem gegen die als nicht hinnehmbar empfundenen Folgen der zweigliedrigen Lehre Habscheids, der bei einer Häufung selbständiger Tatsachenkomplexe mit der Annahme einer alternativen Anspruchshäufung eine Doppelverurteilung des Beklagten vermeiden will.176 Den aus der materiellen Konkurrenzenlehre resultierenden Abgrenzungsfragen muss Schwab aber, auch wenn er glaubt, davon befreit zu sein, bei der Individualisierung des Streitgegenstands Rechnung tragen. Die Dominanz des Antrags wird dadurch aufgelockert, dass der Sachverhalt bei bestimmten Konstellationen als Abgrenzungsmittel dient.177 Die Auswirkungen von Schwabs Lehre zeigen sich deutlich bei den Fragen der Anspruchshäufung178. Begehre der Kläger die Rückzahlung einer Darlehenssumme und führe er zur Begründung ein Darlehen aus dem Jahre 1950 und ein Darlehen aus dem Jahre 1951 jeweils in dieser Höhe an, sei der Antrag auf Rückzahlung nur scheinbar ein einheitlicher. In Wirklichkeit strebe der Kläger über beide Vorgänge eine Entscheidung an.179 Der Sachverhalt diene hier zur Konturierung des jeweiligen Antrags, ohne selbst gleichwertiger Bestandteil des prozessualen Anspruchs zu werden. Angebracht sei dies vor allem bei Leistungsklagen.180 Daraus dürfe aber eben nicht gefolgert werden, „dass bei Zahlungsklagen oder bei Klagen auf eine der Gattung nach bestimmte Mehrheit von Leistungen der Streitgegenstand aus Sachverhalt und Antrag bestünde.“181 Für die Anspruchshäufung bedeutet dies, dass so viele prozessuale Ansprüche existieren, wie Anträge gestellt werden. Damit vermeidet Schwab die Tücken der alternativen Klagehäufung. Gerade die Konstellation, dass der Kläger einmal aus dem Grundgeschäft, das 172
Vgl. Lüke, in: FS Schwab, S. 310. Zögerlich bereits Schwab, ZZP 65 (1952), 101 ff.; Schwab, Streitgegenstand, S. 87 ff. 174 Schwab, Streitgegenstand, S. 87 ff., 109, 123 ff. 175 Schwab, Streitgegenstand, S. 75 ff. 176 Schwab, in: FS Lüke, S. 795 f.; vgl. auch G. Lüke, in: FS Schwab, S. 313. 177 Vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 III 3 Rn. 12. 178 Schwab, Streitgegenstand, S. 89. 179 Schwab, Streitgegenstand, S. 89. 180 Schwab, Streitgegenstand, S. 87. 181 Schwab, Streitgegenstand, S. 89. Ansonsten müsste eine Mehrheit von prozessualen Ansprüchen auch gegeben sein, wenn nur ein Antrag durch mehrere Sachverhalte begründet wird: Der Kläger verlangt die Zahlung einer Summe einmal aus Vertrag, das andere Mal aus einem konstitutiven Anerkenntnis. Zu Schwab auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 27 f. 173
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andere Mal aus einem Anerkenntnis fordert, hat für Schwab den Ausschlag zu seiner Streitgegenstandslehre gegeben.182 Bei der Rechtshängigkeit richte sich die Identität der Streitgegenstände allein nach der Identität der Anträge.183 Da das Klagebegehren in der Funktion des Streitgegenstands zugleich die Rechtsschutzform mit einschließe, stehe die Rechtshängigkeit der Feststellungsklage der Erhebung einer entsprechenden Leistungsklage nicht entgegen.184 Auch im Rahmen der Rechtskraft versucht Schwab seinen eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff aufrecht zu erhalten. Um einen übermäßigen Präklusionsumfang zu vermeiden, sieht er sich jedoch gezwungen, die objektiven Grenzen der Entscheidung auf den tatsächlich entschiedenen Ausschnitt aus dem Lebenssachverhalt zu begrenzen. Dem Kläger soll lediglich die Berufung auf diejenigen Tatsachen verwehrt sein, welche zu einer abweichenden Beurteilung des Sachverhalts führen würden, der dem Gericht bereits zur Entscheidung vorlag. Ein neuer Vortrag sei hingegen, wenn er die Feststellungen des ersten Prozesses unberührt lasse, auch möglich, wenn der zweite Prozess um denselben Streitgegenstand geführt werde.185 Darüber hinaus erkennt Schwab in manchen Fällen eine jenseits von Streitgegenstand und Rechtskraft existente rechtskraftfremde Präklusion an.186 Insbesondere dieser dogmatische Kunstgriff stieß vielfach auf Kritik.187 Im Grunde will Schwab den Streitgegenstand für alle Prozesssituationen einheitlich bestimmen.188 Diese Einheitsvorstellung umzusetzen, gelingt ihm jedoch im Hinblick auf seine Ausführungen zur Rechtskraft nicht überzeugend.189 Denn das seines Erachtens unbefriedigende Ergebnis190, dass nach rechtskräftig abgewiesener Klage aus dem abstrakten Schuldanerkenntnis eine auf das Grundgeschäft gestützte Klage an der Rechtskraft scheitere, wird
182
Lüke, in: FS Schwab, S. 311; Nikisch, AcP 154 (1954), 286; Habscheid, Streitgegenstand,
S. 253. 183
Schwab, Streitgegenstand, S. 122 f. Schwab, Streitgegenstand, S. 129 f. 185 Schwab, Streitgegenstand, S. 167 ff. 186 Schwab, Streitgegenstand, S. 170; vgl. zu dieser Form von Präklusion aber auch Habscheid, Streitgegenstand, S. 292. 187 Kritik hierzu bei Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 58 f.; vgl. auch die allgemeine Kritik von Habscheid, Streitgegenstand, S. 61, 107 f., am methodischen Vorgehen Schwabs; Lüke, in: FS Schwab, S. 319 f; Nikisch, AcP 154 (1954), 280 f. 188 Schwab, Streitgegenstand, S. 73: „Das Ziel jeder Streitgegenstandslehre muss es sein, einen einheitlichen Begriff des Streitgegenstands zu finden, der sich bei allen Klagen und bei allen Einrichtungen bewährt, für die der Streitgegenstand von Bedeutung ist.“ 189 Vgl. hierzu Habscheid, Streitgegenstand, S. 63; ders., in: FS Schwab, S. 185 f.; Lüke, in: FS Schwab, S. 310; Nikisch, AcP 154 (1954), 280 f. Schwab hat dies stets mit dem „Wesen“ der richterlichen Entscheidung zu rechtfertigen versucht, Schwab, in: FS Lüke, S. 799; ders., in: FS Bötticher, S. 322 f.: relative Rechtskraft der tragenden Entscheidungsgründe. 190 Dies nimmt aber Hesselberger, Streitgegenstand, S. 293, an, wenn Wechselanspruch und Grundgeschäftsforderung jeweils im normalen Verfahren erhoben sind; ebenso Rüßmann, ZZP 113 (1998), 418. 184
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auf fragwürdige Weise vermieden. Nach Schwabs Deutung wird kein abweichender Urteilsgegenstand kreiert, sondern vielmehr über einen – an sich schon rechtskräftig entschiedenen – Streitgegenstand aus Gründen, die den Umfang der Entscheidung betreffen, ein neuer Prozess gestattet.191 Hält Schwab seine monistische Ausrichtung des Streitgegenstands am Antrag für Rechtshängigkeit, Klageänderung und Klagehäufung noch durch, gelingt ihm dies bei den objektiven Grenzen der Rechtskraft nicht mehr192, obgleich dies nicht offen zugestanden wird. Hier liegt zweifellos ein konzeptioneller Schwachpunkt.193 So gesehen beinhaltet die Lehre Schwabs eine ungewollt relative Komponente. Schwab verteidigt die Einbeziehung des tatsächlichen Moments im Rahmen der objektiven Rechtskraft zwar damit, dass das rechtskräftige Urteil sich auf den festgestellten Sachverhalt und die Entscheidungsgründe des Urteils erstrecke.194 Wie Nikisch zutreffend bemerkt, verstößt diese Sichtweise jedoch gegen Wortlaut und Sinn von § 322 I ZPO. Diese „Fundamentalkritik“ hielt Schwab nicht davon ab, seine Ansicht später zu bekräftigen: „Sie bedeutet also …, dass der relevante Prozessstoff für den Subsumtionsschluss – und nur für ihn – bindend festgestellt wird“.195 Andererseits vermeidet die eingliedrige Lehre bei sachgerechten Ergebnissen dogmatisch fragwürdige Argumentationsfiguren wie die alternative Klagenhäufung. Beifallswert erscheint darüber hinaus die von Schwab im Ansatz herausgearbeitete Bedeutung der Einheit des Leistungsobjekts.196 Auch die von Schwab erwähnte Konkurrenz von Kaufpreisanspruch und abstraktem Wechselanspruch kann so zutreffend gelöst werden, ohne dass sich Probleme bei der Anspruchshäufung oder Klageänderung stellen würden. Der alternative Anspruch kann jederzeit, ohne dass § 263 ZPO entgegenstünde, in das laufende Verfahren einbezogen werden. Parallelprozesse werden vermieden und die Streitsache bei einem Gericht konzentriert (§ 261 III Nr.1 ZPO). Im Ergebnis kann Schwab auch keine Inkonsequenz hinsichtlich der Verwendung des Sach-
191
Treffend Detterbeck, Streitgegenstand, S. 38. Schwab, Streitgegenstand, S. 73. 193 Nikisch, AcP 154 (1954), 280: „Wenn Schwabs Ansicht über den Umfang der Rechtskraft richtig ist, so muss sein damit in schneidendem Widerspruch stehender Begriff des Streitgegenstandes notwendig falsch sein.“ Kritisch auch Baumgärtel, JuS 1974, 72: Während er für die Rechtshängigkeit einen „globalen“ Streitgegenstand bejaht, verneint er ihn im Ergebnis für die Rechtskraft. 194 Schwab, Streitgegenstand, S. 146 f.; das Gericht entscheide im Urteil nur über den tatsächlich ihm vorgetragenen Prozessstoff, vgl. S. 161 f., 174. 195 Schwab, in: FS für Bötticher, S. 329; ders., JuS 1965, 81 f.; Böhm, in: FS Kralik, S. 112. 196 Wesentlich deutlicher Hesselberger, Streitgegenstand, S. 274 ff.; vgl. auch S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 61: „Im Ergebnis ist also nach Schwab bei Leistungsklagen die gemeinsame Erfüllungswirkung derselben Handlung ein entscheidendes Kriterium für die Streitgegenstandsbildung.“ Positiv zu den Leistungen Schwabs äußert sich auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38. 192
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verhalts unterstellt werden. Denn das tatsächliche Element weist bei ihm keine Selbständigkeit auf, sondern dient nur zur Auslegung des jeweiligen Klageantrags.197 Einzige Schwachstelle bleibt die Bestimmung des Entscheidungsgegenstandes.
197
Detterbeck, Streitgegenstand, S. 47.
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§ 10 Reformierte materiellrechtliche Ansätze I. Einheitlicher Verfügungsgegenstand Das begrüßenswerte Unternehmen, den Prozessgegenstand wieder stärker an materiellrechtlichen Zusammenhängen auszurichten198, stieß vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Befürworter. Hervorzuheben ist zunächst der Versuch von Henckel, den Anspruch in seiner Funktion als Verfügungsobjekt zum einheitsstiftenden Element zu erklären.199 Nach Henckel können die Schwierigkeiten der Streitgegenstandslehre nur gelöst werden, wenn der Begriff des prozessualen Anspruchs in Beziehung gesetzt wird zu den Funktionen des materiellen Anspruchsbegriffs, die für den Prozess von Bedeutung sind. 200 Ausgangspunkt ist die Überlegung, den materiellrechtlichen Anspruch zum einen in einen Ordnungs-, Gliederungs- und Subsumtionszweck aufspalten zu können 201 und zum anderen in seine (auch am wirtschaftlichen Wert orientierte)202 Funktion als Verfügungsobjekt, welche für die Bestimmung des Streitgegenstands maßgeblich sein soll (vgl. §§ 265, 325 ZPO): „Die Erkenntnis der Zusammenhänge der Parteilehre mit der Verfügungsbefugnis fordert also, den Streitgegenstand der Leistungsklage nach den Merkmalen zu individualisieren, mit denen das Objekt einer materiellrechtlichen Verfügung festgelegt werden muss.“203 Im Zivilprozess sei es an dem Kläger, den Streitgegenstand zu bestimmen. 204 198 Vgl. schon Lent, ZZP 57 (1933), 1 ff., 13 ff.; Bettermann, MDR 1954, 196 ff.; Blomeyer, in: FS der Jur. Fak. Berlin, S. 56, 57; Schnorr von Carolsfeld, in: FS Lent, S. 253 ff., insbes. Fn. 38. 199 Henckel, Parteilehre, S. 255; zu Henckel insbesondere Schwab, in: FS Lüke, 795; ders., JuS 1965, 85; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 219 f.; Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 212; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 32 f. 200 Henckel, Parteilehre, S. 270. 201 Dabei misst Henckel der Subsumtionsfunktion des Anspruchs kaum Bedeutung bei, sieht den Schwerpunkt der Entscheidung vielmehr „in der Feststellung, dass ein behaupteter Anspruch besteht oder nicht besteht, nicht aber in dessen rechtlicher Qualifizierung“, Parteilehre, S. 271. Anders sei dies nur, wenn es um die Reichweite der Zuständigkeitsvorschriften gehe, hierzu Hesselberger, Streitgegenstand, S. 225. 202 Dass der wirtschaftliche Wert kein taugliches Abgrenzungskriterium liefern kann, erkennt aber auch Henckel, Parteilehre, S. 262. 203 Henckel, Parteilehre, S. 277. 204 Henckel, Prozessrecht, S. 125.
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Deswegen müsse auch der Gegenstand, über den im Prozess disponiert werde, mit dem materiellen Recht im Einklang festgelegt werden. 205 Gegenstand rechtlicher Verfügungen sei der Anspruch etwa im Falle des Erlasses, der Erfüllung und der Abtretung. Entscheidend sei hierfür nicht die rechtliche Einordnung durch die Parteien, sondern neben dem Anspruchsinhalt auch der Anspruchsgrund als Teil des Lebenssachverhalts. Henckel sieht folglich konkurrierende materielle Ansprüche als identisch an, sofern sie einen einheitlichen Verfügungsgegenstand bilden, so dass es für den Gläubiger unmöglich sei, einen von ihnen selbständig abzutreten. 206 Eine Mehrheit von Verfügungsgegenständen führe zu einer Mehrheit von Streitgegenständen. Die Einheit oder Mehrheit der Zessionsgegenstände bestimmt er durch die Einheit oder Mehrheit der durch Tatsachen individualisierten Anspruchsgründe mit Bezug auf einen einheitlichen Zeitpunkt. 207 Streitgegenstandseinheit sei im Fall einer Konkurrenz rechtsgeschäftlicher und deliktischer Haftung anzunehmen 208, weil sich die Zession nur einheitlich auf alle Anspruchsgrundlagen (Delikt, Gefährdungshaftung und Vertragsverletzung) beziehen könne. Werde ein Fahrgast in einer Straßenbahn verletzt und klage dieser gegen den Betreiber der Straßenbahn auf Zahlung von Schadensersatz, so könne er sein Begehren nicht auf die unterschiedlichen Aspekte aufspalten. Anderes gelte etwa im Verhältnis eines Zahlungsanspruchs aus dem Grundgeschäft zu einem entsprechenden Wechsel oder einem nachfolgenden Schuldanerkenntnis. 209 Der Verfügungsgegenstand sei identisch, wenn derselbe Sachverhalt mehrere Ansprüche erzeuge. Die Mehrheit der Abtretungsgegenstände bestimmt sich nach Henckel wiederum nach der Einheit oder Mehrheit der durch Tatsachen individualisierten Anspruchsgründe.210 Anspruchsgrund sei ein zeitlicher Aus205
Auch Henckel, Parteilehre, S. 277. Hierzu auch Beys, ZZP 105 (1992), 156 . 207 Henckel, Parteilehre, S. 265; kritisch hierzu Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 210 f.; kritisch im Hinblick auf das von Henckel verwendete Merkmal Anspruchsgrund Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 77, 110 (bloßes Individualisierungsmerkmal). 208 Siehe etwa RGZ 66, 12; RG JW 1912, 384; RGZ 86, 377; auch Henckel, JZ 1962, 335; insoweit zustimmend Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 68; Bruns, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 253; Eichler, AcP 162, 417; Nikisch, AcP 154 (1954), 282 f. Rimmels pacher bestätigt die Lehre Henckels unter Rekurs auf das Kriterium der Erfüllungswirkung: Die einmalige Schadensersatzleistung tilge den Anspruch ohne Rücksicht auf die verschiedenen Tatbestände, die jeweils unterschiedliche Voraussetzungen normieren. Dies entspreche auch dem einheitlichen Ausgleichszweck der unterschiedlichen Schadensersatzvorschriften. 209 Vgl. für die Rechtshängigkeit Henckel, Parteilehre, S. 288 f. und 268; Baumgärtel, JuS 1974, 72. Hiergegen hat Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 70 Fn. 17, geltend gemacht, dass das Kriterium wechselseitiger Erfüllung auch hier Geltung beanspruchen könne und eine einheitliche Rechtsposition nahe lege. Dies erscheint zutreffend, da die Leistung auf die Wechselforderung nach § 364 II BGB auch die Kaufpreisforderung tilgt und umgekehrt bei Zahlung auf die Grundforderung § 813 BGB eine doppelte Befriedigung des Gläubigers im Hinblick auf den Wechsel verhindert. 210 Henckel, Parteilehre, S. 265 f. 206
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schnitt aus einem Lebenssachverhalt. 211 Streitgegenstand der Leistungsklage ist somit nach Henckel der zwischen den behaupteten Subjekten als bestehend behauptete materielle Anspruch, der durch seinen Inhalt und den Anspruchsgrund individualisiert werde. Henckel glaubt den Streitgegenstand in all seinen Funktionen einheitlich bestimmen zu können 212, wobei er sich auch für die Feststellungsklage am materiellen Recht orientiert. 213 Diesen Weg will er indes für die Gestaltungsklage nicht beschreiten, weil er die Existenz eines materiellen Gestaltungsklagerechts verneint. 214 Um aus einem einheitlichen Verfügungsobjekt in funktionaler Betrachtungsweise einen einheitlichen Anspruch gewinnen zu können 215, muss Henckel zunächst den Begriff des Anspruchs selbst neu interpretieren, obwohl das BGB bereits eine (abweichende) Definition kennt. Diese Lehre zahlt für die Einheit von materiellem und prozessualem Anspruch somit einen hohen Preis. Jauernig will darin nicht zu Unrecht Rudimente aktionenrechtlichen Denkens erkennen. 216 Jedoch hat Henckel217 diese funktionale Aufspaltung des materiellen Anspruchs mit dem Hinweis verteidigt, er wolle lediglich scheinbare Widersprüche zwischen den Begriffen des Streitgegenstands und des materiellen Rechts beseitigen. Insoweit ist diese Lehre symptomatisch für die Bemühungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, „mit Hilfe des Streitgegenstandsbegriffs den funktionalen Zusammenhang zwischen Prozessrecht und materiellem Recht, der verloren zu gehen drohte, wiederherzustellen.“218 Zwar erscheint aufgrund der Relativität der Rechtsbegriffe219 denkbar, den Begriff „Anspruch“ in verschiedenen Gesetzen unterschiedlich zu verwenden. Jedoch bedürfte diese Relativität innerhalb des einheitlichen Normengefüges (BGB) besonderer Rechtfertigung. Henckel kreiert damit contra legem einen funktionsabhängigen materiellen Anspruchsbegriff. 220 Wo aber eine Einheit nicht herstellbar ist, sollte nicht versucht werden, sie unter Aufgabe anerkannter Strukturen künstlich zu erzeugen. Nicht ausgeschlossen erscheint hingegen, bei der Ermittlung einzel211 Henckel, Parteilehre, S. 277. Henckel arbeitet hier auch mit dem Begriff des „unteilbaren Sachverhaltsstücks“. In JZ 1962, 335 f. hat Henckel zur Ermittlung der Teilbarkeit das Kriterium des wirtschaftlichen Wertes eingeführt; kritisch Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 77, der das Merkmal des „unteilbaren Sachverhalts“ mit einer bloßen Attrappe vergleicht. 212 Henckel, Parteilehre, S. 253. 213 Henckel, Parteilehre, S. 282 f. 214 Henckel, Parteilehre, S. 285 f.; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 225 f.; Henckel, Prozessrecht, S. 126, hat im Hinblick auf Gestaltungsklagen später seine Auffassung geändert. 215 Vgl. auch Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 47. 216 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 49; zustimmend Arens, AcP 170 (1970), 410; Stein/ Jonas/Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 32 f. 217 Henckel, Prozessrecht, S. 127. 218 Baumgärtel, JuS 1974, 70. 219 Schumann, in: FS Lüke, S. 767 ff. 220 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 138.
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ner Elemente des prozessualen Anspruchsbegriffs auf das materielle Recht zurückzugreifen. 221 Dennoch besteht der besondere Verdienst Henckels in der Eigenständigkeit seines Ansatzes. 222 Zutreffend erscheint zudem, dass im Hinblick auf § 265 ZPO der Streitgegenstand in enger Anlehnung an das materielle Recht entwickelt wird: Stünden dem Kläger mehrere konkurrierende Ansprüche zur Verfügung und trete dieser während des Prozesses einen ab, würde ein einheitlicher Streitgegenstand zerrissen. 223 Letztlich erscheint Henckels Lösung aber zu kompliziert. 224 Die erzielten Ergebnisse vermögen im Übrigen nur zum Teil zu überzeugen. Die Annahme zweier Verfügungsobjekte für Kaufpreisforderung und Wechselanspruch ist willkürlich. Fallen beide (Kaufvertrag und Wechselbegebung) zeitlich zusammen, müsste Henckel, der für die Einheit des Anspruchsgrundes gerade auf das Merkmal der Einheit der Zeit abstellt, von einem Streitgegenstand ausgehen. 225 Auch lässt sich die Einheit der Zeit kaum nach den Tatbestandsmerkmalen des materiellen Rechts bestimmen, da diese hierzu keinen Hinweis enthalten. 226 Henckels Streitgegenstandsbegriff ist nur scheinbar zweigliedrig, wie Hesselberger richtig festgestellt hat. 227 Sein Sachverhaltsverständnis ist eng am materiellen Recht orientiert, da dessen Umfang mit dem des Tatbestandes der anspruchsbegründenden Norm korrespondieren soll. Der behauptete materielle Anspruch als Verfügungsobjekt bestimmt somit über den Inhalt des Streitgegenstands. Der Sachverhalt dient hingegen primär nicht der inhaltlichen Bestimmung des prozessualen, sondern der Individualisierung des materiellen Anspruchs. 228 Das Merkmal der isolierten Abtretbarkeit ist m.E. nur in geringem Maße praxistauglich. Denn regelmäßig ist 221
So erscheint zumindest methodisch korrekt, bei der Ermittlung der Sachverhaltsgrenzen auf das materielle Recht zurückzugreifen. 222 Vgl. dazu Hesselberger, Streitgegenstand, S. 220 f.: Die Wechselwirkung zwischen Prozessführungsbefugnis und Verfügungsbefugnis bildet ein entscheidendes Argument Henckels für eine materiellrechtliche Orientierung des Streitgegenstands. 223 Henckel, Parteilehre, S. 252 f.: „Für den Streit um den einen Anspruch bleibt der Kläger verfügungsberechtigter Rechtsinhaber und damit die richtige Partei für eine Klage auf Leistung an sich selbst, für den anderen aber beruht seine Prozessführungsbefugnis jetzt auf § 265 ZPO, und es ist ihm insoweit nur noch gestattet, Leistung an den Erwerber zu verlangen.“ Neben § 265 ZPO sei es § 325 ZPO, der die Verbindung zum materiellen Recht herstellt. Da der Begriff der Rechtsnachfolge aber jeden materiellrechtlichen Erwerb erfasse, müsse das Urteil das Bestehen oder Nichtbestehen dieses materiellen Rechts feststellen, wenn der Erwerber des materiellen Rechts an die Rechtskraft des im Prozess des Veräußerers ergangenen Urteils gebunden werden soll. 224 Kritisch auch W. J. Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), S. 214; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 47 f. 225 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 ZPO Rn. 34; W. Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 210 f.; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 151 f. 226 So etwa Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 214 Fn. 25; Schwab, in: FS Lüke, S. 803 f. 227 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 224. 228 „Der prozessuale Anspruch kann … nicht aus dem behaupteten Anspruch und dem
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eine Trennung von Ansprüchen in der Hand eines Gläubigers nicht möglich, da diese zu einer Inhaltsänderung führen würde, die als solche unzulässig wäre, sofern sie nicht unter Mitwirkung des Schuldners geschieht (§ 399 BGB). 229 P. Gottwald etwa hat sich unter Berufung auf diese Lehre gegen eine Zusammenfassung von Ansprüchen aus Darlehen und abstraktem Schuldanerkenntnis zu einem Streitgegenstand ausgesprochen. 230 Dass der Kläger in materieller Hinsicht nur einmal Zahlung verlangen könne, ändere daran nichts. Denn die materiellrechtliche und auch prozessuale Selbständigkeit der Ansprüche zeige sich darin, dass auch lediglich die abstrakte Forderung aus dem Schuldanerkenntnis abgetreten werden könne. 231 Allerdings ergibt sich die Verschiedenheit der Streitgegenstände m.E. dann bereits aus der personellen Divergenz, ohne dass der selbständigen Abtretbarkeit schlagende Bedeutung zukommen würde. Allen diesen Bestärkungsgeschäften ist gemein, dass dem Gläubiger ein weiteres, zusätzliches Recht auf dieselbe Leistung gegeben wird, mit Erleichterungen bei der prozessualen Rechtsverfolgung. 232
II. Anspruchskonkurrenz und Anspruchsnormenkonkurrenz Nach den Arbeiten von Schwab und Habscheid hatte der prozessuale Anspruch kaum noch etwas gemein mit dem materiellen Anspruchsverständnis. 233 Mit vergleichbarer Stoßrichtung wie Henckel versuchte deswegen Georgiades einen neuen materiellrechtlichen Anspruchsbegriff nach dem Vorbilde des prozessualen Anspruchs zu kreieren und auf diese Weise die verloren gegangene Sinneinheit wiederherzustellen.234 Die aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher materieller Anspruchsnormen resultierenden Konkurrenzfragen will er dabei einheitlich bewältigen. Georgiades nimmt hierzu auch Anleihen bei der Anspruchs- und Streitgegenstandslehre Konrad Hellwigs.235 Hiernach werden Anspruchsgrund bestehen, sondern er ist der behauptete materielle Anspruch, der durch seinen Grund gekennzeichnet ist“, Henckel, Parteilehre, S. 282 f. 229 Kritisch auch Larenz/Wolf, AT, Rn. 40. 230 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 III 3 Rn. 14, 15; ebenso BGH NJW-RR 1987, 58; Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 75; Henckel, Parteilehre, S. 289; Habscheid, Streitgegenstand, S. 164; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 236 ff. 231 Klagten Dritter und Vertragspartner gegen den Käufer, so müssten auch zwei verschiedene Streitgegenstände vorliegen. 232 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 236 f., Fn. 68. Vgl. unten § 30 VIII. 233 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 239 f. 234 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 239. Eine vollständige Synchronität der Systeme ist nicht gefordert und bestand im geltenden Prozessrecht auch zu keinem Zeitpunkt, Stein/Jonas/H. Roth, vor § 253 Rn. 35. 235 K. Hellwig, Anspruch, S. 20 ff., 80 f.; und ders., Lehrbuch, Bd. I, §§ 37 und. 38. Die Be-
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verschiedene materiellrechtliche Anspruchsnormen zu einem Anspruch (sog. Anspruchsnormenkonkurrenz236) zusammengefasst, soweit diese auf die identische Leistungsabwicklung unter denselben Personen gerichtet sind. 237 Der hierbei entstehende Einheitsanspruch sei lediglich rechtlich mehrfach begründet. 238 Ausschlaggebend für die Identität der Leistung ist das Leistungsobjekt bzw. der Leistungsinhalt. 239 Neben der Leistungsidentität will Georgiades bei Gattungs- und Geldleistungsschulden jedoch insbesondere die einzelnen Lebensvorgänge zwischen den Personen als Auslegungshilfe heranziehen, um die Einheit oder Verschiedenheit der Leistung trotz gleichen Inhalts festzustellen. 240 Der Ansatz von Georgiades 241 zeichnet sich dadurch aus, dass er den Verzicht Schwabs auf den Lebenssachverhalt und dessen Individualisierungsmethode ins materielle Recht überträgt.242 Der einheitliche Anspruch bei Anspruchsnormenkonkurrenz bilde im Prozess nur einen Streitgegenstand. 243 Hingegen sollen Anspruchsnormen, mit denen verschiedene Leistungen beansprucht werden, zueinander im Verhältnis der Anspruchshäufung stehen, wenn sie nicht dasselbe wirtschaftliche Interesse des Gläubigers befriedigen. Im Prozess ergeben sich damit notwendigerweise verschiedene Streitgegenstände. 244 Insoweit herrscht Übereinstimmung mit der eingliedrigen Streitgegenstandslehre, weil das Merkmal der Leistung sich nach denselben Maßstäben bemisst wie der prozessuale Antrag und der Sachverhalt nur der Individualisierung des Streitgegenstands dient. 245 Neben diesen griffe sind aber bei gleichen Ergebnissen teilweise andere. Hellwig bezeichnet die Anspruchsnormenkonkurrenz als Gesetzeskonkurrenz. Die Anspruchskonkurrenz im eigentlichen Sinne unterteilt er in einfache und alternative Anspruchskonkurrenz. Georgiades und Hellwig bieten im Gegensatz zur zweigliedrigen Streitgegenstandslehre, vgl. Bub, Streitgegenstand, S. 22, kein begriffliches Instrumentarium für die prozessuale Behandlung mehrfacher tatsächlicher Begründungen desselben materiellen Anspruchs an. 236 Sehr kritisch zum Begriff der Anspruchsnormenkonkurrenz Rödig, Theorie, S. 210: Dieser terminus führe in die Irre, weil der Eindruck zweier miteinander im Wettstreit stehender Normen entstehe. Vorzugswürdig sei der im Strafrecht gebräuchliche Begriff der Gesetzeskonkurrenz. 237 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 157, 163, 164; hierzu auch Habscheid, ZVglRW 75 (1976), 215. 238 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 163 f.; ebenso Larenz/Wolf, AT, S. 259 f. 239 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 160. 240 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 262. Er überträgt damit die prozessuale Lehre Schwabs auf den materiellen Anspruchsbegriff. Kritisch zum Verzicht auf die Sachverhaltsbeschreibung durch Georgiades unter Beibehaltung als Individualisierungsmerkmal Rödig, Theorie, S. 208 f. 241 Hierzu Arens, AcP 170 (1970), 419 f.; Habscheid, ZvglRWiss 75 (1976), 217. 242 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 159. 243 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 241 f.; 255, 257 f.; hierzu Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 35 f. 244 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 167 f. 245 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 246: „Wir halten die Auffassung für richtig, dass die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen zwar zur Individualisierung des Streitgegen-
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beiden Konstellationen kennt Georgiades weiter die Anspruchskonkurrenz. Diese betrifft sämtliche materiellen Anspruchsnormen, welche im Gegensatz zur Anspruchshäufung zwar die Befriedigung des gleichen wirtschaftlichen Interesses bezwecken, so dass im Ergebnis nur eine von ihnen erfüllt zu werden braucht, jedoch entweder verschiedene Leistungsinhalte, z.B. Erfüllungsanspruch und Surrogatsherausgabe, in Rede stehen 246 oder sich aus ihrer gesetzlichen Ausgestaltung selbst erhebliche Unterschiede ergeben. 247 Zur ersten Fallgruppe rechne die Konstellation, dass der ursprüngliche Eigentümer vom unbefugt wirksam verfügenden Besitzer Schadensersatz nach § 992 BGB bzw. Herausgabe des Surrogats nach § 816 I BGB verlange. Für die zweite Gruppe wird exemplarisch das Verhältnis von (vorläufigem) Wechselanspruch zum Anspruch aus dem Grundgeschäft genannt. Gleiches gelte für das Verhältnis possesorischer (§ 861 BGB) und petitorischer Ansprüche (§ 1007 BGB). Anspruchskonkurrenz nimmt Georgiades aber auch zwischen dinglichem (§ 985 BGB) und vertraglichem Herausgabeanspruch (§ 556 BGB) an. 248 Die in Anspruchskonkurrenz stehenden Anspruchsnormen bedingen nach Georgiades verschiedene Streitgegenstände. 249 Werden sie im selben Prozess erhoben, komme es zur (zulässigen) alternativen Anspruchshäufung. Diese Konstruktion eines zivilrechtlichen Einheitsanspruches wird im Hinblick auf die unterschiedliche verjährungs- bzw. verschuldensrechtliche Ausgestaltung der Tatbestände des materiellen Rechts kritisiert. 250 Auch nach der Reform des Verjährungsrechts bestehen bei vielen Anspruchstatbeständen, die dasselbe Leistungsinteresse verwirklichen wollen, Diskrepanzen hinsichtlich der Länge der Verjährungsfrist. 251 Die für die Lehre von der Anspruchsnormenkonkurrenz ins Feld geführten weiteren Argumente sind desweiteren stands dienen, nicht jedoch Teil des Streitgegenstandsbegriffs sind; denn die tatsächlichen Ausführungen des Klägers sind nicht Gegenstand der Rechtsbehauptung.“ Auch Habscheid muss eingestehen, dass diese Individualisierungsfunktion meist genügen wird, Streitgegenstand, S. 216. 246 Die Leistungsidentität ist für die Annahme einer Anspruchsnormenkonkurrenz zwingend erforderlich. Der Erfüllungszusammenhang kann sich, obgleich der wirtschaftliche Zweck derselbe ist, in sehr unterschiedlicher Art und Weise äußern. Es kann mit der Erfüllung des einen Anspruchs auch der andere erlöschen, soweit sich beide nach Art und Umfang decken. Oder: Der Gläubiger kann die Ansprüche von Anfang an nur wahlweise geltend machen. Bei der Tilgung der Kausalforderung steht dem Wechselanspruch lediglich eine Einrede entgegen. 247 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 164 f., 250; Dietz, S. 164. 248 Kritisch insoweit mit Recht Habscheid, ZVglRV 75 (1976), 217; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 225: Dass der Schuldner im Falle des dinglichen Anspruchs keine Verschaffungspflicht hat, ist in der Tat unerheblich. 249 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 251 f. 250 So mit Recht Stein/Jonas/H. Roth, vor §§ 253 ff. ZPO Rn. 36; Habscheid, ZVglRV 75 (1976), 217; Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 73 f. 251 Ausführlich zu den verjährungsrechtlichen Folgen einer Kombination von Versatzstücken verschiedener Ansprüche Arens, AcP 170 (1970), 392 f.
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nicht stichhaltig. Denn diese liefert nicht die einzig plausible Erklärung dafür, warum etwa gewisse vertragliche Regelungen auf den deliktischen Anspruch übertragen werden können. 252 Vielmehr kann dieses „Phänomen“ ohne weiteres mit den gängigen methodenrechtlichen Instrumentarien wie einer erweiternden Auslegung oder einer Analogie erklärt werden. Die Wechselwirkungen zwischen gleichgerichteten Ansprüchen lassen sich somit auch ohne die Lehre von der Anspruchsnormenkonkurrenz begründen. Im Übrigen decken sich die Ergebnisse weitgehend mit denen der eingliedrigen prozessualen Streitgegenstandslehre. Georgiades nennt denn auch Personen- und Leistungsidentität als die maßgeblichen Kriterien, ohne dem Sachverhalt besondere Bedeutung beizumessen.253 Die Zusammenfassung materieller Ansprüche zu einem Gesamtanspruch erscheint aber gekünstelt, wenn sie lediglich der Erzielung sinnvoller prozessualer Ergebnisse geschuldet ist. Hierdurch wird umgekehrt die prozessuale Natur des Streitgegenstands eher bestätigt. 254 Die Vermeidung von Parallelverfahren bei der Konkurrenz gleichgerichteter Anspruchsgrundlagen wird zum Großteil bereits durch den herrschenden zweigliedrigen prozessualen Streitgegenstandsbegriff gewährleistet. Dennoch liegen gewisse Vorteile der Lehre von der Anspruchsnormenkonkurrenz nicht allein auf „ästhetischem“ Gebiet. Vielmehr steht hinter ihr ein gerechtfertigtes Anliegen, die Förderung der Einheit der Rechtsordnung.
III. Streitgegenstand und Rechtsposition Auch Rimmelspacher ist einem materiellrechtlichen Streitgegenstandsverständnis verpflichtet. 255 Seine Betrachtungsweise ist dabei insofern eine relative, als er die Lösung der klassischen Streitgegenstandsfragen „von der Fessel des Streitgegenstandes“ lösen will. 256 Rimmelspacher erachtet vielmehr ein an der jeweiligen prozessualen Bewährungsprobe (Rechtshängigkeit, Klageänderung etc.) und ihren Zwecken orientiertes Vorgehen für notwendig. 257 Für Klageänderung und Rechtshängigkeit sei der Begriff des Streitgegenstands gar völlig unerheblich. 258 Seiner ausdrücklichen Intention entspricht es somit, die bisheri-
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So aber Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 167 f. Arens, AcP 170 (1970), 392, 419 f. 254 Musielak/Musielak, ZPO, Einl., Rn. 73. 255 Vgl. hierzu Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 37; zur Lehre Rimmels pachers: Detterbeck, Streitgegenstand, S. 44; Habscheid, in: FS Schwab, S. 193; ders. ZZP 84 (1971), 360; kritisch Schwab, JuS 1976, 69, 72; Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 91: nicht durchgesetzt. Befürwortend Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 59 f. 256 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 176. 257 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 176, 310. 258 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 367, 319, 28 f. 253
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gen Lehren nicht um eine neue zu erweitern. 259 Die herkömmlichen Kategorien der Streitgegenstandsbestimmung („Antrag“ und „Sachverhalt“) spielen bei ihm allenfalls eine untergeordnete Rolle. Der Fehler der materiellen Streitgegenstandslehren habe nach Rimmelspacher nicht in der Bezugnahme auf das materielle Recht bestanden, sondern in der Anknüpfung an den Begriff des Anspruchs herkömmlicher Prägung. 260 Indem er diesen – von der Methode her, aber nicht im Ergebnis ähnlich wie Henckel – in die beiden Elemente Rechtsposition und Rechtsbehelf (Dualismus) aufspaltet 261, will er den prozessualen Notwendigkeiten gerecht werden. Widerlegt werden soll die These, dass der materiellrechtliche Anspruchsbegriff nicht in der Lage sei, die prozessualen Aufgaben des Streitgegenstandsbegriffs zu lösen.262 Die Rechtsposition bedeute dabei die konkrete Erwerbsaussicht auf einen bestimmten Wert, verbunden mit der Befugnis, den empfangenen Wert zu behalten, zu gebrauchen oder zu verwerten.263 Die Einheit der Rechtsposition 264 bestimme über die Einheit des Anspruchs, ohne dass es auf Fragen der Anspruchsnormenkonkurrenz ankäme. Dabei verzichtet er neben dem Anspruchsgrund auch auf den Anspruchsinhalt. 265 Im Vordergrund steht eine breiter angelegte Ermittlung einer einheitlichen Wertposition. 266 Diese führe nicht nur zu einem Anspruch, sondern auch 259 Im Ergebnis „gelingt“ ihm dies indes dennoch, wenngleich beschränkt auf die Leistungsklage. 260 Rimmels pacher, JuS 2004, 559 f. Zur Lehre Rimmels pachers auch Schwab, JuS 1976, 72: Es gehe ihm nicht um die Frage, „ob mehrere in Anspruchskonkurrenz befindliche Ansprüche zu einem Anspruch zusammengefasst werden können.“ 261 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, 168 f.; ders. JuS 2004, 559 f.; abweichend Wieser, JR 1967, 322 f., der nur auf das Anrecht abhebt und den „Rechtsbehelf“ aus dem Gesamtanspruch eliminiert wissen will; zur Lehre Rimmels pachers kritisch: Habscheid, ZZP 84 (1971), 360 f.; K.H. Schwab, in: FS Lüke, S. 805 f.; befürwortend H. Roth, Einrede, S. 45 f.; Rödig, Theorie, § 45.1, S. 190: gedankliches Gebäude von imponierender Klarheit. Anklänge an diesen Dualismus zwischen Substrat der Forderung und Rechtsbehelf finden sich bereits bei Bähr, Anerkennung als Verpflichtungsgrund. Noch früher unterschied v. Ihering, Geist des römischen Rechts, Bd. III, § 60, S. 339 f., das Substrat des Rechts, seiner Ansicht nach das Interesse, von seinem Schutz selbst; Rehfeldt, Einführung, S. 63, unterscheidet das Recht zum gerichtlichen Ansprechen vom Substrat des Rechts. 262 Für die Übertragung des materiellen Anspruchsverständnisses ins Prozessrecht Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 239 f. 263 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, 103 f. Diese Rechtsposition, die das Verpflichtungselement nicht enthalte, sei Bezugspunkt der Erfüllung, was auch beim verjährten Anspruch zum Ausdruck komme. Das Geleistete könne nicht zurückgefordert werden. Die Befriedigung des Gläubigers sei auch bei Sicherheiten für verjährte Ansprüche möglich (§ 223 BGB a.F., vgl. nun § 216 BGB). 264 Die Herausarbeitung der Rechtsposition bezeichnet er als Negativverfahren, Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 47. 265 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 67 f., 77 f. Die Ausblendung des Anspruchs- und Leistungsinhalts korrespondiert mit der Ausblendung der Passivseite, also der Identität des Verpflichteten. 266 Zutreffend H. Roth, Einrede, S. 46.
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zu einem Streitgegenstand. 267 Der Rechtsbehelf soll dagegen der Durchsetzung und Sicherung dieser Rechtsposition dienen (Schutzmittel), wobei hierzu von ihm neben Schutzansprüchen 268 auch das Zurückbehaltungsrecht 269, sonstige Einreden und die Aufrechnungsbefugnis gerechnet werden. 270 Während der einzelne Rechtsbehelf sich auch durch den Anspruchsinhalt, den Leistungsgegenstand, bestimme, gelte dies für die Rechtsposition nicht.271 Verschiedene Rechtsbehelfe können somit derselben Rechtsposition dienen. Besonders augenfällig sind hier die Parallelen zu Rudolf v. Ihering, der ebenfalls vom Inhalt einer Forderung, den er als Interesse bezeichnete, deren Schutz unterschied. 272 Da der Begriff des Rechtsbehelfs sich auf den außerprozessualen und den prozessualen Bereich gleichermaßen beziehe, bedürfe es keines eigenständigen Streitgegenstandsbegriffs. 273 Obwohl Rimmels pacher sich gerade nicht an Begriffen wie Klageantrag und Sachverhalt orientiert, sind seine Ergebnisse oft deckungsgleich mit den Ergebnissen der zweigliedrigen prozessualen Streitgegenstandslehre. 274 Bezogen auf Rechtshängigkeit, Rechtskraft und Klageänderung bedingen verschiedene Rechtspositionen jeweils unterschiedliche Streitgegenstände. 275 Bei gleichbleibender Rechtsposition sei auch im Falle einer Änderung des Rechtsbehelfs von Streitgegenstandsidentität auszugehen, wenn nicht zugleich ein Wechsel im Anspruchsinhalt vorliege. § 308 ZPO ziehe aber sowohl für Rechtshängigkeit, Rechtskraft und Klageänderung eine Grenze für den Austausch von Rechtsbehelfen im Verfahren. 276 Gleichbedeutend mit der Rechtsposition spricht Rimmelspacher von einem Anrecht des Klägers auf einen bestimmten Wert277, welcher durch die Leistung des Beklagten verwirklicht werden soll. Habe er nur einmal Leistung zu erwarten, so verfüge er auch bei mehreren Anspruchs-
267 268
Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 168 ff. So die verengende Terminologie Rimmels pachers, Materiellrechtlicher Anspruch,
S. 113. 269
Sog. passiver Rechtsbehelf. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 115 f. 271 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 110; 78 f.; 103. 272 Näher Rödig, Theorie, S. 191. 273 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 175; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 37. 274 Bub, Streitgegenstand, S. 25. Habscheid spricht deswegen von einer anderen „Art und Weise, dasselbe Phänomen zu erklären“, ZZP 84 (1971), 360. 275 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 202 f., 207; 319. 276 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 228 f., 321 f. und 363 f. Er unterscheidet hierbei nicht zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft. Nach Rimmels pacher könne der Kläger eine Begrenzung des Streitgegenstands erreichen, indem er Tatsachen vortrage, die lediglich den einen oder anderen Anspruch begründen. 277 Rimmels pacher, JuS 2004, 561 f.; ders., Materiellrechtlicher Anspruch, S. 168: als Anwartschaft auf einen Wert, verbunden mit der Befugnis, diesen zu behalten und zu verwerten. 270
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grundlagen nur über eine Rechtsposition. 278 Rimmels pacher 279 wollte seine Thesen zunächst ausdrücklich auf die Leistungsklage beschränkt wissen, da er den Anspruch als die zentrale Position des materiellen Rechts begreift. 280 Dennoch hat er später seinen Blick auf die Feststellungsklage geweitet: „Auch im Rahmen von Feststellungsklagen geht es um die Klärung von Rechtsfolgen, freilich nur solcher Rechtsfolgen, die sich als Rechtsverhältnis, also – wie man üblicherweise formuliert – als eine Rechtsbeziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einem Gegenstand darstellt. Soweit eine Feststellungsklage auf die (bloße) Feststellung eines Leistungsanrechts zielt, wird dieses übrigens von anderen ebenso wie bei einer Leistungsklage abgegrenzt.“281
Im Zeichen der Einheit der Rechtsordnung erscheint die Wiederannäherung von Prozessrecht und materiellem Recht als legitimes Ziel.282 Rimmelspachers Ansatz besticht hierbei durch Innovationskraft und Originalität. 283 Die prozessuale Bündelung gleichgerichteter Ansprüche gelingt durch ähnliche Kriterien, wie sie die Lehre von der Anspruchskonkurrenz benutzt. Hinter dieser Rechtsposition steht ein einheitliches wirtschaftliches bzw. rechtliches Interesse, das ihr Inhaber verwirklicht wissen will.284 So rechtfertigt Rimmelspacher gerade im Falle von § 264 Nr. 3 ZPO die Ausnahme vom Klageänderungsverbot mit der Vorstellung einer Rechtsposition, die sich aus einer Urposition entwickelt. 285 Allerdings wird der Leser auch einiger Ungereimtheiten gewahr: So hat K.H. Schwab mit Recht darauf hingewiesen, dass die Zweiteilung von Rechtsposition und Rechtsbehelf kaum auf den materiellen Anspruch übertra278
„Ob jemand eine Leistung oder mehrere Leistungen fordern kann, ist anhand der Kontrollfrage zu entscheiden: Stehen ihm gemäß dem Parteiwillen oder auf Grund gesetzlicher Wertung nach Erhalt der einen Leistung weitere Leistungen zu?“, Rimmels pacher, JuS 2004, 561 f.; dazu auch vor dem Hintergrund von § 1 I 1 KapMuG Rimmels pacher, in: FS Leipold, S. 134. 279 Zum Anrecht Otto Schreiber, S. 45: „Das Anrecht richtet sich nicht auf eine Leistung oder auf ein Tun, sondern lediglich auf einen Erfolg, der dem Berechtigten nach dem Willen des Gesetzes zu Teil werden soll“; ders., S. 47: „Ein Anrecht liegt also dann vor, wenn kraft Gesetzes ein Berechtigter einen Erfolg bekommen soll; der Erfolg muss in der Änderung eines vorhandenen Zustandes bestehen.“ 280 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 3. Dies ist insoweit eine Verkürzung, als jede Streitgegenstandslehre Feststellungsklage und Gestaltungsklage einbeziehen sollte. Auch die Motive zum BGB sehen den Anspruch nicht in jeder Hinsicht als zentral an, Motive, Bd. I, S. 291: Die Existenz eines Feststellungsanspruchs wird ausdrücklich abgelehnt. 281 Rimmels pacher, JuS 2004, 561 f. 282 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 2; Rödig, Theorie, S. 186; Goldschmidt, in: FG Hübler, S. 85 f. Goldschmidts Lehre vom materiellen Justizrecht war ein Schritt in die falsche Richtung und gilt mittlerweile als überwunden. 283 Rödig, Theorie, S. 193, meint, dass Rimmels pachers Anspruchsposition den von Windscheid geprägten Begriff übertreffe. 284 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 168, bezeichnet die Anwartschaft z.T. selbst als Interesse. 285 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 358, 359, 367.
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gen werden kann. 286 Der Grund, warum bei einem verjährten Anspruch eine Rückforderung der Leistung nicht mehr möglich sei (§ 813 I 2 BGB), ist nicht darin zu sehen, dass, wie Rimmelspacher annimmt, der Gläubiger zwar über eine Rechtsposition, aber keinen Rechtsbehelf mehr verfüge, sondern dass dieser weiterhin einen „ungeteilten“ Anspruch inne hat. Denn auch ein verjährter Anspruch ist durchsetzbar, solange der Schuldner nicht die Einrede der Verjährung erhebt. Überhaupt wird häufig Einfaches kompliziert erklärt. Bedenklich ist zudem, dass Rimmelspacher bei der Bestimmung seiner Position nicht auf eine bestimmte Leistung achtet, aber dennoch von der „Anwartschaft auf einen in bestimmter Form verkörperten Wert“ spricht. 287 Dieser Wert beinhaltet ein Moment der Unsicherheit, zumal Rimmelspachers Ausführungen hier im Ungefähren bleiben. Gleiches gilt für den Begriff der Anwartschaft, der rechtlich begründeten Aussicht auf diesen Wert. 288 Weitere Bedenken ergeben sich aus dem Verhältnis von Rechtsposition und Rechtsbehelf zueinander. 289 Im Übrigen überträgt Rimmelspacher die Ergebnisse, welche die prozessuale Streitgegenstandslehre erzielt hat, weitgehend auf den materiellrechtlichen Anspruch. 290 Mit der Funktion des materiellen Anspruchs ist dies kaum zu vereinbaren. Damit trifft Rimmelspacher der auch bereits gegen Henckel gerichtete Vorwurf.
IV. „Mischlehren“ 1. Prozessualer Streitgegenstandsbegriff mit materiellrechtlich geprägtem Lebenssachverhalt In jüngerer Zeit wird von der prozessualen Warte aus versucht, materiellrechtliche Elemente in die Streitgegenstandsdefinition zu integrieren. Die Abgrenzung des Lebenssachverhalts sei anhand derjenigen Tatbestände des materiellen 286
Schwab, JuS 1976, 73. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 81; hierzu Rödig, Theorie, S. 193. 288 Rödig, Theorie, S. 195, kritisiert zudem, dass bei einem Verzicht auf den Anspruchsgrund als dem rechtlich relevanten Sachverhalt diese rechtlich begründete Aussicht auf den Wert nicht erklärbar sei. Seiner Ansicht nach sei zudem kaum verständlich, wie bei Ausblendung der Person des Verpflichteten diese rechtliche Erwerbsaussicht begründet werden könnte. Dabei beruft er sich auf Kant, Metaphysik der Sitten, Vorländer-Ausgabe, S. 259 f., und den Zusammenhang von subjektivem Recht und Pflicht, vgl. auch Bruns, FS Nipperdey I, S. 3 ff. 289 Nach Rödig, Theorie, S. 195 f., passten beide nicht zueinander: „Weshalb nun aber die nach Voraussetzung weder ein bestimmtes Verhalten in Aussicht stellende noch gegen einen bestimmten Adressaten gerichtete Anwartschaft außergerichtlich allein durch das an eine bestimmte Person adressierte Verlangen auf Vornahme einer bestimmten Handlung geltend gemacht werden könne, leuchtet nicht ein.“ Zwischen der Position und dem gerichtlichen Befehlen des „Klage-“ und „Zugriffsanspruchs“ klaffe eine noch größere Lücke. 290 Schwab, in: FS Lüke, S. 806; Habscheid, ZZP 84 (1971), 360. 287
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Rechts vorzunehmen, aus denen die beantragte Rechtsfolge sich ergebe.291 Damit soll im Vergleich zur „natürlichen Betrachtungsweise“, wie sie die Rechtsprechung überwiegend praktiziert, eine trennschärfere Abgrenzung des Lebenssachverhalts gelingen.
a) Das „dreigliedrige Verständnis“ von Böhm Der von Böhm entwickelte Streitgegenstandsbegriff, der als dreigliedrig bezeichnet werden kann 292, bringt verstärkt zum Ausdruck, dass materielles Recht als Gegenstand und Verfahrensrecht als Mittel der Rechtsverwirklichung im Prozess unaufhebbar aufeinander bezogen sind. 293 Ähnlich wie nach der zweigliedrigen Streitgegenstandslehre294 sind zunächst prozessuales Rechtsschutzziel 295 und Lebenssachverhalt maßgeblich. Zur Konturierung des tatsächlichen Elements soll das von Böhm als drittes Merkmal erwähnte materielle Rechtsschutzziel (die Rechtsfolgenbehauptung) dienen.296 Hiernach müssen die materiellen Vorschriften ermittelt werden, welche den Lebenssachverhalt begrenzen. Für Streitgegenstandsidentität setzt Böhm folglich neben der Übereinstimmung in der beantragten Rechtsfolge bzw. des Lebenssachverhalts zusätzlich eine funktionelle Gleichwertigkeit der materiellen Anspruchsgrundlagen voraus, die im Einzelfall zu ermitteln sei. Diese Gleichwertigkeit bestehe, wenn der materiellrechtliche Gehalt des im zweiten Verfahren angestrebten Rechtskraftgegenstandes mit der im Erstprozess ergangenen Entscheidung bereits in summa ausgeschöpft sei. Damit liegt nach seiner Ansicht ein komplexer Begriff nahe, welcher alle Aspekte synthetisch in sich aufnehme: das (angestrebte) „meritorische Rechtsschutzziel“. 297 Darunter versteht Böhm das vom Kläger aufgrund seiner Rechtsfolgenbehauptung nach Form und Inhalt begehrte Urteil im Umfang seiner typischen Wirkungen. Im Ergebnis sieht er im Streitgegenstand den „potentiellen Urteilsgegenstand“ und „hypothetischen Rechtskraftgegenstand“. Mit dem so präzisierten Begriff des (meritorischen) Rechtsschutzziels scheint seiner Ansicht nach das gesuchte Bindeglied vor allem deshalb gefunden zu sein, weil in ihm der mit der Klage angestrebte materielle Erfolg in die ihm gemäße prozessuale Kategorie der möglichen Urteilswirkungen übersetzt und in ihr bewahrt werde. 291
Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 212; Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 76, § 322 Rn. 76; § 322 Rn. 32; ders., in: FS Nakamura, S. 433 (440); Böhm, in: FS Kralik, S. 109 f.; als Vorläufer wirkte Lent, ZZP 65 (1952), 339 f. (allerdings diente der Sachverhalt hier nicht als Streitgegenstandskomponente, sondern als Tatsachenauslesefaktor). 292 Detterbeck, Streitgegenstand, S. 41 f. 293 Böhm, in: FS Kralik, S. 109 f.; Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 226 f. 294 Habscheid, Streitgegenstand, S. 194 ff. 295 Böhm, in: FS Kralik, S. 109. 296 Böhm, in: FS Kralik, S. 111. 297 Böhm, in: FS Kralik, S. 109 ff. Er sei damit in seiner Ansicht nicht so sehr verschieden von der Auffassung Rimmels pachers, der zwischen Rechtsbehelf und Rechtsposition unterscheide. Kritisch Habscheid, in: FS Schwab, S. 194 f.
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Diese Sichtweise unterscheidet sich von der Streitgegenstandslehre Habscheids zum einen darin, dass dieser die Verfahrensbehauptung zur Rechtsbehauptung zählt, somit also neben dem Lebenssachverhalt von einem zweigliedrigen Begriff ausgeht. 298 Zum anderen ermittelt Habscheid die Tatsachengrundlage auf der Basis einer natürlichen Betrachtungsweise ohne materiellrechtliche Begrenzungen. Für Klagen auf Feststellung eines absoluten Rechts erachtet Böhm eine Sachverhaltsabgrenzung für überflüssig, weil das Rechtsschutzziel trotz Änderung des Erwerbsgrundes identisch bliebe. 299 Im Hinblick auf seinen materiellrechtlich orientierten Ansatzpunkt erscheint dies konsequent. Das von Böhm betonte materielle Rechtsschutzziel scheint ein häufig vernachlässigter Aspekt zu sein. Zutreffend ist deswegen auch seine Erkenntnis, dass die Streitgegenstandsbestimmung sich an materiellen Kriterien zu orientieren habe. Hingegen kann das Abheben auf Anspruchsnormen gleicher Kategorie bzw. ihre funktionelle Gleichwertigkeit nicht überzeugen, da damit eine u.U. komplizierte Unterscheidung nach Funktionen im Einzelfall notwendig würde.300 Insgesamt wäre eine Überfrachtung des Prozessrechts durch materielle Wertungen (unterschiedliche Verjährungsfristen bzw. abweichende Beweislast) zu befürchten, was die Aufgaben des Gerichts übersteigen dürfte. Die Ergebnisse sind zudem kaum berechenbar. So befürwortet Böhm im „Kaufpreis-Wechsel-Fall“301 die Annahme verschiedener Rechtsschutzziele, will aber entgegen der h.L. die Klage auf Herausgabe eines Gegenstands stets einheitlich beurteilen, unabhängig davon, ob diese mit Eigentum oder Besitz begründet wird. Die Annahme, dass petitorische und possessorische Ansprüche denselben materiellen Ordnungsgehalt verwirklichen, muss aber überraschen.302 Insgesamt führt diese Methode zu unnötigen Verengungen des Urteils- und vor allem des Verfahrensgegenstandes.
b) Abgrenzung nach materiellrechtlichen Tatbeständen Vergleichbare Konzepte einer „materiellen Einfärbung“ des Lebenssachverhalts verfolgen vor allem Jauernig/Hess, Musielak, Reischl und Wernecke.303 Jauernig, der im Ausgangspunkt die Streitgegenstandsbestimmung als rechtspoliti298 Anders Hesselberger, Streitgegenstand, S. 197, der von einem dreigliedrigen Verständnis spricht; vgl. auch Detterbeck, Streitgegenstand, S. 43. 299 Böhm, in: FS Kralik, S. 118 f.; ebenso Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 3 Rn. 46; Nikisch, Streitgegenstand, S. 77; ders. AcP 154 (1954), 294; a.A.: Habscheid, Streitgegenstand, S. 191 ff.; ders., in: FS Schwab, S. 190 f.; Schwab, Streitgegenstand, S. 174 f., im Zusammenhang mit den objektiven Grenzen der Rechtskraft. 300 Kritisch auch Habscheid, in: FS Schwab, S. 194 ff. 301 Hierzu oben § 9 I 1. 302 Böhm, in: FS Kralik, S. 118 f. 303 Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 1 Rn. 41; Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 74 f.; Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 221 ff.; Bub, S. 163 ff.; Medicus, WUB IV A. § 477 BGB 1.04; Grunsky, Grundlagen, § 5 II 2; kritisch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 227 f.; W. Lüke, ZPR, Rn. 163; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38 ff.
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sche Wertungsfrage versteht, will die Konturen des Sachverhalts dabei unter Zuhilfenahme einzelner materiellrechtlicher Anspruchsnormen ermitteln 304: Hiernach bildeten den Sachverhalt diejenigen Tatsachen eines natürlichen Lebensvorgangs, „die ganz oder teilweise den gesetzlichen Tatbestand solcher Anspruchsnormen ausfüllen, aus denen das dem Antrag behauptete Recht abgeleitet werden kann.“305 Jauernig hält somit im Ansatz an der zivilistischen Konkurrenzlehre fest, modifiziert sie jedoch im Einzelfall nach zivilprozessualen Grundsätzen, wenn die Annahme verschiedener Streitgegenstände seiner Ansicht nach nicht gerechtfertigt wäre. Dies soll der Prozesskonzentration dienen. Ein Streitgegenstand liege demgemäß vor, wenn vertragliche mit deliktischen Ansprüchen konkurrierten bzw. beim Aufeinandertreffen vertraglicher und dinglicher Herausgabeansprüche. Zu einer Streitgegenstandsdivergenz gelangt Jauernig im „Kaufpreis-Wechsel-Fall“.306 Darüber hinaus weist Jauernigs Verständnis weitere Besonderheiten auf, die ihn auch als Vertreter einer relativen Streitgegenstandslehre erscheinen lassen. Eine ähnliche Tendenz zur Konturierung des Lebenssachverhalts nach rechtlichen Kriterien verfolgt Musielak, wobei er sich in erster Linie an Fragen der materiellen Rechtskraft orientiert:307 „Zu dem Lebenssachverhalt, der für den Streitgegenstand maßgebend ist, gehören alle Tatsachen, auf deren Existenz (oder Nichtexistenz) es für die Anwendung des den Klageantrag rechtfertigenden Rechtssatzes ankommt.“308
Die juristische Feinsteuerung des Tatsachenmaterials soll bei ihm eine materielle Schlüssigkeitsprüfung der Klage leisten:309 Von dem schlüssigen Vortrag entsprechender Tatsachen hänge der Erfolg der Klage ab; weitere Fakten, die zwar in einem Zusammenhang mit diesem Tatsachenstoff stünden, jedoch für die Schlüssigkeit der Klage ohne Bedeutung seien, gehörten folglich nicht zum maßgebenden Lebenssachverhalt. Dieser werde somit durch Tatsachen verändert, die für die Schlüssigkeit der Klage bedeutungslos wären (§ 331 II ZPO).310 304 Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 1 Rn. 41; Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 25 ff.; hierzu Stein/Jonas/H. Roth, vor § 253 Rn. 38; ähnlich Fasching, Lehrbuch, Rn. 1158; etwas anders Böhm, in: FS Kralik, S. 102. 305 Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 1 Rn. 41: Bei sog. selbstabgegrenzten Anträgen (z.B. Herausgabe einer bestimmten Sache) sei der Tatsachenvortrag zwar zur Individualisierung entbehrlich; dennoch rechne er unter der Geltung der Verhandlungsmaxime zum Streitgegenstand. 306 Zum Fall oben § 9 I 1. 307 Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 75; ders., in: FS Nakamura, S. 434; ders., NJW 2000, 3593 ff. 308 Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 75 f.; ausdrücklich zustimmend Teplitzky, WRP 2007, 3. 309 Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 76; ders., NJW 2000, 3593; ders., in: FS Nakamura (1996), S. 434; ihm folgend Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 227 f. 310 Musielak, NJW 2000, 3595.
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Umgekehrt läge ein einheitlicher Sachverhalt vor, wenn ein historischer Vorgang nicht in eigenständige Rechtsfolgen begründende Tatsachenkomplexe aufgeschlüsselt werden könnte.311 Für den Fall, dass der Verkäufer einer Kiste Wein vom Erwerber zunächst Zahlung unter Berufung auf den Vertragsschluss verlangt und, nachdem sich dessen Nichtigkeit herausgestellt hat, auf den Verbrauch der Ware abstellt (§ 818 II BGB), nimmt Musielak verschiedene Streitgegenstände an. Gleiches gelte im „Grundgeschäft-Wechsel-Fall“.312 Andererseits befürwortet er in der vom BGH entschiedenen313 Konkurrenz einer Werklohnklage mit einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, der auf den Einbau von Baumaterialien gestützt wird (Sachverhaltseinheit), die Identität der Streitgegenstände. Die von Musielak verwendete Definition würde jedoch bei korrekter Anwendung bereits im „Straßenbahnfall“314 zur Vervielfältigung der Streitigkeiten führen. 315 Die erzielten Ergebnisse müssen deswegen von Musielak durch außerhalb seiner Definition liegende Kriterien korrigiert werden.316 Auch die vom BGH mit Recht als Einheit bewertete Konkurrenz einer sachmängelbedingten Rückzahlungsklage (aus vollzogener Wandelung317 bzw. nunmehr §§ 346, 323, 437 Nr. 2 BGB) mit einer auf arglistiges Verschweigen des Mangels gestützten Bereicherungsklage würde kaum diesen Schlüssigkeitstest bestehen318, obgleich eine Prozessvermehrung hier nicht sinnvoll erscheint.319 Reischl 320 kombiniert diese prozessuale Schlüssigkeitsprüfung seines Lehrers Musielak mit dem von Böhm übernommenen materiellrechtlichen Gleichwertigkeitskriterium: „Für die Streitgegenstandsabgrenzung ergibt sich insgesamt ein Ausleseverfahren, das den Sachverhalt im ersten Schritt anhand des materiellrechtlichen Gleichwertigkeitskriteriums bündelt und im zweiten Schritt mittels des prozessualen Schlüssigkeitskriteriums diejenigen Tatsachen aussondert, die zur Rechtsfolgenerzeugung nicht benötigt werden.“
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Zusammenfassend Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 228. Vgl. oben § 9 I 1. 313 BGH NJW 1990, 1795; Musielak, NJW 2000, 3598. 314 Oben § 10 I. 315 Berechtigte Kritik bei Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38. 316 Musielak, NJW 2000, 3596, ohne dies allerdings zuzugeben: Der vom Kläger vorgetragene rechtlich relevante Tatsachenstoff könne hier nicht in verschiedene und dabei rechtlich eigenständige Vorgänge aufgespalten werden; ihm folgend Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 235, ohne selbst Substantielles beisteuern zu können. 317 BGHZ 157, 51 f.; hierzu Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 520 ff. 318 So die Einschätzung von Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38 f. 319 Auch nicht im Hinblick auf die betrügerische Handlung des Verkäufers. 320 Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 229. 312
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Hierbei sieht er sich durch die historische Entwicklung bestätigt.321 Keine materiell gleichwertigen Rechtsfolgen seien etwa im „Kaufpreis-Wechsel-Fall“ gegeben, wobei der Vorgang des Kaufvertragsschlusses für die Schlüssigkeit der Wechselklage unerheblich sei. Mehrere prozessuale Ansprüche legt Reischl322 auch im „Wein-Fall“ zugrunde. Die Rechtsfolgen stünden sogar in einem materiellen Ausschließlichkeitsverhältnis.323 Hingegen gehörten im vom BGH entschiedenen „Werkvertragsfall“324 sowohl die Lieferung als auch der Einbau zu den Schlüssigkeitsmerkmalen des Werklohnanspruchs, was die Annahme von Streitgegenstandsidentität im Verhältnis zum Kondiktionsanspruch rechtfertige. Insgesamt erscheint die Orientierung an materiellrechtlichen Zusammenhängen aber einer „natürlichen Betrachtungsweise“ des Sachverhalts überlegen.325 Ein Rückschritt in überwundene Zeiten aktionenrechtlichen Denkens muss damit nicht verbunden sein, wenn sie mit Augenmaß gehandhabt wird.326 Im Ergebnis wird damit der dienenden Funktion des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht Ausdruck verliehen. Dieser „Materialisierung des Lebenssachverhalts“ kann aber nur Bedeutung als negatives Abgrenzungskriterium dergestalt zukommen, dass die Ausgestaltung materiellrechtlicher Tatbestände gegen die Annahme verschiedener Lebenssachverhalte streitet, wenn Überschneidungen bestehen.327 Umgekehrt lässt sich aus der angeblichen Selbständigkeit von Tatbeständen nicht zielsicher eine Mehrheit prozessualer Ansprüche ableiten. Die Indizwirkung328 kommt insbesondere zum Tragen, „wenn der prägende Komplex des neuen Vorbringens anspruchs- oder einwendungsbegründende Merkmale des früheren Vorbringens erfüllt.“329 Im Ergebnis handelt es sich lediglich um eine Hilfserwägung, immer unter der Voraussetzung, dass der Tatsachenvortrag überhaupt den Streitgegenstand gleichwertig mitbestimmt. 321 Vgl. zur Gleichwertigkeit der Rechtsfolgen als Kriterium Bekker, Consumption, S. 119. Allerdings sei das Kriterium des Rechtsverhältnisses durch das Anspruchssystem auszutauschen. 322 Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 234. 323 Hierzu auch Bub, Streitgegenstand, S. 178. 324 BGH NJW 1990, 1795 f. 325 A.A. Habscheid, in: FS Schwab, S. 188; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38. 326 Kritischer aber Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 40. 327 BGHZ 157, 49. 328 So zustimmend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38; a.A. Medicus, WUB IV A. § 477 BGB 1.04 unter Betonung der Einzelfallgerechtigkeit (wenn neben die objektiv mangelhafte Leistung eine betrügerische Handlung trete). 329 Stein/Jonas/H, Roth, ZPO, vor 253 Rn. 38. Etwa im Falle von BGHZ 157, 49: Der Vortrag der Arglist ist sowohl für die auf § 812 I S. 1 1. Alt. BGB gestützte Rückzahlungsklage des Käufers als auch innerhalb des Anspruchs auf Wandlung (§ 477 BGB a.F.) relevant. Gleiches gilt im Straßenbahnfall für das Verschulden, das bei der Gefährdungshaftung die Haftungsquote bestimmt und bei § 823 I BGB zur Anspruchsbegründung gehört.
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2. Die Übertragung des eingliedrigen prozessualen Begriffs ins materielle Recht Hesselberger hat in seiner Arbeit in erster Linie den eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff seines Lehrers Schwab gegen Anfechtungen verteidigt.330 Neuigkeitswert gewinnt seine Arbeit aufgrund des Versuchs, diese mit den materiellrechtlich orientierten Überlegungen Georgiades zu synthetisieren. Für die Einheit des Antrags im Prozess stehe im materiellen Anspruchsdenken die Einheit der Leistung.331 Hesselberger versucht diese Erkenntnis in einen größeren historischen Zusammenhang einzuordnen: „Es ist gezeigt worden, dass sowohl die römischrechtliche Lehre von der Konkurrenz der Aktionen als auch die gemeinrechtliche Lehre von der Konkurrenz der Klagen als erste Voraussetzung die Identität des Zieles fordern. Dieses Erfordernis gilt im Rahmen der Lehre von der Konkurrenz der Ansprüche unverändert weiter. … Unter Identität des Zieles ist die Identität der Leistung zu verstehen.“332
Für die Frage der Anspruchskonkurrenz ist nach Hesselberger der Anspruch in seiner Funktion als Leistungsträger entscheidend. Die Unterscheidung zwischen dem Anspruch als Verfügungsobjekt und als Leistungsträger unter Preisgabe eines einheitlichen materiellen Anspruchsbegriffs dient zur Lösung des Grundgeschäft-Wechsel-Falls: „Derjenige, dem der Schuldner einen Wechsel zur Sicherung einer Kaufpreisforderung ausstellt, ist sicher Inhaber zweier Ansprüche im Sinne von Verfügungsobjekten; er kann also jederzeit getrennt über beide Ansprüche verfügen. Ihm steht die geschuldete Leistung aber nur einmal zu. Von der Leistung her gesehen, besteht daher nur ein einziger Anspruch.“333
Im Gegensatz zu Georgiades befürwortet Hesselberger im Verhältnis der rei vindicatio (§ 985 BGB) zu obligatorischen Herausgabeansprüchen eine Anspruchsnormenkonkurrenz, während jener die materiellrechtlich unterschiedliche Ausgestaltung dinglicher und obligatorischer Ansprüche für wesentlich hält. In beiden Fällen begehre der Gläubiger aber, so Hesselberger, dieselbe Leistung, wobei Leistungsgegenstand und Leistungsinhalt sich deckten. Hingegen verneint er für §§ 861 und 1007 BGB die Leistungsidentität: Der eine Anspruch 330 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 252 ff.: Er sieht darin „einen Höhepunkt prozessualen Anspruchsdenkens“. 331 Vgl. Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 219. 332 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 259; Beys, ZZP 105 (1992), 145 ff., spricht in diesem Zusammenhang von einer „dazwischentretenden Theorie“. 333 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 286 f. Hesselberger, so Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 219, wollte der misslichen Konsequenz der Lehre von Georgiades entgehen, der trotz einheitlichem Leistungsbegehren zwei prozessuale Anspruchsbegriffe kennt. Vgl. aber auch Hesselberger, Streitgegenstand, S. 291: „Man sollte es sich endlich abgewöhnen, aus den Vorschriften über den Wechselprozess Rückschlüsse auf den Begriff des Streitgegenstands zu ziehen.“
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sei auf die vorläufige, der andere auf die endgültige Herausgabe der Sache gerichtet. Im Ergebnis hebt Hesselberger die Unterscheidung von Georgiades zwischen Anspruchskonkurrenz und Anspruchsnormenkonkurrenz (bei einheitlichem Leistungsbegehren) in allen genannten Fällen auf und schafft die Grundlage für einen einheitlichen prozessualen Anspruch. Dieser bezeichne primär ein Leistungsbegehren gegen den Schuldner.334 Hesselberger befürwortet in der Sache eine weitgehende Annäherung an das materielle Recht. Eine konsequente Definition von Hesselberger müsste deswegen lauten: „Streitgegenstand im Prozess ist der behauptete, materielle Anspruch in seiner Funktion als Leistungsträger.“335 In Anlehnung an Georgiades verzichtet Hesselberger dabei auf den Sachverhalt als Abgrenzungskriterium und wendet sich gegen alle Ansichten, die diesen in irgendeiner Weise zur Lösung von materiellrechtlichen Anspruchskonkurrenzen heranziehen wollen: „Im klassischen römischen Recht ist die Einheit oder Mehrheit des Sachverhalts (causa actionis) eine der Voraussetzungen der Aktionenkonkurrenz. Im gemeinen Recht hängt zwar nicht die Existenz, wohl aber die prozessuale Behandlung der Klagenkonkurrenz von der Einheit oder Mehrheit der Sachverhalte ab, im modernen Prozess soll sie nach überwiegender Meinung für die Streitgegenstandslehre wichtig sein und in der Privatrechtslehre soll sie zur Abgrenzung der Anspruchseinheit von der Anspruchsmehrheit dienen.“336
Hesselberger versucht insoweit den Beweis für eine historisch bedingte Fehlentwicklung anzutreten337, den Habscheid aber als untauglich qualifiziert.338 Die Römer hätten den Sachverhalt in sehr differenzierter und zurückhaltender Form zur Anspruchsindividualisierung herangezogen. Die „intentio“ habe z.T. nur eine Kurzbezeichnung des Anspruchsgrundes enthalten.339 Nach Habscheid sei deswegen gar nicht einzusehen, warum die historische (Fehl-)ent334 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 294, resümiert: „Nicht die Klagbarkeit als solche, sondern die dadurch eröffnete Möglichkeit, dass der Anspruch über den Klageantrag den Gegenstand des Prozesses bestimmt, bezeichnet eine weitere, bisher angesichts der herrschenden Lehre von der Anspruchskonkurrenz vernachlässigte Funktion, nämlich seine prozessuale Funktion als streitgegenstandsbestimmender Faktor im Leistungsprozess und im Feststellungsverfahren, das auf die Feststellung eines materiellen Anspruchs gerichtet ist.“ 335 Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 218 f., 221. 336 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 220. 337 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 25. 338 Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 221. 339 Den Sachverhalt umschreibt nur die demonstratio, die allerdings nur für die Klage auf ein incertum erforderlich war. Der Lebenssachverhalt wurde im ersten Verfahrensabschnitt dem Prätor vorgetragen. Dieser erteilte oder verweigerte die actio und bestimmte damit über den Streitgegenstand. Der Kläger musste sich dem unterwerfen oder von seinem Klagebegehren Abstand nehmen. Im Verfahren apud iudicem stand das Streitprogramm bereits fest. Die nochmalige (ausführliche) Einbeziehung des Lebenssachverhalts war überflüssig, Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), S. 221; oben § 3 I.
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wicklung zur Einbeziehung des Sachverhalts in den materiellen oder prozessualen Anspruchsbegriff geführt haben sollte, wenn im römischen Formularverfahren die Einbeziehung des Sachverhalts eine Ausnahme war.340 Erscheine das klägerische Begehren als eine nur einmal zu fordernde Leistung, so soll nach Hesselberger auch nur ein prozessualer Anspruch erhoben sein. Für die Frage der Leistungseinheit oder Leistungsmehrheit müsse zwar auf den Lebenssachverhalt zurückgegriffen werden. Dies bedeute aber nicht, dass der Tatsachenvortrag den Streitgegenstand unmittelbar mitbestimmt. Habscheid hat dem entgegengehalten, dass es nicht darauf ankomme, ob der Kläger die Leistung einmal oder mehrmals fordern dürfe, sondern ob er sie einmal oder mehrmals fordert. Ansonsten würde zur Bestimmung des Streitgegenstands die Begründetheit der Klage geprüft. Jedoch habe nach überwiegender Auffassung auch eine unschlüssige Klage einen Streitgegenstand. Diese sprachlichen Überspitzungen Habscheids können m.E. den im Kern richtigen Aussagegehalt der These Hesselbergers nicht verdecken. Denn die Einbeziehung der Identität des Leistungsobjekts, oder besser: des Klägerinteresses341, erfordert weder eine volle Begründetheits- noch Schlüssigkeitsprüfung. Entscheidend ist lediglich, wie vieler Rechtspositionen sich der Kläger berühmt.342 Streitgegenstandsidentität läge somit vor, wenn nach dem Vortrag des Klägers zwischen zwei Rechtsfolgen ein Erfüllungszusammenhang besteht.343
340 Habscheid, Streitgegenstand, S. 221 f.: Damit werde aber auch der von Hesselberger gewählte historische Ansatz fraglich. 341 Unten § 22 II. 342 Ähnlich Rimmels pacher, JuS 2004, 561 f., der vom (behaupteten) Anrecht des Klägers auf einen bestimmten Wert spricht. Das Anrecht stelle eine konkrete Rechtsposition als Erwerbsanwartschaft dar, „verbunden mit der Befugnis, den empfangenen Wert zu behalten, zu gebrauchen und zu verwerten.“; ders. Materiellrechtlicher Anspruch, S. 103 f. 343 Ähnlich Rimmels pacher, JuS 2004, 561 f.
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§ 11 Relativität des Streitgegenstands I. Entwicklung Die bisher vorgestellten Streitgegenstandstheorien bestimmten den Prozessgegenstand für alle Verfahrensstationen weitgehend einheitlich. 344 Stütze des Einheitsdogmas sei dabei das Prinzip der Parteiherrschaft im Zivilprozess, woraus sich auch die Bindung des Gerichts an die Parteianträge und den Streitgegenstand ableite (§ 308 I ZPO).345 Tendenzen zu einem relativen oder variablen Streitgegenstandsbegriff sind im Schrifttum 346 aber dennoch seit langem existent, obgleich sie häufig unausgesprochen blieben.347 So legte bereits Adolf Wach im Rahmen seiner Lehre vom Rechtsschutzanspruch den Streitgegenstand nach Verfahrensabschnitten unterschiedlich aus, wenngleich er diesen Befund nicht offen als These festhielt.348 K. H. Schwab349 betonte zwar im Rahmen seiner Habilitationsschrift, dass das Ziel jeder Streitgegenstandslehre sein müsse, einen einheitlichen Begriff zu finden, der sich bei allen Klagen und bei allen Einrichtungen bewähre. Im Ergebnis variierten bei ihm selbst aber Streitund Urteilsgegenstand, wenngleich er dieses Phänomen stets mit dem „Wesen der Entscheidung“ zu erklären versuchte.350 Das Auseinanderdriften der objektiven Grenzen von Rechtshängigkeit und Rechtskraft wurde bewusst befördert durch Arwed Blomeyers Lehre vom „Ur344 Habscheid, Streitgegenstand, S. 284 ff.; Henckel, Parteilehre, S. 152 ff.; Schwab, Streitgegenstand, S. 139 ff. Der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit verfolge ebenso wie der Einwand entgegenstehender Rechtskraft das Ziel, widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern, Walker, ZZP 111 (1998), 429 (449); Musielak/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 16; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 311; Böhm in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 141, 155 f. 345 Beys, ZZP 105 (1992), 157. 346 Der BGH hat sich noch nicht abschließend zum Einheitsdogma geäußert. 347 Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung, S. 350 ff.; ders. in: MünchKomm, ZPO, vor §§ 253 f. Rn. 36: Dort tritt er im Sinne eines minus zu einer variablen Streitgegenstandslehre für eine am einzelnen Normzweck orientierte konkrete Deutung des im Ausgangspunkt einheitlichen Streitgegenstands ein. Somit komme es allenfalls in Randbereichen zu Abweichungen. 348 Vgl. bereits oben § 8 II. 349 Schwab, Streitgegenstand, S. 73 350 Oben § 9 III; K.H. Schwab, in: FS Lüke, S. 763 f.: Die Entscheidung über den Streitgegenstand gebiete es, auch den vorgetragenen Sachverhalt zur Begrenzung der Rechtskraft mit einzubeziehen.
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teilsgegenstand.“351 Urteilsgegenstand sei der Anspruch, den das Gericht als durch Klage oder Widerklage erhoben ansehe. Dieser könne einen größeren bzw. kleineren Umfang haben als der Streitgegenstand im Prozess. 352 Gegen die Einheitslehre spreche, dass die Bindung an den Antrag in der Klageschrift keinesfalls absolut sei, vielmehr auch ein ausnahmsweises Überschreiten oder Zurückbleiben hinter ihm im Urteil denkbar bleibe.353 In der Regel sei es dem Kläger bei Einreichung der Klageschrift auch kaum möglich, den genauen Klagegrund zu identifizieren. Bei Abfassung des Urteils hätte das Gericht jedoch genügend Zeit gehabt, das Begehren und vor allem den Sachverhalt entsprechend abzugrenzen. Damit werde der Rechtskraftgegenstand im Allgemeinen auch enger sein als der Streitgegenstand im Prozessverlauf. 354 Ähnlich äußerte sich Pohle: „Es sind auch ganz andere Fragen, worüber ein anhängiger oder ein zukünftiger Streit geführt werden darf und muss oder worüber ein abgeschlossener Streit geführt worden ist, und ob man von der Partei eine bestimmte Prozessführung verlangt mit der Sanktion, ihr Vorbringen in einen anderen Prozess zu verweisen, oder ob man sie für Verstöße gegen ihre Pflicht mit ihrem Ausschluss jeder Klagemöglichkeit bestraft. Im letzteren Falle wird man zurückhaltender sein.“355
Einige Jahre später schlägt Brox in dieselbe Kerbe:356 Aus keiner Vorschrift der Zivilprozessordnung folge, dass der Streitgegenstandsbegriff einheitlich verstanden werden müsste. Der Richter sei folglich an die Wertungen des Gesetzgebers gebunden und müsse sich davor hüten, seine eigenen Wertungen in den Streitgegenstandsbegriff hineinzulegen. Entwickle man für Klagehäufung und Klageänderung eine entsprechende Begrifflichkeit und leite daraus automatisch Konsequenzen für das Rechtskraftproblem her, sei dies ein Rückfall in die überwundene Begriffsjurisprudenz. Denn dann achte man nur auf eine Reihe von Bestimmungen und gewinne aus ihnen mittels abstrahierenden Denkens einen Obersatz, möge dieser auch für die betrachteten Bestimmungen zutreffen. Im Übrigen zeige bereits die Tatsache, dass eine Verletzung von § 308 ZPO 351 Blomeyer, in: FS Lent, S. 50; Pohle, JR 1954, 437; ders., Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 322 ZPO; Lent, ZZP 72 (1959), 63; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 41 f. Anders aber die Interpretation von Baumgärtel, JuS 1974, 72: „Um trotz der Besonderheiten der Rechtskraft die These vom Einheitsbegriff aufrechtzuerhalten, hat sich in Deutschland die Unterscheidung von Streitgegenstand und Urteilsgegenstand entwickelt“. 352 In der Regel sei der Urteilsgegenstand jedoch weiter. Die sich hieraus ergebende Konzentrationswirkung sei nützlich. 353 Ein solches Urteil, das über den Klageantrag hinaus ein Recht zuerkennt, erwächst auch in Rechtskraft und bindet bis zur Aufhebung des fehlerhaften Urteils, so Beys, ZZP 105 (1992), 158 (für das griechische Recht). 354 So vor allem die griechischen Prozessualisten, Mitsopoulos, ZZP 91 (1978), 121 f. 355 Pohle, JR 1954, 437. 356 Brox, JuS 1962, 124; Pohle, JR 1954, 437; ders., Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 322 ZPO; Lent, ZZP 72 (1959), 63; A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 50; ders., ZPR, § 40 II 3.
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auf den Eintritt der Rechtskraft zunächst ohne Einfluss bleibe, dass Streit- und Urteilsgegenstand auseinanderfallen könnten.357 Im österreichischen Schrifttum ist etwa Fasching 358 der Auffassung, dass die Situation bei der Rechtskraft bereits deswegen eine andere als bei Streitanhängigkeit sei, weil das Gericht im Urteil auch eine rechtliche Qualifikation des Begehrens und des zugrunde liegenden Sachverhalts vorgenommen habe, die von der materiellen Rechtskraft mitumfasst werde. Der Rechtkraftgegenstand sei bereits im Hinblick auf diese rechtliche Qualifikation enger.359 Die sich immer stärker formierende Lehre vom variablen Streitgegenstand praktiziert ein normzweckbasiertes Verständnis360 des Prozessgegenstandes, ohne dass die hierzu verwendeten Versatzstücke sich wesentlich von der eingliedrigen oder zweigliedrigen Lehre unterschieden.361 Die hierzu vorgeschlagenen Differenzierungen divergieren freilich. So bevorzugt H. Roth im Rahmen von Rechtshängigkeit, Klageänderung und Anspruchshäufung eine Ausrichtung am eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff im Sinne Schwabs, während er zur Vermeidung eines ausufernden Präklusionsumfangs den Urteilsgegenstand zweigliedrig bestimmt.362 Ein hierzu entgegengesetztes Modell propagiert dagegen Baumgärtel 363, indem er den Lebenssachverhalt in die Überprüfung des Umfangs der Rechtshängigkeitssperre mit einbezieht.364 Der eingliedrige Streitgegenstandsbegriff im Sinne Schwabs lasse sich nicht mit dem Zweck des § 261 ZPO vereinbaren: Der Kläger werde in seiner Dispositionsfreiheit erheblich beschränkt, wenn er gehindert sei, die Ansprüche aus Darlehen und Wechsel in getrennten Verfahren zu verfolgen. Auch wenn der Wechselanspruch verneint und der Darlehensanspruch bejaht wird, sei darin materiell-rechtlich kein Widerspruch zu sehen, weil beide Ansprüche auf völlig verschiedenen Voraus357 Es sei letztlich nicht dasjenige Streitgegenstand, was die Parteien zum Streitgegenstand des Rechtsstreits gemacht hätten, sondern das, was der Richter zum Streitgegenstand des Urteils gemacht habe und das man durch Auslegung des Urteils ermitteln müsste. 358 Fasching, Lehrbuch, Rn. 1148. 359 Ähnlich im deutschen Recht Lent, ZZP 72 (1959), 63 ff.; Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 174 f.; ablehnend Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VI 3 Rn. 38. 360 K. Blomeyer, ZZP 65 (1952), 52 (58); oben Einleitung I. 361 Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Einl. Rn. 283 f.; Wieczorek/Schütze/Prütting, Einl. Rn. 69 (für Leistungsklage); ders., in: FS Beys II, S. 1274 f.; Baumgärtel, JuS 1974, 73 f.; ders., Anm. AP Nr. 2 zu § 263 ZPO; A. Blomeyer, ZPR, § 40 IV; Bork, Vergleich, S. 434 f.; Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 12; M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, S. 105 f.; beifallswerte Weiterentwicklung bei Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 59 f.; zusammenfassend Oppermann, Unterlassungsklage, S. 80 ff.; auch Rimmels pacher zählt zu den Vertretern einer relativen Streitgegenstandslehre; gleichzeitig weist seine Lehre aber auch eine starke materielle Komponente auf. 362 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 47. 363 Baumgärtel, JuS 1974, 73. 364 Dies gilt allerdings nur für die Leistungsklage. Bei der Feststellungsklage sieht er den Sachverhalt nicht als selbstständig an. Bei den Gestaltungsklagen stellt er das jeweilige Gestaltungsrecht in den Vordergrund.
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setzungen beruhten. Bei der Feinsteuerung durch den Lebenssachverhalt lehnt Baumgärtel einen Globallebenssachverhalt ebenso ab wie eine Begrenzung durch den Vortrag des Klägers.365 Ein zu verhindernder Widerspruch der Entscheidungen könne vielmehr nur dort entstehen, wo die unterschiedlichen Urteile einen einheitlichen vermögensrechtlichen Verfügungsgegenstand im Sinne der Lehre Henckels beträfen.366 Dies sei im Wechsel- und Darlehensfall nicht anzunehmen.367 Gleiches gelte auch im Rahmen der Rechtskraft, da beide Institute den engsten Bezug zum materiellen Recht aufwiesen.368 Für Klageänderung und Klagenhäufung legt Baumgärtel hingegen den eingliedrigen prozessualen Streitgegenstandsbegriff zu Grunde. Baumgärtels Konzept stößt im Hinblick auf die Gleichschaltung von Rechtshängigkeit und Rechtskraft auf Bedenken.369 Vielmehr ist H. Roth zuzugeben, dass durch den Verzicht auf den Lebenssachverhalt bei der Rechtshängigkeitssperre in weitem Umfang prozessunökonomische Parallelverfahren in derselben Sache [um dasselbe Interesse] ausgeschlossen werden.370 Zudem erscheint es nicht sinnvoll, den Umfang von Rechtshängigkeits- und Klageänderungssperre unterschiedlich zu bestimmen. Ein Antrag, der die Rechtshängigkeitssperre auslöst, darf im Erstverfahren nicht an der Klageänderungssperre (§ 263 ZPO) scheitern. Ansonsten wäre zweifellos der Grundsatz rechtlichen Gehörs verletzt.371 Im Ergebnis erscheint deswegen allein die Unterscheidung von Verfahrens- und Urteilsgegenstand haltbar.372 Eine weitere Differenzierung, etwa zwischen den Begriffen „mehrere Ansprüche“ im Sinne von §§ 5, 145 I, 260, 301 I 1. Alt. ZPO und „erhobener Anspruch“ (§ 322 I ZPO), erscheint dagegen nicht sinnvoll373, wenn damit ein selbständiger Streitgegenstandsbegriff für die Beurteilung einer Klagenhäufung gerechtfertigt werden soll. 365
Baumgärtel, JuS 1974, 73. Baumgärtel, JuS 1974, 73. 367 Hierzu oben § 9 I 1. Auch die Unterscheidung in fremd- und selbstabgegrenzte Anträge sei hierfür unerheblich. 368 Zu Baumgärtels Ansicht auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 43. 369 M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, S. 111. 370 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 43. 371 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 177: „Aufzuzeigen, wie weit gleichwohl Querverbindungen bestehen, mag einer späteren Arbeit vorbehalten bleiben.“ 372 Ebenso H. Roth, in: FS Jayme I, S. 752: Die eingliedrige Lehre im Rahmen der Rechtshängigkeit führe zu einem breiten, die Verfahrenskonzentration fördernden Streitgegenstand. Für die Rechtskraft sei hingegen zum Schutz der Parteien der aus Antrag und Sachverhalt zusammengesetzte zweigliedrige und damit engere Streitgegenstand maßgeblich. Der Anwendungsbereich des § 148 ZPO werde durch diese Lehre nicht eingeschränkt. Ähnlich H. Roth, Anm. zu BGH LM § 241 AktG 1965 Nr. 9 zu BGH NJW 2002, 3465; Prütting, in: FS Beys II, S. 1273 ff.; für Relativität auch Staudinger/K. Schmidt, BGB, § 244 Rn. 106; ders. ZZP 98 (1985), 32 (44); für Rechtshängigkeit und Rechtskraft empfiehlt er eine mehr materielle (weite) Sichtweise, für §§ 263 f. ZPO hingegen einen prozessualen Standpunkt. 373 So aber Bub, Streitgegenstand, S. 208, unter Rekurs auf § 146 ZPO. 366
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Die gegen das Einheitsdogma vorgebrachten Bedenken wurden meist für abwegig befunden:374 Zwar sei der Gedanke, auch die ratio der einzelnen prozessualen Bestimmungen für den Inhalt des Streitgegenstands fruchtbar zu machen, nicht von vorneherein von der Hand zu weisen. Jedoch setze diese Auffassung sich nur unzureichend mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gedanken der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auseinander. Eine je nach Normkontext unterschiedliche Auslegung ein und desselben Begriffes könne deswegen allenfalls in Ausnahmefällen überzeugen.375 Für Schwab376 ist die Einheitlichkeit des Streitgegenstands im Prozessverlauf die Konsequenz seiner Prämisse, wonach der prozessuale Anspruch ein „dem Gesetzgeber vorgegebener Begriff“, eine Erscheinung nicht nur des deutschen, sondern jedes Verfahrensrechts sei, „die der Gesetzgeber vorfindet, die er aber nicht im eigentlichen Sinne selbst schaffen kann.“377 Diese These ist auf vielfältige Weise widerlegt worden. Auch die Befürchtung Habscheids, die Auflösung des einheitlichen Streitgegenstandsdenkens würde einem Verfall juristisch-systematischen Denkens gleichkommen378, erscheint unbegründet. Von Atomisierungstendenzen in der Streitgegenstandslehre lässt sich insoweit nicht sprechen. In Wahrheit verlangt gerade eine relative Streitgegenstandslehre verstärkten intellektuellen Einsatz, gilt es doch die teleologischen Eigenheiten einer Vorschrift zu Tage zu fördern.379 Ihr Sinn wird hinterfragt und nicht als Selbstverständlichkeit akzeptiert.380 Die Relativität juristischer Begriffe – eine allgemein anerkannte Erscheinung381 – macht vor dem prozessualen Anspruch nicht halt. Zu bedenken ist, dass ein etwa dem terminus der Rechtshängigkeit vergleichbar feststehender Begriff des Streitgegenstands ohnehin nie existierte. Soweit es das Prinzip der Rechssicherheit anbetrifft, so wird diese nicht dadurch beeinträchtigt, dass die 374
Vgl. auch Horn, JuS 1992, 68. Gegen eine Relativität auch Schwab, in: FS Bötticher, 329 f.: „Worüber die Parteien streiten, darüber entscheidet das Gericht“. 376 K. H. Schwab, Streitgegenstand, S. 3, 73; ders., ZZP 75 (1962), 461 f.; ders., JuS 65, 83 f.; das Einheitsdogma begrüßend Arens, JuS 1964, 396 f.; Bötticher, FamRZ 57, 411 f.; Henckel, Parteilehre, S. 14, 292; Nikisch AcP 154 (1954), 286, 298; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 252 ff.; jedoch will auch Schwab den Begriff des Streitgegenstands in induktiver Weise von den einzelnen Bewährungsproben aus entwickeln, vgl. Streitgegenstand, S. 5. 377 Schwab, Streitgegenstand, S. 5, S. 59 f. Kritisch hierzu Habscheid, Streitgegenstand, S. 108. Vgl. auch Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 478: Schwabs Hypothese, wenn der Streitgegenstand bei Klageänderung und Rechtshängigkeit A laute, gelte gleiches bei der Rechtskraft, erinnere an die Methode der Begriffsjurisprudenz. Vgl. dazu auch Henke, ZZP 80 (1967), 1 ff. 378 Habscheid, ZVglRWiss. 75 (1976), 211. 379 In diesem Sinne etwa Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 ZPO Rn. 47 f. 380 Baumgärtel, AcP 168 (1968), 405 f.: Es sei wichtig, dass der Autor die Frage der Rechtshängigkeit vom Sinn und Zweck der einzelnen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes her und nicht von einem vorweggenommenen Einheitsbegriff des Streitgegenstands aus löse. 381 Etwa Schumann, in: FS Lüke, S. 770 f.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 47 f.; Baumgärtel, JuS 1974, 72: Die Relativität juristischer Begriffe sei eine bekannte Erscheinung, doch keine allzu häufige. 375
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objektiven Grenzen von Rechtshängigkeit und Rechtskraft unterschiedlich bestimmt werden. Das suggerierte Begriffswirrwar382 ist ein so nicht existentes Schreckgespenst.
II. Unterscheidung nach Untersuchungsund Verhandlungsmaxime Eine von Jauernig vertretene Variante einer variablen Streitgegenstandslehre verdient gesonderte Darstellung, weil sie nicht nach Prozessstadien, sondern nach Prozessmaximen unterscheidet. Jauernig will ebenfalls der Vielfalt an Theorien keine neue Lehre hinzufügen, sondern das Dogma von der Einheitlichkeit des Streitgegenstands im Prozessverlauf zerstören.383 Diese Entmythologisierung basiert auf der Erkenntnis, „dass der Streitgegenstand wesentlich davon abhängt, ob der jeweilige Prozess dem Verhandlungs- oder Inquisitionsgrundsatz folgt oder konkreter formuliert: ob das Gericht an den Vortrag des Klägers gebunden ist oder von Amts wegen Tatsachen ermitteln darf und muss.“384 Seine relative Sichtweise zeigt sich bei der Ermittlung des Lebenssachverhalts, wobei er für Leistungsklagen zwischen sog. fremd- und selbstabgegrenzten Anträgen unterscheidet. Bei der ersten Gruppe bedürfe es, wie etwa bei Gattungsschulden, zwingend des Sachverhalts zur Individualisierung des Begehrens, bei der zweiten sei dieser dagegen entbehrlich: So werde etwa die Klage auf Herausgabe einer bestimmt bezeichneten Sache (§ 985 BGB) bereits durch den Antrag ausreichend individualisiert. Wenn Jauernig hier trotzdem den Sachverhalt zu den Bestimmungsmerkmalen des Streitgegenstands rechnet385, dann nicht aus Gründen der Individualisierung, sondern weil der Kläger unter der Geltung der Verhandlungsmaxime den Sachverhalt enger bestimmen könne als im Rahmen des Inquisitionsprozesses.386 Auch für Gestaltungsklagen soll der Streitgegenstand sich aus Antrag und materiell eingefärbtem Lebenssachverhalt zusammensetzen. Zwar sei der Gegenstand der Gestaltungsklage in vielen Fällen allein durch den Antrag individualisiert, so etwa bei der Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses im Aktienrecht. Jedoch werde dieser unter der Geltung der Verhandlungsmaxime durch Antrag und Sachverhalt gemeinsam bestimmt. Jeder Anfechtungsgrund (§§ 243 ff. AktG) bedinge somit 382
So etwa Böhm, in: FS Kralik, S. 122. Hierzu Stein/Jonas/H.Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 45: „Relativer prozesskonstanter Streitgegenstand“. 384 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 5 f. Hierzu kritisch Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 209 f.; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 246 ff.; Baumgärtel, JuS 1974, 69 f.; Yoshimura, ZZP 83 (1970), 245 f. 385 Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 1 Rn. 40. 386 Bereits Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 23 f.; 43 f.; ähnlich Mühl, NJW 1954, 1668. 383
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einen selbständigen Streitgegenstand, während unter der Inquisitionsmaxime allein der Antrag maßgeblich sei. Lediglich bei Feststellungsklagen kommt die Unterscheidung zwischen selbst- und fremdabgegrenzten Anträgen bei Jauernig voll zum Tragen: So wird für die erste Gruppe (z.B. Feststellung eines dinglichen Rechts) ein Globalstreitgegenstand gebildet, der die einzelnen in Betracht kommenden Erwerbsgründe ausblendet und selbst unter Geltung der Verhandlungsmaxime nur auf die Individualisierung durch den Antrag zurückgreift.387 Hingegen wird bei der Feststellung einer Anspruchsberechtigung das tatsächliche Element von Jauernig wieder zur Abgrenzung hinzugenommen.388 Diese Methode hat Jauernig Kritik eingebracht.389 Denn es sei kaum überzeugend, dass im Rahmen einer auf Eigentum gestützten Herausgabeklage dem einzelnen Erwerbsgrund streitgegenstandsbegrenzende Wirkung zukommen soll, jedoch nicht im Rahmen einer Eigentumsfeststellungsklage. In beiden Fällen müsste, wenn die Verhandlungsmaxime die von Jauernig beschriebene Bedeutung hätte, die Einbeziehung des Sachvortrags die gleiche Wirkung haben. Vielmehr zeigt sich, dass die Berücksichtigung von Verhandlungsmaxime und Untersuchungsmaxime einen „Irrweg“ darstellt. Obgleich Jauernig selbst klarstellt, dass es des Lebenssachverhalts für eine Individualisierung des Streitgegenstands im Rahmen der Leistungsklage in vielen Fällen nicht bedürfe, will er dennoch auf den Tatsachenvorgang zur Begrenzung zurückgreifen. Das Tatsachenelement führt unnötigerweise nur zu Abgrenzungsschwierigkeiten, die durch Anleihen Jauernigs bei der Lehre von der Anspruchskonkurrenz kaum zu bewältigen sind. Im Übrigen kommt weder Verhandlungs- noch Untersuchungsmaxime die von Jauernig beschriebene Bedeutung für den Streitgegenstand zu. An die bereits bei Jauernig anklingende Unterscheidung schließt eine jüngere Auffassung an390, welche die Bestimmung des Streitgegenstands nicht für alle Klagearten einheitlich beantworten will.391 Dies gilt insbesondere für Gestaltungs- und Feststellungsklagen392.
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Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 3 Rn. 46. Hesselberger, Streitgegenstand, S. 237 ff. 389 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 45; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 238 ff. 390 Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 82. 391 So z.B. A. Blomeyer, ZPR, § 89 III, § 40 II 3; Lent, ZZP 72 (1959), 81; Pohle, JR 1954, 437; Baumgärtel, JuS 1974, S. 69 ff. (75); vgl. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 45. 392 So glaubt etwa Henckel, Parteilehre, S. 35, 281 ff., bei Gestaltungsklagen auf die Annahme eines öffentlichen oder privatrechtlichen subjektiven Rechts verzichten zu müssen. Streitgegenstand sei nicht ein irgendwie geartetes Gestaltungsrecht, sondern der Antrag auf Gestaltung und der zur Begründung angeführte Gestaltungsgrund. Abweichende Thesen speziell für die Gestaltungsklage vertreten auch A. Blomeyer, ZPR, § 40 II 3, und Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 367 ff. 388
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III. Sachlicher und prozessualer Streitgegenstandsbegriff Bemerkenswert ist weiter die Unterscheidung Blomeyers in einen sachlichen und einen prozessualen Streitgegenstandsbegriff.393 Der Begriff „Streit“ setze seiner Ansicht nach kontradiktorische Behauptungen über eine Berechtigung oder ein Rechtsverhältnis voraus.394 Blomeyer spitzt deswegen die Frage nach dem Streitgegenstand daraufhin zu, ob die Klagebehauptung, das Gericht sei zum Erlass des begehrten Urteils verpflichtet, richtig oder unrichtig sei. Diese Verpflichtung des Gerichts, dem Klagebegehren zu entsprechen, hänge somit von der prozessualen Zulässigkeit einerseits und der materiellen Begründetheit der Klage andererseits ab. Daraus leitet er in Folge die Existenz zweier untrennbar miteinander verbundener Streitgegenstände ab:395 „Die Zulässigkeit einer Sachentscheidung überhaupt (als Vorfrage) und den Gegenstand der Sachentscheidung selbst (als Hauptfrage).“
Hieraus erkläre sich auch die Rechtskraftwirkung des Prozessurteils. Diese Trennung in prozessualen und materiellen Streitgegenstand erscheint bereits deswegen gekünstelt, weil es den Parteien im Ergebnis um eine Sachentscheidung geht. Dieses Begehren allein bestimmt aber den Streitgegenstand. Die Rechtskraftwirkung des Prozessurteils kann auch ohne solche Gedankenkrümmungen mit einer zweckentsprechenden Auslegung von § 322 I ZPO erklärt werden.
IV. Vorläufige Bewertung Trotz aller Sympathie für ein normzweckorientiertes Vorgehen wirft eine variable Streitgegenstandslehre bisher nur unzureichend geklärte Fragen auf. Dies betrifft etwa die Ausrichtung von § 308 ZPO396, aber auch die Frage, welche Wirkungen die Annahme eines auf den jeweiligen Tatsachenkomplex begrenzten Urteilsgegenstands für das laufende Verfahren zeigt, wenn das zeitliche frühere Verfahren sich bereits in der Revisions- oder Berufungsinstanz befindet.397 Die Annahme eines vom Verfahrensgegenstand verschiedenen Urteilsgegenstandes führt auch im Hinblick auf den Umfang der Verjährungshemmung zu 393
A. Blomeyer, in: FS Jur. Fakult. Berlin, S. 59. Vgl. hierzu Bötticher, ZZP 77 (1964),
477 ff. 394 Von Tatsachen seien nur die Echtheit und Unechtheit von Urkunden (§ 256 ZPO) einem Prozess zugänglich. Im Übrigen könne nur über Rechtsfolgen im weitesten Sinne gestritten werden. 395 Blomeyer, in: FS Jur. Fakult. Berlin, S. 59. 396 Unten § 27 II. 397 Bub, Streitgegenstand, S. 182 ff.
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Unklarheiten.398 Desweiteren erscheint dann zweifelhaft, in welchem Umfang § 253 II Nr. 2 ZPO eine Individualisierung des eingliedrig bestimmten Verfahrensgegenstandes fordert, wenn der Urteilsgegenstand selbst unter Zuhilfenahme des Klagegrundes eingegrenzt wird. Genügt folglich die Angabe von Tatsachen, die allein den Wechselanspruch individualisieren, um auch die Kausalforderung in das Verfahren einzubeziehen oder würde es insoweit bereits an den Erfordernissen einer wirksamen Klageerhebung fehlen? Auch außerhalb des deutschen Rechtskreises lassen sich jedoch Tendenzen zu einer variablen Begriffsbildung feststellen399, die jeweils Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften einbezieht.400 Überwiegend wird jedoch an einem (überkommenen) Einheitsbegriff festgehalten.401
398 Bosch, Rechtskraft und Rechtshängigkeit, S. 97; auch Henckel, JZ 1992, 647: Die materiellen Wirkungen der Rechtshängigkeitssperre müssten von der relativen Streitgegenstandslehre noch eingehender gewürdigt werden. 399 Z.B. in Finnland: Möller, in: Habscheid, Das Deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung, S. 246, 252. 400 Stetter-Lingemann, Die materielle Rechtskraft, S. 78 f. Zum Nutzen der Rechtsvergleichung allgemein H. Roth, RabelsZ 68 (2004), 625 f. 401 Vgl. für Spanien etwa: Santos/Giménez, Derecho Procesal Civil, S. 118 ff.
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§ 12 Der Streitgegenstandsbegriff in der Judikatur Das RG hatte zunächst dem Verständnis der CPO entsprechend ein streng materiellrechtliches Streitgegenstandsverständnis erkennen lassen, das den prozessualen mit dem materiellrechtlichen Anspruch gleichsetzte.402 Ein sich erst allmählich entwickelndes prozessuales Bewusstsein führte in der Folge zu einer Betonung der Bedeutung des Klageantrags.403 Die Handhabung des tatsächlichen Elements in der Judikatur des RG ließ hingegen weiter reichlich Raum für Spekulation.404 So sollte einerseits die Rechtshängigkeitssperre nur durchgreifen, wenn neben einer Übereinstimmung im erhobenen Anspruch auch der Klagegrund derselbe sei405, während diametral entgegengesetzt hierzu die Identität des Begehrens bei unterschiedlicher Begründung für ausreichend erachtet wird.406 Insgesamt bestätigt die Mehrzahl der Judikate jedoch die selbständige Bedeutung des Klagegrunds.407 Wie bereits das RG hat sich auch der BGH seit langem der prozessualen Streitgegenstandstheorie verschrieben.408 Gegenstand des Rechtsstreits ist der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung verstandene prozessuale Anspruch, der sich vom materiellrechtlichen Anspruch unterscheidet.409 Nachdem der BGH zunächst Anlass zu Spekulationen über ein eingliedriges Verständnis gegeben hatte410 , schloss er sich alsbald der herrschenden Meinungsgruppe an und stützt sein nunmehr zweigliedriges Streitgegenstands402
RGZ 27, 385 (387); vgl. oben § 7. RGZ 63, 268 (269); RGZ 118, 209 (210); RGZ 153, 210 (215). 404 Näher Habscheid, Streitgegenstand, S. 80 ff.; Schwab, Streitgegenstand, S. 118 ff. 405 Vgl. RGZ 104, 156; auch RGZ 27, 385 ff. 406 RG SeuffA 77, 246 407 RG JW 1912, 78; RGZ 118, 28 f.; RGZ 118, 210 (zu § 268 ZPO a.F.); RGZ 108, 167, 169: Zum Klagegrund rechnen nur Tatsachen, die ihn seinem „Wesen“ kennzeichnen. 408 BGH NJW-RR 2006, 1120; BGHZ 157, 50; BGH NJW 2007, 2561; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11. 409 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11. 410 BGHZ 9, 22, 27; BGHZ 37, 372 f. = ZZP 75 (1962), 458, mit zust. Anm. K.H. Schwab. Der zuständige Senat hatte über den Charakter als Feriensache i.S.v. § 200 GVG a.F. zu entscheiden. Hierbei hat er betont, dass im Falle eines Zahlungsantrags, der lediglich auf mehrere Klagegründe gestützt werde, kein Fall der objektiven Klagehäufung vorliege. Dafür spricht auch § 146 ZPO; vgl. auch BGHZ 45, 231, 233 f. 403
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verständnis411 auf die rudimentären gesetzlichen Fingerzeige412, wobei er nicht zwischen Verfahrens- und Urteilsgegenstand unterscheidet.413 „Hinweise“ für eine eingliedrige Sichtweise finden sich neuerdings lediglich wieder für die aktienrechtliche Anfechtungsklage.414 Der prozessuale Anspruch wird somit gleichwertig durch Klageantrag und Lebenssachverhalt gebildet.415 Dieser wiederum soll sich aus den Tatsachen zusammensetzen, „die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören.“416 Entscheidend ist der gesamte historische Vorgang, ohne dass es auf die tatbestandlichen Grenzen einzelner Rechtsgrundlagen ankäme, die zur Begründung des jeweiligen Begehrens angeführt werden.417 Die jeweiligen Einzeltatsachen werden unabhängig davon erfasst418, ob sie vorgetragen wurden oder nicht. Im Rahmen der objektiven Rechtskraftpräklusion bleiben Verschuldensmomente außer Betracht. Als einheitsstiftende Elemente finden bei der Beurteilung des Sachverhalts der
411 Etwa: BGH NJW 2006, 3068; BGH NJW-RR 2006, 1120; BGHZ 34, 337, 339; BGHZ 117, 1 (5); BGHZ 132, 240 (243); BGHZ 154, 342 (347 f.); BGH NJW 2006, 1142; BGH NJWRR 2006, 257 (258); BGH NJW 1995, 1614; BGHZ 79, 244, 248 f.; BGH NJW 1981, 2306; BGH NJW 1983, 388 f. (Rechtshängigkeit); BGH NJW 1983, 2032 f. (Rechtskraft); BGH NJW-RR 1987, 525 f.; zusammenfassend: Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11; MünchKomm/ Becker-Eberhard, ZPO, vor § 253 Rn. 32. Teilweise gibt der BGH Anlass zu Zweifeln, ob er den Klagegrund als ein völlig gleichwertiges Merkmal ansieht: BGH GRUR 1999, 272 ff. – „Die Luxusklasse zum Nulltarif“ erklärt für die Bestimmung des Streitgegenstands eines Verfahrens „in erster Linie“ den vom Kläger formulierten Antrag für maßgebend, „wobei zur Auslegung des Begehrens die Klagebegründung heranzuziehen ist“. 412 Gaul, ZZP 114 (1999), 179. 413 Im Rahmen der Klageänderung: BGH NJW 2005, 2005 (Übergang von einem Anspruch aus eigenem Recht zu einem solchen aus abgetretenem Recht). Allerdings betreffen die weitaus meisten Stellungnahmen den Umfang der Rechtskraft, so dass bei Verallgemeinerungen zur Vorsicht zu raten ist, Schwab, in: FS Lüke, S. 793. 414 BGHZ 152, 1 (5) mit Anm. H. Roth LM § 241 AktG 1965 Nr. 9, geht zwar vom herrschenden zweigliedrigen Verständnis aus, fasst den Begriff des Klagegrundes aber begrüßenswert weit; Bub, AG 2002, 679; kritisch: Bork NZG 2002, 1094; ders., ZIP 1995, 609 ff.; verallgemeinernd: Prütting, in: FS Beys II, S. 1273 f.; zur vergleichbaren Judikatur im Ehescheidungsverfahren: H. Roth, in: FS Schwab, S. 704: Der einzige Klagegrund ist das Scheitern der Ehe. 415 Auch BGHZ 154, 342, 347 f.; BGHZ 153, 175; BGH NJW-RR 2006, 1118, 1120; zu den Spezifika des Wettbewerbsrechts siehe § 34 II. 416 BGHZ 157, 50; BGHZ 117, 1 (6); BGH NJW 2004, 1806; BGH NJW 1999, 3127; BGH NJW 1990, 1795 f.; BGHZ 117, 1 f.; BGH NJW 1981, 2306. 417 Ausführlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11. Deutlich: BGH NJW-RR 1996, 1276: verschiedene Lebenssachverhalte aber bei einfachem und erweitertem Alleinauftrag. 418 Zusätzlich wird hier zur Konturierung des Lebenssachverhalts häufig auf den Rechtsfrieden stiftenden Zweck der Rechtskraft abgestellt, BGH NJW 1995, 967 f.; BGH NJW-RR 1996, 827.
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enge zeitliche Zusammenhang419 bzw. schlicht die Verkehrsauffassung Berücksichtigung.420 Insoweit werden etwa sämtliche „Grundstücksübertragungsvorgänge“ zwischen dem Erblasser und dem Erwerber zu einem einheitlichen Lebenssachverhalt zusammengefasst (Erbvertrag, rechtsgeschäftliche Übertragung).421 Bisweilen nimmt die Judikatur des BGH aber kaum berechenbare Züge an, wenn zur Konturierung auf das „Wesen“ oder den „Kern“ des Klagegrundes abgehoben wird.422 So behauptet der Kartellsenat, dass eine Klageänderung durch Einführung eines neuen Klagegrundes erst dann vorliege, „wenn durch den Vortrag neuer Tatsachen der Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhalts verändert wird.“423 Es müsse sich um eine wesentliche Abweichung handeln. Eine grenzscharfe Bestimmung des Streitgegenstands lässt sich mit solchen Formeln kaum leisten. Indes existieren auch Entscheidungen, in denen rechtliche Komponenten zugunsten einer materiellrechtlich orientierten Tatsachenauswertung in die Abwägungsentscheidung mit einfließen.424 Einer „verrechtlichten Tatsachenauslese“ bediente sich der BGH etwa in einer Konstellation, in welcher der Kläger zur Begründung eines Zahlungsanspruches zunächst Tatsachen vorbrachte, die einen einfachen Makleralleinauftrag nahe legten, später aber Tatsachen, die für einen erweiterten Alleinauftrag sprachen:425 „Im Vergleich zu dem ursprünglichen vertraglichen Erfüllungsanspruch beruht somit der Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung auf einer in wesentlichen Punkten geänderten Tatsachengrundlage…“.426
Für die Annahme verschiedener Streitgegenstände soll es weiter sprechen, wenn die „materiellrechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestaltet“427, so etwa beim Aufeinandertreffen eines An419
BGH NJW 1995, 967 f. BGH NJW-RR 1996, 827. 421 BGH NJW 1995, 968 f. mit Anm. Grunsky, LM § 322 ZPO Nr. 139: Diese Konstellation betraf eine Streitgegenstandsidentität in Form des kontradiktorischen Gegenteils. Vgl. hierzu auch BGH NJW 1993, 2694. 422 Betonung des Merkmals der „Wesensverschiedenheit“ bereits in RGZ 108, 167, 169; BGH NJW 1981, 2306; BGH NJW 1990, 1795 f. 423 BGH NJW 2007, 83 f. – Lesezirkel II; im Anschluss an BGHZ 154, 342 – Reinigungsarbeiten; BGH GRUR 1997, 141 – kompetenter Fachhändler; zustimmend aber MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn. 14; hierzu auch Teplitzky, WRP 2007, 3. 424 BGH NJW 1993, 2173; BGH NJW 1996, 3151 (3152). Zustimmend MünchKomm/ Becker-Eberhard, ZPO, vor § 253 Rn. 32; Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 76; vgl. auch BGH NJW- RR 2002, 1596 (1597); NJW 1993, 1716 (1717); kritisch Rimmels pacher, JuS 2004, 561; kritisch Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 217; zusammenfassend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11 f. 425 BGH NJW-RR 1996, 1277 f. 426 Kritisch: MünchKomm/H. Roth, BGB, § 652 Rn. 239; Dehner, NJW 1997, 25. 427 So BGH NJW 1993, 2173; BGH NJW 1996, 3152 (Streitgegenstandsidentität aber für Amtshaftung und Anspruch wegen rechtmäßiger Inanspruchnahme); zustimmend Musielak, 420
§ 12 Der Streitgegenstandsbegriff in der Judikatur
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spruchs aus öffentlich-rechtlicher Aufopferung und den Ansprüchen aus Gefährdungshaftung bzw. Amtspflichtverletzung. Diese Formel erscheint jedoch ähnlich nutzlos und wenig aussagekräftig wie das Merkmal des natürlichen Lebenssachverhalts.428 Unterschiedlich ausgestaltet sind Ansprüche selbst bei unstrittiger Streitgegenstandseinheit im Hinblick auf Beweislast und Verjährung, so dass dieser Wendung nicht viel an Aussagegehalt zu entnehmen ist.429 Teilweise folgert die Rechtsprechung aus der engen tatsachlichen und rechtlichen Verbundenheit zweier Komplexe (Wandelung und Rückforderung nach Anfechtung wegen arglistiger Täuschung) auf die Streitgegenstandsidentität.430 Nur in dieser Richtung kann der engen Verbundenheit materieller Tatbestände eine gewisse Indizwirkung für die Einheitlichkeit des Urteilsgegenstandes entnommen werden.431 Im Übrigen stößt es auf Bedenken432, wenn versucht wird, NJW 2000, 3595. Dennoch kann sich, begrenzt auf wenige Ausnahmefälle, ergeben, dass das materielle Recht den Kläger durch eine Vorschrift privilegieren will, was auch im Prozess zu berücksichtigen wäre. Dies ist aber die begründungsbedürftige Ausnahme. 428 Überdies legt diese Formel aktionenrechtliche Züge an den Tag, Stein/Jonas/H. Roth, vor § 253 Rn. 12. 429 Auch der Anspruch auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung und der auf Ausgleich analog § 906 II 2 BGB gerichtete Anspruch bildeten prozessual verschiedene Streitgegenstände, BGH NJW 1990, 1910. Ebenso für § 322 ZPO BGH NJW 1990, 978 (Ansprüche aus Enteignung/enteignungsgleicher Eingriff und Amtshaftung). Zustimmend Bamberger/ Roth/Fritzsche, BGB, § 906 Rn. 100; von Anspruchskonkurrenz geht Wenzel aus, NJW 2005, 241 f.: „Über den Schadensersatzanspruch ist der Grundstückseigentümer so zu stellen, wie er ohne die Beeinträchtigung stehen würde; der Ausgleichsanspruch soll nur die normalerweise gegebene Abwehrbefugnis kompensieren. Der Ausgleichanspruch gewährt keinen vollen Schadensersatz, sondern bemisst sich in Anlehnung an die Grundsätze einer Enteignungsentschädigung … Beide Ansprüche sind deshalb nicht nur nach ihren Voraussetzungen, sondern auch in ihren Folgen verschieden. Deliktischer Schadensersatzanspruch und Ausgleichsanspruch konkurrieren daher … nicht miteinander im Blick auf dasselbe prozessuale Ziel.“ Anders aber BGH NJW 1984, 615: ein Streitgegenstand bei verschiedenen Anspruchsgrundlagen auf Schadensersatz, § 2 HaftpflG und § 839 BGB. 430 BGHZ 157, 51 f.: Die Ausübung des Anfechtungsrechts durch den Käufer führe nur zu einer Änderung der materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Rückabwicklung; der BGH rekurriert hierzu zusätzlich auf die Behandlung von Gestaltungsrechten im Rahmen von § 767 II ZPO; ähnlich zur Konkurrenz von Wandlung und Leistungskondiktion bereits RGZ 54, 219, 221 (beide Klagen verfolgten im Wesentlichen denselben Zweck); Heinrich, LMK 2004, 172; Heiderhoff, ZZP 118 (2005), 199; Bub, Streitgegenstand, S. 168 a.A. Schulze-Schröder, NJW 2004, 1365 f. (insbesondere für den Fall, dass §§ 346, 437 Nr. 2 BGB aufgrund von Verfristung nicht geprüft würden); Medicus, WUB IV A. § 477 BGB 1.04 unter Betonung der Einzelfallgerechtigkeit (wenn neben die objektiv mangelhafte Leistung eine betrügerische Handlung trete). 431 Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 520 f.; insoweit zustimmend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38, für den „Straßenbahnfall“ (gemeinsame Bedeutung des Verschuldens). 432 So Bub, S. 163: „Die Zusammenfassung von Einzeltatsachen zu einer größeren Einheit muss immer unter einem bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt erfolgen.“ Zu fragen sei darum, warum in bestimmten Fällen keine erschöpfende Erledigung des Streits um ein bestimmtes Interesse erfolgen muss, sondern sich der Rechtsstreit auf eine bestimmte tatsächliche Begründung für dieses Interesse beschränken darf.
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den rechtlich relevanten Ausschnitt aus dem Lebensverhältnis mittels der Strukturen des materiellrechtlichen Anspruchssystems zu ermitteln.433 Beispiele finden sich desweiteren für die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage.434 Der BGH gestattet hier in ständiger Rechtsprechung, dass dieselbe Verletzungshandlung prozessual in verschiedene rechtliche Kategorien aufgespalten wird (etwa in urheberrechtliche bzw. markenrechtliche Verletzungen oder einen Verstoß gegen UWG).435 Der Versuch der Rechtsprechung, dem Lebenssachverhalt rechtliche Konturen zu verleihen, ist mit Unsicherheiten und Zufälligkeiten vorbelastet, weil für die Erheblichkeit rechtlicher Umstände keine allgemeinen Maßstäbe existieren. Die streitgegenstandsrelevante Judikatur des BGH trägt zudem Widersprüche in sich, wenn sie einerseits die Vorzüge einer „natürlichen Betrachtungsweise“ betont und andererseits zur „Verrechtlichung“ von Tatsachenkomplexen schreitet.
433
Kritisch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38. BGHZ 154, 342 (348); hierzu Meyer, NJW 2003, 2887; Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 230; Teplitzky, GRUR 1998, 322; Ahrens JZ 2006, 1184; eine Verletzungshandlung könnte in verschiedenen Verfahren verfolgt werden, sofern der Sachverhalt auf urheberrechtliche, markenrechtliche oder wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte aufgespalten werde. Kritisch hierzu Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 ff. Rn. 12: Auf wettbewerbsrechtliche Besonderheiten lasse sich das kaum stützen. Näher auch unten § 34 II. 435 BGH NJW-RR 2006, 1120; BGH NJW-RR 2006, 1046; BGH GRUR 2001, 755 f.; kritisch Ahrens, JZ 2006, 1184; Teplitzky, GRUR 1998, 322; ders. GRUR 2003, 272 (280); Rüßmann, in: FS Lüke, S. 684. 434
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§ 13 Der Sachverhalt als allein streitgegenstandsbestimmender Faktor I. Der Lebenssachverhalt im „völkischen Denken“ In der zivilprozessualen Reformdiskussion in den Jahren 1933 bis 1945 existierten Bestrebungen, dem Richter eine freiere und ungebundene Bewertung des tatsächlichen Lebenssachverhalts zwischen den Parteien zu ermöglichen. Die im folgenden dargestellte Konzeption unterscheidet sich von den bisherigen (antragsdominierten) Streitgegenstandslehren dadurch, dass sie den Lebenssachverhalt ins Zentrum stellt. Insoweit bildet sie ein frühes Gegenmodell zur herrschenden Doktrin.
1. Die Vorschläge von de Boor In seiner dem Kampf gegen das aktionenrechtliche Denken gewidmeten Streitschrift hat de Boor im Jahre 1941 die Bedeutung des Lebensverhältnisses als Gegenstand des Zivilprozesses akzentuiert.436 Sein Anliegen war es, den Streitgegenstand möglichst der Befugnis des Klägers zu entziehen und dem Richter eine schrankenlosere Würdigung des Lebenssachverhalts zu ermöglichen, wie es dem damaligen Zeitgeist entsprach:437 „Der Prozess soll die völkische Lebensordnung des Rechts bilden helfen. Die Klage wird nach wie vor das bindende Streitprogramm geben müssen. Wir brauchen die Rechtsschutzbitte, wir müssen genau wissen, wo den Volksgenossen, der sich bei uns beklagt, der Schuh drückt. Den Inhalt der Klage aber sollten wir möglichst unbefangen aufnehmen, ohne uns durch Scheuklappen wie die Individualisierungs- oder Substantiierungstheorie die Aussicht verschränken zu lassen. Das Kernstück des Prozesses muss die Aufklärung des Lebensvorganges bilden, über den gerichtet werden soll.“438
Zwar gesteht de Boor auch dem Klageantrag streitgegenstandsbestimmende Wirkung zu, jedoch betont er gerade die hervorgehobene Stellung des Tatsachenelements. Als eigentliches Übel betrachtet de Boor dabei den Verhand436
de Boor, Gerichtsschutz, S. 1 f. de Boor, Gerichtsschutz, S. 43; ders., Zur Reform des Zivilprozessrechts, 1938, S. 1 ff., ders., Die Auflockerung des Zivilprozesses, 1939, S. 5 f. 438 de Boor, Zur Reform des Zivilprozesses, S. 7. 437
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lungsgrundsatz, der es verbiete, dass das Gericht neue Tatsachen von Amts wegen an Stelle der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen berücksichtigen könne. Das Ziel sei ein Zivilprozess unter der Herrschaft des Untersuchungsgrundsatzes: „Aber die Identität eines Sachverhalts ist eine Erscheinung, mit der wir nicht nur im Prozess, sondern auch im täglichen Leben immer wieder zu tun haben. Wenn wir uns nur von allen Unrichtigkeiten des Aktionenrechts freimachen … kann es so schwer nicht sein, den Begriff des Sachverhalts, also das der Klage zu Grunde liegende Lebensverhältnis aus gesunder Volksanschauung heraus zu bestimmen.“439
Worauf es ankomme, sei nicht eine Einschränkung des Streitgegenstands, sondern seine Erweiterung. Dabei sollte nach Ansicht von Jonas, der de Boor beipflichtete, der Richter den Sachverhalt nicht nur unter der einen vom Kläger behaupteten Rechtsfolge prüfen, sondern unter allen möglichen aus dem Sachverhalt ableitbaren Rechtsfolgen.440 Ziel sei eine Gesamtbereinigung des Streitfalles. Bisher werde der Lebensvorgang nicht in seiner lebendigen Einheit gesehen, sondern lediglich im Hinblick auf einzelne Tatsachen, welche den Tatbestand der actio oder exceptio bildeten.441 Die Rechtspflegeaufgaben könnten so nicht gelöst werden. Bemerkenswert erscheint dabei der Hinweis von de Boor auf die dynamische Seite des Prozesses: Der Prozess sei nichts Starres, sondern eine sich in voller Entwicklung befindende Lebenserscheinung. Diese Entwicklung vollziehe sich gerade am prozessualen Anspruch.442 Der Gesichtspunkt sei vom Gesetzgeber nicht übersehen worden, sondern zeige sich etwa in § 268 Nr. 3 ZPO a.F. (§ 264 Nr. 3 ZPO): Hinsichtlich des ursprünglich geforderten Gegenstandes könne wegen der später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand oder das Interesse verlangt werden.443 Entscheidend sei weniger die Entwicklung des streitigen Lebensverhältnisses außerhalb des Prozesses als vielmehr die Entwicklung, die das Klagebegehren durch die prozessuale Arbeit innerhalb des Verfahrens durch den Richter erfahre.444
439 de Boor, Gerichtsschutz, S. 44; zur preussischen AGO de Boor, Gerichtsschutz, S. 14, 15, 17. Es handle sich im Schwerpunkt um hausgemachte Schwierigkeiten von Juristen. Im Grunde sei die Wendung der AGO, Tit. X § 5 viel moderner; dies insbesondere, da die AGO nicht durch einen aktionenrechtlich überspitzten Verhandlungsgrundsatz gehemmt gewesen sei. 440 So Jonas, DR 1941, 1700. 441 de Boor, Gerichtsschutz, S. 115 f. 442 de Boor, Die Auflockerung des Zivilprozesses, S. 11. 443 de Boor, Gerichtsschutz, S. 44, 30. 444 de Boor, Gerichtsschutz, S. 45: Eine richterliche Handlung und die ihr zu Grunde liegende rechtliche Beurteilung dürfe sich deswegen nie allein auf den Anspruch beziehen, wie er in der Klage stehe, sondern habe immer Antrag und Sachverhalt in dem Stadium der Entwicklung und Aufklärung zugrunde zu legen, in der sie sich zur Zeit der richterlichen Handlung befinden.
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Wenige Autoren haben die heute anerkannte dynamische Komponente445 des Prozesses so klar herausgearbeitet. Sie spricht überdies für eine nach Prozessstadien variable Streitgegenstandslehre. M.E. erscheint der in § 264 Nr. 3 ZPO verwendete Begriff des Interesses zudem geeignet, diese Entwicklung von Antrag und Lebenssachverhalt (unter Berücksichtigung der richterlichen Aufklärungspflicht) in geeigneter Weise zum Ausdruck zu bringen.446 Dabei wird nicht verkannt, dass die abzulehnende Intention de Boors eine völlig andere war: Ihm war vor allem daran gelegen, das geltende Prozessrecht den „Vorzeichen der neuen Weltanschauung“ anzupassen. Der Gedanke der Prozessdynamik selbst trägt aber keine nationalsozialistischen Züge an sich.
2. Kritische Stimmen Vor allem Lent hat sich mit den Vorschlägen de Boors auseinandergesetzt, dem damaligen Zeitgeist widerstanden und die geltenden Prinzipien verteidigt.447 Den Gegenstand des Streits und den Gegenstand der Entscheidung könne nur der Kläger selbst bestimmen.448 Streitgegenstand sei deswegen niemals ein Sachverhalt, sondern stets nur die aus dem Sachverhalt abgeleitete Rechtsfolge. Für die Feststellungsklage sei dies ausdrücklich in § 256 ZPO ausgesprochen. Für die Leistungsklage ergebe sich dies aus den Bestimmungen § 322, § 308 und § 253 ZPO. Die Rolle des Sachverhalts sei vielmehr nach der bisherigen gesetzlichen Regelung eine relativ unbedeutende: Er diene nur zur Bestimmung des Streitgegenstands, ohne ihn selbst auszumachen.449 Jedoch gesteht Lent ein, dass im Zentrum der Auseinandersetzung der Parteien hauptsächlich Tatsachenfragen stünden. Insoweit sei die Frage nicht unberechtigt, ob die Rolle des Sachverhalts nicht stärker im Aufbau des Verfahrens zum Ausdruck kommen sollte. Eine Regelung, nach welcher der Sachverhalt allein den Gegenstand der Entscheidung bilde, entspräche jedoch nicht dem Parteiwillen und wäre zudem unpraktisch: Denn mit der Feststellung des Sachverhalts brauche der Streit der Parteien noch nicht erledigt zu sein. Eine Vollstreckung ohne Feststellung einer Rechtsfolge sei ausgeschlossen. Stattdessen glaubt Lent, viele Fälle bereits mit dem geltenden Recht zufriedenstellend lösen zu können.450 Verlangte der Kläger aufgrund seines Kaufvertrages die Beseitigung eines Mangels am gekauf445
Stein/Jonas/Brehm, ZPO, vor § 1 Rn. 49, 50; Stalev, ZZP 88 (1975), 193 f. Richterliche Anregungen, die im Rahmen von § 264 ZPO umgesetzt werden können, zählen zum Streitgegenstand. 447 Lent, ZZP 63 (1943), 3 f. Nicht näher erwähnenswert fi ndet diese hingegen Habscheid, Streitgegenstand, S. 210. 448 Lent, ZZP 63 (1943) 1. 449 Lent, ZZP 63 (1943), 4. 450 Lent, ZZP 63 (1943), 7. So dürfte in vielen Fällen nicht auf die konkrete rechtliche Identifizierung abgehoben werden, da diese im Ergebnis keine Rolle spiele, etwa die Bezeichnung als Kauf oder als Miete. Die rechtliche Würdigung ändere hier am Streitgegenstand nichts. 446
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ten Auto, so sei die Klage abzuweisen, weil ein solcher Anspruch nach damaligem Recht nicht existierte (anders nun § 439 BGB).451 Wenig sinnvoll sei es aber, den Richter darauf zu beschränken, die Klage ohne Prüfung, ob aus dem behaupteten Sachverhalt ein anderer Anspruch (etwa auf Wandlung oder Minderung) abgeleitet werden könne, abzuweisen. Denn es stehe zu befürchten, dass der Kläger später eine zweite Klage auf die richtige Rechtsfolge erhebt, woran ihn die Rechtskraftwirkung nicht hindere. Hier will auch Lent dem Kläger aus Konzentrationsgründen die Möglichkeit einräumen, statt des unrichtigen Anspruchs den richtigen zu erheben.452 Dieses erwünschte Ziel sei jedoch bereits mit der (sachdienlichen) Klageänderung zu erreichen, worauf der Richter nach § 139 ZPO hinzuweisen habe. Auch zum „Wein-Fall“ äußert sich Lent:453 Zwar sei die Rechtsfolge jeweils eine andere im Rechtssinne (Bereicherungsanspruch und Erfüllungsanspruch), aber der Lebensvorgang als Ganzes bleibe derselbe.454 Es erscheine erstrebenswert, dass nicht erst durch Klageänderung, sondern ohne weiteres, die Entscheidung über den Bereicherungsanspruch möglich werde, und zwar durch eine Ausdehnung des Begriffs des Streitgegenstands. Die Parteien hätten im Übrigen für eine solch feinsinnige Unterscheidung kein Verständnis, da es ihnen in erster Linie um die beanspruchte Position gehe. Eine von Amts wegen verordnete Klageänderung lehnt Lent jedoch ab. Im Gegensatz brächte de Boors Lösung von der konkreten Rechtsfolge eine Reihe von verfahrensrechtlichen Neuerungen mit sich, u.a. für die Schlüssigkeit der Klage. Diese wäre schon zu bejahen, wenn sich aus dem Vortrag zum Sachverhalt nur irgendeine Rechtsfolge, auch eine andere als die zunächst vom Kläger behauptete, für diesen ergebe.455 Folgen hätte dies auch für die Verjährungsunterbrechung: „Denn wenn durch die Klage nicht nur ein einzelner Anspruch rechtshängig wird, sondern ein Sachverhalt mit allen seinen Folgen, so muss die Unterbrechung sich auf alle Ansprüche erstrecken, die aus dem Lebensvorgang abzuleiten sind, und kann sich nicht auf den einen beschränken, der durch die Klage individualisiert ist…“.456
Dies gelte auch für die Rechtshängigkeit. Denn nicht mehr die einzelne, sich aus dem Antrag des Klägers ergebende Rechtsfolge werde rechtshängig, sondern der Lebensvorgang als Ganzes457: Auch im Hinblick auf die res iudicata wäre 451
Vgl. nunmehr aber § 439 BGB. Nur dann werde der Streit in einem Verfahren erledigt. 453 Lent, ZZP 63 (1943), 9. 454 Zur Fallgestaltung bereits oben § 10 IV 1 b. 455 Lent, ZZP 63 (1943), 9 ff. Mit weit reichenden Folgen für das Versäumnisverfahren: Die Klage wäre nur dann als unschlüssig abzuweisen, wenn überhaupt kein Anspruch gegenüber dem Beklagten bestünde. 456 Lent, ZZP 63 (1943), 9 ff. Vgl. hierzu nun unter anderen Vorzeichen § 213 BGB. 457 Zweifelhaft bleibe nach Lent, ob dies auch gelte, wenn die zweite Klage einen Anspruch anderen Inhalts betreffe, z.B. den Anspruch auf Schadensersatz wegen Unmöglich452
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nicht mehr entscheidend, ob dieselbe Rechtsfolge zur Entscheidung gestellt werde, sondern derselbe Lebensvorgang. Gerade der Rechtskraftumfang der Entscheidung bedürfe aber nach Ansicht von Lent einer festen Umgrenzung. Die Hoffnung, ein gesundes Volksempfinden oder der gesunde Menschenverstand würden eine Lösung ermöglichen, trüge. Bei einem Lebensvorgang könnten völlig unterschiedliche Rechtspositionen betroffen sein. Das vorrangige sei also die Rechtsfolge, der Lebensvorgang zweitrangig. Das Urteil müsste aber, wenn eine Gesamtbereinigung durchgeführt werden soll, auch eine Gesamtentscheidung darstellen, das heißt über alle Folgen des Sachverhalts entscheiden. Seien sich die Parteien aber im Klaren über den gefährlich weiten Umfang der Rechtskraft, so würden sie den Prozessstoff vorsichtshalber „aufblähen“. Insoweit sei es bedenklich, zum Streitgegenstand den vorgetragenen Sachverhalt und alle aus ihm sich ergebenden Rechtsfolgen zu erheben.458 Das Ziel einer Gesamtbereinigung eines streitigen Sachverhalts könne nach Lent aber auch erreicht werden, ohne dass der Richter den Parteien einen neuen Streitgegenstand aufdränge. Es genüge, die Erweiterung des Streitgegenstands durch Parteihandlung zu begünstigen.459
3. Bewertung Das von den Reformern aufgezeigte Bedürfnis nach flexibler Streitkonzentration leugnet Lent zwar nicht. Er weist jedoch auch auf die mit einer Ausrichtung des Prozesses auf den Lebensvorgang verbundenen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten deutlich hin. Dies gilt nicht nur für die Rechtshängigkeitssperre. Vor allem der Umfang der Rechtskraft nähme beträchtlich zu, ihre objektiven Grenzen wären – vergleichbar dem US-amerikanischen Zivilprozess460 – kaum mehr kalkulierbar. Eine vernünftige Abgrenzung des Sachverhalts erscheint zudem schwierig, wenn Rechtsfolgen generell ausgeblendet werden.461 Andererseits ist die sachdienliche Klageänderung als Abhilfemaßnahme, wie Lent sie vorschlägt, als Ausnahme konzipiert. Würde sie zur Regel erhoben, dann besteht offensichtlich Bedarf zur Korrektur des Streitgegenstandsbegriffs. Im Übrigen kann die Sachverhaltsbeschreibung allein den Gegenstand des Verfahrens schon deswegen nicht ausfüllen, weil ansonsten theoretisch ein Strafprozess ein Zivilverfahren blockieren könnte, das denselben historischen Vorkeit der Herausgabe, während die Klage selbst auf Herausgabe gerichtet war. Aber diese Konsequenz werde man, so Lent, ziehen müssen. 458 Lent, ZZP 63 (1943), 22. 459 Der Richter müsse zudem nach § 139 ZPO die Befugnis erhalten, auf alle Parteihandlungen hinzuweisen. Überlegenswert sei im Übrigen, eine Partei, welche der Anregung des Richters nicht folgt und einen sachdienlichen weiteren Antrag nicht stellt, und dadurch einen zweiten Prozess erforderlich macht, mit Kostennachteilen zu belasten. 460 Hierzu sogleich unter § 13 II 1. 461 Lent, ZZP 63 (1943), 14.
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gang unter dem Blickwinkel der unerlaubten Handlung untersucht.462 Allerdings rechtfertigt sich der Primat des tatsächlichen Elements im Rahmen der strafprozessualen Tat bereits aufgrund der dort herrschenden Inquisitionsmaxime.463 Nicht erwogen wird hingegen von Lent, die Ausrichtung am Lebensverhältnis auf bestimmte prozessuale Institute wie die Rechtshängigkeitssperre zu beschränken. Im Übrigen erscheint nicht ausgeschlossen, einen Mittelweg zwischen eng begrenzter Rechtsfolgenbehauptung und ausuferndem Sachverhaltsvortrag zu beschreiten. So wurde nicht über eine maßvolle Erweiterung des Antragsprinzips nachgedacht, welche sich am global gefassten Interesse des Klägers orientiert.464 Die Dispositionsmaxime würde damit nicht beeinträchtigt. Der Hinweis Lents auf den unkontrollierbaren Umfang der Verjährungshemmung trifft zwar zu. Jedoch ist eine maßvolle Erweiterung des Hemmungsumfangs möglich, wie § 213 BGB nun zeigt.465 Die Weite des Lebenssachverhalts zum Entscheidungsgegenstand zu erheben, brächte im Übrigen, wie Lent richtig bemerkt, die Gefahr unkontrollierbarer Präklusionswirkungen mit sich. Eine Gefahr, die gerade ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 293 CPO (§ 322 ZPO) vermieden werden sollte. Ob ein solches Modell die Streitkonzentration sinnvoll befördern könnte, erscheint deswegen zweifelhaft. Soweit es die Ausrichtung auf das Streitverhältnis als Ganzes betrifft, enthält die Ansicht de Boors auch deutliche Parallelen zur noch näher darzustellenden Kernpunktlehre des EuGH.466
II. Rechtsvergleichende Hinweise 1. Der Sachverhalt im angloamerikanischen Recht a) Grundlagen Im Hinblick auf die Ausrichtung der Streitsache am zugrunde liegenden Lebenssachverhalt erscheint der rechtsvergleichende Befund gewinnbringend467, obgleich nicht verkannt werden darf, dass für die Lehre de Boors vor allem der damals vorherrschende (unselige) Zeitgeist Auslöser war. Ein auf Streitschlichtung und Herstellung von Rechtsfrieden ausgelegter Prozess erfordert eine möglichst frühe und erschöpfende Sachverhaltsaufklärung. Im US-amerikanischen, aber auch im englischen Zivilprozess steht diese 462
So Rödig, Theorie, S. 230 f. Rödig, Theorie, S. 223. 464 Näher unten § 22 I. 465 Ausführlich unten § 23 II 1. 466 Näher unten § 15. 467 Zu den Vorzügen der Prozessrechtsvergleichung ausführlich P. Gottwald, in: FS Schlosser, S. 237 ff. 463
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Befriedungsfunktion im Vordergrund. Während das deutsche Recht weiter den Schutz der Parteien betont und das materielle Recht dem Prozess vorausdenkt468, gewinnt vor allem im US-amerikanischen Recht mehr das tatsächliche Streitverhältnis der Parteien an Bedeutung. Die Durchführung des Verfahrens soll möglichst der Lösung des gesamten Konflikts dienen.469 Dabei werden die Parteien zu einer vollständigen Erledigung des Streitstoffes angehalten.470 Über die Streitgegenstandseinheit oder -mehrheit bestimmt die cause of action.471 Diese wird nicht durch den mit der Klage verfolgten Antrag begrenzt. Insoweit zeigen sich gewisse Parallelen zur Kernpunktlehre des EuGH.472 Entscheidend ist vielmehr der als Einheit verstandene Fragenkomplex, der auch verschiedene Rechtsfolgen beinhalten kann und gewisse Parallelen zum deutschen Anspruchs- und Klagegrund aufweist. In seinem Umfang geht er indes weit über nationale Vorstellungen hinaus. Mit cause gemeint ist der anspruchsbegründende Sachverhalt in seiner Gänze, soweit er einem einheitlichen Sachkomplex entspringt.473 Eine cause of action kann grundsätzlich nicht auf mehrere Verfahren aufgespalten werden, weder in Form unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen474 noch in Gestalt von Teilklagen.475 Im Vordergrund der claim preclusion des US-amerikanischen Rechts steht der Gedanke der Prozesskonzentration durch Rechtskraftpräklusion in Form von bar (Unzulässigkeit der Klagewiederholung bei Abweisung)476 und merger (Übergang des materiellen Anspruchs in den Anspruch aus dem Urteil)477: Über zusammenhängende Tatbestände, 468
Vgl. hierzu § 19 I, IV. „First, the purpose underlying the establishment of most rules of civil procedure, in any judicial system, is to promote the just, effi cient, and economical resolution of civil dis putes“, Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 1 f.; Federal Civ. Proc. Rule 1 lautet: „[These rules] should be construed and administered to secure the just, speedy, and inexpensive determination of every action.“ 470 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 640 f.; Stürner, in: FS Schütze, S. 913 f., S. 922; James/Hazard/Leubsdorf, S. 599 f.; Sepperer, S. 38. 471 Zeuner, in: FS Zweigert, S. 603 f. Zum englischen Recht K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 121. Zur historischen Herleitung aus den gemeinsamen germanischen und römischen Wurzeln, Ritter ZZP 87 (1974), 140 ff.; Cohn in: FS Nipperdey I, S. 875; Spellenberg, in: FS Henckel, S. 846, spricht insoweit vom Streitgegenstand. 472 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99 f. Jedoch sollte nicht verkannt werden, dass der EuGH sich in allen Entscheidungen zu Art. 27 I EuGVVO auch an rechtlichen Erwägungen orientiert. 473 James/Hazard/Leubsdorf, S. 599, § 11.8; Andrews, Principles, S. 504, für das englische Recht; E. Kocher, Funktionen, S. 180 f.; Sepperer, S. 38. 474 Black v. Yates (1992) 1 Q.B. 526, 544. 475 Zeuner, in: FS Zweigert, S. 603 ff., S. 604; Spencer Bower/Turner, Doctrine, Nr. 458; Brunsden v. Humpfrey (1884) 14, Q.D.D., 141, 147 (per Bowen, L. J.); Andrews, Principles, S. 506 f. 476 Engelmann-Pilger, S. 44; Restatement (Second) of Judgments, § 19. 477 Gemeint ist die Wirkung eines zusprechenden Urteils. Das Urteil konsumiert Anspruch und Klagerecht, womit eine erneute Entscheidung über den Streitgegenstand und alles, was dazu gehört hätte, ausgeschlossen ist, Engelmann-Pilger, S. 44, 91; Spellenberg, in: FS 469
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die sich richtigerweise in ein und demselben Verfahren erledigen lassen, sollen nicht nacheinander mehrere Prozesse geführt werden. Die Rechtskraft schneidet hierbei nicht nur ein weiteres Verfahren um die bereits zu- oder aberkannte Rechtsfolge ab und sichert damit vornehmlich der siegreichen Partei das Ergebnis des Prozesses, sondern hindert diese auch daran, in einem Folgeprozess weitere auf derselben Grundlage beruhende Ansprüche oder Teilansprüche geltend zu machen, die sie im ersten Verfahren nicht zur Entscheidung gestellt hatte.478 Die Wirkung der claim preclusion im US-amerikanischen Recht bzw. des funktionsähnlichen cause of action estoppel im englischen Recht bezieht sich auf alle materiellrechtlichen Rechtsfolgen, die sich aus dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt ableiten lassen, ohne dass diese im Einzelnen eingeklagt sein müssten.479 Dies führt dazu, dass über alle aus einem einheitlichen Geschehen resultierenden Schäden in einem Verfahren entschieden wird und der Geschädigte auch bei einer nicht vorhersehbaren Schadensentwicklung (in der Regel) keine Möglichkeit mehr hat, eine Nachforderung durchzusetzen. Eine spätere Klage ist auch ausgeschlossen, wenn der genaue Anspruchsbetrag im Zeitpunkt der ersten Klage noch nicht bezifferbar war.480 Jedoch stößt das Prinzip der Streitkonzentration auch auf Grenzen: Nicht alles, was im Erstverfahren481 anhängig gemacht werden könnte, ist für ein späteres Verfahren ausgeschlossen. Die Rechtskraft bildet somit kein Hindernis für die Geltendmachung verschiedener causes of action in aufeinander folgenden Prozessen, auch wenn eine Verfahrensverbindung möglich gewesen wäre. Allgemein findet sich im US-amerikanischen Recht die Tendenz, den Begriff der cause of action rein tatsachenbezogen zu deuten, während in England restriktiver zur Einheitlichkeit des Lebenssachverhaltes auch eine gewisse rechtliche Komponente hinzukommen muss. Die Bedeutung des rechtlichen Moments im englischen Recht zeigt sich etwa, wenn im Rahmen eines einheitlichen Sachverhalts unterschiedliche Rechte des Klägers beeinträchtigt worden sind.482 So bilden durch einen Unfall verursachte Personen- und Sachschäden verschiedene „causes of action“, die unabhängig voneinander geltend gemacht werden können.483 Im Übrigen sind die Grenzen des „Prozessgegenstands“ im engliHenckel, S. 846. Die bar-Wirkung dürfte sich dabei zunächst in England in Anlehnung an das römische Recht aus der exceptio rei iudicatae entwickelt haben, die merger-Wirkung aus der Konsumtionswirkung der Litiscontestation, oben § 3 I. Vgl. auch Restatement (Second) of Judgments, § 18. Zur fehlenden merger-Wirkung für ausländische Urteile, Barnett, Res judicata, S. 87 ff. 478 Lenhoff, RabelsZ 19 (1954), 201 ff.; Engelmann-Pilger, S. 50 f. 479 Fischer, in: FS Henckel, S. 201; Zeuner, in: FS Zweigert, S. 603, 605 ff.; K. Otte, S. 122; W. Lüke, Beteiligung, S. 160. 480 Schack, US-amerikanische Zivilprozessrecht, S. 72. 481 Zeuner, in: FS Zweigert, S. 605. 482 Vgl. auch Münch, Ritsumeikan Law Review Nr. 20 (2003), 228; Sepperer, S. 38. 483 Brunsden v. Humphrey (1884), 14 Q.B.D. 141; Country Council, Talbot v. Berkshire
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schen Recht freilich durch die sog. Henderson-Doktrin zusätzlich ausgeweitet worden, weil hiernach die Rechtskraftwirkung auch dasjenige neue Vorbringen präkludiert, das bei vernünftiger Sichtweise Teil der früheren cause of action sein hätte müssen, aber die Parteien dazu nichts vorgetragen haben.484 Damit werden auch neue Tatsachen erfasst, die aus deutscher Perspektive an sich anderen Klagebegehren zurechnen. Das US-amerikanische Recht neigt von vornherein eher einer Gesamtbereinigung des tatsächlichen Geschehens zu, ohne etwa bei einem Unfall zwischen den Schadensarten zu differenzieren.485 Der Geschädigte ist damit gehalten, den Ersatz aller sich aus einem Ereignis ergebenden Schäden in einer einheitlichen Summe zu verlangen.486 Die in England herrschende487, an rechtlichen Zusammenhängen orientierte Lösung, berücksichtigt stärker das konkrete Klägerinteresse. Dies gilt insbesondere, wenn durch ein einheitliches Geschehen verschiedene selbständige Rechte beeinträchtigt worden sind.488 Hier ist das frühere System der writs noch spürbar, das sich seinerseits aus dem römischen Aktionensystem entwickelt hat.489 Jedoch kennt auch das US-amerikanische Prozessrecht verschiedene „tests“ zur Ermittlung der Identität der cause of action.490 Das Ausmaß der wissenschaftlichen Diskussion hierzu steht dem um den Streitgegenstand im deutschen Recht kaum in etwas nach.491 Vereinzelt wird entgegen der beschriebenen h.L., die das Gesamtgeschehen in den Vordergrund rückt492, der sog. primary rights-Test praktiziert.493 Entscheidend ist hiernach das conceptual framework of legal rights and legal wrongs that were involved in the first action.494 In der Entscheidung Baltimore Steamship Company v. Phillips wurde ausgesprochen, dass eine Klagetrennung nicht sinnvoll wäre,
(C.A.) (1994) Q.B. 290, 296; House of Lords, Republic of India v. India Steamship Co. Ltd. (1993) A.C. 410, 419; Spencer Bower/Turner, Doctrine, S. 379, Nr. 457 Fn. 3. 484 Diese beruht auf der Entscheidung Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 100 (115 f.); vgl. dazu auch WWF-World Wide Fund for Nature and Another v. World Wrestling Federation Entertainment Inc. (2008) 1 WLR 445 (C.A.), para 73 f.; Germelmann, S. 238. 485 Restatement (Second) of Judgments, § 24 comment c. 486 Ausführlich Koshiyama, Rechtskraftwirkungen, S. 31 f. (sog. lump sum). 487 Murphy v. Hennesy (1985) I.L.R.M. 89; Kelly v. Ireland (1986) I.L.R.M. 318; vgl. Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 85 f.; James/Hazard/Leubsdorf, S. 598 ff. 488 House of Lords, Republic of India v. India Steamship Co. Ltd. (1993) A.C. 410, 420 (per Lord Goff of Chieveley); Spencer Bower/Turner, Doctrine, S. 379, Nr. 457 Fn. 3. 489 Spellenberg, in: FS Henckel, S. 846. 490 Insoweit existieren ähnliche Streitigkeiten wie in Deutschland, vgl. Restatement (Second,) of Judgments, § 24 comment a; Koshiyama, Rechtskraftwirkungen, S. 15 ff.; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 28 ff. 491 Engelmann-Pilger, S. 45. 492 Vgl. etwa Jackson v. United States Postal Serv., 799 F.2d 1018, 1021 (5th Cir. 1986); May v. Parker-Abbot Transfer Strage Inc., 899 F.2d 1007 (10th Cir. 1990). 493 Dazu Engelmann-Pilger, S. 46. 494 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 628 ff., 642 f.
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„when there was only a single wrongful invasion of a single primary right of the plaintiff, namely the right of bodily safety.“495 Dies wird wie folgt ergänzt: „A cause of action does not consist of facts, but of the unlawful violation of a right which the facts show. The number and variety of the facts alleged do not establish more than one cause of action so long as their result, whether they be considered severally or in combination, is the violation of but one right by a single legal wrong.“496 Von dieser Ansicht wird somit zur Abgrenzung auf die Verletzung subjektiver Primärrechte (primary rights test) abgehoben. Zwei primary rights und damit auch zwei causes of action liegen etwa vor, wenn der Kläger bei einem Unfall eine Eigentums- und eine Gesundheitsverletzung erdulden muss.497 Überwiegend wird jedoch das einheitliche tatsächliche Geschehen in den Vordergrund gestellt und das rechtliche Element ausgeblendet. Der jeweilige claim beruht hierbei auf einer bestimmten transaction oder mehreren transactions. Entscheidend für die Begrenzung der transaction ist die Einheit von Zeit, Raum, Ursprung bzw. Motivation der Parteien (Restatement [Second] of Judgments, § 24).498 Teilweise wird sogar vorgeschlagen, die Identitätsfrage auf die Überlegung zu reduzieren, ob es eine vernünftige Erklärung dafür gebe, warum ein Klagebegehren nicht bereits in ein früheres Verfahren – etwa durch einen counter-claim 499 – eingebracht worden sei. Im US-amerikanischen Recht werden sämtliche Ausschlusswirkungen des Urteils den genuine effects of res judicata zugeschrieben. Eine Unterscheidung zwischen echter Rechtskraftwirkung und rechtskraftfremder Präklusion, wie sie aus dem deutschen Recht bekannt ist (etwa § 54 PatG, § 767 III ZPO), findet nicht statt.500 Das Verbot des splitting of a cause of action enthält aber Elemente (Verschulden, Sorgfaltsverstoß), die mit dem originären Verständnis der res judicata nichts zu tun haben.501 Auch die Partei, welche sich auf einen „cause of action estoppel“ im englischen Recht bezieht, hat nicht nur die Identität des Geschehens darzulegen, sondern auch, dass der Gegner schon im Erstprozess die Möglichkeit des Vortrags besaß. Diese nun in einem Zweitverfahren vorgebrachten Tatsachen mussten dem Gegner schon bekannt sein.502 Im Ergebnis ist die amerikanische Rechtskraftpräklusion durch bar und merger sehr konzentrationsfreundlich, jedoch dogma-
495 274 U.S. at 321, 47 S.Ct. at 602, 71 L.Ed. 1069. Besonderheiten gelten lediglich für Feststellungsurteile (declaratory jugments), die für weitere Leistungsklagen keine begrenzende Rechtskraftwirkung entfalten, vgl. § 28 U.S.C. § 2202. Vgl. hierzu Grobe, S. 23. 496 274 U.S. at 321, 47 S.Ct. at 602, 71 L.Ed. 1069; Hurn v. Oursler, 289 U.S. at 246, 53 S.Ct. at 586, 77 L.Ed. 1148. 497 Engelmann-Pilger, S. 46. 498 Frische, Verfahrenswirkungen, S. 92 f. 499 Hierzu näher § 26 II 1 c. 500 Engelmann-Pilger, S. 64. 501 Aus dem amerikanischen Recht etwa Schopfl ocher, 21 Ore.L.Rev. 319, 363 f. (1942). 502 Bone v. Seale, (1975) 1 All ER 787.
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tisch angreifbar. Zwar kann der Richter, ähnlich wie im deutschen Recht, keine Rechtsfolgen zusprechen, die nicht beantragt sind, jedoch wird im Rahmen der Rechtskraftpräklusion (negativ) über nicht geltend gemachte Positionen mitentschieden. Die Ablehnung der Savigny’schen Lehre von der Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe im deutschen Recht will genau dies verhindern und die Parteien somit vor Überraschungen hinsichtlich nicht im Streit befindlicher Rechtsfolgen bewahren.503
b) Erste Bewertung Dieses weite Rechtskraftverständnis ist zu keinem geringen Teil dem aufwändigen US-amerikanischen Jury-System geschuldet, das eine Wiederholung von Verfahren nicht sinnvoll erscheinen lässt.504 Der angloamerikanische Weg verfügt über den Vorteil einer – im öffentlichen Interesse geforderten – umfassenden Verfahrenskonzentration. Mehr als ein side effect bleibt auch der Beklagte vor einer Mehrfachverfolgung aus demselben Streitkomplex bewahrt. Gedient ist neben der Verwirklichung des objektiven Rechts vor allem der Rechtsfriedensfunktion des Prozesses. Auffällig ist, dass die US-amerikanische Lösung die Interessen des Klägers deutlich hinter denen des Beklagten anstellt, was ihn zu einem höchst vorsichtigen, alle Eventualitäten bedenkenden prozessualen Vorgehen verpflichtet.505 Erforderlich wird dadurch unter Umständen auch die Geltendmachung weiterer Ansprüche, die der Kläger sich ansonsten für die Zukunft vorbehalten oder auf die er verzichtet hätte.506 Der Wunsch nach umfassender Streitkonzentration könnte auf diese Weise zur prozessunökonomischen, künstlichen Streitaufblähung beitragen.507 Ein solches Maß an Verfahrenskonzentration würde zweifellos dem am subjektiven Recht orientierten deutschen Prozesszweck widersprechen. Da der Beklagte mit der Zwischenfeststellungs(wider)klage über ein entsprechendes Mittel verfügt, das Verfahren auf weitere Streitkomplexe auszudehnen, wäre eine solch umfassende Rechtskraftpräklusion auch dann nicht wünschenswert, wenn über ihre Unvereinbarkeit mit dem geltenden Normensystem (§§ 308, 322 503
Hierzu ausführlich K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 23 f. Vgl. zu v. Savigny oben § 5 II 2. 504 Engelmann-Pilger, S. 71: „Ein enger Streitgegenstandsbegriff … müsste sich aber unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie in einem Jury-System besonders nachteilig auswirken.“ Für die Regel des required joinder of claims sprächen die Einsparung an gerichtlicher Arbeitszeit und Justizgeldern. Deswegen erscheine es nicht sinnvoll, für jede gesonderte Klage eine andere Jury zusammenzustellen. Anzumerken bleibt aber, dass eine Jury nicht in allen Zivilprozessen eingerichtet wird. 505 Die Anforderungen an den Kläger wachsen mit der Ausweitung der cause of action, Engelmann-Pilger, S. 69. 506 Instruktiv aus deutscher Sicht Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 67 f. 507 Engelmann-Pilger, S. 70.
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ZPO) hinweggesehen würde.508 Über (maßvolle) Erweiterungen wird gleichwohl nachzudenken sein. Das Ausmaß des englischen cause of action estoppel und der US-amerikanischen claim preclusion könnte aber für den Umfang der Rechtshängigkeitssperre als Modellvorstellung dienen.509 Denn die Rechtshängigkeitssperre verhindert das Auseinanderreißen eines einheitlichen Streitkomplexes auf moderate Art und Weise.510 Der Beklagte wird vor einer Verteidigung in derselben Streitsache vor verschiedenen Foren bewahrt, ohne dass damit zugleich auch die Grenzen der Rechtskraft bestimmt wären: Verfahrenskonzentration ohne das „Schwert“ der Rechtskraftpräklusion. Darüber kennen sowohl das US-amerikanische als auch das englische Zivilprozessrecht Formen der positiven Rechtskraftwirkungen. Nach dem Prinzip des collateral estoppel entfaltet die Entscheidung über Streitpunkte (issues), über die schon im vergangenen Verfahren tatsächlich gestritten und entschieden worden ist und über die zur Urteilsfindung auch notwendigerweise befunden werden musste, in einem zwischen denselben Parteien geführten späteren Prozess über eine andere cause of action Bindungswirkung (sog. issue preclusion).511 Im englischen Recht existiert Vergleichbares unter dem Begriff „issue estoppel“.512 Hierfür genügt es, anders als im US-amerikanischen Recht, sogar, dass die Punkte tatsächlich hätten vorgebracht werden können, es aber nicht sind.513 Die angloamerikanische Doktrin reicht auch hier einen deutlichen Schritt über die Vorstellung des deutschen Gesetzgebers hinaus. Zwar müsste sich ein Zweitrichter aufgrund der weitgreifenden Bindungswirkung keine Gedanken mehr darüber machen, wie eine Vorfrage zu entscheiden ist, aber sehr wohl darüber, ob diese bereits bindend entschieden ist. Der Streit zwischen den Parteien verlagert sich somit lediglich zeitlich nach vorne auf die Frage der Reichweite der Rechtskraft.514 Diese estoppel-Lehre baut auf dem Beweisrecht („rule of evidence“) auf und ist Ausdruck des Verbots widersprüchlichen Verhaltens.515 Das eigene Verhal-
508 Zurückhaltend Münch, in: Ritsumeikan Law Review, Nr. 20 (2003), S. 235 f.; dazu auch Gaul, ÖJZ 2003, 872. 509 Unten § 15 f. 510 Angedeutet auch bei P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99 f. 511 Restatement (Second) of Judgments, § 27, § 28; Cromwell v. County of Sac (1876), 94 U.S. 351. 512 Spencer Bower/Turner, Doctrine, Nr. 191, 192; vgl. auch Germelmann, S. 236 unter Hinweis auf die Leitentscheidung Thoday v. Thoday (1964) P 181 (C.A.). 513 Näher Zeuner, in: FS Zweigert, S. 607; Nelle, Anspruch, S. 124; die Henderson-Doktrin findet auch im Rahmen des issue estoppel Anwendung, Germelmann, S. 238. 514 Münch, Ritsumeikan Law Review, Nr. 20 (2003), 230. Auch die Parteidisposition wird im englischen Recht verwirklicht, jedoch fehlt es bei einzelnen pleadings häufig an einem klar begrenzten Fundament. 515 Für England Münch, Ritsumeikan Law Review Nr. 20 (2003), 228: Der Begriff estopped leite sich vom lateinischen Wort stuppa, „Fessel“, ab.
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ten des von der estoppel-Wirkung Betroffenen erzeugt diese Wirkung, um die Erwartung des Gegners nicht zu enttäuschen.516 Wenngleich das US-amerikanische Recht einen weiteren Rechtskraft- und Präklusionsumfang kennt, besteht ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Konzeption darin, dass unverschuldet nicht vorgetragener Prozessstoff nicht von der estoppel-Wirkung erfasst wird.517 In dieser am Verschulden der Parteien orientierten Betrachtungsweise liegt eine Rechtfertigung für den weiten Präklusionsumfang. Bei der Diskussion um eine Ausweitung der Rechtskraftgrenzen im deutschen Recht nach US-amerikanischem Vorbild ist dieser strukturelle Unterschied zu berücksichtigen: Die zunächst harsch anmutende Präklusion wird parteienfreundlich durch das Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit aufgelockert. Vor allem für die Anwendung des collateral estoppel spielt eine Rolle, ob die Parteien im Vorprozess tatsächlich über die entschiedenen Einzelpunkte gestritten haben und ihnen die Bedeutung des Streitpunkts für mögliche Folgeprozesse bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt erkennbar war.518 Darin klingen mit der Berechenbarkeit des Rechtskraftumfangs und der Schutz vor Überraschungsentscheidungen ähnliche Überlegungen an, wie sie dem deutschen Gesetzgeber der CPO als Rechtfertigung für einen tenororientierten Rechtskraftumfang dienten. Die Härten des US-amerikanischen Rechts können aus Sicht der Parteien im Einzelfall sogar geringer sein.519
2. Griechisches Recht: Die Ausrichtung am Rechtsverhältnis Als Bündel unterschiedlicher Rechte und Pflichten könnte für eine konzentrationsfreundlichere Fassung des Streitgegenstands auch das Rechtsverhältnis (im weiteren Sinne) einen nutzbringenden Anknüpfungspunkt bieten, wie das Beispiel Griechenland zeigt. Im Vordergrund steht jedoch dort nicht der Lebenssachverhalt als solcher. Gemäß Art. 324 hl ZPGB bezieht sich im hellenischen Recht die Rechtskraftwirkung auf das entschiedene subjektive Recht, und zwar insoweit, als es sich um den gleichen Gegenstand und den gleichen tatsächlichen und rechtlichen Grund handelt. Weiter bestimmt aber Art. 322 hl ZPGB,
516 Vgl. auch Cohn, in: FS Nipperdey, S. 875 ff., Bunge, ZZP 92 (1979), 359 f.; EngelmannPilger, S. 37, 43, 86 f. 517 Vgl. etwa Dsane v. Hagan, 1961, 3 W.L.R. 776; Habscheid, in: FS Fragistas, Bd. I, S. 547 f.; Gaul, in: FS Henckel, S. 270. 518 Engelmann-Pilger, S. 73, 93; Gaul, in: FS Henckel, S. 270. 519 Gaul, in: FS Henckel, S. 271; P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99 f., hätte deswegen de lege ferenda gegen eine Erweiterung der Rechtskraft auf Vorfragenentscheidungen im Sinne des angloamerikanischen Rechts nicht allzu viel einzuwenden, als vielmehr dass ein Vorteil der engen deutschen Streitgegenstandskonzeption verloren ginge. Daneben wäre ein weiterer Nachteil die Perpetuierung von Fehlurteilen, R. Stürner, in: FS Schütze, S. 934.
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dass die Rechtskraft die entschiedene Frage nur insoweit erfasst, als das Urteil endgültig über ein durch Klage, Widerklage, Hauptintervention oder Aufrechnungseinrede geltend gemachtes Recht bzw. Rechtsverhältnis entschieden hat. Insoweit könnte durch Art. 322 hl ZPGB die Kluft zwischen der deutschen prozessualen und der hellenischen materiellrechtlichen Streitgegenstandslehre eingeebnet sein.520 Jedoch erstreckt das hellenische Recht – abhängig von der sachlichen Zuständigkeit des erkennenden Gerichts (Art. 331 hl ZPGB)521 – die Rechtskraft auch auf Vorfragen, welche trotz Fehlens eines entsprechenden Parteiantrags formell rechtskräftig untersucht wurden, wodurch die Gefahr widersprechender rechtskräftiger Urteile vermieden werden soll. Der Schulterschluss zwischen beiden Rechtsordnungen erscheint damit in weite Ferne gerückt. Die Funktion des Klagebegehrens reduziert sich im griechischen Recht offensichtlich darauf, die entscheidungsbedürftige Rechtsfolge im Bereich der Dispositionsmaxime anhängig zu machen.522 Für Fragen der Rechtshängigkeit (vgl. Art. 221 hl ZPGB) bzw. der Rechtskraftwirkung wird es hingegen als belanglos angesehen, ob sich die entscheidungsbedürftige Rechtsfrage im Klageantrag oder in der Klagebegründung bzw. im Urteilstenor oder in der Entscheidungsgrundlage befindet: „Diese Feststellung veranlasst zu der These, dass der Streitgegenstand von der … anhängigen und entscheidungsbedürftigen Frage des Bestehens eines Komplexes von Rechtsfolgen bestimmt wird. … Wenn es richtig ist, dass alles, worüber verhandelt und rechtskräftig entschieden wird, den Streitgegenstand bestimmt, dann sollte diese Stellungnahme dogmatisch konsequent sein. Dadurch wird der Einbezug der präjudiziellen Fragen in den Streitgegenstandsbegriff ermöglicht, was m.E. angesichts des Erfordernisses der Prozessökonomie und der konstanten Verbindlichkeit der gerichtlichen Erkenntnisse rechtspolitisch erwünscht sein sollte.“523
Wenn bereits die Rechtskraft bestimmte Vorfragen miterfasse, gelte es, der hieraus resultierenden Gefahr widersprechender Entscheidungen auch auf der Ebene der Rechtshängigkeit Tribut zu zollen.524 Insoweit stünde eine auf das Eigentum des Klägers gestützte Herausgabeklage einer negativen Feststellungsklage des Beklagten, mit der jener die Eigentümerstellung des Klägers bestreitet, entgegen. Dennoch unterscheidet sich diese Streitgegenstandsvorstellung
520 Die Regelung folgt offensichtlich dem Dispositionsgrundsatz als prozessualem Grundprinzip. Rechtskraftgegenstand ist zwar das entschiedene subjektive Recht, aber nur soweit es durch prozessualen Antrag einer Partei in den Prozess eingeführt wurde. 521 Beys, ZZP 105 (1992), 145 f.; ders., in: FS Jelinek, S. 1 ff.; Gaul, ZZP 112 (1999), 177 f. 522 Beys, ZZP 105 (1992), 145 f.; ders., in: FS Jelinek, S. 1 ff. 523 Beys, ZZP 105 (1992), 145 f. 524 Vgl. Beys, ZZP 105 (1992), S. 155 f. Dennoch schweigt sich der Wortlaut von Art. 221 hl ZPGB darüber aus.
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nach dem Selbstverständnis ihrer Vertreter von einer allein tatsachenbasierten cause of action angloamerikanischer Prägung.525 Im Hinblick auf das Postulat der Prozessökonomie hat Beys darüber hinaus vorgeschlagen, den Grundsatz (formaler) Verfahrenskonzentration teleologisch dahingehend zu erweitern, dass er alle Arten der Anspruchskonkurrenz bzw. Anspruchsnormenkonkurrenz erfassen kann, unabhängig von der Frage, ob die materiellrechtlichen Ansprüche im Sinne der zweigliedrigen Lehre oder der neueren materiellrechtlichen Theorien einen einheitlichen Streitgegenstand bilden. Den Kläger treffe somit die Last, sich auf alle konkurrierenden rechtlichen Gesichtspunkte zu berufen, selbst wenn diese nach h.A. zu verschiedenen Streitgegenständen führten. Die Folge wäre eine obligatorische Klagenhäufung, welche die Erledigung „aller konkurrierenden Streitgegenstände“ in einem Verfahren befördern würde. Geschehe dies nicht, wäre die spätere Klage hinsichtlich eines konkurrierenden, aber nicht eingeklagten Streitgegenstands präkludiert.526 Diese Wirkung resultiere nicht erst aus der Rechtskraft, sondern aus der Nichtbeachtung des Konzentrationsgrundsatzes. Damit könne nach Ansicht von Beys eine unerwünschte Vermehrung von Prozessen vermieden werden, ohne den gegen die neueren materiellrechtlichen Streitgegenstandslehren gerichteten Vorwürfen ausgesetzt zu sein. Eine Parallele zum cause of action estoppel bzw. zur claim preclusion angloamerikanischer Prägung drängt sich zumindest auf. Die Statuierung einer Pflicht zur objektiven Klagenhäufung mutet aber für europäische Vorstellungen revolutionär an, obliegt diese doch grundsätzlich dem Ermessen des Klägers. Im Übrigen würde damit einer Abkoppelung des Konzentrationsumfangs vom Streitgegenstand das Wort geredet. Beys Vorschlag erscheint deswegen entbehrlich, wenn sich im weiteren Verlauf der Studie eine konzentrationsfreundlichere Streitgegenstandsfassung finden lässt.527 Die Einbeziehung von Vorfragen in den Rechtshängigkeitsumfang mag unter den Vorzeichen des griechischen Rechts überzeugen.528 Aus der Sicht der deutschen Zivilprozessrechtsdogmatik stünde diese hingegen auf tönernen Füßen. Möglicherweise könnte die nun darzustellende Entwicklung auf europäischer Ebene aber einen weiteren Rechtshängigkeitsumfang rechtfertigen. 525 Vgl. Beys, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 460: „Der englische, allein durch den Sachverhalt und seine rechtliche Beurteilung bestimmte Streitgegenstand sei dagegen auch für Griechen befremdlich.“ Das griechische Recht erscheint ihm deswegen als der goldene Mittelweg, „der eine einheitliche europäische Streitgegenstandsentwicklung fördern könnte.“ Auch die Principles of Transnational Civil Procedure von ALI/UNIDROIT verfolgen ein ähnliches Konzept (Princ. 28): einerseits eine am Antrag und der Parteidisposition orientierte Begrenzung des scope of proceeding und andererseites eine erweiterte, auch Vorfragen einbeziehende Rechtskrafterstreckung. 526 Beys, ZZP 105 (1992), 145 f., 150 f. 527 Zur Verfahrenskonzentraton näher § 26. 528 Zu v. Savigny oben § 5 II und Gaul, in: FS Flume, S. 474 ff.
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Dritter Teil:
Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO und die Kernpunktlehre des EuGH § 14 Das Streitgegenstandsverständnis in den nationalen Rechten I. Überblick In den meisten europäischen Rechtsordnungen wird der Streitgegenstand neben der Frage der Parteienidentität durch den Klageantrag (Klageobjekt) und den Klagegrund bestimmt.1 Ausnahmen bilden lediglich Großbritannien und Irland, deren Rechtsordnungen die Identität des Klageantrags nicht als zwingend ansehen. 2 Nur selten findet ein eingliedriger, am Klageantrag orientierter Begriff mit der Begründung Verwendung, dass ein zweigliedriges Streitgegenstandsverständnis zu Schwierigkeiten führe, wenn mehrere Sachverhalte zur Rechtfertigung desselben Antrags verwendet werden.3 Hinsichtlich der Auslegung der Begriffe Antrag und Klagegrund existiert häufig ein ähnliches Meinungsspektrum wie in Deutschland.4 Der erstrebte Rechtsschutz muss dem Grunde nach der gleiche sein5, so dass jedenfalls dann keine Streitgegenstands1 Frankreich: Vincent/Guinchard, S. 223 f.; Croze/Morel, Procédure civile, S. 146; Fettweis, Droit judiciaire privé, Nr. 185, 2.; ders., Précis du droit judiciaire, Bd. II, Nr. 162; Spanien: Santos/Giménez, Derecho Procesal Civil, S. 547; Aroca, Derecho Jurisdiccional, S. 119 f.; Ramos, Derecho Procesal Civil, S. 259; Italien: Liebmann, Manuale di diritto processuale civile, Bd. I, Nr. 87, S. 173; Calamandrei, Istituzioni di diritto processuale civile, Bd. I, S. 133 ff.; die h.M. in Österreich: Böhm, in: FS Kralik, S. 103–107; ders., ÖJZ 1958, 7, 34–36; OGH JBl 1996, 525, 527; OGH JBl 1997, 368, 372; Rechberger/Simotta, 4. Kapitel, Rn. 250 f. Zur Rechtsprechung des Schweizer Bundesgerichts vgl. die Darstellung bei von Arx, S. 70 f. Vgl. im Übrigen allgemein den rechtsvergleichenden Überblick bei Isenburg-Epple, S. 193 f., und Sepperer, S. 28 ff., 32 f. 2 Isenburg-Epple, S. 194; Sepperer, S. 37. Zum cause of action estoppel siehe bereits § 13 II. 3 Vgl. für Spanien: Méndez, Derecho procesal civil, Bd. I, S. 410. 4 Gesamtdarstellungen der verschiedenen Ansichten bei Croze/Morel, Procédure civile, n. 146; Wernecke, Einheitlichkeit, S. 110. 5 In der rechtlichen Konstruktion ergeben sich teilweise Unterschiede. Vgl. dazu auch Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 19; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 114 Fn. 614: So wird im italienischen Recht z.B. differenziert zwischen dem Antrag an das Gericht
116 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO identität angenommen wird, wenn unterschiedlich lautende Anträge gestellt werden.6 Dies gilt etwa für das Verhältnis von positiver Feststellungsklage und Leistungsklage, da beide Klagearten verschiedene Rechtsschutzformen beinhalten. Schon der Antrag im spanischen Recht entspricht aber nicht dem Klageantrag im deutschen Recht, weil er Tatsachenvortrag und rechtliche Wertung gleichermaßen beinhalten kann.7 Die belgische Rechtsprechung wiederum stellt sehr strenge formale Voraussetzungen an das Vorliegen identischer objets.8 Meist wird im Hinblick auf den Klagegrund gefragt, ob die einzelnen Tatsachen einen einheitlichen Lebensvorgang formen, der bei „natürlicher Betrachtung“ des in den Prozess eingeführten Geschehens eine Einheit bildet.9 In der engeren Spielart wird der Sachverhalt hingegen mit den rechtserzeugenden Tatsachen gleichgesetzt. Im Grunde begegnen ähnliche Argumentationsmuster, wie sie die deutsche Judikatur zum Streitgegenstand beinhaltet. So finden sich etwa für die causa de pedir im spanischen Recht zwei altbekannte Theorien: Nach der Substantiierungstheorie sind die vorgetragenen tatsächlichen Umstände ausschlaggebend, während die Individualisierungstheorie diese Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang mit den Rechtsnormen interpretiert.10 Die im deutschen Recht geführte Auseinandersetzung um die Identität des Klagegrundes existiert auch im italienischen Prozessrecht. Streitgegenstandsidentität soll in der Regel aber vorliegen, wenn aus demselben konkreten Lebenssachverhalt dieselbe Rechtsfolge abgeleitet wird. Stark materiellrechtlich gefärbte Ansätze fanden sich lange in Frankreich und Belgien.11 Dieser romanische Rechtskreis, der gewissermaßen einen Gegenpol zu angloamerikanischen Vorstellungen markiert, andererseits aber die Rechtsprechung des EuGH zumindest äußerlich inspiriert haben dürfte, soll deswegen anhand des französischen Modells ausführlichere Darstellung erfahren. (petitum immediato: unmittelbarer Antrag), durch das ein bestimmtes prozessuales Vorgehen des Gerichts beantragt wird, und dem Antrag an eine Partei (petitum mediato), durch das die Leistung eines bestimmten Rechtsguts begehrt wird. Deswegen soll zwischen einer Klage auf Herausgabe eines Grundstückes und einem Antrag auf Beschlagnahme keine Identität existieren, vgl. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, aaO., mwN. 6 Gleiches gilt für das schweizerische Zivilprozessrecht, Schauwecker, Die Einrede der Litispendenz im eidgenössischen und zürcherischen internationalen Zivilprozessrecht, S. 93. 7 Méndez, Derecho procesal civil, Bd. I, S. 423. 8 Vgl. die Nachweise bei Fettweis, Précis du droit judiciare, Bd. II, Nr. 162 ff. 9 Rechberger/Simotta, Rn. 254; für Spanien: Ramos, Derecho Procesal Civil, S. 259. 10 Méndez, Derecho procesal civil, Bd. I, S. 424. 11 Zur französischen Rechtsprechung vgl. Montpellier, 7.12.1954, D. 1956, Somm. 21; so nimmt etwa die französische Rechtsprechung in Haftungsangelegenheiten durchweg an, dass jede gesetzliche Vorschrift, auf die ein Schadensersatzbegehren gestützt werden kann, eine eigenständige „cause“ im Sinne des art. 1351 C. civ. bildet und daher um den Ersatz desselben Schadens unter Umständen mehrere Prozesse zwischen denselben Parteien geführt werden können; vgl. auch Luxemburg: Tribunal d’arrondissement de Luxembourg (civ.), 3.2.1983, Pas. Lux. 25 (1981–1983), 459; Überblick bei Stürner, in: FS Schütze, S. 913 ff., S. 918; näher auch § 14 II.
§ 14 Das Streitgegenstandsverständnis in den nationalen Rechten
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II. Insbesondere: Der romanische Rechtskreis Art. 4 CPC (seit 2008: Code de Procédure Civil) des französischens Prozessrechts spricht vom Verfahrensgegenstand wie folgt: L’objet du litige est déterminé par les prétentions respectives des parties.12 In der Zusammenschau mit Art. 64 CPC wird deutlich, dass mit prétentions das Klagebegehren gemeint ist. Eine eingliedrige, nur am Klagebegehren ausgerichtete Betrachtungsweise ist der französischen Doktrin jedoch fremd.13 Der Streitgegenstand bestimmt sich vielmehr nach den Parteien (sujets), dem Klagegegenstand (objet de la demande; la chose demandée)14 und auch der Klagegrundlage (cause de la demande).15 Das objet wird durch die wechselseitigen Anträge (conclusions) der Parteien (vgl. Art. 4, Art. 6 CPC) charakterisiert.16 Maßgeblich ist hierfür der Inhalt des verfahrenseinleitenden Schriftstückes und das Verteidigungsvorbringen des Beklagten.17 Die Bestimmung hat im Hinblick auf die Befugnis des Beklagten vor allem den Fall der Widerklage im Blick, wenngleich anders als im deutschen Recht auch Einwendungen des Beklagten den Streitgegenstand beeinflussen können.18 Der äußerst schillernde Begriff der cause hat trotz aller Streitigkeiten inzwischen relativ feste Gestalt angenommen. Kennzeichnend ist die Trennung von fait und droit, so dass der von den Parteien angegebene Tatsachenbestand und nicht deren Rechtsausführungen für die Streitgegenstandsbestimmung maßgeblich sind.19 Für den Urteilsgegenstand gelten hingegen Besonderheiten. Gemäß Art. 1351 CC (Code Civil) knüpfen zunächst wie im deutschen Recht alle Rechtskraftwirkungen an den Urteilstenor (dispositif du jugement) an. 20 Die Rechtskraft selbst wird als Institut des materiellen Rechts begriffen. 21 Dabei entspricht der Grundsatz der autorité de la chose jugée dem Institut der Rechtskraft im deutschen Prozessrecht. Kennzeichnend für den Umfang der Rechtskraftwirkung im französischen Recht ist die triple identité von objet, cause und parties.22 Neben der Identität der Parteien ist also für ein Eingreifen der Rechtskraftwirkung die 12
Näher Schilling, S. 58; Herb, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 137 f.; Sepperer, S. 31. Schilling, S. 58. 14 Gemeint ist der konkrete mit der Klage verfolgte Vorteil, Motulsky, Rec. D. 1972, chron., 91. Ausführlich zum französischen Streitgegenstandsverständnis auch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 117 f. 15 Solus/Perrot, Droit judiciaire privé, Nr. 87; Gilli, La cause juridique de la demande, S. 1 ff. 16 K. Otte, Umfassende Sachentscheidung, S. 103; Isenburg-Epple, S. 179. 17 Isenburg-Epple, S. 179; Sepperer, S. 31. 18 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 115 f.: Der Streitgegenstand kann durch eine Widerklage verändert werden; Kössinger, S. 101. 19 Ausführlich Schilling, S. 61. 20 Ritter, ZZP 87 (1974), 151 ff. 21 Habscheid, in: FS Nakamura, S. 203, 210, 215. 22 Näher Germelmann, S. 125. 13
118 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO identité de l’objet und die identité de la cause erforderlich. Ohne dass dies äußerlich im Normtext erkenntlich wäre, wird – anders als für den Verfahrensgegenstand des CPC23 – der Begriff der cause meist rechtlich eingefärbt. 24 Während im laufenden Verfahren der Streitgegenstand vor allem der Festlegung der Entscheidungsbefugnis dient, spielt im Rahmen der Rechtskraft auch eine Rolle, was der Richter tatsächlich zum Gegenstand seiner Entscheidung gemacht hat. 25 Unstreitig divergieren die Klagegegenstände, wenn verschiedene Schadensposten verlangt werden. Gleiches gilt im Verhältnis von astreinte und Schadensersatz.26 Im Detail ist die Auslegung der cause schwierig.27 Die überwiegende Ansicht bezieht die einzelne Rechtsgrundlage mit ein28 und kommt somit zu einem sehr verengten Streitgegenstand. Insbesondere im Bereich des Schadensersatzrechts wird die Rechtskraft auf einzelne gesetzliche Vorschriften (Art. 1382 CC oder Art. 1384 CC)29 beschränkt, die jeweils dasselbe Begehren stützen. Jeder bildet eine eigenständige cause im Sinne von Art. 1351 CC Der Ersatz desselben Schadens könnte somit auf verschiedene Prozesse aufgespalten werden. Die unterschiedlichen causes ermöglichen eine Verfahrenskette (un chapelet d’actions).30 Diese französische Doktrin begünstigt vor allem den Kläger. Auch bezieht sich die Abweisung einer Herausgabeklage (demande en revendication) wegen Eigentums nur auf den jeweils vorgetragenen Erwerbsgrund.31 Die Rechtsprechung denkt somit weiter „aktionenrechtlich“.32 Zum Teil wird aber unter cause auch nur die klagebegründende Tatsachenbehauptung unabhängig von der jeweiligen 23
Code de Procédure Civile. Anschaulich Germelmann, S. 134, der zu Recht darauf hinweist, dass das französische Recht insoweit nicht nur auf die streitentscheidende Rechtsvorschrift abhebt, sondern vielmehr auch die entsprechenden normativen Tatsachenelemente miteinbezieht, so dass diese Betrachtungsweise im Ergebnis auf eine rechtlich-faktische Fundierung abzielt. 25 Die Nähe zum materiellen Recht bewirkt also eine Verengung des Urteilsgegenstandes hin auf die tatsächlich verwendete Rechtsgrundlage, vgl. auch Nelle, S. 22. 26 Cass. 2 civ., 5.1.1994, Bull. civ. II, Nr. 15; näher Stürner, in: FS Schütze, S. 928. 27 Vgl. näher K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 103; auch Schilling, S. 59 f., 63; Stürner, in: FS Schütze, S. 928. 28 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 43. 29 Vgl. Cadiet/Jeuland, S. 537, Rn. 944. Strittig ist, ob der Richter nach Art. 12 CPC die einzelne Haftungsgrundlage selbst austauschen kann; vgl. Stürner, in: FS Schütze, S. 929. Fraglich ist dabei, ob der Richter von einer vertraglichen Haftung auf eine deliktische überwechseln kann oder umgekehrt. 30 Näher K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 104. Dennoch ist eine Prozess- und Titelverdoppelung in den Fällen mehrerer konkurrierender Rechtsgrundlagen nicht so häufig: Denn nach der Lehre des „non cumul des responsabilités“ wird etwa bei einem Aufeinandertreffen von vertraglicher und deliktischer Anspruchsgrundlage nur die erstere verfolgt. Der Gläubiger kann nicht wählen, weil der vertragliche Anspruch dominant sei. Auf diese Weise wird das Problem der Anspruchskonkurrenz bereits auf materiellrechtlicher Ebene gelöst. 31 Insoweit kann das Eigentum einmal mit Ersitzung, das andere Mal mit rechtsgeschäftlichem Erwerb begründet werden. 32 Vgl. zur Konkurrenz bei der Vertragsaufhebung, R. Stürner, in: FS Schütze, S. 929 f. 24
§ 14 Das Streitgegenstandsverständnis in den nationalen Rechten
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Rechtsregel verstanden.33 Als cause der Klage wird dann in Haftungsfällen das tatsächliche Schadensereignis angesehen34 und den verschiedenen Gesetzesbestimmungen nur die Bedeutung von moyens35 zugestanden, deren Verschiedenheit die für den Streitgegenstand und die Rechtskraft maßgebliche Identität der Streitsache im Sinne des Art. 1351 CC unberührt lasse.36 Nach vermittelnder Ansicht ist hingegen Klagegrund die Gesamtheit der in einer bestimmten Weise rechtlich qualifizierten Tatsachen.37 Enger als im deutschen Recht ist hier die Wirkung der Rechtskraft aber insofern, als sie auf das beschränkt bleibt, was zur Begründung und zur Bekämpfung eines Begehrens im Prozess tatsächlich vorgebracht wird. Deswegen kann der Kläger sein Begehren auch gestützt auf rechtliche Gründe oder Gesichtspunkte, die bereits im ersten Verfahren möglich gewesen wären, wiederholen. 38 Ein bereits abgewiesenes Herausgabeverlangen darf somit mit einem anderen Erwerbsgrund erneuert werden.39 Freilich gewährleistet das französische Recht die Chancengleichheit von Kläger und Beklagtem. So hindert die Verurteilung zu einer Leistung den unterlegenen Schuldner nicht daran, später einen Grund für das Erlöschen der Verbindlichkeit oder für seine Befreiung von ihr geltend zu machen, der schon zur Zeit des Vorprozesses vorlag, in diesem aber nicht vorgebracht worden ist. Deswegen ist es dem Schuldner, der im ersten Prozess vergeblich die Erfüllung der Forderung vorgebracht hat, gestattet, sich für das Erlöschen der Schuld nun auf einen anderen Gesichtspunkt zu stützen.40 Rechtskraft kommt an sich nur dem dispositif und nicht den einzelnen motifs der Entscheidung zu (Art. 480 I mit Art. 455 II CPC: sous forme de dispostif), was zunächst an § 322 I ZPO erinnert.41 Jedoch kennt das französische Recht eine Bindung hinsichtlich der Vorfragen, von denen die Entscheidung abhängt und über die tatsächlich gestritten und befunden worden ist.42 Dies wird häufig dahin umschrieben, dass eine décision implicite vorliegt bzw. tragende Entscheidungsgründe, die eine notwendige Stütze des dispositif bilden (les motifs,
33
So insbesondere H. Motulsky, Rec. D. 1964, chron., 243. Vgl. auch K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 105. 35 Dazu näher etwa Germelmann, S. 136. 36 Perrot, Institutions judiciaires, S. 183 ff.; Zeuner, in: FS Zweigert, S. 609. Vorgeschlagen wird auch eine Gruppenbildung der Rechtsgrundlagen. 37 Darstellungen der verschiedenen Ansichten mit entsprechenden Literaturnachweisen finden sich z.B. bei Vincent/Guinchard, Nr. 372 ff.; Couchez, Procédure civile, Nr. 226. 38 Cass. (soc.) 5.12.1947, Bull. civ. 1947, III, Nr. 222; Cass. (soc.) 5.1.1948, Bull. civ. 1948, III, Nr. 12. 39 Aubry/Rau/Esmein, Droit civil français, S. 386 f. 40 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 105; Schilling, S. 61 f. 41 Vgl. auch K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 107; Münch, Ritsumeikan Law Review, Nr. 20 (2003), 228. 42 Näher Schilling, S. 64; Kössinger, S. 97 f.; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 109 f. 34
120 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO qui soutiennent necessairement le dispositif), Rechtskraft wirken würden.43 Jedoch ist die Rechtsprechung hier kaum überblickbar.44 Das objet du jugement gemäß Art. 1351 S. 1 CC kann im Übrigen auch dann identisch sein, wenn die Klageziele divergieren, aber Vorfragen übereinstimmen.45 Rechtskraftwirkungen treten auch im Rahmen untrennbarer Sinnzusammenhänge ein. Ein solcher Zusammenhang wird etwa im Verhältnis von Haupt- und Nebenanspruch bzw. bei Teilklagen angenommen. Wurde somit im Rahmen einer Teilklage über den Anspruchsgrund gestritten, wirkt das Urteil Rechtskraft für die Restklage.46 Von der Rechtskraftwirkung erfasst werden auch Entscheidungen über die vom Beklagten geltend gemachten Einwendungen, was wiederum den Umfang von § 322 II ZPO deutlich übersteigt.47 Hingegen werden im deutschen Recht durch die Rechtskraft lediglich einzelne Rechtsfolgen außer Streit gestellt und nicht die vom Gericht getroffenen Feststellungen über die den betreffenden Rechtsfolgen zugrunde liegenden Tatsachen festgeschrieben. Der Entscheidungsgegenstand ist durch die mit Klage und Widerklage vorgetragenen Anträge eindeutig bestimmt und begrenzt. 48
43
Wird über Leistungen aus einem Dauerschuldverhältnis verhandelt und wird über die Wirksamkeit des Vertrages gestritten, so wirkt die Entscheidung Rechtskraft für einen späteren Prozess über eine auf einen anderen Zeitabschnitt entfallene Leistung aus demselben Vertrag, vgl. auch Zeuner, in: FS Zweigert, S. 610 f. 44 Ausführlich K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 109. 45 Kössinger, S. 103. 46 Da jedoch zudem die Voraussetzungen von Art. 1351 CC identisch sein müssen, kann die Restklage auf einen anderen Anspruchsgrund (Vertrag) wie die vorher entschiedene Teilklage (Delikt) gestützt werden, ohne dass eine Bindungswirkung anzunehmen wäre. Durch den engen französischen Streitgegenstandsbegriff werden somit auch der Bindungswirkung Grenzen gesetzt. 47 Perrot, Chose jugée, Nr. 170. 48 Treffend die Beschreibung bei Zeuner, in: FS Zweigert, S. 613: „Die Begrenzung der Rechtskraft wird danach primär durch das Interesse der Parteien bestimmt, hinsichtlich der durch den Klageantrag bezeichneten Rechtsbeziehung eine unangreifbare (positive oder negative) Position zu gewinnen, woraus sich für beide Seiten zugleich auch der entsprechende Umfang des Verlustrisikos ergibt. Dagegen geht es bei dieser Konzeption der Rechtskraftbegrenzung nicht darum, den Beklagten bei einem im Kern einheitlichen Konfl ikt generell vor mehrfacher gerichtlicher Inanspruchnahme zu schützen oder im Interesse der Prozessökonomie oder des Ansehens der Gerichte zu verhindern, dass es zwischen denselben Parteien in verschiedenen Prozessen zu wiederholten und damit möglicherweise auch im Ergebnis divergierenden Beweisaufnahmen oder gerichtlichen Stellungnahmen zu denselben Tat- oder Rechtsfragen kommt.“
§ 14 Das Streitgegenstandsverständnis in den nationalen Rechten
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III. Zusammenfassung Der rechtsvergleichende Überblick hat starke Divergenzen hinsichtlich der Frage ergeben, ob alle aus einem bestimmten Sachverhalt ableitbaren Rechtsfolgen vom Streitgegenstand erfasst werden oder eine Beschränkung auf die (konkret) geltend gemachte Rechtsfolge stattfindet. Mehrheitlich wird in den Mitgliedstaaten der EU zur Ermittlung der Streitgegenstandsidentität auf eine Übereinstimmung von Parteien, Antrag und Klagegrund rekurriert.49 Die Identität der Klageanträge ist – außer in England und Irland – stets Voraussetzung.50 Die Tatsache, dass zwei Verfahren lediglich in einer gemeinsamen Vorfrage übereinstimmen, begründet, von Rechtskraftwirkungen abgesehen, keine Streitgegenstandsidentität.51 Weitere Divergenzen bestehen bei der Bestimmung des Klagegrundes. So steht die enge Auslegung der cause in Frankreich in diametralem Gesetz zum Verständnis der cause of action im englischen und vor allem im US-amerikanischen Recht52: Der Präklusionsumfang im französischen Recht ist begrenzt und orientiert sich vor allem an dem, worüber die Parteien im Prozess tatsächlich gestritten haben.53 Außerhalb der entschiedenen cause liegende Gesichtspunkte sind in einem Zweitverfahren nicht ausgeschlossen. Im US-amerikanischen Prozess bildet hingegen das gesamte Streitverhältnis, dessen Teil das konkrete Klagebegehren ist, den Streitgegenstand.54 Auch englische Urteile generieren eine einem Widerspruchsverbot vergleichbare Präklusion von Einwänden, die im Erstverfahren möglich waren.55 Die in der deutschen Streitgegenstandsdiskussion überwiegend vertretene Ansicht, dass neben dem Klageantrag auch dem jeweiligen Lebenssachverhalt entscheidende Bedeutung zukommt, findet insoweit eine Entsprechung in 49
Ähnlich P. Huber, JZ 1995, 599 f.; Sepperer, S. 38 f. Eine Ausnahme bildet lediglich die Konstellation, dass der in einem Prozess gestellte Antrag in einem anderen faktisch enthalten ist. 51 Die hiermit angesprochene Situation des vorgreifl ichen Rechtsverhältnisses begründet in den nationalen Verfahrensrechten nur einen sachlichen Zusammenhang. Vgl. für das italienische Recht art. 40 C. p. c. (Codice di procedura civile). 52 So kann der Kläger in England z.B. nicht mehrere Ansprüche aus demselben Rechtsverhältnis nacheinander geltend machen, und insbesondere verbraucht eine Teilklage die ganze cause of action, vgl. auch Sepperer, S. 38. Das ist praktisch deswegen erträglich, weil die Prozesskosten nicht wesentlich vom Wert des Streitgegenstands bestimmt werden. 53 Solus/Perrot, Droit judiciaire privé, Nr. 71; Perrot/Fricéro, J.Cl. proc. Civ. 1998, fasc. 554, Tz. 166. 54 Der in diesem Zusammenhang gewichtigste Unterschied zwischen englischem Recht und kontinentalem System liegt m.E. darin, dass ersteres die Aufklärung des gesamten historischen Lebensvorgangs erfordert, aus dem dann rechtliche Folgen abgeleitet werden. Dagegen lässt das deutsche Recht nur die von vorneherein rechtsgebundene Sachverhaltsaufklärung zu; vgl. auch Stürner, in: FS Stiefel, S. 764, 766. 55 Nelle, Anspruch, S. 216; Sepperer, S. 51 f. 50
122 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Großbritannien. Auch die cause of action wird als ein einheitlicher Sachverhaltskomplex verstanden. Nach deutschem Recht ist von vorneherein durch die steuernde Funktion des Klageantrags eine verbindlichere Marschroute vorgegeben. Im Gegensatz zum US-amerikanischen System verlangt das englische Recht zumindest eine gewisse rechtliche Einheit des Streites.56 Die französische Lösung erachtet dagegen das öffentliche Interesse an der Verhinderung gehäufter Prozesse als weniger bedeutsam, obwohl dies durchaus auch dem Parteiinteresse entsprechen würde.57 Ein derart enges Streitgegenstandsverständnis belässt den Parteien andererseits Raum für mehr Streitmanagement.58
56 57 58
Zeuner, in: FS Zweigert, S. 603, 604, 610. Zeuner, in: FS Zweigert, S. 604 ff. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 820.
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§ 15 Anspruchsidentität im Rahmen von Art. 27 EuGVVO Vor diesem Hintergrund soll die bereits mehrfach erwähnte Rechtsprechungslinie des EuGH zu Art. 27 EuGVVO nähere Untersuchung erfahren. Nach Art. 27 I EuGVVO setzt das später angerufene Gericht eines Mitgliedstaates das Verfahren von Amts wegen aus, wenn bereits in einem anderen Mitgliedstaat eine Klage wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig ist, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald dies der Fall ist, erklärt sich das später angerufene Gericht für unzuständig. Einer Rechtshängigkeitssperre mit der Folge der Unzuständigerklärung bedarf es deswegen59, weil trotz Bereitstellung eines europäischen Zuständigkeitssystems mit vereinheitlichten Foren die Möglichkeit der parallelen Inanspruchnahme mitgliedstaatlicher Gerichte zur Klärung derselben Streitsache weiter fortbesteht.60 Aus dem vom EuGH geprägten Anspruchsbegriff61 könnte möglicherweise auch Gewinn für unser nationales Streitgegenstandsdenken erwachsen.
I. Einführung Im internationalen Zivilprozessrecht dient die Ermittlung der Streitgegenstandsidentität im Rahmen von § 261 III Nr. 1 ZPO der Verhinderung unerwünschter Parallelverfahren (vgl. auch speziell § 738 a HGB). Von der h.L. wird 59 Dabei ist diese Kombination von Rechtshängigkeitssperre und Unzuständigkeit konkurrierender Gerichte nichts Ungewöhnliches. Selbst in den Motiven zur CPO wurde darüber nachgedacht: „Ebenso wenig hat der Entwurf es für nötig erachtet, eine Vorschrift über die Prävention aufzunehmen, also ausdrücklich zu bestimmen, dass im Falle der Konkurrenz mehrerer gleich zuständiger Gerichte oder im Falle doppelseitiger Klagen durch die Rechtshängigkeit und während der Dauer derselben die Zuständigkeit anderer gleich zuständiger Gerichte ausgeschlossen werde … da dieser Satz eine notwendige Konsequenz des Begriffs der Rechtshängigkeit ist …“, Hahn, Materialien II/1, S. 259 f. 60 Isenburg-Epple, S. 49. Zu den Beweggründen der Parteien, Gerichte verschiedener Vertragsstaaten/Mitgliedstaaten mit derselben Streitsache zu befassen, Schumann, in: FS Kralik, S. 236. 61 Instruktiv hierzu Pfeiffer, in: Report on the Application of Regulation Brussels I in the Member States, presented by B. Hess, Th. Pfeiffer and P. Schlosser (Final Version Sept. 2007), S. 174 ff.
124 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO die Rechtshängigkeit eines ausländischen Verfahrens außerhalb der EuGVVO jedoch nur berücksichtigt, wenn das zu erwartende ausländische Urteil im Inland anerkennungsfähig wäre.62 Dafür spricht, dass § 328 ZPO ausdrücklich die Anerkennung eines ausländischen Urteils zulässt und die Institute der Rechtshängigkeit und Rechtskraft in engem Zusammenhang stehen.63 Eine generelle Nichtbeachtung des ausländischen Verfahrens64 würde den Wettlauf zwischen in- und ausländischem Gericht begünstigen und die Gefahr zweier sich widersprechender und im Inland beachtlicher Entscheidungen heraufbeschören. Überdies könnte dann spiegelbildlich die Nichtbeachtung der eigenen inländischen Rechtshängigkeit durch ein ausländisches Gericht zu einer Versagung der Anerkennung des dann ergangenen ausländischen Urteils wegen Verletzung des ordre public führen.65 Zu beachten ist dabei, dass die Frage, ob identische Streitgegenstände vorliegen, aus deutscher Sicht überwiegend nach der lex fori des angerufenen deutschen Gerichts bestimmt wird.66 Freilich gilt diese Vorgehensweise bei der Ermittlung des Rechtshängigkeitseinwands nur im Verhältnis zu sog. Drittstaaten. Hinzu kommt, dass die Rechtsfolge des § 261 III Nr. 1 ZPO häufig in Richtung § 148 ZPO dahin abgemildert wird, dass das inländische Verfahren nicht als unzulässig abgewiesen wird, sondern lediglich ausgesetzt wird.67 Im Rahmen von EuGVÜ bzw. EuGVVO wird dagegen eine Anerkennungsprognose aufgrund des gegenseitigen Vertrauens in die Gleichwertigkeit der Justizsysteme für entbehrlich gehalten und abgelehnt. Mit dem System der ipso iure-Anerkennung wäre dies nicht vereinbar. Art. 21 EuGVÜ/27 EuGVVO setzen voraus, dass bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten identische Ansprüche anhängig sind. Der Begriff „desselben Anspruchs“ dient im Rahmen der EuGVVO zunächst der Abgrenzung zwischen der Aussetzung von Amts wegen (Art. 27 EuGVVO) und der ermessensgeleiteten Entscheidung nach Art. 28 EuGVVO. Darüber hinaus findet dieser Begriff auch in Art. 34 Nr. 4 EuGVVO Erwähnung.68 Hiernach wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien in einem 62
RGZ 49, 344; Habscheid, RabelsZ 31 (1967), 254; Heiderhoff, Rechtshängigkeit, S. 1 ff.,
28. 63
Aus dem österreichischen Recht Hoyer, ZfRV 1969, 242. Näher zu diesem Aspekt § 18 I 3, 4; vgl. auch Kerameus, in: FS Schwab, S. 257 ff. 64 So Hellwig, Lehrbuch, Bd. I, S. 178; Schütze, NJW 1963, 1486 f.; ders., RabelsZ 31 (1967), 234 f. Das EuGVÜ hat die Fragestellung im Hinblick auf Drittstaaten offensichtlich übersehen, Geimer, in: FS Kralik, S. 183. 65 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 55 f. 66 OLG Frankfurt a.M. WM 2001, 1108. Der Streitgegenstandsbegriff wird somit enger gefasst als im Rahmen der EuGVVO, vgl. Stein/Jonas/H. Roth, § 261 ZPO Rn. 55 f. (vor allem im Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage); Leipold, Verfahrenskonzentration, S. 17; a.A. Gruber, FamRZ 1999, 1564. 67 Linke/Hau, Intern. Zivilverfahrensrecht, Rn. 259; Reuß, JURA 2008, 1 ff. 68 Sepperer, S. 130.
§ 15 Anspruchsidentität im Rahmen von Art. 27 EuGVVO
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Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs erging, sofern die frühere Entscheidung anerkennungsfähig ist. Wenngleich auch Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVVO von Anspruch sprechen, ist damit weniger der Verfahrensgegenstand als vielmehr seine materiellrechtliche Entsprechung gemeint.69 Das „Anspruchsverständnis“ des Europäischen Gesetzgebers ist somit kein einheitliches. Für Artt. 27 I und 34 Nr. 4 EuGVVO wird hingegen die Frage nach einem autonomen Europäischen Streitgegenstandsbegriff relevant. Hinsichtlich des Umfangs etwaiger Rechtskraftwirkungen treffen EuGVÜ und EuGVVO jedoch keine Aussage, weil Fragen der Streitgegenstandsidentität im Zusammenhang mit dem Einwand entgegenstehender Rechtskraft nicht in deren Regelungsbereich fallen.70 De lege ferenda ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtshängigkeitssperre nach dem Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO vom 14.12.2010 zwar gewissen Verbesserungen unterzogen werden wird, Art. 29 I des Kommissionsvorschlags jedoch für die Koordinierung paralleler Verfahren weiterhin am Begriff „desselben Anspruchs“ festhält.71 Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Brüssel I-VO nunmehr auch das Verhältnis paralleler Verfahren in einem Mitgliedstaat und in einem Drittstaat regeln will. Nach Art. 34 des Kommissionsvorschlags wird für die Aussetzung des Verfahrens durch das später angerufene mitgliedstaatliche Gericht u.a. aber verlangt, „dass das Gericht des Drittstaats innerhalb einer angemessenen Frist eine Entscheidung erlassen wird, die in dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannt und gegebenenfalls vollstreckt werden kann“.72 Zudem wird zur Ermittlung der Verfahrensidentität der Begriff „desselben Anspruchs“ und damit wohl auch die Kernpunktlehre übernommen. Einschränkungen der Rechtshängigkeitssperre, die im Rahmen von § 261 III Nr. 1 ZPO unter Berufung auf einen engeren deutschen Streitgegenstandsbegriff bisher noch vertretbar waren, könnten nicht mehr greifen, wenn dieser Vorschlag Gesetz werden sollte. Grundsätzlich wäre eine europaweit einheitliche Lösung der Verfahrenskoordination sinnvoll. Freilich würden durch die Neuregelung die Unbilligkeiten und Streitigkeiten um den Inhalt der Kernpunkttheorie übertragen. Dies würde etwa bedeuten, dass eine frühere ausländische negative Feststellungsklage auch eine später erhobene inländische Leistungsklage hinsichtlich desselben Anspruchsverhältnisses behindern könnte.73
69 Nach Dohm, S. 78 f., fi ndet sich dieser prozessuale Anspruchsbegriff nur in Art. 21 und Art. 27 EuGVÜ, nicht jedoch in Art. 5 Nr. 1, Nr. 3, welche vom materiellen Anspruchsbegriff ausgehen; ebenso Sepperer, S. 130 f. 70 Überzeugend Sepperer, S. 151. 71 KOM (2010) 748 endgültig, S. 38. Vgl. im Übrigen auch § 40 I 4. 72 KOM (2010) 748 endgültig, S. 40. Vgl. auch § 18 I 4. 73 Vgl. § 40 I 1. Anders etwa im Rahmen der Anwendung von § 261 III Nr. 1 ZPO im Verhältnis zu Drittstaaten Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 56 f.
126 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO
II. Die Kernpunktlehre des EuGH Bereits vor dem „Paukenschlag“ des EuGH existierten in der Literatur eigenständige Vorschläge, wie der für Art. 21 EuGVÜ erforderliche Identitätsvergleich am besten zur Entschärfung drohender Kompetenzkonflikte beitragen könne.74 Einer autonomen vertragsimmanenten Auslegung wurde dabei mehrheitlich eine Absage erteilt.75 Das Vorliegen von Streitgegenstandsidentität sollte vielmehr in Form einer Doppelqualifikation anhand der im Streitfall beteiligten nationalen Prozessrechte erfolgen.76 Diese Theorie der Doppelqualifikation existierte in mehreren Spielarten.77 Bei der strengsten Variante wurden die Streitgegenstände der beiden angerufenen Gerichte sowohl nach der einen als auch nach der anderen Rechtsordnung auf ihre Identität hin verglichen und nur bei Übereinstimmung beider Streitgegenstände in beiden Rechtsordnungen Identität im Sinne von Art. 21 EuGVÜ angenommen.78 Auffällig ist dabei, dass die Frage der Identität damit nach strengeren Kriterien ermittelt würde, als etwa im Rahmen des national bemessenen Rechtskrafteinwands.79
1. Die Entscheidung in der Sache Gubisch/Palumbo: Leistungsklage und vorgreifliche Feststellungsklage In der Entscheidung Gubisch/Palumbo80 musste der EuGH erstmals ausdrücklich Stellung zur Auslegung des Merkmals „desselben Anspruchs“ in Art. 21 EuGVÜ beziehen, wenngleich in einigen Entscheidungen die Problematik des Streitgegenstandes bereits gestreift worden war.81
a) Prozessgeschichte Die deutsche Firma Gubisch Maschinenfabrik KG hatte beim LG Flensburg gegen den italienischen Staatsbürger Palumbo Klage auf Zahlung des Kaufpreises für eine Maschine erhoben. Kurz darauf klagte Palumbo seinerseits in Rom gegen die Gubisch KG mit dem Antrag, die Unwirksamkeit des Kaufangebotes festzustellen bzw. hilfsweise die Aufhebung des Kaufvertrages wegen Einigungsmangel oder die Auflösung des Kaufvertrages wegen Nichteinhaltung der Lieferfrist. Das Tribunale in Rom wies die Einrede der Rechtshängigkeit der Firma Gubisch zurück. Die letztinstanzlich mit dem Fall betraute 74
E. Schumann, in: FS Kralik, S. 302 f. E. Schumann, in: FS Kralik, S. 311 f. 76 E. Schumann, in: FS Kralik, S. 311 f.; ähnlich Schütze, AWD/RIW 1975, 78 (79). 77 Dohm, S. 98 f. 78 OLG Hamm IPRax 1986, 232. 79 Ablehnend deswegen Dohm, S. 99. 80 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861, 4872 f. = IPRax 1989, 157 (Schack); vgl. auch Huet, Clunet 115 (1988), 537. 81 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 -De Wolf/Cox, Slg. 1976, 1759; näher unten § 36 III, IV; Stafyla, S. 25 f. 75
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127
Corte Supreme di Cassazione legte schließlich dem EuGH die Frage vor, wie der Begriff „derselbe Anspruch“ im Sinne von Art. 21 EuGVÜ auszulegen sei.
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland vertrat im Vorfeld der Entscheidung die Auffassung, die Frage, ob Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig seien, müsse durch autonome Auslegung des Übereinkommens gelöst werden.82 Aufgrund des engen Zusammenhangs mit den Zielen der Vereinfachung der gegenseitigen Anerkennung und der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen bestünde eine Richtschnur dahingehend, Kompetenzkonflikte und miteinander unvereinbare Entscheidungen möglichst zu vermeiden. Hierbei lediglich auf die Identität der Klageanträge abstellen zu wollen, würde diesem Ziel nur wenig dienen. Von Bedeutung sei deswegen im Hinblick auf Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ eine weite Auslegung des Begriffs der Rechtshängigkeit, womit die Voraussetzungen der Identität im Fall Gubisch/Palumbo erfüllt seien. Die italienische Regierung wollte von entgegenstehender Rechtshängigkeit nur sprechen, soweit die Grundlage (causa petendi) und der Gegenstand (petitum) der Klage dieselben wären. Andernfalls greife nur die Auffangfunktion von Art. 22 EuGVÜ, sofern die Klagen im Zusammenhang stünden. Dies sei nach italienischem Recht nicht nur bei quantitativen Unterschieden hinsichtlich des Gegenstands der Klagen der Fall, sondern auch, „wenn die Fragen, die sich im ersten Rechtsstreit stellten, notwendige Voraussetzung für die Lösung des späteren Rechtsstreits zwischen denselben Parteien darstellten.“ Die Kommission war der Auffassung, dass der Begriff desselben Anspruchs einer autonomen Auslegung bedürfe, wobei die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts des angerufenen Gerichts unberücksichtigt blieben. Der Begriff der Rechtshängigkeit sei deswegen weit auszulegen. Auszuschließen sei eine Auslegung, welche die verfahrensrechtlichen Probleme eher verkompliziere als vereinfache und die zu unvereinbaren Urteilen führen könne. Art. 21 EuGVÜ spreche von Klagen wegen desselben Anspruchs und nicht wegen desselben Inhalts. Die Frage des Abschlusses und der Wirksamkeit des Vertrages sei aber beiden Rechtsstreitigkeiten immanent. Gegenteiliger Ansicht war Generalanwalt Mancini.83 Nach übereinstimmender Auffassung sei der Begriff der Rechtshängigkeit autonom auszulegen und damit unabhängig vom jeweiligen nationalen Recht. Art. 21 und 22 EuGVÜ verfolgten jedoch beide das Ziel, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Insoweit sei eine gegenseitige Abgrenzung notwendig. Eine weite Auslegung des Art. 21 EuGVÜ führe zu einer Vermengung des Zusammenhangs von Klagen mit der Rechtshängigkeit, was nach dem Übereinkommen 82 Vgl. den Sitzungsbericht, Slg. 1987, 4864, unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. C-12/76 – Tessili, Slg. 1976, 1473 f.; zur Entscheidung Gubisch und zum Sachverhalt instruktiv K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 405. 83 Slg. 1987, 4864 ff.
128 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO vermieden werden sollte.84 Die Ergebnisse einer weiten Auslegung wären im Übrigen nicht vorteilhaft: „Im Schuldrecht würde es beispielsweise ausreichen, die Unwirksamkeit eines Vertrages geltend zu machen, um mit der Einrede der Rechtshängigkeit alle nachfolgenden Klagen, die hierauf gestützt werden, vor dem Gericht eines anderen Staates zu Fall zu bringen. Aber dies ist sicherlich nicht das mit Art. 21 I EuGVÜ verfolgte Ziel.“85
Im Ergebnis sei der Streit in Italien über die Wirksamkeit des Vertrages nicht mit dem in Deutschland anhängigen Verfahren über Leistungsansprüche aus dem Vertragsverhältnis identisch. Die beiden Verfahren hätten weder den Gegenstand noch den Grund gemeinsam. Vielmehr sei das Feststellungsverfahren vorgreiflich, so dass eine Koordination der Verfahren nach Art. 22 EuGVÜ geboten erscheine. Auch mit dieser ermessensgesteuerten Norm könnten unvereinbare Entscheidungen verhindert werden.
b) Urteil des EuGH Der Gerichtshof teilte die Ansicht des Generalanwalts nicht, sondern entschied sich für eine weite Auslegung von Art. 21 EuGVÜ. Unter den denkbaren Auslegungsvarianten – vertragsautonome Auslegung bzw. Ausrichtung am innerstaatlichen Recht der beteiligten Mitgliedstaaten – gebühre theoretisch keiner der absolute Vorrang.86 Eine sachgerechte Lösung könne nur für jede Bestimmung des Übereinkommens gesondert getroffen werden. Hierbei sei jedoch die volle Wirksamkeit des Übereinkommens sicherzustellen. Das Übereinkommen wolle aber die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen erleichtern und innerhalb der Gemeinschaft den Rechtsschutz der dort ansässigen Personen stärken. Artt. 21 und 22 EuGVÜ gehörten dem 8. Abschnitt des Übereinkommens an, der im Sinne einer geordneten Rechtspflege gegensätzlichen Entscheidungen vorbeuge. Art. 21 EuGVÜ hätte somit den Zweck, die in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ beschriebene Situation möglichst zu vermeiden.87 Ein gemeinsamer Begriff der Rechtshängigkeit könne im Übrigen88 nicht einfach durch Gegenüberstellung der verschiedenen innerstaatlichen Bestimmungen gewonnen werden. Da ein Verweis auf die nationalen Vorstellungen in der Norm fehle, sei davon auszugehen, dass die in Art. 21 EuGVÜ verwendeten materiellen Voraussetzungen autonom verstanden werden müssten. Obwohl die 84 Zu diesem Zeitpunkt sah Art. 21 EuGVÜ noch die endgültige Abweisung der Klage vor. Die Lösung über ihre vorübergehende Aussetzung beruht auf dem dritten Beitrittsübereinkommen. 85 Slg. 1987, 4864 ff. 86 So bereits EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. C-12/76 – Tessili, Slg. 1976, 1473 f.; Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, S. 71 ff. Näher unten § 34 I. 87 Vgl. EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 – De Wolf/Cox, Slg. 1976, 1759. 88 EuGH, Urt. v. 7.6.1984, Rs. 129/83 – Zelger/Salinitri, Slg. 1984, 2397 (zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit); vgl. nun Art. 30 EuGVVO.
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129
in der französischen Sprachfassung verwendeten Begriffe le même objet (derselbe Gegenstand) und la même cause (dieselbe Grundlage) in der deutschen Sprachfassung keine Erwähnung fänden, seien sie trotzdem für die Auslegung heranzuziehen.89 Dieselbe Grundlage sei in der Entscheidung Gubisch bereits deswegen betroffen, da beide Rechtsstreitigkeiten auf demselben Vertragsverhältnis beruhten. Mit den wechselseitigen Klagen werde zudem derselbe Gegenstand geltend gemacht, weil die erste Klage auf Erfüllung und die zweite auf die Feststellung der Unwirksamkeit oder Auflösung desselben Vertrages gerichtet sei. In diesem Fall wolle die Klage auf Vertragserfüllung den Vertrag gerade wirksam werden lassen, während die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit ihm diese nehmen wolle. Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten sei somit die Wirksamkeit des Vertrages. Sei die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit oder Auflösung des Vertrages zuletzt eingereicht worden, so sei in ihr lediglich ein Verteidigungsmittel gegen die erste Klage zu sehen, das in Form einer selbständigen Klage vor dem Gericht eines anderen Vertragsstaats geltend gemacht werde.90 Die auf Erfüllung klagende Partei müsste somit damit rechnen, dass gemäß Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ die Anerkennung einer zu ihren Gunsten ergangenen Entscheidung verweigert würde, obwohl zuvor das auf die Unwirksamkeit des Vertrages abzielende Verteidigungsvorbringen der beklagten Partei zurückgewiesen worden sei. Der EuGH will mit seiner Rechtsprechungslinie offenkundig materiellen Sinnzusammenhängen Rechnung tragen.
2. Die Entscheidung in der Sache Tatry: Negative Feststellungklage versus Leistungklage a) Prozessgeschichte Im September 1988 wurde in Brasilien Sojaöl auf das Seeschiff „Tatry“ verladen. Nach Ankunft in Rotterdam wurde festgestellt, dass das Sojaöl durch Dieselkraftstoff verschmutzt war. Am 18. November 1988 erhob der Eigner des Schiffes vor dem Landgericht Rotterdam Klage gegen den Eigentümer des Sojaöls auf Feststellung, dass er für die Verschmutzung des Öls nicht hafte. Am 14. September 1989 reichte der Eigentümer des verschmutzten Sojaöls in England Klage vor dem Admiral’s Court gegen den Eigentümer des Schiffs mit dem Antrag ein, diesen zum Ersatz des erlittenen Schadens zu verurteilen. Im englischen Verfahren hatte der Richter erster Instanz den Einwand der Rechtshängigkeit hinsichtlich des niederländischen Verfahrens zurückgewiesen.91 Art. 21 EuGVÜ werde durch 89
Germelmann, S. 368. Allerdings will der EuGH in der Rechtssache Gantner, Urt. v. 8.5.2003, Rs. C-111/01, Slg. 2003, 4207, Verteidigungsmittel selbst nicht für die Bestimmung des Kernpunktes heranziehen. 91 The Maciej Rataj, [1991] 2 Lloyd’s Rep. 458.463; dazu Collins, LQR 108 (1992), 545; zum Sachverhalt auch K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 418. 90
130 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO negative Feststellungsklagen nicht erfüllt, sofern allem Anschein nach eine missbräuchliche Klageerhebung gegeben sei. Dann sei vielmehr ein Feststellungsinteresse zu verneinen. Der Court of Appeal kassierte die erstinstanzliche Entscheidung und rief zur Auslegung von Artt. 21, 22 und 57 EuGVÜ den EuGH an: Muss das später angerufene englische Gericht das Verfahren gemäß Art. 21 I EuGVÜ aussetzen, wenn nur fraglich sei, ob die beiden Klagen denselben Anspruch betreffen?92
Generalanwalt Tesauro bestätigte93, dass die beiden Klagen dieselbe Grundlage (dasselbe Vertragsverhältnis) und „zumindest teilweise“ den gleichen Gegenstand hätten. Denn in beiden Verfahren stehe die Frage der Haftung der Schiffseigner im Vordergrund, so dass beide Klagen auch als „zwei Seiten der gleichen Medaille“ verstanden werden könnten. Ein Unterschied zur Rechtssache Gubisch/Palumbo bestehe darin, dass in der nun zu entscheidenen Konkurrenzsituation zwischen negativer Feststellungsklage und nachfolgender Leistungsklage das zweite weiterreichende Rechtsschutzinteresse nicht im Erstverfahren in vollem Umfang mitverwirklicht würde.94 Insoweit könnte die Rechtshängigkeitssperre zu einer Rechtsverweigerung für den Zweitkläger führen, wenn es „aufgrund der für das früher anhängig gemachte Verfahren geltenden Verfahrensbestimmungen nicht möglich wäre, den Gegenstand durch Stellung neuer Anträge oder Einführung neuer Verteidigungsmittel zu erweitern.“ Denn das Übereinkommen sehe einen automatischen Mechanismus der Verbindung zweier Verfahren nicht vor, sondern kenne nur die Unzuständigerklärung durch das Zweitgericht.95 Zumindest in diesem Fall käme nur eine teilweise Anwendung von Art. 21 EuGVÜ mit der Folge der Abweisung als unzuständig in Betracht. Im Hinblick auf den übrigen Verfahrensgegenstand komme es hingegen zur Aussetzung nach Art. 22 EuGVÜ. Die Gefahr eines forum shopping bzw. einer rechtsmissbräuchlichen Klageerhebung durch den Erstkläger erkennt auch Generalanwalt Tesauro, will diese jedoch im konkreten Fall vernachlässigen. Die Problematik lasse sich im Übrigen durch eine restriktive Anwendung von Art. 21 EuGVÜ für den Fall einer früher erhobenen negativen Feststellungsklage kaum lösen. Desweiteren wäre es willkürlich, danach unterscheiden zu wollen, ob die negative Feststellungsklage früher oder später als die Leistungsklage erhoben worden ist, weil Art. 21 EuGVÜ für eine solche Auslegung keinerlei Anhaltspunkte biete. Die Erhebung einer solchen präventiven Klage könne sehr wohl gerechtfertigten Parteiinteressen entsprechen.
92 Das Urteil musste insgesamt fünf Vorlagefragen beantworten. Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die für die Bestimmung des Streitgegenstands relevante. 93 Schlussanträge von GA Tesauro, Rs. C-406/92, Slg. I 5450. 94 Schlussanträge von GA Tesauro, Rs. C-406/92, Slg. I 5451; hierauf weist auch K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 421, hin. 95 Vgl. auch Frische, Verfahrenswirkungen, S. 225.
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b) Urteil des EuGH Der EuGH96 vertrat die Ansicht, dass eine vom zukünftigen Schuldner zuerst erhobene Klage auf Feststellung des Nichtbestehens seiner Haftung den gleichen Anspruch betreffe wie die später vom Gläubiger erhobene Leistungsklage auf Schadensersatz, so dass Art. 21 EuGVÜ zum Einsatz komme. In der Entscheidung selbst wird der bereits in Gubisch/Palumbo begonnene Weg der übereinkommensautonomen Auslegung desselben Anspruchs fortgesetzt, ohne unmittelbar auf eine der beteiligten nationalen Verfahrensordnungen zu rekurrieren. Der Begriff desselben Anspruchs beinhalte die Grundlage und den Gegenstand desselben, ohne dass die Textfassungen der beteiligten Staaten unmittelbar diese Unterteilung nachvollziehen müssten. Die Grundlage meine den jeweiligen Sachverhalt und die maßgeblichen Rechtsvorschriften, der Gegenstand den Zweck der Klage. Der Gegenstand der Klagen sei identisch, weil die Leistungsklage auch die Haftungsfrage umfasse und beide Anträge sich somit nur als umgekehrt formulierte, sonst aber identische Zielsetzungen darstellten.97 Den Kernpunkt beider Entscheidungen bildete die Haftungsfrage. Der überschießende Zahlungsantrag sei nur die logische Folge der Haftungsfeststellung und verändere den Charakter des Gegenstandes nicht. Der von Generalanwalt Tesauro vorgeschlagenen Lösung über die Annahme einer Teilidentität der Verfahren folgte der EuGH hingegen nicht.
c) Zwischenergebnis Die Auslegung von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO hat sich nach Auffassung des EuGH maßgeblich an der Vermeidung von Parallelprozessen vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten zu orientieren, die zu unvereinbaren Entscheidungen (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO/Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ) führen könnten und denen deshalb in dem jeweils anderen Mitgliedstaat die Anerkennung versagt würde. Der Grund für die weite Auslegung der Rechtshängigkeitssperre liegt somit im Bestreben, durch die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit widersprechende inländische Entscheidungen möglichst zu verhindern.98 Für die Unvereinbarkeit und damit auch für die Anspruchsidentität entscheidend sei nicht die formale Identität der Klagen, sondern, ob der Kernpunkt der Rechtsstreitigkeiten identisch sei. Art. 21 EuGVÜ/27 EuGVVO
96 EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry/The Maciej Rataj, Slg 1994, I-5439, 5470 f. Vgl. dazu auch Tichadou, Rev. crit. dr. int. privé 1995, 588 ff.; K. Otte, EWiR 1995, 463. 97 Vgl. auch Huber, JZ 1995, 604; ähnlich ist die Situation in Cass., 18.11.2008, Riv. dir. int. priv. proc. 2009, 457; dazu auch Kropholler/v. Hein, Art. 27 EuGVO Rn. 8, 10. 98 OLG Köln RIW 2004, 627 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 323, 593. Näher unten § 35 f.
132 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO wird auf diese Weise auf die Vermeidung unvereinbarer Entscheidungen hin ausgerichtet.99 Diese Auslegung kann dem Schuldner und Feststellungskläger in concreto erhebliche zeitliche und praktische Vorteile verschaffen. Art. 27 EuGVVO begünstigt in dieser Auslegung trotz der zurückhaltenden Bewertung durch Generalanwalt Tesauro zweifellos forum shopping, so dass ein Kläger die Möglichkeit nutzen kann, durch die Wahl des Forums auch das anwendbare Recht zu bestimmen und das Verfahren für sich zu entscheiden.100 Der EuGVVO und dem in Art. 27 EuGVVO verankerten Prioritätsprinzip ist diese Möglichkeit aber systemimmanent.101 Selbst die offensichtlich vor dem unzuständigen Gericht erhobene Klage sperrt zunächst.102 Die Kernpunktrechtsprechung des EuGH hat aber auch zweifellos als Kehrseite der Medaille sog. „Klagetorpedos“ begünstigt. Prioritätsprinzip und weiter Streitgegenstandsbegriff wirken in Gestalt eines Verfahrensstillstands im Zweitstaat auf unheilvolle Weise zusammen. Zwar durchbrechen nationale Verfahrensordnungen die Sperrwirkung des ausländischen Verfahrens bei unzumutbarer Verfahrensdauer (vgl. etwa Art. 9 I des schweizerischen IPRG), jedoch hat der EuGH diesen Weg für den Europäischen Justizraum in der Entscheidung Gasser bisher ausdrücklich abgelehnt.103
3. Die Entscheidung Drouot Assurances SA – Festlegung der subjekten Grenzen der Rechtshängigkeitssperre a) Die Entscheidung des EuGH Art. 21 EuGVÜ und Art. 27 EuGVVO verlangen für das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre Klagen „zwischen denselben Parteien“. Dabei darf grundsätzlich der auch in Deutschland verwendete formelle Parteibegriff voraus99 Berechtigte Zweifel aber bei S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 175 f.: nur ein teleologisches Element. Überblick über die Diskussion auch bei Sepperer, S. 131 ff. 100 McGuire, ZfRV 2005, 83, 87. 101 P. Huber, JZ 1995, 603 f.; Juenger, FS Schütze (1999), 321; kritisch deswegen Bajons, ZfRV 1993, 45, 54. 102 Grunsky, JZ 1973, 645; die Einführung einer grenzüberschreitenden Verweisungsregelung wird deswegen als Gegenmodell umworben, Burgstaller/Neumayr, RZ 2003, 242 (analoge Anwendung nationaler Vorschrift de lege lata); nicht ausreichend sind Art. 11 III EuEheVO I und Art. 101 CPC als Analogiebasis; vgl. S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 316. 103 Vgl. näher hierzu § 40 I 4. Kritisch Grothe, IPRax 2004, 205 f. Die Beschreitung des (unzulässigen) Verwaltungsrechtswegs führte über § 17a II GVG u.U. dazu, dass bereits mit Anhängigkeit Rechtshängigkeit eintrat und somit eine Torpedoklage vor einem langsam arbeitenden ausländischen Gericht ausgeschaltet werden konnte, instruktiv BVerwG, IPRax 2004, 112 (Verweisung nach § 17a II GVG); hier hat Art. 30 EuGVVO durch Vereinheitlichung des Zeitpunkts der Rechtshängigkeit für Abhilfe gesorgt. Der Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO will de lege ferenda mit einer „Fristenregelung“ die Torpedoproblematik entschärfen, vgl. näher § 40 I 4.
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133
gesetzt werden. Sind die Parteien in einem Verfahren mit mehreren Klägern und Beklagten nur teilweise identisch, dann muss das zeitlich spätere Verfahren auch nur teilweise ausgesetzt werden, während das Verfahren im Hinblick auf die nicht beteiligten Parteien fortgesetzt werden kann.104 Fraglich bleibt, ob Art. 21 EuGVÜ ausnahmsweise auch bei formeller Verschiedenheit der Parteien eingreift, wie dies im autonomen deutschen Prozessrecht (§ 261 III Nr. 1 ZPO) möglich ist.105 Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Drouot Assurance SA hat in diesem Punkt dazu beigetragen, die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre weiter zu konturieren.106 In einem obiter dictum deutete der Gerichtshof an, dass derselbe Anspruch zwischen denselben Parteien auch betroffen sei, wenn einerseits der Versicherer eines gesunkenen Schiffes gegen den Eigentümer der Ladung und dessen Versicherer auf Zahlung eines entsprechenden Bergungskostenbeitrags klage und umgekehrt der Ladungseigentümer und dessen Versicherer bereits gegen den Eigner des Schiffes negative Feststellungsklage dahin gehend erhoben haben, dass eine Beitragspflicht zu den Bergungskosten nicht bestehe.107 Insoweit könnte die durch den Prozess zwischen Schiffseigner (Versicherungsnehmer) und Ladungseigentümer bzw. Versicherer vermittelte Rechtshängigkeitssperre auch auf die in diesem Prozess nicht beteiligte Versicherung (Drouot Assurance SA) des Eigners zu erstrecken sein, sofern diese bereits als dort vertreten anzusehen sei. Ungeachtet einer formalen Verschiedenheit der Parteien (in umgekehrten Rollenverhältnissen) sei entscheidend, dass die Interessen von Versicherer und Versicherungsnehmer hinsichtlich des Gegenstandes beider Streitigkeiten als identisch und voneinander untrennbar angesehen werden können.108 Augenfällig sei dies, wenn anstelle des Versicherungsnehmers der Versicherer kraft Rechtsübergangs klage, ohne dass ersterer in der Lage wäre, den Prozess zu beeinflussen.109 Insofern 104 EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry/The Maciej Rataj, Slg 1994, I-5439 ff., 5470 f. = IPRax 1996, 108 Rn. 34; Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 6, 7; Schlosser, Art. 27 EuGVVO Rn. 3. 105 Vgl. auch § 39 III; näher Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 25. 106 EuGH, Urt. v. 19.5.1998, Rs. C-351/96 – Drouot Assurances SA, Slg. 1998, I-3075, 3097 Rz. 19. Umfassende Analyse des Urteils bei S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 203 ff., und Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 249 ff. Bei Otto findet sich auch eine ausführliche Darstellung des (komplizierten) tatsächlichen Hergangs, die in dem hier maßgeblichen Zusammenhang aber unterbleiben kann. Vgl. auch Seatzu, Eur Law Rev 1999, 544 f.; Henssler/Dedek, EWiR 1998, 499. 107 A.A. war Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge C-351/96, der für eine enge Interpretation des Begriffs „derselben Parteien“ eintrat und im Übrigen mit Art. 22 EuGVÜ abhelfen wollte. 108 EuGH, Urt. v. 19.5.1998, Rs. C-351/96 – Drouot Assurances SA, Slg. 1998, I-3075, 3097 Rz. 25. 109 Nieroba, S. 278 f., betont den materiellrechtlich orientierten Ansatz des EuGH bei der Beseitigung der Widerspruchsgefahr. Beide Urteile wären sogar nebeneinander vollstreckbar (unter Rekurs auf LG Düsseldorf, GRUR Int 1998, 805: Eine materielle Verfügungsbefugnis wird hier regelmäßig nicht mitübertragen).
134 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO könnte nach Ansicht des EuGH trotz abweichender formeller Parteirollen Anspruchsidentität anzunehmen sein. Voraussetzung sei lediglich, dass die Interessen derart übereinstimmen, dass ein Urteil, das gegen den einen ergeht, auch Rechtskraft gegenüber dem anderen entfalten würde. Bei abweichenden Interessen dürfe Art. 21 EuGVÜ hingegen nicht die Möglichkeit verhindern, selbständig gerichtlich aktiv zu werden.110 Unerheblich seien deswegen nationale Verfahrensvorschriften über die Beteiligungsmöglichkeit des Versicherers am Verfahren. Nähere Hinweise zur Ermittlung der Interessenübereinstimmung fehlen jedoch. Die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten haben diese Rechtsprechung rezipiert111, während im Schrifttum angemerkt wird, der EuGH habe den rechtssicheren Parteibegriff zu Gunsten einer wesentlich unsicheren Auslegungsweise aufgegeben.112
b) Vorläufige Bewertung Begrüßenswert erscheint, dass der EuGH sowohl die Bemessung der objektiven Anspruchsidentität als auch das Merkmal zwischen denselben Parteien autonom auslegt. Der Begriff des untrennbaren Interesses taucht in allen Sprachfassungen der Entscheidung auf und legt sogar die Möglichkeit einer entsprechenden objektiven Konturierung des Streitgegenstands nahe.113 Auf die Rechtskraftwirkung stellt der EuGH dabei wohl nur exemplarisch ab, so dass die an der Entscheidung zum Teil geübte Kritik nicht trifft.114 Exemplarisch ist auch der Hinweis auf den Fall der Rechtsnachfolge zu verstehen.115 Entscheidend ist vielmehr das Bestehen materieller Interessenverflechtungen. Der Begriff der Parteienidentität wird im Ergebnis wie der Terminus Klagen wegen desselben Anspruchs mit Blick auf Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nicht rein formal verstanden.116 Denn im Mittelpunkt der Verfahren stand in der Rechtssache Drouot Assurances SA jeweils die Frage nach der Haftung des Versicherten, die eine Beitrags110
Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 247 f. Etwa Kolden Holdings v Rodette Commerce, English High Court [2007] I.L.Pr.50, 671; Trib. Torino, Urt. v. 27.3.2007, Riv. dir. int. priv. proc. 2008, 194; OGH exolex 2006, 843. 112 Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 6b; Jayme/Kohler, IPRax 1998, 421 f. 113 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 194, 211 f., 314. 114 Herbe Kritik an der Entscheidung bei Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVVO Rn. 13: Die subjektiven Grenzen für die Anwendbarkeit des Art. 27 EuGVVO verfließen völlig; Jayme/Kohler, IPRax 1998, 421 f., die beide Art. 22 EuGVÜ anwenden wollen. Jedoch ist Droz, Rev. Crit. Dr. int. Privé 2000, 63 f., darin Recht zu geben, dass die Anwendung nationaler Rechtskraftdogmatik die Berücksichtigung von Art. 21 EuGVÜ nur unnötig erschweren würde; allerdings würde dies dann auch bei einer entsprechenden Auslegung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 21 EuGVÜ gelten; zur Entscheidung des EuGH ausführlich Wernecke, Einheitlichkeit, S. 41 ff. 115 Rechtskraftwirkung fehlte in OLG Köln IPRax 2004, 521 (Zessionar/Zedent); kritisch deswegen Geimer, IPRax 2004, 505; ders., in: FS Sonnenberger, S. 361. 116 Richtig: Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 250. 111
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pflicht rechtfertigen sollte. Die Gefahr hinkender materieller Rechtsverhältnisse würde jedoch durch das Argument formeller Parteiverschiedenheit nicht beseitigt. Möglicherweise könnte dieser Interessebegriff – anders als ursprünglich gedacht – sowohl bei der Bestimmung der subjektiven als auch der objektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre entscheidende Auslegungshilfe leisten. Diese Annahme erscheint nicht deswegen unberechtigt, weil der EuGH sich in der Rechtssache Drouot Assurances SA – trotz der allgemein gehaltenen Vorlagefrage für Art. 21 EuGVÜ – nur zu den subjektiven Grenzen geäußert hat.117 Hierdurch erführe auch der vom EuGH zur Feststellung objektiver Identität in der Rechtssache Gubisch/Palumbo und Tatry verwendete Begriff des gemeinsamen Zwecks der Klagen eine weitere Präzisierung. Anhaltspunkte für die objektive Verwertbarkeit des Interessebegriffs sieht auch Treichel.118 Bedenklich erscheint allenfalls, dass der EuGH in der Entscheidung Drouot Assurances SA vom „Interesse am Gegenstand“ spricht.119 Generalanwalt Fennelly hat aber auf die Schwierigkeiten einer materiellen Interpretation des Parteibegriffs hingewiesen, da dann die jeweiligen Auswirkungen nach fremden Rechtsordnungen zu beurteilen wären.120 Eine sinnvolle autonome Einschätzung der Interessenidentität sei bei sehr unterschiedlichen Rechten aber kaum möglich.121 Gleiches gelte, wenn die Interessenkonvergenz nach Rechtskraftgesichtspunkten bestimmt werde, da auch diese aus der Sicht eines ausländischen Richters nur schwer feststellbar sei. Insgesamt ist sich das Schrifttum im Umgang mit der Entscheidung Drouot Assurances SA sehr unsicher.122 Adolphsen begrüßt die Entscheidung im Grundsatz zwar, aber nicht in den Einzelheiten ihrer Begründung.123 Interessenidentität sei seiner Ansicht nach vor allem in Fällen der Rechtskrafterstreckung zu bejahen, so dass hier auch die Anwendung von Art. 21 EuGVÜ gerechtfertigt erscheine. Diese Sichtweise ist insoweit konsequent, als Adolphsen auch bei der Ermittlung des Unvereinbarkeitspotentials und des objektiven Umfangs von Art. 21 EuGVÜ auf etwaige Rechtskraftkonflikte abstellt. Da die Grenzen der Rechtskraft seiner Ansicht nach aber allein den nationalen Vorschriften zu entnehmen seien, komme eine autonome Ermittlung der Interessenverflechtung nicht
117 So die Deutung bei S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 210 f., 251, 259, unter Rekurs auf Wernecke, Einheitlichkeit, S. 34 ff.; berichtend MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 13. 118 Treichel, GRURInt 2001, 175 f. 119 EuGH, Urt. v. 19.5.1998, Rs. C-351/96 – Drouot Assurances SA/CMI Industrial Sites u.a., Slg. 1998, I-3075, 3098 Rz. 25. 120 Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge C-351/96. 121 Seatzu, ELR 1999, 543. 122 Im Ergebnis unpraktikabel Jayme/Kohler, IPRax 1998, 417 (421). 123 Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 253 f.
136 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO in Betracht.124 Nach Ansicht von Pitz125 werde die konkrete Ermittlung der jeweiligen Interessen im Zeichen der Rechtssicherheit fragwürdig. Auch gebe der Wortlaut von Art. 21 EuGVÜ hierfür nichts her. Stattdessen sei auf Art. 22 EuGVÜ zurückzugreifen.126
4. Rechtssache Gantner/Basch: Einwendungen des Beklagten a) Entscheidungskontext Im deutschen autonomen Recht führt die Prozessaufrechnung nicht zur Rechtshängigkeit der Gegenforderung.127 Die notwendige Verfahrenskoordination zur Verhinderung widersprechender Entscheidungen wird stattdessen über § 148 ZPO geleistet. Vergegenwärtigt man sich, dass die Kernpunkttheorie des EuGH und der dadurch erweiterte Rechtshängigkeitsumfang nach h.A. dazu dienen sollen, unvereinbare Entscheidungen zu vermeiden, erscheint nicht ausgeschlossen, auch Gegenrechte des Beklagten, insbesondere den Aufrechnungseinwand, mit in die Betrachtung einzubeziehen. Insoweit könnte die Prozessaufrechnung des Beklagten einer Verfahrenseinleitung (Art. 30 EuGVVO) im Hinblick auf die Gegenforderung gleichzusetzen sein128, so dass ein Parallelverfahren über dieselbe Forderung an Art. 27 EuGVVO zu messen wäre. In umgekehrter Richtung könnte die Sperrwirkung eines früher rechtshängigen Verfahrens einer zeitlich späteren Prozessaufrechnung über dieselbe Forderung entgegenstehen. Zumindest denkbar erscheint darüber hinaus, dass der Aufrechnungseinwand des Beklagten erst den gemeinsamen Kernpunkt zweier an sich streitgegenstandsverschiedener Verfahren begründet. In diesem Kontext ist die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gantner Electronic GmbH ./. Basch Exploitatie Maatschappij BV zu berücksichtigen.129 Im vom OGH130 vorgelegten Sachverhalt hatte zunächst die Beklagte in den Niederlanden Klage auf Schadensersatz wegen rechtswidriger Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses erhoben. Schließlich verlangte die Klägerin in Österreich den angefalle124 Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 251. Eine Interessenabwägung habe schon auf nationaler Ebene stattgefunden. Dort gebe es auch im Einzelfall eine Rechtskrafterstreckung bei objektiv widerstreitenden Interessen. 125 Pitz, GRUR Int. 2001, 32 f. 126 Ebenso Dietze/Schnichels, EuZW 1999, 551; Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVVO Rn. 13; Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 6 f., 7. Vgl. auch § 39 III. 127 H. Roth, RIW 1999, 819. 128 Vgl. Nieroba, S. 87. 129 EuGH, Urt. v. 8.5.2003, Rs. C-111/01 – Gantner/Basch, Slg. 2003, I-4207. Dem österreichischen Vorlagegericht war die Prüfung der Konnexität (Art. 22 EuGVÜ) aufgrund der Prozessgeschichte versperrt, Reischl, IPRax 2003, 426 f. 130 OGH IPRax 2002, 408; hierzu auch Oberhammer, IPRax, 425 f., 428 f.
§ 15 Anspruchsidentität im Rahmen von Art. 27 EuGVVO
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nen Kaufpreis für die im Zeitraum vor dem Abbruch der Geschäftsbeziehung gelieferten Waren. Hiergegen hat die Beklagte ihre bereits in den Niederlanden rechtshängige Gegenforderung zur Aufrechnung gestellt. Zudem wies die Beklagte darauf hin, dass sie bereits einen Teil der Kaufpreisforderung der Klägerin durch außergerichtliche Aufrechnung mit ihrer Schadensersatzforderung getilgt habe, und dies zeitlich vor der Verfahrenseinleitung in den Niederlanden. Ein gemeinsamer Kernpunkt (Art. 21 I EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO) erschien nur bei Einbeziehung des Aufrechnungseinwands der Beklagten denkbar, da nach Auffassung des OGH die Klagen auf verschiedenen Grundlagen beruhten. Die Kaufpreisforderungen stammten aus der Zeit vor der Kündigung der Geschäftsbeziehung, während die Schadensersatzforderungen sich auf Umstände nach diesem Zeitpunkt bezögen.131 Mit der ersten Vorlagefrage wollte der OGH wissen, ob der Begriff desselben Anspruchs in Art. 21 EuGVÜ auch den Einwand der Beklagten einschließt, einen Teil der eingeklagten Forderung durch außergerichtliche Aufrechnung getilgt zu haben, wenn der noch ungetilgte Teil dieser Gegenforderung Gegenstand eines früher eingeleiteten Rechtsstreits zwischen denselben Parteien in einem anderen Vertragsstaat ist.132 Daran anknüpfend sollte der EuGH weiter klären, ob für die Ermittlung desselben Anspruchs nur das Vorbringen des Klägers maßgeblich ist und deswegen Anträge und Vorbringen des Beklagten unerheblich sind, insbesondere die Aufrechnung mit einer Forderung, die vom Beklagten bereits in einem anderen Vertragsstaat eingeklagt wurde.133 Der Generalanwalt interpretierte die erste Frage dahingehend, ob der Aufrechnungseinwand einer Klageerhebung gleichgestellt werden dürfe, so dass das zweitbefasste Gericht sich nach Art. 21 EuGVÜ für unzuständig erklären könne.134 Generalanwalt Léger wollte an der strikten Unterscheidung von Aufrechnung und Widerklage im Sinne der Entscheidung Danvaern135 festhal-
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Für zeitliche Berührung aber Reischl, IPRax 2003, 427. Oberhammer, IPRax 2002, 428 f., bezeichnet diese Vorlagefrage mit Recht als unreflektiert. Kritisch zu den Vorlagefragen auch Nieroba, S. 91: „Die entscheidende Frage geht meines Erachtens dahin, ob die später mittels der Prozessaufrechnung geltend gemachte Gegenforderung allein von der Rechtshängigkeitssperre erfasst wird und, bejahendenfalls, wie sich die für das mit der Aufrechnung befasste Gericht auswirkt.“ 133 Die dritte Frage des OGH IPRax 2002, 408, blieb vom EuGH hingegen unbeantwortet. Sie lautete: „Wird aufgrund einer auf Schadensersatz gerichteten Leistungsklage wegen rechtswidriger Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses bindend für einen Folgeprozess zwischen denselben Parteien auch über die Frage abgesprochen, ob ein solches Dauerschuldverhältnis überhaupt bestand?“ Diese wurde (zu Unrecht) als unzulässig zurückgewiesen. 134 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, 5.12.2002, Rs. C-111/01, Rn. 28. 135 EuGH, Urt. v. 13.7.1995, Rs. C-341/93 – Danvaern/Otterbeck, Slg. 1995, I-2053; hierzu Philip, IPRax 1997, 97 f.; Gebauer, IPRax 1998, 79; H. Roth, RIW 1999, 819; Bacher, NJW 1996, 2140 f.; Coester-Waltjen, in: FS Lüke, S. 35 ff.; bereits früher Dagenförde, RIW 1990, 873 ff. 132
138 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO ten.136 Der Aufrechnungseinwand sei im Rahmen des EuGVÜ einheitlich zu qualifizieren, so dass das österreichische Gericht sich weder nach Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ noch nach Art. 21 EuGVÜ für unzuständig erklären könnte. Hinsichtlich der zweiten Frage bekräftigte der Generalanwalt, dass Verteidigungsmittel die durch die Klage festgelegte Sachlage nicht ändern könnten. Die Klage im Sinne von Art. 21 EuGVÜ sei stets erhoben, bevor das Verteidigungsvorbringen eingereicht werde.137 Der Aufrechnungseinwand könnte somit die Rechtshängigkeit nicht erst vermitteln, da es ansonsten aus Sicht des Klägers „zu einer wahrhaftigen Rechtsverweigerung“ käme. Der EuGH lehnte unter Zusammenfassung beider Fragen die Konstruktion einer Anspruchsidentität unter Einbeziehung des Beklagtenvorbringens138 als zu weitgehend ab. Für die Beurteilung entgegenstehender Rechtshängigkeit zweier Streitigkeiten werden Einwendungen gleich welcher Art, und insbesondere die Aufrechnungseinrede, für unerheblich erklärt. Dabei bezeichnete der EuGH den Akt der Verfahrenseinleitung (unter Rekurs auf Art. 30 EuGVVO) als den für die Bestimmung des Prozessstoffes maßgeblichen Zeitpunkt, womit das Beklagtenvorbringen von vorneherein nicht berücksichtigt werden könne. Ansonsten wäre Missbrauch Tür und Tor geöffnet, da der Beklagte dann über das Eingreifen von Art. 27 EuGVVO entscheiden würde. Selbst nach der großzügigen Sichtweise des EuGH (Kernpunkttheorie) löst der Aufrechnungseinwand somit nicht die Rechtshängigkeitssperre aus.
b) Stellungnahme Hinsichtlich der Bedeutung des Aufrechnungseinwands im Rahmen von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO sind zwei Fragen zu unterscheiden.
aa) Aussetzung der Entscheidung über die Aufrechnung Nicht Gegenstand der Entscheidung des EuGH in der Sache Gantner war die Frage, ob Art. 21 oder 22 EuGVÜ isoliert in Bezug auf den Aufrechnungseinwand zur Anwendung kommen.139 Der OGH sah dies nicht als streiterheblich an, weil die Entscheidung über den Aufrechnungseinwand bereits unterbrochen war und es insofern zu keinen widersprechenden Entscheidungen kommen konnte.140 Indes hat der OGH bereits in einer früheren Entscheidung den 136
Schlussanträge des Generalanwalts Léger, aaO., Rn. 30 f. EuGH, Urt. v. 8.5.2003, Rs. C-111/01 – Gantner/Basch, Slg. 2003, I-4207 ff., Rz. 46. 138 EuGH, Urt. v. 8.5.2003, Rs. C-111/01 – Gantner/Basch, Slg. 2003, I-4207 ff. unter Bezugnahme auf EuGH Slg. 1987, 4861 f.; EuGH Slg. 1994, I-5439 f. 139 Näher Reischl IPRax 2003, 428, Oberhammer, IPRax 2002, 424. 140 OGH IPRax 2002, 410 f. Verfahrensrechtlich wäre die Unterbrechung bzw. Aussetzung nach nationalen Bestimmungen inkorrekt, Kropholler/v. Hein, Art. 27 EuGVO Rn. 24, Art. 28 Rn. 7. 137
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Zusammenhang im Sinne von Art. 22 EuGVÜ bejaht, sofern der Beklagte mit einer bereits rechtshängigen Forderung im Zweitverfahren aufrechnet.141 Zumindest nach der Kernpunkttheorie erschiene es aber denkbar, dass der EuGH die Voraussetzungen der Rechtsanhängigkeitssperre als gegeben erachtet, obgleich diese nach der lex fori nicht vorliegen.142 Rekurriert werden könnte hierzu auf den Aspekt der Prozessökonomie und des Interesses an weitgehender Entscheidungsharmonie. Im Ergebnis wäre der Aufrechnungseinwand in Österreich dann aufgrund des in den Niederlanden über dieselbe Forderung geführten Verfahrens ausgeschlossen gewesen, was einem Aufrechnungsverbot gleichkäme.143 Ob die Aufrechnung im Prozess zur Rechtsanhängigkeit der jeweiligen Forderung führt, bestimmt sich nach einem Teil der Lehre nach der lex fori, weil eine konventionsautonome Auslegung ausscheide.144 Die h.L.145 lässt Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO deswegen nicht im Falle der Prozessaufrechnung zum Zuge kommen, da die Vorschrift nur für Klagen und Widerklagen Geltung beanspruchen könne. Insoweit kann auch die durch die Entscheidung Danvaern146 vorgegebene Differenzierung von Widerklage und Aufrechnung und die systematische Einordnung der Rechtshängigkeitssperre 141 OGH, 1 Ob 115/99i, ÖJZ 1999, 805; vgl. auch OGH 24. 3. 1998, 1 Ob 82/98k (unveröffentlicht). Eine Aussetzung des gesamten Zweitverfahrens komme weder nach Art. 21 noch nach Art. 22 EuGVÜ in Betracht, wenn der Gefahr einer Urteilskollision auf andere Art und Weise vorgebeugt werden könnte, etwa im Falle der Unzulässigkeit der Aufrechung oder „isolierter“ Unterbrechung der Entscheidung über den Aufrechnungseinwand, Reischl, IPRax 2003, 428; Oberhammer, IPRax 2002, 424 f. 142 Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVVO Rn. 39. 143 OGH IPRax 2002, 410 f. 144 Geimer, in: Geimer/Schütze a.a.O. Rn. 20; Gruber, IPRax 2002, 285 f.: Der sachliche Anwendungsbereich des EuGVÜ beziehe sich nur auf Klagen und Widerklagen und nicht auf die Zulässigkeit etwaiger Verteidigungsmittel. 145 OLG Hamm IPRax 1986, 234; OLG München IPRax 1988, 164; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 145 Rn. 52: Eine Ausnahme will dieser für den Fall anerkennen, dass der Aufrechnende im Erstprozess die Klageforderung nicht bestreitet. Vgl. auch MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 5; Mankowski, ZZP 109 (1996), 373 ff.; Walker ZZP 111 (1998), 441. A.A.: Schlosser, 2. Aufl., Art. 28 EuGVVO Rn. 3, unter Rekurs auf OGH ÖJZ 1999, 803 f.; OLG Hamburg IPRax 1999, 168 f. (analoge Anwendung von Art. 21 LugÜ): „Für die analoge Anwendung des Art. 21 auf den vorliegenden Fall spricht ferner die Überlegung, daß sich sonst ein Schuldner, der sich wegen unstreitiger Forderung gegenüber einem ausländischen Gläubiger der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat, der Vollstreckung dadurch entziehen könnte, daß er im Land des Gläubigers eine – sei es auch grundlos behauptete – Gegenforderung einklagt und sich dann im Zwangsvollstreckungsverfahren auf das ausländische Verfahren beruft“; a.A. ders., 3. Aufl., Art. 27 EuGVVO Rn. 4e. Eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 22 I LugÜ kam nicht in Betracht, weil das Verfahren bereits in der zweiten Instanz anhängig war. Zurückhaltender OLG Koblenz IPRax 1991, 158 f. 146 EuGH, v. 13.7.1995, Rs. C-341/93 – Danvaern/Otterbeck, Slg. 1995, I-2053; hierzu Philip, IPRax 1997, 97 f.; Gebauer, IPRax 1998, 79. Die h.L. sieht jedoch weiter die Möglichkeit, die internationale Entscheidungszuständigkeit auf nationale Vorschriften stützen zu können; hiergegen mit Recht H. Roth, RIW 1999, 819, 823; Mankowski ZZP 109 (1996), 382 f.
140 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO (Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO) als Zuständigkeitsregel in Ansatz gebracht werden.147 Möglich wäre dann lediglich eine Aussetzung nach Art. 22 EuGVÜ/ Art. 28 EuGVVO.148 Bedenklich erscheint an dieser Lösung indes, dass auch diese Ermessensvorschrift von zwei parallelen Klagen spricht, eine Situation, welche nach der h.L. im Falle der Prozessaufrechung gerade nicht vorliegen soll.149 Zum Teil wird die Anwendbarkeit von Art. 27 EuGVVO auch mit Blick auf Art. 34 Nr. 3 EuGVVO begründet.150 Eine solche Situation könnte wegen der Rechtskraftwirkung der Entscheidung über den Aufrechnungseinwand drohen.151 Jedoch wird gegen die Notwendigkeit einer Prozesssperre mit Recht ins Feld geführt werden, dass die Rechtsschutzziele der verteidigungsweise geltend gemachten Aufrechnung und der klageweisen Verfolgung der Gegenforderung von vorneherein divergieren.152 Die Gefahr einer Vollstreckungsverweigerung besteht für den materiellrechtlichen Schuldtilgungseinwand von vorneherein nicht.153 Des weiteren ist zu bedenken, dass die englische und französische Rechtsordnung in vielen Fällen, in denen das deutsche Recht die Möglichkeit der Aufrechnung gewährt, den Beklagten zur Widerklage verpflichtet. Dies gilt gerade für illiquide und inkonnexe Forderungen. So kommt in England dem set-off ein wesentlich geringerer Anwendungsbereich zu als dem counterclaim.154 Rechtsvergleichende Überlegungen155 lassen somit erkennen, dass viele Aufrechnungskonstellationen auf internationaler Ebene nicht von der Pflicht zur Widerklage entbinden, welche aber ihrerseits zur Rechtshängigkeit der Forderung führt.
147 Im Ergebnis abweichend Nieroba, S. 93 ff., die für eine im Vergleich zu Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ erweiterte Auslegung von Art. 21 EuGVÜ unter Einbeziehung des Aufrechnungseinwands votiert. Zwischen Klage und Verteidigungsmittel wäre folglich nicht zu differenzieren, stattdessen würde mit der aufrechnungsweise geltend gemachten Gegenforderung an den Anspruchsbegriff im Sinne von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO angeknüpft. 148 Etwa Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVVO Rn. 39. 149 Treffend Nieroba, S. 97. 150 Nieroba, S. 104 f. 151 M. Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 77 f. (Die Tatsache, dass Art. 21 EuGVÜ parallele Klagen voraussetze, stehe nicht entgegen, da anerkanntermaßen auch ein Gericht anderweitig mit der Sache befasst werden könnte); Bäumer, S. 160 f.; Nieroba, S. 103 f. 152 Etwa Oberhammer, IPRax 2002, 429 Fn. 27; kritisch Nieroba, S. 105 („private Vollstreckung“). 153 Denn die Gegenforderung von rund 2 Mio ATS, die die Beklagte außergerichtlich mit Kaufpreisforderungen aufgerechnet haben will, war nicht Gegenstand der Leistungsklage in den Niederlanden. 154 Wagner, IPRax 1999, 70 ff. 155 Ausführlich hierzu Nieroba, S. 98 f.
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bb) Aussetzung des gesamten Zweitverfahrens Zu bedenken ist weiter, dass, wenn die Aufrechnung nicht einer Klage gleichgestellt wird, der Beklagte mit ihr immerhin den Prozessstoff des Erstverfahrens (in den Niederlanden) auch in das in Österreich schwebende Verfahren einführt, was das Eingreifen von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO rechtfertigen könnte.156 Weniger einleuchtend erscheint dies für den Einwand vorprozessualer Aufrechnung, da dann der zur angeblichen Tilgung eines Teils der Klageforderung in Österreich verwendete Schadensersatzanspruch des Beklagten in den Niederlanden niemals rechtshängig wurde. Insoweit müsste, um überhaupt eine Gemeinsamkeit beider Verfahren aufgreifen zu können, auf die (Vor-)frage rekurriert werden, ob ein wirksamer Vertragshändlervertrag jemals bestand.157 Richtigerweise wird ein für zwei Verfahren gemeinsamer Kernpunkt in keinem Fall durch die Prozessaufrechnung des Beklagten vermittelt.158 Etwaige Überschneidungen im Prozessstoff genügen für die Identität der Klagen nicht.159 Ansonsten wäre faktisch die Übereinstimmung der Rechtssubjekte für die Anwendung von Art. 27 EuGVVO alleinige Voraussetzung. Die (nachträgliche) Berücksichtigung des Beklagtenvorbringens fördert aber, wie der EuGH in der Entscheidung Gantner betont hat, Rechtsunsicherheit und Rechtsmissbrauch zu Tage160, da der Beklagte durch die Kompensation über die Aussetzung des zweiten Verfahrens zu Lasten des Klägers (mit-)entscheiden würde. Der Eingriff in dessen Justizgewährungsanspruch ist offensichtlich. Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO erfordern für den Identitätsvergleich einen fest umgrenzten Zeitpunkt, den der Kläger bestimmt. Nur diese Sichtweise entspricht der zivilprozessualen Dispositionsmaxime als anerkanntem gemeineuropäischen Prinzip161, wenngleich vereinzelt zum Schutze des Beklagten angenommen wird162, dessen 156 Zur Erweiterung der Rechtskraftwirkungen OGH IPRax 2002, 409 f.: „Hier liegt zumindest auf den ersten Blick der Zweck der Klage in den Niederlanden in der Feststellung der mangelnden Berechtigung der außerordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses, das nur vorgelagert (als Vorfrage) die Frage mitumfasst, ob überhaupt ein Dauerschuldverhältnis (ein Vertragshändlervertrag) bestand. Damit ist man aber bei dem für die Wirkungen der materiellen Rechtskraft maßgeblichen Kern angelangt. Danach stellt sich die Frage, ob die Entscheidung über bloße Vorfragen im Sinne der noch überwiegenden Ansicht in Österreich keine Bindungswirkung im Folgeprozess entfaltet oder ob es sich nach dem Verständnis des EuGH gar nicht um eine solche Vorfrage, sondern um die durch den präjudiziellen Gesamtsachverhalt geprägte Hauptfrage des Vorprozesses handelt, die dann insofern auch Bindungswirkung im Folgeprozess entfalten müsste.“ 157 Richtig Reischl IPRax 2003, 428, der insoweit eine Parallele zur Teilklage zieht. 158 Vgl. auch MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 9: Über solche nur im Sinnzusammenhang stehende Ansprüche kann keine bindende Zuständigkeitsentscheidung ergehen, was aber Voraussetzung der Anwendung der Vorschrift ist. 159 Reischl, IPRax 2003, 429. 160 Zu diesem Aspekt bereits Generalanwalt Léger, Rn. 45. 161 Hierzu R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1064 ff. 162 Costede, in: FS Deutsch, S. 914 ff.; vgl. auch Koshiyama, Rechtskraftwirkungen, S. 87 ff.
142 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Gegenrechte seien ebenfalls im Prozess befangen und das klagestattgebende Urteil umfasse die Feststellung, dass solche Gegenrechte nicht bestünden.163 Jedoch würde mit einer derartigen Generalisierung – bezogen auf das nationale Recht – der Ausnahmecharakter von § 322 II ZPO verkannt. Nur der Aufrechnungseinwand nimmt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung an der Rechtskraftwirkung des Urteils teil.164 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass etwaige Gegenrechte des Beklagten nicht ohne weiteres zum Streitgegenstand rechnen. In diesem Kontext sei ein Hinweis auf die Principles of Transnational Civil Procedure165 erlaubt, die dem Beklagtenvorbringen Bedeutung für den Streitgegenstandsbegriff einräumen wollen (Principle 28.1).166 Nach Principle 10.3 wird der Gegenstand des Verfahrens durch die von den Parteien in den Schriftsätzen vorgebrachten Ansprüche und Einreden sowie etwaigen Änderungen bestimmt: „The scope of the proceeding is determined by the claims and defenses of the parties in the pleadings, including amendments.“167 Dieser Vorschlag erscheint im Hinblick auf die ausnahmslose Beachtlichkeit des Beklagtenvorbringens zu weit geraten.168 Eine Unterscheidung zwischen im Verhältnis zur Hauptforderung konnexen und nichtkonnexen Forderungen schließlich wäre für eine trennscharfe Konturierung des Rechtshängigkeitsumfangs ebenfalls nicht hilfreich.169 Indes könnte der Begriff des (materiellen) Interesses in begrenztem Umfang Spielraum zur Berücksichtigung des Beklagtenvortrags eröffnen, ohne eherne zivilprozessuale Grundsätze zu verletzen. Soweit das vom Kläger geltend gemachte Interesse durch die Behauptungen des Beklagten lediglich bestritten wird, dürfen diese nicht Gegenstand eines selbständigen Verfahrens werden. Im Vordergrund stünde dann ein einheitlich abzuurteilender Interessengegensatz. Dies wäre – vergleichbar dem sog. (unechten) kontradiktorischen Gegenteil – der Fall, wenn bei der Entscheidung über das Klagebegehren denknotwendig auch die Einwendungen des Beklagten verneint oder bejaht werden müssten. Ob dieser Gedankengang trägt, wird noch näher zu untersuchen sein.170 Im Ergebnis gilt es, bezogen auf die Prozessaufrechnung, unvereinbare Entscheidungen nach Maßgabe von Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVVO zu vermei-
163
Hau, ZZP 117 (2004), 51; Braun, NJW 1979, 2380 (2381). Vgl. hierzu auch Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 269. 165 ALI/UNIDROIT, Principles, S. 48. 166 Reischl, IPRax 2003, 426 f. 167 ALI/UNIDROIT, Principles, S. 29. 168 Reischl, IPRax 2003, 429, glaubt, dass bereits aufgrund der Rechtsunsicherheit, welche sich aus der Beachtlichkeit nachträglicher Einwendungen ergäbe, aus dem Vorschlag der Principles keine Lösung für eine verordnungsautonome Auslegung von Art. 27 EuGVVO gewonnen werden könnte. 169 Ähnlich Oberhammer, IPRax 2002, 428 f. 170 Vgl. unten § 22, § 26 II 1 d, § 32 II 2. 164
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den.171 Denn, wie bereits Generalanwalt Léger feststellte172, sieht das Übereinkommen (und ebenso die Verordnung) neben der Rechtshängigkeit noch ein anderes Mittel vor173, um die Gefahr unvereinbarer (und nicht nur sich widersprechender) Entscheidungen zu verhindern. Diese Lösung bietet sich umso mehr an, als die Aussetzung des Zweitverfahrens (nunmehr) auch in zweiter Instanz erfolgen kann. Im Übrigen spricht gegen eine Anwendung von Art. 27 EuGVVO, bezogen auf den (gesamten) Zweitprozess, dass bei häufigen Eventualaufrechnungen völlig ungewiss wäre, ob es überhaupt zu einer Entscheidung über die Gegenforderung kommt. Generalanwalt Léger hat darüber hinaus auf die Parallellösung in manchen Mitgliedstaaten (in Deutschland: Aussetzung nach § 148 ZPO174 und in Österreich: Unterbrechung nach § 190 I öZPO) hingewiesen. Die Aussetzung des Zweitverfahrens nach Art. 28 EuGVVO erschiene somit als die geeignetere und schonendere Lösung.175 Z.T. wird auch dafür votiert, die Aussetzung auf die Entscheidung über den Aufrechnungseinwand zu begrenzen.176 Bei einer partiellen Aussetzung nach Art. 28 EuGVVO könnte u.U. die Möglichkeit eines Vorbehaltsurteils (§ 300 I, II ZPO) genutzt werden.177 Hieran wird kritisiert178, dass die Teilaussetzung im Hinblick auf die Gegenforderung nicht ausreiche, den Kläger zu bewegen, im anderen Prozess Widerklage zu erheben oder dort aufzurechnen. Nur auf diese Weise könnte die notwendige Verfahrenskonzentration aber gewährleistet werden.179 Dieser Einwand trifft nicht, da die Aufrechnung dem Beklagten keine Macht verleihen darf, mittelbar den Kläger zur Widerklage zu zwingen. Insbesondere, wenn eine nicht konnexe Gegenforderung aufgerechnet wird, erscheint richterlicher Zwang zur Verfahrenskonzentration, der empfindlich in die Rechte des Klägers eingreift, unerwünscht. Als konkurrierendes Modell hat auch die isolierte Aussetzung der Entscheidung über den Aufrechnungseinwand nach
171 Eine Kollision könnte sich ergeben, wenn nach dem Verfahrensrecht des Gerichts, bei dem die Prozessaufrechnung stattfindet, mit Rechtskraft über das Bestehen der Gegenforderung entschieden wird. 172 Vgl. Generalanwalt Léger, Schlussanträge v. 5.12.2002, Rs. C-111/01 – Gantner/Basch, Rn. 51. 173 Das Verhältnis beider Vorschriften zueinander hat Tiefenthaler, ZfRV 1997, 70, mit zwei konzentrischen Kreisen zu verdeutlichen versucht. 174 Allerdings ist dort, Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 145 Rn. 50; § 148 Rn. 28, nur streitig, welches der beiden Verfahren auszusetzen ist. Die isolierte Aussetzung hinsichtlich des Aufrechnungseinwands wird nicht diskutiert. 175 Reischl, IPRax 2003, 430. 176 Oberhammer IPRax 2002, 428 f.; Generalanwalt Léger, Schlussanträge v. 5.12.2002, Rs. C-111/01 – Gantner/Basch, Rn. 51. 177 Generalanwalt Léger, Schlussanträge v. 5.12.2002, Rs. C-111/01 – Gantner/Basch, Rn. 51. 178 Reischl, IPRax 2003, 430. 179 Allgemein Hau, Positive Kompetenzkonfl ikte, S. 140.
144 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Art. 27 I EuGVVO Befürworter gefunden.180 Zwar ist zuzugeben, dass nicht nur Art. 27 EuGVVO die Anhängigkeit von Klagen verlangt, sondern auch Art. 28 EuGVVO. Jedoch spricht für eine (isolierte) ermessensgesteuerte Aussetzung der Entscheidung über den Aufrechnungseinwand der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die erreichte Flexibilität. Daneben können in rechtsvergleichender Perspektive auch die Lösungen im deutschen (§ 148 ZPO) und österreichischen Recht bemüht werden. Dadurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Prozessaufrechnung einer Widerklage zwar ähnelt, in keinem Fall aber ihren Wirkungen gleichkommt.181 Beim weiteren Vorgehen ist zu berücksichtigen, dass das als erstes mit der klageweisen Geltendmachung der Gegenforderung befasste Gericht auch die im anderen Verfahren erfolgte Aufrechnung miteinbezieht. Ansonsten bestünde die Gefahr doppelter Befriedigung. Das im Wege der Prozessaufrechnung mit der Gegenforderung befasste Gericht müsste dem Ergebnis des Klageverfahrens im Wege der Inzidentanerkennung nach Art. 33 III EuGVVO Rechnung tragen. Verneint man das Unvereinbarkeitspotential (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO) von vorneherein, bleibt ohnehin nur Raum für Art. 28 EuGVVO, der geringere Anforderungen stellt.182
5. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mærsk a) Prozessgeschichte und Stellungnahme des Generalanwalts Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mærsk Olie & Gas/M. de Haan en W. de Boer 183 thematisiert das Verhältnis eines Antrags auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds nach dem Übereinkommen vom 10.10.1957, den Schiffseigentümer bei einem Gericht eines Mitgliedstaates unter Benennung eines möglichen Geschädigten stellten, einerseits, und der Klage von eben diesem Geschädigten (Mærsk) auf Schadensersatz gegen die Schiffseigentümer bei einem weiteren Forum, andererseits. Generalanwalt Léger hatte die Unvereinbarkeit der niederländischen Haftungsbeschränkung mit dem dänischen Urteil auf Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs zwar bejaht (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ), da jene Beschränkung gerade verhindern wolle, dass der Gläubiger über einen festgelegten Betrag hinaus eine Schadensersatzverpflichtung bei180 Vgl. Nieroba, S. 93 f. (umfassend zur rechtsvergleichenden Bedeutung des Aufrechnungseinwands). 181 Allerdings: Verjährungshemmung tritt durch Prozessaufrechnung nach § 204 I Nr. 5 BGB ein, aber nicht durch die Verteidigung gegen eine negative Feststellungklage. Die Wirkungen der Aufrechnung reichen hier weiter. Nieroba, S. 98, weist im Hinblick auf § 322 II ZPO darauf hin, dass die Prozessaufrechnung z.T. den Charakter eines prozessualen Anspruchs annehme. Zu dieser Frage ausführlich oben § 18 I 3. 182 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 151 ff. 183 EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer, Slg. 2004, I-9657 ff. Rn. 35; dazu auch Smeele, IPRax 2006, 229 ff.
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treibe.184 Dennoch sollte das Haftungsbeschränkungsverfahren keine Rechtshängigkeitssperre für die Haftungsdurchsetzung auslösen185, da die Klagen in Grundlage und Gegenstand nicht identisch seien.186 Die Grundlage umfasse den Sachverhalt und die Rechtsvorschriften, auf die die Klagen gestützt werden. Die jeweiligen Rechtsvorschriften seien aber unterschiedlich (außervertragliche Haftung bzw. Haftungsbeschränkung nach dem Übereinkommen von 1957). Der Begriff des Gegenstands sei auf den Zweck der Klagen bezogen und somit nicht auf ihre formale Identität beschränkt. Dieser divergiere ebenfalls, weil zum einen die Anerkennung der Haftung des Beklagten sichergestellt werden, zum anderen eine Beschränkung der Haftung auf einen bestimmten Betrag erreicht werden soll. Das Bestehen der Haftung sei deswegen nicht der zentrale Punkt des Haftungsbeschränkungsverfahrens187, das vielmehr dazu diene, in den Genuss der vom Übereinkommen vorgesehenen Höchstbeträge zu kommen. Interessanterweise würde nach der Ansicht von Generalanwalt Léger das Unvereinbarkeitspotential somit über den konkreten Umfang der Rechtshängigkeitssperre hinausreichen:188 Die mögliche Unvereinbarkeit genüge nicht, „um einen Fall der Rechtshängigkeit zu begründen, wenn nicht alle Voraussetzungen des Art. 21 des Brüsseler Übereinkommens erfüllt sind. Im Übrigen kann ein solches Risiko, dass miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen, weitgehend durch die Anwendung der Bestimmungen des Art. 22 des Brüsseler Übereinkommens … vermieden werden“.189 184 Generalanwalt Léger, Schlussanträge v. 13.7.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas/ Firma M. de Haan en W. de Boer, Rn. 45: „Die zum Abschluss dieses Verfahrens ergangene Entscheidung kann sich daher als unvereinbar mit einer in einem anderen Vertragsstaat erlassenen endgültigen Entscheidung erweisen, mit der der Eigner oder Reeder des Schiffes, das den Schaden verursacht hat, verurteilt wird, Schadensersatz in einer Höhe zu leisten, die über dem nach dem Übereinkommen festgesetzten Höchstbetrag für eine Entschädigung liegt.“ 185 Generalanwalt Léger, Schlussanträge v. 13.7.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas/ Firma M. de Haan en W. de Boer, Slg. 2004, 9657 ff., Rn. 40 ff. 186 Ausgeblendet bleibt hier die Frage, inwieweit das Haftungsbeschränkungsverfahren ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei Parteien betrifft, hierzu Generalanwalt Léger, aaO., Rn. 34 ff. Als Partei kann der angebliche Geschädigte erst bei der Vorbereitung der auf die einseitige Phase des Haftungsbeschränkungsverfahrens folgenden zweiten kontradiktorischen Phase angesehen werden. Es müssen hierbei alle Formalitäten erfüllt sein, um diese vor Gericht zu laden. 187 Generalanwalt Léger, aaO., Rn. 41 f. Die Tatsache, dass die Forderungen im Rahmen des Haftungsbeschränkungsverfahrens einer Prüfung unterzogen werden müssen und der Schuldner Einwendungen vorbringen könnte, änderten hieran nichts. Diese Prüfung könne nicht mit der im Haftungsprozess gleichgesetzt werden. Einwendungen des Schuldners gegen die Forderungen in der zweiten Phase des Haftungsbeschränkungsverfahrens seien aber nach der Entscheidung Gantner/Basch bei der Ermittlung des gemeinsamen Verfahrenskerns nicht zu berücksichtigen. 188 Generalanwalt Léger, aaO., Rn. 41 f., 45; vgl. auch S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 177. 189 Auch im Schlosser-Bericht, Abl. 1979, C 59, S. 71, 100 ff., wird in der hier vorliegenden Konstellation die Anwendung von Art. 22 EuGVÜ befürwortet.
146 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Die teleologische Ausrichtung von Art. 21 EuGVÜ an Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ erscheint aus Sicht des Generalanwalts somit nicht für alle Fälle zwingend.190 Vielmehr kann ergänzend auf Art. 28 EuGVVO zurückgegriffen werden.
b) Urteil des EuGH Der EuGH hat die Anspruchsidentität ebenfalls verneint.191 Ähnlich wie in den früheren Entscheidungen wird geprüft, ob bei beiden Klagen derselbe Gegenstand und dieselbe Grundlage betroffen seien. Offensichtlich sei bereits der Gegenstand der Verfahren, also der mit den Klagen verfolgte Zweck, ein anderer: „Während die Schadensersatzklage darauf abzielt, den Beklagten in Anspruch zu nehmen, soll mit dem Antrag erreicht werden, dass die Haftung, wenn sie denn ausgelöst sein sollte, auf einen gemäß dem Übereinkommen von 1957 berechneten Betrag beschränkt wird …“192
Insofern wird dem Antrag immerhin eine gewisse Bedeutung zugestanden. Keine Rolle spiele dabei, dass im niederländischen Verfahren das Bestehen des in Dänemark eingeklagten Anspruchs geprüft werde bzw. die Tatsache, dass im dänischen Schadensersatzprozess auch Einwendungen zur Sprache kämen.193 Zum anderen hätten die betreffenden Verfahren auch nicht dieselbe Grundlage. Diese Grundlage umfasse den Sachverhalt und die rechtliche Regelung, die der Klage zugrunde gelegt würde.194 Selbst unter der Annahme, dass bei beiden Verfahren derselbe Sachverhalt im Zentrum stünde, seien die rechtlichen Regelungen, auf welche beide Klagen gestützt werden, unterschiedlich. Denn die Schadensersatzklage beruhe auf dem Recht der außervertraglichen Haftung, während der Antrag auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungfonds das Übereinkommen vom 10. 10. 1957 und die niederländischen Rechtsvorschriften, mit denen es umgesetzt wird, zur Grundlage habe. Das vom EuGH häufig genannte Merkmal der Gleichwertigkeit der rechtlichen Regelungen findet hier erstmals konkrete praktische Anwendung.195 190 Ebenso S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 177. Anders aber der EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C 39/02 – Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer, I-9657 ff. Rn. 36: Art. 21 EuGVÜ soll soweit als möglich von vorneherein eine Situation verhindern, wie sie in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ geregelt ist. 191 Zustimmend Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 10a. Der EuGH, aaO. Rn. 45, lässt jedoch ausdrücklich Raum für die Anwendung von Art. 22 EuGVÜ/28 EuGVVO. 192 EuGH, aaO., Rn. 40: Nach Art. 1 VII des Übereinkommens von 1957 bedeute die „Geltendmachung der beschränkten Haftung … keine Anerkennung der Haftung.“ Zustimmend Rauscher/Leible, EuGVVO, Art. 27 Rn. 10a. 193 Denn insoweit sei zur Bestimmung desselben Anspruchs im Sinne von Art. 27 EuGVVO nicht das Beklagtenvorbringen maßgeblich, EuGH, aaO., Rn. 41. 194 Vgl. bereits EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C 406/92 – The Tatry, Slg. 1994, I-5439, 5470 f. 195 Zu diesem Merkmal kritisch H. Roth, in: FS Schumann, S. 355 ff. Vgl. dazu auch später § 40.
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c) Bewertung Im Schrifttum wurde die Ablehnung der Rechtshängigkeitssperre zugunsten einer ermessensgesteuerten Verfahrenskoordination über Art. 28 EuGVVO mit unterschiedlichen Argumenten begrüßt.196 Zum Teil wird der rechtsgestaltende Charakter des Haftungsbeschränkungsverfahrens betont, der zu einer Kappung des Schadensersatzanspruches führen könne. Die Durchsetzung eines Anspruchs und die Gestaltung desselben Anspruchs seien zu trennen.197 Von anderer Seite wird hingegen die Haftungsbeschränkung einem Verteidigungsmittel gleichgesetzt, das wie die Aufrechnung198 den Streitgegenstand nicht mitbestimme. Den Anlass zur Schadensersatzklage bildet das angebliche deliktische Geschehen, während das Haftungsbeschränkungsverfahren darauf gründet, dass die eine Partei möglicherweise für den Schaden haften muss. Voraussetzung hierfür ist nur, dass sich die Gegenpartei eines Schadensersatzanspruches berühmt.199 Das tatsächliche deliktische Geschehen ist für das Haftungsbeschränkungsverfahren nicht in gleicher Weise Voraussetzung.200 Anders als in der Tatry-Entscheidung bildet die Haftungsfrage somit nicht den Kern beider Verfahren. In einigen Fällen ist aus Sicht des Geschädigten nicht einmal ausgemacht, dass der Schiffseigner oder Reeder seine Haftung dem Grunde nach bestreiten wird, wenn der Antrag auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds ihm zugestellt wird. 201
III. Analyse der Tatbestandsmerkmale Mit seinen Entscheidungen Gubisch/Palumbo202, The Tatry 203 und Drouot Assurances SA 204 hat sich der EuGH zweifellos von den nationalen Streitgegenstandskonzepten entfremdet. Für die autonome Interpretation der von Art. 21 EuGVÜ/27 EuGVVO vorausgesetzten Anspruchsidentität beruft sich der Gerichtshof auf das Ziel, den Rechtsschutz innerhalb der Gemeinschaft zu stärken. Insoweit gelte es, die Situation zu vermeiden, dass einem Urteil aus einem Vertragsstaat/Mitgliedstaat die Anerkennung in einem anderen Vertragsstaat/ 196
Zu dieser Konstellation bereits K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 413 f. So S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 177. 198 Mankowski, RIW 2005, 565. 199 K. Otte, Umfassende Sachentscheidung, S. 414: Anders sei die Lage aber bei einer Überleitung ins streitige Verweisungsverfahren. 200 Zu einem weiteren Fall vgl. Saipem SpA v Dredging [1988] 2 Lloyd`s Rep 361 (371 Kerr L.J.) (CA). 201 Vgl. auch die Überlegungen bei Generalanwalt Léger, aaO. Rn. 43. 202 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144, 86 – Gubisch/Palumbo, Slg. 1987, 4861. 203 EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry, Slg. 1994, I-5439, 5470 f. 204 EuGH, Urt. v. 19.5.1998, Rs. C 51/96 – Drouot Assurances SA, Slg. 1998, I-3075. 197
148 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Mitgliedstaat wegen Unvereinbarkeit mit einem dort ergangenen Urteil versagt bleibe (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/34 Nr. 3 EuGVVO). 205 Am effizientesten sei dabei, bereits das Entstehen verschiedener, potentiell unvereinbarer Urteile zu verhindern, was durch eine national geprägte Auslegung von Art. 21 EuGVÜ nicht zu erreichen sei, weil der Umfang der Rechtshängigkeit (und damit des Streitgegenstands) nicht in allen Rechtsordnungen gleich sei. Der Unvereinbarkeitsbegriff wird insoweit ebenfalls von den konkreten nationalen Rechtskraftwirkungen getrennt und autonom ausgelegt. 206 Mit dem Begriff desselben Anspruchs bezeichnet die EuGVVO ebenso wie das EuGVÜ nicht den materiell-rechtlichen Anspruch (§ 194 BGB), sondern den prozessualen Streitgegenstand. 207 Dies wird durch die französische und italienische Gesetzesfassung bestätigt, die jeweils eine zweigliedrige Umschreibung des Verfahrensgegenstandes enthalten. 208 Dafür spricht auch, dass im Bericht von Jenard die Begriffe Anspruch und Klage synonym verwendet werden. Zweifelhaft erscheint indes, ob der EuGH mit der Auslegung von Art. 21 EuGVÜ einen wesentlichen Beitrag zur Streitgegenstandslehre leisten oder gar einen europäischen Streitgegenstandsbegriff entwickeln wollte. 209 Der Begriff des Streitgegenstands findet in der Rechtsprechung des EuGH denn auch keine ausdrückliche Erwähnung. In der Tat bedarf es im Europäischen Kontext lediglich eines für die Lösung positiver Kompetenzkonflikte tauglichen Begriffes, ohne dass dies wie im nationalen Prozessrecht sofort Auswirkungen auf eine Vielzahl weiterer prozessualer Institute hätte. Ein solcher Dominoeffekt ist auf Europäischer Ebene nicht zu erwarten. Die Bemessung des Rechtskraftumfangs nationaler Urteile fällt zudem nicht in den Zuständigkeitsbereich des Verordnungsgebers, wenngleich autonome Vorgaben sinnvoll wären. Der EuGH hat zunächst in der Entscheidung Gubisch/Palumbo zur Auslegung des Merkmals desselben Anspruchs auf die französische Sprachfassung von Art. 21 EuGVÜ rekurriert.210 Dort wird ebenfalls zwischen cause und objet unterschieden. 211 Dies verwundert nicht, entsprechen diese Begriffskategorien 205 Sollte es, wie im Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der EuGVVO vorgesehen, zu einer Abschaffung der Anerkennungshindernisse nach Art. 34 Nr. 3, 4 EuGVVO kommen, trägt diese teleologische Ausrichtung deswegen nicht mehr, näher § 40. 206 Nagel/Gottwald, IZPR, § 11 Rn. 54; Kropholler/v. Hein, Art. 34 EuGVO Rn. 53; Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 27 ff., mit Beispielen und Nachweisen zum Streitgegenstand. 207 Dohm, S. 49; Isenburg-Epple, S. 131. 208 Bericht von Jenard, ABlEG 1979 Nr. C 59, S. 1, 41. 209 Zu Recht Leipold, Wege zur Konzentration, S. 20; S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 186; a.A. etwa P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 85 (91), der von einem europäischen Streitgegenstandsbegriff spricht. 210 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch/Palumbo, Slg. 1987, 4861 Rn. 14 ff., und EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry, Slg. 1994, I-5439, 5470 f. Rn. 35 ff.; vgl. auch Otte, in: FS Schütze (1999), S. 619, 620; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399, 404 f. 211 Gemäß Art 4 CPC bestimmen die Klageanträge der Parteien das objet (also das
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doch auch der Umschreibung des Streitgegenstands und des Rechtskraftumfangs (vgl. Art. 1351 CC) im französischen Recht. 212 Neben der Identität der Parteien ist dort die identité de l’objet und die identité de la cause Voraussetzung.213 Die Interpretation der Merkmale durch den EuGH ist dennoch ungleich weiter angelegt. 214
1. Derselbe Gegenstand Das objet wird nach Art. 4 CPC durch das in den Klageanträgen der Parteien niedergelegte petitum bestimmt. Im Gegensatz zu dieser engen Ausrichtung hebt der EuGH bei der Interpretation des Merkmals, wie er in der Rechtssache Tatry und Mærsk/Olie nochmals ausdrücklich klargestellt hat, auf den Zweck der Klagen ab215, welchen er durch die Frage nach dem Kernpunkt derselben zu bestimmen sucht. 216 So verfolge die auf Vertragserfüllung gerichtete Klage den Zweck, diesen Vertrag wirksam werden zu lassen, während die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit diese Wirkung gerade nehmen soll (Gubisch/Palumbo). Der Kernpunkt (centre des litiges)217 beider Rechtsstreitigkeiten, gewissermaßen das Substrat der autonomen Auslegung, sei identisch. 218 petitum), während mit cause meist die materielle Anspruchsgrundlage selbst gemeint ist, Isenburg-Epple, S. 177 f.; Habscheid, in: FS Fragistas, Bd. I, S. 544 f.; Buschmann, S. 160. Vgl. § 14 II. Der Umfang der Rechtshängigkeitssperre (Art. 100 CPC) wird indes durch diese Auslegung der cause in Frankreich gerade eingeschränkt. 212 Von Interesse sind in diesem Zusammenhang die Motive der Ersten Kommission, Mugdan, Materialien I, S. 550 f.: Wann Identität vorliege, bleibe im Fall der Rechtskraft der Rechtslogik vorbehalten. Ausdrücklich abgelehnt wird hingegen die Auffassung des französischen Gesetzgebers, der darauf abstellt, ob derselbe Gegenstand und derselbe Grund betroffen sei. Warum sollte diese Definition folglich über den Umweg der Kernpunkttheorie wieder Eingang in das nationale Recht finden? 213 Auch § 253 II Nr. 2 ZPO unterscheidet in einem zweigliedrigen Sinne zwischen Klageantrag und Klagegrund. Entscheidend für die Auslegung von Art. 27 EuGVVO ist jedoch nicht die Zahl seiner Glieder, sondern seines Umfangs, insbesondere soweit es die Einbeziehung von Vorfragen betrifft. Wernecke, Einheitlichkeit, S. 67, weist nicht zu Unrecht darauf hin, dass bereits in den Digesten die Konkurrenz der Aktionen mit den Elementen Grund und Gegenstand gelöst wurde (id ipsum de quo agitur, causa proxima actionis), Dig. 44, 2, 27. 214 Schack, IPRax 1991, 270, spricht davon, dass der EuGH sich die Spitzfi ndigkeiten der nationalen Streitgegenstandsbegriffe erspart. 215 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 34, S. 37: Den „Gegenstand“ einer Klage bilde der Zweck, ohne dass dies der EuGH näher definiere; Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 8a. 216 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch/Palumbo, Slg. 1987, 4861 f. Rn. 16, und EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry, Slg. 1994, I-5439, 5470 f. Rn. 4–43; EuGH, Urt. v. 8.5.2003, Rs. C-111/01 – Ganter Electronic GmbH/Basch Exploitatie Maatschappij BV, IPRax 2003, 443, 444 Rn. 25. 217 EuGH, Gubisch/Palumbo, aaO. Rn. 16. Bereits die Kommission (Slg. 1987, S. 4865 f.) sprach von „la partie intégrante de l’objet des deux affaires“, Buschmann, S. 162. 218 Auch das Argument, die zweite Klage sei lediglich als Verteidigung gegenüber der zeitlich früheren zu verstehen, findet in der Entscheidung Gubisch erstmals Verwendung (Rn. 17); auf dieser Wendung baut Wernecke, Einheitlichkeit, S. 47 f., infolge ihr eigenes Kon-
150 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Damit wird der Mehrheit der nationalen, am Klageantrag orientierten Konzepte auf gesamteuropäischer Ebene eine Absage erteilt.219 Die Besonderheit der Kernpunkttheorie besteht darin, dass der EuGH für die Frage, ob der Zweck zweier Klagen identisch ist, nicht auf die formelle Identität der Klageanträge, sondern auf ein abgrenzbares Lebensverhältnis bzw. das im Streit befindliche Rechtsverhältnis220 einschließlich der konstituierenden Präjudizialelemente rekurriert. 221 Damit würde der europäische Streitgegenstandsbegriff u.U. auch Vorfragen integrieren, deren Beantwortung sich später lediglich in den Entscheidungsgründen der Urteile wiederfindet. Für eine solche Sichtweise existieren durchaus Parallelen: Im Entwurf eines Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommens wurde in Art. 21 I die Einbeziehung vorgreiflicher Elemente in den Streitgegenstand mit der Wendung irrespective of the relief sought zumindest für die Situation festgeschrieben, dass eine Partei die Feststellung der Nichtigkeit beantragt, während die andere auf Leistung aus dem Vertrag klagt. 222 Die Erstreckung der Rechtshängigkeit auf die tragenden Gründe
zept auf. Vgl. für nachehelichen Unterhalt nach deutschem Recht und ancillary relief nach englischem Recht, OLG Celle NJOZ 2008, 4885. 219 EuGH, Gubisch/Palumbo, aaO. Rn. 17. Gegen die Ansicht des Generalanwalts Mancini, Slg. 1987, 4867 f.; zusammenfassend Magnus/Mankowski/Fentiman, Art. 27 Rn. 8. 220 Buschmann, Rechtshängigkeit, S. 162; H. Roth, in: FS Schumann, S: 355, 362; ausführlich Mayr in: Fasching/Konecny, Art. 27 EuGVVO Rn. 15 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 322 f.; Zieglmeier, S. 134 f. 221 So auch die Deutung von Generalanwalt Tesauro, Schlussanträge, Rs. C-406/92 – Tatry, Slg. 1994, I-5450: „… und wenn die Ansprüche der Parteien auf dasselbe Rechtsverhältnis zurückgehen: Diese zweite Voraussetzung liegt insbesondere vor, wenn die in einem der beiden Verfahren aufgeworfene Frage die logische Voraussetzung für die Frage, die Gegenstand des anderen Verfahrens ist, darstellt oder wenn verschiedene Anträge ein und dieselbe tatsächliche Situation betreffen.“ Somit könnte es im Rahmen des Rechtshängigkeitseinwandes nach der Kernpunkttheorie zu einer Erstreckung des Begriffs desselben Anspruchs auf die Begründungselemente kommen, Buschmann, S. 172; Zieglmeier, S. 133; Wernecke, Einheitlichkeit, S. 47, die den Begriff Kernpunkttheorie zu Unrecht als unpassend bezeichnet. Unpraktikabel erscheint ihre eigene Definition: „Verschiedene Ansprüche sind anzunehmen, wenn die Parteien um verschiedene Rechtsfolgen streiten. Dies ist der Fall, wenn die streitigen Rechte entweder auf verschiedenen Tatsachen gegründet sind oder auf zwar (zumindest teilweise identischen) Tatsachen beruhen, jedoch nicht dasselbe Interesse betreffen und aus diesem Grunde nebeneinander bestehen bzw. – anders ausgedrückt – kumulieren.“ 222 Vgl. McGuire, Verfahrenskoordination, S. 86; Stückelberg, Brook.J.Int’l.L. 26 (2000), 949 (976). Jedoch nimmt Art. 21 VI des (gescheiterten) Entwurfs eines Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommens die negative Feststellungsklage ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Art. 21 I aus und gewährt der Leistungsklage den Vorrang. Ähnliche Vorschläge für das EuGVÜ wurden im Rahmen seiner Revision abgelehnt, vgl. Otte, in: FS Schütze, S. 638 ff. Der Entwurf eines Haager Übereinkommens über die internationale Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile ist im Jahre 1999 vor allem am Widerstand der USA gescheitert. Als Kompromisslösung kam es 2005 lediglich zur Verabschiedung eines inhaltlich stark eingeschränkten Haager Gerichtsstandsübereinkommens.
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der beantragten Entscheidungen 223 als solche würde aber eine Reihe von Fragen aufwerfen. Sicherlich will ein Kläger mit der Erhebung eines vertraglichen Anspruchs im Falle eines klageabweisenden Urteils, das inzident die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts feststellt, nicht die Gefahr eingehen, sämtliche auf diesem Vertragsverhältnis basierenden Ansprüche zu verlieren. Das deutsche Zivilprozessrecht schiebt deswegen derart weitgreifenden Folgen mit § 322 I ZPO von vorneherein einen Riegel vor, unabhängig davon, ob diese Feststellung die Parteien in concreto überraschen würde. 224 Auf die Rechtshängigkeit übertragen bedeutete dies, dass mit der Inanspruchnahme einer bestimmten Rechtsfolge sämtliche anderen auf demselben Vertragsverhältnis fußenden Ansprüche zeitlich gesperrt wären. Dies würde die prozessuale Dispositionsfreiheit der Parteien einem ausufernden Konzentrationsgrundsatz opfern. Entscheidend wäre danach, ob die tragenden Gründe der beantragten Entscheidung sich mit dem Parallelverfahren im Wesentlichen decken. Rüßmann225 hat hierzu festgestellt, dass der EuGH weder das Rechtsschutzziel (Feststellung, Leistung oder Gestaltung) noch den Antrag, der nach deutschem Recht den Entscheidungsrahmen bilde, besondere Bedeutung zumesse. Andererseits sollte die Wissenschaft die Rechtsprechung des EuGH nicht von vorneherein mit Unkenrufen quittieren bzw. aus ihr etwas folgern, was nicht in seiner Absicht lag. Bei der autonomen Interpretation von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO hat der EuGH bisher vor allem einzelfallbezogen entschieden. Die Beförderung europäischer Gesamtkonzeptionen wie eines einheitlichen Streitgegenstandsbegriffs lag nicht unmittelbar in seiner Absicht. 226 Bei der Verallgemeinerung seiner Urteile ist somit Vorsicht geboten. So hat der EuGH bisher nicht die Voraussetzungen von Art. 21 EuGVÜ bejaht, wenn lediglich zwei unterschiedliche Klagen in einer oder mehreren Vorfragen übereinstimmten. Eine entsprechende Vorlage des OGH227 blieb diesbezüglich unbeantwortet. 228 Entschieden wurde bisher lediglich die Konkurrenz einer zeitlich vorgelagerten Leistungsklage mit einer Feststellungsklage über ein Begründungselement (Gubisch/Palumbo), nicht aber die zeitlich umgekehrte Kon223 So Buschmann, S. 162: „… unzulässig wäre es hiernach, den gleichen klagebegründenden Sachverhalt vor verschiedene Gerichte zu bringen“; M. Wolf, in: FS Schwab, S. 561, 563, 566. 224 Die prozessuale Sorgfaltspfl icht soll sich auf die konkrete Rechtsbehauptung beschränken. Der weiterreichende angloamerikanische Ansatz basiert hingegen auf einem allgemeinen Widerspruchsverbot, vgl. § 13 II. 225 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399 f. 226 Leipold, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455; Hess, IPRax 2006, 352. 227 OGH IPRax 2002, 408. 228 Hingegen wird in OLGR München 2000, 299 f. = RIW 2000, 712, bei wechselseitigen Schadensersatzansprüchen Art. 21 EuGVÜ tatbestandlich bejaht, obgleich beide Klagen nur in einer Vorfrage übereinstimmen.
152 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO stellation. 229 In der Rechtssache Tatry ging hingegen einer Leistungsklage eine negative Feststellungsklage voran, die deren Anspruch betraf. Der gemeinsame Zweck von Feststellungs- und Leistungklage liegt hier in der Entscheidung über das Bestehen der Schadensersatzforderung als solcher. Zusammengefasst bedeutet dies, dass in sämtlichen Anwendungsfällen von Art. 21 EuGVÜ, in denen der EuGH die Voraussetzungen bejahte, zumindest eine rechtliche Verbindung beider Verfahren in Gestalt eines Präjudizialzusammenhangs bestand (Hauptfrage – Vorfrage). Im Falle einer Konkretisierung der Kernpunkttheorie durch das Schrifttum erscheint aber nicht ausgeschlossen, den Gegenstand der Klagen in einer mehr wirtschaftlichen oder auch materiell-rechtlichen Art und Weise zu beschreiben 230, sofern der Aspekt der Rechtssicherheit ausreichend berücksichtigt wird.
2. Dieselbe Grundlage Die Grundlage (cause) des geltend gemachten Anspruchs bildet nach Ansicht des Gerichtshofs der Sachverhalt und die Rechtsvorschrift, auf die die Klage gestützt wird. 231 Auch das Merkmal cause hat sein Vorbild im autonomen französischen Recht. Die französische Rechtsprechungspraxis setzt aber cause häufig mit der entsprechenden materiellen Anspruchsgrundlage gleich, wenngleich das Meinungsbild in der Literatur durchaus als gespalten bezeichnet werden darf. 232 So wird einerseits mehr der Lebenssachverhalt als ganzes (complexe des faits allegués à l’apui des prétentions)233, andererseits mehr die rechtliche Qualifikation des Tatsachenmaterials in den Vordergrund gerückt (ensemble des faits juridiquement qualifiés). Die Rechtshängigkeitssperre (Art. 100 CPC) weist deswegen häufig nur einen sehr begrenzten Umfang auf. 234 229
Rüßmann, ZZP 111 (1998), 407. Entsprechende Überlegungen fi nden sich bei S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 192 f. 231 EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry, Slg. 1994, I-5439, 5470 f. Rn. 39; vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 5.12.2002 (Rz. 38, 39) zu EuGH, Urt. v. 8.5.2003, Rs. C-111/01 – Ganter Electronic GmbH/Basch Exploitatie Maatschappij BV; vgl. auch Mayr in: Fasching/Konecny, Art. 27 EuGVVO Rn. 15 f. 232 Kritisch deswegen zu Recht K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 422: „Wohl in Anlehnung an die französische cause tut der EuGH hier aber zuviel des Guten und droht den Streitgegenstand durch den zusätzlichen Bezug auf die geltend gemachte Anspruchsgrundlage einzuengen. Solche an dem Klägervortrag ausgerichtete Spaltbarkeit des Streitgegenstands droht die im französischen Prozessrecht längst bekannten Nachteile in das EuGVÜ zu importieren.“ Ebenfalls gegen die Einbeziehung der Rechtsgrundlage Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, S. 85. Überblick zum französischen Recht insoweit Isenburg-Epple, S. 17 f.; Habscheid, in: FS Fragistas, Bd. I, S. 527, S. 544 f.; Kössinger, S. 119 ff. Zum französischen Recht oben § 14 II. 233 Auch Buschmann, S. 160. 234 Gaudemet-Tallon, in: Mélanges Holleaux, S. 132 f. 230
§ 15 Anspruchsidentität im Rahmen von Art. 27 EuGVVO
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Allerdings zeichnet sich die Rechtsprechung des EuGH nicht durch dieses enge aktionenrechtliche Denken aus. Denn dann würde eine Klage eine unterschiedliche Grundlage bereits haben, wenn sie auf eine abweichende materielle Anspruchsnorm gestützt würde. 235 Der EuGH hat sich im Rahmen seiner Kernpunkttheorie nicht diesem engen Verständnis der französischen Judikatur angeschlossen, sondern die Grundlage des Anspruchs im Sinne eines weit verstandenen Lebenssachverhalts interpretiert. Diese wird somit nicht mit dem einzelnen materiellen Recht identifiziert. Allerdings soll für ihre Bestimmung zumindest kumulativ auf die anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgegriffen werden. 236 Unter derselben cause (Grundlage) will der EuGH den Sachverhalt und die Rechtsvorschriften verstehen, auf die der Kläger seine Klage gründet. Dennoch übernahm der einzelne materielle Tatbestand in der Judikatur zunächst keine den Streitgegenstand begrenzende Rolle. Vielmehr versteht der Gerichtshof in der Entscheidung Gubisch unter cause den Kaufvertrag, den die Parteien geschlossen haben und der im Zentrum beider Klagen stehe. 237 Auch in der Tatry-Entscheidung238 wird nur der Sachverhalt bzw. das Rechtsverhältnis als solches verglichen und ohne rechtliche Wertung in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. 239 Seine vertragsautonome Auslegung weist insofern keine ausgeprägte rechtsvergleichende Komponente auf. Die Ähnlichkeiten zum französischen Recht beschränken sich auf Äußerlichkeiten. Dabei ist zu bedenken, dass eine strenge Berücksichtigung rechtlicher Nuancen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten aufgrund unterschiedlicher Rechtstraditionen häufig Streitgegenstandsdivergenzen indizieren könnte240, sofern nicht das Kollisionsrecht jeweils zur Anwendbarkeit desselben Sachrechts führt. 241 Diese Fragestellung begegnet in anderem Gewande auch im Zusammenhang mit der Auffassung von der kollisionsrechtlichen Relativität der Rechtskraft bei Statusverhältnissen, die bisher aber keine Anerkennung erfahren hat. 242 235
Buschmann, S. 159 f. Mittenzwei, Verfahrenskollisionen, S. 44 f.; Wernecke, Einheitlichkeit, S. 37: „Im Sinne des Artikels 21 des Übereinkommens umfasst die ‚Grundlage‘ des Anspruchs den Sachvehalt und die Rechtsvorschrift, auf die die Klage gestützt ist.“ 237 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch/Palumbo, Slg. 1987, 4861 ff. Rn. 15. 238 EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – Tatry/Maciej Rataj, IPRax 1996, 108 Rn. 40; hierzu Lenenbach, EWS 1995, 361 (363). 239 Generalanwalt Tesauro wies in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Tatry darauf hin, dass insbesondere die im nationalen englischen Recht bestehende Differenzierung zwischen dinglichen Klagen und persönlichen Klagen für die Auslegung von Art. 21 EuGVÜ unerheblich sei, Rs. C-406/92, Slg. 1994, I-5451. 240 Gaedke, ÖJZ 1997, 289; S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 188; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 85. 241 Vgl. hierzu auch S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 295 f. Im Übrigen wird der Streitgegenstand nicht durch die kollisionsrechtliche Einordnung mitbestimmt, Geimer, IZVR, Rn. 2644; Überblick bei Isenburg-Epple, S. 215 f. 242 Hausmann, Die kollisionsrechtlichen Schranken, S. 35 ff. 236
154 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Aus diesem Grunde wird vorgeschlagen, das Merkmal ganz aus der Definition zu streichen.243 Dem könnte zuzustimmen sein, wenn ansonsten das vom EuGH angestrebte Ziel der Verfahrenskoordination verfehlt würde. Denn bei enger Interpretation würde die Rechtshängigkeitssperre selbst dann nicht greifen, wenn vertragliche und deliktische Anspruchsgrundlagen miteinander konkurrieren. 244 Damit würde die zu Art. 5 EuGVVO vertretene enge Interpretation des EuGH auf Art. 27 I EuGVVO übertragen245, eine Konsequenz, die der Gerichtshof auch vor dem Hintergrund der Rechtssache Freeport zu Art. 6 Nr. 1 kaum ziehen dürfte. 246 Dafür bietet übrigens auch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mærsk keinen konkreten Anhaltspunkt.247 Als Ausweg bliebe lediglich, unter der Rechtsvorschrift nicht die konkrete sachrechtliche Vorschrift, sondern allgemeiner die zu beantwortende Rechtsfrage zu verstehen. 248 Die Äußerungen im Jenard-Bericht lassen diesbezüglich aber keine weiteren Folgerungen zu. Zunächst schien es, als habe der EuGH mit derselben rechtlichen Grundlage lediglich eine Worthülse kreiert. So hatten die Eigentümer der Ware in der Entscheidung Tatry für die Lieferung verschiedene Konnossemente mit demselben Inhalt verabredet. Die anhängigen Ansprüche beruhten somit auf formal verschiedenen Verträgen, ein Unterschied, den der Gerichtshof jedoch mit der Betonung des gemeinsamen Lebensvorganges faktisch wieder einebnete. Alle Verträge betrafen dieselbe Bulkladung, die unter identischen Umständen beschädigt wurde. 249 Von einer rechtlichen Einfärbung des Sachverhalts ist hierbei nichts zu spüren. 250 Der EuGH scheint mittlerweile in der Entscheidung Mærsk Olie 251 Verwendung für dieses Element gefunden zu haben. Im Rahmen von Art. 21 EuGVÜ beurteilte er die Identität der Klageansprüche wieder anhand ihres Gegenstandes (le même objet) und ihres Grundes (la même cause)252, wobei zum zweiten Wesensmerkmal neben dem Sachverhalt auch die rechtliche 243
Lenenbach, EWS 1995, 364. Vgl. überzeugend, H. Roth, in: FS Schumann, S. 362; zu eng ist deswegen auch das Verständnis in OGH IPRax 2011, 277 f.: Dort wurde dieselbe Grundlage verneint, obwohl es sich doch in beiden Verfahren um vertragliche Ansprüche unterschiedlicher rechtlicher Ausprägung handelte; kritisch mit Recht deswegen Heiderhoff, IPRax 2011, 288 f. 245 So aber Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 8. 246 Vgl. näher § 40 II. 247 Vgl. oben § 15 II 5. 248 So ausdrücklich, McGuire, Verfahrenskoordination, S. 85. 249 Tiefenthaler, ZfRV 1997, 71: Mit der gleichen Rechtsvorschrift im Rahmen der Grundlage des Anspruchs sei lediglich das Vertragsverhältnis angesprochen, auf dem die Klagen beruhten, nicht jedoch die rechtliche Qualifikation des Begehrens; Zeiler, ecolex 1996, 725 f. 250 Stafyla, S. 21. 251 EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer, Slg. 2004, I-9657 ff. = EuLF 2004, 282 Rn. 38. 252 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch/Palumbo, Slg. 1987, 4861; EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry, Slg. 1994, I-5439, 5470 f. 244
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Grundlage rechnen sollte. Wenngleich der Gerichtshof in Gubisch und Tatry mit cause lediglich die Identität des Vertragsverhältnisses kennzeichnete253, hat er in der Entscheidung Mærsk Olie 254 vom Regulativ der unterschiedlichen rechtlichen Grundlage moderat Gebrauch gemacht255 und dem Zweitgericht die Anwendung von Art. 27 EuGVVO insoweit versagt: Die in Dänemark angestellte Klage beruhe auf dem Recht der außervertraglichen Haftung, die Haftungsbeschränkungsklage hingegen stütze sich auf das Übereinkommen von 1957 und die entsprechenden niederländischen Umsetzungsvorschriften. 256 Keine Erwähnung findet bei dieser „Grobprüfung“ die konkret anwendbare Sachnorm des dänischen Rechts. 257 Bei dem rechtlichen Vergleich, den der EuGH anstellt, soll es offensichtlich – ähnlich wie bei Qualifikationsfragen im IPR – nur darauf ankommen, ob die jeweiligen Vorschriften bei funktioneller und teleologischer Betrachtung demselben Systemoberbegriff zugeordnet werden können. 258 Entstammen die jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften somit dem Bereich der außervertraglichen Haftung, kann trotz unterschiedlicher rechtlicher Details derselbe Klagegrund im Sinne von Art. 27 EuGVVO vorliegen.259 Auf eine formale Übereinstimmung kommt es nach Ansicht des EuGH somit offensichtlich nicht an. 260 Dennoch können die mitunter entstehenden Qualifikationsfragen die praktische Handhabung der Vorschrift erschweren. Der EuGH dürfte sich jedoch aufgrund seiner teleologischen Betrachtungsweise (Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen) kaum dazu entschließen, beim Zusammentreffen vertraglicher und deliktischer Anspruchsgrundlagen Parallelverfahren zuzulassen.261 Denn dann wären alle Vorteile einer prozessualen Streitgegenstandslehre bei grenzüberschreitenden Prozessen im Zusammenhang mit Anspruchskonkurrenzen wieder zunichte gemacht. 262 253
Hierzu H. Roth, in: FS Schumann, S. 355 ff. EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Oli, Slg. 2004, I-9657. Der Antrag auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds steht einer Schadensersatzklage des Geschädigten nicht gemäß Art. 21 EuGVÜ entgegen. 255 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 59. 256 EuGH, Urt. v. 14. 10. 2004, aaO. = EuLF 2004, 282. 257 Mankowski, RIW 2005, 561, 565 f. 258 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 189. 259 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 188. 260 H. Roth, in: FS Schumann, S. 359 f., spricht insofern von einer Reprimitivisierung des Streitgegenstands. Das in der Definition zumindest abstrakt eine Rolle spielende Element der identischen Rechtsgrundlage wird je nach gewünschtem Ergebnis weggelassen oder wieder hinzugenommen (etwa im Rahmen von Art. 5 Nr. 1, Nr. 3 EuGVVO). Mit einem relativen Verständnis habe dies jedoch nichts gemein. 261 H. Roth, in: FS Schumann, S. 355 ff. Vgl. auch unten § 40 II. 262 Isenburg-Epple, S. 223, lehnt aber ein Eingreifen von Art. 21 EuGVÜ ab, wenn unterschiedliche Rechtsfolgeregelungen in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedliche prozessuale Anträge bedingen, weil sie sich auch im Rahmen des EuGVÜ am engen nationalen Streitgegenstandsbegriff orientieren will. Eine Rückwirkung des materiellen Rechts wird auch für den Fall angenommen, dass ein bestimmtes Rechtsinstitut eines Vertragsstaates der 254
156 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Gleichwertige Ergebnisse könnten indes unter Verzicht auf die rechtliche Einordnung erzielt werden, wenn das (gemeinsame) wirtschaftliche Interesse paralleler Klagen betont würde. 263 Entscheidend wäre dann lediglich, ob Rechtsvorschriften unabhängig von ihrer konkreten Qualifikation der Verwirklichung desselben Interesses dienen.
3. Fazit und Ausblick Der EuGH bezieht Präjudizialitätsverhältnisse in seinen Streitgegenstandsbegriff mit ein. Dies ergibt sich nicht nur eindeutig aus Gubisch/Palumbo.264 Mittelbare Bestätigung findet diese Aussage auch in der Entscheidung Effer/Kantner 265 und in Sanders/van der Putte.266 In beiden Entscheidungen hat der EuGH die Anwendbarkeit von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ nicht nur für Ansprüche aus einem Vertrag, sondern auch bei Klagen über das Zustandekommen dieses Vertrages angenommen. Im Rahmen von Art. 16 EuGVÜ soll sich die Zuständigkeit des Gerichts nicht nur auf Klagen aus Miete oder Pacht, sondern auch auf Streitigkeiten über das Bestehen dieser Verträge beziehen. In teleologischer Hinsicht wird betont, dass der Zusammenhang zwischen beiden Rechtsstreitigkeiten die Konzentration bei einem Gericht verlange. Es gelte, mehrere parallel laufende Verfahren zu verhindern. Das Mittel dazu wäre Art. 21 EuGVÜ, womit der Schluss auf die Streitgegenstandsidentität nahe liegt. 267 Zur Bestimmung der Streitgegenstandsidentität kommt der Rechtsschutzform offensichtlich keine Bedeutung zu. Dies betrifft in erster Linie, wie Gubisch und Tatry zeigen, das Verhältnis von Leistungs- und negativer Feststellungklage, dürfte aber auch im Verhältnis zur positiven Feststellungsklage gelten. Zudem scheinen nationale Klagespezialitäten generell außer Betracht zu bleiben. So fand auch in der Rechtssache Tatry die Unterscheidung zwischen dinglichen und persönlichen Klagen keine weitere Beachtung. 268 Was das Verhältnis der Leistungsklage zur Gestaltungsklage betrifft, so lässt sich zumindest aus Hoffmann/Krieg 269 anRechtsordnung des anderen unbekannt ist; gegen Einbeziehung kollisionsrechtlicher Komponenten Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVVO Rn. 45. 263 Instruktiv S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 288, S. 296. 264 Tatry betrifft hingegen eine etwas andere Situation, obgleich die Abweisung der negativen Feststellungsklage auch das Bestehen des Anspruchs im Rahmen des Leistungsprozesses präjudiziert. 265 EuGH, Slg. 1982, 825 ff. 266 EuGH, Slg. 1977, 2383. 267 So Stafyla, S. 29. 268 Stafyla, 23 f.: „Die autonome Auslegung des Rechtshängigkeitsbegriffs in Art. 21 EuGVÜ ordnet die Klagen nach ihrem prozessualen Inhalt ohne Rücksicht auf das durch die jeweilige Rechtskultur bestimmte äußere Erscheinungsbild einem oder mehreren Streitgegenständen zu.“ 269 EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff. Ausführlich unten § 36 II.
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deutungsweise darauf schließen, dass der Streitgegenstand hierdurch nicht mitbestimmt wird. Der Unterschied zwischen dem Gestaltungsurteil und dem unterhaltsrechtlichen Leistungstitel spielte dort zumindest bei der Bestimmung der Unvereinbarkeit im Sinne von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ keine Rolle. 270 Der EuGH hat dort das Bestehen des ehelichen Bandes als maßgeblichen Kern beider Verfahren angesehen, obgleich nach deutschem Verständnis lediglich Präjudizialität vorlag.271 Auf die Interpretation von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO und den teleologischen Zusammenhang mit Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO wird noch ausführlich zurückzukommen sein. 272 Mit der Kernpunktlehre soll nach einer Ansicht der gemeinsame materiell-rechtliche Streitpunkt der Klagen in den Vordergrund gerückt werden. 273 Andererseits wird darauf hingewiesen, dass der EuGH die Gemeinsamkeiten auf Tatsachenebene betone, indem er den Streitgegenstand nach Art eines weit gefassten Lebenssachverhalts durch die pragmatisch verstandene Einheit über dessen Rechtsfolgen bestimme. 274 Die bisherige Rechtsprechung des EuGH lässt Spekulationen in beide Richtungen zu, wenngleich bisher, von der Entscheidung in der Rechtssache Mærsk Olie abgesehen, Konstellationen eines Präjudizialitätszusammenhangs (Vorfrage – Hauptfrage) zur Entscheidung anstanden. Die Ausrichtung an einem einheitlichen Lebenssachverhalt würde dabei zweifellos zu einer empfindlichen Schwächung des Anwendungsbereichs von Art. 28 EuGVVO führen.275 Die Erkenntnis, dass die nationalen Divergenzen im Streitgegenstandsdenken nicht auf Art. 27 EuGVVO übertragen werden sollten, zwingt nicht automatisch zu einer einheitlich weiten autonomen Begriffsbildung.276 Im weiteren Verlauf der Arbeit soll deswegen der Versuch unternommen werden, den Bedarf nach einer verordnungsautonomen Interpretation durch eigene Kriterien zu decken. 277
270 Stafyla, S. 28. Die neue Europäische Unterhaltsverordnung enthält in ihrem Art. 12 eine Art. 27 EuGVVO entsprechende Vorschrift. 271 EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff. Rn. 32. 272 Vgl. unten § 36, § 37 I. 273 So Lenenbach EWS 1995, 361 (364); Gaedke, ÖJZ 1997, 289. 274 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 85 (91); ebenso Haas, in: Ishikawa, S. 172 f. 275 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 189. 276 So aber McGuire, Verfahrenskoordination, S. 86; tendenziell auch Germelmann, S. 370. 277 Vgl. unten § 40.
158 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO
IV. Bewertung der Kernpunktlehre in der Literatur 1. Methodische Aspekte Die Auslegung von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO durch den EuGH wurde von einem Teil des Schrifttums positiv aufgenommen278, von der Mehrheit jedoch kritisch bewertet.279 In der Sache wird dabei280 die autonome Auslegung des Anspruchsbegriffes zwar meist als Notwendigkeit angesehen. 281 Die Art und Weise, wie diese autonome Interpretation vollzogen wird, stößt jedoch auf Ablehnung. 282 Angemahnt wird das Fehlen der rechtsvergleichenden Komponente, welche die nationalen Verfahrensrechte mit dem autonom gewonnenen Ergebnis versöhnen hätte können. 283 Da sich in einer Vielzahl nationaler Streitgegenstandsdefinitionen ein engeres Verständnis widerspiegelt, das sich an der Identität von Klageantrag und Klagegrund orientiere, bleibe das Vorgehen des EuGH unverständlich. 284 Die Ausrichtung der Anspruchsidentität am Kernpunkt der Verfahren sei eine Neuschöpfung ohne nationale Vorbilder. Insoweit stößt insbesondere die Annahme von Streitgegenstandsidentität im Verhältnis 278 Begrüßend: Schack, IPRax 1989, 139 ff.; ders., IPRax 1996, 80 ff.; grundsätzlich auch Kropholler/v. Hein, Art. 27 EuGVO Rn. 7; Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 8 f.; im Hinblick auf die Entscheidung in der Rechtssache Tatry: C. Wolf, EuZW 1995, 365 ff.; Huber, JZ 1995, 603 ff. 279 Vor allem: Linke, RIW 1988, 822 ff.; Gaudemet-Tallon, Rev. Crit. D. i. p. 1988, 374 ff.; Huet, Clunet 115 (1988), 537 f.; M. Wolf, in: FS Schwab, S. 561 ff.; Isenburg-Epple, S. 212; Leipold, in: GS Arens, S. 227 ff.; Otte, in: FS Schütze, S. 619 ff.; Walker, ZZP 111 (1998), 429 ff.; Hau, IPRax 1996, 177; Leipold, in: GS Arens, S. 227; Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, S. 71, 83 ff.; H. Roth, in: FS Schumann, S. 355 ff.; vgl. zum Meinungsstand auch ausführlich Sepperer, S. 134 ff. 280 Kerameus, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455, meint, der tiefere Grund für die Kernpunkttheorie finde sich im Fehlen eines europäischen Gerichtsstandes des Sachzusammenhanges. Dies wurde vom EuGH versucht durch die Rechtshängigkeitsvorschriften auszugleichen. M.E. zeigt auch das Fehlen eines allgemeinen Gerichtsstandes des Sachzusammenhanges im deutschen Recht, vgl. näher § 16 II 7, dass eine Übernahme der Kernpunkttheorie bedenklich stimmen muss. Denn im Vordergrund sollte das Rechtsschutzinteresse des Zweitklägers stehen. Nur wenn dieses adäquat im Erstverfahren (mit-)befriedigt wird, verdient die Sperrwirkung Anerkennung. 281 Isenburg-Epple, S. 212 ff.; Leipold, in: GS Arens, S. 227 ff.; H. Roth, IPRax 1992, 67; Schack, IPRax 1989, 139 f.; ders., IPRax 1996, 80, 81; Gaudemet-Tallon, Rev. Crit. D. i. p. 1988, 374, 375; Huber, JZ 1995, 603, 604; Bäumer, S. 128 ff.; a.A. Dohm, S. 86 ff.; Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 138. 282 Explizit Isenburg-Epple, S. 154 f., S. 212. 283 Vgl. auch M. Wolf, in: FS Schwab, 561, 563 ff.; Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 122; MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 4, 10; Linke, RIW 1988, S. 818, 823: Eigentlich verstehe der EuGH darunter ein Vorgehen, das sowohl den Zielsetzungen und der Systematik des Übereinkommens Rechnung trage, andererseits auch den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben. Dies treffe auf die Kernpunktlehre jedoch gerade nicht zu; Sepperer, S. 135. 284 Isenburg-Epple, S. 193 ff.; oben § 15 I.
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einer Klage auf Leistung aus Kaufvertrag und einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit desselben auf dogmatisches Befremden. 285 Zum Teil wird jedoch auch angenommen, die Art und Weise der Genese der Kernpunkttheorie sei methodisch korrekt verlaufen 286: Der durch Rechtsvergleichung gewonnene Streitgegenstandsbegriff verlange Identität von Parteien, Antrag und Klagegrund. Da die Entscheidungen des EuGH ebenfalls die Bedeutung der Parteien, des Gegenstands (des angestrebten Ziels) und der Grundlage der Klage betonen, sei bei abstrakter Betrachtung ein Unterschied kaum erkennbar. 287 Außen vor bleiben müsse dabei, ob auch die konkrete Definition dieser Begriffe im Einzelfall den gemeinsamen Grundlinien der nationalen Rechtsordnungen entspräche. Angesichts der auch in den jeweiligen nationalen Rechten existierenden Auseinandersetzungen um die richtige Streitgegenstandsbestimmung dürfe hier vom EuGH nicht zu viel erwartet werden. 288
2. Das systematische Verhältnis von Artt. 27 und 28 EuGVVO Die Zweifel an der Kernpunktlehre gründen sich zudem auf die Erweiterung des Anwendungsbereiches von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO auf Kosten von Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVVO. 289 Zudem lasse sich die Abgrenzung zwischen den Vorschriften kaum trennscharf vollziehen, so dass ein rechtlicher Graubereich weiter existiere.290 Die strenge Rechtsfolgenanordnung in Art. 21 EuGVÜ hätte eher zu einer restriktiven als einer extensiven Auslegung des entscheidenden Tatbestandsmerkmals der Anspruchsidentität Anlass gegeben. 291 Art. 22 EuGVÜ hätte zudem eine wesentlich flexiblere Handhabe geboten, um positive Kompetenzkonflikte zu lösen. Der EuGH habe im Ergebnis einen dogmatischen Ansatz gewählt, der widersprechende Entscheidungen ausschließlich unter Rückgriff auf 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO bekämpft, und damit Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVVO faktisch funktionslos gemacht. 292 Da Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO die Zuständigkeitsvorschriften in Art. 2 ff. EuGVÜ/EuGVVO einschränke, sei eine enge Auslegung geboten.293 Nach der geltenden Systematik komme es gerade nicht darauf an, dass das als erstes angerufene Gericht in der Sache auch international zuständig sei. Die europäische
285 Isenburg-Epple, S. 212 ff.; Lenenbach, EWS 1995, 361, 365; Walker, ZZP 111 (1998), 435; vgl. zum Meinungsstand auch McGuire, S. 83 f. 286 Huber, JZ 1995, 603 f.; dazu auch Sepperer, S. 136. 287 Huber, JZ 1995, 603 f. 288 Huber, JZ 1995, 603, 605. 289 Zum Meinungsstand auch Sepperer, S. 136 f.; McGuire, S. 83 f., 85 f. 290 Linke, RIW 1988, 818, 823. 291 Schockweiler, Internationale Zuständigkeit, S. 159. 292 Prütting, in: GS Lüderitz, S. 623, 628. 293 So die Kommission, IPRax 1985, 336, 337.
160 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Rechtshängigkeitsregel folge dem Prioritätsprinzip einschränkungslos und sei dabei „zuständigkeitsblind“. Bereits aus diesem Grund dürfe der Anwendungsbereich von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO nicht zu weit gezogen werden, so dass genügend Spielraum für eine Anwendung von Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVVO bleibe.294 Von den Anhängern der Rechtsprechung des EuGH wurde jedoch (nicht zu Unrecht) darauf hingewiesen, dass diese Konnexitätsregel von der Rechtsfolge her betrachtet lediglich eine stumpfe Waffe darstelle. 295
3. Der teleologische Zusammenhang mit Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO Moniert wird auch die teleologische Ausrichtung von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO an Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO. 296 Indem bereits das „Unvereinbarkeitskriterium“ unnötig weit ausgelegt werde297, setze sich dies bei der Interpretation der Rechtshängigkeitssperre fort, ohne dass dies durch Sachgründe geboten sei. 298 Bei der Beurteilung der Frage, ob zwei Entscheidungen miteinander unvereinbar seien, komme es danach auch darauf an, ob die jeweiligen Entscheidungsgründe miteinander verträglich seien, ohne dass diese in Rechtskraft erwachsen müssten. 299 Im Vordergrund der Rechtsprechung des EuGH stehe somit die materielle Ergebniskontrolle.300 Zudem sei das Verhältnis von Art. 21 EuGVÜ zu Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ denkbar ungeklärt, da die zweite Vorschrift nicht eindeutig erkennen lasse, wann Entscheidungen überhaupt miteinander unvereinbar seien. Insbesondere Lenenbach hat darauf hingewiesen, dass die Kernpunktlehre aus diesem Grunde wenig teleologische Bodenhaftung besitze.301 Der europäische Streitgegenstands- und Urteilswirkungsbegriff stünde im Spannungsverhältnis zu den tatsächlich anzuerkennenden Urteilswirkungen.302 Damit würden ausländischen Entscheidungen vom Anerkennungsstaat Wirkungen beigemessen, welche sie nach ihrer eigenen Rechtsordnung gar nicht kennen und inländischen Urteilen Wirkungen zuge294 Isenburg-Epple, S. 209 f.; Huet, Clunet 115 (1988), 537, 542; Nieroba, S. 191 f.; Lüpfert, Konnexität, S. 121 f.; 125; Tiefenthaler, ZfRV 1997, 77; a.A.: Schack, IPRax 1989, 140. 295 Schack, IPRax 1989, 140. 296 Näher zur Unvereinbarkeit von Entscheidungen unten §§ 34, 36, 37; vgl. dazu auch Sepperer, S. 137 f. 297 Vgl. EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff. 298 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 27 f. 299 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch/Palumbo, Slg. 1987, 4861 = NJW 1989, 665; EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg.1988, 645 = NJW 1989, 663. Näher § 36 II. 300 Allerdings trifft dies nicht vollends zu, weil sich der EuGH bisher immer an Präjudizialitätszusammenhängen orientiert hat. 301 Lenenbach, EWS 1995, 361, 364. 302 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 122; vgl. ausführlich § 37 I 1.
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sprochen, die die inländische Rechtsordnung nicht enthält.303 Die Unvereinbarkeit von Entscheidungen setze richtigerweise voraus, dass die anerkennungsfähigen Rechtskraft-, Interventions- und Gestaltungswirkungen in inhaltlichen Konflikt gerieten.304 Ein großzügigeres Verständnis der Unvereinbarkeit, etwa im Sinne einer materiellen Unstimmigkeit, würde eines der Hauptziele des europäischen Rechtsraumes, die Freizügigkeit gerichtlicher Entscheidungen, konterkarieren. Denn damit würde aufgrund der eingreifenden Rechtshängigkeitssperre bereits das Zustandekommen vieler Entscheidungen verhindert.305 Auch aus diesem Grunde sei es somit unangebracht, den Anwendungsbereich von Art 21 EuGVÜ weiter zu bestimmen, als die anzuerkennenden Rechtskraftwirkungen dies tatsächlich verlangen.306 Mehrheitlich wird deswegen einer engen Auslegung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO das Wort geredet, die folglich auch keine ausufernde Interpretation von Art. 21 EuGVÜ/ Art. 27 EuGVVO nach sich ziehe307. Einen weiteren Kritikpunkt an dem vom EuGH aufgezeigten Zusammenhang zwischen Art. 21 EuGVÜ und Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ stellt die begrenzte temporäre Reichweite der Rechtshängigkeitssperre dar.308 Denn bei Zugrundelegung der Kernpunkttheorie wäre es etwa einem italienischen Beklagten, der in Deutschland zur Zahlung verurteilt wurde, nicht verwehrt, im Anschluss in Italien auf Feststellung zu klagen, dass ein Kaufvertrag nicht zustande gekommen sei. Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO würde dem nicht entgegenstehen, weil die Vorschrift jeweils parallele Verfahren in verschiedenen Vertragsstaaten/Mitgliedsstaaten voraussetze und keine Entsprechung in einer europäischen Rechtskraftsperre finde.309 Anzumerken bleibt, dass dieser teleologische Zusammenhang zwischen Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO und Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO gänzlich in Frage gestellt würde, wenn, wie es der Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der EuGVVO vorsieht, dieses Anerkennungshindernis abgeschafft wird. Zwar soll ein an die nationalen Vollstreckungsorgane 303
Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 138. Lüpfert, Konnexität, S. 52; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 17: „Unvereinbarkeit (autonom auszulegen) liegt vor, wenn sich die rechtskraftfähigen Feststellungen widersprechen, sich die jeweils festgestellten Rechtsfolgen also wechselseitig ausschließen …, wobei die Entscheidungen mit gleicher Wirkung zu gleichen Fragen ergangen sein müssen.“ Eine Identität des Streitgegenstands sei dagegen nicht erforderlich. Ähnlich Schlosser, Art. 34 EuGVVO Rn. 22; Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 151 ff.; MünchKomm/ Gottwald, ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 35; Grunsky, JZ 1973, 646. 305 Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, S. 71, 85. 306 Etwa Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 258 ff.; Hiroyuki Matsumoto, in: Kroeschell/Cordes, S. 77, 93. 307 Linke, RIW 1988, 822, 825; Schack, IPRax 1989, 139, 141; MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 40; Kropholler/v. Hein, Art. 34 EuGVO Rn. 47 f. Näher unten § 39 I, II. 308 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425 f.; Nieroba, S. 210; Oberhammer, IPRax 2002, 428 f. 309 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425 f. 304
162 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO adressiertes Vollstreckungshindernis bei unvereinbaren Entscheidungen weiter existieren (Art. 43), jedoch betrifft dies denknotwendig nur Leistungsurteile, nicht aber etwa das Verhältnis von Feststellungs- und Gestaltungsurteilen untereinander.310 Wenngleich es sich dabei um ein Redaktionsversehen des Europäischen Gesetzgebers handeln dürfte, spiegelt sich darin nicht nur das fehlende Bewusstsein um feste argumentative Strukturen der Judikatur wider, sondern es zeigt sich auch, wie leicht das Gedankengebäude des EuGH zur Kernpunkttheorie durch einen gesetzgeberischen Federstrich zum Einsturz gebracht werden kann.311
V. Die Rezeption der Kernpunktlehre in der nationalen Rechtsprechung 1. Die Judikatur des BGH a) Negative Feststellungsklage hinsichtlich einer für die spätere Leistungsklage desselben Klägers vorgreiflichen Frage Der BGH hat infolge versucht, den Aussagen des EuGH zum Verhältnis von Leistungsklage und negativer Feststellungsklage Rechnung zu tragen. Dabei waren ganz unterschiedliche Konstellationen betroffen. In der Entscheidung vom 8.2.1995312 bejahte der BGH die Anspruchsidentität im Sinne von Art. 21 EuGVÜ für den Fall, dass eine Prozesspartei (Käuferin) bereits vor einem mitgliedstaatlichen Gericht die Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrages begehrt hatte und während der Anhängigkeit dieses Verfahrens vor dem Gericht eines anderen Vertragsstaates nun die Rückgewähr der erbrachten Leistung begehrte. Die formale Verschiedenheit der Anträge müsse nach Ansicht des BGH im Rahmen von Art. 21 EuGVÜ außer Betracht bleiben. Im Ergebnis ähnelt diese Konstellation zwar der in Gubisch/Palumbo entschiedenen. Ein wesentlicher Unterschied besteht – neben den hier vorliegenden identischen Parteirollen in beiden Prozessen – aber darin, dass in Gubisch/Palumbo die Erfüllung eines Vertrages verlangt wurde, dessen Unwirksamkeit gerade mit dem zweiten Begehren festgestellt werden sollte. Werde die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages als zweite eingereicht, so will der EuGH in ihr ein Verteidigungsmittel gegen die Leistungsklage erkennen. Beide Klagen stehen somit, von dem Präjudizialitätszusammenhang einmal abgesehen, auch in einem gewissen konträren Ver-
310 311 312
Näher § 40. Näher § 40. BGH NJW 1995, 1758 f.
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hältnis zueinander, insbesondere wenn aus dem Vertragsverhältnis keine weiteren Verpflichtungen umstritten sind.313 In der Entscheidung des BGH ist aber die Unwirksamkeit des Vertragsverhältnisses gerade Voraussetzung der parallel anhängigen Rückforderungsklage. Im Vordergrund steht allein die Vorgreiflichkeit des einen Begehrens für das andere. Auch kann in der zeitlich späteren Klage kein Verteidigungsmittel gesehen werden. Der BGH erstreckt damit die „Kernpunktlehre“ des EuGH auf reine Präjudizialitätszusammenhänge, die im nationalen Recht über § 148 ZPO koordiniert würden. Art. 21 EuGVÜ wird für anwendbar erklärt, ohne den (fehlenden) Entscheidungskontext zu Gubisch und Tatry314 eingehend zu überprüfen. Damit hat der BGH die Kernpunkttheorie sachlich erweitert und fortentwickelt, ohne dafür die notwendige Kompetenz zu besitzen. Setzt man den Gegenstand der Klagen, wie bereits erwogen 315, hingegen mit dem klageweise verfolgten Interesse gleich316 , erscheint die Identität zweifelhaft und der (subsidiäre) Anwendungsbereich von Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVVO eröffnet. Die Feststellungsklage dient nur der Vorbereitung der Leistungsklage. Die Rechtsschutzinteressen der Klägerin stimmen in beiden Verfahren nicht überein (Feststellung der Vertragsunwirksamkeit vor dem Gericht in Treviso und Rückzahlung der Anzahlung in Deutschland).317
b) Negative Feststellungsklage und gegenläufige Leistungsklage hinsichtlich desselben Anspruches In der Entscheidung des BGH vom 11.12.1996 stritten zwei Parteien um etwaige Mängel gelieferter Marzipanmasse.318 Die Lieferantin begehrte vor einem deutschen Gericht Feststellung, dass der Abnehmerin aus den Lieferverträgen
313 An dem Zweck der Feststellungsklage als Verteidigungsmittel gegenüber der Leistungsklage orientiert Wernecke maßgeblich ihr Streitgegenstandsverständnis. Dann wäre nach Ansicht der Autorin, vgl. Einheitlichkeit, S. 32 f., 72 f., 107, auch keine Zwischenfeststellungsklage über das Vertragsverhältnis zulässig, unter Hinweis auf RGZ 144, 54. Für eine gesonderte Feststellung würde es nach Ansicht des RG am Feststellungsinteresse fehlen. Nach Wernecke stünde der Feststellungsklage bereits die Rechtshängigkeitssperre entgegen. Wäre das Leistungsurteil bereits rechtskräftig, könnte der Feststellungsklage die Rechtskraft entgegengesetzt werden [!]. 314 Oben § 15 II 1, 2. 315 Oben § 15 II 3. 316 In diesem Sinne auch S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 192 f., im Ansatz auch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 25 f.: rechtlich-wirtschaftliche Methode. 317 Insoweit erscheint die Kernpunktlehre des EuGH nicht recht zu passen, K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 425 f. 318 BGH NJW 1997, 870 = IPRax 1997, 348. Zur Entscheidung auch knapp K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 427. Vgl. aktuell auch die Entscheidung BGH GRUR 2011, 554 f.
164 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO keinerlei Ansprüche zustehen. Im Anschluss hieran erhob diese in Frankreich Klage auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens.319 Der BGH befasste sich zunächst mit dem Hinweis des deutschen Berufungsgerichts, aufgrund der von der Beklagten in Frankreich erhobenen Leistungsklage sei das für die negative Feststellungsklage in Deutschland erforderliche Feststellungsinteresse entfallen. Diese Annahme sei, so der BGH, sowohl im Hinblick auf das inländische Verfahrensrecht als auch mit Blick auf Art. 21 EuGVÜ unrichtig. Nach der Rechtsprechung des BGH entfalle das Feststellungsinteresse für eine negative Feststellungsklage zwar, wenn eine auf die Durchsetzung desselben Anspruchs gerichtete Leistungsklage erhoben werde und diese einseitig nicht mehr zurücknehmbar sei.320 In concreto bestehe das Feststellungsinteresse aber fort: Denn selbst wenn die in Frankreich erhobene Leistungsklage nicht mehr einseitig von der Beklagten zurückgenommen werden könnte, dürfe nicht davon ausgegangen werden, dass über den Schadensersatzanspruch im Rahmen der Leistungsklage entschieden werde. Denn nach Art. 21 I EuGVÜ habe sich das später angerufene Gericht für unzuständig zu erklären. Gemeinsamer Kernpunkt der von den Parteien erhobenen Klagen sei die Frage, ob der Beklagten Ansprüche wegen der Lieferung mangelhaften Marzipans zustehen oder nicht. Das in Art. 21 I EuGVÜ verankerte Prioritätsprinzip nehme keine Rücksicht darauf, ob die zuerst erhobene Klage eine negative Feststellungsklage oder eine Leistungsklage sei.321 Das französische Gericht sei demnach an einer Sachentscheidung gehindert. Die Entscheidung des Berufungsgerichts wurde vom BGH aber auch aus anderem Grunde angegriffen. Der Begriff desselben Anspruchs in Art. 21 EuGVÜ sei autonom auszulegen. Maßstab seien die durch das Übereinkommen verfolgten Ziele, nicht aber die Besonderheiten nationaler Verfahrensrechte. Insoweit beansprucht das strenge Prioritätsprinzip Geltung, so dass der früher erhobenen negativen Feststellungsklage der Vorrang gegenüber der Leistungsklage gebühre, was die Chancengleichheit zwischen Gläubiger und Schuldner begünstige.322 Die Nichtbeachtung dieser Priorität unter Rückgriff auf nationale Mechanismen stünde im Widerspruch zum zwingenden Charakter des Übereinkommens und zum europäischen Justizgewährungsanspruch.323
319 Vergleichbar mit dieser Konstellation ist der Sachverhalt in BGH WM 2010, 1712; dazu auch Linke/Hau, Intern. Zivilverfahrensrecht, Rn. 250 f. 320 BGH NJW 1994, 3107. 321 So der BGH unter Rekurs auf EuGH, Urt. vom 6.12.1994 (Tatry), unter Rn. 47 und 48; vgl. oben § 15 II 2. 322 Hierzu insbesondere kritisch Nieroba, S. 175 f. 323 BGH NJW 1997, 870 für die Möglichkeit der Leistungswiderklage: Diese Entscheidung führe nicht dazu, dass der Gläubiger seinen Anspruch überhaupt nicht mehr geltend machen könne. Ihm bleibe die Möglichkeit der Leistungswiderklage am Forum der Feststellungsklage gemäß Art. 6 Nr. 3 EuGVU; diese Rechtsfolge wird von einem Teil der Litera-
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Im Ergebnis trifft die Entscheidung zu. Kritisiert wird jedoch mit Recht der erste Begründungsstrang.324 Richtig ist alleine der Hinweis auf den zwingenden Charakter der autonom auszulegenden Rechtshängigkeitssperre (Art. 21 EuGVÜ). Denn daraus ergibt sich, dass das deutsche Erstgericht in keinem Fall das Feststellungsinteresse im Hinblick auf die Leistungsklage verneinen könnte. Unter der Herrschaft des Prioritätsprinzips ist unerheblich, dass das Zweitgericht in Frankreich (wegen Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO) nicht zur Sache entscheiden kann.325 Risse bekäme das Gedankengebäude des BGH im Hinblick auf den ersten Argumentationsgang, wenn unterstellt werden könnte, dass das französische Gericht das Verfahren fortsetzen wird. Soll dann das Feststellungsinteresse in Deutschland in Gefahr geraten? Allein tragfähig erscheint deswegen die Betonung des absoluten Charakters des Übereinkommens, das einem Rückgriff auf das nationale Streitgegenstandsverständnis von vornherein entgegensteht. Das offensichtliche Bemühen des BGH, die deutsche Doktrin mit dem autonomen Gedankengut in Einklang zu bringen, ist gefährlich.326
c) Negative Feststellungsklage hinsichtlich einer für die gegenläufige Leistungsklage des Beklagten vorgreiflichen Frage In einem vom BGH im Jahre 2002327 zu beurteilenden Sachverhalt verlangte die Klägerin in Deutschland von dem beklagten Unternehmen Schadensersatz wegen unberechtiger Kündigung eines Handelsvertretervertrages. Zuvor war von der Beklagten bereits in Italien Klage auf Feststellung erhoben worden, dass für die Kündigung ein wichtiger Grund bestanden habe. Das OLG Stuttgart hatte als Vorinstanz die Voraussetzungen von Art. 21 EuGVÜ bejaht.328 Grund für die weite Auslegung sei das Bestreben, „durch die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit widersprechende inländische Entscheidungen soweit als möglich zu verhindern, da andernfalls die Gefahr der Existenz entgegengesetzter Urteile bestünde. Bei einem gegensätzlichen Ergebnis könnte dies zur Nichtanerkennung einer Entscheidung nach Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ führen, was ebenso vermieden werden solle wie eine doppelte Verurteilung mit entspretur sogar in Fällen ohne Auslandsbezug als zwingend angesehen, vgl. MünchKomm/BeckerEberhard, ZPO, § 256 Rn. 62 und § 261 Rn. 66; Huber, JZ 1997, S. 608. 324 Huber, JZ 1997, 800; Nieroba, S. 147; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 427. 325 In diesem Sinne auch Nieroba, S. 147. 326 A.A. aber K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 427, der für den Anwendungsvorrang von Art. 21 EuGVÜ gegenüber der nationalen Lösung über den Wegfall des Feststellungsinteresses nicht genügend Begründungsaufwand feststellen kann. Dies erklärt sich daraus, dass er (vgl. zum Posterioritätsprinzip, aaO. S. 846) und die Grotius-Gruppe, näher: Kerameus/Prütting, ZZPInt 3 (1998), 269, für einen (zeitlich begrenzten) Vorrang der Leistungsklage votieren. 327 BGH NJW 2002, 2795=JZ 2002, 949 f. 328 OLG Stuttgart IPRax 2002, 127 f.
166 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO chenden Kostenfolgen zum Nachteil des Beklagten. Gemeinsamer Kernpunkt der Verfahren sei die Frage, ob die Kündigung des Handelsvertretervertrages durch den in Deutschland verklagten Unternehmer aus wichtigem Grund erfolgt sei. Denn der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch könne nur dann begründet sein, wenn diese zur fristlosen Kündigung des Handelsvertretervertrages aufgrund einer davorliegenden unbegründeten fristlosen Kündigung der Beklagten berechtigt war. Für den Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen einer rechtswidrigen Kündigung der Beklagten (§ 89a II HGB) sei Voraussetzung, dass eine wirksame Kündigung seitens der Beklagten nicht vorlag. Diese Konstellation entspreche der Auffassung des EuGH in der Entscheidung Tatry. Danach sei Art. 21 EuGVÜ dahin auszulegen, dass eine Klage, die auf Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz gerichtet sei, denselben Anspruch betreffe wie eine früher erhobene Feststellungsklage, wonach für diesen Schaden nicht gehaftet werde.329 Der deutschen Klägerin stünde im Übrigen zur Vermeidung des „Verjährungslochs“ gemäß Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ die Möglichkeit der Leistungswiderklage in Italien offen (§§ 36 und 167 italienische Zivilprozessordnung).330 Der BGH nahm ebenfalls an, dass der positiven Feststellungsklage des Unternehmers, es habe ein wichtiger Grund für die von ihm ausgesprochene Kündigung des Handelsvertretervertrages vorgelegen, und der Schadensersatzklage des Handelsvertreters derselbe Anspruch i.S.d. Art. 21 EuGVÜ zugrunde lägen:331 „Derselbe Anspruch wird in zwei Prozessen deshalb auch dann verfolgt, 329
OLG Stuttgart IPRax 2002, 127: „Die Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes für die Kündigung der Bekl. ist damit für die Klage der Kl. nicht nur bloße Vorfrage, wie dies vom LG gesehen worden ist, sondern sie stellt einen essentiellen Kernpunkt dar, auch wenn es sich nicht um den gleichen Streitgegenstand im Sinne des deutschen Prozeßrechts handelt. Denn im Falle einer positiven Feststellung durch das italienische Gericht und im Falle der Zuerkennung von Schadensersatz durch das deutsche Gericht wären einander diametral entgegengesetzte Entscheidungen gegeben, so daß gemäß Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ die Entscheidungen im jeweiligen Anerkennungsstaat nicht anerkannt werden könnten, da diese mit der dortigen Entscheidung unvereinbar wären.“ Hier zeigt sich wiederum deutlich die teleologische Ausrichtung des Umfangs der Kernpunktlehre am Unvereinbarkeitsumfang. Diese gerät durch den aktuellen Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO in Bedrängnis, vgl. näher § 36 V, § 40. 330 OLG Stuttgart IPRax 2002, 127 f.: „Die Verpfl ichtung der inländischen Gerichte zur Justizgewährung ist zu berücksichtigen, wenn sich die ausländische Entscheidung über ein nach Art. 6 EMRK nicht mehr erträgliches Maß hinaus verzögert, so daß auch im Vertragsrecht als ungeschriebene Regel zu berücksichtigen ist, daß die Rechtshängigkeitssperre in dem einen Vertragsstaat entfällt, wenn im anderen die Justizgewährung ohne triftigen Grund unzumutbar verzögert wird … Hierbei reicht eine überlange Verfahrensdauer allein als Grund für den Wegfall der Beachtlichkeit der Rechtshängigkeit des ausländischen Verfahrens dann aus, wenn hierdurch die Effizienz der Rechtsschutzgewährung im Inland erheblich gemindert würde …“. Zu dieser Frage auch Linke/Hau, Intern. Zivilverfahrensrecht, Rn. 250 f.; Geimer, NJW 1984, 527 ff. 331 BGH NJW 2002, 2795 f.
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wenn der Gegenstand des einen eine Zahlungsklage ist und der Gegenstand des anderen eine Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass entweder der geltend gemachte Zahlungsanspruch … oder ein für den Zahlungsanspruch vorgreifliches Rechtsverhältnis nicht besteht.“ Eine zu vermeidende Unvereinbarkeit im Sinne von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ sei zu befürchten, wenn der durch das anzuerkennende Leistungsurteil zugesprochene Anspruch nach einem Feststellungsurteil des Anerkennungsstaates nicht bestehen könne, wobei die Reihenfolge der Klageeinreichung bedeutungslos sei. Werde in Italien rechtskräftig das Bestehen eines wichtigen Kündigungsgrundes festgestellt, so sei nach der wegen Art. 26 I EuGVÜ zu beachtenden materiellen Rechtskraftwirkung die deutsche Zahlungsklage als unbegründet abzuweisen. Umgekehrt bedeute die Abweisung des Feststellungsantrags und dessen Präjudizialwirkung, dass eine der wesentlichen Voraussetzungen des Schadensersatzbegehrens vorliege. Entgegen der Ansicht des OLG Stuttgart und des BGH entspricht diese Konstellation nicht der in der Rechtssache Tatry betroffenen Fallgestaltung. Diese betraf das Verhältnis einer Leistungsklage, die einer negativen Feststellungsklage hinsichtlich desselben Haftungsanspruches zeitlich nachfolgte. Hier wird dagegen mit der negativen Feststellungsklage die Wirksamkeit eines präjudiziellen Verhältnisses überprüft. Im Vergleich zur Rechtssache Gubisch/ Palumbo (Leistungsklage und spätere Feststellungsklage) ist die zeitliche Reihenfolge jedoch gerade umgekehrt. Man kann deswegen in der Entscheidung des BGH entweder eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung des EuGH332 für teilkontradiktorische Verfahren sehen oder sie als „logische“ Kombination der Aussagen in Tatry und Gubisch bezeichnen.333 Im Ergebnis würde dann die Rechtshängigkeitssperre rein teleologisch mit der Gefahr (materiell) unvereinbarer Entscheidungen begründet. Der Anwendungsbereich von Art. 28 EuGVVO erführe im Vergleich zu § 148 ZPO eine empfindliche Beschränkung zugunsten von Art. 27 I EuGVVO.
2. Vorläufige Gesamtbewertung Der BGH bejaht im Gefolge bzw. in Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH die für Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO notwendige Anspruchsidentität auch, wenn im zeitlich früheren Verfahren lediglich eine Vorfrage des Zweitprozesses entschieden wird. Begründet wird dies mit dem Zweck von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO, zu vermeiden, dass es in verschiedenen Prozessen zu miteinander unvereinbaren Entscheidungen komme. Goebel 334 332 333 334
Goebel, JZ 2002, 951. So Nieroba, S. 153; vgl. auch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 72 ff. Goebel, JZ 2002, 951; ders. ZZPInt 7 (2002), 41 f.
168 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO hat im Rahmen seiner Besprechung der dritten Entscheidung des BGH darauf hingewiesen, dass es nicht angehen könne, „dass tatsächlich jede in einem Feststellungsverfahren anhängige Vorfrage vor der rechtskräftigen Entscheidung eines sie inhaltlich umfassenden Rechtsschutzinteresses geschützt werden soll.“ Er hat damit m.E. den entscheidenden Gesichtspunkt angesprochen: Im Vordergrund sollte der Schutz unabhängiger Rechtsschutzinteressen stehen. Richtig ist weiter sein Hinweis, dass diese Vorfragen einbeziehende Interpretation der Kernpunkttheorie nur bei einfach gelagerten Sachverhalten funktioniert.335 Nur dann kann in erster Instanz beurteilt werden, ob der festzustellenden Vorfrage im Leistungsprozess auch tatsächlich diese Bedeutung zukommen wird. Bei einer Vielzahl von Vorfragen erscheint diese Prognose a priori kaum möglich, sondern erst, wenn das inländische Verfahren schon seinen zeitlichen Fortgang genommen hat. Der von Art. 21 EuGVÜ/ Art. 27 EuGVVO mitverfolgte Aspekt der Prozessökonomie würde dann aber ad absurdum geführt.336 Deutlich wird dies etwa im Fall, dass der Kläger in Deutschland vom Beklagten Ersatz wegen schuldhafter Vertragsverletzung verlangt und dieser bereits in einem anderen Mitgliedstaat die Feststellung der Vertragsunwirksamkeit bzw. wieder in einem anderen Mitgliedstaat die Feststellung der Verschuldensfrage337 (oder die vorsorgliche Feststellung seiner Nichtverantwortlichkeit) beantragt hat. Zur Abgrenzung zwischen Anspruchsidentität und Konnexität bedarf es handhabbarer Kriterien. Diesem Postulat würde der BGH somit mit seiner Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht gerecht: „Wo endet die Identität und beginnt der bloße Sinnzusammenhang der Verfahren?“338 Daran schließt sich die Frage an, ob Art. 21 EuGVÜ auch die Konstellation tragender identischer Vorfragen bei verschiedenen Klagen erfassen soll.339 Der BGH hat dies m.E. in seinem Nichtannahmebeschluss aus dem Jahre 2001 implizit verneint340, wenn er feststellt, „dass jedenfalls den bisherigen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Frage desselben Anspruchs im Sinne von Art. 21 EuGVÜ immer Fälle zugrunde lagen, bei denen der zu erwartende rechtskräftige Ausspruch des einen Verfahrens ein für das andere Verfahren präjudizielles Rechtsverhältnis betraf.“341 Hingegen soll
335
Goebel, JZ 2002, 951. Zutreffend Goebel, JZ 2002, 952. 337 Sofern dieser Tatbestand ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bildet; hierzu Stein/ Jonas/H. Roth, ZPO, § 256 Rn. 27, mit Recht gegen die h.L. 338 Treffend Nieroba, S. 171. 339 Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 446. 340 A.A. scheinbar Nieroba,153 f., 171, die dies als konsequente Fortentwicklung betrachten würde. 341 BGH, Beschl. v. 4.4.2001 – VIII ZR 121/00, n.v.; ebenso die Deutung von Oberhammer, IPRax 2002, 429, zur Entscheidung des OGH IPRax 2002, 408: „Eigentlich müßte der 336
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nach einer Entscheidung des OLG München Art. 21 I EuGVÜ auch eingreifen, wenn bei verschiedenen Gerichten wechselseitige Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei der Durchführung eines Vertragsverhältnisses der jeweils anderen Vertragspartei erhoben worden sind.342 Diese Entscheidung lässt sich, wie die vergleichbare Konstellation, dass mehrere Unfallbeteiligte jeweils gegeneinander Schadensersatzansprüche erheben, nicht ohne weiteres der Rechtsprechung des EuGH zuordnen. Denn hier ist weder ein Präjudizialitätsverhältnis343 betroffen, noch steht eine Situation im Vordergrund, in der dasselbe Begehren zunächst von einer Partei negiert wird, um dann von der anderen Partei durchgesetzt zu werden.344 Das OLG München wandte Art. 21 EuGVÜ gleichwohl an, da die Vorfrage nach der Verantwortlichkeit für das Scheitern des Vertrages in beiden Verfahren im Vordergrund stünde.345 Ob dies im Sinne der Kernpunktidentität genügt, erscheint nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zweifelhaft346, wird aber von gewichtigen Stimmen im Schriftum befürwortet.347 Begründet wird dies mit Blick auf das mögliche Unvereinbarkeitspotential (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO) bei einer widersprüchlichen Beantwortung der Vorfrage. Der EuGH hat sich dazu noch nicht geäußert, wenngleich dieser Eindruck fälschlicherweise im Schrifttum erzeugt wird.348
OGH also fragen, ob die bloße Relevanz derselben Vorfrage in zwei Prozessen den zweiten Prozeß an Art. 21 EuGVÜ scheitern läßt. Die bisherige Judikatur des EuGH zu Art. 21 EuGVÜ legt dies m.E. im Hinblick auf die konkrete Fallgestaltung im österreichischen Ausgangsverfahren so wenig nahe, daß die Vorlage insofern überrascht.“ 342 OLG München RIW 2000, 712; hierzu Prütting, in: GS Lüderitz, S. 625 ff.; Mankowski, EWiR 1998, 977 f. 343 Vgl. die Entscheidung Gubisch/Palumbo, oben § 15 II 1. 344 Vgl. die Entscheidung Tatry, oben § 15 II 2. 345 Nach den Gesetzen der Logik könne diese nur einheitlich ausfallen. Anders etwa Corte di Cassazione GRUR Int 2005, 265 m. Anm. Wurmnest: Schadensersatzklage und Feststellungsklage, die zugrunde liegende Handlung sei rechtmäßig gewesen, seien nicht identisch. 346 In diesem Sinne S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 185; Wernecke, Einheitlichkeit, S. 32, 47 f. 347 MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 7 f.; Schlosser, Art. 27 EuGVVO Rn. 4a: wechselseitige Schadensersatzansprüche von Unfallbeteiligten; ablehnend dagegen für reine Vorfragenübereinstimmung BGH, Beschl. v. 4.4.2001 – VIII ZR 121/00 (Nichtannahmebeschluss). 348 So noch Schlosser, 2. Aufl., Art. 27 EuGVVO Rn. 4; Turner/Grovit [1999] ILPr 673 (CA), Rn. 29: Der Court of Appeal erachtete die Möglichkeit der Widerklage zur Begründung der Verfahrensidentität als ausreichend. Eine entsprechende Vorlagefrage des OGH IPRax 2000, 409, zu Art. 21 EuGVÜ, ob Vorfragenidentität genüge, blieb vom EuGH unbeantwortet; hierzu instruktiv Oberhammer, IPRax 2002, 428 ff.
170 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO
3. Weitere Beispiele aus der obergerichtlichen Judikatur a) Materiellrechtliche Vorprüfung Eine materiellrechtliche Einfärbung der Kernpunkttheorie wird in einer Entscheidung des OLG Köln praktiziert.349 Gegenstand der in Köln erhobenen Klage war nach Ansicht des Senats die Frage, ob ein Unternehmen, gleich welch geographischer Herkunft, im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen Sportwetten anbieten, bewerben und durchführen dürfe, ohne im Besitz einer von den deutschen Landesbehörden erteilten Konzession zu sein. Diese Klage decke sich auch nach dem Verständnis des EuGH zu Art. 27 EuGVVO nicht mit einem beim LG Salzburg anhängigen Verfahren, das sich mit der Frage beschäftigte, ob eine in Deutschland verfasste und nach Österreich versandte entsprechende Abmahnung einen rechtswidrigen Eingriff in den Gewerbebetrieb der Beklagten darstelle oder als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung anzusehen sei. Das OLG Köln verneinte die Übereinstimmung in den Kernpunkten, weil das österreichische Gericht sich nicht mit der Frage zu befassen habe, ob es einem österreichischen Unternehmen gestattet sei, in dem deutschen Bundesland Sportwetten zu bewerben, ohne über eine entsprechende Genehmigung zu verfügen. Denn sowohl nach der deutschen als auch nach der im Grundsatz übereinstimmenden österreichischen Auffassung begründe eine unberechtigte Abmahnung eines angeblichen Wettbewerbsverstoßes einen Unterlassungsanspruch gegen den Abmahnenden weder aus § 1 UWG noch aus § 823 BGB i.V.m. § 1004 BGB. Die österreichische Klage wäre abweisungsreif und über den Gegenstand der deutschen Klage würde nicht entschieden. Sollte das LG Salzburg wider Erwarten dennoch hierüber befinden, so wären allein Vorfragen betroffen, die als solche in Österreich nicht in Rechtskraft erwachsen würden.
b) Stellungnahme Auffällig ist, dass das OLG Köln in seiner Begründung die (hypothetische) rechtliche Würdigung durch das österreichische Gericht vorweg prüft. Ein solcher Ansatz stellt in der Regel eine Gleichung mit mehreren Unbekannten dar. Auch wenn das deutsche und das österreichische Recht in dieser Frage übereinstimmen, wird eine solche materielle Relevanzprognose nicht immer eindeutig ausfallen: Der Kernpunkt im zweiten Verfahren wäre ein anderer, wenn das dortige Gericht aufgrund der Besonderheiten des materiellen Rechts zu einer bestimmten Frage gar nicht vorstoßen würde. Bei divergierenden Rechtstraditionen und bestehenden Sprachbarrieren würden sich die Unsicherheiten potenzieren. Die Unsicherheit des OLG Köln zeigt sich auch da349
OLG Köln RIW 2004, 627.
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rin, dass zusätzlich auf die fehlende Rechtskraftbindung rekurriert wird. Mit dem Gebot der Rechtssicherheit dürften solche Auslegungsversuche kaum vereinbar sein.
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§ 16 Rezeption der Kernpunkttheorie durch die nationalen Prozessrechte – ein Weg zurück zu Savigny? Zwangsläufig wirft diese Entwicklung auf europäischer Ebene nicht nur die Frage nach der Stimmigkeit der Kernpunkttheorie selbst, sondern auch nach ihrer Vorbildfunktion für die nationalen Streitgegenstandskonzepte der Mitgliedstaaten auf.350 Bevor im abschließenden Teil der Studie mögliche Kritikpunkte an der Kernpunktlehre formuliert werden und ihre Ablösung diskutiert wird351, soll zunächst das „Für und Wider“ einer nationalen Rezeption eine Darstellung erfahren. Insoweit wurde bereits verschiedentlich die Ansicht geäußert, dass es erforderlich sei, eine für alle europäischen Rechtsfamilien einheitliche Streitgegenstandstheorie zu entwickeln. Möglicherweise könnte die Kernpunktlehre dabei den „Weg zurück zu Savigny“ weisen352, was indes nur der Tradition eines kleineren Teils der Mitgliedstaaten der EuGVVO entsprechen würde.353 Im Mittelpunkt stehen dabei nicht Überlegungen, wie die Verletzung materiellen Gemeinschaftsrechts durch nationale Gerichte am besten verhindert werden kann. Denn der BGH und auch andere mitgliedstaatliche Gerichte haben bereits deutlich zu erkennen gegeben, dass sie für Fallgestaltungen, die dem Anwendungsbereich von Art. 21 EuGVÜ/Art. 21 LugÜ/Art. 27 I EuGVVO unterfallen, nicht am nationalen Streitgegenstandsverhältnis festhalten werden.354 350 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 421, und Lakkis, Gestaltungsakte, S. 203, sprechen von einer möglichen Rückkehr zu Savigny. 351 Vgl. oben §§ 35 f. 352 Gaul, in: JbJZRWiss 1999, S. 30, der darauf hinweist, dass sich die moderne Prozessrechtslehre angesichts der Kernpunktlehre des EuGH in einem ähnlichen Stadium befindet wie v. Savigny vor der Kodifikationsperiode des 19. Jahrhunderts: „Aber vielleicht hätte eine Rückbesinnung auf Savigny die Verständigung doch erleichtern können. Seine Lehre von der ‚Rechtskraft der Gründe‘ erklärt sich konsequent daraus, dass er das Recht weniger als System subjektiver Rechte als ein System der Rechtsverhältnisse begriff und darauf die positive Funktion der Rechtskraft bezog, während später im Anschluss an die Lehre Windscheids der punktuelle Anspruchsbegriff Eingang in § 322 ZPO fand.“ Näher ders., in: FS Flume, S. 471 ff.; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 421; Diskussionsbeitrag von Kerameus, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455 ff. 353 Vgl. oben § 15 I. 354 So setzt sich das in Art. 27 I EuGVVO festgelegte Prioritätsprinzip auch im Verhältnis
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Dies entspricht dem zwingenden Charakter der Verordnung und dem Europäischen Justizgewährungsanspruch. Insoweit spielt auch für die folgende Diskussion der Einwand von Ahrens 355 keine Rolle, dass es aufgrund der fehlenden gemeinschaftlichen Regelungskompetenz für ein europäisches Zivilprozessrecht auch keine Einwirkungsmöglichkeit auf das nationale Recht geben könne.356 Im Vordergrund steht vielmehr die Gleichbehandlung nationaler und grenzüberschreitender Verfahrenskonkurrenzen. Die entscheidende Frage wäre, inwieweit eine Anpassung oder Angleichung des deutschen Zivilprozessrechts an die Rechtsprechung des EuGH erforderlich ist, um diesen Gleichlauf zu gewährleisten.357 Jedoch deckt sich die von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO erfasste Thematik von vornherein nicht mit der Frage des Streitgegenstands in Deutschland.358 Art. 27 EuGVVO blickt auf Art. 34 Nr. 3 EuGVVO und das internationale Prinzip der Urteilsanerkennung, dient also der Koordinierung der Gerichtsbarkeiten verschiedener Staaten.359 Insoweit trifft Art. 27 I EuGVVO bereits aufgrund der Aufgabenspezialisierung keine generelle Aussage über den Umfang der Rechtshängigkeit und noch weniger über den Begriff des Streitgegenstands.
I. Befürworter Dennoch mehren sich unter dem stärker werdenden Einfluss und der Vergemeinschaftung des Europäischen Zivilprozessrechts die Stimmen, die eine breiter angelegte Vorgehensweise bei der Ermittlung des nationalen Streitgegenstandsbegriffs befürworten. Vornehmlich zum Zwecke der Verfahrenskonzentration wird der Kernpunkttheorie vergleichbar das funktionell abgegrenzte Streitverhältnis in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Dies gilt zumindest für den Rechtshängigkeitseinwand (§ 261 III Nr. 1 ZPO) im deutschen Recht.360 Hiernach soll ähnlich wie für Art. 27 EuGVVO/Art. 21 EuGVÜ ein von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage durch. Das Feststellungsinteresse bleibt durch die spätere Leistungsklage unangetastet. 355 Ahrens, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455 f. 356 Durch Art. 65, 61 lit. c und Art. 67 I 1 EG bzw. Art. 81 AEUV und der Vergemeinschaftung des Prozessrechts (EuGVVO) dürften die Einwirkungsmöglichkeiten indes mittlerweile größer geworden sein, Nieroba, S. 164. 357 Nieroba, S. 160 f. 358 Zeuner, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455 (457). 359 Vgl. auch Zeuner, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455 (457). 360 Insbesondere P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 92; Leipold, Verfahrenskonzentration, S. 20 f.; Haas, in: FS Ishikawa, S. 170 ff.; Hess/G. Vollkommer, Anm. zu BGH, Urt. v. 11.12.1996, WuB 1997, 707 f.; nur für Teilbereiche (negative Feststellungsklage und Leistungsklage) vertreten eine Anpassung; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 414, 416; Walker, ZZP 111 (1998), 454, überwiegend aber ablehnend. Kritisch dagegen K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 451 ff.; auch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 107. Vorgeschla-
174 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Antrag, welcher demselben Lebenssachverhalt wie die bereits rechtshängige Klage entstamme und diese ergänze oder ihr widerspreche, in einem selbständigen Verfahren erhoben, unzulässig sein, jedoch zulässig, soweit er in das Erstverfahren (etwa in Form der Widerklage) eingeführt werde.361 Die Folge wäre die Konzentration einer zusammengehörigen Streitsache in einem Verfahren.362 Die Rechtshängigkeit verhindere somit weitere Anträge, die den gleichen Streitgegenstand betreffen, nicht schlechthin, sondern gestatte ergänzende oder auch widersprechende Anträge innerhalb des gleichen Streitgegenstands vor demselben Gericht und schließe solche Anträge nur anderweitig aus.363 Zur Begründung wird darauf rekurriert, dass § 261 III Nr. 1 ZPO mit seiner Orientierung am Streitgegenstandsbegriff herkömmlicher Prägung den mit dieser Vorschrift intendierten Zweck, die Vermeidung von zusätzlichem Aufwand an Zeit, Arbeit und Kosten bzw. die Verhinderung widersprechender Entscheidungen, nur unzureichend umsetze:364 Dieser engen Deutung des Begriffs der ‚Streitsache‘ sei es zu verdanken, dass der Grundsatz, widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, im Verbot mehrfacher Prozesse (§ 261 III Nr. 1 ZPO) nicht voll durchgeführt werde. 365 Nicht erfasst wären insbesondere Präjudizialverhältnisse (Vor- und Hauptfrage) bzw. weitergehende Sinn- und Ausgleichszusammengen wird auch eine Modifikation von § 261 ZPO auf Rechtsfolgenseite (Verweisung nach § 281 I ZPO analog), Zeuner, in: FS Lüke, S. 1014 f. Im Übrigen weist dieser darauf hin, dass das EuGVÜ einen eigenständigen Anwendungsbereich hat, der die nationalen Rechte nicht zwangsläufig beeinflussen muss; ders., in: FS Bydlinski, S. 510 f. Allein das Ziel einer einheitlichen Handhabung genügt nicht für die Veränderung von Streitgegenstandskonzepten in reinen Inlandsfällen. Insoweit ist auch der Wettbewerb der Prozessrechte gefragt. Mitunter hält die Kernpunktrechtsprechung eher unbemerkt Einzug in die deutsche Rechtsordnung: So wollte das OLG Hamm FamRZ 2001, 1015, die Unvereinbarkeit zweier Unterhaltsentscheidungen (im Rahmen von § 328 I Nr. 3 ZPO) danach beurteilen, ob der Kernpunkt beider identisch sei. Im Schrifttum bemüht Zieglmeier, S. 152 f., 168, die Kernpunkttheorie zur Reduktion des doppelgleisigen Rechtsschutzes im deutschen Nachbarschutzrecht: Dem beeinträchtigten Nachbarn soll zwar weiterhin das Recht zustehen, zwischen verwaltungsgerichtlichem und zivilgerichtlichem Nachbarschutz zu wählen. Habe er sich jedoch für einen Rechtsweg entschieden, so sei er hinsichtlich des jeweils anderen mit seinem Rechtsschutzbegehren präkludiert. Damit überträgt Zieglmeier die Kernpunktlehre auf die Ebene der Rechtskraft im Sinne einer umfassenden wechselseitigen Bindungswirkung. Zu Art. 21 EuGVÜ ähnlichen Vorschlägen für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch H. Roth, ZZP 109 (1996), 271, 282. 361 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 92; referierend Hau, ZZP 117 (2004), 43 f. 362 Im Ergebnis werde für den europäischen Zivilprozess der Begriff desselben Anspruchs gemäß Art. 27 EuGVVO weniger durch den Antrag, sondern durch einen weit gefassten Lebenssachverhalt bestimmt, „genauer durch die pragmatisch verstandene Einheit des Streites der Parteien über die Rechtsfolgen eines Lebenssachverhalts“, P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 92. 363 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 92. 364 So Haas, in: FS Ishikawa, 165. 365 Haas, in: FS Ishikawa, aaO.
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hänge, sofern diese auf Rechtskraftebene Anerkennung erfahren.366 Der Umfang der Rechtshängigkeit bliebe hinter dem der Rechtskraft zurück.367 Für die Einbeziehung von Vorfragen in den Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitssperre wirbt im Übrigen aus griechischer Sicht Beys. Denn wennArt. 331 hl ZPGB bereits bestimmte Vorfragen rechtskräftig werden lasse, gelte es der denkbaren Widerspruchsgefahr auch auf der Ebene der Rechtshängigkeit Rechnung zu tragen.368 Insoweit stehe selbstverständlich die Rechtshängigkeit einer Klage auf Erfüllung eines Vertrages einer zeitlich späteren negativen Feststellungsklage des Beklagten entgegen, mit welcher dieser das Vertragsverhältnis für unwirksam erklären will.369 Das hellenische Recht hat offensichtlich keine Schwierigkeiten, die Vorgaben auf europäischer Ebene in vorauseilendem Gehorsam umzusetzen.
II. Bedenken gegen eine Übernahme 1. Abkoppelung der Rechtshängigkeit vom Streitgegenstand? Gegen eine Übertragung der zu Art. 27 EuGVVO anerkannten Auslegungsergebnisse könnte aus dogmatischer Warte sprechen, dass der EuGH – gemessen am deutschen Streitgegenstandsverständnis – die Rechtshängigkeit vom Streitgegenstand abgekoppelt hat.370 Denn die nach Art. 33 EuGVVO anzuerkennenden Rechtskraftwirkungen orientieren sich am nationalen Streitgegenstandsverständnis. Immerhin nimmt aber Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO in der französischen Sprachfassung Anleihen beim französischen Streitgegenstandsbegriff, der sich rein formal ebenfalls aus dem Gegenstand und dem
366 Weitere Beispiele bei Haas, in: FS Ishikawa, aaO.: aber keine Sperrwirkung zwischen der Klage des Schuldners auf Herausgabe des Wechsels und der Klage des Gläubigers aus dem Wechsel. Keine Sperrwirkung zwischen der Klage auf Erfüllung einer Forderung und der Klage auf Aufhebung bzw. Löschung der hierfür vorgesehenen Hypothek. 367 Leipold, Wege zur Konzentration, S. 18; Walker, ZZP 111 (1998), 432 f.; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 414 f.; Zeuner, in: FS Lüke (1997), S. 1017 f. 368 Vgl. Beys, ZZP 105 (1992), 155 f. Dennoch schweigt sich der Wortlaut von Art. 221 hl ZPGB darüber aus. 369 Beys, in: Die Dialektik des prozessualen Rechts, Bd. III, S. 70 f. 370 So Leipold, Wege zur Konzentration, S. 20, der aber dennoch für deren Rezeption eintritt; vgl. auch die Aussagen Leipolds auf der Tagung der Zivilprozessrechtslehrer in Leipzig, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455, die für eine Neubewertung der Streitgegenstandsfragen sprechen. Zeuner hat im Rahmen der Tagung darauf hingewiesen, aaO., S. 457, dass die Kernpunktlehre auf einen eng segmentierten Bereich zugeschnitten sei und bereits aus diesem Grunde nicht als Vorbild tauge. Klicka, aaO., S. 458, ergänzte, dass der EuGH in Wahrheit keine Entscheidung zum Streitgegenstand habe treffen wollen, was aus der Kapitelüberschrift „Zuständigkeit“ abzuleiten sei. Ziel sei nur die Zusammenfassung zusammengehöriger Fragen in einem Staat.
176 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Grund der Klage zusammensetzt.371 Die dogmatische Entfremdung von Streitgegenstand und Rechtshängigkeitssperre erscheint deswegen keineswegs ausgemacht.372 Hierbei trägt der Begriff „desselben Anspruchs“ genau die Aufgabe, die im Rahmen von § 261 III Nr. 1 ZPO der Streitgegenstand übernimmt. Andererseits scheint der EuGH davor zurückzuschrecken, „europäische Gesamtkonzeptionen“ oder prozessuale Rechtsinstitute wie den Streitgegenstand zu entwickeln.373 Ohne Zweifel kommt deswegen der Kernpunkttheorie innerhalb von EuGVÜ und EuGVVO bereits aufgrund ihres beschränkten thematischen Aufgabenbereichs nicht die gleiche Bedeutung zu, wie sie der prozessuale Anspruch im deutschen Recht für sich behaupten kann.374 Dennoch darf die Rechtsprechung des EuGH nicht generell als Absage an nationale Streitgegenstandsvorstellungen verstanden werden. P. Gottwald hat mit Recht darauf hingewiesen375, dass der EuGH die Rechtshängigkeit lediglich vom konkreten Antrag (Rechtsschutzziel), nicht aber vom Streitgegenstandsbegriff an sich abgekoppelt habe. Richtigerweise wird man deswegen auch § 261 III Nr. 1 ZPO nicht zum Zwecke der Streitkonzentration vom Streitgegenstandsbegriff lösen müssen.376 Im Übrigen stellt sich m.E. die Frage, was vom Streitgegenstand übrig bleibt, wenn er seines zentralen Elements beraubt wird und keine andere Aufgabe mehr sinnvoll erfüllen kann als eine vage Umgrenzung des Rechtshängigkeitsumfangs. Einwände gegen die Übernahme dieses Streitgegenstandsverständnisses in das deutsche Zivilprozessrecht speisen sich aber weniger aus der Bedeutungsminderung des Klageantrags bzw. seiner Eliminierung.377 Denn während im Stadium der Verfahrenseröffnung eine bestimmte Angabe des Klageantrags aus Gründen der Individualisierung des Streitobjekts zweifellos geboten ist, erscheint dies – entgegen der h.L. – für die Bestimmung des Rechtshängigkeitsumfangs und die von § 261 III Nr. 1 ZPO übernommene Funktion weniger zwingend.378 So verlangen §§ 253 II Nr. 2 ZPO, 308 ZPO die Angabe eines bestimmten Antrags vor allem, um die im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit des angestrebten Titels notwendige Individualisierung und Konkretisierung zu 371 Oben § 15 II. Vgl. auch Huber, JZ 1995, 603 f.; P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 85 (91), meint hingegen, dass die Vorschrift wesentlich klarer auf den Streitgegenstand abstelle als § 261 III Nr. 1 ZPO, wo nur von Streitsache die Rede sei. Erst durch die gedankliche Verbindung mit §§ 264, 265 und 322 ZPO werde deutlich, dass die Streitsache durch den Klagegrund und den geltend gemachten Anspruch bestimmt werde. 372 A.A.: Leipold, in: Heiderhoff, Diskussionsbeitrag, ZZP 111 (1998), 455. 373 So B. Hess, IPRax 2006, 352. 374 Leipold, in: Heiderhoff, Diskussionsbeitrag, ZZP 111 (1998), 455. 375 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 91. 376 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 452; ebenso Zeuner, in: FS Lüke, S. 1015 f.; a.A.: tendenziell Haas, in: FS Ishikawa, S. 170 f. 377 H. Roth, in: FS Schumann, S. 359 f., spricht von einer Reprimitivisierung des Streitgegenstands. 378 Zu den Aufgaben der Rechtshängigkeitssperre § 18 I 5.
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ermöglichen379, während die Rechtshängigkeitssperre im laufenden Verfahren eine Konzentration zusammenhängender Fragen aus demselben Anspruchsund Klagegrund ermöglichen soll. Insofern enthält die Kernpunktlehre des EuGH trotz aller gegen sie vorgebrachter Kritik zweifellos eine zutreffende Essenz. Zumindest de lege ferenda werden deswegen auch im deutschen Recht an die Auslegung von Art. 27 EuGVVO angelehnte Weiterungen mit Recht erwogen.380 Ein umfassender Rechtshängigkeitsumfang könnte dabei auch bei der Koordinierung von Teilklagen wertvolle Hilfe leisten. Gleiches gilt für das Verhältnis gegenläufiger Begehren wie der Klage auf Kaufpreiszahlung und der Rückzahlungsklage des Käufers.381 Für das deutsche Recht liegt zudem die Frage nach der Emanzipation des Rechtshängigkeitsumfangs vom Urteilsgegenstand nahe. Allerdings bleibt darauf hinzuweisen, dass Art. 27 EuGVVO in erster Linie dafür sorgen will, dass anspruchsidentische Verfahren nicht parallel in verschiedenen Mitgliedstaaten durchgeführt werden, aber hinsichtlich deren Koordinierung im Inland keine Aussage trifft. Diese müssen dort nicht zwingend als ein Streitgegenstand behandelt werden, da die Verhinderung widersprechender Entscheidungen in einem Mitgliedstaat nicht in den Aufgabenbereich der EuGVVO fällt.382 Insoweit könnte, wenn derartige innerstaatliche Mechanismen bereit stehen, das prozessökonomisch sinnvolle Miteinander auch in Form einer Zuständigkeitskonzentration oder einer Prozessverbindungspflicht umgesetzt werden.383 Die Rezeption der Kernpunktlehre ist damit keineswegs ausgemacht.384 Im Übrigen würde der nationale Weg über eine zwingende Zuständigkeitskonzentration im Vergleich zu einer sachverhaltsorientierten Streitgegenstandsausdehnung über den Vorteil verfügen, dass eine Aufblähung des Verfahrens oder überraschende Rechtskraftwirkungen vermieden werden, sofern die Übernahme nicht ohnehin im Sinne eines relativen Streitgegenstandsverständnisses auf die Rechtshängigkeit beschränkt bliebe.385
379
Hierzu M. Wolf, in: FS E. Schumann, S. 592. Überblick auch bei Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 59 f. 381 So K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 452; zu konträren Anträgen weiter führend, Wernecke, Einheitlichkeit, S. 29 Fn. 82. 382 Treffend Oberhammer, JBl 2000, 218. 383 Oberhammer, JBl 2000, 218. 384 Dass sich die europäische Rechtshängigkeitssperre von § 261 III Nr. 1 ZPO strukturell als Koordinationsmechanismus unterscheidet, zeigt der Verweis auf die Widerklage. Der blockierte Zweitkläger soll von Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ/EuGVVO Gebrauch machen, während nach nationaler Doktrin der Widerklage ebenfalls die Rechtshängigkeit entgegen stehen würde, Kerameus, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455 (456). 385 In diesem Sinne P. Gottwald, Streitgegenstand und Sachzusammenhänge, S. 99 f.: „Bis zu einer Anpassung des § 322 I ZPO an den weiten europäischen Begriff der Rechtshängigkeit und einer befriedigenden Lösung der Fragen des wirtschaftlichen Streitrisikos fällt es daher im Ergebnis schwer, für ein weites, der Rechtshängigkeit entsprechendes Verständnis des 380
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2. Die Ausrichtung am funktionell abgegrenzten Lebensverhältnis und die Einbeziehung vorgreiflicher Verhältnisse Ein entsprechend erweiterter Rechtshängigkeitsumfang könnte sich im Hinblick auf die Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungsbegründungen und die Verhinderung einer Kollision zwischen rechtskräftiger Feststellung und abweichend beurteilter Vorfrage rechtfertigen, was durch § 261 III Nr. 1 ZPO in seiner bisherigen Auslegung nicht verhindert wird.386 Die Anpassung von § 261 III Nr. 1 ZPO an die Aussagen der Kernpunkttheorie wird deswegen gefordert, weil der ökonomische Umgang mit Rechtspflegeressourcen auf nationaler Ebene nicht geringer einzuschätzen sei als auf europäischer. So müsse die Sperrwirkung einer Klage, welche die Unwirksamkeit eines Vertragsverhältnisses feststellen soll, einer weiteren Klage zwischen denselben Parteien auf Rückgewähr der erbrachten Leistungen auch in rein nationalen Fällen entgegenstehen.387 Im Ergebnis sprächen somit Sinn und Zweck von § 261 III Nr. 1 ZPO, die Vermeidung widersprechender Urteilserkenntnisse, für eine Übernahme der Kernpunkttherie.388 Klagenkonkurrenzen, in denen der Streitgegenstand durch einen abgegrenzten Lebenssachverhalt bestimmt werden könne, sollten insgesamt zu einer Verfahrenskonzentration beim zuerst angerufenen Gericht führen389, wobei derartige Konstellationen etwa für § 323 ZPO (numehr: § 238 FamFG) bereits durch den BGH selbst anerkannt seien.390 Diese Konzentrationsmöglichkeit führe zu Streitgegenstands im Rahmen der Rechtskraft einzutreten. Bis auf weiteres muss es deshalb bei einem relativen oder gespaltenen Streitgegenstandsbegriff bleiben.“ 386 Hierfür Haas, in: FS Ishikawa, S. 171; Leipold, Wege zur Konzentration, S. 23. Vgl. etwa BGH NJW-RR 2010, 640, wo das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre bei einer Übereinstimmung in der Vorfrage abgelehnt wurde. 387 Zu weiteren Beispielen Wernecke, Einheitlichkeit, S. 32 f.: „Aus der Sicht des deutschen Verfahrensrechts stellt sich die Frage, ob der Begriff des ‚Streitgegenstands‘ – ebenso wie der europäische Begriff des ‚Anspruchs‘ – eine nicht dem Antrag zu entnehmende Rechtsfolge, sondern ein Begehren kennzeichnet, das aus dem Lebenssachverhalt und den für die Entscheidung relevanten materiellrechtlichen Erwägungen abzuleiten ist. Die Einbeziehung materiellrechtlicher Elemente in den Streitgegenstand hätte zur Folge, dass Feststellungen eines Urteils der Rechtskraft fähig wären, die nicht zum Gegenstand einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 II ZPO hätten gemacht werden können, weil sie sich auf eine Rechtsfolge beziehen, die schon den Gegenstand der Hauptsacheentscheidung bildet.“ Insoweit stünde die Rechtskraft eines Urteils, das einer Kaufpreisklage des Verkäufers stattgibt, einer Feststellungsklage des Käufers entgegen, mit der dieser die Unwirksamkeit des Vertrages behauptet, soweit aus diesem keine weiteren Ansprüche streitig sind. Nach der Autorin, aaO., S. 107, bedarf es indes keiner Übernahme der Kernpunkttheorie, vielmehr sind die deutschen Auffassungen vom Streitgegenstand auf ihren sachlich-rechtlichen Kern zurückzuführen. 388 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 91. 389 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 91. 390 BGH FamRZ 1977, 488 (gegenläufige Abänderungsklagen); Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 III 5 Rn. 18.
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einer Konzentrationslast, die nicht nur im Interesse des Klägers bestehe, sondern auch die Interessen des Beklagten391 und der Allgemeinheit mit einbeziehe. Eine zweite Klage sei unzulässig, wenn das neue Begehren durch Klageerweiterung oder Leistungswiderklage in den anhängigen Prozess eingeführt werden könnte. Da diese Konzentrationslast die individuelle Rechtsverfolgung lediglich beschränke, aber nicht verhindere, sei sie den Parteien zuzumuten.392 Dagegen wird mit Recht vorgebracht, dass § 261 III Nr. 1 ZPO nach h.A. lediglich Verfahrensverdoppelungen bei übereinstimmendem Streitgegenstand verhindern will, aber „nicht sämtliche Überschneidungen, insbesondere hinsichtlich der Rechtskraftwirkung bei sachlicher Verschiedenheit der Streitgegenstände.“393 Zudem würde diese sachverhaltsorientierte Rezeption der Kernpunktlehre vernachlässigen, dass der EuGH bisher den Schulterschluss zur angloamerikanischen Doktrin (same cause of action) nicht vollzogen hat. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gubisch betraf zumindest einen Präjudizialzusammenhang, der innerstaatlich dem Regime von § 148 ZPO unterstanden hätte.394 Für die Konkurrenz von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage wird bereits im deutschen Recht z.T. die Anwendung von § 261 III Nr. 1 ZPO befürwortet. Beide Judikate legen bei der Argumentation einen Schwerpunkt auf materiellrechtliche Überlegungen und logische Konstruktionszusammenhänge, nicht jedoch auf einen einheitlich abgegrenzten Sachverhalt als solchen.395 Im Hinblick auf die Übertragung der Kernpunkttheorie in das nationale Recht hat Leipold im Übrigen zu Recht darauf hingewiesen, dass mögliche Bedenken darin bestehen könnten, dass auf diese Weise der Erstkläger allein über die Zuständigkeit bestimme und insofern dem Beklagten Gerichtsstände seiner Wahl (§ 35 ZPO) vorenthalten würden.396 Dadurch könnte eine aus der Rechts391
Dafür vor allem Costede, in: FS Deutsch, S. 914 f. Vgl. dazu auch Leipold, Nihon Hogaku 27 (1977) Nr. 1, S. 1, 8. 393 Zeuner, in: FS Lüke, S. 1015 f.; Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 452; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 421: Ein internationales Prozessrecht, das für Rechtshängigkeit und Rechtskraft auf das „Rechtsverhältnis und die es begründenden Präjudizialelemente“ abhebe, sei nicht zu empfehlen. Vgl. auch Stein/Jonas/H. Roth, vor § 253 Rn. 59 f. 394 Oben § 15 II 1. 395 Eine andere Bewertung der Entscheidung Gubisch/Palumbo fi ndet sich aber in der Tat in den Schlussanträgen des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache C-406/92, Tatry, Slg. 1994-I, 5450, Rz. 14: „Aus diesem Urteil ergibt sich also, dass Artikel 21 Anwendung findet, wenn die Parteien dieselben sind, unabhängig davon, welche Stellung sie jeweils in den beiden Verfahren einnehmen, und wenn die Ansprüche der Parteien auf dasselbe Rechtsverhältnis zurückgehen: Diese zweite Voraussetzung liegt insbesondere vor, wenn die in einem der beiden Verfahren aufgeworfene Frage die logische Voraussetzung für die Klage, die Gegenstand des anderen Verfahrens ist, darstellt oder wenn verschiedene Anträge eine und dieselbe tatsächliche Situation betreffen.“ Vgl. im Übrigen Rz. 19: „… entscheidend ist, ob der Sachverhalt, über den das Gericht zu entscheiden hat, im wesentlichen identisch ist.“ 396 Leipold, Verfahrenskonzentration, S. 20. 392
180 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO hängigkeit hervorgehende Konzentrationslast in Kollision mit der Zuständigkeitsordnung geraten. Im Ergebnis sei dies aber unproblematisch, soweit dem Kläger ohnehin nur der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten zur Verfügung stehe.397 Prekär könnte die Fragestellung nur für besondere Gerichtsstände werden, die aber in den meisten Fällen auf die Besonderheiten des Streits zugeschnitten und folglich auch dem Beklagten für seine kernidentische Widerklage zumutbar seien. Insofern bestehe eher Anlass, die Zuständigkeitsvorschriften auf den Prüfstand zu stellen als die Konzentrationslast.398 Der Schlüssel, um Nachteile zu vermeiden, liege für den Beklagten somit in der Widerklage: „Rechtsschutzverzögerung, Kosten und Verjährungslauf ließen sich – die Rechtshängigkeitssperre unterstellt – durch rechtzeitige Erhebung der Leistungswiderklage vermeiden.“399
Gegen eine derartige Konzentration hat vor allem K. Otte mit Recht vorgebracht, dass in den Prozessrechten der EuGVÜ-Mitgliedsstaaten eine solch allgemeine Konzentrationslast nicht existiere.400 Für einen Rechtshängigkeitseinwand, der alle Prozesse ergreife, die im Rahmen des Erstverfahrens anhängig gemacht werden könnten, gäben weder der Wortlaut noch eine teleologische Auslegung von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO etwas her. Das EuGVÜ kenne auch keine Konzentrationspflicht aus dem Zusammenhang heraus. Art. 6 Nr. 1 und 3 eröffnen ein Konzentrationsrecht, zwingen aber nicht zur Widerklage. Andernfalls macht ein solcher Koordinationszwang den besonders normierten Widerklagengerichtsstand überflüssig.401 Ein derart weitgehender Konzentrationszwang würde im deutschen Recht auf noch mehr Widerstände stoßen und in ein abgestimmtes Prozessrechtssystem eingreifen.
3. Widerspruchsgefahr und Prozessökonomie Die Orientierung des nationalen Rechtshängigkeitsumfangs am Umfang der Kernpunktlehre wird – ähnlich wie diese selbst – mit der Verhinderung unvereinbarer bzw. widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen gerechtfer397 Teilweise ist die Frage durch Aufgabe des sog. „fl iegenden Gerichtsstandes“ im Wettbewerbsrecht entschärft worden, Leipold, Verfahrenskonzentration, S. 21 f.; kritisch noch ders., in: GS Arens, S. 227; Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 137 ff. 398 So Leipold, Verfahrenskonzentration, S. 19 f., S. 23: „Eine Überschreitung der richterlichen Auslegungs- und Rechtsfortbildungszusammenhänge würde in der Implantation der Kernpunkttheorie in das nationale Recht schwerlich liegen, da von klaren Vorgaben der ZPO zu den Voraussetzungen der Rechtshängigkeit nicht die Rede sein kann. Dass die Kernpunkttheorie noch in mancherlei Hinsicht der Konkretisierung bedarf, ist freilich nicht zu bestreiten.“ 399 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 441. 400 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 441; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 59 f. 401 Darüber hinaus ist die Zulässigkeit der Leistungswiderklage in der Berufungsinstanz stark eingeschränkt: RG Seuff. Archiv (1898) Nr. 255, 463, 465; KG Berlin BauR 2004, 551.
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tigt (vgl. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO). Ob die Kollision von im deutschen Recht nicht rechtskraftfähigen Urteilsfeststellungen nach dem Willen des CPO-Gesetzgebers aber einen derart schweren „Übelstand“ darstellt, der einem unmittelbaren Rechtskraftkonflikt der Entscheidungstenore gleichkommt, erscheint äußerst zweifelhaft.402 Etwaige Bedenken gegen einen derart weiten Begriff des Verfahrensgegenstands entstammen zunächst systematischen Überlegungen. Diese Konzentrationslast könnte bei konsequenter Durchführung § 148 ZPO und § 256 II ZPO funktionslos machen.403 Für das deutsche Recht führt deswegen der Vorschlag von Dieter Leipold und Peter Gottwald, die Feststellung präjudizieller Verhältnisse mit in den Rechtshängigkeitsumfang einzubeziehen, zu weit. Zum einen erwachsen vorgreifliche Rechtsverhältnisse im deutschen Recht nicht isoliert in Rechtskraft, so dass kein Widerspruch rechtskräftiger Inzidentfeststellungen droht. Zum anderen würde durch diese Interpretation von § 261 III Nr. 1 ZPO der Anwendungsbereich von § 148 ZPO empfindlich geschmälert.404 Im Übrigen besteht bei Inlandssachverhalten keine Gefahr der Versagung der wechselseitigen Anerkennung der ausländischen Entscheidung (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO), womit die teleologische Hauptstütze für die Kernpunktlehre im nationalen Recht entfällt.405 Eine Erweiterung von § 261 III Nr. 1 ZPO zu Lasten von § 148 ZPO allein aus rein prozessökonomischen Gründen erscheint jedoch nicht geboten.406 Denn die Rechtshängigkeitssperre ist im Vergleich zur materiellen Konzentration nach § 148 ZPO nicht der grundsätzlich bessere Weg, Entscheidungskonflikte zu vermeiden.407 Für § 147 ZPO gilt dies nicht in gleicher Weise, weil die Verbindung ohnehin nur greift, wenn beide Verfahren vor demselben Gericht anhängig sind.
402 So aber Haas, in: FS Ishikawa, S. 172; Hahn/Mugdan, Bd. 2, Abt. 1, S. 227, lässt sich darüber nicht im Detail aus. 403 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 59 f.; für die Anwendung der Kernpunktlehre bei der Bestimmung der Rechtskraftgrenzen gesteht dies auch P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99 f., zu. 404 § 148 ZPO könnte – außer bei der Feststellung von Drittrechtsverhältnissen – sogar funktionslos werden. Gegen eine Übertragung auch Schilken, ZPR, Rn. 232 f.: mit dem überkommenen nationalem Streitgegenstandsdenken, insbesondere der Rechtskraft, unvereinbar. Allgemein kritisch H. Roth, in: FS Jayme I, S. 752 f.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 52 ff.; Walker, ZZP 111 (1998), 432 f.; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 414 f.; Zeuner, in: FS Lüke, 1017 f.; vgl. auch Nieroba, S. 162 f. 405 Anzumerken bleibt, dass diese teleologische Stütze nach den Vorstellungen des aktuellen Kommissionsvorschlags zur Brüssel I-VO auch für die Verordnung selbst entfallen dürfte, vgl. näher § 36 V. Im Übrigen wird sich zeigen, dass § 261 III Nr. 1 ZPO keineswegs – etwa im Sinne einer vorverlagerten Rechtskraftsperre – ausschließlich an der Vermeidung widersprechender Entscheidungen auszurichten ist, unten § 18 I 5 c. Auf Unterschiede zwischen inländischer und ausländischer anderweitiger Rechtshängigkeit hat bereits Schütze, ZZP 104 (1991), 144, hingewiesen. 406 So auch Haas, in: FS Ishikawa, S. 181. 407 So aber Haas, in: FS Ishikawa, S. 187; kritisch H. Roth, in: FS Jayme I, S. 752 f.
182 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Eine Ausweitung des Rechtshängigkeitsumfangs erscheint jedoch im Bereich dogmatisch wenig geklärter Grenzfälle möglich.408 Dies betrifft vor allem Konstellationen, bei denen die Rechtsschutzziele nur bei rein formaler Betrachtung divergieren. Gesetzessystematische Gesichtspunkte stehen hier einer Ausdehnung des Rechtshängigkeitsumfangs nicht entgegen. Insbesondere gilt dies für Verfahrenskollisionen, die ansonsten mit der „Allzweckwaffe“ des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses bekämpft werden müssten. Auch parallele Teilklagen aus demselben Anspruchsgrund könnten auf diese Weise bei einem Forum konzentriert werden. So ließ bereits Arwed Blomeyer das Verbot des Nebeneinander derselben Streitsache über den Bereich der Rechtskraftwirkung hinausreichen:409 „Der Gedanke, dass der gesamte Streit der Parteien möglichst in einem Prozeß ausgetragen werden soll, macht die Schutzbedürftigkeit des zweiten Klagebehrens fraglich, wenn dieses auch bereits im anhängigen Prozeß geltend gemacht werden kann.“410
Die Gefahr von Wirksamkeitshindernissen (von Rechtskraftkonflikten im weiteren Sinne)411 sollte bei dieser Ausrichtung der Rechtshängigkeitssperre jedoch nicht den Ausschlag geben. Insgesamt verbergen sich hinter dem Stichwort „Kernpunkttheorie“ Fallkonstellationen unterschiedlichster Art, so dass auch ihre Befürwortung oder Ablehnung nicht en passant erfolgen kann. Im weiteren Verlauf der Studie wird deswegen stets Anlass bestehen, auf ihre Vorzüge und Nachteile zu sprechen zu kommen, bevor eine abschließende Wertung erfolgen kann.412 Dabei sei an die Worte Leipolds erinnert, wonach ein europäischer Streitgegenstandsbegriff, welcher den Rückgriff auf die nationalen Vorstellungen erübrigen könnte, derzeit noch nicht erkennbar sei, aber möglicherweise durch die vorsichtigen Bemühungen von Judikatur und Schrifttum gefunden werden könnte.413 Zumin408
Vgl. auch Haas, in: FS Ishikawa, S. 182 ff. A. Blomeyer, ZPR, § 49 III 1, S. 275. Näher unten § 23 I 6. 410 Dieser Gedanke der Prozesswirtschaftlichkeit wurde zum Teil vehement angegriffen: „Vollends unzulässig wäre natürlich, die Rechtshängigkeitssperre zu gewähren aus prozessökonomischen Gründen fiskalischer Art oder um eine Entlastung der Gerichte zu verwirklichen“, W. Kramer, ZZP 64, 91. Kritisch hierzu auch Haas, in: FS Ishikawa, S. 187, der mehr den Gedanken der Verhinderung einer Rechtskraftkollision in den Vordergrund stellt. 411 Hierfür aber Haas, in: FS Ishikawa, S. 186. 412 Näher auch Nieroba, S. 164 f. Die Rezeption der Kernpunktlehre wurde von Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425 f., und Walker, ZZP 111 (1998), 432 f., deutlich abgelehnt; ähnlich Nieroba, S. 164 ff.: „Eine Anpassung erscheint meines Erachtens zum Zeitpunkt des derzeitigen Entwicklungsstandes des europäischen internationalen Zivilprozessrechts noch unangebracht, da dieses selbst noch nicht weit und vor allem nicht detailliert genug entwickelt ist“; knapper Gruber, ZZP 117 (2004), 154; Ahrens, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, 455 f.: bei einem zu umfangreichen Prozessstoff stehe zu befürchten, dass die Parteien trotz eines positiven Prozessausgangs Rechtsmittel einlegen, weil lediglich Vorfragen nachteilig entschieden seien. 413 Leipold, in: Kroeschell/Cordes, S. 76. 409
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dest für die Bemessung der nationalen Rechtskraftgrenzen erscheint ein europäisches Konzept aber noch in weiter Ferne zu sein.414
4. Ablösung der Rechtshängigkeit von der Rechtskraft An diesen Befund anschließend, wird vorgebracht, eine Übernahme der Kernpunktlehre würde zum derzeitigen Entwicklungsstand zu einer Auflösung des Zusammenhangs von Rechtshängigkeit und Rechtskraft im nationalen Recht führen.415 Nach Walker habe aber der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit mit der exceptio rei iudicatae gemein, dass beide widersprüchliche Entscheidungen verhindern wollten.416 Grundlage wäre jeweils das Rechtsstaatsprinzip. Aufgrund des gemeinsamen Ziels sei der Streitgegenstand für Rechtshängigkeit und Rechtskraft identisch zu bestimmen.417 Im deutschen Recht gelte im Rahmen der Rechtskraft traditionell ein enger Streitgegenstandsbegriff, was sich zum einen am Wortlaut von § 322 I ZPO zeige, überdies an § 322 II ZPO und an § 256 II ZPO, wonach ein rechtskräftiger Ausspruch über ein präjudizielles Rechtsverhältnis einer eigenen Zwischenfeststellungsklage bedürfe. Mit dieser engen Begrenzung der Rechtskraft steht Deutschland in Europa keinesfalls isoliert da.418 Da der EuGH eine abweichende europarechtliche Bestimmung verständlicherweise unterlassen habe419, richte sich die Rechtskraftwirkung nach allen Theorien weiter nach den nationalen Rechten. Eine autonome Begriffsbestimmung sei darüber hinaus auch nicht möglich, „weil es bezüglich der Rechtskraftwirkung an einer europarechtlichen Vorgabe fehlt.“420 Ein weiter Streitgegenstandsbegriff passe somit nicht zur engen Bestimmung des Entscheidungsgegenstandes im Zusammenhang mit der Rechtskraft. Bei Übernahme der Kernpunktlehre würde sich diese Diskrepanz im deutschen Recht fortsetzen. Im Übrigen sprächen nach Walker gute Gründe gegen eine Rückkehr zu Savigny und für eine enge Fassung der nationalen Rechtskraftwirkungen. Für Gerichte und Parteien werden damit die Lasten bei der Klärung aufwändiger Vor414
Ebenso Oberhammer, JBl 2000, 219. Walker, ZZP 111 (1998), 454; Dohm, S. 32 f., 82 f.; vgl. aber Oberhammer, IPRax 2002, 430 f.: „Aus solchen systematischen Erwägungen folgt aber durchaus noch nicht, daß die Grenzen etwa von Rechtshängigkeit und Rechtskraft jedenfalls am Maßstab eines einheitlichen Streitgegenstandsbegriffes auszurichten sind. Reichert man vorstehenden Systemgedanken um teleologische Erwägungen an, so könnte man z.B. meinen, es spreche manches dafür, die objektiven Grenzen der Rechtshängigkeit weiter zu ziehen als jene der Rechtskraft.“ 416 Walker, ZZP 111 (1998), 449; Habscheid, in: FS Schwab, S. 181 ff. 417 Ebenso Hau, Positive Kompetenzkonfl ikte, S. 114; Henckel, Parteilehre, S. 292 ff.; Habscheid, in: FS Schwab, S. 181 ff. 418 Walker, ZZP 111 (1998), 449, mit Verweis auf die ausführlichen Darlegungen von Ritter, ZZP 87 (1974), 138; vgl. auch Isenburg-Epple, S. 140 ff.; vgl. auch oben § 15 I. 419 Leipold, in: GS Arens, S. 240. 420 Ausführlich Walker, ZZP 111 (1998), 451. 415
184 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO fragen gering gehalten. Die Urteilsfindung könne sich auf eine ganz bestimmte Rechtsfolge beschränken und die Parteien blieben vor überraschenden und unabsehbaren Wirkungen des Judikats verschont.421 Zu Recht schätzt Walker die Gefahr miteinander unvereinbarer Entscheidungsbegründungen im Inland als geringer ein.422 Fehlurteile sind zum einen nicht häufig. Zum anderen steht den Parteien der Weg offen, mittels Inzidentfeststellungsklagen (§ 256 II ZPO) bestimmte Vorfragen rechtskräftig mitentscheiden zu lassen und dadurch die Gefahr widersprechender Entscheidungen zu mindern. Ein Widerspruch in den Entscheidungsgründen kann im Übrigen für die Rechtsordnung auch erträglicher sein als eine Perpetuierung des ersten Fehlurteils.423 Aus diesem Grunde hat der deutsche Gesetzgeber die Gefahr widersprechender Entscheidungsbegründungen bewusst in Kauf genommen.424 Dennoch spricht allein das Auseinanderfallen von weitem Rechtshängigkeitsumfang und engen nationalem Rechtskraftgegenstand noch nicht zwingend gegen eine partielle Rezeption der Kernpunktlehre des EuGH. Eine solch relative Sichtweise wäre für die deutsche Prozessrechtsdogmatik heute kein Fremdwort mehr.425 Andererseits basiert die Kernpunktlehre vor allem auf der europäischen Anerkennungsproblematik (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO). Die Frage nach der Unvereinbarkeit von zwei Entscheidungen stellt sich im deutschen Recht jedoch nicht und kann somit auch keinen nützlichen Einfluss auf die Herausbildung des Streitgegenstands haben426 , wenngleich die Funktionsunterschiede von anderer Seite geringer eingeschätzt werden.427 Auch diese Überlegung muss im weiteren Verlauf der Studie nochmals aufgegriffen werden.428
421
Vgl. insoweit P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99 f. Vgl. aber auch Haas, in: FS Ishikawa, S. 181 f. 423 Walker, ZZP 111 (1998), 452 im Anschluss an MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 54. 424 Ähnlich Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 208 f. 425 Vgl. etwa Leipold, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455; Prütting, aaO., ZZP 111 (1998), 456; ders. in: FS Beys II, S. 1273 f.; P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99. 426 So mit Recht H. Roth, in: FS Jayme I, S. 752. 427 Haas, in: FS Ishikawa, S. 179 f.: Zur Verhinderung von Wirksamkeitshindernissen sei für § 261 III Nr. 1 ZPO die Rechtslage keine grundsätzlich andere, wenngleich die Gefahr, dass solche Hindernisse bei Inlandsfällen auftreten, doch geringer einzuschätzen sei. Im Ergebnis bestehe zum Europäischen Recht nur ein quantitativer, aber kein qualitativer Unterschied. 428 Vgl. unten § 18 I 4, 5 c bb; § 37. 422
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5. Parallelregelungen für Ehesachen Die Kernpunktlehre des EuGH hatte in Art. 11 I, II EuEheVO I kurzzeitig gesetzlichen Ausdruck für Ehesachen gefunden429, wenngleich in modifizierter Form: „Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedsstaaten Anträge wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien gestellt, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus…“
Darin kam zum Ausdruck, dass Streitigkeiten um den Bestand der Ehe denselben Anspruch bilden sollten, wobei dieser mit unterschiedlichen Anträgen verfolgt werden konnte.430 Die bare Existenz von Art. 11 II EuEheVO I beweist aber, dass es sich bei den Anträgen auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und auf Ungültigerklärung der Ehe nach der Konzeption des Gesetzgebers eben doch nicht um Anträge wegen desselben Anspruchs handeln kann.431 Art. 11 I EuEheVO I hatte den Inhalt der Kernpunktlehre des EuGH (Anspruchsidentität trotz Antragsverschiedenheit) bereits im Gesetzeswortlaut umgesetzt.432 Allerdings gilt es zu erkennen, dass bei Art. 11 EuEheVO I nicht so sehr der Sachverhalt die gemeinsame Klagegrundlage bildete, als vielmehr das gemeinsame Rechtsschutzziel. Der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass eine Formel für Familiensachen gefunden werden musste, die sich von Vermögenssachen unterschied, weil die Rechtshängigkeitssperre nicht sämtliche Koordinationsfragen lösen konnte.433 Auch Art. 11 EuEheVO I führte wie 429
Umfassend Dilger, Zuständigkeit in Ehesachen, S. 237 ff. P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 90 f. Der Antrag auf Ehescheidung und der Antrag auf Ungültigerklärung der Ehe betreffen im Kern zweifellos denselben Anspruch, da beide auf die Auflösung des Ehebandes abzielen. Hieraus wird zum Teil gefolgert, dass Anträge auf Trennung ohne Auflösung der Ehe eben nicht denselben Streitgegenstand hätten, MünchKomm/Gottwald, ZPO, 2. Auflage, Art. 11 EheVO Rn. 3; Rauscher/ Rauscher, Brüssel II-VO, Art. 11 Rn. 4. Weitere Differenzierungen, etwa hiernach, ob der eine Antrag auf Scheidung auf Verschulden gestützt wurde, sollten sich bereits wegen der Intention der Regelung verbieten. Im Ergebnis kann diese Frage aber für Art. 11 I, II offen bleiben, weil die Rechtsfolge identisch bleibt. Die Verfahren blockieren sich sowohl bei „echter“ als auch „unechter“ Rechtshängigkeit. Hingegen ist bei Art. 27 EuGVVO für den Prioritätseinwand entscheidend, dass identische Ansprüche vorliegen und nicht lediglich im Zusammenhang begriffene Verfahren. 431 Nagel/Gottwald, IZPR, § 5 Rn. 210. 432 Vgl. Haas, in: FS Ishikawa, S. 171; Gruber, FamRZ 1999, 1563; ders., FamRZ 2000, 1129; Dilger, Zuständigkeit in Ehesachen, Rn. 326; Kohler, NJW 2001, 10 ff.; Bericht des Sachverständigenausschusses unter der Federführung von Borrás, AblEG 1998 Nr. C 221/46 v. 16.7.1998 Rn. 52. 433 Borrás, ABlEG 1998 Nr. C 221/46 vom 16.7.1998 Rn. 52. P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 90 f., meint, dass die Formel von Art. 11 I EheVO I ganz der Kernpunkttheorie entspreche. Vgl. auch Heiderhoff, Rechtshängigkeit, S. 200 ff., 225: Streitgegenstand ist die Scheidung, egal aus welchem Grund und mit welchem konkreten Antrag. 430
186 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Art. 21 EuGVÜ und Art. 27 EuGVVO zu einer Relativierung des Streitgegenstandsbegriffs innerhalb des Europäischen Rechtsraumes.434 Der Umfang der Rechtshängigkeitssperre übertrifft hierbei wiederum den der Rechtskraft, deren Wirkungen sich nach nationalem Recht bestimmen.435 Der durch die Vorschrift ausgeschlossene Kläger hat nur die Wahl zwischen einer Widerklage und einem nachträglichen Prozess. Im Jahr 2003 ist die Vorschrift im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (= EuEheVO II) in Art. 19 EuEheVO II mit verändertem Wortlaut überführt worden.436 Insoweit wurde in Art. 19 I EuEheVO II auf die Passage wegen desselben Anspruchs verzichtet. Stattdessen wird offensichtlich unabhängig von der Frage des Streitgegenstands ein Zusammenhang konstruiert.437 Nach Art. 19 I EuEheVO II müssen lediglich Anträge im Sinne von Art. 1 I lit. a von denselben Parteien bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten gestellt werden. Die Patenschaft der Kernpunkttheorie fand keine Fortsetzung.438 Nur bei Verfahren hinsichtlich der elterlichen Verantwortung (Art. 19 II EuEheVO II) ist die Frage der Anspruchsidentität – und damit die Kernpunktlehre – weiter von Bedeutung. Der Umfang der Sperrwirkung wurde somit in Art. 19 I EuEheVO I im Vergleich zu Art. 27 EuGVVO deutlich erweitert. Andererseits zeigt der Gesetzgeber aber damit auch, dass die Frage des für die Rechtshängigkeitssperre relevanten Zusammenhangs kaum noch eine Nähe zu den nationalen Streitgegenstandsabgrenzungen aufweist. Mit dieser tatbestandlichen Erweiterung unter Verzicht auf das Anspruchselement könnte indes ein Argument gegen die Kernpunkttheorie als solche und damit auch gegen ihre Übernahme in das nationale Recht verbunden sein.439 Allerdings hat diese Theorie im Jahr 2008 in Art. 12 EuUnterhaltVO wieder einen Ausdruck gefunden.
434 Hierzu Gruber, FamRZ 2000, 1129 (1134), der den Widerspruch zwischen der Reichweite der Rechtshängigkeitssperre und der Rechtskraft eine gewöhnungsbedürftige Neuerung nennt. 435 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 III 6 Rn. 20. Gottwald weist mit Recht auf die verwandte Lösung in Art. 21 I des (gescheiterten) Entwurfs der Haager Konferenz eines Übereinkommens über die Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile vom 30.10.1999 hin; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 82. 436 Insbesondere a.A. R. Wagner, FPR 2004, 286 f.: Mit der Neufassung in Art. 19 I EuEheVO II werden die bisherigen Absätze 1 und 2 von Art. 11 zusammengefasst, ohne dass sich inhaltlich etwas ändern sollte. 437 Rauscher/Rauscher, Art. 19 Brüssel IIa-VO (= EuEheVO II) Rn. 11 f.: Auf die Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen kommt es nicht mehr an; Thomas/Putzo/Hüßtegge, ZPO, Art. 19 EuEheVO II Rn. 3. 438 Zöller/Geimer, ZPO, Art. 19 EuEheVO II Rn. 8. 439 Zu Recht kritisch Gruber zu Art. 11 EuEheVO I, FamRZ 2000, 1134, der den Widerspruch zwischen der Reichweite der Rechtshängigkeitssperre und der Rechtskraft eine gewöhnungsbedürftige Neuerung nennt.
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6. § 323 ZPO Der Kernpunktheorie des EuGH vergleichbare Lösungen werden nach Ansicht ihrer Befürworter im nationalen Recht bereits im Rahmen von § 323 ZPO bzw. nunmehr im Rahmen von § 238 FamFG erzielt.440 Hierbei decken sich nach h.A. der originäre Streitgegenstand und der Gegenstand der Abänderungsklage.441 Dies gilt auch nach der Reform des Familienverfahrensrechts im Jahr 2009 für § 238 FamFG. Diese Deutung ist insofern beifallswert, weil sie den Blick auf das materielle Streitverhältnis als solches lenkt. Die Identität soll jedoch noch weiter reichen. Hiernach betreffen nach Ansicht des BGH eine Klage/bzw. nach der Reform des Familienverfahrensrechts ein Antrag auf Abänderung des Unterhaltstitels und ein gegenläufiger Antrag der anderen Partei denselben Streitgegenstand, soweit sie denselben Zeitraum betreffen.442 Vorstellbar ist etwa, dass der Schuldner den gesunkenen Bedarf des Gläubigers geltend macht und dieser umgekehrt auf ein gestiegenes Schuldnereinkommen hinweist.443 Demgemäß ist die später erhobenene Klage nach § 261 III Nr. 1 ZPO iVm § 113 I FamFG unzulässig. Erlaubt ist lediglich ein konzentrationsfördernder Widerklageantrag.444 Bei der Betonung des Antragselements im deutschen Streitgegenstandsverständnis dürften eine Herabsetzungs- und eine Erhöhungsklage an sich keine gegenseitige Sperrwirkung entfalten. Gerüttelt wird damit an den 440 BGH FamRZ 1997, 488; BGH NJW 1998, 161 (162); BGH LM § 323 Nr. 74, mit Anm. Leipold; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 64 f.; ders., in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 461; P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 94 f. 441 OLG Karlsruhe FamRZ 1987, 397 („Streitgegenstand ist derselbe materielle Anspruch“); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 60; Johannsen/Henrich/Brudermüller, Familienrecht, § 238 FamFG Rn. 5; a.A. OLG Karlsruhe FamRZ 1984, 1247 (1248); P. Gottwald, in: FS Schwab, 151 ff. (nicht einmal partiell identisch, zumindest soweit man den veränderten Lebenssachverhalt hinzuziehe). 442 Johannsen/Henrich/Brudermüller, Familienrecht, § 238 FamFG Rn. 5 443 BGH FamRZ 2001, 905; BGHZ 148, 368. 444 BGH FamRZ 1997, 488 (aber Ablehnung einer Verweisung des zweiten Antrags analog § 281 ZPO, da ein Gerichtsstand des Sachzusammenhangs nicht existiere); auch OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 1535; Hau, ZZP 117 (2004), 48, spricht von einer suspendierenden Widerklagelast. Hingegen räumte BGH NJW 1993, 1795 f. (1796) der jeweiligen Partei für sich während des Berufungsverfahrens neu ergebende Umstände noch ein Wahlrecht dahin gehend ein, dass diese mit einer Abänderungswiderklage im Rahmen des Berufungsverfahrens oder durch selbständige Abänderungsklage in einem neuen Verfahren geltend zu machen sind, ohne dass § 322 II ZPO entgegenstünde (in Abgrenzung zu BGH NJW 1986, 383): „Weder aus diesen Fällen … lässt sich daher der Schluss, dass eine Partei zur Vermeidung der Präklusionswirkung eine Abänderungswiderklage im Vorprozess erheben muss, rechtfertigen. Das ginge über das hinaus, was der Partei an Maßnahmen der Prozesskonzentration zugemutet werden kann. Denn die Partei trägt dabei das Risiko, dass ihre Widerklage mangels Einwilligung des Gegners oder Sachdienlichkeit (§ 530 ZPO) als unzulässig abgewiesen wird … Diese Gründe wiegen so schwer, dass demgegenüber auch die Erwägung, dass die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen über einen einheitlichen Lebenssachverhalt besteht, zurücktreten muss.“ BGHZ 136, 374 steht hierzu in diametralem Gegensatz.
188 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO Grundfesten der herrschenden Streitgegenstandsdoktrin selbst. Noch unerklärlicher ist aus streng dogmatischer Warte, warum der Widerklageantrag zulässig sein soll.445 Erklärbar wäre das Phänomen hingegen mit einer Ausrichtung am materiellen Unterhaltsverhältnis als solchem. Ähnlich wie bei der Konkurrenz von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage soll die Konzentration einer Streitsache bei einem Gericht gefördert werden. Das Mittel erster Wahl ist hierzu die Widerklage. Im Zuge der Kernpunktlehre des EuGH ließe sich das Ergebnis auch nach „gemeineuropäischen Vorstellungen“ rechtfertigen. Andererseits könnte in dieser Judikatur, will man sie auf einen kleineren nationalen Nenner bringen, auch eine Wiederannäherung an ein materiellrechtliches Streitgegenstandsdenken liegen.446 Im Ergebnis betreffen konkurrierende Abänderungsklagen in erster Linie das Unterhaltsinteresse als solches, wenngleich der Streit nur um seine quantitative Bemessung kreist.447 Bei dieser Sichtweise wäre der Rekurs auf die Kernpunktlehre nicht erforderlich. Den Anknüpfungspunkt der Konzentration bildet weniger ein einheitlicher „Sachverhaltskomplex“, sondern eine abgrenzbare materiellrechtlich geprägte Streitposition.448 Auf diesen Unterschied wird im Rahmen dieser Studie noch häufiger zurückzukommen sein.449 Hinsichtlich des Umfangs der Rechtskraftwirkung wird dieses weite Streitgegenstandsverständnis vom BGH zwar nicht zu Grunde gelegt, jedoch ein der Rechtskraftwirkung ähnliches Ergebnis durch eine erweiternde Auslegung von § 323 II ZPO/§ 238 II FamFG erreicht, so dass für den Beklagten die Notwendigkeit besteht, eine Abänderungswiderklage/einen Abänderungswiderantrag zu erheben, wenn der Beklagte der Präklusion entgehen will.450 P. Gottwald sieht darin ein Modell, das für das gesamte nationale Recht fruchtbar gemacht werden könnte, de lege lata jedoch begrenzt auf die Rechtshängigkeit, da es hinsichtlich der Rechtskraft erst einer Gesetzesänderung bedürfte.451
445
Mit Recht Hau, ZZP 117 (2004), 48. Leipold, Anm. zu BGH LM § 323 ZPO Nr. 74, Bl. 4. 447 Ähnlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 25 f., der zwar von einem einheitlichen Kläger- und Beklagteninteresse ausgeht, anders als hier jedoch von zwei verschiedenen Streitgegenständen spricht. Näher zum Interesse als maßgeblichen Faktor unten § 22. Auch eine reziproke Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO stützt hier die Verfahrenskonzentration. 448 A.A. P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 95 ff., der die Nähe zur Kernpunktlehre in den Vordergrund stellt; ders., in: MünchKomm, ZPO, § 323 Rn. 5 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 323 Rn. 28 f. Vgl. auch unten § 32 IV. 449 Zur Bedeutung des materiellrechtlichen Interesses unten § 22. 450 BGH NJW 1988, 161 (162). 451 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 91 ff. Gleiches muss m.E. dann aber gelten im Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage, und zwar auch dann, wenn unterschiedliche Teile desselben Anspruchs zum Teil geleugnet bzw. gefordert werden (Gedanke des § 264 Nr. 2 ZPO). 446
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Bei der Frage, ob ein dem US-amerikanischen Prinzip der claim preclusion vergleichbarer Präklusionsumfang auch in Deutschland sinnvoll wäre, darf aber nicht vernachlässigt werden, dass beide Rechtssysteme auf völlig verschiedenen Prämissen aufbauen. Der ausufernde Umfang der res iudicata ist zu einem nicht geringen Teil der Tatsache geschuldet, dass Zivilverfahren vor der jury wesentlich aufwändiger ablaufen als ein deutscher Zivilprozess.452 Bereits aus verfahrensökonomischem Grunde besteht deswegen dort die Notwendigkeit, die Parteien an bisher erreichte Prozessergebnisse zu binden bzw. Klagerechte auszuschließen.
7. Gerichtsstand des Sachzusammenhangs und Streitgegenstand Die Ausrichtung des Streitgegenstands an einem funktionell abgegrenzten Sachverhalt würde in praxi das Entstehen eines in Deutschland bisher nicht existenten allgemeinen Konnexitätsgerichtsstandes befördern.453 Im gemeinrechtlichen Schrifttum454 wie in der damaligen Judikatur455 fand die Zuständigkeit kraft Konnexität vielfältige, wenngleich nicht immer erhellende Erörterung. Nur wenig übertrieben mutet deswegen die Aussage von Planck im Jahre 1844456 an: „Es scheint mir, dass das Prinzip eines solchen Gerichtsstandes wegen seiner vagen Allgemeinheit ganz untauglich ist zu einer wissenschaftlichen Entwicklung.“
Immerhin existierten in den Prozessrechtsordnungen der deutschen Partikularstaaten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts partiell Konnexitätsgerichtsstände unterschiedlichen Umfangs.457 Dabei handelte es sich um Zuständigkeiten, welche über den einzelnen Streitgegenstand hinaus alle hiermit zusammenhängenden Rechtsstreitigkeiten (nicht nur über Nebenfragen) erfassen sollten. Exemplarisch lautete Art. 33 III der Bayerischen Proceßordnung: „Rechtsstreitigkeiten derselben Parteien, welche in solcher Verbindung stehen, dass die Verhandlung und Entscheidung durch verschiedene Gerichte nicht ohne Nachtheil erfol452
Vgl. oben § 13 II 1 und Engelmann-Pilger, S. 71; Grobe, S. 20 f. Bruns, ZPR, § 44 II, III hatte für das deutsche Recht einen am Rechtsverhältnis und am Anspruchsgrund als solchem orientierten Rechtskraftumfang vorgeschlagen. Kritisch Schröder, FamRZ 1969, 348 f. 453 Weitergehend hingegen die französische, belgische und italienische Rechtsordnung, vgl. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 783 ff., 833 f. Vgl. auch oben § 14 II. 454 OAG Kassel, v. 20.10.1830, SeuffA III Nr. 373; OTrib. Stuttgart, v. 12.10.1846, SeuffA XVI Nr. 76. 455 Wetzell, System, § 41, S. 505 ff.; v. Planck, Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten, S. 340 f.; Wach, Handbuch, S. 487. 456 v. Planck, Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten, S. 531. Zu pessimistisch empfindet hingegen diese Aussage Schröder, Internationale Zuständigkeit, S. 557. 457 Umfassend, Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 547 ff.
190 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO gen kann, sind, wenn eine Partei es beantragt, bei einem und demselben Gerichte zu verhandeln und zu entscheiden.“458
Indes zeigt die Formulierung deutlich, dass die Verbindung durch die Initiative einer Partei zustande kommen sollte, jedoch nicht durch gerichtlich verordneten Zwang. Auch Wetzell verlieh dem „Gerichtsstand der Abhängigkeit“ in seinem Lehrbuch des Zivilprozessrechts bereits in allgemeiner Weise Anerkennung459, wobei er darauf hinwies, dass dieser stets in das Belieben des Klageberechtigten gestellt sei. Aufnahme hat ein allgemeiner Gerichtsstand des Sachzusammenhangs in die CPO von 1877 dennoch nicht gefunden460, wenngleich der Aspekt im Rahmen einzelner Zuständigkeiten anklingt.461 So sehen etwa §§ 25, 26 ZPO als konkurrierende besondere Gerichtsstände eine sachliche Vereinigung zusammenhängender Streitkomplexe vor. Im europäischen Prozessrecht enthält Art. 6 Nr. 4 EuGVVO eine entsprechende Regelung. Bei den Verhandlungen der Kommission für eine allgemeine Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten wurde ein entsprechender Antrag in Bezug auf die Einführung eines allgemeinen forum connexitatis gestellt462, jedoch mehrheitlich abgelehnt. Verfahrenskoordination sei auch über die Einrede der Rechtshängigkeit bzw. wie in Frankreich463 über die Konnexitätsein-
458 Vgl. Dahlmanns, Neudrucke zivilprozessualer Kodifi kationen und Entwürfe, Bd. 4, S. 9; näher K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 547. 459 Wetzell, § 41, S. 505 ff. 460 Vgl. die symptomatische Aussage der Hannoveranischen Prozessrechtskommission, Protocolle der Kommission zur Beratung einer allgemeinen Zivilprozessordnung für die deutschen Bundesstaaten II, S. 575, wonach „der Begriff der Konnexität, obwohl geeignet, als legislatives Motiv für besondere Normen über Gerichtszuständigkeit zu dienen, seiner Unbestimmtheit wegen doch ganz ungeeignet sei, um darauf generell einen Gerichtsstand zu gründen.“ 461 Vgl. auch Hahn/Mugdan, Bd. 2 Abth. 1, S. 155 (zu § 25 ZPO), S. 158 (zu §§ 33 und 34 ZPO), S. 396 (zu § 603 II ZPO). 462 „Wenn bei verschiedenen Gerichten desselben Bundesstaats Rechtsstreitigkeiten unter denselben Parteien verhandelt werden, welche in einem solchen Zusammenhange stehen, daß, bei vorhandener Zuständigkeit eines jeden dieser Gerichte, widersprechende Entscheidungen über dasselbe Rechtsverhältnis erfolgen könnten, und dies von einer Partei beantragt wird, ist die Verhandlung und Entscheidung dieser Streitigkeiten an eines dieser Gerichte zu verweisen“, vgl. Protocolle der Commission zur Beratung einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten, XVIII bis L, S. 578. Die Verbindung von Streitigkeiten sollte damit nicht entsprechend § 147 ZPO auf ein Gericht beschränkt bleiben. Gegen den Antrag wurde u.a. vorgebracht, dass es inkonsequent sei, eine gerichtsübergreifende Verbindung anzuerkennen, aber einen allgemeinen Konnexitätsgerichtsstand nicht, näher K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 547 f. 463 Art. 101 CPC regelt in Frankreich den Konnexitätseinwand einer Partei. Das Gericht kann den Rechtsstreit dann bindend weiterverweisen, vgl. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 783.
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rede zu erreichen.464 Erwähnenswert erscheint aber der Vorschlag Rosenbergs im Rahmen seiner Stellungnahme zum Reformentwurf von 1931465: „Werden aus demselben tatsächlichen Vorgang mehrere Ansprüche oder mehrere Klagegründe hergeleitet, so ist das für einen der Ansprüche oder Klagegründe zuständige Gericht auch zur Entscheidung über den anderen Anspruch oder Klagegrund zuständig. Das gleiche gilt, wenn mehrere Ansprüche geltend gemacht werden, die in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen.“
In der heutigen Diskussion spielt ein allgemeiner Konnexitätsgerichtsstand in Deutschland in einem über für den konkreten Streitgegenstand hinausgehenden, auch verwandte Streitigkeiten einbeziehenden Verständnis kaum eine Rolle, wenngleich eine Vereinigung sachlich und rechtlich zusammenhängender Klagen bei einem Gericht sicherlich aus Gründen der Prozessökonomie und der Vermeidung widersprechender Entscheidungen erstrebenswert ist.466 Lediglich der Bericht der Kommission für das Zivilprozessrecht enthält hierzu noch einen Vorschlag467, der jedoch keinen gesetzgeberischen Widerhall gefunden hat. Der wissenschaftliche Diskurs galt im 20. Jahrhundert vor allem der Konstellation der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz.468 Hier beförderte die Entwicklung hin zum prozessualen Streitgegenstandsbegriff auch neue Lösungsansätze für die richterliche Kognitionsbefugnis bei den besonderen Zuständigkeiten der ZPO.469 Die Frage der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhang wird mittlerweile auch als ein Streitgegenstandsphänomen gedeutet.470 Der Titel „Gerichtsstand des Sachzusammenhangs“ verdeckt dabei den eigent-
464
Protocolle, aaO., S. 578 f.; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 549. Entwurf einer Zivilprozessordnung, veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium, Berlin (1931); hierzu Rosenberg, ZZP 57 (1933), 212 ff. (für Anspruchsgrundlagenkonkurrenz und objektive Klagenhäufung). 466 Spellenberg, ZVglRWiss 79 (1980), 89, 120 ff.; ders. ZZP 95 (1982), 17, 32. § 147 ZPO leistet nur einen geringen Beitrag. 467 Bericht der Kommission für das Zivilprozessrecht (hrsg. vom Bundesministerium der Justiz), S. 69, 275, auch für die objektive Klagenhäufung. § 32 a ZPO-E lautet: „(1) Werden mehrere Ansprüche, die in rechtlichem Zusammenhang stehen, gegen den selben Beklagten geltend gemacht, so ist jedes für einen Anspruch zuständige Gericht auch für die anderen Ansprüche zuständig. Dies gilt nicht für einen Anspruch, für den ein anderes Gericht ausschließlich zuständig ist. (2) Abs. 1 S. 1 gilt entsprechend bei mehrfacher Begründung eines Klageanspruchs.“ Vgl. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 562 f. Ein Zwang zur Verfahrenskonzentration wird daraus nicht hergeleitet. 468 Für einen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs etwa: F. Baur, in: FS v. Hippel, S. 1, 12 f.; Fischer, ZZP 49 (1925), 353; Nikisch, Streitgegenstand, S. 59 ff.; ders., AcP 154 (1954), 263 ff.; unterscheidend Grunsky, JZ 1971, 337 f.; ausführlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 1 Rn. 10 f. 469 K.H. Schwab, in: FS Zeuner, S. 510. 470 In diesem Sinn auch M. Vollkommer, in: FS Deutsch, S. 385 (403); Schwab, in: FS Zeuner, S. 510 f.; ders., in: FS Rammos, Bd. II, S. 845 ff.; Nikisch, Der Streitgegenstand im Zivilprozess, S. 157 ff. 465
192 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO lichen Problemkern471 und sollte der Formulierung „Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs“ weichen. Dabei handelt es sich etwa um die Frage, ob ein aus einem Lebenssachverhalt resultierender Schadenersatzanspruch, der sowohl auf eine vertragliche als auch eine deliktische Grundlage gestützt wird, bei einem Gericht beschieden werden kann.472 Zweifellos möglich ist dies am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten (§§ 12, 13 ZPO). Fraglich erscheint dies hingegen für das forum delicti (§ 32 ZPO) bzw. den Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes (§ 29 ZPO). Die Beispiele ließen sich für § 29 c ZPO bzw. § 25 ZPO vervielfältigen. Der Frage eines normativ begrenzten Streitgegenstands wird noch bei der Bemessung des Rechtskraftumfangs nachzugehen sein.473
8. Fazit und vorläufige Stellungnahme Das deutsche Prozessrecht bietet mit seiner funktionalen Ausrichtung am subjektiven Recht nur begrenzte Möglichkeiten zur Häufung und Bündelung konnexer Sachverhalte. Der Begriff des Streitgegenstands nach herkömmlichem Verständnis eröffnet hierzu – etwa über den Rechtshängigkeitseinwand (§ 261 III Nr. 1 ZPO) – wenig Handhaben, was sich bei einer Rezeption der Kernpunkttheorie zweifellos schlagartig ändern würde. Die Gleichsetzung des prozessualen Anspruchs mit dem funktionell abgegrenzten Lebensverhältnis könnte zwar einen allgemeinen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs befördern: So sieht Kerameus474 gerade den tieferen Grund für die Kernpunkttheorie in der Absenz eines europäischen Gerichtsstandes des Sachzusammenhanges.475 Doch würde m.E. damit an den Grundstrukturen eines bisher am subjektiven Recht und weniger am Rechtsverhältnis orientierten materiellen und prozessualen Rechtsverständnisses gerüttelt.476 Insbesondere könnten damit einzelne Vorschriften wie § 148 ZPO funktionslos werden, was der Übernahme jedoch nicht zwingend entgegenstünde. Im Ergebnis handelt es sich um eine Maß- und Gradfrage, die sich an einzelnen Fallgruppen zu orientieren hat. 471 So u.a. BGH FamRZ 1997, 488; Baur, in: FS Hippel, S. 1; vgl. aber Banniza von Bazan, S. 10 ff. 472 Hierzu H. Roth, in: FS Schumann, S. 355 f. Abgelehnt wird dies bisher für Art. 5 EuGVVO: Der EuGH hat bekanntlich im Rahmen von Art. 5 Nr. 1, 3 EuGVVO allen Entwicklungen hin zu einem europäischen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs durch eine enge autonome Auslegung von Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVVO Einhalt geboten, vgl. Urt. v. 27.9.1988, Rs. 189/86 – Kalfelis gegen Bankhaus Schröder, Slg. 1988, 5565 f.; hierzu kritisch deswegen P. Gottwald, IPRax 1989, 272. 473 Vgl. unten § 30 VIII. 474 Kerameus, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 456. 475 Dies wurde vom EuGH versucht, durch eine weite Auslegung der Rechtshängigkeitsvorschriften auszugleichen, oben § 15 II 1, 2. 476 Zur Rolle des subjektiven Rechts näher unten § 21.
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Eine Rezeption um jeden Preis erscheint nicht sinnvoll, zumal der von einigen Befürwortern beschriebene Wettbewerbsnachteil der deutschen Streitgegenstands- und Rechtskraftlehre bisher ohne Nachweis blieb. Ob die Übernahme der Kerpunkttheorie – zumindest für die Rechtshängigkeit – 477 zu einer „heilsamen Konzentrationslast“478 führt, erscheint auch deswegen zweifelhaft, da sich bisher nur Fallgruppen herausgebildet haben, aber noch kein geschlossenes Gesamtbild abzeichnet.479 Ihre Rezeption trüge unweigerlich die auf europäischer Ebene bestehenden Unsicherheiten auch in das nationale Recht hinein. Deswegen betont in jüngster Zeit R. Stürner wieder die im Klageantrag zum Ausdruck kommende Bedeutung der Parteidisposition. Die vom EuGH angestrebte Entwicklung im Rahmen der Kernpunkttheorie sei insoweit verfehlt: „Der Europäische Gerichtshof … hat die Zeichen der Zeit insoweit verkannt, wenn er einen eher am historischen Sachverhalt orientierten Streitgegenstandsbegriff angloamerikanischen Grundmusters zumindest in Ansätzen vertritt … In großen Rechtsräumen mit weitreichender Urteilsgeltung erscheint allein die antragsabhängige Streitgegenstandsbestimmung mit ihrer formalen Rechtsklarheit befriedigend, die bei der Festlegung der Anerkennungswirkungen auch die schwierige Prüfung der unterschiedlichen materiellen Entscheidungsbasis erspart.“480
Der Begriff des Streitgegenstands kann (und soll) überdies nur einen begrenzten Beitrag zur Verfahrenskonzentration leisten. Er wirkt hierbei in Form der Rechtshängigkeitssperre präventiv481, ohne dass automatisch eine Verbindung sachlich zusammengehöriger Streitigkeiten stattfände, wobei u.U. an Stelle einer Abweisung wegen Unzulässigkeit an eine antragsabhängige Verweisung (entsprechend § 281 I ZPO) als milderes Mittel zu denken wäre.482 Im Rah477 Weitergehend für doppelgleisige Rechtsschutzkonkurrenzen im Nachbarrecht Zieglmeier, S. 159 ff. 478 So Leipold, Wege zur Konzentration, S. 20, 22 f., der nicht für eine Abweisung der Erstklage, sondern deren Verweisung an das Erstgericht nach § 281 ZPO eintritt; anders noch ders., in: GS Arens, S. 227 (244 f.); auch P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 85 (94). 479 Konkretisierungsbedarf für die Kernpunkttheorie sieht deswegen auch Leipold, in: GS Arens, S. 244 f. 480 R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1065 f. Im Jahre 1997 hatte er hingegen noch eine, bereits erwähnte andere Prognose gewagt, siehe oben Einleitung I. 481 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 549; hiergegen wird eingewandt, der Einwand der Rechtshängigkeit sei kein geeignetes Mittel zur Konzentration, insbesondere in den interessierenden Fällen offensichtlicher Streitgegenstandsmehrheit. Deswegen sei die Verbindung von bei verschiedenen Gerichten anhängigen Streitigkeiten notwendig. Landesweite Parallelprozesse bei konnexen Verfahren sind angesichts des engen Wortlauts von § 147 ZPO stets möglich, K. Otte, aaO., S. 591 und 595. Eine nachträgliche Klagenverbindung entsprechend Art. 28 EuGVVO ist der ZPO unbekannt. 482 Grenzüberschreitend McGuire, ZfRV 2005, 83 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 321.
194 Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EuGVVO men der weiteren Arbeit soll vor allem der Frage nachgegangen werden, welchen Beitrag eine Ausrichtung auf die konkreten Rechtsschutzinteressen von Kläger und Beklagtem zur Verfahrenskonzentration leisten kann483, ohne zugleich die Nachteile der Kernpunktlehre zu importieren. Insbesondere gilt dies für divergierende Rechtsfolgenanordnungen.484 Ihre Rezeption wäre somit nicht erforderlich, wenn sinnvolle Maßnahmen zur Verfahrenskonzentration auf schonendere Weise umgesetzt werden könnten. Als Anregung wäre etwa die Lösung des Verhältnisses zwischen Leistungsklage und negativer Feststellungsklage zu überdenken.485 Eine ungeprüfte Übertragung europäischer Begrifflichkeiten in nationale Konzepte mit derart weitreichenden Folgen ist dagegen nicht zu empfehlen.486 Dabei hat insbesondere A. Zeuner das Bild eines sinnvollen Nebeneinanders beider Rechtsebenen trefflich beschrieben: Europäisches und nationales Recht seien als zusammengehörige Teile einer umfassenden Gesamtrechtsordnung zu verstehen, was aber nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, dass sie in ihren jeweiligen Regelungsbereichen durchaus eigenständig sind.487 Deswegen können innerstaatliche und europäische Rechtshängigkeit trotz ihrer sich im Ansatz ergebenden Gemeinsamkeiten nebeneinander stehen, ohne sich in ihren Folgen gegenseitig zu stören. Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO ist keine allgemeine über den internationalen Regelungsbereich hinausreichende Wertentscheidung gegen das deutsche Streitgegenstandsverständnis zu entnehmen.488 Das Verhältnis der nationalen und europäischen Rechtshängigkeitsregelungen ist somit im Sinne eines funktionsbezogenen systematischen Ineinandergreifens der Teile einer umfassenden Gesamtrechtsordnung zu verstehen, so dass sich unmittelbare Folgerungen aus der europäischen Regelung in anderen Bereichen, wie im Verjährungsrecht, ergeben könnten. So muss einer die europäischen Rechtshängigkeitswirkungen auslösenden Klage vor einem mitgliedstaatlichen Gericht unabhängig von der Frage der Anerkennungsprognose verjährungshemmende Wirkung zuerkannt werden.489
483
Näher unten § 26. Allgemeiner K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 792 f., der bei verschiedenen Rechtsschutzinteressen (im Falle der Klagenhäufung) die Ermittlung einer allgemeinen Entscheidungszuständigkeit durch das prägende Rechtsschutzinteresse für denkbar hält, S. 797. 485 Walker, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 461 f. 486 Die Situation ist dabei eine völlig andere, wenn lediglich in Teilgebieten neue Institute mit der Möglichkeit der Bewährung Anwendung finden (vgl. die Überlegungen zur Einführung einer allgemeinen Sammelklage bzw. dem KapMuG bei gleichgerichteten Gläubigerinteressen, BT-Drs. 15/5091, S. 1 f.; Micklitz/Rott, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Rn. 610. 487 Zeuner, in: FS Bydlinski, S. 510. 488 Zeuner, in: FS Bydlinski, S. 511 f.; Nieroba, S. 164 f. 489 Zeuner, in: FS Bydlinski, S. 511 f.; ders., in: FS Lüke, S. 1020; Nieroba, S. 164 f. 484
§ 16 Rezeption der Kernpunkttheorie durch die nationalen Prozessrechte
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Im Übrigen sei nochmals darauf hingewiesen, dass sich der deutsche Gesetzgeber (zum BGB) bereits an verdeckter Stelle vor über 100 Jahren gegen die Übernahme der Merkmalskette Objekt und Gegenstand eines Verfahrens aus dem französischen Recht ausgesprochen hat.490 Diese Absage könnte mittelbar auch dem an der französischen Sprachfassung zu Art. 21 EuGVÜ orientierten Kernpunkttheorie des EuGH entgegengehalten werden.
490 Vgl. bereits oben § 15 III: „Die Übereinstimmung eines erhobenen Anspruches mit einem bereits früher zurückgewiesenen wird erkannt aus der Vergleichung des Inhalts des Urtheiles, soweit es der Rechtskraft fähig ist, mit dem Inhalte der neuen Klage … Mit Sätzen, wie solche in 1.12, 13, 14 pr. D. 44,2 enthalten sind, ist nichts gewonnen. Ebenso wenig befriedigt die Bestimmung des öst. GB. § 12, dass Urtheile auf andere Fälle nicht ausgedehnt werden können, oder die Vorschrift des Code Civile 1351 (nied. GB. 1355 Abs. 2, ital. GB 1351): il faut que la chose demandée soit la même, que la demande soit fondée sur la même cause“, so die Motive der Ersten Kommission zum BGB, Mugdan, Materialien I, S. 556.
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Vierter Teil:
Grundlagen des eigenen Verständnisses § 17 Generalia I. Streitgegenstand und Normzweck Die Problematik des Streitgegenstandsbegriffs resultiert im Ergebnis aus einem Identitätsvergleich1 und dürfte jeder Verfahrensordnung immanent sein. Seine Bestimmung hat sich dabei, soll dieser kein begriffsjuristischer Selbstzweck bleiben, am konkreten Gesetzeswerk zu orientieren. 2 Entgegen der Ansicht Schwabs 3 kann der Streitgegenstand in Abhängigkeit zur jeweiligen prozessualen Gesamtkonzeption einen jeweils anderen Umfang und Inhalt haben, wie rechtsvergleichende Studien gerade belegen.4 Der prozessuale Anspruch ist somit keine dem Gesetzgeber naturgemäß vorgegebene Begrifflichkeit, welche in der jeweiligen Verfahrensordnung lediglich noch zu umschreiben wäre.5 Zwar brächte eine induktive Vorgehensweise6 den Vorteil mit sich, frei von jeglichem gesetzlichen Korsett schöpferisch tätig werden zu können. Jedoch läge darin auch ihr wesentlicher Nachteil begründet. Das Wunschbild entwickelte sich leicht zur Realität.7 Zutreffender erscheint der deduktive Ansatz Habscheids8, der sich dem Begriff des prozessualen Anspruchs durch Zusammenschau aller 1
Ekelöf, ZZP 85 (1972), 145; Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 61. Habscheid, Streitgegenstand, S. 108 (Fn. 8). 3 Schwab, Streitgegenstand, S. 1 f. 4 Vgl. hierzu etwa die Studie von Isenburg-Epple, S. 170 f. und § 15 I 1; Habscheid, Streitgegenstand, S. 108: Ein Verfahren, das den Satz „ne eat iudex ultra petita partium“ nicht kenne, habe einen anderen Streitgegenstand als der deutsche Zivilprozess, für den dieses Prinzip in § 308 ZPO eine Institution sei. 5 So Schwab, Streitgegenstand, S. 5: eine Erscheinung, „die der Gesetzgeber vorfi ndet, die er aber nicht im eigentlichen Sinne selbst schaffen kann.“ Zu Recht kritisch Brox, JuS 1962, 125: Es sei denkgesetzlich sehr wohl möglich, dass der Gesetzgeber den Streitgegenstand von sich aus weiter oder enger fassen könne. 6 Schwab, Streitgegenstand, S. 59 f., hat im Ergebnis einen induktiven Ansatz gewählt, obgleich er nach seiner eigenen Arbeitshypothese den Streitgegenstand von „seinen Bewährungsproben“ her entwickeln will. Dies stellt einen methodischen Widerspruch dar. Zur Kritik auch Nikisch, AcP 154 (1954), 272; Habscheid, Streitgegenstand, S. 107. 7 Habscheid, Streitgegenstand, S. 107; Nikisch, AcP 154 (1954), 272. 8 Habscheid, Streitgegenstand, S. 107. Dieser aus einer Zusammenschau der prozessualen 2
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Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
Bestimmungen des Verfahrensrechts annähern will, die diesen Zentralbegriff beträfen. Inhalt und Umfang des Prozessgegenstandes sind der ZPO jedoch nur in rudimentärer Weise zu entnehmen. Seine Erfassung und Ausformung ist deswegen auch eine Frage der Rechtspolitik.9 Da die ZPO keine eigene Definition des Streitgegenstands kennt, muss auf den Zweck der Einzelbestimmungen zurückgegriffen werden10, wobei sich die teleologisch-funktionelle Auslegungsmethode11 für das Prozessrecht gerade anbietet. Die prozessuale Hermeneutik ist dabei Teil der allgemeinen Methodenlehre des Rechts.12 Dementsprechend gilt es zunächst, den Zweck der jeweiligen „Bewährungsproben“ des Streitgegenstands zu ermitteln13, wobei häufig mehrere Prozesszwecke miteinander konkurrieren, so dass eine Abwägung erforderlich ist.14 Inwieweit eine Synthese der isoliert gewonnenen Ergebnisse gelingt, erscheint deswegen zunächst noch offen. Zweifel an der Übertragbarkeit von Ergebnissen hatte bereits frühzeitig O. Fischer angemeldet: „Wenn die Identitätsfrage nur in Bezug auf den Zweck des einzelnen Instituts gelöst werden kann, so verbietet es sich von selbst, die bei der Klageänderung gewonnen Ergebnisse einfach auf diese [anderen] Fälle zu übertragen“.15
Vorschriften, die eine Aussage über ihn treffen, entwickelte Streitgegenstandsbegriff soll wiederum seine Bewährungsprobe an den einzelnen Instituten erfahren. 9 Vgl. Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VI 2 Rn. 36. 10 Vgl. auch Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 59 f. Die Auslegung der ZPO muss die Zielsetzung der jeweiligen Einzelregelung realisieren. 11 Gaul, AcP 168 (1968), 28 f. Hingegen ist Goldschmidts, Prozeß, S. 227 ff., prozessuale Betrachtungsweise unteleologischer Art: Das „moralinfreie“ Prozessrecht sei von materiellrechtlichen Vorstellungen wie von teleologischen Erwägungen zu befreien. Zusammenfassend Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 49, 50: Die Lehre Goldschmidts sei mit der dienenden Funktion des Prozesses unvereinbar. 12 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. Rn. 46. 13 Die Orientierung am Zweck der Norm ist gerade für den Zivilprozess anerkannt, Hegler, in: FG Heck/Rümelin/Schmidt, S. 232 f.; kritisch v. Hippel, ZZP 65 (1952), 424 f., 431. 14 Der Gesichtspunkt der Prozessökonomie ist gegenüber den anerkannten Zwecken sekundär. Eine Überbetonung des Rechtsschutzbedürfnisses als Allgemeinplatz gilt es zu vermeiden, vgl. auch Lent, in: FS Pohle, S. 193 f. 15 Überzeugend O. Fischer, in: Festgabe zum Doktorjubiläum Rudolf von Iherings, S. 45 f.: Die Identitätsfrage könne nur in Bezug auf den Zweck des einzelnen Instituts gelöst werden. Die Ergebnisse bei der Klageänderung dürften nicht ohne weiteres auf die Rechtshängigkeit und Rechtskraft übertragen werden. Im Gegensatz zur Rechtshängigkeit und Rechtskraft, bei der es jeweils um die Frage der Identität gehe, spiele bei der Klageänderung die Nichtidentität oder Neuheit die entscheidende Rolle als Voraussetzung der statuierten Rechtswirkungen.
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II. Ausgleich zwischen Klägerund Beklagteninteressen Bei der Ermittlung des prozessualen Anspruchs ist ein besonderes Augenmerk auf den Ausgleich zwischen Kläger- und Beklagteninteressen zu richten. Hierbei dienen die Regelungen der eingeschränkten Zulässigkeit der Klageänderung neben prozessökonomischen Aspekten auch den Interessen und dem Schutz des Beklagten.16 Dieser hat Anspruch auf eine Sachentscheidung über den ursprünglichen Klageantrag und soll sich in einem Verfahren nicht gegen einen geänderten Angriff verteidigen müssen.17 Auf der anderen Seite haben Kläger und Gericht ein berechtigtes Interesse an einer alsbaldigen Erledigung des Streitstandes. Dieser Zielkonflikt wird in bestimmten Fällen zugunsten des Klägers entschieden, § 264 Nr. 2, 3 ZPO. Die Änderung des Antrags wird erlaubt, wenn der Klagegrund derselbe bleibt. Denn die Verteidigung des Beklagten wird nach Auffassung des Gesetzgebers in erster Linie durch einen neuen Lebenssachverhalt erschwert. Diese Vorschrift verdient über ihre Interpretation als Ausnahmeregel hinaus insgesamt verstärkte Beachtung.18 Der prozessuale Anspruch sollte, wie dieses Beispiel zeigt, zumindest versuchen, im Rahmen seiner prozessualen Bewährungsproben Kläger- und Beklagteninteressen in angemessener Weise zum Ausgleich zu bringen.
III. Das Einheitsdogma Nach überwiegender Ansicht soll eine voneinander abweichende Bestimmung von Streit- und Urteilsgegenstand nicht den zwischen Rechtskraft, Rechtshängigkeit und Klageänderungssperre bestehenden funktionalen Zusammenhängen entsprechen.19 In diesem Einheitsdogma20 liegt ein Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten der Begriffsjurisprudenz. Denn durch die Betrachtung von Einzelbestimmungen wird ein Obersatz gewonnen, der zwar für die angeschauten Bestimmungen zutrifft, aber nicht für die nicht ausdrücklich in Betracht gezogenen. Von solchen allgemeinen Deduktionen ist abzuraten. 21 Die Einheitlichkeit an 16
BGH NJW 1996, 2869. Gegen eine Orientierung am (veränderten) Verteidigungskonzept des Beklagten Herrmann, Grundstruktur, S. 52 ff. 18 Hierzu unten § 23. 19 Zu relativen Ansätzen bereits oben § 11; Lüke, Zivilprozessrecht, Rn. 159 f. 20 Bezeichnend Schwab, Streitgegenstand, S. 73: „Das Ziel jeder Streitgegenstandslehre muss es sein, einen einheitlichen Begriff des Streitgegenstands zu fi nden, der sich bei allen Klagen und bei allen Einrichtungen bewährt, für die der Streitgegenstand von Bedeutung ist.“ 21 Auch K. Blomeyer, ZZP 65 (1952), 58, hat die Einheitlichkeitsbestrebungen in der Wis17
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sich stellt keinen absoluten Wert dar, der einer durch die jeweilige Prozesssituation vorgegebenen Modifikation des Begriffes Einhalt gebieten könnte. Für eine praktikable Definition ist eine Zusammenschau sämtlicher Bestimmungen der ZPO, die an den Begriff des Streitgegenstands anknüpfen, somit nicht erforderlich, sondern mitunter hinderlich 22, wie das jahrzehntelange Ringen der Wissenschaft um einen Einheitsbegriff deutlich zeigt. Geboten ist lediglich die Einbeziehung derjenigen Prinzipien, die für den jeweiligen Verfahrensabschnitt maßgeblich sind und diesen prägen. Diese Zusammenhänge gilt es im Folgenden zu ermitteln. Dabei hat der Streitgegenstandsbegriff der prozessdynamischen Entwicklung Rechnung zu tragen. 23 Viele Streitgegenstandslehren sind im Übrigen weder gänzlich richtig noch falsch. 24 Deswegen erscheint auch eine Kombination verschiedener Versatzstücke denkbar, sofern prozessuale Notwendigkeiten dies nahe legen. 25 Ein am Normzweck orientiertes Vorgehen birgt weder die Gefahr eines Verfalls juristisch-systematischen Denkens in sich, noch begünstigt es Atomisierungstendenzen. 26 Im Gegenteil begünstigt gerade die Einheitslehre eine Vereinfachung des Denkens.27 Unausgesprochen wird auch die Judikatur dem postulierten Einheitsdenken keineswegs immer gerecht. 28 senschaft in Frage gestellt und die Vorzüge einer relativen, prozessdynamischen Sichtweise betont. 22 A.A. Habscheid, Streitgegenstand, S. 107. Richtig ist jedoch seine Feststellung, dass in jedem Fall die Verfahrensmaximen einzubeziehen sind. 23 Prütting, in: FS Beys II, S. 1273; anders Arens, JuS 1964, 396: „Es gibt nur einen Streitgegenstandsbegriff (wie immer man diesen definieren mag), der für alle Stadien des Prozesses derselbe bleibt. Der Begriff des Streitgegenstands erhält seinen praktischen Wert gerade dadurch, dass er den Maßstab für die Beantwortung der Fragen liefert, wann eine Klageänderung oder eine Klagehäufung vorliegt, wie weit Rechtshängigkeit und Rechtskraft reichen. Dieser Aufgabe, deren Erfüllung für den Verlauf des Prozesses von größter Bedeutung ist, würde ein Streitgegenstandsbegriff nicht gerecht werden, der je nach Bedarf innerhalb desselben Prozesses beliebig verändert werden könnte. Gegenüber der Wichtigkeit dieser abgrenzenden Funktion können Billigkeitserwägungen des Einzelfalles nicht durchdringen.“ Freilich kann diese Abgrenzungsfunktion auch gerade voll zum Zuge kommen, wenn die wirklichen Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Institute herausgearbeitet werden. 24 Schlosser, ZPR, Rn. 412 f. Vgl. auch Motulsky, Rec. D. 1968, chron., 1 ff. Nr. 2, 8. 25 Ähnlich Fritzsche, Unterlassungsklage, S. 574 Fn. 264. 26 Mit Recht Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 48. Für normzweckorientierte Vorgehensweise auch Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung, S. 350 ff.; ders. in: MünchKomm, ZPO, vor § 253 Rn. 36; Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 176. 27 Eckelöf, ZZP 85 (1972), 145. 28 Dies gilt insbesondere für den von ihr in der Sache postulierten verjährungsspezifischen Gegenstandsbegriff, näher unten § 23 II 3. Ein ähnliches Bild bietet sich auch für die Konkurrenz zwischen vertraglichem und dinglichem Herausgabeanspruch (§ 985 BGB): BGHZ 9, 22 nimmt bei sukzessiven Prozessen keine übergreifende Rechtskraftwirkung an, aber bei einer Verbindung dieser Streitgegenstände in einem Prozess keine Klagenhäufung. Ähnliches gilt für die besondere Ausgestaltung der aktienrechtlichen Nichtigkeits- und Anfechtungsklage (§ 241 f. AktG): BGHZ 152, 1 (5) (mit Anm. H. Roth LM § 241 AktG 1965 Nr. 9) geht zwar vom herrschenden zweigliedrigen Verständnis aus, fasst den Begriff des Kla-
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Auch der Hinweis, eine einheitliche Bestimmung des Streitgegenstands sei unter verfahrenspragmatischen Gesichtspunkten geboten, um die Berechenbarkeit von Entscheidungen in wesentlichen prozessualen Fragen sicherzustellen 29, verfängt nur zum Teil. Der Aspekt der Rechtssicherheit kann nicht über durch die jeweilige Regelung gebotene teleologische Korrekturen hinwegtäuschen.30 Die Relativität des Streitgegenstands zeigt sich dabei auf sehr unterschiedliche Art und Weise. In der Regel beruhen Veränderungen auf dem (dynamischen) Verfahrensablauf. Jedoch erscheint nicht ausgeschlossen, dass sich eine variable Sichtweise auch an der Trias der Klagearten orientiert. Auch die Auslegung von Art. 27 I EuGVVO führt zweifellos dazu, dass der europäische Verfahrensgegenstand in keinen korrespondierenden Begriff des Urteilsgegenstandes mündet, bleiben hier doch die nationalen Vorstellungen weiter maßgeblich.31 Selbst der Gesetzgeber der CPO scheint z.T. von einem variablen Verständnis ausgegangen zu sein, wie die unterschiedliche Handhabung der Bedeutung des Klagegrundes bei § 146 ZPO und § 264 ZPO noch zeigt.32
IV. Die dynamische Entwicklung des Prozesses Die bereits angesprochene dynamische Seite des Zivilprozesses33 wird im Rahmen der Streitgegenstandsdiskussion zu Unrecht ausgeblendet. In dieser zeitlichen Entwicklung des Prozesses will Baumgärtel aber mit Recht die dritte Dimension neben der materiell- und prozessrechtlichen Ebene des Verfahrens(ablaufs) erkennen. 34 Für die Auslegung der ZPO sind der Aspekt der Dynamik und Finalität zweifellos von Bedeutung.35 Maßgeblich ist die Vorstellung vom Prozess als ein über verschiedene prozessrechtliche Stadien fortschreitendes Geschehen36, die einer eher statischen Betrachtung des materiellen Rechts gegegrundes aber – im Sinne der eingliedrigen Lehre – denkbar weit; MünchKomm/BeckerEberhard, ZPO, § 260 Rn. 5. 29 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, vor § 253 Rn. 32 f.; Otto, Präklusion, S. 107. 30 So MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 115 f.: Die Regeln der Klageänderung, Rechtshängigkeit und Rechtskraft wollten einheitlich zur Konzentration des Prozessstoffes beitragen. Wenngleich sämtliche Institute zur Konzentration ihren Beitrag leisten, kann dieser m.E. durchaus verschieden groß sein. 31 Ein relativeres Verständnis fi ndet sich im Hinblick auf die Übernahme der Kernpunktlehre des EuGH aber nunmehr auch bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 Rn. 19, 22. 32 Bub, Streitgegenstand, S. 208. Bei § 264 ZPO scheint der Wechsel im Klagegrund auch den Streitgegenstand zu verändern. Bei § 146 ZPO geht der Gesetzgeber hingegen von einem einheitlichen prozessualen Anspruch aus. 33 Der dynamische Charakter des Prozesses wurde u.a. von James Goldschmidt betont, Prozeß, S. 227 f.; Stalev, ZZP 88 (1975), 193 f. 34 Baumgärtel, JuS 1974, 70. 35 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 49. 36 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 50.
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gen-übersteht. Die Finalität des Prozesses zeigt sich in der Vorwärtsgerichtetheit hin auf das beantragte Urteil: „Erreichte Finalität bedeutet … die Stabilität der Prozessrechtslage, noch nicht erreichte Finalität jedoch die Labilität (‚Offenheit‘) der Situation … Aus der Labilität eines anhängigen Verfahrens folgt ferner die weite Interpretation des Streitgegenstandsbegriffs während des Verfahrens, aus der Stabilität nach beendetem Rechtsstreit die enge Auffassung vom Streitgegenstand (des Urteilsgegenstandes…).“37
Diese Labilität des Verfahrensgegenstandes findet m.E. deutlichen Ausdruck in § 264 ZPO.38 Der prozessuale Anspruch ist somit nicht als eine im Prozessverlauf statische Konstante zu begreifen.39 Das in den folgenden Kapiteln beschriebene Bild des Prozessgegenstandes ist notwendiges Korrelat zu dieser dynamischen Komponente.40 Seine nähere Entwicklung und Bestimmung ist gerade der Zweck des Verfahrens.
V. Materiellrechtliche oder prozessrechtliche Lösung Die normative Entscheidung über Inhalt und Umfang des Streitgegenstands erfordert eine Abwägung widerstreitender Wertungsgesichtspunkte, in die neben bestimmten Verfahrensprinzipien nicht zuletzt auch materielle Erwägungen einfließen.41 So hatte etwa P. Böhm bereits den Versuch unternommen42, materiellrechtliche und prozessrechtliche Komponenten zu vereinen:43 Soweit bestimmte Normen des materiellen Rechts zur Ordnung des Lebenssachverhalts und zur Bestimmung der Einheit der Rechtsfolge beitrügen, rechneten sie ebenfalls zum Streitgegenstandsbegriff.44 Mag Böhms konkrete Begriffsbildung im Ergebnis zu unnötigen Verkomplizierungen geführt haben, so ist sein Versuch, eine Symbiose materiell- und prozessrechtlicher Elemente anzusteuern, keinesfalls als gescheitert anzusehen.45 Nur eine symbiotische Lösung berücksichtigt überdies die dienende Funktion des Prozessrechts ausreichend. Abhängigkeiten 37
Insoweit noch deutlicher Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Einl. I E Rn. 89. Goldschmidt, Prozeß, S. 228; eine ähnliche Auffassung, wenngleich gedanklich nicht derart feinzisiliert, findet sich bei Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, S. 20 f., 110. 39 de Boor, Gerichtsschutz, S. 32: „Von hier aus werden schwerste Fehler unseres Gesetzes überhaupt verständlich … Er muss auf den in der Klage festgelegten Anspruch zurückgreifen, darf das bisherige Prozessergebnis nicht berücksichtigen.“ 40 de Boor, Gerichtsschutz, S. 32. 41 Bub, Streitgegenstand, S. 134. 42 Böhm, in: FS Kralik, S. 83 f. 43 Böhms Wunsch ist es, „die wesentlichen Begriffsmomente der einzelnen Lehren aufzunehmen, sich kritisch anzueignen und in einem komplexen Begriff zu vereinigen“, in: FS Kralik, S. 83 f. 44 Böhm, in: FS Kralik, S. 121 f. 45 So aber Habscheid, in: FS Schwab, S. 195. 38
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auf materiellrechtlicher Ebene können somit auch zu Interferenzen auf prozessrechtlicher Ebene führen.46 Wie die Aussetzung (§ 148 ZPO) als schonendere Koordinierungsmaßnahme bei materiellrechtlicher Abhängigkeit hat auch die Rechtshängigkeitssperre und vor allem die Rechtskraft materiellrechtlichen Zusammenhängen Rechnung zu tragen.
VI. Verfahrenskonzentration Die Tendenz, im Gefolge der Kernpunkttheorie des EuGH den Streitgegenstand eher weiter als enger zu fassen47, ist nicht zu übersehen.48 Ein Gedanke ist den verschiedenen Ansätzen gemein: Es geht um die Verhinderung von überflüssigen Parallelverfahren und der umfassenden Verfahrenserledigung in einem Guss, eben um Verfahrenskonzentration.49 So wie das Prinzip der innerprozessualen Konzentration (Verfahrenserledigung in einem umfassend vorbereiteten Haupttermin) bereits gesetzliche Anerkennung erfahren hat (§ 272 ZPO)50, werden mittlerweile auch die Vorteile verfahrensübergreifender Konzentration befürwortend diskutiert.51 Diese bestehen in einer Entlastung des Justizapparats und der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen in getrennten Prozessen. Dieser Gedanke ist nicht so neu, wie er zunächst scheint. Bereits der Rechtsprechung des RG war das Bestreben der Zivilprozessordnung, eine Vervielfältigung der Prozesse zu vermeiden, bekannt.52 Das Ziel der Verfahrenskonzentration findet auch im Bericht der Kommission zur Überarbeitung des Zivilprozessrechts (1961) Erwähnung.53 Hiermit korrespondiert eine weitere Entwicklung: Der Prozess wird umso weniger als Privatsache der Parteien begriffen, als die Konzentration vor allem 46
So S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 40. Eher wieder mit umgekehrter Tendenz nun R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1065 f.: Betonung des im Antrag zum Ausdruck kommenden Gedankens der Parteidisposition mit rechtsvergleichendem Überblick. Die vom EuGH angestrebte Entwicklung im Rahmen der Kernpunkttheorie sei deswegen verfehlt. 48 Erreicht wird dies etwa dadurch, dass allein der Klageantrag als Bestimmungsmerkmal anerkannt wird bzw. mit gegenläufiger Tendenz allein das Lebensverhältnis in den Vordergrund gestellt wird, etwa P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99 f. 49 „Der Gedanke der Einmaligkeit“ kommt darin zum Ausdruck, Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, S. 1, 100 f. Auch § 254 ZPO dient der Vermeidung von aufeinanderfolgenden Doppelprozessen über dasselbe Lebensverhältnis aus prozessökonomischen Gründen. Bei der Stufenklage wird der Streitgegegenstand durch den Anspruchsgrund erst auf letzter Stufe bestimmt, BGH NJW 1996, 2097 f.; deswegen ist auch eine unbestimmte Feststellungsklage unzulässig, wenn die Schadensentwicklung schon abgeschlossen war. 50 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 272 Rn. 1. 51 Wegweisend für die innerprozessuale Konzentration F. Baur, Schriftenreihe der Jur. Gesellschaft e.V., Heft 23 (sog. Stuttgarter Modell). 52 RGZ 29, 375 (378); RGZ 26, 388. 53 Bericht der Kommission, S. 137 f. 47
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dem öffentlichen Interesse an Prozessökonomie dienen soll, indem eine parallele oder erneute Inanspruchnahme staatlicher Rechtspflegeorgane vermieden wird.54 Das von Rudolf von Ihering55 im Jahr 1872 beschriebene Bild des Kampfes des einzelnen um sein Recht als Ausdruck einer äußerst liberalen Gesinnung kann für den heutigen Zivilprozess nicht mehr in dieser Wertigkeit gelten.56 Dies bedeutet keineswegs allein, den Gedanken der gütlichen Streitbeilegung zu stärken, sondern auch die Zahl der Verfahren selbst zu beschränken.57 Dabei handelt es sich nicht nur um die Vermeidung von Prozessvermehrungen in den klassischen Fällen der Anspruchskonkurrenz, sondern allgemein um die Bewältigung von Konkurrenzen bei der Verwirklichung eines materiellen Interesses. Freilich darf der Grundsatz der materiellen Einzelfallgerechtigkeit als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips hierunter nicht über Gebühr leiden. Insoweit bedeutet die Bestimmung des Streitgegenstands auch einen Abwägungsspagat, der diese Gesichtspunkte miteinander vereinen muss. Hierbei kann die Entscheidung für das laufende Verfahren anders ausfallen als für den Verfahrensabschluss und den Umfang der Rechtskraft. Den Parteien ist nicht daran gelegen, mehrfach über dieselben oder vergleichbare Rechtspositionen zu streiten. Verfahrensübergreifende Konzentration ist jedoch kein isoliert zu verwirklichendes Ziel, sondern ein Gesichtspunkt, der in Ausgleich zu setzen ist mit konkurrierenden Verfahrensgrundsätzen wie dem rechtlichen Gehör, dem Justizgewährungsanspruch58 und dem Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit. Das aus dem Interesse an Prozessökonomie resultierende Konzentrationsprinzip kann dabei in Konflikt geraten mit dem prozessualen Beschleunigungsgebot, das seinerseits Ausfluss des Justizgewährungsanspruches ist.59 Denn genauso wie es wünschenswert erscheint, eine wiederholte Prüfung von Tatsachen und Rechtsfragen zu vermeiden, gilt es einer durch Präklusionsgefahren bewirkten Streitaufblähung60 entgegenzuwirken.61 Für die innerprozessuale Konzentration, die mit dem Beschleunigungsgrundsatz zum Teil gleich gesetzt wird62, gelten somit andere Vorzeichen als für das Prinzip verfahrensübergreifender Konzen54
Leipold, Verfahrenskonzentration, S. 17 ff. v. Ihering, Der Kampf ums Recht, 1872, S. 1 f.; Überblick auch bei H. Roth, in: Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, S. 149, 155 f. 56 Damit wird deutlich, dass der Prozess nicht einfach nur die verfahrensrechtliche Durchsetzung privater Rechte und Ansprüche um jeden Preis im Auge haben kann, vgl. zu den gesellschaftlichen Entwicklungen des Zivilprozesses, H. Roth, aaO. 57 Prozessökonomische Verfahrenskonzentration, Bötticher, MDR 1962, 725; ders. ZZP 77 (1964), 492. 58 Vgl. im europäischen Kontext auch Grothe, IPRax 2004, 208 f. 59 Fasching, Lehrbuch, Rn. 708 bringt jedoch die Verfahrensbeschleunigung in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Streben nach Prozessökonomie. 60 Aus internationaler Sicht Engelmann-Pilger, S. 70 ff. 61 In diesem Sinne S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 45 f. 62 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, Einl. Rn. 211. 55
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tration.63 Bei der Interpretation des Umfangs von Rechtshängigkeit, Klageänderung und Rechtskraft sind dabei stets mögliche Eingriffe in den Justizgewährungsanspruch mitzubedenken.64
63 64
Vgl. hierzu Leipold, Verfahrenskonzentration, S. 1 ff. Nieroba, S. 179 ff.
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§ 18 Streitgegenstand und Funktionszusammenhänge Von den genannten Relativitätsbestrebungen der jüngeren Streitgegenstandslehren abgesehen, wurde nur unzureichend versucht, den unterschiedlichen prozessualen Funktionen des Streitgegenstandsbegriffs Rechnung zu tragen. Im Zentrum der Diskussion stand vielmehr seine Aufgabe als Identitätskriterium bei der Beurteilung einzelner Verfahrenskonkurrenzen. Hingegen haben die übergreifenden Funktionszusammenhänge zwischen den einzelnen prozessualen Instituten (Rechtshängigkeit, Klagenhäufung, Klageänderung und Rechtskraft) wenig Beachtung gefunden.65
I. Das Verhältnis von Rechtshängigkeit und Rechtskraft Für jede Streitgegenstandslehre bilden Rechtshängigkeit und Rechtskraft die wesentlichen Bewährungsproben. Der Wunsch, zwischen beiden eine Funktionsübereinstimmung herzustellen, liegt deswegen nahe. So findet sich bereits in den Motiven zur CPO von 1877 die Aussage: „Die exceptio litis pendentis habe denselben Umfang wie die exceptio rei iudicatae.“66 Die dogmengeschichtliche Aufarbeitung der inneren Zusammenhänge erscheint deswegen für die Verfechter eines Einheitsbegriffes und die Anhänger einer relativen Streitgegenstandslehre gleichsam unerlässlich.
1. Historische Dimension Die Litiscontestation übernahm die Bezeugung der lis und ihres Inhalts durch den Prätor im römischen Zivilprozess.67 Hier liegt bereits ein wichtiger Unterschied zum modernen Rechtshängigkeitsverständnis begründet: Es war dem 65 Vernachlässigt wird die Bedeutung des Streitgegenstands häufig bei der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit, wenn seine Wertbemessung (§ 3 ZPO) im Vordergrund steht. Die Vorschriften über die Klagenhäufung stehen dabei in unmittelbarem Zusammenhang mit der Streitwertbemessung und den Bestimmungen der Zuständigkeitsordnung. 66 Hahn, Materialien II/1, S. 259. 67 Vgl. ausführlich oben § 3 I; Hellwig, System Bd. I, S. 359; Bäumer, S. 11 f.
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römischen Beklagten selbst überlassen, ob er der Ladung nachkam oder aber die Einlassung verweigerte.68 Der Urteilsspruch des Richters war nur bindend, sofern sich die Parteien diesem unterwarfen. Über einen Streitgegenstand, der einmal streitbefestigt war, durfte ein zweites iudicium nicht ergehen („bis de eadem re agere non licet“).69 Auch die Wurzeln der heutigen Rechtskraftlehre finden sich in diesem Grundsatz, der somit im zweigeteilten römischen Formularprozess durch zwei exceptiones wirkte70: In der „exceptio rei in iudicium deductae“ und in der „exceptio rei iudicatae“.71 Zum einen war aufgrund der ersten Einrede ein neues Verfahren zur Erlangung einer formula über denselben Verfahrensgegenstand unzulässig, zum anderen stand nach Abschluss des Verfahrens in iudicio durch die sententia iudicis einer erneuten Klage die exceptio rei iudicatae entgegen.72 Die Einrede entgegenstehender Rechtshängigkeit erlebte ihre eigentliche Geburtsstunde in der Aufhebung der Zweiteilung des römischen Zivilprozesses. Mit dem Wegfall der Konsumtionswirkung73 durch Erteilung der formula musste der Beklagte auf andere Weise vor einer missbräuchlichen Wiederholung der Klage während des fortdauernden Erstprozesses geschützt werden.74 Während die exceptio rei in iudicium deductae materiellrechtlichen Charakter besaß, ist die exceptio litis pedentis reine Prozesseinrede.75 Nun bestand die Möglichkeit, die erfolglos gebliebene Klage zu wiederholen, wenn sie nicht als unbegründet abgewiesen worden war. Nur ein gleichzeitiger Prozess de eadem re war ausgeschlossen. Insoweit richtete sich der Blick mehr auf das Urteil, das früher im Schatten der litis contestatio stand.76 Der Akzent lag weniger auf der 68
Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 15. Herrmann, Grundstruktur, S. 13 f. 70 Oben § 3, 4 I. 71 v. Planck, Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten, S. 11 f.; Gaul, in: FS Flume, S. 464 f.; Herrmann, Grundstruktur, S. 10 f. 72 Herrmann, Grundstruktur, S. 10 f. 73 Vgl. oben § 4 I. Dies gilt sowohl für die ipso iure-Konsumtion als auch für die exceptio rei in iudicium deductae. 74 v. Planck, Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten, S. 14: „Die Strenge des alten Rechts, das den Kläger zwang, vor dem Prozessbeginn genau zu überlegen, war gewichen, und nun bestand die Möglichkeit, die erfolglos gebliebene Klage zu wiederholen, wenn sie nicht als unbegründet abgewiesen worden war. Nur ein gleichzeitiger Prozeß de eadem re war nunmehr ausgeschlossen“; Wetzell, System, S. 126 ff., versuchte jedoch die Konsumtion für das gemeine Recht zu verteidigen: „Die Einrede der Rechtshängigkeit ist die (dilatorische) exceptio litis pedentis des Justinianischen Rechts“, die an die Stelle der Konsumtionswirkung der litis contestatio trat; Hellwig, System Bd. I, S. 359; Herrmann, Grundstruktur, S. 21. 75 Schwalbach, AcP 64 (1881), 284; Herrmann, Grundstruktur, S. 21: „Damit war der Wandel von einem materiellrechtlichen Institut zu einer prozessrechtlichen Einrichtung vollzogen“; v. Planck, Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten, S. 17: „Sie erscheint hier als selbstständiger Rechtssatz, als prozessualistisches Verbot, nicht mehr als Folge der mit dem Klagerecht vorgegangenen inneren Veränderung“; Schwalbach, AcP 64 (1881), 285; v. Savigny, System VI, S. 307. 76 R. Schmidt, Klageänderung, S. 5, 202. 69
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Einleitung des Verfahrens als auf dem Akt der res iudicata.77 Ähnlich wie bereits im Kognitionsprozess ist Anküpfungspunkt für den Ausschluss nicht die litis contestatio, sondern das ergangene Urteil.78 Im gemeinen Recht spielt die Rechtshängigkeitseinrede aufgrund seiner Anleihen beim klassischen römischen Prozessrecht und weniger am Justinianischen Modell eine geringe Rolle. Ganz im Gegensatz zur res iudicata, die noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwiegend dem materiellen Recht zugehörig angesehen wurde. So ordnete Savigny 79 die Rechtskraft bereits rein äußerlich als Teil seines „Systems“ ein, während die Einrede der Rechtshängigkeit von ihm als Teil des vernachlässigten Prozessrechts begriffen wurde. Auch in den Partikularprozessordnungen vor Inkrafttreten der CPO wurde die Litispendenz als Prozesshindernis verstanden.80 § 247 II CPO-Entwurf war ebenfalls als prozesshindernde Einrede konzipiert.81
2. Die Litiscontestation als Vorwirkung der exceptio rei iudicatae Sowohl hinter der Konsumtionswirkung bei den actiones in personam als auch hinter der exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae82 stand das Prinzip des bis de eadem re ne sit actio.83 Beide Mechanismen nahmen Bezug auf die Litiscontestation und nicht auf das ergangene Urteil.84 Wenger hat hieraus gefolgert, dass die Frage der Rechtskraftwirkung im klassischen römischen Zivilprozess nicht die zentrale Bedeutung hatte wie im heutigen Recht.85 Zu konstatieren sei, „… dass die klassische Jurisprudenz die Wirkung des Prozesses grundsätzlich bei dessen Entstehung studiert hat, während wir in erster Linie auf das Urteil als das Ende des Prozesses sehen.“ Hesselberger 86 hat dem entgegen gehalten, dass die hervorgehobene Stellung des Litiscontestationszeitpunkts keine besondere Bedeutung habe. Da der Grundsatz des bis de eadem re ne sit actio schon vor der 77 Das Justinianische Recht war nicht mehr als „ein Trümmerfeld halbverstandener Bestimmungen“, Dernburg, Lehrbuch, S. 275; hierzu Löwisch, Streitgegenstand, S. 29. 78 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß II, S. 296 f. 79 Auch oben § 5 III. 80 Hannoveraner Entwurf, § 243; norddeutscher Entwurf, § 347; preußischer Entwurf, § 225. 81 Vgl. Hahn, Materialien II/1, S. 265; Schwalbach, AcP 64 (1881), 267. Die Gebundenheit der Parteien, eine anderweitige Rechtshängigmachung zu vermeiden, sei nicht Inhalt „der Rechtshängigkeit der Streitsache“, sondern lediglich Folge dieser; zum Ganzen auch Herrmann, Grundstruktur, S. 21 f. 82 Näher Hesselberger, Streitgegenstand, S. 50: Grund war, dass es hier zunächst keine obligatio gab, die konsumiert hätte werden können. 83 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 51. 84 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 51. 85 Wenger, Institutionen, S. 203. 86 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 52.
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Zweiteilung des Verfahrens Geltung beansprucht hätte, habe die damals bereits zur Verhinderung paralleler Verfahren verwendete Litiscontestation an die Entscheidung angeknüpft. Prozessuale Konsumtion und die allgemeine Ausschlusswirkung hätten somit ihre Wurzeln in der materiellen Rechtskraft der Entscheidung.87 Ein weiterer Punkt, der im Verhältnis von Rechtskraft und Litiscontestation bedeutsam erscheint, stellt die Existenz der exceptio rei iudicatae vel in iudicium deductae dar.88 Hier erlischt zwar nicht das Klagerecht kraft Konsumtion; dennoch sind die durch den Prätor herbeigeführten Wirkungen dem vergleichbar.89 Die Zusammenfassung beider exceptiones in einer Sentenz dürfte bedeuten, dass beide in ihrem Umfang identisch ausgelegt wurden.90 Aber bereits bei Windscheid 91 finden sich berechtigte Zweifel an der Aussage, dass der Umfang der Litiscontestation mit Wirkung auf das Judikat hin zu bestimmen sei: Denn wenn etwa der Verkäufer mit dem Käufer über den Umfang der Obliegenheit streite und daraufhin die Formel erhalte quidquid paret … ex bona fide, so sei keine Vorentscheidung erkennbar.92 Das Entstehen der Regel bis de eadem re ne sit actio beruhe weniger auf dem Schutz des Erkenntnisses, sondern sei aus einer Grundanschauung von der Bedeutung und Autorität des gerichtlichen Verfahrens selbst hervorgegangen.93 Mit Aufgabe des zweistufigen Verfahrens verlor auch die Konsumtion an Bedeutung. Der Grundsatz bis de eadem re ne sit actio musste nun allein auf das Urteil bezogen werden. Der Beklagte war gegen die parallele gerichtliche Inanspruchnahme durch den Kläger auf andere Art geschützt (exceptio litis pendentis).94 87
Hesselberger, Streitgegenstand, S. 52. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 25. Der Prätor hatte bei fehlender Identität im Übrigen die Möglichkeit, eine weitere Klage wegen exceptio doli oder denogatio actionis abzuweisen. 89 Oben § 3 I. 90 Werde primär auf die res iudicata abgehoben, so erkläre sich die Wendung res in iudicium deducta möglicherweise als bloßer Atavismus, vgl. etwa Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 43 I 2. Wird hingegen angenommen, die exceptio stelle in erster Linie auf die res in iudicium deducta ab, dann liegt die Bedeutung des ersten Teils der Wendung darin, dass ein Recht nicht eingeklagt sein kann, aber dennoch im Urteil auftaucht. 91 Windscheid, Actio, S. 47, 51: „Dass über eine Sache, die bereits entschieden sei, nicht noch mal verhandelt werden darf, ist leicht verständlich. Dass aber, soweit der Prozess nur begonnen habe, ein erneuter Streit über dieselbe Sache verboten sei, sei nur schwer verständlich. Nichtsdestoweniger sei er ein Fundamentalsatz des römischen Rechts. Man habe sich diese Regel dadurch zu verdeutlichen versucht, dass man gesagt habe, in der Litiscontestation, in der Conception der Formel, liege bereits eine Vorentscheidung des Streites“; Keller, S. 78. 92 Die Konsumtion werde in den Quellen nicht als Folge der formula, sondern der Litiscontestation bezeichnet. 93 Windscheid, Actio, S. 51, hält deswegen eine andere Begründung für angebracht: „Wenn ein Recht nicht Gerichte zum Schutze der Rechte gibt, sondern Rechte, indem es Gerichte gibt, so erscheint es nicht bloß begreiflich, sondern natürlich, dass es seine Gerichte nur einmal gibt“; Bekker, Consumption, S. 118. 94 v. Planck, Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten, S. 16; Hellwig, System Bd. I, § 128 I. 88
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Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
3. Der Zusammenhang zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft a) Rechtskrafterweiternde Funktion der Kompensation, § 322 II ZPO Die Mehrheit der Stimmen, welche sich zur Kohärenz von Litispendenz und Rechtskraft äußern, beziehen sich auf die Rolle des Aufrechnungseinwands, § 322 II ZPO. Da die Entscheidung über die Gegenforderung kraft gesetzlicher Anordnung in Rechtskraft erwachse, sei naheliegend, dass die Prozessaufrechnung auch die Rechtshängigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderung zur Folge habe. Die Befürworter einer prozessualen Sperrwirkung (§ 261 III Nr. 1 ZPO) können sich hierfür auf die Motive berufen:95 „Die Einrede der Rechtshängigkeit hat denselben Umfang wie die der exceptio rei iudicatae (vgl. § 283 [CPO]). Demnach fällt auch die Geltendmachung des rechtshängigen Anspruchs mittelst Einrede der Kompensation in einem anderen Prozesse unter die Vorschrift des § 227 Nr. 1 [CPO].“96 Das Gesetz selbst stelle die Kompensation in den Rechtswirkungen einer „unterentwickelten“ Widerklage gleich.97 Diese Folgerung ist indes nicht zwingend, kommt § 322 II ZPO doch lediglich rechtskrafterweiternde Funktion zu, ohne den Streitgegenstand selbst zu verändern.98 Die ganz überwiegende Ansicht lehnt deswegen eine durch Prozessaufrechnung vermittelte Rechtshängigkeitssperre mit überzeugenden Gründen ab.99 Die Geltendmachung der Aufrechnung wird stattdessen als reines Verteidigungsmittel verstanden. Bereits die Kommission zur Ausarbeitung einer Zivilprozessordnung für die norddeutschen Staaten, deren Überlegungen die CPO von 1877 beeinflussten, hielt an dem zunächst angedachten Gleichlauf nicht fest:100 „Dass die Kompensationseinrede nicht die Wirkung haben solle, die Rechtshängigkeit bezüglich der Gegenforderung zu begründen, wurde bei den Beratungen der norddeutschen Prozesskommission schließlich ausdrücklich anerkannt und durch Streichung eines früher gefassten Beschlusses zur praktischen Geltung gebracht.“101
95
Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 86 f. Hahn, Materialien II/1, S. 259. Allerdings besagen die Motive, aaO., weiter: „Da aber der Begriff der Rechtshängigkeit keineswegs fordert, der Partei die Befugnis zur Kompensation mit ihrem rechtshängigen Anspruche zu entziehen …, so ist auf Antrag die Entscheidung über die Kompensationseinrede bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Vorprozeß auszusetzen …“ 97 Befürwortend E. Schmidt, ZZP 87 (1974), 29 ff. 98 Zöller/Greger, ZPO, § 145 Rn. 18. 99 BGHZ 57, 242 (243 f.); BGH NJW 1977, 1687 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 145 Rn. 31 f., 37, 49 f.; Althammer, ZZP 117 (2004), 500 f.; a.M.: A. Blomeyer, ZPR, 2. Aufl., § 60 I 1 a.; ähnlich Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 328 f. 100 Vgl. Hahn, Materialien II/1, S. 259. 101 Norddeutsche Protokolle, S. 537 f.; § 334 des Entwurfs, wonach die Geltendmachung 96
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§ 322 II ZPO erweitert vielmehr als Ausnahme die Grenzen der objektiven Rechtskraft über den Urteilsgegenstand hinaus, ohne dass dies Einfluss auf die objektiven Grenzen der Rechtshängigkeit hätte. Die Fragestellung enthält eine gewisse europäische Relevanz, wie die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gantner Electronic GmbH ./. Basch Exploitatie Maatschappij BV zeigt.102 Jedoch erschien dem EuGH die Konstruktion einer Anspruchsidentität iSd Kernpunkttheorie als zu weitgehend. Für die Beurteilung entgegenstehender Rechtshängigkeit zweier Streitigkeiten seien vielmehr Einwendungen gleich welcher Art, und insbesondere die Aufrechnungseinrede, unerheblich.
b) Allgemeine Kohärenz aa) Rechtshängigkeit als Vorwirkung der Rechtskraft In seiner wegweisenden Schrift „Die Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten im Prozessrecht“103 glaubte v. Planck den gemeinsamen Ursprung von Rechtshängigkeit und Rechtskraft gefunden zu haben: Beide wollten verhindern, dass zweimal über dieselbe Angelegenheit gerichtet werde (bis de eadem re ne sit actio).104 Die nachträgliche Zweiteilung des römischen Zivilprozesses habe die äußerliche Trennung beider Institute befördert.105 Später hat v. Planck in seinem Lehrbuch versucht, die Zusammenhänge eingehender herauszuarbeiten:106 Ob die Streitsache des neuen Prozesses dieselbe sei, bestimme sich in objektiver Beziehung107 nach denselben Grundsätzen, die für den Umfang der materiellen Rechtskraft des Endurteils entwickelt worden seien. Diese Identität liege nicht vor, wenn auf derselben Grundlage ein anderer Antrag, oder für denselben Antrag ein anderer Erwerbsgrund geltend gemacht werde. Auch der Gesetzgeber der CPO scheint von der weitgehenden Parallelität beider Institute ausgegangen zu sein. Wenngleich die erwähnte Stelle in den Motiven108 unmittelbar auf den Sonderfall des Kompensationseinwands gemünzt war, liegt darin ein gesetzgeberischer Fingerzeig für ein einheitliches Verständnis von Streit- und Urteilsgegenstand. Die These der Funktionsübereinstimmung fand nach Inkraftreten der CPO zahlreiche Befürworter. So glaubte Schollmeyer, dass der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit einer der Aufrechnung im Prozess zur Rechtshängigkeit der Gegenforderung führen sollte, wurde wieder aufgehoben, Norddeutsche Protokolle, S. 570–572. 102 EuGH IPrax 2003, 443 f.; vgl. oben § 15 II 4. 103 v. Planck, Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten, S. 545. 104 Die exceptio rei iudicatae und die exceptio litis pendentis sollten deswegen weitgehend parallel verlaufen. 105 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 52, 53. 106 v. Planck, Lehrbuch, Bd. 1, S. 273; Riemer, Forum-Shopping, S. 64. 107 Nur insoweit könne die Äußerung der Motive zur CPO Geltung beanspruchen. 108 Hahn, Materialien II/1, S. 259; vgl. oben § 18 I.
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Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
neuen Klage nur soweit entgegenstehe, als die im ersten Prozess gefällte Entscheidung Rechtskraft für den zweiten wirke.109 Die Rechtshängigkeit sei Vorstufe der Rechtskraft110, weil beide dem öffentlichrechtlichen Verbot einer wiederholten Entscheidung in derselben Sache entsprängen.111 Der Einwand anderweitiger Litispendenz bewirke die Verhinderung von Handlungen, die auf ein Unterlaufen dieses Verbotes gerichtet seien.112 In beiden Fällen werde die Identität der in Frage stehenden Rechtsstreitigkeiten vorausgesetzt, und insofern könne die Einrede der Rechtshängigkeit nur dann begründet sein, wenn eine rechtskräftige Entscheidung in dem einen Prozess die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache in dem anderen begründen würde. Entscheidungsund Urteilsgegenstand seien demnach kohärent zu bestimmen. Auch RG und BGH nehmen infolge an, dass die „Streitanhängigkeit als eine notwendige Folge der späteren Rechtskraftwirkung … ebenso abzugrenzen [sei] wie die Rechtskraft.“113 Als gemeinsamer Aspekt wird die Verhinderung widersprechender Entscheidungen betont, wobei die prozessuale Sperrwirkung der Rechtshängigkeit eine vorgelagerte, vorbeugende Sicherung und Wegbereitung für die vom Urteil ausstrahlende Rechtskraftwirkung darstelle.114 Um widersprechende Richtersprüche in gleicher Sache zu vermeiden, ergäbe sich die Notwendigkeit, bereits das Nebeneinanderlaufen zweier Prozesse über denselben Streitgegenstand unmöglich zu machen. An die Stelle des vorläufigen ne bis in idem der Rechtshängigkeit trete die Rechtskraft als endgültiges Verbot nochmaliger Verhandlung und Entscheidung für alle Zukunft.115 Der Rechtskraft wird damit im Vergleich zur Rechtshängigkeit die zentrale Rolle zugesprochen.116 Bötticher diente 109
Schollmeyer, Die Compensationseinrede, S. 11: bezogen hauptsächlich auf den Aufrechnungseinwand. 110 Ähnlich Hellmann, KrVSchr. 40 (1898), 93 ff. 111 Schwartz, in: Berliner FS Dernburg, S. 346; v. Planck, Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten, S. 545. 112 Sauer glaubt gar, dass jede Eigenschaft der Rechtskraft ebenso auf die der Rechtshängigkeit zutreffe, in: FS Schmidt, S. 317. Dies ist offensichtlich nicht richtig. 113 RGZ 160, 191, 192; BGHZ 57, 242 f. 114 Bötticher, Krit. Beitr., S. 237 ff.; Gaul, in: FS Flume, S. 513; ders., in: FS Weber, S. 155; Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 34; 85 f.; Habscheid, RabelsZ 31 (1967), 255; Wittibschlager, S. 16; v. Planck, Lehrbuch, Bd. 1, S. 271; RGZ 160, 192. 115 Nicht umgekehrt dürfe an Stelle des Richterspruchs die Klageerhebung als Ausgangspunkt gewählt und die Rechtskraft nur als eine über das Prozessende verlängerte Wirkung der Rechtshängigkeit angesehen werden, Bötticher, Krit. Beitr., S. 237 ff. 116 Vgl. auch v. Planck, Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten, S. 545 „Der eigentliche Ausspruch der richterlichen Gewalt ist das Urteil. Solange dieses noch nicht unabänderlich vorliegt, kann auch die volle Wirkung des Grundprinzips (ne bis in idem) nicht eintreten. Aber doch ist es demselben angemessen, dass die Verhandlungen, die zum Urteil führen sollen, gleichzeitig nur einmal vorgenommen werden. Man soll das Resultat abwarten und zusehen, ob dadurch nicht weitere Verhandlungen überflüssig werden.“ Auch historisch sei die zweite Regel aus der ersten hervorgegangen, vgl. auch S. 16.
§ 18 Streitgegenstand und Funktionszusammenhänge
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die angenommene Übereinstimmung beider Institute überdies dazu, die Eigenschaft der Litispendenz als negative Prozessvoraussetzung in Form der ne bis in idem-Lehre auf die Rechtskraft übertragen zu können.117 Aus dem von ihm herausgearbeiteten Zusammenhang glaubte Bötticher auch die Frage nach der Identität des Streitgegenstands für beide Institute übereinstimmend beantworten zu können.118 Dies erscheint als klares Votum gegen eine relative Sichtweise.
bb) Bedenken gegen das Dogma der Vorwirkung Die anzutreffenden Stellungnahmen beziehen sich meist auf die These, dass Rechtskraft Rechtshängigkeit voraussetze. Dies ist für das deutsche Recht insoweit richtig, als der Kläger nicht mit Rechtskraftwirkungen überrascht werden darf, die nicht den Verfahrensgegenstand betreffen (Ausnahme: § 322 II ZPO). Für die umgekehrte Fragestellung finden sich jedoch kaum Aussagen:119 Setzt der Rechtshängigkeitseinwand voraus, dass nach Verfahrensabschluss an seine Stelle die Rechtskraftsperre tritt?120 Zunächst erscheint bereits zweifelhaft, die Rechtshängigkeitssperre lediglich als Vorwirkung der Rechtskraft zu begreifen. So ist denn die These der Zweckgleichheit beider Institute zu keinem Zeitpunkt ohne Widerspruch geblieben.121 Auch das RG122 ist später deutlich von seinen früheren123 (apodiktischen) Aussagen abgegangen, wobei gerade die fehlende Entsprechung zwischen der positiven Wirkung der Rechtskraft und dem Litispendenzeinwand den Anstoß zum Umdenken gegeben zu haben schien: 117 Bötticher, Krit. Beitr., S. 239: Die ne bis in idem-Wirkung sei vollkommen ausreichend und im Übrigen der Konstruktion einer Bindungswirkung vorzuziehen, weil sie zur Weiterentwicklung der Rechtskraft zu einer reinen Prozessvoraussetzung beitrage. 118 Bötticher, Krit. Beitr., S. 241 f., unter Hinweis auf Lent, Gesetzeskonkurrenz II, S. 9. Deshalb werde die Leistungsklage nicht deswegen unzulässig, weil bezüglich des zugrundeliegenden Anspruchs im Parallelverfahren Klage auf positive oder negative Feststellung erhoben werde, Bötticher, Krit. Beitr., S. 241; Rimmels pacher, Prüfung von Amts wegen, S. 69; auch RGZ 160, 344 f. 119 Bosch, Rechtskraft und Rechtshängigkeit, S. 97, folgert aus den Gesetzesmaterialien, dass eine Relativität des Streitgegenstands kaum vertretbar sei: „Ansonsten müsste man hinnehmen, daß der Streitgegenstand des Verfahrens immer potentiell größer ist als der Urteilsgegenstand, was zur meiner Meinung nach nicht sehr zweckmäßigen praktischen Folge führen kann, daß eine Klage mit gleichem Antrag, aber verschiedener sachlicher Begründung während eines laufenden Rechtsstreits an § 261 III Nr. 1 ZPO wegen anderweitiger Rechtshängigkeit scheitert, aber nach rechtskräftiger Entscheidung dieser Sache wieder möglich wird.“ 120 Nach der Kernpunkttheorie des EuGH (zu Art. 27 EuGVVO) wäre dies gerade nicht der Fall, vgl. oben § 15. 121 Kraemer, ZZP 64 (1951), 90; Hellwig, Anspruch, S. 178 f.; ders., Lehrbuch, Bd. I, S. 180; ders., System I, S. 364. 122 RGZ 50, 419. 123 RGZ 26, 368.
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„Allerdings ist in einer älteren Entscheidung des Reichsgerichts einmal nebenbei ausgesprochen, die Einrede der Rechtshängigkeit habe denselben Umfang wie die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache. Dieser Satz kann aber in seiner Allgemeinheit nicht für richtig gehalten werden und ist auch in späteren Entscheidungen nicht festgehalten worden. Die Einrede der Rechtshängigkeit erfordert nach § 263 [a.F.] Identität der Streitsache. Die Einrede der Rechtskraft kann sich dagegen auch auf ein einzelnes Moment des Rechtsstreits beziehen, z.B. auf einen Anspruch, dessen Bestehen oder Nichtbestehen die positive oder negative Bedingung des den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Anspruchs darstellt…“124
Die Entscheidung ist wenig aussagekräftig, weil sie lediglich die Präjudizialwirkungen der Rechtskraft vom Gleichlauf ausnimmt. Lent setzt – speziell für die subjektiven Grenzen – hier an:125 Die „Einrede“ der Rechtshängigkeit verlange die Identität des Prozessgegenstandes, während die Rechtskraft auch dann zur Anwendung käme, wenn der Prozessgegenstand der neuen Klage ein ganz anderer sei als der Gegenstand des rechtskräftigen Urteils.126 Es genüge, wenn auf die Entscheidung des neuen Prozesses der bisherige Urteilsinhalt irgendeinen Einfluss habe, etwa auch als Vorfrage. Die „Einrede“ der Rechtshängigkeit habe vorwiegend die negative Aufgabe, Missbrauch des Rechtsschutzes und eine Verschwendung von Muße und Zeit der Behörden zu verhindern. Mit der Sicherung des Prozessziels habe sie nichts zu tun. Die Rechtskraft sei zwar auch negativ gerichtet. In Wahrheit sei sie jedoch Ausdruck des sehr positiven Prinzips der Aufrechterhaltung und Sicherung des Urteilsinhalts, was sich deutlich an ihren Präjudizialwirkungen zeige.127 In der Tat dient nur die Rechtskraft der Sicherung des Urteilsinhaltes. Kraemer bestreitet zudem das Bestehen einer logischen Verbindung von Rechtskraft und Rechtshängigkeit, da das einheitliche Motiv des Gesetzgebers für die Einrichtung nicht Inhalt der ZPO geworden sei.128 Unlogisch ist überdies die Deutung der Rechtshängigkeit als „eine logische Folge der späteren Rechtskraftwirkung“. Denn diese kann kaum der Auslöser der zuvor eintretenden
124
RGZ 50, 416 (419). Lent, Gesetzeskonkurrenz, Bd. 2, S. 138. 126 Lent, Gesetzeskonkurrenz, Bd. 2, S. 137. 127 Lent, Gesetzeskonkurrenz, Bd. 2, S. 138. Aus § 265 III ZPO folgert er, dass dort, wo die Einrede der Rechtskraft nicht wirke, auch keine Einrede der Rechtshängigkeit Platz greifen könne. 128 Kraemer, ZZP 64 (1951), 91; dieser begründet das Fehlen einer Funktionseinheit beider Institute zudem mit der häufigen Novellierung der CPO, die in ihrer ursprünglichen Fassung eine solche Parallelität vielleicht vorsah, aber inzwischen aufgegeben habe. Das Institut der Rechtshängigkeit sei gewiss auch dazu bestimmt, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, die durch einander widersprechende Entscheidungen über den gleichen Anspruch gefährdet würde. Dieser gesetzgeberische Grund dürfe aber nicht herangezogen werden, wenn das Gesetz ihm selbst keine Folge gegeben habe; zurückhaltend auch Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 311. 125
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Rechtshängigkeitssperre sein. Lippmann hingegen hat die Verwandtschaft beider Institute gerade mit Blick auf die Verhinderung widersprechender Entscheidungen angegriffen.129 Die Funktion der Abwehr doppelter Entscheidungen komme alleine der Rechtskraft zu.130 Hellwig sieht zwischen Rechtskraft und Rechtshängigkeit zwar insofern Berührungspunkte, als ihre Auswirkungen auf einen zweiten Prozess von der Identität der Streitgegenstände abhingen.131 Jedoch könne von einer vollständigen Parallelität in keinem Fall gesprochen werden. Im Übrigen zieht er den Umfang der Rechtshängigkeit auch aus einem anderen Grunde enger: Denn für die Rechtskraftwirkung, bei der das materielle Rechtsverhältnis im Vordergrund stehe132, habe die Rechtsschutzform keine Bedeutung.133 Desweiteren bleibt darauf hinzuweisen, dass die Rechtshängigkeit auch Bedeutung bei der perpetuatio fori, dem Verbot der Klageänderung und der Zulässigkeit der Widerklage hat, für die bei der Rechtskraft keine Entsprechungen gefunden werden können.134 Wenngleich der in den Motiven angedeutete (vollständige) Gleichlauf beider Institute somit im Grunde eine unbewiesene Hypothese bleibt, muss die Reichweite der ne bis in idem-Wirkung der Rechtskraft zumindest als Untergrenze der Rechtshängigkeitssperre (§ 261 III Nr. 1 ZPO) angesehen werden. Über die Obergrenze ist damit noch nicht geurteilt. Gilt es somit stets drohenden Rechtskraftkonflikten entgegenzuwirken oder dürfen auch prozessökonomische Gründe eine Rolle spielen? Die erste These scheint bereits im Hinblick auf § 322 II ZPO eindeutig widerlegt. Ein Rechtskraftkonflikt ist weder ausreichend, noch tatsächlich gefordert.
129
Lippmann, AcP 65 (1882), 440. Unter Berufung auf das römische Recht hat auch Seuffert Bedenken geäußert, KrVSchr. 27, 475. 131 Hellwig, System Bd. I, S. 364. 132 Hier wirkt offensichtlich Savignys Gedankengut noch fort. 133 Hellwig, Lehrbuch, Bd. I, S. 179: „Für die Rechtskraft kommt nur der feststellende Inhalt des Urteils in Frage; es ist deshalb für ihre Tragweite gleichgültig, ob eine Forderung auf Grund einer Feststellungs- oder auf Leistungsklage zu- oder abgesprochen ist, ob das Urteil auf eine positive oder negative Feststellungsklage erging.“ Anderes soll hingegen für die Rechtshängigkeit gelten: „Hieraus erhellt, dass die Identität des den materiellen, den Prozessgegenstand bildenden Rechtsverhältnisses nicht genügt. Vielmehr muss hinzukommen, dass auch das Klagebegehren in beiden Fällen auf die Herbeiführung der gleichen Urteilswirkung gerichtet ist. Die prozessuale Rechtshängigkeitswirkung bezieht sich nicht auf das civile Rechtsverhältnis, sondern auf das Klagerecht in dem hier gebrauchten Sinne, auf den Rechtsschutzanspruch.“ Diese Passagen bezeugen aus heutiger Sicht ein relatives Streitgegenstandsverständnis Hellwigs. 134 Herrmann, Grundstruktur, S. 71 f. 130
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4. Ausländische Entscheidung und Vorwirkung Wäre die Rechtshängigkeit bloße Vorwirkung der Rechtskraft, müsste sie auch denselben Beschränkungen unterliegen wie diese. Dann wäre für das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre auch die Anerkennungsfähigkeit (§ 328 ZPO) der zukünftigen ausländischen Entscheidung von Bedeutung.135 Bereits das RG hat deswegen die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit an die Rechtskraft geknüpft136 und die Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung verlangt.137 Als Vorstufe der ausländischen Rechtskraft sei die ausländische Rechtshängigkeit an die Beachtung derselben Umstände gebunden.138 Dohm hat insoweit konstatiert: „Ein Urteil, dem […] die Anerkennung versagt werden muss, bleibt also sowohl auf das schwebende als auch auf das abgeschlossene Verfahren ohne Einfluß.“139 Gerade im internationalen Kontext wird deswegen mit Blick auf den Litispendenzeinwand das Bild von der Vorwirkung der Rechtskraft beschworen.140 Die Rechtshängigkeit wird als wesensgleiches minus zur Rechtskraft bezeichnet.141 Doch ist die Prüfung der Anerkennungsfähigkeit eines hypothetischen Urteils bei der Beurteilung der Rechtshängigkeitssperre kein Beweis für den gleichen Umfang von Rechtshängigkeit und Rechtskraft. Diese Prognose versteht sich lediglich als Ausgleich für den Eingriff in den Justizgewährungsanspruch des inländischen Klägers. In einer Vielzahl von Konstellationen endet im Übrigen die Rechtshängigkeit, ohne dass es überhaupt zu einer rechtskraftfähigen Entscheidung kommen muss.142 Die Prüfung der Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung spielt im originären Rahmen der EuGVVO keine Rolle. Der Zusammenhang ist gelockert, so dass von einer Vorwirkung der Rechtskraft keine Rede sein kann.143 Lediglich im Verhältnis zu Drittstaaten sieht der Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO nunmehr eine Regelung vor, die auf die Anerkennungsprognose abhebt. Die Vorschrift (Art. 34 Kommissionsvorschlag) lautet auszugsweise: „Wenn bei Anrufung eines Gerichts in einem Mitgliedstaat ein Verfahren wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien vor den Gerichten eines Drittstaats anhängig ist, so kann dieses Gericht unbeschadet der Artikel 3 bis 7 das Verfahren aussetzen, wenn 135
McGuire, Verfahrenskoordination, S. 52 f. RG JW 1893, 350; vgl. auch McGuire, Verfahrenskoordination, S. 53. 137 Anders das englische Recht, das mehr an prozessökonomischen Kriterien orientiert ist, Habscheid, in: FS Lange, S. 429 ff. 138 Etwa Dohm, S. 150 f.; Bäumer, S. 185; Kleinfeller, ZZP 56 (1931), 134 f. 139 Dohm, S. 150. 140 Dohm, S. 32; Habscheid, RabelsZ 31 (1967), 254 f.; Schütze, ZZP 104 (1991), 147 f.; a.A. Hoyer, ZfRV 1969, 241. 141 Isenburg-Epple, S. 79. 142 Ausführlich McGuire, Verfahrenskoordination, S. 55 f; bereits Herrmann, Grundstruktur, S. 71 f. 143 Zeuner, in: FS Lüke, S. 1007. 136
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… davon ausgegangen werden kann, dass das Gericht des Drittstaats innerhalb einer angemessenen Frist eine Entscheidung erlassen wird, die in dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannt und gegebenenfalls vollstreckt werden kann …“.144
Damit wird lediglich die nationale Rechtsprechung in einigen Mitgliedstaaten auf eine autonome Ebene gehoben.
5. Funktionen der Rechtshängigkeitssperre Im vorstehenden Kapitel hat sich die Notwendigkeit gezeigt, den Zweck der Rechtshängigkeitssperre selbständig zu bestimmen, sollen hieraus Folgen für den Streitgegenstandsbegriff abgeleitet werden. Exemplarisch sind die interessierenden Funktionen in RGZ 160, 338 f., 344 f., angesprochen: „Es ist einmal die Verhütung widersprechender Urteile über denselben Streitgegenstand, sodann aber auch die Vermeidung einer mehrfachen Prozessführung über denselben Streitgegenstand zu gleicher Zeit.“
Bei mehrfacher Prozessführung würde der Beklagte zudem über Gebühr belästigt. Andererseits läge in der gleichzeitigen Verhandlung derselben Sache unter denselben Parteien in mehrfachen Verfahren ein Missbrauch des Rechtsschutzes und eine Vergeudung von Mühe und Zeit der Behörden.145
a) Öffentliches und privates Interesse Zunächst erscheint es sinnvoll, zwischen privaten und staatlichen Interessen zu trennen. Die negative Prozessvoraussetzung der anderweitigen Rechtshängigkeit (261 III Nr. 1 ZPO) soll vornehmlich dem Schutz öffentlicher Interessen dienen. Die Rechtshängigkeitssperre verhindert zusätzlichen Aufwand an Zeit, Arbeit und Kosten zu Lasten der Gerichte und damit, so wird behauptet, auch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, die das Ansehen der Rechtspflege gefährden könnte.146 Nachrangig berücksichtigt diese Vorschrift aber auch den Schutz privater Interessen, indem durch die Vermeidung mehrfacher synchroner Prozessführung die Last der Verteidigung erleichtert wird.147 144
KOM (2010) 748 endültig, S. 40. Blomeyer, in: Berliner FS, S. 63. 146 Haas, in: FS Ishikawa, S. 165; RGZ 160, 338, 344 f.; BGHZ 4, 314, 322; BGH NJW 1986, 2195, 2196; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 1 f.; Leipold, Wege zur Konzentration, S. 17. In RGZ 169, 353, hat das RG die Nähe des Rechtshängigkeitseinwands zum Rechtsmissbrauchseinwand deutlich gemacht, weil die gleichzeitige Verhandlung derselben Sache in mehrfachen Verfahren einen Missbrauch des Rechtsschutzes und eine Vergeudung von Mühe und Zeit der Behörden bedeute. Der Grundsatz, dass niemand die Tätigkeit der Gerichte unnütz in Anspruch nehmen darf, vgl. RGZ 155, 75, nicht einmal mit Zustimmung der Gegenpartei, müsse auch bei mehrfacher Rechtshängigkeit angewendet werden. Vgl. zum Entscheidungskonflikt Simon, S. 145 f. 147 Leipold, Verfahrenskonzentration, S. 17. 145
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Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
Die Wahrung der privaten Interessen ist mit der Zeit aus dem Blickwinkel der Norm gerückt148, was sich auch daran zeigt, dass die doppelte Klageerhebung der Disposition der Parteien entzogen ist. Die Frage der anderweitigen Rechtshängigkeit rechnet nicht mehr zu den (verzichtbaren) prozessualen Einreden des Beklagten.149 An Zuwachs gewonnen hat stattdessen der Aspekt der Prozessökonomie150, der einen effizienten Umgang mit der Ressource Justiz erforderlich macht. Denn ohne Rechtshängigkeitseinrede würden Parallelverfahren geführt, bis in einem von ihnen ein rechtskräftiges Urteil zustande käme, was zur Einstellung des Parallelprozesses führen müsste. Die Rechtshängigkeitssperre soll diesen unliebsamen Prozess, zwei Verfahren mit Aussicht auf ein Sachurteil, abkürzen helfen.151 Damit in unmittelbaren Zusammenhang steht der Gesichtspunkt der Verfahrenskonzentration. Droht ein zweites Verfahren durch Prozessurteil abgewiesen zu werden, so sind sowohl Kläger als auch Beklagter dazu angehalten, den Streitstand im primären Verfahren zu „erweitern“.152 Allerdings darf der Aspekt der Prozessökonomie nicht zum Selbstzweck erhoben werden. „Effizienz als Rechtsprinzip“ kann niemals zur Verringerung einer Prozessbelastung der Gerichte eine Beeinträchtigug der Parteiinteressen rechtfertigen.153 Die Durchsetzung subjektiver Rechte hat angesichts des staatlichen Gewaltmonopols stets Vorrang gegenüber dem sekundären Ziel, die Ressourcen staatlicher Gerichte zu schonen. Diese Überlegungen müssen auch bei der Bestimmung des Streitgegenstands stets gegenwärtig sein.154 Hingegen treten bei der Rechtskraft verfahrenswirtschaftliche Gesichtspunkte eindeutig hinter der Verwirklichung von Rechtssicherheit zurück.155 Auch im internationalen Kontext kommt dem Aspekt der Verfahrensökonomie maßgebliche Bedeutung zu. Die Tatsache, dass außerhalb der EuGVVO eine u.U. aufwändige Anerkennungsprognose erforderlich ist und es in Einzelfällen aufgrund der Anerken-
148
Vgl. aber RGZ 160, 344. So noch v. Planck, Lehrbuch, Bd. 1, S. 270, 272, 274: „Der Einwand der Rechtshängigkeit ist verzichtbar, weil er zunächst nur das Interesse der Partei an der Befreiung von doppelter Verteidigungsmühe zu wahren bestimmt ist.“ Anders nunmehr Jauernig/Hess, ZPR, § 40 II Rn. 8. 150 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 82. 151 So McGuire, Verfahrenskoordination, S. 49 f.; vgl. Palsson Sc. St. L. (1970), 68: „Summing up, the rule of lis pendens is a natural and rational complement to the rule of res iudicata, more particulary to the negative side of this rule (ne bis in idem)“. 152 Vgl. Haas, in: FS Ishikawa, S. 165 f.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 50. Dies setzt aber eine modifizierte Deutung von § 261 III Nr. 1 ZPO voraus. 153 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 134; Schumann, in: FS Larenz (1973), S. 9; Henckel, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 125 f. 154 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 145 f. 155 So auch Herrmann, Grundstruktur, S. 41 f. 149
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nungsverweigerung doch zur Durchführung von zwei Verfahren kommt, kann daran nichts ändern.156
b) Geordnete Rechtspflege Als eher vernachlässigter Aspekt der Rechtskraftsperre ist die Verhinderung von Ansehensverlusten staatlicher Gerichte zu nennen157, der m.E. nicht auf unmittelbare Rechtskraftkonflikte beschränkt bleiben muss. Er greift bereits im Falle sachlich divergierender Vorfragen Platz.158 Auch durch parallele Verfahren drohen Ansehensverluste (vor allem auf internationaler Ebene), wenngleich in geringerem Maße.159 Anschaulich hat diesen Zweck das OLG München zum Ausdruck gebracht: „Durch die Beachtung der Rechtshängigkeit soll der ungestörte Ablauf des Verfahrens gesichert und ein der Würde und dem Ansehen des Gerichts abträglicher Wettlauf um die frühere rechtskräftige Entscheidung nicht nur im Inland, sondern […] auch im Verhältnis zu ausländischen Gerichten verhindert werden.“160
c) Verhinderung von Urteilskollisionen Zentraler Diskussionspunkt für die Abgrenzung zur Rechtskraftsperre ist die Verhinderung widersprechender Entscheidungen.
aa) Einführung Ne bis in idem-Einwand und Rechtshängigkeitssperre stimmen im prozessualen Charakter überein. Beide sollen deswegen nach h.A. der Verhinderung mehr facher bzw. sich widersprechender Entscheidungen in derselben Sache dienen.161 Hierbei wirke die Rechtshängigkeit durch das Verbot des Nebeneinander, die Rechtskraft durch das Verbot des Nacheinander von Prozessen de eadem re.162 Diese Synchronität wird mittlerweile in Zweifel gezogen. Dafür spricht, dass die positive Funktion der Rechtskraftwirkung keine Entsprechung im Rahmen des Rechtshängigkeitseinwandes kennt.163 Bereits hieraus 156
Ausführlich McGuire, Verfahrenskoordination, S. 50 f. Vgl. BGHZ 36, 365, 367; Herrmann, Grundstruktur, S. 43. 158 Ähnlich McGuire, Verfahrenskoordination, S. 51: sachlich völlig verschiedene Ergebnisse in einer Angelegenheit. 159 Anders Herrmann, Grundstruktur, S. 43. 160 So OLG München NJW 1964, 980. 161 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 3 f.: dient der Entscheidungsharmonie; Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 311. 162 RGZ 160, 338, 344 f.; BGH NJW 1986, 663; zum Ganzen Bäumer, S. 27 Fn. 173. 163 RGZ 50, 416 f.; Rimmels pacher, Amtsprüfung, S. 131 f. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 311, betont, dass sich an dem gewonnenen Ergebnis, dem Unterschied in der Reichweite zwischen Rechtskraft und Rechtshängigkeit, nichts ändere, wenn man nicht 157
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Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
wird deutlich, dass die Aufgabe, widersprechende Entscheidungen zu verhindern, den originären Aufgabenbereich der Rechtskraft betrifft.164 Der Ausschluss von Urteilskollisionen wird von der Rechtskraft völlig zureichend erfüllt, so dass nicht anzunehmen ist, dass die Rechtshängigkeit demselben Zweck dient.165 Rechtskrafteinwand und Rechtshängigkeitssperre sind im Ergebnis lediglich verwandte Institute.166 Beide verlangen Identität der Streitgegenstände zweier Verfahren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese eadem res denknotwendig nach gleichen Maßstäben zu bestimmen ist. § 261 ZPO dient – im Vergleich zu Art. 27 EuGVVO – auch anderen Zwecken als der Vermeidung von Urteilskollisionen. Als Argument für einen weitergehenden Umfang der Rechtshängigkeitssperre wird auch geltend gemacht, dass die Rechtshängigkeit eines prozessualen Anspruchs wieder entfallen könne, wenn kein Sachurteil ergehe.167 Für die Frage des Streitgegenstands haben diese Erweiterungen des Rechtshängigkeitsumfangs aber kaum eine Aussagekraft.168 Denn es handelt sich um Einzelumstände, die im Prozessverlauf begründet sind und die überdies auf einzelne Beweggründe in der Parteidisposition zurückgehen. Das generelle Hinausgreifen des Verfahrensgegenstandes über den Urteilsgegenstand kann damit nicht erklärt werden.
bb) Vergleich zur EuGVVO Aus der Annahme, dass Art. 21 I EuGVÜ und Art. 27 Nr. 3 EuGVVO den Zweck hätten, widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, könnte weiter geschlossen werden, dass letztlich die Streitgegenstände der Rechtshängigkeit und des Anerkennungsrechts identisch seien.169 Die Kritiker einer autonomen Auslegung von Artt. 21 EuGVÜ/27 EuGVVO betonen meist, dass an ein Rechtsverhältnis oder an einen „Anspruch“, sondern an die Rechtsposition anknüpfe. Haas, in: FS Ishikawa, S. 170 f., folgert gerade aus dieser fehlenden Kohärenz beider Institute, den Anwendungsbereich von § 261 III Nr. 1 ZPO zu erweitern. 164 Lippmann, AcP 65 (1885), 440; vgl. auch instruktiv MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 4 f.: Im Einzelnen sei die Rechtshängigkeitssperre bereits so zu gewichten, dass sie nicht primär an einander widersprechende Entscheidungen anknüpfe, weil dies eigentliche Aufgabe der Rechtskraft sei. Die Rechtshängigkeitssperre soll bereits eine doppelte Prozessführung verhindern. 165 So Rim mels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 311 f. In diesem Sinne auch Hauck, S. 82 f.: „Die Verhinderung widersprechender Entscheidungen in derselben Sache ist entgegen der wohl herrschenden Meinung allenfalls ein side-effect (und nicht Zweck oder gar Hauptfunktion) der Rechtshängigkeitssperre: Dies folgt schon daraus, dass es auch ohne Rechtshängigkeitssperre in der Regel nicht zu Urteilskollisionen käme, weil ein rechtskräftiges Urteil in einem Verfahren etwaige Parallelverfahren unzulässig machen würde…“; Herrmann, Grundstruktur, S. 144. 166 Herrmann, Grundstruktur, S. 29. 167 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 53 f. 168 In diese Richtung S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 84. 169 So Dohm, S. 78 f.
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hierdurch der Zusammenhang zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft zerrissen würde.170 Blickt man auf die Auslegung des Unvereinbarkeitstatbestandes (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ) durch den EuGH (Hoffmann Krieg)171, mag dies richtig sein. Jedoch wäre selbst im europäischen Prozessrecht das Institut der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht in allen Fällen erforderlich, um Urteilskonflikte zu verhindern. Zwar wird bereits im Jenard-Bericht betont, dass eine Koordination der Verfahren durch den Ausschluss des zeitlich späteren dazu beitrage, die Gefahr widersprechender Entscheidungen in derselben Sache zu bannen.172 Ohne den Zusammenhang von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO mit Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO würde jedoch allein die Rechtskraftwirkung eines ausländischen Urteils genügen, um widersprechende Parallelentscheidungen zu verhindern.173 Eine nach Artt. 32 f. EuGVVO anerkennenswerte ausländische Entscheidung könnte im Zeitpunkt ihrer Rechtskraft einen Zweitprozess dauerhaft unzulässig (bzw. unbegründet) machen: „Wäre alleiniges Ziel die Vermeidung widesprechender Urteile, wäre eine solche Lösung – die sinngemäß der Parallel Proceedings Rule des amerikanischen Rechts entspricht – ausreichend, eine Rechtshängigkeitsregel hingegen überflüssig.“174
Deren Existenz im englischen Recht bestätigt, dass auch durch das race to judgement widersprüchliche Entscheidungen verhindert werden. Bei dieser Betrachtungsweise würde allein für den absolut zeitgleichen Entscheidungserlass die Rechtshängigkeitssperre eine eigene originäre Berechtigung beanspruchen können.175 Die Rechtshängigkeitssperre sorgt vielmehr dafür, dass möglichst nur ein Verfahren über einen einheitlichen Rechtsstreit durchgeführt wird. Unvereinbarkeiten würden erst gar nicht entstehen, vorausgesetzt, die Annahme unvereinbarer Entscheidungen wäre auf die Fälle echter Rechtskraftkonflikte begrenzt.176 Da nach bestrittener Auffassung auch weitergehende materielle Widersprüche verhindert werden sollen, könnte die Rechtshängigkeitssperre über den Wirkungskreis der Rechtskraft hinausgreifen.177 Im Vordergrund stünde somit die Wahrung einer geordneten Rechtspflege und der Schutz der Parteien 170
Vgl. unten § 35. EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff.; ausführlich unten § 36 I. 172 Bericht von Jenard, ABIEG Nr. C 59, S. 13; OLG München NJW 1964, 979 f. 173 Überzeugend McGuire, Verfahrenskoordination, S. 41; Herrmann, Grundstruktur, S. 30 ff. 174 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 41 f.; vgl. United States Court of Appeal (D.C.) 6.3.1984, Laker Airways v Sabena World Airlines, [1984] 731 F.2d 909, 13: […] „parallel proceedings on the same in personam claim should ordinarily be allowed to proceed simultaneously, at least until a judgement is reached in one which can be pled res judicata in the other.“ 175 Treffend McGuire, Verfahrenskoordination, S. 41 f. 176 Nur dahingehend kann die Aussage von McGuire Zustimmung erfahren. 177 Blickt man auf die unterschiedlichen nationalen Urteilswirkungen, ist die Koinzidenz 171
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Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
vor Schikane. Das prozessuale Wiederholungsverbot reicht im laufenden Verfahren weiter als nach rechtskräftiger Entscheidung.178 Im internationalen Kontext hat die Rechtshängigkeitssperre auch die Aufgabe, als Gegengewicht zum strikten, in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO verankerten Nationalitätsprinzip zu fungieren. Durch ihre Hilfe bleibt das Prioritätsprinzip gewahrt, was der Urteilsfreizügigkeit förderlich ist.179 Neuere Ansätze bemühen für Art. 27 EuGVVO jedoch gerade die Verhinderung widersprechender Entscheidungen in derselben Sache.180 Dieser Zweck sei in Deutschland durch § 261 III Nr. 1 ZPO nur unzureichend umgesetzt worden. Grund dafür sei, dass die Norm nach überwiegendem Verständnis mit „Streitsache“ den Streitgegenstand meine, und nach allen „prozessualen Theorien“ ein unterschiedlicher Antrag auch zu einem unterschiedlichen Streitgegenstand führe. Identität der Streitsachen könnte aber bereits bejaht werden, „wenn das Urteil im Erstprozess Rechtskraft für den Verfahrensgegenstand im zweiten äußern würde; denn die Rechtskraftwirkung tritt nicht nur im Verhältnis identischer Streitgegenstände ein, sondern auch in den Fällen der Präjudizialität, wenn also der rechtskraftfähige Ausspruch in dem einen Prozeß als Vorfrage für den anderen Prozeß von Bedeutung ist.“181
Da die Rechtshängigkeit sich von ihrem Umfang her und aus historischen bzw. systematischen Gründen auf die Rechtskraft beziehe, wird auf diese Weise einer Erweiterung des Rechtshängigkeitsumfangs das Wort geredet. Nicht nur bei Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO, sondern auch im deutschen Recht stünde die Verhinderung einander widersprechender Entscheidungen, also von „Wirksamkeitshindernissen“, im Zentrum.182 Dieser Gesichtspunkt komme bisher bei der Auslegung von § 261 III Nr.1 ZPO nur unzureichend zum Ausdruck.183 Richtigerweise besteht hier ein qualitativer und nicht nur ein quantitativer Unterschied zur EuGVVO.184 Art. 27 EuGVVO will einen möglichen Rechtskraftkonflikt vermeiden, der zu unvereinbaren Entscheidungen (Art. 34 Nr. 3 mit dem Rechtshängigkeitsumfang ohnehin nicht gewährleistet, S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 82. 178 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 56. 179 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 45. 180 Haas, in: FS Ishikawa, S. 164 f.; oben § 16 II 1, 2, 3. 181 So Haas, in: FS Ishikawa, S. 164 f.; ebenso Beys, ZZP 105 (1992), 145, 165; vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 98 III 1 c Rn. 22. 182 Haas, in. FS Ishikawa, S. 180: Art. 21 EuGVÜ wolle nur Wirksamkeitshindernisse verhindern, nicht jedoch darüber hinaus gehende Sachzusammenhänge, die von Art. 22 EuGVÜ erfasst würden. 183 „Die deutsche Rechtshängigkeitssperre verhindert nämlich nicht, dass parallele Verfahren zu widersprüchlichen Urteilsbegründungen bzw. Widersprüchen zwischen rechtskraftfähiger Feststellung und Urteilsbegründung führen“, Haas, in: FS Ishikawa, S. 171 f., unter Berufung auf Leipold, Konzentration, S. 23. Bereits aus diesem Grunde votiert Haas für eine Übernahme der Kernpunkttheorie. 184 Vgl. im Übrigen oben § 16 II. A.A.: Haas, in: FS Ishikawa, S. 181.
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EuGVVO) führen würde. Dies ist jedoch Folge der hohen Bedeutung, die der Verordnungsgeber dem Nationalitätsprinzip einräumt. Ohne diese „künstlich geschaffene Schranke“ könnte sich die zeitlich frühere Entscheidung bereits aufgrund ihrer Rechtskraftwirkung durchsetzen.185 Dieses Prioritätsprinzip wird jedoch durch die Übergewichtung nationaler Interessen unterdrückt.186 Die deutsche ZPO fordert hingegen keine Ausrichtung an der Gefahr von Urteilswidersprüchen.187 Diese rechnet zum originären Anwendungsbereich der Rechtskraft (§ 580 I Nr. 7a ZPO). Im deutschen Recht drohen somit (weitgehend) keine der EuGVVO vergleichbaren Wirksamkeitshindernisse.188 Denn das Prioritätsprinzip wird über § 580 a ZPO gewahrt und nach h.M. soll die erste Entscheidung auch dann den Vorrang haben, wenn eine Restitutionsklage nicht mehr erhoben werden kann.189 Auch den Motiven der CPO ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Zwar bringt der Gesetzgeber hinreichend zum Ausdruck, dass inhaltlich widersprechende Entscheidungen unter denselben Parteien „im Volke als ein schwerer Übelstand empfunden werden müssten.“190 Diese Aussage findet sich jedoch in den Gesetzesmaterialien nur im Zusammenhang mit der Intention der Rechtskraft (§ 283 CPO). Die Aussage der Motive191, die exceptio rei iudicatae habe denselben Umfang wie der Einwand der Litispendenz, ist vor allem auf den Aufrechnungseinwand gemünzt, ohne dass sie verallgemeinert werden darf.192 Deswegen ist der Litispendenzeinwand im deutschen Recht nicht primär an möglichen Rechtskraftwirkungen auszurichten, zumal sämtliche Fälle der Präjudizialität im deutschen Recht bereits über § 148 ZPO zufriedenstellend koordiniert werden. Bei Ermittlung des Umfangs der Rechtshängigkeitssperre können indes über den Bereich des ne bis in idem hinaus auch prozesswirtschaftliche Gesichtspunkte Berücksichtigung finden, soweit Rechtsschutzinteressen dadurch nicht beeinträchtigt werden. Bei dieser Sichtweise sorgt die Rechtshängigkeits185 186
Zutreffend McGuire, Verfahrenskoordnination, S. 45, 180. Insoweit richtig Haas, in: FS Ishikawa, S. 179; positiver Schmehl, Parallelverfahren,
S. 105. 187 Teilweise anders: Herrmann, Grundstruktur, S. 143 f., der den Grund der Rechtshängigkeitssperre darin sieht, dass das Erstverfahren keinesfalls durch die Rechtskraft eines überholenden Zweitverfahrens unzulässig werden dürfe. 188 Haas, in: FS Ishikawa, S. 180: Zwar resultierten Wirksamkeitshindernisse nicht aus einem Anerkennungsversagungsgrund, jedoch aus der Möglichkeit der Kollision rechtskraftfähiger Aussprüche. Die durch § 580 Nr. 7a ZPO gewährte Option zur Beseitigung sei nutzlos, sofern die Frist für die Restitutionsklage nach § 586 ZPO verstrichen sei. 189 BGH NJW 1981, 1517, 1518; BAG NJW 1986, 1831, 1832. 190 Hahn/Mugdan, Bd. 2 Abth. 1, S. 227 = Hahn, Materialien II/1, S. 291. 191 Oben § 18 I. 192 Lippmann, AcP 65 (1885), 358 f., (439): „Die Function der Abwehr doppelter Entscheidungen, die im alten Rechte die Einrede der Rechtshängigkeit hatte, hat im neuen Rechte zum größeren Theile die Einrede der Rechtskraft übernommen, ohne dass die Practikabilität der Sache darunter zu leiden hätte.“
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sperre dafür, dass möglichst nur ein Verfahren über einen zusammenhängenden Rechtsstreit durchgeführt wird. Die Verhinderung von Parallelverfahren kann auch dann sinnvoll sein, wenn sukzessive Prozesse nicht verhindert werden sollen. Der Grundsatz der Verfahrenskonzentration kann sich im laufenden Verfahren stärker entfalten. Soweit für cross border-Streitigkeiten die Vermeidung von Urteilskollisionen als wichtigster Aspekt der Rechtshängigkeitssperre genannt wird193, so hat dies seinen Grund in den Besonderheiten internationaler Sachverhalte.194 Auf internationaler Ebene gilt es, der Gefahr der Anerkennungsverweigerung (§ 328 Nr. 4 ZPO; Art. 34 Nr. 3 EuGVVO) ein besonderes Augenmerk zu schenken. So ist denkbar, dass Rechtskraftwirkungen eines früheren ausländischen Urteils aus einem Parallelverfahren, das die inländische Rechtshängigkeit überging, im Inland nicht anerkannt werden. Bei konkurrierenden Verfahren im Inland ist die Missachtung der früheren Rechtshängigkeit für die Rechtskraftfähigkeit des im zweiten Prozess ergehenden Urteils jedoch bedeutungslos.195 Der Rechtshängigkeitssperre kommt deswegen im nationalen Prozess ein anderer Zweck zu als im internationalen Kontext.196
d) Schutz des Beklagten Bereits im Justinianischen Prozesssystem197 diente der Litispendenzeinwand weniger dem Schutz der auctoritas rei iudicatae, als vielmehr dem Bemühen, den Beklagten vor einer schikanösen erneuten Klageerhebung bei noch anhängiger Streitsache zu bewahren.198 Dieser Schutz vor doppelter Inanspruchnahme kann für den Ausschluss von Parallelverfahren im Deutschen und Europäischen Prozessrecht gleichermaßen Geltung beanspruchen, wenngleich die Folgen auf internationaler Ebene viel weitgehender sind.199 Dies gilt insbesondere, wenn man bedenkt, dass sich die Gerichtspflichtigkeit der Parteien in Europa durch den wachsenden europäischen Justizraum ständig ausweitet. Gerade dieser Beklagtenschutz ist ein besonderes Anliegen der ZPO und auch der EuGVVO, was sich u.a. am Grundsatz actor sequitur forum rei zeigt. Rechtsnachteile drohen für den Beklagten im Übrigen bereits durch die Mehrfachverteidigung als solche, ohne dass widersprechende Entscheidungen drohen müss193
Habscheid, RabelsZ 31 (1967), 263. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 318. 195 So auch A. Blomeyer, ZPR, S. 247; Habscheid, RabelsZ 31 (1967), 255. 196 Zutreffend Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 318. 197 Oben § 4 I. 198 Ausführlich Herrmann, Grundstruktur, S. 38; Mittenzwei, Aussetzung, S. 70, und bereits deutlich v. Planck, Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten, S. 13 f., etwa auch mittels Kautionen, S. 18 f.; zum Schikaneverbot Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 47; Hess, JZ 2001, 573 f. 199 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 47; Mansel, IPRax 1990, 214; a.A.: Dohm, S. 38 f.: Die Vermeidung der mit einer Mehrfachprozessführung verbundenen Kosten- und Zeitnachteile seien im europäischen Kontext zu vernachlässigen. 194
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ten. Die Verhinderung kollidierender Entscheidungen stand für die Rechtshängigkeit weder früher noch heute im Vordergrund. Maßgeblich ist vielmehr die Verhinderung mehrfacher Prozessführung in derselben Sache, die für den Beklagten zusätzliche Verteidigungslast mit sich bringt.200 In diesem Kontext empfiehlt sich ein Blick auf das US-amerikanische Recht. Parallelprozessen wird dort meist auf weniger doktrinäre Art begegnet (pendency of another action). 201 Dabei ist die Differenzierung nötig, ob Parallelverfahren unter einer Gerichtsgewalt durchgeführt werden oder nicht (Parallelverfahren vor zwei einzelstaatlichen Gerichten innerhalb desselben Bundesstaates und Parallelverfahren vor zwei Bundesgerichten). 202 Die Beachtung einer anderweitigen Rechtshängigkeit innerhalb derselben Gerichtsgewalt auf Antrag einer der Parteien ist gefestigte common law rule. Teilweise existieren in den Bundesstaaten auch Regelungen, in denen ein Parallelverfahren für „unzulässig“ erklärt wird oder auf Antrag einer Partei ausgesetzt werden kann. Die Abweisung des Zweitverfahrens von Amts wegen als unzulässig ist jedoch meist nicht vorgesehen. Es bleibt dem Belieben des Beklagten des Zweitverfahrens überlassen, den Einwand vorzubringen. Bezeichnenderweise steht hier nicht der Entscheidungseinklang im Vordergrund, sondern der Schutz des Beklagten vor zweimaliger Verteidigung in derselben Sache. Die anderweitige Rechtshängigkeit wird beachtet, sofern die Streitsache beider Verfahren identisch oder jedenfalls nahezu identisch ist.203
6. Folgenvergleich: Präklusionsumfang und rechtliches Gehör Für einen weiteren Rechtshängigkeitsumfang sprechen im Vergleich zum ne bis in idem-Einwand die geringer wiegenden Folgen für die Parteien. Denn im Gegensatz zur Rechtskraft besteht nicht die Gefahr endgültiger Präklusion. 204 Bereits aufgrund dieses gemäßigten Eingriffs in die Rechtsschutzzone des Klägers dürfen prozessökonomische Gesichtspunkte wie der Wunsch nach Verfah200 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 311. Dieses Anliegen kommt auch deutlich in RGZ 169, 353 zum Ausdruck: Die Einrede der Rechtshängigkeit wolle (auch) die Vermeidung einer mehrfachen Prozessführung über denselben Streitgegenstand zur gleichen Zeit erreichen, um den Beklagten nicht über Gebühr zu belästigen; vgl. RGZ 155, 75. 201 N. Schulte, S. 102 f.: Ermessensentscheidung und Comity-Erwägungen. 202 N. Schulte, S. 104 f. 203 Identität meint, dass die cause of action bzw. die issues identisch sind, wofür das Vorbringen der Parteien entscheidend ist: „The general rule that the pendency of one action or suit may be pleaded in abatement of another one applies only where both actions or suits present for adjudication the same cause of action, or, in other words, this rule only applies where both actions or suits involve the same subject matter, and present for adjudication the same, or substantially the same, cause or causes of action and issues (…)“, 1 C.J.S. Abatement and Revival, § 29; näher N. Schulte, S. 113. 204 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 85 f.
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renskonzentration mehr Platz greifen. 205 Daraus ergibt sich jedoch noch keine Divergenz zwischen Rechtskraft- und Rechtshängigkeitssperre. 206 Wie das Beispiel des US-amerikanischen Rechts zeigt, könnte ein erweiterter Rechtskraftumfang einen viel größeren Beitrag zur Verfahrenskonzentration leisten, da nicht erhobene Ansprüche und Gegenrechte des Beklagten dort nach Verfahrensabschluss endgültig präkludiert sind. Gegen ein so weites Rechtskraftkonzept spricht aber, dass der Gesetzgeber der ZPO eine Orientierung an der konkreten Rechtsbehauptung (§ 322 I ZPO) für notwendig erachtete. Die Beteiligten sollten vor überraschenden Vorfragenentscheidungen mit Bindungswirkung geschützt sein. 207 Der Rechtsfriedensaspekt hingegen begünstigt nur vordergründig eine weite Rechtskraftwirkung. Im Ergebnis wird der durchgeführte Streit dann durch vorsorglich vorgebrachte Einwendungen und Behauptungen aufgebläht und belastet. 208 Ein erweiterter Rechtskraftumfang erweist sich daher als „zweischneidiges Schwert“. Die Tatsache, dass sich der Gesetzgeber gegen eine Einbeziehung entscheidungserheblicher Vorfragen in den Rechtskraftumfang ausgesprochen hat209, erklärt die Notwendigkeit der Zwischenfeststellungsklage (§ 256 II ZPO). Der Rechtskraft als Mittel zur Verfahrenskonzentration sind deswegen im deutschen Recht berechtigte Grenzen gesetzt. Dies steht einem erweiterten Rechtshängigkeitsumfang aber nicht entgegen. Denn die Motive des Gesetzgebers, die für eine Beschränkung des Rechtskraftumfangs sprechen 210, können insoweit keine Geltung beanspruchen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör rechnet zu den Verfahrensgrundrechten 211 und steht in sachlicher Nähe zum Justizgewährungsanspruch. 212 Dieser verpflichtet den Staat, dem Rechtsuchenden zur Wahrheitserforschung Gericht und Verfahren zur Verfügung zu stellen. 213 Art. 103 I GG sichert die Mitwirkung an dieser Wahrheits- und Rechtsfindung. 214 Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur durch Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Prinzipien eingeschränkt. Beschränkend wirken insoweit das Recht des einzelnen auf rasche und abschließende Entscheidung, sowie der Grund205 Gegen eine allgemeine durch die Rechtshängigkeitssperre vermittelte Konzentrationslast, K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 441. 206 In diesem Sinne auch S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 83. 207 Oben § 13 II 1 b. A.A.: Engelmann-Pilger, S. 95 f.: Erstreckung der Rechtskraft auf alle bedingenden Rechtsverhältnisse de lege ferenda. 208 Vgl. S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 79 f. 209 So auch BGH NJW 1993, 2684 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 153 III Rn. 10. 210 Hahn, Materialien II/1, S. 291: Schutz vor überraschenden Urteilswirkungen. 211 BVerfG NJW 2003, 1924 ff. 212 Hierzu auch Nieroba, S. 187. 213 Stürner, Aufklärungspfl icht der Parteien, S. 35; ders., Die richterliche Aufklärung, S. 35 f. 214 Waldner, Anspruch auf rechtliches Gehör, S. 5 f.
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satz der Rechtsstaatlichkeit, das Beschleunigungsgebot, der Rechtssicherheitsaspekt und die Gewährleistung der Rechtspflege. 215 Dabei gilt es insbesondere, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen. 216 Einschränkende Maßnahmen müssen geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Die Grenzen der Rechtskraft (§ 322 I ZPO) und der Urteilsgegenstand müssen dementsprechend angepasst werden. Die Präklusionswirkung der Rechtskraft schließt nach h.A. einen Tatsachenvortrag in einem neuen Prozess aus, der bereits zum Lebenssachverhalt des früheren Verfahrens gehört hätte. Dies gilt unabhängig davon, ob der Partei die jeweiligen Tatsachen überhaupt bekannt waren. Hingegen könnten identische Anträge mit einem anderen, selbständigen Lebensvorgang begründet werden. Dieser Bezug zum (vorgetragenen) Tatsachenstoff belastet das Verfahren aber mit vielen Unsicherheiten. Geeignetere Abgrenzungskriterien sind deswegen dringend erforderlich. Der Streit um die Unterscheidung zwischen Streit- und Urteilsgegenstand konzentriert sich in erster Linie auf die Behandlung neu vorgetragenen Tatsachenmaterials, also auf die Frage, ob der Sachverhalt als Abgrenzungsmerkmal bereits im Rahmen des laufenden Verfahrens Beachtung finden muss oder erst bei der Bemessung des Urteilsgegenstands hinzutritt. M.E. sollte dem (vorgetragenen) Tatsachenkomplex nicht die entscheidende Rolle bei der Bemessung der Rechtskraftgrenzen zukommen, die ihm die h.L. einräumt. 217 Denn die natürliche Betrachtungsweise des BGH ist ebenso wie die am materiellen Recht orientierten Abgrenzungsmethoden der Literatur mit Rechtsunsicherheiten versehen. 218 Der dilatorische Effekt der Rechtshängigkeit gefährdet den Anspruch auf rechtliches Gehör weniger. Denn abgeschnitten wird lediglich ein Parallelverfahren, nicht jedoch die Einbeziehung des neuen Vortrags in das laufende Verfahren. Auch der Justizgewährungsanspruch 219 erscheint bei rein nationalen und somit tendenziell gleichwertigen Gerichten nur geringfügig tangiert. 220 Lediglich bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten wird der Anspruch auf recht215 Auch Präklusionsvorschriften wie § 296 ZPO beschränken den Anspruch auf rechtliches Gehör. Der rechtfertigende Grund für die Rechtskraftpräklusion ist das Bedürfnis nach einer endgültigen Entscheidung und nach Rechtssicherheit. Fehlentscheidungen werden in Kauf genommen, BVerfG NJW 2003, 1924. 216 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 86. 217 Der Präklusionsumfang wird etwa bei Feststellungsklagen und Gestaltungklagen dadurch gering gehalten, dass der Streitgegenstand von vorneherein auf den jeweiligen Erwerbsgrund oder das jeweilige Gestaltungsrecht begrenzt wird; Lent, ZZP 65 (1952), 315 (341), weigert sich etwa, in der Verneinung eines Vertragsanspruches im Urteil auch die Verneinung eines Deliktsanspuches zu erkennen; vgl. auch S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 88. Näher unten § 29 und § 30. 218 Vgl. oben § 10 IV, § 12. 219 BVerfG NJW 2003, 1924 f. 220 Auf europäischer Ebene ist diese Gleichwertigkeit der Justizsysteme nur ein oft beschworenes Wunschbild, hierzu auch Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23 f.; prozessökonomische Gesichtspunkte sind deswegen bei der Bemessung des Rechtshängigkeitsum-
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liches Gehör stärker belastet. Eine erweiterte Rechtshängigkeitssperre führt im Übrigen mangels Präklusionsgefahr nicht dazu, dass die Beteiligen gezwungen werden, den Prozessstoff künstlich aufzublähen. 221 Im Hinblick auf prozessökonomische Aspekte kann § 261 III Nr. 1 ZPO somit großzügiger gefasst werden. 222 Wenig bedacht wurde dabei indes, ob auch sachverwandte, aber formal divergierende Klageanträge von der Konzentrationswirkung erfasst werden. 223
7. Zusammenfassung Eine echte Kohärenz in der dogmengeschichtlichen Entwicklung von Rechtshängigkeit und Rechtskraft, die in einer gegenseitigen Beeinflussung bestehen hätte können, ist nicht zu erkennen. 224 Die herrschende Ansicht lässt für die Begründung der Zweckgleichheit die analytische Tiefe vermissen, indem sie die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen beider Institute vergleicht, um daraus auf einen Zusammenhang größerer Art zu schließen. 225 Die Funktionsübereinstimmung beider Institute wird deswegen zu Recht in Zweifel gezogen. Zum einen existiert für die Rechtshängigkeit keine Entsprechung zur positiven Rechtskraftwirkung. 226 Stattdessen gestattet § 148 ZPO lediglich eine ermessensabhängige Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens. Zum anderen ist die Rechtshängigkeit neben ihrer Funktion als Prozesshindernis auch für die perpetuatio fori, das Verbot der Klageänderung und der Zulässigkeit der Widerklage von Bedeutung. 227 Im europäischen Prozessrecht gewinnt die Wahrung des Prioritätsprinzips überdies besondere Bedeutung: Denn der Kläger soll nach Einleitung des Prozesses nicht der Gefahr ausgesetzt sein, verfahrensrechtlich überholt und damit um den möglichen Prozesserfolg gebracht zu werden. 228 fangs nach Art. 27 EuGVVO – anders als bei rein nationalen Fallgestaltungen – mit Vorsicht zu würdigen. 221 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 88. 222 Wieczorek/Schütze/Prütting, ZPO, Band I, Einl. Rn. 69. 223 Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, S. 723, glaubt, dass parallele Prozesse (vor allem in abweichender Währung) verhindert werden müssten. Dies zwinge dazu, den Begriff der Streitsache im Sinne von § 261 ZPO „vom rein prozessualen Streitgegenstandsverständnis zu lösen und das Augenmerk auf den materiellrechtlichen Leistungsanspruch (präzisiert etwa durch die Einheitlichkeit des Verfügungsgegenstandes) zu richten.“ Die konkrete Rechtsfolge wäre dann nebensächlich, sofern der Anspruchsgrund derselbe bliebe. 224 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 85 f., versucht dies mit dem Grundsatz rechtlichen Gehörs zu erklären. Während die prozessrechtliche Natur der exceptio lis pendentis niemals ernsthaft angezweifelt wurde, entspannte sich um die Einordnung der Rechtskraft als prozessuales oder materiellrechtliches Institut ein Streit der Zivilrechtswissenschaft, Gaul, in: FS Flume, S. 513. 225 Herrmann, Grundstruktur, S. 30 f. 226 Hierzu Rimmels pacher, Amtsprüfung, S. 131 f.; ders., Materiellrechtlicher Anspruch, S. 311. 227 Ebenso Herrmann, Grundstruktur, S. 31 f. 228 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 52: Die Wahrung des Prioritätsprinzips diene
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Die These von der Rechtshängigkeit als einer Vorwirkung der Rechtskraft hat sich somit nicht erhärtet. Gleiches gilt für die Ansicht, wonach die Rechtshängigkeitssperre nicht ohne Entsprechung auf der Ebene der Rechtskraft (ne bis in idem) bleiben könne, was gerade für die Herausbildung eines relativen Streitgegenstandsbegriffs von Bedeutung ist. Insoweit könnte der Umfang der Rechtshängigkeit durchaus eine Neuausrichtung erfahren, die den Konzentrationsgrundsatz stärker in den Vordergrund rückt, soweit der Rechtsschutz der Parteien darunter nicht über Gebühr leidet. Dazu ist der liberale Ansatz der CPO (vgl. § 308 ZPO)229 in Abwägung zu setzen. Beide Aspekte gilt es miteinander zu versöhnen, soweit der Gesetzgeber nicht ausdrücklich einen anderen Weg zur Verfahrenskoordination (vgl. § 148 ZPO: materielle Konzentration bzw. Abstimmungskonzentration) vorgesehen hat.
II. Klageänderung und Rechtskraft Bereits in einigen Partikularrechtsordnungen des 19. Jahrhunderts wurde versucht, zwischen dem Verbot der Klageänderung und dem Umfang der res iudicata einen inneren Zusammenhang herzustellen. So beinhaltete die badische Proceßordnung von 1864 die Wendung: „Eine Klageänderung ist als vorhanden anzusehen, wenn eine rechtskräftige Abweisung der ursprünglichen Klage die Einrede der entschiedenen Sache gegen die veränderte Klage nicht begründen würde.“230
Die Parallele zwischen res iudicata und Klageänderung – insbesondere im Hinblick auf das gemeinsame Erfordernis des Klagegrundes – klang auch bei der zweiten Lesung des Entwurfs der deutschen Zivilprozessordnung an: „Der Entwurf stehe auf dem gleichen Standpunkte wie Baden, welches die Klageänderung soweit zulasse, als sie nach den Grundsätzen der res iudicata zulässig sei.“231 Vergleichbar vertrat Richard Schmidt 232 zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch die These, dass sich Klageänderungs- und Rechtskraftgrundsätze in einigen Punkten berührten. 233 Insbesondere sei es möglich, aus dem Umfang der dabei nicht nur dem Klägerschutz, sondern wolle grundsätzlich einem Wettlauf um die frühere Entscheidung vorbeugen. 229 Hierzu Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 239: Der Kläger soll nicht nur über die Rechtsposition, sondern auch den jeweiligen Rechtsbehelf frei entscheiden können. 230 Vgl. Kühne, 13. DJT, S. 236. 231 So von Amsberg, Protokolle der Reichsjustizkommission, S. 542; Hahn, Materialien II/1, S. 967. 232 R. Schmidt, Lehrbuch, S. 755, S. 825 f. 233 „Eine Klageänderung nimmt vor, wer ein solches neues Vorbringen in den Prozess einführt, daß die Rechtskraft über das erste Klagevorbringen das neue Vorbringen nicht mit ergreifen würde“, R. Schmidt, Lehrbuch, S. 825 f.; RGZ 14, 347; 22, 221.
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Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
Rechtskraft die auch für das Klageänderungsverbot relevante Identität des Klagegrundes zu bestimmen. Rümelin234 hat jedoch mit Nachdruck darauf hingewiesen, wie verhängnisvoll sich diese Parallele in der Praxis erwiesen habe. Die Aussage, sofern der Kläger seine Klage ohne Klageänderung modifizieren könne, sei es ausgeschlossen, dass er dies nach Abweisung mit einer neuen Klage versuche, ist demnach unzutreffend. 235 Ein Zusammenhang besteht nur dergestalt, dass der Kläger, dem es nach Abweisung verwehrt wird, in derselben Angelegenheit eine neue Klage zu erheben, die Klage denknotwendig im anhängigen Verfahren verbessern kann. 236 Unzweifelhaft zutreffend erscheint somit der Satz, dass eine unzulässige Klageänderung nicht vorliegt, soweit nach Verfahrensabschluss der Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache (ne bis in idem) greifen würde. 237 Der Urteilsgegenstand kann enger, aber nicht weiter als der Verfahrensgegenstand gefasst werden. Hingegen lässt sich nicht in umgekehrter Richtung von der Rechtskraft auf die Möglichkeit der Modifizierung des Klagebegehrens schließen. 238 Es liegt nicht deswegen bereits eine unzulässige Klageänderung vor, weil nach Verfahrensabschluss keine Rechtskraftwirkung im Sinne von ne bis in idem zu erwarten wäre. Dies zeigen bereits die in § 264 Nr. 2 und 3 ZPO beschriebenen Konstellationen. 239 Die These der allseitigen Konvergenz widerspricht zudem der Relativität der Prozessrechtsbegriffe. Auch wenn der Kläger nach Klageabweisung die Möglichkeit eines zweiten Verfahrens hat, bedeutet dies nicht, dass er seine bisherige Klage nicht außerhalb der durch § 263 ZPO gesetzten Grenzen (Sachdienlichkeit oder Einwilligung des Beklagten) verbessern könnte. Die Gegenauffassung will hingegen argumentativ auf die allgemeine Bedeutung des Klagegrunds für Klageschrift, Klageänderung und Rechtskraftumfang rekurrieren. 240 Der Klagegrund im Sinne von § 264 Nr. 3 ZPO sei hiernach nicht 234
Rümelin, AcP 88 (1898), 87 f. Rümelin, AcP 88 (1898), 87 f.; O. Fischer, in: Festgabe zum Doktorjubiläum Rudolf von Iherings, S. 45 f.; a.A.: Petersen, ZZP 3 (1881), 398. 236 Rümelin, AcP 88 (1898), 87 f.: „Denn ein ius strictum, welches an eine verkehrte Klagebegründung die Strafe dauernden Rechtsverlustes anknüpfen würde, ist am Ausgange des 19. Jh. nicht denkbar.“ 237 RGZ 22, 221. 238 Richtig: Rümelin, AcP 88 (1898), 90. 239 Wieczorek, ZPO, § 268 (a.F.) Rn. A Ia.: „Auch erstreckt sich die Rechtskraftwirkung nicht auf andere als die geltend gemachten Ansprüche, selbst wenn sie unter § 268 I 2, 3 gebracht werden könnten, und erst recht nicht auf Änderungsmöglichkeiten nach § 264 (a.F.), weil grundsätzlich kein Zwang zur Klagenhäufung (OLG Dresden SächsAnn. 32/130 [132]) besteht; es darf also anstatt zu ändern auch neu geklagt werden.“ 240 R. Schmidt, Lehrbuch, S. 755 ff., versucht eine (andersartige) Begründung des Zusammenhangs von Klageänderung und Rechtskraft aus der Bedeutung der Klageschrift für die Fixierung des Streitgegenstands, der sich letztlich an dem orientiere, was im Urteil rechtskräftig entschieden werde; Rümelin, AcP 88 (1898),103, hat aber bereits deutlich gemacht, 235
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anders zu verstehen als der Grund des erhobenen Anspruchs in § 253 II Nr. 2 ZPO. Eben durch diesen bestimme sich nach Maßgabe der Klageschrift auch der Anspruch im Sinne von § 322 ZPO (§ 293 CPO). Diese Erklärung beruht auf der Annahme, dass der der Klageschrift zugrunde gelegte Klagegrund (ohne Einwilligung des Beklagten) auch die unverrückbare Basis für alle weiteren Folgen darstelle241, eine Annahme, welche die mittlerweile erkannte dynamische Seite des Prozesses schlichtweg verkennt. Teilweise wird dieser Nexus von seinen Befürwortern auch als Überrest der Eventualmaxime, d.h. im Sinne eines Gegengewichts zur Prozessverschleppungsabsicht des Klägers bewertet. 242 Nur ist die Eventualmaxime unserem auf dem Mündlichkeitsprinzip beruhenden Verfahren mittlerweile ferner denn je. 243
III. Rechtshängigkeit und Klageänderung In unmittelbarem funktionellen Zusammenhang stehen indes Rechtshängigkeits- und Klageänderungssperre. Kann der Kläger sein neues Vorbringen nicht im laufenden Verfahren verwirklichen, weil dem das Klageänderungsverbot entgegenstünde (§ 263 ZPO), so bleibt ein Parallelprozess zulässig (§ 261 III Nr. 1 ZPO). Ansonsten würde bereits dem Grundsatz rechtlichen Gehörs Gewalt angetan. 244 In welchem Umfang aber die Regeln über die Zulässigkeit der Klageänderung (insbesondere § 264 Nr. 2, 3 ZPO) den Rechtshängigkeitsumfang und damit den Verfahrensgegenstand mitbestimmen, bedarf noch eigener Klärung. 245 Dies betrifft insbesondere den Umfang der erwünschten Verfahrenskonzentration: Ist dem Kläger ein Parallelverfahren bereits verschlossen, wenn er sein Begehren mittels der Vorschriften der Klageänderung auch im Erstverfahren umsetzen könnte?246 Durch die Zusammenschau beider Rege-
dass dies eine petitio principii darstelle. Denn in der Klageschrift wird nicht bereits der ganze Streitgegenstand im Sinne der res iudicata definiert. Die Rechtskraft kann sich auch nach dem richten, „was in näherer Ausführung der Klageschrift im Laufe der Verhandlung vorgetragen wurde.“ 241 Vgl Rümelin, AcP 88 (1898), 91. 242 So Leonhard, Göttinger gelehrte Anzeigen, 650: „Der § 240 [a.F.] will allem Anschein nach als Klaggrund dieselben Behauptungen, welche den Inhalt der Rechtskraft bei dem Siege des Klägers bestimmen würden, zu unabänderlichen machen.“ 243 A.A. Jauernig/Hess, ZPR, § 28 II 1, 2 Rn. 9, 10, der in den Novellen der ZPO nach 1945 unter dem Stichwort „Konzentrationsmaxime“ eine deutliche Hinwendung zur Eventualmaxime erkennen will. 244 A. Blomeyer, ZPR, § 41 V.1; Bork, Vergleich, S. 438; speziell für den Vortrag verschiedener Sachmängel im kaufrechtlichen Gewährleistungsprozess Bub, Streitgegenstand, S. 137 f. 245 Näher unten § 23 I. 246 Insbesondere in der Berufungsinstanz wirft hier § 533 ZPO bisher ungeklärte Fragenkomplexe auf, vgl. zur früheren Rechtslage Bub, Streitgegenstand, S. 170 f.
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lungskomplexe erscheint im Folgenden eine begriffliche Grundlegung des Verfahrensgegenstandes möglich. 247
IV. Rechtshängigkeit und Aussetzung des Verfahrens Bei der Konturierung des Verfahrensgegenstandes entstehen weiter Berührungspunkte zwischen Rechtshängigkeitssperre und Verfahrensaussetzung. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gubisch/Palumbo248 könnte möglicherweise auch im nationalen Recht eine Neubewertung des Anwendungsbereichs beider prozessualer Institute erforderlich machen. Die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede beider Institute in Bezug auf den Umfang der res iudicata hat bereits Ingo Mittenzwei zu verdeutlichen versucht. 249 Wie die Rechtshängigkeitssperre bezwecke somit nach Ansicht von Mittenzwei auch die Aussetzung die Vermeidung widersprechender Entscheidungen und den Schutz des künftigen Judikats vor der entfalteten präjudiziellen Rechtskraftwirkung. 250 Die Aussetzung stelle sich insoweit als notwendige Ergänzung zur Rechtshängigkeitssperre dar: Während der Litispendenzeinwand unmittelbar mit der direkten Rechtskraftwirkung in Verbindung stehe, seien die Fälle, in denen eine präjudizielle Rechtskraftwirkung zu erwarten sei, nicht über § 261 III Nr. 1 ZPO, sondern über § 148 ZPO zu koordinieren. 251 Zum einen sei der prozessuale Streitgegenstandsbegriff Richtschnur, das andere Mal seien materiellrechtliche Konstruktionszusammenhänge zwischen zwei Rechtsfolgen maßgeblich. Insoweit hatte sich Mittenzwei gegen die Thesen Bettermanns 252 gewandt, der diese Verbindung zwischen dem Zweck der Aussetzung und der Rechts247
Hierzu unten § 23 I 10. EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861 = IPRax 1989, 157 (Schack). 249 Mittenzwei, Aussetzung, S. 67, 83 ff.: „Aber wie die Rechtshängigkeit eine formelle und eine materielle Funktion hat, nämlich erstens die Konkurrenz zwischen mehreren Prozessen mit gleichen Streitgegenständen regelt und zweitens der Inhaltssicherung einer zu erwartenden Entscheidung dient, so lässt sich auch bei der Aussetzung diese äußere und innere Seite unterscheiden. Zwar kann man bei der gleichzeitigen Geltendmachung verschiedener Streitgegenstände vor verschiedenen Gerichten nicht gerade von einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des staatlichen Rechtsschutzes sprechen wie bei der Rechtshängigkeit, die prozessökonomischen Ziele sind jedoch die gleichen“; zur Funktion von § 148 ZPO auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 148 Rn. 3, 27. Vgl. zu Mittenzwei auch die Besprechung von Habscheid, FamRZ 1974, 670 ff. 250 Allerdings weist K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 255 f., mit Recht darauf hin, dass für die Ausübung des Aussetzungsermessens bei dieser Sichtweise kein Spielraum mehr bestünde. Bei diesem Blickwinkel würde die tatbestandliche Aussetzungsmöglichkeit auch zur Aussetzungspflicht. 251 Mittenzwei, Aussetzung, S. 81. 252 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 34. 248
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hängigkeitssperre bestritt. Nach dessen Ansicht teilten Aussetzung, Rechtshängigkeit und Rechtskraft nur den prozessökonomischen Aspekt253, während nur die letzten beiden Institute als weiteres Ziel die Vermeidung widersprechender Entscheidungen verfolgten. 254 Nach Mittenzwei diene aber auch die positive Rechtskraftwirkung der Vermeidung der Rechtsverwirrung, so dass die Aussetzung für diese die gleiche Bedeutung erlange wie die Rechtshängigkeit für die negative Rechtskraftwirkung. 255 Deutlich wird der innere Zusammenhang zwischen Rechtshängigkeitssperre und Aussetzung aus dem Umstand, dass nach früherer Auffassung trotz des Verzichts des Beklagten auf die Einrede der Rechtshängigkeit der Prozess von Amts wegen auch dann ausgesetzt werden konnte, wenn die Voraussetzungen der Vorgreiflichkeit nicht vorlagen, sondern die der Identität. 256 Auf dieser Linie bewegt sich die Aussage Mittenzweis, wonach Rechtshängigkeit und Aussetzung sich gegenseitig ergänzende Institute seien, die beide der Wiederherstellung des Rechtsfriedens dienen. 257 Seiner Ansicht nach überwiege das Interesse an geordneter Rechtspflege das berechtigte Beschleunigungsinteresse des Klägers nur, wenn eine Urteilskollision zu erwarten sei und das Prozessziel der Schlichtung des Konflikts und der Wiederherstellung des Rechtsfriedens ohnehin gefährdet sei. 258 Nach wohl h.L. verbietet sich deswegen eine erweiternde Auslegung von § 148 ZPO aus rein prozessökonomischen Gründen. 259 Diese Auslegung von § 148 ZPO verliere das Ziel des Prozesses nicht aus den Augen und mute dem Kläger eine Verzögerung des Rechtsschutzes nur dort zu, wo die erstrebte, endgültige Erledigung des privaten Interessenkonflikts wegen einer zu erwartenden Kollision von Urteilen verschiedener Gerichte ohnehin nicht erwartet werden könne. Folgt man dieser Linie, wäre der originäre Anwendungsbereich beider Institute, die sich dann gegenseitig ausschließen, voneinander trennscharf ab253 Es gelte zu vermeiden, dass dieselbe Streitfrage mehrfach die Gerichte beschäftige, seien es nun die gleichen oder verschiedene, sei es als Hauptsache oder als Vorfrage. 254 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 34: „Das Problem der Urteilskollisionen, der Kollisionen von rechtsschöpfenden Staatsakten, könne nur dort auftauchen, wo in beiden Verfahren die gleiche Streitfrage als Hauptsache zu entscheiden sei. 255 Mittenzwei, Aussetzung, S. 82; a.A.: Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 34 Anm 69. 256 Vierhaus, ZZP 5 (1882), 74 f.; v. Planck, Lehrbuch, Bd. 1, § 54, S. 275. Die Gründe für die Aussetzungsbefugnis würden nach v. Planck ihre Anwendung auch rechtfertigen, wenn es an der vollen Identität der Streitsache fehle, weil auf derselben Grundlage ein anderer Antrag, oder für denselben Antrag ein anderer Erwerbsgrund geltend gemacht werde. Für ein Inandergreifen von § 261 III Nr. 1 ZPO und § 148 ZPO im Falle der Teilidentität von Streitgegenständen auch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 79 f., 144, die ein strenges Exklusivitätsverhältnis ablehnt. 257 Mittenzwei, Aussetzung, S. 82. 258 Mittenwzei, Aussetzung, S. 80. 259 Mittenzwei, Aussetzung, S. 82; ebenso Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 148 Rn. 25: Prozessuale Zweckmäßigkeit könne die Vorgreiflichkeit der Entscheidung nicht ersetzen.
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gegrenzt. 260 Die Rechtshängigkeit setzt wie die direkte Rechtskraftwirkung die Identität des Streitgegenstands voraus. Aussetzung wie positive Rechtskraftwirkung verlangen hingegen rechtslogische Konstruktionszusammenhänge. 261 Meist wird jedoch die Bindung des aussetzenden Richters durch die (erwartete) Rechtskraftwirkung der Erstentscheidung nicht in voller Konsequenz gefordert. 262 Im Übrigen soll es nicht genügen, dass die im anderen Verfahren bevorstehende Entscheidung lediglich eine rechtliche oder tatsächliche Einflussnahme irgendwelcher Art entfalten würde, etwa in Gestalt der Beeinflussung von Beweisergebnissen im auszusetzenden Verfahren. 263 Dafür spricht bereits der im Vergleich zu § 149 ZPO („Einfluss“) wesentlich restriktiver gefasstere Wortlaut („Abhängigkeit“) von § 148 ZPO. 264 Andererseits soll aber die Gefahr widersprechender Entscheidungen weder erforderlich sein, noch ausreichen. 265 Diese Möglichkeit bestünde beispielsweise, wenn in verschiedenen Verfahren parallel Teilbeträge derselben Gesamtforderung eingeklagt werden. Zwar sind widersprechende Entscheidungen hier denkbar, jedoch liegt das von § 148 ZPO geforderte Bedingungsverhältnis nicht vor. Über den gemeinsamen Anspruchsgrund wird im Erstverfahren im Übrigen nicht mit Rechtskraftwirkung entschieden. 266 Im „Graubereich“ zwischen § 148 und § 261 III Nr. 1 ZPO existieren weiter Fallkonstellationen, die sich einer klaren Einordnung entziehen. 267 Ob dabei § 148 ZPO die richterliche Verfahrensaussetzung auch gestattet, wenn keine vorgreifliche Entscheidung für den auszusetzenden Prozess zu erwarten ist 268, erscheint angesichts des Wortlauts der Vorschrift zweifelhaft, hängt aber letzt260
RGZ 3, 401; 26, 367 ff.; OLG Köln 1958, 105; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 148 Rn. 27; Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 10, der seinen Standpunkt jedoch nicht durchhält. Vgl. auch Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 311: Die Rechtshängigkeit greife nicht bei präjudiziellen Verhältnissen ein, obgleich die Rechtskraft des Urteils hierüber in einem Parallelprozess vorgreiflich wirken kann. Im gemeinen Recht nahm die exceptio litis pedentis als Vorläuferin der heutigen Rechtshängigkeitssperre indes zum Teil heutige Aufgaben der Aussetzung wahr. Sie griff auch in Fällen der Präjudizialität ein (de eadem quaestio), Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, S. 367. 261 Zusammenfassend K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 244. 262 RG JW 1910, 581; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 148 Rn. 22. 263 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 148 Rn. 24, 25; Zöller/Greger, ZPO, § 148 Rn. 5; auch Lüpfert, Konnexität, 226 f.; a.A.: MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 148 Rn. 10. 264 A.A.: MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 148 Rn. 10. Da die Gesetzesmotive diesem sprachlichen Unterschied keine Bedeutung beimessen, sei er unerheblich. 265 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 148 Rn. 22. 266 Nach OLG Köln NJW 1958, 106; LG Hannover JurBüro 1988, 528, rechtfertige sich die Aussetzung hier nicht im Hinblick auf die bestehende Widerspruchsgefahr. 267 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 243 f.; zu nennen ist weiter die Konstellation in OLG Celle, ZMR 1986, 120: Räumungsklagen wegen desselben Objekts werden mit jeweils verschiedenen Kündigungsgründen gerechtfertigt. 268 Etwa OLG München NJW-RR 1995, 779; a.A.: Musielak/Stadler, ZPO, § 148 Rn. 5.
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lich von der teleologischen Ausrichtung ab, die man ihr gibt. 269 Die Nähe zur positiven Wirkung der Rechtskraft stünde einer erweiternden Auslegung von § 148 ZPO aus prozessökonomischen Gründen nicht a prori entgegen. 270 Dies umso mehr, als Fälle der analogen Anwendung der Vorschrift anerkannt sind, wenngleich diese restriktiv gehandhabt werden. Die von Mittenzwei beschworene Parallele zur Rechtshängigkeitssperre würde im Übrigen wie dort ergeben 271, dass der teleologische Bezug zur Rechtskraft kein zwingender ist. Der Gefahr widersprechender Entscheidungen wird durch das Institut der Rechtskraft bereits selbst in ausreichendem Maße vorgebeugt. 272 Dies gilt sowohl für ihre negative als auch ihre positive Funktion. Diese einschränkende Linie bei § 148 ZPO wird jedoch zu Recht mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gerechtfertigt, weil der jeweiligen Partei ein Anspruch auf Durchführung ihres Verfahrens innerhalb eines angemessenen Zeitraums zusteht. 273 Zwar wäre der Grundsatz effektiver Rechtsschutzgewährung kaum betroffen, wenn zumindest die Verfahrenseinleitung beim Forum, das die präjudizierende Entscheidung erlassen wird, ohne größere Hemmschuhe ermöglicht wird. Eine Verweisungsmöglichkeit aber hält die Rechtsordnung hierzu (etwa entsprechend § 281 I ZPO), wie bei der Rechtshängigkeitssperre vorgeschlagen, nicht bereit. 274 Die Verfahrenskonzentration wäre also für den Kläger mit zusätzlichen Kosten für die Klagerücknahme und die erneute Verfahrenseinleitung am anderen Forum verbunden. § 148 ZPO erscheint somit auf seine Aufgabe zur materiellen Koordination von Verfahren begrenzt, als Mittel der erweiterten Verfahrenskonzentration jedoch ungeeignet. Hier zeigt sich deutlich der Nachteil, dass das deutsche Recht keine Vorschrift kennt275, die etwa
269 Tendenziell restriktiv Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 148 Rn. 14: Billigkeits- oder Zweckmäßigkeitsgründe seien für die dann notwendige Rechtsfortbildung nicht ausreichend; ders., in FS Jayme I, S. 747 ff.; a.A. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 243 f. 270 Vertreten etwa von K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 249, der auch identische Vorfragen ohne echte Vorgreiflichkeit genügen lässt. Damit könnte sich eine ausufernde Interpretation der Rechtshängigkeitssperre erübrigen, wie sie etwa von Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 34, vertreten wird. Dieser dehnt den Rechtshängigkeitseinwand auch auf identische Vorfragen aus, wenn auf diese Weise Urteilskollisionen verhindert würden. Für einen erweiterten Einsatz der Aussetzungsbefugnis besteht damit weniger Bedarf. Andererseits ist Bettermann zu Gute zu halten, dass er mit dieser Auslegung von § 261 III Nr. 1 ZPO im deutschen Recht eine Lücke schließt, die in anderen europäischen Staaten durch den Konnexitätseinwand (mit anschließender Prozessverbindung) geschlossen wird. 271 Oben § 18 I 7. 272 Oben § 18 I 5 c. 273 So Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 148 Rn. 14. 274 De lege ferenda die Verbesserung der Verweisungsmöglichkeiten befürwortend Lüpfert, Konnexität, S. 242; dazu Pfeiffer, ZZP 112 (1999), 517 ff. 275 Im Übrigen sei daran erinnert, dass Art. 28 II EuGVVO durch Art. 30 II des Kommissionsvorschlags für eine Neufassung der EuGVVO, KOM (2010) 748, endgültig, S. 39, reformiert werden soll.
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wie in Frankreich Art. 101 CPC oder in Italien Art 40 cpc276, zur Koordinierung lediglich konnexer Parallelverfahren durch deren Verbindung beitragen könnte. 277 Die Verbindungsmöglichkeit nach § 147 ZPO besteht nur an demselben Forum. Doch hat die deutsche Judikatur diesen strengen Standpunkt bei der Auslegung von § 148 ZPO nicht stringent durchgehalten. So wurde etwa im Falle der Konkurrenz von Kaufpreisklage und anderweitiger Schadensersatzklage wegen Anfechtbarkeit des Kaufvertrages die Aussetzung befürwortet, weil in beiden Prozessen über denselben Streitpunkt zu entscheiden wäre. 278 Vereinzelt wird auch § 148 ZPO angewandt, wenn eine Teilidentität der Streitgegenstände erkennbar sei 279 und die Rechtsfolge von § 261 III Nr. 1 ZPO – Abweisung des Zweitverfahrens als unzulässig – überzogen erscheine. Andererseits könnte § 261 III Nr. 1 ZPO im deutschen Recht in der Rechtsfolge durch eine entsprechende Anwendung der Verweisungsvorschrift in § 281 I ZPO abgeschwächt werden, so dass ein weit gefasster Streitgegenstand effektiver zur Verfahrenskonzentration dienen kann. Denn statt der Abweisung als unzulässig könnte der Beklagte nun die Verweisung der Streitsache an das Erstforum anregen. Zu beachten gilt es dabei in umgekehrter Richtung, dass eine allzu großzügige Auslegung von § 261 III Nr. 1 ZPO § 148 ZPO nicht seiner Funktionen entheben darf.280 Diese Gefahr bestünde aber bei einer Rezeption der Kernpunktlehre des EuGH, wie sie z.T. vorgeschlagen wird. 281 Bei einer Neuausrichtung von Verfahrens- und Urteilsgegenstand282 276
In Italien existiert eine Verweisungmöglichkeit bei partieller Streitanhängigkeit (continenza di cause, Art. 39 II cpc), Lüpfert, Konnexität, S. 103; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 299; Isenburg-Epple, S. 175 f.: Das später angerufene Gericht setzt eine Ausschlussfrist für die Fortsetzung des Streits beim zuerst angerufenen Forum. 277 Ausführlich Lüpfert, Konnexität, S. 224 ff.; diese versucht einen entsprechenden Reformvorschlag de lege ferenda für das deutsche Recht zu entwerfen, S. 264 ff. 278 OLG Rostock, OLGRspr. 29 (1914), 67 f.: Schadensersatz wegen Nichtigkeit und Kaufpreiszahlungsanspruch wegen Wirksamkeit des Vertrages widersprächen sich. Im Ergebnis ähnelt diese Konstellation der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gubisch/ Palumbo, oben § 15 II 1; ebenso K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 245. 279 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 77 f., 143: „Beschränkt man die Aussetzung eines Rechtsstreits kraft der Vorschrift des § 148 ZPO auf die Fälle vollständiger Verschiedenheit der Streitgegenstände, so verengt man den Anwendungsbereich der Vorschrift ohne zwingenden Grund, dient die genannte Norm doch auch der Entscheidungsharmonie, d.h. der Vermeidung von Urteilen, die miteinander nicht in Einklang zu bringen sind“; für analoge Anwendung von § 148 ZPO bei Teilklagen: MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 148 Rn. 10. Vereinzelt wird zur Koordinierung auch auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis zurückgegriffen, da der Kläger den Weg des § 264 Nr. 2 ZPO beschreiten müsse, Habscheid, Streitgegenstand, S. 275 f. 280 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor §§ 253 f. Rn. 55; ders., in: FS Jayme I, S. 747 ff.; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 407 Fn. 43; Walker, ZZP 111 (1998), 432 f. 281 Vgl. oben § 16. 282 Für § 148 ZPO wäre der Begriff „Gegenstand“ mit Urteilsgegenstand zu übersetzen.
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gilt es deswegen darauf zu achten, die Anwendungsbereiche beider Vorschriften aufeinander abzustimmen. Fraglich erscheint darüber hinaus, ob die Auslegung von Art. 22 EuGVÜ/28 EuGVVO auch Reflexwirkungen auf § 148 ZPO zeugen kann 283, so dass gemeinsame Vorfragen die Aussetzung rechtfertigen könnten. 284
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MünchKomm/Wagner, ZPO, § 148 Rn. 10 bei Fn. 15 a. Mit gerade umgekehrter Tendenz dagegen H. Roth, in: FS Jayme I, S. 747 ff. 284 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 238.
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§ 19 Der Zusammenhang zwischen Prozesszweck und Streitgegenstand I. Bedeutung des Prozesszwecks Das Phänomen des Streitgegenstands steht in engem Zusammenhang mit der Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses. 285 Zwar ist für die Konturierung des prozessualen Anspruchs in erster Linie die teleologische Ergründung des einzelnen verfahrensrechtlichen Instituts geboten. Jedoch nimmt der Prozesszweck die Rolle eines übergeordneten Korrektivs ein, wenngleich er nicht alleine dazu taugt, konkrete Fragestellungen mit absoluter Sicherheit zu beantworten. 286 Die Gefahren, welche mit der Deduktion konkreter Einzelfragen aus der Allgemeinheit des Prozesszwecks verbunden sind, dürfen dabei nicht verkannt werden. 287 Die Festlegung des Prozesszwecks gehört zu den ureigensten Aufgaben des Gesetzgebers selbst. 288 Wurde vor und auch nach Inkrafttreten der CPO (1877) das Bestehen eines selbständigen Prozesszwecks noch geleugnet 289, änderte sich dies in der Wende zum 20. Jahrhundert. Das bisher verkümmerte prozessrechtliche Denken 290 gewann durch die Emanzipation vom materiellen Zivilrecht an Format. 291 Wenngleich es nicht an Stimmen fehlte, die weiterhin die Eigenständigkeit des Verfahrensrechts schmähten 292, war das Bestreben erkennbar, dem 285
Angedeutet auch bei Kocher, Funktionen, S. 331. Hierzu Gaul, AcP 168 (1968), 34 f.; ders., Der Zweck des Zivilprozesses, in: Zivilprozess im Lichte der Maximen, S. 68 f.; Jauernig, JuS 1971, 329; Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345, 375, 376; Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 56. 287 Eingehend Gaul AcP 168 (1968), 35. 288 Grunsky, Grundlagen, S. 1. 289 Gaul, AcP 168 (1968), 32 f. 290 Prägnant v. Ihering, Geist des römischen Rechts, Bd. III, S. 17: „Wie sehr treten hier die prozessualischen Gesetze gegenüber den materiellen in den Schatten, welche enormen Fortschritte macht das materielle Recht, wie geringe das Prozeßrecht.“ 291 Umfassender Überblick bei Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 703 ff. 292 Bekannt geworden ist der Ausspruch Friedrich von Steins, Grundriss des Zivilprozessrechts und des Konkursrechts, 1921, S. XIV, Vorwort zur 1. Aufl.: „Der Prozeß ist für mich das ‚technische Recht‘ in seiner allerschärfsten Ausprägung, von wechselnden Zweckmäßigkeiten beherrscht, der Ewigkeitswerte bar“; ablehnend äußern sich Gaul, AcP 168 (1968), 28 ff.; Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, S. 3. Der Zivilprozess ist jedoch kein 286
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Zivilprozess einen Eigenwert zuzuerkennen, der als Auslegungs- und Interpretationshilfe fungieren konnte. 293 Das Vorliegen eines einheitlichen Zwecks ist Prämisse eines vernünftig agierenden Gesetzgebers und Voraussetzung der Auslegung. Als Prozesszwecke werden gemeinhin genannt: der Schutz und die Verwirklichung subjektiver Rechte294, die Bewährung des objektiven Rechts, die Herstellung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit, die Legitimation durch Verfahren sowie die Rechtsfortbildungsfunktion des Prozesses. 295 Insoweit erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass einzelne Verfahrensvorschriften die Diener mehrerer Herren sind, wobei fraglich bleibt, ob alle Zwecke in einem Verfahren zu erreichen sind und welcher Zweck sich im Konfliktfall durchsetzen wird. 296
1. Schutz subjektiver Rechte Ganz überwiegend wird die Aufgabe des Zivilprozesses im Schutze und der Durchsetzung subjektiver Rechte erkannt. 297 „Seinem Zwecke nach ist der Zivilprozess … diejenige (Staats-)Tätigkeit, die vornehmlich die Privatrechtsordnung im Interesse des einen Gesetzesuntertanen gegen den anderen durch Entscheidung über private Rechte und Pflichten schützen soll.“298
Ein Staat, dessen Rechtsordnung dem einzelnen subjektive Rechte verleiht, aber Selbsthilfe verbietet, muss deren Schutz auf andere Weise sicherstellen. 299 Insoweit ist die Funktion des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht eine
Selbstzweck, denn die Rechtsgemeinschaft will mit seiner Einrichtung bestimmte Ziele verfolgen, Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 5 ff. 293 Das Verfahrensrecht hat wie jede Wissenschaft Methoden zu entwickeln, „die auf eine rational nachprüfbare Erkenntnis des geltenden Rechts abzielen“, Larenz, Methodenlehre, S. 5 f.; Melissinos, Die Bindung des Gerichts, S. 29. Allerdings erkannte bereits v. Savigny dem Prozessrecht einen gewissen Eigenwert zu, vgl. v. Savigny, System I, § 9. 294 Überblick bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 III Rn. 5 f. 295 Vgl. Grunsky, Grundlagen, S. 1 f. 296 Melissinos, Die Bindung des Gerichts, S. 29; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 III Rn. 5 f.; Jauernig/Hess, ZPR, § 1 I Rn. 1 f., wollen zum einem dem Prozess als Institution die Rechtsfriedensfunktion, die Aufgabe der Durchsetzung und Bewährung des objektiven Rechts und weiter die Fortentwicklung der Rechtsordnung zuordnen, während dem konkreten Prozess die Funktion zukomme, subjektive Privatrechte durchzusetzen. 297 BGHZ 10, 359; Gaul, AcP 168 (1968), 46 f.; Laumen, Rechtsgespräch im Zivilprozeß, S. 77 f.; Hergenröder, S. 215; etwas anderer Ansatz bei Henckel, Prozessrecht, S. 61 f., der meint, der Prozess garantiere den Parteien lediglich ein „Verfahren zur Rechtsausübung“. In vielen Fällen sei hingegen das materielle Recht aufgrund prozessualer Hindernisse (Beweislast, Präklusion) nicht durchsetzbar. 298 Stein, Grundriss des Zivilprozessrechts und des Konkursrechts (1. Aufl., 1921), S. 2 f. 299 Grunsky, Grundlagen, S. 2 f.; Hagen, ZZP 84 (1971), 385 ff.; a.A.: Pawlowski, ZZP 80 (1967), 389: Der Prozess ist kein Selbsthilfeersatz.
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dienende. In der Rechtsprechung des BGH finden sich in Anlehnung an das RG vergleichbare Ausführungen: „Der Zivilprozess hat die Verwirklichung des materiellen Rechts zum Ziele; die für ihn geltenden Vorschriften sind nicht Selbstzweck, sondern Zweckmäßigkeitserwägungen, gerichtet auf eine sachliche Entscheidung des Rechtsstreits.“300
Im Zentrum des Zivilprozesses steht die Rechtsverfolgung im Interesse des einzelnen.301 Neben anderen Vorschriften bringt § 308 ZPO deutlich die Umsetzung der Verfügungsfreiheit des Rechtsträgers über Privatrechte im Zivilprozess zum Ausdruck. Der Rechtsinhaber selbst entscheidet hiernach, ob und wie er seine Rechte ausüben will.302 Dies gilt insbesondere hinsichtlich Art und Umfang des ihm vom Gericht zu gewährenden Rechtsschutzes. Auswirkungen hat dies auch für den Streitgegenstand. Neben § 308 ZPO bringen §§ 269, 525 ZPO und § 794 Nr. 1 ZPO die für die ZPO charakteristische Dispositionsmaxime zum Ausdruck.303 Daraus lässt sich auf den Zweck des Prozesses schließen: Denn ist es Sache des Klägers festzulegen, ob und in welchem Umfang er Rechtsschutz begehrt, so wird hieraus deutlich, dass der Zivilprozess (vornehmlich) dem Schutz subjektiver Rechte dient. Dieser Schutz subjektiver Rechte entspricht überdies dem Anliegen des Grundgesetzes als höherrangiger Rechtsordnung und steht in unmittelbarer Tradition mit dem Verständnis der Grundrechte als Schutz- und Freiheitsrechte des Einzelnen. Jede Beschränkung dieses Prozesszwecks würde zu einer Verletzung der dort verbürgten Freiheitsrechte führen.304 Überdies begreift sich der Zivilprozess bei diesem Selbstverständnis als das notwendige Gegenstück zum staatlichen Gewaltmonopol (Art. 20 III GG), das als Signum des Rechtsstaates das Verbot der Selbsthilfe beinhaltet.305 An deren Stelle dient der Zivilprozess der Feststellung und Durchsetzung individueller Rechte. Dem Zivilprozess kommt auf diese Weise auch streitvermeidende Funktion zu. Indes bildet die Gewährung subjektiver Rechte nur eine Möglichkeit des Interessenschutzes. Denkt man an die Feststellungsklage, so wird deutlich, dass das dahinter stehende subjektive Interesse selbst Schutzobjekt sein muss. Die Rechtsordnung schützt Privatinteressen in vielerlei Hinsicht.306 Der Zivilprozess sei, so wird treffend angemerkt, die Fort300
BGHZ 10, 350 (359); BGHZ 34, 53 f. A. Blomeyer, ZPR, § 1 I 4. Noch stärkere Betonung des Individualrechtsschutzes bei Grunsky, Grundlagen, S. 3 f., der Interessen der Rechtsgemeinschaft lediglich als angenehme Nebenfolgen wertet. 302 Melissinos, Die Bindung des Gerichts, S. 30. 303 Vgl. Hergenröder, S. 214 f. 304 R. Stürner, in: FS Baumgärtel, S. 546; eingehend auch Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 9. 305 So Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 10; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 III Rn. 5 f. 306 So Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 8; M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, S. 17 f. 301
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setzung des Privatrechtsverhältnisses mit anderen Mitteln.307 Der Prozess wird nicht um seiner selbst willen geführt, sondern zur Urteilsfindung über widerstreitende Rechtsbehauptungen.308 Hinzuweisen bleibt darauf, dass das Prinzip der Parteidisposition vielen europäischen Prozesssystemen gemein ist.309 Dieser Befund verdeutlicht, dass das subjektive Recht als Ausdruck einer für die Privatautonomie kennzeichnenden individualistischen Sichtweise auch auf der prozessualen Subebene seinen Siegeszug angetreten hat.310 Demgegenüber erscheint zweifelhaft, ob der Lebenssachverhalt als Ausgangsbasis materieller Ansprüche die Konnexität zwischen materiellem Recht und Prozessrecht wahren könnte: wohl nicht als solcher, sondern allenfalls über seine Individualisierungsfunktion beim Streitgegenstand, der sich seinerseits am subjektiven Recht zu orientieren hat.311 Deswegen täte man gut daran, die Forderung nach der Selbständigkeit des Zivilprozessrechts, die in ihrer Apodiktik auch Folge der langen „Knechtschaft“ des Prozessrechts ist, zu relativieren. Soweit begriffliche Sinneinheiten zwischen den Rechtssphären möglich sind, sollte darauf auch zurückgegriffen werden.312 Dies ist bereits ein Gebot der materiellrechtsfreundlichen Auslegung des Zivilprozessrechts.313
2. Bewährung der Rechtsordnung Bereits A. Wach bezeichnete die Bewährung der Privatrechtsordnung durch die Gewährung von Rechtsschutz als Zweck des Zivilprozesses.314 Denn ohne gerichtliches Verfahren zur Durchsetzung subjektiver Rechte würde zweifellos auch das objektive Recht nicht mehr gewährleistet sein. In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde – als Ausdruck der vorherrschenden diktatorischen Herrschaftsform – die Bewährung der objektiven Privatrechtsordnung zum überragenden Zweck erhoben:315 Im Na307 Nörr, Naturrecht und Zivilprozeß, S. 47 f.: „Jetzt, im Kielwasser der Rechtslehre Kants, verlagert sich der Schwerpunkt zivilprozessualen Denkens nach dem Privatrecht hin … in den Vordergrund rückt der Gegenstand des Rechtsstreits, der Schutz des ‚Mein und Dein‘“; prägend für die Entwicklung war das Werk Grolmanns, Theorie des gerichtlichen Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach den gemeinen deutschen Gesetzen entworfen, 4. Aufl., 1819. 308 Novak, JBl. 1961, 485 f. 309 R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1064 f. 310 R. Stürner, in: P. Gilles/Thomas Pfeiffer, S. 47. 311 So bereits Schwab, JuS 1965, 85 f. 312 Häsemeyer, AcP 188 (1988), 154. 313 Grundlegend E. Schumann, in: FS Larenz (1983), S. 581 f.; ders., FS Georgiades, S. 555 f.; Herrmann, Grundstruktur, S. 55 f. 314 A. Wach, Handbuch, S. 3 ff. 315 de Boor, Auflockerung des Zivilprozesses, S. 1 f.; Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, S. 12.
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tionalsozialismus wird der „Prozess als Dienst an der Volksgemeinschaft, als Rechtspflege im Sinne von: Pflege der Rechtsordnung“ angesehen316: „Wir sehen ihn als Rechtsschutzeinrichtung für den einzelnen nicht primär, sondern nur sekundär, soweit nämlich dieser Rechtsschutz für die Volksgemeinschaft nötig ist.“317
Auch für andere totalitäre Systeme, wie etwa die DDR, lag eine vergleichbare Sichtweise nahe, die sich im konkreten Beispiel am sozialistischen Gedankengut orientierte.318 Richtigerweise ist die Bewährung des objektiven Rechts keine ausdrückliche Aufgabe des Prozesses.319 Das objektive Recht ist lediglich als Quelle der subjektiven Rechte unentbehrlich.320 Ein darüber hinausgehender Eigenwert ist jedoch nicht erkennbar.321 Bei Anerkennung der objektiven Rechtsbewährung als eigenständigen Prozesszweck würde der Bürger ansonsten zum „Prozessstandschafter“ für das objektive Recht. Das objektive Recht soll jedoch gerade dem einzelnen dienen und nicht umgekehrt.322 Hauptaufgabe der ZPO ist somit vornehmlich die Verwirklichung und Durchsetzung subjektiver Rechte bzw. Interessen323 in einem geordneten Verfahren.324 Bei einer Überbetonung des objektiven Rechts wird der maßgebliche Gesichtspunkt des Individualrechtsschutzes verkannt. Die erheblichen Auswirkungen, die eine abweichende Schwerpunktsetzung beim Prozesszweck auf die einzelnen Verfahrensinstitute nehmen würde, kommt im Kommissionsbericht des Bundesjustizministeriums zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit aus dem Jahre 1961 deutlich zum Ausdruck: „Denn die Auffassung vom Prozesszweck nötigt zu Folgerungen für die Ausgestaltung des Verfahrens. Sieht man den Hauptzweck des Prozesses etwa in der Bewährung der Rechtsordnung, so drängt sich der Schluss auf, dass die Rechtsordnung in der gericht316
de Boor, Auflockerung des Zivilprozesses, S. 35. de Boor, Auflockerung des Zivilprozesses, S. 35. 318 Nach § 2 I ZPO-DDR war es, „Aufgabe, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung zu schützen, gesetzlich garantierte Rechte und Interessen zu wahren und durchzusetzen sowie durch eine hohe Wirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens dazu beizutragen, sozialistische Beziehungen im gesellschaftlichen Zusammenleben der Bürger zu fördern“; hierzu ausführlich H. Roth, in: Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, S. 149, 152 ff. 319 Eine Ausnahme kann für die Verbandsklage anerkannt werden, Stein/Jonas/Brehm, Einl. vor § 1 Rn. 11, 12. Allerdings wird hier immerhin ein Gruppeninteresse geltend gemacht. 320 Grunsky, Grundlagen, S. 4. 321 Hergenröder, S. 218 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 III Rn. 9; Rimmelspacher, Prüfung von Amts wegen, S. 13; Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345 (390). Im Bereich des Immaterialgüterrechts ist es allein der Prozess, welcher die Rechtsausübung garantiert. 322 Grunsky, Grundlagen, S. 4; Rimmels pacher, Prüfung von Amts wegen, S. 11 f. 323 Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 11, spricht von subjektiven Interessen. 324 Nakano, ZZP 79 (1966), 108 f. 317
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lichen Entscheidung ohne Rücksicht auf das Parteiverhalten berücksichtigt werden müsse; dies würde u.a. dazu führen, die Amtsermittlung dem Beibringungsgrundsatz vorzuziehen. Betont man dagegen den Rechtsschutzgedanken als Prozesszweck, so wird man der Disposition der Parteien über den Prozess freieren Raum gewähren müssen.“325
Nicht verkannt wird dabei, dass bestimmte Regelungen, etwa in Ehesachen, die sich nunmehr im FamFG finden, nicht ausschließlich durch den Verfahrenszweck des Individualrechtsschutzes erklärt werden können.326 Gleiches gilt für das Institut der Verbandsklage.327 Die Bewährung der Rechtsordnung scheint somit zumindest in Teilbereichen als Prozesszweck von Bedeutung zu sein.328 Freilich wäre bereits mit unserer Verfassung ein prozessuales System kaum kompatibel, welches die Bewährung objektiven Rechts zum primären Zweck erhöbe und den Individualrechtsschutz als bloße Nebenwirkung verstünde.329 Nicht zu verkennen sind freilich gerade in jüngerer Zeit Tendenzen, die meist gemeineuropäisch initiiert sind, öffentliche Interessen mit den Mitteln des Zivilprozesses durchzusetzen. Das Stichwort lautet hier: private law enforcement.330 Das Phänomen ist bisher vor allem auf bestimmte materielle Felder, etwa das Kartell- und das Verbraucherschutzrecht, beschränkt. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, werden damit massive Änderungen für den traditionellen deutschen Zivilprozess einhergehen, insbesondere wenn es im selben Zuge zur Einführung von Gruppen- und Sammelklagen kommen sollte.331
3. Rechtsfrieden als Prozesszweck Im Prozess werden z.T. auch von der materiellen Rechtslage abweichende Urteile erzielt und vollstreckt. Dass die Rechtsordnung dies in Kauf nimmt, hängt mit der Rechtsfriedensfunktion des Prozesses zusammen.332 Auch die Rechtskraftwirkung von Urteilen wird hierdurch erklärbar.333 Die reichsgerichtliche
325 Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit, herausg. vom BJM, S. 166 f. 326 Rensen, Die richterliche Hinweispfl icht, S. 59. 327 Halfmeier, Popularklagen, S. 201 f., 250 f. Allgemeininteressen werden etwa im Rahmen von §§ 1 f. UKlaG wahrgenommen. 328 So Rensen, Die richterliche Hinweispfl icht, S. 59. Die von Jauernig, JuS 1971, 329 f., aufgestellte These, dass nur ein „entweder – oder“ denkbar sei, nicht ein „sowohl als auch“, ist von Rensen treffend widerlegt worden. 329 R. Stürner, in: FS Baumgärtel, S. 546. 330 Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 640 ff.; Jauernig/Hess, ZPR, § 1 II Rn. 9. 331 Ausführlich Zimmer, ZGR 2009, 664 ff. Vgl. im Übrigen schon H. Koch, S. 37, 50 ff. 332 Rensen, Die richterliche Hinweispfl icht, S. 73; Laumen, Rechtsgespräch im Zivilprozeß, S. 83 f. 333 Rensen, Die richterliche Hinweispfl icht, S. 72. Der Zusammenhang zwischen der Schaffung von Rechtsfrieden und der Rechtskraft gilt für alle europäischen Prozessrechte, vgl. Stürner, in: FS Schütze, S. 913 f.
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Rechtsprechung334 gestand dabei der Wahrung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit einen selbständigen, über den bloßen Individualschutz hinausgehenden Eigenwert zu: „Denn wenn auch die Vorschriften der Zivilprozessordnung nicht Selbstzweck, sondern dazu bestimmt sind, die Findung und Verwirklichung des sachlichen Rechts zu ermöglichen, so steht doch über der Verwirklichung des sachlichen Rechts im Einzelfalle das höhere Ziel der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit zum Wohle der Volksgemeinschaft.“335
Diese Äußerung tritt aber in deutlichen Widerspruch zu früheren Äußerungen des RG vor 1933.336 Es zeigt sich, dass der Prozesszweck gerade in totalitären Systemen je nach Bedarfsfall argumentativ unterschiedlich einsetzbar ist.337 Die Wahrung des Rechtsfriedens wird einmal zum höheren Verfahrensziel erkoren, das andere Mal tritt sie neben dem überwiegenden Aspekt des Individualrechtsschutzes kaum in Erscheinung.338 Im Schrifttum hat insbesondere Schönke die besondere Bedeutung des Rechtsfriedens aus der Existenz des Fehlurteils abzuleiten versucht:339 Bereits die Möglichkeit, dass ein sachlich unrichtiges Urteil in Rechtskraft erwachsen könne, zeige, dass der Prozess neben der Bewährung des Rechts auch die Wahrung des Rechtsfriedens als selbständigen Zweck beabsichtige. Das Phänomen des unrichtigen, aber wirksamen Urteils darf richtigerweise jedoch nicht zu vorschnellen Rückschlüssen auf den Prozesszweck verleiten.340 Mit dem (zutreffenden) teleologischen Ansatz Schönkes lässt sich nicht vereinbaren, dass er unteleologisch vom konkreten Prozessergebnis auf einen bestimmten Prozesszweck folgert.341 Der Prozesszweck ist das prius.342 Ansonsten geriete man allzu leicht in die Nähe von Goldschmidts Thesen, eben der Gleichsetzung von Rechtskraft und Prozessziel.343 Die Wahrung des Rechtsfriedens ist vor allem tieferer Grund der Rechtskraft selbst, die wiederum das eigentliche Ziel des Prozesses limitiert.344 Im Ergebnis stellt sich die Streitbeendigung nach bisheriger Auf334
RGZ (GSZ) 151, 85 f. RGZ (GSZ), 151, 85 f. (86). – Notwendigkeit der eigenhändigen Unterschrift des Rechtsanwalts bei bestimmenden Schriftsätzen. 336 RGZ 105, 421 (427): „Das materielle Recht soll und darf unter der Herrschaft der Prozessvorschriften nicht oder nur möglichst wenig leiden.“ 337 Gaul, AcP 168 (1968), 30. 338 Gaul, AcP 168 (1968), 39. 339 So Schönke, AcP 150 (1949), 216. 340 Gaul, AcP 168 (1968), 57 ff.; ders. Der Zweck des Zivilprozesses in: Zivilprozess im Lichte der Maximen, S. 94; Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 73. 341 Treffend Gaul, AcP 168 (1968), 57 f. 342 Melissinos, Die Bindung des Gerichts, S. 39. 343 Der Prozess sei „das auf die Herbeiführung von Rechtskraft gerichtete Verfahren“, Goldschmidt, Prozeß, S. 151. 344 Gaul, AcP 168 (1968), 60. 335
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fassung lediglich als schützende Zutat für die subjektive Rechtsschutzverwirklichung dar, die auch ein Fehlurteil in Kauf nehmen muss.345 Gaul glaubte deswegen, dass der Rechtsfriede kein selbständiger und gleichberechtigter Zweck zur Rechtsbewährung sei.346 Denn entweder diene der Prozess der Rechtsbewährung, was auch den Rechtsfrieden mit einschließe, oder er verfolge selbständig und gleichwertig den Zweck der Friedenswahrung, so dass es dann nicht mehr entscheidend sei, dass sich das Recht – insbesondere im Konfliktfall – bewähre. Die Aussage, dass die Wahrung des Rechtsfriedens im deutschen Zivilprozess kein selbständiges Ziel darstellt, scheint sich jedoch nicht mehr vollen Herzens verkünden zu lassen. Zwar kann das unrichtige Urteil als unabdingbare Voraussetzung des materiellen Rechts gedeutet werden, für die zunehmenden Möglichkeiten konsensualer Streitbeilegung erscheint dies jedoch kaum möglich.347 Nach dem Votum des ZPO-Reformgesetzes 2001 müssen alle Optionen einer einvernehmlichen Konfliktregelung zwischen den Parteien genutzt werden, damit in einem möglichst frühen Prozessstadium Rechtsfrieden eintreten kann.348 So ist der Richter nach § 279 I ZPO in jeder Verfahrenslage befugt, auf einen Vergleich hinzuwirken. Gleiches gilt für § 278 V ZPO und für § 15 a EGZPO. Streitbeendigung durch Vergleichsschluss könnte zwar als eine Ausprägung des Individualrechtsschutzes gedeutet werden. Denn Grundlage ist auch hier die Handlungsfreiheit der Parteien (Art. 2 I GG).349 Unrichtig ist deswegen der Ansatz Wolfs350, um des Vergleiches willen die „Konfliktlösung“ zum vorrangigen Prozesszweck zu erheben. Diese Möglichkeit der Streitbeendigung beruht im Grundsatz auf der Handlungsfreiheit der Parteien und ist das Recht der Parteien.
345 Vgl. Hegler, in: FG Heck/Rümelin/Schmidt, S. 237: „Denn hier, wie bei jedem teleologisch orientierten allgemeinen Begriff ist die Anstrebung im Ganzen, nicht die Erreichung im Einzelnen das Wesentliche…“; Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, S. 4. 346 Gaul, AcP 168 (1968), 59. „Es genügt, wenn man das durch das Urteil herbeigeführte Ende des Streits zwischen den Parteien als eine Folge des Schutzes der Rechtsordnung ansieht. Mit anderen Worten: wenn man den sogenannten „Rechtsfrieden“ als Unterbegriff der Rechtsordnung versteht“, so Melissinos, S. 40; ebenso Inoue, ZZP 98 (1985), 378 (388); M. Heinze, in: FS Beys I, S. 522 f. (kein eigenständiger Prozesszweck); großzügiger noch Stein/ Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Einl. C I Rn. 11 f.; Schönke, AcP 150 (1949), 216. Historische Herleitung des Rechtsfriedens als Prozesszweck bei Rimmels pacher, Prüfung von Amts wegen, S. 19 ff. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 5 ff. misst dem Rechtsfrieden keine eigenständige Bedeutung zu. 347 Rensen, Die richterliche Hinweispfl icht, S. 73. 348 BT-Drs. 14/4722, 110; auch S. 58 f.; hierzu Musielak, in: FS Beys II, S. 1093 f. 349 Stürner, DRiZ 1976, 202 f.; ders., JR 1979, 135 f. „Wo Gerichte diese Handlungsfreiheit der Parteien missachten und ihren sozialstaatlichen Auftrag weniger darin sehen, die Parteien zur Wahrnehmung dieser Handlungsfreiheit zu befähigen, als vielmehr Entscheidungen in Vergleichsform herbeizuführen, werden allzu leicht verfassungsmäßige Parteirechte verletzt“, so ders., in: FS Baumgärtel, S. 550. 350 M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, S. 16, 20; ders., ZZP 89 (1976), 268 f.
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Jedoch ist der günstige Rahmen, den die ZPO (vgl. § 278 V ZPO) nun derartigen Prozessverträgen bietet, ein deutlicher Fingerzeig auf eine verstärkte, wenngleich immer noch untergeordnete Prozessfunktion. Insbesondere der Gesichtspunkt der gütlichen Streitbeilegung kann nicht vollständig mit dem Zweck der Verwirklichung des materiellen Rechts erklärt werden.351 Denn die im Wege der materiellen Privatautonomie gefundenen Ergebnisse decken sich meist nicht mit der wirklichen Rechtslage. Die Auseinandersetzung um die wirkliche Rechtslage wird von den Parteien zugunsten des Rechtsfriedens geopfert.352 Die Rechtsfriedensfunktion hat im reformierten Zivilprozess eine Bedeutung gewonnen353, die sich kaum mehr als Ausfluss der materiellen Rechtsordnung deuten lässt.354 Neben den Hauptaspekt, der Verwirklichung subjektiver Rechte, tritt begleitend die Aufgabe, den Rechtsfrieden möglichst effektiv wiederherzustellen. Beide Gesichtspunkte konkurrieren miteinander. Bereits aus der Warte des Verfassungsrechts gebührt aber dem Schutz subjektiver Rechte der Vorrang gegenüber anderen (selbständigen) Prozesszwecken.355 Verfassungswidrig wäre deswegen ein Zivilprozess, der den Rechtsfrieden ganz über den Individualrechtsschutz stellt.356 Da die gütliche Streitbeilegung regelmäßig zu einer partiellen Preisgabe subjektiver Rechte bzw. ihrer Beschränkung führt357, gilt es, die unterschiedlichen Systeme im Grundsatz verfahrensrechtlich getrennt zu verwirklichen (selbständiges Schlichtungs- bzw. Mediationsverfahren).358 Nicht ausgeschlossen ist dabei selbstverständlich, den Gedanken der Friedensschaffung in den Zivilprozess – je nach Möglichkeit – als Auslegungshilfe zu integrieren359: So 351
Zu Recht Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 72. Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 73. 353 Bamberger, ZRP 2004, 137; Greger, in: FS Beys I, S. 459. Hinzuweisen ist zudem auf das (zukünftige) Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung, BT-Drs. 17/5335; BT-Drs. 17/5496. 354 Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 5: „Die Herstellung des Rechtsfriedens ist aber Folge und nicht primärer Zweck richterlicher Tätigkeit“; anders: Waterstraat, ZZP 118 (2005), 479: Neben dem primären Prozesszweck der Feststellung und Durchsetzung subjektiver Rechte hilft der Zivilprozess auch der Erhaltung und Wiederherstellung des Rechtsfriedens. Umstritten ist nur, ob es sich um einen selbständigen Zweck handelt neben dem Individualrechtsschutz. Dafür: Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 72 f.; Schöpfl in, Beweiserhebung von Amts wegen, S. 83 f.; Schönke, AcP 150 (1949), 216 ff. 355 Stürner, in: FS Baumgärtel, S. 545, 546, Rensen, Die richterliche Hinweispfl icht, S. 77; Musielak, in: FS Beys II, S. 1093 f. (1099): Die Parteien haben einen grundrechtlich verbürgten Anspruch auf Rechtsschutz gegen den Staat; der Richter müsse es deswegen akzeptieren, wenn die Parteien sich nicht vergleichen wollen und darf keinen Druck ausüben; nach Laumen, Rechtsgespräch im Zivilprozeß, S. 83 f., sei hingegen übergeordneter Zweck die Schlichtung sozialer Konfl ikte. Für den Vorrang des subjektiven Rechts spricht auch die Ausrichtung des Zivilprozesses am Selbsthilfeverbot. Gegen das Verfassungsargument indes: Benda/Weber, ZZP 96 (1983), 287; auch Gaul, AcP 168 (1968), 37 ff. 356 Stürner, in: FS Baumgärtel, S. 546, 547. 357 Hiergegen vor allem bereits v. Ihering, Der Kampf ums Recht, S. 1 f. 358 H. Roth, in: Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, S. 149 f., 155 f. 359 Nach Stürner, in: FS Baumgärtel, S. 550 f., könnten Rechtsfriede und Rechtsgewissheit 352
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dürfte im Rahmen von § 261 ZPO seine Berücksichtigung leichter fallen als im Rahmen der Rechtskraft.360 Neben Streitschlichtung ist ein auf die Herstellung von Rechtsfrieden ausgelegter Prozess auf eine möglichst zügige Beendigung des gerichtlichen Verfahrens und die Steigerung der Akzeptanz (erstinstanzlicher) gerichtlicher Entscheidungen ausgerichtet. Bei einer Überbetonung der Rechtsfriedensfunktion des Prozesses könnten sich deutlich sichtbare Auswirkungen auf Streit- und Urteilsgegenstand ergeben. Zum einen könnte damit eine möglichst enge Fassung des Urteilsgegenstands begründet werden361, da andernfalls die Parteien den Streit auf Fragen ausdehnen müssten, über die sie eigentlich nicht streiten wollten. Denn Ausführungen, die nur zur Vermeidung einer Präklusionsgefahr gemacht werden, sind wenig sinnvoll, wie die Erfahrungen mit der Eventualmaxime im gemeinen Recht gezeigt haben.362 Die Diskussion könnte jedoch auch gerade umgekehrt mit Anleihen an das angloamerikanische System geführt werden.363 Dort dient der Aspekt der Konfliktlösung als Rechtfertigung, um die Parteien zu möglichst umfassendem Sachvortrag anzuhalten.
4. Prozesszweck in anderen Verfahrensordnungen Die Rechtsvergleichung bestätigt die Bedeutung des konkreten Verfahrenszwecks für die Ausformung des Streitgegenstands. Im US-amerikanischen Zivilprozessrecht etwa steht die Lösung des gesamten tatsächlichen Konfliktpotentials zwischen den Parteien in möglichst einem Verfahren im Vordergrund.364 Nicht von ungefähr orientiert sich deswegen dort die Prozesspraxis an einem weiten, am Lebenssachverhalt als Ganzem ausgerichteten Streitgegenstandsverständnis (cause of action).365 Diese Sichtweise führt dazu, dass die Pflichten der Prozessparteien, den Verfahrensstoff bei einem Gericht zu konzentrieren, weiter als im deutschen Recht gespannt sind. Dies bedeutet wiederum, dass alle zur Vereinfachung eines Rechtssystems bemüht werden, das sich sehr stark der Richtigkeit eines Urteils über subjektive Rechte verpflichtet weiß; Althammer, JZ 2006, 70 f.: zum Gedanken einer „mediationsfreundlichen Auslegung“. 360 Rensen, Die richterliche Hinweispfl icht, S. 77: Schlichtung sozialer Konfl ikte kann nur ein Teilaspekt der Wiederherstellung des Rechtsfriedens sein, keinesfalls ein selbständiger. 361 So Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. Rn. 91, Rn. 294; Oberhammer, JBl. 2000, 214: auch zum Zusammenhang zwischen Rechtskraft und sozialem Zivilprozess. 362 Zur Eventualmaxime Schubert, ZRG Germ. Abt. 85 (1968), 127 f. 363 Hierzu Zeuner, in: FS Zweigert, S. 610 f. 364 Vgl. auch oben § 13 II 1. „First, the purpose underlying the establishment of most rules of civil procedure, in any judicial system, is to promote the just, efficient, and economical resolution of civil disputes“, Friedenthal/Kayne/Miller, Civil Procedure, Ch. 1, p 1; Federal Civ. Proc. Rule 1. 365 Vgl. oben § 13 II 1; Frische, Verfahrenswirkungen, S. 92 f. Entscheidend ist nicht der Antrag des Klägers, sondern die klagestützenden Tatsachen in ihrer Gesamtheit.
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erdenklichen Ansprüche als eingeklagt gelten und evtl. auch zugesprochen werden, was die aus deutscher Sicht überhöhten Schadensersatzsummen erklärt. Durch diese präklusionsbewehrte Konzentrationslast wird auch der Beklagte zu counterclaims gezwungen.366 Insoweit dient das Ziel umfassender Konfliktlösung dazu, den Prozess auf das gesamte Konfliktfeld zu erstrecken.367 Auch für das zunehmend an US-amerikanischen Vorstellungen orientierte japanische Verfahrensrecht lassen sich ähnliche Entwicklungen feststellen. Die Hauptgedanken der dort gegen die h.L. von Kaneko entwickelten Konfl iktlösungstheorie hat Nakamura wie folgt zusammengefasst: „Die bisherigen Lehrmeinungen, die den Zweck des Zivilprozesses im Schutz des subjektiven Rechts der Parteien oder in der Bewährung der Privatrechtsordnung sehen, setzen das materielle Recht dem Prozess voraus. Dieser Gedankenschritt sei nach Kanekos Ansicht falsch. Zuerst gebe es das staatliche Gebot zur Konfl iktlösung. Um den Konflikt zu entscheiden, benötige man das materielle Recht. Vor dem Prozess gebe es kein subjektives und auch kein objektives Recht, das sich bewähren soll. Der Zweck des Zivilprozesses sei die Lösung des Konflikts.“368
Der Einfluss des US-amerikanischen Zivilprozesses wird hier überdeutlich.369 Für den kontinentaleuropäischen Prozess römisch-rechtlicher Tradition kennzeichnend ist hingegen der Primat der Norm, während Tatsachen lediglich eine Nebenrolle spielen: Das Recht wird auf die Tatsachen angewandt.370 Die Klage dient der Realisierung des materiellen Rechts.371 Nakamura spricht deswegen zutreffend von zwei Typen des Zivilprozesses. Dem römischen Modell aktionenrechtlicher Prägung stehe der Prozess germanischer Prägung entgegen. Bei ersterem enthält die gerichtliche Entscheidung die Feststellung der Tatsachen
366 Auch Otto, Präklusion, S. 154, sieht diesen Konfl ikt: „Indessen wird die Konzentration aller Streitpunkte auf ein Verfahren in der Regel bewirken, dass der Rechtsfrieden – fasst man nicht nur einen Streitpunkt ins Auge – schneller wiederhergestellt ist, als wenn sie auf mehrere Verfahren verteilt werden könnten. Dem Oktroi von Streitstoff liegen also nicht nur prozessökonomische Erwägungen zugrunde.“ 367 So Kocher, Funktionen, S. 331; allerdings ist nach Gaul, AcP 168 (1968), S. 58 f. die Rechtsfriedensfunktion nicht eigentlicher Prozesszweck, sondern tieferer Grund der Rechtskraft. 368 Nakamura, in: FS Gaul, S. 464; ders., in: GS Arens, S. 316 f.; ders. in: Das deutsche Zivilprozessrecht, S. 442. 369 „Der Prozess bezweckt, die Gerechtigkeit, die in dem Streit gelten soll, in den vor dem Gericht vorgelegten Tatsachen zu finden“, Nakamura, in: Das deutsche Zivilprozessrecht, S. 468. Vgl. auch oben § 13 II 1 b. 370 Nakamura, in: Das deutsche Zivilprozessrecht, S. 442: Aufgabe des römischen Prozesses sei es gewesen, zu erkunden, „ob das vom Kläger aufgrund des geschriebenen Rechts behauptete subjektive Recht vohanden ist oder nicht.“ Zur untergeordneten Rolle des subjektiven Rechts im römischen Recht hingegen mit Recht Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, S. 7 ff. = Gesammelte Aufsätze, Zur Geschichte des subjektiven Rechts, S. 244 f. 371 Nakamura, ZZP 99 (1986), 11.
§ 19 Der Zusammenhang zwischen Prozesszweck und Streitgegenstand
249
und die Anwendung der Gesetzesnorm.372 In dieser Tradition steht der deutsche Zivilprozess. Im germanischen Prozess, der Vorbildfunktion für das USamerikanische Recht hat373, existiert hingegen kein dem römischen Rechtskreis vergleichbares geschriebenes Recht. Der nomos germanischer Prägung wird in der täglichen Rechtsanwendung gefunden, die der Wiederherstellung des Friedens in der Sippengemeinschaft dienen soll.374 Der Streitgegenstand wird dort getrennt vom materiellen Recht am tatsächlichen Geschehen orientiert, was denknotwendig eine Erweiterung seines Umfangs mit sich bringt. Die Partei kann deswegen einen Rechtsgrund durch einen anderen ersetzen, ohne durch strenge Reglementierungen der Klageänderung gehindert zu sein, wenn nur das tatsächliche Geschehen identisch bleibt (same transaction). Des weiteren kennt das amerikanische Recht keine Bindung des Richters entsprechend § 308 ZPO.375 Stellt sich somit heraus, dass dem Kläger statt der beantragten Summe ein weit höherer Betrag zusteht, kann der Richter den Beklagten zur Zahlung dieses Betrages auch verurteilen (Fed. Rules Civ. Proc. 54 c).376 Aus der Bedeutung des tatsächlichen Geschehens für das Verfahren erklärt sich auch, dass stärker auf die Behauptungen und Anträge des Beklagten zu achten ist. Dies dürfte auch der Grund sein, warum das US-amerkanische Prozessrecht ein Institut wie den compulsory counterclaim kennt (Fed. Rules Civ. Proc. 13 a). Der Zweck der Konfliktlösung führt dazu, die Pflichten der Prozessparteien, den Verfahrensstoff bei einem Gericht zu konzentrieren, weiter zu spannen. Dem entsprechend werden auch die Grenzen der Rechtskraft großzügiger gefasst.377 Entsprechend dem amerikanischen Prinzip des due process of law (Garantie des Verfahrens) soll die Rechtskraft überall dort wirken, wo ein rechtsstaatliches Verfahren durchgeführt wurde. 378 Diese Zwecklehre kann für kontinentaleuropäische Rechtsordnungen oder auch das japanische Recht, die kodifiziertes materielles Recht kennen, jedoch nicht isoliert fruchtbar gemacht werden.379
372 373 374 375 376 377 378
Nakamura, in: Das deutsche Zivilprozessrecht, S. 441 f. Nakamura, ZZP 99 (1986), 1 f. Nakamura, ZZP 99 (1986), 11 f. Oben § 13 II 1, 2. Nakamura, ZZP 99 (1986), 15. Nakamura, in: Das deutsche Zivilprozessrecht, S. 443. Für die Garantie des Verfahrens als Grund der Rechtskraft auch Inoue, ZZP 98 (1985),
378 ff. 379
Nakamura, in: FS Gaul, S. 469. „Der kontinentaleuropäische Zivilprozeß mit dem positiven materiellen Recht und der angloamerikanische Zivilprozeß ohne kodifiziertes materielles Recht können deshalb nie in einer Linie stehen.“
250
Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
II. Zusammenfassung Primärer Prozesszweck im deutschen Recht ist die Verwirklichung des Individualrechtsschutzes, während die Bewährung des objektiven Rechts nur eine Folgeerscheinung darstellt.380 Der Individualrechtsschutz darf als verfassungsrechtlich gebotener Prozesszweck nur ergänzt, aber nicht verändert werden. Gesteigerte Bedeutung kommt jedoch unübersehbar der Rechtsfriedensfunktion des Prozesses zu. Dieser Befriedungszweck hat durch die Institutionalisierung des gerichtlichen und außergerichtlichen Schlichtungsgedankens im Zuge der ZPO-Reform stark an Gewicht gewonnen.381 Ein auf Streitschlichtung und Herstellung von Rechtsfrieden angelegter Prozess erfordert eine möglichst frühe und erschöpfende Sachverhaltsaufklärung, eine Erkenntnis, die auch in die Diskussion um den Prozessgegenstand Einzug halten muss. Dennoch darf der Individualrechtsschutz im Konfliktfall nicht ohne weiteres der Herstellung des Rechtsfriedens geopfert werden. Dies ist bereits Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 III GG). Vielmehr gilt es je nach Einzelfall, diese Prozesszwecke in Einklang zueinander zu setzen.382 Dem Individualrechtsschutz gebührt dabei regelmäßig der Vorrang. Im Übrigen dürfen, bezogen auf die Fassung des Streitgegenstands, die Aspekte des Rechtsfriedens und der Konfliktbereinigung im Rahmen der Rechtshängigkeitssperre stärkere Berücksichtigung erfahren als bei der Rechtskraft.
380 Treffend Stürner, in: FS Baumgärtel, S. 550 f.: „Man mag dieses Verständnis ergänzen und bereichern, eine Umformung würde freilich an der freiheitlichen Gesellschaft nagen … Wer also allzu unbekümmert auf ‚liberale‘ Prozesszwecktheorien einschlägt, trifft damit die Freiheitsrechte rechtsstaatlicher Verfassung; angesichts der gemeinsamen ‚liberalen‘ Wurzeln von ZPO und Grundrechtskatalog sicher kein Zufall … es besteht für die Prozessrechtswissenschaft vielleicht Grund zur Ergänzung, aber kein Grund zur Distanzierung“; a.A. etwa Klein/Engel, Der Zivilprozeß Österreichs, S. 186 f. 381 Däubler-Gmelin, ZRP 2000, 36, Bamberger, ZRP 2004, 137; Greger, in: FS Beys I, S. 459. 382 Hergenröder, S. 223 ff.
251
§ 20 Der Adressat des prozessualen Anspruchs Der Frage nach dem bestimmungsgemäßen Adressaten des Klageantrags kommt für die Konturierung des Streitgegenstands maßgebliche Bedeutung zu.383 Nach wie vor erscheint nicht endgültig geklärt384, ob der prozessuale Anspruch primär in Relation zum Gericht zu bestimmen – also im Begehren, die gewünschte Entscheidung zu tenorieren –385 oder vielmehr in einer an den Beklagten gerichteten Rechtsbehauptung zu sehen ist.386 Die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage wird häufig bestritten, weil zumindest Einigkeit darüber herrsche, dass die Rechtsschutzform Bestimmungsmerkmal des Streitgegenstands sei.387 Trotz dieses „Burgfriedens“ ist die Frage durchaus von praktischer und dogmatischer Relevanz.388 Bereits der Zweck des Zivilprozesses, die Verwirklichung subjektiver Rechte und Interessen, lenkt den Blick auf das Verhältnis des Klägers zum Beklagten. Sicherlich muss das Rechtsgesuch in Form eines Klageantrags dem Gericht eröffnet werden. In der Klageschrift, die dem Beklagten durch die staatlichen Organe zugestellt wird, nimmt der Kläger aber vornehmlich eine bestimmte Rechtsfolge gegenüber dem Beklagten für sich in Anspruch.389 Die Richtigkeit dieser These wird inzwischen selbst von den Protagonisten einer ursprünglich rein prozessualen Ausrichtung mehr und mehr eingeräumt: 383 384
Vgl. auch Münch, Prozessualer Anspruch, S. 49. Näher zur Fragestellung auch § 25 II 2; zum Streitprogramm vgl. Nörr, in: FS Baur,
S. 537. 385
So Schwab, Streitgegenstand, S. 185; Bötticher, in: FG Rosenberg, S. 86. Nikisch, Streitgegenstand, S. 19: „Streitgegenstand ist die Rechtsbehauptung, über die der Kläger eine der Rechtskraft fähige Entscheidung begehrt.“ Im Zentrum steht die Rechtsbehauptung: Das Begehren ist nicht selbst der Streitgegenstand, sondern lediglich das technische Mittel, um eine Entscheidung des Gerichts über den Streitgegenstand herbeizuführen, ders., AcP 154 (1954), 273 f.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 221; ders., in: FS Schwab, S. 181. 387 Habscheid, Streitgegenstand, S. 146 f., rechnet deswegen die Verfahrensbehauptung neben der Rechtsfolgenbehauptung zu den bestimmenden Merkmalen des Streitgegenstands. 388 Ähnlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor §§ 253 f. Rn. 20. 389 Münch, Prozessualer Anspruch, S. 49; sehr deutlich Rimmels pacher, JuS 2004, 561, der das Rechtsschutzbegehren auf eine materielle Rechtsfolge zurückführt. Denn auch dieses ziele nicht auf eine (inner-)prozessuale, sondern auf eine materielle Rechtsposition außerhalb des Erkenntnisverfahrens ab. Der BGH bestätigt diese Sichtweise (unfreiwilig), BGH NJW 2004, 1254. 386
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Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
„Selbstverständlich stellt der Kläger auch eine Rechtsbehauptung auf, wenn er eine Klage erhebt, denn andernfalls würde er ja zugeben, dass seine Klage unbegründet sei. Es fragt sich nur, ob der Streitgegenstand wirklich erschöpfend umschrieben wird, wenn man ihn als Rechtsbehauptung definiert.“390
Das Gericht fungiert somit neben seiner Rolle als Entscheidungsorgan vor allem als technischer Mittler zwischen Kläger und Beklagten. Die heute h.L. stellt hingegen zu Unrecht ausschließlich das Begehren in den Vordergrund und gesteht der Rechtsbehauptung allenfalls eine untergeordnete Bedeutung zu.391 Der BGH nennt, ohne sich festlegen zu wollen, Rechtsbehauptung und Rechtsschutzbegehren in seiner wiederholten Definition immerhin in einem Atemzug.392 Richtigerweise gilt es, beide Begrifflichkeiten miteinander zu versöhnen. Je nach Prozesssituation gewinnt dabei der eine oder andere Aspekt mehr an Bedeutung. Die Berücksichtigung des an das Gericht adressierten Rechtsschutzbegehrens gewährleistet die Einbeziehung der prozessualen Voraussetzungen des Urteils.393 Damit kann ohne weiteres auch die Rechtskraftwirkung eines klageabweisenden Prozessurteils erklärt werden.394 Der Begriff der Rechtsbehauptung entspringt zwar der heute allgemein überwundenen streng materiellrechtlichen Streitgegenstandslehre. Dennoch ist die Anlehnung an das materielle Recht im Grundsatz zu begrüßen. An dem Begriff des Begehrens missfällt, dass der Akt des Begehrens selbst in den Vordergrund gestellt wird und nicht das Begehrte, das petitum. Die Ausrichtung des Prozesses auf die Rechtsbehauptung des Klägers führt dazu395, dass Einwendungen und Gegenansprüche des Beklagten für die Bestimmung des Streitgegenstands des Klageverfahrens ausgeblendet bleiben. Zwar hat insbesondere Costede396 nachdrücklich unter Berufung auf den Schutz des Beklagten befürwortet, dessen mutmaßlichen Gegenrechte als im Prozess befangen anzusehen, so dass das klagestattgebende Urteil auch die Feststellung erfasse, dass solche Gegenrechte nicht bestehen. 397 Den Ausgangspunkt
390
Schwab, in: FS Lüke, S. 795. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 IV Rn. 23. 392 BGH NJW-RR 2006, 1120 (Ablehnung der materiellrechtlichen Theorie; Befürwortung der prozessualen Theorie); Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 49, will auch die Rechtsbehauptung in den Streitgegenstandsbegriff mit einbeziehen; hierfür auch Lent, ZZP 65 (1952), 318; ders. ZZP 72 (1959), 97; de Boor, Gerichtsschutz, S. 43. 393 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 49. 394 Damit erübrigt sich die von A. Blomeyer postulierte Unterscheidung in einen sachlichen und prozessualen Streitgegenstandsbegriff. 395 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 268. 396 Costede, in: FS Deutsch, S. 914 ff.; ders., Studien zum Gerichtsschutz, S. 177 ff.; kritisch Grunsky, ZZP 92 (1979), 90 f. 397 Hierzu Hau, ZZP 117 (2004), 51; Braun, NJW 1979, 2380 (2381); in rechtsvergleichender Hinsicht weist Costedes Ansicht eine gewisse Nähe zum französischen Modell auf, das auch Einwendungen des Beklagten an der Rechtskraft teilhaben lässt, Kössinger, S. 91. 391
§ 20 Der Adressat des prozessualen Anspruchs
253
für Costedes Überlegungen bildet dabei die Abkehr vom herkömmlichen Anspruchsverständnis unter Betonung der subjektiven Rechte beider Parteien.398 Werde der von der materiellen Rechtsordnung vorgegebene Zustand, der dem Einzelnen subjektive Rechte und anderen die Rechtspflicht, diese zu beachten, zuteilt, nicht eingehalten, so komme im Hinblick auf die Verletzung dieser subjektiven Rechte als Sanktion der gerichtliche Rechtsschutz zum Tragen.399 Nach Costedes Konzept verleihen etwaige Gegenrechte (Gestaltungsrechte, Einreden) dem Beklagten ebenfalls eine subjektive Berechtigung auf Abwehr einer unberechtigten Inanspruchnahme durch den Kläger400 und sind insofern Teil des Streitgegenstands. Jedoch ist dieser Ansicht im Hinblick auf die alleinige Dispositionsbefugnis des Klägers (§§ 253 II Nr. 2, 308 ZPO) bisher die Gefolgschaft versagt geblieben. Folgte man der Auffassung Costedes, würde vor allem der Ausnahmecharakter von § 322 II ZPO verkannt.401 Nur der Aufrechnungseinwand nimmt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung im deutschen Recht an der Rechtskraftwirkung der Entscheidung teil.402 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass etwaige Gegenrechte des Beklagten nicht ohne weiteres Bestandteil des Streitgegenstands sind. In diesem Kontext sei ein Hinweis auf die Principles of Transnational Civil Procedure erlaubt403, die dem Beklagtenvorbringen Bedeutung für den Streitgegenstandsbegriff einräumen wollen (Principle 28. 1).404 Nach Principle 10.3 wird der Gegenstand des Verfahrens durch die von den Parteien in den Schriftsätzen vorgebrachten Ansprüche und Einreden sowie etwaige Änderungen bestimmt: „The scope of the proceeding is determined by the claims
398
Costede, Studien, S. 155 ff. Costede, Studien, S. 63 f., 74 ff. 400 Costede, Studien, S. 355; tendenziell ähnlich Bruns, ZPR, Rn. 139 c aus der Warte des Rechtsverhältnisses: „Das schließt aber nicht aus, dass der Beklagte seine Gegen-Rechtsposition verteidigungsweise geltend macht“; hierzu Koshiyama, Rechtskraftwirkungen, S. 87 f.; in Japan existiert eine vergleichbare, namentlich von Kato, in: Tokubetsu Kogi Minjisohoho, S. 137 ff., vertretene Lehre. Der Inhalt des Streitgegenstands ist hiernach abhängig davon, welche Einrede vom Beklagten geltend gemacht wird. 401 Zu den Folgen im Rahmen der objektiven Grenzen der Rechtskraft auch Koshiyama, Rechtskraftwirkungen, S. 88. Würde der Beklagte rechtskräftig verurteilt, dem Antrag auf Grundbuchberichtigung durch Eintragung des Klägers und Löschung des Beklagten als Eigentümer zuzustimmen, werde das Eigentum des Klägers verbindlich zu Lasten des Beklagten festgestellt, Costede, Studien, S. 297 f.; ähnlich Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 214 ff., wenngleich ausdrücklich nur für den Eigentumsherausgabeanspruch (§ 985 BGB) und den nachfolgenden Schadensersatzanspruch aus § 989 BGB. In diesem Beispiel sei hingegen nach Costede, S. 261 ff., 110 ff., der Streitgegenstand nach der Art der Verteidigung des Beklagten zu bestimmen (Besitzrecht, Mietvertrag oder Eigentum des Beklagten); Mädrich, MDR 1982, 455 f. 402 Vgl. hierzu auch Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 269. 403 R. Stürner, RabelsZ 69 (2005), 249 f. 404 Reischl, IPRax 2003, 426 f.; P. Gottwald, in: FS Leipold, S. 34 f.; vgl. auch § 15 II 4 b. 399
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Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
and defenses of the parties in the pleadings, including amendments.“ Dieser Vorschlag erscheint im Hinblick auf die ausnahmslose Beachtlichkeit des Beklagtenvorbringens zu weit geraten.405
405 Kritisch Reischl, IPRax 2003, 429, im Hinblick auf die Rechtsunsicherheit, welche sich aus der Beachtlichkeit nachträglicher Einwendungen ergäbe.
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Fünfter Teil:
Der Verfahrensgegenstand Die bisherige Untersuchung lässt für die prozessualen Bewährungsproben Rechtshängigkeit und Rechtskraft derart unterschiedliche Strukturprinzipien erkennen, dass eine Differenzierung zwischen Verfahrens- und Urteilsgegenstand nahe liegt.
§ 21 Konkrete Berücksichtigung des Prozesszwecks Für die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes von Bedeutung ist die Verwirklichung subjektiver Rechtsstellungen.1 Dieser Gesichtspunkt wird von den rein prozessual geprägten Streitgegenstandslehren mit ihrer Ausrichtung am konkreten Klagebegehren vernachlässigt. Hingegen sollte den jüngeren materiellrechtlich orientierten Lehren nicht ihre Grundausrichtung zum Vorwurf gereichen, sondern höchstens die konkrete Umsetzung ihres Anliegens2, die Schwierigkeiten materieller Anspruchskonkurrenz im Prozess bereits auf materieller Ebene zu lösen.3 Die erstrebte Einheit der Rechtsordnung kann nicht über eine Neuinterpretation des materiellen Anspruchsbegriffs erreicht werden. Denn der Anspruchsbegriff des BGB ist als Einheit stiftendes Element denkbar ungeeignet. Der Gedanke eines aufgrund prozessualer Notwendigkeiten erweiterten materiellrechtlichen Anspruchs scheitert an unterschiedlichen Verjährungsfristen und unterschiedlicher Beweislastverteilung.4 Von einem einheitlichen Anspruch im Sinne des materiellen Rechts kann somit nicht gesprochen werden.5
1 Die Vorschriften zur Rechtshängigkeit haben sich in erster Linie am primären Prozessziel, der Verwirklichung des materiellen Rechts, zu orientieren, Herrmann, Grundstruktur, S. 55. 2 Rimmels pacher, JuS 2004, 561 f. 3 Schwab, JuS 1976, 72. 4 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, § 32 II; ebenso Arens, AcP 170 (1970), 392 f.; Schwab, JuS 1976, 72. 5 Zu Recht Habscheid, in: FS Schwab, S. 194; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 36, 40. Allenfalls stellt er eine Fiktion dar, Schwab, JuS 1976, 72.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
Dennoch fordern der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und das Prinzip einer materiellrechtsfreundlichen Auslegung eine Ausrichtung am kleinsten gemeinsamen Nenner. Hiernach sind die Bestimmungen des Verfahrensrechts so zu verstehen, dass sie einer Entfaltung des materiellen Rechts am besten dienen bzw. dieses möglichst wenig beeinträchtigen.6 Dem muss auch die Lehre vom Streitgegenstand Rechnung tragen. Dies gilt vor allem für den Identitätsvergleich zweier Verfahren. Ungeachtet aller berechtigten Verselbständigungstendenzen der Prozessualistik darf dieses Anliegen nicht in Vergessenheit geraten: Lösungen sind möglichst in Übereinstimmung beider Bereiche zu entwickeln.7 Diesem Anliegen entspricht es, „den Streitgegenstandsbegriff möglichst nahe am materiellen Recht anzusiedeln.“8 Eine prozessuale Ergebniskorrektur ist notwendig, wenn Besonderheiten des Erkenntsnisverfahrens, etwa der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien, dies erfordern.
I. Der Inhalt des subjektiven Rechts Die privatrechtsprägende Funktion des subjektiven Rechts kommt am deutlichsten in einer Aussage von Tuhrs zum Ausdruck9: „Der zentrale Begriff des Privatrechts und zugleich die letzte Abstraktion aus der Vielgestaltigkeit des Rechtslebens ist das Recht des Subjekts, das subjektive Recht.“10
Auch Bestrebungen11 während der Zeit des Nationalsozialismus, das subjektive Recht als Ausdruck eines liberalen Systems zurückzudrängen bzw. auszumerzen, konnten daran nichts ändern. Die Bedeutung des subjektiven Rechts tendierte im klassischen römischen Recht noch gegen Null.12 Nach Villey hatte das Wort ius nur die Bedeutung 6 Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 99; Schumann, in: FS Larenz (1983), S. 571 f.; ders., in: FS Apostolos Georgiades, Bd. II, S. 555. 7 „Die Parteien streiten vor Gericht um ihr Zivilrechtsverhältnis, und dies in den Strukturen und den Mitteln des materiellen Rechts, insbesondere denen der Privat- und Parteiautonomie“; Häsemeyer, ZZP 118 (2005), 265. 8 Grunsky, Grundlagen, § 5 II 2, S. 27. Der von Grunsky weiter genannte und auf Henckel, Parteilehre, S. 140 ff., zurückgehende Gesichtspunkt für eine Anlehnung an das materielle Recht, dass über jedes materielle Recht getrennt verfügt werde und die Klage eben als Verfügung anzusehen sei, überzeugt nicht. 9 Vgl. aber bereits Bekker, System des heutigen Pandektenrechts I, S. 46. 10 So v. Tuhr, AT, Bd. I, S. 53, hierzu auch Medicus, AT, Rn. 70. 11 So Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, in: K. Larenz, Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), Berlin, S. 241. Überblick hierzu bei Grimm, Gemeinschaftsvorrang und subjektives Recht, S. 46 f., und vor allem Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 341 ff.; Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S. 52 f. 12 So Villey, in: Revue historique de droit français et étranger, S. 201 ff.; hierzu kritisch Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, 7, 13 f.; vgl. auch Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 11 f.
§ 21 Konkrete Berücksichtigung des Prozesszwecks
257
eines Rechtsguts unkörperlicher Art (res incorporabilis).13 Wenngleich diese These auf Widerspruch stieß, trifft sie doch den Kern der Sache. Denn das römische Rechtssystem war vorwiegend rechtsschutzorientiert gedacht, also an der richtigen Klageformel orientiert.14 Zwar finden sich in den Institutionen des Gaius rudimentäre Versuche einer Behandlung subjektiver Rechtspositionen. Im Mittelpunkt steht jedoch immer noch das objektive Recht. Die Unterscheidung zwischen Rechtsschutzmöglichkeit und vorausgehender materieller Rechtslage entwickelte sich erst infolge der Rezeption des römischen Rechts durch die Glossatoren.15 Die Neuinterpretation des corpus iuris civilis im Mittelalter führte zu einem Erkenntniswandel, bei welchem das materielle subjektive Recht als causa actionis verstanden wurde.16 Dieses abstrakte subjektive Recht wird von der Glosse zugleich gegenüber dem die Entstehung dieses Rechts begründenden Sachverhalt abgegrenzt. Das subjektive Recht erscheint als causa proxima der actio, der Sachverhalt demgegenüber als causa remota.17 Während die Glosse ius und actio gleichwertig nebeneinander stellte, ordnete Donellus die actio dem subjektiven Recht unter. Bei Donellus tritt die Verbindung der Rechte mit der Natur der Rechtsobjekte in den Vordergrund. Donellus entwickelte ein Privatrechtssystem mit dem Ziel, jeder Person einen eigenen Vermögens- oder Herrschaftsbereich zuzuordnen. Dieser Herrschaftsbereich (quod nostrum est) bestehe aus den der Person bereits sicher zugeteilten Positionen (quod vere et proprie nostrum est) einerseits und den der Person noch geschuldeten Dingen andererseits (quod nobis debeatur).18 Ein System subjektiver Rechte war erstmals im Werk von Hugo Grotius deutlich erkennbar.19 Darin lag bereits die Vorstellung vom subjektiven Recht als einer rechtlichen Macht des einzelnen über Gegenstände oder das Verhalten von Personen. Anders als im römischen Aktionensystem wird die rechtliche Zuordnung von Gütern an einzelne Personen unabhängig von den Rechtsschutzmöglichkeiten verstanden. Kant hat dieses System mit einem naturrechtlichen metaphysischen Anstrich versehen. 20 Das subjektive Recht wird als Ausdruck der menschlichen Freiheit verstanden. 21 Diese Verbindung zwischen dem Begriff 13
Villey, in: Revue historique de droit français et étranger, S. 202 ff. Erörterungen zur Bedeutung von ius finden sich freilich bereits bei Paulus; siehe dazu Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, S. 7, 13 f.: Es sei die Formel – nicht der materielle Rechtssatz – gewesen, der für den klassischen Juristen damals im Mittelpunkt des Interesses gestanden habe. 15 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 274 ff. 16 Coing in: Coing/Lawson/Grönfors, S. 7, 14 f. 17 Coing in: Coing/Lawson/Grönfors, S. 7, 14, 15. Vgl. auch oben § 5 I. 18 Coing in: Coing/Lawson/Grönfors, S. 7, 15; Halfmeier, Popularklagen, S. 232. 19 Kaufmann, JZ 1964, 482 f. 20 Freiheit war für Kant als Gegenbegriff zur Willkür sittlich aufgeladen durch die Verantwortung für ihren vernunftgemäßen Gebrauch. 21 Kant, Metaphysik der Sitten, Vorländer-Ausgabe, S. 43. 14
258
Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
des subjektiven Rechts und der Realisierung menschlicher Freiheit setzt sich auch im Privatrechtssystem der Pandektistik fort. Savigny spricht vom subjektiven Recht als einem Gebiet, in dem der freie Wille einer Person herrsche.22 Das Recht ist die Bedingung der friedlichen Koexistenz zweier Menschen. Kants am Freiheitsbegriff orientiertes Verständnis des Rechts23 verkörperte die Herrschaft des eigenen Willens über den der anderen 24, dem Savigny sich nicht entziehen konnte. Die actio war eine Form dieses subjektiven Rechts, das Recht in seiner Richtung gegen den Verletzer. 25 Revolutionär Neues vollbrachte Rudolf von Ihering in seinem Werk „Der Geist des römischen Rechts“ aus dem Jahre 1876.26 Er kritisierte zunächst die Definition des subjektiven Rechts als Willensmacht, ohne diese Kritik unmittelbar auf die Vorarbeiten Kants zu beziehen. 27 Den Sinn des subjektiven Rechts erblickt Ihering darin, dass der Berechtigte am besten wissen müsse, was ihm gebühre. Seine Leistung besteht somit in dem vorgenommenen Perspektivenwechsel: Er ersetzte den naturalistisch geprägten Begriff der Willensmacht durch den Begriff des rechtlich geschützten Interesses. 28 Das subjektive Recht wird von ihm also funktionell verstanden. 29 Feststehend ist damit der 22 v. Savigny, System I, § 4, S. 7, auch § 52, S. 331 f.; hierzu Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 337; de Boor, Gerichtsschutz, S. 13. 23 Allerdings spricht auch Kant, Metaphysik der Sitten, Akademieausgabe, Band VI, S. 212, bereits vom Interesse (1914): Die Verbindung der Lust mit dem Begehrungsvermögen, sofern diese Verknüpfung durch den Verstand auch einer allgemeinen Regel gültig zu sein geurteilt wird, soll Interesse heißen. 24 Der naturrechtliche Standpunkt war keiner des in prozessrechtlichen Dimensionen denkenden Juristen, sondern des Sozialtheoretikers, de Boor, Gerichtsschutz, S. 11 f.: Diese naturrechtliche Betrachtungsweise wäre danach ohne die Rückbesinnung der historischen Rechtsschule auf die römische actio geeignet gewesen, aktionrechtliches Denken endgültig zu überwinden. Freilich will de Boor mit seiner Argumentation vor allem den Verhandlungsgrundsatz beseitigen. 25 Dies wird etwa deutlich im V. Band seines Systems: „[Das] aus der Rechtsverletzung entspringende Verhältnis heißt Klagerecht oder auch Klage, wenn man diesen Ausdruck auf die bloße Befugnis des Verletzten bezieht“, v. Savigny, V, 5 f.; oben § 5 I, II. 26 v. Ihering, Geist des römischen Rechts, Bd. III, § 60, S. 327 f. 27 Auch Kant verstand das subjektive Recht als Gewährleistung freier individueller Zwecksetzung, G. Wagner, AcP 193 (1993), 319 ff.; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 338. 28 v. Ihering, Geist des römischen Rechts, Bd. III, § 60, S. 339 f.: „Zwei Momente sind es, die den Begriff des Rechts konstituieren, ein substantielles, in dem der praktische Zweck desselben liegt, nämlich der Nutzen, Vorteil, Gewinn, der durch das Recht gewährleistet werden soll, und ein formales, welches sich zu jenem Zweck bloß als Mittel verhält, nämlich der Rechtsschutz, die Klage. Ersteres ist der Kern, letzteres die schützende Schale des Rechts. […] Der Begriff des Rechts beruht auf der rechtlichen Sicherheit des Genusses, Rechte sind rechtlich geschützte Interessen.“ Interessant ist, dass die römische Popularklage mit einem utilitas publica begründet wurde und nicht mit interest. Halfmeier weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Popular- und Verbandsklage in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Idee des subjektiven Rechts stehen, Halfmeier, Popularklagen, S. 37. 29 Es dient der Sicherung der Lebensbedingungen des Einzelnen und der Erfüllung seiner
§ 21 Konkrete Berücksichtigung des Prozesszwecks
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substantielle Bedeutungsgehalt des Interessebegriffs.30 Von Ihering erlag jedoch der Vorstellung, das subjektive Recht mit dem von ihm geschützten Interesse gleichsetzen zu können31 und stieß damit allgemein auf Widerspruch. Nebenbei war dies aber die Initialzündung für alle teleologischen Ansätze: der Zweck kam ins Recht. Die verliehenen subjektiven Rechte dienten somit der Verwirklichung von Interessen. Insbesondere von Windscheid wurde hingegen weiterhin die Bedeutung des Willensmoments als Charakteristikum betont, die sich in der Möglichkeit zeige, Leistung zu verlangen und zu erzwingen. Hingegen stehe nicht der aus dieser Rechtslage resultierende Vorteil als solcher im Vordergrund.32 Rudolf v. Ihering ging es jedoch mehr darum, dem „substantiellen Element“ seinen berechtigten Platz innerhalb des Begriffs des subjektiven Rechts zuzuweisen, als das Willenselement gänzlich zu entfernen. Seine Formel vom „Selbstschutz des Interesses“ nimmt den Grundgedanken der Willenstheorie mit auf und enthält als formales Element den rechtlichen Schutz des Interesses.33 In der Lehre Iherings materialisierte sich gleichsam die Gerechtigkeitsund Verteilungsproblematik in den Jahren der industriellen Revolution.34 Jeder Rechtsbehauptung steht meist ein anderes Interesse entgegen. Von dieser Spannung zwischen Interesse und Gegeninteresse handelt denn auch Iherings Werk „Der Kampf ums Recht.“35 Mit seiner Auffassung vom subjektiven Recht hatte Ihering die Beziehung von Rechtsordnung und Rechtssubjekt mit Blick auf den einzelnen „Verkehrsteilnehmer“ plastischer gemacht.36 Diese Auseinandersetzung um das subjektive Recht ist weitgehend zum Stillstand gekommen, als Regelsberger 37 der Versuch gelang, das Willenselement mit dem Begriff des Interesses zu versöhnen:
individuellen Bedürfnisse, seien diese materieller oder immaterieller Natur, G. Wagner, AcP 193 (1993), 319, 323. 30 Heck, Begriffsbildung, S. 37. 31 Allerdings leugnet v. Ihering die Bedeutung des Willens nicht gänzlich. Dieser wird jedoch lediglich als ein Mittel verstanden, während der Akzent auf dem Begriff des Interesses ruht, vgl. Schapp, Das subjektive Recht, S. 87: v. Ihering habe das Interesse als Fortentwicklung von Windscheids Anspruchsbegriff gebraucht und das Willenselement aus dem Anspruchsbegriff zu beseitigen versucht. 32 v. Tuhr, AT, Bd. I, S. 59. 33 So überzeugend G. Wagner, AcP 193 (1993), 340. 34 Treffend Grimm, Gemeinschaftsvorrang und subjektives Recht, S. 38 f. 35 Hierzu instruktiv Bolla-Kotek, in: FS Schmitz, S. 413 f, 417, 418. 36 Bolla-Kotek, aaO., S. 417. 37 Regelsberger, Pandekten I, § 14, S. 75, 76; er weist auch darauf hin, dass bereits vor Ihering von Bähr, Rechtsstaat (1864), S. 52 (Fn. 11), von Interesse gesprochen habe. Das entscheidende Element liegt sicherlich auch in der Bedürfnisbefriedigung, aber eben nicht nur. Auch Ihering hat bereits den rechtlichen Schutz dieses Interesses mit einbezogen, vgl. G. Wagner, AcP 193 (1993), 340; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 224 f.; MacCormick, in: Essays in Honour of H. L.A. Hart, 189 ff., 195 ff.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
„Die Willensmacht, welche den Inhalt des subjektiven Rechts bildet, ist kein abstraktes Ding, sondern einem bestimmten Interesse angepasst, zu dessen Sicherung gegeben und dadurch charakterisiert. Es ist Iherings Verdienst, die Rechte aus dem luftigen Bereich des Wollendürfens auf den realen Boden gezogen zu haben, aber in der berechtigten Bekämpfung einer Einseitigkeit verfällt er in eine andere: Die Rechte sind nach ihm die rechtlich geschützten Interessen. Das Wort Interesse ist mehrdeutig: Subjektiv bezeichnete es das Begehren nach einem Vorteil (Genuss), objektiv den Vorteil, auf den das Begehren gerichtet ist …, das Recht ist die Macht zur Befriedigung eines anerkannten Interesses.“38
Regelsberger gilt als Begründer der heute vorherrschenden Kombinationstheorie39: „Das subjektive Recht ist also eine Rechtsmacht, die dem Einzelnen von der Rechtsordnung („objektives Recht“) als ein Mittel zur Wahrung seiner Interessen verliehen ist.“40
Die Klagbarkeit des subjektiven Rechts ist das Mittel und die Voraussetzung seiner realen Durchsetzbarkeit.41 Der Zweck dient der Begrenzung des Inhalts des subjektiven Rechts und ist schon aus diesem Grunde notwendig.42 Von Ihering, der im Interesse den entscheidenden Kern des subjektiven Rechts erkannte43, hob noch allein auf das rechtlich geschützte Interesse des Rechtsinhabers ab. Nach Reinhart besteht jedoch keine zwingende Konformität. Vielmehr sei zwischen Rechtsinhaberschaft und dem erstrebten Genuss durchaus ein Dualismus vorstellbar.44 Ansonsten wäre nicht zu erklären, warum die geltende Rechtsordnung auch subjektive Rechte anerkennt, die nicht dem Genuss ihres Inhabers, sondern demjenigen eines Dritten gewidmet sind.45 Eine finale Beziehung zwischen Genuss und Gläubiger besteht deswegen anerkanntermaßen nicht.46 Wenngleich heute die Auffassung vorherrscht, dass dieser Auseinandersetzung keine allzu große Bedeutung zukomme47, so lässt sich doch aus ihr Gewinn für die Streitgegenstandslehre ziehen.
38 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 618, ist jedoch der Ansicht, dass das substantielle Element im Begriff des subjektiven Rechts nichts zu suchen habe. Das subjektive Recht sei lediglich Form, nicht aber materieller Inhalt; hiergegen überzeugend G. Wagner, AcP 193 (1993), 339. 39 G. Wagner, AcP 193 (1993), 339 f. Wagner weist darauf hin (S. 341), dass v. Ihering selbst keine reine Interessentheorie, sondern eine Art Kombinationstheorie praktiziert habe; Überblick bei Raiser, JZ 1961, 465 f.; Medicus, AT, Rn. 70 ff. 40 Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S. 49. 41 Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S. 49; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 171. 42 Im Privatrecht können subjektive Rechte unterschieden werden nach der Art des Interesses in Vermögens- und Nichtvermögensrechte, Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, S. 49. 43 Ihering, Geist des römischen Rechts, Bd. III, § 60, S. 339 f. 44 Reinhardt, Ersatz, S. 80. 45 v. Tuhr, AT, Bd. I, S. 59. 46 Reinhardt, Ersatz, S. 81. 47 Medicus, AT, Rn. 70; praktikable Unterschiede glaubt er am ehesten in der Lehre vom Rechtsmissbrauch zu erkennen.
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II. Der Einfluss Windscheids auf die CPO von 1877 Bereits vor Erscheinen von Iherings Werks „Der Geist des römischen Rechts“ war Windscheid im Jahre 1856 mit seiner Schrift „Die Actio des römischen Rechts“ tief ins Bewusstsein der Rechtswissenschaft vorgedrungen. Da Windscheid Anhänger der reinen Willenslehre war, kann es nicht verwundern, dass sich seine Deutung des subjektiven Rechts als Willensmacht des Einzelnen auch im Begriff des Anspruchs widerspiegelt, eben im „Verlangenkönnen“ des einen gegenüber dem anderen.48 Dieses „Verlangenkönnen“ war aber von vorneherein auf eine ganz bestimmte Handlung, eine bestimmte Leistung gerichtet.49 Indem der Anspruch konkret bestimmt, was der Gläubiger erhalten soll50, verengt er durch diese Zuordnung gleichzeitig den Blickwinkel. Die „Entdeckung“ Windscheids hatte weittragenden Einfluss, und dies keineswegs nur im Privatrecht. Diese Neuschöpfung wurde bekanntlich wie selbstverständlich in der Funktion des Streitgegenstands in die CPO übernommen.51 Insoweit musste aber auch der konkrete Anspruchsinhalt Bestandteil des prozessualen Anspruchs sein52, während der für das subjektive Recht gerade erkannte Aspekt der Interessenbefriedigung außer acht blieb.53 48 Vgl. auch Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 32: Windscheid schenkte der Rechtsposition, auf welche das Schutzmittel bezogen war, keine besondere Bedeutung. Der Anspruchsbegriff diente als systematischer Kunstbegriff zur Verknüpfung vieler bisher mit der actio in Zusammenhang stehender Lehren mit dem subjektiven Recht, Okuda, AcP 164 (1964), 163. Die Interpretation des subjektiven Rechts muss auch Auswirkungen auf den Anspruchsbegriff haben, Rödig, Theorie, S. 89. 49 Okuda, AcP 164 (1964), 541. Vgl. Motive I, S. 291: Anspruch sei das subjektive Recht in seiner Richtung gegen eine bestimmte Person. Die Motive gehen von einem einheitlichen, materiellrechtlichen Anspruchsbegriff aus. 50 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 24. 51 Vgl. oben § 6. Dies erklärt, warum sich an keiner Stelle der ZPO eine Defi ntion des Streitgegenstands findet, Habscheid, Streitgegenstand, S. 20 f.; Larenz/Wolf, AT § 14 I; Bruns, in: FS Ekelöf, S. 163 f. Allerdings glaubt Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte, S. 568, dass den Verfassern der ZPO das materielle Aktionenrecht Savignys als Vorlage diente; ebenso Kocher, Funktionen, S. 328: Windscheids Vorstellung habe sich hingegen nur im BGB durchgesetzt. 52 Ähnlich Bruns, ZPR, Rn. 139g: „Das Willensmoment des Klagebegehrens kommt für den Streitgegenstand allgemein in der Fixierung der Rechtsfolge zur Geltung … Das Rechtsverhältnis ist das in den Tatsachen ruhende Element des Streitgegenstands. Das Willensmoment des Klageantrags ist sein bis zur letzten Tatsachenverhandlung veränderliches Element.“ 53 Windscheids Willenstheorie leistete die Eliminierung philosophischer Begründungen des subjektiven Rechts zugunsten einer Einlassung auf das objektive Recht: „Als Ursprung subjektiver Rechte galt ihm allein die objektive Rechtsordnung, die aufgrund eines konkreten Tatbestandes einen ‚Befehl zu einem Verhalten bestimmter Art‘ erlässt und ‚diesen Befehl‘ demjenigen, zu Gunsten dessen sie ihn erlassen hat, zur ‚freien Verfügung‘ hingibt“, M. Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungerichtsbarkeit, S. 145; B. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, S. 155 f.; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, S. 98, wenden sich ausdrücklich gegen die Lehre Iherings: „Es ist oft … gegen ihn bemerkt worden,
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Die Streitgegenstandsdiskussion kreiste in der weiteren Entwicklung denn auch um die Rechtsdurchsetzung in Form eines bestimmten Anspruchsinhaltes, einer konkreten Rechtsfolge, die auch den Urteilsinhalt bestimmen sollte (§ 322 ZPO). Insbesondere für die Rechtskraft gewann – im Vergleich zur gemeinrechtlichen Doktrin – der Klageantrag verstärkt an Bedeutung.54 Die Fixierung auf die konkrete Rechtsfolge kommt deutlich im Entwurf einer Zivilprozessordnung von 1931 zum Ausdruck. So lautete § 327 ZPO-E: „Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über die durch die Klage oder Widerklage geltend gemachte Rechtsfolge oder über eine Rechtsfolge des Verfahrensrechts entschieden ist.“55
Sämtliche Bemühungen zur Verfahrenskonzentration beschränkten sich auf die Bündelung von Rechten gleichen Inhalts (Stichwort: Anspruchskonkurrenz). In Vergessenheit geriet darüber, dass die Befriedigung des Interesses in verschiedensten Formen möglich ist. Ihering hat im Übrigen diesen Anspruchsbegriff Windscheids stets gemieden.56 Er spricht lediglich von dem der Klage zugrunde liegenden Recht.57 Dadurch bleibt der Zusammenhang von Interesse und Klage etwas im Unklaren.58 De Boor hat später – von der verfehlten Warte der Volksgemeinschaft aus – Kritik an der Willenstheorie und ihrem Einfluss auf das Prozessrecht geübt:59 „Wir werden uns unter subjektivem Privatrecht etwas ganz anderes vorzustellen haben, als es noch die Dogmatik des BGB wenigstens überwiegend tut. Die unsachgemäße Verquickung mit dem Willen des Berechtigten, die bei Windscheid dem Zusammenhang mit dem Anspruch und über diesen mit der actio und dem römischen Recht diente, und die übrigens einem überwundenen, rein individualistischen Freiheitsbegriff entstammt, muss
dass die Substanz des Rechtes nicht in dem Interesse, sondern in den von der Rechtsordnung zum Schutze dieses Interesses erlassenen Ansprüchen liegt.“ Zur Definition des Rechts selbst gehöre der Zweck aber nicht. Anders aber Dernburg, Pandekten I, § 38: „Recht im subjektiven Sinne ist ein dem Individuum nach der Rechtsordnung zustehender Antheil an den Lebensgütern“. 54 Savigny hingegen bezog den Umfang der res iudicata auf das Rechtsverhältnis als solches. 55 Entwurf einer Zivilprozessordnung, S. 76; das Wesen der Rechtskraft sollte unter Verzicht auf das Wort Anspruch zweckentsprechender umschrieben werden, S. 327. 56 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 250; Schapp, Das subjektive Recht, S. 84. 57 v. Ihering, Geist des römischen Rechts, Bd. III, § 61, S. 368. 58 Schapp, Das subjektive Recht, S. 84: „Wird denn nach Ihering Rechtsschutz durch Klage für ein vorher schon bestehendes Recht gewährt, welches der Klage zugrunde liegt? Das würde die ganze Theorie vom Rechtsschutz als formalen Moment des subjektiven Rechts zunichte machen.“ 59 de Boor, Gerichtsschutz, S. 41, ohne allerdings, anders als Larenz, Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, S. 225 f., den Kampf gegen die Berechtigung des subjektiven Rechts selbst anzutreten.
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verschwinden: das Eigentum ist zu achten, der Schuldner hat zu leisten, nicht weil der Berechtigte es so will, sondern weil das Recht es so ordnet.“60
Das Ziel de Boors war es dabei, ein zukünftiges Volksgesetzbuch von den Fesseln des Anspruchsdenkens zu lösen und „die Lebensordnung“ ohne Rücksicht auf den Prozess darzustellen. Die Rechtsordnung sollte sich von einem Denken in Rechten und Pflichten des Einzelnen befreien. Pflichten seien seiner Ansicht nie Selbstzweck, sondern sie bezögen sich auf das Bekommensollen des Gläubigers, auf die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung gestörter Sachherrschaft. Insofern fügt sich seine Definition des subjektiven Rechts konsequent in das bisher Gesagte ein: „Wir kommen zu einem objektiv bestimmten Begriff des subjektiven Rechts, unter dem Gesichtspunkt, dass die Rechtsordnung dem Volksgenossen ein Gut zuordnet, sei es unmittelbar oder mittelbar durch Anweisung auf das Leistensollen und die Haftung eines anderen … Das subjektive Recht bildet also den Bezugspunkt, aus welchem die einzelnen Pflichten und Befugnisse Sinn, Inhalt und Grenzen finden. Im wirklichen Leben haben wir diesen Begriff des subjektiven Rechts ja längst, insbesondere in den Aktiven der kaufmännischen Buchführung, und wie sollte er da entbehrt werden?“61
Die vorstehenden Ausführungen zur Entwicklung des subjektiven Rechts und seiner Folgen für den Zivilprozess haben zumindest gezeigt, dass ein Denken außerhalb von konkreten Rechten und Pflichten möglich ist. Die nächst größere relevante Gruppierung könnte das „Rechtsgut“ selbst bilden62, die maßgebliche prozessuale Bezugseinheit das vom Kläger geltend gemachte materielle Interesse. Diese Deutung würde bereits erleichtert, wenn zwischen Ansprüchen und subjektiven Rechten dergestalt differenziert wird, dass materiellrechtliche Ansprüche nur als Durchsetzungsinstrumente für die eigentliche subjektive Stammposition verstanden werden.63 Die Rechtsposition wäre damit das prius, eben die Quelle verschiedener Ansprüche. Der einzelne Anspruch diente hingegen allein der Konkretisierung des subjektiven Rechts. Je nach Verfahrens60
de Boor, Gerichtsschutz,S. 41. de Boor, Gerichtsschutz, S. 41: Seine Überlegungen begrenzt de Boor indes auf Vermögensrechte. 62 Vgl. auch Bruns, ZPR, § 113a: „Es ist vielmehr von den Substanzrechten … auszugehen (die ja auch viel einfacher aufzusuchen sind als die für Störungen verordneten Rechtsfolgen) … Erst wenn sich die insoweit behauptete Rechtsposition des Klägers als (in seiner Darstellung) wohl fundiert erweist, ist der gestörte Zustand in Verbindung zu setzen zu dem Verhalten des in Anspruch genommenen Beklagten. Und erst, wenn dieses Dreieck des Rechtsfolgenursprungs befestigt ist, stellt sich die Frage des Rechtsfolgenbescheids gegebenenfalls mit zusätzlichen weiteren Voraussetzungen.“ 63 E. Schmidt, NJW 2002, 25, 28; Raiser, JZ 1961, 465 f.; Rüthers/Stadler, AT, § 4 Rn. 2: Der Anspruch sei „nur ein Ausschnitt aus der durch das subjektive Recht insgesamt verliehenen Rechtsmacht“; ähnlich Costede, in: FS Deutsch, S. 907, 911 f.; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 105, bezeichnet die Rechtsposition hingegen dem entgegengesetzt als einen Teil des Anspruchsbegriffs. 61
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stadium könnte diese logische Entwicklung des subjektiven Rechts auch für die Konturierung des Streitgegenstands nutzbar gemacht werden. So kommt für den rechtskräftigen Verfahrensabschluss einem rechtsfolgenorientierten Denken sicherlich eine stärkere Bedeutung zu, weil dort die Voraussetzungen eines am konkreten Anspruchsinhalt orientierten Vollstreckungstitels geschaffen werden. Für das laufende Verfahren gilt dies nicht in gleichem Maße.
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§ 22 Die Bedeutung des Klägerinteresses I. Erste begriffliche Grundlegungen Nach dem bisher Gesagten gilt es die von der Kombinationslehre übernommene Erkenntnis Iherings für das subjektive Recht auf prozessualer Ebene konsequent umzusetzen. Ein gewisser prozessualer Bezug zeigt sich bei Ihering insofern64, als er das rechtlich geschützte Interesse als das durch die Klage geschützte Interesse bezeichnet.65 Insoweit könnte das „Leistungsinteresse“ des Klägers als das für den Prozess entscheidende materiellrechtliche Substrat des subjektiven Rechts verstanden werden.66 Diese Aussage bleibt zunächst auf Leistungsklagen und Feststellungsprozesse über Anspruchsberechtigungen beschränkt.67 Bei dieser begrifflichen Grundlegung wird nicht übersehen, dass der Terminus „Interesse“ im Verfahrens- und insbesondere im Privatrecht bereits mit unterschiedlichsten Bedeutungsgehalten besetzt ist.68 So ist mit „Interesse“ in §§ 264 Nr. 3, 287 I 1, 369, 893 ZPO, bei Berücksichtigung der historischen Wirkungsgeschichte sicherlich nichts anderes gemeint als Schadensersatz.70 Das id quod interest 71 des rö-
64 Auch H. Roth, Einrede, S. 308. Die Interessenjurisprudenz setzt ebenfalls beim Konflikt an, Schapp, Grundlagen des Bürgerlichen Rechts, § 2 VI. 65 Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 37 S. 157 Fn. 3. 66 Verwandt ist dem Begriff Interesse die Bezeichnung des wirtschaftlichen Erfolges oder des wirtschaftlichen Zieles, Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 164 f. 67 Zu Gestaltungsklagen und Festellungsklagen näher § 33. 68 Dedek, Negative Haftung aus Vertrag, S. 13 f.: „Interesse ist ein Ausdruck, der sich wortsemantisch nicht auf eindeutige Aussagen fi xieren lässt …“. Jedoch seien zwei rechtliche Hauptassoziationen erkennbar: Die Interessenjurisprudenz Iherings und der Begriff des Schadensersatzes, so Dedek, aaO., S. 5 f. 69 RGZ 8, 220 f.: „Der Begriff Interesse wird defi niert als die Differenz zwischen dem Betrage des Vermögens einer Person, wie derselbe in einem gegebenen Zeitpunkte ist, und dem Betrage, welchen dieses Vermögen ohne die Dazwischenkunft eines bestimmten beschädigenden Ereignisses in dem zur Frage stehenden Zeitpunkte haben würde.“ Vgl. auch P. Gottwald, Schadenszurechnung, S. 41 ff. Interesse und Schaden gilt es aber richtigerweise zu unterscheiden. Beide haben unterschiedliche Voraussetzungen, Knütel, AcP 202 (2002), 555; Sutschet, NJW 2005, 1404 f. 70 So E. Schumann, in: FS Canaris I, S. 1384. 71 Ausführlich Medicus, „Id quod interest“, S. 1 ff., 299 ff.
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mischen Rechts hat über die mittelalterliche Begriffssubstantiierung72 und über Mommsens Lehre vom Interesse73 Eingang in die CPO von 1877 gefunden.74 Dieser Befund spricht jedoch nicht gegen eine prozessuale Renaissance des Begriffes. Notwendig ist lediglich eine klare Konturierung des eigenen Verständnisses. Dies gilt vor allem, wenn der Begriff „Interesse“ in §§ 893 I ZPO und 287 ZPO als Äquivalent für den ursprüglichen Leistungsgegenstand verstanden wird.75 Insbesondere für den Identitätsvergleich zweier Verfahren wäre damit ein wertvoller Anhaltspunkt gewonnen. Neben der schadensrechtlichen Einfärbung existiert indes auch noch eine allgemeinere Wortbedeutung im Sinne von Nutzen76: Entscheidend ist danach, was für den Einzelnen in rechtlicher Hinsicht wichtig ist oder angelehnt an die lateinische Bedeutung „den Unterschied macht“.77 Mit Interesse ist somit ein Vorteil oder Nutzen, verstanden als Gesamtheit all dessen, was jemandem nutzt,78 gemeint.79 Interesse als Nutzen kann dabei bipolar subjektiv und objektiv interpretiert werden: Im einen Fall steht mehr die Absicht (Erzielen eines Nutzens), das andere Mal mehr der Nutzen als objektives Ereignis im Vordergrund.80 In diesem Zusammenhang darf auch an die im öffentlichen Recht – zur Abgrenzung des privaten vom öffentlichen Interesse – unternommenen Deutungen erinnert werden: Das Interesse wird hier durch den Bezug von Subjekt und Objekt mit Leben erfüllt. Interesse ist die „Anteilnahme eines Subjekts an einem Gegenstand“.81 Dies entspricht nur in etwa der Tendenz, die das Inter72
Hierzu auch Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 32 f.; Neuner, AcP 133 (1931),
277 f. 73
Mommsen, Lehre vom Interesse, S. 235 f.; Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 2 f.; Dedek, aaO., S. 127. 74 In jüngerer Zeit werden Zweifel daran geäußert, ob dieser Interessebegriff Mommsens im Sinne einer ganzheitlichen Vermögensminderung in das BGB in der Funktion des Vermögensschadens übernommen wurde; ablehendend Wilk, Die Erkenntnis des Schadens, S. 79: „Der Grund dafür liegt in der Abkehr der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs von der Auffassung des Vermögens als Ganzheit.“ 75 So etwa Dedek, Negative Haftung aus Vertrag, S. 15. Hingegen klingt eine summenmäßige Begrenzung bei § 122 II und § 179 II BGB an. 76 Vgl. auch Luhmann, ZNR 1990, 1, 6 ff. 77 C. Knütel, AcP 202 (2002), 555, 572 Fn. 78; Honsell, JuS 1973, 70 f., der darauf hinweist, dass die herrschende Differenzhypothese auf einem Missverständnis beruhe; ders., Römisches Recht, S. 138: „quod interest bedeutet keine Differenz, sondern ganz wie der moderne Begriff Interesse, was einem daran liegt.“ 78 Orth, „Interesse“, in: Brunner u.a. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. III, S. 310. 79 Dieses Begriffsverständnis hat sich erst ab dem 16. Jahrhundert entwickelt. „Interesse im Singulari bedeutet Vorteil oder Nutzen“, hierzu Ihring, Friedrich Heinrich Wilhelm, 1799. Auch von Wohl oder Zweck ist die Rede, Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 24 Fn. 1; Halfmeier, Popularklagen, S. 203; Dedek, aaO., S. 14. 80 Auch das BGB verwendet Interesse in § 113 III und § 1803 II im Sinne von Nutzen, vgl. auch § 628 I 2 BGB. 81 Grundlegend Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 23 f. Unter Individualin-
§ 22 Die Bedeutung des Klägerinteresses
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esse als den Wert bezeichnen will, den der Kläger durch den Urteilsausspruch begehrt.82 Die Bezeichnung „Wert“ wird im Rahmen dieser Studie bewusst vermieden, suggeriert sie doch zumindest dem Wortsinne nach eine ökonomische Betrachtungsweise.83 Zur Lösung der mit der Streitgegenstandsbestimmung einhergehenden Identitätsfrage84 ist die wirtschaftliche Übereinstimmung der Positionen aber nicht erforderlich: „Der Wertbegriff enthält den Maßstab zur Bestimmung der Tauglichkeit des Gutes, der Interessenbegriff erfasst diese Werteigenschaft in besonderer Beziehung auf die Zwecke und Verhältnisse des Subjekts.“85
Da es jedoch – entsprechend der zivilprozessualen Dispositionsmaxime – der Kläger ist, der den Streitgegenstand bestimmt, empfiehlt sich ein subjektbezogener Blickwinkel. Der Gegenstand des Zivilprozesses wird somit durch das Interesse charakterisiert, das im Klageantrag seinen Ausdruck findet.86 Dies meint den rechtlichen Vorteil bzw. Erfolg, welchen der Kläger zu erreichen versucht und der von der Rechtsordnung nur einmal gewährt wird.
II. Klägerinteresse und Erfüllungskonnexität Fraglich bleibt, wie sich diese für den Verfahrensgegenstand maßgebliche Interessenidentität bestimmen lässt.87 Hinter ihr steht die Überlegung, dass ein Rechtsgut von der Rechtsordnung nur einmal verliehen wird. Für Leistungsklateresse sei entweder die subjektive Anteilnahme eines Menschen an einem Gegenstand oder aber der objektive Nutzen, den ein Mensch durch einen Gegenstand gewinnt, zu verstehen. Zur Bündelung „gleichgerichteter Interessen“ im Rahmen des kollektiven Rechtsschutzes vgl. Basedow, S. 8 ff. 82 Bub, Streitgegenstand, S. 138; auf den Wert stellen ab: Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 104, und Henckel, JZ 1962, 335 f. 83 Rimmels pacher spricht zwar von der „Anwartschaft auf einen Wert“, lehnt aber eine ökonomische Betrachtung ab, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 104. Die Rechtsposition ist vielmehr normativ gefasst; allgemein zur ökonomischen Analyse P. Gottwald, in: FS Fasching, S. 181 ff. 84 Allgemein zur Identität als Rechtsproblem, O. Fischer in: Festgabe zum Doktorjubiläum Rudolf von Iherings, S. 1 f. 85 v. Ihering, Geist des römischen Rechts, Bd. III, § 60, S. 341. 86 Andeutung fi ndet diese Linie für den speziellen Bereich der Popular- und Verbandsklage bei Halfmeier, Popularklagen, S. 299: „Vor diesem Hintergrund wäre es naheliegend, dem beschriebenen identischen Interesse aller möglichen Kläger auch einen identischen Streitgegenstand korrespondieren zu lassen.“ Bei diesen Rechtsschutzformen fehlt es gerade an einem individuellen Einzelinteresse. Im Vordergrund steht die Durchsetzung des objektiven Rechts. 87 Die nachstehenden Folgerungen bleiben zunächst auf die Befriedigungsfunktion der Leistungsklage begrenzt.
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gen – und Feststellungsklagen, in deren Zentrum ein materiellrechtlicher Anspruch steht – könnte somit der Anspruch in seiner Funktion als Leistungsträger maßgeblich sein. Für die zivilprozessuale Leistungsklage orientiert sich der Urteilstenor denn auch am begehrten Anspruchsinhalt. Der unterschiedliche Leistungsinhalt dient vor allem als Unterscheidungskriterium, wenn verschiedene Ansprüche demselben Rechtsverhältnis entstammen. Die Bedeutung der jeweiligen Rechtsfolge zeigt sich im Übrigen im Rahmen der Zwangsvollstreckung. Hier wird nicht nach dem genauen Entstehungsgrund der Forderung unterschieden, sondern nach ihrem Inhalt.88 Die Identität der Leistung könnte somit auch über die Identität des Interesses bestimmen. Jedoch lenkt dieser Ansatz im noch andauernden Zivilprozess den Blick zu sehr auf die konkrete Rechtsfolge und wird den Möglichkeiten der Verfahrenskonzentration nicht in vollem Umfang gerecht.89 Der konkrete Leistungsinhalt ist innerhalb des vom Kläger verfolgten Interesses unerheblich.90 Vielmehr trägt die Ordnungsfunktion des materiellen Rechts selbst zur Gruppierung von Interessen bei. Diese Ordnungsfunktion kann sich auch bei verschiedenen Leistungsinhalten in wechselseitigen Erfüllungs- und Ausschlusswirkungen manifestieren.91 Die notwendige Erfüllungskonnexität zeigt sich darin, dass ein Handeln, Dulden oder Unterlassen in materiellrechtlicher Hinsicht nur einmal beansprucht werden kann.92 Damit werden ähnliche Gesichtspunkte berührt, wie sie im Zusammenhang mit der Lehre von der Anspruchs(-normen)konkurrenz bekannt sind, mit einem wichtigen Unterschied: Der beschriebene Erfüllungszusammenhang existiert auch bei divergierenden Rechtsfolgen.93 Neben einer Gesamttilgung aller gleichgerichteten Ansprüche nach § 362 BGB erlangen sämtliche Mechanismen Bedeutung, die eine übergreifende Befriedigungswirkung erkennen lassen. Dies sei vorerst anhand einiger, keineswegs Vollständigkeit beanspruchender Beispiele verdeutlicht, die später Erweiterung erfahren. So bringt etwa das Schadensersatzverlangen des Gläubigers gemäß § 281 IV BGB den Primäranspruch zum Erlöschen, obgleich der Leistungsinhalt jeweils ein anderer ist.94 Beide dienen der Verwirklichung desselben Interesses. Gleiches gilt für die Ausübung des Wahlrechts zwischen § 249 88
v. Tuhr, AT, Bd. I, S. 261. Auf diese Entwicklung der Rechtsfolge im Verfahren hat insbesondere Bruns, ZPR, Rn. 139g, trefflich hingewiesen. Für ihn selbst bildet aber das Rechtsverhältnis den Ausgangspunkt aller Überlegungen. 90 Entscheidend ist das in der Klageschrift behauptete Interesse, nicht das tatsächliche. 91 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 574 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 113. 92 So auch Bub, Streitgegenstand, S. 138; Rimmels pacher, JuS 2004, 561 f., spricht vom Leistungsanrecht. Nur äußerlich vergleichbar Wernecke, Einheitlichkeit, S. 55 f. 93 Erforderlich wäre folglich nur die Unterscheidung zwischen Anspruchseinheit und Anspruchsmehrheit. 94 Die Vorschrift ist Ausdruck der „Einheit der Obligation“. 89
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I und II BGB (Naturalrestitution und Geldersatz). Auch die Verleihung einer Einrede nach § 813 BGB trägt im Verhältnis von Grundgeschäft und Wechsel/ Scheck zur Interessenbündelung bei. Eine ähnliche Befriedungswirkung kann sich auch aus einem außergerichtlichen Vergleich (§ 779 BGB) ergeben.95 Entscheidend hierfür wäre, dass die durch den Vergleich neu begründete Forderung nach dem Parteiwillen nur neben die (potentiell bestehende) ursprüngliche Forderung treten soll.96 Auch bleibt etwa bei einem Wechsel zwischen Rentenanspruch und Kapitalanspruch nach § 843 BGB das Interesse regelmäßig gewahrt. Erfüllungskonnexität besteht zwischen dem Schadensersatzanspruch wegen Weiterveräußerung fremden Eigentums und der Herausgabe des nicht auf Geldersatz gerichteten Surrogats (§ 285 BGB).97 Nach Sinn und Zweck der konkurrierenden Anspruchsgrundlagen gebührt dem Gläubiger der Ersatzgegenstand soweit nicht, als er Schadensersatz erhält.98 Die in § 285 II BGB lediglich einseitig zum Ausdruck kommende Verbindung gilt auch umgekehrt. Beide (rechtsfolgenverschiedenen) Ansprüche schützen dasselbe Interesse. Obgleich der Gläubiger äußerlich über zwei Forderungen verfügt, dürfen sie als äußeres Zeichen in der kaufmännischen Bilanz nicht addiert werden.99 Ein Interesse (nicht notwendig im wirtschaftlichen Sinne) bilden sämtliche dem Käufer nach § 437 BGB verliehenen Rechte, sofern sie Ausgleich für denselben Sachmangel schaffen wollen. Ob jedoch alle Fälle elektiver Konkurrenz ein Interesse widerspiegeln100, bedarf noch eigener Klärung. All diesen Fällen ist im Übrigen aus kostenrechtlicher Perspektive gemein, dass sich der Streitwert aufgrund des gleichbleibenden Angreiferinteresses in der Regel nicht erhöht. Eine Zusammenrechnung der Ansprüche gemäß § 5 ZPO findet gerade nicht statt.101 Die Ausrichtung auf einzelne materiellrecht95
Vgl. Bork, Vergleich, S. 434 f. So ist offensichtlich, dass bei einem Verkehrsunfall der Geschädigte (§ 823 I BGB) trotz einer im Wege des Vergleichs begründeten Forderung den entstandenen Schaden insgesamt nur einmal ersetzt bekommen soll, ausführlich Bork, Vergleich, S. 432 f.; vgl. auch BGH NJW 2002, 1503; hierzu Jacoby, JZ 2002, 722; G. Wagner, BGH LM § 261 ZPO Nr. 19. 97 Jahr, in: FS Lüke, S. 305. 98 Jahr, in: FS Lüke, S. 307; richten sich die Ansprüche gegen verschiedene Personen, besteht Zweckgemeinschaft und damit ein Gesamtschuldverhältnis nach BGHZ 52, 43. Auch bei verschiedenen Leistungsinhalten soll nach h.A. ein Gesamtschuldverhältnis möglich sein, a.A.: Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, S. 241 ff. 99 Jahr, in: FS Lüke, S. 307; anderes gilt bei einer mehrfach begründeten Forderung in Anspruchsgrundlagenkonkurrenz. Es ist nach § 240 I HGB nur eine Position zu verzeichnen, nur die Forderung als Vermögenswert und nicht die jeweiligen Ansprüche. Gerade diese Erkenntnis ist weiterer Beleg für das hier favorisierte Merkmal der Erfüllungkonnexität. 100 Vgl. auch das Verhältnis von Schadensersatz statt der Leistung und Aufwendungsersatz nach § 284 BGB. Die Entscheidung BGH NJW 2005, 2848, zeigt, dass doppelter Ersatz vermieden werden soll: „Bezweckt wird mit dieser Alternativstellung, dass der Geschädigte wegen ein und desselben Vermögensnachteils nicht sowohl Schadensersatz statt der Leistung als auch Aufwendungsersatz und damit doppelte Kompensation verlangen kann.“ 101 Dem (wirtschaftlichen) Interesse des Klägers kommt immer dann Bedeutung zu (§ 3 96
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liche Rechtsfolgen führt aber auch außerhalb des Streitwertrechts zur Einengung der zivilprozessualen Klärungs- und Befriedungsfunktion als sekundärem Prozessziel und widerspricht dem Bestreben nach Verfahrenskonzentration. Eine dem angepasste Fassung des Verfahrensgegenstandes könnte der Gefahr widersprechender Urteile vorbeugen und eine doppelte Verurteilung des Beklagten verhindern102, ohne auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis zurückgreifen zu müssen. Als historische Randnotiz sei darauf hingewiesen, dass bereits im gemeinen Recht der Mittelpunkt des Streits nicht immer auf einem bestimmten Leistungsobjekt ruhte, wie die folgenden Worte Wetzells deutlich machen:103 „Klagen, welche auf verschiedene Objekte gerichtet sind, scheinen daher nicht identisch sein zu können. Dennoch ist die Identität der Objekte weder in qualitativer, noch in quantitativer Beziehung ein absolutes Erfordernis für die Identität der Klagen … Lassen sich dagegen die Objekte beider Klagen nebeneinander denken, so sind sie der Regel nach nicht identisch und können sowohl gleichzeitig als nacheinander eingeklagt werden, selbst wenn sie aus einem Rechtsgrund geschuldet sind … Jedoch gibt es einen Fall, in welchem die Klagen identisch sind, ungeachtet der Verschiedenheit der Objekte. Sind nämlich mehrere Objekte aus einer Obligation nicht copulativ, sondern alternativ (oder in genere) geschuldet nach des Gläubigers Wahl, das eine oder das andere, so wird wegen der Einheit der Obligation auch nur eine Klage gegeben, und, wenn der Gläubiger nach Einklagung des einen Objects das andere fordern wollte, der neuen Klage die exceptio rei judicatae entgegengestellt. Ebenso entspringt aus einer Obligation der Anspruch auf das ursprüngliche Object und der auf Entschädigung. Ist daher die auf das urspüngliche Object gerichtete Klage zurückgewiesen worden, weil der Verklagte den Untergang derselben dargethan hat, so kann nicht von Neuem auf Entschädigung geklagt werden; während wenn der Verklagte veurteilt worden ist, ohne dass der Untergang überhaupt zur Sprache gekommen, die Liquidation als vorbehalten zu betrachten ist.“
Sind diese Ausführungen Wetzells vor allem auf die Einheit der Obligation als tradiertes Kriterium des römischen Rechts zugeschnitten, kommt in ihnen doch bereits deutlich die Bedeutung der Erfüllungskonnexität als einheitsstiftendes Element zum Ausdruck, das auch im heutigen Prozess zu beachten ist.
GKG), wenn der Streitwert nicht normativ zu bestimmen ist. Zum einheitlichen Angreiferinteresse vgl. E. Schumann, NJW 1982, 1257; Schwab, Streitgegenstand, S. 86; Bork, Vergleich, S. 439; H. Roth, in: FS Kollhosser, S. 100. Vgl. ausführlich Frank, S. 36, 45 f.: „Das Interesse des Klägers entscheidet über den Streitgegenstand, nicht aber über den Wert, wie vielfach gelehrt wird …“. 102 M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, S. 111. 103 Wetzell, System, § 47 N. 44, S. 580.
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III. Klageantrag und Klägerdisposition 1. Begrenzung durch den Klageantrag Für die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes spielt die Divergenz der begehrten Rechtsfolgen somit keine Rolle. Der im Leistungsprozess an bestimmten Anspruchsinhalten orientierte Klageantrag (§ 253 II Nr. 2 ZPO) schränkt das geltend gemachte Interesse nicht ein, sondern individualisiert dieses nur.104 Hingegen will die h.L. den Streitgegenstand durch den konkreten Klageantrag begrenzen105, da dieser auch den Entscheidungsbereich des Gerichts festlege (§ 308 ZPO). Damit bestimme er zugleich, welcher Ausschnitt aus dem Konfliktfeld Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens werden soll.106 Der so ermittelte Streitgegenstand müsse den Bezugspunkt im gesamten richterlichen Verfahren bilden, da es vom Antrag bis zu den Urteilswirkungen eines einheitlichen Beurteilungsmaßstabs bedürfe.107 Bei dieser Prämisse würde das klägerische Interesse nur die gedankliche äußerste Grenze des Streitgegenstands markieren, weil das Ziel umfassender Streiterledigung wiederum durch § 308 ZPO begrenzt wird.108 Insofern stünde etwa die Rechtshängigkeit einer Klage auf Ersatzlieferung (§ 249 I BGB) einer parallelen Klage auf Geldersatz (§ 249 II BGB) nicht entgegen.109 Der Zwang, einen bestimmten Antrag zu stellen, enge den Verfahrensgegenstand somit ein. Über den Bereich der Entscheidungsbefugnis des Gerichts hinaus könne auch das Verfahren keine Sperrwirkung entfalten. Als Ausdruck der Dispositionsmaxime soll dem Kläger auch die Entscheidung darüber obliegen, in welcher Weise seine Rechtsposition den notwendigen Schutz erhält.110 Hiergegen ist zunächst einzuwenden, dass § 308 ZPO sowohl nach seinem Wortlaut als auch seinem telos nicht auf die Phase der Rechtshängigkeit ausgerichtet ist.111 Die von der h.L. praktizierte Begrenzung des Streitgegenstands 104 Eine „funktionsgerechte Verbindung materiellrechtlicher und prozessualer Elemente“ hatte bereits Zeuner vorgeschlagen, Zeuner, in: FS Bötticher, S. 410 f. 105 Überblick etwa bei Kocher, Funktionen, S. 329. 106 Allgemein auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 253 Rn. 25 f. Der Rahmen der künftigen Entscheidung muss abgesteckt, die Grenzen der Rechtskraft eines zukünftigen Urteils erkennbar sein. 107 Baumgärtel, JuS 1974, S. 73 ff. 108 So etwa Bub, Streitgegenstand, S. 138 f.; ähnlich Rimmels pacher ZZP 116 (2003), 382 (für die Begrenzung der Rechtsposition). Bub und Rimmels pacher schränken ihr im Ausgangspunkt zutreffend weites Verständnis dadurch unnötigerweise ein und gelangen zu Ergebnissen, die sich von der h.L. kaum unterscheiden. 109 BGH NJW 1988, 1778; Bub, Streitgegenstand, S. 153. 110 In der Terminologie Rimmels pachers zielt der das Gericht bindende Antrag auf einen bestimmten Rechtsschutz für eine bestimmte Rechtsposition ab, Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 239; zum Rechtskraftumfang (Notwendigkeit eines Zwischenfeststellungsantrags), Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 133. 111 Ähnlich Baltzer, Die negative Feststellungsklage, S. 153 f. im Hinblick auf die Ausblendung der Rechtsschutzform im Rahmen von § 261 III Nr. 1 ZPO. Verfahrensgegenstand der
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durch den konkreten Klageantrag speist sich vielmehr aus einem unrichtigen Einheitsdogma, unter der die Maxime umfassender Streiterledigung ohne Not leidet: Dem Klageantrag, der somit bei der Leistungsklage unterschiedliche Funktionen erfüllt112, kommt für die Rechtshängigkeit keine absolute Bedeutung zu, wie im Übrigen auch aus § 264 Nr. 2, 3 ZPO deutlich wird. Er dient nach der hier vertretenen Ansicht lediglich zur Individualisierung des Klägerinteresses. Entsprechend der zivilprozessualen Dispositionsmaxime soll dem Kläger selbst die Wahl unter mehreren möglichen Rechtsschutzvarianten obliegen. Das Gericht ist an diese Wahl des Klägers gebunden. Indes konkurriert hiermit das öffentliche Interesse an möglichst ökonomischer Justiztätigkeit und an Verfahrenskonzentration. Der liberale Grundton der CPO, der in Iherings treffendem Bild vom Kampf des Einzelnen um sein Recht zum Ausdruck kommt113, bedarf einer zeitgemäßen Überprüfung. Das Gebot der Konfliktlösung, das auch in den zunehmenden Bemühungen um eine gütliche Streitbeilegung Ausdruck findet, verlangt beim Verfahrensgegenstand einen breiteren Ansatz. Im Vordergrund steht im Prozess die Klärung des streitigen materiellen Rechts.114 Dies meint keineswegs nur die konkret beanspruchte Rechtsfolge, den jeweiligen Anspruchsinhalt, sondern betrifft das gesamte Klägerinteresse115, das im Antrag Ausdruck findet. Diese Sichtweise widerspricht der liberalen Grundnote der ZPO nicht, sondern versucht lediglich, den Schulterschluss mit einer zeitgemäßen Streitgegenstandslehre zu ermöglichen. Sie führt dazu, dass der Kläger einen zweiten, interessenidentischen Antrag nicht einem weiteren Prozess überlassen darf, sondern in das bereits rechtshängige Verfahren einführen muss. Beide Prinzipien sind miteinander vereinbar. Die Beschränkung auf die konkrete (zuletzt beantragte) Rechtsfolge gewinnt allein für die Urteilsabfassung Bedeutung und enspricht der dynamischen Benegativen Feststellungsklage sei das streitige Rechtsverhältnis als solches, da im Vordergrund die reine Sachauseinandersetzung stehe; ähnlich E. Habscheid, ZZP 112 (1999), 38. 112 K. Schmidt, NJW 1989, 68: Die Identität des Leistungsanspruches werde nicht allein durch den Klageantrag bestimmt, sondern auch materiellrechtlich determiniert. Soweit der Anspruch als unteilbares subjektives Recht nur einheitlich Gegenstand von Verfügungen sein kann, sei er auch als Gegenstand des Rechtsstreits unteilbar. Er weist zu Recht darauf hin, dass die spezifischen prozessualen Konsequenzen hieraus noch nicht gezogen sind. Zwar nehmen diese Ausführungen K. Schmidts ihren praktischen Ausgangspunkt bei der Ersetzungsbefugnis des Schuldners nach § 244 BGB (Zahlung einer Fremdwährungsschuld auch in Inlandswährung), er formuliert jedoch mit Allgemeingültigkeit. Bei dieser Ersetzungsbefugnis stünden der Führung zweier Prozesse die Rechtshängigkeitssperre und die Rechtskraftsperre entgegen: Das der Klage stattgebende Urteil schließe eine zweite Klage in anderer Währung aus. Das die Klage abweisende Urteil hindere einen zweiten Prozess nur, „wenn das Bestehen des Anspruches verneint wurde, nicht aber, wenn lediglich die Klagenwährung und damit der gestellte Antrag als unrichtig angesehen wurde“, K. Schmidt, aaO. 113 v. Ihering, Der Kampf ums Recht (1877), S. 1. 114 Vgl. zum Prozesszweck § 19. 115 Zur überschätzten Bedeutung des Anspruchsinhaltes auch Bruns, Materiellrechtlicher Anspruch und Zivilprozess, in: FS Ekelöf, 164 f.; ders., in: FS Nipperdey I, S. 1 f.
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trachtungsweise des Zivilprozesses.116 § 308 I ZPO steht in systematischem Zusammenhang mit den Vorschriften über die Entscheidung (§ 300 f. ZPO). Hier hat der Klageantrag aber die Bedeutung, die Grenzen des Urteilstenors und damit der Zwangsvollstreckung vorzubereiten, die sich ihrerseits an den Anspruchskategorien des materiellen Rechts orientiert. Der Klageantrag „soll eben nicht nur den Umfang der Rechtshängigkeit festlegen, sondern auch den begehrten Urteilsausspruch im Hinblick auf den vom Kläger erstrebten Vollstreckungstitel fixieren. Vollstreckungsrechtliche Kategorien sind nun zwar regelmäßig, aber nicht ausnahmslos verbindlich für die Bestimmung der Rechtshängigkeit, denn sie folgen den Erfüllungsmodalitäten des Anspruchs und bestimmen nicht seine Identität.“117 Man könnte deswegen den prozessualen Antrag vor allem im Hinblick auf § 253 II Nr. 2 ZPO „als Mittel zum Anhängigwerden der entscheidungsbedürftigen Rechtsfolge“ verstehen.118 Im Übrigen verdeutlicht § 308a ZPO als Ausdruck des sozialen Zivilprozesses, dass während des Verfahrens eine rigide Bindung an den Antrag nicht gewollt ist. Vielmehr tritt der Kontext zur Urteilsabfassung deutlich hervor.119
2. Zur teleologischen Ausrichtung von § 308 ZPO im Speziellen a) Beschränkung der richterlichen Spruchgewalt Nach § 308 I ZPO darf der Richter dem Kläger weder ein quantitatives oder qualitatives Mehr noch ein aliud zusprechen. Gerade mit Blick auf die vollstreckungsrechtlichen Besonderheiten wird verhindert, das klägerische Interesse in einer anderen als der beantragten Form zu gewähren (z.B. Geldersatz statt Naturalherstellung).120 § 308 ZPO schränkt nach h.A. über den Weg des Streitgegenstandes auch das gesamte Streitprogramm ein.121 Neben der Begren-
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Oben § 17 IV. K. Schmidt, NJW 1989, 68. Dazu, dass die Verschiedenheit der Sachanträge nicht notwendig zu verschiedenen Streitgegenständen führen muss, Grunsky, Grundlagen, § 5 II 2; A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 85. Vgl. auch Mittenzwei, Aussetzung, S. 91: „Aber während die Rechtskraftwirkung nicht weiter reichen kann als die Kompetenz des Gerichts zur rechtlichen Beurteilung des Prozeßstoffs, kümmert sich die Rechtshängigkeit um solche Grenzen nicht.“ 118 So Beys, ZZP 105 (1992), 144 f., allerdings mit aus griechischer Perspektive verständlichen weiterreichenden Folgerungen. 119 Zu den Bedenken des Rechtsausschusses des BT vgl. BT-Drs. zu IV/2195, S. 8; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 239. Zum sozialen Zivilprozess Franz Kleins und dem Zusammenhang mit der Verfahrenskonzentration, Oberhammer, JBl 2000, 214. 120 Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 308 Rn. 2. 121 A. Blomeyer, ZPR, § 13 I 3; Bub, Streitgegenstand, S. 150. 117
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zung richterlicher Entscheidungsmacht122 bringt § 308 ZPO aber vor allem die Rechtsschutzfunktion des Zivilprozesses zum Ausdruck.123 Die Vorschrift ist unmittelbarer Ausdruck der das Erkenntnisverfahren beherrschenden Dispositionsmaxime. Kern dieser Verfügungsfreiheit über den Streitgegenstand ist, „dass die klagende Partei berechtigt ist, Art und Umfang des ihr vom Gericht zu gewährenden Rechtsschutzes zu bestimmen.“124 Häufig stellt der Kläger jedoch einen sachwidrigen Antrag.125 Dem Richter ist es dann verwehrt, das konkrete Begehren zu ignorieren und auf die begründete Rechtsfolge zu erkennen. Die prekäre Lage des Klägers tritt dabei deutlich zu Tage: Bei schwierigen, in der Entwicklung begriffenen Rechtslagen muss er aus juristischer Laiensphäre die Folgen abschätzen. Auch dem rechtskundigen Anwalt fällt dies nicht immer leichter.126 Den Tatsachenkomplex allein kann der Kläger nicht unterbreiten, weil § 253 II Nr. 2 ZPO zur Stellung eines bestimmten Antrags verpflichtet. Lediglich die materielle Sachleitungspflicht (§ 139 ZPO) ermöglicht dem Richter, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken.127 Mit der Stellung seines Antrags verfolgt der Kläger jedoch zwei voneinander unterschiedliche Absichten: Zum einen bezweckt er die Gewährung von Rechtsschutz überhaupt und zum anderen begehrt er die Gewährung einer ganz bestimmten Art des Rechtsschutzes.128 Nicht selten kommt es dabei vor, dass der Kläger weniger an der Art, sondern überhaupt am Rechtsschutz interessiert ist. Ist eine bestimmte Form für ihn nicht erreichbar, wird er sich einer anderen zuwenden, um die Klageabweisung zu verhindern. Von einer solchen Reaktion des Rechtssuchenden spricht § 264 Nr. 3 ZPO. Dem will § 308 I ZPO selbstverständlich keinen Einhalt gebieten.129 Die Vorschrift soll vielmehr dem Kläger bei mehreren Alternativen der Rechtsverwirklichung unterschiedlichen Inhalts helfen, seine Vorstellung zu verwirklichen. Aus der Verengung des richterlichen Handlungsspielraumes dürfen jedoch nicht, wie dies die h.L. tut, unmittelbar Folgerungen für den Verfahrensgegenstand gezogen werden.
122 Betont vor allem durch AK-ZPO/Fenge, ZPO, § 308 Rn. 1 f. Ziel sei, es eine Benachteiligung des Bürgers zu verhindern. Weitergehend war die Regelung in § 345 der bürgerlichen Prozessordnung von Hannover (1850): „Den Parteien ist alles, was ihnen nach Ergebnissen der Verhandlungen zukommt und worauf sie nicht Verzicht geleistet haben, zuzuerkennen, wenn auch nur im Allgemeinen darum gebeten sein sollte …“ 123 Deutlich Musielak, in: FS Schwab, S. 350: Dogmatische Grundlage für den prozessualen Zweck des Schutzes subjektiver Rechte. 124 Musielak, in: FS Schwab, S. 349. 125 Näher Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 96. So kann es vorkommen, dass der Kläger irrtümlich davon ausgeht, ihm stehe ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Rechten zu. 126 Vgl. auch Bruns, ZPR, § 131 a. 127 Ausführlich M. Heinze, in: FS Beys I, S. 523 ff. 128 Zutreffend Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 96. 129 Im römischen Zivilprozessrecht bestand hingegen die Tendenz, einer Partei Rechtsschutz zu versagen, wenn ihr Antrag nicht der Rechtslage in toto entsprach.
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Der Dispositionsgrundsatz stünde nach dem Gesagten einer Verbescheidung eines anderen Antrags durch den Richter nicht entgegen130, wenn dieser bei der Auslegung lediglich den wirklichen Willen des Klägers berücksichtigt. Dies folgt aus der allgemeinen Tendenz, der Klage bei günstiger materieller Rechtslage zum Erfolg zu verhelfen (vgl. § 308 a ZPO).131 § 139 ZPO verpflichtet überdies das Gericht, zur Stellung eines sachdienlichen Klageantrags beizutragen.132
b) Die Bedeutung des Antrags als Prozessgerüst Die Zustellung des Klageantrags (§ 253 II ZPO) an den Beklagten fungiert als prozessualer Katalysator. Der Kläger versucht ihn, mit erheblichen Tatsachen zu untermauern, der Beklagte tritt dem mittels Einreden entgegen133 und richtet sein gesamtes Verteidigungsverhalten daran aus.134 Der Klageantrag dient dem Gericht zur Festlegung seines Aufgabenprogramms und erleichtert dem Beklagten seine Verteidigung. Wie der Anspruch das Rückgrat jeder zivilistischen Methode darstellt135, so bildet der Klageantrag das prozessuale Rückgrat136 und aller folgenden Parteihandlungen.137 Dem Klageantrag kommt in sämtlichen europäischen Prozessordnungen eine unverzichtbare Funktion zu, was die Kernpunktrechtsprechung des EuGH nicht ausreichend berücksichtigt.138 Zwar erscheint ein Prozesssystem denkbar, bei dem der Kläger keinen bestimmten Antrag formuliert, sondern lediglich einen Sachverhalt vorträgt, den das Gericht auf alle denkbaren Rechte hin prüft.139 Selbst das an der cause of action orientierte US-amerikanische Recht verlangt jedoch die pleadings der Parteien.140 Ein völliger Verzicht auf den Antrag würde nicht nur das geltende Streitgegenstandsverständnis revolutionieren, sondern das gesamte Prozessrechtsverständnis von Grund auf verändern.141 De lege ferenda erscheint ein Mittelweg indes nicht undenkbar: In Fällen, in denen dem Kläger schon am Anfang ein bestimmter Antrag schwer fällt, soll es ihm erlaubt sein, einen 130
Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 102. Das wird besonders dann ratsam sein, wenn das Verfahren bereits viel Aufwand an Geld und Zeit gekostet hat, Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 103. 132 Eine Umdeutung nach § 140 BGB kommt nur in Betracht, wenn der gewollte Antrag ein minus darstellt. In bestimmten Fällen sollte der Richter aber über die Möglichkeit verfügen, nicht nur ein weniger, sondern auch ein aliud zuzusprechen. 133 Medicus, AcP 174 (1974), 314 f. 134 Pawlowski, NJW 1961, 343; Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 103. 135 So Medicus, AcP 174 (1974), 315 f. 136 Zur Bedeutung von Klageantrag und Parteidisposition im Europäischen Rechtsrahmen Stürner, in: FS Heldrich, S. 1064 f. 137 Treffend Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 103. 138 Zutreffend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor §§ 253 Rn. 5. 139 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 105. 140 Stürner, RabelsZ 69 (2005), 250. 141 So Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 105. 131
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unbestimmten Antrag (etwa auf Schmerzensgeld) zu stellen oder sein Interesse abstrakt zu formulieren.142 Solche Gedanken sind bislang nur in geringem Umfang gesetzlich festgelegt, §§ 287 ZPO, 254 ZPO. Hier verdichtet sich ein zunächst unbestimmter Antrag erst in letzter Konsequenz. Die genaue Bestimmung bleibt aber dem Kläger, nicht dem Gericht vorbehalten.
c) Funktionszusammenhang mit § 264 Nr. 3 ZPO Zum Teil wird behauptet, die Individualisierung des Streitgegenstands durch den Leistungsinhalt oder das Leistungsobjekt sei bereits § 264 Nr. 3 ZPO zu entnehmen.143 Die Bestimmung gehe davon aus, dass jede Änderung des Leistungsgegenstandes eine Änderung des Streitgegenstandes zur Folge habe. 144 Die überwiegende Ansicht sieht indes die Begrenzung des Streitgegenstands durch das konkrete Objekt als unmittelbare Folge von § 308 I ZPO an. § 264 Nr. 3 ZPO setze somit als ersten Schritt die Begrenzung durch § 308 I ZPO voraus: „Wäre es dem Gericht nicht verwehrt, dem Kläger einen anderen als den verlangten Gegenstand zuzusprechen, bedürfte es keiner Änderung des Klageantrags, wenn der Kläger aus materiellrechtlichen Gründen nur einen anderen Gegenstand oder das Interesse beanspruchen kann.“145
§ 308 ZPO sei darum gegenüber § 264 Nr. 3 ZPO die logisch vorrangige Regelung.146 Der richterliche Urteilsausspruch setzt einen Klageantrag zwingend voraus. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser die Grenzen des Verfahrensgegenstandes mitbestimmt. § 308 ZPO kann somit nur die vorrangige Regel darstellen, wenn sie überhaupt anwendbar ist. Für eine derartige Hegemonie des Klageantrags im laufenden Verfahren bietet die ZPO jedoch keine eindeutigen Anhaltspunkte. Der Überschrift zu § 264 ZPO ist vielmehr zu entnehmen, dass der Wechsel des Leistungsobjektes überhaupt keine Klageänderung nach sich zieht. Dem Antrag käme in diesem Stadium – ähnlich wie dem Tatsachenvortrag nach § 253 II Nr. 2 ZPO – lediglich eine die Streitsache (das Interesse) individualisierende Bedeutung zu, ohne den Verfahrensgegenstand dadurch aber zu begrenzen. § 308 ZPO kann, ebenso wie § 253 II Nr. 2 ZPO, seinem Wortlaut und seiner Intention entsprechend der Bestimmung eines konzentrationsfreundlichen Verfahrensgegenstandes keine Grenzen setzen. 142 „Es sei dann dem Gericht die Aufgabe aufzuerlegen, aufgrund des vorgebrachten Sachverhalts selbst Art und Umfang des Anspruchs zu bestimmen“, Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 105. 143 Zu § 268 Nr. 3 ZPO a.F. Rosenberg, in: FS Schmidt, S. 69 f. 144 Zu § 268 Nr. 3 ZPO a.F. Rosenberg, in: FS Schmidt, S. 69 f. 145 Bub, Streitgegenstand, S. 152; so auch Rosenberg, ZZP 49 (1925), 48. Dasselbe gelte für das Verhältnis von § 264 Nr. 2 ZPO zu § 308 ZPO. 146 Bub, Streitgegenstand, S. 152.
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d) Notwendiger Korrekturbedarf aa) Unterschiedliche Anträge bei gleichem Interesse § 308 I ZPO verhindert nicht nur richterliche Abweichungen vom geltend gemachten Interesse.147 § 308 I ZPO steht dem Zuspruch eines anderen Leistungsinhalts auch entgegen, wenn damit weiter dasselbe Interesse verwirklicht würde. So kann der Richter, wenn der Nachbesserungsanspruch (§ 439 BGB) des Käufers sich als undurchführbar erwiesen hat, den Verkäufer nicht ohne weiteres auf Ersatz des Mangelschadens verurteilen. Gleiches gilt im Verhältnis des Erfüllungsanspruchs zum Geldersatz wegen Unmöglichkeit.148 Denn nach h.A. wird der Streitgegenstand einer Leistungsklage auch durch das Leistungsobjekt, d.h. den konkreten Anspruchsinhalt bestimmt149, wenn das materielle Recht verschiedene Formen zur Befriedigung desselben Interesses bereit hält. Für das Stadium der Rechtshängigkeit (§ 261 III Nr. 1 ZPO) bedeutete dies, dass eine Klage auf Naturalrestitution (§ 249 I BGB) neben einer selbständigen Klage auf Schadensersatz in Geld (§ 249 II BGB) zulässig wäre150, sofern nicht auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis rekurriert würde. Hier werden die misslichen Konsequenzen der h.L. besonders deutlich.151 Im Ergebnis wird ein materieller Anspruch (etwa § 823 I BGB) in verschiedene prozessuale Ansprüche aufgespalten, obgleich dessen Funktion doch gerade eine bündelnde sein sollte. Dieser verengte Blickwinkel, der letztlich Folge des Einheitsdenkens ist, erweist sich für die Identitätsfunktion des Streitgegenstands als kontraproduktiv. So soll zwar der Kläger seine Klage vom (unmöglichen) Primäranspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 264 Nr. 3 ZPO umstellen können152, jedoch gewährt man im umgekehrten Fall den Wechsel vom Schadensersatzanspruch zur Primärleistung nur in den Grenzen der sachdienlichen Klageän-
147 Vgl. Bub, Streitgegenstand, S. 151. Er nennt als Beispiel den Zuspruch des entgangenen Gewinns für den Käufer anstelle der zunächst verlangten Lieferung der Kaufsache. Dagegen werde nach Bub dasselbe Interesse verwirklicht, wenn für die Nichtlieferung Wertersatz gefordert wird. 148 RGZ 136; 353; anders noch RG JW 1936, 1997; Musielak, in: FS Schwab, S. 354 f.; BGH WM 1993, 2011; vgl. auch RGZ 136, 373; BGH NJW 1993, 925; BGH NJW 1952, 382. 149 Henckel, JZ 1962, 336; Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 138 f.; Bub, S. 153. Dieser Befund trifft für beinahe alle Streitgegenstandslehren zu, gleich ob sie einem materiellrechtlichen oder prozessualen Ansatz folgen. 150 Bub, Streitgegenstand, S. 513 f.; BGH NJW 1988, 1779, für die Verjährung: Es handle sich um verschiedene Streitgegenstände, so dass keine gegenseitige Unterbrechung denkbar sei, vgl. nunmehr aber § 213 BGB. 151 K. Schmidt, NJW 1989, 68; Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, S. 723. 152 So etwa H. Otto, in: FS Canaris I, S. 961; enger aber Kohler, AcP 205 (2005), 93 f. (101); MünchKomm/Ernst, BGB, § 275 Rn. 164 f., die jeweils eine Berufung auf § 264 Nr. 3 ZPO bei fahrlässiger Unkenntnis der Leistungsunmöglichkeit im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit verweigern.
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derung (§ 263 ZPO).153 Bereits im Hinblick auf die „Einheit der Obligation“, von der das BGB bei seiner Entstehung noch ausging154, ist dies keine besonders streitbereinigende Lösung. Für § 322 I ZPO könnte indes mit der h.M. ein anderer Blickwinkel angezeigt sein. Die rechtskräftige Entscheidung über die Klage auf Naturalrestitution steht aufgrund des strengen Antragsgrundsatzes einer nachfolgenden Klage auf Geldersatz hinsichtlich desselben Schadens nicht entgegen (ne bis in idem).155 Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Rechtskraft des Urteils über den Naturalersatz die Entscheidung über den Geldersatzanspruch in einem Folgeprozess gleichsam „präjudiziert“156, eben weil durch beide Leistungsvarianten dasselbe Interesse verwirklicht wird.157 Ein logischer Konstruktionszusammenhang besteht zumindest, als § 249 II BGB das Bestehen eines Anspruchs auf Naturalrestitution nach § 249 I BGB voraussetzt. Auch im französischen Recht bilden Klagen, die denselben Schadensersatz in verschiedenen Varianten verwirklichen, nur einen Streitgegenstand.158
bb) Teilidentische Anträge und Rechtshängigkeitssperre § 308 ZPO eröffnet in Gestalt der Teilklage die Möglichkeit, den konkreten Streitgegenstand enger als das materielle Anspruchsinteresse zu fassen.159 Die Klage hinsichtlich eines Teilbetrags steht deswegen nach h.A. einem zweiten Verfahren über den Restbetrag nicht entgegen.160 Lediglich soweit der größere Betrag den kleineren mitumfasst, liegt Teilidentität der Streitgegenstände vor.161 Ein einheitliches wirtschaftliches Interesse könnte somit auf diesem Wege auf unterschiedliche Foren aufgespalten werden. Dem entspricht, dass nach h.A.
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So etwa H. Otto, in: FS Canaris I, S. 961. Näher § 23 I. Jüngst Ehmann, in: FS Canaris I, S. 169. 155 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 40; anders RGZ 126, 401 (Unzulässigkeit der Zweitklage); BGHZ 5, 109 f. 156 BGH NJW 1991, 2014; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 102 f. 157 Vgl. unten § 31 IV 1; BGH NJW 1991, 2014: Die rechtskräftige Verurteilung zur Naturalrestitution schließe Einwendungen des Verurteilten gegen den Grund der Schadensersatzpflicht in einem nachfolgenden Verfahren aus; zur Berücksichtigung des materiellen Sinnzusammenhangs zwischen den Verurteilungsalternativen, Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 164 ff.; zusammenfassend Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, S. 319; vgl. zur Ermittlung des Rechtskraftumfangs BGH NJW 2008, 2716. 158 Kössinger, Rechtskraftprobleme, S. 91; näher unten § 27 V. 159 Bub, Streitgegenstand, S. 153 f.; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 280: Durch die quantitative Teilung eines Geldanspruchs werde die in ihm steckende Rechtsposition selbst erfasst und in mehrere Teilpositionen aufgespalten. Im US-amerikanischen Recht verhindert hingegen das splitting-Verbot Teilklagen von vornherein. 160 BGH WM 1971, 83; RG JW 1901, 34; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 27, 29; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 61. 161 Vgl. Nikisch, Streitgegenstand, S. 121; auch BGH NJW-RR 1987, 59; BGHZ 94, 257. 154
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auch die Verjährungshemmung auf den rechtshängigen Teil begrenzt bleibt.162 Lediglich für den Fall, dass Teilbeträge desselben Anspruchs verdeckt erhoben werden, wird § 261 III Nr. 1 ZPO angewandt.163 Eine Mindermeinung versucht darüber hinaus, den Umfang der Rechtshängigkeitssperre der ersten Teilklage über den Streitgegenstand hinaus zu erweitern bzw. diesen mit dem gemeinsamen Anspruchsgrund gleichzusetzen.164 Zudem wird im Fall der abgewiesenen Teilklage vereinzelt einer Rechtskrafterstreckung über den konkreten Teil auf die Restforderung das Wort geredet.165 Auch diese Fallgruppe bedarf im weiteren Verlauf der Studie einer Überprüfung.166
cc) Qualitative Teilidentität Die h.M.167 bejaht im Falle qualitiver Teilidentität verschiedener Begehren die Streitgegenstandsübereinstimmung. § 308 I ZPO stehe einer Entscheidung nicht entgegen, wenn das Zugesprochene als qualitatives minus im Beantragten enthalten sei. Vertreten wird dies etwa im Verhältnis von Feststellungsklage und Leistungsklage. Nach Ansicht des BGH168 kann bei einer derzeit noch unbegründeten Leistungsklage ohne entsprechende Antragsänderung festgestellt werden, dass der Beklagte zur beantragten Leistung zukünftig verpflichtet ist. Beispiele ähnlicher Art finden sich auch für die Unterlassungsklage, wenn derselbe wirtschaftliche Erfolg im Vordergrund steht.169 Auch eine Verurteilung Zug um Zug ist als minus möglich, sofern der Kläger ursprünglich auf die unbedingte Leistung angetragen hatte.170 Gleiches soll gelten, wenn verschiedene Leistungsmodalitäten in Rede stehen, so etwa die Verurteilung zur Hinterle-
162 RGZ 93, 158; BGH NJW 1984, 2347 f.; Überblick auch bei Zeuner, in: FS Henckel, S. 943 f. 163 Goldschmidt, JW 1931, 1754; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 57; MünchKomm/ Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 61 f. 164 RGZ 47, 405; Goldschmidt, JW 1931, 1753 f.; A. Blomeyer, ZPR, Fn. 91; auch Zeuner, in: FS Henckel, S. 944; ausführlich unten § 23 I 6. 165 Zitelmann, ZZP 8 (1885), 265 f.; R. Schmidt, Lehrbuch, S. 753 f.; Leipold, in: FS Zeuner, S. 439 ff.; Oberhammer, in: FS Kollhosser, S. 716; gegen eine erweiterte Rechtshängigkeit aus Konzentrationsgründen in diesem Fall Mittenzwei, Aussetzung, S. 91; dieser weist zwar mit Recht darauf hin, dass die Grenzen der Rechtshängigkeit nicht den Grenzen der Rechtskraft entsprächen, lehnt jedoch die Vorstellung eines „Gesamtbegehrens“ bei der Teilklage ab. Aufgrund der Anerkennung der Teilklage im deutschen Recht müsse der Beklagte von vornherein nicht nur mit sukzessiven, sondern auch mit parallelen Klagen rechnen. Auch eine Aussetzung des Parallelverfahrens wird wegen fehlender Präjudizialität meist abgelehnt, OLG Köln NJW 1958, 107. 166 Unten § 31 IV 6. 167 Bub, Streitgegenstand, S. 153 f. 168 BGH NJW 1984, 2295. 169 RG GRUR 1932, 596 f. 170 BGHZ 117, 3 f.; Dieckmann, in: GS Arens, S. 43 ff. .
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
gung des Geldbetrages anstelle der Verurteilung zur Zahlung.171 Auch die Freistellung (§ 257 BGB) des Klägers von einer Verbindlichkeit im Verhältnis zur Geldzahlung gehört hierher.172 Der Streitgegenstand der Klage, mit der die weitergehende Rechtsfolge begehrt werde, soll die geringere, auf dasselbe Interesse gerichtete Rechtsfolge umfassen, obwohl diese einen anderen Inhalt (anderer Leistungsgegenstand, andere Rechtsschutzform) hat.173 In diesem Fall stehe auch die Rechtshängigkeit des weitergehenden Begehrens dem darin mitenthaltenen Begehren entgegen. In umgekehrter Richtung soll dies nicht gelten. Richtigerweise besteht jedoch kein Bedürfnis, die Annahme von Streitgegenstandsidentität auf diese Fälle zu beschränken, wenn das durch die unterschiedlichen Rechtsbegehren verfolgte Interesse identisch bleibt. Während die Situation bei der Bestimmung des Rechtsumfanges wegen § 308 I ZPO eine andere ist, bedarf es einer künstlichen Einengung des Verfahrensgegenstandes nicht. So sollte auch ein über ein qualitatives minus geführter Prozess einem Parallelverfahren über ein qualitatives Mehr entgegenstehen (§ 261 III Nr. 1 ZPO), weil dies zur prozessualen Bündelung über die Widerklage beitragen würde.
3. Fazit Eindeutige materiellrechtliche Zusammenhänge zwischen Ansprüchen und Rechten verschiedenen Inhalts (elektive Konkurrenz bzw. facultas alternativa)174, dürfen im Prozess nicht durch künstliche Hürden zerrissen werden.175 Dem trägt etwa in der Praxis bereits jetzt eine materiellrechtsfreundliche Auslegung176 von § 264 Nr. 3 ZPO Rechnung. Hierfür spricht aber auch der sekundäre Prozesszweck, die Schaffung von Rechtsfrieden.177 Diesem Anliegen kann im 171
Bub, Streitgegenstand, S. 155. BGH NJW 1994, 944 f. 173 So treffend Bub, Streitgegenstand, S. 155 f. Ein weiteres Beispiel stellt das Verhältnis der (negativen) Feststellungsklage des Beklagten zur Leistungsklage des Klägers dar: BGH NJW 1989, 2064; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 64; Gruber, ZZP 117 (2004), 140 f.; eine vergleichbare Konstellation betrifft BGH NJW 2002, 751 (Klage auf Freistellung von der Kaufpreisverbindlichkeit und Widerklage auf Zahlung des Kaufpreises): der BGH rekurriert hier selbst auf die Parallele zwischen negativer Feststellungsklage und Leistungsklage. Deswegen wäre m.E. aufgrund des in beiden Prozessen übereinstimmenden Interesses die Annahme identischer Verfahrensgegenstände gerechtfertigt; zu dieser Entscheidung auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 27. 174 Habermeier, in: FS G. Jahr, S. 281 „Die Alternativleistung muss geeignet sein, die rechtlich geschützten Interessen des Gläubigers ebenso gut zu befriedigen wie die geschuldete Leistung …“. 175 Gegen eine Berücksichtigung materiellrechtlicher Wertungen im Rahmen der Rechtshängigkeitssperre Mittenzwei, Aussetzung, S. 99, der diese wieder auf ihren ursprünglichen prozessualen Sinn zurückführen will. 176 Hierzu auch Kocher, Funktionen, S. 290: Ableitung des Grundsatzes der materiellrechtsfreundlichen Auslegung aus dem Prozesszweck. 177 A.A.: Herrmann, Grundstruktur, S. 56. 172
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laufenden Verfahren in größerem Umfang als bisher Rechnung getragen werden. Die Orientierungsbasis bildet das vom Kläger beanspruchte Interesse.
IV. Abgrenzung zu verwandten Standpunkten 1. Die Standpunkte von Rimmelspacher und Henckel Die hier vertretene Auffassung zeigt eine gewisse Nähe zu den Aussagen Rimmelspachers und Henckels.178 Rimmelspacher definiert die von ihm in das Zentrum der Diskussion gestellte Rechtsposition als Anwartschaft auf einen Wert, verbunden mit der Befugnis, diesen zu behalten und zu verwerten.179 Diese stehe dem Erwerber etwa auch dann zu, wenn die zu fordernde Leistung, z.B. eine Kaufsache, untergehe.180 Der Wert werde dann nicht mehr durch die Kaufsache selbst, sondern durch eine bestimmte Geldsumme verkörpert. Die individuelle Form der Leistung entscheide aber nicht über die Identität der Rechtsposition.181 Rimmelspacher zieht den Begriff der Rechtsposition der Formulierung „Interesse“ vor, wenngleich in der Sache kein wesentlicher Unterschied bestehen soll.182 Werde eine bestimmte Vase verkauft, so wird das Interesse des Käufers an der Vase, soweit sie noch nicht übereignet wurde, zunächst durch den Erfüllungsanspruch geschützt und sekundär durch die Ersatzforderung, die ihm den wirtschaftlichen Wert seines Interesses garantiere.183 Das Wertinteresse sei der maßgebende Bezugspunkt der Erfüllungsleistung. Anwartschaft sei die objektiv gefärbte Formulierung des Interesses, Interesse hingegen die subjektiv gefärbte Formulierung der Anwartschaft.184 Die Rechtsposition wird von Rimmelspacher nur als Teil eines scheinbar einheitlichen Anspruchs gesehen. Sie wird als Rechtsstellung des Berechtigten begriffen, die sich nicht gegen 178
Siehe hierzu oben § 10 III. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 32, 99. 180 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 96. 181 Nur der Eintritt der Rechtswirkungen hänge von der Identität des vorgestellten mit dem wirklichen mittelbaren Anspruchsinhalt ab, Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 98. 182 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 104 f.; ders., ZZP 116 (2003), 382. Für die Individualisierung sei nicht die Form des Anspruches, der Anspruchsinhalt, maßgeblich. Entscheidend sei für die Einheit der Rechtsposition vielmehr das Element der Erfüllungskonkurrenz. Bub, Streitgegenstand, S. 138 f., ist der Ansicht, dass der von ihm entwickelte Begriff des Interesses weitgehend dem von Rimmels pacher entwickelten Begriff der materiellrechtlichen Rechtsposition entspreche. 183 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 99. 184 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 93 unter Hinweis auf Reinhardt, Ersatz, S. 76. Die Rechtsposition gewähre eine Anwartschaft auf den Erwerb dieses Wertes, und auf diese Anwartschaft beziehe sich wiederum die Erfüllungsleistung, gleichgültig in welcher konkreten Form der Wert verkörpert werde. 179
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
einen Verpflichteten als passives Subjekt richte.185 Für die Rechtsposition charakterisierend sei deswegen ihr Bezug auf einen bestimmten Wert, welcher nicht ökonomisch gedacht, sondern normativer Prägung sei. Sein Umfang bestimme sich nach den rechtlichen Regeln, die über die Einheit oder Mehrheit der Verfügungsobjekte186, den Bezugspunkt von Sicherungsrechten und die Erfüllung entscheiden. 187 Befriedige somit eine Leistung mehrere Ansprüche, so handle es sich trotz dieser Mehrheit um eine Rechtsposition. Rimmelspachers Thesen weisen zweifellos Berührungspunkte zur hier vertretenen Ansicht auf, insbesondere, was die Bedeutung der Leistungserfüllung als Abgrenzungskriterium betrifft. Er verzichtet auf den Begriff „Interesse“ nur deswegen, weil er seiner Ansicht nach zu subjektiv eingefärbt sei und es ihm gerade um die objektive Beschreibung dieses Phänomens („Anwartschaft auf einen Wert“) gehe.188 Dennoch besteht ein erheblicher systematischer Unterschied. Zum einen muss Rimmelspacher – wenngleich er selbst nur den Anspruch erhebt, einige Streitgegenstandsfragen verständlicher zu machen – zu den Vertretern einer rein materiellrechtlich orientierten Streitgegenstandslehre gezählt werden, weil er, ähnlich wie Henckel, den Einklang zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht durch Modifikationen am zivilrechtlichen Anspruchsbegriff wiederherstellen will. Der hier vorgestellte Ansatz ist hingegen ein prozessualer und die Streitgegenstandsbestimmung erfolgt primär unter Berücksichtigung verfahrensrechtlicher Notwendigkeiten. Die Rückbesinnung auf materielle Konstruktionszusammenhänge dient lediglich der Verwirklichung des Prozesszwecks. Rimmelspachers Ansatz bleibt hingegen ganz dem materiellrechtlichen Ausgangspunkt verhaftet. Dies zeigt sich etwa, wenn er den offensichtlichen Zusammenhang zwischen Rechtshängigkeitssperre und Klageänderung nicht nutzt. So ordnet er Fälle, in denen für den Kläger die Möglichkeit der zulässigen Antragserweiterung nach § 264 Nr. 2, 3 ZPO besteht189 nicht der Rechtshängigkeitssperre zu, sondern bemüht zur Vermeidung paralleler Verfahren den Rechtsmissbrauchseinwand. Ausschlaggebend dürfte für ihn die Bedeutung sein, die er der einzelnen Schutznorm (Rechtsbehelf) beimisst.190 Rimmelspacher erzielt damit Ergebnisse, die kaum von der zweigliedrigen Streitgegenstandslehre abweichen.191 Desweiteren verzichtet Rimmelspacher weitgehend darauf, einzelne Rechtspositionen zu individualisieren bzw. der Rechtspraxis Abgrenzungskriterien an die Hand zu geben. Dies dürfte der 185
Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 103 f. Hier knüpft Rimmels pacher an die Aussagen Henckels, Parteilehre, S. 52 ff., 200 f., an. 187 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 104. 188 An anderer Stelle kommt dies deutlich zum Ausdruck: „…der Stellung also, die hier als Rechtsposition bezeichnet wurde und die mit Jhering materiell auch als Interesse bestimmt werden kann…“, Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 32. 189 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 323. 190 Vgl. oben. 191 Habscheid, ZZP 84 (1971), 360. 186
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Grund sein, warum seine Lehre bisher keinen Widerhall in der Rechtsprechung fand. Beeinflusst ist die Auffassung Rimmelspachers wohl durch die von Henckel in die Diskussion eingebrachten Kriterien des einheitlichen Verfügungsgegenstandes bzw. des identischen wirtschaftlichen Wertes. So rekurriert Henckel gerade zur Ermittlung der objektiven Grenzen der Rechtskraft auf den wirtschaftlichen Wert192, der im Erstverfahren auf dem Spiel stehe.193 Dass der wirtschaftliche Wert oft kein taugliches Abgrenzungskriterium liefern kann, erkennt aber auch Henckel.194 Vorzuziehen ist den Begriffen der Anspruchsposition und des wirtschaftlichen Werts das Interesse, was auch zu praktischen Unterschieden führt. Dass die Unterscheidung zwischen Anspruchsposition und Interesse Auswirkungen auf das Ergebnis hat, zeigt u.a. der „Weinfall“.195 Nach Ansicht von Rimmelspacher bilden der Kaufpreisanspruch und der Anspruch auf Wertersatz verschiedene Rechtspositionen. Entscheidend sei, dass der Wertersatzanspruch an den Kaufgegenstand anknüpfe, womit der Ausgangspunkt bereits ein anderer sei. Hingegen ist bei Betonung der Interessenidentität Bezugspunkt allein der Aspekt der Erfüllungskonnexität. Dies entspricht dem prozessualen Ausgangspunkt zweifellos besser.196 Auch die in elektiver Konkurrenz stehenden Rechte aus § 437 BGB verfolgen oftmals die Verwirklichung unterschiedlicher Werte. Trotzdem wird jeweils dasselbe (Erfüllungs-)interesse verwirklicht. Desweiteren ist der Begriff des Interesses begrüßenswert subjektbezogen. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass weder Henckel noch Rimmelspacher mit den genannten Kriterien des „wirtschaftlichen Wertes“ und der „Rechtsposition“ eine selbständige Streitgegenstandslehre begründen, sondern lediglich den Umfang einiger prozessualer Institute – vor allem der Rechtskraft – erklären wollten.
2. Die Ansicht von Bub Bub kommt das Verdienst zu, eine Verbindung zwischen dem global verstandenen Interesse des Klägers und dem Begriff des Streitgegenstands hergestellt zu haben.197 Grundlage seiner Überlegungen198 ist das Prinzip, dass ein Gut einer Person nicht mehrmals zugesprochen werden kann. Im materiellen Recht entscheide dieses Prinzip darüber, ob mehrere Anspruchsnormen miteinander konkurrieren: 192 193 194 195 196 197 198
Henckel, Prozessrecht, S. 171 f. Henckel, JZ 1962, 337. Henckel, Streitgegenstand, S. 262. Vgl. oben § 10 IV 1 b. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 339, 75 f., auch S. 211. Bub, Streitgegenstand, S. 91 f. Bub, Streitgegenstand, S. 145.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
„Das mit der Rechtsfolge einer Anspruchsnorm zu befriedigende Interesse kennzeichnet im materiellen Recht den Unterschied zwischen einer Konkurrenz und einer Häufung materieller Ansprüche.“
Zur Ermittlung des Streitgegenstands verwendet Bub ein vierstufiges Verfahren. Da im Vordergrund die erschöpfende Erledigung des Streites in einem Verfahren stehen solle, bilde das geltend gemachte wirtschaftliche, rechtliche oder ideelle Interesse den Orientierungspunkt.199 Dieses Ziel erschöpfender Streiterledigung sei jedoch mit Blick auf den bindenden Antrag (§ 308 I ZPO) einzuschränken, so dass etwa der Primäranspruch und das Verlangen nach Schadensersatz statt der Leistung unterschiedliche Streitgegenstände bilden. In tatsächlicher Hinsicht werde das verfolgte Interesse durch den vorgetragenen Sachverhaltskomplex begrenzt, um ausufernde Präklusions- und Rechtskraftwirkungen zu verhindern. So kann der Käufer einer mangelhaften Sache sein Nachbesserungsverlangen mit verschiedenen Sachmängeln begründen, ohne dass dem die Rechtskraft eines früheren Verfahrens entgegenstünde, in dem dieses Verlangen erfolglos blieb. In normativer Hinsicht schließlich werde die richterliche Prüfungsbefugnis durch einzelne Zuständigkeitsvorschriften begrenzt, was auch Auswirkungen auf den Umfang des Streitgegenstands haben müsse. Für Bub dient das Klägerinteresse somit nur als gedankliche Ausgangsbasis, das durch die herkömmlichen Kriterien wie Antrag und Lebenssachverhalt wieder eingschränkt wird. 200 Die von ihm in diesem mehrstufigen Ausleseverfahren erzielten Ergebnisse ähneln deswegen denen der herrschenden Streitgegenstandslehre. Das im Begriff des Interesses „schlummernde Potenzial“ zur Verfahrenskonzentration nutzt er hingegen nicht.
3. Die Ansicht von Wernecke F. Wernecke orientiert ihr Streitgegenstandsverständnis an den materiellen Kategorien der Anspruchskonkurrenz201 und insoweit auch an der Identität bzw. Verschiedenheit des zu befriedigenden Interesses. 202 Eine Häufung von Prozessen über Ansprüche, mit denen der Gläubiger dasselbe Interesse verfolge, gelte 199
Rimmels pacher, ZZP 116 (2003), 382, ist der Ansicht, dass der von Bub herausgestellte Begriff des Interesses ebenso gut mit „Rechtsposition“ umschrieben hätte werden können. Freilich stimmt er darin zu, dass dieses Interesse das Substrat des Rechtsstreites sei. 200 Bub, Streitgegenstand, S. 91 f. 201 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 56 Fn. 189, S. 26 Fn. 76; im Anschluss an Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und Delikt (1934), S. 16 f., wird „Anspruchskonkurrenz“ dahingehend verstanden, dass mehrere Gesetze, die tatbestandsmäßig auf einen bestimmten Sachverhalt passen, nebeneinander anzuwenden sind und dasselbe Interesse des Antragstellers befriedigen; anderes Verständnis bei Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 20 f., 164 (Anspruchsnormenkonkurrenz). 202 Auf das materiellrechtliche Verhältnis dieser Anspruchsgrundlagen sei § 422 BGB entsprechend anzuwenden, so Wernecke, Einheitlichkeit, S. 57.
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es wegen der Gefahr unvereinbarer Entscheidungen und aus prozessökonomischen Gründen zu verhindern. Dabei wendet sich Wernecke mit Recht gegen das Merkmal des einheitlichen Verfügungsobjekts im Sinne Henckels, das keine trennscharfe Abgrenzung ermögliche. So erscheint ihrer Ansicht nach nicht überzeugend, die Streitgegenstandsdivergenz bei konkurrierenden Herausgabeansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung bzw. § 985 BGB allein mit der Nichtabtretbarkeit des dinglichen Anspruchs zu begründen, wenn das Objekt der Begierde identisch bleibe. Die Annahme einer objektiven Klagehäufung mit der Verdoppelung von Zuständigkeits- und Gebührenstreitwert sei hier unsinnig. 203 Jedoch hält Wernecke eine Vervielfältigung von Verfahren für zulässig, soweit der Kläger ein geschütztes Interesse an einer doppelten Prozessführung besitze, etwa im Falle eines konkurrierenden Anspruchs aus Wechsel oder Scheck. Gleiches gelte für die Verfolgung eines obligatorischen Anspruchs neben der Durchsetzung eines Pfandrechts, welches einen bevorzugten Rang in der Zwangsvollstreckung einnehme. 204 Die Frage der Einheit oder Mehrheit der Streitgegenstände hänge davon ab, ob die geltend gemachten Rechtsfolgen das Ergebnis einer Anspruchshäufung seien oder sich auf Bestimmungen gründeten, die miteinander konkurrieren bzw. einander ausschließen. Hierüber sei auf der Grundlage der vorgetragenen Tatsachen zu entscheiden, welche die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Die Aufnahme der entscheidungserheblichen Tatsachen in den prozessualen Begriff des Anspruchs diene somit der Festlegung, ob der Kläger die Befriedigung ein und desselben Interesses im materiellrechtlichen Sinne erstrebe:205 „Ist nach dem prozessualen Streitgegenstandsbegriff zu ermitteln, ob ein einheitlich formulierter Antrag oder mehrere Anträge auf die Befriedigung desselben Interesses des Klägers gerichtet sind, so wird er durch das Konkurrenzverhältnis der vom Gericht zu erwägenden Vorschriften des materiellen Rechts bestimmt. Dies ist der materielle Kern aller prozessualen Lehren“. 206
203 Bei einer Gestattung von Doppelprozessen könnte der Beklagte in verschiedenen Verfahren zu derselben Leistung verurteilt werden, so dass sich das zu Lasten des Gläubigers wirkende Verbot der Doppelbefriedigung auf die vollstreckungsrechtliche Ebene verlagern würde. 204 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 58. 205 Einer solchen interessenorientierten Bündelung der materiellrechtlichen Ansprüche stünden nach Wernecke nicht die Regelungen der Beweislast und die verschiedenen Verjährungsfristen entgegen. In diesem Sinne aber Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 III 4 Rn. 17. 206 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 59, mit einem Hinweis auf das Gerichtskostengesetz. Verschiedenheit der Streitgegenstände in diesem Sinne liege vor, wenn die beiderseitigen Anträge nebeneinander bestehen könnten, dagegen Identität, wenn die Zuerkennung des einen Anspruchs die Geltendmachung des anderen ausschließe.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
Im Unterschied zum hier vertretenen Standpunkt bezieht Wernecke diese Erkenntnis aber lediglich auf rechtsfolgenidentische Klagebegehren. 207 Darüber hinaus ist ihre Vorgehensweise zu stark an der materiellen Konkurrenzlehre orientiert, womit sie deren Nachteile ins Prozessrecht übernimmt 208: Zur Feststellung, ob eine Klage nach § 261 III Nr. 1 ZPO unzulässig sei, habe das später angerufene Gericht zu prüfen, ob in den Erstprozess zumindest teilweise identische Tatsachen wie in den zweiten Prozess eingeführt wurden bzw. ob das spätere Verfahren auf der Grundlage solcher Bestimmungen zu entscheiden wäre, die miteinander konkurrieren und die auch das zuerst angerufene Gericht zu erwägen habe oder deren Anwendung im früheren Verfahren aus dem Gesichtspunkt der alternativen Normenkonkurrenz (etwa im „Weinfall“209) ausgeschlossen wäre. 210 Die Einbeziehung der entscheidungserheblichen Tatsachen und Normen bzw. deren Konkurrenzverhältnis stellt einen Schwachpunkt in Werneckes Konzeption dar. Die Berücksichtigung von Tatsachenelementen bildet ein Element der Unsicherheit bei der Begrenzung des geltendgemachten Interesses. Dem Lebenssachverhalt kann, wie noch zu zeigen sein wird, nur individualisierende Funktion bei der Bestimmung der Erfüllungskonnexität zukommen. 211 Jedenfalls aus § 253 II Nr. 2 ZPO, der die Angabe von Gegenstand und Grund des erhobenen Anspruchs für die Klageerhebung verlangt, folgt nichts Gegenteiliges. 212
4. Materielle Sinnzusammenhänge: Die Lehre Zeuners Mit der Deutung des Verfahrensgegenstandes im Sinne des Klägerinteresses würden zum Teil auch Zeuners Überlegungen zur Aufrechterhaltung materieller Sinnzusammenhänge von der Rechtskraft auf die Ebene der Rechtshängigkeit übertragen. 213 Gerade dort können übergreifende materiellrechtliche Befriedigungszusammenhänge leichter zum Einsatz kommen 214, weil die strenge Antragsbindung nur für § 322 I ZPO gilt. Hinzu kommt, dass mittler207 Zwar nimmt sie im Verhältnis einer vorgreifl ichen Feststellungsklage zur Leistungsklage Streitgegenstandsidentität an, wenn der geltend gemachte Leistungsanspruch die einzig umstrittene Position aus dem Rechtsverhältnis ist, Wernecke, Einheitlichkeit, S. 32 f., 70 f. Fn. 251. Mit ihrem Bild des einheitlichen Interesses lässt sich dies aber kaum erklären. 208 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 63. 209 Näher oben § 10 IV 1 b. 210 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 64 f. 211 Näher unten § 25 III 4. 212 So aber Wernecke, Einheitlichkeit, S. 65. 213 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 1 f., 43 f. Ähnlich Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, S. 723. 214 Hingegen sieht K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 257, im Hinblick auf den rein abwehrenden Charakter der Rechtshängigkeitssperre keinen Bezug zum materiellen Recht. Zur Berücksichtigung rechtlicher Sinnzusammenhänge will dieser vielmehr auf § 148 ZPO rekurrieren.
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weile auch § 213 BGB dem Aspekt der Erfüllungskonnexität auf dem Teilgebiet der „Verjährungshemmung“ als Nebenwirkung der Rechtshängigkeit (§ 262 ZPO) Ausdruck verleiht. 215 Zur Koordinierung sämtlicher materiellrechtlicher Sinnzusammenhänge, etwa auf Vorfragenebene, erscheint § 261 III Nr. 1 ZPO indes ungeeignet. 216
5. Anspruchskonkurrenz bei Rechtsfolgendivergenz Die Bemühungen der Lehre von der Anspruchskonkurrenz, die Einheit von materiellrechtlichem Anspruch und Streitgegenstand auf der Ebene des materiellen Rechts wieder herzustellen, haben, wie bereits gezeigt217, nicht überzeugen können. Dennoch finden sich begriffliche Berührungspunkte zum hier vertretenen Ansatz. So hat bereits Regelsberger bei seiner Darstellung der Konkurrenz darauf hingewiesen 218, dass mehrere Ansprüche auf die Befriedigung desselben rechtlichen Interesses gerichtet sein könnten und sich insoweit als verschiedene Mittel zum selben Zweck erwiesen. 219 Konkurrenz liege vor, wenn und soweit mehrere Ansprüche das durch die Leistung zu befriedigende rechtliche Interesse gemeinsam hätten. Regelsberger versteht darunter den Vorteil, den ein Anspruch zu erreichen erstrebt. In vergleichbarer Weise wird vom gemeinsamen rechtlichen Objekt220, dem zu erreichenden gemeinsamen Zweck, dem gemeinsamen Anspruch 221, der gemeinsamen Leistung oder der Erreichung desselben wirtschaftlichen Zieles gesprochen.222 Auch Hellwig erkannte die Identität des Interesses als tragenden Gesichtspunkt an, wobei er zwischen rechtlichem und wirtschaftlichem Interesse unterschied. Verfolgen mehrere Ansprüche dasselbe wirtschaftliche Interesse auf einem anderen rechtlichen Wege, nimmt Hellwig alternative Konkurrenz an.223 Die Identität des Interesses befürwortet Regelsberger auch bei einer Verschiedenheit des (körperlichen) Leistungsgegenstandes224, wenn die jeweili215
Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 262 Rn. 1 f., 9. Insoweit trifft die Aussage von K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 257, zu. 217 Oben § 10 II. 218 Regelsberger, Pandekten I, S. 654. 219 Regelsberger, Pandekten I, S. 654. 220 Das Merkmal der Erfüllungskonkurrenz taucht bereits in Savignys Definition der Klagenkonkurrenz auf: Diese bestehe im ‚gemeinschaftlichen Gegenstand oder Zweck‘ mehrerer Klagen: „Wenn mehrere Klagen die Entschädigung für denselben Verlust oder die Wiedererlangung desselben Besitzes bezwecken, so haben sie den juristischen Gegenstand miteinander gemein.“ Der Grundsatz laute: „Das, was Jemand durch eine Klage bereits erhalten hat, kann er nicht noch einmal mit einer anderen Klage fordern“, v. Savigny, System V, S. 208 f., 205. 221 Brinz, Pandekten I, S. 343. 222 Rosenberg, ZZP 49 (1925), 45. 223 Hellwig, Anspruch, S. 105 ff.; ders., Lehrbuch, Bd. I, S. 269. 224 Regelsberger, Pandekten I, S. 76, 654, weist darauf hin, dass bereits vor Ihering auch Bähr, Rechtsstaat (1864), S. 52 (Fn.11), vom Interesse gesprochen habe. 216
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
gen Aktionen lediglich unterschiedene Befriedigungsformen darstellen. 225 So bilden nach Regelsberger die actio redhibitoria und actio quanti minoris verschiedene Sanktionen für dasselbe Interesse226, was auch Auswirkungen auf den Rechtskraftumfang habe. 227 Werde der Berechtigte mit dem einen Anspruch abgewiesen, so verhindere die Konkurrenz nicht, dass er auch den zweiten geltend mache. Wohl könne dem aber die Rechtskraft entgegenstehen. 228 Gegen diese Annahme hat sich insbesondere Georgiades gewandt: Wenn Regelsberger bei der actio redhibitoria und der actio quanti minoris verschiedene Befriedigungsformen desselben „rechtlichen Interesses“ feststelle, dann fasse er damit den Begriff des „rechtlichen Interesses“ derart weit, dass er sich vom wirtschaftlichen Interesse nicht abgrenzen lasse. Dem Eindringen der bereits von Savigny als unbestimmt ausgeschiedenen alternativen Konkurrenz seien damit keine Grenzen gesetzt. 229 Damit werde nicht ersichtlich, ob der identische Erfolg rechtlicher oder wirtschaftlicher Natur sei. Wandelungs- und Minderungsanspruch dürften insoweit nicht als gleichgerichtete Ansprüche im Sinne der Anspruchskonkurrenz behandelt werden, weil ihre rechtliche Ausgestaltung grundverschieden sei. So verfolgten die Ansprüche des Käufers auf Wandlung, Minderung bzw. Schadensersatz das wirtschaftliche Ziel, diesen vor Schädigungen zu bewahren. Auf juristischer Ebene handele es sich dagegen um verschiedene Ansprüche (Auflösung bzw. Aufrechterhaltung des Vertrages). 230 Diese Kritik trifft für den hier maßgeblichen Aspekt – der zivilprozessualen Verwertbarkeit des Interessebegriffs – nicht zu. Die Fälle alternativer (elektiver) Konkurrenz können prozessual unproblematisch zu einem Verfahrensgegenstand zusammengefasst werden, sofern sie ein Interesse verkörpern. So darf es etwa dem Käufer einer Sache nicht gestattet werden, Nacherfüllung und Minderung wegen desselben Sachmangels bei verschiedenen Gerichten zu verlangen. Die Frage, ob es sinnvoll erscheint, die indifferenten Fälle der alternativen Konkurrenz aus dem Bereich der Anspruchskonkurrenz zu entfernen, spielt hier keine Rolle. In jüngster Zeit wird das über die Konkurrenz bestimmende Merkmal in der Identität der Leistung erkannt. 231 Anspruchskonkurrenz wird somit angenommen, wenn und soweit mehrere Ansprüche desselben Berechtigten gegen denselben Verpflichteten identische Leistungen zum Inhalt haben. Bei der Anspruchs225
Regelsberger, Pandekten I, S. 654; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 65 f. Regelsberger, Pandekten I, S. 654; Brinz, Pandekten I, S. 345, spricht in diesem Fall von verschiedenen Sanktionsformen für dasselbe Interesse. Er setzt also das Interesse mit einem weiter verstandenen Anspruchsbegriff gleich. 227 Regelsberger, Pandekten I, S. 655. 228 Regelsberger, Pandekten I, S. 213. 229 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 64, 65 f. 230 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 65 f.; auch Hellwig, Lehrbuch, Bd. I, S. 259 f. 231 Larenz/Wolf, AT, Rn. 31; Last, Anspruchskonkurrenz und Gesamtschuldverhältnis, 8 f., 10 f.; Dernburg, Pandekten I, S. 314, 87. 226
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häufung zielten die Anspruchsnormen hingegen auf die Befriedigung eines jeweils anderen Interesses des Gläubigers. Auf prozessualer Ebene ist lediglich die Unterscheidung zwischen Anspruchskonkurrenz und Anspruchshäufung von Bedeutung. Beide unterscheiden sich durch die Identität des verfolgten Interesses. Die kritikwürdige232 weitere Differenzierung in Anspruchsnormenkonkurrenz und Anspruchskonkurrenz wird hingegen den zivilprozessualen Praktibilitätsanforderungen nicht gerecht. Als materiellrechtliches Extrakt der Konkurrenzlehren bildet das Interesse auch den prozessualen Kern.
V. Zusammenfassung: Bedeutung für das laufende Verfahren Für das laufende Verfahren dient das vom Kläger verfolgte Interesse als gedankliche Orientierungsbasis. Nimmt der Kläger eine Rechtsfolge für sich in Anspruch, welche ihm nach seinem Vortrag nicht neben einer anderen gebührt, sondern nur wahlweise oder an deren Stelle, so liegt ein Verfahrensgegenstand vor. Dies gilt etwa, wenn der Geschädigte eines Unfalls statt der geforderten Naturalrestitution (§ 249 I BGB) vom Verursacher auch Ausgleich in Geld (§§ 249 II, 251 BGB) verlangen könnte. Die divergierenden Rechtsfolgenbehauptungen entstammen hier derselben Streitsache, so dass einer zweiten parallelen Klage der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit entgegensteht (§ 261 III Nr. 1 ZPO). 233 Innerhalb dieses identischen Interesses unterliegt der Kläger mit Antragsänderungen nicht dem Klageänderungsverbot (§ 263 ZPO). So könnte auch der Käufer einer mangelhaften Sache im Prozess jederzeit von seinem Nachbesserungsverlangen (§ 439 I BGB) abgehen und stattdessen Wertausgleich in Form des kleinen Schadensersatzes verlangen. Diese Beispiele ließen sich ohne Schwierigkeiten vermehren. 234 Wesentliches Ziel des Erkenntnisverfahrens ist, wie Rechtsprechung235 und Literatur236 betonen, die umfassende Streiterledigung in einem Verfahren. Dem dient aber die Berücksichtigung des gesamten Klägerinteresses mehr als eine Begrenzung auf das konkrete Rechtsschutzbegehren. Die Konzentration zusammenhängender Streitkomplexe bei einem Gericht begünstigt einen effizienten und prozessökonomischen Umgang mit der knappen Ressource Justiz. Auch die 232 233
Vgl. oben § 10 II. Dasselbe wirtschaftliche, ideelle bzw. rechtliche Interesse, Bub, Streitgegenstand,
S. 137. 234
Zu weiteren Fallgruppen bereits oben § 22 II. BGHZ 17, 31: „Es ist nicht zu verkennen, dass die Gesetzgebung das Ziel verfolgt … im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit materiell begründete Ansprüche nicht an prozessualen Vorschriften scheitern zu lassen.“ 236 Gaul, AcP 168 (1968), 27, 59; Habscheid, Streitgegenstand, S. 174 f. 235
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
individuellen Belange der Parteien werden besser gewahrt: Denn dem Beklagten wird kaum daran gelegen sein, zweimal in derselben Angelegenheit vor verschiedenen Foren belangt zu werden. Der Kläger hingegen kann sein rechtliches Interesse mit allen zur Verfügung stehenden Fakten untermauern bzw. zwanglos auf einen anderen Klageantrag wechseln. Die Klärungs- und Befriedigungsfunktion des Prozesses237 gebietet eine schnelle und umfassende Beendigung des Streits. Kaum wünschenswert erscheint aber, die Verhandlung auf das gesamte streitige Lebensverhältnis zu erstrecken. 238 Die Lösung liegt vielmehr in einer funktionsgerechten Verbindung materiellrechtlicher und prozessualer Aspekte.239 Als Grundkonzeption bietet sich danach an, dass diejenigen (potentiellen) materiellen Rechtsfolgen, deren sachlicher Gehalt dem mit der Klage erstrebten Ziel im Allgemeinen entspricht, zu einem Streitgegenstand zusammengefasst werden. Eine einheitliche Gruppierung von Ansprüchen, die einen verschiedenen Leistungsinhalt verwirklichen wollen, hält man indes bisher für undurchführbar. 240 Es erscheint jedoch nicht ausgeschlossen, auch den gemeinsamen materiellen Ordnungsgehalt divergierender Rechtsfolgen zu berücksichtigen. Gestaltet etwa das materielle Recht bestimmte Rechtsfolgen in der Weise aus, dass dem Gläubiger das eine Recht nur wahlweise oder anstelle (vgl. § 213 BGB) eines anderen Rechts zusteht, dann sollte dies auch im Prozess Anerkennung finden. Die Konstruktion einer einheitlichen „Anspruchsposition“ im Sinne Rimmelspachers bedeutet gegenüber der h.L. zwar einen dogmatischen Fortschritt. Dennoch ist diese Begrifflichkeit noch zu sehr dem materiellen Anspruchsdenken verhaftet. Den kleinsten gemeinsamen Nenner bildet vielmehr das beanspruchte Interesse. Der spezifische Gehalt des materiellen Anspruchs wirkt sich dagegen erst im Rahmen des Urteilsgegenstandes aus, weil dort § 308 I ZPO den Richter an die konkret beantragte Rechtsfolge bindet. Der Umfang des Streitprogramms wird durch den Umfang der Rechtshängigkeit festgelegt, während die Endgültigkeit 237 Vgl. Zeuner, in: FS Bötticher, S. 410 f. (im Zusammenhang mit der Rechtswegabgrenzung); Böhm, in: FS Kralik; vgl. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 96. 238 Vgl. Zeuner, in: FS Bötticher, S. 410. Lebenssachverhalte sind rechtlich nicht fest umrissen, so dass eine eindeutige Abgrenzung gewährleistet wäre. 239 Vgl. Zeuner, in: FS Bötticher, S. 425: „Allenthalben ist zu bemerken, dass der Prozess mit seiner Klärungs- und Befriedigungsaufgabe auf das materielle Recht bezogen ist. Diese Bezogenheit besteht aber nicht darin, dass im konkreten Fall für jede auf eine gesonderte Rechtsfolgenanordnung zurückführbare rechtliche Einheit, für jedes einzelne Recht und Gegenrecht prinzipiell ein eigenes Verfahren zur Verfügung stünde. Worum es sich handelt, ist vielmehr eine auf Funktionen ausgerichtete Erfassung der im materiellen Recht gegebenen Ordnungsfunktion, die nicht von vorneherein durch die rechtstechnischen Denk- und Erscheinungsformen des materiellen Rechts begrenzt sind.“ 240 Etwa Jahr, in: FS Lüke, S. 305 f.; Bruns, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 252: Antrag und Anspruch lägen begrifflich auf verschiedenen Ebenen. Der Antrag sei einerseits konkreter, weil er dem Umfange nach bestimmt sei, andererseits aber auch abstrakter als der Anspruch, weil er das „woher“ offen lasse.
§ 22 Die Bedeutung des Klägerinteresses
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der Entscheidung durch die materielle Rechtskraft gesichert wird. Das Urteil markiert somit den Übergang vom Erkenntnisverfahren zur am konkreten Anspruchsinhalt orientierten Vollstreckungsanordnung. 241
241
Zum vollstreckbaren Anspruch: Gaul, ZZP 112 (1999), 177 f.
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§ 23 Normatives Gerüst Im Folgenden wird versucht, die bereits vorgestellte These normativ zu verifizieren. Hierfür finden sich sowohl im Verfahrens- als auch im materiellen Recht Anhaltspunkte. Die normative Achse bilden § 264 Nr. 3 ZPO und § 213 BGB. Beide Vorschriften nehmen unmittelbar bzw. mittelbar Bezug auf das Klägerinteresse. Die Verwertung der theoretischen Erkenntnisse bewegt sich dabei innerhalb des methodisch Zulässigen. 242
I. Zur Bedeutung von § 264 ZPO 1. Das allgemeine Klageänderungsverbot und § 264 ZPO Bereits vor Inkrafttreten der Reichscivilprozessordnung existierten in den einzelnen Partikularrechtsordnungen Vorschriften, welche die Frage der nachträglichen Veränderung des Streitgegenstands im Prozess regelten. 243 Die Klageänderung war dort indes in sehr unterschiedlichem Umfange gestattet. So sah Art. 181 f. der Bayerischen Regelung244 eine Klageänderung ohne Einwilligung des Beklagten überhaupt nicht vor, während Preußen 245 und das Rheinland die Zulassung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts stellten. 246 Diese Extrempositionen spiegeln sich im Gesetzgebungsverfahren zur CPO wieder. 247 Nachwirkungen auf die Reichweite des Klageänderungsverbotes zeigte auch die gemeinrechtliche Eventualmaxime248, obgleich diese selbst keinen Eingang in 242
Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, Rn. 732 f. Schlinker, Jura 2007, 1 ff. 244 Hahn, Materialien II/1, S. 259 f. 245 Nach dem preußischen Entwurf von 1864 (§ 232 Nr. 2) war es nicht als unzulässige Klageänderung zu werten, „wenn die Änderung des Klagegrundes mit oder ohne Änderung des Klageantrages den Beklagten nicht zu einer anderen Rechtsvertheidigung nötige.“ 246 So die Deutung bei Hahn, Materialien II/1, S. 259 f. 247 Zu den widerstreitenden Aussagen der Abgeordneten, Hahn, Materialien II/1, S. 586, 1001. 248 R. Schmidt, Klageänderung, S. 823 f. „Das Eventualprinzip bedeutete, dass jede Partei, insbesondere der Kläger, die ‚Begründung‘ seiner Darstellung in allen gleichartigen Elementen auf einmal vorschützen musste, während er mit verspätetem Material ausgeschlossen wurde. Hieraus ergab sich, dass der Kläger von vorneherein die Tatbestände aufzuführen hatte, auf die er seinen Anspruch stützen wollte und dass er auch denselben Anspruch im Ver243
§ 23 Normatives Gerüst
293
die CPO fand. 249 In einigen Verfahrensordnungen existierten auch Vorläuferregelungen zu § 264 ZPO. 250 Nach dieser Bestimmung soll es nicht als Klageänderung anzusehen sein, wenn ohne Änderung des Klagegrundes bestimmte tatsächliche oder rechtliche Ergänzungen oder Berichtigungen der Klage stattfinden (Nr. 1). Gleiches gilt hinsichtlich des Klageantrags in den Fällen Nr. 2 und Nr. 3, wenn statt des ursprünglichen Gegenstandes das Interesse gefordert wird. So knüpfte der Entwurf einer CPO für die Staaten des Norddeutschen Bundes die Klageänderung zwar an die Einwilligung des Beklagten (§ 183 II Ziff. 3), schränkte jedoch zugleich in § 188 des Entwurfs das Klageänderungsverbot in einer § 264 ZPO vergleichbaren Weise ein. 251 Eine ähnliche Regelung findet sich auch im Entwurf einer Reichs-CPO des preußischen Justizministeriums von 1871 (§§ 214 II Ziff. 3, 219) und im Regierungsentwurf der Reichs-CPO (§§ 227 II Ziff. 3, 232), die in §§ 235 II Ziff. 3, 240 CPO Gesetz geworden ist. Die Begründung wies darauf hin, dass die Einschränkungen des Klageänderungsverbotes so weit reichten, als es ohne Beeinträchtigung der Interessen des Beklagten möglich wäre252, wobei die Änderung des Klagegrundes selbst stets zustimmungsbedürftig sei. 253 Dabei wird deutlich, dass das Verbot der mutatio libelli in erster Linie dem Interesse des Beklagten und der Wahrung seines Verteidigungskonzepts geschuldet war. 254 Als unpraktikabel war im Gesetzgebungsverfahren aber bereits der Vorschlag abgelehnt worden, wonach eine Klageänderung mit oder ohne Änderung des Klagegrundes dann zulässig sei, wenn die Rechtsverteidigung des Beklagten nicht umgestellt werden müsste. Die gesetzlichen Einschränkungen des Klageänderungsverbots wurden mit der Verminderung der Prozesszahlen und der durch eine Vielzahl von Klageabweisungen verbundenen Übelstände gerechtfertigt. 255 Als zu starke Einschränkung war bei der Beratung des Regierungsentwurfs bereits der Vorschlag abgelehnt worden, die Klageänderung auch nicht mehr auf Einwilligung des Beklagten hin zu
lauf des Verfahrens nicht mit wesentlich anderen Tatbeständen begründen durfte. Als Klageänderung wurde demgemäß nunmehr die Änderung des Klagegrunds als solchen verboten und das ausgebildete gemeine Recht brachte das Verbot in diesem viel strengeren Sinne zur Durchführung.“ Vgl. auch Jauernig, ZPR, § 28 III. 249 Vgl. aber Jauernig/Hess, ZPR, § 28 II 1 Rn. 5, der in der „Konzentrationsmaxime“ eine Ausprägung der Eventualmaxime erkennt. 250 Vgl. den Entwurf der hannover’schen Kommission der deutschen Bundesstaaten in § 237: „Als Klageänderung ist es nicht anzusehen, wenn ohne Aenderung des Klaggrundes die Klage ergänzt, erläutert oder berichtigt wird.“ Vgl. Kühne, in: Verhandl. des 13. DJT, S. 235. 251 Herrmann, Grundstruktur, S. 90. 252 Hahn, Materialien II/1, S. 259 f.; Herrmann, Grundstruktur, S. 90. 253 Ausdrücklich Hahn, Materialien II/1, S. 259. 254 Herrmann, Grundstruktur, S. 93, 98. 255 Hahn, Materialien II/1, S. 259.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
gestatten. 256 Umgekehrt fand der Antrag, das Klageänderungsverbot gänzlich abzuschaffen, ebenfalls keine Zustimmung. 257 Besonders lohnend für den hier vertretenen Lösungsweg sind die Ausführungen von Kühnes auf dem 13. DJT (1876), welche die Bedeutung des „Streitkerns“ verdeutlichen: Im Interesse der Streitkonzentration258 sei es erforderlich, die (veränderte) Klage stets zuzulassen, wenn an der qualitativen Identität des beanspruchten Gegenstandes festgehalten werde. 259 „Was soll über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Klageänderung in der deutschen Civilprozessordnung bestimmt werden? … Mein Vorschlag geht dahin, nur diejenigen Bestimmungen in dem Entwurfe stehen zu lassen, welche bezwecken, dass die Identität des beanspruchten Objekts festgehalten werde, die Vorschriften insbesondere, welche den Begriff des Klagegrundes zum Ausgangspunkt nehmen, zu streichen…“. 260
Dieser Standpunkt wurde auf dem DJT auch angenommen.261 Insoweit war von Kühne der Ansicht, 262 dass sich die erheblichen Beschränkungen der Klageänderung als äußerst hinderlich für den Prozessablauf erwiesen hätten. Das Recht des Beklagten auf Nichtveränderung der angestellten actio in eine andere würde sehr oft in schikanöser Weise erhoben. Dadurch würden Verfahren ungebührlich verzögert und die Klärung des Rechtsstreits in seinem Kern behindert. Sicherlich beruht der von von Kühne aufgezeigte Missstand vor allem auf dem Fehlen einer Vorschrift, welche die Klageänderung in Fällen der Sachdienlichkeit für zulässig erklärte. Aus den Äußerungen wird jedoch deutlich, dass bereits damals beachtliche Tendenzen zur Verfahrenskonzentration existierten, die sich an der qualitativen Identität des beanspruchten Objekts und damit m.E. auch am Klägerinteresse orientierten. § 264 ZPO ist seit Inkrafttreten der 256
Hahn, Materialien II/1, S. 585 f. Hahn, Materialien II/1, S 1001 f.: So der Abgeordnete Grimm: „Dem Anwalt des Klägers sei es nicht zuzumuten, aufgrund der einseitigen Darstellung seines Mandanten, die juristische Natur des Streitverhältnisses von Anfang an richtig zu treffen.“ Dagegen wurde angeführt, dass der Prozess ohne sichere Grundlage leicht in große Verwirrung geraten könnte. 258 Dieses Bedürfnis nach Streitkonzentration wird auch bereits in den Motiven der CPO erkannt, aber nur in beschränktem Umfange verwirklicht: „In einem freigestalteten mündlichen Verfahren ist es unbedenklich, dem Kläger Aenderungen der Klage in weitem Umfange zu gestatten. Eine solche Befugnis vermindert die Zahl der Prozesse und schränkt die mit großen Uebelständen verbundenen in der bisherigen Praxis zahlreichen Abweisungen der Klage in angebrachtem Maße ein.“ 259 von Kühne, in: Verhandl. des 13. DJT, Bd. 1, S. 243. 260 von Kühne, in: Verhandl. des 13. DJT, S. 243, 13. § 232 des Entwurfs sollte folgenden Wortlaut bekommen: „Nach der Erhebung der Klage darf der Gegenstand des geltend gemachten Anspruchs nur insoweit geändert werden als 1. der Klageantrag in der Hauptsache oder in Beziehung auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird, 2. statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand oder das Interesse gefordert wird.“ 261 Verhandl. des 13. DJT, Bd. 2, S. 346. 262 von Kühne, in: Verhandl. des 13. DJT, Bd. 1, S. 255. 257
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CPO von 1877 inhaltlich unverändert geblieben. Die ursprüngliche Vorschrift § 240 CPO wurde durch die Novelle von 1898 zu § 268 ZPO a.F. und durch die Vereinfachungsnovelle von 1976 zu § 264 ZPO. 263
2. Der Begriff „Interesse“ in § 264 Nr. 3 ZPO „Interesse“ im Sinne von § 264 Nr. 3 ZPO wird regelmäßig als Schaden im Sinne des positiven oder negativen Interesses interpretiert. 264 Dieses Verständnis von Interesse reicht zurück bis zur Deutung des id quod interest im Corpus Iuris Civilis durch die Glossatoren. 265 Zur Missdeutung der „Interesseformel“ soll insbesondere Friedrich Mommsen beigetragen haben 266, der ihr den Hinweis auf den Vergleich zweier Vermögenslagen entnehmen wollte. Die von ihm geprägte Differenzhypothese versteht das Interesse als abstrakte Differenz zweier Vermögenslagen. Da diese regelmäßig negativ ausfalle, also eine hypothetische Vermögenseinbuße darstelle, sei sie mit dem Schaden gleichzusetzen. 267 Diese Ineinssetzung von Schaden und Interesse wird mittlerweile abgelehnt. 268 Id quod interest sei vielmehr eine Verkürzung aus id quod in re mea interest und bedeute „dasjenige, was an meiner Sache gelegen ist“ oder was meinem Nutzen entspräche. 269 Interesse sei somit als ein von einer Tatsache, wie der Erfüllung, für eine bestimmte Person abhängiger Vorteil270, zu verstehen. Dieser bemesse sich nicht an Hand einer abstrakten Vermögensdifferenz, sondern am konkreten Wert, den die Leistung für den Gläubiger habe. 271 Interesse in diesem Sinn hat somit mit dem Begriff des Schadens in der Tat nichts zu tun. 272 Das id quod interest bezieht sich auf eine für den Gläubiger günstige Situation, der Schaden 263
Vgl. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, Gesetzesgeschichte zu § 264. Statt vieler: MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 31. 265 Interesse est damnum emergens et lucrum cessans, Glosse possibile est zu C 7, 47; vgl. auch Cohnfeldt, S. 1 ff.; Knütel, AcP 202 (2002), 571; Medicus, Id quod interest, S. 267, 327 ff. 266 Friedrich Mommsen, Lehre vom Interesse (1855), S. 235 f.; auch Puchta, Pandekten, § 225; zusammenfassend: Hagen, in: FS Hauß, S. 83 f.; S. Würthwein, Schadensersatzpflicht, S. 392. 267 BGH WM 1983, 418; auch v. Caemmerer, Kausalität, S. 5. 268 Knütel, AcP 202 (2002), 572; Keuk, S. 50 f. 269 Knütel, AcP 202 (2002), 572; Cohnfeldt, S. 3 f.; Honsell, Quod interest, S. 12 Fn. 46; ders., JuS 1973, 70, bezeichnet mea interest als eine verschliffene Form von mea in re est; ablehnend insoweit Knütel, AcP 202 (2002), 572. 270 Knütel, AcP 202 (2002), 572: Vorteil könne auch den Nichteintritt eines Nachteils meinen, wie in § 264 Nr. 3 ZPO und § 893 ZPO; Cohnfeldt, S. 57: „Interesse ist aller von einer Thatsache für eine bestimmte Person abhängige Vorteil.“ 271 Das Interesse also als relativer Wert, den die Erlangung eines geschuldeten Gegenstandes für die konkrete Person des Gläubigers hat, Bub, Streitgegenstand, S. 140; Medicus, SZ (RA) 115 (1998), 75 ff.: Der Umfang des id quod interest im römischen Recht schwankt. Er kann den Verkehrswert auch unter- oder überschreiten. Auch die Klageart spielt eine Rolle; Cohnfeldt, S. 55 ff. 272 Anders aber Medicus, Id quod interest, S. 300 f. 264
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auf sein Gegenteil. 273 Das Interesse hat einen Bezugspunkt zu einer bestimmten Person. Was für eine Person von Vorteil ist, muss es für die andere nicht sein.274 Zu dieser Streitfrage muss hier nicht abschließend Stellung bezogen werden. Medicus hat insoweit zu Recht auf die unterschiedlichen weiteren Bedeutungsschattierungen von id quod interest hingewiesen. 275 In einer sehr häufigen Wendung bezeichne die Formulierung den Inbegriff dessen, „was der Kläger vom Beklagten verlangen kann.“ Im Ergebnis handle es sich bei der Formulierung um ein wertendes Prinzip bei der Begrenzung des ersatzfähigen Schadens. 276 Ein einheitliches Verständnis des id quod interest existierte im römischen Recht offensichtlich nicht. 277 Bezeichnenderweise fungiert die Interesseformel bereits in den römischen Quellen in einer frühen Funktion des Streitgegenstands. 278 Grund hierfür ist das Prinzip der condemnatio pecunaria. Bei der Formel mit unbestimmter intentio, quidquid paret … opportere bzw. quidquid … dare, facere, oportet, bezogen also auf all das, was der Beklagte dem Kläger zu leisten hat 279, wurde der Umfang der Geldkondemnation durch das quod (quanti) interest determiniert. 280 Mit Interesse im Sinne von § 264 Nr. 3 ZPO werden in der Regel die Ersatzansprüche, die die Einbuße des Gläubiger durch das Ausbleiben der Primärleistung ausgleichen sollen, bezeichnet. 281 Für diese Regelung wird allgemein die Abkehr vom Prinzip der Geldkondemnation als Entstehungsgrund angegeben. 282 Insoweit musste prozessuale Berücksichtigung erfahren, dass der Verpflichtete zunächst auf Erfüllung in Natur in Anspruch genommen wurde, 273 In diesem Sinne Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung, S. 115 f.; Cohnfeldt, S. 2, 57, 65: id quod interest bedeute nicht Schaden, sondern eine Art Äquivalent für den Gegenstand. 274 Zur Unterscheidung von Strafklage und Interesse v. Savigny, System V, S. 456: „Einige Vergehen, die im Prozess gegen die obrigkeitliche Gewalt begangen werden konnten, hatten zur Folge eine Strafklage, welche nicht auf das Interesse gerichtet war, sondern auf eine Geldstrafe, die dem Geldwert des Prozessgegenstandes gleich kam. Dieser Gegensatz wurde so ausgedrückt: die Klage gehe nicht auf das Interesse, sondern quanti res est … Denn das, was hier als verschieden vom Interesse, durch quanti res est bezeichnet wird, ist nicht, wie in den oberen zusammengestellten Fällen, der Sachwert, sondern der Streitgegenstand, so dass also hier und dort Gegensätze von ganz unterschiedlicher Art auszudrücken waren.“ 275 Medicus, Id quod interest, S. 300. 276 Auch Dedek, aaO., S. 118, 125 f.: „flexibler Schätzmechanismus“. 277 Medicus, Id quod interest, S. 327; Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 10. 278 Manigk, in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaften, S. 298. 279 Dies gilt nicht nur für die strengrechtlichen Klagen auf ein incertum, sondern auch bei den iudicia bonae fidei, Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 45 IV 3. 280 Bei den strengrechtlichen Klagen auf ein certum diente hingegen die Wendung quanti ea res est zur Konkretisierung der Kondemnationsanweisung, v. Savigny, System V, S. 441 f.; Honsell, Römisches Recht, S. 99; Medicus, Id quod interest, S. 229; Dedek, aaO., S. 118. 281 Hellwig, Lehrbuch, Bd. III, S. 263. 282 Henckel, Parteilehre, S. 261; Blomeyer, ZPR, § 48 I 2 c; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 361.
§ 23 Normatives Gerüst
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diese sich aber als unmöglich erwies und der Kläger sein Begehren auf die verkörperte Ersatzleistung umstellen musste. Zu den heute gesicherten Fällen zählt deswegen der Übergang vom Erfüllungsanspruch zum Schadensersatz statt der Leistung.283 Die Gleichsetzung von Interesse mit Schaden würde jedoch dem im Folgenden vorgetragenen Verständnis widersprechen.284 Vielmehr ist es so, dass der Ersatz des Schadens nur eine Form der Interesseleistung im Sinne des § 264 Nr. 3 ZPO darstellt (pars pro toto). Allgemeiner formuliert, muss das neue Begehren als Äquivalent für das bisherige angesehen werden können.
3. Ausweitung von § 264 Nr. 3 ZPO durch die Rechtsprechung § 264 Nr. 3 ZPO erfuhr alsbald in der Rechtsprechung eine großzügige Handhabung, die vor allem der Tatsache geschuldet war, dass Gerichte zunächst über keine Handhabe verfügten, eine Klageänderung als sachdienlich zuzulassen. 285 So hatte sich das RG mit der Konstellation zu beschäftigen, dass der Kläger seinen Klageantrag ändern wollte, nachdem dem Schuldner die Leistungserfüllung unmöglich geworden war. Das RG stellte zunächst klar, dass der Gesetzgeber zur Verminderung der Zahl der Prozesse im Schadensersatzverlangen gemäß § 240 Nr. 3 CPO (§ 264 Nr. 3 ZPO) keine Klageänderung erkenne. 286 Dies sollte jedoch seiner Auffassung nach auch für die übrigen Gläubigerrechte gelten, etwa den Rücktritt nach § 325 BGB a.F. bzw. die Rückforderung nach § 325 I 2, § 323
283 So bereits RGZ 88, 405 f.; RGZ 109, 134 f.; BGH NJW-RR 1988, 959 f. Einen eindeutigen Fall betrifft weiter BGH NJW 2001, 2477: Ist der Anspruch auf Rückübereignung der Grundschuld wegen Zwangsversteigerung erloschen, kann der Gläubiger im Rahmen von § 264 Nr. 3 ZPO nunmehr als Surrogat den Anspruch auf Erlös geltend machen. BGH NJWRR 1996, 2869: „Zulässige Klageänderung auf Schadensersatz statt Herausgabe der Bürgschaftsurkunde nach Auszahlung der Bürgschaftssumme“; Schadensersatzanspruch (oder Surrogat) wegen Unmöglichkeit der Herausgabe (§ 989 BGB), RG ZZP 60 (1936), 133; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 32. 284 Der Interessebegriff in § 264 Nr. 3 ZPO ist im Umfang insofern enger, als er an sich eine Gruppe von Leistungsansprüchen bezeichnet und deshalb nicht für alle Klagearten gilt. Er scheint weiter zu sein, als die entstehenden Ersatzansprüche nicht nur den objektiven Wert, sondern auch weitergehende Positionen wie entgangenen Gewinn umfassen könnten. 285 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 361: Die Existenz von § 263 ZPO führe nunmehr dazu, § 264 Nr. 3 ZPO wieder enger zu interpretieren. Die Grenze zur Klageänderungssperre werde überschritten, wenn die Rechtsposition eine Veränderung erfahre; vgl. auch MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 1; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 1. 286 RG Gruchot 48, 1109. „Ist hiernach der Kläger befugt, die den anfänglichen Streitgegenstand beseitigende anderweitige Gestaltung der Verhältnisse in demselben Prozesse zur Erhebung eines Ersatzanspruches zu benutzen, so werden der Ausübung dieser Befugnisse auch nur diejenigen Schranken zu ziehen sein, welche sich aus dem Bürgerlichen Rechte ergeben.“
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BGB a.F, § 812 BGB. 287 Auch beim Rücktritt des Gläubigers handele es sich um eine Form der Geltendmachung seines Interesses an der Vertragserfüllung. 288 Wenn dem Kläger die Wahl bleibe, an Stelle der geschuldeten Leistung Schadensersatz wegen Nichterfüllung auf dem Boden des Vertrags zu verlangen oder unter Rücktritt (§ 325 BGB a.F.) von demselben das von ihm bereits Geleistete zurückzufordern, so wäre eine prozessuale Beschränkung des Wahlrechts dergestalt, dass nur der erste, nicht aber auch der zweite Anspruch in demselben Prozesse verfolgt werden könne, nicht zu rechtfertigen. 289 Die materiellrechtlichen Wahlbefugnisse dürften somit prozessual nicht beschränkt werden. 290 Die Rechtsprechung versuchte, den in § 264 Nr. 3 ZPO enthaltenen Grundgedanken somit in prozessökonomischer Weise zu verallgemeinern. Zusätzliche Weiterungen durch das RG betreffen infolge vor allem den Wechsel in der Rechtsschutzform. 291 Entscheidend ist die im Mittelpunkt stehende materielle Grundposition, die den Ausgangspunkt für bestimmte Abwandlungen, Modifikationen und Metamorphosen bietet, ohne die Identität selbst zu ändern. 292 § 264 Nr. 2 ZPO betrifft dabei die Aufspaltung eines ursprünglich einheitlichen Interesses293, während § 264 Nr. 3 ZPO dasselbe Interesse in veränderter Form zu verwirklichen hilft. 294 287 Dies diene dem Interesse an der Zurückbehaltung oder Zurückforderung der eigenen Leistung, wenn sie wertvoller sei als der Schadensersatzanspruch, RG Gruchot 48, 1109. Im Gegensatz zum negativen Interesse des Gläubigers, welches an die Unwirksamkeit des Vertrages anknüpfe (§ 122 BGB), gehe es hier um die Beseitigung der Nachteile für den Gläubiger, die sich aus der Nichterfüllung eines wirksamen Vertrages für ihn ergäben. 288 RG Gruchot 41, 1124. 289 Vgl. auch MünchKomm/Ernst, BGB, § 323 Rn. 271, § 325 Rn. 17: „Die Terminologie der ZPO ist insoweit noch nicht auf die Neuregelung durch das SMG eingestellt, und es wäre wenig sinnvoll, wenn der Gläubiger die Klage zwar auf Schadensersatz statt der Leistung umstellen könnte, dies jedoch nur, wenn er iS der sog. Surrogationsmethode vorgehen würde. Beim gegenseitigen Vertrag bilden die aus dem Rücktritt entstehenden Ansprüche und der Anspruch wegen Nichtausführung … des Vertrages zusammen ‚das Interesse‘ iS des § 264 Nr. 3 ZPO.“ 290 Vgl. auch RGZ 88, 405 f. 291 Hierbei ist strittig, ob diese Fälle nicht bereits § 264 Nr.2 unterfallen, vgl. auch RGZ 40, 7 (9 f.). Für die Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO bei einem Wechsel der Rechtsschutzform (Übergang von Feststellungs- zur Leistungsklage) auch Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 264 Rn. 4; BGH NJW 1994, 944; BGH NJW 1979, 925; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 12 („Qualitative Erweiterungen“); a.A. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 356 f., wonach ein Austausch des Rechtsbehelfs bei Identität der Rechtsposition von § 264 Nr. 3 ZPO erfasst würde. Zu beachten gilt es m.E. auch den Wortlaut von § 256 II ZPO, wo der Zwischenfeststellungsantrag als „Erweiterung“ des ursprünglichen Begehrens genannt wird, was für § 264 Nr. 2 ZPO sprechen könnte, vgl. auch RGZ 14, 428 f. 292 Teilweise enger aber Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 361. 293 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 358, spricht von der Aufspaltung der Rechtsposition. 294 Nach Rimmels pacher bleibt in diesem Fall der mittelbare Anspruchsinhalt identisch, Materiellrechtlicher Anspruch, S 361 f.
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Das RG295 dehnte § 264 Nr. 3 ZPO zudem in zeitlicher Hinsicht aus. Nach dem telos der Vorschrift sei unerheblich, dass der Anlass für die „Veränderung“ erst nach Rechtshängigkeit eintrete. Als entscheidend wird vielmehr der Zeitpunkt angesehen, zu welchem der Kläger von den die Sachlage ändernden Ereignissen Kenntnis erlangt bzw. erlangen hätte müssen. Das RG sah diese Auslegung durch das Anliegen des Gesetzgebers296 gerechtfertigt, eine Häufung von Prozessen im Interesse der Parteien möglichst zu vermeiden. 297 Z.T. wird mit Blick auf diese gesetzgeberische Motivation § 264 ZPO noch weiter ausgelegt: Der Kläger, der die Wahl zwischen mehreren Anträgen aus demselben Interesse bereits vor Klageerhebung im Blick hatte, muss auch nach Rechtshängigkeit seine Wahl prozessual ändern können, ohne auf die Einleitung eines neuen Verfahrens angewiesen zu sein. 298 So darf der Gläubiger auch noch nach Fristablauf im Sinne von § 281 I BGB auf Erfüllung klagen und kann erst im Verfahren zum Schadensersatz statt der Leistung (vgl. § 281 IV BGB) übergehen. Dieses ius variandi ist auch auf prozessualer Ebene voll anzuerkennen. 299 Die Tatsache, dass der Kläger aufgrund bestimmter Umstände davon ausgehen muss, der Beklagte könne seine ursprüngliche Leistung nicht mehr erbringen, darf ihn ebenfalls nicht davon abhalten, weiter seinen Primäranspruch zu verfolgen.300 Es ist an dem Beklagten, den Beweis für die Unmöglichkeit (§ 275 BGB) anzutreten. Da § 264 Nr. 3 ZPO kein Verschuldenserfordernis kennt301, kann sich hieraus auch keine Beschränkung für den Kläger ergeben. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Wendung „später“ in § 264 Nr. 3 ZPO wäre bei dieser Sichtweise die Entstehung des Klageanspruchs selbst und nicht der Zeitpunkt der Klageerhebung. Gerechtfertigt erscheint m.E. darüber hinaus, entgegen der h.L. gänzlich auf die tatsächliche Veränderung des ursprünglich Geforderten zu verzichten, sofern nur das Interesse gewahrt bleibt. Der Anwendungsbereich von § 263 ZPO 295
Etwa RGZ 26, 385 (388) zu § 240 CPO; RGZ 39, 429; 70, 337 zu § 268 ZPO. Zum Wunsch des Gesetzgebers nach Verfahrenskonzentration: RGZ 29, 375 (379). 297 Mit Blick auf den im Übrigen noch weitergehenden Vorschlag des preußischen Entwurfs von 1864 in § 232 Nr. 2, der nur wegen seiner geringen Praktikabilität abgelehnt worden sei. Eine ausdehnende Auslegung des Gesetzeswortlauts sei deswegen möglich, RGZ 26, 388. 298 Deswegen vertreten Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 264 Rn. 7 und Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 18, mit Recht, dass selbst verschuldete Unkenntnis zur Zeit der Klageerhebung nicht schade, vgl. auch RGZ 88, 405 (kein Zwang zur vorprozessualen Fristsetzung). Strenger, was das Verschuldenserfordernis betrifft: MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 7; Musielak/Foerste, ZPO, § 264 Rn. 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 99 I 3 Rn. 16. 299 Zur materiellrechtlichen Seite Althammer, ZGS 2005, 377. 300 Gegen die h.L.: Nikisch, Lehrbuch, § 48 II 2b; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 358; auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 18. 301 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 18; a.A. MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 28, der im Hinblick auf § 263 ZPO kein Bedürfnis für eine so weite Auslegung von § 264 Nr. 3 ZPO sieht. 296
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wird auch dann nicht betreten, wenn die „nachträgliche Erkenntnis des Klägers über die wahre Rechtslage an Stelle einer zunächst irrtümlichen Rechtsauffassung“ tritt302, ohne dass von einer echten Veränderung der Rechtslage gesprochen werden kann. Das Prozessrecht darf aufgrund seiner dienenden Funktion der materiellen Rechtsausübung keine künstlichen Hürden bereiten. Hält der Gläubiger zunächst fälschlicherweise die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs statt der Leistung für gegeben (§ 281 I BGB), so kann er ohne weiteres im Verfahren wieder zum Primäranspruch übergehen, ohne dass dem der Beklagte nach § 263 ZPO widersprechen könnte. Eine Klageänderung liegt ebenfalls nicht vor, wenn im Schadensersatzprozess die Voraussetzungen für die Forderung des Wertinteresses (§ 251 I BGB) nicht vorliegen und der Kläger nun Naturalrestitution verlangt.
4. Zum normativen Charakter von § 264 Nr. 2, 3 ZPO: Gesetzlich zulässige Klageänderung, Fiktion oder deklaratorische Vorschrift Für das hier vorgestellte Streitgegenstandsmodell ist das richtige Verständnis von § 264 ZPO elementar.303 § 264 Nr. 1 ZPO betrifft dabei unstreitig nur Modifizierungen des Streitgegenstands, ohne diesen zu verändern.304 Die h.A. steht des Weiteren auf dem Standpunkt, § 264 Nr. 2, 3 ZPO regelten Konstellationen einer kraft Gesetzes zulässigen Klageänderung in Form der Antragsänderung.305 Die Begründung hierfür glaubt man den Motiven zur CPO entnehmen zu können306, wonach es in einem freigestalteten mündlichen Verfahren unbedenklich sei, dem Kläger Änderungen der Klage in weitem Umfange zu gestatten und der Entwurf deswegen solche Berichtigungen, Ergänzungen und Änderungen nicht als Änderungen der Klage ansehe, welche den Klagegrund unberührt ließen.307 Aus der Art der Formulierung lasse sich unschwer folgern, dass der Gesetzgeber nur die Einengung des Klageänderungsverbotes 302 Vgl. aber MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 29, der annimmt, dass in diesem Fall mangels späterer Veränderung § 264 Nr. 3 ZPO unanwendbar bleibe. 303 Die Tatsache, dass § 264 Nr. 3 ZPO wegen § 263 ZPO in der Praxis eine beschränkte Rolle spielt, Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 18, ändert nichts an der dogmatischen Bedeutung der Vorschrift. 304 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO, § 264 Rn. 1: Nr. 1 sei deswegen überflüssig. 305 Etwa: BGH NJW 1996, 2869 (zulässige Klageänderung auf Schadensersatz statt Herausgabe der Bürgschaftsurkunde nach Auszahlung der Bürgschaftssumme); Zöller/Greger, ZPO, § 264 Rn. 1; auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 1; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 3; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 351; Henckel, Parteilehre, S. 292. 306 Hahn, Materialien II/1, S. 259. 307 Die Formulierung der Motive legt in der Tat nahe, dass durch § 264 ZPO nicht der Be-
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vor Augen hatte. An entsprechender Stelle komme deswegen eindeutig der fiktive Charakter der Vorschrift zum Ausdruck.308 Es handle sich bei den in § 232 CPO (§ 264 Nr. 2, 3 ZPO) genannten Modifikationen somit um stets zulässige Klageänderungen. Wortlaut und amtliche Überschrift („keine Klageänderung“) sprechen aber gegen die Annahme einer gesetzlichen Fiktion (einer zulässigen Klageänderung). Denn hiernach ist es gerade als Klageänderung nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes die Klageanträge entsprechend umgestaltet werden.309 Der Wille des Gesetzgebers bindet nicht, wenn er im Gesetzeswortlaut keinen oder nur unzureichenden Ausdruck gefunden hat. Gegen die Annahme einer gesetzlichen Fiktion spricht auch, dass in den Vorarbeiten zur CPO eindeutig andere Standpunkte vertreten wurden. So scheint der preußische Gesetzgeber beim Entwurf (1871) einer Reichs-CPO insoweit nicht von einer Klageänderung ausgegangen zu sein. Denn bei der entsprechenden Begründung heißt es, dass mit dieser Vorschrift der Begriff der Klageänderung wesentlich beschränkt worden sei.310 In den Motiven der Ersten Kommission zum BGB wird im Zusammenhang mit § 240 CPO (§ 264 ZPO, § 268 ZPO a.F.) auch von einer Regelung der Klageverbesserung gesprochen.311 Zwar nahm der Entwurf einer Zivilprozessordnung von 1931 (§ 220 ZPO-E) für die in § 268 Nr. 2, 3 ZPO a.F. enthaltenen Modifikationen eine Klageänderung an.312 Jedoch ist dieser Standpunkt nicht Gesetz geworden. Die ältere Judikatur differenziert z.T. hinsichtlich § 264 Nr. 2 und 3 ZPO: Während die Antragserweiterungen und Antragsbeschränkungen nach Nr. 2 begrifflich keine Klageänderungen darstellen sollen313, wird in einer Antragsänderung im Sinne von § 264 Nr. 3 griff der Klageänderung festgelegt wird, sondern lediglich in diesen Fällen die Anwendbarkeit des § 263 ZPO ausgeschlossen wird. 308 Walther, Klageänderung, S. 30; fi ngiert werden soll aber nach überwiegender Ansicht keine Nicht-Klageänderung, sondern eine zulässige Klageänderung; MünchKomm/BeckerEberhard, ZPO, § 264 Rn. 4; ebenso Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 1. In der Sache bestehen hier kaum Unterschiede. 309 Hierzu ausführlich Walther, Klageänderung, S. 28 f.; ders., NJW 1994, 423 ff. BGH NJW 2001, 2477 nimmt für die Bestimmung der Grenzen der perpetuatio fori hinsichtlich § 264 Nr. 3 ZPO aber gerade keine Klageänderung an. 310 Entwurf einer deutschen Zivilprozessordnung nebst Begründung, Berlin, 1871; gegen die Annahme einer Klageänderung auch Walther, Klageänderung, S. 30: „Dieser Entwurf sah offensichtlich in den Fällen des heutigen § 268 ZPO nicht zulässige Klageänderungen, sondern überhaupt keine Klageänderungen vor.“ 311 Motive I, S. 365: „Diese Schranken ergeben sich aus den Vorschriften der C.P.O. über Klageverbesserung und Klagänderung (§§ 240, 241, 491).“ 312 Entwurf einer Zivilprozessordnung, veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium, Berlin (1931), S. 313: „Wenn § 268 erklärt, dass die darin aufgeführten weitgehenden Änderungen des Klageantrags nicht als Klageänderung anzusehen seien, so ist das zum Teil nur eine Fiktion. In Wirklichkeit handelt es sich überwiegend um die Frage, wann eine Klageänderung zulässig ist; es empfiehlt sich, dies klar zum Ausdruck zu bringen.“ 313 RG SeuffA 87, 371; BGH NJW 1954, 640; BGH LM § 264 ZPO Nr. 11 = NJW 1990,
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ZPO eine Klageänderung gesehen.314 Das OLG Nürnberg erachtete es umgekehrt begrifflich nicht als Klageänderung, wenn anstelle des ursprünglichen Gegenstandes wegen einer später eingetretenen Veränderung das Interesse gefordert werde.315 Auch nach einigen (z.T. älteren) Literaturstimmen 316 konkretisiert § 264 ZPO nur den Begriff der Klageänderung, indem er ihn einschränkt. Zumindest bei § 264 Nr. 1 und Nr. 3 handelt es sich m.E. um deklaratorische Regelungen, weil das Interesse identisch bleibt. Gleiches gilt für Antragsbeschränkungen nach § 264 Nr. 2 ZPO, wenngleich der geforderte Betrag aus dem Interesse reduziert wird. Lediglich die Möglichkeit der Antragserweiterung trägt fiktiven Charakter. Systematisch einleuchtend erscheint, dass § 263 ZPO und § 264 ZPO den Begriff der Klageänderung zusammenwirkend definieren.317 § 264 Nr. 3 ZPO stellt die Reaktion auf die Abkehr vom Prinzip der Geldkondemnation dar und verwirklicht zum Teil auch das Prinzip der „Einheit der Obligation“ im Prozess. Bereits im gemeinen deutschen Zivilprozess fanden sich deswegen Stimmen, welche die Forderung des Interesses vom Verbot der Klageänderung ausnehmen wollten. So war es nach Wetzell dem Kläger grundsätzlich „… nicht erlaubt, nachträglich die Anerkennung eines anderen Rechts (und nicht bloß einer anderen Art von Recht) zu fordern, oder eine andere Art der Leistung (dare statt restituere), oder ein anderes Objekt (ausgenommen das quanti ea res est, wenn er die Berufung des Verklagten auf den Untergang des eingeklagten Objekts durch die Nachweisung der Haftungspflicht zu elidieren vermag…)“.318
Denn dieses quanti ea res est sei von dem ursprünglichen Gegenstand der Klage nicht materiell, sondern nur der Form nach verschieden. 319 Wetzells Ausführungen sind auch vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass er an sich bei geringen Modifikationen des Gesuchs oder der Tatsachen eine Klageänderung annimmt.320 2683; BGH LM § 253 ZPO Nr. 39; OLG Köln VersR 51, 85; OLG München VersR 55, 217; a.A. RG Gruchot 41, 699; OLG Bamberg, BayJMBl. 52, 13. Vgl. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 54: § 264 Nr. 2 ZPO zeige mit hinreichender Deutlichkeit, „daß nicht jede Antragsänderung eine Streitgegenstandsänderung bedeuten muss.“ 314 RGZ 14, 427 f.; RGZ 14, 200 f.; weniger festgelegt aber: RGZ 88, 406; 109, 134 (136). 315 OLG Nürnberg BayJMBl. 1955, 148. 316 Schönke/Schröder/Niese, LB § 49 II 2, S. 223; Struckmann/Koch, Anm. 1 zu § 240; Seuffert/Walsmann, Anm. 3b zu § 268 ZPO; Stein/Jonas/Pohle, Anm. V zu § 268 ZPO. Offen lassend für § 264 Nr. 2 ZPO K. Blomeyer, JuS 1970, 124 Fn. 2. 317 Dafür spricht auch die Neuregelung in § 213 BGB, wenngleich es es sich ausweislich der Gesetzesbegründung um eine streitgegenstandsfremde Hemmung handeln soll. 318 Wetzell, System, § 70, S. 956. 319 Wetzell, System, § 70, S. 956 Fn. 60; zur Rechtskraft, System, § 47, S. 582. 320 Wetzell, System, § 70, S. 956; dieser bemüht die Einheit der Obligation allerdings auch im Rahmen der exceptio rei iudicatae, vgl. System, § 47, S. 582: Sei die ursprüngliche Klage auf Herausgabe eines Objekts wegen Unmöglichkeit abgewiesen worden, so könne nicht erneut auf Entschädigung geklagt werden, wenn der Kläger es versäumt habe, im Erstverfahren das
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5. Klageänderung und Änderung des Streitgegenstands Überwiegend wird angenommen, dass jede Änderung des Streitgegenstands auch zu einer Klageänderung führe und umgekehrt.321 Anstelle des bisherigen Prozessgegenstandes wird ein neuer eingeführt.322 Vereinzelt wird der Zusammenhang von Klageänderung und Änderung des Streitgegenstands jedoch in Zweifel gezogen.323 Die Beweggründe hierfür sind unterschiedlich. So hat etwa Gericke324 vertreten, dass zwar jede Änderung des Streitgegenstands eine Klageänderung nach sich ziehe, aber eben nicht jede Klageänderung zu einer Veränderung des Streitgegenstands führe. Sein Ansinnen war es dabei, die Auffassung seines Lehrers Schwab mit der Auffassung der Rechtsprechung325, nach der nicht nur die Änderung des Antrags, sondern auch des Klagegrundes eine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO zur Folge habe, zu versöhnen. Insoweit gelingt es ihm vordergründig, dem Wortlaut von § 264 ZPO, der den Wechsel des Klagegrunds für bedeutsam erklärt, gerecht zu werden.326 Folge der Änderung des Klagegrundes sei zwar die Änderung der Klage, aber nicht des Streitgegenstands. Walther 327 hat mit Recht darauf hingewiesen, dass Gericke damit für das Rechtsinstitut der Klageänderung den Streitgegenstand neu bestimme. Die Folgerung von Walther, weil die eingliedrige Streitgegenstandslehre bei Rechtshängigkeit, Rechtskraft und der Anspruchshäufung sehr gute Dienste leiste, sei es um der Einheit des Streitgegenstandsbegriffes willen angebracht, auch für die Klageänderung daran festzuhalten328, trifft aber nicht zu. Die EinVerschulden des Beklagten nachzuweisen. Hesselberger, Streitgegenstand, S. 85, rügt dieses Ergebnis im Hinblick auf die Antragsverschiedenheit. Der materielle Obligationenbegriff erweise sich hier als nachteilig. Freilich fördert der Standpunkt Wetzells die Konzentration. Mit § 308 ZPO ist er jedoch nicht in Einklang zu bringen. 321 So MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn. 1; Habscheid, Streitgegenstand, S. 259; R. Schmidt, Klageänderung, S. 159 f.; Schwab, Streitgegenstand, S. 104 f.; kritischer Lent, ZZP 65 (1952), 316. 322 Wobei die Anwendung der Vorschriften über die Klageänderung im Falle der objektiven nachträglichen Klagenhäufung allenfalls entsprechend erfolgen kann, Habscheid, Streitgegenstand, S. 259. 323 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 351 f. (auch S. 367), im Hinblick auf § 268 ZPO a.F. (§ 264 ZPO): „Das aber bedeutet, dass der Anwendungsbereich des § 264 ZPO nicht in jedem Fall dort beginnt, wo der Streitgegenstand geändert wird, bedeutet mit anderen Worten, dass mit dem Begriff des Streitgegenstands für die Klageänderungssperre kaum etwas gewonnen ist.“ Im Hinblick auf § 263 ZPO hält insbesondere A. Blomeyer, ZPR, § 40 VI 3, S. 203 f., die Abgrenzung nach Streitgegenständen für unerheblich. 324 Gericke, Der Umfang des Streitgegenstands, S. 87. 325 RG JW 1937, 3155 f.; RGZ 14, 428, 429; RGZ 118, 210; RGZ 171, 203; RGZ 148, 131; BGH WM 1961, 50; BGH NJW 1954, 640. Nur so könne der Wortlaut des § 268 ZPO a.F. sinnvoll verortet werden. 326 Gericke, Der Umfang des Streitgegenstands, S. 87. 327 Walther, Klageänderung, S. 78. 328 „Weil nun aber ein einheitlicher Streitgegenstandsbegriff gebildet werden muss, auf der anderen Seite der Gesetzgeber jedoch den einzelnen Prozessinstituten, bei denen dieser
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heitlichkeit des Streitgegenstands ist, wie bereits festgestellt329, kein unabdingbares Gut, dem alles untergeordnet werden müsste. Partielle Übereinstimmungen können sich jedoch aus den inneren Zusammenhängen einzelner Institute ergeben. Entscheidend ist zunächst der Normzweck der einzelnen Vorschrift. Gegen Gerickes Ansicht spricht aber, dass der zwingende Zusammenhang zwischen Rechtshängigkeitssperre und Klageänderungssperre330 zerrissen würde. Läge bei einer Änderung des Klagegrundes nach Gericke eine Klageänderung vor, so könnte ihr der Beklagte widersprechen, ohne dass der Kläger über die Möglichkeit verfügen würde, sein Begehren wenigstens in einem Parallelverfahren zu verfolgen. Denn sind die Anträge identisch, so müsste aufgrund der von Gericke postulierten Unbeachtlichkeit des Klagegrundes für die Streitgegenstandsbestimmung die Rechtshängigkeitssperre (§ 261 III Nr. 1 ZPO) eingreifen. Der drohende Verfahrensstillstand würde einen Verstoß gegen fundamentale Rechtsschutzprinzipien bedeuten. Auch Rimmelspacher versucht die Frage nach den objektiven Grenzen der Klageänderungssperre vom Streitgegenstandsbegriff zu sondern.331 Maßgeblich ist für ihn die Überlegung, dass das Verbot der Klageänderung heute weitgehend durch das Merkmal der Sachdienlicheit in § 263 ZPO bestimmt werde und die Abgrenzung nach verschiedenen Streitgegenständen in der Praxis weitgehend überflüssig geworden sei.332 Die Formel der Rechtsprechung, wonach Sachdienlichkeit zu bejahen sei, wenn nach objektiver Betrachtung der sachliche Streitstoff zwischen den Parteien ausgeräumt und neuer Rechtsstreit vermieden werde, bedürfe jedoch in ihrer generalklauselartigen Weite einer Konkretisierung. Die unergiebige Verknüpfung von Streitgegenstand und Klageänderungssperre gehe u.a. auf die Schriften Rosenbergs333 und Schmidts334 zurück. Da Schmidt 335 die Klage in § 235 II Nr. 3 CPO aF auf die Klageschrift in § 230 CPO aF bezogen habe, musste er zu dem Ergebnis kommen, dass eine Klageänderung eine Änderung dessen sei, „was in der Klageschrift festgelegt werde.“336 Im Übrigen habe Schmidt eine zu schmale normative Basis für die AusrichBegriff von Bedeutung ist, einen unterschiedlichen Streitgegenstandsbegriff zugrunde gelegt hat, ist es unausweichlich, mindestens gegen den Sinn eines Prozessinstitutes zu verstoßen“, Walther, Klageänderung, S. 79. 329 Oben § 17 III. 330 Vgl. Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 55 f. 331 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 347 f. Gegen die ganz h.M.: Habscheid, Streitgegegnstand, S. 259; Henckel, Parteilehre, S. 291 f.; Schwab, Streitgegenstand, S. 105 f. 332 Vgl. A. Blomeyer, ZPR, § 40 VI 3, S. 204 f.; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 348 f. 333 Rosenberg, in: FG Schmidt, S. 270. 334 R. Schmidt, Klageänderung, S. 144 f. 335 R. Schmidt, Klageänderung, S. 144 f. 336 Schmidt, Klageänderung, S. 164 f.: Klageänderung ist Änderung des Streitgegenstands; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 349 f.
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tung der Klageänderung an der Streitgegenstandsänderung gewählt. Unberücksichtigt geblieben sei § 264 ZPO. Der Kläger ändere aber den Streitgegenstand auch in den Fällen des § 264 Nr. 3 ZPO nicht.337 Rimmelspacher schließt daraus, „dass der Anwendungsbereich von § 264 ZPO [a.F., jetzt: § 263 ZPO] nicht in jedem Fall dort beginnt, wo der Streitgegenstand geändert wird…“. Mit dem Begriff des Streitgegenstands sei für die Klageänderungssperre nichts gewonnen.338 Entscheidend sei vielmehr339, ob die Verteidigung des Beklagten (nicht) erschwert würde.340 Rimmelspachers Ausführungen sind insofern bedeutsam, als er bei der Bestimmung der Grenzen der Klageänderungssperre in erster Linie auf den Normzweck der entsprechenden Vorschriften blickt und sich der Fesseln des Einheitsdenkens entledigt. Seine Schlussfolgerung aber, der Streitgegenstand sei überhaupt kein geeignetes Kriterium im Rahmen der Klageänderung341, kann nicht auf Zustimmung hoffen. Die Existenz von § 264 ZPO zwingt vielmehr umgekehrt dazu, Rückschlüsse auf den Umfang des Streitgegenstands selbst zu ziehen. Liegt nach § 264 ZPO „keine Klageänderung“ vor, dann hat auch der Streitgegenstand keine Veränderung erfahren. Der so konturierte Verfahrensgegenstand kann wiederum für die Bestimmung der Grenzen der Klageänderungssperre fruchtbar gemacht werden. Richtigerweise impliziert die Annahme einer Klageänderung eine Veränderung des Streitgegenstands und umgekehrt. Nach der hier vertretenen Konzeption kommt deswegen § 264 ZPO Bedeutung für die Definition des Streitgegenstands selbst zu. Die Vorschrift kon337
Vgl. Rosenberg, in: FG Schmidt, S. 269 f. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 351 f.; gegen ihn MünchKomm/ Becker-Eberhard, § 263 Rn. 7 mit dem Hinweis, dass es dogmatisch nicht richtig sei, zwar im Kern auf die Veränderung des Streitgegenstands abzustellen, aber dies durch den Zusatz zu modifizieren, dass die Prozesssubstanz aufrechterhalten bleibe. Entgegen Rimmels pachers vorsorglicher Verteidigung kann ihm sehr wohl entgegenhalten werden, dass er die Ausnahmebestimmung (§ 264 ZPO) dazu nutze, die Regel des § 263 ZPO zu interpretieren. Richtig ist aber, dass § 264 ZPO in seiner erklärenden Funktion weitgehend unterschätzt wird. 339 A.A. noch R. Schmidt, Klageänderung, S. 159 ff. 340 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 355: Im Vordergrund stünden die Interessen des Beklagten. Das Interesse des Beklagten, eine Entscheidung über das einmal erhobene Begehren des Klägers zu erhalten, werde aber bereits von § 269 ZPO geschützt. Bei der Bemessung der Verteidigungslast dürfe im Übrigen keine Rolle spielen, ob die bis zur Änderung gewonnenen Zwischenergebnisse des Verfahrens sich für den Beklagten nach Änderung nachteilig auswirken (so aber Grunsky, Veräußerung, S. 140). Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 354 f., erwähnt den Fall, dass der Kläger zunächst nur einen geringen Teil der Forderung einklagt und der Beklagte, der die notwendige Urkunde, welche eine Stundung auf ein Jahr nachweist, nur mit Zeitaufwand besorgen könnte, diesen geringen Betrag zugesteht. Die Frage, ob der Beklagte, nachdem der Kläger seinen Antrag nach § 264 Nr. 2 ZPO auf die volle Summe erweitert habe, an dieses Geständnis gebunden sei, müsse unerheblich bleiben, da ansonsten Voraussetzungen und Folgen der Klageänderung vermischt würden. Es genüge folglich, eine Bindung des Beklagten an das Geständnis in der Höhe des Mehrbetrages zu verneinen. 341 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 351; Gross, ZZP 75 (1962), 100 f. 338
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kretisiert, wann eine Klageänderung vorliegt und gibt damit (mittelbar) Auskunft über den Streitgegenstand. Ganz besonders gilt dies dann, wenn anstelle des ursprünglichen Gegenstandes wegen einer später eingetretenen Veränderung das Interesse gefordert wird (Nr. 3). Wenngleich die Vorschrift aus historischer Sicht nur den Ersatz des Schadens als Äquivalent für die Primärforderung im Blick hatte, wird damit der wesentliche Gesichtspunkt angesprochen. Entscheidend ist nicht so sehr der konkrete Antrag und das spezifische petitum, als vielmehr die Einheitlichkeit des Klägerinteresses.342 Auch ein starkes systematisches Argument spricht gegen die Annahme einer kraft Fiktion zulässigen Klageänderung: Auf diese Weise werden alle Fallgruppen von § 264 ZPO unter der einheitlichen Gesetzesüberschrift „Keine Klageänderung“ gleich behandelt. Für Nr. 1 ist jedoch anerkannt, dass der Streitgegenstand durch tatsächliche oder rechtliche Ergänzungen unverändert bleibt.
6. Zur Konvergenz von Rechtshängigkeit und Klageänderung a) Globalrechtshängigkeit und Prozessökonomie bei der Teilklage Als gesichert kann bisher gelten, dass die Bejahung der Rechtshängigkeitssperre einem Eingreifen der Klageänderungssperre entgegensteht und die Einführung des neuen Begehrens in das Erstverfahren somit zulässig ist. Die umgekehrte Situation ist schwieriger zu beurteilen. Soll die Rechtshängigkeitssperre bereits Platz greifen, wenn eine Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO möglich wäre, der Kläger aber ohne Not parallele Teilklagen vor verschiedenen Foren anstrebt? Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ist der Zusammenhang zwischen Klageänderung und Rechtshängigkeitssperre für die Teilklage wie folgt formuliert worden: „Über den Umfang der Rechtshängigkeit eines in der Klageschrift enthaltenen Anspruchs entscheiden die Regeln über die Zulässigkeit der Klageänderung.“343
Danach werde bei der Einklagung von Teilansprüchen der Gesamtanspruch rechtshängig, womit eine gleichzeitige Geltendmachung von Teilsummen desselben Anspruchs nicht statthaft sei. Inhaltlich wird von einzelnen Autoren unter Rechtshängigkeit der Prozesszwang verstanden, welchem beide Parteien durch die Erhebung der Klage mit Bezug auf einen bestimmten Anspruch unterworfen sind.344 Gegenüber dem Beklagten äußere sich dieser Prozesszwang in der Entscheidungsgewalt des Gerichts, gegenüber dem Kläger in der Unzu342 Bei § 264 Nr. 2 ZPO wird m.E. nur eine betragsmäßige Modifikation innerhalb eines Gesamtinteresses bei einheitlichem Forderungsgrund vorgenommen. 343 Linckelmann, ZZP 17 (1892), 447 f.; Zitelmann, ZZP 8 (1885), 275. 344 Linckelmann, ZZP 17 (1892), 447 f.; Zitelmann, ZZP 8 (1885), 275.
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lässigkeit der Klageänderung. Der Rechtshängigkeitseinwand werde nur aus Zweckmäßigkeits- und Billigkeitsgründen an diesen Zustand geknüpft. Jeder Anspruch werde insoweit rechtshängig, als die Parteien dem Prozesszwang unterworfen seien, insoweit also einerseits sich die Fortdauer des Gerichtsstandes und andererseits die Befugnis zur Erweiterung der Klage erstrecke. Diese Grenzen seien festgelegt durch § 264 ZPO [§ 240 CPO aF]: In demjenigen Umfange, in welchem nach § 240 CPO aF die Klage gegen den Willen des Beklagten ergänzt, erweitert und verändert werden dürfe, trete die Rechtshängigkeit des Anspruchs ein. Entscheidend sei nicht dasjenige, was in dem wirklichen Klageantrage der richterlichen Entscheidung unterbreitet werde, sondern dasjenige, was auf Grund des § 240 CPO aF der richterlichen Entscheidung unterbreitet werden könne. Dieser Satz sei nichts weiter als der positive Ausdruck des negativ gefassten § 240 CPO aF.345 Diese Rechtshängigkeit des Restanspruches sei auflösend bedingt hinsichtlich der Nichtausübung der Befugnisse zur Klageerweiterung.346 A. Blomeyer ist mit abweichendem theoretischen Ansatz für die Teilklage zum selben Ergebnis gelangt. Von einer Rechtshängigkeit des Gesamtanspruches ist bei ihm nicht die Rede: Seiner Ansicht nach zwingen allein prozessökonomische Gründe zu einer Erweiterung der Rechtshängigkeitssperre über den Streitgegenstand hinaus.347 Folge sei, dass die Rechtshängigkeitssperre (§ 261 III Nr. 1 ZPO) jede neue Klage verbiete, deren Gegenstand zulässigerweise nach § 264 Nr. 2 ZPO in das bereits anhängige Erstverfahren eingeführt werden könne.348 Die innere Verwandtschaft der Ansprüche wirke sich somit nicht nur zugunsten, sondern auch zulasten des Klägers aus. Demnach wäre dem Kläger, der bereits auf Feststellung seines Anspruchs geklagt hat, auch eine selbständige Leistungsklage verboten.349 Derselbe Zusammenhang bestehe nach Blomeyer auch zwischen § 264 Nr. 3 ZPO und § 261 III Nr. 1 ZPO, was dem hier vertretenen Standpunkt zumindest nahe kommt. In systematischer Hinsicht will Blomeyer freilich den Umfang der Rechtshängigkeitssperre nicht aus einem entsprechend 345
Linckelmann, ZZP 17 (1892), 450. Auch Zitelmann, ZZP 8 (1885), 275; ebenso Zeuner, in: FS Henckel, S. 944; ders. JR 2003, 2465, für die Hemmung der Verjährung. Diese trete ein, wenn die Ausübung der Befugnisse unmöglich geworden sei, also mit rechtskräftiger Entscheidung über die Teilforderung. Der Restanspruch wird aber durch die Rechtskraft nicht berührt, weder bei Verurteilung noch bei Abweisung der Teilklage. 347 A. Blomeyer, ZPR, § 49 III 1, S. 275 f. 348 Das Verbot der Klageänderung und der mehrfachen Prozessführung heben einander auf. 349 A. Blomeyer, ZPR, § 49 III 2, S. 275 f.; G. Lüke, JuS 1969, 301; Gruber, ZZP 119 (2004), 142 ff.; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 64, begründet dies unter Hinweis auf die Teilidentität der Streitgegenstände; anders ders. Rn. 61 für die quantitative Aufspaltung derselben Forderung in Teilbeträge, die jeweils vor verschiedenen Foren eingeklagt werden könnten. 346
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gefassten Streitgegenstandsbegriff herleiten.350 Dies kann methodologisch nicht überzeugen. Denn ohne Not wird der Umfang der Rechtshängigkeitssperre vom Streitgegenstandsbegriff gelöst und allein an prozessökonomischen Aspekten ausgerichtet.351 Richtig ist indes der gedankliche Ausgangspunkt A. Blomeyers, die Grenzen von Klageänderungs- und Rechtshängigkeitssperre miteinander zu verschleifen.352 Einem Vortrag des Klägers, der an § 263 ZPO zu scheitern droht, kann nicht die Rechtshängigkeitssperre in einem neuen Verfahren entgegenstehen. So ist die gedankliche Verbindung beider Institute zwar richtig, die aus § 264 ZPO folgende Konzentrationslast sollte jedoch mit einem entsprechenden Streitgegenstandsbegriff gekürt werden. Der Begriff des Interesses, den § 264 Nr. 3 ZPO – historisch bedingt353 – zu eng im Sinne von „Schaden“ versteht, eignet sich hierzu. Eine Klarstellung erscheint jedoch erforderlich: Entgegen Blomeyer genügt es aus Rechtssicherheitsgründen nicht, dass bei hypothetischer Betrachtungsweise die Sachdienlichkeit der Klageänderung nach § 263 ZPO bejaht werden könnte, um bereits den Rechtshängigkeitseinwand zu begründen. Rimmelspacher glaubt hingegen, Blomeyer habe weniger die Rechtshängigkeit als vielmehr die Frage der Zuständigkeit gemeint.354 Auch nach Blomeyer sei der Kläger ja nicht gehindert, wie es die Folge der Rechtshängigkeit sein müsste, den noch nicht eingeklagten Teil zum Gegenstand einer Klage zu machen; untersagt soll ihm nur sein, die Restklage bei einem zweiten Gericht zu erheben. Die Teilklage begründe somit die ausschließliche Zuständigkeit des zuerst angegangenen Gerichts für die Restforderung; werde sie anderweits geltend gemacht, so sei die Klage wegen Unzuständigkeit des Gerichts abzuweisen.355 Dieser Standpunkt sei zwar respektabel, habe jedoch mit der Rechtshängigkeitssperre nichts zu tun.356 350 J. Blomeyer, Jus 1970, 123 f., 229, will demjenigen, der die Möglichkeiten der Erweiterung nach § 264 Nr. 2, 3 ZPO im Erstverfahren nicht nutzt, den Rechtsmissbrauchseinwand entgegensetzen. Ähnlich Habscheid, Streitgegenstand, S. 275 und Lindacher, ZZP 76 (1963), 458 f. 351 So bereits Kraemer, ZZP 64 (1951), 91. Gegen die Abkoppelung der Rechtshängigkeitssperre vom Streitgegenstand im Europäischen Kontext Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 54; anders: Leipold, Konzentration, S. 21. 352 Allgemein zum Zusammenhang von Rechtshängigkeits- und Klageänderungssperre aus der Sicht der relativen Streitgegenstandslehre Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 46. 353 Vgl. auch E. Schumann, in: FS Canaris I, S. 1384, im Hinblick auf die „Historizität der Rechtsbegriffe“. Im Übrigen gilt es, Interesse und Schaden zu unterscheiden. Beide haben unterschiedliche Voraussetzungen, Knütel, AcP 202 (2002), 555; Sutschet, NJW 2005, 1404 f.; Leipold spricht immerhin von einer interessensbetonten Lösung, die ganz neue Wege gehen müsse, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455. 354 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 322. 355 Rimmels pacher, Amtsprüfung, S. 76 Fn. 117. 356 Hingegen vereinigt Art. 27 I EuGVVO Elemente einer ausschließlichen Zuständigkeit mit der Rechtshängigkeitssperre; zur Verknüpfung der Rechtshängigkeitssperre mit dem Gedanken der Zuständigkeitsprävention, Hahn, Materialien II/1, S. 259 f.
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M.E. kann die Rechtshängigkeitssperre bei Teilklagen durchaus in einem solch konzentrationsfördernden Sinne verstanden werden. 357 Prozessökonomische Aspekte sind dem Grundsatz, Parallelverfahren nach Möglichkeit zu vermeiden, immanent.358 Insoweit hat § 264 Nr. 2 iVm § 261 III Nr. 1 ZPO die Bedeutung, zu verhindern, dass dieselbe Streitsache in parallele Interessensegmente aufgespalten wird. Die Vorstellung einer ausschließlichen Zuständigkeit des zuerst angegangenen Gerichts für die Restforderung hätte lediglich den Vorteil, dass eine parallele Teilklage bei einem anderen Forum nicht als unzulässig abgewiesen wird, sondern in der Rechtsfolge milder nach § 281 ZPO entsprechend verwiesen wird.359 § 261 III Nr. 1 ZPO verbietet im Übrigen lediglich die anderweitige Geltendmachung derselben Streitsache. Gegen eine Verschmelzung von ausschließlicher Zuständigkeit und Rechtshängigkeitssperre im Falle von § 264 Nr. 2 ZPO ist demnach nichts einzuwenden.360 Die Pflicht zur Klageerweiterung erscheint indes zweifelhaft in den Fällen der perpetuatio fori. Daraus resultiert etwa die Frage, ob der Kläger seine Antragsänderung auch dann am Erstforum anbringen muss, wenn der Beklagte inzwischen seinen Wohnsitz in einen anderen Gerichtssprengel verlagert hat. Gewinnen die §§ 12, 13 ZPO Vorrang vor der Zuständigkeit des bereits befassten Gerichts? M.E. sollte hier auch der Restbetrag zwingend beim Erstgericht geltend gemacht werden361, wenngleich ein Parallelverfahren am Wohnsitzgericht des Beklagten keine allzu große Beeinträchtigung beinhalten dürfte, sofern man die unerwünschte Verfahrensverdoppelung außer Betracht lässt. Aufschlussreich
357
Anders die h.L.: BGH WM 1971, 83; RG JW 1901, 34; RG 1901, 651; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 25; anders ders. für nicht individualisierte Teilklagen, wenn nicht erkennbar ist, dass ein Mehrbetrag gefordert wird; ebenso RGZ 47, 405 f. Zur Verfahrenskonzentration bei Teilklagen vgl. auch § 26 I 2. 358 Das Rechtsschutzbedürfnis sollte indes mit Zurückhaltung gehandhabt werden, wenn es sinnvoll auch in der einzelnen besonderen Prozessvoraussetzung (§ 261 III Nr.1 ZPO) Verankerung finden kann, E. Schumann, in: FS Fasching, S. 439; Brehm, in: FG BGH III, S. 89 ff., 100; Böhm, JBl 1974, 1 ff.; allgemein Allorio, ZZP 67 (1954), 322 ff. 359 Ähnliches wird im Falle von negativer Feststellungsklage und Leistungswiderklage vertreten, vgl. Zeuner, in: FS Lüke, S. 1003. 360 Nach Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 322, wäre der Kläger aber nicht gehindert, „bei demselben Gericht eine von der ersten unabhängige Klage einzureichen, statt die Teilklagen zu erweitern.“ Das Gericht könnte darauf mit einer Verbindung nach § 147 ZPO reagieren. Die Vorschrift sei im Hinblick auf ihre Elastizität gegenüber dem Zwang zur Klageerweiterung vorzuziehen. Ein anderer Vorteil bestünde darin, dass nach Verbindung das Amtsgericht trotz Zusammenrechnung der Streitwerte sachlich zuständig bleibe und anders als bei einer Klageerweiterung keine Verweisung an das noch nicht mit der Sache befasste Landgericht nötig wäre (§ 506 ZPO), was seiner Ansicht nach kaum der Prozessökonomie entsprechen dürfte. 361 So Linckelmann, ZZP 17 (1892), 450. Dies lasse sich seiner Ansicht nach aber nur begründen, wenn sofort die Rechtshängigkeit des Gesamtanspruches angenommen werde.
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in diesem Kontext ist indes ein Fingerzeig des BGH.362 Nach seiner Ansicht363 setzt die Anwendbarkeit von § 261 III Nr. 2 ZPO voraus, dass der Streitgegenstand identisch bleibt.364 Die Zuständigkeit sei erst bei einer Klageänderung neu zu prüfen.365 Als Änderung der Klage sei es, so der BGH, nicht anzusehen366 , wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes wegen einer nachträglich eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand oder das Interesse gefordert werde (§ 264 Nr. 3 ZPO). Die Vorschrift erfasse insbesondere Fälle, in denen statt des ursprünglichen Gegenstands auf Grund eines Ereignisses nach Rechtshängigkeit das Surrogat gefordert werde.367 § 261 III Nr. 2 ZPO sei im Übrigen auch im Fall von § 264 Nr. 2 ZPO anwendbar. Der vom BGH richtig beurteilte Zusammenhang zwischen § 261 III Nr. 2 ZPO und § 264 Nr. 2, 3 ZPO verdeutlicht wiederum die systematischen Beziehungen zwischen Streitgegenstand und § 264 ZPO und stützt die hier vorgestellte These.
b) Folgerungen § 264 ZPO erlangt besondere Bedeutung für die Konturierung des Streitgegenstandes selbst, der in Zusammenschau einzelner Vorschriften zu entwickeln ist. §§ 261 ZPO, 260 ZPO, 263 ZPO und 264 ZPO einerseits und §§ 308 ZPO, 322 ZPO andererseits stehen hierbei in enger systematischer und teleologischer Verbindung. § 264 ZPO spricht dafür, die Bedeutung des Antrags für das laufende Verfahren zu relativieren.368 Auch nach Ansicht von Prütting 369 sei eine Erweiterung möglich, wenn anders als bisher die verschiedenen Rechtsschutzformen nicht mehr als entscheidend angesehen würden und die Wertung von § 264 ZPO in die Streitgegenstandsdogmatik mit aufgenommen werde.
362 363 364
BGH NJW 2001, 2477. Vgl. auch MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 82. BGH NJW 2001, 2477: Die Vorschrift gelte auch im Falle ausschließlicher Zuständig-
keit. 365 „Stellt der Kläger einen neuen Streitgegenstand zur Prüfung, ist das angerufene Gericht befugt, seine Zuständigkeit für dieses Begehren zu prüfen“, BGH NJW 2001, 2477. Siehe insoweit Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 83; Musielak/Foerste, ZPO, § 261 Rn. 14. 366 Hier ist keine Rede von einer lediglich gesetzlich zulässigen Klageänderung. 367 Darum gehe es auch, wenn infolge der Zwangsversteigerung der Anspruch auf Rückabtretung der Grundschuld erloschen und an dessen Stelle der Anspruch auf den Erlös getreten sei, vgl. auch RGZ 52, 82. Ebenso wie bei Änderung des Zahlungsantrags in einen solchen auf Feststellung zur Tabelle (§ 180 II InsO) handele es sich um einen Fall des § 264 Nr. 3 ZPO. 368 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 54: § 264 Nr. 2 ZPO zeige mit hinreichender Deutlichkeit, „daß nicht jede Antragsänderung eine Streitgegenstandsänderung bedeuten muss.“ 369 Prütting, in: FS Beys I, S. 1282: Seiner Ansicht nach würden damit ähnliche Ergebnisse erzielt wie nach der EuGH-Rechtsprechung.
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§ 264 ZPO trägt keinen Fiktionscharakter, sondern konkretisiert im Zusammenhang mit §§ 261, 263 ZPO den Streitgegenstandsbegriff selbst. Dogmatisch flankiert wird § 264 ZPO auf materieller Ebene durch die funktionsähnliche Vorschrift des § 213 BGB.370 Beide Normen zusammen fördern die Konzentration des Verfahrens.371 Der Justizgewährungsanspruch372 berechtigt den Rechtsuchenden zweifellos nicht, sein Begehren auf zwei Verfahren aufzuspalten. Vielmehr verpflichtet umgekehrt der Grundsatz der Prozessökonomie373, von der durch § 264 Nr. 2, 3 ZPO gewährten Möglichkeit einheitlicher Streitbereinigung Gebrauch zu machen. Die erreichte Verfahrenskonzentration selbst ist hierbei Konsequenz eines neu gewonnenen Verfahrensgegenstands und nicht Folge des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses.374 Die in § 264 Nr. 3 ZPO vorausgesetzte nachträgliche Veränderung stellt dabei kein Hindernis dar375, ebenso wie der Wortlaut der Vorschrift allgemein nicht zu streng interpretiert werden sollte. Entscheidend gilt es vielmehr, deren Grundaussage hervorzukehren: Maßgeblich ist das hinter dem Klageantrag stehende materielle Interesse und nicht der konkrete Anspruchsinhalt.376 Die Beschränkung auf ein feststehendes petitum bzw. eine feste Rechtsschutzform ist für die Aufgaben des Verfahrensgegenstandes hinderlich. § 264 Nr. 3 ZPO beinhaltet ebenso wenig wie Reduzierungen nach § 264 Nr. 2 ZPO eine Änderung des Streitgegenstands. Die Erhöhung des Antrags könnte zwar bei isolierter Betrachtung zu einer Veränderung des prozessualen Gegenstandes führen, jedoch zwingt § 264 Nr. 2 ZPO zur Konzentration, soweit lediglich Teile desselben Gesamtsanspruchs betroffen sind.
370
Dazu unten § 23 II. Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 60. 372 Allgemein MünchKomm/Rauscher, ZPO, Einl. Rn. 16. 373 P. Gottwald, in: FS Fasching, 1988, S. 181; zur Verfahrensökonomie, E. Schmidt, Zweck, S. 9; v. Mettenheim, Der Grundsatz der Prozessökonomie, S. 25 f.; Schumann, Die Prozessökonomie, in: FS Larenz (1973), S. 271. 374 So aber J. Blomeyer, JuS 1970, 123 f.; kritisch zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis als Allzweckwaffe E. Schumann, in: FS Fasching, S. 439; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 140 f. 375 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 358. 376 Vgl. von Kühne auf dem 13. DJT zu § 232 CPO-Entwurf (heute: § 264 ZPO), Verhandlungen (1876), Bd. 1, S. 243: „Wer etwas anderes fordert, etwas dem Objekte des schriftlichen Klageantrages Heterogenes, der ändert nicht bloß die Klage in der Begründung des Anspruchs, sondern er ändert letzteren selbst. Eine solche Änderung ist die Anstellung eines neuen Prozesses, welcher zu der schriftlichen Klage in keiner Beziehung steht. Durch die Bezeichnung des Objekts der Klage wird jedoch der verfolgte Anspruch genügend individualisiert. Wenn nicht etwas völlig Heterogenes gefordert wird, so steht auch einer Änderung des Petitums nichts entgegen.“ Im Ergebnis bleibt diese Aussage ob ihrer Mehrdeutigkeit aber zweifelhaft. 371
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7. Änderung des Klagegrundes Bereits § 232 Nr. 2, 3 des Regierungsentwurfs der CPO schränkte das Klageänderungsverbot hinsichtlich gewisser Änderungen des Klagebegehrens ein, bei denen der Klagegrund nicht berührt werde.377 Während der Beratungen wurde dies als bedenklich erachtet, weil der Begriff des Klagegrundes höchst umstritten und unklar sei.378 Dennoch ist die Hoffnung gehegt worden, die Ausgestaltung dieses Begriffes getrost der Rechtswissenschaft überlassen zu können.379 Zumindest sei das Erfordernis des gleichbleibenden Klagegrundes praktisch leichter zu handhaben als der Vorschlag, die Zulassung der Klageänderung allein an die Erschwerung der Verteidigung für den Beklagten zu koppeln.380 Zwar sprächen für diese Lösung381 gewichtige theoretische Gründe, jedoch sei der Vorschlag unpraktikabel, weil das Gericht nur in seltenen Fällen beurteilen werde können, ob die Änderung des Klagegrundes eine Änderung der Rechtsverteidigung verlange.382 Wie erwähnt, hatte von Kühne auf dem 13. Deutschen Juristentag im Jahre 1876 den vielversprechenden Vorschlag unterbreitet, im Interesse der Streitkonzentration383 die Vorschriften, welche den Begriff des Klagegrundes zum Ausgangspunkt einer Beschränkung nehmen, zu streichen. Dieser wurde sogar angenommen.384 Bereits auf dem 12. Deutschen Juristentag hatte von Kühne seine allgemeinen Bedenken gegen den Begriff des Klagegrundes385 formuliert.386 Im Ergebnis bleibe es dem Ermessen 377 Hahn, Materialien II/1, S. 259; von Kühne, in: Verhandlungen des 13. DJT, S. 235; RGZ 26, 385 (387). 378 Grimm, in: Hahn, Materialien II/1, S. 1002, Herrmann, Grundstruktur, S. 92 f. 379 v. Amsberg, in: Hahn, Materialien II/1, S. 1002. 380 Zu dieser Modifikation kam es tatsächlich durch die Novelle 1898. Entscheidend war in 1. Instanz, dass die Rechtsverteidigung des Beklagten nicht unnötig erschwert wurde, MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn. 5. 381 Vgl. Hahn, Materialien II/1, S. 259, mit ausdücklicher Bezugnahme auf den preußischen Entwurf. 382 Hahn, Materialien II/1, S. 259; RGZ 26, 385 (388). 383 von Kühne, Verhandlungen des 13. DJT, Bd. 1, S. 243. Vgl. oben § 23 I 1. 384 von Kühne, Verhandlungen des 13. DJT, Bd. 2, S. 346. 385 Die in den Motiven zur CPO gegebene Defi nition bezeichnet den Klagegrund als „diejenigen Thatsachen, welche nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts an sich geeignet sind, den erhobenen Anspruch als in der Person des Klägers entstanden und zugleich als durch den Beklagten verletzt erscheinen zu lassen“, Hahn, Materialien II/1, S. 255; in diesem Sinne bereits Wetzell, System, § 15, S. 144; hingegen hat Bötticher AP Nr. 1 zu § 268 ZPO einmal den Klagegrund als „Rechtsverhältnis“ bezeichnet, allerdings in einem wohl untechnischen Sinne, Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 365. 386 von Kühne, in: Verhandlungen des 12. DJT, Stenographische Berichte 1. Band (1874), S. 275 f. Sein Vorschlag lautete damals: „Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn unter Festhaltung des geltend gemachten Anspruchs (Identität des Objekts) … die neuen thatsächlichen oder rechtlichen Anführungen des Klägers den Beklagten nicht zu einer neuen Rechtsvertheidigung nöthigen.“
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des Richters überlassen, wie er die Grenzen des Klagegrundes ziehen wolle.387 Als ein Relikt der Eventualmaxime passe es nicht in eine Prozessordnung, deren Schwerpunkt in der mündlichen Verhandlung liege, und bei der Angriffsund Verteidigungsmittel bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung geltend gemacht werden können.388 Mit der Änderung des Klagegrundes werde nicht automatisch das Fundament des Prozesses ein anderes.389 Eine neue Klage läge nach Ansicht Kühnes erst vor, wenn das Ziel des Anspruchs über die gestatteten Grenzen hinaus verändert werde. Im Rahmen der Beratung einer allgemeinen Civilprocessordnung für die deutschen Bundesstaaten war der Vorschlag diskutiert worden390, die Klageänderung am Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache auszurichten und damit eine Verbindung zum gemeinsamen Merkmal des Klagegrundes herzustellen.391 Von einem Abgeordneten war dabei auf die sehr theoretische Einfärbung der Passage hingewiesen392 worden, die zudem eine verengte Auslegung zur Folge habe. Im Ergebnis wird damit eine Gleichung mit mehreren Unbekannten geschaffen.393 Vorgeschlagen wurde deswegen eine positive Formulierung: „Eine Klageänderung liegt vor, wenn a) der thatsächliche Grund der Klage oder b) der Gegenstand derselben oder c) die Partei oder d) das Gesuch in der Hauptsache … abgeändert, oder e) zum früheren thatsächlichen Grunde der Klage ein neuer hinzugefügt, oder f) eine andere Processart beantragt wird.“
Bei der Begründung wurde darauf hingewiesen, dass nicht jede Tatsachenveränderung zu einer Klageänderung führe, sondern nur eine Veränderung des tatsächlichen Klagefundaments. Bekanntlich ist eine solche Definition der Klageänderung niemals Gesetz geworden. Der Grund hierfür wird aus den Äußerungen eines Abgeordneten deutlich: „Der Richter habe nach civilrechtlichen Grundsätzen zu beurtheilen, ob eine Klageänderung vorliege, weitere Anhaltspunkte dafür habe er nicht nöthig.“394
387
von Kühne, Verhandlungen des 12. DJT, S. 276; ders. 13. DJT, S. 240. von Kühne, Verhandlungen des 13. DJT, S. 243. 389 von Kühne, Verhandlungen des 13. DJT, S. 253. „Vom Standpunkte der Theorie von der Klage-Consumtion aus muss zugegeben werden, dass der Anspruch durch die Änderung seiner Begründung ein anderer ist; aber es ist nicht zuzugeben, dass er deshalb in seiner Richtung, in seinem Ziele ein anderer ist, und nur darauf darf es bei einem frei gestalteten mündlichen Verfahren ankommen. In einem solchen bleibt bei festgehaltener Identität des Objekts der Anspruch und der Proceß derselbe, mag die thatsächliche und rechtliche Begründung auch in der mündlichen Verhandlung sich anders gestalten als in der Klageschrift.“ 390 Entwurfsvorschlag § 235 II, in: Schubert, Protocolle der Commission, Band 5, S. 1565. 391 Zu dieser Fragestellung bereits § 18 III. 392 Protocolle der Commission, aaO., S. 1569. 393 Protocolle der Commission, aaO., S. 1570. 394 Protocolle der Commission, aaO., S. 1570. 388
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Ganz richtig wird hier der notwendige Bezug des Klageänderungsverbots zum materiellen Recht hervorgehoben. Das Merkmal des Klagegrundes war stets mit Bedenken versehen. Dementsprechend erscheint es konsequent, wenn die eingliedrige Streitgegenstandslehre395 primär das Anspruchsziel in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung rückt und damit den praktischen Schwierigkeiten, die mit der Bestimmung des Klagegrundes verbunden sind, entgeht. Allerdings streitet gegen diese Vereinfachung der eindeutige Wortlaut von § 264 ZPO, der dem gleichbleibenden Klagegrund Bedeutung zollt. Aus § 264 ZPO könnten sich deswegen Rückschlüsse für die Frage ergeben, ob der Klagegrund allgemein Bestimmungsmerkmal des Streitgegenstands sein soll.396 Der Klagegrund ist hiernach der Tatsachenkomplex, der zur Begründung des begehrten Urteils vorgetragen wird und nicht durch neue tatsächliche Behauptungen so wesentlich abgeändert werden darf, dass der Tatbestand, aus dem das Urteilsbegehren abgeleitet wird, zu einem anderen wird.397 Diese Definition beinhaltet ein erhebliches Unsicherheitsmoment.398 Im Übrigen sind die Unterschiede meist marginal, wenn der Kläger bei gleichbleibendem Antrag die Tatsachen verändert. Denn üblicherweise wird von der h.M. der Lebenssachverhalt weit ausgelegt399, so dass dieses Erfordernis nicht immer eine echte Grenze markiert. Man wird deswegen den Wortlaut des Gesetzes (§ 264 ZPO) mit Recht nicht dahingehend für zwingend halten, allgemein die Befugnis zur Klageänderung durch das Erfordernis des gleichbleibenden Klagegrundes einzuschränken.400 Das Argument, dass dieses Merkmal in der Praxis weitgehend aufgelöst sei401, ist hierfür allerdings weniger aussagekräftig. Denn einer praktischen Fehlentwicklung könnte wiederum durch eine präzise Fassung der gesetzlichen Voraussetzungen entgegen gewirkt werden. Auch bei einem weiten Verständnis könnte somit der Klagegrund für die Bestimmung des Streitgegenstands maßgeblich sein. Zugleich erscheint die Annahme402, dass der gleichbleibende Klagegrund zumindest die Grenze des Anwendungsbereichs von § 264 ZPO bilde, als Zugeständnis an den Wortlaut nicht erforderlich.403 395
Zusammenfassend Walther, Klageänderung, S. 78. So BGH ZZP 95 (1982), 65. 397 So BGH NJW 1996, 2869; BGH NJW-RR 2006, 353. 398 A. Blomeyer, ZPR, § 89 III 2b; Lent, ZZP 63 (1943), 17; ders., ZZP 65 (1952), 350; Stein/ Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 1. 399 RGZ 71, 360; 88, 55; 113, 365; RG JW 1911, 943; deutlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 1. 400 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 1. 401 So noch Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 264 Rn. 31 unter Hinweis auf RGZ 71, 360; 88, 55; 113, 365; RG JW 1911, 943. 402 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 1: Verändere sich auch der Klagegrund, sei der Anwendungsbereich der Vorschrift verschlossen. 403 RGZ 118, 210 nimmt hier automatisch eine Änderung der Klage an. 396
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Auch in diesem überschaubaren Bereich beinhaltet das Tatsachenelement ein Moment der Unsicherheit. § 264 Nr. 2 und 3 ZPO verlangen nach der hier vertretenen Deutung die Identität des Klagegrundes, weil bei einer Antragsmodifikation mit der Veränderung des Klagegrundes (im Sinne des wesentlichen Tatsachenstoffes) auch das Klägerinteresse regelmäßig eine Veränderung erfährt. Die Rolle des Klagegrundes im Rahmen von § 264 ZPO ließe sich demgemäß uminterpretieren: § 264 ZPO würde insoweit nur als Auslegungsregel fungieren. Allein maßgeblich wäre damit, ob sich mit der Veränderung des Klagegrundes auch das beanspruchte Interesse ändert.404 Dies ist der Fall, wenn der neue Sachverhalt den Erfüllungszusammenhang zwischen den jeweiligen Begehren unterbricht.405 Bleibt hingegen das Interesse des Klägers gewahrt, vermag die Veränderung des Tatsachenmaterials die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten nicht entscheidend zu beeinträchtigen.406 Dies gilt sowohl für § 264 Nr. 3 als auch Nr. 2 ZPO. Diese Deutung des Klagegrundes deckt sich im Übrigen mit der Interpretation der Wendung „aus demselben Grund“ in § 213 BGB durch den Gesetzgeber.407
8. Exkurs: Das Verhältnis von Klageänderung und Klagerücknahme mit Blick auf § 264 ZPO Aus dem hier dargelegten Streitgegenstandsverständnis ergibt sich auch eine Aussage hinsichtlich der strittigen Frage, ob die von § 264 Nr. 2, 3 ZPO erfassten Konstellationen eine kumulative Anwendung von § 269 ZPO erfordern. Alle Versuche, beide Normen in ihrem Geltungsanspruch miteinander zu versöhnen, stießen bisher auf Schwierigkeiten. So wird neben der strengen408 und 404 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 368, der § 263 ZPO erst anwendet, „wenn entweder eine neue Rechtsposition zur Entscheidung gestellt wird, die nicht ein weiteres Quantum der schon umstrittenen Rechtsposition bildet oder aus ihr erwachsen ist, oder wenn ein neuer Rechtsbehelf für die nach wie vor umstrittene Rechtsposition auf einen völlig neuen Sachverhalt gestützt wird.“ Der Sachverhalt hat richtigerweise stets außer Betracht zu bleiben. 405 Maßgeblich ist alleine, ob aus dem neuen Tatsachenkomplex eine neue Position resultiert, die aufgrund der materiellrechtlichen Wertung neben der anderen verlangt werden könnte. 406 Im Ergebnis ebenso Schwab, Streitgegenstand, S. 105 f. A.A. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 365 f., der allerdings nicht bei jeder Klageänderung auch automatisch eine Änderung des Streitgegenstands annimmt. 407 Vgl. sogleich § 23 II 4 b. Von daher beinhaltete § 232 Nr. 2 des preußischen Entwurfs von 1864, wonach die gleichzeitige Änderung von Klagegrund und Klageantrag zu keiner Klageänderung führe, wenn die Rechtsverteidigung des Beklagten nicht leide, bereits eine richtige Erkenntnis. Die Rechtsverteidigung des Beklagten leidet m.E. aber nicht, wenn das Interesse des Klägers gewahrt bleibt. 408 Grunsky, Grundlagen, § 13 III; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 17; E. Schumann, ZPO-Klausur, Rn. 251.
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modifizierten Kombinationslehre z.T. auch der Vorrang der Klageänderungsvorschriften befürwortet. Mehrheitlich wird aber zumindest in der Klageermäßigung nach § 264 Nr. 2 ZPO auch eine teilweise Klagerücknahme erkannt, weil ansonsten die schutzwürdigen Interessen des Beklagten nicht hinreichend gewahrt wären.409 Das Risiko eines zu weit gefassten Klageantrags solle der Angreifer tragen. Denkbar wäre im Übrigen für § 264 Nr. 2 ZPO auch eine Differenzierung: So befürwortet u.a. Nikisch nur für quantitative Beschränkungen die Anwendung von § 269 ZPO410, während er dies für qualitative Beschränkungen ablehnt. Ersuche der Kläger das Gericht somit um eine andere Form des Rechtsschutzes, könne der Beklagte dem nicht nach § 269 ZPO widersprechen. Denn der Streitgegenstand erfahre keine Veränderung, wenn der Kläger von der Leistungsklage zur Feststellungsklage wechsle.411 Richtigerweise ist für eine kumulative Anwendung von § 269 ZPO dann kein Bedarf, wenn der „zurückgenommene“ Antrag durch den neuen ersetzt wird, § 264 Nr. 3 ZPO, und das Interesse gewahrt bleibt.412 Da der Streitgegenstand nicht verändert wird, liegt auch keine Klageänderung vor.413 Henckel 414 hat im Übrigen treffend auf den Zusammenhang mit der richterlichen Instruktionstätigkeit rekurriert, 139 ZPO: Da die Vorschrift dem Richter auch gebietet, auf eine Umstellung des Antrags nach § 264 Nr. 3 ZPO hinzuweisen, wäre es widersprüchlich, wenn der Beklagte den Erfolg des Hinweises wieder dadurch vernichten könnte, dass er seine Zustimmung verweigert.415 § 269 ZPO bleibt m.E. auch im Falle qualitativer Beschränkungen nach § 264 Nr. 2 ZPO unanwendbar, da hier eine Trennbarkeit der Begehren oft nicht gewährleistet ist. Die Einwilligung des Beklagten ist somit nicht erforderlich, wenn der Kläger anstelle der Leistung nun Duldung der Zwangsvollstreckung verlangt416 oder von der Leistungs- zur Feststellungsklage bei gleichbleibender Anspruchsberechtigung wechselt. Für quantitative Antragsermäßigungen erscheint 409
Henckel, in: FS Bötticher, S. 182; Überblick bei Groß, JR 1996, 357 ff. Nikisch, LB § 48 2a; ebenso MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 23. 411 Nikisch, LB § 48 2a. 412 Im Ergebnis ebenso Henckel, in: FS Bötticher, S. 182: „Wird aber festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 268 Nr. 3 ZPO [a.F.] vorliegen, so muss der Beklagte sich auf den neuen Antrag einlassen, ohne dass er ein Recht auf Abweisung des alten oder auf ein Erledigungsurteil hätte. Letzteres ist nur im Interesse des Klägers vorgesehen, damit dieser der Klageabweisung entgehen kann, wenn die Hauptsache erledigt ist, der Beklagte dies aber bestreitet. Das Interesse des Klägers ist im Falle des § 268 Nr. 3 ZPO bereits dadurch hinreichend gewahrt, dass über den neuen Antrag verhandelt und entschieden wird und der alte nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits ist.“ 413 A.A.: Walther, Klageänderung, S. 28 f., S. 31, der darauf hinweist, dass selbst bei Ablehnung des Klageänderungscharakters von § 264 ZPO sich immerhin noch zwei Gesetzesbestimmungen überschneiden würden. 414 Henckel, in: FS Bötticher, S. 182. 415 Vgl. allgemein zu § 139 ZPO Henckel, Prozessrecht, S. 138 f. 416 Vgl. die Konstellation in BGH FamRZ 1998, 905. 410
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die kumulative Anwendung von § 269 I ZPO indes aus Gründen des Beklagtenschutzes gerechtfertigt, weil der Kläger ansonsten sein Begehren faktisch „auf Null“ reduzieren könnte, ohne dass der Beklagte dem widersprechen dürfte.
9. Die Verfolgung des Klägerinteresses in zweiter Instanz a) Zulässigkeit der Berufung Dem hier aufgezeigten Streitgegenstandsverständnis kommt auch erhebliche Bedeutung in der Berufungsinstanz zu. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Kläger nach Klageabweisung sein erstinstanzliches Begehren zumindest teilweise weiterverfolgen, da es ansonsten an der notwendigen Bekämpfung der erstinstanzlichen Beschwer fehlen soll.417 Der Kläger könne kein Rechtsmittel einlegen, um ein anderes Urteil zu erhalten.418 Die Erweiterung oder Änderung eines Klageantrags in zweiter Instanz setze somit die Zulässigkeit der Berufung voraus.419 Ein unzulässiges Abgehen von der Beschwer ist vom BGH für den Fall angenommen worden, dass die gegen einen Rechtsanwalt gerichtete Schadensersatzklage in der Berufungsschrift auf eine andere Pflichtverletzung gestützt wird.420 Gleiches soll gelten, wenn der Besteller eines Werks wegen desselben Werkmangels statt Schadensersatz mit der Berufung Nachbesserung verlangt.421 Mit der Zulassung der Klageänderung in der Berufungsschrift könnte der Zusammenhang zwischen erstinstanzlicher Entscheidung und dem rechtskräftigen Judikat zerschnitten werden. Unschädlich soll es dagegen sein, wenn zwischen den Instanzen die Voraussetzungen von § 264 Nr. 3 ZPO eintreten und der Kläger in der Berufungsinstanz die Klage ensprechend modifiziert.422 417 H.M.: BGH NJW 2003, 2172; BGH NJW-RR 1991, 1279; BGH NJW 1990, 2683; bereits BAG DB 1961, 920; Musielak/Ball, ZPO, vor § 511 Rn. 26. Erst im Fall einer zulässigen Berufung soll der Streitgegenstand nach Maßgabe von § 533 ZPO geändert werden können, abw. BGH NJW-RR 2002, 1435 f. 418 RGZ 13, 394; RGZ 29, 375, 377. Die Berufung bewirkt kein novum judicium, sondern setzt das bisherige Verfahren fort. 419 RGZ 130, 100, 101: Die Änderung kann zwar zu ihrem Erfolg führen, sie darf aber nicht der ausschließliche Zweck sein. Die Frage, ob die Klageänderung zulässig sei, könne erst anschließend beantwortet werden. Als Verlassen der Beschwer wurde es angesehen, dass der Kläger statt des Widerrufs einer ehrverletzenden Äußerung nunmehr deren künftige Unterlassung verlangt, BGH MDR 1994, 1143. Dem ist zuzustimmen, weil auch beide Begehren nebeneinander bestehen könnten. 420 BGH ZIP 1993, 64; hierzu kritisch Altmeppen, ZIP 1992, 449. 421 OLG Köln ZIP 1992, 513. Hingegen werde auch die ursprüngliche Beschwer weiterverfolgt, wenn der Kläger an Stelle einer Zahlungsklage Auskunft verlange oder der Feststellungsantrag in einen Leistungsantrag geändert werde, BGHZ 52, 169; BGH MDR 1994, 825. 422 BGH NJW 1991, 42; OLG Schleswig MDR 1993, 669; MünchKomm/Rimmels pacher, ZPO, vor § 511 f. Rn. 65 f. (aus der Warte der identischen Rechtsposition); Zöller/Heßler, ZPO, vor § 511 Rn. 10c; dagegen sei die Umstellung unzulässig, wenn diese bereits nach § 264 Nr. 3 ZPO vorinstanzlich möglich gewesen wäre. Richtigerweise muss der Gläubiger aber
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
Wird etwa eine Vollstreckungsgegenklage abgewiesen, so kann der Kläger den anschließend zur Abwendung der Vollstreckung an den Beklagten bezahlten Betrag sofort mit Berufungseinlegung zurückfordern.423 Gegen diese h.M. hat sich beachtlicher Widerspruch formiert: Es bedeute keinen Unterschied in der Sache, ob die Klageänderung erst in der Berufungsbegründungsschrift erfolge oder bereits bei Berufungseinlegung vorgenommen werde.424 Die Frage, ob der Streitgegenstand eine Änderung erfährt, sei allein im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klageänderung relevant.425 Wenn der Kläger den Streitgegenstand bereits im Rahmen seines Berufungsantrags ändere, greife er das erstinstanzliche Urteil zumindest insoweit an, als er verlange, dieses Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen.426 Der findige Anwalt könnte die von der h.M. aufgestellte Hürde ohnehin umgehen, indem er den Streitgegenstand erst im Berufungsverfahren ändert.427 Daher sollten an die Zulässigkeit der Berufung nicht Anforderungen gestellt werden, die die Möglichkeiten des Berufungsführers verkürzten.428 Dieses Argument erscheint nach der ZPO-Reform 2002 in seiner Bedeutung gemindert: Nach § 523 ZPO a.F. hing die Klageänderung allein von den erstinstanzlichen Möglichkeiten ab und war in der Berufungsinstanz grundsätzlich zulässig. Durch die Reform des Rechtsmittelrechts (vgl. § 533 ZPO) sind die Optionen zur Klageänderung in zweiter Instanz reduziert worden. Hiernach ist die Klageänderung, von den üblichen Voraussetzungen der Sachdienlichkeit bzw. der Einwilligung des Klägers abgesehen, nur zulässig, wenn diese auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zu Grunde legen muss (§ 533 Nr. 2 ZPO).
weiterhin auf Herausgabe antragen dürfen, wenn das Unvermögen des Schuldners lediglich wahrscheinlich ist. 423 OLG Schleswig MDR 1993, 669; hierzu Semmelmayer, Der Berufungsgegenstand, S. 130. 424 Altmeppen, ZIP 1992, 449; ders. ZIP 1993, 65 f.; Semmelmayer, Der Berufungsgegenstand, S. 138 (einfacher prozessualer Trick). 425 Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, Einl. vor 511 Rn. 73. Denn insoweit bestehe Konsens, dass eine zulässige Berufung durch eine nachträgliche Auswechslung des Streitgegenstands nicht berührt werde: Vgl. BGHZ 52, 169, 171; BGH MDR 1994, 825; MünchKomm/Rimmelspacher, ZPO, vor § 511 Rn. 37. 426 So Altmeppen, ZIP 1992, 449; Bub MDR 1995, 1191; Semmelmayer, Der Berufungsgegenstand, S. 126 f., 138, 148, der ohnehin annimmt, dass der Rechtsmittelführer mit dem Berufungsverfahren das erstinstanzliche Verfahren zum Streitgegenstand nicht nur fortsetzt, sondern ein neues Verfahren zu einem Abänderungsbegehren (als neuem Streitgegenstand) führt. 427 So bereits Grunsky, Anm. zu BGH LM § 264 ZPO 1976 Nr. 14. In der Judikatur existiert ohnehin keine exakte zeitliche Grenze, ab wann der Wechsel gestattet ist, K. Otte, ZZP 113 (2000), 219, 229 f. 428 Altmeppen, ZIP 1992, 454 f.
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Als Mittelweg zwischen beiden Auffassungen bietet sich ein Rekurs auf das in erster Instanz verfolgte Interesse ab.429 Bewegt sich der in der Berufungsschrift neu gestellte Antrag innerhalb desselben (materiellen) Interesses, dann wird gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels nichts einzuwenden sein.430 Das Erkenntnisverfahren wird dann in zweiter Instanz nur fortgesetzt. Denkbar ist dabei auch, dass der Kläger sein Interesse in quantitativ erweiterter Form fordert (§ 264 Nr. 2 ZPO). Die Berufung ist insbesondere im Falle von § 264 Nr. 3 ZPO431 zulässig, ohne dass die „nachträgliche Veränderung“ zwischen den Instanzen eingetreten sein müsste.432 Es genügt, wenn die in § 264 Nr. 3 ZPO vorgesehene Umstellung bereits in erster Instanz möglich gewesen wäre.433 Ob der Wechsel wegen einer später eingetretenen Veränderung erfolgt, ist allenfalls eine Frage der zulässigen Klageänderung (§ 264 Nr. 3 ZPO) und nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Berufung.434 Im Anwendungsbereich von § 264 Nr. 3 ZPO gelten im Übrigen nach Ansicht des BGH die strengen Anforderungen auf Tatsachenebene (§ 533 Nr. 2 ZPO) ohnehin nicht.435 Klargestellt sei, dass der hier zugrundegelegte Begriff des Interesses über die übliche Auslegung von § 264 Nr. 3 ZPO hinausreicht, so dass die Identität des Klagegrundes keine Grenze darstellt. Für die Berufungsschrift unerheblich ist es somit, ob der sachmängelbedingte Rückzahlungsanspruch des Käufers mit einem Rücktritt oder einer Minderung begründet wird.436 Gleiches gilt für den Wechsel vom Schadensersatzanspruch 429 So bereits Bub MDR 1995, 1191 f.; ähnlich Spickhoff, JR 1998, 231; MünchKomm/Rimmels pacher, ZPO, § 511 Rn. 37 aus der Warte der Rechtsposition. 430 Wenn für den Urteilsgegenstand vertreten wird, vgl. unten § 28, das Interesse sei begrenzt durch den konkreten Klageantrag, weil durch die Annäherung an die Rechtsfolgen des materiellen Rechts dem vollstreckungsrechtlichen Typenzwang Rechnung getragen wird, steht dies nicht entgegen, da der Berufungsantrag die formelle Rechtskraft hinausschiebt und somit zum Fortgang des Erkenntnisverfahrens führt. 431 Bub, MDR 1995, 1192 Fn. 25; in BGH NJW-RR 1988, 959 konnte die Frage offen bleiben; MünchKomm/Rimmels pacher, ZPO, vor § 511 f. ZPO Rn. 65: Denn „damit begehrt er die in der Sache identische, nur in der Form veränderte Rechtsposition, die ihm die Vorinstanz rechtskräftig abgesprochen hat.“ 432 So aber BGH MDR 1991, 43; NJW-RR 1992, 1033 (nachträgliche Erledigung); vgl auch Zöller/Heßler, ZPO, vor § 511 Rn. 10c. 433 So bereits Schneider, MDR 1987, 811. 434 Bub, MDR 1995, 1193; Spickhoff, JR 1998, 231; zu eng E. Schneider, MDR 1987, 811 f. Im Übrigen wird gerade der Beklagte nicht mit zusätzlichen Kosten belastet, § 97 II ZPO. Dies bedeutet aber auch, dass es im Falle des § 264 Nr. 3 ZPO aus Sicht des Beklagten nicht darauf ankommen kann, wann die Veränderung eingetreten ist. Auch Bub, aaO., nimmt Interessenidentität weiter an, wenn der Kläger lediglich den Tatsachenkomplex innerhalb des Lebenssachverhalts austauscht: unterschiedliche Pfl ichtverletzungen bei einem Anwalt, die aber zum selben Ergebnis führen. 435 Vgl. sogleich unter b. 436 MünchKomm/Rimmels pacher, ZPO, vor § 511 f. Rn. 25 f.; ders., Materiellrechtlicher Anpruch, S. 364; a.A. OLG Saarbrücken MDR 2006, 169 f.; M. Schwab, Grundzüge, S. 281, der zu Unrecht auf die Verschiedenheit der Lebenssachverhalte im Sinne von § 264 abhebt.
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zum Erfüllungsanspruch437 bzw. vom Nacherfüllungs- zum Schadensersatzanspruch. Das rechtliche (nicht unbedingt das wirtschaftliche) Interesse bleibt gewahrt.438 Auch der Übergang von der Vollstreckungsgegenklage zum Bereicherungsausgleich muss bereits in der Berufungsschrift gestattet sein.439 Entscheidend ist, dass der erstinstanzliche Streit in seiner Substanz fortgesetzt wird.440 Die Tatsache, dass ein veränderter Lebenssachverhalt vorgetragen wird, ist nur soweit relevant, als dadurch das Interesse eine Veränderung erfährt.441 K. Otte442 hat dem entgegengehalten, dass eine derartige Eingrenzung von Beschwer und Streitgegenstand nicht besonders hilfreich sei: „Diese Kernpunkt- und Interessenthese weitet den Beschwerbegriff aus und ersetzt den weitgehend formalen Beschwerbegriff und die klaren Vorgaben der §§ 263, 264 ZPO durch inhaltliche Kriterien, welche unscharf sind und den gerichtlichen Prüfungsaufwand vergrößern. Ungewollt verwässern sie zusätzlich den Streitgegenstandsbegriff.“
Dem ist zu entgegnen, dass das Kriterium des einheitlichen (rechtlichen) Interesses bessere Dienste leistet, als es das denkbar ungenaue Merkmal des einheitlichen Lebenssachverhalts der herrschenden Doktrin je vermocht hat. Gerade für die Frage der Beschwer bietet das Abheben auf die Grenzen des Interesses (bzw. der Erfüllungskonnexität) eine Handhabe, den Streit zwischen beiden Extremauffassungen zu entschärfen, ohne den Fortsetzungscharakter der Berufung, der sich freilich nach der ZPO-Reform 2001/2 in neuem Licht darstellt443, zu vernachlässigen. Mögliche Einschränkungen auf tatsächlicher Ebene spielen für die Zulässigkeit der Berufung noch keine Rolle. Diese betreffen vielmehr die sekundäre Frage, ob die Änderung nach § 533 Nr. 2 ZPO auch möglich ist.
437
A.A.: OLG München NJW-RR 1998, 207. Auch kann von einem Rechnungsposten innerhalb desselben Schadensersatzanspruches ohne weiteres zu einem anderen gewechselt werden, BGH NJW-RR 2006, 253. 439 OLG Schleswig NJW-RR 1992, 192. 440 So auch Bub, Streitgegenstand, S. 1192; Spickhoff, JR 1998, 231. Unrichtig deswegen OLG Köln ZIP 1992, 513, für Schadensersatz in Geld und Nachbesserung hinsichtlich desselben Mangels (jeder Mangel stellt eine selbständige Vermögenseinbuße dar); Übergang von § 767 ZPO zu § 812 BGB, OLG Schleswig MDR 1991, 669. Insoweit kann die Kernpunkttheorie des EuGH zumindest als argumentative Stütze dienen. 441 Bub, MDR 1995, 1193. Vgl. zur Deutung von § 264 ZPO als „Auslegungsregel“, § 23 I 7. 442 K. Otte, ZZP 115 (2000), 233 Fn. 55. 443 M.E. zu restriktiv Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 133 IV 1 Rn. 21: Das ZPORG 2001 habe mit dem Grundsatz gebrochen und sehe im Zweck der Berufung die Fehlerkontrolle und -beseitigung der ersten Instanz in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. 438
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b) Auslegung von § 533 ZPO Gegen die Annahme einer (zulässigen) Klageänderung im Falle von § 264 Nr. 3 ZPO spricht im Übrigen auch § 533 ZPO, der dem „Fortsetzungsgedanken“ im Berufungsrecht, wenn auch im eingeschränkten Umfang, Ausdruck verleiht. Nach §§ 513, 529, 531, 533 Nr. 2 ZPO beschränkt sich die Prüfung des Berufungsgerichts grundsätzlich auf den in erster Instanz vorgetragenen Tatsachenkomplex.444 Neue Tatsachen können nur noch in eingeschränktem Umfang berücksichtigt werden.445 Dies ist eine wesentliche Folge der ZPO-Reform 2001/2.446 Dem Beklagten wird dadurch keine Tatsacheninstanz vorenthalten.447 Aufschlussreich ist insofern aber, dass der BGH § 264 Nr. 2, 3 ZPO aus dem Anwendungsbereich von § 533 Nr. 2 ZPO herausnimmt.448 Der Begriff des „Interesses“ in der hier vorgenommenen Deutung reicht z.T. über die übliche Auslegung von § 264 Nr. 3 ZPO durch Rechtsprechung und Literatur hinaus. Insbesondere kommt es zu keiner Klageänderung449, weil der Streitgegenstand unabhängig von einer Veränderung des Klagegrun444
P. Bub, MDR 1995, 1193; zustimmend Spickhoff, JR 1998, 227 f. Berechtigte Kritik bei H. Roth, JZ 2005, 174 ff.; ders. JZ 2006, 9 ff. 446 Zum Fortsetzungsgedanken unter früherem Recht Hahn, Materialien II/1, S. 139 f.: Die Berufung gewährleiste eine Erneuerung und Wiederholung des Rechtsstreites vor einem anderen Richter. Es sei selbstverständlich, dass das neue Verfahren mit dem voraufgegangenen Verfahren … im nächsten Zusammenhang stehe. Nach früherer Rechtslage diente die Berufung überwiegend zur Fortsetzung des Streits mit dem Ziel einer neuen Entscheidung und dem side effect der Richtigkeitskontrolle des früheren Urteils, so zur früheren Rechtslage Habscheid/Lindacher, NJW 1964, 2395; Behre, Streitgegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens, S. 30 ff.; a.A.: Semmelmayer, Der Berufungsgegenstand, S. 23 ff., 43: „Gegenstand der Berufung ist demzufolge das Sachbegehren des Berufungsklägers, die erstinstanzliche Entscheidung zu seinen Gunsten zu ändern, kurz, ein Begehren auf Abänderung des Urteils über die Klage.“ 447 „Dass das Klageänderungsverbot einer völligen Auswechslung des Streitgegenstands im Berufungsverfahren nicht in jedem Fall entgegensteht, berechtigt jedoch noch nicht zu der Folgerung, das Gesetz durchbreche hier den Grundsatz, dass die Berufung auf dem erstinstanzlichen Verfahren aufbaut“, so Bub, MDR 1995, 1193, noch zur früheren Rechtslage: Die Vorschriften der Erleichterung der Klageänderung infolge verschiedener ZPO-Novellen hätten daran nichts geändert, weil es hier nur darum ging, für den Kläger aufgrund der Enge des materiellen Streitgegenstandes Erleichterungen zu bewirken; vgl. insoweit auch den Entwurf einer Zivilprozessordnung von 1931, S. 345, 358. 448 BGH NJW 2004, 2152; BGH NJW-RR 2005, 955 f.; BGH MDR 2006, 647: § 533 ZPO setze den Begriff der Klageänderung voraus und definiere ihn nicht für das Berufungsverfahren neu. § 264 ZPO soll nach Ansicht des BGH die prozessökonomische und endgültige Erledigung des Streitstoffs zwischen den Parteien fördern. Dem entspreche es, Änderungen des Klageantrags nach § 264 ZPO auch in der Berufungsinstanz unbeschränkt zuzulassen; vgl. auch BGH FamRZ 2007, 840; hierzu Grunsky LMK 2004, 215; MünchKomm/BeckerEberhard, ZPO, § 264 Rn. 5; Zöller/Heßler, ZPO, § 533 Rn. 2 f.; kritisch: MünchKomm/Rimmels pacher, ZPO, § 533 Rn. 14. Vgl. zur alten Rechtslage bei Rechtsnachfolge einschränkend Grunsky, ZZP 91 (1978), 316 ff. 449 Vgl. oben § 23 I 4. 445
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des identisch bleibt. § 533 ZPO stünde bei dieser Sichtweise ohnehin nicht entgegen. Das erstinstanzliche Verfahren wird im Übrigen in seinem materiellen Kern fortgesetzt, so dass auch der Grundgedanke des BGH für die Nichtanwendung von § 533 Nr. 2 ZPO greift. Unabhängig davon, stellt sich aber für das Berufungsgericht nach § 531 II ZPO die Frage, inwieweit neues Vorbringen zu berücksichtigen ist.450 Dem dynamischen Verständnis des Prozesses entsprechend führt die Einlegung der Berufung zunächst dazu, dass wieder der (weite) Begriff des Verfahrensgegenstands (und nicht der Urteilsgegenstand) maßgeblich ist. § 531 II ZPO setzt der Verhandlung dann nur Grenzen auf der Tatsachenebene.
c) Einzelfälle Die Konsequenzen seien an einigen markanten Rechtsprechungsbeispielen verdeutlicht. Unrichtig erscheint etwa die Annahme des OLG Jena, der Übergang vom Rücktritt zur Minderung stelle nach § 533 ZPO eine unzulässige Klageänderung dar451 und die Berufung sei bereits unzulässig, weil mit ihr nicht die Beseitigung der Beschwer aus der angefochtenen Entscheidung verfolgt werde. Die Anwendung von § 264 Nr. 3 ZPO452 wurde abgelehnt, weil keine nachträgliche Veränderung der klagebegründenden Umstände vorliege.453 Denn der Überzeugung des erstinstanzlichen Gerichts, die Erheblichkeitsgrenze des § 323 V 2 BGB werde nicht erreicht, hätte bereits vor Schluss der mündlichen Verhandlung durch Antragsumstellung Rechnung getragen werden müssen.454 Jedoch zeigt bereits § 218 BGB, dass beide Rechte auf einer gemeinsamen (verjährungsrechtlichen) Basis fußen. Demgemäß muss es für die Zulässigkeit der Berufung genügen, dass die zu beseitigende Beschwer sich innerhalb desselben rechtlichen Interesses bewegt.455
450 BGH NJW-RR 2006, 391; MünchKomm/Rimmels pacher, ZPO, § 533 Rn. 14 spricht deswegen (übertrieben) von der Gefahr der Schizophrenie, welcher sich das Berufungsgericht aussetze. 451 So OLG Jena OLG-NL 2003, 285. 452 „Unabhängig davon, inwieweit ein Wechsel zwischen Gewährleistungsrechten materiell-rechtlich und prozessual innerhalb der Instanz möglich ist, ist ein Übergang vom einen zum anderen Gewährleistungsanspruch zwischen Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug und Berufungsbegründung nur unter den Voraussetzungen des § 264 Nr. 3 ZPO zulässig“, OLG Jena OLG-NL 2003, 285. 453 „Die Einsicht des Klägers, mit seinem Begehren nicht durchdringen zu können, reicht hierfür auch dann nicht aus, wenn sie auf Erkenntnissen beruht, welche er erst im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens gewonnen hat“, OLG Jena OLG -NL 2003, 285. 454 OLG Saarbrücken MDR 2006, 169 f., wendet § 264 Nr. 2, 3 ZPO nicht an, weil im Falle von Rücktritt und Minderung der Klagegrund jeweils ein anderer sei. Zur Fragestellung auch Bub, Streitgegenstand, S. 78. 455 Bub, MDR 1995, 1194.
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In einer vergleichbaren Entscheidung des OLG Hamm456 war ein Verkäufer mit seiner Klage auf Kaufpreiszahlung abgewiesen worden, weil nach Auffassung des Gerichts der Erfüllungsanspruch aufgrund erfolgloser Fristsetzung nach § 326 I BGB a.F. erloschen war. Das OLG Hamm hielt die Berufung des Verkäufers, mit welcher dieser seinen Nichterfüllungsschaden begehrte, mangels Beschwer für unzulässig, da im Wege der Klageänderung ein neuer Streitgegenstand eingeführt werde. Dieser Wechsel unterfalle nicht § 264 Nr. 3 ZPO, da der Erfüllungsanspruch bereits vor Rechtshängigkeit mit Ablauf der gesetzten Nachfrist mit Ablehnungsandrohung untergegangen sei.457 Richtigerweise ist der Streitgegenstand schon deswegen identisch, weil der Antrag in beiden Fällen auf Geldleistung gerichtet war. Die Unterscheidung nach Primär- und Sekundäranspruch ist aktionenrechtlich gefärbt und insofern unerheblich. Im Übrigen kommt der Überlegung, ob der Kläger auch schon vor Klageerhebung in der Lage gewesen wäre, von seinem Rechtsbehelf Gebrauch zu machen, keine Bedeutung für § 264 Nr. 3 ZPO zu.458 Nach geltender Rechtslage erlischt der Erfüllungsanspruch nicht mehr automatisch, so dass dem Kläger die Wahl zwischen Primär- und Erfüllungsanspruch bis zur durch § 281 IV BGB markierten Grenze offen steht.459 Demgegenüber wollte der Kläger in einer Entscheidung des OLG München460 vom Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (§ 326 BGB a.F.) zum ebenfalls auf eine Geldzahlung gerichteten Erfüllungsanspruch wechseln. Das OLG München griff nicht auf § 264 Nr. 3 ZPO zurück, weil es an der Identität des Lebenssachverhalts fehle. Denn „die Verträge können nicht sowohl – infolge bestimmter Tatsachen – beendet als auch nicht beendet sein.“ Der Vortrag der einen Variante zwinge das Gericht nicht auch zur Prüfung der anderen.461 Dieses Judikat verdeutlicht, zu welch unökonomischen Ergebnissen das Kriterium des einheitlichen Lebenskomplexes verleiten kann. Auf § 264 Nr. 3 ZPO hätte hier bereits deswegen nicht rekurriert werden müssen, da die Anträge sich im Wesentlichen deckten.
456
OLG Hamm, MDR 2000, 48. Zöller/Greger, ZPO, § 264 Rn. 5; ähnlich bereits RGZ 70, 337 f. 458 Vgl. bereits oben § 23 I 3. 459 Althammer, ZGS 2005, 375 f. Der Fall zeigt, dass es keine Rolle spielt, ob die nachträgliche Veränderung vor oder nach Rechtshängigkeit eingetreten ist. Richtig deswegen: Nikisch, ZPR, S. 183: „‚Später‘ ist die Veränderung eingetreten, wenn sie nach der Entstehung des eingeklagten Anspruchs, sei es auch vor Erhebung der Klage, eingetreten ist…[Es] … ist das gute Recht des Kl., die urprüngliche Leistung zu verlangen und es dem Bekl. zu überlassen, die Umstände darzulegen, denen zufolge er zu ihrer Verwirkung außerstande ist.“ 460 OLG München NJW-RR 1998, 207. 461 Im Übrigen ist der Klagegrund, wenn man an ihm für § 264 ZPO festhalten will, weit auszulegen, RGZ 100, 95. 457
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
10. Zusammenfassung § 264 Nr. 3 ZPO stützt das hier vorgetragene Verständnis eines erweiterten Verfahrensgegenstandes. Für die Streitgegenstandsbestimmung ist das wirtschaftliche Interesse selbst kein Kriterium. Die Identität des Interesses muss sich auf greifbare rechtliche Kriterien stützen lassen. Abweichungen bei der Wertbemessung (etwa zwischen Wandlung und Minderung) sind dann unerheblich.
II. Die Komplementärvorschrift des § 213 BGB Mit der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2001/2 eingefügten Regelung in § 213 BGB findet sich im materiellen Recht eine Vorschrift, die Ansprüche unterschiedlichen Inhalts in einem prozessualen Sinne bündelt.462 Hiernach gilt die Hemmung, die Ablaufhemmung und der erneute Beginn der Verjährung auch für Ansprüche, die aus demselben Grunde wahlweise neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind. Die Parallele zu § 264 Nr. 3 ZPO ist offensichtlich, wenngleich § 213 BGB nach der Gesetzesbegründung eine streitgegenstandsfremde Hemmung normiert.463 § 213 BGB stützt in Zusammenschau mit § 264 Nr. 3 ZPO das hier vorgestellte Streitgegenstandskonzept.
1. Grundlagen a) Streitgegenstand und Umfang der Verjährungshemmung Nach allgemeiner Ansicht wird durch die Klageerhebung die Verjährung (§ 204 I Nr. 1 BGB) im Umfang des zur Entscheidung gestellten Streitgegenstands gehemmt.464 Die Orientierung an der richterlichen Entscheidungsgewalt kommt bereits in den Motiven zu § 209 BGB a.F. deutlich zum Ausdruck: 462 Angedeutet bei Hess, Schuldrechtsreform und Zivilprozess, S. 669 f.; vgl. auch BT-Drs. 14/6040, S. 112; aA Lau, S. 119, die § 213 BGB allein Bedeutung bei Überschreiten der engen Streitgegenstandsgrenzen der h.L. einräumt. 463 BT-Drs. 14/6857, S. 46; vgl. auch Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts zu § 219 BGB-KE mit einem Bekenntnis zur prozessualen zweigliedrigen Streitgegenstandslehre, S. 97: „Die Vorschrift greift erst, wenn diese Grenze [des prozessualen Anspruchs] durch Änderung des Antrags oder des zugrundeliegenden Sachverhalts überschritten wird“; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 262 Rn. 9. 464 BGH NJW 1999, 2110; BGH NJW 2000, 2678 (Die wegen der Pfl ichtverletzung (a) erhobene Klage soll hiernach die Verjährung nicht hinsichtlich der Pflichtverletzung (b) hemmen); BAG NJW 2003, 2849 (Kündigungsschutzklage hemmt nicht die Verjährung des Lohnanspruches); BGHZ 132, 241, 243; BGH NJW 1993, 2440; MünchKomm/Grothe, BGB, § 204 Rn. 10 (nach h.M. ist damit der Klageantrag und der Lebenssachverhalt maßgeblich); Palandt/ Ellenberger, BGB, § 204 Rn. 13; Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 23 zu § 209 BGB a.F.
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„Die Klageerhebung unterbricht die Verjährung insoweit, als der Anspruch durch sie der richterlichen Entscheidung unterstellt ist. Nur in diesem Umfange kann das Urtheil Rechtkraft und damit Rechtsgewissheit schaffen …“.465
Getragen ist diese Aussage von der Vorstellung, dass der jeweilige materiellrechtliche Anspruch auch den Gegenstand des Prozesses bildet. Insoweit erscheint konsequent, dass § 209 BGB a.F. dem Akt der Klageerhebung verjährungsunterbrechende Wirkung zugesteht.466 Erste konzeptionelle Schwierigkeiten zeigen sich, wenn man im Sinne der modernen Streitgegenstandslehre die Einheit von materiellem und prozessualem Anspruch aufgibt.467 Keinesfalls sinnvoll ist es, vom Berechtigten zu verlangen, jeden der konkurrierenden Ansprüche selbständig einzuklagen, um seine Verjährung zu hindern. Denn solche Mehrfachprozesse werden heute in Deutschland überwiegend als unerwünscht angesehen. Kann der Kläger zur Begründung seines Rechtsfolgebegehrens somit auf verschiedene Anspruchsgrundlagen zurückgreifen, dann führt die Klageerhebung auch zur Unterbrechung (bzw. Hemmung) der Verjährung der nicht ausdrücklich genannten Ansprüche.468 Die Aussage in den Motiven des BGB gibt noch aus einem weiteren Grund Anlass zum Nachdenken. Denn insbesondere aus Sicht eines relativen Streitgegenstandsbegriffs drängt sich die Frage auf469, ob über die Reichweite der Verjährungshemmung durch Klage (§ 204 BGB) der Umfang der Rechtshängigkeit oder der Gegenstand der Rechtskraft entscheidet. Da sowohl Rechtskraft als auch Verjährung gleichermaßen die Rechtssicherheit im Blick haben, dürfte einiges für deren Synchronisierung sprechen.470 Die Annahme eines vom Verfahrensgegenstand verschiedenen Urteilsgegenstandes führt deswegen im Hinblick auf den Umfang der Verjährungshemmung zu offenen Fragen.471 Bosch472 hat aus diesem Grund mit Recht Bedenken gegen eine relative Sichtweise gehegt: Denn diese könnte dazu führen, daß zwar alle vom Antrag betroffenen Ansprüche an der verjährungshemmenden Wirkung der Klage teilhätten, sich dann aber das Urteil auf einen Sachverhalt konzentrierte, ohne daß die übrigen 465 Mugdan, Materialien I, S. 532; vgl. hierzu auch BGH JR 2003, 246; Piekenbrock, Befristung, S. 447 f. 466 Arens, AcP 173 (1973), 252, spricht im Zusammenhang von § 209 BGB a.F. von einem materiellrechtlichen Tatbestand, der einen Vorgang des Verfahrens betreffe. 467 Richtig Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 23 f. 468 BGH NJW 1983, 2813. 469 Henckel, JZ 1992, 647. 470 Ebenso Bub, Streitgegenstand, S. 126 f.: Es käme damit nach der relativen Lehre zusätzlich auf den vorgetragenen bzw. bindend festgestellten Sachverhalt an. Für § 213 BGB bedarf dieser Ausgangspunkt besonderer Überprüfung. 471 Bosch, Rechtskraft und Rechtshängigkeit, S. 97; auch Henckel, JZ 1992, 647 (die materiellen Wirkungen der Rechtshängigkeitssperre müssten von der relativen Streitgegenstandslehre noch eingehender gewürdigt werden). 472 Bosch, Rechtskraft und Rechtshängigkeit, S. 97.
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klagebegründenden Sachverhalte in die Kognition einbezogen werden.473 Insoweit sei problematisch, was dies für die Verjährung der übrigen Ansprüche bedeute. Könnte die Hemmungswirkung etwa teilweise wieder dadurch entfallen, dass aus dem Urteil deutlich werde, dass über bestimmte rechtliche Gesichtspunkte nicht entschieden wurde? Dies wäre aber deswegen bedenklich, weil insoweit vor Urteilserlass eine Hemmung der Verjährung durch eine gesonderte Klage wegen § 261 III Nr. 1 ZPO nicht zulässig gewesen wäre.474 Das Gesetz selbst bietet für die Lösung dieser Frage keine Antwort. Die Gesetzesmaterialien scheinen vielmehr prima facie von einem im Verfahren konstanten Streitgegenstand auszugehen.475 Deutlich werden die Unterschiede im „Kaufpreis-Wechsel-Beispiel“.476 Wenn hier von Vertretern einer relativen Streitgegenstandslehre477 eine übergreifende Verjährungshemmung zwischen den Ansprüchen angenommen wird, liegt das Gewicht auf dem eingliedrigen Verfahrensgegenstand.478 Jedoch gestehen auch Anhänger eines zweigliedrigen, prozesskonstanten Verständnisses479 der Klage aus dem Wechsel verjährungshemmende Wirkung für den Anspruch aus dem Grundgeschäft zu, obgleich doch verschiedene prozessuale Ansprüche vorliegen sollen.480 Die Begründung wird in der besonderen Verbindung der Begehren erkannt.481 Beide Ansprüche seien zweckverbunden: Dies zeige sich darin, dass der Anspruch aus dem Grundgeschäft erlösche, wenn die Wechselforderung befriedigt worden sei und der Gläubiger bei Hingabe des Wechsels erfüllungshalber verpflichtet sei, Befriedigung zunächst nur aus dem Wechsel zu suchen. Durch die Zweckbestimmung der Wechselhingabe sei für den Schuldner auch ersichtlich, welches Grundgeschäft dem Wechsel zugrunde liege.482 Entscheidend wäre demnach die Erkennbarkeit für den Schuldner.483 Zu beden473
Bosch, Rechtskraft und Rechtshängigkeit, S. 97. Bosch, Rechtskraft und Rechtshängigkeit, S. 97. 475 Bosch, Rechtskraft und Rechtshängigkeit, S. 97. 476 Oben § 9 I 1. 477 Stein/Jonas/H.Roth, ZPO, vor 253 Rn. 65 Fn. 267 lässt die Wechselklage die Verjährung des Anspruchs aus dem Kaufvertrag hemmen, wobei er die Identität der Streitgegenstände betont. 478 Die Konnexität zwischen Verjährungshemmung und Rechtskraftumfang wäre indes unterbrochen. 479 OLG Köln ZIP 2001, 563; Haertlein, EWiR 2001, 563; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 262 Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO, § 262 Rn. 3; für den Anspruch aus einem abstrakten Schuldanerkenntnis soll dies jedoch nicht gelten. 480 Zöller/Greger, ZPO, § 261 Rn. 10. 481 OLG Köln ZIP 2001, 563; umgekehrter Fall: OLG Düsseldorf MDR 1990, 819. Eine Entscheidung des BGH steht noch aus. 482 So OLG Köln ZIP 2001, 563. In der Wechselhingabe wird zudem ein Anerkenntnis der Grundforderung (§ 208 BGB a.F.) gesehen. 483 Ansonsten wäre nach Ansicht des OLG Köln der Kläger gezwungen, „auch den Anspruch aus dem Grundgeschäft vor der Beendigung des Wechselprozesses vorsorglich rechtshängig zu machen.“ Dies bedeutete für den unterliegenden Schuldner die Belastung mit den 474
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ken ist aber, dass mit der Hemmung des konkurrierenden, aber nicht eingeklagten (prozessualen) Anspruchs, der Schuldner auf längere Sicht damit rechnen muss, vom Gläubiger in Anspruch genommen zu werden. Selbst das klageabweisende Urteil würde keine Rechtssicherheit schaffen, weil seine Rechtskraftwirkung nach h.L. auf den jeweiligen Rechtsgrund beschränkt bliebe. Immerhin hat sich die Rechtslage des Schuldners seit 2002 verbessert, weil der Hemmungswirkung gemäß § 204 II BGB zeitliche Grenzen gesetzt sind.
b) Die gesetzlichen Erweiterungen in §§ 477 III, 639 BGB a.F. Der Umfang der Verjährungsunterbrechung im kauf- und werkvertraglichen Gewährleistungsrecht war bereits durch den Gesetzgeber selbst erweitert worden (§ 477 III und § 639 BGB a.F.).484 Wandlung, Minderung und Schadensersatz sowie der Nachbesserungsanspruch beim Werkvertrag galten als Ansprüche, die auf demselben Rechtsgrund beruhten, aber in ihrer Art und Ausgestaltung so verschieden seien, dass eine Wesensgleichheit verneint werden müsse.485 Das Bedürfnis zur Erstreckung der Verjährungshemmung sollte sich jedoch aus der Gefahr der Verjährung aller übrigen Rechtsbehelfe ergeben, sofern der Käufer bzw. Besteller sich prozessual erfolglos auf einen von ihnen konzentriert hätte.486 Hingegen wurde es als unbillig empfunden, den Käufer zu zwingen, „entweder seine Ansprüche im Rechtsstreit zu häufen oder sich alsbald wegen des einen oder des anderen Anspruchs schlüssig zu machen“487, da dieser bis zum in § 465 BGB a.F. genannten Zeitpunkt zwischen den verliehenen Gewährleistungsrechten frei wählen könne. Die Verjährung des konkurrierenden Wandelungsanspruchs sollte somit auch in voller Höhe unterbrochen sein, wenn der eingeklagte Minderungsanspruch dahinter wirtschaftlich zurückblieb. § 477 III BGB a.F. wich insoweit vom Grundsatz ab, wonach die gerichtliche Geltendmachung die Verjährung des Anspruchs nur im eingeklagten Umfange unterbricht.488 Bereits das RG489 hat aber klargestellt, dass die Verjährungsunterbrechung des der gerichtlichen Entscheidung unterstellten Anspruchs auf die konkret eingeführten Sachmängel beschränkt bleiben müsse.490 Kosten zweier Prozesse; ebenso Schaaff, NJW 1986, 1029 f. Anderes soll jedoch für das abstrakte Schuldanerkenntnis gelten, OLG Frankfurt, Urt. v. 11.7.2007, Az. 23 U 7/07. 484 Vgl. Motive I, S. 327 = Mugdan, Materialien I, S. 532; Bub, Streitgegenstand, S. 72 f., S. 118 f., S. 346 f.; Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 42 ff. 485 Vgl. BGH NJW 1993, 2439 f. 486 BGH NJW 1993, 2440; BGHZ 39, 287 f. (Nachbesserungsanspruch und Wandelungsanspruch); auch Weitnauer, in: FS Hefermehl, S. 471 f. 487 Prot., S. 2214 = Mugdan, Materialien II, S. 923. 488 RGZ 93, 158, 162; BGHZ 58, 30 (40). 489 RGZ 78, 295; BGH LM Nr. 1 zu § 477 BGB a.F.; BGH NJW 1994, 1004, 1005. 490 RGZ 78, 297 mit einem Umkehrschluss zu § 477 III BGB a.F., da diese Ausnahmeregelung sich hierzu ausschweige; a.A. Staudinger/Honsell, BGB, § 477 a.F. Rn. 52; zusammenfassend Bub, Streitgegenstand, S. 119.
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Von einer analogen Anwendung von § 477 III BGB a.F., die vor allem dem Schutzbedürfnis des Käufers Rechnung tragen sollte, ist über den Bereich der Gewährleistungsrechte hinaus zurückhaltend Gebrauch gemacht worden.491
2. BGH: Verjährungsspezifischer Streitgegenstand? In der Rechtsprechung existierten im Übrigen seit jeher Tendenzen, den Umfang der Verjährungsunterbrechung über den konkreten Streitgegenstand hinaus zu erweitern. Eine Fallgruppe betrifft dabei Konstellationen, bei welcher die Judikatur den Unterbrechungs- bzw. Hemmungsumfang nicht auf den in der Klageschrift genannten Betrag beschränkt, sondern bei gleichbleibendem Anspruchsgrund und erkennbar unbeschränktem Rechtsverfolgungswillen nachträgliche Veränderungen in der Anspruchshöhe mit einschließt.492 Von der Bindung an Klageantrag und Streitgegenstand wird hier nur rein äußerlich abgewichen.493 So hatte bereits das RG in der Zeit der Hochinflation die Verjährungsunterbrechung auf spätere Erhöhungen der ursprünglich beantragten Summe erstreckt, wenn der Gläubiger den Anspruch in toto geltend machen wollte und die nachträgliche Erhöhung lediglich der veränderten wirtschaftlichen Entwicklung geschuldet war.494 Der BGH hat sich diesen Gedanken für Veränderungen im Rahmen der allgemeinen Preisentwicklung zu Eigen gemacht.495 Trotz der Änderung des Klageantrags erfahre der Streitgegenstand selbst keine Änderung, weil weiterhin derselbe 491
Anders für das Gewährleistungsrecht: BGH NJW 1963, 1452; BGH NJW 1978, 262: Anspruch aus § 812 BGB nach arglistiger Täuschung über einen Sachmangel und Wandelung; RGZ 134, 272 (274): Anwendung von § 477 III BGB aF analog im Verhältnis des Schadensersatzanspruches wegen arglistigen Verschweigens eines Mangels zum Minderungsanspruch; denn entscheidend sei, dass die Ansprüche niemals nebeneinander zum Zuge kämen, sondern sich gegenseitig ausschlössen (Verdrängungseffekt); BGH NJW 1972, 526 (Klage auf Ersatz von Mängelbeseitigungskosten gemäß § 633 III BGB a.F. und Klage auf Mängelbeseitigung gemäß § 633 II BGB a.F.); RGZ 93, 158 (Anwendung von § 477 III BGB a.F. abgelehnt). 492 Zusammenfassend BGH JR 2003, 246; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 262 Rn. 10; Meyer, NJW 2002, 3067. 493 Vgl. etwa BGH JR 2003, 247: „Der Schadensersatzkläger klagt nicht eine Geldsumme, sondern den Schaden ein und unterbricht damit die Verjährung der Ersatzforderung in ihrem betragsmäßig wechselnden Bestand.“ Diese Rechtsprechung betrifft somit nicht den unmittelbaren Anwendungsbereich von § 213 BGB und besteht daneben fort, Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 262 Rn. 10. Auch BGH NJW 2000, 3492 (Klage auf Zahlung von Werklohn und Bereicherungsanspruch wegen Vertragsnichtigkeit) rechnet bereits zum unmittelbaren Anwendungsbereich von § 204 I Nr. 1 BGB. 494 RGZ 102, 143 zu § 249 II BGB (zur Wiederherstellung insgesamt erforderlicher Geldbetrag); RGZ 106, 184; RGZ 108, 38. 495 BGH NJW 1970, 1682 (zu § 844 II BGB); BGH VersR 1984, 868 f.; hierzu Brandner, VersR 1970, 873 f.: Der Kläger verlange von vorneherein nicht eine bestimmte Geldsumme, sondern mache den Schaden in seinem wechselnden wirtschaftlichen Bestand geltend; BGH NJW 1985, 3027; BGH NJW 1982, 1809 f.; BGH NJW 1983, 1152 f.
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Schadensersatzanspruch im Streit befangen bleibe.496 Abgelehnt hat der BGH hingegen eine Unterbrechungswirkung im Hinblick auf zusätzliche Schadensfolgen, die demselben Schadensereignis entspringen wie der bereits mittels Leistungsklage geltend gemachte Posten.497 Denn dann liege keine ziffernund betragsmäßige Anpassung des Klageantrags an die fortschreitende Schadensentwicklung oder die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse vor.498 Eine zweite Fallgruppe betrifft Konstellationen, die nunmehr weitgehend dem Regime von § 213 BGB unterfallen. So hat bereits das RG im Jahre 1924499 die klageweise Geltendmachung des Herausgabeanspruchs aus einem Lagervertrag auch für die Unterbrechung der Verjährung hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung (§ 283 BGB a.F.) genügen lassen. Begründet wurde dies mit der weitgehenden Identität der Ansprüche und ihrer inneren Verbundenheit.500 Der gemeinsame Entstehungsgrund beider Forderungen bleibe trotz des unterschiedlichen Leistungsinhalts maßgeblich. Bereits vor der Geltung von § 213 BGB hat auch der BGH deutliche Anzeichen dafür gegeben, den streng antragsorientierten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff verjährungsrechtlich zu überdenken. So nahm er im Verhältnis des Anspruchs auf Nachbesserung zum Anspruch auf Wandelung Verjährungsunterbrechung an.501 Die Ansprüche seien nicht wesenmäßig verschieden und dienten dem gleichen Endziel. Nicht jede Antragsumstellung solle eine verjährungsrechtliche Selbständigkeit zur Folge haben, insbesondere nicht, wenn mit beiden Anträgen dasselbe Ziel verfolgt werde.502 Weiter hat der VII. Zivilsenat des BGH entschie496
Hierzu Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 32. Eine Parallele zeigt sich im Verhältnis von § 249 I und II BGB. 497 Vgl. die Abgrenzung zur Schadenseinheit im Sinne von § 852 BGB a.F., die nach Ansicht des BGH allein für den Verjährungsbeginn ausschlaggebend sein soll, BGH NJW 1988, 965 f. Bereits RGZ 83, 354, nahm (für den Verjährungsbeginn) an, dass die Einheit des Schadens solange gewahrt werden müsse, als die Schadensfolgen sich noch im Rahmen der Verkehrsanschauung zu erwartenden Weiterentwicklung der schädigenden Handlung bewegten; hierzu Zeuner, in: FS Henckel, S. 945 ff. 498 Zustimmend Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 35 f. 499 RGZ 109, 234. 500 Hierzu auch Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 55 f. 501 BGHZ 39, 287 = NJW 1963, 1452; BGH NJW 1974, 1327. 502 Zur verjährungsrechtlichen Selbständigkeit BGH NJW 1974, 1327; BGH NJW 1988, 965. Für den Anspruch auf Kapitalabfindung (§ 843 III BGB) im Verhältnis zum Anspruch auf Geldrente (§ 843 I BGB) wurde Verjährungsunterbrechung bejaht durch RGZ 77, 213 f.; Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 51; kritisch hierzu Henckel, JZ 1962, 337; Verjährungsunterbrechung nahm BGHZ 58, 30, für die Klage auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten hinsichtlich des Anspruchs auf Schadensersatz an; ebenso BGH NJW 1985, 1152 (1154) für die Zahlungsklage auf Schadensersatz wegen Belastung mit einer Verbindlichkeit im Verhältnis zum Freistellungsanspruch; verneinend aber BGHZ 104, 11 f., für eine Klage auf Schadensersatz hinsichtlich des Anspruchs auf Erfüllung; verneinend BGH VersR 1959, 701, und OLG Hamm VersR 1981, 947 für die Klage auf Leistung hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs wegen Verzögerung der Leistung.
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den, dass für einen Anspruch in ausländischer Währung die Verjährung unterbrochen werde, wenn ein Mahnbescheid ergehe, für den diese Geldschuld in inländische Währung umgerechnet werde.503 Der BGH hat sein Ergebnis, das die herkömmlichen Bahnen der Streitgegenstandslehre verlässt, überwiegend mit Sinn und Zweck von § 209 BGB a.F. und der Interessenlage des Schuldners begründet. Der Gläubiger mache mit der klageweisen Geltendmachung des einen Anspruchs deutlich, dass der Schuldner sich darauf einrichten müsse, auch noch nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist in Anspruch genommen zu werden. Hannisch504 meint mit Rekurs auf diese Entscheidung, dass trotz der durch die jeweiligen Währungsangaben veränderten Anträge ein inhaltlich identischer prozessualer Anspruch im Streit stehe.505 Den Grundsatz, dass eine Klage die Verjährung nur für Ansprüche in Gestalt und im Umfang der Rechtshängigkeit unterbricht, hat die Rechtsprechung auch in anderen Fällen erweitert.506 In einer Entscheidung aus dem Jahre 1974 hat der BGH der Geltendmachung eines auf Zahlung gerichteten Pflichtteilsergänzungsanspruches (§ 2325 BGB) verjährungsunterbrechende Wirkung hinsichtlich eines Anspruchs aus § 2329 BGB zugestanden, der auf Herausgabe bzw. Duldung der Zwangsvollstreckung gerichtet war.507 Trotz der Veränderung des Streitgegenstandes sollte sich die Verjährungsunterbrechung mit Blick auf das gemeinsame Ziel rechtfertigen, dem beide „Pflichtteilsergänzungsansprüche“ dienten.508 Die beiden Ansprüche unterschieden sich lediglich hinsichtlich Art und Umfang der Haftung, nicht aber „dem Grunde und der Natur nach“, so dass von wesensmäßig verschiedenen Ansprüchen nicht gesprochen werden könnte.509 Eine vergleichbare Äußerung des BGH existiert im Verhältnis von Pflichtteilsanspruch (§ 2303 BGB) und Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 503 BGH NJW 1988, 1964; hierzu Arens, in: FS Schwab, S. 25 f; M. Wolf, in: FS Schumann, S. 588 f. 504 Hanisch, IPRax 1989, 276, 279. 505 Vgl. auch Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, S. 689, beschränkt auf die Verjährungsunterbrechung. 506 Arens, in: FS Schwab, S. 25 f. 507 Die Erblasserin hatte zu Lebzeiten ein Hausgrundstück an ihre Enkelin übereignet und sie testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzt. Nach Eintritt des Erbfalls verklagte die alleinige Tochter der Erblasserin und Mutter der Beklagten ihre Tochter auf Zahlung im Hinblick auf ihren Anspruch aus § 2325 BGB. In der Berufungsinstanz verlangte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Duldung der Zwangsvollstreckung in das Hausgrundstück. Der entscheidende Senat erkannte in diesem Wechsel eine zulässige Klageänderung, BGH NJW 1974, 1327. Zum Sachverhalt eingehend Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 65. Auch nach neuer Rechtslage dürfte dieser Wechsel zwischen den Rechtsfolgen nicht an § 533 ZPO scheitern. 508 BGH NJW 1974, 1327. 509 Ähnliche Überlegungen zum Verhältnis der Anspruchsgrundlagen fi nden sich bereits in einer Reihe früherer Entscheidungen: RGZ 58, 128; BGH FamRZ 1968, 150; BGH NJW 1964, 1323. In dieser Konkurrenzsituation bestünde m.E. die richterliche Pflicht zur Aufklärung über die erfolgsversprechende Rechtsgrundlage (§ 139 ZPO).
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BGB) nur im Hinblick auf den Verjährungsbeginn.510 Der Pflichtteilsanspruch könne zwar unabhängig von der Kenntnis der Tatsachen verjähren, welche einen zusätzlichen Anspruch auf Ergänzung (§ 2325 BGB) begründen, jedoch gelte dies nicht umgekehrt. Denn mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch werde der Pflichtteil als solcher verlangt, „wenn auch in anderer Höhe und Ausdehnung.“ Er könne deswegen nur auf der Grundlage des realen Pflichtteilsanspruchs geltend gemacht werden, jedoch nicht aufgrund einer fälschlich angenommenen Erbenstellung. In seiner Entscheidung aus dem Jahre 1996 hat der BGH eine Unterbrechung der Verjährung aufgrund der Wesensgleichheit von Pflichtteilsanspruch und Pfl ichtteilsergänzungsanspruch dennoch verneint. Beide bildeten nicht denselben Streitgegenstand, da der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB nicht auf eine wertmäßige Beteiligung am Nachlass gerichtet sei, weil der Gegenstand der Schenkung nicht zum Nachlass rechne. Eine über den Streitgegenstand hinausreichende Unterbrechungswirkung einer Klage auf Feststellung der Pflichtteilsberechtigung hinsichtlich der Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruches (§ 2325 BGB) sei in concreto nicht anzunehmen.511 Denn bei der Überprüfung der Wesensgleichheit handele es sich nur um ein negatives Abgrenzungsmerkmal512: Die Unterbrechungswirkung trete nicht ein, sofern die materiellrechtliche Ausgestaltung der Ansprüche zu unterschiedlich sei. Umgekehrt genüge die Verwandtschaft der Regelungen allein nicht. Als weitere Voraussetzung müsse hinzukommen, „dass der zur Begründung des jetzigen Anspruchs vorgetragene Lebenssachverhalt in seinem Kern bereits Gegenstand der früheren Klage gewesen ist. Nur so kann der Zweck der Vorschrift des § 209 BGB [a.F.] erreicht werden, dem Schuldner unmissverständlich klar zu machen, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht wird, damit er beurteilen kann, ob und wie er sich dagegen verteidigen will“.513
Leipold stimmte dem BGH darin zu, dass der Anspruch auf Pflichtteilsergänzung gegenüber dem ordentlichen Pflichtteilsanspruch einen um wesentliche Elemente erweiterten Sachverhalt voraussetze, so dass die Geltendmachung des ordentlichen Pflichtteilsrechts dem Anspruchsgegner keineswegs deutlich mache, er habe auch mit einem Ergänzungsanspruch zu rechnen.514 Zumindest sei dies so bei einer Feststellungsklage, bezogen auf ein Pflichtteilsrecht in Form einer bestimmten Quote des Nachlass-Nettowerts. Anderes könnte lediglich
510
BGH NJW 1972, 760. BGH NJW 1996, 1743. 512 Vgl. auch BGH NJW 1993, 2439: Der Kläger habe im Prozess über den Pfl ichtteilsanspruch nichts über die beeinträchtigende Schenkung unter Lebenden vorzutragen, die somit einen anderen Sachverhalt betreffe; BGH NJW 1992, 1111. 513 BGH NJW 1996, 1743 = BGH LM § 209 BGB H.8/1996 Nr. 84 mit Anm Leipold; vgl. bereits BGH NJW 1988, 1667; BGH NJW 1995, 1157. 514 BGH LM § 209 BGB H.8/1996 Nr. 84 mit Anm Leipold. 511
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für eine Zahlungsklage angenommen werden.515 Entscheidender als der Tatsachenvortrag sei aber die Verwandtschaft der formal unterschiedlichen Klagebegehren. Abgelehnt hat der BGH eine Unterbrechungswirkung der Klage auf Zahlung des großen Pflichtteils (§ 2303 II iVm § 1371 I BGB) hinsichtlich der Verjährung des Anspruchs auf Zugewinnausgleich aus § 1371 II BGB.516 Der Streitgegenstand sei im Hinblick auf den tatsächlichen Klagegrund verschieden. Zwar habe die Judikatur angenommen, dass eine Klage auf Befriedigung eines von mehreren Ansprüchen, die sich als verschiedene Ausprägungen des gleichen Rechtes und damit wesensgleich erwiesen, auch die Verjährung der übrigen unterbreche. Dies sei hier aber aus verschiedenen Gründen nicht der Fall: Beide Ansprüche gehörten unterschiedlichen Rechtsbereichen (eheliches Güterrecht und Erbrecht) an.517 Zudem hätten über den Zugewinnausgleichsanspruch die Familiengerichte, über den Pflichtteilsanspruch die allgemeinen Zivilgerichte zu befinden. Die Ablehnung einer Erstreckung der Verjährungsunterbrechung erscheint hier m.E. sachlich unzutreffend, wenn man bedenkt, dass durch die Erhöhung des gesetzlichen Ehegattenerbteils (§ 1371 I BGB) der Ausgleich des Zugewinns verwirklicht werden soll.518 Das Kriterium der wesensgleichen Ausgestaltung materieller Ansprüche durch den Gesetzgeber schafft mehr oder weniger zufällige Ergebnisse und wird dem Postulat der Rechtssicherheit nicht gerecht.519 Nach dem BGH kommt auch dem Anspruch auf Anpassung des notariellen Erbschaftsauseinandersetzungsvertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage keine verjährungsunterbrechende Wirkung für den Anspruch auf Zugewinnausgleich (§ 1371 II BGB) zu.520 Gleiches wird angenommen zwischen dem Wiederherstellungsanspruch des Vermieters wegen baulicher Veränderungen der Mietsache und dem auf Geldzahlung lautenden
515 Insgesamt könne aber, so Leipold, an vorsichtige funktionelle Erweiterungen innerhalb des verjährungsrechtlich relevanten Streitgegenstands gedacht werden. Trotz unterschiedlicher Anträge dürfe auch einmal eine funktional gleichwertige Rechtsfolge in den Streitgegenstand einbezogen werden. 516 BGH NJW 1983, 388, beinhaltet im Übrigen ein ausdrückliches Bekenntnis zum prozessualen Anspruchsbegriff, der vom materiellen Gegenstück zu unterscheiden sei. Zutreffend hingegen AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 12: beide Ansprüche dienen demselben Interesse. 517 Dies erinnert an die im Internationalen Kontext auftretende Frage, ob die kollisionsrechtliche Qualifikation auch über den Streitgegenstand mitentscheidet, Isenburg-Epple, S. 221 ff. 518 Ebenso AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 12 Fn. 57. 519 A.A. BGH NJW 1983, 388, mit weiteren Hinweisen auf die rechtliche Selbständigkeit der Ansprüche. 520 BGH NJW 1993, 2439 (mit instruktiver Zusammenfassung aller bisher von der Rechtsprechung erörterten Fallgruppen).
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Schadensersatzanspruch (§ 326 BGB a.F.).521 Hier dürfte § 213 BGB sicher eine Änderung bewirkt haben. Im Ergebnis sind die Kriterien des BGH nicht eindeutig. Rekurriert wird meist auf das Merkmal der „materiellrechtlichen Wesensgleichheit der Ansprüche“. Gefordert wird z.T. auch die Identität des Klagegrundes und/oder des verfolgten Interesses, sofern die Anträge verschieden sind.522 Arens hat gegen diese Judikatur mit Recht den Vorwurf erhoben, der BGH habe bei seiner ergebnisorientierten Begründung prozessuale Fragen – also ob sich der Streitgegenstand verändert habe – außen vor gelassen. Die Urteile zeigten, so Arens, die Tendenz der Rechtsprechung zur Abkehr von der strikten Ausrichtung der Verjährungsunterbrechung am Streitgegenstand.523 Der Anspruch als Verjährungsobjekt besitze eine ‚verjährungsmäßige Selbständigkeit‘ gegenüber dem prozessualen Anspruch.524 M.E. könnte aber auch umgekehrt argumentiert werden: Die Wirkungen der Rechtshängigkeit (§ 262 ZPO) greifen auch dann, wenn die Streitgegenstände bei rein formaler Betrachtung divergieren. In einer jüngeren Entscheidung525 gestand der BGH der klageweisen Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs verjährungsunterbrechende Wirkung im Hinblick auf den später hilfsweise erhobenen Anspruch auf Übertragung der Fondsanteile zu. Der V. Senat stellte zunächst klar, dass der Umfang der Verjährungsunterbrechung sich im Grundsatz am rechtshängigen Streitgegenstand orientiere.526 Jedoch gelte dies nicht uneingeschränkt. Vielmehr sei in der Rechtsprechung527 seit langem anerkannt, dass die verjährungsunterbrechende Wirkung über den Streitgegenstand hinausreichen könne. Im Übrigen habe bereits das RG528 eine Erweiterung des in § 477 III, § 639 BGB a.F. verbürgten Gedankens erwogen. Die Aussagen des BGH klingen, wie u.a. sein Hinweis auf § 213 BGB zeigt, nach einer Emanzipation vom Streitgegenstandsdenken.529 521 BGH NJW 1988, 1778, mit abl. Anm. von F. Peters, JZ 1988, 763 unter Berufung auf die von Henckel eingeführten Kriterien; mit Recht zweifelnd M. Wolf, in: FS Schumann, S. 579; zum Verhältnis von Erfüllungsanspruch und Schadensersatz bei Nichterfüllung einer Leistungspflicht Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 55. 522 So MünchKomm/Grothe, BGB, § 204 Rn. 10; BGH NJW 1995, 1675. 523 Arens, in: FS Schwab, S. 25 ff.; M. Wolf, in: FS Schumann, S. 586 ff. 524 Buschmann, Rechtshängigkeit, S. 159 f. 525 BGH NJW-RR 2007, 738. 526 Unter Rekurs auf BGHZ 104, 268, 271. 527 Vgl. auch den Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 96: „Die Rechtsprechung hat darüber hinaus für einige Fälle angenommen, dass die auf einen bestimmten Gegenstand gerichtete Klage auch die Verjährung eines auf das gleiche Interesse gerichteten Anspruchs unterbricht…“. 528 RGZ 134, 272; RGZ 102, 143, 144; RGZ 106, 184; RGZ 108, 38, 40; RGZ 77, 213, 216. 529 Merschformann wollte die Unmaßgeblichkeit des herrschenden Streitgegenstandsverständnisses für den Umfang der „Verjährungsunterbrechung“ bereits aus §§ 477 III, 639 I
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3. Die Vorarbeiten Henckels Erste Schritte zur Emanzipation des Umfangs der Verjährungsunterbrechung vom Streitgegenstand wurden bereits von Henckel unternommen, der annahm, aus § 477 III BGB a.F. einen allgemeinen Gedanken folgern zu können.530 Seine Ausführungen erwiesen sich als grundlegend und fanden in den Gesetzesmaterialien zu § 213 BGB Berücksichtigung. Seiner Meinung nach sei der Anspruchsinhalt lediglich unentbehrlich für die Bestimmung des Umfangs der Verjährungsunterbrechung, soweit es um den Betrag der Forderung gehe, zu dem der Beklagte verurteilt werden soll. Denn dieser müsse nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht damit rechnen, jetzt noch einen größeren wirtschaftlichen Wert opfern zu müssen als den, der von ihm gefordert wurde. Für Henckel ist somit, ähnlich wie im Rahmen seines Rechtskraftmodells531, entscheidend, dass die „wirtschaftliche Belastung“, die dem Schuldner mit einem anderen Anspruch auferlegt wird, nicht größer ist als die, mit der er aufgrund des eingeklagten Anspruchs rechnen musste, vorausgesetzt der Anspruchsgrund bleibt derselbe. Obwohl der Anspruchsgegenstand somit wegen § 308 ZPO zur Kennzeichnung des Streitgegenstands beitrage532, begrenze er nicht das Objekt der Verjährungsunterbrechung. Hierfür sei neben dem Ausmaß der wirtschaftlichen Belastung des Schuldners allein der Anspruchsgrund maßgeblich533, also der jeweilige Tatsachenkomplex.534
BGB ableiten, Merschformann, Verjährungsunterbrechung, 147 f. Eine spätere Streitgegenstandsänderung soll seiner Ansicht nicht an der zwischenzeitlichen Verjährung scheitern, „wo der spätere Anspruch den früheren im Rahmen des bisherigen Klageziels lediglich ersetzen soll.“ 530 Henckel JZ 1962, 335. 531 Henckel, Prozeßrecht, S. 170 ff., 173: „Will man also einem Urteil bindende Wirkung beimessen für einen neuen Prozess, der zwischen denselben Parteien bei gleichem Anspruchsgrund über einen anderen Anspruchsinhalt geführt wird, so darf dies nur geschehen, wenn der wirtschaftliche Wert, der im ersten und zweiten Prozess auf dem Spiel steht, identisch ist.“ 532 Henckel, JZ 1962, 336. 533 Henckel, JZ 1962, 337: „Ausschlaggebend für die Abgrenzung des Objekts der Verjährungsunterbrechung ist also neben dem Ausmaß der wirtschaftlichen Belastung des Schuldners der Anspruchsgrund … Fordert der Gläubiger einen anderen Gegenstand aus demselben Anspruchsgrund, auf den er eine verjährungsunterbrechende Klage gestützt hat und mutet er damit dem Beklagten keine höhere wirtschaftliche Belastung zu als mit der ersten Klage, so besteht kein Grund, den Beklagten zu schützen.“ Nach Henckels Streitgegenstandsverständnis lassen sich indes Ansprüche unterschiedlichen Inhalts nicht zu einem Verfügungsobjekt zusammenfassen, so dass immer unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen sollen; Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 130. 534 Henckel, JZ 1962, 337. Gegen eine Erweiterung der Rechtshänggkeit in Fällen einer erweiterten Rechtskraftwirkung MünchKomm/Becker-Eberhardt, ZPO, § 261 Rn. 56; Heiderhoff, Rechtshängigkeit, S. 19 ff.; a.A.: Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 15, 59.
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„Hilfsweise“ sichert Henckel 535 den erweiterten Umfang der Verjährungsunterbrechung mit einem Hinweis auf die Rechtskraftlehre Zeuners ab.536 Damit will Henckel dem in den Motiven zum Ausdruck kommenden Gleichlauf von Verjährungsunterbrechung und Rechtskraftumfang gerecht werden, wenngleich nur eine erweiterte Form der Bindungswirkung in Betracht kommt. Zugleich spricht Henckel den Gedanken an, welchen später Spiro als entscheidend ansah537: Ein Beklagter, der einmal veranlasst gewesen sei, sich gegen einen Anspruch mit einem bestimmten Anspruchsgrund zu verteidigen und die dafür erforderlichen Beweismittel bereit zu halten, könne sich nicht auf die verdunkelnde Macht der Zeit berufen.538 Somit steht Henckel mit seiner Ansicht zwischen der Auffassung der h.M. und der noch weitergehenden Meinung von Spiro, der für eine elastische Handhabung der Verjährungsunterbrechung eintritt539, indem er den Aspekt des Schuldnerschutzes in den Mittelpunkt seiner Betrachtung rückt. Spiros Überlegungen nahestehend, hat jüngst auch M. Wolf einer Befreiung der Verjährungshemmung vom Streitgegenstandsdenken das Wort geredet.540 Zweifellos hat aber bereits Henckel den Zusammenhang zwischen Streitgegenstand und Verjährungsunterbrechung gelockert. Aufgabe der nachfolgenden Ausführungen soll es sein, den verloren gegangenen Zusammenhang wiederherzustellen, ohne dabei den Vorteil eines erweiterten Hemmungsumfangs preisgeben zu müssen. Das von Henckel entwickelte Merkmal des gemeinsamen Anspruchsgrundes bzw. der einheitlichen wirtschaftlichen Belastung weist zwar in die richtige Richtung, führt aber zu kaum vorhersehbaren praktischen Ergebnissen. Denn gerade den gesetzlich geregelten Ausnahmefall in § 477 BGB a.F. konnte Henckel hiermit nicht erklären:541 Die wirtschaftliche Belastung des Verkäufers kann bei den verschiedenen Gewährleistungsrechten stark divergieren. Das Gemeinte lässt sich wiederum am besten mit dem Begriff des „identischen Klägerinteresses“ verdeutlichen.
4. Zur Auslegung von § 213 BGB § 213 BGB basiert auf dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2001 und sieht eine Erstreckung der Hemmung, Ablaufhemmung und des erneuten Beginns der Verjährung auf Ansprüche vor, die aus demselben Grunde wahlweise neben 535
Henckel, Parteilehre, S. 337. Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 68 f., 170 f. 537 Spiro, Die Begrenzung privater Rechte, Bd. 1, § 167, S. 395 f. 538 Arens, in: FS Schwab, S. 28. 539 Arens, in: FS Schwab, S. 28. 540 M. Wolf, in: FS Schumann, S. 586 f. 541 Henckel, JZ 1962, 337. Da im Verhältnis von Wandelung und Minderung nicht dieselbe wirtschaftliche Belastung auf dem Spiel stehe, nimmt Henckel, Prozeßrecht, S. 182 ff., hier auch keinen Fall der Rechtskrafterstreckung an. 536
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dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind. Diese Form der Wirkungserstreckung stellt keine gänzliche Neuerung dar, sondern hat ihr Vorbild in §§ 477 III und 639 I BGB a.F. Insoweit hatte sich, veranlasst durch die Ausführungen Henckels und die Rechtsprechung, die Überzeugung herausgebildet, dass die Wirkungserstreckung über die Situation konkurrierender Gewährleistungsrechte hinaus auf vergleichbare Fälle Anwendung finden sollte.542 Der hinter den gesetzlichen Ausnahmevorschriften stehende Gedanke wurde durch § 213 BGB für Fälle, in denen der Neubeginn oder die Hemmung eines Anspruchs in Rede steht, erweitert.543 Die Bedeutung des (wirtschaftlichen) Interesses zeigt sich dabei an verschiedenen Stellen der Gesetzgebungsgeschichte.
a) Die Bedeutung des einheitlichen Klägerinteresses Bereits im Jahre 1982 hatten F. Peters und R. Zimmermann im Rahmen ihres vom Bundesministerium der Justiz eingeholten Gutachtens zur Überarbeitung des Schuldrechts folgenden Vorschlag unterbreitet: „§ 209: Die Hemmung oder der erneute Beginn der Verjährung gilt auch für solche Ansprüche des Berechtigten, mit denen er Bereicherungsausgleich oder ein sonstiges Interesse begehrt.“544
Diese ausdrücklich in Anlehnung an § 264 Nr. 3 ZPO getroffene Formulierung zeigt545, dass Interesse keineswegs mit Schaden gleichgesetzt werden muss, sondern als Oberbegriff für ein vermögensrechtliches Äquivalent fungieren kann.546 Im Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts war ein vergleichbarer Vorschlag enthalten:547 542
Henckel, JZ 1962, 335; Peters/Zimmermann, in: Gutachten und Vorschläge, S. 261: „Warum soll der Gläubiger mit der Einrede der Verjährung rechnen müssen, der jetzt aus ungerechtfertigter Bereicherung klagt, nachdem sich der Schuldner gegenüber seiner Erfüllungsklage auf die Nichtigkeit des Vertrages berufen hat?“; vgl. auch Spiro, aaO., S. 395 ff.; 405 f.; 408 ff. 543 Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, § 213 Rn. 1. 544 Vgl. Peters/Zimmermann, in: Gutachten und Vorschläge, S. 261: „Letztlich stehen Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch, Erfüllungs- und Bereicherungsanspruch, um nur wichtige Beispiele zu nennen, in kaum einem anderen Verhältnis zueinander als die einzelnen Gewährleistungsrechte. Indem das BGB diese Fälle nicht hinreichend berücksichtigt, nimmt es der Bestimmung des § 209 BGB die Bedeutung, die sie eigentlich haben könnte.“ Beide weisen im Übrigen bereits darauf hin (dort Fn. 473), dass nicht nur das Verhältnis der materiellen Ansprüche zueinander zu bedenken sei, sondern auch das Verhältnis des materiellen zum prozessualen Anspruch. 545 Abgrenzungsschwierigkeiten könnten dadurch vermieden werden; für die Anlehnung an § 264 Nr. 3 ZPO: Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 262 Rn. 9. 546 Gleiches gilt für Ansprüche aus §§ 683, 670 BGB, wenn sie wegen Unwirksamkeit eines Vertrages den ursprünglichen vertraglichen Entgeltanspruch ersetzen. Der Schuldner wird, wenn der Gläubiger nicht die ursprüngliche Leistung erhält, mit Ersatzansprüchen rechnen müssen. Vgl. Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 164. 547 Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 96. Hierzu
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„§ 219 BGB-KE: Der erneute Beginn der Verjährung oder die Hemmung gilt auch für Ansprüche, die wahlweise neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind.“
Wenngleich der Begriff Interesse selbst im Gesetzestext nicht mehr auftaucht, stellt die Begründung klar, dass „der Anspruch auf das gleiche Interesse gehen muss und dass es sich um einen der Fälle handeln muss, in denen das Gesetz von vorneherein mehrere Ansprüche dem Gläubiger zur Wahl stellt oder es ihm ermöglicht, in Verfolgung des gleichen wirtschaftlichen Interesses von einem zum anderen Anspruch überzugehen.“548
Der Schuldner sei in diesen Fällen nicht schutzbedürftig, weil er durch die Unterbrechung bzw. Hemmung hinsichtlich des einen Anspruchs hinreichend gewarnt sei und sich auf eine Rechtsverfolgung hinsichtlich der übrigen Ansprüche einstellen könnte.549 Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Schuldrechts550 wurde dieser Gedanke schließlich wieder aufgegriffen. Obwohl es auch dort lediglich heißt, dass die Hemmung und der erneute Beginn der Verjährung auch für Ansprüche gelten, die neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind, wird die Bedeutung des einheitlichen Interesses für den Umfang der Verjährungshemmung in der Begründung des Regierungsentwurfs ausdrücklich angesprochen:551 „Durch die gewählte Formulierung kommt zum Ausdruck, dass es sich um einen anderen Anspruch gegen den gleichen Schuldner handeln muss, dass der Anspruch auf das gleiche Interesse gehen muss und dass es sich um einen der Fälle handeln muss, in denen das Gesetz von vorneherein mehrere Ansprüche dem Gläubiger zur Wahl stellt oder es ihm ermöglicht, in Verfolgung des gleichen wirtschaftlichen Interesses von einem zum anderen Anspruch überzugehen.“552
Denn ein Gläubiger soll nicht gezwungen sein, durch Hilfsanträge im Prozess die Verjährung weiterer interessenidentischer Ansprüche zu verhindern.553 Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfes soll mit § 213 BGB jeRabe, NJW 1992, 2395 f., 2399: „Es muss sich um einen der Fälle handeln, in denen das Gesetz dem Gläubiger von vorneherein mehrere Ansprüche zur Wahl stellt oder es ihm ermöglicht, in Verfolgung des gleichen wirtschaftlichen Interesses von einem zum anderen Anspruch überzugehen. Hier kann es durchaus zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, deren Lösung jedoch der Rechtsprechung überlassen bleiben kann.“ 548 Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 97. 549 Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 96; vgl. zum Gesetzgebungsverfahren auch Lau, S. 117. 550 BT-Drs. 14/6857, S. 46 = BT-Drs. 14/6040, S. 122. 551 MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 3: Es genüge, dass das wirtschaftliche Interesse, auf welches die Ansprüche gerichtet seien, im Kern identisch sei. 552 BT-Drs. 14/6040, S. 122: Dies ist etwa nicht der Fall zwischen dem Erfüllungsanspruch und dem Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens. 553 BT-Drs. 14/6040, S. 122: Der Schuldner sei nicht schutzbedürftig, „da er durch die Unterbrechung oder Hemmung hinsichtlich des einen Anspruchs hinreichend gewarnt ist und
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doch eine streitgegenstandsfremde Hemmung erreicht werden, die über die Wirkung von § 204 BGB hinausreicht.554
b) Die Einfügung des Merkmals „aus demselben Grunde“ Auf die Prüfbitte des Bundesrates wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren untersucht, ob § 213 BGB-E inhaltlich und sprachlich klarer gefasst werden könnte.555 Denn dem Wortlaut der Vorschrift ließen sich die in der Gesetzgebungsbegründung genannten Anforderungen zumindest für die wahlweise nebeneinander stehenden Ansprüche nicht entnehmen. Überdies komme nicht ausreichend zum Ausdruck, „dass die Ansprüche auf das gleiche Interesse gerichtet sein müssen.“ Auf die Gegenäußerung der Bundesregierung556 hin wurde schließlich die Wendung „wahlweise neben dem Anspruch“557 als das für in elektiver Konkurrenz stehende und inhaltlich divergierende Ansprüche kennzeichnende Merkmal in den Gesetzestext aufgenommen. Eine weitere begriffliche Konkretisierung der Fälle elektiver Konkurrenz im Gesetzeswortlaut hielt die Bundesregierung zwar für angebracht, den Begriff „Interesse“ hierfür aber ungeeignet, „weil er in den verschiedenen Vorschriften in ganz unterschiedlichem Sinn verstanden wird.“558 Insofern wurde auch dem Vorschlag von Peters/Zimmermann eine Absage erteilt. Vielmehr, so die Bundesregierung559, werde das Gemeinte besser mit der Formulierung „aus demselben Grund“ verdeutlicht.560 Schmidt-Räntsch glaubt, dass der Gesetzgeber mit dieser Formulierung an den Klagegrund im Sinne von § 264 ZPO angeknüpft habe.561 Während im Entwurf noch stärker auf das Anspruchsziel abgestellt wird, das mit Interesse bezeichnet wird, sei mit „demselben Grund“ der durch das Anspruchsziel gesich auf die Rechtsverfolgung des Gläubigers hinsichtlich der übrigen Ansprüche einstellen kann.“ Die Wendung im Abschlussbericht der Schuldrechtskommission wird wiederholt. 554 BT-Drs. 14/6857, S. 46: „Durch die vorgesehene Regelung ändert sich zunächst nichts daran, dass der Neubeginn oder die Hemmung der Verjährung den Anspruch im Sinne des Prozessrechts erfasst, unabhängig davon, ob er aus einer oder mehreren Anspruchsgrundlagen des materiellen Rechts hergeleitet wird. Die Vorschrift greift erst, wenn diese Grenze durch Änderung des Antrags oder des zugrunde liegenden Sachverhalts überschritten wird.“ Der letzte Satz bezog sich allerdings auf eine Gesetzesformulierung, die das Merkmal desselben Anspruchsgrundes noch nicht enthielt. Darauf stützt Lau, S. 119, die Grundlegung ihrer Arbeit. 555 BT-Drs. 14/6857, S. 10. 556 BT-Drs. 14/6857, S. 46. 557 Diese Wendung war bereits in § 219 BGB-KE und § 211 BGB-DE enthalten, wurde aber wegen der begrifflichen Nähe zum „Wahlschuldverhältnis“ abgelehnt. 558 BT-Drs. 14/6857, S. 46. 559 BT-Drs. 14/6857, S. 46. Vgl. auch MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 3. 560 Der gemeinsame Entstehungs- bzw. Anspruchsgrund als Kriterium der Wirkungserstreckung fand bereits in der Rechtsprechung des BGH Verwendung. 561 Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, § 213 Rn. 3.
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prägte Lebenssachverhalt in den Mittelpunkt gerückt, aus dem die einzelnen Ansprüche abgeleitet würden.562 Diese Schlussfolgerung trifft jedoch – ausweislich der Gegenäußerung der Bundesregierung als Reaktion auf die Prüfbitte des Bundesrates – nicht zu.563 Deren Worte legen vielmehr nahe, dass an der funktionellen Ausrichtung der Vorschrift nichts geändert werden sollte und die Formulierung „aus demselben Grund“ lediglich als eine sprachlich vorzugswürdigere Umschreibung der in Fällen elektiver Konkurrenz gegebenen Interessenidentität dienen sollte.564 Münch hat deswegen mit Recht darauf hingewiesen, dass die Formulierung „aus demselben Grund“ materielle Interessenidentität einfordern wolle565, hierfür aber die prozessuale Begrifflichkeit in § 253 II Nr. 2 Var. 2 ZPO bemüht werde.566 Für die gewählte Formulierung „aus demselben Grund“ dürften u.a. die Überlegungen Henckels zum identischen Anspruchsgrund Modell gestanden haben.567 Hierbei wäre dann aber nicht ausrei562 Den Grund mit dem Lebenssachverhalt gleichsetzend auch Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, § 213 Rn. 3; ähnlich Hess, Schuldrechtsreform und Zivilprozess, S. 670 Fn. 43; Lau, S. 127, hingegen hält eine Ausrichtung am (prozessualen) Lebenssachverhalt für zu eng. Sie geht vielmehr davon aus, dass das Merkmal erfüllt sei, wenn die anspruchsbegründenden Sachverhalte in ihren wesentlichen Elementen übereinstimmen, also ein „identischer Kern“ vorliege. Diese Formulierung ist aber denkbar ungenau und weniger praktikabel als der Begriff der Interessenidentität. 563 BT-Drs. 14/6857, S. 46; BT-Drs. 14/7052, S. 182; vgl. auch die Kritik bei Zimmermann/ Leenen u.a. JZ 2001, 684, 697; gerade die umgekehrte Auffassung findet sich bei Lau, S. 123, die auf die Interessendientität als eigenständiges Kriterium verzichten will. Sie stützt sich dabei auf den Wortlaut der Vorschrift und das Argument, dass der Gesetzgeber angeblich vom Begriff desselben „wirtschaftlichen Interesses“ Abstand nehmen wollte. Inhaltlich trifft dies freilich nicht zu, weil die Materialien gerade belegen, dass lediglich eine andere wörtliche Umschreibung des Prinzips der Interessenidentität gewollt war. 564 In diesem Sinne auch MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 3 und AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 7 (Grund als zusätzliches Merkmal neben Interesse). In der Begründung zu § 203 BGB ist indes vom Lebenssachverhalt die Rede, aus dem das Interesse abzuleiten sei, BT-Drs. 6040, S. 112: „Der Begriff ‚Anspruch‘ ist hier nicht im Sinne einer materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage, sondern weiter im Sinne eines aus einem Sachverhalt hergeleiteten Begehrens auf Befriedigung eines Interesses zu verstehen … Dabei braucht das Begehren nicht besonders beziffert oder konkretisiert zu sein…“ Die von der Hemmung erfassten Ansprüche werden durch den Gegenstand der Verhandlungen bestimmt, MünchKomm/Grothe, BGB, § 203 Rn. 7. Entscheidend ist somit in diesem Sinne nicht der einzelne Anspruch, sondern das Gläubigerinteresse als solches, das dem Lebenssachverhalt entspringt, der in den Verhandlungen unterbreitet wird. Im Rahmen von § 203 BGB ist der Lebenssachverhalt der unentbehrliche Ausgangspunkt, der den Hemmungsumfang begrenzt. Mangels eines formellen Antrags des Gläubigers bildet er die einzige Orientierungsbasis, BT-Drs. 14/6040, S. 112; Fischinger, VersR 2005, 1641 f. 565 Vgl. BT-Drs. 14/6857 S. 46 [BReg] mit S. 10 [BRat]; auch MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 3. 566 Münch, in: FS Schlosser, S. 631 Fn. 71. 567 Vgl. Henckel, JZ 1962, 337. Zu bedenken ist aber, dass Henckel von einem – nach seinen Funktionen gespaltenen – materiellen Anspruchsbegriff im Sinne eines einheitlichen Verfügungsobjekts ausgeht und insoweit mit Anspruchsgrund auch den Klagegrund meint. Dies
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chend bedacht, dass dieses Kriterium eng mit dem ebenfalls von Henckel eingeführten Merkmal „derselben wirtschaftlichen Belastung“ zusammenhängt. Auch im Wortlaut von § 213 BGB kommt der Interessegedanke trotz der gesetzgeberischen „Flickschusterei“ weiter zum Ausdruck.568 Denn die Wendung „wahlweise oder anstelle des Anspruches“ lässt den maßgeblichen Gesichtspunkt der Erfüllungskonnexität ausreichend erkennen.569 Insoweit stellt der Passus aus „demselben Grund“ keine besonders günstige Formulierung dar, verdeckt er doch das eigentlich Gemeinte. Die Formulierung könnte höchstens insofern von Bedeutung sein, als mit dem Wechsel des tatsächlichen Vortrags häufig auch das Interesse eine Veränderung erfährt.570 M.E. kommt es dabei weniger auf die wirtschaftliche Identität an.571 Vielmehr muss der Gläubiger durch den miterfassten Anspruch nach Wertung des Gesetzes in ähnlicher Weise befriedigt werden. Steht nun fest, dass mit dem gleichen „Anspruchsgrund“ vor-
wird vielfach übersehen. Mit dem Grund des erhobenen Anspruchs ist also nicht der einzelne materielle Anspruch gemeint, Henckel, JZ 1992, 648. 568 Kritik am Gesetzgebungsverfahren auch bei Zimmermann/Leenen u.a. JZ 2001, 684 (697). 569 AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, § 213 Rn. 5 halten weiterhin für die Konkretisierung von § 213 BGB am Erfordernis des gemeinsamen Interesses fest; ähnlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 262 Rn. 9; MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 5; ebenso Huber, in: Huber/ Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 278; Palandt/Ellenberger, BGB, § 213, Rn. 3. Hiergegen ausdrücklich Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, § 213 Rn. 2. Der Zusammenhang mit der Erfüllung wird bereits bei Spiro deutlich, Die Begrenzung privater Rechte, Bd. 1, § 170, S. 405: Für konkurrierende Eventualansprüche auf dasselbe Ziel, etwa denselben Schaden bei vertraglichen und deliktischen Ansprüchen, komme es allein darauf an, dass die Ansprüche nicht kumuliert werden können: „Ob sie konkurrieren, erst die Erfüllung des einen auch den anderen erledigt, oder schon der Bestand des einen den anderen ausschließt, ist gleichgültig; unterbrochen wird daher die Verjährung auch für alle Eventualansprüche auf dieselbe Leistung oder ein bloßes minus. Lässt das Prozessrecht, sei es durch Ergänzung der Vorbringen oder Klageänderung, sei es durch Beschränkung der Rechtskraft eine neue Klage zu, so darf eine erst im Laufe des Prozesses eingetretene Verjährung nicht entgegenstehen … Es wäre wenig befriedigend, auf den Zwang, Eventualansprüche sogleich vorzunehmen, dort zu verzichten und ihn hier anzunehmen.“ Auch bei alternativen, auf verschiedene Leistungen gerichteten Ansprüchen will er gegenseitige Unterbrechung annehmen, „wenn die Ansprüche zwar auf verschiedene Leistungen gehen, aber ihr Rechtsgrund gleichwohl ihre Kumulation ausschließt, nicht eine mehrfache, sondern nur eine einzige Zuwendung stattfinden soll“, Spiro, Die Begrenzung privater Rechte, Bd. 1, § 171, S. 407 und § 50. 570 Vgl. zur Deutung von § 264 Nr. 3 ZPO als Auslegungsregel oben § 23 I 7. Wenn nun die Wendung „aus demselben Grund“ materielle Interessenidentität einfordern will, könnten die Worte „ohne Änderung des Klagegrundes“ in § 264 Nr. 3 ZPO in eben diesem Sinne verstanden werden. 571 So aber MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 3: Das wirtschaftliche Interesse müsse im Kern identisch sein. Gerade bei elektiver Konkurrenz werden die wirtschaftlichen Unterschiede aber spürbar. Entscheidend sollte deswegen allein die Erfüllungskonnexität sein, vgl. AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 7: Der Gläubiger muss durch den miterfassten Anspruch nach Wertung des Gesetzes in ähnlicher Weise befriedigt werden.
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nehmlich ein begriffliches Synonym für „Interesse“ gefunden werden sollte, erübrigen sich weitere Begrenzungen.572 Dass durch ein Abheben auf die Identität des tatsächlichen Anspruchsgrundes für die Anwendung von § 213 BGB nichts gewonnen ist, zeigt etwa das Verhältnis von Mangel- und Mangelfolgeschaden. An sich lägen hier, stellt man allein auf den gemeinsamen Sachverhalt ab, die Voraussetzungen der Verjährungshemmung nach § 213 BGB vor, was im Ergebnis aber nicht überzeugen kann. Beide Schadenspositionen basieren auf der Mangelhaftigkeit der Kaufsache und demselben tatsächlichen Grund, verwirklichen jedoch jeweils ein unterschiedliches Interesse.573 Der Mangelfolgeschaden betrifft im Gegensatz zum Mangelschaden eine Vermögenseinbuße an sonstigen Rechtsgütern des Gläubigers. Mansel/Budzikiewicz folgern daraus mit Recht, „dass ein Abstellen auf den gleichen Grund zwar notwendiges, aber nicht hinreichendes Kriterium ist, um die in § 213 BGB geforderte Alternativität der Ansprüche zu konkretisieren.“574
M.E. genügt diese Interessenidentität bzw. -verschiedenheit bereits, um die Grenzen der Verjährungshemmung ausreichend zu bestimmen.575 Das tatsächliche Element wirkt nur individualiserend, begrenzt das Interesse jedoch nicht. Dem Lebenssachverhalt kommt deswegen auch dann keine einschränkende Bedeutung zu, wenn mehrere verschiedene Geschehensabläufe denselben Schaden verursacht haben sollen. Deswegen führen unterschiedliche Pflichtverletzungen nicht automatisch zu einer Begrenzung des Verjährungsumfangs.576 Anderes gilt, wenn Gewährleistungsansprüche mit unterschiedlichen Sachmängeln einer Kaufsache begründet werden. Ähnlich wie bei der Geltendmachung verschiedenener Schäden577 werden hier verschiedene materielle Einbußen (an der Kaufsache) erkennbar, die die Annahme unterschiedlicher Interessen rechtfertigen.578 Von Bedeutung ist die Veränderung im tatsächlichen Hergang somit nur, wenn sie ein anderes, abgrenzbares Interesse betrifft. Hält man hingegen (unrichtigerweise) am Erfordernis des gleichbleibenden (Klage-)Grundes fest, dann ist die folgende Gesetzesbegründung korrekturbedürftig: 572 Gemessen am Zweck der Verjährungsregel hält auch Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, S. 688, die Identität des Klagegrundes (im prozessualen Sinne) für bedeutsam. 573 Zutreffend AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 7 gegen Staudinger/ Peters/Jacoby, BGB, § 213 Rn. 5 f. 574 AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 7. 575 Speziell für das Verhältnis des Nacherfüllungsanspruches zum Rücktritt/zur Minderung kommt diese Interessenidentität auch in § 218 BGB deutlich zum Ausdruck. 576 Vgl. auch Radig/Brocker, BKR 2010, 121 f. A.A.: BGH NJW 2000, 2678 f.; BGH BKR 2010, 118; Bamberger/Roth/Henrich, BGB, § 213 Rn. 5 f.; AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 8. 577 AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 8. 578 Auch der Wortlaut von § 438 BGB erklärt den einzelnen Mangel für relevant. Vgl. ausführlich Bub, Streitgegenstand, S. 118 ff., und unten § 25 V 4, 5.
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„§ 213 greift erst dann ein, wenn diese Grenze [der Streitgegenstand] durch Änderung des Antrags oder des zugrunde liegenden Sachverhalts überschritten wird.“579
Diese Äußerung bezieht sich noch auf die Fassung im Gesetzesentwurf der Bundesregierung, die das Merkmal „Grund des Anspruchs“ noch nicht enthielt. Nach der geltenden Formulierung könnte § 213 BGB nur Anwendung finden, wenn bei gleichbleibendem Anspruchsgrund der Klageantrag geändert wird.580 Erkennt man im (Anspruchs-) Grund ein selbständiges Element für die Konturierung von § 213 BGB, würde etwa im Verhältnis von Wechsel- und Kausalanspruch keine Verjährungshemmung eintreten, was der obergerichtlichen Rechtsprechung widersprechen würde.581 Der Blick sollte deswegen ausschließlich auf die Feststellung materieller Interessenidentität gerichtet sein, die im Beispiel zweifellos vorliegt.
5. Parallele: Verjährungsunterbrechung kraft Fiktion An dieser Stelle sei auf eine systematische Parallele zur „Klagenverjährung“ im gemeinen Recht hingewiesen. Der Umfang der Verjährungsunterbrechung war dort relativ weit gesteckt.582 Die Erhebung einer Klage unterbrach hier die Verjährung aller auf das gleiche Ziel gerichteten Klagen des Klägers gegen den Beklagten.583 Die gemeinrechtlichen Stellungnahmen beziehen sich zumeist auf eine Verordnung Justinians (C. 7, 40 De annali exceptione/3).584 „Sancimus itaque nullam in iudiciis in posterum locum habere talem confusionem, sed qui obnoxium suum in iudicium clamaverit et libellum conventionis ei transmiserit, licet generaliter nullius causae mentionem habentem vel unius quidem specialiter, tantummodo autem personales actiones vel hypthecarias continentem, nihilo minus videri ius suum omne eum in iudicium deduxisse et esse interrupta temporum curricula, cum contra desides homines et sui iuris contemptores odiosae exceptiones oppositae sunt.“ 585 579 Nicht mehr richtig ist im Übrigen die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/6040, S. 21: Deswegen unzutreffend: Bamberger/Roth/Henrich, BGB, § 213 Rn. 2; richtig hingegen: Münch, in: FS Schlosser, S. 631 Fn. 71. 580 Münch, in: FS Schlosser, S. 631. § 213 BGB könnte somit nach herrschender Doktrin nur Antragsänderungen betreffen; Zöller/Greger, ZPO, § 263 Rn. 7. 581 Siehe hierzu oben § 23 II 1. 582 Lippstreu, Unterbrechung der Verjährung, S. 29 f.; v. Savigny, System V, § 243, S. 319 f.: erweiterter Streitgegenstand; Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 119 f. 583 Dernburg, Pandekten I, § 148, S. 344; ders., Lehrbuch, § 168. So soll die persönliche Klage auch die Verjährung der Pfandklage unterbrechen und umgekehrt sowie in gleicher Weise auch die Klage aus dem Besitz die Eigentumsklage. Die Erhebung einer Feststellungsklage unterbricht die Verjährung der hierauf gestützten Klage auf Verurteilung zu einer Leistung. Die persönliche Klage soll die Verjährung der Hypothekarklage unterbrechen, v. Savigny, System V, § 243, S. 320. 584 So etwa Unterholzner, § 124, S. 442. 585 „Es wird angeordnet, dass derjenige, der gegen seinen Schuldner Klage erhoben und ihm die Klageschrift zugestellt hat und dabei entweder allgemein gar keinen oder nur einen
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Diese Rechtsverordnung enthielt somit eine Vermutung586 dahingehend, dass aufgrund der Identität des Zieles der Kläger sein Recht mit allen Klagen verfolgen wolle, die sein Begehren rechtfertigen. Aus verjährungsrechtlichen Gründen wird die Erhebung aller zielidentischen Klagen fingiert.587 In diesem Fall war der Kläger aber nicht gehindert, mehrere Klagen miteinander zu verbinden, auch wenn sie demselben Ziel dienten. Das für den byzantinischen Prozess und das gemeine Recht geltende Prinzip, dass mit einer Klage nicht noch einmal beansprucht werden kann, was im Rahmen einer anderen Klage bereits erhalten wurde588, war auf die tatsächliche Befriedigung des Klägers gerichtet (Solutionskonkurrenz).589 Eine zweite zielidentische Klage war hingegen nicht gesperrt.590 Im Ergebnis beruht diese Fiktion der Verjährungsunterbrechung nicht auf einer Erstreckung ihrer Wirkung über den geltend gemachten Streitgegenstand hinaus. Vielmehr ist der Streitgegenstand, den an sich die einzelne actio bildete, durch Fiktion von Anfang an erweitert.591 Merschformann konstatiert deswegen – freilich noch zur früheren Rechtslage –, dass eine Übertragung der Fälle, in denen nach römischem und gemeinem Recht die Erhebung der Klage die Verjährung sämtlicher auf dasselbe Ziel gerichteter Klagen unterbrechen sollte, aufgrund des antragsfixierten herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstands nicht einzigen, sei es die persönliche Forderung oder die Hypothek umfassenden Grund angegeben hat, nichts desto weniger so behandelt wird, als ob er sein Recht insgesamt vor Gericht gebracht habe und dass die Verjährung unterbrochen sei“, Übersetzung nach Otto/Schilling/ Sintenis, Das Corpus Iuris Civilis, S. 87. Vgl. v. Savigny, System V, § 243, S. 320: „Wenn unter denselben Personen mehrere Rechtsverhältnisse streitig sind, und der Klaglibell so unbestimmt ist, dass es ungewiss bleibt, welchen Rechtsstreit er zum Gegenstand hat, so soll die Unterbrechung für alle diese Klagen gelten.“ 586 Unterholzner, § 124, S. 442. Ein Bedürfnis für diese klägerfreundliche Vermutung entstand insbesondere infolge der Umgestaltung des klassischen Formularverfahrens in ein Amtsverfahren. Klagegrund und Klagegegenstand wurden nunmehr etwas großzügiger beurteilt, so dass auch die Gruppierung verschiedener actiones eine häufigere Erscheinung war, Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 88, S. 580. Die Verjährungsunterbrechung dürfte damit zunächst alle Klagerechte umfasst haben, die heute unter dem Stichwort „Anspruchs(normen) konkurrenz“ zusammengefasst werden und einen Streitgegenstand bilden; Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 122. Im Formularprozess waren indes nicht geltend gemachte actiones durch die Konsumtionswirkung ausgeschlossen. 587 Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 122 f. 588 v. Savigny, System V, § 231, S. 209. 589 v. Savigny, System V, § 231, S. 209. 590 Dies war erst nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Verfahrens der Fall bzw. wenn der Kläger tatsächlich befriedigt war, Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 94 II.3. 591 Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 124: „Wenn die Verordnung Justinians nunmehr bestimmt, dass immer dort, wo ein Zusammenhang verschiedener Klagen besteht, der sie ganz oder teilweise identisch erscheinen lässt, mit der Erhebung des einen Klagerechts auch die anderen Klagerechte ausgeübt sein sollen, so wird ein verfahrensrechtlicher Zustand fingiert, den herbeizuführen dem Kläger selbst möglich gewesen wäre und der seinen Interessen angesichts der drohenden Verjährung vollauf entspricht.“
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möglich sei, es aber andererseits an einer positiv-rechtlichen Vermutung zur Erweiterung der Unterbrechenswirkung einer Klage im BGB fehle. Deswegen sei eine Erweiterung der Unterbrechungswirkung wohl „nur um den Preis einer Aufweichung des vorhandenen oder der Einführung eines neuen Streitgegenstandsbegriffs zu erreichen.“592 Das geltende Recht enthält nunmehr mit § 213 BGB eine der Fiktion der Rechtshängigkeit gleichkommende Hemmungserstreckung.593 Der Bedarf nach einer Anpassung des überkommenen Streitgegenstandsverständnisses ist jedoch dadurch in keinem Fall geringer geworden.
6. Verjährungshemmung und Rechtssicherheit bei antragsverschiedenen Rechten Ausweislich der Begründung in den Motiven zu § 209 BGB a.F. wird die Reichweite der Verjährungsunterbrechung an den Umfang der richterlichen Entscheidungsbefugnis und damit der Rechtskraft geknüpft594, um im Gegenzug dem in Anspruch genommenen Schuldner Gewissheit zu geben, nicht nochmals in derselben Sache belangt zu werden.595 Insoweit erweist sich die Verjährungshemmung durch Klageerhebung als „Vorwirkung“ der rechtskräftigen Entscheidung.596 Darin könnte eine Parallele zum – allerdings verfehlten597 – Bild der Rechtshängigkeitssperre als einer zeitlich vorgelagerten Wegbereiterin der vom Urteil ausgehenden Rechtskraftwirkung gesehen werden. Selbst K.H. Schwab setzt sein eingliedrig weites Streitgegenstandsverständnis im Rahmen der Verjährungsunterbrechung nicht voll um, sondern begrenzt den Unterbrechungsumfang – ähnlich wie bei Bemessung der Rechtskraftgrenzen – auf den vorgetragenen Sachverhalt.598 Von den Vertretern einer relativen Streitgegenstandslehre wird dieser Zusammenhang von Verjährungshemmung und Rechtskraftgrenzen hingegen kaum angesprochen.599
592 Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 128. Die Rechtsprechung, vgl. oben II 2, sei sich der Konsequenzen ihres verjährungsrechtlich erweiterten Streitgegenstands häufig gar nicht bewusst gewesen. 593 Der systematische Ansatzpunkt ist indes ein anderer als im gemeinen Recht. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Klagenverjährung, sondern die gegenseitige Hemmung interessenidentischer materieller Ansprüche. 594 Vgl. II 1. 595 BGH JR 2003, 246 zu § 209 BGB a.F.: „Die Grenzen der Verjährungsunterbrechung sind mit denen der Rechtskraft kongruent“; ebenso BGH NJW-RR 2008, 522. 596 Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 100; Hefelmann, Die gerichtliche Geltendmachung, S. 11. 597 Vgl. oben § 18 I 2. 598 Schwab, Streitgegenstand, S. 136 f.; kritisch Bub, Streitgegenstand, S. 183 f. 599 Vgl. hierzu Henckel, JZ 1992, 647.
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In seiner rechtsvergleichenden Studie hat Spiro600 aber bereits vor über dreißig Jahren darauf hingewiesen, dass im deutschen Recht die beabsichtigte Koinzidenz von Verjährung und Rechtskraftumfang nicht völlig gewahrt sei: „Den Nachteil, dass für den anderen Anspruch dann die Klage zwar die Verjährung unterbrochen, nicht aber die rechtskräftige Erledigung herbeigeführt hat, muss übrigens auch die sonst auf die Rechtskraft abstellende Lehre und Praxis zum BGB hinnehmen, wenn sie trotz § 477 BGB [a.F.] lehrt, dass das Urteil über die Wandelungsklage nicht auch Rechtskraft schafft für den Minderungsanspruch …“.601
§ 477 III BGB a.F. war nach den Motiven ausdrücklich als Ausnahme zur Regel konzipiert, wovon im Hinblick auf die Nachfolgevorschrift § 213 BGB kaum gesprochen werden kann, sollen doch sämtliche Wahlbefugnisse, Fälle elektiver Konkurrenz bzw. von Interessenidentität im weiteren Sinne erfasst sein. Dies gilt etwa für die Klage auf Kapitalabfindung im Verhältnis zum Anspruch auf Geldrente oder auch für den Anspruch auf Herausgabe einer Sache im Verhältnis zum Schadensersatzanspruch wegen Unmöglichkeit der Herausgabe. In der Gesetzesbegründung zu § 213 BGB findet sich zudem kein Hinweis mehr zum ursprünglichen Gleichlauf von Hemmungsumfang und Rechtskraftwirkung. Vielmehr nimmt der Gesetzgeber an, dass die Hemmung der Verjährung über den Umfang des konkreten Streitgegenstands und damit die Grenzen der Rechtskraft hinausreiche. Die Erweiterung des Hemmungsumfanges wäre jedoch auch mit Blick auf die Rechtsgewissheit erzeugende Funktion der Rechtskraft zu rechtfertigen, wenn die Grenzen der objektiven Rechtskraft weiter gefasst würden, wie dies in einigen europäischen Staaten der Fall ist.602 Zum namhaften Versuch Zeuners, materiellrechtliche Sinnzusammenhänge bei der Konturierung des Rechtskraftumfangs zu berücksichtigen, schweigt sich der Reformgesetzgeber beharrlich aus, obgleich die in den Materialien603 erwähnten Thesen Henckels sich gerade auf Zeuners Lehre stützen. Sollte hier bei Einführung einer Vorschrift ein entscheidendes Bindeglied in der Argumentationskette übersehen worden sein? Mit der Aussage, dass zwischen den Ansprüchen auf Minderung und Wandlung wechselseitige Rechtskraftwirkungen denkbar sind, hatte Zeuner nachträglich für § 477 BGB a.F. das missing link zur Rechtskraft gefunden604, wenngleich die h.L. seiner Lehre stets die Gefolgschaft verweigert hat. Es hätte deswegen nur 600
Spiro, Die Begrenzung privater Rechte, Bd. 1, § 167, S. 404 Fn. 25. RGZ 66, 332; Spiro erweitert den Unterbrechungseffekt auch auf konkurrierende Mängel. RGZ 78, 295 f. mache seiner Ansicht nach für das deutsche Recht nur deswegen eine Ausnahme, weil § 477 BGB a.F. keine vorgelagerte Mängelrüge verlange. 602 Piekenbrock, Befristung, S. 450, weist zutreffend darauf hin, dass ein erweiterter Rechtskraftumfang auch die Grenzen der Verjährungshemmung verändert. 603 BT-Drs. 14/6040, S. 120. 604 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 169 ff.; auch Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 128 f. 601
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eines kleinen Schrittes bedurft, diese Erkenntnis auch für die Rechtshängigkeit und den Umfang der Verjährungsunterbrechung/-hemmung fruchtbar zu machen605 und die Bedeutung des Antrags für den Streitgegenstand zu relativieren. Im Übrigen wollte auch Henckel die Parallele zwischen Verjährungsunterbrechung und Rechtskraftwirkung nicht auf den Bereich des ne bis in idem beschränken, sondern auch die positive Funktion der Rechtskraft mit einbeziehen.606 An die Stelle der Identität des Anspruchsinhaltes sollte seiner Ansicht nach als Grenze der Rechtskraftwirkung der wirtschaftliche Wert des Streitobjekts Berücksichtung finden.607 Die Rechtskraft, und somit auch der Umfang der Verjährungshemmung, bezögen sich demgemäß auf diejenigen Ansprüche, welche aus demselben Entstehungsgrund hervorgehen und der Verwirklichung desselben wirtschaftlichen Wertes dienen, auch wenn der Gegenstand jeweils ein anderer sei. Dieses von Henckel entwickelte „Ersatzkriterium“ des wirtschaftlichen Wertes ist nicht zu Unrecht in die Kritik geraten. Denn im Ergebnis vermag es eine trennscharfe Lösung nicht zu leisten und ist mit dem Gebot der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren.608 Dennoch ist Henckels Auffassung revolutionär und weist in die richtige Richtung. Dogmatisch tragfähiger erscheint hingegen der Ansatz Zeuners609: Wo das Gesetz mehrere Wege zur 605 Ablehnend ggb. einer in diesem Sinne erweiterten Rechtshängigkeit Heiderhoff, Rechtshängigkeit, S. 19 ff.; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 56; a.A. Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 15, 59. 606 Ähnlich Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 291, der darin das Prinzip der Gleichbehandlung der Prozessparteien verwirklicht sieht. Allerdings weist er darauf hin, dass gerade die Existenz von §§ 477 III, 639 I BGB a.F. zeige, dass die Grenzen der Verjährungsunterbrechung sich mit der Orientierung an der Rechtskraft nicht ausnahmslos bestimmen ließen. Gerade aber mit Blick auf § 213 BGB stellt sich die Frage mit ungeahnter Vehemenz. Aus § 213 BGB lässt sich m.E. nicht positiv auf den Umfang der (präjudiziellen) Rechtskraft folgern. Umgekehrt erscheint der nexus von (positiver) Rechtskraftwirkung und Verjährungshemmung gerechtfertigt. Doch sind auch hier Ausnahmen denkbar, vgl. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 291 f.: Das Urteil über den Hilfsanspruch wirke seiner Ansicht nach Rechtskraft für den Streit um den Hauptanspruch. Hingegen unterbreche nach allgemeiner Ansicht die Klage auf Rechnungslegung, Auskunftserteilung usw. die Verjährung des Hauptanspruches nicht. Rimmels pacher begründet dies damit, vgl. S. 293, dass der Fristablauf vom Standpunkt des Schuldners aus wie die Freigabe eines Haftungsobjekts wirke. Die Unterbrechung der Verjährung führe indes zu einer Neuverhaftung des Zugriffsbereichs. Deshalb dürfe die Hemmung durch Klage nur auf solche Rechtsbehelfe erstreckt werden, „mit denen keine anderen Zugriffsbereiche erfasst werden können als mit den in der Klage geltend gemachten Schutzmitteln. Unser bisheriger Vorschlag bedarf deswegen der Einschränkung. Danach unterbricht eine Klage, mit der ein Schutzrecht geltend gemacht wird, die Verjährung hinsichtlich eines anderen Schutzrechts, das auf denselben Zugriffsbereich wie das erhobene abzielt, insoweit, als die Tatbestandsvoraussetzungen beider Schutznormen identisch sind.“ Deswegen unterbreche die auf § 249 I BGB gestützte Klage die Verjährung hinsichtlich § 249 II BGB. Anderes gelte aber wegen des anderen Zugriffsbereichs bei Rechnungslegung und Hauptanspruch. 607 Henckel, Prozessrecht, S. 173; vgl. auch oben § 23 II 3. 608 So Arens, AcP 173 (1973), 264; Bötticher, ZZP 85 (1972), 16. 609 Henckel, JZ 1962, 338, nimmt hierauf ausdrücklich Bezug, um die Systemeinheit von
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Erreichung desselben Zieles zur Verfügung halte, schließe die für den einen ergangene Klagabweisung auch die Beschreitung der anderen aus, sofern nicht nur die Besonderheiten des jeweiligen Weges, sondern das gemeinsame Ziel verneint worden sei.610 An der Ausrichtung der Grenzen der Verjährungshemmung am Umfang der Rechtskraftwirkung sollte im Grundsatz festgehalten werden, weil nur dadurch Rechtsfrieden und Rechtssicherheit für die Parteien, insbesondere den Beklagten, gewährleistet wird.611 In einigen der von § 213 BGB erfassten Konstellationen könnte mit Blick auf § 264 Nr. 3 ZPO von einer erweiterten Bindungswirkung jenseits der Grenzen begrifflich logischer Konstruktionen (Präjudizialität) ausgegangen werden. So verhindert richtigerweise zwar die Abweisung der auf Naturalrestitution (§ 249 I BGB) gerichteten Schadensersatzklage nicht einen zweiten Schadensersatzprozess im Hinblick auf Geldersatz.612 Dennoch kann der Abweisungsgrund des Vorprozesses wegen § 249 II BGB hier Bindung entfalten.613 Da wegen des bereits beschriebenen Gleichlaufs von § 213 BGB mit § 264 ZPO das zuerst eingeleitete Verfahren nicht nur die Verjährung in toto hemmt, sondern mittels der Rechtshängigkeitssperre das Verfahren auch dort konzentriert, wird eine weitere (ungewöhnliche) Entsprechung offenbar: Die Bindungswirkung der Rechtskraft korrespondiert teilweise mit der Rechtshängigkeitssperre. In den originären Anwendungsbereich von § 148 ZPO wird dadurch jedoch nicht eingegriffen.614
Rechtskraftwirkung und Verjährungshemmung wiederherzustellen. Nicht verkannt wird dabei, dass Zeuners Methode insgesamt zu unbestimmt ist, Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 15. 610 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 169; zustimmend K. Schmidt, NJW 1989, 68; A. Blomeyer, ZPR, § 89 V 4 a (S. 491 f.); Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 135. 611 Mugdan, Materialien I, S. 582; Piekenbrock, Befristung, S. 450. Zu den objektiven Grenzen der Rechtskraft unten §§ 29, 30. 612 Vgl. später § 31 IV 1. 613 Die h.M. sieht die zweite Klage aber als unzulässig an: BGH NJW 1991, 2014; Henckel, Prozeßrecht, S. 198; Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 21, 29; a.A: mit Recht MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 40, 102: Die Anträge sind auf ein unterschiedliches Ziel gerichtet, so dass die ne bis in idem-Wirkung nicht mit § 322 I ZPO vereinbar ist. Hingegen steht m.E. die Tatsache, dass ein Zwischenfeststellungsurteil (§ 256 II ZPO) über den Haftungsgrund nicht ergangen ist, einer erweiterten Bindungswirkung nicht entgegen. Einer Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe wird damit nicht das Wort geredet. 614 Oben § 18 IV. Einseitige Präjudizialtät bestünde zumindest auch im Verhältnis von Erfüllungs- zum Schadensersatzanspruch hin, M. Wolf, in: FS Schumann, S. 594.
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7. Schuldnerschutz und Präjudizialität Vereinzelt wird auch der Schuldnerschutz615 als entscheidender Beurteilungsmaßstab für den Hemmungsumfang genannt.616 Nach Spiro sei ausschlaggebend, dass der Wille des Berechtigten, ob und inwieweit er nach einem objektiven Maßstab bestimmte Rechte durchsetzen will, eindeutig hervortrete, so dass sich der Schuldner hierauf einstellen könne.617 Für eine Teilklage würde dies etwa bedeuten, dass sich die Unterbrechenswirkung nur auf den geltend gemachten Betrag bezieht.618 Entscheidend wäre somit nicht der konkrete Streitgegenstand, sondern der Aspekt des Schuldnerschutzes, wenngleich sich im Beispiel der Teilklage beide Gesichtspunkte decken.619 Der Schuldner müsse damit rechnen können, dass der Gläubiger sich auf alle in Betracht kommenden Rechtsgründe berufen werde.620 Der aus einem Wechsel in Anspruch genommene Schuldner sei deswegen nicht in seinem Vertrauen geschützt, die Kausalforderung bleibe außer Betracht. Dass der Aspekt des Schuldnerschutzes nicht das entscheidende Kriterium sein kann, sondern allenfalls eine Hilfsbegründung liefert, wird m.E. daran deutlich, dass Spiro selbst der Geltendmachung von Ansprüchen auf Auskunft und Rechnungslegung verjährungsunterbrechende Wirkung im Hinblick auf die hieraus resultierenden Zahlungsansprüche zukommen lassen will.621 Auch M. Wolf rekurriert vorrangig auf den Aspekt des Schuldnerschutzes, um den Umfang der Verjährungshemmung von den „Fesseln des Streitgegenstandsdenkens“ zu befreien. Zur Erklärung eines erweiterten Hemmungsumfangs greift er zudem auf die im Einzelfall bestehende Präjudizialität der Rechtsfolgen zurück, so etwa im Verhältnis von Erfüllungsanspruch und Schadensersatzanspruch statt der Leistung.622 Obgleich verschiedene materielle Interessen im Streit stehen, wendet er dieses Kriterium auch in der Beziehung des Erfüllungsanspruchs zum Anspruch auf Verzugsschaden an. Denn bei der Geltendmachung des Verzugsschadens durch den Gläubiger könne sich der Schuldner darauf einrichten, dass der Gläubiger auch seine Erfüllungsforderung durch615 Der Schutz des Schuldners ist zentraler Hauptzweck der Verjährung, vgl. Motive I, S. 291 („verdunkelnde Macht der Zeit“); M. Wolf, in: FS Schumann, S. 580. 616 Bei Interessenidentität der gewährten Rechte muss der Schuldner regelmäßig mit seiner weiteren Inanspruchnahme rechnen. 617 Spiro, Die Begrenzung privater Rechte, Bd. 1, § 167, S. 396. Ähnlich M. Wolf, in: FS Schumann, S. 588 f. 618 Vgl. aber speziell zur verdeckten (bezifferten) Teilklage und zum Wandel der Rechtsprechung, Piekenbrock, Befristung, S. 448; vgl. auch BGHZ 135, 181 f. (Rechtskraft); BGH NJW 2002, 3067 f. 619 Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 98. 620 Spiro, Die Begrenzung privater Rechte, Bd. 1, § 169, S. 402. 621 Spiro, Die Begrenzung privater Rechte, Bd. 1, § 172, S. 410 f.; ablehnend die h.M.: MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 262 Rn. 12. 622 M. Wolf, in: FS Schumann, S. 592.
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setzen werde, weil beide Rechtsfolgen immanent miteinander verbunden seien. Der Schuldner verdiene hier weder den Schutz vor Beweisnot noch den seiner Dispositions- und Planungssicherheit, so dass die Verjährung gehemmt werde. Umgekehrt soll dies aber im Verhältnis des Erfüllungsanspruchs zum nachfolgenden Verlangen von Verzögerungsschaden nicht gelten. Im Ergebnis sei es eine Wertungsfrage, ob man neben dem Kriterium des einheitlichen wirtschaftlichen Interesses noch das Planungsinteresse als schützenswert ansehe. Wolf verknüpft somit den Aspekt des Schuldnerschutzes mit etwaigen Präjudizialitätswirkungen. Soweit er dabei aber die materielle Interessenidentität ausblendet, kann dem nicht gefolgt werden. Denn ein im Sinne der Rechtssicherheit trennscharfes Abgrenzungskriterium ist der Schuldnerschutz alleine nicht.
8. Verjährungshemmung bei Teilklagen Die von der h.L. angenommene Kongruenz von Hemmungs- und Rechtskraftumfang623 wirkt sich insbesondere bei Teilklagen aus. Die Hemmung der Verjährung nach § 204 I Nr. 1 BGB bleibt, unabhängig davon, ob der Vorbehalt der Nachforderung erklärt wird, auf den eingeklagten Teilanspruch beschränkt.624 Dennoch bestehen seit langem Tendenzen zur Erweiterung. Bereits das Preußische Allgemeine Landrecht (I 9 § 570 des preuß. ALR 1794)625 kannte eine Wirkungserstreckung der gerichtlichen Geltendmachung eines Teilbetrages für das Recht in toto.626 Der bloße Vorbehalt der Klageerweiterung (I 9 § 551 preuß. ALR 1794) sollte im Hinblick auf das Gesamtrecht jedoch nicht genügen, wenn die Absicht auf eine beschränkte Rechtsbetätigung gerichtet war. Im gemeinen Recht des 19. Jh. begann sich die Auffassung durchzusetzen, dass für die Unterbrechungswirkung stets der konkrete Streitgegenstand maßgeblich sei. Die Teilklage unterbrach demnach die Verjährung grundsätzlich nur in Höhe des geltend gemachten Betrages. Der Vorbehalt der Nachforderung führte jedoch dazu, dass die Verjährung insgesamt unterbrochen sein sollte. Nachdem das RG sich zunächst noch offen gehalten hatte627, ob die durch die Teilklage bewirkte Verjährungsunterbrechung auch den später durch Klageer623
Vgl. auch BGH JR 2003, 246 zu § 209 BGB a.F.; ebenso BGH NJW-RR 2008, 522. Zöller/Greger, ZPO, § 262 Rn. 3; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 262, Rn. 9. 625 § 570: „Wer einen Theil seines Rechts ausübt, der erhält dadurch das ganze Recht“. § 571: „Dagegen kann von mehreren in sich verschiedenen, obgleich aus einerley Rechtsgrunde entspringenden Befugnissen, die eine durch Verjährung erlöschen, wenn gleich die andere durch fortgesetzte Ausübung erhalten wird“. § 572: „Kann ein Recht auf mancherley Art ausgeübt werden, so wird der Besitzer desselben dadurch, daß er sich bisher nur einer Art der Ausübung bedient hat, in seinem Rechte nicht eingeschränkt.“ 626 Vgl. Piekenbrock, Befristung, S. 447 f. 627 RGZ 57, 372. 624
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weiterung geltend gemachten Anspruchsteil betrifft, hat es diese Frage später einheitlich verneint.628 Als Grund hierfür werden die enge Verbindung zum Umfang der Rechtshängigkeit bzw. Rechtskraft genannt. Dies gilt mittlerweile unabhängig davon, ob die Teilklage offen oder verdeckt erhoben wird, da der BGH seine Rechtsprechung zur erweiterten Rechtskraftwirkung629 der verdeckten Teilklage aufgegeben hat.630 Hiervon sind nach der Judikatur Fälle zu unterscheiden, bei denen die nachträgliche Antragserhöhung auf der Veränderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse beruht und der Gläubiger von Anfang erkennbar den Gesamtanspruch erheben wollte631, so dass die Hemmung den ganzen Anspruch ergreift. Dies gilt insbesondere, wenn der Kläger ersichtlich die Kosten der gesamten Naturalrestitution geltend machen wollte und diese sich im Laufe des Verfahrens erhöhen. Erweitert der Kläger die Klage entsprechend, wirkt die Hemmung der Verjährung durch die ursprüngliche Klage auch für den höheren Betrag.632 Da auch bei der Schmerzensgeldklage das Gericht stets berechtigt ist, den Betrag in eigener „Regie“ festzusetzen, hemmt die Klage von Anfang die Verjährung des gesamten Anspruchs.633 Im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Schuldners bestehen aber zwischen beiden Fallgruppen kaum relevante Unterschiede, da dieser durch die Klageerhebung überhaupt ausreichend gewarnt ist.634 Seine Rechtsverteidigung wird im Hinblick auf die „verdunkelnde Macht der Zeit“ nicht mehr über Gebühr beeinträchtigt.635 Zeuner hat deswegen mit Recht auf § 264 Nr. 2 ZPO rekurriert:636 Wenn es dem Beklagten nach dieser Vorschrift bei gleichbleibendem Klagegrund zuzumuten sei, sich auf die Klageerweiterung jenseits von § 263 ZPO einzulassen, weil damit keine Erschwerung seiner Verteidigung verbunden sei, dann könne seine (fehlende) Schutzbedürftigkeit im Rahmen von § 204 I Nr. 1 ZPO schwerlich anders beurteilt werden. Insoweit dürfe dem Beklagten nicht erlaubt werden, sich hinsichtlich des neu in den Prozess eingeführten Anspruchsteils auf Verjährung zu berufen. Der Gesetzgeber des BGB habe die prozessrechtlichen Besonderheiten der Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) in den Motiven637 zur Verjährungsunterbrechung nicht ausreichend mitbedacht. Insbesondere gelte es die Warnwirkung der Teilklage als ausreichend anzuer628 RGZ 65, 398 f.; RGZ 75, 305; infolge auch BGHZ 67, 373; BGH NJW 1988, 965; BGH NJW-RR 1988, 692; BGH JR 2003, 246. 629 BGHZ 34, 340 f. 630 BGH ZZP 110 (1997), 499; Piekenbrock, Befristung, S. 434 f. 631 Vgl. oben § 23 II 2. 632 BGH NJW 2002, 2167; M. Schwab, Grundzüge, S. 82. 633 BGH NJW 2002, 3769 f.; M. Schwab, Grundzüge, S. 82. 634 Zutreffend Zeuner, JR 2003, 247; ders., in: FS Henckel, S. 951 ff. 635 Mugdan, Materialien I, S. 532. 636 Zeuner, JR 2003, 247. 637 Vgl. Mugdan, Materialien I, S. 532.
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kennen. Dies bedeute, dass die Teilklage die Verjährung auch insoweit hemme, als der überschießende Teil erst nachträglich in das laufende Verfahren einbezogen werde. Nütze der Gläubiger die Möglichkeit der Klageerweiterung hingegen nicht, sei der Umfang der Hemmungswirkung im Sinne von § 204 II BGB zeitlich beschränkt.638 Für diese Ansicht spricht, dass sie als einzige die prozessualen Besonderheiten der Klageerweiterung mitberücksichtigt. Das fehlende prozessuale Verteidigungsinteresse des Beklagten gegen die Erweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) setzt sich auch auf materiellrechtlicher Ebene fort (§ 204 I Nr. 1 ZPO). Damit besteht im Ergebnis derselbe Zusammenhang wie zwischen § 213 BGB und § 264 Nr. 3 ZPO. Da das Erfordernis des gleichbleibenden Klagegrundes (vgl. § 264 Nr. 3 ZPO) nach der hier vertretenen Ansicht lediglich als Auslegungshilfe dient, ist entscheidend, dass mit der Klageerweiterung die Grenzen des materiellrechtlichen Interesses nicht überschritten werden. Möglicherweise wird damit der Umfang der Verjährungshemmung über die noch zu bestimmenden Grenzen der Rechtskraft im Fall der Teilklage hinaus erweitert.639 Dies wäre jedoch Folge des Umstands, dass der Gesetzgeber des BGB der Erweiterung und Umstellung der Klage nach § 264 Nr. 2, 3 ZPO keine Bedeutung beigemessen hat. Wie gesehen, korrespondiert auch im Falle von § 213 BGB der Hemmungsumfang nicht immer mit den objektiven Grenzen der Rechtskraft.
9. Zusammmenfassung Die Anwendung von § 213 BGB erfordert nach dem Wortlaut der Vorschrift, ähnlich wie § 264 ZPO, die Identität des Anspruchsgrundes. Nach richtiger Ansicht wurde vom Gesetzgeber mit diesem Merkmal lediglich eine andere Formulierung für das Kriterium materieller Interessenidentität gewählt. § 213 BGB kommt deswegen, ebenso wie § 264 Nr. 3 ZPO, nur die Funktion einer gesetzlichen „Auslegungsregel“ zu: Das Interesse bleibt trotz Veränderung des Anspruchsinhalts regelmäßig gewahrt, wenn der Anspruchsgrund in seinem Kern weiter unverändert ist.640 Entscheidend für die Anwendung von § 213 BGB ist der dort auch angedeutete Aspekt der Erfüllungskonnexität („wahlweise oder anstelle“). §§ 204 BGB und 213 BGB sind m.E. in Zusammenschau verkürzt auf folgenden Nenner zu bringen: Die (gerichtliche) Geltendmachung 638 Zuvor galt insoweit § 212 BGB a.F., vgl. auch Zeuner, in: FS Henckel, 951 f., der auf die Rechtsprechung zur Möglichkeit einer Erweiterung der fristgerecht erhobenen Teilklage nach Fristablauf rekurriert, RGZ 102, 380; BGH VersR 1973, 54. 639 Näher § 31 IV 5. 640 Vgl. oben § 23 I 7. In Fällen, in denen der Antrag identisch bleibt, kann sich in der Regel auch der Lebenssachverhalt ändern, ohne dass sich das dahinterstehende Interesse verändert. Ändert sich jedoch der Klagegrund, so ist die Identität des Interesses zweifelhaft, wenn auch der Klageantrag ausgetauscht wird.
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des einen Anspruchs hemmt auch die Verjährung eines anderen auf dasselbe Interesse gerichteten Anspruchs. Diese Interessenidentität setzt § 218 BGB im Verhältnis von Nacherfüllungsanspruch und Rücktritt fort. Die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Deutung von § 213 BGB als streitgegenstandsfremde Hemmung beruht auf der herrschenden Streitgegenstandsdoktrin. Sie steht der hier vorgetragenen Sichtweise nicht entgegen, weil sie im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden hat.
III. Zwischenergebnis und Bedeutung für das eigene Konzept Zwar hat mit der Geltung von § 213 BGB das praktische Bedürfnis einer Ausweitung des prozessualen Anspruchs auf dem Gebiet des Verjährungsrechts abgenommen. Dies gilt jedoch nicht für seine übrigen Aufgabenfelder, wie etwa im Rahmen der Rechtshängigkeitssperre. Mit § 213 BGB findet sich im materiellen Recht eine Regelung, die auf eine Zusammenfassung konkurrierender Ansprüche nach dem Vorbild von § 264 Nr. 3 ZPO hindeutet641, so dass übergreifende normative Strukturen für ein neues Streitgegenstandsverständnis gelegt sind. Wenn die Reichweite der Verjährungshemmung von einem streng antragsorientierten Streitgegenstandsbegriff gelöst wurde, um auf diese Weise das einzig richtige Ergebnis zu erzielen, könnte dies auch Rückschlüsse in umgekehrter Richtung zulassen. Der bereits von Henckel gewiesene Weg einer Erweiterung des Unterbrechungsumfangs der Klage über den prozessualen Anspruch hinaus war eine materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen geschuldete Notwendigkeit. Der Transfer in das Prozessrecht erscheint nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert. Denn § 213 BGB hat derart weitreichende praktische Wirkungen, dass eine Deutung als Ausnahmevorschrift dogmatisch wenig befriedigt.642 Warum soll dem Kläger durch die Einleitung eines Verfahrens die Verjährungshemmung für einen Anspruch zu Gute kommen, welchen er gleichzeitig anderweitig einklagen könnte?643 Kann der Kläger aber mit seinem Klageantrag die Verjährung aller verwandten Anträge aus demselben Klagegrund erreichen, muss er sich deren Konzentration bei einem Forum gefallen lassen. Hierfür spricht die Zusammenschau materieller und prozessualer Wer641 AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 7 meint, dass die Vorschrift keinen prozessualen Aussagehalt habe, weil § 203 BGB auch zu einer Hemmung bei Verhandlungen über den Anspruch führe. Dem tritt zu Recht Hess, Schuldrechtsreform und Zivilprozess, S. 669 f., entgegen: Die Verhandlungen werden meist im Hinblick auf einen bevorstehenden Prozess geführt. 642 Zur Bedeutung der Gesetzesmaterialien als Erkenntnisquelle Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, S. 329 ff. 643 Eine Lösung über den Rechtsmissbrauchseinwand erscheint wenig befriedigend.
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tungen. Bereits Arens644 hat angedeutet, dass bei einer Ausrichtung der Verjährung an der wirtschaftlichen Belastung des Schuldners auch an eine Ausdehnung des Streitgegenstandsbegriffs anhand von § 264 ZPO zu denken sei. Wegen § 213 BGB kann die Frage kaum noch unbeantwortet bleiben. Auf dieser Linie liegend hat auch Prütting eine Erweiterung des Streitgegenstandsbegriffs, orientiert an der Wertung von § 264 ZPO, befürwortet.645 Eine solche an materiellrechtliche Zusammenhänge angelehnte Lösung bedeutet keine Renaissance eines tradierten materiellen Streitgegenstandsbegriffs im Sinne eines zivilrechtlichen Einheitsanspruches. Der Ausgangspunkt der im Rahmen dieser Arbeit favorisierten Vorgehensweise ist somit weiter ein prozessualer, wobei lediglich der dem materiellen Recht entnommene Hemmungsumfang bei der Konturierung des Verfahrensgegenstandes Berücksichtigung findet. Entscheidend ist nicht die einzelne Rechtsfolge, sondern das (aus dem Sachverhalt abgeleitete) Begehren auf Befriedigung eines materiellen Interesses.646 Zu bedenken ist dabei, dass eine Übernahme des Begriffes „Interesse“ in § 264 Nr. 3 ZPO ursprünglich auch für § 213 BGB geplant war. Die Begriffe „wahlweise neben dem Anspruch“ oder „an dessen Stelle“ entsprechen dem inhaltlich. Burkhard Hess647 hat in diesem Kontext treffend darauf hingewiesen, dass über § 213 BGB prozessuales Denken Eingang in das materielle Recht gefunden habe.648 Bereits aus Gründen prozessualer Chancengleichheit649 muss die den Kläger als Anspruchsinhaber begünstigende Regelung in § 213 BGB auch Folgen für den Verfahrensgegenstand zeigen.650 Soweit der Kläger durch die Einleitung eines Verfahrens die Verjährung konkurrierender materieller Ansprüche hemmen kann, ist ihm die Einleitung eines Parallelverfahrens zu versagen und die Konzentration des Verfahrensstoffes am gewählten Forum aufzugeben. Eine 644
Arens, in: FS Schwab, S. 29. Prütting, in: FS Beys II, S. 1273 f. 646 Vgl. auch die Gesetzesbegründung zu § 203 BGB, BT-Drs. 6040, S. 112. 647 Allerdings gesteht Hess, Schuldrechtsreform und Zivilprozess, S. 669 f., dem Sachverhalt zuviel an Aufmerksamkeit zu: „Dass das materielle Recht hier an den prozessualen Anspruchsbegriff anknüpft, erklärt sich zunächst aus der engen Verklammerung der Hemmungstatbestände mit ihrer gerichtlichen Geltendmachung. Die Anknüpfung entspricht jedoch auch den legitimen Interessen der Parteien, die ihre Rechte weniger aus den jeweiligen Anspruchsgrundlagen, sondern vielmehr aus dem Lebenssachverhalt herleiten, aus dem die Ansprüche erwachsen.“ Klageantrag und Lebenssachverhalt individualisieren lediglich das Klägerinteresse, sind jedoch keine selbständigen Bestandteile des Verfahrensgegenstandes. 648 Hiergegen M. Wolf, in: FS Schumann, S. 585, der vorrangig auf den Vertrauensschutz des Schuldners abstellt. 649 Allgemein zum Grundsatz und seiner positivrechtlichen Verankerung in Art. 3 I GG: MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, Einl. Rn. 223; Vollkommer, in: FS Schwab, S. 503 f. 650 Merschformann hat sich jedoch bereits vor der Geltung von § 213 BGB gegen eine Ausrichtung des Streitgegenstands an verjährungsrechtlichen Zusammenhängen ausgesprochen, Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 136 f. 645
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Klageänderung liegt darin nicht. Der Begriff des Interesses fungiert somit als der kleinste gemeinsame Nenner, der materiellrechtliche Ordnungsgehalte und prozessuale Zweckmäßigkeiten gleichermaßen vereint. In gesetzestechnischer Hinsicht wären bei dieser Sichtweise § 204 BGB und § 213 BGB tatbestandlich miteinander verschliffen.651 § 213 BGB träfe für den Hemmungsumfang lediglich eine deklaratorische Aussage (ebenso wie § 264 Nr. 3 ZPO), die sich bereits aus dem Umfang des Streitgegenstands ergäbe. Schon die frühere Judikatur des BGH hatte in der Sache einen verjährungsspezifischen Begriff des prozessualen Anspruchs ins Leben gerufen, der sich an materiellrechtlichen Zusammenhängen orientierte.652 Die Tatsache, dass der (zuletzt gestellte) Klageantrag für die Urteilsgrundlage relevant wird653, steht dieser Ausrichtung der Rechtshängigkeitssperre nicht entgegen.654 Auch die Aspekte der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit655 streiten nicht gegen den hier vertretenen Standpunkt. Der Begriff des materiellen Interesses bedeutet für die Konturierung des Streitgegenstands keinen größeren Hort der Rechtsunsicherheit als das von der h.L. verwendete Element des Lebenssachverhalts.
651 Hess, Schuldrechtsreform und Zivilprozess, S. 669, meint, die Vorschrift betreffe zunächst die Fälle der Anspruchsnormenkonkurrenz, in denen sich das Interesse des Schuldners auf mehrere Ansprüche gründen lasse. Nach üblichem Verständnis werden diese Konstellationen bei Streitgegenstandsidentität aber schon von § 204 BGB erfasst. Zutreffend ist jedoch, dass die Anwendungsbereiche von § 204 BGB und § 213 BGB zum Teil miteinander verschmelzen. Für eine Lösung des Hemmungsumfangs vom Streitgegenstand dagegen M. Wolf, in: FS Schumann, S. 586 ff.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 17 V Rn. 38. 652 Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 137. 653 Vgl. Hahn, Materialien II/1, S. 291: Die Parteien begrenzen den Gegenstand des Streits im Petitum; näher auch § 28. 654 RGZ 126, 401 f. und Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 21, sehen in unterschiedlichen Anträgen auch für die Rechtshängigkeitssperre kein Hindernis; vgl. auch K. Schmidt, NJW 1989, 68, im Hinblick auf die unterschiedlichen Funktionen des Klageantrags im Leistungsprozess. 655 Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 139; allgemein P. Gottwald, ZZP 93 (1980), 14 f.
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§ 24 Wertungsparallelen Das hier vorgeschlagene Streitgegenstandsverständnis lässt sich durch verschiedene Wertungsparallelen untermauern.
I. Der genetische Zusammenhang von Erfüllungsund Schadensersatzanspruch 1. Die Einheit der Obligation Im streng an der formula orientierten römischen Aktionenrecht war die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärebene bereits prozessual eingeebnet. Die Bündelung desselben Interesses gelang ohne Schwierigkeiten, weil der Inhalt der actio auf eine Geldleistung gerichtet war (Grundsatz der Pekunärverurteilung)656 und damit für Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche identisch blieb.657 Hierfür musste der Streitgegenstand in Geld geschätzt werden, was in Form der litis aestimatio geschah. Die Verurteilung zur Zahlung einer Geldsumme setzte jedoch voraus, dass die Klageformel richtig war, was bei Unmöglichkeit der Primärleistung an sich nicht mehr zutraf.658 Diese Haftungslücke659 wurde bei den Klagen auf ein certum 660 mittels der perpetuatio obligationis, der Fiktion des Fortbestehens des Leistungsgegenstandes, geschlossen.661 Zweifel-
656
Dies betrifft den reinen Formularprozess: Gai. 4, 48; Henke, ZZP 112 (1999), 413. Henckel, Parteilehre, S. 261; Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 54 IV 1, § 74 I 2; Rödig, Theorie, S. 92; Degenkolb, Einlassungszwang, S. 159: „Ersatzfunktion der Condemnationsleistung“; anderes galt im Kognitionsverfahren, vgl. S. Würthwein, Schadensersatzpfl icht, S. 25 f., 31 f. 658 Die intentio war bezogen auf die ursprüngliche Leistung. Die Verurteilung zur Zahlung war hingegen Bestandteil der condemnatio. 659 Vgl. Sutschet, S. 4. 660 Bei den Klagen auf ein incertum bedurfte es dieses Kunstgriffes nicht, „weil die weite Fassung des Anspruchs in der intentio der Prozessformel von vorneherein auch den Schadensersatz wegen schuldhafter Verletzung der Obligation umfasste“, Honsell, Römisches Recht, S. 99. 661 So Kaser/Knütel, Das römische Privatrecht, S. 513 f.; Kley, Unmöglichkeit und Pfl ichtverletzung, S. 75; Zimmermann, Law of obligations, S. 784 f. Etwas andere Ansicht bei Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, S. 104. 657
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los trug dieser „Kunstgriff“ zur Verfahrenskonzentration bei.662 Der Inhalt der actio trat in seiner Bedeutung hinter ihren Grund zurück, so dass der Ersatzanspruch mit der ursprünglichen actio weiter verfolgt werden konnte. Die Veränderung des Leistungsinhalts blieb ohne Folgen.663 Ein dem Grundsatz der Pekunärverurteilung zweifellos ähnliches Modell sieht das geltende englische Recht vor, als es die Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs nur in Ausnahmefällen gestattet (specific performance).664 Im gemeinen deutschen Zivilrecht blieb diese Vorstellung von der Identität von Erfüllungs- und Ersatzanspruch zu einem Gutteil erhalten.665 Eine Aufspaltung in Primär- und Sekundärleistung fand nicht statt.666 Die Schadensersatzhaftung wegen Nichterfüllung war lediglich eine andere Ausprägung der Obligation. Entweder war der Schuldner obligiert oder er war befreit. Die Verurteilung richtete sich zwar zunächst auf die geschuldete Leistung. War die Vollstreckung des Gläubigers hingegen nicht erfolgreich oder sah er von ihr bewusst ab667, so war es ihm erlaubt, den im Urteil anerkannten Naturalerfüllungsanspruch im Rahmen des Liquidationsverfahrens in Geldwert umzusetzen.668 Das Prinzip der Geldersatzpflicht wurde also nicht aufgegeben, sondern sekundär dem Exekutionsverfahren zugewiesen.669 Puchta brachte die vorherrschende Ansicht dahin zum Ausdruck, dass jede Obligation mittelbar auf den Wert eines Gegenstandes gehe.670 Das BGB hat die Vorstellung einer einheitlichen actio, motiviert durch die Überlegungen Windscheids, aufgelöst, um den unterschiedlichen Anspruchsinhalten Rechnung tragen zu können.671 Der Gedanke der Einheit der Obligation geriet darüber jedoch nicht in Vergessenheit.672 Für den Prozess wurde die Änderung des Antrags erleichtert, wenn der Anspruchsgrund derselbe blieb und nur der Anspruchsinhalt sich änderte 662 „Im römischen Recht freilich wurden solche Ansprüche aus einem Rechtsverhältnis oft in eine actio zusammengefasst; sie konnten und mussten im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht werden. Für uns stehen mit Wegfall des spezifisch römischen Aktionenbegriffs die einzelnen Ansprüche als selbstständige Rechte nebeneinander…“, näher, v. Tuhr, AT, Bd. I, S. 270 ff. Die actio erfuhr auch keine Veränderung, wenn an Stelle von Schuldbefreiung der Ersatz der eigenen Aufwendungen verlangt wurde. 663 Meincke, AcP 171 (1971), 28. 664 Honsell, Römisches Recht, S. 99; Unberath, Vertragsverletzung, S. 177 ff., 210 ff., 259 ff. 665 Eingehend Meincke, AcP 171 (1971), 27 f. 666 Näher Sutschet, S. 5 f. 667 Die Vorstellung, dass der ursprüngliche Anspruch durchsetzbar und vollstreckbar sein muss, setzte sich erst zu Beginn des 19. Jh. durch, S. Würthwein, Schadensersatzpflicht, S. 68. 668 Das Gericht schätzte das Interesse des Gläubigers am Klagegegenstand. 669 So S. Würthwein, Schadensersatzpfl icht, S. 70. 670 Puchta, Pandekten, § 224; Dernburg, Pandekten II, § 23: „Geldersatz der eventuelle Gegenstand.“ 671 v. Tuhr, AT, Bd. I, S. 274 f.; ebenso Henckel, Parteilehre, S. 261. 672 Sutschet, S. 11, 14 f.
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(§ 264 Nr. 2, 3 ZPO).673 Auch sprach selbst noch das RG vom Schadensersatzanspruch als dem weiter existierenden, inhaltlich modifizierten ursprünglichen Leistungsanspruch.674 Bei dem zuständigen Redaktor v. Kübel ist im Hinblick auf den Vorentwurf zum BGB zu lesen: „Bei eingetretener objektiver Unmöglichkeit ist freilich der ursprüngliche Forderungsgegenstand nicht mehr vorhanden; das Forderungsrecht auf diesen Gegenstand kann also nicht mehr bestehen; aber auch in diesem Falle ist es der Anspruch auf die Erfüllung, welchen der Gläubiger mit der Geltendmachung des Erfüllungsinteresses verfolgt; denn durch die Verschuldung des Schuldners hat sich ohne Wechsel des Verpflichtungsgrundes hier nur der Leistungsgegenstand verändert.“ 675
Der Konzeption des BGB dürfte der Gedanke der Einheit der Obligation deswegen noch nahe stehen.676 Anders als im römischen Formularprozess ist dies jedoch keine Selbstverständlichkeit mehr, da bereits die Existenz eines durchsetzbaren Erfüllungsanspruches677 zu einer äußerlichen Trennung von Primärund Sekundärleistung führt.678 Der genetische Zusammenhang blieb indes bestehen.679 Zweifelhaft erscheint, ob an der Einheit von Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch nach den Änderungen durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz festgehalten werden kann. Die Mehrheit lehnt den „Metamorphosegedanken“ ab oder schränkt ihn ein. Allerdings hat Sutschet jüngst das Prinzip wieder in Erinnerung gerufen: Die Einheitlichkeit der Obligation bedinge danach, dass Geldersatz statt der Leistung aufgrund des einheitlichen Obligiertseins zu leisten sei.680 Es ändere sich nicht der Grund der Verpflichtung, sondern nur der Gegenstand der Schuld; der Anspruch bleibe derselbe und nur 673
Darauf weist Henckel, Parteilehre, S. 261, hin. RGZ 54, 31; RGZ 88, 77; Sutschet, S. 94 f. 675 v. Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 1: AT, S. 862; Sutschet, S. 94 f., 96 f. Dieser nimmt an, dass sich hinter der Begrifflichkeit des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung zwei verschiedene Ansprüche verbergen, „von denen der eine der ursprüngliche Erfüllungsanspruch ist, dessen Inhalt sich in eine Geldleistung statt des ursprünglichen Leistungssubstrats gewandelt hat und somit auf das Erfüllungsinteresse gerichtet ist, während der andere Anspruch ein Schadensersatzanspruch ist, der auf den Ersatz von Schäden infolge Nichterfülllung gerichtet ist.“ Zum Sammelbegriff „Erfüllungsinteresse“ Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 465, 483, 484. 676 So Zimmer, NJW 2002, 2; Sutschet, S. 9 f.; S. Würthwein, Schadensersatzpfl icht, S. 69 f. 677 Nehlsen-von Stryk, AcP 193 (1993), 529 f. 678 Sutschet, S. 9 f. 679 Vgl. § 283 BGB a.F.: Hiernach wurde der Erfüllungsanspruch in einen Schadensersatzanspruch umgewandelt, Mugdan, Materialien II, S. 29. Streitig blieb hingegen, ob diese Metamorphose nur mit einer Inhaltsänderung (RGZ 109, 236 f.; Götzmann, JR 1931, 45) oder mit einem neuen Anspruch (Klaholt, Gruchot 58 (1914), 784; Meincke, AcP 171 (1971), 27 ff.) verbunden war. Von allen Protagonisten wird indes die Einheit des Klagebegehrens verneint, Götzmann, JR 1931, 44. 680 Sutschet, S. 94. 674
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sein Inhalt erfahre eine Veränderung.681 Für die genetische Verbundenheit von Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch als Paradebeispiel eines einheitlichen Interesses finden sich zudem gesetzliche Stützen in § 767 I 2 BGB682 und § 1210 BGB.683 Bürgenverpflichtung und Haftung des Pfandes bleiben bestehen, wenn der Hauptschuldner schuldhaft die Unmöglichkeit der Leistung verursacht.684 Anstelle des ursprünglichen Leistungsgegenstandes tritt das in Geld bemessene Interesse des Gläubigers.685 Hinsichtlich der Fortgeltung der Sicherungsrechte wird allerdings darauf hingewiesen, dass für den Identitätsgedanken sich hieraus nichts gewinnen lasse. Denn auch Ersatzansprüche wegen Verzug und Beschädigung werden erfasst. Gegen die Identität von Erfüllungs- und Ersatzanspruch wird zudem die herrschende Differenzlehre im Rahmen gegenseitiger Verträge in Ansatz gebracht. Hiernach tritt im Regelfall der Ersatzanspruch nicht an die Stelle der nicht erbrachten Leistung, sondern ersetzt das vorhandene „Gefüge von Leistungs- und Gegenleistungspflicht.“ 686 Das ursprünglich in Gestalt der geschuldeten Leistung geforderte Interesse an der Erfüllung der Verbindlichkeit aber setze sich in dem geforderten „Ersatzwert des ursprünglich Bedungenen fort.“ 687 Der Gläubiger verfüge über einen einheitlichen Geldersatzanspruch wegen Nichterfüllung des gesamten Vertrages, in dessen Berechnung der ursprüngliche Erfüllungsanspruch eingestellt werde.688 Im Ergebnis ändern diese (zutreffenden) Hinweise aber nichts am prozessualen Gesamtbefund und den daraus abzuleitenden Folgen für den Streitgegenstand: Im Mittelpunkt steht die Befriedigung desselben Interesses, unabhängig davon, ob man auf materieller Ebene Anspruchsidentität annimmt oder nicht.689 Trotz des unterschiedlichen Leistungsinhalts muss der engen Verwo681
Sutschet, S. 94; Ehmann/Sutschet, JZ 2004, 64, betonen die Bedeutung des Garantieprinzips (§ 311 a BGB). Nach der Schuldrechtsreform wird überwiegend am Verschuldensprinzip festgehalten, Unberath, Vertragsverletzung, S. 321. 682 BGH NJW 1988, 907: Identität des materiellrechtlichen Anspruchs der Hauptschuld. Allerdings verlässt die Haftung des Bürgen für den Verzugsschaden die Bahnen des Interessebegriffs. 683 Die Vorschrift gibt „einen Hinweis auf den Umfang der Identität des Leistungsinteresses: Schadensersatzansprüche, die im Zusammenhang mit der Vertragsabwicklung entstehen, fallen darunter“; Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 370. 684 Sutschet, S. 11. 685 Ablehnend aber Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 59; Meincke, AcP 171 (1971), 28. 686 So Meincke, AcP 171 (1971), 28. 687 So Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 164 f., in ausdrücklicher Anlehnung an BGHZ 73, 269 und BGH NJW 1984, 794. 688 RGZ 108, 184, 186. 689 Entscheidend ist, dass der Ersatzwert des ursprünglich Bedungenen im Streit steht, BGH NJW 1979, 1161, 1162. Allerdings kann dies nur für das Interesse am Erhalt des Leistungssubstrats selbst gelten, Sutschet, S. 96. Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung soll allerdings nach h.M. auch verwirkte Vertragsstrafen, die Belastung mit Schadensersatzansprüchen und die Kosten der Rechtsverfolgung bzw. Schäden an sonstigen Rechsgütern des
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benheit von Erfüllungsanspruch und Schadensersatzbegehren prozessual Rechnung getragen werden, wie dies § 264 Nr. 3 ZPO nur ansatzweise zum Ausdruck bringt. Über den Gesetzeswortlaut hinaus ist der Wechsel zwischen Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch in beide Richtungen schrankenlos zu gestatten. Stellt etwa der Gläuber im Verfahren fest, dass die Voraussetzungen für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung (§ 281 I BGB oder § 283 BGB) nicht vorliegen, liegt im Übergang auf die Primärforderung keine Klageänderung. Im Übrigen gilt es diese Interessenidentität auch im Vollstreckungsrecht zu achten. Dennoch fand in der Rechtsprechung die Frage, ob es einem Gläubiger erlaubt sein kann, mit einem an die Stelle des in einer vollstreckbaren Urkunde (§ 794 I Nr. 5 ZPO) titulierten Erfüllungsanspruchs getretenen Schadensersatzanspruchs die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung abzuwenden, bisher überwiegend Ablehnung.690 Insoweit ist Münch691 zuzustimmen, der die Aussage von § 264 Nr. 3 ZPO auf die vollstreckbare Urkunde übertragen will: Könne der Sachleistungsgläubiger nach Unmöglichkeit der Leistung seine Klage auf Schadensersatz umstellen, dürfe dem Geldleistungsgläubiger bei Zahlungsverzug der Rückgriff auf § 326 BGB a.F. (nun: §§ 280 I, 281 BGB) im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage gegen die vollstreckbare Urkunde nicht verwehrt sein. Die Leistungsverzögerung liege im Rahmen der organischen Fortentwicklung des ursprünglichen Schuldverhältnisses.692 Gleiches gelte nach Münch auch, wenn an Stelle des in der Urkunde titulierten vertraglichen Zahlungsanspruches aufgrund der Vertragsnichtigkeit ein Bereicherungsanspruch trete. Der prozessuale Anspruch werde dadurch nicht ein anderer.693
2. Zur Bedeutung von § 893 ZPO Im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts konnte der Gläubiger nach Verurteilung des Schuldners zwar die Realexekution betreiben. Darüber hinaus sollte er aber über die Möglichkeit verfügen, im Liquidationsverfahren sein Interesse an der Leistung in Geld schätzen zu lassen, wenngleich die Voraussetzungen
Gläubigers erfassen. Richtigerweise verbergen sich hinter der Formulierung Schadensersatz wegen Nichterfüllung somit zwei Ansprüche: der eine gerichtet auf das Erfüllungsinteresse, der andere auf Ersatz von Schäden infolge der Nichterfüllung, vgl. auch Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 484 f. 690 Ablehnend: BGH NJW 1970, 241 für § 179 BGB und c.i.c., obwohl BGH WM 1988, 883 für das Klageverfahren von Anspruchskonkurrenz ausgeht; BGH NJW 1980, 1051. Ansonsten würde der Schuldner in seiner Dispositionsfreiheit unangemessen beschränkt, eingehend: Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 368. 691 Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 368 f. 692 Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 369 (unter Rekurs auf § 1210 BGB). 693 Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 370.
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hierfür streitig waren. Durfte der Gläubiger frei wählen694 oder stand der Interesseanspruch dem Gläubiger erst als Ersatzleistung zu, wenn der Anspruch auf Naturalleistung nicht durchsetzbar war? Unstrittig war, dass der Gläubiger nach fehlgeschlagener Exekution auf das Interesse klagen konnte.695 Die innere Verwandtschaft beider Rechte trat hier deutlich zu Tage, wobei der Erfüllungsanspruch den Vorrang genoss.696 Die CPO von 1877 hat sich mit § 778 CPO (= § 893 ZPO) auf die Exekution des Erfüllungsanspruches beschränkt und im Übrigen die Lösung der Frage dem materiellen Recht überlassen.697 Eine Umwandlung des Erfüllungsanspruchs in eine Interesseforderung war in der CPO nicht mehr vorgesehen.698 § 283 BGB a.F. verlieh dem Gläubiger eines ausgeklagten Primäranspruchs lediglich die Möglichkeit699, seine Interesseforderung unabhängig vom Verschulden des Gläubigers in einem Zweitverfahren geltend zu machen. Der genetische Zusammenhang von Primär- und Sekundärforderung setzt sich aber weiter fort: § 893 ZPO normiert eine in örtlicher und sachlicher Hinsicht ausschließliche Zuständigkeit am forum connexitatis.700 Der Gesetzgeber hält zwar nach rechtskräftigem Abschluss des Primärverfahrens einen Zweitprozess über das Interesse für zulässig, befinden soll darüber jedoch das bereits befasste Prozessgericht. Diese richterliche Annexzuständigkeit greift unabhängig vom Streitwert.701 Gilt diese Entscheidungskoordination bereits kraft gesetzlicher Anordnung nach (rechtskräftigem) Abschluss des Primärverfahrens, erscheint eine Konzentration beider Begehren im laufenden Verfahren nur konsequent. Erfüllungs- und Schadensersatzverlangen stehen in einem Surrogationsverhältnis zueinander702 und verwirklichen dasselbe Interesse.
694 Etwa Wetzell, System, § 50 II; Bayer, Vorträge, S. 1117; zusammenfassend S. Würthwein, Schadensersatzpflicht, S. 153 f. 695 Vgl. auch RGZ 10, 176, 178. 696 Ein gerade umgekehrtes Verhältnis liegt der specifi c performance des englischen Rechts zu Grunde. Dort kann der Gläubiger nur ausnahmsweise Erfüllung in natura beanspruchen. Regelfall ist vielmehr die Leistung von Schadensersatz in Geld, Knieper, WIRO 2004, 257; Henke, ZZP 112 (1999), 414. Das englische Recht gewährt grundsätzlich nur Schadensersatz für die schuldhafte Nichterfüllung einer Verbindlichkeit (breach of contract) und schließt die Klage auf Erfüllung aus. Specific performance kommt nur in Betracht, wenn der Schadensersatz in Geld nicht ausreicht, Unberath, Vertragsverletzung, S. 183 f.; Weller, JZ 2008, 764 ff. 697 S. Würthwein, Schadensersatzpfl icht, S. 154 (RG zu § 778 CPO). 698 Er kann jedoch nach § 893 I ZPO auf das Interesse klagen. 699 Vgl. K. Schmidt, ZZP 87 (1974), 50. 700 Brinkmann, Die Begründung der Klagen des Reichsrechts, Bd. 2, S. 636. 701 RGZ 66, 18; Zöller/Stöber, ZPO, § 893 Rn. 2. 702 K. Schmidt, ZZP 87 (1974), 59 f.; § 893 ZPO soll jedoch nur für eine Klage auf Schadensersatz gelten, nicht jedoch für einen daneben auch möglichen Rücktritt. Im Rahmen von § 328 ZPO ist die Norm spiegelungsfähig. Allerdings gibt es keine entsprechende Annexkompetenz innerhalb der EuGVVO.
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3. (Weitere) Wechselwirkungen im Verjährunsgrecht Der gemeinsame Entstehungsgrund von Primär- und Sekundäranspruch wirkt sich trotz unterschiedlichen Leistungsinhalts vor allem im Rahmen der Verjährung aus. So ließ das RG703 die klageweise Geltendmachung des vertraglichen Erfüllungsanspruchs auch für die Unterbrechung der Verjährung hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung (§ 283 BGB a.F.) genügen.704 Im Ergebnis handele es sich um verschiedene Entwicklungsstufen eines Anspruchs. Vor der Schuldrechtsreform 2001/2 entsprach es zudem herrschender Doktrin, die auf den Erfüllungsanspruch anzuwendende Verjährungsfrist (z.B. § 196 BGB a.F.) auch auf etwaige Ersatzansprüche zu erstrecken, die wirtschaftlich an seine Stelle treten.705 Dies galt neben Schadensersatzforderungen706 auch für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung, wenn der Vertrag unwirksam war. Diese Übertragung stellt nach der Verkürzung der gesetzlichen Regelverjährung (§ 195 BGB) die begründungsbedürftige Ausnahme dar.707 Dennoch gilt es im Einzelfall zu prüfen, „ob die ratio der für den Hauptanspruch geltenden Verjährungsregel es gebietet, dass Ersatz- und Nebenansprüche, die das wirtschaftliche Interesse des Hauptanspruchs erfassen, ihre verjährungsrechtliche Selbständigkeit einbüßen.“708 Dies kann etwa für § 196 BGB hinsichtlich der 10-Jahres-Regel bzw. im Hinblick auf § 197 Nr. 1 BGB gelten. Was den Verjährungsbeginn betrifft, so ist dieser grundsätzlich für jeden Anspruch selbständig zu bestimmen. Jedoch führte § 224 BGB a.F. und nunmehr § 217 BGB durch die Verbindung von Haupt- und Nebenanspruch zu Ausnahmen.709 Für das Verhältnis von Primär- und Sekundärforderung konnte nicht auf § 224 BGB a.F. zurückgegriffen werden, weil der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung nicht als Nebenfolge des Hauptanspruchs interpretiert wird.710 Jedoch ist etwa im Falle von § 283 BGB a.F. die Regelung in § 218 BGB a.F. angewandt worden, so dass das Ersturteil über die Primärforderung auch die Verjährungsfrist hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs in
703
RGZ 109, 234. Merschformann, Verjährungsunterbrechung, S. 55 f. 705 RGZ 86, 96; BGHZ 50, 25 f.; BGH WM 2006, 348 f. m. Anm. Grothe, WuB IV A. § 197 aF BB 1.06; MünchKomm/Grothe, BGB, § 195 Rn. 39; Stöber, ZGS 2005, 290 f. 706 BGHZ 50, 29; BGH NJW-RR 1989, 215; OLG Köln VersR 1973, 1058. 707 Stöber, ZGS 2005, 290 f. 708 So MünchKomm/Grothe, BGB, § 195 Rn. 39 (aber nicht bei Schadensersatzansprüchen, die auf Geldleistung gerichtet sind), unter Hinweis auf RegBgr. BT-Drs. 14/6040, S. 104. 709 So auch Henckel, Parteilehre, S. 261, als Beispiel für das verfehlte Einheitsdenken beim materiellen Anspruch (§ 194 BGB). 710 § 224 BGB a.F./§ 217 BGB ist jedoch analog anwendbar auf den Verzugsschaden nach § 280 II BGB. Ausführlich H. Roth, Einrede, S. 49, 50; BGHZ 128, 74; MünchKomm/Grothe, BGB, § 217 Rn. 1. 704
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Lauf setzen sollte.711 Gerechtfertigt wurde dieses Ergebnis von der h.M. mit der „Identität“ beider Ansprüche.712 Andererseits wird die Einheit des Klagebegehrens von denselben Protagonisten abgelehnt. Dies erscheint widersprüchlich.713 Vehement hat insbesondere v. Tuhr 714 die einheitliche Verjährung von Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch verlangt, wobei er darauf hinwies, dass mit der Forderung des Interesses die actio nicht verändert werde: Wenn der Besitzer einer fremden Sache sie kurz vor Ablauf der Verjährung beschädige, verjähre der Schadensersatzanspruch als Nebenanspruch zugleich mit dem fortbestehenden Anspruch auf Herausgabe. Gehe dagegen die Sache kurz vor Ablauf der Verjährung unter (§ 275 BGB a.F.), so erlösche der Herausgabeanspruch und für den selbständigen Schadensersatzanspruch müsste nach dem Wortlaut des Gesetzes und der h.M. eine neue Verjährungsfrist zu laufen beginnen.715 Seine Kritik vermochte sich jedoch nicht gegen die h.L. durchzusetzen. Für einen Teilbereich sieht § 548 I 3 BGB hingegen einen verjährungsrechtlichen Gleichlauf zwischen den Ansprüchen des Vermieters auf Rückgabe der Mietsache und den Ersatzansprüchen vor.
II. Parallelen im Rahmen der Streitwertbemessung 1. Das Angreiferinteresse Im Streitwertrecht kommt dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers bei der Bewertung des Streitgegenstands (subsidiäre) Bedeutung zu (§ 3 ZPO). Bei der wirtschaftlichen Bemessung des Streitgegenstands ist als Folge der Dispositionsmaxime allein der Antrag des Klägers oder Widerklägers maßgeblich. E. Schumann hat in diesem Zusammenhang den Begriff des „Angreiferinteresses“ geprägt:716 Dieses Angreiferinteresseprinzip besage, dass sich der Wert des Streitgegenstands am Interesse des klagenden Angreifers und nicht am Interesse des Beklagten auszurichten habe. Gemeint sei hierbei das konkrete wirtschaftliche Interesse des Klägers, wobei der unmittelbare Gegenstand der erstrebten Entscheidung entscheidend sei. Der Kläger dürfe als Angreifer auch das Streitprogramm des Prozesses festlegen, weil er (und nicht der Beklagte) den pro711
K. Schmidt, ZZP 87 (1974), 59 f. RGZ 109, 234; Götzman, JR 1931, 45. K. Schmidt meint freilich, dass gerade diese Begründung verwundert, wenn man sieht, wie ansonsten das theoretische Verhältnis beider Ansprüche erklärt werde, ZZP 87 (1974), 74 f.; Heck, Grundriß des Schuldrechts, S. 100; Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 100 f. 713 So K. Schmidt, ZZP 87 (1974), 59 f. 714 v. Tuhr, AT, Bd. I, S. 274; Henckel, Parteilehre, S. 259 f. 715 So auch Henckel, Parteilehre, S. 262. 716 E. Schumann, NJW 1982, 1257, 1262; ebenso MünchKomm/Wöstmann, ZPO, § 3 Rn. 4. 712
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zessualen Streitgegenstand bestimme.717 Andernfalls könnte der Kläger trotz seiner Herrschaft über den Streitgegenstand im ungünstigsten Fall das Kostenrisiko nicht mehr beherrschen.718 Diese Überlegung ist bedeutsam, wenn sich zivilprozessualer Streitgegenstand und kostenrechtlicher Gegenstandsbegriff nicht decken.719
2. Anspruchshäufung im Rahmen von § 5 ZPO Die Vorschriften der Anspruchshäufung stehen mit der Streitwertbemessung in unmittelbarem Zusammenhang.720 So wird durch die in § 5 ZPO angeordnete Zusammenrechnung von Ansprüchen die Steigerung des wirtschaftlichen Interesses ausgedrückt.721 Umgekehrt gilt ein (unausgesprochenes) Additionsverbot, wenn die Ansprüche wirtschaftlich identisch sind, wobei die Interessen des Gegners außer Acht bleiben.722 Grundvoraussetzung ist, dass verschiedene prozessuale Ansprüche zur Entscheidung gestellt sind.723 Richtigerweise führt deswegen eine Häufung von Klagegründen bei gleichbleibendem Klageantrag zu keiner Anspruchsmehrheit.724 Auf den ersten Blick erscheint deswegen zutreffend, dass für § 5 ZPO der Auseinandersetzung zwischen den bekannten Streitgegenstandstheorien keine Bedeutung zukommt.725 Dies gilt vor 717 Vom Kläger verfolgte Fernziele oder der tatsächliche bzw. rechtliche Einfluss der Entscheidung auf andere Rechtsverhältnisse bleiben außer Betracht, vgl. § 11 II GKG, § 2 ZPO; H. Roth, in: FS Kollhosser, S. 559 f.: „Die Verknüpfung des Angreiferinteresses mit dem prozessualen Streitgegenstand mag als eher technisch bedingter Zusammenhang anmuten, was Durchbrechungen dieses Prinzips aus Billigkeitsgründen leichter ermöglichen könnte. In Wirklichkeit hängt das Angreiferinteresseprinzip eng mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Justizgewährungsanspruch des Klägers zusammen.“ 718 Nach einigen (abzulehnenden) Vorschlägen in der Literatur sollen hingegen auch die Einwendungen des Beklagten den Streitgegenstand mitprägen, so Costede, Studien, S. 76 ff.; mit Recht ablehnend, Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 16. Aus diesem Grund lässt § 5 Hs. 2 ZPO das Interesse des Gegners im Falle der Widerklage außer Acht. 719 Betreffen Leistungsklage und Feststellungsklage denselben materiellrechtlichen Anspruch, wird dennoch der Leistungsantrag nach h.M. höher bewertet, weil als weiteres Moment die bezweckte Rechtsdurchsetzung in der Zwangsvollstreckung hinzutrete; zu Recht kritisch Baltzer, Die negative Feststellungsklage, S. 130. 720 Vgl. Bork, Vergleich, S. 438 f. 721 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 5 Rn. 1; MünchKomm/Wöstmann, ZPO, § 5 Rn. 1. 722 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 5 Rn. 1. 723 Konträr dazu wollte Art. 3.1 der Vorschläge der Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch, ZZP 109 (1996), 345 ff., eine Zusammenrechnung bei Anspruchsmehrheiten nur vornehmen, wenn zwischen den prozessualen Begehren ein Zusammenhang im Sinne von Art. 22 III EuGVÜ fehlte. Als Vorbild diente Art. 35 I, II NCPC. Kritisch insoweit H. Roth, ZZP 109 (1996), 287. 724 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 5 Rn. 6: Wird eine Räumungsklage auf vier Kündigungen gestützt, bleibt es bei einer Bewertung nach § 16 II GKG. Gleiches gilt für Klageanträge, denen lediglich erläuternder Charakter, aber kein selbständiger Regelungsgehalt zukommt. 725 Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 177; Habscheid, Streitgegenstand, S. 250.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
allem für die Unterscheidung zwischen eingliedriger und zweigliedriger Lehre: Nimmt man im Kaufpreis-Wechsel-Fall (unzutreffenderweise) eine Mehrheit von Streitgegenständen an, so muss im Rahmen von § 5 ZPO doch die Verbundenheit der Begehren durchschlagen. Gerade hier erweist sich die Erfüllungskonnexität wieder als hilfreiches Kriterium.726 Eine Zusammenrechnung findet auch nicht statt, wenn der Klageantrag auf Räumung eines Kinos einmal auf Eigentum und hilfsweise auf Räumung nach (richterlicher) Aufhebung des Mietverhältnisses gestützt wird.727 Wurde bei formaler Betrachtungsweise eine Streitgegenstandsmehrheit festgestellt, so unterbleibt nach überwiegender Auffassung die Zusammenrechnung der Werte, wenn wirtschaftliche Unterschiede nicht existieren.728 Allein maßgeblich ist dann der höchste Wert. Das Additionsverbot beruht auf einer teleologischen Reduktion von § 5 ZPO. So kann sich auch im Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag trotz (formal) verschiedener Streitgegenstände eine Zusammenrechnung verbieten, so etwa bei einer Klage auf Herausgabe einer Sache und hilfsweise auf Schadensersatz nach § 510 b ZPO.729 Das gleiche gilt für die Klage auf Grundbuchberichtigung (§ 894 BGB) und hilfsweise auf Rückauflassung (§ 812 BGB) oder auf Herausgabe einer Sache und hilfsweise auf Wertersatz.730 Zweifeln lässt sich dagegen an der wirtschaftlichen Übereinstimmung einer Klage auf Restkaufpreiszahlung und dem hilfsweisen Begehren auf Rückübereignung der Sache.731 Nach der Rechtsprechung bilden eine wirtschaftliche Einheit bei (formaler) Streitgegenstandsverschiedenheit auch die Feststellung der Rückzahlung der Schuld neben der Rückgabe des Schuldscheins bzw. der Löschung der Hypothek oder die Herausgabe der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Sache und die Kaufpreisklage732 oder der Antrag auf Sicherheit (Bauhandwerkerhypothek) neben der Zahlungsklage. Maßgeblich ist dann der höchste Einzelwert. Deutlich wird an diesen Beispielsfällen, dass die wirtschaftliche Einheit sich nicht mit dem bisherigen Verständnis von Interesse im Sinne von Erfüllungskonnexität zwangsläufig deckt, sondern im Einzelfall davon abweichen kann.733 Dies 726
Im Streitwertrecht ist jedoch mehr die wirtschaftliche Einheit ausschlaggebend. Vgl. BGHZ 8, 47 (50); ablehnend hingegen Habscheid, Streitgegenstand, S. 238 f.; Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 237 f. Der BGH hat insoweit zutreffend die Bedeutung des Merkmals der Einmaligkeit der Leistung für die Bestimmung des Streitgegenstands herausgearbeitet. Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 14 ff., glaubt hingegen zu Unrecht, aus § 5 ZPO für die Streitgegenstandsdiskussion nichts ableiten zu können. 728 Etwa Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 5 Rn. 8; Zöller/Herget, ZPO, § 5 Rn. 8. 729 Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 162, 195; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 5 Rn. 34. 730 Kion, S. 172. 731 Anders E. Schneider, NJW 1975, 2106. Hier sind richtigerweise verschiedene wirtschaftliche Gegenstände betroffen. 732 OLG Hamburg MDR 1965, 394; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 5 Rn. 12. 733 Auch ein Zurückbleiben erscheint denkbar: So verwirklichen Rücktritt und Minde727
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gilt etwa auch im Hinblick auf einen Feststellungsantrag, der ein für die Leistungsklage vorgreifliches Rechtsverhältnis zum Gegenstand hat (z.B. Feststellung der Vertragsnichtigkeit und Rückgewähr der Leistung).734 Hier erinnert die Zusammenfassung eines „einheitlichen Streitverhältnisses“ vielmehr an die Kernpunkttheorie des EuGH.735 Die Beispiele zeigen, dass das – im Streitwertrecht berechtigte – Kriterium der wirtschaftlichen Einheit als Orientierungsmerkmal für den Begriff des Streitgegenstands kaum geeignet ist.
3. Streitgegenstand und wirtschaftliche Betrachtungsweise Entgegen der h.M. fordern einige Stimmen einen für das Streitwertrecht eigenständigen Streitgegenstandsbegriff.736 Dies liegt in der Tendenz, den prozessualen Anspruch relativ zu fassen. Da im Streitwertrecht das „wirtschaftliche Interesse“ im Vordergrund stehe, sei auch der Streitgegenstandsbegriff vom formalen prozessualen Anspruch zu lösen und entsprechend neu zu überdenken. Denn bei wirtschaftlich auf das gleiche Ziel gerichteten Ansprüchen sei nur eine scheinbare Häufung von Ansprüchen gegeben. Insbesondere Frank737 kritisiert hieran, dass die Orientierung an wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu einer gefährlichen Aufweichung, ja sogar zu einer Auflösung des Streitgegenstandsbegriffs führen könnte, weil dann in jedem Rechtsstreit doch zahlreiche wirtschaftliche Umstände mit zu bedenken wären. Dies könnte vor allem bei Teilklagen zu Erweiterungen führen, weil das eigentliche Interesse oft über den eingeklagten Teil hinausreiche, etwa wenn zwischen den Parteien vereinbart wurde, dass das Urteil auch für den Restanspruch Geltung erlangen solle.738 Für die Bestimmung des Streitgegenstands nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gebe das Gesetz keinen Anhaltspunkt, auch nicht über die Bestimmung des Zuständigkeitsstreitwerts und des Gebührenstreitwerts.739 Die Relativität des Streitgegenstandsbegriffs könne hieran nichts ändern, weil diese Erscheinung nur eine Modifizierung des Streitgegenstands aufgrund rechtlicher Erwägungen anstrebe. Keine dieser Lehren hebe aber ausschließlich auf wirtschaftliche Erwägungen ab.740 Aus diesem Grunde seien der rung zweifellos unterschiedliche wirtschaftliche Interessen; die Annahme eines einheitlichen Verfahrensgegenstandes erscheint aber vor allem im Hinblick auf § 261 III Nr. 1 ZPO gerechtfertigt. 734 RGZ 54, 341 und Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 5 Rn. 9. 735 Vgl. P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 98 f. 736 Vgl. vor allem E. Schneider, MDR 1971, 88 („Befreiung vom formalen prozessualen Anspruchsbegriff“); für Teilklagen betont diesen Aspekt Holste, AnwBl. 1959, 49 f. 737 Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 13 f.; auch E. Schumann, NJW 1982, 1258; ders., NJW 1982, 2800 f. 738 Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 13 f. 739 Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 14. 740 Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 14.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
Streitgegegenstand des Erkenntnisverfahrens und des Streitwertrechts weiter deckungsgleich nach herkömmlichen Kriterien zu bestimmen. Frank ist darin zuzustimmen, dass im Ausgangspunkt die Ermittlung des Streitwerts an den (realen) Gegenstand des Erkenntnisverfahrens anknüpfen muss, wenngleich dieser selbst stärker am Interesse des Klägers auszurichten ist. Die Einbeziehung wirtschaftlicher Erwägungen darf jedoch nicht zur Unberechenbarkeit des Verfahrens führen.741 Notwendig ist deswegen eine feste rechtliche Konturierung des Klägerinteresses.742 Im Übrigen überschneiden sich die Anwendungsfälle des identischen rechtlichen bzw. wirtschaftlichen Interesses z.T., sind aber keineswegs deckungsgleich. So ist nicht ausgeschlossen, dass die Annahme eines rechtlich einheitlichen Verfahrensgegenstandes (mit der Folge von § 261 III Nr. 1 ZPO) trotzdem dazu führt, dass die formal unterschiedlichen Begehren bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht völlig deckungsgleich sind (§ 5 ZPO). Überschießende wirtschaftliche Fernziele (z.B. bei Teilklagen) können somit im Rahmen von § 5 ZPO nicht beachtet werden, weil sie im Streitgegenstand keine Berücksichtigung finden.743
4. Gebührenstreitwert a) Klage und Widerklage § 45 I 1 GKG regelt den Gebührenstreitwert von Klage und Widerklage abweichend vom Verfahrensstreitwert (§ 5 HS. 2 ZPO). Hiernach werden Klage und Widerklage, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, nach dem einfachen Wert berechnet, wenn sie denselben Streitgegenstand betreffen (§ 45 I 3 GKG). Überwiegend wird vertreten, dass eine Streitgegenstandsbestimmung nach herkömmlichen Kriterien im Rahmen von § 45 I GKG versagen müsse: Denn bei entsprechender Identität wäre bereits die Widerklage unzulässig, so dass die Vorschrift weitgehend funktionslos bliebe. Der Gesetzgeber dürfte aber kaum den Fall einer unzulässigen Klageerhebung besonders geregelt haben.744 Daraus folgert die überwiegende Auffassung, dass der § 45 I GKG zu Grunde liegende Gegenstandsbegriff vom Streitgegenstand des Erkenntnisverfahrens zu unterscheiden sei. Rekurriert wird auf die Mo741 Damit wären für die Parteien ähnliche Überraschungen möglich, wie der Gesetzgeber sie mit dem Ausschluss der Rechtskraftwirkung der Urteilselemente gerade verhindern wollte, Hahn, Materialien II/1, S. 291. 742 Rechtlich greifbar wird das Angreiferinteresse erst durch das Merkmal der Erfüllungskonnexität. Hieran fehlt es etwa im Verhältnis von vorgreifl icher Feststellungsklage und Leistungsklage. 743 Dennoch sind parallele Teilklagen bereits aufgrund der Wertung des § 264 Nr. 2 ZPO und aus Konzentrationsgründen ausgeschlossen. Insoweit setzt sich im Rahmen von § 261 III Nr. 1 ZPO eine prozessökonomische Ermittlung der Streitsache durch. 744 Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 284.
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tive zum GKG745, wonach Identität voraussetzt, dass die beiderseitigen Anträge sich auf denselben individuell bestimmten Gegenstand beziehen, z.B. actio confessoria und negatoria gegeneinander stehen. Streitgegenstandsverschiedenheit soll dagegen anzunehmen sein, „soweit die beiderseitigen Anträge nicht einander ausschließen.“746 Bei der actio confessoria und negatoria stünden aber verschiedene Rechtsschutzbegehren und damit notwendigerweise verschiedene Streitgegenstände in Rede.747 Im Übrigen sei es unbestritten, dass der Gegenstand selbst, um den die Parteien streiten, kein Element des Streitgegenstands darstelle. Deswegen dürfe etwa bei einem Klageantrag auf Herausgabe einer Sache und einer Widerklage auf Eigentumsfeststellung keine Streitgegenstandsidentität zu Grunde gelegt werden, eben weil verschiedene Anträge vorlägen: „Da die Widerklage gerade dazu dienen soll, ein neues und selbständiges Rechtsschutzbegehren in den Prozess einzuführen, das mehr als die bloße Verneinung des Klageantrags darstellt, darf § 19 I GKG [a.F.] nicht auf den herkömmlichen Streitgegenstandsbegriff der ZPO abstellen.“748
Das RG hat dieses in § 19 I GKG a.F./§ 45 I GKG angelegte Spannungsverhältnis folgendermaßen aufgelöst: Ein Streitgegenstand liege immer dann vor, wenn die beiderseitigen Ansprüche einander ausschließen würden, so dass die Zuerkennung des einen Anspruchs notwendig die Aberkennung des anderen nach sich ziehe. Dagegen sei Verschiedenheit dann gegeben, wenn die mehreren Ansprüche nebeneinander bestehen können und das Gericht auch beide Ansprüche bejahen dürfte.749 Zur Präzisierung wurde später die Voraussetzung aufgestellt, dass beide Klagen für Identität dasselbe ökonomische oder außerökonomische Interesse umfassen müssten. Es genüge hingegen nicht, dass die Zuerkennung der Klage die Abweisung der Widerklage zur Folge habe.750 Für die Frage der Streitwertaddition entscheide also eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, wie sie auch bei der Anspruchshäufung im Rahmen des Additionsverbots wegen wirtschaftlicher Identität anerkannt sei.751 Die Einbeziehung des Interessekriteriums war geboten, da die „Ausschließungsformel“ des RG zu wenig konturiert erschien.752 Die Orientierung an § 5 GKG ist deswegen zu begrüßen. 745
Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 249. Hahn, Materialien I, Motive zum GKG, S. 41. 747 Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 249; Loening, ZZP 4 (1882), 7 (Fn. 5); Nieder, NJW 1976, 901. 748 Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 249 f. Vgl. auch BT-Drs. 12/6962, S. 63: „Der Gegenstand im Sinne des § 19 I 3 GKG muss sich also lediglich auf den Klagegrund, den Lebenssachverhalt, aus dem der prozessuale Anspruch hergeleitet wird, beziehen.“ 749 RGZ 145, 164, 165; BGHZ 43, 31. 750 OLG Karlsruhe NJW 1976, 22; Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 288. 751 So ausdrücklich Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 288. 752 Gleiches gilt für das Merkmal des erneuten Arbeitsaufwands. 746
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
§ 45 GKG könnte im Übrigen als Argument dafür sprechen, dass Klage und Widerklage durchaus denselben (verfahrensrechtlichen) Streitgegenstand betreffen können (etwa im Falle von negativer Feststellungsklage und Leistungswiderklage). Damit würde eine konzentrationsfreundlichere Fassung von § 261 III Nr. 1 ZPO gelingen.753
b) Haupt- und Hilfsantrag Dieselbe Betrachtungsweise gilt im Übrigen im Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag, § 45 I 2 GKG. Auch hier ist der „Gegenstand“ im Sinne von § 45 I 3 GKG zu interpretieren.754 Im Falle von § 45 I 2, 3 GKG kommt den Prozessparteien gebührenrechtlich zugute, dass das Gericht zwar über mehrere Anträge entscheiden muss, sich dafür aber im Wesentlichen auf die Beurteilung des gleichen Streitstoffs beschränken kann und dadurch Arbeitsaufwand erspart. Deswegen sollen der auf Feststellung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses gerichtete Hauptantrag und der auf Mangelbeseitigung gerichtete Hilfsantrag den gleichen Streitgegenstand bilden, wenn in beiden Fällen die Entscheidung maßgeblich von der Beurteilung der Frage abhängt, ob die gemieteten Räume mangelhaft waren.755 Richtig erscheint756 die Annahme von Streitgegenstandsidentität im Sinne von § 45 I GKG, wenn sich der Mieter auf der Grundlage des gleichen Mangels verschiedener Gewährleistungsansprüche – Minderung und Schadensersatz – berühmt.757 Gleiches gilt, wenn der Mieter wegen desselben Mangels die Berechtigung verschiedener mietrechtlicher Ansprüche – Erfüllung und Recht zur fristlosen Kündigung – zur gerichtlichen Überprüfung stellt. Maßgebend ist nur der höhere Wert des auf Beendigung des Mietverhältnisses gerichteten Feststellungsantrags. Der Streitgegenstand im Sinne von § 45 GKG soll desweiteren identisch sein, wenn eine Klage auf vertragliche Leistung mit einer Widerklage zusammentreffe, mit der diese vertragliche Verpflichtung geleugnet werde.758 753
Vgl. unten § 26 II, III 2. Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, S. 716; vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1976, 247 f.; MDR 1988, 1067. 755 BGH Urt. v. 2.11.2005, XII ZR 137/05: Zur Identität des Streitgegenstands bei einer Klage auf Zahlung von Mietzins und einer Widerklage auf Feststellung des Nichtbestehens des Mietverhältnisses und Hilfsantrag in der Widerklage auf Mängelbeseitigung nach §§ 535 I 2, 536 BGB. 756 BGH NZM 2004, 423. 757 Denn das einheitliche (wirtschaftliche) Interesse kommt hier deutlich zum Ausdruck. 758 Auch BGH NJW-RR 1992, 1404; OLG Koblenz, VersR 1996, 521; OLG Braunschweig MDR 1975, 848; BGH 22.1.2006, XII ZR 134/03: zur Identität des Streitgegenstands bei einer Klage auf Zahlung von Mietzins und Feststellung des Fortbestehens des Mietverhältnisses im Umfang der zeitlichen Kongruenz. Sofern sich die Zeiträume überschneiden, sei allein auf den höheren Anspruch abzuheben, da es sich dann wirtschaftlich um denselben Gegenstand handelt. 754
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Daraus wird hergeleitet, dass der Streitgegenstand einer Klage auf Zahlung von Mietzins und einer Widerklage auf Feststellung des Nichtbestehens des die Zahlungsansprüche begründenden Mietvertrages identisch sind, soweit sich die streitigen Zeiträume überschneiden. Wirtschaftliche Identität in diesem Sinne wird offensichtlich auch bei einer Verknüpfung durch ein vorgreifliches Rechtsverhältnis angenommen. Dies deckt sich mit der Auslegung von Art. 21 EuGVÜ (Art. 27 EuGVVO) in den Entscheidungen Gubisch/Palumbo und Tatry, was argumentativ auch für eine Übernahme der Kernpunkttheorie in das deutsche Erkenntnisverfahren streiten soll759, so dass auch präjudizielle Rechtsverhältnisse in den Gegenstandsbegriff miteinzubeziehen wären. In jedem Fall verlangt § 45 GKG im Streitwertrecht, dass der Streitgegenstand über den tatsächlichen Antrag hinaus interpretiert wird. § 45 GKG zeigt aber wiederum, dass der Wert des wirtschaftlichen Interesses sehr unterschiedlich bestimmt werden kann. Für den zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff ist deswegen der wirtschaftliche Gegenstandsbegriff nur verwendbar, wenn er zugleich rechtlich konturiert ist. In den Fällen der Präjudizialität wird zwar häufig eine wirtschaftliche Einheit der Begehren erkennbar. Dennoch regelt § 148 ZPO dieses Verhältnis auf der Ebene des Erkenntnisverfahrens im Vergleich zu § 261 III Nr. 1 ZPO spezieller.760
c) Eigene Stellungnahme § 45 I 1 GKG stützt das hier vorgetragene Modell: § 261 III Nr. 1 ZPO will verhindern, dass dasselbe rechtliche Interesse vor verschiedenen Foren (in unterschiedlichen Parteirollen) geltend gemacht wird. Zulässig erscheint jedoch, dass Klage- und Widerklageantrag bei veränderter Rechtsschutzform dasselbe Interesse betreffen. Die Anträge bauen aufeinander auf, ohne sich vollständig zu decken.761 Für die Zulässigkeit der Widerklage spricht zum einen, dass bei einer Identität des Forums keine prozessökonomischen Nachteile drohen und zum anderen, dass § 256 II ZPO den Zwischenfeststellungswiderklageantrag für zulässig erklärt. Daraus ergibt sich, dass der § 45 GKG zu Grunde liegende Streitgegenstandsbegriff nicht wesentlich abweichend interpretiert werden muss.762 Vielmehr ist die Rechtshängigkeitssperre bei der Widerklage einschränkend
759 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 93, 95 ff.; Bäumer, S. 136; teilweise auch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 29 ff. 760 A.A. Wernecke, Einheitlichkeit, S. 32 f., 72 f., für den Fall, dass aus diesem Vertragsverhältnis keine weiteren Ansprüche streitig seien. 761 Zur Teilidentität in diesem Sinne auch Gruber, ZZP 117 (2004), 143 f. 762 § 45 I S. 1 GKG wird verständlich, „weil Widerklagen die Klagen (ganz oder teilweise) einbeziehen (dürfen) und dann auch den Streitgegenstand insoweit einbeziehen, wie ihn schon die Klage umreißt, obwohl über ihn nur einmal zu entscheiden ist“, Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 5 Anm. D III a.; ablehnend Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 285.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
auszulegen. § 261 III Nr. 1 ZPO will in erster Linie die anderweitige Rechtshängigkeit derselben Streitsache verhindern. Dies folgt aus der konzentrationsfördernden Funktion der Vorschrift. Was bei unterschiedlichen Foren versagt ist, kann bei demselben Gericht erlaubt sein.763
III. Exkurs: Das Gläubigerinteresse im Falle von § 422 BGB Wendet man auf das Verhältnis interesseidentischer Anspruchsgrundlagen § 422 BGB entsprechend an764, dann lässt sich ähnlich wie bei der Gesamtschuld erklären, warum verschiedene Rechtsfolgenbehauptungen der Befriedigung desselben Interesses dienen können. Die Einheit des Gläubigerinteresses rechnet zu den Entstehungsvoraussetzungen einer Gesamtschuld.765 Der BGH hat jedoch bereits in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht766, dass keine strenge Identität der dem Gläubiger gegen die Schuldner verliehenen Rechtsbehelfe gefordert sei. Der Leistungsgegenstand muss somit nicht identisch sein, sondern es genügt, dass dasselbe Interesse des Gläubigers befriedigt wird.767 Eine Gesamtschuld liegt auch vor, wenn einer der Schuldner zur Naturalherstellung, der andere dagegen zum Geldersatz verpflichtet ist. Ähnliches gilt etwa im Verhältnis von Architekt und Bauunternehmer: An der gesamtschuldnerischen Verbindung ändert sich nichts, „wenn der Architekt wegen eines Mangels am Bauwerk gemäß § 635 BGB [a.F.] auf Schadensersatz in Geld in Anspruch genommen wird, während der Bauunternehmer nur zur Beseitigung des Mangels nach § 633 II BGB [a.F.] verpflichtet war.“768 Unerlässliche Voraussetzung nach § 421 BGB ist dabei nur, dass der Gläubiger sich mit der Leistung eines der Schuldner zufrieden geben muss (einheitliche Tilgungswirkung). Gleiches soll für Ansprüche aus § 635 BGB a.F. und § 4 Nr. 7 VOB (B) gelten, die „hart an der Grenze zur inhaltlichen Gleichheit“ lägen.769 Eine Zweck- und Tilgungs763 Allerdings bleibt zu konstatieren, dass der Gesetzgeber inzwischen die von der Rechtsprechung eingeleitete Unterscheidung zwischen prozessualem und kostenrechtlichen Streitgegenstand übernommen hat, vgl. RegBegr. BT-Drs. 12/6962, 63, S. 177. 764 So Wernecke, Einheitlichkeit, S. 57. 765 Etwa: Staudinger/Noack, BGB, § 421 Rn. 32; Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, § 421 Rn. 5. 766 BGHZ 43, 227; BGHZ 51, 275; ebenso OLG Hamm, v. 26. 1. 2005, 12 U 121/04; strenger noch RGZ 92, 401 (408); vgl. hierzu auch instruktiv Klingmüller, Unechte Gesamtschuldverhältnisse, JherJb 64 (1914), 64 f. (Identität des Leistungsgegenstandes). 767 Staudinger/Noack, BGB, § 421 Rn. 32. 768 BGHZ 43, 227; BGHZ 51, 275. Anderes gilt etwa im Verhältnis von § 843 I BGB (vermehrte Bedürfnisse) zum Unterhaltsanspruch. Die Erfüllung der unterhaltsrechtlichen Verpflichtung tilgt nicht die Geldrentenforderung, was § 843 III BGB zum Ausdruck bringt. 769 BGHZ 51, 275.
§ 24 Wertungsparallelen
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gemeinschaft in diesem Sinne wird auch zwischen dem auf Geldzahlung gerichteten Schadensersatzbegehren und dem Anspruch auf das stellvertretende commodum angenommen.770
770
Vgl. Jahr, in: FS Lüke, S. 308; BGHZ 54, 43.
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§ 25 Die Ermittlung des Klägerinteresses Im folgenden Kapitel werden die einzelnen Schritte bei der Ermittlung des Klägerinteresses nachvollzogen. Hierbei gilt es insbesondere der Bedeutung von Klageantrag und Lebenssachverhalt Rechnung zu tragen.
I. Interesse und Klageantrag 1. Die Individualisierungsfunktion des Klageantrags Die formale Bedeutung des Klageantrags für die Bestimmung des Streitgegenstandes beruht auf einer bis zum römischen Legisaktionenprozess771 zurückreichenden europäischen Tradition, wenngleich in gewandelter Bedeutung. 772 Der Klageantrag soll heute vor allem der Präzisierung des Streitgegenstands im Hinblick auf die Urteilsformel dienen.773 Zugleich findet in dieser Bestimmungsbefugnis des Klägers die zivilprozessuale Dispositionsmaxime ihren Ausdruck774, die eine nur in seinen Umrissen erkennbare Umschreibung des Prozessgegenstands nicht genügen lässt.775 Gefordert ist vielmehr durch § 253 II Nr. 2 ZPO eine Festlegung hinsichtlich des künftigen Urteilsinhalts einschließlich der jeweiligen Rechtsschutzform.776 Der Kläger darf somit nicht offen lassen, welcher konkreten Rechtsfolge das Gericht stattgeben soll. Er muss sich bereits im Klageantrag entscheiden, ob er vom Verkäufer Schadensersatz statt der Leistung oder Nacherfüllung verlangen will, und selbst insoweit müsste
771
Zum römischen Recht oben § 3 I. Überblick bei Henke, ZZP 112 (1999), 397, 400, 408. Abwandlungen der römischen Prozessformel fanden sich in England in den „writs“, näher H. Peter, Actio und Writ, S. 19 Fn. 36. 773 Henke, ZZP 112 (1999), 413, sieht den eigentlichen Unterschied zu den früheren prozessualen Formen nicht im Ausdruck, sondern im Verlust der Feierlichkeit. 774 Zur Bedeutung der Parteidisposition in Europa: R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1064 f.; etwas andere Akzentuierung ders., in: FS Lüke, S. 837; auch die Principles of Transnational Civil Procedure (Principle 28) befürworten, ähnlich wie das geltende deutsche Recht, im Gegensatz zum common law eine enge antragsbegrenzte Fassung des Prozessgegenstandes, Stürner, RabelsZ 69 (2005), 250. 775 Jauernig/Hess, ZPR, § 24 III Rn. 7. 776 Eingehend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 f. Rn. 1 ff., 22. 772
§ 25 Die Ermittlung des Klägerinteresses
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er zwischen Nachlieferung und Nachbesserung wählen (vgl. § 439 I BGB).777 Dem Kläger ist es somit verwehrt, das Gericht zu verpflichten, festzustellen, welche Rechtsfolgen sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt zu seinen Gunsten ergeben. Deswegen wird meist formuliert: Das Erfordernis, einen bestimmten Antrag zu stellen, enge den Streitgegenstand ein.778 Mit der Dispositionsbefugnis korrespondiere eine Dispositionslast, weil das Gericht über den gestellten Antrag weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht hinausgehen dürfe (§ 308 I ZPO).779 Insoweit kann der Richter auch nicht zu einer abweichenden Rechtsfolge verurteilen, die dasselbe Interesse verwirklicht. Der unterschiedliche Leistungsinhalt ist vor allem dann Unterscheidungskriterium, wenn Ansprüche demselben Rechtsverhältnis entspringen. Die Bedeutung der einzelnen Rechtsfolge tritt besonders mit Blick auf die Zwangsvollstreckung zu Tage. Hier wird nicht nach dem (gemeinsamen) Entstehungsgrund einer Forderung unterschieden, sondern nach ihrem Inhalt.780 Jedoch sollte nicht von einzelnen Funktionen, die der Klageantrag im Verfahren zweifellos übernimmt, auf seine generelle Bedeutung für den Streitgegenstand geschlossen werden.781 Die Angabe eines bestimmten Klageantrags in der Klageschrift dient nicht dazu, den Streitgegenstand final zu begrenzen. Im Vordergrund steht bei § 253 II Nr. 2 ZPO vielmehr das Bedürfnis, Gericht und Beklagtem aufzuzeigen, welche Interessen streitbefangen sind. Die Angabe einer konkreten Rechtsfolge und einer bestimmten Rechtsschutzform ist dabei einerseits der Optimierung der Verteidigungssituation des Beklagten, andererseits aber auch der Vorbereitung des Urteilsinhalts und seiner Vollstreckung geschuldet. Die Formalität des Klageantrags verhindert somit, dass das Judikat mit Ungenauigkeiten belastet wird, die es zu einem bloßen Rahmenurteil ohne feste Rechtskraftgrenzen machen könnten782, dessen Inhalt dann spätestens im
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Jauernig/Hess, ZPR, § 24 III Rn. 7. Jauernig/Hess, ZPR, § 24 III Rn. 7. 779 Wird § 308 I ZPO jedoch insoweit verletzt, bleibt die Rechtskraftwirkung nach BGH NJW 1999, 287 f. unangetastet. Dies könnte dafür sprechen, dass das Dispositionsprinzip nur eine Möglichkeit der Streitindividualisierung darstellt und nach Verfahrensabschluss nach außen hin nur noch das Urteil diese Identität des Prozesses widerspiegelt, so die bedenkenswerte Erklärung von Kocher, Funktionen, S. 331. 780 v. Tuhr, AT, Bd. I, S. 261. 781 Symptomatisch Kocher, Funktionen, S. 329: „Allerdings legt der letztlich verbindliche Antrag nach § 308 I ZPO den Entscheidungsbereich des Gerichts fest und identifiziert damit den Ausschnitt aus dem Konfliktfeld, der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist…Der durch den Antrag festgelegte Streitgegenstand muss insofern Berührungspunkt nicht nur für die Entscheidungen, sondern auch für das Verfahren der Rechtsprechung sein. Dies rechtfertigt die vorherrschende Auffassung, zumindest vom Antrag bis zu den Urteilswirkungen der Rechtskraft bedürfe es eines einheitlichen Bezugspunktes.“ Der einheitliche Bezugspunkt im Verfahren ist indes das Klägerinteresse. 782 So deutlich Henke, ZZP 112 (1999), 412. 778
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
Vollstreckungsverfahren geklärt werden müsste.783 Klageantrag und hypothetischer Urteilsinhalt determinieren richtigerweise jedoch nicht das Verfahren. Für die Ermittlung der Grenzen der Klageänderung und des Rechtshängigkeitsumfangs gewinnen die Aspekte Prozessökonomie und Verfahrenskonzentration ebenso an Bedeutung. Unabhängig von der Frage des Klagegrundes sollte deswegen „der Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ nicht selbst zum Verfahrensgegenstand erhoben werden.784 Damit würde der Blick vom Zentrum des Streits abgelenkt hin auf die Beziehung zwischen Kläger und Gericht:785 „Allein die Tatsache, dass der Streitgegenstand in einer bestimmten Form in den Prozess eingeführt wird, nämlich mittels eines Antrags, der zugleich eine gerichtliche Entscheidung erstrebt, ändert nicht seine funktionelle Bedeutung im Rahmen des Rechtsanwendungsaktes.“786
Im laufenden Verfahren ist die Divergenz der begehrten Rechtsfolgen somit unerheblich. Dem Klageantrag selbst, der sich im Leistungsprozess an bestimmten Anspruchsinhalten orientiert (§ 253 II Nr. 2 ZPO), kommt hier lediglich individualisierende Funktion zu, jedoch keine das Interesse begrenzende. Das streitige Interesse orientiert sich regelmäßig an einer bestimmten materiellen Grundposition, die den Ausgangspunkt für Abwandlungen und Modifikationen bietet, ohne dass sich seine Identität selbst ändern würde.787 Diese Identität drückt sich darin aus, dass der veränderte Leistungsinhalt nur anstelle des ursprünglichen Petitums, niemals aber neben diesem beansprucht werden kann.788
2. Judikative Anwendungsfälle Von dieser Warte aus sollen einige in der Judikatur behandelte Fragenkreise näher untersucht werden. 783 Dies u.U. ohne Richterbeteiligung; zu Besonderheiten bei der Unterlassungsklage instruktiv H. Roth, in: FS Ishikawa, S. 445 ff. 784 So aber Schwab, Streitgegenstand, S 141; Bötticher, in: FG Rosenberg, S. 86. 785 Schönke/Kuchinke, ZPR, § 39 II, S. 175. 786 Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass keine Notwendigkeit besteht, die Voraussetzungen der Zulässigkeit dieses Antrags mit in den Streitgegenstandsbegriff einzubeziehen, vgl. auch Schönke/Kuchinke, ZPR, § 39 II, S. 175. Die Unterscheidung in einen sachlichen und prozessualen Streitgegenstand ist entgegen A. Blomeyer, ZPR, § 40 III, abzulehnen, da es bei den prozessualen Fragen vor allem um punktuelle Streitigkeiten auf dem Weg zum Ziel geht. Sie treten hinter den „sachlichen Gegenstand“ der Auseinandersetzung deutlich zurück, Schönke/Kuchinke, ZPR, § 39 II, S. 175 f. 787 Von der Änderung des „Rechtsbehelfs“ bei gleichbleibender „Rechtsposition“ spricht hingegen Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 364. 788 Das Interesse bildet zugleich das materielle Substrat des streitigen subjektiven Rechts. Bereits aus diesem Grund scheidet eine am Lebenssachverhalt orientierte Sichtweise aus. Zudem besteht die Möglichkeit, dass subjektive Interessen nicht materiellrechtlich in Form eines subjektiven Rechts, aber prozessual geschützt sind (z.B. wie bei der Feststellungsklage nach § 256 I ZPO), Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 110 f.
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a) Der Form nach identische Klageanträge Die Ermittlung der Interessenidentität kann sich mitunter in Fällen eines nur scheinbar einheitlich gestellten Klageantrags schwierig gestalten. So hat der BGH789 in einer häufig besprochenen Entscheidung790 eine Erstreckung der Rechtskraft eines Herausgabeurteils (§ 985 BGB) wegen Ungültigkeit des Mietvertrages auf eine spätere Herausgabeklage, die auf Mietaufhebungsgründe nach MSchuG gestützt wurde, mit der Begründung verneint, dass der vorgetragene Sachverhalt hier ein anderer sei. Dazu will jedoch nicht passen, dass er in einem vergleichbaren Judikat bei einer Verbindung dieser Streitgegenstände in einem Prozess keine Klagehäufung annimmt.791 Nicht überzeugen kann der Hinweis der Kritiker, dass der Streitgegenstand bereits aufgrund der unterschiedlichen Leistungsinhalte des Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB und der Rückforderung nach § 556 BGB a.F. (nunmehr: § 546 BGB) ein anderer wäre792: Nach deren Votum soll es insbesondere keine Rolle spielen, dass der Kläger beide Klagen mit denselben Worten formuliere und nur einen einheitlichen Antrag stelle793, da aufgrund des vorgeschalteten Gestaltungsakts bereits unterschiedliche Klageanträge vorlägen. Zwar sind auch Klageanträge der Auslegung (§ 133 BGB) zugänglich. Diese führt hier m.E. aber zur Interessenidentität und damit zur Annahme eines identischen Verfahrensgegenstands. Die Vorschaltung eines Gestaltungsaktes ändert daran nichts, wenn die Rechtsfolgen im Ergebnis übereinstimmen. Aus diesem Grund umfasst auch der Antrag auf Entlassung des Bürgen aus der Bürgschaftsverpflichtung den Anspruch auf Unterlassung seiner Inanspruchnahme. Rein äußerlich mögen zwar mit Blick auf die Zwangsvollstreckung die Leistungen divergieren. In der Sache ergibt sich hier aber kein Unterschied, so dass die Annahme identischer Verfahrensgegenstände gerechtfertigt erscheint.794 Identität der Anträge besteht in Höhe der sich deckenden 789 790
BGHZ 9, 22, 28. Etwa Rosenberg, JZ 1953, 115; Lauterbach, NJW 1953, 170; Bettermann, MDR 1954,
198. 791 BGHZ 8, 47: Klageantrag auf Räumung eines Kinos, gestützt auf Eigentum und hilfsweise auf Räumung nach (richterlicher) Aufhebung des Mietverhältnisses; ablehnend: Habscheid, Streitgegenstand, S. 238 f.; Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 237 f. Im Ergebnis praktiziert der BGH eine relative Sichtweise, auch wenn er sich ausdrücklich gegen diesen Vorwurf verteidigt. Befürwortung der Sonderposition der Klagenhäufung durch Bub, Streitgegenstand, S. 207. 792 Zu Recht Mittenzwei, Aussetzung, S. 90, unter Betonung des gleichbleibenden Klageziels. Parallelprozesse erscheinen bereits deswegen ausgeschlossen, weil beide Gerichte das Begehren unter allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen prüfen müssten. 793 Insbesondere Bettermann, MDR 1954, 198. Dies überrascht, klammert er doch in seinem Werk „Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform“, S. 10 f., die Rechtsschutzform für die Identitätsprüfung nach § 261 III Nr. 1 ZPO gerade aus. 794 BGH, WuB VII A. § 322 1.87, v. 11.12.1986.
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Beträge, wenn der Kläger sein einheitliches Zahlungsbegehren zum einen auf den Rücktritt vom Kaufvertrag (§§ 437 Nr. 2, 323 BGB), zum anderen auf die Minderung wegen Sachmangels stützt.795 Die vor der Schuldrechtsreform vertretene Scheidung796 des Anspruchs auf Wandelung vom Anspruch auf Minderung sollte – weil auf aktionenrechtlichen Vorstellungen beruhend – prozessual obsolet sein. Denn hiernach hätte der Käufer nach Abweisung seiner auf Wandlung gestützten Kaufpreisrückzahlungsklage trotz identischem Sachmangel seinen Anspruch weiter auf den Aspekt der Minderung stützen dürfen.797
b) Unterschiedliche Klageanträge Trotz divergierender Klageanträge ist die Annahme eines einheitlichen Verfahrensgegenstandes gerechtfertigt, wenn das vom Kläger verfolgte Interesse identisch bleibt. Jedoch will der BGH798 etwa im Wechsel vom Vorschussanspruch nach § 633 III BGB a.F. (nunmehr: § 637 III BGB) zum großen Schadensersatz (Schadensersatz statt der ganzen Leistung) eine Klageänderung erkennen. Vorschuss- und Schadensersatzbegehren seien „ihrem Wesen“ nach verschieden, womit die rechtliche Identität des Klageantrags (und wohl auch des Klagegrundes) nicht gewahrt sei.799 Der Besteller müsse nach Erhalt des Vorschusses noch abrechnen800, während der Schadensersatz endgültig zugesprochen werde.801 Der BGH hat deswegen die zum Zwecke eines Anspruchswechsels eingelegte Berufung wegen fehlender Beschwer als unzulässig angesehen, sofern der erstinstanzlich aberkannte Anspruch nicht wenigstens hilfsweise weiterverfolgt
795
Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 529 ff. RG JW 1907, 709: Die beiden Ansprüche sind „so voneinander unabhängig, dass die Abweisung des einen die Erhebung des anderen nicht auszuschließen vermag.“ Ebenso RG JW 1911, 592; RG JW 1920, 647; BGH NJW 1990, 2682 ff.; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 361; Henckel, Prozessrecht, S. 192 f.: Unterschiedliche wirtschaftliche Werte; a.A. mit Recht Bub, Streitgegenstand, S. 40. 797 Zum Überblick Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 530. 798 BGH NJW- RR 1998, 1007; bestätigt durch BGH NJW-RR 2005, 326 f.; zur Auslegung einer Vorschussklage als Schadensersatzklage bereits BGH MDR 2001, 267 f.; BGH NJW-RR 2004, 1247. 799 Für Änderung des Klageantrags, MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn. 10. Hiergegen spricht, dass der Klageantrag jeweils auf Geldzahlung gerichtet ist, auch wenn die rechtlichen Modalitäten divergieren. 800 Dies eröffnet die Möglichkeit einer weiteren Vorschussklage nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens, ohne dass dem § 322 I ZPO entgegenstünde, BGH NJW-RR 1994, 785. 801 Grunsky, NJW 1984, 2545 f.: Beim Schadensersatzanspruch sei überdies unerheblich, ob der gezahlte Betrag tatsächlich zur Mängelbeseitigung eingesetzt wird. Aufgrund des geänderten Klagegrundes soll auch § 264 Nr. 2 ZPO keine Anwendung finden. 796
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werde.802 Das OLG Brandenburg hat dem mit Recht widersprochen.803 Die Sichtweise des BGH ist unvereinbar damit, „dass das Prozessrecht und seine Handhabung nicht Selbstzweck, sondern der Verwirklichung des materiellen Rechts dienen soll.“804 Der unterschiedliche rechtliche Modus beim Vorschussanspruch (§ 633 III BGB a.F./§ 637 BGB), der zur Beseitigung des Mangels Verwendung finden müsse, verändert im Verhältnis zum endgültig vereinnahmten Schadensersatz den Klagegrund nicht. Die Rechtsfolgen eines Richterspruches dürfen nicht zum Grund der Klage erhoben werden.805 Im Ergebnis bleibt der Sachverhalt gewahrt und allenfalls der Klageantrag erfährt eine qualitative Änderung.806 Erwägenswert erscheint überdies die Prüfung von § 264 Nr. 2, 3 ZPO: Denn klagt der Besteller zunächst auf Nachbesserung und nach Selbstvornahme auf Kostenerstattung, wäre dies sicherlich nicht als Klageänderung zu werten. Der BGH hat insoweit zutreffend807 den Wechsel vom Kostenvorschussanspruch zum Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Nr. 5 II VOB/B bei gleichbleibendem Mangel § 264 Nr. 3 ZPO unterstellen wollen.808 Das Gleiche muss richtigerweise gelten, wenn statt Kostenerstattung unmittelbar Schadensersatz verlangt wird. Entscheidend ist, dass der geforderte Betrag unabhängig von der rechtlichen Konstruktion nur einmal vereinnahmt werden kann, mögen sich auch in beiden Varianten betragsmäßige Unterschiede ergeben. Das Interesse und damit der Streitgegenstand bleiben identisch.809 Entgegen der h.L.810 verändert der Übergang vom Vorschuss- zum Schadensersatzanspruch den Streitgegenstand somit nicht.811 Da beide Ansprüche ohnehin auf Geld-
802 BGH NJW-RR 1998, 1007; BGH NJW-RR 2005, 326 f. (Beschwer bei Klageerfolg mit Kostenvorschuss statt Schadensersatz; das wirtschaftliche Interesse, einen Teil des Vorschusses zurückzahlen zu müssen, wird vom Senat als gering eingeschätzt). 803 OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 387. 804 OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 387; BGH NJW 1962, 1820. 805 Bei einem Austausch der Anspruchsgrundlagen wird aber der Klagegrund keineswegs geändert, OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 387; zust. Achilles-Baumgärtel, BauR 2001, 1953 f. 806 So OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 387: der BGH (NJW 1985, 1784) habe im Übrigen in einer früheren Entscheidung das Gleichbleiben des Klagegrundes für den Wechsel von der Feststellungsklage zur Leistungsklage im Baumängelprozess für den Fall bejaht, dass der Vortrag zum Mangel derselbe geblieben sei. Dies müsse auch gelten, so das OLG, wenn der Kläger beim gleichen Sachmangel vom Vorschuss- zum Schadensersatzanspruch übergehe. Der BGH nimmt hier nur eine zulässige Klageänderung an, aber wohl keine Identität des Streitgegenstands. 807 BGH NJW-RR 2006, 670; a.A.: OLG Koblenz NJW-RR 1990, 981. 808 Diese Antragsänderung sei auch ohne Anschlussberufung analog § 302 IV 4 ZPO zuzulassen. 809 Zuviel gezahlter Vorschuss ist zurückzuzahlen, wenn nicht der Besteller Schadensersatz in gleicher Höhe beanspruchen kann, BGHZ 99, 81. 810 Ausführlich Grunksy, NJW 1984, 2545. 811 Zustimmend Bamberger/Roth/Voit, BGB, § 637 Rn. 16.
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zahlung gerichtet sind, muss § 264 Nr. 3 ZPO nicht bemüht werden.812 Insoweit kann einem als Schadensersatz deklarierten Begehren auch unter dem Gesichtspunkt des Vorschussanspruches stattgegeben werden, ohne § 308 ZPO zu verletzen. In einer früheren Entscheidung hatte der BGH überdies die Klage auf Ersatz der Mangelbeseitigungskosten (§ 633 III BGB a.F.) die Verjährung des Schadensersatzanspruches (§ 635 BGB a.F.) unterbrechen lassen (§ 477 III BGB a.F.)813, obgleich sich beide, wenn die Nachbesserung nicht zur Fehlerfreiheit führt, nicht gegenseitig ausschließen, sondern nebeneinander bestehen können.814 Aufgrund der gegenseitigen Anrechnung erscheint es jedoch richtig, sämtliche Fragen in einem Verfahren zu klären.815 Insbesondere im Zusammenhang mit Wahlschulden kann sich die Frage nach der Verfahrensidentität trotz unterschiedlichen Leistungsinhalts stellen: Wird etwa vom Wahlgläubiger zunächst die Leistung A eingeklagt und dann die Leistung B, dann soll nach Kreß bei Annahme eines einheitlichen Anspruchs der Einwand der Rechtshängigkeit eingreifen. Werde dagegen die Alternativität der Ansprüche favorisiert, müsste die zweite Klage als unbegründet abgewiesen werden, weil der Kläger im Rahmen seiner ersten Klage bereits von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht habe.816 Richtigerweise bleibt § 261 III Nr. 1 ZPO auch dann anwendbar, wird doch unabhängig von der Anzahl der materiellen Ansprüche bei der Wahlschuld jeweils dasselbe (rechtliche) Interesse verwirklicht.
II. Rechtsschutzform und Interesse 1. Die Bedeutung der Rechtsschutzform: Der Meinungsstand Nach überwiegender Ansicht817 bestimmen über die Identität des Streitgegenstandes die jeweilige Verfahrensart und die Rechtsschutzform, in welcher der Kläger sein Rechtsschutzziel zum Ausdruck bringt, mit.819 Die prägende Be812 Gleiches gilt für den Übergang von der Abschlagszahlung auf die Schlussrechnungsforderung, BGH NZBau 2006, 175. 813 BGH NJW 1972, 527; anders gelagert war hingegen RGZ 93, 158. 814 BGHZ 48, 108 ff. = NJW 1967, 2005; Staudinger/Honsell, BGB a.F., § 477 Rn. 31. 815 Ähnliche Fragen können sich im Verhältnis von § 284 BGB zum Schadensersatz statt der Leistung stellen. Zwischen den Anspruchsgrundlagen § 284 BGB und § 280 I, III, § 281 BGB besteht ein Alternativverhältnis, um eine Überkompensation zu vermeiden, BGH NJW 2005, 2850. Jeder abgrenzbare Posten bildet einen selbständigen Streitgegenstand. 816 So Kreß, Lehrbuch (1934), S. 17. Bei der Wahlschuld wird heute die sog. „Pendenztheorie“ weitgehend abgelehnt, nämlich dass verschiedene Ansprüche mit je verschiedenem Inhalt zur Wahl stünden, unter denen eine Wahl getroffen werden müsste. Vielmehr entsteht ein Schuldverhältnis mit unbestimmtem, aber bestimmbarem Inhalt. 817 Böhm, in: FS Kralik, S. 83, 109 f.; Bötticher, in: FG Rosenberg, S. 86 f.; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 IV 1 Rn. 23 f.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 139 f.; K. H.
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deutung der Verfahrensart für den Streitgegenstand zeigt sich etwa im Falle des durch Arrestverfahren und einstweilige Verfügung (§§ 916 f. ZPO) dem Kläger gewährten Eilrechtsschutzes819, so dass sicherlich die Anhängigkeit des Arrestverfahrens einem Hauptverfahren nicht nach § 261 III Nr. 1 ZPO entgegengesetzt werden könnte. Die Entscheidung über die Notwendigkeit selbständiger Verfahrensarten (etwa Wechsel- und Urkundenprozess) neben dem ordentlichen Verfahren steht dabei im Belieben des Gesetzgebers.820 Auch die Trias der Klagearten (Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklage) soll jeweils unterschiedlichen Rechtsschutzzielen dienen.821 Bezeichnenderweise wird wegen der Finalität von Klageantrag und Urteil sogar vorgreiSchwab, Streitgegenstand, S. 43 f.; Behringer, Streitgegenstand, S. 61; Arens, Streitgegenstand, S. 20; Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 365; Böhm, aaO., glaubt, dass die Rechtsschutzform zum einen prozessualer Aspekt des Rechtsschutzzieles und (vermöge ihrer Anspruchsbezogenheit) zugleich Element des Meritums sei. Als solche sei sie untrennbar mit den ihr gemäßen Rechtsschutzwirkungen verbunden. Sie spiegele sich indirekt auch noch in den objektiven Grenzen der Rechtskraft wider. Denn die im Urteil stets getroffene Feststellung der materiellen Rechtslage habe je nach der Art des subjektiven Rechts und dem ihm zugeordneten Klagetyp unterschiedlichen Inhalt und Charakter; anderes gilt für das Verhältnis von Urkunden- und Wechselprozess zum ordentlichen Verfahren, Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 68: Erhebung der Wechselforderung im Wechselprozess begründet auch die Rechtshängigkeit gegenüber der späteren Leistungsklage im ordentlichen Verfahren; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 69: Der besondere Zuschnitt des Urkundenprozesses zerlege den Verfahrensstoff nicht in zwei Streitgegenstände. 818 Dies gilt sowohl für die eingliedrige als auch für die zweigliedrige, vom BGH geteilte, Ansicht, BGHZ 9, 22, 27. Auch im italienischen Recht ist diese Unterscheidung zwischen Rechtsbehauptung und Rechtsschutzform bekannt. Für das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre ist erforderlich, dass sowohl das „oggetto immediato“ (das „unmittelbare Begehren“, etwa Feststellung oder Sicherung) und das „oggeto mediato“ (das „mittelbare Begehren“) übereinstimmen. Ersteres umschreibt die Beantragung eines bestimmten prozessualen Vorgehens durch das Gericht, während zweiteres die materiellrechtlich geprägte Leistung eines bestimmten Rechtsgutes von der Gegenpartei meint, vgl. Calamandrei, Istituzioni di diritto processuale civile, Bd. I, S. 154. 819 Zu den unterschiedlichen Rechtsschutzzielen im Verhältnis zur Hauptsache, Zöller/ Vollkommer, ZPO, vor § 916 Rn. 1b; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, vor § 916 Rn. 8: Streitgegenstand des Arrestprozesses ist nicht die zu sichernde Geldforderung, sondern der prozessuale Anspruch des Gläubigers auf Sicherung gegen den Schuldner; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 96 ff.: kaum zu praktischen Deduktionen geeignet. 820 Allerdings bedeutet es auch nach h.L. keine Klageänderung, wenn der Kläger zunächst den Wechselprozess gewählt hat und dann von diesem Abstand nimmt: „Durch die Abstandnahme vom Wechselprozess wird das bisher summarische Rechtsschutzbegehren durch ein auf eine endgültige Verurteilung im ordentlichen Verfahren gerichtetes Begehren ersetzt, ohne dass dadurch der Streitgegenstand geändert wird“, BGH NJW 1982, 2823. 821 Stein, Der Urkunden- und Wechselprozess, S. 1 f.; Musielak/Foerste, ZPO, vor § 253 Rn. 14; Zöller/Greger, ZPO, vor § 253 Rn. 2. Eine andere Frage ist es, ob für jede Klageart ein selbständiger (relativer) Streitgegenstandsbegriff zu bilden ist: Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 80 (Besonderheiten für Feststellungs- und Gestaltungsklagen); Baumgärtel, JuS 1974, 73 ff.; zusammenfassend Beys, ZPP 105 (1992), 158 f.; die h.L. wendet den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff indes für sämtliche Klagearten an; dies gilt auch für die negative Feststellungsklage, MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, vor §§ 253 Rn. 34.
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fend das vom Kläger beantragte Urteil als Streitgegenstand bezeichnet.822 Negative Feststellungsklage und Leistungsklage würden demnach unterschiedliche Streitgegenstände bedingen.823 Für Streitgegenstandsidentität im Sinne von § 261 III Nr. 1 ZPO soll aber genügen, wenn sich die verschiedenen Rechtsschutzformen dergestalt decken, dass die eine in der anderen mit enthalten ist (sog. Teilidentität).824 Der Wechsel der Rechtsschutzform verändere nur dann den Streitgegenstand, wenn das neue Rechtsschutzziel sich nicht voll im bisherigen wiederfinde.825 Daher fordert § 263 ZPO in keinem Fall die Einwilligung des Beklagten, wenn in Bezug auf denselben Anspruch das Verurteilungsdurch ein Feststellungsbegehren ersetzt wird.826 Umgekehrt soll dies hingegen nicht gelten, wenngleich auf die qualitative Erweiterung § 264 Nr. 2 ZPO angewendet wird.827 Hat der Kläger bereits auf Leistung geklagt, soll eine parallele Klage auf Feststellung des Bestehens des Anspruchs wegen § 261 III Nr. 1 ZPO unzulässig sein.828 Vereinzelt wird im Hinblick auf die Teilidentität der Streitgegenstände Vergleichbares auch in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge vertreten.829 Noch weitergehend würde für § 261 III Nr. 1 ZPO die unterschiedliche Rechtsschutzform dann keine Rolle spielen, wenn zur Ermittlung der Streitsache allein auf das pragmatisch abgegrenzte Lebensverhältnis rekurriert würde.830
2. Die Unterscheidung zwischen Rechtsbehauptung und Begehren Die Frage nach dem bestimmungsgemäßen Adressaten des klägerischen Antrags entscheidet über die Bedeutung der Rechtsschutzform mit.831 Dabei erscheint auch aus der Warte der h.L. nicht endgültig geklärt, ob der prozessuale 822
So noch Stein/Jonas/Schumann, ZPO, Einl., 20. Aufl. Rn. 288. Überblick bei Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 f. Rn. 20. Nicht jedoch positive und negative Feststellungsklage, sofern sich diese im kontradiktorischen Gegenteil erschöpft. 824 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 98 III 1 Rn. 22, 23; Lüke, JuS, 301; Gruber, ZZP 117 (2004), 138 ff. 825 Grunsky, Grundlagen, § 5 III 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 98 III 1 Rn. 23; Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 27. 826 Zumindest greift hier § 264 Nr. 2 ZPO ein, MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 18. 827 BGH WM 1975, 828; BGH NJW 1984, 2295; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 14; Gruber, ZZP 117 (2004), 137 ff. 828 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 63; Zöller/Greger, ZPO, § 256 Rn. 15c f.: auch wenn die negative Feststellungsklage des Schuldners der Leistungsklage des Gläubigers nachfolgt; a.M. Baltzer, Die negative Feststellungsklage, S. 149 ff. 829 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 64. 830 So P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 85, 99; wesentlich enger Zeuner, in: FS G. Lüke, S. 1010. Mit Recht kritisch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 21. 831 Vgl. bereits § 20; Münch, Prozessualer Anspruch, S. 49; vgl. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 20. 823
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Anspruch primär in Relation zum Gericht zu bestimmen – also im Begehren, die gewünschte Entscheidung zu tenorieren832 – oder vielmehr in einer an den Beklagten gerichteten Rechtsbehauptung zu sehen ist.833 Dieser Begriff der Rechtsbehauptung lenkt den Blick stärker auf das Verhältnis von Kläger und Beklagten.834 Die heute h.L. stellt jedoch überwiegend das Klagebegehren in den Vordergrund und gesteht der Rechtsbehauptung allenfalls eine untergeordnete Bedeutung zu.835 Denn mit Rechtsbehauptung sei der Streitgegenstand im Hinblick auf die Rechtsschutzform nicht genügend gekennzeichnet. Im Mittelpunkt stehe das Handeln des Gerichts: Dieses Begehren des Klägers bezwecke stets ein bestimmtes Rechtsschutzziel, sei also auf den „Inhalt des angestrebten Urteils“ ausgerichtet.836 So werde bei der Leistungsklage nicht nur die Feststellung des Anspruches, sondern auch ein vollstreckungsfähiger Titel begehrt. Dieser Ansatz weist eine gewisse Nähe zur Lehre vom Rechtsschutzanspruch auf.837 Obgleich auch nach der Rechtsprechung des BGH die Rechtsschutzform die Identität des Streitgegenstands verändern soll, nennt er, ohne sich festlegen zu wollen, Rechts(-folgen)behauptung und Rechtsschutzbegehren in einem 832
So Schwab, Streitgegenstand, S. 185, Bötticher, in: FG für Rosenberg, S. 86. So Nikisch, Streitgegenstand, S. 19: Im Zentrum stehe die Rechtsbehauptung, das Begehren sei nicht selbst der Streitgegenstand, sondern lediglich das technische Mittel, um eine Entscheidung des Gerichts über den Streitgegenstand herbeizuführen. Vgl. auch ders., AcP 154 (1955), 273 f.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 221. 834 Habscheid, Streitgegenstand, S. 140 ff., unterscheidet weiter in abstrakte und (ausnahmsweise) konkrete Rechtsbehauptung. Der Begriff der Rechtsbehauptung nehme eine Mittelstellung zwischen dem ausschließlich an das Gericht gewandten Begehren und der Rechtsfolgenbehauptung ein. 835 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 IV 1 Rn. 23. 836 Bötticher, in: FG Rosenberg, S. 86 f. 837 So Böhm, in: FS Kralik, S. 110. Schwab und Rosenberg rechnen andererseits gerade zu den vehementen Gegnern der Gleichsetzung von Rechtsschutzanspruch und Streitgegenstand. Böhm erkennt indes eine gewisse Nähe zwischen beiden Ansätzen darin, dass nur das Gericht den Parteien geben könne, „was diese für ihre gegenseitigen rechtlichen Verpfl ichtungen haben wollen.“ Darüber hinaus stimmten die Elemente „beantragtes Urteil“ und „Berechtigung zu seinem Erlass“ bei Streitgegenstand und Rechtsschutzanspruch überein. Daher stehe fest, dass sich der prozessuale Anspruch allein gegen das Gericht wenden könne. Dennoch sei der Rechtspflegeanspruch (als berechtigter Kern) nur das Mittel, nicht das Ziel und folglich auch nicht sachlicher „Gegenstand“ des Prozesses; vielmehr gehe es um das konkret erstrebte Urteil und seine Einwirkungen auf die materielle Rechtsbeziehung zwischen den Parteien, kurz um den Sachgehalt, nicht um die instrumentelle Funktion des Rechtsschutzbegehrens. Wer hingegen von Anfang an die Rechts(folge)behauptung in den Mittelpunkt rücke, habe das umgekehrte Problem, den Bezug zum Richterspruch herzustellen, Böhm, in: FS Kralik, S. 110 f. Aus diesem Grund führt Habscheid, Streitgegenstand, S. 147 ff., die mit der begehrten Rechtsfolge verknüpfte Verfahrensbehauptung ein. Indes ergibt sich m.E. aus relativer Warte die Verbindung zum Richterspruch zwanglos aus der richterlichen Verpflichtung über den „erhobenen Anspruch“ im Rahmen der zulässigen Urteilsformen (§ 300 f. ZPO) zu entscheiden. Es besteht deswegen nicht nur aus Konzentrationsgesichtspunkten kein Anlass, auch den Verfahrensgegenstand mit der Rechtsschutzform anzureichern. 833
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Atemzug.838 Die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage wird mittlerweile bestritten, weil zumindest Einigkeit darüber herrsche, dass die Rechtsschutzform Bestimmungsmerkmal des Streitgegenstands sei.839 Im Übrigen könnten mit beiden Begriffen die Feststellungsklage und die Umsetzung eines Gestaltungsklagerechts angemessen gewürdigt werden. Trotzdem ist die Frage von praktischer Relevanz und für einen dogmatisch gefestigten Ausgangspunkt unabdingbar. Die unterschiedlichen Auswirkungen seien am Beispiel der Rechtshängigkeit verdeutlicht (§ 261 III Nr. 1 ZPO). Übersetzt man den prozessualen Anspruch mit Rechtsschutzbegehren, so wird die Rechtsschutzform automatisch in den Begriff des Streitgegenstands mit aufgenommen. Nach dieser Auffassung greift die Rechtshängigkeitssperre nicht durch, wenn hinsichtlich desselben Schuldverhältnisses zuerst auf Feststellung und dann auf Leistung geklagt wird.840 Stellt man hingegen, wie etwa Nikisch dies tat, die Rechtsbehauptung in den Vordergrund, so betreffen Feststellung und Verurteilung zur Leistung denselben prozessualen Anspruch.841 Nikisch scheute vor den Konsequenzen jedoch zurück und sah sich stattdessen veranlasst, den Begriff der „Streitsache“ in § 261 III Nr. 1 ZPO enger zu interpretieren und die Rechtsschutzform ausnahmsweise zu integrieren.842 Insbesondere Bötticher hat sich gegen diese Sonderrolle der „Streitsache“ gewandt: Nikisch könne die Rechtshängigkeit nur verneinen, weil er die Identität der Streitsache leugne. Freilich habe die ZPO darunter kaum etwas anderes als den „Anspruch“ im Sinne des Streitgegenstands verstehen wollen.843 838
BGH NJW-RR 2006, 1120; BGHZ 157, 47, 50. „Ob man nun von Begehren oder Rechtsbehauptung spricht, ist m.E. eine Frage des Sprachempfindens …Was aus meiner Sicht entscheidend ist, ist zweierlei: einmal hat sich der deutsche BGH zur prozessualen Theorie bekannt, und zum anderen hat er ausgesprochen, dass der tatsächliche Klagegrund in der Umschreibung des Lebenssachverhalts stets zum Streitgegenstand gehört“, Habscheid, in: FS Schwab, S. 183. 840 Vgl. zu den Konsequenzen dieser Auffassung deutlich Nikisch, Streitgegenstand, S. 46 f., 54. 841 So beinhaltet seiner Ansicht nach der Wechsel von der Feststellungsklage zur Leistungsklage keine Klageänderung, Nikisch, Lehrbuch, § 48 I 3b; kritisch Habscheid, Streitgegenstand, S. 134 f. 842 „Es ist nämlich zu beachten, dass es zwar nach § 281 ZPO [a.F.] der Anspruch ist, der rechtshängig wird, dass aber an der maßgebenden Stelle, an der die Einrede der Rechtshängigkeit geregelt ist (§ 263 ZPO [a.F.]) [nunmehr: § 261 ZPO], nicht vom Anspruch, sondern von der „Streitsache“ die Rede ist. Durch die Erhebung der Klage wird die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet und die Einrede der Rechtshängigkeit kann erhoben werden, wenn während der Dauer der Rechtshängigkeit von einer Partei die Streitsache anderweitig anhängig gemacht wird. Der Wechsel in der beantragten Form des Rechtsschutzes kann sehr wohl als eine Änderung der Streitsache angesehen werden, auch wenn die Rechtsbehauptung (der „Anspruch“) in beiden Fällen die gleiche ist. Denn ‚Anspruch‘ und ‚Streitsache‘ sind nicht einfach Synonyma, ebenso wenig wie ‚Anspruch‘ und ‚Streitgegenstand‘“, Nikisch, Streitgegenstand, S. 46 f., 54. 843 Bötticher, in: FG Rosenberg, S. 87: „Dass sich, wie Nikisch argumentiert, das Aner839
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Diesen Einwand berücksichtigend, stellte Habscheid der Rechtsbehauptung die Verfahrensbehauptung an die Seite und integrierte auf diese Weise die Rechtsschutzform.844 Trotz Beachtung der Rechtsschutzform müsse die Definition des Streitgegenstands aber ein Phänomen bleiben, das gleichermaßen für Feststellungs- und Gestaltungsklage Geltung erlange.845 Die Rechtsschutzform selbst ist nach Habscheid ein materiellrechtliches Rudiment. Ihre Existenz sei für die Väter der Zivilprozessordnung und des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Frage des Privatrechts gewesen.846 In der Tat sind etwa die Eigenheiten der Feststellungsklage im Hannover’schen Entwurf und in der Bayerischen Prozessordnung noch ausgespart und vor allem um der Rechtsklarheit willen in der CPO geregelt worden.847 Auch die Motive zum BGB gehen davon aus, dass sich die Voraussetzungen der Klagbarkeit eines Anspruchs im Sinne von § 194 BGB aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch – die Klagebefugnis als Teil des Anspruchs – ergeben.848 Für Habscheid849 bringt die Integration der Verfahrensbehauptung im Wesentlichen zwei Vorteile: Zum einen kann er nun vom Standpunkt der Rechtsbehauptung erklären, warum der Wechsel von der Feststellungsklage zur Leistungsklage möglich ist und eine Klageänderung darstelle.850 Zum anderen glaubt er dadurch beweisen zu können, warum auch Prozessurteile der matekenntnis der Partei im Sinne des § 307 ZPO nur auf die Rechtsbehauptung …, nicht aber auf das an das Gericht sich richtende Begehren beziehe, ist nicht richtig. Der Beklagte unterwirft sich dem vom Kläger begehrten Urteil. Hat der Kläger eine Leistungsklage angestrengt, so ergeht auch das Anerkenntnisurteil als Leistungsurteil und nicht etwa nur dahin, dass die Rechtsbehauptung des Klägers festgestellt werde.“ 844 Habscheid, Streitgegenstand, S. 146 f. 845 Habscheid, in: FS Schwab, S. 189. Er wendet sich dabei auch gegen die Meinung, „die Umschreibung des Streitgegenstands sei je nach der Klageart verschieden“. Die Feststellungsklage und die Gestaltungsklage seien vielmehr, was ihren materiellen Kern betreffe, Kinder der Leistungsklage. Vgl. auch oben § 9 II. 846 Habscheid, Streitgegenstand, S. 139; Simshäuser, S. 37 ff. Für die Klagbarkeit auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 121: Die Voraussetzungen zu regeln, unter denen eine Klage erhoben werden kann, ist Sache des materiellen Rechts. Die gerichtliche Geltendmachung ist eine der Hauptbedeutungen des Anspruches; H. Roth, Die Einrede des bürgerlichen Rechts, S. 305; ders., ZZP 98 (1985), 287 (309), für die besonderen Rechtsschutzvoraussetzungen der §§ 257 ff. ZPO. Diese Sichtweise kommt zweifellos deutlich bei Hahn, Materialien II/1, S. 255 zum Ausdruck. A.A.: die h.L.: etwa G. Wagner, Prozessverträge, S. 418. 847 Hahn, Materialien II/1, S. 255. 848 Mugdan, Materialien I, S. 555 (zum Klagegrund). 849 Habscheid, Streitgegenstand, S. 140. Dadurch werde nach Habscheid auch plausibel, warum die Rechtskraft des Feststellungsurteils der Erhebung der entsprechenden Leistungsklage nicht entgegenstehe. Richtigerweise sind die Rechtsbehauptungen zwar identisch, jedoch erklärt § 322 ZPO die Rechtsschutzform des Urteils für bedeutsam. Dies erkläre auch, warum eine neue Klage zwar möglich sei, das Feststellungsurteil aber im Prozess über die Leistungsklage präjudizielle Wirkung entfalte. 850 Die Erkenntnis, dass trotz Streitgegenstandsidentität und fehlender Klageänderung, ein Antragswechsel möglich sein muss, ohne dass diesem die Rechtshängigkeit entgegensteht, findet sich hingegen erstaunlicherweise nicht.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
riellen Rechtskraft (§ 322 I ZPO) fähig sind.851 Dass die Verfahrensbehauptung aber als „Zutat“ zum Streitgegenstand nicht überzeugen kann852, folgt m.E. bereits daraus, dass diese nicht nur die gewählte Rechtsschutzform umfassen, sondern auch Fragen des richtigen Rechtswegs und der Zuständigkeit integrieren würde.853
3. Die Einheitstheorie Nach der vereinzelt vertretenen Einheitstheorie kommt dem Klageantrag bei allen drei Klagearten entsprechend den Urteilsformen immer auch feststellender Charakter zu.854 Dies gilt insbesondere für die Leistungsklage. Entscheidend sei hier die bindende Feststellung des behaupteten materiellrechtlichen Anspruchs des Klägers gegen den Beklagten auf Leistung, aber nicht, dass in die Klage bzw. in den Urteilstenor der spezielle Antrag oder die Spezialklausel der Verurteilung des Beklagten aufgenommen werde.855 Die Rechtskraft dieser Feststellung bewirke auch sekundär deren Vollstreckbarkeit. Die ausdrückliche Verurteilung des Beklagten sei aus historischen Gründen bedingt, aber keinesfalls dogmatisch unentbehrlich.856 Auch Rödig857 glaubt, den Urteilsformen werde zuviel an Bedeutung beigemessen. Welche Rechtsfolgen in das Urteil hineingelegt werden, ergebe sich regelmäßig erst aufgrund der Normen, die diese Folgen vorsähen. Nur deshalb könne das Urteil diese Folgen auch aussprechen bzw. auslösen. Von dieser Warte aus enthalte ein Urteil niemals eine Anordnung im eigentlichen Sinne. Wenngleich der Zivilprozess vornehmlich unter dem Aspekt der Zwangsvollstreckung stehe858, wofür Urteilsform und Urteilsinhalt den Ausgangspunkt bildeten, sei das allen Grundlegende doch die Feststellung. Die Unterscheidung in Leistungs-, Feststellungs-, und Gestaltungsurteile sei un851 Insoweit glaubte er auf Rosenberg und Schwab reagieren zu müssen, die behaupteten, nur der Begriff des Begehrens sei fähig, die materielle Rechtskraft von Prozessurteilen zu erklären, Nikisch, Streitgegenstand, S. 53 ff. 852 Böhm, in: FS Kralik, S. 111: „Insofern damit Prozessvoraussetzungen berührt sind, kommt diesen Parteibehauptungen keine selbstständige Bedeutung für den Streitgegenstand als solchen, vielmehr nur für die Zulässigkeit seiner meritorischen Behandlung zu.“ Angesprochen ist damit der von A. Blomeyer entwickelte „prozessuale Streitgegenstand“; vgl. Bajons, JBl 1981, 628 f. 853 Nikisch, AcP 157 (1957), 71 ff. 854 So Beys, ZZP 105 (1992), 177; ders., FS G. Mitsopoulos I, S. 47 ff.; Rödig, Theorie, § 24.3, S. 63 f., 82; zurückhaltender Röhl, ZZP 88 (1975), 350 f. 855 Vgl. Beys, ZZP 105 (1992), 179, 181; ders. in: FS Mitsopoulos I, S. 47 ff. 856 Beys, ZZP 105 (1992), 179, 181; ders. in: FS Mitsopoulos I, S. 47 ff. 857 Rödig, Theorie, S. 63 f. 858 Deutlich insoweit Wach, Handbuch, S. 4: „Damit Recht nicht nur sei, sondern auch gelte, muss Prozess sein. In ihm bringt der Staat gegen das dem Recht widersprechende Verhalten das Recht zur Geltung durch Zwang zur Unterwerfung unter die Rechtsverfolgung, durch autoritative richterliche Feststellung im Urteil (Bejahung des Rechts, Verneinung des Nicht-Rechts), durch Vollstreckung.“
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haltbar.859 Verurteile der Richter den Beklagten, so stelle er eine Rechtslage fest. Dies gelte auch für die Gestaltungsklage. Von dieser Warte aus könnte angenommen werden, dass die Rechtsschutzform nicht die Identität des Streitgegenstands formt.860 Ausdrücklich zieht Rödig diese Konsequenz jedoch nicht.861 Die Prozessrechtslehre hält jedoch aus gutem Grund an der Dreiteilung der Klagearten fest.862 Für die Leistungsklage ist hiernach gerade der Leistungsbefehl kennzeichnend.863 Zwar war die Feststellungsklage im gemeinen Recht noch als Form der Leistungsklage begriffen worden, als Klage auf Verurteilung zur Anerkennung des streitigen Rechtsverhältnisses durch den Beklagten, wobei diese Einordnung noch im Gesetz selbst anklingt (vgl. § 256 ZPO).864 Aufgegeben wird dieser Standpunkt indes in den Motiven zum BGB.865 Hinzu kam die Entdeckung der Gestaltungsklage: Die Rechtsänderung ohne Vollstreckung als Gestaltung wurde aus den Leistungsklagen, die Rechtsänderung im Gewande der Nichtigkeit aus den Feststellungsklagen herausgelöst. Bruns, der diese Dreiteilung zwar im Grunde für richtig hält, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Rechtsschutzformen einen identischen Kern 859 Rödig, Theorie, S. 82. Wie Bruns, ZPR, § 24 I, führt Rödig, aaO., S. 88 die Existenz verurteilender Urteile dogmengeschichtlich auf die „Spaltung der römisch-rechtlichen actio in den Anspruch des materiellen Rechts“ und die mit ihm verbundene Klagebefugnis durch Windscheid zurück. 860 Die Unterschiede in der Zwangsvollstreckung seien nur gradueller Natur. 861 Zu einer Zweiteilung der Klagearten hingegen kommt Schlosser, der das Leistungsurteil als spezielles Gestaltungsurteil einordnen will, Gestaltungsklagen, S. 108 ff. Auch insoweit wäre die Bedeutung der Rechtsschutzform gemindert. 862 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 73; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 88 III 1 Rn. 13; Grunsky, Grundlagen, § 38 I. Die Dreiteilung sei nach Kaser/Hackl, Zivilprozessrecht, § 32, S. 235, 241, bereits im römischen Zivilprozess angelegt gewesen. Neben diesen Hauptgruppen werden zum Teil auch Untergruppen anerkannt, z.B. die Haftungsklage, A. Blomeyer, ZPR, § 36, S. 173 ff. 863 G. Lüke, JuS 1969, 301 f.; zum Teil wird auch abweichend von den an die Vollstreckungsorgane adressierten Anordnungen gesprochen, Bruns, ZPR, § 24 I 1a, II. Der Begriff stammt von Kuttner, Urteilswirkungen außerhalb des Zivilprozesses, S. 21 ff. 864 Blomeyer, ZPR, § 37 I, S. 176; Rödig, Theorie, S. 68. Auf diese Formulierung hat insbesondere Bähr, Anerkennung als Verpfl ichtungsgrund, S. 10 ff., entscheidenden Einfluss genommen. Das praejudicium im römischen Recht wird gerne als Vorbild für § 256 ZPO genannt, Langheineken, Urteilsanspruch, S. 85 ff.; Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 103 f.; Degenkolb, Einlassungszwang, S. 146 ff. Auch in den Motiven der CPO in der Fassung des zweiten und dritten Entwurfs ist noch von einem privatrechtlichen Feststellungsanspruch die Rede: „Wenn das Gesetz neben der Klage auf die dem Rechtsverhältnis entsprechende Leistung eine Klage auf Feststellung einräumt, erkennt es damit an, dass aus dem Rechtsverhältnis neben dem Anspruch auf Leistung ein weiterer verfolgbarer Anspruch auf Feststellung erwächst. Wie der Anspruch auf Leistung, so kann auch der Anspruch auf Feststellung verletzt werden und nur, wenn er verletzt ist, liegt Anlass zur Erhebung einer Klage auf Feststellung vor“, Hahn, Materialien II/1, S. 255 f. 865 Die Feststellungsklage könne nicht unter den Anspruchsbegriff gebracht werden, weil ihr Gegenstand nicht eine Leistung sei, Mugdan, Materialien I, S. 512; auch Wach, Feststellungsanspruch, S. 4 ff.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
hätten, die Entscheidung über ein streitiges Rechtsverhältnis, und sich nur in ihrer rechtstechnischen Durchführung … unterschieden. Zudem gleichen sich alle klageabweisenden Urteile, unabhängig von der Klageart. So ist die Dreiteilung selbst zwar sakrosankt, ihre Bedeutung für die Bestimmung des Streitgegenstands selbst m.E. aber gemindert.866 Die Untergliederung ihrer Gegner in reine Feststellungsurteile, solche mit Vollstreckungsmöglichkeit und jene mit Gestaltungscharakter hielte die Dreiteilung unter anderer Titulierung ohnehin aufrecht.867
4. Stellungnahme: Rechtsschutzformunabhängiges Interesse Für die Beantwortung der Frage, ob die Rechtsschutzform Teil des Streitgegenstandes ist, dürfen die Wertungen von § 264 Nr. 2, 3 ZPO und § 213 BGB nicht vernachlässigt werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die korrespondierende richterliche Pflicht (§ 139 ZPO)868, Änderungen der Rechtsschutzform anzuregen, soweit sie demselben prozessualen Ziel dienen. Für das laufende Zivilverfahren kommt der Rechtsschutzform bereits deswegen geminderte Bedeutung zu.869 Die Identität des Streitgegenstands bleibt somit gewahrt, wenn derselbe Anspruch gleichzeitig im Wechselprozess und im ordentlichen Verfahren erhoben wird.870 Änderungen, die § 264 Nr. 2 ZPO unterfallen871 und das materielle Interesse im Übrigen unangetastet lassen, sind bereits im laufenden Verfahren vorzunehmen. Eine Parallelklage scheitert an § 261 III Nr. 1 ZPO.872 Für die Funktionen des Verfahrensgegenstands maßgeblich ist das rechtsschutzformunabhängige Interesse des Klägers, wie es im Klagegesuch zum Ausdruck kommt.873 Denn in diesem Stadium des Prozesses steht allein die Sachauseinan866 Schwer zu erklären mit den üblichen Vorstellungen ist die Existenz der vorbeugenden Unterlassungsklage. Hier ist das Bestehen eines Anspruchs auf Leistung fraglich. Deswegen wird teilweise nur ein bloßes Institut des Prozessrechts angenommen. Rödig hat aber zu Recht auf die Widersprüchlichkeit hingewiesen, weil das rein prozessual verstandene Institut der vorbeugenden Unterlassungsklage zu seinem eigenen Zweck erhoben werde, Rödig, Theorie, S. 67. 867 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 88 III 1, 2 Rn. 13, 14: Dort auch zu den Unterschieden im römischen Aktionensystem. 868 Näher § 25 VI. 869 Vgl. Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 50: Änderungen, die sich im Rahmen dieser Norm halten, lassen die Identität des prozessualen Anspruchs unberührt; angedeutet auch bei Prütting, in: FS Beys II, S. 1273 (1282); a.A.: E. Schumann, ZPO-Klausur, Rn. 79 Fn. 3. 870 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 59 f. 871 Die Vorschrift ist auch bei einem qualitativen „Mehr“ anwendbar. 872 Auf den vernachlässigten systematischen und funktionalen Zusammenhang zwischen Klageänderung und Rechtshängigkeit wurde bereits hingewiesen, oben § 18 III. 873 Ähnlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor §§ 253 Rn. 54: „Danach ist Gegenstand des laufenden Verfahrens (Verfahrensgegenstand) das auf eine Rechtsfolgenbehauptung gestützte rechtsschutzformunabhängige Begehren der durch den Klageantrag bestimmten Entschei-
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dersetzung der Parteien im Vordergrund.874 Zwar wird diese durch den Interessenkonflikt charakterisierte Sachauseinandersetzung durch einen der Klageart Rechnung tragenden Rechtsprechungsakt (§§ 300 f. ZPO) bereinigt. Dieser tritt indes erst bei Verfahrensabschluss deutlich als Unterscheidungskriterium zu Tage. Das Klägerinteresse wird somit erst innerhalb des Urteilsgegenstandes durch § 308 I ZPO auf die konkrete Rechtsschutzform begrenzt.875 Demnach würden sich auch Leistungs- und Feststellungsklage, soweit sie denselben Anspruchsgrund betreffen – unabhängig von ihrer zeitlichen Anstellung –, nicht im Streitgegenstand unterscheiden. 876 Die These, dass eine Feststellungsklage einer nachfolgenden Leistungsklage nicht entgegenstünde, wird deswegen zunehmend in Zweifel gezogen.877 Diese Tendenz verstärkt hat die „Kernpunktrechtsprechung“ des EuGH, welche der Rechtsschutzform bekanntlich keine Bedeutung zollt.878 Die Vorstellung eines rechtsschutzformunabhängigen Interesses erscheint indes geeignet, diese Entwicklung auf europäischer Ebene auch ohne Brüche im nationalen Recht umzusetzen879 und bedeutet im Vergleich zur Rezeption der Kernpunktlehre („große Lösung“) den geringeren Eingriff in die nationale Streitgegenstandsdogmatik. In der Klageschrift, die dem Beklagten durch die staatlichen Organe zugestellt wird, nimmt der Kläger vornehmlich eine bestimmte Rechtsfolge gegenüber dem Beklagten in Anspruch880, wobei das Gericht als Mittler fungiert. Im noch andauernden Verfahren muss der Blick auf das materielle Zivilrechtsverhältnis als solches gerichtet sein.881 Folglich bleibt die konkrete Rechtsschutzform bei der Bestimmung des Verfahrensgegenstands ausgeblendet882 und erlangt erst wieder für den konkredung.“ Einer Ausblendung der Rechtsschutzform für das laufende Verfahren wurde bereits durch Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 28 ff., und Baltzer, Die negative Feststellungsklage, S. 152 ff., das Wort geredet. A.A. etwa: MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 55 f. 874 Instruktiv Baltzer, Die negative Feststellungsklage, S. 72 f., 153. Gerade bei der negativen Feststellungsklage wird bei abweisendem Urteil im Übrigen deutlich, dass Klageform und Streitgegenstand zu trennen sind. Vielmehr wird hier über denselben Interessengegensatz entschieden wie bei positiver Feststellungsklage. 875 Zustimmend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 54; Rn. 5 Fn. 8. 876 Ebenso Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor §§ 253 Rn. 54; ders., § 261 Rn. 28; Betonung der Teilidentität der Streitgegenstände bei weitgehend gleichen Ergebnissen Gruber, ZZP 117 (2004), 140 ff. 877 So bereits Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 34 ff. (zur Vermeidung widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen); Gruber, ZZP 117 (2004), 138 ff., mit jeweils anderer Akzentuierung; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 ff. Rn. 50 f. 878 Zustimmend auf nationaler Ebene P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 91 ff. 879 Im Übrigen führt dieses Verständnis auch zu keinen systematischen Brüchen innerhalb einer im Ausgangspunkt prozessualen Betrachtung. 880 Münch, Prozessualer Anspruch, S. 49. 881 Vgl. oben § 20; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 49. Auch § 194 BGB legt das Gewicht auf die Beziehung unter den Parteien. 882 Ebenso Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 50, aber mit anderer Akzentuierung;
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
ten Urteilsspruch und dessen Vollstreckung Bedeutung. Unzutreffend ist deswegen die Annahme, dass eine Ansicht, welche die Rechtsschutzform aus dem Streitgegenstand ausklammere, zu untragbaren Ergebnissen führen würde.883 Über die Identität des Verfahrens entscheidet somit die Behauptung eines bestimmten Interesses als solche. Mit dem Anliegen von § 261 I ZPO wäre somit unvereinbar, dem Kläger zu gestatten, hinsichtlich derselben Anspruchsberechtigung parallel eine Leistungs- und Feststellungsklage bei verschiedenen Foren anzustellen. Den naheliegenden Weg zur Verfahrenskonzentration weisen § 264 Nr. 2, 3 ZPO.884 Eine Parallelklage scheitert nicht am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis, sondern bereits an entgegenstehender Rechtshängigkeit. Der Gedanke ist über das Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage hinaus verallgemeinerungsfähig und gilt auch bei umgekehrten Parteirollen. 885 Auch für die Bestimmung der Rechtskraftgrenzen ist die Rechtsschutzform zum Teil entbehrlich. So haben ein Urteil, das eine Leistungsklage rechtskräftig abweist und ein Urteil, das einer negativen Feststellungsklage stattgibt, denselben Rechtskraftumfang. M. Schwab folgert hieraus mit Recht auf die Übereinstimmung der Streitgegenstände.886 Wenn die Rechtskraft beider Urteile den exakt gleichen Umfang habe, könne nicht der Streitgegenstand in beiden Fällen deswegen unterschiedlich sein, weil einmal eine Leistung, das andere Mal eine Feststellung begehrt werde.887 Anderes gilt jedoch bei einem Urteil, das die negative Feststellungsklage abweist, im Verhältnis zu einem zusprechenden Leistungsurteil bzw. einem zusprechenden Feststellungsurteil und einem darauf aufbauenden Leistungsurteil. Die Rechtskraft verhindert hier ein zweites Verfahren selbstverständlich nicht. In diesen Kontext passt auch die Erkenntnis, dass der BGH die äußerlich unterschiedliche Rechtsschutzform der aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (§§ 241 ff. AktG) in der
a.A. Münch, Prozessuale Urkunde, S. 50, der es als entscheidend ansieht, dass ansonsten unerklärlich wäre, „wieso aufgrund ein und desselben Rechtsverhältnisses zunächst auf Feststellung und später auf Leistung geklagt werden kann, wenn nicht der Inhalt, den das angestrebte Urteil haben soll, in die Streitgegenstandsbestimmung mit einfl ießen würde“. 883 So noch Habscheid, Streitgegenstand, S. 139, vorwiegend bezogen auf die Rechtskraft. Er befürchtet, dass die materielle Rechtskraft eines Urteils, das einen Anspruch auf Zahlung von 1000,– DM feststellt, einer entsprechenden Leistungsklage entgegenstehe. Diese Gefahr besteht nicht, wenn nur in den Urteilsgegenstand die Rechtsschutzform aufgenommen wird. Die rechtskräftige Feststellung des Anspruchs verhindert somit die Leistungsklage nicht, sondern präjudiziert lediglich die Rechtsfolge. 884 Ähnlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 32. 885 Etwa auch im Verhältnis von Gestaltungsklage und negativer Feststellungsklage, vgl. RGZ 100, 123, 126; zusammenfassend Gruber, ZZP 117 (2004), 159 f. 886 M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 273; im Anschluss an E. Habscheid, ZZP 112 (1999), 37, 43; Riemer, Forum-Shopping, S. 59 ff. 887 M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 274. Dasselbe gelte auch für das Verhältnis von Feststellungs- und Gestaltungsklage.
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Sache für entbehrlich hält.888 Beide verfolgen vielmehr als materielles Ziel die richterliche Klärung der Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses für und gegen jedermann. Im Anfechtungsbegehren ist das Begehren auf Feststellung der Nichtigkeit enthalten wie auch umgekehrt. Beide Klagen sind auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichtet.889 Rechnet man aber die Rechtsschutzform zu den Komponenten des Klageantrages890, dann erscheint es an sich aber als Notwendigkeit, entweder auch die Nichtigkeitsklage wie die Anfechtungsklage als Gestaltungsklage zu begreifen891 oder eben verschiedene Streitgegenstände anzunehmen.892 Richtigerweise stimmen die Streitgegenstände von Nichtigkeitsund Anfechtungsklage überein893, weil das angestrebte Interesse auf materieller Ebene („Klärung der Beschlussnichtigkeit“) identisch bleibt. Dies gilt gleichermaßen für Verfahrens- und Urteilsgegenstand. Wird somit eine der beiden Klagen rechtskräftig als unbegründet abgewiesen, ist auch die Erhebung der anderen Klageform ausgeschlossen. Auch auf anderem Gebiet scheint der BGH bisweilen Unterschiede in der Rechtsschutzform für vernachlässigbar zu halten. So resümiert der VII. Senat für die Situation einer „fortgesetzten Vollstreckungsgegenklage“ (§ 812 I 1 2. Alt BGB): „Nach Beendigung der Zwangsvollstreckung kann der Klageantrag von der Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung auf Rückzahlung der geleisteten Beiträge umgestellt werden; darin liegt keine Klageänderung. Nach allgemeiner Ansicht setzen sich
888 BGHZ 134, 364; BGH DStR 1999, 643, mit Anm. Goette; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 f., Rn. 50; vgl. auch F. Wagner, DStR 2003, 468 f. 889 So deutlich M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 274: „Beide Anträge richten sich einheitlich auf dasselbe Ziel, das Gericht möge die Nichtigkeit feststellen (§ 249 AktG), hilfsweise, soweit erforderlich, herbeiführen (§§ 243 I, 241 Nr. 5 AktG)“; K. Schmidt, JZ 1988, 729 ff.: einheitliche „kassatorische Klage gegen Gesellschafterbeschlüsse“. 890 Dann hätten Leistungsklage, Feststellungsklage und Gestaltungsklage jeweils einen unterschiedlichen Streitgegenstand; hierfür etwa Arens, Streitgegenstand, S. 23. Hiergegen (Einbeziehung der Rechtsschutzform) Hüffer, AktG, § 246 Rn. 13. 891 So K. Schmidt, JZ 1988, 729 ( 734): Auch Nichtigkeitsklagen entfalteten Wirkung für und gegen jedermann (Wirkungsangleichung im Verhältnis zur Anfechtungsklage); ders., in: FS Semler, S. 329 f.; Ebbing, NZG 1998, 285; kritisch insoweit M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 272, 273 f.: Um den Gleichklang der Urteilswirkungen herzustellen, erscheint es indes nicht erforderlich, die Nichtigkeitsklage in den Rang einer Gestaltungsklage zu erheben. Vielmehr sei der Ausgangspunkt, dass das Anfechtungsurteil als Gestaltunsgurteil gegenüber jedermann wirke, unrichtig. Der Gleichklang der Rechtskraftwirkungen ergibt sich im Übrigen bereits aus § 249 I 1 AktG iVm § 248 I 1 AktG. 892 So Sosnitza, NZG 1998, 335 f. 893 So auch H. Roth, Anm. zu BGH LM § 241 AktG 1965 Nr. 9; M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 273 (und zwar auch, wenn man die Rechtsschutzform zum Streitgegenstand rechnen würde); im Anschluss an E. Habscheid, ZZP 112 (1999), 37, 43. Ein Teilurteil über den Anfechtungs- oder Nichtigkeitsantrag wird deswegen für unzulässig erachtet.
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vielmehr die rechtlichen Möglichkeiten der Vollstreckungsabwehrklage nach Beendigung der Zwangsvollstreckung in der materiellrechtlichen Bereicherungsklage fort.“894
Da das Interesse identisch bleibt, kommt es allein darauf an, ob mit der Rechtsschutzform auch die Zuständigkeit des Gerichts wechselt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Prozessgericht (§ 767 I ZPO) kann über beide Klagen entscheiden. Trotz veränderter Rechtsschutzform bleibt der Verfahrensgegenstand also identisch. Daran ändert nichts, dass Streitgegenstand der Vollstreckungsabwehrklage nach h.M. die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel sein soll.895 Über den Umfang der Klageänderungs- und Rechtshängigkeitssperre entscheidet das materielle Interesse.896 Nur diese Sichtweise entspricht auch der dynamischen Natur des Prozesses. Soweit der Kläger die gewählte Klageart in
894 BGH NJW 2005, 2926; BGHZ 83, 278. Offensichtlich ist, dass die Rechtsprechung den Bedarf einer rechtsschutzformübergreifenden Lösung erkennt. Denn diese Konstellation bewegt sich streng genommen zwischen § 264 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO, da neben dem unmittelbaren Urteilsinhalt auch die Rechtsschutzform eine Veränderung von der Gestaltungsklage zur Leistungsklage erfährt; für Klageänderung: Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 767 Rn. 7. Vgl. auch BGH 12.7.2002, V ZR 195/01, n.v.: „Diese Änderung des Klageantrags führt nicht zur Unzulässigkeit der Berufung, weil der Übergang von der Vollstreckungsgegenklage zur Klage auf Rückgewähr des beigetriebenen Betrages … unabhängig von der in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlage nicht als Klageänderung im Sinne von § 264 Nr. 3 ZPO anzusehen ist.“ Ausführlich zur verlängerten Vollstreckungsabwehrklage, Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 351 f.: kein Ausschluss materiellrechtlicher Ansprüche, wenn die Klage nach § 767 ZPO nicht rechtzeitig erhoben wurde. Mit ihnen werde die auf dem Zwangseingriff beruhende Güterverschiebung wieder rückgängig gemacht, während mit der Vollstreckungsgegenklage vorab jene verhindert werde. Sicherlich ist Münchs, S. 355, Aussage, ein „vorangegangenes Urteil nach § 767 ZPO kann Rechtskraftwirkungen für eine Klage nach § 812 I S. 1 BGB nur im Wege der Präjudizialität entfalten, da die Rückforderungsklage einen anderen Streitgegenstand besitzt als Vollstreckungsgegenklage…“, richtig. Sie steht jedoch der Annahme identischer Verfahrensgegenstände nicht entgegen, sondern bleibt begrenzt auf die jeweiligen Urteilsgegenstände. Zum Verhältnis der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO und der Klage auf Auskehrung des unberechtigt Erlangten nach durchgeführter Zwangsversteigerung, H. Roth, IPRax 2001, 324: Streitgegenstand der jetzt erhobenen Auskehrungsklage sei nicht mehr das ursprüngliche Begehren, die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung herbeizuführen. Deshalb komme Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ nicht zur Anwendung. Die betreffende Zwangsvollstreckungsmaßnahme sei nur Vorfrage, aber nicht Gegenstand des Verfahrens. 895 Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 767 Rn. 3; über den ursprünglichen prozessualen Leistungsanspruch soll nur inzidenter im Rahmen der Begründetheit entschieden werden, Gilles, ZZP 83 (1970), 61 ff.; für materiellrechtliche Bestimmung des Streitgegenstands der Vollstreckungsgegenklage: A. Blomeyer, AcP 165 (1965), 493 f.; Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 50 f.; Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 298 f., 319, der selbst „den Streitgegenstand der Vollstreckungsgegenklage vom titulierten Gläubigerrecht her – mithin mittels des prozessualen Anspruchsbegriffs –“ bestimmen will. 896 Zur Konkurrenz von § 722 ZPO und Leistungsklage im Inland, Linke, in: FS Schütze, S. 423 ff. Die Leitungsklage soll nur zulässig sein, wenn die Anerkennung zweifelhaft sei. Nach h.A. werden hier verschiedene Streitgegenstände verfolgt, wobei lediglich das Rechtsschutzbedürfnis fehlen kann.
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den Grenzen von § 264 ZPO verändern kann, prägt sie den Streitgegenstand nicht.897 Die zunächst als begriffl iche Schwäche der Rechtsbehauptung verstandene Eigenart, der Rechtsschutzform keinen Raum bieten zu können, erweist sich in Wahrheit als ihre Stärke. Die Argumentation, dass nur mit der Rechtsschutzform erklärt werden könne, warum ein Prozessurteil in Rechtskraft erwachse898, zielt hingegen allein auf den Urteilsgegenstand und entspringt dem strengen Einheitsdogma der h.L. Nur der Verfahrensgegenstand ist rechtsschutzformunabhängig zu bestimmen, so dass es auch keiner analogen Anwendung von § 322 I ZPO bedarf.899 Für den Urteilsgegenstand zwingt bereits § 308 I ZPO den Richter, in Gestalt einer enumerativen Rechtsschutzform zu judizieren.900 Verfahrensgegenstand wäre demnach die Behauptung eines Interesses, wie es im Rechtsschutzbegehren an das Gericht zum Ausdruck kommt, ohne auf dessen Grenzen festgelegt zu sein. Die Interessenbehauptung in diesem Sinne beinhaltet unabhängig von der konkreten Rechtsschutzform alle Rechtsfolgenbehauptungen, die auf dasselbe materielle Interesse gerichtet sind.901
III. Die Bedeutung des Klagegrundes bei der Ermittlung des Interesses Bisher ist die Bedeutung des Tatsachenelements bei der Ermittlung des Klägerinteresses noch keiner abschließenden Klärung zugeführt worden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich zunächst allein auf den Verfahrensgegenstand. 897 Gegenbeispiel: Vollstreckungsgegenklage und Berufung des Verurteilten. Richtigerweise liegt hier derselbe Streitgegenstand vor, dasselbe Interesse. An sich würde deswegen die gleichzeitige Geltendmachung der Rechtsbehelfe an der entgegenstehenden Rechtshängigkeit scheitern und nicht am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis, Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 52. Jedoch kann der Kläger sein weitergehendes Rechtsschutzziel der Berufung nicht vor dem Prozessgericht erster Instanz durch eine Antragsänderung erreichen. Aus Sicht der Kernpunktlehre auf europäischer Ebene nimmt Tsikrikias, in: FS Leipold, S. 355, einen einheitlichen Streitgegenstand an, weil durch die Berufung und die Vollstreckungsabwehrklage die Existenz und der Umfang der vollstreckbaren Forderung bestritten werde. 898 Habscheid, Streitgegenstand, S. 140. 899 So aber Nikisch, Streitgegenstand, S. 47 f. 900 Umgekehrt unterscheiden Vertreter des Rechtsschutzanspruchs wie Wach hinsichtlich der Bedeutung der Rechtsschutzform zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft. Während bei der Rechtskraft allein das materielle Rechtsverhältnis im Zentrum stehe, bilde der Rechtsschutzanspruch das Streitobjekt der Rechtshängigkeit. Insoweit komme es auf die konkret beabsichtigte Urteilswirkung an, so dass eine negative Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage keine Rechtshängigkeit erzeuge, Hellwig, Anspruch, S. 179 f. 901 Zumindest ähnlich Bruns, ZPR, Rn. 139 c: „Rechtsverhältnis der Parteien im Rahmen der vom Kläger begehrten Rechtsfolge“. Streitgegenstand sei die Behauptung einer bestimmten Rechtsbeziehung zwischen den Parteien.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
1. Anhaltspunkte im Gesetz Ein Bekenntnis zur herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandslehre brächte zweifellos den Vorzug mit sich, über einen gewissen Rückhalt im Gesetz zu verfügen. Denn nach § 253 II Nr. 2 ZPO erfordert eine zulässige Klage die Angabe von Klageantrag und Klagegrund.902 Der Klagegrund bedeutet im Verhältnis zum Klageantrag, dass der Kläger angeben muss, woraus er sein Begehren in tatsächlicher Hinsicht herleitet.903 In den Motiven zur CPO wird im Hinblick auf den Klagegrund auf die bereits von Wetzell verwendete Definition rekurriert:904 „Den Klagegrund bilden diejenigen Tatsachen, welche nach Maßgabe des bürgerlichen Rechtes an sich geeignet sind, den erhobenen Anspruch als in der Person des Klägers entstanden und zugleich als durch den Beklagten verletzt erscheinen zu lassen.“905
Damit soll nach h.L. der Lebenssachverhalt gleichberechtigt neben das Klagebegehren treten, worauf auch § 264 ZPO hindeute.906 Weiter spricht auch § 260 ZPO von einer „Anspruchshäufung“ bei mehreren „Gründen“. Getrübt wird die Reinheit des Gedankens bereits durch § 146 ZPO, der von der Annahme ausgeht, dass auch bei verschiedenen Klagegründen die Identität des prozessualen Anspruchs unangetastet bleibt.907 Die Funktion des Sachverhalts im Verfahren soll dem Gericht vor Augen führen, weswegen der Kläger sein Begehren für gerechtfertigt hält.908 Hieraus wird gefolgert, dass für den Streitgegenstand die Tatsachengrundlage zumindest mitbestimmend sei, gemäß dem Grundsatz da mihi facta, dabo tibi ius. Dies gipfelt vereinzelt im Resümee, „der wahre … Streitgegenstand“ sei die Existenz des behaupteten und geleugneten Sach- oder Rechtsverhalts.909 Aus 902 Lent, ZZP 67 (1954), 395; G. Lüke, JZ 1960, 203 ff. Der Gesetzgeber scheint prima vista von einem mehrgliedrigen Streitgegenstandsbegriff ausgegangen zu sein, der auch den Tatsachenstoff enthält. 903 Etwa jüngst M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 305; Hahn, Materialien II/1, S. 255. 904 Hahn, Materialien II/1, S. 255. In dieser Wendung kommt noch deutlich der von Savigny kreierte Metamorphosegedanke (die Klage als das verletzte subjektive Recht) zum Ausdruck, der infolge alle materiellen Klagerechtstheorien prägte. 905 Daraus wird gefolgert, dass für den Streitgegenstand neben dem Antrag auch die Tatsachen von Bedeutung seien: „Da mihi facta, dabo tibi ius“, „iura novit curia“. Die Parteien hätten nämlich nicht Rechtsnormen vorzutragen, sondern Tatsachen. Vgl. zur Bedeutung des Klagegrundes, insbesondere bei der „Eigentumsklage“, auch v. Savigny, System VI, Beilage XVII, S. 520. Dieser sieht in der Zulassung neuer Klagegründe keine besondere Gefahr für den Beklagten, da der Kläger das Prozesskostenrisiko zu tragen habe. 906 Reformbedarf sieht deswegen bereits Schwab, Streitgegenstand, S. 192, 194, 195. 907 Daraus schließt Bub, Streitgegenstand, S. 208 mit Recht, dass die ZPO selbst nicht von einem völlig einheitlichem Begriffsverständnis ausgeht. 908 M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 305. 909 So A. Blomeyer, in: FS der Jur. Fakultät Berlin, S. 54.
§ 25 Die Ermittlung des Klägerinteresses
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interdisziplinärer Sicht wird darauf hingewiesen, dass die Erkenntnisse aus dem Strafrecht dagegen sprächen, den Lebenssachverhalt im Zivilprozess in Gänze aus der Definition des Streitgegenstands zu entfernen.910 Die Erscheinung des Prozessgegenstandes bestehe immer in einer Verknüpfung von Sachverhalt und Rechtsbehauptung. Vergegenwärtigt man sich die genannten Gesetzesstellen, so erscheint die Frage nicht unberechtigt911, ob es des bisher im Schrifttum getriebenen doktrinären Aufwands um die Bedeutung des Klagegrundes wirklich bedurfte. Die Zweifel des Schrifttums basieren jedoch nicht auf einem übersteigerten Drang zu dogmatischen Glasperlenspielen, sondern resultieren aus der Erkenntnis, dass die zweigliedrige Lehre in vielen Fällen zu anfechtbaren Ergebnissen kommt.
2. Substantiierungs- und Individualisierungslehren Die Frage, ob der Lebenssachverhalt den prozessualen Anspruch prägt, steht in Zusammenhang mit der – mittlerweile überholten – Streitfrage, wie der „Grund des Anspruches“ im Sinne von § 253 II Nr. 2 ZPO zu interpretieren sei. Damit ist die Auseinandersetzung zwischen Individualisierungs912- und Substantiierungstheorie angesprochen.913 Werden Anspruchsgrund und Klage durch die Angabe des Rechtsverhältnisses individualisiert oder durch die zugrundeliegenden Tatsachen? Der Gesetzgeber der CPO scheint der Substantiierungstheorie zugeneigt zu haben.914 Diese Definition des Klagegrundes hat sich auch die reichsgerichtliche Rechtsprechung zu eigen gemacht.915 Aus der Beantwortung der Streitfrage für § 253 II Nr. 2 ZPO glaubte man alsbald Antworten für den prozessualen Anspruch selbst ableiten zu dürfen.916 Damit hätte die „reine“ Individualisierungslehre zweifellos das Entstehen einer eingliedrigen Streitgegenstandslehre begünstigt, da alleine die Angabe des Rechtsverhältnisses den Klagegrund bildete („Miete“, „Darlehen“ u.ä.) und es einer Angabe von Tat-
910 Baumann, ZZP 69 (1956), 356 f. im Hinblick auf die Begrenzung der „prozessualen Tat“; auch MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, vor §§ 253 Rn. 32 f. Die praktischen Schwierigkeiten seien nicht größer als bei der Bestimmung der Tat im Sinne des Strafprozessrechts. 911 Gaul, ZZP 112 (1999), 179. 912 Hierfür Petersen, ZZP 3 (1881), 385 f. 913 Hierzu Robinow, Streitgegenstand, S. 11 f.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 253 Rn. 52, 53; Habscheid, Streitgegenstand, S. 184 f.; Fitting, AcP 61 (1878), 430 f.; zusammenfassend Vollkommer, in: FS Lüke, S. 865 (883); MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 78 f. 914 Hahn, Materialien II/1, S. 255; ebenso RGZ 10, 434 f.; RGZ 11, 263 f. Hiergegen aber ausführlich Fuchs, Gruchot 29 (1885), 635 f.; ebenso Fitting, ZZP 9 (1886), 69 unter Hinweis auf den gleichlautenden Begriff „Grundes des erhobenen Anspruchs“ beim Mahnverfahren und den dortigen Hinweisen auf die Individualisierungslehre. 915 RG JW 1901, 483; RGZ 143, 65. 916 Robinow, Streitgegenstand, S. 11 f.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
sachen nicht bedurfte.917 Die Substantiierungslehre führte dagegen zu einem zweigliedrigen Streitgegenstand im Sinne von „Gegenstand“ und „Grund“ des erhobenen Anspruches (vgl. § 253 II Nr. 2 ZPO)918, indem sie den Sachverhalt als gleichwertig erachtete.919 Die reine Individualisierungslehre, die vom Kläger verlangt, seine Klage durch die Angabe des Rechtsverhältnisses zu untermauern, ist mit dem Grundsatz da mihi facta, dabo tibi ius nicht vereinbar.920 Die sog. verbesserte Individualisierungslehre921 nähert sich deswegen heute der abgemilderten Substantiierungslehre weitgehend an bzw. stimmt mit dieser überein.922 Ein lückenloser Tatsachenvortrag ist demnach im Rahmen von § 253 II Nr. 2 ZPO nicht erforderlich.923 Im Ergebnis ist dieser Befund für die Bestimmung des Streitgegenstands weitgehend bedeutungslos: Die rudimentären gesetzlichen Hinweise deuten zwar darauf hin, dass der Lebenssachverhalt Bestandteil des prozessualen Anspruchs sein könnte. Jedoch resultiert diese Fehldeutung wiederum aus dem hier abgelehnten Einheitsdenken in der Streitgegenstandslehre. Die Auseinandersetzung zwischen Individualisierungs- und Substantiierungstheorie kann – über § 253 II Nr. 2 ZPO hinaus – keine allgemeine Geltungskraft für die Bestimmung von Verfahrens- und Urteilsgegenstand erlangen.924 Nach zutreffender Auffassung steht diese Vorschrift in der Tradition von §§ 34, 37 und 41 JRA (1654).925 Die Angabe des Klagegrundes bezweckte damit nicht in erster Linie die Bestimmung des Streitgegenstands, sondern stellte das Vorhandensein des für den Prozess notwendigen Tatsachenmaterials sicher. Für die Einleitung des Verfahrens durch Klageerhebung bildet der Tatsachenstoff zwar das Fundament, an dem der Richter die Verfahrensführung ausrichtet. Hinzu kommt bei § 253 II Nr. 2 ZPO die Notwendigkeit einer Begrenzung des Streitobjekts, die dem Beklagten eine sinnvolle Verteidigung erst ermöglicht. Für die das Streitgegenstandsdenken prägende Frage nach der Identität zweier Verfahren, wie sie sich insbesondere für § 261 III Nr. 1 ZPO und § 322 ZPO stellt, ist der Inhalt der Klageschrift jedoch nicht entscheidend. Im Übrigen: Die (strenge) Substantiierungstheorie spricht zwar dafür, den Lebenssachverhalt als selbständigen Be917 918 919 920
Habscheid, Streitgegenstand, S. 185. So Habscheid, Streitgegenstand, S. 185. Deutlich MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 78. Jauernig, ZPR, § 37 II 4, S. 153; insoweit zutreffend Habscheid, Streitgegenstand,
S. 186. 921
BGH MDR 2004, 824; MDR 1976, 1005; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 253 Rn. 52. Jauernig/Hess, ZPR, § 37 II 4 Rn. 14, 15; Hahn, Kooperationsmaxime, S. 91 ff. 923 Jauernig/Hess, ZPR, § 37 II 4 Rn. 16; a.A. Musielak, NJW 2000, 3595, der Sachverhalt bestimme sich nach den Tatsachen, welche für die Schlüssigkeit der Klagen erforderlich sind. 924 Vgl. auch Jauernig/Hess, ZPR, § 37 II 4 Rn. 15: Die verbesserte Individualisierungstheorie besage nichts darüber, ob zur Bestimmung des Streitgegenstands ein Rekurs auf Tatsachen stets erforderlich ist. 925 Stein, ZPO (11. Aufl.), Anm. III 3 zu § 253 ZPO; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 191. 922
§ 25 Die Ermittlung des Klägerinteresses
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standteil des Streitgegenstands zu begreifen.926 Habscheid hat jedoch mit Recht darauf hingewiesen, dass dieser in Bezug auf die Fassung des Streitgegenstands derselbe Makel anhafte wie der Individualisierungstheorie. Wenn die Substantiierungslehre auf diejenigen Tatsachen abstellt, die rechtlich geeignet und erforderlich sind, um den Schluss auf die Begründetheit des Klageantrags zu rechtfertigen, dann ist dieser Klagegrund wiederum aktionenrechtlich vom materiellen Recht her gedacht. Inzwischen hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass eine lückenlose Angabe des Sachverhalts nicht zum notwendigen Inhalt der Klageschrift rechnen kann927, wie eine Reihe von Vorschriften (§ 278 ZPO, § 264 Nr. 1 ZPO, § 335 ZPO, § 139 ZPO) mittelbar bestätigt. Vielmehr gehört es zu den richterlichen Aufgaben, auf eine Präzisierung des tatsächlichen Geschehens während des Verfahrens hinzuwirken.928 Bei der Fundierung des Anspruchsgrundes im Sinne von § 253 II Nr. 2 ZPO handelt es sich hingegen um eine Frage der Zulässigkeit der Klage, nicht aber um deren Schlüssigkeit.929 Die (überwundene) Auseinandersetzung zwischen Individualisierungs- und Substantiierungstheorie scheint aus historischer Warte Einfluss auf die Fassung des Streitgegenstands genommen zu haben. Aus heutiger Sicht ist sie für die Frage der Ein- oder Zweigliedrigkeit jedoch ohne näheren Nutzen. Vom hier vertretenen Standpunkt aus muss der Kläger neben seinem bestimmten Klageantrag lediglich ausreichend Tatsachen zur Individualisierung und Abgrenzung seines materiellen Interesses vortragen, so dass der Zweck von § 253 II Nr. 2 ZPO erfüllt wird.930
3. Die Konturierung des Klagegrundes in der herrschenden Lehre a) Natürliche Betrachtungsweise Der Konturierung des Klagegrundes als ein den Streitgegenstand prägender Faktor ging ein längeres wissenschaftliches Ringen voraus.931 Habscheid lehnte es dabei ab, den Klagegrund am materiellrechtlichen Anspruchssystem auszurichten, sondern hielt eine „natürliche Betrachtungsweise“ für geboten.932 Der abstrakten Rechtsfolgenbehauptung stellt er deswegen den Lebenssachverhalt 926
Habscheid, Streitgegenstand, S. 188. So Habscheid, S. 188; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 253 Rn. 52. 928 Hier kommt die dynamische Komponente des Prozesses wieder zum Ausdruck. 929 Ansonsten hätten nur schlüssige Klagen einen „Anspruchsgegenstand“, Habscheid, Streitgegenstand, S. 190. 930 Allgemein MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 78 f.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 253 Rn. 52. 931 Ausführliche Darstellung oben bei § 9 II, III; § 10 IV. 932 Vgl. auch Habscheid, in: FS Schwab, S. 188: Die Abgrenzungsprobleme würden ansonsten nur vom materiellen Recht ins Prozessrecht verlagert. 927
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
an die Seite, der diese in tatsächlicher Hinsicht umreißen soll. Hierbei unterscheidet er zunächst zwischen Dauerrechtsverhältnissen und Rechtsverhältnissen des täglichen Lebens, wobei er in der ersten Gruppe einen Globalsachverhalt zu Grunde legt933 und in der zweiten die Verkehrsanschauung des täglichen Lebens zu Rate zieht.934 Der Klagegrund soll sich die Elastizität bewahren, die der Gesetzgeber nach § 253 II Nr. 2 ZPO im Sinn hatte.935 Habscheid knüpft hier an die Bemühungen de Boors zu einer lebensnahen Beschreibung des Streitverhältnisses an.936 In diesem Kontext könnte erwogen werden, inwieweit eine Abgrenzung des Klagegrundes nach „typisierten Lebensvorgängen“ praktisch möglich ist.937 So finden sich etwa im japanischen Schrifttum intensive Bemühungen, den Lebenssachverhalt im Hinblick auf die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse zu interpretieren: „In einer Gesellschaft, die sich auf Produktion zum Zwecke des Warenaustausches gründet, lässt sich der Bereich, in dem Streitigkeiten entstehen, unter drei Aspekten aufgliedern.“938
Der erste sei der Verlauf eines Warenaustausches, womit alle Geschehensabläufe erfasst werden könnten, bei denen zwischen Menschen eine Übertragung von Sachen oder auch Arbeitskraft stattfände, also bei nahezu allen Schuldverhältnissen des bürgerlichen Rechts. Eine weitere selbständige Gruppe betreffe die Verfügungsgewalt über Waren bzw. das Eigentum als für die Entstehung des Streits charakteristischer Zweck, ohne dass es auf den einzelnen rechtlichen Erwerbsgrund ankäme. So basierten insbesondere viele Feststellungs- und Leistungsklagen auf einer bestehenden Verfügungsgewalt oder deren Verletzung. Der dritte Aspekt betreffe die wechselseitigen Beziehungen zwischen Subjekten auf gesellschaftsrechtlicher Ebene, wobei der Gestaltungsklage besondere Be933
Habscheid, Streitgegenstand, S. 215 f. Dieser Lebenssachverhalt findet auch für die Ermittlung des Streitgegenstands von Feststellungs- und Gestaltungsklagen Anwendung, Habscheid, Streitgegenstand, S. 191. 935 Habscheid, Streitgegenstand, S. 190 Fn. 27, weist insoweit auf die seiner Meinung nach sprachlich gelungere Fassung des franz. Code de Procédure Civile (a.F.) hin: „L’exploit d’ajournement contiendra: … l’objet de la demande, l’exposé sommaire des moyens“ (Art. 61 Nr. 3), wonach eine summarische Mitteilung der Klagetatsachen genüge. Inzwischen verlangt Art. 56 I CPC: „… l’objet de la demande avec un exposé des moyens en fait et en droit.“ Anzugeben ist neben dem klagebegründenden Sachverhalt nun auch der anspruchsbegründende rechtliche Hergang, Schilling, S. 49. 936 de Boor, Gerichtsschutz, S. 44, der das Lebensverhältnis aus gesunder Volksanschauung heraus entwickeln wollte, oben § 13 I 1. Kritisch Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 25 ff., der die natürliche Sachverhaltsbeschreibung Habscheids als Nachwirkung der Reformbestrebungen bewertet, die ab 1933 bemüht waren, aktionenrechtliches Denken vollständig aus dem Rechtsleben zu entfernen; Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 225. 937 Someno, Grundprinzipien, S. 207 f. 938 Someno, Grundprinzipien, S. 212. 934
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deutung zukomme. Die einzelnen Streitsachverhalte ließen sich somit im Wesentlichen nach sozialen Handlungen von Personen voneinander abgrenzen. So bilde bei einem einzigen Austauschvorgang dieser auch das Streitverhältnis, womit im „Weinfall“939 die Annahme eines Streitsachverhalts gerechtfertigt wäre, unabhängig von der Frage, wann der Verbrauch des Weins stattgefunden hat. Das gesamte soziale Leben der Menschen lasse sich auf diese Weise mit Rechtsbegriffen wiedergeben.940 M.E. bietet diese Methode kaum praktikable Abgrenzungsmöglichkeiten. Allein der Wunsch, Lebenssachverhalte anhand gesellschaftlicher Erscheinungen und Muster typisieren zu können, erscheint nicht weiterführend.941 Eine Feinabgrenzung wird dadurch nicht gewährleistet. Auch nach Ansicht der Judikatur des BGH setzt sich der prozessuale Anspruch gleichwertig durch Klageantrag und Lebenssachverhalt zusammen.942 Dieser wiederum werde durch die Tatsachen gebildet, „die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören.“943 Entscheidend ist also der gesamte historische Vorgang, ohne dass es auf die tatbestandlichen Grenzen einzelner Rechtsgrundlagen ankäme, die zur Begründung des jeweiligen Begehrens angeführt werden.944 Die jeweiligen Einzeltatsachen sind unabhängig davon erfasst, ob sie vorgetragen wurden oder nicht. Auch die Kenntnis oder schuldhafte Nichtkenntnis der Parteien bleibt dabei außer Betracht.945 Als einheitsstiftende Elemente dienen bei dieser Betrachtunsgweise der enge zeitliche Zusammenhang zwischen den einzelnen Geschehen946 oder schlicht die Verkehrsauffassung.947 Ohne Zweifel trägt dieser Ansatz dazu bei, die Schwierigkeiten materieller Anspruchskonkurrenzen im Prozess zu verringern. Indem der Streitgegenstand über den einzelnen materiellrechtlichen Anspruchstatbestand hinaus erweitert wird, leistet die Rechtsprechung ihren Beitrag gegen aktionenrechtliche Denkmuster.
939
Oben § 10 IV 1b. Someno, Grundprinzipien, S. 218. 941 Deutlich zeigen sich Parallelen zum Versuch Habscheids, mit dem Merkmal der Lebenseinheit Sachverhalte voneinander abgrenzen zu können, Streitgegenstand, S. 140 ff. Im Übrigen lässt diese japanische Lehre mit ihrer verrechtlichten Lebensbeschreibung eine Nähe zur strengen Individualisierungslehre erkennen. 942 BGHZ 154, 342, 347 f.; BGHZ 153, 175; BGH NJW-RR 2006, 1118, 1120; zu den Spezifika des Wettbewerbsrechts vgl. unten § 34 II. 943 BGHZ 157, 50; BGHZ 117, 1 (6); BGH NJW 2004, 1806; BGH NJW 1999, 3127; BGH NJW 1996, 3152 f. 944 Ausführlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 ff. Rn. 11. Deutlich: BGH NJW-RR 1996, 1276: verschiedene Lebenssachverhalte aber bei einfachem und erweitertem Alleinauftrag. 945 BGHZ 157, 51. 946 BGH NJW 1995, 967 f. 947 BGH NJW-RR 1996, 827. 940
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Eine grenzscharfe Bestimmung des Streitgegenstands wird mit derartigen Formeln jedoch nicht sichergestellt.948 Denn Lebenssachverhalte werden stets unter bestimmten ausgewählten Gesichtspunkten zusammengefasst, so dass bei einer anderen Wahl auch ihr Umfang eine Veränderung erfahren würde.949 So stellt die lebensnahe Ermittlung des tatsächlichen Geschehens einen Schritt in die richtige Richtung dar, weil damit häufig den realen Erwartungen der Parteien Rechnung getragen wird.950 Dennoch bleibt das Merkmal in der Rechtsprechung ohne sichere Kontur. Das materielle Recht gliedert im Übrigen historische Vorgänge nach bestimmten rechtlichen Ordnungskategorien und Rechtsinstituten, die sich mit einer natürlichen Lebensanschauung oft nicht vertragen.951 So bildet das Verlangen des Vermieters auf Herausgabe der Mietsache nach Kündigung des Mietverhältnisses zwar einen natürlichen Vorgang. Dennoch unterscheidet das materielle Recht hier deutlich zwischen dem obligatorischen und dem dinglichen Rückgabeanspruch. Die im Schrifttum und vor allem in der Rechtsprechung952 praktizierte natürliche Betrachtungsweise erscheint somit nicht geeignet, im Sinne der zweigliedrigen Streitgegenstandslehre eine trennscharfe Grenze zwischen relevanten und nichtrelevanten Tatsachen zu schaffen. Gleiches gilt für die Leerformel der „Verkehrsauffassung“.953
b) Abgrenzung des Klagegrundes nach materiellen Kriterien In jüngerer Zeit finden sich Judikate954, welche auch rechtliche Komponenten in die Abwägungsentscheidung mit einfließen lassen.955 Indes schreckt der BGH davor zurück, die Verbindung zum materiellen Recht offen auszusprechen, wohl aus der Befürchtung heraus, in die Nähe der älteren materiellrechtlichen Theorien zu gelangen.956 Auf die unterschiedlichen Bestrebungen des 948
Zur Kritik oben § 12. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 226; Lent, ZZP 65 (1952), 352. 950 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 226: „die lebensmäßige Betrachtung ist maßgebend dafür, in welchen Richtungen die Parteien angesichts des Prozessstoffs endgültige Rechtsgewissheit erwarten.“ 951 Kritisch Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 223 f., der auch darauf hinweist, dass die tatsächliche Betrachtungsweise es nicht schaffe, „die Wiedereingliederung der ausgesprochenen Rechtsfolge zu bewerkstelligen.“ 952 BGH NJW 1996, 3151; BGH NJW 1990, 1795; Zusammenfassung bei Bub, Streitgegenstand, S. 14 f. 953 Zutreffend gegen die natürliche Betrachtungsweise auch Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 75. 954 BGH NJW 1993, 2173; BGH NJW 1996, 3151, 3152. Zustimmend MünchKomm/ Becker-Eberhard, ZPO, vor § 253 ff. Rn. 32; Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 76; vgl. auch BGH NJW- RR 2002, 1596, 1597; NJW 1993, 1716, 1717; kritisch Rimmels pacher, JuS 2004, 561; kritisch: Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 217; zusammenfassend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 ff. Rn. 11 f. 955 Ausführlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 ff. Rn. 11 f. 956 Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 224. 949
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Schrifttums, die Konturen des den Streitgegenstand kennzeichnenden Sachverhalts unter Zuhilfenahme der Tatbestände materiellrechtlicher Anspruchsnormen zu ermitteln, wurde bereits ausführlich hingewiesen.957 Gleiches gilt für die sich hiergegen abzeichnenden Bedenken. Den relevanten Sachverhaltsausschnitt würden hiernach diejenigen Tatsachen eines natürlichen Lebensvorgangs bilden, die ganz oder teilweise den gesetzlichen Tatbestand solcher Anspruchsnormen ausfüllen, aus denen das im Antrag behauptete Recht abgeleitet werden kann.958 Vertreter einer zweigliedrigen Lehre nehmen damit auch dann einen anderen Lebenssachverhalt an, wenn verschiedene und selbständige tatsächliche Begründungen für dasselbe Interesse vorgetragen werden.959 Wie bereits gezeigt, kann durch eine derartige Zergliederung der Verfahrensgegenstand seiner Aufgabe der Konzentration innerlich zusammengehöriger Streitsegmente bei einem Gericht nicht gerecht werden. Die Rolle des Klagegrundes kann deswegen m.E. keine gleichwertige sein.960
4. Die individualisierende Funktion des Tatsachenstoffs Während K.H. Schwab und auch Nikisch961 den ermittelten Tatsachenstoff lediglich zur Individualisierung des Streitgegenstands zu Rate zogen, betonte Habscheid nachdrücklich dessen autarke Rolle.962 Dies gilt auch für die Ermittlung des Streitgegenstands von Feststellungs- und Gestaltungsklage. So lehnt er es bei der Feststellung (§ 256 I ZPO) eines absoluten Rechts ab, die Bedeutung des Sachverhalts auf eine reine Hilfsfunktion zu reduzieren.963 Der Kläger werde zur Angabe von Tatsachen verpflichtet, um gerade das tatsächliche Streitprogramm einzugrenzen.964 Nikisch hatte den Stellenwert des Sachverhalts jedoch aus gutem Grund relativiert965, soll der Tatsachenvortrag doch in erster
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Oben § 10 IV. Ähnlich Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 47 ff.; ders., ZPR, § 37 VIII 1; Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 229 f. 959 So BGH NJW 1981, 2306; NJW-RR 1987, 58; BGH NJW 1992, 2081; OLG Hamm NJW-RR 1992, 1279: vollkommen verschiedene Lebenssachverhalte. 960 Vgl. auch Bruns, ZPR, Rn. 232: „Es ist zwar richtig, dass es sich bei dem Gegenstand des Rechtsstreits um Tatsachen und natürliche Zustände handelt; diese stellen sich jedoch, in rechtsbezogener Sinneinheit ausgewählt und gruppiert, eben als Rechtsverhältnisse dar.“ 961 Nikisch, Streitgegenstand, S. 73 und 74. 962 Habscheid, Streitgegenstand, S. 192: „Der ‚Grund des Anspruches‘ ist also nicht dazu bestimmt, der Rechtsbehauptung nur Hilfsdienste zu leisten. Er ist gleichwertiger Bestandteil des prozessualen Anspruches. Der Streitgegenstand im Zivilprozess ist daher stets zweigliedrig.“ Vgl. A. Blomeyer, FS der Jur. Fakultät Berlin, S. 54. 963 Habscheid, Streitgegenstand, S. 191. Ansonsten wäre nur bei Feststellungsklagen der Klagegrund nicht notwendiger Bestandteil des Streitgegenstands. 964 So Habscheid, Streitgegenstand, S. 194. 965 Nikisch, Streitgegenstand, S. 14 f., S. 74 f. 958
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Linie der Klagebegründung dienen. Bereits im römischen Zivilprozessrecht966 war deswegen ein Hinweis auf den (tatsächlichen) Entstehungsgrund entbehrlich, wenn die Klage – wie etwa bei der Feststellung eines dinglichen Rechts – durch das Objekt selbst hinreichend bestimmt war.967 Dieser Standpunkt findet sich noch ausdrücklich in einigen Partikulargesetzen des 19. Jahrhunderts wieder. So lautet § 185 der Allgemeinen bürgerlichen Processordnung für das Königreich Hannover vom 8.11.1850: „Bei dinglichen Klagen, mit Ausnahme der aus dem Pfandrechte, bedarf es der Angabe des Erwerbsgrundes des dinglichen Rechts nicht, vorbehaltlich der Befugnis des Beklagten, im Wege verzögerlicher Einrede diese Angabe zu begehren.“
Hingegen erachtete die Reichscivilprozessordnung den Tatsachenvortrag ohne Unterschied für bedeutsam.968 In den Motiven zur CPO wird deswegen auch Bezug genommen auf die gemeinrechtliche Lehre und die französische Doktrin, welche die Thatsachen, die die legitimatio ad causam bildeten, „als einen Theil des Klagegrundes“ ansehen.969 Aus dem gesetzlichen Befund lassen sich keine eindeutigen Folgerungen ziehen: Unrichtig ist deswegen die Annahme, dass „die Zivilprozessordnung … sich daher zu einem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff bekannt [habe], und zwar ohne Rücksicht auf die Frage einer Individualisierung des Klagegegenstandes durch den Klagegrund.“970 Die Angabe der Klagetatsachen nach § 253 II Nr. 2 ZPO verfolgt einen anderen Zweck als der Vortrag des Lebenssachverhalts im Hinblick auf den Streitgegenstand.971 Wenn § 253 II Nr. 2 ZPO eine Klage nicht non expressa causa gestattet, dann ist dies auf den telos dieser Vorschrift zurückzuführen, die aufgestellte Rechtsbehauptung zu individualisieren.972 Soweit der Kläger die Streitsache in tatsächlicher Hinsicht kennzeichnen muss, um dem Beklagten die Möglichkeit zur Verteidigung zu eröffnen, bedeutet dies nicht, dass der Klagegrund den Verfahrensgegenstand in seinen Funktionen begrenzen könnte. Dies entspricht dem hier vertretenen teleologischen Ansatz, den Zweck der einzelnen Vorschrift in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Entscheidend ist der jeweilige Normgehalt. Bei §§ 261 III Nr. 1 ZPO, 260 ZPO, 263 ZPO und 264 ZPO steht gerade die Frage nach 966
Oben § 3. Dernburg, Lehrbuch, S. 278; vgl. zur beschränkten Rolle der demonstratio Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 421. 968 Vgl. Habscheid, Streitgegenstand, S. 197. 969 Hahn, Materialien II/1, S. 255 zu § 230 CPO; vgl. Wetzell, System, S. 149 ff. 970 So Habscheid, Streitgegenstand, S. 195: Zwar habe dem Gesetzgeber das materielle Recht vor Augen geschwebt, es sei jedoch nicht das abstrakte von seinem Entstehungsgrunde losgelöste materielle Recht gewesen, sondern das mit dem „ganzen Wurzelwerk der die Klage rechtfertigenden Tatsachen verhaftete…“. 971 Bereits oben § 25 III 2; Nikisch, Streitgegenstand, S. 75. 972 Nikisch, Streitgegenstand, S. 75. Hiergegen aber ausdrücklich Habscheid, Streitgegenstand, S. 195. 967
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der Identität zweier Verfahren im Vordergrund, für welche der Lebenssachverhalt kein trennscharfes Abgrenzungskriterium bietet. Leisten kann er lediglich eine gewisse Individualisierung. Recht zu geben ist Habscheid aber darin, dass im Hinblick auf die Angabe des Erwerbsgrundes Leistungsklage und Feststellungsklage gleich behandelt werden sollten.973 Denn die unterschiedliche Klageart als solche rechtfertigt im laufenden Verfahren keine andere Aufgabe des Sachverhalts. Dies muss umgekehrt aber nicht bedeuten, dass der Erwerbsgrund sowohl bei der Eigentumsherausgabeklage (§ 985 BGB) als auch bei der Eigentumsfeststellungsklage Bedeutung gewinnt. Genauso ist es denkbar, dem Klagegrund seine streitgegenstandsbegrenzende Bedeutung in beiden Fällen zu versagen. Zwar glaubt Habscheid in diesem „Individualisierungsdogma“ einen Verstoß gegen die den Zivilprozess beherrschende Dispositionsmaxime zu erkennen974, weil der Kläger auch für Klagen, deren Objekte an sich keiner Individualisierung durch den Sachverhalt bedürften, über die Möglichkeit verfügen müsste, das Streitobjekt in tatsächlicher Hinsicht zu begrenzen. Dieser gedanklichen Inversion muss jedoch widersprochen werden: Die Dispositionsmaxime besagt nur, dass der Kläger den Streitgegenstand bestimmt975, impliziert jedoch nicht, aus welchen Elementen sich dieser zusammensetzt. Für Individualansprüche976 gewinnen z.B. mit Recht Stimmen an Gewicht, welche für die Streitgegenstandsbestimmung die Singularität des beanspruchten Objekts betonen.977 Demnach ändere etwa im Rahmen der Klage auf Übereignung eines konkreten Gegenstands der Vortrag „Kauf“ anstelle des Vortrags „Vermächtnis“ die Klage nicht.978 Dies sei erst der Fall, wenn das Objekt des Herausgabeverlangens ausgetauscht werde.979 Bei Geldausgleichsansprüchen für bestimmte Gegenstände (Kaufpreis-, Mietzins-, Schadensersatzansprüche etc.) sei die Individualität des in den jeweiligen Tatbeständen (§§ 433, 535, 823 etc. BGB) als normwesentlich hervorgehobenen Gegenstands nutzbar zu ma973 Habscheid, Streitgegenstand, S. 196. Nach Nikisch, Streitgegenstand, S. 75, sei eine Gleichbehandlung der Klagearten schon deswegen nicht erforderlich, weil die CPO bei ihren allgemeinen Vorschriften vornehmlich an der Leistungsklage orientiert war. Insofern ergebe sich die einschränkende Auslegung von § 253 II Nr. 2 ZPO für Feststellungs- und Gestaltungsklage von selbst. 974 Habscheid, Streitgegenstand, S. 198. 975 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, Einl. Rn. 275. 976 Damit wäre die Frage nach der „Selbstabgegrenztheit“ von Anträgen angesprochen, die aus sich selbst heraus verständlich sind und nicht der Individualisierung durch den Sachverhalt bedürfen, vgl. Jauernig, Verhandlungsgrundsatz, S. 23 f.: z.B. der Anspruch auf Übereignung bzw. Herausgabe von Speziessachen, Eigentumsfeststellungsklagen, Erbringung bestimmter Dienste und Werke. 977 So J. Blomeyer, JuS 1970, 127; ähnlich Jauernig, Verhandlungsgrundsatz, S. 23 f. 978 J. Blomeyer, JuS 1970, 127; RGZ 99, 172: Klage auf Errichtung einer Immisionsabwehranlage wird mit einem neuen Immissionszeitraum begründet. 979 RGZ 88, 129; BGH MDR 1964, 28.
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chen und daher die Auswechslung des Gegenstands, z.B. das Überwechseln vom Kaufpreisanspruch für eine gelieferte Waschmaschine auf den für einen gelieferten Kühlschrank, als Klageänderung anzusehen.980 Soweit für Gattungsforderungen angenommen wird, auf die Rechts- und Tatsachengrundlage der Klage rekurrieren zu müssen981, um der Uferlosigkeit einer antragsbezogenen Begrenzung des Streitgegenstands zu entgehen982, erweist sich diese Befürchtung meist als unbegründet. Vielmehr leistet eine an Einzeltatbeständen des materiellen Rechts orientierte Tatsachenaufbereitung einer Häufung von Streitigkeiten Vorschub. Bei einer tatsachenbezogenen Betrachtungsweise muss vielmehr die Bildung „materieller Zweckeinheiten“ stets korrigierend berücksichtigt werden.983 Ein Streitgegenstand läge demnach vor, wenn aufgrund verschiedener Anspruchsgrundlagen im Ergebnis nur einmal geleistet werden muss.984 Dies gilt beispielsweise, wenn die auf den Schadenseintritt beim Kläger gestützte Klage aus § 823 I BGB später damit begründet wird, dass diesem Schaden auch ein Nutzen des Beklagten entspreche (§ 812 BGB).985 Die Einheit des Leistungsinteresses bleibt gewahrt. Trotz Identität der materiellen Anspruchsgrundlage würde sich, folgt man der h.L., beim Festhalten am Klagegrund auch dann ein anderer Streitgegenstand ergeben, wenn durch den neuen Tatsachenvortrag der normative Anwendungsfall ein völlig anderer wird, etwa wenn ein Provisionsanspruch nacheinander auf unterschiedliche provisionspflichtige Geschäfte gestützt würde. Ein Abheben auf den Lebenssachverhalt würde die zentrale Aussage wieder verdecken: Entscheidend ist schlicht die Identität des Interesses. Die Streitgegenstandsfrage lässt sich damit präzise beantworten. Für ein unscharfes Kriterium wie „die Änderungswesentlichkeit des bisherigen Geschehens“ bleibt kein Raum. Ungenau wäre deswegen die Überlegung, ob der Kläger mehrere verschiedene Unfallgeschehen behauptet oder lediglich eine Umdatierung des einheitlichen Geschehens vornimmt. Für die Identität des Verfahrensgegenstandes wäre nach dem Gesagten allein maßgeblich, ob weiter dieselbe Schadensposition eingefordert wird oder nicht. Die Überbetonung des tatsächlichen Elements wirkt bei der Konfliktlösung eher hinderlich als fördernd.986 Im Pro-
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J. Blomeyer, JuS 1970, 127. So J. Blomeyer, JuS 1970, 127. 982 Mangels Einmaligkeit des vom Kläger begehrten Objekts könnte hier das Klagebegehren aufgrund unübersehbar vieler Normen und Sachverhalte begründet sein, sähe man es nur durch den Klageantrag begrenzt. 983 J. Blomeyer, JuS 1970, 127. 984 Fälle der Anspruchskonkurrenz bzw. Alternativität (sich gegenseitg ausschließende Ansprüche). 985 RGZ 71, 360. 986 Zeuner, in: FS Zweigert, S. 612 ff. 981
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zess sollte die Zu- oder Aberkennung einer Rechtsposition im Vordergrund stehen.987 Dies entspricht den Erwartungen der Prozessbeteiligten am besten. Die Ermittlung des Klägerinteresses folgt im Ansatz den Spuren der eingliedrigen Lehre Schwabs.988 Der Tatsachenvortrag des Klägers hat eine rein interpretative Aufgabe.989 Für aus sich selbst heraus verständliche („selbstabgegrenzte Anträge“), wie dies häufig bei Gestaltungs- und Feststellungsklagen der Fall ist990, lässt sich das Interesse bereits aus den Anträgen ermitteln. Bei Leistungsklagen, die nur der Gattung nach bestimmte Sachen zum Gegenstand haben, sind lediglich zur Individualisierung des geltend gemachten Interesses Tatsachenbehauptungen heranzuziehen. Es bleibt der Einwand, dass der Verzicht auf das Tatsachenelement nicht gewährleiste, den Streitgegenstand hinsichtlich seines Vergangenheitsbezugs ausreichend zu konkretisieren.991 Notwendig sei dies aber bei der Einklagung wiederholbarer Leistungen wie z.B. der Übergabe von Gattungssachen. Zum einen betrifft dieser Einwand vor allem den Umfang eines klageabweisenden Urteils992 und nicht den weiter gefassten Verfahrensgegenstand. Zum anderen dient das Tatsachenelement in dieser Studie immerhin der Individualisierung des Interesses, so dass etwaige Abgrenzungsschwierigkeiten nicht entstehen. Der Sachverhalt wird jedoch nicht im Sinne der zweigliedrigen Lehre zum Selbstzweck erhoben. Die Notwendigkeit, in Einzelfällen zur Individualisierung des Interesses auf den Tatsachenvortrag zurückgreifen zu müssen, zwingt nicht dazu, ihm begriffsbestimmenden Charakter zukommen zu lassen.993 Dies würde bedeuten, dass der Sachverhalt den Streitgegenstand auch begrenzt, wenn eine vollständige Individualisierung des Interesses bereits durch den Klageantrag (die Singularität des Objekts) geleistet wird. Die Folge wäre eine unfruchtbare Vermehrung prozessualer Ansprüche.994 987
Hierzu auch Kocher, Funktionen, S. 332. Vgl. auch Bub, Streitgegenstand, S. 143. 989 In gewisser Weise ist diese Sichtweise auch § 264 Nr. 3 ZPO zu entnehmen. Wenn das Interesse verlangt wird, bleibt in der Regel der Klagegrund unverändert. 990 Vgl. bereits oben Fn. 2548. 991 Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 72; vor § 322 Rn. 37. 992 Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 37; in OLG Hamm NJW-RR 1992, 1279 war das Urteil, welches nicht klarstellte, auf welchen von beiden Sachverhalten der beschiedene Anspruch gestützt wird, nicht der Rechtskraft fähig. Denn in diesem Judikat stand nicht nur eine Sachverhaltshäufung, sondern eine Häufung prozessualer Ansprüche im Vordergrund, weil der Kläger seinen Zahlungsanspruch einmal mit einem selbst geschlossenen Kaufvertrag, zum anderen mit einer abgetretenen Forderung aus Werklieferungsvertrag begründet hatte. Die Interessendivergenz ist offensichtlich. 993 Anders Musielak/Musielak, ZPO, Einl. Rn. 74. 994 Ob der Lebenssachverhalt als Ausgangsbasis materieller Ansprüche über seine Individualisierungsfunktion beim Streitgegenstand den notwendigen Zusammenhang zwischen materiellem Recht und Prozessrecht in ausreichender Weise wahrt, so im Ergebnis Schwab, JuS 1965, S. 85 f., erscheint allerdings fraglich. Das hier vorgeschlagene Merkmal der Erfüllungskonnexität ist hierzu geeigneter. 988
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Zwischen der Rolle des Lebenssachverhalts als lediglich das Interesse individualisierendes Merkmal und als selbständiges Kriterium der Streitgegenstandsbegrenzung besteht aber ein erheblicher Unterschied. So lässt sich nicht bestreiten, dass die Tatsachenangabe zur Individualisierung des Streitobjekts häufig unabdingbar ist.995 Dies hat auch Schwab niemals getan.996 Wenn Schwab aber von unterschiedlichen Anträgen spricht, weil der Lebensvorgang zu einer solchen Annahme zwinge, so ist damit etwas grundsätzlich anderes gemeint, als die zweigliedrige Lehre annimmt. Schwab will damit nur zum Ausdruck bringen, dass zwei verschiedene Leistungen begehrt werden.997 Dieses Leistungsanrecht wäre sicherlich auch mit dem Begriff des Interesses zu umschreiben gewesen. Denn stimmen die Anträge formell überein, dann lassen sich unterschiedliche Streitgegenstände aus der Warte Schwabs nur schwer damit erklären, dass in Wahrheit verschiedene Anträge vorliegen. Dennoch ist die Lehre Schwabs in jedem Fall der zweigliedrigen Begriffsbildung vorzuziehen, die verdeckt, um was im Prozess eigentlich gestritten wird: um materiellrechtliche Positionen. Der Sachverhalt hat lediglich Hilfsfunktion bei der Bestimmung des klägerischen Interesses, ohne dass ihm gleichwertige Bedeutung zukäme. Auszugehen ist damit von einem Globalsachverhalt, der sämtliche dasselbe Interesse stützenden Tatsachen enthält.
IV. Erfüllungskonnexität und materiellrechtliche Vorprüfung 1. Koordination unterschiedlicher Rechtsfolgen Die über die Identität des Interesses und des Verfahrensgegenstandes entscheidende Erfüllungskonnexität998 bestimmt sich notwendigerweise anhand materiellrechtlicher Kriterien: Gedankliche Ausgangsbasis für den Richter ist der Grundsatz, dass einem Subjekt ein bestimmtes Gut nicht mehrfach zugesprochen werden kann.999 Es lässt sich jedoch kaum behaupten, dass dieses materiell-rechtliche Vorverständnis derart elementar ist, dass es einer besonderen 995
Inkonsequenz kann K.H. Schwab deswegen nicht vorgeworfen werden. Ausführlich Hesselberger, Streitgegenstand, 193: „Schwab bedient sich damit in Wirklichkeit zur Auslegung des Antrags eines materiellrechtlichen Gesichtspunktes: Stellt sich das klägerische Begehren nach materiellem Recht als nur einmal zu fordernde einheitliche Leistung dar, so liegt auch nur ein Antrag vor. Ob eine einzige einheitliche Leistung nach materiellem Recht in Frage kommt, muß sich nach den vorgetragenen Tatsachen beantworten.“ 997 So die Deutung durch Hesselberger, Streitgegenstand, S. 193; auch M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, S. 111. 998 Zu diesem Begriff bereits Jahr, in: FS Lüke, S. 298 f. 999 Zu den Parallelen zu Anspruchskonkurrenz und Anspruchshäufung deutlich: Bub, Streitgegenstand, S. 146 Fn. 34 f. 996
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Rechtsprüfung nicht bedürfe.1000 Die Verifizierungsanforderungen dürfen andererseits nicht zu hoch angesetzt werden, um materiellrechtliche Zusammenhänge nicht künstlich prozessual zu beschneiden. Insgesamt gilt es, die Einfachheit und Klarheit des Prozessrechts nicht mit materiellen Schwierigkeiten zu überlagern. Der notwendige Erfüllungszusammenhang ist dabei nicht im streng technischen Sinne (§ 362, § 364 I, II BGB) zu verstehen1001 und bleibt deswegen nicht auf identische Rechtsfolgen begrenzt. So entfällt gemäß § 281 IV BGB bereits mit dem Verlangen von Schadensersatz statt der Leistung der Primäranspruch1002, was durch die Vorstellung einer einheitlichen Obligation bestätigt wird. Wechselseitige Tilgungswirkungen kennzeichnen gerade auch die elektive Konkurrenz, wie etwa im Verhältnis der in § 437 BGB genannten Käuferrechte.1003 Dieser Zusammenhang findet für Nacherfüllungsanspruch und Rücktritt/Minderung auch in § 218 BGB Ausdruck. Die frühere aktionenrechtlich geprägte Scheidung des Anspruchs auf Wandlung vom Anspruch auf Minderung ist dagegen obsolet.1004 Das vom Kläger geltend gemachte Interesse erfasst alle diese rechtlichen Einzelaspekte.1005 Erfüllungskonnexität besteht weiter im Verhältnis von § 249 I zu II BGB (facultas alternativa) bzw. zu § 251 BGB. Mit der Entscheidung für Naturalrestitution endet das dem Gläubiger in den bestimmten Fällen verliehene Recht, Geldersatz zu wählen. Die unterschiedlichen Anspruchsinhalte dienen der Befriedigung desselben Interesses und sind sämtlich Gegenstand einer cessio legis.1006 1000 So aber Bub, Streitgegenstand, S. 145; hiergegen zu Recht Rimmels pacher, ZZP 116 (2003), 382: Ob „ein Kläger mehrere unterschiedliche Werte beanspruchen kann oder ihm nur ein Wert zusteht, kann allemal nur das materielle Recht entscheiden. Daß diese Entscheidung keine besondere Rechtsprüfung voraussetzt und meist ohne weiteres einsichtig sei, ist eine allzu optimistische Auffassung, die in zweifelhaften Fällen nicht weiterführt“. Im internationalen Kontext könnte sich darüber hinaus die Frage ergeben, ob die Änderung einer kollisionsrechtlichen Beurteilung eines Rechtsstreits zu einer Änderung des Streitgegenstands führt, ablehnend mit Recht Lakkis, Gestaltungsakte, S. 331. Entscheidend wäre m.E. allein, ob durch die Änderung des Sachrechts auch das Interesse des Klägers eine Veränderung erfährt. 1001 Vgl. bereits oben § 22 II. 1002 Vgl. auch Bub, Streitgegenstand, S. 146. Im Falle des fortgesetzten Erfüllungsverlangens nach Fristablauf entfällt der Sekundäranspruch freilich nicht, so dass es auch keiner erneuten Fristsetzung bedarf, hierzu Althammer, ZGS 2005, 375 f. Beide Ansprüche sind jedoch auch über § 362 BGB in einem wechselseitigen Sinne verbunden. 1003 Allerdings entstehen keine Schwierigkeiten, soweit die Anträge sich ohnehin decken. 1004 RG JW 1907, 709: Die beiden Ansprüche sind „so voneinander unabhängig, dass die Abweisung des einen die Erhebung des anderen nicht auszuschließen vermag.“ Ebenso RG JW 1911, 592; RG JW 1920, 647; BGH NJW 1990, 2682 ff.; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 361; Henckel, Prozeßrecht, S. 210 f.: unterschiedliche wirtschaftliche Werte; zu Recht kritisch Bub, Streitgegenstand, S. 40; vgl. auch Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 529 ff. 1005 Bub, Streitgegenstand, S. 351. 1006 BGHZ 5, 105, 109. Damit wären auch die Voraussetzungen für Henckels Kriterium „des einheitlichen Verfügungsgegenstands“ erfüllt; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher An-
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Der Unterschied liegt allein auf der Rechtsfolgenebene, während der materielle Anspruch per se derselbe bleibt.1007 Das Interesse eines Verkäufers, der seinen Kaufpreisanspruch nicht realisieren kann, ist zumindest darauf gerichtet, für die gelieferte Ware den objektiven Gegenwert zu erhalten.1008 Seine Identität erfährt somit keine Veränderung, wenn der Verkäufer nach Rücktritt vom Kaufvertrag Rückgabe der Ware bzw. Wertersatz (§ 346 II Nr. 3 BGB) oder bei Nichtigkeit des Vertrags Ausgleich nach § 818 II BGB fordert.1009 Im „Weinfall“1010 bedeutet die Aufrechterhaltung des Zahlungsbegehrens mit der Begründung, der Käufer habe diesen inzwischen getrunken, keinen Wechsel im Interesse (§ 818 II BGB).1011 Keine Rolle spielen auf der Ebene des Verfahrensgegenstandes weiter betragsmäßige Unterschiede bei der konkreten Ausprägung des Interesses, etwa der Umstand, dass der Kaufpreis auch einen entsprechenden Gewinn enthalten hätte. Die als Orientierung gedachte Wertposition bleibt identisch.1012
2. Kraft Erfüllungskonnexität verbundene Klagegründe Zu einer Veränderung des Streitgegenstands führt es nicht, wenn lediglich Tatsachen innerhalb des bereits vorgetragenen Sachverhalts ergänzt werden (§ 264 Nr. 1 ZPO). Da der Kläger aber nicht gezwungen ist, im Rahmen der Klageschrift den Sachverhalt vollständig vorzutragen, stellt sich nach h.L. zwangsläufig die Frage, welche der später in das Verfahren eingeführten Tatsachen den Streitgegenstand verändern bzw. nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss eine neue Entscheidung ermöglichen.1013 Die Unterscheidung zwischen sachverhaltsergänzenden und sachverhaltsbegründenden Tatsachen führt in der Praxis zu Abgrenzungsschwierigkeiten, die es zu vermeiden gilt. Gefordert ist spruch, S. 100 f., 268 f., 305 f., hält an der Identität der Rechtsposition zwar fest, differenziert aber weiter für Rechtskraft und Prozessurteile. 1007 So im Ergebnis Schwab, JuS 1965, S. 85 f.; Schlosser, ZPR, Rn. 150. 1008 Bub, Streitgegenstand, S. 139. 1009 Vertraglicher Anspruch und bereicherungsrechtlicher Anspruch schließen sich gegenseitig aus. Im Falle des Rückgewährverlangens nach Rücktritt werden von der h.M. zumindest die Voraussetzungen für § 264 Nr. 3 ZPO bejaht, Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 20 f.; a.A.: Rimmels pacher, Streitgegenstand, S. 361 f., der hier nur § 263 ZPO zur Anwendung bringen will, weil die Rechtspositionen verschieden seien. 1010 Oben § 10 IV 1b. 1011 Ebenso Bub, Streitgegenstand, S. 139. 1012 Für die elektive Konkurrenz der Käuferrechte hat Bub, Streitgegenstand, S. 221 f., treffend formuliert, dass bei einer Ausrichtung am geltend gemachten Interesse der Streitgegenstand der Kaufpreisklage auch Anspruchsgrundlagen auf Rückgabe der Kaufsache oder Geldersatz beinhalten müsste. Freilich stehen seiner Ansicht nach im Ergebnis prozessuale Hindernisse einer solch umfassenden Erledigung entgegen. 1013 Jauernig/Hess, ZPR, § 37 II 4 Rn. 17. Symptomatisch für das Abgrenzungsproblem: BGH NJW-RR 1996, 827; KG NJW-RR 1999, 789 f.
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eine für den Richter handhabbare Grenzziehung, die eine rasche Klärung der mit dem Phänomen Streitgegenstand verbundenen Identitätsfrage gewährleistet. Das Kriterium der Erfüllungskonnexität erweist sich hier der Einheit des Lebenssachverhalts überlegen.1014 Damit kommt auch besser zum Ausdruck, dass die Parteien um rechtliche Positionen und nicht um die Einzelheiten des tatsächlichen Geschehens streiten.1015 Hier kann sich auch die Notwendigkeit für eine materiellrechtliche Vorprüfung ergeben. Mögliche Abgrenzungsfragen erscheinen jedoch im Vergleich zum Ermittlungsaufwand der zweigliedrigen Lehre vernachlässigbar, zumal selbst nach einigen Vertretern der herrschenden Doktrin materiellrechtliche Tatbestände (nicht immer zweifelsfrei) zur Konturierung des tatsächlichen Geschehens herangezogen werden. Insoweit trifft sich der hier vertretene Ansatz mit der eingliedrigen Lehre K. H. Schwabs. Hinter ihr steht die jedoch nur selten klar ausgesprochene Überlegung, ob die klageweise verfolgten Ziele nach den Behauptungen des Klägers nebeneinander bestehen können oder nicht.1016 Habscheid hat Schwab allerdings entgegen gehalten, dass der Richter dann im Ergebnis den Sachverhalt darauf überprüfen müsste, „ob der Kläger aus ihm die angestrebte Rechtsfolge mehrmals ableiten kann.“1017 Dann sei etwa bei einer Klage in Höhe von 1000 Euro, die auf Darlehen und Wechsel gestützt werde, zu klären, ob der Wechsel für das Darlehen gegeben worden sei oder nicht. Davon hänge wiederum ab, ob der Kläger die Summe nur einmal oder zweimal verlangen könne. Zusätzliche Schwierigkeiten könnte nach Habscheid die Konstellation bereiten, dass der Kläger bei Klageerhebung die fehlende Konnexität von Darlehensforderung und Wechsel betont, sich aber im Rahmen der Beweisaufnahme eines Besseren belehrt sieht. Anstelle einer Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) wäre dann Anspruchseinheit anzunehmen, da der Betrag von 1000 Euro im Ergebnis nur einmal gefordert werden könne. Habscheid hält diesen Wandel 1014 So könnte der Kläger, der seinen Zahlungsanspruch auf ein zum 1.1.2005 gewährtes Darlehen stützt, sein Verlangen mit einem zum 1.7.2005 geschlossenen Darlehensvertrag erneuern, sofern nicht nur eine Datumsänderung in Rede steht. Der Sachverhalt wird m.E. gerade durch den jeweiligen Interessengegensatz konkretisiert, vgl. Hruschka, Konstitution des Rechtsfalles, S. 37. Anders Wernecke, Einheitlichkeit, S. 74 ff., die zusätzlich auf das rechtlich geprägte Tatsachenmaterial abstellt. 1015 Unrichtig ist deswegen die Behauptung, das tatsächliche Geschehen stehe im Zentrum des Prozesses. 1016 Vgl. zu Schwab deutlich M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, S. 111. Schwab, Streitgegenstand, S. 89 f., spricht lediglich von der Einheitlichkeit des Begehrens bzw. des Antrags, weil sich ein Rekurs auf die materielle Berechtigung bzw. das Interesse mit seinem spezifisch prozessualen Ansatz nicht vereinbaren lässt. Bereits dies stellt einen Schwachpunkt dar. Bub, Streitgegenstand, S. 160, weist insoweit mit Recht darauf hin, dass in „der eingliedrigen Streitgegenstandslehre Schwabs … der ‚Antrag‘, der allein den Streitgegenstand kennzeichnen soll, nichts anderes sei als das mit einem bestimmten Antragsinhalt gekennzeichnete Interesse.“ 1017 Habscheid, Streitgegenstand, S. 205 ff.; ders. ZVglRWiss 75 (1976), S. 208 f.
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mit einem geordneten Prozessablauf für unvereinbar, da bereits bei Klageerhebung die Anspruchshäufung oder Anspruchseinheit feststehen müsse. Habscheids Zweifel beruhen indes auf einem unrichtigen Gedankengang. Legen die Ausführungen des Klägers zunächst eine Häufung prozessualer Ansprüche nahe, dann führt die spätere Erkenntnis, dass die Summe nur einmal beansprucht werden kann, nicht zum nachträglichen Wegfall der Klagenhäufung. Vielmehr ist die Konsequenz, dass die Klage teilweise als unbegründet abzuweisen ist.1018 Über die Einheit oder Mehrheit der Streitgegenstände entscheidet die dem Klageantrag zu entnehmende Behauptung des Klägers, einen Betrag einmal oder mehrmals zu beanspruchen1019, also die behauptete oder nicht behauptete Erfüllungskonnexität.1020 Unerheblich, weil eine Frage der Begründetheit, bleibt somit, ob das materielle Recht dem Kläger tatsächlich alle diese Leistungsanrechte gewährt.1021 Die Feststellung der Identität des Klägerinteresses erfordert keine volle Begründetheits- noch Schlüssigkeitsprüfung. Entscheidend ist nur, dass der Vortrag des Klägers einen nach materiellem Recht denkbaren Erfüllungszusammenhang erkennen lässt.1022 Übertragen auf die Gestaltungsklage hieße dies, dass der richterliche Gestaltungsakt hypothetisch sämtliche Anträge erledigen müsste. Eine Häufung von Klagegründen führt somit zu keiner Mehrheit prozessualer Ansprüche, sofern das Interesse gewahrt bleibt.
1018 Habscheid, Streitgegenstand, S. 251 f., könnte hier m.E. keine alternative Klagehäufung annehmen, sondern lediglich eine objektive, die sich dann nachträglich teilweise als unbegründet herausstellt. 1019 Für § 261 III Nr. 1 ZPO ist die Identität des Interesses maßgebend. § 255 ZPO würde bei dieser Sichtweise „Antragshäufungen“ aus demselben Interesse betreffen und keinen Fall der „Anspruchshäufung“, wie die h.L. glaubt. 1020 Ähnlich Rimmels pacher, JuS 2004, 561 f., der von dem Anrecht des Klägers auf einen bestimmten Wert spricht. Das Anrecht stelle eine konkrete Rechtsposition als Erwerbsanwartschaft dar, „verbunden mit der Befugnis, den empfangenen Wert zu behalten, zu gebrauchen und zu verwerten.“ 1021 Nach Habscheid, ZVglRWiss 75 (1976), 209 f., könne es nicht darauf ankommen, ob der Kläger die Leistung einmal oder mehrmals fordern darf, sondern ob er sie einmal oder mehrmals fordert. Ansonsten würde zur Bestimmung des Streitgegenstands die Begründetheit der Klage geprüft. Jedoch habe nach überwiegender Auffassung auch eine unschlüssige Klage einen Streitgegenstand. Die sprachlichen Überspitzungen Habscheids können die Richtigkeit des Kriteriums der Erfüllungskonnexität jedoch nicht verdecken. 1022 Ähnlich Rimmels pacher, JuS 2004, 561 f.: „Ob jemand eine Leistung oder mehrere Leistungen fordern kann, ist anhand der Kontrollfrage zu entscheiden: Stehen ihm gemäß dem Parteiwillen oder auf Grund gesetzlicher Wertung nach Erhalt der einen Leistung weitere Leistungen zu?“
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V. Einzelfälle Die nachstehenden, teilweise von der Judikatur entschiedenen, Konstellationen beweisen, dass der Klagegrund mit Recht als neuralgischer Punkt jeder Streitgegenstandslehre bezeichnet werden kann.1023 Sie zeigen aber auch die Berechtigung des Merkmals der Erfüllungskonnexität.
1. Wechselanspruch und Kausalanspruch Im Verhältnis von Wechsel- und Kausalanspruch1024 wird die Annahme verschiedener Verfahrensgegenstände von der h.L. auf die divergierenden Klagegründe gestützt, was im Hinblick auf den weitergehenden Umfang der Verjährungshemmung verwundert.1025 Die sachliche Verbundenheit der beiden Ansprüche zeigt sich darin, „dass auch der Anspruch aus dem Grundgeschäft erlischt, wenn der Gläubiger Befriedigung aus dem Wechsel erlangt.“1026 Die mit dem Wechselakzept einhergehende Anerkennung der Grundverpflichtung im Sinne von § 208 BGB a.F. müsse dazu führen, im Falle von § 209 BGB a.F. (§ 204 I Nr. 1 BGB) genauso zu entscheiden.1027 Seit der Geltung von § 213 BGB erscheint die Erstreckung der Hemmungswirkung ohnehin zwingend. Bereits Adler hat im Jahre 1909 deutlich gemacht, dass beide Ansprüche auf dasselbe Ziel gerichtet sind.1028 Da aber eine Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung nur insoweit eintrete, als der Anspruch der richterlichen Entscheidung unterstellt sei, könnte durch die Wechselklage die Verjährung des
1023
Musielak, NJW 2000, 3594; für die Klageänderung MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn. 12. 1024 Überblick bei Schaaff, NJW 1986, 1030; Enzinger, JBl. 2006, 705; OLG Karlsruhe NJW 1960, 1955: „Dies ist dann nicht der Fall, wenn in einem Prozess der Anspruch aus dem Grundgeschäft, im anderen Prozess der Anspruch aus dem Wechsel geltend gemacht wird. Der Wechsel enthält ein selbständig verpflichtendes, vom Bestand des Grundgeschäfts unabhängiges Zahlungsversprechen.“ Gleiches gelte für die Klage aus dem Scheck, da der Scheckaussteller eine neue Verbindlichkeit übernehme (§ 12 ScheckG). 1025 Vgl. bereits oben § 23 II 1a; OLG Köln ZIP 2001, 563; hierzu etwa Haertlein, EWiR 2001, 563; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 262, Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO, § 262 Rn. 3; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 262 Rn. 10 (aus der Warte der eingliedrigen Streitgegenstandslehre); Schaaff, NJW 1986, 1030, die – zu Unrecht – eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der Maßgeblichkeit des Streitgegenstands annimmt. 1026 Schaaff, NJW 1986, 1030. 1027 Schaaff, NJW 1986, 1030: Wenn dem Gläubiger unterschiedliche Optionen der Rechtsverfolgung oblägen (die Erleichterungen des Wechselsprozesses als Ausgleich für den Verzicht auf die sofortige Fälligkeit), dann erscheine es nicht passend, diese bei isolierter Inanspruchnahme wieder auf dem Wege der Verjährung zu beschneiden. Die h.M. teilt diese Ansicht, wenngleich sie eine nähere Begründung schuldig bleibt: Zöller/Greger, ZPO, § 262 Rn. 3. 1028 Adler, ZHR 65 (1909), 155.
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kausalen Anspruchs an sich nicht unterbrochen werden.1029 In Fällen der Anspruchskonkurrenz hält Adler dieses Ergebnis jedoch für wenig sinnvoll. Denn aus welchem Grund der Gläubiger die betreffende Leistung fordere, sei für die Verjährung im Allgemeinen gleichgültig.1030 Lege der Berechtigte nur einen der zweckidentischen Ansprüche zur Entscheidung vor, so genüge dies, um auch die Verjährung hinsichtlich der übrigen zu unterbrechen.1031 Adler empfand dabei nicht als störend, dass sich nach seinem (aktionenrechtlichen) Verständnis der Streitgegenstand auf die einzelne Rechtsnorm beschränkte.1032 Die zwischen beiden Ansprüchen bestehende Erfüllungskonnexität muss in jedem Fall auch zur Annahme identischer Verfahrensgegenstände führen1033, so dass der Kläger Wechsel- und Kausalforderung nicht getrennt in parallelen Verfahren verfolgen kann (§ 261 III Nr. 1 ZPO). Das Prozessrecht muss dem materiellen Recht und seinen Wertungen nach Möglichkeit zur Geltung verhelfen. Eine prozessuale Spaltung des „materiellen Endzwecks“ gilt es zu vermeiden. Da das Interesse an der Befriedigung des Anspruchs identisch bleibt, kann die einzelne rechtliche Begründung (vgl. auch 146 ZPO) nicht die Annahme einer anderen Streitsache rechtfertigen. Die für das Verjährungsrecht in ihrer Bedeutung erkannte Erfüllungskonnexität sollte auch prozessuale Beachtung erfahren.1034 Daran ändert die Tatsache nichts, dass die Wechselhingabe zunächst erfüllungshalber erfolgt, die Grundforderung also nicht erlischt1035
1029
Adler, ZHR 65 (1909), 174. Der Rechtsgrund für die Leistung ist nur soweit von Bedeutung, als die Länge der Verjährungsfrist bestimmt wird. Auch für § 213 BGB würde deswegen der Anspruchsgrund bei wörtlicher Interpretation der Vorschrift wenig hilfreich sein. 1031 Adler, ZHR 65 (1909), 186 f.: „Dazu kommt aber noch die weitere Erwägung, dass die Gewährung mehrer Ansprüche zur Verfolgung eines Zieles ein höchst bedenkliches Geschenk des Gesetzgebers wäre, wenn durch die Geltendmachung des einen Weges nicht gleichzeitig der Verlust der übrigen Wege verhütet würde.“ Ansonsten führte die h.M. in prozessualer Hinsicht zu einer indirekten Wiedereinführung der Eventualmaxime. 1032 Adler, ZHR 65 (1909), 186 f., 207: Denn aus § 268 ZPO a.F. [§ 264 ZPO] sei zumindest zu entnehmen, „dass die Änderung des Klagegrundes stets eine Änderung der Klage darstellt.“ 1033 Insoweit besteht Übereinstimmung mit der eingliedrigen Lehre: Schwab, Streitgegenstand, S. 47 ff.; Hesselberger, Streitgegenstand, S. 290 f., bzw. den Vertretern der relativen Streitgegenstandslehre: Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor §§ 253 ff. Rn. 52 ff. 1034 Vgl. die Bewertung als „lediglich erfüllungsgemäß verbundene Ansprüche“ bei Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 70. 1035 Reischl folgert aus der Tatsache, dass bei einer erfüllungshalber (§ 364 II BGB) erfolgten Wechselausstellung die Grundforderung nicht erlischt, gerade die fehlende Gleichwertigkeit der Lebenssachverhalte. Rüßmann, ZZP 111 (1998), 418, hebt hingegen mit Recht zur Begründung der Streitgegenstandsidentität auf das gemeinsame Erfüllungsobjekt ab; für Streitgegenstandsidentität Beys, Die Dialektik des prozessualen Rechts, Bd. III, S. 70 f.: für Streitgegenstandsdivergenz hingegen Walker, ZZP 111 (1998), 443 f.: Die Wirksamkeit des Grundgeschäfts sei für den Wechselanspruch im Hinblick auf § 813 BGB lediglich von präjudizieller Bedeutung. 1030
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und der Gläubiger über beide Ansprüche verfügt.1036 Der Wechsel übernimmt gerade die Aufgabe eines Erfüllungssurrogats (§ 364 II BGB). Die Erfüllung des Wechselanspruches führt zur Erfüllung der Kaufpreisforderung. Wegen §§ 812 II, 821 BGB kann die Erfüllung der Grundforderung aber auch dem abstrakten Wechsel entgegengesetzt werden. Der Gläubiger darf den Geldbetrag vom Schuldner nur einmal fordern.1037 Die für die Streitgegenstandsidentität maßgebliche Übereinstimmung im Interesse setzt keine vollständige Gleichwertigkeit der Befriedigungswirkungen voraus.1038 An der Annahme verschiedener prozessualer Ansprüche1039 erscheint überdies bedenklich, dass der Schuldner die aus dem Grundgeschäft herrührenden Einwendungen gegen die Wechselforderung auch im Wechselprozess vorbringen kann, im Nachverfahren sogar ohne die Beschränkung des § 592 ZPO. Die Vorläufigkeit der Wechselforderung verdient aber im Rahmen des Urteilsgegenstandes besondere Beachtung.1040
2. Primär- und Sekundäranspruch § 264 Nr. 3 ZPO gestattet seinem Wortlaut nach zwanglos den Übergang vom Erfüllungs- zum Schadensersatzbegehren.1041 Hingegen soll umgekehrt der Wechsel vom Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (statt der Leis-
1036 A.A.: Nikisch, AcP 154 (1955), 283; Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 232 f., der darauf abhebt, dass das Gesetz selbst mit § 364 II BGB die fehlende Gleichwertigkeit der beiden materiellen Tatbestände vorgebe. 1037 Bub, Streitgegenstand, S. 139 Fn. 9: Unerheblich ist, dass der Kläger für die Schlüssigkeit des abstrakten Geschäfts nichts zum Grundgeschäft vortragen muss. 1038 Vgl. oben § 22 II: Erfüllungskonnexität genügt; insoweit zustimmend: Jahr, in: FS Lüke, S. 11 f. und Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399, 417 f., der diesen Gedanken auch bei der Bemessung der Rechtskraftgrenzen fruchtbar machen will, wodurch die Gefahr widersprechender Entscheidungen umfassend verhindert werde. Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 232 f., genügt diese mittelbare Verbundenheit der Forderungen nicht. Werde der Darlehensgläubiger mit seiner Rückzahlungsklage abgewiesen, weil die Ausbezahlung des Darlehens nicht festgestellt werden konnte, so trägt der Wechselschuldner zwar in einem Zweitprozess die Beweislast dafür, dass er die Darlehensvaluta erhalten habe. Er könne jedoch mit einer negativen Feststellungsklage entsprechend vorbeugen. 1039 RGZ 160, 338 f. (341); BGH NJW 1982, 2823 (Streitgegenstand könne auf den Wechsel beschränkt bleiben); OLG Saarbrücken, WM 1998, 835: Die Rechtshängigkeitssperre der Wechselklage stehe der späteren Klage aus dem Grundgeschäft nicht entgegen. Nikisch, AcP 154 (1955), 283; A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 73; Böhm, in: FS Kralik, S. 115 f.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 215; Henckel, Parteilehre, S. 289; Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 234: Der Kaufvertragsschluss sei für die Schlüssigkeit der Wechselklage ebenso unerheblich wie die Ausstellung des Wechsels für die Schlüssigkeit der Kaufpreisklage. A.A. mit Recht: Hesselberger, Streitgegenstand, S. 290 f., unter Betonung der Leistungsidentität; kritisch insoweit Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 236 f. 1040 Unten § 30 VIII. 1041 OLG München NJW-RR 1998, 207.
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tung) zum Primäranspruch eine Klageänderung bedeuten.1042 Nach Ansicht des OLG München1043 gilt dies selbst, wenn beide Begehren auf Geldzahlung gerichtet sind und die Klageanträge sich demgemäß decken.1044 Begründet wird dies mit der Unterschiedlichkeit des Lebenssachverhaltes, da der entsprechende Vertrag nicht, wie für den Schadensersatzanspruch nach § 326 I 2 BGB a.F. vorausgesetzt, sowohl beendet als auch als Voraussetzung des Erfüllungsanspruches nicht beendet sein könne.1045 Richtigerweise führt die materielle Interessenidentität zur Streitgegenstandsidentität. Die Tatsache, dass Erfüllungsanspruch und Schadensersatzverlangen (vgl. § 281 IV BGB) sich gegenseitig ausschließen, ändert daran nichts, sondern bestätigt die enge Verbundenheit.1046 Über eine vergleichbare Problematik – die prozessuale Identität des Provisionsanspruchs nach § 652 I BGB und des Schadensersatzanspruchs wegen entgangener Provision – hatte der BGH zu befinden.1047 Nachdem die Maklergesellschaft mit ihrem Provisonsanspruch unterlegen war, stützte sie die Berufung darauf, dass die Beklagten sich wegen Verletzung eines Alleinauftrags schadensersatzpflichtig gemacht hätten. Das OLG verwarf die Berufung mangels Beschwer als unzulässig, weil mit der Berufung nur ein neuer, in erster Instanz noch nicht geltend gemachter Anspruch verfolgt werde. Der BGH stimmte dieser Ansicht zu, da die Ansprüche auf Provisionszahlung und auf Schadensersatz wegen entgangener Provision auf unterschiedlichen Tatsachengrundlagen beruhten. Dies gelte jedenfalls, wenn der Schadensersatz wegen eines einfachen Maklerauftrags verlangt werde. Denn zur Begründung des Anspruchs habe der Makler vorzutragen und zu beweisen, dass er in der Lage gewesen wäre, einen Käufer zu finden, mit dem ein provisionspflichtiger Vertrag zustande gekommen wäre. Im Gegensatz zum erweiterten Alleinauftrag, bei 1042 RGZ 57, 105 f. (eventuelle Häufung); 50, 262; RG SeuffA 84 (1930) Nr. 35; OLG München NJW-RR 1998, 207 (Unzulässiger Wechsel in der Berufungsinstanz). 1043 OLG München NJW-RR 1998, 207 f. 1044 Für Streitgegenstandseinheit hier deswegen auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 263 Rn. 10 f. 1045 OLG München NJW-RR 1998, 207 f. Ähnlich unrichtig OLG Hamm MDR 2000, 48. Hier war Gegenstand des Rechtsstreits in erster Instanz ein Erfüllungsanspruch des Klägers aus einem notariellen Kaufvertrag. Die Klage wurde jedoch als unbegründet abgewiesen, da der Anspruch bereits vor Rechtshängigkeit aufgrund erfolgloser Fristsetzung nach § 326 BGB a.F. untergegangen war. Mit der Berufung verlangte der Kläger nunmehr Schadensersatz wegen Nichterfüllung, ohne den Erfüllungsanspruch zumindest teilweise aufrecht zu erhalten. Das OLG Hamm hielt diese Berufung für unzulässig, da mit ihr nicht die sich aus dem erstinstanzlichen Urteil sich ergebende Beschwer beseitigt werden solle, sondern im Wege der Klageänderung ein neuer Anspruch zur Entscheidung gestellt worden sei. Die Voraussetzungen von § 264 Nr. 3 ZPO seien nicht erfüllt, da der Erfüllungsanspruch bereits mit Ablauf der gesetzten Nachfrist vor Rechtshängigkeit untergegangen sei. 1046 Eine andere Sichtweise wäre noch aktionenrechtlichem Gedankengut, vgl. oben § 3, § 5, verbunden. 1047 BGH NJW-RR 1996, 1276 (1277). Kritisch hierzu auch MünchKomm/Roth, BGB, § 652 Rn. 239.
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dem das Kausalitätserfordernis (§ 652 I 1 BGB) abbedungen sei, müsse der Schadensersatzanspruch beim einfachen Alleinauftrag in jedem Fall als aliud interpretiert werden. Im Vergleich zum Erfüllungsanspruch sei nun ein im Wesentlichen anderer Sachvortrag nötig, der auch eine andere Verteidigung des Beklagten im Sinne von § 263 ZPO erfordere. Auch ein Fall von § 264 Nr. 3 ZPO sei aufgrund des unterschiedlichen Klagegrundes nicht anzunehmen. Dehner hat jedoch mit Recht darauf hingewiesen, dass der BGH den Sachverhalt im Vergleich zu seiner übrigen Judikatur recht kleinlich interpretiere. Denn sowohl das Schadensersatzverlangen als auch der Provisionsanspruch wurden im Ergebnis mit dem Vorgang untermauert1048, „dass die Beklagten das Grundstück mit Hilfe eines anderen Maklers veräußert haben.“ Der Fall zeigt mit Deutlichkeit, dass der Sachverhalt kein geeignetes Abgrenzungskriterium für das wertungsmäßig richtige Ergebnis bilden kann. Maßgeblich ist wie in allen vorgenannten Fällen das identische Klägerinteresse: Provisions- und Schadensersatzverlangen wollen jeweils dieselbe Vermögensposition verwirklichen.
3. Schadensersatz und Garantie Ein Beipiel für mögliche Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Erfüllungszusammenhangs bietet ein jüngeres Judikat des BGH. Im entscheidungserheblichen Sachverhalt hatten die Kläger in einem „stock purchase agreement“ Anteile an einer in Florida ansässigen Gesellschaft erworben. In der deutschsprachigen Zusatzvereinbarung hieß es: „Die Rendite von 10,46 % ist als Mindestrendite von … garantiert.“ Die klagenden Käufer nahmen schließlich den managing director der Gesellschaft vor dem (zuständigen) LG Hamburg auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihnen durch den Beitritt zur Gesellschaft entstanden war. Etwas später erhoben sie eine zweite Klage gegen den director auf Zahlung der von ihm garantierten Mindestrendite. Über die Renditeklage entschied schließlich der BGH, wobei er unterschiedliche Streitgegenstände zugrunde legte. Die Rechtshängigkeit der Schadensersatzklage stehe der Renditeklage nicht entgegen1049, obgleich nach deutschem Recht die Realisierung der Rendite beim Umfang des Schadensersatzes mindernd zu berücksichtigen sei.1050 Wenn beide Klagen nicht in vollem Umfang zum Erfolg führen könnten, handele es sich hierbei um eine Begründetheitsfrage. Grundsätzlich sei niemand gehindert, in einem oder mehreren Prozessen Ansprüche einzuklagen, die sich ganz oder teilweise ausschlössen.1051 Das OLG Hamburg1052 entschied 1048 1049 1050 1051 1052
974 f.
Dehner, NJW 1997, 25. BGH NJW 1996, 2569 f. So in der Tat BGH NJW 1981, 1449 f. BGH MDR 1997, 27; NJW 1996, 2569. OLG Hamburg, Urt. v. 11.12.1997 – 8 U 61/95, n.v.; hierzu Klevemann, MDR 1999,
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im Gegensatz zum BGH im Parallelverfahren, dass die Schadensersatzklage hinsichtlich des von den Klägerinnen für erledigt erklärten Teilbetrags bereits aufgrund der Renditeklage im anderen Prozess unzulässig sei. Der Beklagte sei unnötigerweise mit zwei Prozessen überzogen worden. Hierfür fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Die Klägerinnen hätten sich im Wege von Haupt- und Hilfsantrag auf einen Prozess beschränken können. Die Abweisung als unzulässig kann m.E. auf die Rechtshängigkeitssperre gestützt werden, weil die Verfahrensgegenstände zumindest teilweise übereinstimmen. Der Rekurs auf das fehlende Rechtschutzbedürfnis erübrigt sich damit. Nach der Rechtsprechung erfolgt eine Anrechnung der Renditebeträge, die sich unmittelbar schadensmindernd auswirken. Zwar wurde die Garantie allein für den vertraglichen Gewinnanspruch abgegeben. Jedoch kann bei einer Berücksichtung des Ausbleibens der Rendite im Rahmen der Schadensersatzverpflichtung kein nochmaliger Zuspruch über den Aspekt der vertraglichen Garantie erfolgen. Diese zu berücksichtigende Schadensminderungspflicht spricht für die Durchführung eines einzigen Verfahrens.
4. Sachmängelbedingte Rückzahlungsklagen Nach herrschender Doktrin gilt es als gesichert, dass im Rahmen gewährleistungsrechtlicher Rückzahlungsklagen1053 jeder neu vorgetragene Sachmangel den Klagegrund und damit den Streitgegenstand verändert.1054
a) Verjährungsrechtliche Dimension Die Verschiedenheit der Streitgegenstände wirkt sich dabei – wenngleich etwas verdeckt – im Verjährungsrecht aus.1055 Symptomatisch ist die der Entscheidung RGZ 78, 295 zugrunde liegende Konstellation: Dort erhoben die Käufer unter Berufung auf einen bestimmten Sachmangel eines Automobils Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der Kaufsache. Nach Ablauf der Frist von § 477 I BGB a.F. beriefen sie sich in der mündlichen Verhandlung auf einen später entdeckten weiteren Mangel. Das RG sah sich gehindert, dem Wandlungsbegehren im Hinblick auf den zweiten Mangel stattzugeben, 1053 Überblick bei Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 520 ff.; ausführlich zur früheren Rechtslage vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Bub, Streitgegenstand, S. 117 ff. 1054 Wenn Entscheidungen dazu fehlen, ob die Einführung eines neuen Mangels in den Prozess ein bloßes Nachschieben oder eine Klageänderung darstellt, hängt dies mit dem Ausschluss der Anfechtungsmöglichkeit nach § 268 ZPO zusammen. 1055 Auch der verjährungsrechtlich relevante Anspruchsgrund im Sinne von § 213 BGB soll eine Veränderung erfahren, wenn Gewährleistungsrechte auf verschiedene Sachmängel gestützt werden, AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 7; BGH NJW 2000, 2678 f.
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da die Verjährung nur hinsichtlich der in der Klageschrift angeführten Mängel unterbrochen sein könne.1056 Ein Nachschieben eines später entdeckten Mangels sei ausgeschlossen. Die kurze Verjährungsfrist trage dem Umstand Rechnung, dass eine Feststellung von Sachmängeln für den Verkäufer nach längerer Zeit schwerer möglich sei, womit eine Begrenzung der Unterbrechungswirkung auf die vorgetragenen Mängel geboten sei.1057 Die Verjährung werde nach den Motiven des BGB nur insoweit unterbrochen, als der (prozessuale) Anspruch der richterlichen Entscheidung unterstellt sei. § 477 III BGB a.F. treffe insoweit keine abweichende Aussage. Gegen eine Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung spreche im Übrigen der Wortlaut von § 478 BGB a.F., wonach der Käufer zur Erhaltung der Mängeleinrede „den Mangel“ anzeigen müsse.1058 Der BGH hat sich dieser Sichtweise und damit inzident auch der Annahme einer Streitgegenstandsmehrheit1059 angeschlossen.1060 Von anderer Seite wird im Hinblick auf den Zweck der kurzen kaufrechtlichen Gewährleistungsfrist, dem Verkäufer Rechtssicherheit zuteil werden zu lassen, gerade umgekehrt argumentiert.1061 Werde hinsichtlich eines bestimmten Mangels Klage erhoben, stehe aus Sicht des Verkäufers die Mangelhaftigkeit der Sache an sich in Streit. Die Judikatur verkenne, dass die Verjährung wie die Unterbrechung den Anspruch als Ganzes betreffe und nicht den Anspruch hinsichtlich eines bestimmten Mangels.1062 Die Tatsache, dass die Ausnahmevorschrift § 477 III BGB a.F. keine Äußerung darüber enthalte, „ob die Verjährungsunterbrechung auch wegen anderer Mängel eintreten solle“, könne, anders 1056
RGZ 78, 295. RGZ 78, 296 f.; Henckel, JZ 1962, 337. 1058 RGZ 78, 295. Neben § 478 BGB a.F. wurde auch § 475 BGB a.F. („Durch die wegen eines Mangels erfolgte Minderung wird das Recht des Käufers, wegen eines anderen Mangels Wandelung oder von neuem Minderung zu verlangen, nicht ausgeschlossen“) im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung gestrichen. Es handle sich um eine Selbstverständlichkeit, die keiner Regelung bedürfe. 1059 Deutlich: Bub, Streitgegenstand, S. 119, wonach die Argumentation des BGH zu § 477 I BGB a.F. verdecke, dass es sich in der Sache um ein verdecktes Streitgegenstandsproblem handle. 1060 BGH LM Nr. 1 zu § 477 BGB a.F.; BGH NJW 1994, 1004 f.; BGH NJW 1997, 1848 f. 1061 MünchKomm/Westermann, BGB a.F., § 477 Rn. 16; Staudinger/Honsell, BGB a.F., § 477 Rn. 52. Dieser Zweck hat sich auch im Hinlick auf die durch § 438 BGB verlängerten Verjährungsfristen nicht verändert. Ein Nachschieben von Mängeln im Prozess ist dann von Interesse, wenn der Käufer den ersten Mangel relativ spät entdeckt hat. Dass die Begründung des RG nicht trägt, zeigt auch die Begründung des Regierungsentwurfes zur Schuldrechtsmodernisierung (BT-Drs. 14/6040, S. 228): Hiernach wird der Grund der Verlängerung der Verjährungsfrist gerade darin gesehen, dass in vielen Fällen sich der Mangel erst nach einem halben Jahr zeige, so etwa bei saisonellen Artikeln, die erst in der darauf folgenden Jahreszeit verwendet werden bzw. bei Gegenständen, bei denen sich naturgemäß erst bei längerer Benutzung Mängel zeigen könnten. 1062 Staudinger/Honsell, BGB a.F., § 477 Rn. 52. Dies erscheint zumindest für Rückzahlungsklagen zutreffend. 1057
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als das RG glaubte, auch bedeuten, dass der Gesetzgeber eine Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung für selbstverständlich hielt.1063 Problematisch hieran wäre dann, dass der Käufer bzw. Besteller mit der Geltendmachung eines Mangels die Verjährung für sämtliche in Zukunft auftretenden Fehler der Kaufsache hemmen könnte, aus Sicht des Verkäufers eine schwerwiegende und mit § 477 I BGB a.F. bzw. § 438 BGB unvereinbare Lösung, wenngleich § 204 II 1 BGB den Hemmungsumfang zeitlich begrenzt. Rechtssicherheit wäre dann nur über einen erweiterten Rechtskraftumfang zu erreichen: Eine einmal abgewiesene Minderungsklage des Käufers könnte nicht mehr auf andere Sachmängel gestützt werden, ein Ergebnis, das ebenso wenig zu überzeugen vermag.
b) Streitgegenstand und Verfahrenskonzentration Fraglich erscheint darüber hinaus, ob es dem Käufer oder Besteller eines Werks gestattet sein kann, bei einer Mehrheit von Sachmängeln nebeneinander oder nacheinander verschiedene Verfahren einzuleiten.1064 Nach der von der h.A. angenommen Streitgegenstandsverschiedenheit ist dies denkbar.1065 Bei Klagen, die auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises gerichtet sind, birgt die Durchführung getrennter Verfahren aber zweifellos die Gefahr zweimaliger Titulierung, obgleich dem Käufer die zugrunde liegende Forderung materiellrechtlich nur einmal gebührt.1066 Bei der kumulativen Begründung der Kaufpreisrückzahlungsklage (etwa aus §§ 437 Nr. 2, 323, 346 I, II BGB) mit mehreren Sachmängeln wird eine Doppelverurteilung immerhin mit der kritikwürdigen Konstruktion einer „alternativen Klagenhäufung“ verhindert.1067 Trotz der Annahme verschiedener Streitgegenstände wird zum Teil die auf den Vortrag verschiedener Sachmängel gestützte Prozessführung auch nicht als Klagenhäufung gewertet.1068 Denn § 146 ZPO zeige, dass ein prozessualer Anspruch auf 1063
Staudinger/Honsell, BGB a.F., § 477 Rn. 52. Denkbar ist dies im Hinblick auf das Wahlrecht (§ 35 ZPO) zwischen §§ 12, 13 ZPO und § 29 ZPO. 1065 Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 545. 1066 Bub, Streitgegenstand, S. 121. 1067 So allgemein bei einer Häufung von Klagegründen: Habscheid, Streitgegenstand, S. 151 f., 255 f.; Saenger, MDR 1994, 863; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 260 Rn. 3. Hiergegen spricht die fehlende Vergleichbarkeit mit Fällen, in denen die alternative Klagenhäufung ausdrücklich anerkannt ist, zu Recht kritisch Bub, Streitgegenstand, S. 203 f. 1068 Bub, Streitgegenstand, S. 200 ff., 205 f.: „Es ist aber nicht so, dass in getrennten Verfahren als verschieden zu beurteilende prozessuale Ansprüche, wenn sie in einem Verfahren zusammengefasst werden, notwendig mehrere prozessuale Ansprüche bilden“; allgemein für eine Sonderbehandlung der Klagenhäufung aus Sicht der zweigliedrigen Lehre: Nikisch, Streitgegenstand, S. 83, 89 (auch für die Gestaltungsklage); Kion, Eventualverhältnisse, S. 152 ff. Hiergegen spricht aber, dass die Häufung von Prozessen dann zur Disposition des Klägers gestellt wäre, Lakkis, Gestaltungsakte, S. 182. 1064
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mehrere Klagegründe im Sinne selbständiger Angriffsmittel gestützt werden könnte.1069 Die Begründung desselben Begehrens mit verschiedenen Sachmängeln soll dann bei Klageabweisung keine Erneuerung mit einem bereits vorgetragenen Mangel erlauben.1070 Bereits an der Einheit des Lebenssachverhalts lässt sich m.E. bei einer lediglich an verschiedenen Stellen schadhaften Kaufsache kaum zweifeln.1071 Dies gilt insbesondere, wenn zusätzlich das Kriterium der Zeit bzw. die Verkehrsauffassung zu Rate gezogen wird. Nach der prozessual eingliedrigen bzw. relativen Streitgegenstandslehre könnte der Käufer ohnehin einen neu entdeckten Sachmangel in den laufenden Prozess einführen, soweit das prozessuale Begehren hierdurch keine Veränderung erfährt.1072 Einem selbständigen Parallelverfahren stünde folgerichtig der Rechtshängigkeitseinwand entgegen (§ 261 III Nr. 1 ZPO) und nicht nur, wie z.T. vertreten1073, das fehlende Rechtsschutzbedürfnis. Hiernach wäre es bei einer auf Rückabwicklung gerichteten Klage unerheblich, welche und wieviele Sachmängel der Käufer zur Begründung vorträgt. Für die Konzentration aller mit der Mangelhaftigkeit der Kaufsache zusammenhängenden Fragen lassen sich die Beratungen zum zweiten Entwurf des BGB zu Rate ziehen.1074 Fraglich erschien laut den Protocollen, ob das Nachschieben eines bisher nicht vorgetragenen Sachmangels im Prozess eine Klageänderung mit sich brächte. Nach dem Vorbild einer Bestimmung in Bährs Gegenentwurf 1069 Die ZPO gehe nicht von einem einheitlichen Streitgegenstand dergestalt aus, dass die Begriffe „erhobener Anspruch“, § 322 I ZPO, und „mehrere Ansprüche“, §§ 5, 145 I ZPO, gleich zu behandeln wären, vgl. auch Bub, aaO. 1070 Bub, Streitgegenstand, S. 152. Das Urteil sei lediglich fehlerhaft, wenn einer dieser selbständigen Tatbestandskomplexe in den Entscheidungsgründen nicht geprüft worden sei, ebenso Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 341. Die Einführung weiterer Mängel in den Prozess dürfte nach h.A. aber zumindest als sachdienliche Klageänderung in Form der nachträglichen Klagehäufung gewertet werden. Für Klageänderung OLG Rostock SeuffA 69 (1914), Nr. 183. Weitergehend wohl MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 264 Rn. 13, der zumindest für das Nachschieben einer Kündigung § 264 Nr. 2 ZPO für anwendbar hält. 1071 Anschaulich Bub, Streitgegenstand, S. 124: „Der Käufer hat nur einen Kaufvertrag geschlossen; ihm ist die Kaufsache nur einmal übergeben worden … Andererseits liegt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Verjährungsunterbrechung die Annahme zugrunde, dass sich der Streitgegenstand auf die vorgetragenen Sachmängel beschränkt. Das allgemein für die Bestimmung des Streitgegenstands verwendete Kriterium ‚Lebenssachverhalt‘ deckt also bei unbefangener Subsumtion nicht das im konkreten Fall für richtig gehaltene Ergebnis.“ 1072 Dies gilt zweifellos bei einer Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises (§§ 437 Nr. 2, 323 I, 346 I BGB). Fraglich wird dies aber bei einer Ausgleichsforderung (500 Euro), wenn die Minderung zunächst auf Mangel A gestützt wird, später aber mit Mangel B begründet wird. Hier ist in der Sprache Schwabs der Antrag nur „scheinbar“ ein einheitlicher geblieben. Richtigerweise stehen unterschiedliche Interessen auf dem Spiel, weil beide Mängel unterschiedliche Vermögenspositionen bedeuten, die nebeneinander ersetzt werden müssen. 1073 So aber Bub, Streitgegenstand, S. 187. 1074 Vgl. die Protocolle zum BGB, Mugdan, Materialien II, S. 674 f.
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zum BGB1075 war zu § 393 E I, welcher § 475 BGB a.F. entspricht, beantragt worden, eine Vorschrift mit dem Inhalt aufzunehmen, wonach es nicht als Klageänderung anzusehen sei, wenn der Käufer wegen eines weiteren, später entdeckten Mangels von der Minderungs- zur Wandelungsklage übergehe.1076 Die Möglichkeit einer gegen den Willen des Beklagten zulässigen, weil sachdienlichen Klageänderung kannte die CPO noch nicht1077. Der Antrag wurde im Ergebnis abgelehnt. Diskutiert wurde dabei, ob diese Regelung nicht ohnehin entbehrlich sei, weil § 240 CPO (§ 264 Nr. 3 ZPO) eingreife, „wenn man davon ausgehe, dass als Klagegrund nicht der geltend gemachte spezielle Mangel, sondern die behauptete Mangelhaftigkeit der Sache anzusehen sei.“ Zum Teil hielt man aus Klarstellungsgründen eine besondere Bestimmung im BGB für erforderlich, andererseits glaubte man, § 240 CPO bereits ohne diese Klarstellung anwenden zu können, weil der Käufer dann die Wandlung wegen des alten und des neuen Mangels verlange, was man offenbar nicht als eine Änderung des Klagegrundes ansehen könnte.1078 Andererseits findet sich auch mit umgekehrter Stoßrichtung die Aussage, jeder Mangel bilde einen selbständigen Klagegrund.1079 Zweifellos verfügte der Gesetzgeber (des BGB) über das Bewusstsein, eine Vermehrung von Prozessen möglichst zu vermeiden. Die Ratlosigkeit ob des Bedarfs, eine klarstellende Vorschrift im BGB anzusiedeln oder auf die vorhandenen Vorschriften der CPO rekurrieren zu können, verdeutlicht, dass diese Fragestellung nur in der Zusammenschau von materiellem Recht und Prozessrecht bewältigt werden kann.
c) Eigenes Verständnis Richtigerweise gilt es wie folgt zu unterscheiden: Soweit ein einheitliches Rückzahlungsverlangen des Käufers (§§ 346 I, 437 Nr. 2 BGB) auf unterschiedliche Sachmängel gestützt wird, erfährt das geltend gemachte Gesamtinteresse und damit zumindest der Verfahrensgegenstand keine Veränderung.1080 Dies entspricht funktional der eingliedrigen Lehre. Nur die Βegründung auf tatsächlicher Ebene wird ersetzt. Bei einer Häufung von Klagegründen bleibt das wirtschaftliche Ziel der Klage identisch, so dass im Übrigen eine Wertaddition nach 1075
Bähr, Otto, Gegenentwurf, § 376, 1. Fall, S. 80. Vgl. zu den Protocollen Mugdan, Materialien II, S. 676. 1077 Diese Option wurde erst im Rahmen der Novelle von 1924 eingefügt. Erleichterungen galten aber bereits seit der Novelle 1898: Das Gericht konnte die Klageänderung gegen den Willen des Beklagten zulassen, wenn nach seinem Ermessen dadurch die Verteidigung des Beklagten nicht wesentlich erschwert wurde, näher Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 263 Rn. 1 ff. 1078 Mugdan, Materialien II, S. 677. 1079 Mugdan, Materialien II, S. 677. 1080 Anders Bub, Streitgegenstand, S. 268 f., der zwar betont, dass bei der Rückzahlung des Kaufpreises trotz verschiedener Sachmängel das Interesse identisch bleibe. Jedoch werde der Streitgegenstand auf den jeweils vorgetragenen Sachmangel begrenzt. Es handle sich um Tatsachengruppen mit additiv rechtlicher Bedeutung. 1076
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§ 5 ZPO nicht stattfindet.1081 Einzelne Sachmängel können somit im Prozess nachgeschoben werden, ohne dass der Einwand der Klageänderung entgegenstünde. Fraglich bleibt, ob dadurch der Ablauf der Verjährungsfrist nach § 438 I BGB beeinflusst wird. Wie bereits dargestellt1082, muss sich der Umfang der Verjährungshemmung nach § 204 I Nr. 1 BGB am hypothetischen Rechtskraftgegenstand orientieren, weil nur insoweit die aus Sicht des Beklagten notwendige Rechtssicherheit eintritt. Soweit über den Umfang der Rechtskraft die einzelne mangelbedingte Einbuße mitbestimmt, würde die Verjährung nur für die jeweils ins Verfahren eingeführten Sachmängel gehemmt (§ 204 I Nr. 1 BGB). Dafür spricht, dass das materielle Recht (§§ 439 und 438 BGB) an den einzelnen Mangel anknüpft. Für die Bestimmung der objektiven Rechtskraftgrenzen sollte dies Berücksichtigung finden.1083 Verschiedene Mängel führen zweifellos zu unterschiedlichen Streitgegenständen, wenn sie innerhalb der jeweiligen Klage unterschiedliche Vermögenspositionen verkörpern1084, was – insbesondere für die Rechtkraft – die Annahme unterschiedlicher Urteilsgegenstände nahelegt. Dies gilt etwa für „Ausgleichsansprüche“1085 (Rückforderung nach Minderung bzw. der Anspruch auf Nachbesserung gemäß § 439 BGB), mit denen verschiedene mangelbedingte Vermögenseinbußen verwirklicht werden. Jeder einzelne Sachmangel steht für ein selbständiges Interesse.1086 Das materielle Recht bringt dies deutlich zum Ausdruck, wenn § 438 BGB den Lauf der Verjährungsfrist und § 439 BGB den Nacherfüllungsanspruch in Relation zum einzelnen Sachmangel setzt. Entgegen der h.A. beruht diese Streitgegenstandsdivergenz nicht auf der Veränderung des klagebegründenden Sachverhalts. Das Merkmal des (natürlichen) Lebenssachverhalts erweist sich gerade in dieser Konstellation als zu indifferent. Dies gilt auch für den Versuch, den Streitsachverhalt mit Hilfe der Tatbestandsvoraussetzungen materieller Normen abzugrenzen.1087 Entscheidend ist vielmehr, dass bei mangelbedingten Ausgleichsansprüchen jeweils ein unterschiedliches Interesse verwirklicht wird.1088 Verlangt der Käufer hinsichtlich Mangel A Minderung in Höhe von 500 Euro und hinsichtlich Mangel B Minderung in Höhe 1081
Oben § 24 II 2. Vgl. oben § 23 II 6. 1083 Vgl. unten § 30 IV 2 d. 1084 Im Ergebnis auch MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 5, für die Anwendung von § 213 BGB; Bub, Streitgegenstand, S. 353. 1085 Zutreffend Bub, Streitgegenstand, S. 225. 1086 Bub, Streitgegenstand, S. 270. 1087 Nach dieser Auffassung bilden Tatsachen, die den Tatbestand materieller Anspruchsgrundlagen vollständig und unabhängig von anderen Elementen ausfüllen, einen rechtlich selbständigen Sachverhalt: so Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 46 f. und 50; Bub, Streitgegenstand, S. 124 (sog. additive Tatsachenkomplexe); Henckel, Parteilehre, S. 265, 287; J. Blomeyer, JuS 1970, 127, der ebenfalls verschiedene Sachverhalte annimmt, wenn weitere Tatsachen einen anderen Anwendungsfall derselben Norm ergäben. 1088 MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 3: Nicht dasselbe wirtschaftliche Interesse. 1082
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von 1000 Euro1089, so symbolisiert jeder Mangel eine rechtlich verselbständigte Rechts- und Vermögensposition, die es im Verfahren zu beachten gilt. Deswegen erscheint es auch hier geboten, ein Nebeneinander (nicht ein Nacheinander) von Prozessen zu vermeiden, gewinnt doch für das laufende Verfahren die Mangelhaftigkeit der Kaufsache als solche stärkere Bedeutung als der einzelne Mangel. Für die aus § 261 III Nr. 1 ZPO folgende Konzentrationslast käme es somit anders als für den Umfang der Verjährungshemmung und der Rechtskraftabgrenzung auf den konkreten Sachmangel nicht an. Ähnlich wie bei Teilklagen lässt sich die Pflicht zur Verfahrenskonzentration aus der gesetzlich verliehenen Möglichkeit zur Antragserweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO (bis zur Höhe des gezahlten Kaufpreises) ableiten.1090 Das Erfordernis des gleichbleibenden Klagegrundes wird nicht auf den einzelnen Sachmangel bezogen, sondern auf die Mangelhaftigkeit an sich.1091 Parallele Teilklagen vor verschiedenen Foren scheitern nicht erst am fehlenden Rechtschutzbedürfnis des Klägers, sondern an der Rechtshängigkeitssperre. Hemmungsumfang (§ 204 I Nr. 1 BGB) und Reichweite der Rechtshängigkeitssperre divergieren hier indes: Mit der Geltendmachung eines Mangels wird die zweijährige Verjährungsfrist nach § 438 I Nr. 3 BGB nicht in toto gehemmt1092, sondern nur soweit, als der entsprechende Mangel und das dadurch gekennzeichnete Gewährleistungsinteresse im Verfahren vorgetragen wird.1093 Damit besteht zwischen Hemmungs- und Rechtskraftumfang weiter der in den Motiven zum BGB beschriebene Gleichlauf.1094
d) Zwischenergebnis Mit der Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises (§§ 346 I, 323, 437 Nr. 2 BGB) wird trotz der Tatsache, dass der Käufer seinen Rücktritt auf unterschiedliche Sachmängel gründet, stets dasselbe Gesamtinteresse verwirklicht, so dass Parallelverfahren ausgeschlossen sind. Der Einführung eines neuen Mangels in 1089
Bub, Streitgegenstand, S. 131. Für diese spezielle Konstellation wird im Ergebnis dem Standpunkt A. Blomeyers, ZPR, § 49 III 1, zugestimmt; ähnlich MünchKomm/Lüke, ZPO, § 264 Rn. 13, für eine Kumulierung von Kündigungsgründen. 1091 Das Klägerinteresse ist hier normativ zu verstehen. Ähnliches dürfte etwa im Hinblick auf die nach § 284 BGB zu ersetzenden Aufwendungen gelten. Alle Aufwendungen, die im Hinblick auf den Erhalt der Kaufsache getätigt wurden, bilden ein normativ abgegrenztes Interesse (etwaige Maklerkosten bzw. Ausgaben der Grunderwerbssteuer stellen lediglich unselbständige Rechnungsposten dar). Zu den Schwierigkeiten der Feststellung der Interessenidentität allgemein Bub, Streitgegenstand, S. 272. 1092 Auch § 213 BGB ist hier bei einem Wechsel des Rechtsbehelfs nicht anwendbar; nur im Ergebnis ebenso Palandt/Ellenberger, BGB, § 213 Rn. 2. 1093 Für die Verjährungshemmung greift – anders als im Rahmen der Teilklage – der Gedanke von § 264 Nr. 2 ZPO gerade nicht durch. Denn bereits § 438 I und II BGB orientieren sich hinsichtlich des Laufs der Verjährungsfrist am einzelnen Sachmangel; vgl. auch Bub, Streitgegenstand, S. 220 f. 1094 Zum Umfang der Rechtskraftsperre näher unten §§ 28, 29. 1090
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das laufende Verfahren steht nicht das Klageänderungsverbot entgegen. Die Begründung des Rückzahlungsverlangens mit verschiedenen Mängeln bedeutet keine Häufung prozessualer Ansprüche.1095 Die Verjährungshemmung beschränkt sich dagegen auf die jeweils vorgetragenen Sachmängel. Jeder mangelbedingte Ausgleichsanspruch (kleiner Schadensersatz, Rückzahlung nach Minderung bzw. Nachbesserung wegen eines bestimmten Mangels) verwirklicht zwar ein selbständig quantifizierbares Interesse. Die Einführung neuer Sachmängel in das laufende Verfahren muss jedoch bereits aus prozessökonomischen Gründen (vgl. auch § 264 Nr. 2 ZPO) gestattet bleiben.1096 Auch der Umfang der Rechtshängigkeitssperre wird durch die „Mangelhaftigkeit der Sache“ als gemeinsames normatives Band bestimmt.1097 Nach rechtskräftiger Abweisung kann hingegen eine Klage mit alternativen Ausgleichsansprüchen erneuert werden, weil hier der jeweilige einzelne Mangel mehr Gewicht erlangt.1098
5. Einheitliches Schadensereignis und Schadensarten Berechtigte Kritik am Merkmal des Lebenssachverhalts als ein den Streitgegenstand begrenzendes Merkmal lässt sich weiter für das Schadensrecht üben. Hier nimmt der BGH (zu Recht) bei verschiedenen Schadensposten, welche demselben Schadensereignis entspringen, verschiedene prozessuale Ansprüche an:1099 „Dem durch einen Unfall Geschädigten können Ansprüche der verschiedensten Art erwachsen, insbesondere Ansprüche auf Ersatz des Sachschadens und auf Ersatz der Heilungskosten (§ 249 BGB), auf Ausgleich für die Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit (§§ 842, 843 BGB) und auf Schmerzensgeld (§ 847 BGB). Dabei handelt es sich nicht um Teilposten eines einheitlichen Anspruchs, sondern um eine Mehrzahl selbständiger Ansprüche.“1100
Daraus resultiert bei einer Teilklage die Pflicht, akribisch aufzuschlüsseln (§ 253 II Nr. 2 ZPO), wie sich innerhalb dieses Teilbetrags die einzelnen Ansprüche zueinander verhalten sollen.1101 Selbständige prozessuale Ansprüche hat der BGH auch bei Brandschäden an gewerblichen bzw. privaten Gegenständen1102 oder im Verhältnis vom Sachschaden zum Verdienstausfallschaden angenom1095 A.A. Bub, Streitgegenstand, S. 17, 353: Einschränkung durch den jeweiligen Tatsachenkomplex. 1096 Bub, Streitgegenstand, S. 225, 271, 272. 1097 Hierzu auch Bub, Streitgegenstand, S. 188. 1098 Unten § 30 IV 2 d. 1099 BGH MDR 1960, 384 (Schaden am Grundstück und am Gewerbebetrieb). 1100 BGH NJW 1958, 343. 1101 Dies gilt auch für die negative Feststellungsklage. Ansonsten sind Klage und Widerklage zu unbestimmt im Sinne von § 253 II Nr. 2 ZPO. 1102 BGH NJW 1984, 2346 f.; BGH NJW 1988, 965.
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men.1103 Für die Abgrenzung zu lediglich unselbständigen Rechnungsposten orientiert sich der BGH ausdrücklich an abgrenzbaren Oberbegriffen. Bei klar abgrenzbaren Sachgesamtheiten sei das Ersatzbegehren durch den zusammenfassenden Oberbegriff so deutlich gekennzeichnet, dass den Einzelstücken innerhalb der Sachgesamtheit für die Schadensberechnung nur die Bedeutung unselbständiger Rechungsposten zukomme.1104 Offensichtlich praktiziert der BGH hier eine vom Merkmal des natürlichen Lebenssachverhalts gelöste Streitgegenstandsbestimmung nach abgrenzbaren Vermögensposten bzw. Interessen. Dem tatsächlichen Element kommt allenfalls eine individualisierende Funktion zu. Zu einer Änderung des Streitgegenstands führt es somit, wenn eine Summe zunächst als Vermögensschaden und hierauf als Schmerzensgeld beansprucht wird.1105 Die Abgrenzung verschiedener Positionen erfolgt nach eindeutigen (rechtlichen) Kriterien. Die Einheit des Lebenssachverhalts führt in dieser Judikaturlinie eine bloße Scheinexistenz im Hintergrund. Denn an sich erfährt jener beim Übergang vom Schadensersatz- zum Schmerzensgeldanspruch keine Veränderung.1106 Habscheid, der auf den Lebenssachverhalt in seiner Allgemeinheit rekurriert1107, war deswegen gezwungen, bei der Abgrenzung von Vermögensschaden und Schmerzensgeld auf die rechtlichen Spezifika zurückzugreifen. Die folgenden Ausführungen verdeutlichen dabei seine Interpretationsschwierigkeiten:1108 „Man könnte geneigt sein, in dieser Regelung [§ 847 BGB a.F.] einen Fremdkörper im Rahmen der zivilprozessualen Betrachtung des Streitgegenstands zu erblicken. Dennoch sollte man sie nicht ablehnen, sondern bejahen. Eine solche Ansicht fi ndet ihre Rechtfertigung in dem besonderen Charakter der Ansprüche auf Ersatz des immateriellen Schadens… Da der Klagegrund bei der allgemeinen Deliktsklage und dem Schmerzensgeldbegehren identisch ist, bleibt rechtstheoretisch nur die Möglichkeit, die Rechtsfolgenbehauptung einer allgemeinen Schadensersatzklage dahin zu interpretieren, dass Vermögensinteressen verfolgt werden, während bei einer Klage aus § 847 oder aus § 1300 BGB die Rechtsfolgenbehauptung lautet, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens, bewertet mit einem bestimmten (oder in das Ermessen des Gerichts gestellten) Geldbetrag zu.“
Da Habscheid offensichtlich die Untauglichkeit seines Globalsachverhalts bewusst geworden ist, versucht er korrigierend auf die Rechtsbehauptung auszuweichen, die hierzu jedoch nicht taugt.1109 1103
BGH NJW 1958, 343; RG JW 1931, 1700. BGH NJW 1984, 2347; NJW 1980, 1518. 1105 RGZ 149, 157, 159. Dort vor allem zu den unterschiedlichen rechtlichen Voraussetzungen. 1106 So auch Habscheid, Streitgegenstand, S. 219. 1107 Habscheid, Streitgegenstand, S. 191 f. 1108 Habscheid, Streitgegenstand, S. 217 f.; hierzu Koshiyama, Rechtskraftwirkungen, S. 34. 1109 Unter der Geltung von § 253 BGB erscheint dies umso mehr zweifelhaft. 1104
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Andererseits lässt sich dieses Phänomen sicherlich nicht im Sinne von Schwab allein mit dem Klageantrag erklären. Hinter dem äußerlich unveränderten Antrag stehen vielmehr unterschiedliche Interessen. Im Hinblick auf die individualisierende Funktion des Tatsachenvortrags von einem anderen Antrag sprechen zu wollen, würde das entscheidende Abgrenzungskriterium verschweigen. Für die Betrachtung eines deliktischen Geschehens hat sich in Deutschland somit bereits eine interessenorientierte Streitgegenstandsbegrenzung nach Schadensarten herausgebildet.1110 In rechtsvergleichender Perspektive kann diese Vorstellung auf Zustimmung hoffen. So wird im US-amerikanischen Recht zumindest von einer Ansicht auf die primary rights1111, also die verletzten subjektiven (Haupt-)Rechte, zurückgegriffen.1112 Sach- und Personenschaden begründen demnach unterschiedliche Streitgegenstände.1113 Überwiegend wird jedoch aus Gründen der Verfahrenskonzentration das deliktische Gesamtgeschehen als eine cause of action begriffen.1114
6. Vertragliche Pflichtverletzungen im Schadensersatzprozess Nach h.A. steht die Einführung unterschiedlicher Pflichtverletzungen in den Prozess einer Erstreckung der Verjährungshemmung auch dann entgegen, wenn mit der Klage weiterhin derselbe Schaden verwirklicht werden soll.1115 Insoweit bedingen nach Ansicht des BGH verschiedene Pflichtverletzungen eines Anwalts unterschiedliche Streitgegenstände.1116 Symptomatisch ist der „Steuerberaterfall“ des BGH.1117 In der Revisionsinstanz war zu klären, ob die Verjährung des vertraglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Steuerberater nach 1110
Vgl. Zöller/Vollkommer, Einl. ZPO, Rn. 76, der allerdings die Begrenzung durch den unterschiedlichen Lebenssachverhalt betont. 1111 Hierzu: Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, § 5.4, 251: „Under this view a cause of action is related to the nature of the injury alleged to have been suffered. Thus, a person has one primary right to be free from damage to her real estate, another to be free from breach of contract, another to be free from injury to her character, and so on. The advantage of this position is that it focuses on the harm rather than the acts that caused the harm or the specifi c remedy … The primary right theory has its own diffi culties, however. Just what is a primary right.“; Koshiyama, Rechtskraftwirkungen, S. 15 f.; Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn. 202. 1112 Auch im Japanischen Recht wird z.T. angenommen, dass die jeweiligen verletzten Interessen und die Art des Schadens den Streitgegenstand begrenzen, Koshiyama, Rechtskraftwirkungen, S. 15 f. 1113 Überwiegend wird jedoch eine Konzentration des gesamten tatsächlichen Ereignisses befürwortet. 1114 Friedenthal/Kane/Miller, Civile Procedure, Rn. 634; Frische, Verfahrenswirkungen, S. 92 f. Zum US-amerikanischen Recht oben § 13 II. 1115 BGH NJW 2000, 2678 f.; BGH NJW 1988, 965 f. 1116 Wechselt mit der Begründung des Antrags auch das Interesse – wie in der Entscheidung BGH NJW 1999, 3564 –, dann handelt es sich um eine unzulässige alternative Klagenhäufung, wenn nicht ein Eventualverhältnis angegeben wird. 1117 BGH NJW 2000, 2678 f.
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§ 68 StBerG a.F. für jede Pflichtverletzung einzeln unterbrochen werden musste (§ 209 I BGB a.F.), was der BGH bejahte. Demnach genüge nicht die Schadensidentität1118, „wenn die Ersatzpflicht für den … Schaden auf unterschiedliche Sachverhalte gestützt wird.“ Der Schuldner verdient richtigerweise aber keinen Schutz durch Verjährung, wenn die geforderte Schadensposition identisch bleibt. Modifikationen des tatsächlichen Hergangs ändern an der Unterbrechung/Hemmung der Verjährung nichts. Dies gilt umso mehr, als die Judikatur im Zusammenhang mit der Verjährung des deliktischen Anspruchs nach § 852 BGB a.F. für die Frage der Schadenskenntnis und der Person des Ersatzberechtigten stets auf den Begriff der Schadenseinheit (in toto) rekurrierte.1119 Für den Streitgegenstandsbegriff selbst ist der Grundsatz der Schadenseinheit (vgl. nun § 199 BGB)1120 zwar nicht weiterführend, weil er dazu dient, langfristigen Streitigkeiten vorzubeugen, indem er alle aus einem Geschehen resultierenden Posten ins Auge fasst. Eine so weitgehende Konzentration auf verfahrensrechtlicher Ebene wäre mit dem deutschen Zivilprozess jedoch unvereinbar und geriete in die Nähe US-amerikanischer Vorstellungen.1121 Für den Verfahrensgegenstand hat sich im Laufe dieser Abhandlung vielmehr die Ausrichtung am konkreten (abgrenzbaren) Interesse bewährt. Wird ein Klagebegehren mit unterschiedlichen Sachverhalten begründet, entscheidet über die Streitgegenstandsidentität allein die Identität des Interesses.1122 Bei der Geltendmachung verschiedener Pflichtverletzungen ist maßgeb1118 BGH NJW 2000, 2679; zum Grundsatz der Schadenseinheit BGH NJW 1988, 965: (für die Frage der Unterbrechung/Hemmung der Verjährung sei allein der Streitgegenstand maßgeblich); allgemein Zeuner, in: FS Henckel, S. 947 ff. 1119 BGHZ 67, 372, 373; BGHZ 100, 228 f., 231; BGH NJW 2002, 1414; vgl. für die Rechtslage nach der Schuldrechtsreform auch BT-Drs. 14/6040, S. 108; inhaltlich abweichend für mehrere Verletzungshandlungen BGH DStR 2011, 1291; BGH BKR 2010, 118; BGH NJW 2008, 506: Lasse sich ein Schadensersatzanspruch auf mehrere Beratungsfehler stützen, beginne die kenntnisabhängige Verjährungsfrist für jeden Beratungsfehler gesondert zu laufen. Der Grundsatz der Schadenseinheit sei auf den Fall einer einzelnen Verletzungshandlung zugeschnitten und besage nichts darüber, wann die Verjährungsfrist bei mehreren, in einem sachlichen Zusammenhang stehenden Verletzungshandlungen derselben Person beginne. Zu Recht kritisch äußern sich Radig/Brocker, BKR 2010, 122, für den Fall, dass weitere Pflichtverletzungen keine neue Schadensfolge nach sich ziehen: Denn würde jede Entdeckung einer weiteren Pflichtverletzung zum erneuten Beginn der Verjährungsfrist führen, würde ein einheitlicher Lebenssachverhalt verjährungsrechtlich sukzessive in neue Streitgegenstände aufgespalten, was zu weitgehend unverjährbaren Ansprüchen führen könnte. 1120 Vgl. auch BT-Drs. 14/7052, S. 180; Bamberger/Roth/Henrich/Spindler, BGB, § 199 Rn. 26: „Nach dem Grundsatz der Schadenseinheit ist der gesamte aus einer unerlaubten Handlung resultierende Schaden als Einheit anzusehen und nicht in seine verschiedenen Bestandteile selbstständig aufzuteilen“; kritisch dazu bereits Peters/Zimmermann, JZ 1983, 123 f. 1121 Vgl. oben § 13 II 1. 1122 A.A.: AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 7. Richtig wäre dies nur, wenn verschiedene Pflichtverletzungen zu unterschiedlichen Schadenspositionen führen.
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lich, ob der verursachte Schaden derselbe ist oder die neue Pflichtverletzung eine andere Vermögenseinbuße hervorgerufen hat. Hingegen sollte der Aspekt, dass jede Pflichtverletzung für sich selbständig den haftungsbegründenden Tatbestand von § 280 I BGB (additive Tatbestandskomplexe1123) erfüllt, für die Ausgestaltung des Verfahrensgegenstandes nicht ausschlaggebend sein.1124 Angreifbar erscheint vor dem Hintergrund der Schadensidentität auch die Annahme unterschiedlicher Streitgegenstände aufgrund alternativ vorgetragener Behandlungs- und Aufklärungsfehler eines Arztes.1125 Der Gefahr, dass der Kläger etwa nach negativer Beweisaufnahme hinsichtlich des Behandlungsfehlers nachträglich auf die Verletzung einer Aufklärungspflicht überwechselt, könnte auch bei Streitgegenstandsidentität mit den geltenden Präklusionsvorschriften (§§ 296, 529–531 BGB) Rechnung getragen werden.1126 Umgekehrt würde die Annahme unterschiedlicher prozessualer Ansprüche gerade dazu führen, dass derselbe Schaden ohne die Begrenzung durch die Rechtskraft auf verschiedene Verfahren aufgespalten werden könnte, ein prozessökonomisch wenig sinnvolles Ergebnis.1127 Eminent praktische Bedeutung besitzt die Frage auch hinsichtlich der Anforderungen, die an die Angaben der Berufungsbegründung (§ 520 III 2 Nr. 2–4 ZPO) zu stellen sind. Liegen mehrere prozessuale Ansprüche vor, muss jeder Streitgegenstand selbständig angegriffen werden.1128 Richtigerweise sollte hier auch die Identität der geforderten Einbuße im Vordergrund stehen. Der BGH konnte die Frage offen lassen1129, hat dabei jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Haftung wegen eines Behandlungsfehlers und eines Aufklärungsfehlers zu verschiedenen Streitgegenständen führen könnte.1130 Dies gilt insbesondere, weil trotz der nicht zu leugnenden Verknüpfung der Ansprüche räumlich und zeitlich verschieden gelagerte Sachverhalte zu beurteilen sind.1131 Selbst wenn der zweigliedrigen Streitgegenstandslehre gefolgt würde, steht aber im Vordergrund des Geschehens der Eingriff in die körperliche Integrität. Zu die1123 Hierzu ausführlich Bub, Streitgegenstand, S. 170, 268, der das Interesse durch den vorgetragenen und rechtlich selbständigen Tatsachenkomplex begrenzt. 1124 Vgl. BGH MDR 1993, 81. 1125 Angedeutet bei BGH NJW-RR 2007, 414 für § 520 IV Nr. 2 ZPO; mit Recht ablehnend Spickhoff, NJW 2007, 1634; ausführlich Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, S. 317 f. 1126 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, S. 317. 1127 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, S. 317: „Zwar werden Schadensersatzbegehren wegen verschiedener Mängel an Bauwerken als unterschiedliche Streitgegenstände angesehen; hier jedoch geht es typischerweise um denselben Gesundheitsschaden.“ 1128 BGH NJW-RR 2007, 414 = MedR 2007, 722 mit Bespr. Prütting; Zöller/Heßler, ZPO, § 520 Rn. 27. 1129 BGH NJW-RR 2007, 414. 1130 Spickhoff, NJW 2007, 1634. 1131 Auch ein Teil der Literatur nimmt im Verhältnis von Behandlungs- und Aufklärungsfehler eine Mehrheit prozessualer Ansprüche an, MünchKomm/Wagner, BGB, § 823 Rn. 749 (bei unterschiedlichen Behandlungsfehlern, die zu ein- und demselben Schaden führen, soll aber Streitgegenstandseinheit anzunehmen sein); Tempel, NJW 1980, 617.
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sem Zeitpunkt muss auch die Einwilligung vorliegen.1132 Ob die Einwilligung tatsächlich einige Wochen vorher erfolgt ist, erscheint dann unerheblich.1133 Das Beispiel zeigt, dass sich durch die Ermittlung der Interessenidentität die Frage nach der Abgrenzung des Lebenssachverhaltes meist erübrigt.
7. Einheit des Leistungsobjekts Die Unterschiede zwischen eingliedriger und zweigliedriger prozessualer Streitgegenstandslehre treten am deutlichsten zu Tage, wenn eine Leistung, Feststellung oder Gestaltung vom Kläger nur einmal verlangt werden kann, aber dennoch aus verschiedenen Geschehensabläufen hergeleitet wird.1134 Exemplarisch sei auf eine vom OLG Hamm zu entscheidende Konstellation hingewiesen:1135 Die Kläger hatten an die spätere Beklagte Teilflächen eines Grundstücks zum Betrieb einer Tankstelle verpachtet. Nach einer ersten fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs verlangte die Klägerin im Wege der Leistungsklage Räumung und Herausgabe der Grundstücksflächen. Obwohl über diesen Rechtsstreit noch nicht rechtskräftig entschieden war, erhob die Klägerin parallel Klage auf Herausgabe unter dem Gesichtspunkt des vertragswidrigen Gebrauchs der Pachtsache (§ 552 BGB a.F.). Das OLG Hamm, das über das Parallelverfahren zu entscheiden hatte, hielt den Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit nicht für begründet (§ 261 III Nr. 1 ZPO). Zwar seien Parteien und Klageantrag identisch, jedoch nicht der von den Parteien vorgetragene Lebenssachverhalt.1136 Gegenstand des primär eingeleiteten Streitverfahrens sei die Frage, ob der Räumungsund Herausgabeanspruch aufgrund der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs oder wegen fristgemäßer Kündigung zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung entstanden sei. Im Parallelverfahren war hingegen 1132
Spickhoff, NJW 2007, 1634. Spickhoff, NJW 2007, 1634: „Das Arzthaftungsrecht prozessual in alle möglichen Streitgegenstände aufzuspalten – wobei dann auch verschiedenartigste Behandlungsfehler, Verkehrssicherungspfl ichtverletzungen und Organisationspfl ichtverletzungen neben der Aufklärungspfl ichtverletzung verschiedene Streitgegenstände darzustellen geeignet sein würden – kommt zwar dem Interesse der Patienten entgegen und könnte womöglich die ein oder andere Schärfe des reformierten Zivilverfahrensrechts abschleifen. Doch dem Interesse an einer einheitlichen Streiterledigung dient dies kaum“; ders., NJW 2005, 1701: „Angesichts der überaus scharfen Präklusionsvorschriften des reformierten Zivilprozessrechts erscheint die Annahme unterschiedlicher Streitgegenstände trotz dogmatischer Zweifel (der relevante Lebenssachverhalt, den es zu beurteilen gilt, ist meines Erachtens in beiden Fällen der durch wirksame oder unwirksame Einwilligung unterlegte, behandlungsfehlerhafte oder behandlungsfehlerfreie Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten) verlockend“; in diesem Sinne auch Staudinger/Hager, BGB, § 823 Rn. 179. 1134 Ähnlich Bub, Streitgegenstand, S. 122. 1135 OLG Hamm NZM 1999, 1051; rekurriert wird auf BGH NZM 1998, 33; P. Gottwald/ Pfaller, LM § 553 Nr. 16. 1136 OLG Hamm NZM 1999, 1051. 1133
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die Kündigung auf den vertragswidrigen Gebrauch der Pachtsache gestützt worden. Nach Ansicht des OLG Hamm komme hinzu, dass die fristlose Kündigung und die erforderliche Abmahnung erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung des früheren Verfahrens ausgesprochen worden seien. Hier gilt es zwei Fragen zu sondieren. Die Frage der Streitgegenstandsidentität ist zu trennen von der Frage, ob die zweite fristlose Kündigung wegen vertragswidrigen Gebrauchs im Erstverfahren noch vorgebracht werden hätte können. Letzteres ist zu verneinen, weil die Tatsacheninstanz bereits abgeschlossen und das Verfahren beim BGH anhängig war.1137 An der Identität des Streitgegenstands ändert jedoch nichts, dass das Räumungsbegehren auf unterschiedliche Kündigungstatbestände gestützt wird. Das vom Kläger geltend gemachte Interesse bleibt identisch.1138 Parallele Räumungsstreitigkeiten über dasselbe Objekt sind bereits aus prozessökonomischen Gründen zu vermeiden.1139 Demgemäß liegt auch keine Klageänderung vor, wenn das Begehren auf Herausgabe der Mietsache nachträglich mit einer weiteren Kündigung begründet wird. Abzulehnen ist deswegen die instanzgerichtliche Judikatur, die den Nuancen des tatsächlichen Hergangs zu viel Spielraum einräumt.1140 Unter Konzentrationsgesichtspunkten erscheint besonders bedenklich, wenn auch die Sachdienlichkeit der Klageänderung verneint wird, weil ein völlig neuer Streitstoff in den Prozess eingeführt werde.1141 Da in der Entscheidung des BGH die zweite Kündigung wegen vertragswidrigen Gebrauchs erst nach Schluss der mündlichen Tatsachenverhandlung ausgesprochen wurde, könnte einem Parallelverfahren m.E. nur dann der Rechtshängigkeitseinwand entgegengesetzt werden, wenn nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss auch ein zweiter Räumungsstreit ausgeschlossen wäre. Insoweit wird noch zu klären sein, ob eine bereits abgewiesene Räumungsklage im Hinblick auf einen weiteren, rechtlich selbständigen Kündigungsgrund erneuert werden kann1142 und Streit- und Urteilsgegenstand in1137 In der Tat bedeutet es für die eingliedrige und relative Lehre eine Schwierigkeit, den Umfang der Rechtshängigkeitssperre zu bestimmen, wenn das Parallelverfahren bereits in der Revisionsinstanz anhängig ist, so dass neuer Tatsachenvortrag nicht mehr eingebracht werden kann, näher Bub, Streitgegenstand, S. 188. 1138 Insoweit wäre der eingliedrigen Streitgegenstandslehre Schwabs im Ergebnis Recht zu geben. 1139 Anderes kann sich im Rahmen der Rechtskraft ergeben. Doch liegt dies nicht an einer in diesem Punkt abweichenden Bestimmung des Urteilsgegenstandes, sondern vielmehr an den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft. 1140 OLG Zweibrücken, MDR 1981, 585 (Rechtsentscheid); LG Mannheim, WuM 1991, 687 f.; LG Hamburg NZM 1999, 464; nur für den Rechtskraftumfang BGH NZM 1998, 33: Annahme unterschiedlicher Streitgegenstände aufgrund der zweigliedrigen Lehre. 1141 LG Hamburg NZM 1999, 464. Abgelehnt wird auch eine Koordination über § 148 ZPO. 1142 Nach Ansicht des BGH dürfte sich nichts daran ändern, dass dieses Gestaltungsrecht bereits im früheren Verfahren ausgeübt hätte werden können, BGHZ 94, 32 f.; BGH NJW
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soweit divergieren.1143 Nach der ZPO-Reform 2002 kommt im Übrigen der Frage Bedeutung zu, wie im Falle eines in der Berufungsinstanz nachgeschobenen Kündigungsgrundes zu verfahren ist. Im Regelfall wird hier die Einbeziehung wegen § 531 II Nr. 3 ZPO möglich sein, selbst wenn der Kündigungstatbestand bereits vor Schluss der mündlichen Verhandlung entstand, das Ausbleiben der Kündigungserklärung aber nicht auf Nachlässigkeit beruht.1144 Ansonsten ist ein Parallelverfahren aufgrund der Streitgegenstandsidentität ausgeschlossen.
8. Klage aus eigenem und abgetretenem Recht Zu einer Veränderung des Klagegrundes und folglich auch des Streitgegenstands soll es führen, wenn der Kläger zunächst aus eigenem und dann aus abgetretenem Recht klagt und umgekehrt.1145 Der BGH1146 verneint deswegen die wechselseitige Verjährungshemmung. Im Falle einer Sicherungszession verändere die Umstellung des Klageantrags auf Leistung an den Zessionar hingegen nach ihrer Offenlegung den Lebenssachverhalt nicht.1147 Gleiches gilt nach Ansicht des BGH, wenn der Kläger seine Aktivlegitimation zunächst aus einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nach §§ 829 f. ZPO und später aus einer Abtretung der Klageforderung herleitet.1148 Das vom BGH bemühte Kriterium der Einheit des Sachverhalts erweist sich wiederum als unzureichend für eine trennscharfe Abgrenzung. Für Streitge1998, 375; hierzu auch Heiderhoff, ZZP 118 (2005), 199: Es handele sich nicht um eine bloße Weiterentwicklung des bisherigen Geschehens, vielmehr liege ein rechtlich und tatsächlich neues Ereignis vor; H. Roth, LMK 2003, 117. 1143 Vgl. unten § 30 IV 2 g. 1144 MünchKomm/Rimmels pacher, ZPO, § 531 Rn. 25. 1145 RGZ 103, 111, 120; 120, 189, 192; BGH NJW 1990, 53, 54; BGH NJW 1999, 1407; BGH NJW 2007, 2561; aktuell BGH, Urt. v. 23.7.2008, XII ZR 158/06 (dabei sei unerheblich, ob der Beklagte Angaben zum alternativen Anspruch gemacht habe, weil allein der Kläger den Streitgegenstand bestimme); Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 263 Rn. 9, 10; auch § 264 Rn. 15; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn. 15 f. Nach Ansicht des BGH, Urt. v. 7.12.2007 – V ZR 210/06 soll die Ausschlussfrist des § 524 II 2 ZPO auch für eine den Streitgegenstand verändernde Anschlussberufung gelten. Sie sei deswegen auch zu beachten, „wenn der Berufungsbeklagte mit der Anschlussberufung eine zu Unrecht zu seinen Gunsten ergangene erstinstanzliche Entscheidung aufrechterhalten wissen will, indem er die Klage nach einem nach Fristablauf erteilten Hinweis des Berufungsgerichts auf einen anderen Klagegrund stützt.“ Dies sei etwa für den Wechsel zwischen einer Anspruchsbegründung aus eigenem und abgetretenem Recht anzunehmen. Unabhängig davon, wie dieser Streit im Hinblick auf den Grundsatz der Waffengleichheit zu entscheiden ist, kann die Frist jedenfalls nicht gelten, wenn das (interessenidentische) Prozessziel – unabhängig vom konkreten Klagegrund – unverändert bleibt. 1146 BGH NJW 2005, 2005. 1147 BGH NJW 1999, 2110 (weil von Anfang an derselbe Anspruch Gegenstand des Prozesses sei). 1148 BGH NJW 2007, 2561.
§ 25 Die Ermittlung des Klägerinteresses
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genstandsidentität in den Konstellationen „Sicherungszession“ und „Überweisungsbeschluss“ spricht, dass die Identität der Forderung und damit das Interesse gewahrt bleibt. Häufig wird mit der Darlegung des Übertragungsaktes gerade eine andere Forderung in das laufende Verfahren eingeführt. Dieser fremde Anspruch bildet dann eine eigenständige Rechtsposition.1149 Genauso könnte aber im Fall einer rechtsgeschäftlichen Abtretung oder einer cessio legis argumentiert werden. Steht trotz der strittigen Frage der Aktivlegitimation weiterhin dieselbe Forderungsposition im Streit, bleibt die Identität des geforderten Interesses gewahrt. Stützt etwa ein Bauunternehmen seine Zahlungsforderung auf die erbrachten Arbeiten am Grundstück des X, so erfährt der Streitgegenstand keine Veränderung, wenn nun im Prozess geltend gemacht wird, dass in Wahrheit ein befreundeter Unternehmer diese Leistungen erbracht hatte, der die Forderungen abgetreten habe. Eine Begrenzung des Streitgegenstands ist hier zur Verhinderung überraschender Rechtskraftwirkungen auch nicht geboten.1150 Denn sollte die Frage der eigenen Aktivlegitimation des Klägers im Prozess zweifelhaft erscheinen, so muss das Gericht hierauf hinweisen, so dass sich für ihn der Vortrag einer eventuell erfolgten Abtretung geradezu aufdrängt. Stützt ein Gesamtschuldner seine Rückgriffsklage sowohl auf § 426 I BGB als auch auf den übergegangenen Anspruch des Gläubigers (vgl 426 II BGB), so erscheint aufgrund der Verschiedenheit der Forderungen die Streitgegenstandsidentität gefährdet.1151 Jedoch entscheidet über die Identität des Leistungsinteresses die auch hier gegebene Erfüllungskonnexität.
9. Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung Der Streitgegenstand bleibt nach einer richtigen Entscheidung des BGH auch identisch, wenn der erhobene Anspruch erstinstanzlich auf den Gewinn eines Preisausschreibens gestützt und in zweiter Instanz eine vertragliche Grundlage angenommen wird. Prozessuales Ziel und Lebenssachverhalt sollen hier im Wesentlichen keine Veränderung erfahren.1152 Entscheidend ist aber wiederum die bestehende Konnexität der Leistungen, weil der geforderte Betrag nach dem Vortrag des Gläubigers nur einmal vereinnahmt werden konnte. Eine für die Streitgegenstandsidentität konstituierende Erfüllungskonnexität lässt sich weiter im Verhältnis des Barunterhaltsanspruches des betreuenden Elternteils zum familienrechtlichen Ausgleichsanspruch feststellen, wenngleich die Rechtsprechung hier mittels Annahme einer sachdienlichen Klageänderung 1149 1150 1151 1152
So Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 223. Mit Recht Bub, Streitgegenstand, S. 178. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 294. BGH MDR 2006, 1359.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
weitgehend zu gleichen Ergebnissen kommt.1153 Der Ausgleichsanspruch ist gerade auf Erstattung des vom betreuenden Elternteils geleisteten Barunterhalts gerichtet. Inzident ist zudem zu prüfen, „welchen Barunterhalt der nicht betreuende Elternteil hätte leisten müssen.“1154 Zwischen beiden Ansprüchen besteht materielle Interessenidentität. Richten sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB bzw. der Anspruch aus § 2329 BGB gegen dieselbe Person, den beschenkten Erben, so führt der Wechsel zwischen den Anspruchsgrundlagen ebenfalls nicht zu einer Klageänderung. Der Anspruch aus § 2329 BGB tritt anstelle des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2325 BGB, so dass der Kläger nicht doppelten Ersatz verlangen kann. Dementsprechend hat hier der BGH1155 zu Recht eine richterliche Hinweispflicht zur „Umstellung der Klage“ für gegeben erachtet.
VI. Zusammenhang mit der richterlichen Aufklärungspflicht 1. Generalia Als weitere Stütze des hier vorgestellten Streitgegenstandsverständnisses erweist sich § 139 ZPO. Die richterliche Prozessleitung verfolgt als Zweck, den Rechtsstreit zwischen den Parteien auf das Wesentliche zu konzentrieren und das Verfahren transparent zu halten. Das Gericht muss deswegen den Sach- und Streitstand in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht mit den Parteien erörtern und auf eine Ergänzung der Einzelangaben, eine Benennung der Beweise und eine sachdienliche Fassung der Anträge hinwirken. Ein Unterlassen begründet einen Verfahrensfehler, auf den die Berufung gestützt werden kann. Nach früheren Gesetzesfassungen (§ 10 CPO 1877, § 139 ZPO 1898) durfte der Vorsitzende indes lediglich „durch Fragen darauf hinwirken, dass unklare Anträge erläutert … werden.“ Das Gesetz überließ die Wahl des Klageantrags und die Verantwortung hierfür allein der Partei. Der Richter konnte nicht einmal eine bessere Formulierung anregen, sondern durfte lediglich durch Fragen Unklarheiten auszuräumen versuchen.1156 Diese Sichtweise beruhte auf Rudimenten aktionenrechtlichen Denkens.1157 Anderes galt im Amtsgerichtsprozess: Hier hatte das Gericht 1153 OLG Koblenz, NJW-RR 1997, 1230 f. Der Senat erkannte die prozesswirtschaftliche Notwendigkeit an, nach einem jahrelangen Verfahren über die Zahlung von Barunterhalt und inzwischen eingetretener Volljährigkeit des Kindes, den Kläger nicht auf einen neuen Prozess zu verweisen. 1154 OLG Koblenz aaO. 1155 BGH FamRZ 1961, 272. 1156 Henckel, Prozeßrecht, S. 128. 1157 Näher Henckel, Prozeßrecht, S. 128; dies würde voraussetzen, dass der Gerichts-
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von Anfang an „dahin zu wirken, dass die Parteien … die sachdienlichen Anträge stellen (§ 464 CPO 1877, § 503 ZPO 1898, § 502 ZPO 1909).“ Erst mit der Novelle von 1924 erlangte die richterliche Pflicht zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge auch für den Anwaltsprozess Geltung. Allein die Verfahrensbeteiligung eines Rechtsanwalts stellt aber kein Kriterium für die Belehrungsbedürftigkeit einer Partei dar. Die ZPO-Reform 2002 hat die Bedeutung der materiellen Prozessleitung nochmals betont, wenngleich inhaltlich kaum verstärkt.1158 Der Richter darf den sachdienlichen Willen der Partei nicht erzwingen1159, sondern kann nur durch Fragen und rechtliche Hinweise einen sachdienlichen Antrag anregen.1160 § 139 ZPO enthält keine Durchbrechung der Dispositionsmaxime, womit es unrichtig ist1161, „wenn man die Grenzen der Befugnis, die § 139 ZPO dem Richter einräumt, mit der Dispositionsmaxime bestimmen will.“ Denn diese bleibt durch § 139 ZPO stets unangetastet, weil die Parteien entscheiden, ob sie den neuen Antrag stellen. Im Rahmen der ZPO-Reform 2002 wurden die verschiedenen materiellen Prozessleitungspfl ichten in § 139 ZPO generalklauselartig zusammengefasst.1162 In der Sache soll sich aber kaum etwas geändert haben.1163 Die Reform hat davon abgesehen, „den Gerichten inhaltlich engere oder detailliertere Vorgaben als das vorige Recht zu machen.“1164 Im Ergebnis bewegt sich das Gericht bei seiner Hilfestellung weiter auf einem schmalen Grat zwischen richterlicher Beratung und der Pflicht zur Unparteilichkeit (§ 42, § 43 ZPO)1165: „Alle Möglichkeiten einer einvernehmlichen Konfliktregelung zwischen den Parteien müssen genutzt werden, damit in einem möglichst frühen Prozessstadium Rechtsfrieden eintritt.“1166
Die Hilfeleistung durch das Gericht ist vor allem im Interesse der Waffengleichheit zwischen den Parteien, aber auch aus Gründen materieller Ergebnisgerechtigkeit gefordert.1167 Hinweise zu einem völlig neuen tatsächlichen Vorbringen und Anträgen, die ein anderes im Parteivortrag nicht angeklungenes Prozessziel magistrat die actio vorgibt, H. Kaufmann, JZ 1964, 482 ff. Vgl. zum römischen Recht oben § 3. 1158 Überblick bei M. Heinze, in: FS Beys I, S. 515 ff.; Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 172 ff. 1159 Henckel, Prozeßrecht, S. 128: Dass dieser maßgeblich ist, ergibt sich bereits aus den Motiven. 1160 Kuchinke, Freiheit und Bindung des Zivilrichters, S. 15 f. 1161 Henckel, Prozeßrecht, S. 128. 1162 Musielak/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 2. 1163 Henke, JZ 2005, 1028 f.; Prütting, in: FS Musielak (2004), 397; Nagel, Parteiwechsel, S. 226. 1164 Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/4722, S. 139. 1165 Musielak/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 4 f. 1166 BT-Drs. 14/4722, S. 110. 1167 So auch Musielak/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 5.
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verfolgen, würden die Grenze richterlicher Neutralität aber überschreiten.1168 Es ist auch weiter nicht Aufgabe des Gerichts – dies wird aus der Gesetzesbegründung deutlich –, durch Fragen oder Hinweise neue Anspruchsgrundlagen, Einreden oder Anträge in das Verfahren einzuführen.1169
2. Antragsbindung und richterliche Aufklärungspflicht § 308 ZPO steht mit der in § 139 ZPO angeordneten richterlichen Aufklärungspflicht in engem Zusammenhang.1170 Denn weder die Abweisung eines erfolglosen Antrags aus einem begründeten Interesse noch eine Abweichung von § 308 I ZPO vermag zu überzeugen. § 139 ZPO enthält deswegen die Pflicht, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Der h.M. entspricht es dabei, eine Klageänderung anzuregen, die der Klage aus demselben Sachverhalt mit dem neuen Antrag zum Erfolg verhilft.1171 Diese Modifikation sei auch immer sachdienlich im Sinne von § 263 ZPO.1172 Da diese Hinweispflicht dazu dient, den Klägerwillen in der richtigen Form zum Ausdruck zu bringen, fördert sie zugleich den Schutz subjektiver Rechte im Prozess.1173 Zum Teil wird diese richterliche Befugnis im Hinblick auf die Pflicht zur Unparteilichkeit gegenüber den Prozessparteien bestritten.1174 Die Hinweispflicht sei stattdessen auf die Korrektur unvollständigen Parteivorbringens beschränkt, womit der Streitgegenstand auch die Grenze der richterlichen Hinweispflicht bilde. Der Richter dürfe einer Partei nach § 139 ZPO nicht neue Klagegründe, Einreden oder Gegeneinreden eingeben.1175 Henckel hat in diesem Zusammenhang auf die uneinheitliche Rechtsprechung hingewiesen: Entscheidungen, die es dem Richter nicht gestatten wollten, dem Kläger neue Klagegründe an die Hand zu geben und zu einer Klageänderung anzuregen1176 , stünden unvermittelt neben anderen, die den Richter der Tatsacheninstanz für ver-
1168
OLG Celle NJW 1980, 2140, 2141. Vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/4722, S. 77. 1170 Stürner, Die richterliche Aufklärung, Rn. 55 f. 1171 BVerfG NJW 1976, 1391; Henckel, Prozeßrecht, S. 127 f.; Spohr, § 139 ZPO, S. 69 ff., S. 84: Denn „es geht darum, das durch den psychologischen Willen der Parteien in der Laiensphäre festgelegte Ziel in den richtigen prozessualen Antrag zu übersetzen.“ Vgl. aber Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 15: Eine Klageänderung, welche nicht auf der Initiative des Klägers beruht, sondern allein durch das Gericht angeregt wird, beinhalte eine größere Benachteiligung des Beklagten. 1172 § 139 ZPO ist aber m.E. subjektiv auf den Kläger ausgerichtet und somit enger als die objektive Wendung in § 263 ZPO, vgl. sogleich 4. und Spohr, § 139 ZPO, S. 69 f. 1173 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 105 f. 1174 OLG Köln, Urt. v. 18.6.1975, JMBl. 1976, 9; Lepa, DRiZ 1969, 8. Die Vorschrift soll im Ausgangspunkt Waffengleichheit herstellen, MünchKomm/Wagner, ZPO, § 139 Rn. 1. 1175 Zusammenfassend Reischl, ZZP 116 (2003), 111 f. 1176 RGZ 106, 119; 158, 48; BGHZ 7, 208 (211 f.). 1169
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pflichtet halten, auf eine sachdienliche Klageänderung hinzuwirken1177 und zu diesem Zwecke auch den Sachverhalt weiter aufzuklären.1178 Durch den Streitgegenstandsbegriff der h.L. wird jedoch allein die Entscheidungsbefugnis des Gerichts eingeschränkt1179, nicht aber seine Hinweispflicht. Die Grenze der Hinweispflicht bildet richtigerweise das von den Parteien verfolgte Prozessziel.1180 In keinem Fall wird die richterliche Pflicht zur Unparteilichkeit somit verletzt, wenn er zu neuen Anträgen innerhalb des bisherigen Prozessziels und damit nach h.M. zu einer Klageänderung rät. Die richterliche Unparteilichkeit selbst ist kein wertfreies Prinzip, sondern steht im Dienst der Rechtsverwirklichung.1181 Soll der Kern des Streits erfasst werden, „darf das Gericht den Anträgen und Sachvorträgen der Parteien nicht vollkommen distanziert gegenüberstehen.“1182 Im Ergebnis muss der Richter das tatsächliche Lebensverhältnis durch seine leitende Funktion an die materielle Gerechtigkeit annähern. Die Anregung sachdienlicher Anträge fördert aus dieser Warte die Verwirklichung subjektiver Rechte und damit den Prozesszweck.1183 So ist es eine Selbstverständlichkeit, dass, wenn der auf Naturalrestitution gerichtete Klageantrag nicht zum Ziele führt, auf die Stellung eines auf Geldersatz gerichteten Antrags hingewirkt wird.1184 Hierdurch werden unerwünschte Prozesshäufungen vermieden. Die unterschiedliche Rechtsschutzform bildet dabei ebenfalls kein Hindernis: So kann das Gericht ohne weiteres vom unrichtigen Gestaltungsurteil zum Herausgabeurteil korrigieren.1185 Zu beachten gilt es jedoch die Tendenz der Rechtsprechung, der Partei von sich aus keine neuen Klagegründe, Einreden oder Gegeneinreden in den Mund zu legen.1186 Eindeutig zu weit ginge es, wenn der Begriff der Sachdienlichkeit zum „Freibrief“ für prozessökonomische Wertungen umfunktioniert würde („Konflikt1177
RGZ 169, 353; BGHZ 3, 213; 8, 249. Henckel, Prozeßrecht, S. 129. 1179 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 106. 1180 Zusammenfassend Kocher, Funktionen, S. 430, die darauf hinweist, dass „viele Autoren hier weniger den durch den Antrag festgelegten ‚Streitgegenstand‘ im prozessrechtlichen Sinn vor Augen haben, als vielmehr den Konflikt in allen seinen Dimensionen und die entsprechenden sozialen Absichten der Parteien.“ Zu restriktiv deswegen BGHZ 7, 210 f.: Das Gericht habe die Parteien nicht zu veranlassen, „ihrem Wesen nach andere auf anderen Anspruchsgrundlagen beruhende Anträge zu stellen“, also zusätzlich zum Antrag auf Herausgabe eines Kutters den Hilfsantrag auf Schadensersatz, wenn der Besitz des Beklagten unbewiesen blieb. 1181 BVerfGE 42, 64 [78]; Vollkommer, in: FS Schwab, S. 520: Die formale Gleichheit vor dem Richter bedürfe der Ergänzung der materiellen Gleichheit durch den Richter. Ob die richterliche Aufklärung selbst verfassungsrechtlich geboten ist, ist freilich fraglich, vgl. Stürner, Die richterliche Aufklärung, Rn 41 f. 1182 Vgl. auch Henckel, Prozeßrecht, S. 132. 1183 BGHZ 3, 213; 24, 278; Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 105 f. 1184 RGZ 169, 356. 1185 BGH NJW 1967, 1963. 1186 RGZ 165, 232; anders aber RGZ 106, 119. 1178
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verabschiedung“).1187 Die Prozessökonomie ist kein mit dem subjektiven Rechtsschutz konkurrierender Prozesszweck. Möglicherweise könnte aber das vom Kläger verfolgte Interesse den Rahmen für Antragsänderungen begrenzen.
3. Die Begrenzung der richterlichen Hinweispflicht auf das Streitinteresse Ein Verdienst Wolfram Henckels ist es, diesen Zusammenhang zwischen der materiellen Prozessleitungspflicht (§ 139 ZPO) und dem klägerischen Interesse aufgezeigt zu haben. Die Faustformel, wonach die Sachaufklärung durch den Streitgegenstand begrenzt sei, hält er für wenig hilfreich.1188 Bei der Ergründung, ob die Partei den Streitgegenstand „sachdienlich“ bestimmt habe, dürfe der Richter bei der Tatsachenerörterung nicht durch den möglicherweise sachwidrigen Antrag des Klägers beschränkt sein.1189 In der Tat wird mit der Notwendigkeit, „den Prozess mit einem bestimmten Antrag einzuleiten“, vom Kläger vielfach mehr verlangt, als ihm zugemutet werden kann.1190 Sein Verantwortungsbereich ist zu begrenzen. Der Kläger habe nach Henckel nur darüber zu entscheiden, „ob“ er ein Recht im Prozess geltend mache. Er müsse aber nicht im Einzelnen wissen, welche Rechtsfolgen hieraus resultieren. Hier beginne stattdessen die Verantwortung des Gerichts. Das Erfordernis, einen bestimmten Antrag zu stellen, sei somit als Ausdruck des „Ob“ zu interpretieren, § 139 ZPO hingegen als notwendiges Korrektiv. Die richtige Anwendung der Vorschrift verhindere eine unangemessene Durchbrechung des § 253 ZPO, wie sie eine Zulassung unbestimmter Klageanträge mit sich bringen würde. Vom Kläger könne also nicht mehr erwartet werden, als „dass er mit seinem Klageantrag sein Prozessziel vorläufig umreißt und in der Klageschrift sein Interesse, das er im Prozess verfolgen will, dem Gericht und dem Gegner deutlich macht.“1191 Der Richter, der sich darauf beschränke, nur Tatsachen zu erörtern, die im Hinblick auf den gestellten Antrag von Bedeutung seien, werde zum Kern des Verfahrens oft nicht vordringen „und den Parteien Steine statt Brot bieten.“1192 Henckel versucht damit, der dynamischen Seite des Prozesses Rechnung zu tragen.1193 Von einem Teil der Lehre wird im Anschluss hieran betont, 1187 So AK-ZPO/E. Schmidt, § 139 ZPO, Rn. 23. Großzügig auch Wassermann, Der soziale Zivilprozess, S. 115; kritisch hierzu M. Heinze, in: FS Beys I, S. 535. 1188 Etwas anderer Akzent bei Kocher, Funktionen, S. 431: Henckel erhebe zutreffend das geltend gemachte „subjektive Recht“ zur Grenze der Hinweispflicht. 1189 So Henckel, Prozeßrecht, S. 129. 1190 Henckel, Prozeßrecht, S. 130. 1191 Henckel, Prozeßrecht, S. 130: „Bei der endgültigen Formulierung des Klageantrages hat das Gericht nach § 139 ZPO mitzuwirken.“ 1192 Henckel, Prozeßrecht, S. 131 f. 1193 Spohr, Die richterliche Aufklärungspfl icht, S. 83 f., spricht im Zusammenhang mit
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das „Bemühen des Gerichts um sachdienliche Anträge muss sich innerhalb des von den Parteien unterbreiteten streitigen Interesses halten.“1194 Der gestellte Klageantrag bedeute keine Grenze.1195 Insoweit existiert eine Pflicht, auf die Geltendmachung weitergehender Interessen hinzuweisen – etwa Zinsen neben der Hauptsache – aber nicht.1196 Rückschlüsse für den Begriff des Streitgegenstands selbst wurden hieraus nicht gezogen. Der anzustrebende Gleichlauf zwischen den Grenzen der Aufklärungspflicht und dem Verfahrensgegenstand ließe sich dadurch aber wiederherstellen. Dürfen die Parteien auf die helfende Hand des Richters vertrauen (§ 139 ZPO), müssen sie sich im Gegenzug gefallen lassen, Antragsänderungen vor demselben Forum umzusetzen (§ 261 III Nr. 1 ZPO).1197 Richterliche Instruktion und die Pflicht zur Verfahrenskonzentration gehen Hand in Hand. Nach der hier vertretenen Ansicht liegt deswegen in Fällen, in denen der neue Antrag das Prozessziel in den Grenzen des verfolgten Interesses fördert, keine Klageänderung vor. Die richterliche Pflicht, neue sachdienliche Anträge anzuregen, bewegt sich innerhalb des Verfahrensgegenstandes.1198 Seine Ineinssetzung mit dem Interesse findet im Umfang der richterlichen Instruktionspflicht (§ 139 ZPO) ein weiteres Anwendungsfeld. Bei der Ermittlung des „sachdienlichen Antrags“ ist eine subjektive Ausrichtung an der Rechtsverwirklichungsfunktion des Prozesses geboten.1199 Die Tatsache, dass die richterliche Anregung einer Antragsänderung für den Beklagten, der ansonsten die Klageabweisung erreicht hätte, zum Prozessverlust führt, rechtfertigt den Vorwurf der Parteilichkeit nicht.1200 Im Übrigen obliegt dem Gericht auch dem Beklagten gegenüber
§ 139 ZPO von einer „Transformationsfunktion“ der Vorschrift. Ein Beispiel bildet BGH, Urt. v. 8.2.1961, LM Nr. 2 zu § 2325 BGB. 1194 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 50; in diese Richtung Stürner, Die richterliche Aufklärung, Rn. 55 f.; Bub, Streitgegenstand, S. 249; Reischl, ZZP 116 (2003), 113, hält eine Anregung zur Klageänderung für tunlich, soweit es um dasselbe Klageziel und um eine Veränderung des Streitgegenstands aus prozessualen Gründen geht. 1195 Die Pfl icht zur Gleichbehandlung macht es auch nötig, das Interesse des Gegners zu berücksichtigen, Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 50. 1196 Nach h.A. handelt es sich stattdessen um die Anregung einer sachdienlichen Klageänderung, weil sie dem zuvor verfolgten Prozessziel dient, MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 139 Rn. 31; E. Peters, Richterliche Hinweispflichten, S. 127 f.; Musielak/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 12. 1197 Ob ein vollständiger Gleichlauf von Instruktions- und Konzentrationspfl icht möglich ist (§ 264 Nr. 2 ZPO), erscheint an dieser Stelle eher zweifelhaft. 1198 Vgl. aber OLG NJW 1973, 1849. 1199 Henckel, Prozeßrecht, S. 130: Die Interessen des Antragstellers stünden im Vordergrund; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 47; auch BAG NJW 2003, 2773. AA: RGZ 169, 353 f.; BGHZ 3, 212: Maßgeblich sei die Verwirklichung des objektiven Rechts, womit dem Kläger ein Antrag nahegelegt werden sollte, der den Streit der Parteien in einem Rechtsstreit ausräumt und einem neuen Prozess möglichst vorbeugt. 1200 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 109. Der Kläger wäre eventuell in der Berufungs-
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die Pflicht, darauf hinzuwirken, seine Gegenrechte zu präzisieren.1201 Der Umfang der richterlichen Aufklärungstätigkeit steht desweiteren in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auslegung von § 308 ZPO.1202 Eine strenge Bindung an den gestellten Antrag macht im Hinblick auf das Gebot rechtlichen Gehörs und den Justizgewährungsanspruch eine weiter reichende Aufklärung durch das Gericht nötig.1203 Die Möglichkeit, allein aus dem vorgetragenen Sachverhalt bestimmte Ansprüche abzuleiten, besteht nach der geltenden Rechtsordnung für das Gericht aber nicht. Der Kläger muss zumindest eine Richtung für den erwünschten Rechtsschutz angeben. Das materielle Recht bietet meist zur Befriedigung eines Interesses verschiedene Formen der Rechtsverwirklichung an. So gewährt § 843 I BGB etwa eine Geldrente, während nach § 843 III BGB unter der besonderen Voraussetzung des wichtigen Grundes eine sofortige Kapitalabfindung verlangt werden kann. Das Gericht muss hier in jedem Fall vor Klageabweisung seine Fragepflicht nach § 139 ZPO ausüben.1204 Eine Hinweispflicht besteht auch bei einer Umstellung auf einen wesensmäßig gleichartigen Antrag (Geldersatz statt Wiederherstellung).1205 Dies ist das prozessuale Korrelat dafür, dass der Richter statt der beantragten Naturalerfüllung (§ 249 I BGB) nicht ohne weiteres zur Geldleistung (§ 249 II BGB) verurteilen darf.1206 Entgegen der Auffassung des BGH1207 besteht auch eine Hinweispflicht, die Klage auf Schadensersatz in Geld umzustellen, wenn das Herausgabeverlangen (§ 985 BGB) scheitern müsste, weil der Beklagte den Besitz der Sache vor oder nach instanz (beachte nun: § 533 ZPO) erfolgreich, womit eine Erledigung der Streitsache in erster Instanz prozessökonomischer sei. 1201 Die Pfl icht des Richters kann darin bestehen, neue Anträge anzuregen oder auf die Vervollständigung des Tatsachenmaterials hinzuwirken. Eine Ungleichbehandlung des Beklagten könnte dadurch verhindert werden, dass der Kläger bei erfolgreichem Ausgang gemäß § 93 ZPO zur Zahlung der Mehrkosten verpflichtet ist. In jedem Fall ist es Aufgabe des Richters, dem Prozess zu seinem Ziel zu verhelfen. 1202 RGZ 94, 291. 1203 Verlangt somit der Käufer Nachbesserung nach § 439 BGB und ist diese unmöglich, so kann die Zahlung von Schadensersatz nicht als minus im Sinne von § 308 ZPO betrachtet werden. Ein richterlicher Hinweis hätte zu erfolgen. Anderes könnte möglicherweise für das Verhältnis von § 249 I zu II BGB gelten. 1204 RGZ 94, 291. 1205 RGZ 169, 353 (356). 1206 RG SeuffA 87, 5. Verlangt der Kläger Eintragung ins Grundbuch, so ist das Gericht nach § 308 ZPO nicht gehindert, zur Berichtigung des Grundbuchs zu verurteilen. Letzteres sei aber unzulässig, wenn der Klageantrag auf Auflassung laute; a.A. RGZ Recht 1902, 454. 1207 BGHZ 7, 208, 211 f.; hierzu Henckel, Prozeßrecht, S. 131 f.: „Die Rüge des § 139 ZPO ist aber nicht dazu geschaffen, Fehler, die dem Anwalt auf tatsächlicher Ebene unterlaufen sind, zu korrigieren. Die widersprüchliche Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs erklärt sich deshalb zu einem guten Teil aus dem berechtigten Bestreben der Revisionsgerichte, versteckte Tatsachenrügen abzuwehren. Das kann aber nicht in der Weise geschehen, dass man den Hinweis des Instanzrichters auf eine sachdienliche Klageänderung nicht mehr als durch § 139 ZPO geboten ansieht“.
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Rechtshängigkeit nicht mehr inne hatte.1208 Hierfür streitet auch die Wertung des § 264 Nr. 3 ZPO.1209 Bei diesem Verständnis von § 139 ZPO kommt die konzentrationsfreundliche Absicht deutlich zum Ausdruck.1210 Innerhalb desselben Interesses bewegt sich auch der Hinweis, die unzulässige Abänderungsklage (§ 323 ZPO) durch eine Vollstreckungsgegenklage zu ersetzen.1211 Unzulässig wäre nach der Rechtsprechung aber der Hinweis, vom positiven auf das negative Interesse umzustellen.1212 Begehrt der Käufer einer fehlerhaften Sache (§ 434 BGB) die Rückzahlung des Kaufpreises, darf der Richter ihn fragen, ob er den in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beklagten enthaltenen Rücktrittsausschluss übersehen hat, und er stattdessen Nachbesserung verlangen will (§ 439 BGB).1213 Gestattet ist auch die Anregung, die Zahlungsklage auf die Duldung der Zwangsvollstreckung umzustellen.1214 Interessenidentität liegt des weiteren vor, wenn die Ansprüche aus § 2325 BGB und § 2329 BGB sich jeweils gegen den beschenkten Erben richten.1215 Steht dem Anspruch gegen den beschenkten Erben im Hinblick auf § 2325 BGB die Unzulänglichkeitseinrede gemäß § 1990 BGB entgegen, muss der Anspruch auf Herausgabe des Geschenks gemäß § 2329 BGB angeregt werden. Im Ergebnis werden hier von der Rechtsprechung ähnliche Fallgruppen gebildet wie im Rahmen der Verjährungsunterbrechung bzw. -hemmung.1216 Aus dem bisher Gesagten ergibt sich zwanglos, dass das Gericht nicht im Hinblick auf § 264 Nr. 2 ZPO zu einer Erhöhung anregen darf. Die richterlichen Optionen nach § 139 ZPO bewegen sich innerhalb des qualitativ identischen Interesses (Erfüllungskonnexität). § 264 Nr. 2 ZPO gestattet zwar quantitative Erweiterungen. § 139 ZPO berechtigt aber den Richter nur dazu, Antragsände1208
So mit Recht Henckel, Prozeßrecht, S. 130; E. Peters, Richterliche Hinweispflichten, S. 111 f.; ders. FS Beys II, S. 1250 f.; MünchKomm/Wagner, ZPO, § 139 Rn. 28 f.; richtig dagegen RG SeuffA 78, 4. 1209 MünchKomm/Wagner, ZPO, § 139 Rn. 26. 1210 RGZ 169, 353 f.; BGHZ 3, 212. 1211 Im Ergebnis ebenso BGH NJW 2006, 695 f., bei Annahme einer nach § 264 Nr. 3 ZPO zulässigen Klageänderung. Die h.M. nimmt in diesen Beispielsfällen eine von Gesetzes wegen zulässige (§ 264 Nr. 3 ZPO) bzw. sachdienliche Klageänderung an. 1212 OLG Franfurt a.M. BauR 2004, 1201 (Wechsel vom Ersatz des Nichterfüllungsschadens wegen Nichtgewährung eines Sanierungsdarlehens in zweiter Instanz auf den Schaden wegen eines Beratungsmangels). 1213 Fall nach Henckel, Prozeßrecht, S. 130. 1214 BGH LM BGB § 2325 Nr. 2, Bl. 2. 1215 Vgl. auch zuvor § 23 II 2, 4 b, 9; BGH FamRZ 1961, 272; hierzu auch Spohr, § 139 ZPO, S. 92, 102, der auf das passive „Interessevermögen“ abhebt, welches identisch bleibe. Im Anschluss an Henckel, Parteilehre, S. 105 f., versteht er darunter das Vermögen, in welchem das Interesse des Beklagten an der Klageabweisung begründet sei. Das Interessevermögen diene der Feststellung, wann ein Parteiwechsel vorliegt und wann deswegen seine Zustimmung notwendig wäre. In manchem Punkt deckt sich dieser Ansatz mit der hier aus der Warte des Klägers eingenommenen Haltung. 1216 Oben § 23 II 2.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
rungen anzuregen, die sich innerhalb des unterbreiteten Interesses bewegen, so dass die Anregung einer Erhöhung ausgeschlossen ist.1217 § 139 ZPO entspricht funktionell § 264 Nr. 3 ZPO. Der Umfang der Rechtshängigkeitssperre ist jedoch nicht auf das quantitativ verlangte Interesse begrenzt, sondern schließt aus prozessökonomischen Gründen auch die Fälle des § 264 Nr. 2 ZPO mit ein.1218 § 139 ZPO lässt den Richter aber nicht zum Amtsvormund des Klägers werden. Die Entscheidung, welches subjekive Recht ausgeübt wird, obliegt weiter der Disposition der Partei. Aufklärung schuldet der Richter lediglich über die von der Partei zur Verfolgung ihres Rechts angedachte Rechtsfolge.1219 Der Klageantrag kann vom hier vertretenen Standpunkt aus schon deswegen keine Grenze bilden, weil er auch den Verfahrensgegenstand nicht beschränkt.1220 Der Richter darf deswegen auch die Tatsachenerörterung nicht alleine auf den geltend gemachten Antrag ausrichten.
4. Der Begriff der Sachdienlichkeit im Rahmen von § 139 ZPO und § 263 ZPO Wortlaut und Funktion von § 263 ZPO und § 139 ZPO werden teilweise dafür in Ansatz gebracht, den Begriff der Sachdienlichkeit übereinstimmend zu interpretieren.1221 Henckel hält eine Klageänderung stets für sachdienlich, soweit die richterliche Pflicht nach § 139 ZPO reicht, insbesondere, wenn der Kläger sich aus Rechtsunkenntnis im Antrag vergreife.1222 § 139 ZPO verwehre es lediglich, eine nicht sachdienliche Klageänderung anzuregen. Eine Objektivierung der Sachdienlichkeit in dem Sinne, dass nur auf die schnelle Erledigung des Prozesses hinzuwirken sei, gestatte § 263 ZPO gerade nicht. Richtigerweise ist § 263 ZPO in Bezug auf die Sachdienlichkeit objektiv zu interpretieren1223, während für § 139 ZPO ein subjektiviertes Verständnis angezeigt ist.1224 Sachdienlich im Sinne von § 139 ZPO sind also solche Anträge, die eine Übereinstimmung zwischen dem prozessualen Antrag und dem materiellen Prozessziel herstellen.1225 Diese subjektive Ausrichtung von § 139 ZPO 1217
Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 50; Piekenbrock, NJW 1999, 1361. Zum erweiterten Umfang der Verjährungshemmung bei der Teilklage § 23 I 6. 1219 So auch Henckel, Prozeßrecht, S. 131 f. 1220 Entscheidend ist das in der Klageschrift ansgesproche Klägerinteresse, vgl. auch Henckel, Prozeßrecht, S. 131 f., ohne allerdings hieraus Konsequenzen für den Streitgegenstandsbegriff zu ziehen. 1221 MünchKomm/Wagner, ZPO, § 139 Rn. 25 f. 1222 Henckel, Prozeßrecht, S. 133. 1223 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn 32; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 263 Rn. 7 f. 1224 Richtig Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 47, 51; a.A. MünchKomm/Wagner, § 139 Rn. 25 f. 1225 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 47; BAG NJW 2003, 2773. 1218
§ 25 Die Ermittlung des Klägerinteresses
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verträgt sich auch mit der Dispositionsmaxime. Bereits aus ihrer jeweiligen Entstehungsgeschichte folgt, dass § 139 ZPO und § 263 ZPO in ihrem Umfang nicht aufeinander abgestimmt sind.1226 Denn die Möglichkeit der sachdienlichen Klageänderung ist ein Produkt der Novelle von 1924. Wenn im Umfang der richterlichen Instruktionstätigkeit der Verfahrensgegenstand mit seiner Ausrichtung am subjektiven Interesse des Klägers identisch bleibt, muss der Begriff der sachdienlichen Klageänderung (§ 263 ZPO) denknotwendig über den Anwendungsbereich von § 139 ZPO hinausreichen. Für § 263 ZPO kommt es somit entscheidend darauf an, ob eine Verwertung des bisherigen Tatsachenstoffes auch für das neu beanspruchte Interesse möglich ist.1227
5. Veränderungen im Tatsachenvortrag Das jeweilige Streitinteresse bestimmt den Umfang der richterlichen Pflicht, die Verbesserung von Anträgen anzuregen.1228 Auf Tatsachenebene bildet der Verhandlungsgrundsatz die Grenze.1229 Diese Frage- und Hinweispflicht bezieht sich deswegen nach h.L. nur auf den vorgetragenen Streitstoff. Ein Hinweis auf neue Klagegründe1230, Einreden oder Gestaltungsakte sei nur zulässig, wenn das Parteivorbringen bereits entsprechende Anhaltspunkte hierfür enthält. Im Ergebnis wäre hiernach nur eine Präzisierung des Parteivorbringens erlaubt.1231 Die Statuierung einer allgemeinen Beratungspflicht würde sich hingegen mit dem Grundsatz richterlicher Neutralität nicht vertragen. Im mehrfach erwähnten „Weinfall“1232 dürfte somit das Gericht, wenn es der Ansicht ist, der Kaufvertrag über die Weinlieferung sei unwirksam, nur dann auf den Aspekt des Verbrauchs hinweisen, wenn im Vortrag der Parteien bereits entsprechende Andeutungen enthalten sind. Die Ersetzung des vertraglichen Anspruchs durch den Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung bewegt sich dann unproblematisch innerhalb des Streitgegenstands und erfordert lediglich eine entsprechende rechtliche Belehrung (§ 139 II ZPO) der Parteien.1233 Ähn1226
Ausführlich Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 191 f. Bub, Streitgegenstand, S. 195 f. 1228 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 50. 1229 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 39, 52. 1230 RGZ 109, 69 (70); Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 230 f.: „Die dem Gericht nach § 139 I ZPO obliegende Aufklärungspflicht greift nicht Platz, wenn die bisher aufgestellten Parteibehauptungen keinen Anlaß zu klärenden Fragen geben; vor allem gebietet sie dem Gericht nicht, den Kläger zur Aufstellung ihm günstiger neuer Behauptungen zu veranlassen, die einen anderen Klagegrund bilden“; restriktiv auch Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 186 f., unter Hinweis auf die restriktiven Vorläuferregelungen der CPO, wonach der Richter nicht die Einführung völlig neuer Tatsachenkomplexe anregen sollte. 1231 BGH NJW-RR 2004, 495 (496). 1232 Oben § 10 IV 1b. 1233 OLG Köln MDR 1984, 151; MünchKomm/Wagner, ZPO, § 139 Rn. 32 f; unrichtig RG JW 1937, 2221: Das Interesse bleibt hier identisch. Hat der Kläger den für die Begründung 1227
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
liches gilt m.E., wenn ein Zahlungsanspruch sowohl auf eine eigene Berechtigung des Klägers als auch auf eine Abtretung gestützt werden kann.1234 Möglicherweise bestimmt § 139 ZPO auch über den Präklusionsumfang der materiellen Rechtskraft mit.1235 Tatsachen, die vorzubringen der Kläger keinen Anlass hatte, könnten somit von der Rechtskraftwirkung erfasst sein, wenn das Gericht die Pflicht traf, den Kläger gemäß § 139 I ZPO zu einem entsprechenden Vortrag anzuregen. Umgekehrt würde die Begrenzung von § 139 ZPO durch den Verhandlungsgrundsatz bedenklich stimmen, wenn die Grenzen der Rechtskraft nicht auf den (vorgetragenen) Tatsachenkomplex festgelegt wären und bei Klageabweisung ein weiter Präklusionsumfang drohen würde.1236 Als Ausweg böte sich lediglich an, die Hinweispflichten (§ 139 II ZPO) auf Tatsachenebene auch den Grenzen des geltend gemachten Interesses anzupassen. Allerdings kann vom Richter gemäß § 139 ZPO keine Prognose darüber gefordert werden, welcher Vortrag dem Kläger noch helfen könnte.1237
relevanten neuen Tatsachenkomplex aber nicht einmal angedeutet, greift § 139 II ZPO nicht ein, BGH NJW-RR 2004, 495; OLG Hamm FamRZ 1977, 318 (Schadensersatz und Billigkeitshaftung, § 829 BGB). 1234 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 52: veränderte Aktivlegitimation nach Abtretung; Dittmar, NJW 1971, 56; großzügig E. Schneider, NJW 1970, 1884. Das Interesse bleibt identisch, wenn weiter dieselbe Forderungsberechtigung im Zentrum des Geschehens steht. 1235 In diesem Sinne etwa Rim mels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 234 f.; Henckel, Prozeßrecht, S. 144 f.; Mühl, NJW 1954, 1668 f.; Bub, Streitgegenstand, S. 168; a.A. A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 65 f.: § 139 ZPO habe keinen Einfluss auf die Bestimmung des Rechtskraftumfangs. 1236 Rim mels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 230 f.: „Unter diesen Umständen bleibt es dabei, dass ein Zweitverfahren um eine Rechtsposition mit einem bestimmten Schutzrecht … nicht schon deshalb erfolglos enden muss, weil dieselbe Position im Hinblick auf ein anderes Schutzmittel bereits einmal zur gerichtlichen Beurteilung gestanden hatte.“ 1237 Bereits aus diesem Grunde verbietet sich eine Anlehnung an die objektive Interpretation von § 263 ZPO. Richtig Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, S. 193, allerdings mit ingesamt engerer Interpretation. Näher zur Rechtskraft § 30 VI.
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§ 26 Verfahrenskonzentration I. Konzentrationslast des Klägers Die im Rahmen dieser Arbeit vorgeschlagene Orientierung am Streitinteresse führt zur Konzentration sämtlicher in Erfüllungsgemeinschaft stehender Rechtsfolgenbehauptungen bei einem Gericht (§ 261 III Nr. 1 ZPO). Diese Konzentrationslast korrespondiert aus Sicht des Klägers mit dem Vorteil der Forumbestimmung und entspricht mit Blick auf den Beklagten dem Grundsatz der Chancengleichheit. Die Ausrichtung des Verfahrensgegenstandes an einem funktionell abgegrenzten Lebensverhältnis würde indes der Anerkennung eines allgemeinen Konnexitätsgerichtsstands das Wort reden, den das deutsche Recht bisher nicht kennt.1238
1. Konzentration von Tatsachenkomplexen Ebenso wie die lediglich am Klageantrag orientierte eingliedrige bzw. relative Streitgegenstandslehre erreicht der hier vertretene Ansatz umfassende Verfahrenskonzentration über die Rechtshängigkeitssperre nach § 261 III Nr. 1 ZPO. Vom Verfahrensgegenstand erfasst sind sämtliche Klagegründe, welche die Einheit des Interesses unangetastet lassen, wie etwa der Vortrag weiterer arglistiger Täuschungen durch den Beklagten bzw. das Vorbringen anderer Gestaltungsgründe im Fall der Gestaltungsklage. Bei der Kumulierung unterschiedlicher Klagegründe erfolgt im Falle wirtschaftlicher Identität nach § 5 ZPO ohnehin keine Addition, so dass weitere Verfahrenskosten nicht entstehen.1239 Im Falle der alternativen Begründung eines Interesses mit verschiedenen Lebenssachverhalten liegt somit keine Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) vor. Dies gilt etwa, wenn der Anspruch auf Herausgabe einer bestimmten Sache einerseits auf eine Eigentümerstellung und andererseits auf eine persönliche Verpflichtung gestützt wird.1240 Hierher gehört auch der Fall, dass der Gläubiger die Zahlung derselben Summe aus einem Wechsel und dem jeweiligen Grundgeschäft fordert.1241 Eine Anspruchshäufung liegt ebenfalls nicht vor, wenn der Gläubi1238 1239 1240 1241
Siehe oben § 16 II 7. Allgemein Frank, Anspruchsmehrheiten, S. 175. Zu weiteren Beispielen ausführlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 260 Rn. 5 f. Instruktiv Saenger, MDR 1994, 860.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
ger eines Zahlungsbegehrens aus eigenem oder abgetretenem Recht die geforderte Summe nur einmal beansprucht. Die Konstruktion einer alternativen Anspruchshäufung durch die herrschende zweigliedrige Streitgegenstandslehre1242 ist nicht nur dogmatisch angreifbar, sondern auch überflüssig. Diese aus dem Interessebegriff folgende Konzentration erscheint notwendig, um unnötigen Prozessverdoppelungen von vorneherein vorzubeugen, wenngleich der Kläger ohnehin häufig bemüht sein wird, neuen Tatsachenstoff in das noch andauernde Verfahren einzuführen. Entgegen der h.L. bedarf es hierzu der Annahme einer sachdienlichen Klageänderung nicht, wenn das Interesse und somit der Verfahrensgegenstand identisch bleibt. Die Gefahr doppelter Titulierung und Vollstreckung, vor welcher der Beklagte durch die Vollstreckungsgegenklage nur unzureichend geschützt ist1243, entsteht bei dieser Art von Verfahrenskonzentration von vorneherein nicht. Auch ist aus Sicht des Beklagten dem Risiko, bei zweimaligem Unterliegen trotz Interessenidentität doppelt Prozesskosten zahlen zu müssen, Rechnung getragen1244, wenngleich Nikisch hieran nichts Anstößiges erkennen wollte, sofern der Beklagte „beide Ansprüche“ bestritten habe.1245 Entscheidend für die Konzentration sämtlicher Tatsachenkomplexe spricht zudem, dass durch die Verhinderung von Parallelverfahren die „knappe Ressource Justiz“ geschont wird. Dogmatisch angreifbar erscheint, dass die Lehre bei alternativ begründeten, aber übereinstimmenden Klagezielen z.T. ein Anwendungsfeld des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses erkennen will, sofern der Kläger mit seinem Vortrag auch im Erstverfahren gehört würde.1246 So soll etwa einer Rückforderungsklage aus ungerechtfertigter Bereicherung, die auf einen bestimmten Anfechtungsgrund (§ 119 I BGB) gestützt werde, nicht die Rechtshängigkeit einer früher erhobenen Klage aus einem anderem Anfechtungsgrund (§ 123 I BGB) entgegenstehen. Vielmehr wird für die zweite Klage das Rechtsschutzbedürfnis verneint.1247 Das fehlende Rechtsschutzbedürfnis stellt im Vergleich zum Rechtshängigkeitseinwand jedoch ein rein subsidiäres Steuerungsinstrument dar.1248 Jede andere Sichtweise1249 erhebt das Rechtsschutzbedürfnis zum 1242
Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 260 Rn. 3; Habscheid, Streitgegenstand, S. 259. A.A. Bub, Streitgegenstand, S. 186; für Grundgeschäft und Wechsel auch Nikisch, AcP 154 (1954), 285; Beys, ZZP 105 (1992), 175. 1244 In diesem Sinne auch Bub, Streitgegenstand, S. 186; Schwab, Streitgegenstand, S. 125. 1245 Nikisch, AcP 154 (1954), 285 f.; vgl. auch M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, S. 112. 1246 Bub, Streitgegenstand, S. 187; Habscheid, Streitgegenstand, S. 280 f., 164. Anders dagegen Henckel, Parteilehre, S. 289 Fn. 150: Er wendet sich gegen eine Lösung über das fehlende Rechtsschutzbedürfnis, sondern will zum Abwarten der rechtskräftigen Entscheidung verpflichten, ohne die Einführung des Vorbringens in den laufenden Prozess in Betracht zu ziehen. 1247 Bub, Streitgegenstand, S. 187. 1248 A.A.: notwendige Ergänzung, Habscheid, Streitgegenstand, S. 283. 1249 So etwa Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, S. 32: Das Rechtsschutzbedürfnis sei als allgemeine Rechtsschutzvoraussetzung vor der Rechtshängigkeit zu prüfen. 1243
§ 26 Verfahrenskonzentration
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remedium generale und ebnet die Berechtigung spezieller Prozessvoraussetzungen ein. Ein Vorzug der deutschen ZPO im Vergleich zu anderen ausländischen Verfahrensordnungen1250 besteht aber gerade darin, dass sie mit ihrer Kategorisierung allgemeiner Prozessvoraussetzungen das Verfahren vorhersehbar und kalkulierbar macht.1251 Eine „Reprimitivisierung des Prozessrechts“ gilt es zu vermeiden.1252 Ekkehard Schumann hat überdies mit Recht auf einen weiteren Gesichtspunkt hingewiesen, der nicht vernachlässigt werden sollte:1253 Die Abweisung einer Klage als unzulässig geschehe in der Regel dadurch, dass im Prozessurteil der tragende Abweisungsgrund deutlich hervorgehoben wird, um dem Kläger eventuell nach Wegfall dieses Hindernisses eine erneute Klage offen zu halten. Bei Abweisung aus Gründen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses wird der Bezug zum sperrenden Parallelverfahren weit weniger deutlich, als wenn die Abweisung wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit erfolgt. Diese streitgegenstandsorientierte Konzentration stößt indes auf rechtstatsächliche Grenzen, wenn das Ausgangsverfahren bereits in der Revisionsinstanz beim BGH anhängig ist, so dass neuer Tatsachenvortrag nicht mehr gestattet ist. Mit dem Anspruch auf effektive Rechtsschutzgewährung wäre es bei einer Divergenz von Streit- und Urteilsgegenstand unvereinbar, wenn der Kläger sowohl gehindert wäre, eine neue Klage anzustellen als auch den relevanten Tatsachenkomplex in das laufende Verfahren einzuführen. Ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Vorprozesses erscheint meist nicht zumutbar. Diese Frage hat die relative Streitgegenstandslehre, welche den Urteilsgegenstand auf einen bestimmten vorgetragenen Lebenssachverhalt begrenzt, bisher offen gelassen.1254 In diesem Kontext stellt sich für den Rechtsmittelführer auch die Frage, inwieweit es noch möglich ist, neuen Tatsachenstoff (evtl. durch Klageänderung oder Widerklage, §§ 533, 531 ZPO) im Berufungsverfahren vorzubringen. Die verschärften Präklusionsfristen des reformierten Berufungsrechts haben die Möglichkeiten, alternative Tatsachenkomplexe im Verfahren vorzubringen, reduziert. Doch darf bezweifelt werden, ob dem mit einer Vervielfältigung von Streitgegenständen entgegengesteuert werden sollte.1255 Vielmehr ist im Einzelfall mit einer großzügigeren Auslegung der Tatsachenpräklusion im Berufungs1250
Zu denken ist hier an den abuse-Einwand im angloamerikanischen Verfahrensrecht bzw. das Prinzip des forum non conveniens, vgl. den Überblick bei N. Schulte, S. 44 ff., 73 ff. 1251 So bereits E.Schumann, in: FS Fasching, S. 444; Brehm, in: FG BGH III, S. 89 ff.; allgemein Allorio, ZZP 67 (1954), 322 ff. Für das Verhältnis von Rechtskraftsperre und Rechtsschutzbedürfnis besonders deutlich Kamlah/Ulmar, WRP 2006, 970. 1252 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 142. 1253 E. Schumann, in: FS Fasching, S. 444. 1254 Ein Parallelverfahren könnte deswegen wieder zulässig sein; vgl. zur Kritik an der eingliedrigen und relativen Streitgegenstandslehre, Bub, Streitgegenstand, S. 188: Hier zeigten sich die Vorteile des flexiblen Einwands des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses gegenüber den Nachteilen der starren Rechtshängigkeitssperre. 1255 Für den Arzthaftungsprozess auch Soergel/Spickhoff, BGB, § 823 Anh I Rn. 102.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
recht zu arbeiten.1256 Zudem könnten etwaige auf eine materiellrechtsfreundliche Auslegung zurückzuführende Begrenzungen des Urteilsgegenstandes1257 u.U. bereits eine Einschränkung des Rechtshängigskeitsumfangs (§ 261 III Nr. 1 ZPO) rechtfertigen, wenn die Einführung neuen Tatsachenmaterials in das (noch) andauernde Parallelverfahren nicht mehr zulässig wäre.
2. Abweichende, aber interessenidentische Rechtsfolgen Wie bereits ausgeführt, sind dem Kläger durch § 261 III Nr. 1 ZPO interessenidentische Rechtsfolgenbehauptungen bei verschiedenen Foren verboten.1258 Materiellrechtliche Erfüllungszusammenhänge zwischen Ansprüchen und Rechtsbehelfen verschiedenen Inhalts werden damit auch im Prozess gewahrt.1259 Die Berücksichtigung des einheitlichen Klägerinteresses und die hieraus folgende Konzentration zusammenhängender Streitkomplexe bei einem Gericht begünstigen eine effiziente und prozessökonomische Rechtsverfolgung.1260 Die Rechtshängigkeitssperre will frühzeitig eine umfassende Streitbereinigung initiieren. In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die Klärungsund Befriedungsfunktion des Prozesses hingewiesen1261, die eine schnelle und umfassende Beendigung des Streits gebietet. Prozessökonomisch sinnvoll wäre es hingegen nicht, die Verhandlung auf das gesamte durch die Klärung der Rechtslage betroffene Lebensverhältnis zu erstrecken.1262 Die Lösung liegt vielmehr in einer funktionsgerechten Verbindung materiellrechtlicher und prozessualer Aspekte.1263 Von daher erscheint es gerechtfertigt, auch den gemeinsa1256
Vgl. H. Roth, JZ 2005, 174 f., 178. Zur materiellrechtsfreundlichen Auslegung im Rahmen des Urteilsgegenstandes näher § 30 VIII. 1258 Oben § 22 II. 1259 Gegen eine Berücksichtigung materiellrechtlicher Wertungen im Rahmen der Rechtshängigkeitssperre Mittenzwei, Aussetzung, S. 99, der diese wieder auf ihren ursprünglichen prozessualen Sinn zurückführen will. 1260 Bub, Streitgegenstand, S. 136; A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 67; Bötticher, MDR 1962, 725; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 115 f: „Die Regeln über Klageänderung, Rechtshängigkeit und Rechtskraft wollen … einheitlich zur Konzentration der Prozesse beitragen.“ 1261 Vgl. Zeuner, in: FS Bötticher, S. 410 f. (im Zusammenhang mit der Rechtswegabgrenzung); Böhm, in: FS Kralik; vgl. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 96. 1262 Ebenso Zeuner, in: FS Bötticher, S. 410: „Lässt sich die Rechtsordnung gewissermaßen als ein Plan für das menschliche Zusammenleben verstehen, so ist der Prozess das gegebene Mittel, mit dessen Hilfe dieser Plan für den Einzelfall konkretisiert, außer Streit gestellt und durchgesetzt werden kann.“ Lebenssachverhalte sind nicht rechtlich fest umrissen, so dass eine eindeutige Abgrenzung nicht gewährleistet wäre. 1263 Zeuner, in: FS Bötticher, S. 425: „Allenthalben ist zu bemerken, dass der Prozess mit seiner Klärungs- und Befriedigungsaufgabe auf das materielle Recht bezogen ist. Diese Bezogenheit besteht aber nicht darin, dass im konkreten Fall für jede auf eine gesonderte Rechtsfolgeanordnung zurückführbare rechtliche Einheit, für jedes einzelne Recht und Gegenrecht prinzipiell ein eigenes Verfahren zur Verfügung stünde. Worum es sich handelt, ist vielmehr 1257
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men materiellrechtlichen Ordnungsgehalt divergierender Rechtsfolgen bei der Bemessung des Konzentrationsumfangs zu berücksichtigen. Gestaltet das materielle Recht bestimmte Rechtsfolgen in der Weise aus, dass dem Gläubiger das eine Recht nur wahlweise oder anstelle (vgl. § 213 BGB) eines anderen Rechts zusteht, so ergibt sich in Zusammenschau mit der rechtsähnlich ausgestalteten Vorschrift des § 264 Nr. 3 ZPO ein umfassender Konzentrationszwang am zuerst angerufenen Forum. So kann derselbe Kläger nicht parallel bei verschiedenen Gerichten die Primärleistung und zugleich Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Die Antragsdivergenz spielt für die Anwendung von § 261 III Nr. 1 ZPO keine Rolle.1264
3. Teilklagen § 261 III Nr. 1 ZPO verhindert, wie bereits erwähnt1265, entgegen der h.L. auch die Aufspaltung eines einheitlichen Interesses auf parallele Teilklagen. Dies folgt unmittelbar aus der Möglichkeit der Klageerweiterung gemäß § 264 Nr. 2 ZPO und bedeutet keinen Anwendungsfall des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses. Sinn und Zweck der Rechtshängigkeitssperre betreffen gerade auch die Konzentration innerlich zusammengehöriger Streitkomplexe bei einem Forum. Auch die Prozessökonomie ist Teil des Grundsatzes, Parallelverfahren möglichst zu vermeiden.1266 Zwar betonte A. Wach noch, dass der Gläubiger nicht gehindert sei, den Schuldner „mit aufeinanderfolgenden Teilklagen zu plagen.“1267 Im Ergebnis kann dies aber nicht für sich zeitlich überschneidende Teilklagen vor verschiedenen Foren gelten. Denn hier fällt zusätzlich das öffentliche Interesse an Verfahrenskonzentration in die Waagschale. Nach der im Rahmen dieser Studie vertretenen Auslegung verbietet § 261 III Nr. 1 ZPO nur die anderweitige Geltendmachung derselben Streitsache. Lediglich nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens ist ein erneutes Anstellen eines weiteren Teilbetrages vor einem anderen Forum zulässig. Im Ergebnis verschmelzen bei dieser Sichtweise Aspekte einer ausschließlichen Zuständigkeit des Erstforums mit der Rolle der Rechtshängigkeitssperre. Ein Novum bedeutet dies nicht, wie Art. 27 EuGVVO auf europäischer Ebene zeigt.1268 Eine zeitgleich anderweitig angestellte zweite Teilklage aus demselben Anspruchsgrund könnte demnach dem eine auf Funktionen ausgerichtete Erfassung der im materiellen Recht gegebenen Ordnungsfunktion …“. 1264 In diesen Punkten ebenso Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 60, Rn. 5 Fn. 8. 1265 Oben § 23 I 6. 1266 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 1 f. 1267 Wach, Feststellungsanspruch, S. 135. 1268 Die Anwendung von Art. 27 EuGVVO im Hinblick auf Teilklagen ist indes umstritten, unten § 40 III.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
Rechtsgedanken des § 281 I ZPO nach an das mit der Sache bereits befasste Gericht verwiesen werden.1269 Diese Sichtweise gewährleistet Verfahrenskonzentration, ohne dass der Kläger automatisch mit korrespondierenden Präklusionswirkungen rechnen müsste.1270
II. Konzentrationslast aus Sicht des Beklagten Die hier vertretene Gleichsetzung des Verfahrensgegenstandes mit dem Streitinteresse des Klägers verstärkt auch die Konzentrationslast für den Beklagten.1271
1. Widerklagelast des Beklagten a) Historisches Bereits das nachklassische römische Rechtssystem1272 sah eine Art Verfahrenskonzentration in Gestalt einer Widerklagepflicht vor.1273 Diese beruhte auf einer eigenen Anordnung Kaiser Justinians, um Missstände im prozessualen Verhalten des Beklagten zu unterbinden, der seinerseits glaubte, den Kläger belangen zu können. Die entsprechende Novellenstelle belegt aber, dass die erzielte Verfahrenskonzentration nur ein Nebeneffekt war. Novelle 96, 2 des corpus iuris civilis lautet in Übersetzung wie folgt: „Auch noch ein Umstand muss eine gebührende Verbesserung erhalten. Es hat sich nämlich Jemand an Uns gewendet, welcher Uns unterrichtete, er habe seinem Schuldner vor einem Unserer ruhmwürdigsten Statthalter belangt, sodann habe ihn der in Anspruch Genommene, da auch dieser ihn, den Kläger, zum Schuldner gehabt habe, vor einen anderen Richter gezogen. Und es ereignete sich nun etwas Seltsames. Weil nämlich jeder besonders die Stelle eines Klägers inne hatte, so entstand daraus ein kläglicher und lächerlicher Zustand. Denn sobald Einer seinen eigenen Prozess verhandeln wollte, so zog ihn sogleich der Widerkläger vor den anderen Richter, welchen er selbst zum Richter gewählt hatte, und indem sie sich so einander herumzogen, blieben sie ewig im Prozess miteinander. Wir verordnen also, dass, wenn Jemand glaubt, dass der, welcher gegen ihn Klage erhoben hat, sein Schuldner sei, er ihn nicht vor einem anderen Richter, sondern sogleich im Anfang bei demselben belangen, und dieser in beiden Rechtshändeln Richter sein soll … Wenn er jedoch stillgeschwiegen hat, und dann den Prozess vor einem anderen Richter erheben will, 1269 Ähnlich im Falle von negativer Feststellungsklage und Leistungswiderklage, Zeuner, in: FS Lüke, S. 1007 f. 1270 Eine Ausweitung des Umfangs der Rechtskraftpräklusion nach US-amerikanischem Vorbild erscheint angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 322 I ZPO in Deutschland nur de lege ferenda denkbar, vgl. P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99. 1271 Zwischen Kläger- und Beklagtenlast unterscheidet auch Hau, ZZP 2004 (117), 40. 1272 Allgemein zu dieser Rechtsperiode oben § 4 II. 1273 Ausführlich Schröder, Internationale Zuständigkeit, S. 582 f.
§ 26 Verfahrenskonzentration
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so soll er das Ende des gegen ihn von Dem, der ihn vor das Gericht gezogen hat, erhobenen Prozesses abzuwarten verpflichtet sein, und wenn der Prozess sein Ende erreicht hat, dann soll er seinen Prozess vor einem anderen Richter anstellen können, so dass Wir so dergleichen Kunstgriffe und gegenseitige Chikanen aufheben.“1274
Mit Recht kann diese Anordnung im corpus iuris civilis als historischer Vorläufer einer suspendierenden Widerklagelast bezeichnet werden.1275 Der Zwang zur Geltendmachung des Gegenanspruchs im Rahmen des Erstverfahrens resultiert nicht aus einer drohenden Präklusionsgefahr wie im US-amerikanischen Recht. Die Möglichkeit zur Einleitung eines selbständigen Verfahrens wird während der Rechtshängigkeit des Klageverfahrens lediglich zeitlich suspendiert, soweit das Rechtsschutzbegehren des Beklagten auch mittels Widerklage umgesetzt werden könnte. Dem Gedanken der Ausschließlichkeit des forum reconventionis und der hiermit einhergehenden Konzentrationslast ist hingegen im gemeinen deutschen Zivilprozessrecht eine klare Absage erteilt worden.1276 Sie hatte sich in der Praxis für den Beklagten als nicht zu unterschätzender Nachteil erwiesen.1277 Dies erscheint verständlich, weil Justinian die durch die Widerklage geschaffene Zwangsgemeinschaft von Anspruch und Gegenanspruch unabhängig von ihrer Konnexität angeordnet hatte. Vielmehr wurde im kanonischen bzw. im gemeinen Zivilprozess die Widerklage lediglich als Option des Beklagten verstanden und keinesfalls als Verpflichtung.1278 Bezeichnend ist die Aussage Pollaks1279: „Ein Gedanke, wie er einer kleinlichen, überall bevormundenden Gesetzgebung allein eigen sein kann.“1280 Bei dieser Diskussion spielte auffälligerweise der konkrete Funktionszusammenhang von Klage und Widerklage nur eine geringe Rolle, wenngleich vereinzelt eine Beschränkung der „Widerklagelast“ auf Fälle materieller Konnexität erwogen wurde.1281 Die praktischen Schwierigkei1274 Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis, Das Corpus Juris Civilis in’s Deutsche übersetzt, Bd. 7, S. 465 f. Ein ähnlicher Zwang war auch in einigen kirchlichen Dekretalien festzustellen, vgl. hierzu ausführlich v. Planck, Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten, S. 358 f. 1275 So Hau, ZZP 2004 (117), 40. Auffällig ist m.E. bei Justinian, dass die Sperrwirkung für ein paralleles Verfahren nicht näher begründet, sondern schlicht angeordnet wird. 1276 Schröder, Internationale Zuständigkeit, S. 582 f. 1277 Hau, ZZP 2004 (117), 40. 1278 Zur Entwicklung Schröder, Internationale Zuständigkeit, S. 583. 1279 Pollak, Die Widerklage, 40 f., 147. 1280 Bayers, Vorträge über den gemeinen ordentlichen Civilproceß, S. 216, Aussage, eine „Verbindlichkeit des Beklagten, seine Gegenforderung auf dem Wege der Reconvention gerade bei diesem Gerichtsstande zu verfolgen, wie solche in der Nov. 96 … ausgesprochen ist, und zwar mit der Bedrohung, dass der Beklagte widrigenfalls während der Dauer des Hauptprocesses seinen Gegenanspruch bei einem anderen Gerichte gar nicht anbringen dürfe, ist jedoch in der jetzigen Praxis nicht mehr anerkannt“, kann für die gesamte gemeine Prozessrechtswissenschaft Geltung beanspruchen; vgl. auch v. Planck, Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten, S. 358 f. A.A.: Goldschmidt, ZPR, S. 23 u. 29. 1281 Vgl. v. Planck, Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten, S. 358 f.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
ten rührten indes auch aus dem besonderen Procedere des gemeinen Prozesses.1282 Das Fehlen einer Widerklagelast war z.T. dem geltenden schriftlichen Prozess geschuldet. In der CPO von 1877 finden sich im Anschluss an das gemeine Recht keine Hinweise mehr für die konzentrierende Kraft des forum reconventionis. Loening1283 schreibt vielmehr kurz nach Inkrafttreten der CPO zur Widerklage durch den Beklagten, dass diese Möglichkeit in die freie Wahl des Beklagten gestellt sei. Die Erhebung einer Widerklage sei auch nicht in dem Sinne notwendig, dass eine wirksame Geltendmachung von Gegenansprüchen – sei es für die Dauer des Vorprozesses oder überhaupt – nur in dieser Form geschehen könnte: „Der Beklagte ist nicht, wie man sagt, zur Widerklage verpflichtet, er kann, statt sich einer solchen zu bedienen, seine Gegenansprüche auch durch gesonderte Klage verfolgen, und zwar sowohl während des Vorprozesses als nach dessen Beendigung, vor demselben oder vor einem andern zuständigen Gericht.“
b) Geltendes Recht Die ZPO bietet keinen Anhaltspunkt für einen allgemeinen Zwang bzw. eine Last zur Widerklage.1284 Nach der Systematik der ZPO ist bis heute nicht einmal mit Sicherheit geklärt, ob die Widerklage überhaupt nur bei entsprechender Konnexität zulässig ist.1285 Für nicht konnexe Klagen ist ein Widerklagezwang offensichtlich wenig sinnvoll. Aus prozessökonomischer Sicht tendieren die Vorteile gegen Null, während die Nachteile in Form erheblicher Verfahrensverzögerung überwiegen. Erwägenswerter erscheint eine derartige Widerklagelast aber, wenn zwischen Klage und Widerklage ein rechtlicher Zusammenhang (§ 273 BGB entsprechend) bzw. eine synallagmatische Beziehung besteht. Klagt etwa der Werkunternehmer auf seinen vereinbarten Lohn und verlangt umgekehrt der Besteller die Lieferung eines neuen mangelfreien Werks, so könnte die Widerklage nicht nur Option, sondern notwendig sein. Der im Beispiel angedeutete synallagmatische Zusammenhang (§ 320 BGB) kann dennoch richtigerweise nicht genügen, um eines der beiden Klagerechte zeitlich zu suspendieren. Eine Widerklagelast kann sich für die deutsche ZPO nur als Folge der Rechtshängigkeitssperre ergeben, was Identität der Streitgegenstände vo1282 „In der Praxis indes ist nie die Rede von einem Zwang des Beklagten bis zur Beendigung der Vorklage mit Anstellung jeder anderen Klage zu warten. Auch würde sich das gar wenig mit dem jetzt fast allgemein gebräuchlichen, häufig nicht sehr schnellen, schriftlichen Prozessgang vertragen“, v. Planck, Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten, S. 361. 1283 Loening, ZZP 4 (1882), 1, 125 f. 1284 RGZ 40, 363 f.: „Ist dies aber zulässig, so muss der Berechtigte auch eine besondere Klage erheben können, da es keine gesetzliche Vorschrift gibt, nach welcher jemand, der zur Einklagung einer Leistung berechtigt ist, verpfl ichtet wäre, dies nur im Wege der Widerklage zu tun“; Hau, ZZP 2004 (117), 43. 1285 So die Rechtsprechung des BGH NJW 1964, 44; NJW 1975, 1228.
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raussetzen würde.1286 Selbst nach der Kernpunkttheorie des EuGH wird im vorigen Beispiel aber die Annahme verschiedener „Ansprüche“ im Sinne von Art. 27 EuGVVO kaum gerechtfertigt sein1287, sofern nicht wieder das pragmatisch abgegrenzte Lebensverhältnis in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt wird.1288 Allerdings würde mit dieser Streitgegenstandsausrichtung über § 261 III Nr. 1 ZPO gerade der Zwang zur Widerklage in erheblichem Maße verstärkt, was mit den Vorstellungen des Gesetzgebers schwerlich vereinbar ist. Eine allgemeine Konzentrationslast ist der ZPO unbekannt.1289 Eine völlige Ablösung vom Klageantrag bzw. vom jeweiligen Streitinteresse empfiehlt sich nicht. Schwieriger zu beurteilen wäre indes die Konstellation, dass der Verkäufer auf Zahlung des (Rest-)Kaufpreises klagt, während der Käufer im Hinblick auf die Mangelhaftigkeit der gelieferten Waren (Wider-)Klage auf Zahlung von Schadensersatz statt der Leistung erhebt (§§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB). Sieht man die Interferenzen zwischen beiden Begehren nicht lediglich auf die gemeinsame Vorfrage des Kaufvertrages beschränkt, sondern erkennt in ihnen einen typischen Interessengegensatz1290, erscheint der Zwang zur Widerklage hier nicht ungerechtfertigt. Gerade diese Konstellation bedarf unter „europäischen Vorzeichen“ noch der näheren Analyse.1291
c) Exkurs: Rechtskraftpräklusion und Widerklagelast im US-amerikanischen Recht Während der Beklagte seine Gegenforderung im deutschen Recht ohne weiteres zeitlich versetzt und auch nach Abschluss des Klageverfahrens weiter erheben kann, setzt das US-amerikanische Prozessrecht das Institut des counterclaim in einem weit umfassenderen Sinne zur Verfahrenskonzentration ein.1292 Zu unterscheiden gilt es zwischen compulsory counterclaim und permissive coun1286
Hau, ZZP 2004 (117), 44 f. Anderes wäre lediglich vorstellbar, wenn die beteiligten Mitgliedstaaten die Rechtskraftwirkung entschiedener Vorfragen (Kaufvertrag) anerkennen und dies für die Annahme von Unvereinbarkeit im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO ausreicht; großzügiger Koch, Widerspruch in den Vorfragen, S. 70 f. 1288 So P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 93; mit Recht einschränkend Stein/Jonas/H. Roth, vor § 253 Rn. 54 f. 1289 Allgemein auch K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 441: Im Übrigen geben auch Art. 6 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVVO nur ein Konzentrationsrecht, zwingen jedoch nicht allgemein zur Widerklage. 1290 Vergleichbar spricht Wernecke, Einheitlichkeit, S. 29 Fn. 82, in diesem Beispiel von konträren Rechtsfolgen. Dabei handele es sich um Begehren, bei denen nach dem Maßstab des sachlichen Rechts aus der Berechtigung des einen unmittelbar auf die mangelnde Berechtigung des anderen geschlossen werden könne. Hier mögen nacheinander Prozesse möglich sein, deren Nebeneinander sei aber unzulässig; Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 25. 1291 Unten § 40 V. 1292 Unter counterclaim ist jeder im Prozess erhobene Anspruch zu verstehen, der sich gegen den Prozessgegner richtet. 1287
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
terclaim: Während letzterer, ohne dass ein nexus zum Klageanspruch bestehen müsste, in das Belieben des Beklagten gestellt ist, beruhen compulsory counterclaims auf demselben Ereignis wie die Klageforderung und stehen mit dieser in rechtlichem Zusammenhang. Daraus kann sich eine Verpflichtung zum counterclaim ergeben. Nach Common Law gelten counterclaims, auf die sich der Beklagte im Prozess nicht berufen hat, zwar nicht von vorneherein durch die Rechtskraft des Urteils präkludiert.1293 Wichtige Ausnahmen ergeben sich aber aus den FRCP (Federal Rules of Civil Procedure) und den bundesstaatlichen Zivilprozessordnungen, welche den Beklagten verpflichten, zumindest konnexe counterclaims ins Verfahren einzubringen. Denn nach einem über den Klageanspruch entscheidenden Urteil wäre der Beklagte mit seiner Gegenforderung1294 aufgrund des res iudicata-Effekts präkludiert.1295 Dies gilt etwa, wenn durch die nachträgliche Zulassung des Gegenanspruchs die Wirkung des Urteils praktisch aufgehoben würde.1296 Insoweit ist der Beklagte nach Rule 13 (a) der FRCP und den entsprechenden Regeln der Bundesstaaten gehalten, alle counterclaims, die er zu seiner Verteidigung geltend machen kann und die auf demselben Geschehen oder Ereignis beruhen (arising out of the same transaction or occurence) wie die Klage, in das Verfahren einzubringen (sog. compulsory counterclaim). Die Regelung dient der Verfahrenskonzentration. Freilich wird transaction or occurrence großzügig interpretiert1297. Entsprechend werden für konnex alle counterclaims befunden, deren Behandlung in demselben Verfahren prozessökonomisch wünschenswert erscheint. So sei der Beklagte etwa gehalten, bei einer Klage des Verkäufers aus dem Kaufvertrag gegebenenfalls Ansprüche auf Auflösung des Vertrages geltend zu machen.1298 Im Ergebnis ist die Gefahr einer Präklusion somit groß: Die compulsory counterclaim rule will nicht in erster Linie spätere Angriffe gegen den titulierten Anspruch vermeiden, sondern vielmehr einer späteren selbständigen Klage aus dem counterclaim entgegen-
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Restatement (Second) of Judgments, § 22 (1); Nelle, Anspruch, S. 122. Der Begriff des counterclaim geht indes über Gegenansprüche hinaus und erfasst auch Gestaltungsrechte, Nelle, Anspruch, S. 122. Als counterclaim wird aber nicht nur die Aufrechnung angesehen, sondern etwa im Rahmen einer Kaufpreisklage auch die Berufung auf Sachmängel und ein Lösungsrecht wegen Irrtums (rescission), Restatement (Second) of Judgments, § 22 (illustrations 6 u.9). 1295 Hay, in: FS Geimer, S. 337.; ders., US-amerikanisches Recht, Rn. 162; insbesondere Engelmann-Pilger, S. 58: Die Rechtskraftwirkung im Sinne des res judicata-Effekts erscheint aus deutscher Sicht überraschend, weil über nicht erhobene Ansprüche (§ 308 ZPO) nicht entschieden werden kann. Die amerikanische res iudicata-Lehre ist jedoch weiter gefasst. 1296 Näher Nelle, Anspruch, S. 123 f.: Diese Regel erinnert an die deutsche Maxime vom „Ausschluss des kontradiktorischen Gegenteils durch die Rechtskraft“; Hau, ZZP 117 (2004), 47; vgl. comment e zu Restatement (Second) of Judgments, § 22. 1297 Hercules, Inc. v. Dynamic Export Corp., 71 F.R.D. 101 (S.D.N.Y. 1976); vgl. Hay, in: FS Geimer, S. 336. 1298 Kent v. Clark, 128 P.2d 868 (S. Ct. Cal. 1942) zur rescission wegen fraud. 1294
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wirken.1299 Diese Lehre ergänzt das allgemeine Verbot des splitting of a cause of action.1300 Nicht verkannt werden darf, dass dem Kläger hiermit die Option an die Hand gegeben wird, durch eine unbedeutende oder kaum erfolgreiche Klage dem Beklagten aus unterschiedlichen Motiven heraus ein ungünstiges Forum aufzuzwingen. Doch muss sich der Beklagte massive Einschränkungen auch dann gefallen lassen, wenn keine entsprechende compulsory counterclaim rule existiert.1301 Dies gilt für die Konstellation, dass ein Tatsachenvortrag zugleich als Verteidigungsvorbringen (Einwendung) und als selbständiger klagebegründender Vortrag zur Verwendung kommen könnte. Denn eine solche selbständige Klage wäre auch dann ausgeschlossen, wenn sein Verteidigungsvorbringen begründet wäre.1302 Er wird somit zur Widerklage gezwungen.1303 Allgemein wird diese weitgespannte Pflicht des Beklagten zum unmittelbaren Gegenvortrag in der US-amerikanischen Praxis jedoch nicht als Last empfunden, sondern als prozessökonomische Errungenschaft überwiegend begrüßt. Der Beklagte bzw. dessen Anwalt ist im Rahmen von Rule 13 FRCP regelmäßig sogar bemüht, die Berücksichtigung des Gegenanspruches als compulsory counterclaim zu erreichen.1304 Etwas anders stellt sich die Lage dagegen im englischen Recht dar.1305 Als historische Randnotiz sei erwähnt, dass für den gemeinen deutschen Prozess bereits Bekker eine weitreichende Präklusion von Beklagtenrechten, die einer einheitlich abzugrenzenden res entsprangen, befürwortete.1306 Das Wiederholungsverbot bezog sich somit nicht nur auf die Kläger-, sondern auch auf die Beklagtenseite. Gegenansprüche wurden unabhängig von einer etwaigen Kompensation durch den Beklagten abgesprochen. Damit sind insbesondere Fälle des unechten kontradiktorischen Gegenteils erfasst worden, wie die Gegenvindikation des Beklagten.1307 Die strenge Fassung von § 322 I, II ZPO beließ hierfür jedoch keinen Raum.
1299 So Nelle, Anspruch, S. 124: Wenn im Prozess der Käufer einer Sache zur Verteidigung gegen den Kaufpreisanspruch keine Sachmängel rügt, kann er eine etwaige darauf gestützte Schadensersatzforderung auch nicht mehr selbständig einklagen; vgl. auch Restatement (Second) of Judgments, § 22 comment e. 1300 Engelmann-Pilger, S. 57 f. 1301 Näher Engelmann-Pilger, S. 58. 1302 Anders das deutsche Recht, wenn man eine so weit gehende Rechtskraftpräklusion überhaupt anerkennt. Präkludiert wäre nur der Tatsachenvortrag, der als Verteidigungsvorbringen abgewiesen wurde. 1303 Engelmann-Pilger, S. 59. 1304 Vgl. auch Hau, ZZP 117 (2004), 46. 1305 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 639. 1306 Bekker, Consumption, S. 119; hierzu instruktiv Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 55 f. 1307 Enger allerdings Kleinschrod, Consumtion, S. 50; hierzu Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 230.
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d) Folgerungen aus dem Interessebegriff für die Widerklagelast Aus der Ausrichtung des Verfahrensgegenstandes am Interesse des Klägers ergeben sich auch Folgerungen für die Widerklage. Steht die Rechtsbehauptung des Beklagten im unmittelbaren Widerspruch zum Interesse des Klägers, so verbieten Sinn und Zweck von § 261 III Nr. 1 ZPO die Einleitung eines selbständigen Parallelverfahrens bei einem anderen Forum. Erlaubt ist lediglich aus Konzentrationsgründen die Erhebung einer Widerklage am Erstforum. Die Rechtshängigkeitssperre greift somit nicht nur in Fällen des kontradiktorischen Gegenteils im engeren Sinne1308, sondern darüber hinaus auch, wenn sich Klage- und Widerklage (faktisch) kompensieren.1309 Klagt etwa ein Werkunternehmer auf Zahlung seines restlichen Lohnes in München, so ist eine später erhobene Klage des Bestellers auf Rückzahlung der bereits geleisteten Beträge bei einem Gericht in Hamburg unzulässig (§ 261 III Nr. 1 ZPO), eine Widerklage jedoch gestattet. Hingegen genügt die bloße Konnexität der Verfahren anders als im US-amerikanischen Recht nicht. Den in Anlehnung an die Kernpunkttheorie des EuGH unternommenen Versuchen, aus einem funktionell abgegrenzten, einheitlichen Lebenssachverhalt eine umfassende Widerklagelast für den Beklagten zu folgern, kann somit nicht gefolgt werden. An sich gelten für die Widerklage die gleichen Regeln wie für die selbständige Klage. Auch die Voraussetzungen anderweitiger Rechtshängigkeit nach § 261 III Nr. 1 ZPO wurden bisher für Klage und Widerklage einheitlich bestimmt. Lediglich für den Eheprozess hatte man den Zwang zur Widerklage anerkannt.1310 Jedoch gestattet bereits der Wortlaut von § 261 III Nr. 1 ZPO eine konzentrationsfreundlichere Lesart.1311 Denn die Vorschrift verbietet lediglich das anderweitige Anhängigmachen derselben Streitsache, nicht jedoch eine Widerklage in demselben Umfang.1312 Ein derartiges Verständnis der Vor1308 Etwa Feststellung, dass ein Anspruch besteht und umgekehrt die Feststellung, dass dieser Anspruch nicht existiert. 1309 Ähnlich Wernecke, Einheitlichkeit, S. 29 Fn. 82, für sog. konträre Rechtsfolgen; ein ähnlicher Gedanke klingt bei BGH NJW-RR 1992, 1404, an: „Schließen sich die beiderseitigen Ansprüche gegenseitig aus, dergestalt, dass die Zuerkennung des einen … notwendig die Aberkennung des anderen bedingt, sind die Streitgegenstände identisch“, allerdings zu § 19 GKG a.F. 1310 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 91. Eine Ausnahme gilt zudem für gegenläufige Abänderungsklagen nach § 323 ZPO, BGH FamRZ 1997, 488; OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 1535 f.; P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 95 f. 1311 Vgl. ebenso Haas, in: FS Ishikawa, S. 165, 185, 187, der allerdings von einem anderen Streitgegenstand ausgeht. 1312 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 91. Allerdings muss eine Widerklage überhaupt vorliegen, was nicht der Fall ist, wenn diese vollständig mit dem Klageantrag dekkungsgleich ist. Dann könnte der Beklagte sein Ziel bereits mit dem bloßen Klageabweisungsantrag erreichen. Der Widerklageantrag muss somit zumindest eine zusätzliche Rechtsfolge beinhalten, wie dies etwa im Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungswiderklage gegeben ist. Eine Ausnahme könnte jedoch angebracht sein im Verhältnis von negativer Feststel-
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schrift kommt bereits in den Protocollen zur CPO zur Sprache. Desweiteren besteht, wenn man diesen Aspekt betonen will, im Fall der Widerklage keine Kollisionsgefahr. Denn über Klage und Widerklage kann nur einheitlich entschieden werden. Zudem beugen §§ 318 und 145 ZPO einem Entscheidungswiderspruch vor, weil eine Trennung von Klage und Widerklage aufgrund des rechtlichen Zusammenhangs ausgeschlossen ist. § 318 ZPO gewährleistet die Übereinstimmung von Teil- und Schlussurteil. Dass die Widerklage denselben Streitgegenstand haben kann wie die Leistungsklage, ergibt sich mittelbar auch aus § 45 GKG1313, wenngleich die h.L. noch einer anderen Deutung zuneigte. Ein analoger Rückgriff auf § 281 ZPO vermeidet hier die Abweisung der Klage des Beklagten als unzulässig.1314 Ob diese suspendierende Konzentrationslast in bestimmten Fällen durch eine schneidige Präklusion flankiert wird, ist hingegen noch eigens im Zusammenhang mit der Rechtskraft zu klären.1315
III. Insbesondere: Das Verhältnis von Feststellungsund Leistungsklage Im Hinblick auf § 264 Nr. 2 ZPO ist der Gegenstand des laufenden Verfahrens rechtsschutzformneutral zu bestimmen, da im Vordergrund die Sachauseinandersetzung um den materiellen Interessenkonflikt steht.1316 Gerade für das Verhältnis von Feststellungs- und Leistungsklage, das durch die Kernpunktrechtsprechung des EuGH wieder in das Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion gerückt ist, sind deswegen im Folgenden die sich aus dieser These ergebenden Konsequenzen aufzuzeigen.
1. Positive Feststellungsklage und selbständige Leistungsklage des Klägers a) Grundsatz Die Rechtsprechung ist weitgehend der Ansicht, dass Feststellungs- und Leistungsklage in ihrem Streitgegenstand auch dann divergieren, wenn beide dieselbe Anspruchsberechtigung betreffen. Insoweit stehe die Feststellungsklage, die lediglich den Grund des Anspruches festschreibe, einer parallelen Leislungsklage und positiver Feststellungswiderklage, weil nur die zweite die Verjährung nach h.L. hemmt. 1313 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 90; näher oben § 24 II. 1314 Zeuner, in: FS Lüke, S. 1011. 1315 Unten § 32 V. 1316 Ähnlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 53; Baltzer, Die negative Feststellungsklage, S. 153; Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 34. Vgl. auch oben § 25 II.
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tungsklage (§ 261 III Nr. 1 ZPO) nicht entgegen.1317 Denn nur die Leistungsklage führe zu einem vollstreckbaren Leistungsinhalt. Desweiteren werde nur bei einer stattgebenden Verurteilung zur Leistung das Bestehen des materiellen Anspruchs festgestellt, während die Abweisung auch aus anderen Gründen erfolgen könne, ohne dass damit die Leistungspflicht allgemein verneint würde. Die herrschende Meinung1318 tritt jedoch zumindest für Teilidentität dergestalt ein, dass der Streitgegenstand der Leistungsklage aufgrund der weiterreichenden Rechtsschutzform den der Feststellungsklage mitumfasse. Hiernach soll das Feststellungsinteresse entfallen, sobald der Kläger der Feststellungsklage parallel Leistungsklage erhebt und diese nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann.1319 Zunehmend wird eine mögliche Konkurrenzsituation im Schrifttum jedoch mit Recht über § 261 III Nr. 1 ZPO bereinigt.1320 Gerade zur Verhinderung widersprechender Entscheidungen könne die positive Feststellungsklage auch einer parallelen Leistungsklage entgegen gehalten werden, wenn beide dasselbe Anspruchsverhältnis zum Gegenstand haben.1321 Denn die Feststellungsklage könnte abgewiesen werden, während der Leistungsklage andernorts stattgegeben wird: Damit wäre rechtskräftig festgestellt, dass der Beklagte einerseits schuldet und doch nicht schuldet. Der Gläubiger wird hingegen nicht über Gebühr beeinträchtigt, wenn er gezwungen wird, bereits im laufenden Verfahren auf den Leistungsantrag zu wechseln (§ 264 Nr. 2 ZPO).1322 Der letztgenannte Gesichtspunkt ist entscheidend. Im Vordergrund steht nicht so sehr die Verhinderung etwaiger Urteilskollisionen, sondern vor allem die Verwirklichung prozessökonomischer Gesichtspunkte und die Verhinderung einer doppelten Prozessführung.1323 Bei Ausblendung der Rechtsschutzform bleibt das Streitinteresse dasselbe, so dass der Kläger aus Gründen der Verfahrenskonzentration 1317 BGHZ 7, 268 (271); OLG Celle NJW-RR 1990, 1023. Das OLG Celle hebt in einer zweiten Begründung entscheidend auf den Gesichtspunkt der Verhinderung widersprechender Entscheidungen ab. Diese Gefahr ist jedoch, wie bereits nachgewiesen, für das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre nicht konstitutiv, oben § 18 I 5 c. 1318 Lüke, JuS 1969, 301; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 57, 63; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 98 III 1 Rn. 23. 1319 BGH NJW-RR 1990, 1532 f. 1320 Grunsky, Grundlagen, S. 29 ff.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 271 f., hingegen nimmt an, die Leistungsklage sei im Hinblick auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis des Klägers gesperrt. Grunsky hält dies mit Recht für nicht befriedigend, „weil sich das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses aus genau den Erwägungen ergeben soll, die den Gesetzgeber zur Schaffung des § 263 ZPO [a.F.] veranlasst haben.“ 1321 Grunsky, Grundlagen, S. 31; Baltzer, Die negative Feststellungsklage, S. 152 f.; bereits Kohler, Der Prozeß als Rechtsverhältnis (1888), S. 37. 1322 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 256 Rn. 88. 1323 In diesem Sinne auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 29: Identität des rechtsschutzformunabhängigen Streitgegenstands; nur im Ergebnis ebenso MünchKomm/BeckerEberhard, ZPO, § 261 Rn. 64 f. „Dass der Streitgegenstand der zuerst erhobenen Feststellungsklage hinter dem der Leistungsklage zurückbleibt, schließt das Eingreifen der Rechts-
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für die Umstellung seines Antrags den durch § 264 Nr. 2 ZPO gewiesenen Weg auch beschreiten muss.1324
b) Unbezifferte Feststellungs- und Teilleistungsklage Mehrheitlich wird auch angenommen, dass die Klage nicht geändert werde, sofern der Kläger nach Erhebung der Feststellungsklage einen Teil seines bis jetzt nicht bezifferbaren Schadens mit der Leistungsklage verlangt.1325 Der Feststellungsantrag ist jedoch im Hinblick auf § 261 III Nr. 1 ZPO und nicht aufgrund des teilweise fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses1326 auf den weiteren Schaden zu beschränken. Deswegen stünde auch der anderweitig erhobenen Teilleistungsklage der Rechtshängigkeitseinwand entgegen.1327 Angesprochen ist damit wieder der Konzentrationsaspekt.1328 Der (subsidiäre) Anwendungsbereich des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ist nicht betroffen. Im Ergebnis deutet dies auch A. Blomeyer 1329 an, wenngleich er unnötig Bedenken hegt, weil der Rechtshängigkeitseinwand neben prozessökonomischen Aspekten auch die Vermeidung widersprechender Entscheidungen im Blick haben sollte. Die Beschreitung des von § 264 Nr. 2 ZPO gewiesenen Wegs erscheint hier für den Kläger zwingend, weil das bereits mit der Sache befasste Gericht ohne Aufwand den Vollstreckungstitel zu vermitteln vermag. Wird hingegen zunächst auf Teilleistung geklagt, so soll nach h.L. gegenüber der Feststellungsklage hinsichtlich des Restbetrages nicht die Rechtshängigkeitssperre eingreifen.1330 Dies gilt m.E. indes nicht, wenn diese Feststellungshängigkeitssperre nicht logisch zwingend aus“, da es bereits die doppelte Prozessführung an sich zu verhindern gelte; ähnlich Gruber, ZZP 117 (2004), 133 ff. (Teilidentität). 1324 Die Lehre Schwabs, Streitgegenstand, S. 130, zeigt gerade die Schwächen einer Überprozessualisierung des Streitgegenstands: „Selbst wenn in der Feststellungsklage und in der Leistungsklage das gleiche Recht behauptet wird, so ist der Streitgegenstand doch nicht der gleiche. Denn der Streitgegenstand ist das Begehren der im Antrag beschriebenen Entscheidung und nicht nur die Rechtsbehauptung.“ Zur Ausblendung der Rechtsschutzform auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 53, 59. 1325 RGZ 171, 202, 203. 1326 A. Blomeyer, FS d. Jur. Fakultät Berlin, S. 64, erscheint hingegen zweifelhaft, ob der Kläger bei der gegebenen Möglichkeit, nach § 264 Nr. 2 ZPO im bereits anhängigen Verfahren vorzugehen, überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis für eine anderweitige Teilleistungsklage besitze: „Denn damit würden im Ergebnis mehrere Gerichte mit der Entscheidung über einen [!] Streitgegenstand behelligt, der ohne Nachteil für den Kläger in einem Prozess erledigt werden könnte.“ 1327 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 25 f. Der Kläger müsste damit die Feststellungsklage teilweise zurücknehmen. Anders RG LZ 30, 257, wonach Teilleistungsklage und Feststellungsklage im vollen Umfang zulässig bleiben sollen. 1328 Vgl. auch RGZ 13, 437; RG 21, 384: Offensichtlich sei hiernach, dass „es dem Kläger nicht gestattet ist, willkürlich die mehreren Streitpunkte auseinanderzureissen und den Beklagten … unnötigerweise in zwei Prozesse zu verwickeln.“ 1329 A. Blomeyer, FS d. Jur. Fakultät Berlin, S. 65. 1330 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 29; Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 25 f.
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klage anderweitig erhoben wird. Ähnlich wie im Fall paralleler Teilleistungsklagen1331 erfordert dies die an § 264 Nr. 2 ZPO orientierte Auslegung von § 261 III Nr. 1 ZPO.
2. Negative Feststellungsklage und Leistungsklage a) Primäre Leistungsklage Leistungsklage und negative Feststellungsklage knüpfen unproblematisch an denselben Lebenssachverhalt an, aus dem sich der im Streit befindliche Leistungsanspruch ergeben soll oder gerade nicht.1332 Der Tatsachenvortrag des Klägers der negativen Feststellungsklage entspricht dem des Beklagten der Leistungsklage. An der Identität der in den Anträgen zum Ausdruck kommenden Rechtsschutzziele soll es freilich nach h.L. fehlen.1333 Auch der BGH geht von zwei unterschiedlichen Antragsinhalten aus, wobei im einen Fall die Feststellung der Anspruchsberechtigung, im anderen Verurteilung zu einer Leistung beantragt werde.1334 Freilich sind im Urteil über die Leistungsklage auch sämtliche Feststellungswirkungen enthalten, die bei einer negativen Feststellungsklage möglich sind.1335 Das über die Leistungsklage ergehende Sachurteil stellt somit in der Regel das Bestehen oder Nichtbestehen des Leistungsanspruches fest.1336 Insoweit wird mehrheitlich von einer Teilidentität der Streitgegenstände gesprochen1337, so dass die negative Feststellungsklage nach Erhebung der Leistungsklage an § 261 III Nr. 1 ZPO scheitern soll.1338 Gleiches gilt, wenn die negative Feststellungsklage in Form der Widerklage erhoben wird, sofern sie nicht auf den „Mehrbetrag“ beschränkt wird.1339 Hier fehlt es auch nach h.L. für die Feststellungsklage nicht nur am Feststellungsinteresse, sondern bereits an der vorrangigen Zulässigkeitsvoraussetzung fehlender anderweitiger Rechtshängigkeit.1340 Insoweit bestünde auch ein Gleichlauf mit der ne bis in idem-Wirkung der Rechtskraft.1341 1331
Oben § 23 I. Ebenso Gruber, ZZP 117 (2004), 139. 1333 So auch BGH NJW 1994, 3108; Schwab, Streitgegenstand, S. 130. 1334 BGH NJW 1994, 3108. 1335 Zeuner, in: FS Lüke, S. 1010. 1336 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 31; BGH NJW 1989, 2064; OLG Karlsruhe MDR 1997, 292; Zeuner, in: FS Lüke, S. 1009 f. 1337 So bereits Lüke, JuS 1969, 300; Grunsky, Grundlagen, S. 37; Gruber, ZZP 117 (2004), 140. 1338 BGH GRUR 1994, 823 f.; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 65. 1339 Die negative Feststellungsklage wegen des Restbetrages vor einem anderen Forum wäre wegen des Rechtsgedankens von § 264 Nr. 2 ZPO ausgeschlossen, Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 256 Rn. 91. 1340 BGH NJW 1989, 2064; OLG Fankfurt, NJW-RR 2002, 296; Grunsky, Grundlagen, § 5 III 1, S. 36; Gruber, ZZP 117 (2004), 140. 1341 Zöller/Greger, ZPO, § 256 Rn. 16; Zeuner, in: FS Lüke, S. 1010; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 409; Leipold, in: GS Arens, S. 229; Gruber, ZZP 117 (2004), 140. 1332
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Dennoch wird mit der Lehre von der „Teilidentität“ der dogmatische Ausgangspunkt, die Alternativität der Rechtsschutzformen, durch die h.L. wieder nivelliert, was nicht widerspruchsfrei erscheint.1342
b) Feststellungsklage ist zeitlich vorrangig Mehrheitlich geteilt wird der Primat der Leistungsklage auch in der zeitlich umgekehrten Konstellation, in der die Leistungsklage einer negativen Feststellungsklage des Schuldners, mit welcher das Nichtbestehen der Leistungspflicht festgestellt werden soll, nachfolgt. Denn die Leistungsklage enthalte eben als zusätzliches Element das Begehren, zu einer zwangsweisen Durchsetzung des Anspruchs gegen den Beklagten zugelassen zu werden.1343 Hier ist das Meinungsspektrum indes vielfältig.
aa) Die Auffassungen nach Inkrafttreten der CPO Kurz nach Inkrafttreten der CPO wurde die negative Feststellungsklage, die in ihrer dogmatischen Bedeutung noch nicht vollends erkannt war, auf einer Ebene gleichwertig mit der Leistungsklage gesehen. Streitbefangen sollte in beiden Fällen dasselbe Rechtsverhältnis sein. Denn § 235 CPO forderte nur die Anhängigmachung derselben Streitsache, desselben streitigen Rechtsverhältnisses, ohne dass dabei zu unterscheiden gewesen wäre, zu welchem Zweck die eine oder andere Anhängigmachung erfolgt war.1344 Nach Weismann ergibt sich folgendes Gesamtbild: „Die Erhebung der positiven Feststellungsklage begründet die Einrede der Rechtshängigkeit gegenüber der entsprechenden negativen Feststellungsklage und gegenüber der Leistung aus dem festzustellenden Rechtsverhältnis verfolgenden Klage; ebenso die negative Feststellungsklage gegenüber der positiven und gegenüber der Leistung verfolgenden Klage; die Leistung verfolgende Klage gegenüber der positiven wie gegenüber der negativen Feststellungsklage.“1345
In gleicher Weise sei im Übergang von der Feststellungsklage – etwa auf Feststellung einer bedingten Forderung – auf Leistung nur eine Erweiterung des Klageantrags, aber keine Klageänderung zu sehen. Im negativen Feststellungsprozess werde man dem Beklagten jedoch eine Widerklage auf Leistung aus dem streitigen Rechtsverhältnis nicht verweigern dürfen. Werde eine derartige Widerklage erhoben, so entfalle indes das Interesse an der negativen Feststellungsklage als solcher. Denn die negative Feststellungsklage gehe in der Gegen-
1342 1343 1344 1345
Zu Recht Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 256 Rn. 91. BGH NJW 2002, 752; BGH NJW 1994, 3108. Loening, ZZP 4 (1882), 49. Weismann, Die Feststellungsklage, S. 162.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
bitte um Abweisung der Widerklage auf, so dass das ganze Material des Feststellungsprozesses unmittelbar Teil der Leistungswiderklage werde. Jedoch wurde gegen Weismann bereits im Jahre 1882 von Loening1346 der Vorwurf der Inkonsequenz erhoben. Denn wenn die negative Feststellungsklage die Einrede der Rechtshängigkeit gegenüber der Klage auf Leistung begründe, könne dem Beklagten im negativen Feststellungsprozess weder eine Widerklage auf Feststellung des durch die Vorklage bestrittenen Anspruches noch auf Verurteilung gestattet werden.
bb) Die Auffassung der Judikatur: Primat der Leistungsklage In der Tradition der Rechtsprechung des RG und später des BGH genoss die Leistungsklage von Anfang an den Vorrang, und zwar auch dann, wenn diese später erhoben worden war.1347 Die Feststellungen, die in einer Entscheidung über die negative Feststellungsklage getroffen würden, seien zwar auch Gegenstand des Leistungsurteils. Bei der Leistungsklage trete aber der vollstreckbare Leistungsbefehl hinzu.1348 Eine Übereinstimmung der Anträge als prägendes Element der Streitgegenstandsidentität (§ 261 III Nr. 1 ZPO) liege aufgrund unterschiedlicher Rechtsschutzziele somit nicht vor. Im einen Fall werde Feststellung beantragt, im anderen die Verurteilung zu einer Leistung.1349 Die Streitgegenstände seien somit nur teilidentisch, was das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre nicht rechtfertigen könne.1350 Stattdessen werde durch die Rechtshängigkeit der nicht mehr einseitig zurücknehmbaren Leistungsklage1351 1346
Loening, ZZP 4 (1882), 50. RGZ 71, 68, 7 f.; RGZ 109, 351; RGZ 151, 65; BGHZ 18, 41; BGH NJW 1973, 1500; BGHZ 93, 342; BGHZ 99, 340, 342; BGH NJW 1994, 3107; BGH NJW 2006, 515; ein Teil der Literatur will dem zustimmen, Teplitzky, in: FS Lindacher, S. 190 f.; E. Keller, WRP 2000, 911; zusammenfassend, wenngleich im Ergebnis ablehnend: Wernecke, Einheitlichkeit, S. 83; zur nachfolgenden Gestaltungsklage BGH LM § 256 ZPO Nr. 41. Auch im englischen Recht wird der Leistungsklage gegenüber der negativen Feststellungsklage der Vorrang eingeräumt. Die negative Feststellungsklage bringe keinen Anspruch zu Gericht, so dass ein unzulässiges forum shopping vorliege, The Volvox Hollandia [1988] 2 Lloyd’s Rep. 361, 371 (C.A.): „Claims of declarations, and in particular negative declarations, must be viewed with great caution in all situations involving possible confl icts of jurisdictions, since they obviously lend themselves to improper attempts at forum shopping.“ 1348 Vgl. zur Rechtsprechung des RG auch Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 29. 1349 BGH NJW 1994, 3107 f. 1350 BGH NJW 1994, 3108. Unklar aber BGHZ 99, 341 f.: „Wie bereits das Reichsgericht ausgeführt hat, sollen durch den grundsätzlichen Vorrang des Leistungsverfahrens gegenüber dem Feststellungsverfahren mit gleichem Streitstoff, nämlich sowohl widerstreitende Entscheidungen des Gerichts als auch – dies im Hinblick auf das im Interesse der Parteien und der Rechtsprechung wesentliche Erfordernis der Prozessökonomie – mehrere parallele Verfahren über denselben Streitgegenstand vermieden werden.“ 1351 In der Regel nach Beginn der mündlichen Verhandlung, BGH GRUR 1985, 44; BGH MDR 1987, 558. Das Feststellungsinteresse soll bei fehlender Entscheidungsreife selbst dann entfallen, wenn die Fortführung des Feststellungsprozesses prozessökonomischer wäre, OLG 1347
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die bereits früher anhängige negative Feststellungsklage wegen Wegfalls des Feststellungsinteresses unzulässig, was den Kläger dazu zwinge, die Hauptsache für erledigt zu erklären.1352 Wertungsmäßig argumentiert der BGH darüber hinaus folgendermaßen: Die Feststellungswirkung eines die Leistungsklage abweisenden Sachurteils entspreche der Feststellungswirkung eines Urteils, das einer negativen Feststellungsklage stattgebe. Der Leistungsbeklagte könne somit mit der Abweisung der Leistungsklage dasselbe Ergebnis erreichen wie nach Stattgabe der Feststellungsklage, so dass er sich auf die Verteidigung im Rahmen der Leistungsklage zu beschränken habe. Damit entfalle für die negative Feststellungsklage das nach § 256 I ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.1353 Dieses bestehe lediglich fort, wenn die erhobene Leistungsklage unzulässig werde bzw. wenn der Rechtsstreit über die Feststellungsklage – anders als der Leistungsprozess – ganz oder im Wesentlichen entscheidungsreif sei.1354 Die Unzulässigkeit der Feststellungsklage wird zudem auf den Gegenstand der Leistungsklage beschränkt.1355 Häufig spielten in Entscheidungen des BGH1356 auch wettbewerbsrechtliche Besonderheiten eine tragende Rolle: In einem Judikat aus dem Jahre 1994 hatte der Schuldner (Gewerbetreibender) des wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruches gegen den Gläubiger (Verband) Klage auf Feststellung erhoben, dass der in der Abmahnung geltend gemachte Anspruch des Gläubigers nicht bestehe. Nach Ansicht des entscheidenden Senats handle der Gläubiger nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er die zur Durchsetzung des Unterlassungsanspruches erforderliche und daher gegenüber der Feststellungsklage grundsätzlich
Stuttgart WRP 1992, 513 f. Großzügiger insoweit für das Fortbestehen des Feststellungsinteresses BGH NJW 1984, 1118 f.; BGH MDR 1988, 27. 1352 Leistungsklage und negative Feststellungsklage: RGZ 50, 419; 54, 50; 71, 72; RG DR 1939, 1464; negative Feststellungsklage und Leistungsklage: RGZ 71, 68; RG JW 1909, 417; 1930, 1059; 1934, 1494. Z.T. wollte das RG aber auch den Feststellungsprozess nach § 148 ZPO zur Aussetzung bringen. Zusammenfassung der Rechtsprechung des RG bei K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 226 f. 1353 BGH NJW 1994, 3107; Gruber, ZZP 117 (2004), 136. 1354 BGH NJW 1987, 2680; BGH NJW-RR 1990, 1532 f. Gleiches gilt, wenn die Parteien den Rechtsstreit über die Leistungsklage einvernehmlich ruhen lassen, RG WarnRspr. 1917, Nr. 34; RGZ 109, 351, 353. 1355 Wird mit der offenen Leistungsklage nur ein Teil der Forderung geltend gemacht, enthält das Urteil nur eine Feststellung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Teilforderung. Darüber hinaus bleibt die negative Feststellungsklage zulässig, MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 261 Rn. 68; RGZ 71, 74. 1356 BGH NJW 1994, 3107 f. Hingegen hatte das Berufungsgericht im Anschluss an Hermann, JR 1988, 376, entschieden, dass die Ziele der Vermeidung widerstreitender Entscheidungen und der Wahrung der Prözessökonomie sich mit der Bejahung des Prioritätsvorrangs der negativen Feststellungsklage gegenüber der später erhobenen Leistungsklage besser erreichen ließen; ebenso Leipold, Wege zur Konzentration, S. 21 f.
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
vorrangige Leistungsklage1357 nicht als Widerklage im Gerichtstand der bereits anhängigen Feststellungsklage, sondern vor einem anderen, gemäß § 24 UWG a.F. zuständigen Gericht erhebe. Zum einen stünde der späteren Leistungsklage die Rechtshängigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen1358, weil das durch den Klageantrag bestimmte Rechtsschutzziel der Leistungsklage (Ausspruch eines Unterlassungsgebotes in vollstreckbarer Form) über den Streitgegenstand der Feststellungsklage hinausreiche. Zum anderen könne allein die Leistungsklage die Verjährung unterbrechen, was vor allem bei den kurzen wettbewerbsrechtlichen Verjährungsfristen bedeutsam sei (§ 21 UWG a.F.).1359 Schließlich sei dem Verband nicht zumutbar, sich sein Zuständigkeitswahlrecht durch den Abgemahnten beschneiden zu lassen.1360 Der sog. fliegende Gerichtsstand ist den Wettbewerbsverbänden jedoch durch das UWG-Änderungsgesetz 1994 entzogen worden. Vielmehr muss seitdem der Unterlassungsanspruch am Ort des Gewerbetreibenden erhoben werden, was auch für die negative Feststellungsklage gilt.1361 Damit wäre z.T. auch den Argumenten des BGH gegen eine Konzentration am Forum der negativen Feststellungsklage der Boden entzogen.1362 Durch das UWG-Änderungsgesetz 2004 wurde in § 14 II UWG, begrenzt auf die in § 8 III Nr. 2–4 UWG genannten klageberechtigten Verbände, eine entsprechende Regelung aufgenommen.
cc) Die Kritik der Literatur Insbesondere Bettermann wandte sich gegen die Lösung des RG und neigte der These zu, negative Feststellungsklage und Leistungsklage beträfen denselben Streitgegenstand.1363 Hierzu hat er zu Recht darauf hingewiesen, dass der Streitgegenstand sich nicht durch den Zeitpunkt, in dem er rechtshängig werde, verändere, so dass die Identität der Prozesse kaum davon abhängen könne, in welcher Reihenfolge die Klagen anhängig gemacht würden.1364 Auch der nachträglichen Leistungsklage stehe somit der Rechtshängigkeitseinwand entgegen. Die Leistungsklage sei zum Teil Feststellungsklage, wenn auch nicht aus1357
BGHZ 99, 340 (341) = NJW 1987, 2680. So aber zu Recht Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 37. 1359 So RGZ 153, 375 (380); BGH NJW 1978, 1975; NJW 1983, 392. 1360 Fraglich erscheint überdies, ob für die negative Feststellungsklage ohne weiteres die Zuständigkeiten der Leistungsklage entsprechend gelten können, ablehnend etwa Lindacher, in: FS Gamm, S. 89 ff. gegen die h.L; differenzierend Foerste, in: FS Kohlhosser, S. 141 f. 1361 Näher etwa K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 231; Retzer, in: Harte/Bavendamm/Henning/Bodewig, UWG, § 14 Rn. 5, 55. Nach der Gesetzesbegründung sollte die Möglichkeit des „forum shopping“ für lediglich abstrakt Klagebefugte eingeschränkt werden. 1362 Leipold, Wege zur Konzentration, S. 22. Dort auch zum teilweisen Fortbestehen des Problems im Wettbewerbsrecht im Verhältnis zwischen unmittelbar betroffenen Mitbewerber und Abgemahnten, vgl. auch OLG WRP 1995, 853. 1363 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 26, S. 40 f. 1364 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 29. 1358
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schließlich. Die Verurteilung enthalte die Feststellung, dass ein Anspruch bestehe, die Klageabweisung hingegen die Feststellung, dass ein solches Recht nicht existiere.1365 Deutlich werde der denkbare Widerspruch, wenn in beiden Prozessen der Klage stattgegeben werde. Insoweit sei aber der Gefahr widersprechender Entscheidungen durch eine entsprechende Auslegung von § 261 III Nr. 1 ZPO Rechnung zu tragen. Damit könne die Leistungsklage so lange nicht in zulässiger Weise erhoben werden, bis über die Feststellungsklage mit Rechtskraft entschieden sei. Die Verurteilungsklage des Gläubigers werde durch die Rechtskraft der Abweisung der negativen Feststellungsklage des Schuldners hingegen nicht gehindert, wenngleich dies im Fall der Stattgabe nicht gelte.1366 Bettermann sieht den entscheidenden Fehler in der Deduktion des RG, dass die Rechtsschutzform der Verurteilungsklage den Vorrang gegenüber der Feststellungsklage genieße.1367 Alle drei Formen der Klage stünden vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Wenn zwei kontradiktorische Klagen aufeinanderstießen, dann werde die Frage des Vorrangs nicht durch die Klageform bestimmt, sondern durch den Klagetermin. Als Ausweg zur Sperrwirkung der negativen Feststellungsklage stehe dem Gläubiger vielmehr die Leistungswiderklage (auch im Urkundenverfahren1368) offen.1369 Bettermann hat dabei jedoch nicht verkannt, dass die Prozessvoraussetzungen für Klage und Widerklage an sich nach denselben Maßstäben beurteilt werden müssen, was auch für den Rechtshängigkeitseinwand gelte.1370 Zum einen verbiete aber bereits der Wortlaut von § 261 III Nr. 1 ZPO nur das anderweitige Anhängigmachen des Streitgegenstands, was für die Widerklage nicht zutreffe. Zum anderen bestünde durch die Zulassung einer den gleichen Streitgegenstand betreffenden Widerklage keine Kollisionsgefahr, da durch Teilurteil entschieden werden könnte (§ 301 ZPO). Die Ansicht Bettermanns hat in der Literatur Zuspruch gefunden, wenngleich häufig mit einer nicht die Streitgegenstandsidentität bemühenden, sondern mehr auf Zweckmäßigkeiten abstellenden Begründung. Insoweit sei kaum einzusehen, warum eine prozessual einwandfreie (also zulässige und begründete) negative Feststellungsklage allein dadurch zu Fall gebracht wird, dass der Beklagte seinerseits auf Leistung klagt, möglicherweise ohne jegliche Be-
1365 A.A. etwa Kleinfeller, ZZP 56 (1931), 136, der die Ansicht vertritt, dass Leistungsklage und Feststellungsklage nebeneinander bestehen könnten. 1366 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 32; RGZ 50, 419. 1367 RGZ 151, 59 ff. 1368 Näher Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 90. 1369 Zwar hat das RG diese Möglichkeit auch gestattet, hieraus aber zugleich gefolgert, auch eine selbständige Leistungsklage müsse zulässig sein, weil keine Vorschrift existiere, welche die Option der Widerklage zur Pflicht mache, allgemein RGZ 40, 364; der Zwang zur Widerklage folgt jedoch aus § 261 III Nr. 1 ZPO. 1370 Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 91.
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gründetheitsaussicht.1371 Hierdurch werde ohne Rechtfertigung der Gegner des Feststellungsklägers begünstigt, was sich kaum mit dem Grundsatz prozessualer Chancengleichheit vertrage. Im Ergebnis wäre diese Lösung zudem völlig prozessunökonomisch, weil die erreichten Ergebnisse des Feststellungsprozesses im Leistungsprozess keine Verwendung finden könnten.1372 Da der Gläubiger nicht ohne den identischen Teil der Streitgegenstände beider Klagen auf Leistung klagen könne, führe die Rechtshängigkeit der negativen Feststellungsklage praktisch zur Unzulässigkeit der Leistungsklage überhaupt.1373 Diese Teilidentität von Leistungs- und Feststellungsklage zwinge den Gläubiger dazu, die Leistungsklage widerklagend im Verfahren der negativen Feststellungsklage zu erheben. Auf diese Weise werde die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen gebannt und der Teilrechtshängigkeit Rechnung getragen.
dd) Vermittelnde Lösung Auch nach einer vermittelnden Ansicht wird durch die Lösung der h.L. der Gefahr, dass die Rechtshängigkeitssperre durch Rücknahme der negativen Feststellungsklage oder durch Abweisung als unbegründet wegfallen könnte, nur unzureichend Rechnung getragen. Dann aber wäre den Parteien des Zweitprozesses kein verwertbares präjudizielles Prozessergebnis an die Hand gegeben. Statt die Leistungsklage deswegen als unzulässig abzuweisen, sei es vielmehr notwendig, diese bis zur Rechtskraft des Ersturteils zwingend auszusetzen (§ 148 ZPO).1374 Trotz der weiter zulässigen Leistungsklage entfällt nach dieser Lösung das Feststellungsinteresse der negativen Feststellungsklage somit nicht, vielmehr dient deren Fortführung gerade der Perpetuierung der bisher erreichten Prozessergebnisse im abschließenden Feststellungsurteil, das für den Leistungsprozess präjudizielle Rechtskraftwirkung entfaltet. Durch dieses Procedere werde im Übrigen die Verjährung mittels der Leistungsklage unterbrochen/gehemmt und die Gerichtszuständigkeit der Zweitklage gleichsam für den Fall der Abweisung der negativen Feststellungsklage reserviert.1375 Im Ergebnis ist der verfahrenstechnische Aufwand bei der grundsätzlichen Durchführung zweier Verfahren jedoch größer als bei Annahme von Streitgegenstandsidentität.1376 Überdies liegt m.E. kein Fall materiellrechtlicher Präjudizialität im
1371 Lüke, JuS 1969, 301; Grunsky, Grundlagen, S. 31; auch Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 256 Rn. 126; Baltzer, Die negative Feststellungsklage, 149 f. 1372 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 256 Rn. 97. 1373 Lüke, JuS 1969, 301; Grunsky, Grundlagen, S. 31; Riemer, Forum-Shopping, S. 69. 1374 Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl. § 261 Rn. 130; OLG Stuttgart WRP 1992, 516; Herrmann, JR 1988, 377 f. 1375 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 463 f.; ders., in: FS Schütze, S. 637 ff. 1376 Leipold, Wege zur Konzentration, S. 22 f.; Stein/Jonas/H. Roth, § 256 Rn. 97.
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Sinne von § 148 ZPO vor, sondern vielmehr Identität des streitigen Rechtsverhältnisses, der nach § 261 III Nr. 1 ZPO Rechnung zu tragen ist.1377 Weiter wird vorgeschlagen, den Vorrang der Feststellungsklage daran zu knüpfen, dass der Feststellungsbeklagte nicht innerhalb einer bestimmten Frist Leistungsklage erhebt. Damit wäre eine Art „Zeitschloss“ initiiert, das die Möglichkeit der Konzentration des gesamten Streits am Gerichtsstand des inhaltlich weitergehenden Rechtsschutzinteresses offen hält, und sie erst nach deren Ablauf wieder verschließt.1378
ee) Der Einfluss der Rechtsprechung des EuGH Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH1379 zu Art. 27 EuGVVO wird auch die Nutzbarmachung der Kernpunkttheorie für das Konkurrenzverhältnis von Leistungs- und Feststellungsklage im nationalen Recht erwogen.1380 So glauben etwa P. Gottwald und U. Haas, dass § 261 III Nr. 1 ZPO seinen gewünschten Zweck, die Vermeidung der durch Doppelprozesse bedingten Ressourcenverschwendung, nur unzureichend erreiche, eben weil diese Vorschrift die Rechtshängigkeitssperre an die „Streitsache“ und damit an den engen nationalen Streitgegenstandsbegriff kette.1381 Der EuGH blendet in seinem autonomen Verständnis „desselben Anspruchs“ die formale Verschiedenheit der Klageanträge, insbesondere die Divergenz der Rechtsschutzziele und der Rechtsschutzformen, aus und rückt mehr den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bzw. das gesamte materielle Rechtsverhältnis in den Vordergrund.1382 Die Übernahme dieses Verständnisses würde in der Tat auch im nationalen Recht zu einer Konzentration von Streitigkeiten führen, die einander widersprechenden Urteilen vorbeugt sowie der Verfahrensökonomie dient.1383 Auch wird man im Anschluss an Leipold1384 die Unterschiede zwischen dem nationalen und dem europäischen Rechtshängigkeitseinwand nicht darin sehen können, dass 1377
Ähnlich bereits Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 32 f. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 468, 829. 1379 Vgl. oben § 15 II 1, 2; EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/ Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861 ff.; EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry/The Maciej Rataj, Slg 1994, I-5439 ff., 5470 f. Die eigentliche Konkurrenz von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage betrifft nur die Entscheidung Tatry, während sich bei Gubisch die Feststellungsklage auf ein vorgreifliches Verhältnis bezog. Die anderweitige Rechtshängigkeit lässt allerdings anders als im deutschen Recht die internationale Zuständigkeit des Zweitgerichts entfallen. 1380 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 91 ff.; Haas, in: FS Ishikawa, S. 164 ff.; Leipold, Wege zur Konzentration, S. 23 f.; zurückhaltender: Walker, ZZP 111 (1998), 436; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399 f.; Zeuner, in: FS Lüke, S. 1003 f. 1381 So insbesondere Haas, in: FS Ishikawa, S. 170 f. 1382 Vgl. bereits oben § 16 I; Haas, in: FS Ishikawa, S. 169; Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVVO Rn. 29 f. 1383 Lenenbach, EWS 1995, 361 f.; Leipold, Wege zur Konzentration, S. 19. 1384 Leipold, Wege zur Konzentration, S. 23. 1378
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der ökonomische Umgang mit den Rechtspflegeressourcen auf nationaler Ebene grundsätzlich weniger stark wiegt als auf europäischer Ebene. An sich erscheint somit dieser Gleichlauf des Rechtshängigkeitsumfangs auf internationaler und nationaler Ebene wünschenswert, wenn dem nicht vor allem nationale Besonderheiten entgegenstünden.
ff) Eigene Auffassung Logisch vorrangig in der Diskusion um das Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage ist die Frage, ob nicht die zweite Klage bereits unzulässig ist. Nur wenn diese Frage verneint wird, kann die spätere Leistungsklage überhaupt Einfluss auf das Feststellungsinteresse der primären Feststellungsklage nehmen.1385 Zumindest die Teilidentität der Streitgegenstände lässt sich indes nicht bestreiten, weil diese nach Ansicht des BGH gerade der Begründung des Wegfalls des Feststellungsinteresses dient. Auch nach der Judikatur wäre aber erheblich, ob die partielle Überschneidung der Verfahrensgegenstände der Rechtsschutzformen für die Anwendung von § 261 III Nr. 1 ZPO genügt. Die Beantwortung dieser Frage erfordert eine teleologische Betrachtung der Rechtshängigkeitssperre, zu welcher die Rechtsprechung noch nicht vorgedrungen ist.1386
(1) Prozessökonomische Kritik an der Auffassung des BGH Der Litispendenzeinwand will gerade auch eine unnötige Beanspruchung der knappen Ressource Justiz vermeiden helfen.1387 Der Vorrang der zeitlich nachrangigen Leistungsklage verspricht aber zusätzlichen Aufwand an Mühen und Kosten und ist somit nicht prozessökonomisch. Die Subsidiarität des zeitlich früher eingeleitenen Feststellungsverfahrens führt dazu, dass die bereits gewonnenen Beweisergebnisse verloren wären.1388 Besonders augenfällig ist dies im Falle der bereits in zweiter Instanz anhängigen Feststellungsklage.1389 Diesen Extremfällen musste auch der BGH durch Anerkennung von Restriktionen Rechnung tragen. Hiernach soll das Feststellungsinteresse bestehen bleiben, wenn das Feststellungsverfahren im Gegensatz zum Leistungsprozess ganz oder im Wesentlichen entscheidungsreif ist.1390 Entscheidungsreif ist die Rechtssache u.U. aber auch dann nicht, wenn diese bereits in der Berufungs1385
Zu Recht Gruber, ZZP 117 (2004), 138. Gruber, ZZP 117 (2004), 142. 1387 Gruber, ZZP 117 (2004) 142; Haas, in: FS Ishikawa, S. 165; Leipold, Wege zur Konzentration von Zivilprozessen, S. 17. 1388 Überzeugend bereits Zeuner, in: FS Lüke, S. 1011; Walker, ZZP 111 (1998), 443; Gruber, ZZP 117 (2004), 143, 144. 1389 Gruber, ZZP 117 (2004), 143, 144. 1390 BGH NJW-RR 1990, 1532 f. 1386
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instanz schwebt.1391 Wäre somit die Entscheidungsreife des Feststellungsverfahrens alsbald zu erreichen, würde die Leistungsklage des Prozessgegners dennoch alle Bemühungen des Erstgerichts zunichte machen.1392 Der BGH betreibt damit letztlich Randkorrektur mit wenig sicheren Kriterien.1393 Die Lösung des BGH birgt zudem, will man diesen Aspekt betonen1394, die Gefahr widersprechender Entscheidungen in sich. So soll das Festellungsinteresse erhalten bleiben, wenn die nachträglich erhobene Leistungsklage unzulässig ist1395, weil dem Kläger in jedem Fall eine Sachentscheidung gebühre. Nicht ausgeschlossen erscheint dabei, dass das Erstgericht, welches im Übrigen nun die Zulässigkeit zweier Verfahren zu prüfen hat, zum Fortbestehen des Feststellungsinteresses gelangt, während das Gericht, das über die Leistungsklage zu befinden hat, weiter von deren Zulässigkeit ausgeht. Daneben ist aber auch vorstellbar, dass bei fehlender verfahrensübergreifender Verständigung beide Klageanträge als unzulässig abgewiesen werden, ohne dass eine Sachentscheidung stattfindet, ein mit Art. 103 I GG unvereinbares Ergebnis. Insgesamt wird der mit der Subsidiarität der Feststellungsklage von der Judikatur verfolgte Zweck, parallele Verfahren über denselben Streitstoff zu vermeiden, nicht erreicht.1396 Denn im Fall der Erledigungserklärung hängt die Kostenfrage stets weiter von der Begründetheit der Feststellungsklage ab. Dies gilt auch dann, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung zustimmt und das Erstgericht im Rahmen von § 91 a ZPO eine rechtliche Bewertung des (ursprünglichen) Sach- und Streitstandes zu treffen hat.1397 Die nicht prozessökonomische Beschäftigung zweier Gerichte mit demselben Prozessstoff wird dann nicht verhindert. Selbst im Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärung können immerhin die Gründe der Kostenentscheidung dem Leistungsurteil widersprechen. Stimmt der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers hingegen nicht zu, dann kommen innerhalb der Erledigungsfeststellungsklage die Zulässigkeit und Begründetheit der negativen Feststellungsklage zum Tragen. Die materielle Rechtslage des Falles wird aber auch im Leistungsprozess thematisiert. Damit ist auch ein Widerspruch der Entscheidungsgründe denkbar. Zwar wird vorgeschlagen, dass das Gericht den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Leistungsklage aus-
1391
BGH NJW 1973, 1500. Rüßmann, ZZP 111 (1998), 412; Walker, ZZP 111 (1998), 443: Es besteht die Gefahr der doppelten Inanspruchnahme eines Gerichts. 1393 Gruber, ZZP 117 (2004), 143. 1394 Oben § 18 I 5 c. 1395 Beispiel in BGHZ 33, 399: Die in der Berufungsinstanz erhobene Widerklage auf Leistung ist unzulässig; BGHZ 134, 201 f.; NJW 1997, 970; JZ 1997, 797; kritisch hierzu Walker, ZZP 111 (1998), 443. 1396 Überzeugend Herrmann, JR 1988, 376. 1397 Hess/G. Vollkommer, Anm. zu BGH, WuB 1997, 710. 1392
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setzen könnte.1398 Bereits dies zeigt aber die unnötige Kompliziertheit dieser Lösung.1399 Diese Friktionen werden am besten dadurch vermieden, dass von vorneherein nur ein Verfahren durchgeführt wird.1400 Setzt man der nachträglichen Leistungsklage den Einwand der Rechtshängigkeit entgegen, droht eine solch kostbare Verschwendung gerichtlicher Ressourcen nicht. Eine doppelte Belastung der Parteien wird vermieden, wenngleich im Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage die Parteirollen von vorneherein umgekehrt verteilt sind. Entgegen der h.L. steht die Verhinderung widersprechender Entscheidungen erst nach Abschluss des ersten Verfahrens im Vordergrund und rechnet demgemäß nicht zu den originären Aufgaben der Rechtshängigkeitssperre, obwohl der Ausschluss der anderweitig anhängigen Leistungsklage auch diesem Anliegen Rechnung tragen würde.1401
(2) Der Aspekt der Rechtssicherheit Mit dem wenig trennscharfen Merkmal der im Wesentlichen gegebenen Entscheidungsreife wird zudem der Rechtssicherheit kein Dienst erwiesen. Dieser Aspekt ist von zwei Gerichten zu beurteilen, die in ihrer Beurteilung durchaus voneinander abweichen können, so dass es zu parallelen Verfahren und widersprechenden Entscheidungen kommen kann.1402 Im Übrigen ist für den Fall, dass im Feststellungsprozess bereits Entscheidungsreife vorliegt, einigermaßen offen, wie sich das Gericht der Leistungsklage zu verhalten hat.1403 Soll die Klage als unzulässig abgewiesen werden oder kann eine Aussetzung des Verfahrens erfolgen?1404 Unter Umständen könnte die Rechtsprechung des BGH auch zur besonders grotesken Situation führen, dass das Gericht, welches über die noch nicht entscheidungsreife Feststellungsklage zu entscheiden hat, den Prozess bis zur Entscheidungsreife weiterbetreibt, obwohl bei einem anderen Gericht inzwischen in umgekehrter Parteienrolle Leistungsklage erhoben wurde. Das nach Ansicht des BGH entfallene Feststellungsinteresse soll indes nachträglich nicht wieder aufleben, wenn das Verfahren zu Unrecht fortgeführt wurde.1405 Zudem wäre nach der Rechtsprechung des BGH auch die Zulässigkeit der Leistungsklage in die Prüfung des Feststellungsinteresses mit einzube-
1398
RGZ 71, 68 f. Befürwortend K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 232 f. Darüber hinaus kann es nur um eine entsprechende Anwendung gehen, da eine Vorgreiflichkeit im engeren Sinne nicht gegeben ist. 1400 A.A.: Herrmann, JR 1988, 376 f. 1401 Gruber, ZZP 117 (2004), 142. 1402 Treffend Gruber, ZZP 117 (2004), 146. 1403 Zeuner, in: FS Lüke, S. 1012. 1404 Kritisch Bettermann, Rechtshängigkeit, S. 32 f. 1405 Gruber, ZZP 117 (2004), 147. 1399
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ziehen.1406 Insbesondere im internationalen Kontext dürfte dies neben der Stellung der dann notwendigen Anerkennungsprognose weiter zur Komplizierung beitragen.1407
(3) Rechtsschutzformunabhängiges Interesse Im Ergebnis werden alle diese Nachteile vermieden, wenn von vorneherein am Prioritätsprinzip festgehalten wird, § 261 III Nr. 1 ZPO. Negative Feststellungsklage und Leistungsklage betreffen, unabhängig von den jeweils vertauschten Parteirollen, beide dasselbe rechtsschutzformunabhänge Streitinteresse.1408 Im Zentrum des Streits steht allein – ähnlich wie in der Situation des kontradiktorischen Gegenteils – die Behauptung bzw. Negation desselben Rechts.1409 Bestätigt wird diese Sichtweise auf europäischer Ebene durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Tatry.1410 Einer Abweisung der selbständigen Leistungsklage als unzulässig könnte jedoch mit einer entsprechenden Anwendung von § 281 ZPO (Verweisung auf Antrag an das erstbefasste Gericht) gegengesteuert werden.1411 Damit wäre auf internationaler Ebene zugleich der Schulterschluss zur „Zuständigkeitsregel“ in Art. 27 I EuGVVO vollzogen1412, was die dogmatischen Unterschiede zwischen den Rechtsmaterien verkleinern würde. An sich könnte dies nach der Regel des § 261 III Nr. 1 ZPO bedeuten, dass auch die Leistungswiderklage vor dem Erstforum unzulässig wäre. Indes wäre damit übersehen, dass die Rechtshängigkeitssperre in ihrer Grundaussage lediglich die Verhinderung eines Parallelverfahrens vor einem anderem Forum bezweckt.1413 Vornehmlich in dieser Kon1406
BGH NJW 1996, 1128. Hess/G. Vollkommer, Anm. zu BGH WuB 1997, 707 f.; Walker, ZZP 111 (1998), 443. 1408 Der Unterschied dieser beiden Prozesse zeigt sich allein darin, dass die Reichweite der eventuellen Haftung des Klägers im Rahmen der negativen Feststellungsklage noch unbestimmt bleiben kann, während der genaue Betrag des Schadensersatzes im Fall der Leistungsklage bereits bei Klageerhebung feststeht. 1409 Auch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 29 Fn. 82. Nach Entfernung der Rechtsschutzform bleibt für die Identitätsbetrachtung lediglich die Forderung nach einem bestimmten „Rechtsgut“ übrig. 1410 Oben § 15 II 2. 1411 Zeuner, in: FS Lüke, S. 1015 f.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 54; § 256 Rn. 95 f. 1412 Allerdings sieht nur Art. 28 II EuGVVO eine Verbindung der Verfahren vor. Art. 27 EuGVVO kennt weder eine Verbindungs- noch Verweisungsmöglichkeit, was meist im Schrifttum als praktischer Nachtteil empfunden wird, McGuire, ZfRV 2005, 83 ff. (zur grenzüberschreitenden Verweisung). 1413 Bereits zur Widerklagelast § 26 II 1 d; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 54; Schotthöfer, WRP 1986, 14, für das Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Unterlassungswiderklage. Damit entsteht ein fruchtbarer Gleichlauf mit Art. 27 I EuGVVO, wonach die anderweitige Rechtshängigkeit ohnehin nicht zu einem selbständigen Zulässigkeitshindernis, sondern zur Unzuständigkeit des zweitbefassten Gerichts führt. Daraus können sich folglich für die Leistungswiderklage keine Hemmnisse ergeben, Leipold, Wege zur Konzen1407
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stellation kommt es zu einer nicht hinnehmbaren Ressourcenverschwendung und einer Doppelbelastung der Parteien. Die Einführung einer im Vergleich zum Klageverfahren weiterführenden bzw. diese ergänzenden Rechtsschutzform in das bereits anhängige Feststellunsgverfahren bleibt damit zulässig, insbesondere wenn Klage und Widerklage aufeinander aufbauen.1414 Jede andere Sichtweise würde für den Widerkläger eine unzulässige Rechtsschutzverkürzung bedeuten1415; dies auch deswegen, weil nach bisher h.L. die Verteidigung gegen eine negative Feststellungsklage die Verjährung für die streitige Forderung nicht hemmt (§ 204 I Nr. 1 BGB). Nach zulässiger, einseitig nicht zurücknehmbarer Leistungswiderklage entfällt dann aber auch das Feststellungsinteresse für die Durchführung der selbständigen Feststellungsklage.1416 Dieser Situation muss der Kläger durch Erledigungserklärung Rechnung tragen. Zum Teil wird auch vorgeschlagen, von der Erledigungslösung abzusehen und über die Feststellungsklage in der Sache zu entscheiden. Denn dann erspare man sich die materiellrechtlich überflüssige Fragestellung, „ob die negative Feststellungsklage zum Zeitpunkt der ersten mündlichen Verhandlung über die Widerklage zulässig und begründet war.“1417 Für die Parteien sei allein ausschlaggebend, ob der geltend gemachte Anspruch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehe. Die Kostenentscheidung habe einheitlich über die negative Feststellungsklage und die Leistungswiderklage zu ergehen.1418 Dennoch sind die dogmatischen Bedenken an dieser Art von Teilidentität nicht gering. Erachtet man die Aufspaltung in ein Feststellungs- und ein Leistungselement als möglich, so fragt sich, wie beide Elemente am Forum der Feststel-
tration, S. 19. Im Übrigen sehen bereits die Motive zur CPO, Hahn, Materialien II/1, S. 259 f., die Rechtshängigkeitssperre in engem Zusammenhang mit dem Gesichtspunkt der „Prävention“, was die Einschränkung anderweitiger gerichtlicher Zuständigkeiten meint. 1414 Ähnlich Gruber, ZZP 117 (2004), 157, 155 (die Leistungswiderklage könne nur noch mit ihrem Leistungselement, aber nicht mit ihrem feststellenden Teil zulässig erhoben werden); Grunsky, Grundlagen, S. 37: „Erweiterung des Streitgegenstands“. Allerdings könnte entgegen Gruber auch bei vollständiger Identität der Streitgegenstände die Widerklage zulässig bleiben, wenn das durch § 261 III Nr. 1 ZPO angeordnete Verbot auf die anderweitige Rechtshängigkeit ausgerichtet wird. 1415 Ähnlich für gegenläufige Abänderungsklagen, Haas, in: FS Ishikawa, S. 184 f. 1416 A.A.: Gruber, ZZP 117 (2004), 157, 155. Dieser Argumentationsgang erklärt sich daraus, dass Gruber die Feststellungsklage benötigt, um den Leistungsbefehl anknüpfen zu können, der nach seiner Ansicht isoliert mit der Widerklage eingeführt wird. Er spaltet somit den Streitgegenstand der Leistungsklage auf und gewährt nur für den vollstreckbaren Leistungsausspruch die Widerklage. 1417 Walker, ZZP 111 (1998), 443 f., spricht von einem nutzlosen Aufwand. 1418 Gruber, ZZP 117 (2004), 157, 155. Kostenrechtlich hat die Feststellungsklage nach Erhebung der Widerklage keine eigenständige Bedeutung mehr, da sie denselben Gegenstand, vgl. § 45 I 3 GKG, betrifft wie die spätere Leistungsklage. Maßgeblich ist nach Erhebung der Leistungswiderklage der volle Wert der umstrittenen Forderung.
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lungsklage wieder vereinigt werden. Denn dem deutschen Prozessrecht ist eine Leistungsklage ohne feststellendes Element unbekannt.1419
(4) Chancengleichheit Mit der Ausblendung der Rechtsschutzform würde im deutschen Recht zweifellos auch die prozessuale Chancengleichheit der Parteien gestärkt1420, so dass nach dem Prioritätsprinzip der Beklagte verpflichtet wäre, die Leistungsklage widerklageweise am Forum der negativen Feststellungsklage zu erheben, wenngleich dies im grenzüberschreitenden Zusammenhang zu rechtstatsächlichen Schwierigkeiten für den Gläubiger führen kann.1421 Daraus ergibt sich, dass die Rechtshängigkeitssperre im Hinblick auf die grundgesetzlich garantierte Rechtsschutzgarantie nur greifen kann, wenn das Forum der negativen Feststellungsklage auch für die Leistungsklage eröffnet ist.1422 Insbesondere zur Einschränkung grenzüberschreitender Torpedoklagen wäre hier auch der Vorschlag zu berücksichtigen, die negative Feststellungsklage von vorneherein nicht mehr am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zu gewähren.1423 Diese prozessuale Sanktion deliktischen Verhaltens schränkt das Prioritätsprinzip präventiv ein und ist dem (potentiellen) Schädiger zumutbar.
3. Vorgreifliche (präjudizielle) Feststellungsklage und Leistungsklage Bereits im Schrifttum nach Inkrafttreten der CPO wurde vereinzelt die Ansicht geäußert, dass die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrages dieselbe Streitsache betreffe wie eine Leistungsklage, die einen Anspruch aus diesem Vertrag durchsetzen wolle.1424 Insoweit sollte auch der Einwand der entgegenstehenden Rechtshängigkeit begründet sein (§ 261 III Nr. 1 ZPO).1425 1419 Walker, ZZP 111, 429 445. Davon will Gruber, ZZP 117 (2004), 157, 155, im Falle der Leistungswiderklage absehen, weil dann die zur Verurteilung zur Leistung erforderliche Feststellung bereits im Feststellungsstreit getroffen werde. Das Leistungsurteil baue hier unmittelbar auf dem Inhalt des Feststellungsurteils auf. 1420 A.A. in grenzüberschreitender Perspektive Nieroba, S. 174 ff. 1421 Vgl. dazu ausführlich § 40 I 2; ausführlich Nieroba, S. 175 f., aber mit anderem Ergebnis als hier. 1422 Umgekehrt gewährt die ZPO nicht stets ein Forum für die negative Feststellungsklage, Foerste, in: FS Kollhosser, S. 143 ff. Nach der Vice-versa-Formel soll jedes Gericht auch für die negative Feststellungsklage zuständig sein, das für eine Leistungsklage umgekehrten Rubrums zuständig wäre. 1423 Stauder, in: FS Schricker, S. 917, 928; MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVVO Rn. 11. 1424 Vgl. Rocholl, ZZP 8 (1885), 329 (394); Weismann, Die Feststellungsklage, S. 163 f.; auch Loening, ZZP 4, 1 (49). 1425 Ablehnend aber zu Recht Zeuner, in: FS Lüke, S. 1017; ders., in: FS Bydlinski, S. 511 ff.
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Diese beinahe in Vergessenheit geratene Ansicht erhielt wieder Zuspruch im Gefolge der Kernpunktrechtsprechung des EuGH zu Art. 27 EuGVVO. Jedoch thematisierte die Entscheidung in der Rechtssache Gubisch/Palumbo lediglich die Kollision einer Klage auf Vertragserfüllung mit einer Feststellungsklage, die dessen Unwirksamkeit klären sollte, so dass letztere auch als bloßes Verteidigungsmittel interpretiert werden konnte.1426 Zur umgekehrten zeitlichen Reihenfolge hat sich der EuGH bisher nicht ausdrücklich geäußert.1427 Die Entscheidung zur Rechtssache Tatry kann hierzu nicht bemüht werden. Dennoch werden aus der Judikatur des EuGH weit mehr Konsequenzen abgeleitet. Hiernach habe der EuGH für die Frage der Rechtshängigkeit den Streitgegenstand vom konkreten Klageantrag gelöst und durch eine am Rechtsverhältnis orientierte Sichtweise oder – nach anderer Deutung – durch einen pragmatisch abgegrenzten Lebenssachverhalt ersetzt.1428 Dies erinnert – übertragen auf die Rechtshängigkeit1429 – an die Ausrichtigung der Rechtskraftgrenzen im gemeinen deutschen Zivilprozess1430 bzw. im geltenden US-amerikanischen bzw. hellenischen Zivilprozessrecht.1431 Insoweit könnte aber auch die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Kaufvertrages einer entsprechenden Leistungsklage desselben Klägers auf Rückgewähr der geleisteten Zahlungen oder des Beklagten auf Zahlung des Restkaufpreises vor einem anderen Forum entgegenstehen, obgleich hier offensichtlich nicht nur unterschiedliche Rechtsschutzformen konfligieren. Diese Auslegung von § 261 III Nr. 1 ZPO würde zudem in den Fällen der präjudiziellen Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteils auf den Leistungsanspruch einem möglichen Widerspruch zwischen den Begründungselementen der Urteile von vorneherein vorbeugen.1432 Auch der Widerspruch einzelner Tatbestandselemente der jeweiligen Anspruchsgrundlagen könnte dadurch verhindert werden. Folge dieses maximal erweiterten Streitgegenstands wäre auch ein maximaler Konzentrationszwang für beide Prozessparteien.1433
1426 Oben § 15 II 1; EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861, 4874 f. Rn. 16; Lüpfert, Konnexität, S. 120. 1427 Für übertragbar halten die Entscheidung etwa Schack, IPRax 1989, 140; Mansel, IPRax 1990, 214 ff. 1428 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 93; ähnlich Leipold, Wege zur Konzentration, S. 23 f.; kritisch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 25: „überspitzt“; siehe bereits oben § 16 I. 1429 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 443 f., spricht deswegen mit Recht von einem „Weg zurück zu Savigny“, steht dem freilich im Ergebnis ablehnend gegenüber. 1430 Zum geltenden Recht noch Bruns, ZPR, Rn. 232 f. 1431 Oben § 13 II 1, 2. 1432 Haas, in: FS Ishikawa, S. 170 f.; so bereits Leipold, Wege zur Konzentration, S. 16; ders., in: GS Arens, S. 235; Walker, ZZP 111 (1998), 432 f.; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 414 f.; Zeuner, in: FS Lüke, 1017 f.; Hau, IPRax 1996, 173. 1433 Vgl. Beys, in: FS Krispis, S. 17 ff.
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Jedoch sind in dieser Ausprägung des Rechtshängigkeitsumfangs zugleich die (dogmatischen) Bedenken gegen ihn angelegt. Denn eine allgemeine Konzentrationslast ist der ZPO fremd.1434 Zudem würde der nationale Rhythmus prozessualer Verfahrenskoordination mit Blick auf §§ 147, 148 ZPO empfindlich gestört1435, was freilich einer Rechtsfortbildung nicht zwangsläufig entgegenstünde. Die Koordination von Präjudizialitätszusammenhängen übernimmt aber traditionsgemäß § 148 ZPO1436 , während nach h.L. die bloße Übereinstimmung in Vorfragen mangels Vorgreiflichkeit nicht einmal die Aussetzung rechtfertigt.1437 Zum anderen sprechen auch die Existenz und der Wortlaut von § 256 II ZPO für die Annahme verschiedener Streitgegenstände im Verhältnis von Haupt- und Vorfrage. Die Vorschrift versteht sich als Absage an die Elementelehre Savignys.1438 Im Übrigen kann, worauf Rüßmann hingewiesen hat, die in Gubisch/Palumbo vorliegende Konkurrenzsitutation, bei welcher die Feststellungsklage über ein Begründungselement der Leistungsklage nachfolgt, auf nationaler Ebene über das (fehlende) Rechtsschutzbedürfnis gelöst werden.1439 Der Feststellungskläger hat somit aus Konzentrationsgründen den durch § 256 II ZPO konstengünstigeren Weg auch zu beschreiten.1440 Dogmatische Bedenken stehen mangels Streitgegenstandsidentität hier einem Rückgriff auf das subsidiäre Instrumentarium des Rechtsschutzbedürfnisses nicht entgegen. Dadurch wird der möglichen Widerspruchsgefahr auf einfache und weniger einschneidende Art und Weise vorgebeugt. Theoretisch könnte der in Gubisch/Palumbo vom italienischen Zweitkläger erhobene Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrages auch so gedeutet werden, dass diesen keine vertragliche Zahlungsverpflichtung gegenüber der Gubisch KG treffe, womit die Unvereinbarkeit des Leistungsurteils und des Feststellungsurteils anzunehmen wäre.1441 Wernecke1442 befürwortet 1434 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 441 f.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 55. 1435 So bereits Walker, ZZP 111 (1998), 429 f. 1436 Deutlich Rüßmann, ZZP 111 (1998), 416: als Koordinationsmittel völlig ausreichend. 1437 RGZ 40, 362, 364 (zu § 139 CPO): Feststellungsklage hinsichtlich der Wirksamkeit eines Mietverhältnisses und Leistungsklage; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 55; H. Roth, in: FS Jayme I, S. 747 ff. 1438 Oben § 5 II, III. 1439 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 415 f. 1440 Allerdings müsste diese Zwischenfeststellungs(wider)klage auch zulässig sein, vgl. BGH NJW-RR 2010, 640 f. 1441 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 23. 1442 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 29 f., 32 f., 72 f.; insoweit denkt sie auch an eine Erweiterung der rechtskräftigen Feststellungen, S. 32: „Die Einbeziehung materiellrechtlicher Elemente in den Streitgegenstand hätte zur Folge, dass Feststellungen eines Urteils der Rechtskraft fähig wären, die nicht zum Gegenstand einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 II ZPO hätten gemacht werden können, weil sie sich auf eine Rechtsfolge beziehen, die schon den Gegenstand der Hauptentscheidung bildet.“ Vgl. zu dieser bereits Oertmann, ZZP 22 (1896), 11 f.; E. Schumann, in: FS Georgiades, S. 543 ff.
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deswegen Streitgegenstandsidentität, wenn der durch die Leistungsklage verfolgte Anspruch die einzig streitige Verpflichtung aus dem Vertragsverhältnis wäre, so dass die Voraussetzungen für eine Zwischenfeststellungsklage nicht vorlägen.1443 Entscheidend für das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre (Art. 27 I EuGVVO, § 261 III Nr. 1 ZPO) wäre dann, „ob der Feststellungskläger … seinen Antrag mit einer weiteren Inanspruchnahme seitens des anderen Teils (beispielsweise die Verletzung von Nebenpflichten) zu begründen vermag.“1444 Gelinge ihm dies, so sei über die Feststellungsklage unter Berücksichtigung der Teilidentität weiter zu entscheiden. Andernfalls formuliere der Feststellungsantrag nur die Verteidigung gegen die Leistungsklage und sei als solcher unzulässig.1445 Jedoch kann dem bereits deswegen nicht gefolgt werden, weil sich das Feststellungsbedürfnis hinsichtlich der Vertragswirksamkeit bei einem weiteren Streit der Parteien sehr schnell wieder einstellen kann.1446 Das Prozessrecht strebt deswegen nach klaren und eindeutigen Abgrenzungsmerkmalen. Hält man für den Verfahrensgegenstand an der Ausrichtung am materiellen Interesse des Klägers fest, sind die Verfahrensgegenstände nicht bereits deswegen (teil)identisch, weil die Parteien nur über eine Vertragsverbindlichkeit streiten. Die zweite Klage scheitert weder an § 261 III Nr. 1 ZPO, noch existiert eine Widerklagelast.1447 Zwar ist es richtig, dass das nationale Recht auch außerhalb zwingender Vorgaben dem europäischen Gemeinschaftsrecht nicht gleichgültig gegenüber steht.1448 Beide Bereiche beeinflussen sich vielmehr gegenseitig1449, wenngleich 1443
RGZ 144, 54: „Wenn demgemäß mit der Hauptklage nur ein einziger Anspruch aus dem Rechtsverhältnis verfolgt wird und es feststeht, dass weitere Ansprüche aus diesem den Parteien nicht erwachsen sind, so fehlt für eine besondere Feststellung des Rechtsverhältnisses die Grundlage, weil durch die Entscheidung auf die Hauptklage bereits rechtskräftig festgestellt wird, ob der einzige aus dem Rechtsverhältnis erwachsende Anspruch aus diesem Rechtsverhältnis gegeben ist oder nicht.“ 1444 Wernecke, Einheitlichkeit, S. 30. 1445 Ebenso Wernecke, Einheitlichkeit, S. 73: Der Rechtshängigkeitseinwand sei im Verhältnis der Leistungs- zur negativen Feststellungsklage begründet, wenn unvereinbare Entscheidungen zu verhindern seien. Unvereinbare Entscheidungen lägen vor, wenn „im ‚Erstprozess‘ … einem Leistungs- oder Gestaltungsbegehren auf der Grundlage eines (bezogen auf die konkrete Rechtsfolge verbindlich festgestellten) Rechtsverhältnisses stattgegeben [wird], dessen Existenz zu einem späteren Zeitpunkt durch das Feststellungsurteil in Abrede gestellt wird.“ A.A. Rüßmann, ZZP 111 (1998), 408, wonach das über den Kaufpreis ergehende Zahlungsurteil in keinem rechtlich relevanten Widerspruch zum Urteil stehe, das das Nichtbestehen des Kaufvertrages feststellen wolle. 1446 Bei lediglich konträren Rechtsfolgen, die denselben Streitgegenstand betreffen, aber nicht vollkommen übereinstimmen (Teilidentität), schlägt Wernecke, Einheitlichkeit, S. 80 f., 138 f., die Ausetzung nach § 148 ZPO vor. 1447 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 31. 1448 Haas, in: FS Ishikawa, S. 170 f.; Leipold, Wege zur Konzentration, S. 23 f.; Gruber, ZZP 117 (2004), 152; Zeuner, in: FS Bydlinski, S. 511 f. 1449 Oben § 16 II 8. Insoweit könnte aber auch die Kernpunktrechtsprechung durch na-
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nicht verkannt werden darf, dass die Weite der Kernpunktrechtsprechung des EuGH vor allem auf die Vermeidung internationaler Urteilskollisionen und der in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO beschriebenen Situation der Anerkennungsverweigerung abzielt. An dieser Sanktion fehlt es aber bei reinen Inlandssachverhalten.1450 Europäisches und nationales Recht bilden Teile einer umfassenden Gesamtrechtsordnung, die in ihren jeweiligen Regelungsbereichen aber auch selbständig sind.1451 Insoweit erscheint eine die nationalen Besonderheiten berücksichtigende Lösung vorzugswürdig, wenn sie in praktischer Hinsicht über ähnliche Vorzüge verfügt wie die Kernpunkttheorie.1452 Hinzu kommt, dass der Streitgegenstand im nationalen Recht eine Reihe von Funktionen übernimmt, für die sich, abgesehen vom Rechtshängigkeitseinwand, auf europäischer Ebene keine Entsprechungen finden lassen.1453 Eine Zwangsfusion erscheint somit nicht sinnvoll. Europäische und nationale Regelungen können ohne weiteres fruchtbar nebeneinander bestehen. Aus diesem Grund ist es gerechtfertigt, zwar für den Gleichrang von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage im deutschen Recht einzutreten, aber für das Verhältnis zwischen vorgreiflicher Feststellungsklage und Leistungsklage am herkömmlichen deutschen Verständnis festzuhalten.1454 Im Hinblick auf die erste Fallgruppe hat auch der BGH im internationalen Kontext bereits klargestellt, dass das Feststellungsinteresse für eine in Deutschland anhängige negative Feststellungsklage durch eine nachträglich im Ausland erhobene Leistungsklage nicht entfällt.1455 tionale Bemühungen konkretisiert werden, wie sie im Rahmen dieser Arbeit etwa unternommen werden. 1450 Haas, in: FS Ishikawa, S. 170 f., will dieses Argument dennoch nicht durchgreifen lassen. 1451 Zeuner, in: FS Bydlinski, S. 510, der die teleologischen Unterschiede von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO betont. 1452 Deswegen sind hinsichtlich der Übernahme der Kernpunktlehre zurückhaltend (begrenzt auf das Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage) Stein/ Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 54 ff.; Walker, ZZP 111 (1998), 436; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399 f.; Zeuner, in: FS Lüke, S. 1003 f.; ders., in: Heiderhoff, Diskussionsbericht ZZP 111 (1998), 457; Gruber, ZZP 117 (2004), 152, 154, wirbt statt einer Anpassung um eine Annäherung für das Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage; Bedenken auch bei Oberhammer, JBl 2000, 218; Wernecke, Die Einheitlichkeit, S. 80 ff. 1453 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399. 1454 So Zeuner, in: FS Lüke, S. 1017 f. 1455 Oben § 15 V 1 b. BGH NJW 1997, 870; BGH ZIP 2002, 725 f. Im Ergebnis weist Gruber, ZZP 117 (2004), 153, aber mit Recht darauf hin, dass eine im Ausland erhobene negative Feststellungsklage nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH einen höheren Stellenwert genießt als eine im Inland erhobene. Grunsky, Grundlagen, S. 32, und Schwab, Streitgegenstand, S. 130, betonen im Sinne der h.L., dass die auf Feststellung des Eigentums gerichtete Feststellungsklage nicht einer Leistungsklage entgegensteht, mit welcher der Vindikationsanspruch durchgesetzt werden soll. Deutlich auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 256 Rn. 89: Die positive Feststellungsklage, mit welcher die Wirksamkeit eines Mietvertrages festgestellt werden soll, und eine Leistungsunterlassungsklage im Hinblick auf den Mietgebrauch stellen unterschiedliche Streitgegenstände dar, so dass die Rechtshängigkeitssperre nicht ein-
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Fünfter Teil: Der Verfahrensgegenstand
4. Positive Feststellungsklage und negative Feststellungsklage Auch in der Konkurrenzsituation zwischen positiver und negativer Feststellungsklage stellt die herrschende Auffassung die negative Feststellungsklage – unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Erhebung – wiederum zurück.1456 Wie bei der nachfolgenden Leistungsklage entfalle das Feststellungsinteresse für eine bis dahin zulässige negative Feststellungsklage dann, wenn etwa der Geschädigte in zulässiger Weise – zur Unterbrechung der Verjährung – die positive Feststellungsklage erhebt und der Streitgegenstand der negativen Feststellungsklage von dem der positiven mit umfasst werde. Das Rechtsschutzziel der positiven Feststellungsklage reiche weiter als das der negativen Feststellungsklage und decke deren Streitgegenstand in vollem Umfang ab.1457 Denn in vielen Fällen sei die positive Feststellungsklage eine Art Ersatz für die mangels Bezifferbarkeit des vollen Schadens noch nicht mögliche Leistungsklage. Indes lässt sich in dieser Konstellation nicht ernsthaft bestreiten, dass die negative Feststellungsklage lediglich auf die Feststellung des kontradiktorischen Gegenteils der Leistungsklage abzielt.1458 Auch ein überschießendes Rechtsschutzelement wie im Falle der Leistungsklage ist nicht erkennbar.1459 Vielmehr enthält bereits die Abweisung der negativen Feststellungsklage eine positive Feststellung hinsichtlich des Anspruchsverhältnisses. Ein solches Rechtsschutzziel kann entgegen anders lautender Auffassung auch nicht allein in der materiellrechtlichen Verjährungshemmung erblickt werden, da diese nur eine Nebenfolge darstellt (§ 262 ZPO). Damit müsste an sich sowohl einer selbständigen Feststellungsklage als auch einer Feststellungswiderklage der Rechtshängigkeitseinwand entgegen gesetzt werden. Beide Begehren sind vollständig identisch, so dass auch die Widerklage nicht mehr erlaubt wäre.1460
greift. Allerdings wird m.E. hier aus Konzentrationsgründen für die selbständige Leistungsklage ausnahmsweise das Rechtsschutzinteresse fehlen. Die Subsidiarität des „fehlenden Rechtsschutzinteresses“ steht mangels Streitgegenstandsidentität nicht entgegen. Allgemein zum Rechtsschutzinteresse, Wieser, S. 1 ff. 1456 KG NJW 1961, 33; Zöller/Greger, ZPO, § 256 Rn. 15 f., 17; Macke, NJW 1990, 1651. Hingewiesen wird darauf, dass eine Verjährungsunterbrechung (-hemmung) allenfalls dann eintrete, wenn die negative Feststellungsklage bereits endgültig abgewiesen worden sei, da die Rechtskraft eines solchen Urteils zugleich die positive Feststellung umfasse, dass Schadensersatzansprüche gegeben sind. Die Unterbrechung/Hemmung wäre somit lediglich eine Folge der Rechtskraftwirkung des die negative Feststellungsklage abweisenden Urteils (RG Gruchot 51, 1052; RGZ 153, 382). 1457 Macke, NJW 1990, 1651. 1458 Baltzer, Die negative Feststellungsklage, S. 150. 1459 So zu Recht Gruber, ZZP 117 (2004), 158; Baltzer, Die negative Feststellungsklage, S. 89. 1460 So die Deutung von Gruber, ZZP 117 (2004), 158.
§ 26 Verfahrenskonzentration
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Den von ihm angenommenen Primat der positiven Feststellungsklage stützt der BGH ausschließlich auf materielle Erwägungen.1461 Denn die Sperrwirkung der negativen Feststellungsklage würde dazu führen, dass dem Anspruchsinhaber die Hemmung der Verjährung auf Dauer unmöglich wäre, weil die Verteidigung des Beklagten gegen die negative Feststellungsklage hierfür nicht genügt.1462 Insoweit weicht der BGH von seinem üblichen prozessualen Streitgegenstandsverständnis ab und verändert diesen „mit Blick auf die Frage der Verjährungsunterbrechung“.1463 Dieses ungewollt relative Verständnis des BGH bedeutet jedoch keineswegs eine Notwendigkeit. Bereits Zeuner 1464 hat deswegen darauf hingewiesen, dass der BGH die greifbar nahe Lösung für diese Frage auf materieller Ebene (Verjährungshemmung im Rahmen der Verteidigung gegen eine negative Feststellungsklage1465) versäumt und dadurch erst einen Unruheherd im Verfahrensrecht geschaffen habe. Diese Hemmungswirkung der Verteidigung durch den Beklagten ließe sich zudem argumentativ auf § 203 BGB stützen, geht doch der Streitentscheidung nach §§ 278 I, II ZPO stets eine Form der Verhandlung über den negierten Anspruch des Feststellungsklägers voraus.1466 Zudem könnte argumentativ auf eine entsprechende Anwendung von § 205 f. BGB zugunsten des Feststellungsbeklagten rekurriert werden. Im Übrigen erschiene es auch bei der (zutreffenden) Annahme vollständiger Identität der Streitgegenstände möglich, dem Beklagten die Feststellungswiderklage zu gestatten1467, ohne dass in Gestalt der Verjährungshemmung ein überschießendes Rechtsschutzziel konstruiert werden müsste. Insoweit wäre die Sperrwirkung von § 261 III Nr. 1 ZPO bei der Widerklage aber gänzlich außer Kraft gesetzt.1468
1461
BGH NJW 1978, 1975 f. BGH NJW 1978, 1975; BGH NJW 1983, 392; BGH NJW 1994, 3107; a.A. OLG Schleswig NJW 1976, 970. 1463 So Macke, NJW 1990, 1651. 1464 Zeuner, in: FS Lüke, 1019 f.; ders., in: FS Bydlinski, S. 511 f. 1465 So auch OLG Schleswig, NJW 1976, 970; zustimmend Gruber, ZZP 117 (2004), 159. 1466 Zutreffend Gruber, ZZP 117 (2004), 159. 1467 Richtig: Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 30. A.A. Gruber, ZZP 117 (2004), 158: Die Widerklage sei nur bei einem überschießenden Rechtsschutzziel gestattet. 1468 Begründet werden könnte dies wiederum mit der Annahme, dass die Rechtshängigkeitssperre nur die anderweitige Anhängigkeit derselben Streitsache verhindern will. 1462
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Sechster Teil:
Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs – Der Urteilsgegenstand § 27 Zur Bedeutung von § 308 ZPO I. Bindung an Klageantrag und Klagegrund Nach dem Rechtsschutzmodell des Zivilprozesses ist es Sache des Klägers, den Streitkomplex vorzugeben und hierdurch der richterlichen Entscheidungsbefugnis Grenzen zu stecken.1 § 308 I ZPO verpflichtet als Ausdruck der klägerischen Dispositionsbefugnis das Gericht, innerhalb der Grenzen des geforderten Interesses der beantragten Rechtsfolge entsprechend zu erkennen. Erlaubt ist zwar die Verurteilung zu einem minus 2, nicht aber zu einem aliud.3 Ergeht die Entscheidung über einen anderen als den durch die Klage festgelegten Gegenstand, so erwächst sie nicht in materielle Rechtskraft; anderes gilt bei einer Verurteilung zu einem plus.4 Nach herrschender Ansicht bezieht sich die durch § 308 I ZPO auferlegte Bindung nicht nur auf den Klageantrag, sondern auf den (zweigliedrigen) Streitgegenstand insgesamt, somit also auch auf den Klagegrund.5 Die Konsequenz wäre, dass der Klage nicht im Hinblick auf ein tatsächliches Geschehen stattgegeben werden dürfte, das nicht der Kläger vorgetragen hat, sondern auf Äuße1 Grunsky, Grundlagen, S. 58; Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit (1961), S. 174 ff.; Batsch, ZZP 86 (1973), 254 f. 2 Möglich ist etwa die Feststellung der Leistungspfl icht anstelle der Verurteilung, BGH NJW 1984, 2295. 3 Der BGH NJW 1990, 1910 f., lehnt es zu Unrecht ab, den Anspruch auf nachbarrechtlichen Ausgleich (§ 906 BGB analog) im Verhältnis zum Schadensersatzanspruch als minus zu betrachten; hierzu MünchKomm/Musielak, ZPO, § 308 Rn. 11. Damit hält eine aktionenrechtliche Note Einzug in die Auslegung des Klageantrags, vgl. allgemein oben § 3. 4 Hierzu Jauernig/Hess, ZPR, § 63 I Rn. 3; diese Unterscheidung lässt sich nicht dadurch vereinfachen, indem man wie Musielak, in: FS Schwab, S. 359 ff., diese Bewertung nach objektiven Kriterien durch eine subjektive ersetzt, welche auf die Absichten des Gerichts abstellt. 5 BGH NJW 2003, 2317 f.; BGH NJW-RR 2002, 540; Habscheid, Streitgegenstand, S. 203. Das Gericht dürfe dem Antrag keinen anderen als den vorgebrachten Klagegrund beilegen, Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 132 I 1 Rn. 6, im Anschluss an BGH NJW 2003, 2317 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 308 Rn. 2, 11.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
rungen des Beklagten beruht, sofern hierdurch der Streitgegenstand eine Veränderung erfährt.6 Die gesetzliche Beschränkung der Bindungswirkung auf den Klageantrag wird mit einem überkommenen aktionenrechtlichen Verständnis erklärt:7 Ausschlaggebend für die Fassung von § 308 I ZPO in den Reichsjustizgesetzen sei eine monistische Deutung von materiellem Recht und Prozessrecht gewesen, welche den einzelnen materiellrechtlichen Anspruch zum Gegenstand des Prozesses erhob.8 Für mehrere Ansprüche hatte der Kläger folglich mehrere Anträge vor Gericht zu stellen. Weil die prozessualen Streitgegenstandslehren den zuvor lediglich mit dem Antrag erfassten prozessualen Anspruch in zwei Glieder aufgeteilt hätten, müsse sich diese Bindung des Gerichts (§ 308 I ZPO) auch auf den (vorgetragenen) Sachverhalt erstrecken.9 Die Bindung an den Klageantrag bedeute die Bindung an den Streitgegenstand.10 M.E. können diese historisch angereicherten Überlegungen nicht überzeugen. Denn bereits in der Ursprungsfassung von § 253 II Nr. 2 ZPO und § 264 ZPO (§ 240 CPO) ist vom Klagegrund die Rede, womit die Unterscheidung zwischen Antrag und Klagegrund dem historischen Gesetzgeber durchaus bewusst war, ohne dass er dem im Rahmen von § 308 I ZPO Rechnung getragen hat.11 Musielak12 hat im Übrigen aus der Warte der zweigliedrigen prozessualen Streitgegenstandslehre zu Recht darauf hingewiesen, dass es für eine sinnvolle Bindung des Gerichts unter Verwendung der Sachdarstellung des Klägers nicht erforderlich sei, diese Bindung auf den Streitgegenstand zu beziehen.13 Die dort bestehenden Zwistigkeiten setzten sich damit nur bei § 308 I ZPO fort.14 Entscheidend sei allein die im Antrag zum Ausdruck kommende Willensrichtung des Klägers, die nur unter Zuhilfenahme des Sachverhalts ermittelt werden könne.15 Zwischen Antrag und Begründung existiere ein untrennbarer Zusammenhang, so dass die Berücksichtigung des vom Kläger angeführten Sachverhalts für das Verständnis und die inhaltliche Begrenzung seines Klagebegehrens
6 Relevant wird dies vor allem bei Unterlassungsanträgen, vgl. BGH JR 2004, 202 ff. – „Reinigungsarbeiten“. In Konflikt geraten hier Dispositions- und Verhandlungsgrundsatz. 7 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 70. 8 Habscheid, Streitgegenstand, S. 20 ff.; Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 69 f. 9 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 70 f.; zustimmend etwa Grunsky, ZZP 96 (1983), 396 und der BGH JR 2004, 202 ff. – „Reinigungsarbeiten“; auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 308 Rn. 2. 10 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 308 Rn. 2. 11 Die Motive zu § 269 CPO (§ 308 I ZPO) legen vielmehr nahe, dass hinsichtlich der Bindung an den Klagegrund keine Aussage getroffen werden sollte, Hahn, Materialien II/1, S. 285. Bereits die Regel ne ultra petita lenkt den Blick allein auf das petitum, also den Streitantrag und nicht den Streitgrund. 12 Musielak, in: FS Schwab, S. 351. 13 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 69 ff.; Grunsky, ZZP 96 (1983), 395, 396. 14 MünchKomm/Musielak, ZPO, § 308 Rn. 1, 6. 15 MünchKomm/Musielak, ZPO, § 308 Rn. 5 f.; auch BGH WM 1980, 343.
§ 27 Zur Bedeutung von § 308 ZPO
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eine Notwendigkeit sei.16 Die eingliedrige prozessuale Streitgegenstandslehre Schwabs müsste deswegen konsequenterweise am Gesetzeswortlaut festhalten. Faktisch verlässt Schwab aber seinen Ausgangspunkt, wenn er dem Kläger eine den Richter bindende Dispositionsbefugnis über den jeweiligen vorgetragenen Klagegrund zuschreibt.17 Nur der Antrag gibt m.E. die maßgebliche Zielrichtung zur Verwirklichung des Klägerinteresses vor. In wenigen Einzelfällen ermöglicht das materielle Recht dem Kläger indes die Befugnis, den Urteilsgegenstand auch auf bestimmte rechtliche Aspekte zu begrenzen, an die das Gericht gebunden ist.18
II. Antragsbindung und relative Streitgegenstandslehre Eine Nagelprobe für die richtige Bestimmung des Bindungsumfanges stellen Fälle dar, in denen die unterschiedliche Sachverhaltsdarstellung die Vertreter der zweigliedrigen Lehre zur Annahme einer Streitgegenstandsveränderung verleiten würde, während die dahinterstehende Position in Wahrheit identisch bleibt, so etwa im „Kaufpreis-Wechsel-Fall“.19 Von den Anhängern eines relativen Begriffsverständnisses wäre deswegen zu bedenken, ob der Übergang von einem weiten eingliedrigen Begriffsverständnis zum enger gefassten Urteilsgegenstand bereits im Rahmen von § 308 I ZPO seinen Niederschlag findet, mit anderen Worten: ob § 308 I ZPO am Verfahrens- oder Urteilsgegenstand auszurichten ist. Eine eindeutige Beantwortung dieser Frage hat die relative Streitgegenstandslehre bisher vermissen lassen. 20 Ist der Richter damit bei der Urteilsfällung auf den vom Kläger konkret angeführten Tatbestandskomplex (Kaufvertrag) festgelegt, wenn der Vortrag des Beklagten auch eine andere selbständige Rechtfertigung erkennen lässt (gegebener Wechsel)? Bei Bejahung dieser Frage würde bei Berücksichtigung eines nur vom Beklagten vorgetragenen Geschehens durch den Richter dann der Dispositionsgrundsatz verletzt. Nach der hier vertretenen Auffassung bestimmt der Kläger (§ 253 II Nr. 2 ZPO) 16 MünchKomm/Musielak, ZPO, § 308 Rn. 5 f., vgl. aber auch Rn. 13 im Hinblick auf die Unterlassungsklage. 17 Schwab, Streitgegenstand, S. 190 f., 99 f.: „Dieser Grundsatz der Dispositionsbefugnis des Klägers über mehrere von ihm vorgetragene Sachverhalte gilt nicht nur für Scheidungsoder Aufhebungsklagen, sondern auch in allen anderen Fällen.“ Mit Recht kritisch deswegen Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 59 ff. 18 Musielak/Musielak, ZPO, § 308 Rn. 15; M. Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses, S. 153 f. Näher unten § 30 VIII. 19 Oben § 9 I 1. 20 Von Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 308 Rn. 2, wird dies nicht bedacht, obgleich dort gerade einer relativen Streitgegenstandslehre das Wort geredet wird. Vielmehr bezieht dieser ohne nähere Erläuterung die Bindung auf den Streitgegenstand einschließlich des Klagegrundes.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
mit Klageantrag und individualisierendem Tatsachenvortrag sein Interesse. Dadurch werden zugleich der für § 261 III Nr. 1, 2 ZPO maßgebliche Rechtshängigkeitsumfang und die Grenzen des Klageänderungsverbots festgelegt. Die in § 308 I ZPO vorgesehene Bindung des Richters ist ein „Produkt“ des 2. Titels, der die Überschrift „Urteil“ trägt. Der Kläger erhält ein rechtskräftiges Urteil nur in den Grenzen seines Klageantrags. Die Dispositionsbefugnis gewinnt im prozessdynamischen Geschehen im Stadium der Urteilsfällung verstärkte Bedeutung. Der Kläger muss mit bindender Wirkung eine konkrete Rechtsfolge benennen, die sein Interesse verwirklicht und an der auch der Beklagte seine finale Verteidigungslinie ausrichtet. Diese Dispositionsbefugnis des Klägers beschränkt sich aber gemäß § 308 I ZPO auf den Klageantrag21, nicht jedoch auf den vorgetragenen Tatsachenkomplex, wie ihn die relative Streitgegenstandslehre zur Begrenzung des Urteilsgegenstandes zu Rate ziehen will. 22 Das Interesse bleibt identisch, wenn der Kläger seinen Zahlungsantrag sowohl auf eine Kaufpreisforderung als auch auf einen gegebenen Scheck oder Wechsel stützen kann. 23 In diesen und ähnlichen Fällen 24 genügt es für die Verurteilung des Beklagten folglich, dass der den Kaufvertragsschluss bestreitende Beklagte die Hingabe des Wechsels in den Prozess einführt, während der Kläger weiterhin am Grundgeschäft festhält. 25 § 308 I ZPO würde dadurch nicht verletzt.
III. Die Berücksichtigung des Beklagtenvortrags zwischen Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime Mit der – hier abgelehnten – Bindung an den Klagegrund träte im Übrigen unweigerlich die Frage auf26, wie Dispositionsmaxime und Verhandlungsmaxime im Einzelfall gegeneinander abzugrenzen sind. 27 Nach dem Verhandlungsgrundsatz führen die Parteien den entscheidungserheblichen Streitstoff in den Prozess ein. 28 Der Richter kann sich nicht auf Tatsachen stützen, die von den
21 Ob dies allein mit historischen Überlegungen und dem bei Inkrafttreten der CPO herrschenden materiellen Streitgegenstandsbegriff erklärt werden kann, erscheint zweifelhaft. 22 A.A. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 308 Rn. 2. 23 Zur Streitgegenstandseinheit OLG Düsseldorf MDR 1990, 819. 24 Etwa bei der Herausgabe (§ 985 BGB) einer Uhr aus verschiedenen Erwerbsgründen. 25 Bei sachmängelbedingten Rückzahlungsklagen könnte entscheidend sein, ob der Kläger sein durch einen bestimmten Mangel individualisiertes Ausgleichsinteresse oder die Rückzahlung des gesamten Kaufpreises begehrt. Im ersten Fall genügt es für die Verurteilung des Beklagten nicht, dass erst der Vortrag des Beklagten Hinweise auf einen neuen Sachmangel gibt, wenn sich der Kläger den Vortrag nicht zu eigen macht. 26 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 73. 27 Habscheid, Streitgegenstand, S. 171 f. 28 Zusammenfassend Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77 II Rn. 7 f.
§ 27 Zur Bedeutung von § 308 ZPO
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Parteien nicht vorgebracht sind.29 Da andererseits die Parteien nach der Dispositionsmaxime durch ihre Anträge den Umfang der richterlichen Prüfung bestimmen, wäre eine Überschneidung denkbar. Nach h.A. bezieht sich die Verhandlungsmaxime lediglich auf die Stoffsammlung und hat mit der Disposition der Parteien über den Streitgegenstand nichts zu tun.30 Melissinos hat sich gegen diese strenge Scheidung beider Grundsätze gewandt.31 Zwar diene die Verhandlungsmaxime (nur) der Sammlung des Tatsachenstoffes. Dies schließe jedoch nicht aus, dass auch die Parteidisposition in einem gewissen Zusammenhang mit dem Tatsachenstoff stehe. Dabei gelte es, der auf das Zivilverfahren einwirkenden Doppelfunktion der vorzubringenden Tatsachen gerecht zu werden. Sicherlich besteht zwischen Verhandlungs- und Dispositionsmaxime unverkennbar eine (historische) Verwandtschaft.32 Auch die terminologische Vermischung beider Begriffe durch das RG33 ist eine Folge der unterschiedslosen Verwendung beider Termini im gemeinen Prozessrecht.34 An Melissinos’ Konzept störend wirkt aber die Kategorisierung von Tatsachenelementen danach, ob sie der Dispositionsmaxime und der Verhandlungsmaxime oder nur dem zweiten Prinzip zuzuordnen sind.35 Lediglich wenn die vorgebrachten Tatsachen nichts zur Begrenzung des Streitgegenstands beitrügen, sondern die sachliche Begründung der Klage im Vordergrund stehe, sei die Verhandlungsmaxime in ihrem originären Anwendungsfeld betroffen. Aus dieser Erkenntnis will Melissinos die Möglichkeit ableiten, alle Tatsachen (!), welche in den Zivilprozess eingeführt sind, in zwei Gruppen aufzuteilen: diejenigen, die sowohl der Verhandlungs- als auch der Dispositionsmaxime angehören und diejenigen, welche nur der Verhandlungsmaxime zuzuordnen sind. Folge wäre, dass Tatsachen, die geeignet sind, den Streitgegenstand zu erweitern oder zu ändern, aber nur vom Beklagten vorgebracht sind, keinen Einfluss auf den Prozess nehmen. Das Gericht dürfe sie ohne Dispositionsakt des Klägers seiner Urteilsfällung nicht zu Grunde legen.36 Tatsachen, die allein der Verhandlungsmaxime unterstünden, seien hingegen auch zu berücksichtigen, wenn sie ausschließlich von der geg29
Brüggemann, Judex, S. 100 f. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77 II Rn. 11. 31 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 74 ff. 32 Brüggemann, Judex, S. 100 f.; Henckel, Prozeßrecht, S. 126. 33 RG JW 1909, 486. 34 RGZ 35, 427. Die Begründung zu § 269 des Entwurfs einer Zivilprozessordnung beginnt: „Der aus der Verhandlungsmaxime abfließende Satz, dass nicht ultra petita erkannt werden darf …“, Hahn, Materialien II/1, S. 285; Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 74. 35 Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 75. Somit wäre nicht der gesamte in Einzelheiten vorgetragene Sachverhalt für die Bestimmung des Klagegrundes maßgeblich, sondern nur der Teil, welcher den Anspruchsgrund betreffe. 36 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 43 f.; seine Aussage, dass in einem Verfahren mit Verhandlungsgrundsatz der Streitgegenstand auf den vorgetragenen Sachverhalt beschränkt sei, versteht Melissinos, Die Bindung des Gerichts, S. 73 f., dahingehend, dass dieser die Verhandlungs- mit der Dispositionsmaxime verwechselt habe. 30
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
nerischen Partei vorgetragen würden.37 Stütze der Kläger seine Zahlungsforderung auf einen Kaufvertrag, so dürfe das Gericht dem nicht unter dem Gesichtspunkt eines gegebenen Wechsels stattgeben (§ 308 I ZPO), den allein der Beklagte ins Spiel gebracht habe. Melissinos ist nur insoweit zuzustimmen, als für die Berücksichtigung des Beklagtenvorbringens die Grenzen des Streitgegenstands beachtlich sind. Die Frage ist nur, wie diese Grenzen zu ziehen sind und ob einzelne Tatsachenelemente etwas zur Konturierung beitragen können. Die Unterscheidung nach einer Begrenzungs- und Begründungsfunktion von Tatsachenelementen wirkt gekünstelt. In der Praxis dürfte sie nur schwer umzusetzen sein. Die Schwierigkeiten der Umgrenzung des natürlichen Lebenssachverhaltes38 potenzieren sich dadurch. Notwendig sind klare und praktikable Abgrenzungskriterien. Dafür bietet sich die Einheit des Klägerinteresses an. Soweit dieses identisch bleibt, wird vom Richter allenfalls der Verhandlungsgrundsatz verletzt, wenn er von keiner Partei vorgetragene Tatsachen bei seiner Entscheidung berücksichtigt. In der Berufungsinstanz ist der Richter aber auch bei angenommener Streitgegenstandsidentität gemäß § 531 ZPO an der Berücksichtigung völlig neuen Tatsachenmaterials gehindert. Die Dispositionsbefugnis des Klägers kommt primär in der Stellung eines bestimmten Antrags zum Ausdruck. Nur mittelbar äußert sie sich im Tatsachenvortrag, der das geforderte Interesse mitkonturiert.
IV. Die Bedeutung äquipollenten Beklagtenvorbringens In diesem Zusammenhang spielt auch der Aspekt des äquipollenten Beklagtenvorbringens eine Rolle. Wenn etwa im „Weinfall“39 der Verkäufer seine Zahlungsklage auf den (nichtigen) Kaufvertrag stützt und nichts zum Verbrauch der Waren vorträgt, wird z.T. dem Richter versagt, seine Kognitionsbefugnis auf § 812 I 1 1. Alt BGB zu erstrecken. Denn der Vortrag des Verbrauchs der Ware (§§ 818 II BGB) stelle eine Erweiterung des Streitgegenstands dar40, die nur dem Kläger und nicht dem Beklagten erlaubt sei. Lediglich Habscheid hat für den Fall, dass der Beklagte unbestritten den Verbrauch der Ware vorträgt, einen abweichenden Standpunkt vertreten:41 37
Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 76. Habscheid, in: FS Schwab, S. 182, leugnet diese und beruft sich auf die Rezeption seiner Lehre durch den BGH. 39 Oben § 10 IV 1b. 40 So etwa Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 74 ff. Bereits nach der zweigliedrigen Lehre kann hier an der Verschiedenheit der Lebenssachverhalte gezweifelt werden. 41 Hingegen beschränkt er den Umfang der materiellen Rechtskraft in dieser Konstellation mittels der Verhandlungsmaxime, Habscheid, Streitgegenstand, S. 171, 184 f., 206, 38
§ 27 Zur Bedeutung von § 308 ZPO
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„Nur derjenige, der noch aktionenrechtlich denkt, wird dem Richter verwehren …, den ganzen Lebenssachverhalt rechtlich zu würdigen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich der Kläger in seinem Sachvortrag auf die ersten Glieder dieses Lebensvorganges beschränkt hat oder nicht. Das Vorbringen des Beklagten, er habe den gelieferten Wein getrunken, ermöglicht dem Gericht, die Klage dennoch aus Bereicherung zuzusprechen.“42
Die Verhandlungsmaxime bleibe unangetastet.43 Jauernig44 hat dies kritisiert, weil der Beklagte aufgrund eines Vorbringens verurteilt würde, das sich der Kläger nicht zu Eigen gemacht habe. Der Kläger obsiege, obgleich seine Klage vom Anfang bis zum Ende des Prozesses unschlüssig geblieben sei.45 Auch die Figur des gleichwertigen (äquipollenten) Parteivorbringens setze die Schlüssigkeit der Klage voraus.46 Im Ergebnis würden damit die Unterschiede von Verhandlungs- und Inquisitionsmaxime verwischt.47 Indes läge ein Verstoß gegen die Verhandlungsmaxime m.E. nur vor, wenn das Gericht Prozessstoff berücksichtigen würde, der aus einer Beweisaufnahme folgt, aber von keiner Partei kommt aber mit der Anerkennung einer allgemeinen Präklusion dann zum diametral entgegengesetzen Ergebnis. Kritisch im Hinblick auf das „Doppelleben der Verhandlungsmaxime“ bei Habscheid zu Recht Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 8. 42 Habscheid, Streitgegenstand, S. 172, S. 217 f., wendet sich hiermit gegen Schwab, der von einer Dispositionsbefugnis des Klägers über den Tatsachenkomplex spricht, Streitgegenstand, S. 98 ff., was zweifellos nicht mehr mit seinem eingliedrigen Ausgangspunkt übereinstimmt: Nach Schwab müsse der Kläger zur Beschränkung des Urteilsspruches auf den Gesichtspunkt „Vertrag“ einfach vermeiden zu erwähnen, dass der Wein verbraucht wurde; kritisch mit Recht Melissinos, Die Bindung des Gerichts, S. 59 f.: „Ebenfalls widerspricht einem solchen Begriff des Streitgegenstands die Stellungnahme Schwabs zum Problem der Parteidisposition über einzelne Klagegründe.“ Schwab führt diese Dispositionsbefugnis hinsichtlich des selbständigen Lebenssachverhalts auf den Satz „da mihi facta, dabo tibi ius“ zurück, Schwab, Streitgegenstand, S. 19, 98 ff. 43 Habscheid, Streitgegenstand, S. 218. 44 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 8, unter Berufung auf die streitgegenstandsbegrenzende Funktion der Verhandlungsmaxime; kritisch hierzu Lüke, JuS 1967, 3. 45 „Dass nach dem Vortrag des Beklagten der Kläger gewinnen müsste, ist zwar richtig, macht aber – wenn der Kläger diesen Vortrag nicht übernimmt – seine Klage nicht schlüssig“, Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 8. 46 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 8: Einer unschlüssigen Klage stattzugeben, mute in einem Prozess mit Verhandlungsmaxime revolutionär an; ders., ZPR, § 25, S. 91, S. 97. Yoshimura hat sich in diesem Punkt angeschlossen, ZZP 83 (1970), 249: „Solange die vom Beklagten vorgebrachten, aber zugunsten des Klägers sprechenden Tatsachen immer auch dann von dem Gericht berücksichtigt werden dürfen, wenn sich der Kläger nicht auf sie berufen hat, wäre eine Schlüssigkeitsprüfung unmöglich. Denn für die Schlüssigkeit der Klage ist zu prüfen, ob die Klage nach dem eigenen Tatsachenvortrag des Klägers rechtlich begründet ist. Beruft sich der Beklagte z.B. auf den Verbrauch der gelieferten Ware, so ist die Klage nicht im Sinne des § 812 BGB schlüssig, auch wenn der Beklagte diese Tatsache im Prozess behauptet. Der Kläger, der bewusst den Verbrauch verschweigt, schließt damit im Ergebnis den rechtlichen Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung für die Entscheidung aus. Ob diese Befugnis des Klägers zwangsläufig zur Beschränkung des Streitgegenstands auf den vorgebrachten Sachverhalt führt, ist aber eine andere Frage.“ Zum äquipollenten Parteivorbringen auch Brauer, JZ 1956, 713; restriktiver aber Musielak, ZZP 103 (1990), 220. 47 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 8, 13.
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vorgetragen wurde.48 Hingegen lässt die richterliche Verurteilung den Verhandlungsgrundsatz unberührt, wenn der entscheidende Sachverhaltsteil (unbewusst) vom Beklagten erwähnt wird.49 Zu klären bleibt deswegen, in welchem Rahmen die Berücksichtigung eines gleichwertigen Parteivorbringens zulässig ist: Nach einer Auffassung soll es – ohne dass eine Beweisaufnahme notwendig würde – genügen, dass zwar nicht die vom Kläger, jedoch die vom Beklagten vorgetragenen und bestrittenen Tatsachen das Begehren des Klägers rechtfertigen.50 Nach anderen Stimmen müsse sich der Kläger zumindest den Vortrag des Beklagten zu Eigen machen.51 Erforderlich sei dies auf jeden Fall, wenn der Vortrag des Beklagten außerhalb des bisherigen Streitgegenstands liege.52 Bei angenommener Streitgegenstandsidentität erscheint die Verurteilung des Beklagten m.E. aber gerechtfertigt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Klage nach dem klägerischen Vortrag schlüssig ist. Das ist sie aber, wenn lediglich der Beklagte den an sich anspruchsbegründenden Vortrag des Klägers bestreitet.53 Dieser darf indes keine Hinweise auf rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendungen enthalten, für die der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig wäre. Unerheblich ist hingegen, ob das Gericht im erwähnten Beispiel zur Überzeugung kommt, dass der Vortrag des Beklagten die wirksame Anfechtung des Kaufvertrages nahe legt, sofern dieser zugleich den Verbrauch der Ware vorträgt. Der Richter hat nach §§ 812 I 1 1. Alt., 818 II BGB auf Wertersatz zu verurteilen. Der Grundsatz des äquipollenten Parteivortrags kommt nur bei Streitgegenstandsidentität zur Anwendung.54 Innerhalb des beantragten Interesses ist der Richter somit zur Berücksichtigung eines Vorbringens berechtigt, das erst der Beklagte vorgetragen 48
Hierfür etwa Bernhardt, in: FG Rosenberg, S. 35. Vgl. aus (großzügigerer) österreichischer Sicht Böhm, in: FS Kralik, S. 113: Das Gericht überschreite seine Befugnisse nicht, wenn es eine erwiesene Tatsache dem Urteil zu Grunde lege, die von den Parteien aber nicht ausdrücklich behauptet worden ist. Der Verwertung solch überschießender Beweisergebnisse stehe somit aus der Sicht der Dispositionsmaxime und der Streitgegenstandslehre nichts entgegen. 49 A.A.: Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 13; RGZ 151, 97 f.: „Rechtlich geprüft dürfen nur die Tatsachen werden, auf die sich der Kläger zur Begründung seines Antrags beruft; das Gericht darf nicht Tatsachen, die irgendwie in der Verhandlung auftauchen, von Amts wegen an Stelle derjenigen setzen, die vom Kläger als Stütze seines Antrags vorgetragen werden. Das würde dem obersten Grundsatz der Prozessordnung, dem Verhandlungsgrundsatz widersprechen.“ Aus diesem Grunde sollte nach Ansicht de Boors, Zur Reform des Zivilprozesses, S. 7 ff., die Verhandlungsmaxime fallen. Dieser Konsequenz bedarf es jedoch in keinem Fall. Gefordert ist lediglich eine sachgerechte Erweiterung des Verhandlungsgrundsatzes. 50 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 308 Rn. 4. 51 BGH NJW 1989, 2356; Musielak, ZZP 103 (1990), 221. 52 RGZ 151, 98. 53 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 9, differenziert hier nicht in der Fallgestaltung. Für den Fall, dass der Vortrag des Klägers unschlüssig ist, muss ihm freilich Recht gegeben werden. 54 Jauernig, in: FS Schwab, S. 250.
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hat.55 Entscheidend ist lediglich, dass die Klage nach dem eigenen Tatsachenvortrag des Klägers schlüssig war.
V. Rechtsvergleichung Auch in Frankreich ist der Richter nach dem Grundsatz der immutabilité de l’objet du litige an die Parteianträge gebunden56, so dass im Grundsatz nicht mehr als beantragt (ultra petita, Art. 5 CPC57) oder ein Aliud (extra petita) zugesprochen werden kann. Es existieren jedoch einige Milderungen und Ausnahmen von dem beschriebenen Grundsatz, so dass dem Richter Möglichkeiten zur Modifizierung des Streitgegenstands verbleiben.58 Auffällig ist, dass in Frankreich keine § 139 I ZPO entsprechende Vorschrift existiert, die Auskunft darüber gibt, wie auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken wäre, was aber nicht bedeutet, dass eine derartige Pflicht nicht bestünde. Im Ergebnis stehen dem französischen Richter somit bei der Umformung des klägerischen Begehrens59 wesentlich mehr Freiheiten zu als seinem deutschen Kolle55 Nach Melissinos, Die Bindung des Gerichts, S. 78 f., wäre der Kläger hingegen berechtigt, falls mehrere Klagegründe für die Begründung seines Anspruchs maßgebend sind, einen davon auszuwählen, in den Prozess einzuführen und dadurch die Entscheidungsbefugnis des Gerichts zu begrenzen. Mache der Kläger von dieser Befugnis Gebrauch, so stehe es dem Gericht nicht mehr frei (§ 308 I ZPO), seine Entscheidung auf einen anderen Klagegrund zu stützen. Jedoch lehnt er eine Disposition über die einzelne Schutznorm ab. Dabei stellt er klar, dass die ausschließliche Verbindung des Prozessstoffs mit der Verhandlungsmaxime keine befriedigende Lösung für die Fälle biete, bei denen der Sachverhalt zum Streitgegenstandselement herangezogen wird: „In den Fällen – wie wir oben gezeigt haben –, in denen die Einführung von bestimmten Tatsachen Einfluss auf die Prozessgegenstandsgrenze ausübt, handelt es sich nicht nur um den Verhandlungs-, sondern vielmehr um den Dispositionsgrundsatz.“ Richtigerweise wird der Richter m.E. in tatsächlicher Hinsicht allein durch das beanspruchte Interesse begrenzt. Nur soweit reicht die Dispositionsbefugnis des Klägers. Über die Möglichkeit einer speziellen Rechtsfolgenbehauptung, die sich entweder aus Verhandlungs- oder Dispositionsmaxime herleiten lassen würde, verfügt der Kläger ohnehin nicht: mit Recht MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, vor §§ 253 ff. Rn. 38 f.; Rimmels pacher, S. 243; a.A. RGZ 86, 379 f. 56 Eingehend Schilling, S. 70. 57 „Le juge doit se prononcer sur tout ce qui est demandé et seulement sur ce qui est demandé.“ 58 Schilling, S. 72; zurückhaltender Herb, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 138 f., im Hinblick auf die Begrenzungsbefugnis des Klägers. Sonnenberger, in: FS Münchener Jur. Gesellschaft, S. 67, erwägt, ob der erstinstanzliche Richter durch Art. 565 CPC („Les prétentions ne sont pas nouvelles dès lors qu’elles tendent aux mêmes fins que celles soumises au premier juge même si leur fondement juridique est différent.“) nicht mittelbar zur Änderung des Streitgegenstands befugt wird, soweit dieser sich noch im Rahmen des vom Kläger vorgegebenen Begehrens hält. Könne man dem erstinstanzlichen Richter verbieten, den Antrag des Klägers bereits so auszulegen, wie ihn der Kläger in der Berufungsinstanz ohnedies berichtigen könne? Kritisch Schilling, S. 73. 59 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 238 f., sieht dem vergleichbar die
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
gen. Ersterer kann unter dem Stichwort der demandes virtuelles auch ein aliud verbescheiden, wenn dies im Ergebnis hinter dem ursprünglichen Antrag zurückbleibt. So ist die richterliche Feststellung eines Wegerechts zulässig, wenn der Kläger eigentlich das Eigentum an besagtem Grundstück festgestellt wissen haben wollte. Der französische Richter darf also vom Begehren des Klägers soweit abweichen, als er ihm weiter einen vergleichbaren wirtschaftlichen Erfolg vermittelt.60 Entscheidend ist die Beibehaltung der fins de l’action. Mit anderen Worten: Dem Richter verbleibt innerhalb des materiellen Interesses des Klägers mehr Entscheidungsspielraum. Verbietet § 308 I ZPO eine Verurteilung zu Geldersatz anstelle der beantragten Naturalrestitution61, so gilt es in Frankreich zu differenzieren.62 Der französische Richter kann zwar nicht von der beantragten Naturalrestitution abweichen, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen, jedoch vermag er umgekehrt zur Naturalrestitution zu verurteilen, wenn lediglich Geldleistung verlangt war.63 Der Richter verfügt über einen Beurteilungsspielraum (pouvoir souverain) hinsichtlich der Umstände der Schadensersatzleistung. Im Hinblick auf die Vorrangstellung der Naturalrestitution ist der Richter trotz beantragter Geldleistung nicht gehindert, die umfassendere Form der Wiedergutmachung zuzuerkennen.64 Weiter wird es gestattet, anstelle einer festen Schadensersatzforderung eine Geldrente zuzusprechen. Ähnliches gilt im französischen Leistungsstörungsrecht: Auf Vertragsauflösung (résolution du contract) nach Art. 1184 I und II CC muss der Kläger mit der action en résolution pour inexécution antragen. Hat er dies getan, vermag der Richter innerhalb des „geltend gemachten Interesses“ relativ frei zu entscheiden.65 Ohne dass der Kläger seinen Klageantrag umstellen müsste, kann der Richter bei nicht ausreichender Schwere der Vertragsverletzung auch zum Schadensersatz verurteilen.66 Gewissermaßen übt hier der Richter das ius variandi anstelle des Gläubigers aus. So hat die Cour de cassation nach Abweisung der action en résolution Rechtsposition als Grenze an: „Der das Gericht bindende Antrag zielt auf einen bestimmten Rechtsschutz für eine bestimmte Rechtsposition“. Dass zwischen der Rechtsposition in diesem Sinne und Interesse aber Unterschiede im Ergebnis bestehen, zeigt gerade der „Weinfall“. Nach Ansicht von Rimmels pacher, S. 339, 75 f., bilden der Kaufpreisanspruch und der Anspruch auf Wertersatz verschiedene Rechtspositionen, weil dieser an den Kaufgegenstand anknüpfe. Bei der Betonung des Interesses steht hingegen allein die Erfüllungskonnexität im Vordergrund. 60 Schilling, S. 79. 61 BGH NJW 1998, 3411 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 308 Rn. 3; a.A. MünchKomm/ Musielak, ZPO, § 308 Rn. 9. 62 Vgl. Schilling, S. 79 f. 63 CA Lyon, Gaz.Pal. 1945, 2 jurispr., S. 45; Cass. 3e vom 10.1.1990, Bull.civ. III, n° 6; Kössinger, S. 91. Eine einmal auf Naturalrestitution gerichtete Schadensersatzklage kann nicht mit Blick auf Geldersatz erneuert werden. 64 Leduc, JClCiv, Art. 1382 et 1386, Nr. 10. 65 Näher Schilling, S. 81. 66 Cass.req. v. 21.10.1913, Rec.S.1914,1re partie, S. 182.
§ 27 Zur Bedeutung von § 308 ZPO
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pour inexécution die Kaufpreisminderung gewährt.67 Geschuldet ist diese prozessuale Freizügigkeit der in Frankreich im materiellen Recht vorherrschenden Subsidiarität der Vertragsaufhebung. Einige Stimmen weisen unterstützend darauf hin, dass hier der Gläubiger mit seinem Klageantrag nicht allein die Vertragsaufhebung geltend mache, als vielmehr die nicht erfolgte Vertragserfüllung sanktioniert wissen wolle.68 Das Interessekriterium klingt im Übrigen auch in einigen Fallgruppen der nachträglichen Streitgegenstandsänderung an. Lange Zeit war den Parteien entsprechend dem Grundsatz immutabilité du litige eine Änderung des ursprünglichen Klagebegehrens verboten.69 Ähnlich wie im deutschen Recht stand dahinter der Schutz des Beklagten und dessen Recht zu sachgerechter Verteidigung. Letztlich haben sich aber auch hier prozessökonomische Überlegungen durchgesetzt. Ein Austausch der Klagebegehren wird aber selbst bei Identität des wesentlichen Tatsachenstoffs nicht gestattet, wenn beide auf einen sachlich unterschiedlichen Erfolg gerichtet sind (changement d’objet materiel). Eine Änderung des Streitgegenstands soll hingegen gemäß Art. 65 CPC durch die demande additionnelle möglich sein, so weit zwischen beiden Begehren ein ausreichender Zusammenhang (lien suffisant) besteht (Art. 70 CPC), insbesondere im Falle von mêmes fines.70 Beide Klageziele müssen also miteinander im Zusammenhang stehen (changement d’objet juridique). Zulässig ist demnach der Wechsel von der Minderung zur Wandelung des Vertrages.71 Gestattet ist auch der Übergang vom Anspruch auf Vertragserfüllung zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung.72 Die Identität des Klageziels wird aber mit Recht abgelehnt, wenn Zinsen aus einem anderen Betrag als dem ursprünglich Geschuldeten gefordert werden. Nach dem bisher Gesagten stehen hier verschiedene Interessen im Streit. 67
Cass.com. v. 6.3.1990, Gaz.Pal. 1990, 2, pan.jurispr., S. 201. Schilling, S. 82 unter Verweis auf Normand, JC proc. civ., fasc. 151, n° 101. 69 Schilling, S. 119, 70 f. 70 In Anlehnung an Art. 565 CPC. 71 CA Nancy, JC pér. 1993, éd.g., IV., 2436. Entgegen Schilling, S. 126, erscheint diese Fallgruppenbildung nicht kritikwürdig. Dieser weist darauf hin, dass das Kriterium der gleichen Klageziele vor allem vom Gesetzgeber für die Berufungsinstanz entwickelt wurde, wo es darum gehe, den Anspruchsgegner vor Klageänderungen und damit vor dem Verlust einer Tatsacheninstanz zu bewahren. Seiner Ansicht nach sollte über die Zulässigkeit einer Klageänderung entscheiden, ob der Tatsachenstoff des vorherigen Verfahrens auch zur Entscheidung über den neuen Klageantrag verwertbar sei (ähnlich wie für § 263 ZPO). Zum Beispiel könnte beim Übergang von der Wandlung zur Minderung ein umfangreiches Gutachten über den Minderwert der Kaufsache nötig werden, dessen es bei der Beibehaltung des ursprünglichen Antrags auf Wandlung nicht bedurft hätte. Meines Erachtens spricht aber für die Beibehaltung des vergleichbaren Klageziels, dass ein greifbares Kriterium gewonnen ist. Aus Sicht der Parteien, vor allem des Klägers, ist dies naheliegender als ein Abheben auf prozessökonomische Gesichtspunkte (Sachzusammenhang). 72 Weitere Beispiele bei Schilling, S. 126. 68
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
Im Übrigen ist das französische Recht sowohl auf Tatsachen- als auch auf rechtlicher Ebene enger als das deutsche Recht ausgestaltet. Lange Zeit galt in Frankreich zwar noch die in Deutschland längst überwundene Individualisierungstheorie.73 Inzwischen werden Änderungen der Rechtsgrundlage, etwa zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung, im Rahmen der zweiten Instanz jedoch nicht mehr als Änderung des Streitgegenstands angesehen. Dies gilt mittlerweile aufgrund eines Erst-Recht-Schlusses auch für die Eingangsinstanz.74 Die klägerische Disposition über den Streitgegenstand lässt sich wohl als gemeineuropäisches Prinzip bezeichnen, an dem die Rechtsprechung des EuGH bisher nichts geändert hat.75
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Vgl. oben § 25 III 2. Näher Schilling, S. 127. 75 Zum englischen Recht: Herb, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 87; R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1070; M. Stürner, ZVglRWiss 103 (2004), 359 ff. Nach Rule 16.2 (5) der englischen CPR erscheint zweifelhaft, in welchem Umfang das Gericht von den Parteianträgen abweichen kann: „The court may grant any remedy to which the claimant is entitled even if that remedy is not specifi ed in the claim form.“ R. Stürner will darin nur die Befugnis zur zweckentsprechenden Auslegung der Parteianträge erkennen. Man fühlt sich erinnert an die Formulierung in § 345 der bürgerlichen Processordnung von Hannover (1850): „Den Parteien ist alles, was ihnen nach den Ergebnissen der Hauptverhandlungen zukommt und worauf sie nicht Verzicht geleistet haben, zuzuerkennen, wenn auch nur im Allgemeinen darum gebeten seien sollte…“ 74
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§ 28 Urteilsgegenstand und Klageantrag § 308 I ZPO beschränkt, wie gesehen, den Entscheidungsumfang des Gerichts auf den Zuspruch einer vom Kläger konkret beantragten Rechtsfolge.76 Sämtliche Anspruchstatbestände, die diesem Rechtsschutzziel entsprechen, sind vom Gericht in die Überprüfung einzubeziehen. Abweichende, aber interessenidentische Rechtsfolgenbehauptungen, über die nicht entschieden wurde, bleiben deswegen bei der Bestimmung des Urteilsgegenstandes außer Betracht. Weil nach § 322 I ZPO die Entscheidung über den prozessualen Anspruch in Rechtskraft erwächst, muss auch die konkrete Rechtsschutzform zu den Bestandteilen des Urteilsgegenstandes zählen. Die vom Kläger gewählte Klageart schränkt somit den gerichtlichen Entscheidungsspielraum über das Interesse ein.77 Interessenidentische Klagebegehren scheitern demnach nicht am Einwand entgegenstehender Rechtskraft (ne bis in idem), wenn über eine andere Rechtsfolge oder in einer anderen Rechtsschutzform befunden wurde. Insoweit divergieren Verhandlungs- und Urteilsgegenstand in einem prozessdynamischen Sinne, so dass die objektiven Grenzen der Rechtskraft bereits aus diesem Grunde enger zu ziehen sind als der Umfang der Rechtshängigkeitssperre. Diese notwendige Begrenzung des Urteilsgegenstandes durch die konkret beantragte und beschiedene Rechtsfolge ergibt sich bereits aus den Motiven zu § 322 ZPO (§ 283 CPO), wonach die Parteien den Gegenstand der richterlichen Entscheidung im petitum ausgedrückt und begrenzt haben.78 Hierdurch soll 76 Ähnlich Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 85 f., 240: Trotz identischer Rechtsposition sei entscheidend, ob die jeweiligen Rechtsfolgen auch in ihrem Rechtsschutzziel übereinstimmen. Dies sei bei gleichem Zugriffsbereich der Rechtsbehelfe und sich deckendem mittelbaren Anspruchsinhalt der Fall. Deswegen sei es etwa unmöglich, „auf die Forderungsklage hin den Beklagten zur Duldung der Zwangsvollstreckung in sein Grundstück zu verurteilen, das mit einer Hypothek zur Sicherung der „Forderung“ belastet ist…“, obgleich die Rechtsposition in jedem Fall identisch bleibe. 77 Ebenso für die Bedeutung der Rechtsschutzform im Rahmen des Urteilsgegenstandes Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 54. 78 Hahn, Materialien II/1, S. 291 f.: Hiernach führe die Ansicht von Savigny „weit über die Aufgabe des einzelnen Prozesses und über die Absicht der Parteien hinaus, welche den Gegenstand ihres Streits im Petitum ausgedrückt und begrenzt haben und in diesem Prozesse nur über diesen Streitpunkt eine richterliche Entscheidung erwarten.“ Diese Begrenzung auf das petitum kann aber nur für den Urteilsgegenstand und nicht im laufenden Verfahren gelten. Vgl. oben § 25 I. Siehe zum Gegenstand der Rechtskraft bereits Kleinfeller, in: FS Wach, S. 373 f.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
vermieden werden, dass die Parteien hinsichtlich des Umfangs der Rechtskraft überrascht werden. Die Motive treffen m.E. aber nur eine Aussage im Hinblick auf die Ab- oder Zuerkennung von Rechtsfolgen, nicht aber für die Frage, ob auch eine Begrenzung der Rechtskraft auf den jeweils vom Kläger vorgetragenen Tatsachenkomplex erforderlich ist.79 Im Übrigen zeigt auch ein Blick auf das in § 893 I, II ZPO, geregelte prozessuale Verhältnis von Primärleistung und Schadensersatz, dass der Gesetzgeber trotz Interessenidentität sukzessive Verfahren nicht verhindern wollte, wenn unterschiedliche Rechtsfolgen im Streit stehen. Vielmehr wird eine nachgelagerte Konzentrationspflicht beim Prozessgericht statuiert, das hinsichtlich der Interesseforderung ausschließlich zuständig ist. Der erweiterte Rechtshängigkeitsumfang (§ 261 III Nr. 1 ZPO) findet eine Entsprechung auf der Ebene der Rechtskraft. Das bereits mit der Tatsachenlage vertraute und in die rechtlichen Fragen eingearbeitete Gericht bleibt auch für die Interesseforderung entscheidungsbefugt.80 Dies gilt im Falle des Zuspruchs wie im Falle der Klageabweisung. § 893 II ZPO zeigt zugleich den fließenden Übergang von der Naturalexekution zur Geldexekution.81
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A.A. etwa Bub, Streitgegenstand, S. 170 f. So bereits RGZ 66, 18; BGH NJW 1997, 2245 (für die internationale Zuständigkeit). Es soll im Interesse einer geordneten staatlichen Rechtspflege, insbesondere der Prozesswirtschaftlichkeit, verhindert werden, „dass sich ein anderes (deutsches) Gericht als das des Vorprozesses mit der Sache neu befassen muss“; vgl. dazu Pagenstecher, RabelsZ 11 (1937), 337 f., 386, 389 f. 81 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, ZPR, § 70 Rn. 1, 6; § 9 Rn. 29. 80
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§ 29 Die Begrenzung des Urteilsgegenstandes durch den (vorgetragenen) Lebenssachverhalt Nach überwiegender Ansicht dient der Lebenssachverhalt – wenngleich auf sehr unterschiedliche Weise – dazu, den Gegenstand der Rechtskraft einzuengen.
I. Die Bedeutung des Tatsachenvortrags nach der zweigliedrigen Lehre Durch die Begrenzung des Streitgegenstands auf einen bestimmten, vom Kläger vorgetragenen Tatsachenkomplex wird nach h.L. auch der Umfang der materiellen Rechtskraft des klageabweisenden Urteils eingeschränkt82 und dem Kläger die Möglichkeit erhalten, dieselbe Rechtsfolge, gestützt auf einen anderen Tatsachenvortrag, nochmals einzuklagen.83 So könnte eine Klage auf Rückgewähr der zur Erfüllung eines Vertrages erbrachten Leistungen sukzessive auf verschiedene arglistige Täuschungen (§ 123 I BGB) des Vertragspartners gestützt werden, ohne dass dem die Rechtskraft der früheren Entscheidung entgegenstünde. Gleiches würde gelten, wenn ein Schadensersatzbegehren auf verschiedene Pflichtverletzungen des Beklagten (§ 280 I BGB) gestützt wird.84 Hierher gehört auch der Fall, dass die Haftung des Beklagten einmal auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtungsübernahme und zum anderen auf eine Vermögensübernahme (§ 419 BGB a.F.) gestützt wird.85 Diese Begrenzung der Rechtswirkungen über den Begriff des Streitgegenstands erscheint insofern konsequent, als § 322 I ZPO den Umfang des rechtskräftigen Urteils an die Entscheidung über den prozessualen Anspruch knüpft. Vereinzelt wird die Bedeutung des Lebenssachverhalts bei der Konturierung der objektiven Grenzen der Rechtskraft auch damit begründet, dass der Kläger aufgrund des im Zivilprozess geltenden Verhandlungsgrundsatzes bestimmen könne, auf welchen konkreten Sachverhalt er sein Begehren stützen will.86 82 83 84 85 86
Habscheid, Streitgegenstand, S. 291 f.; Bub, Streitgegenstand, S. 163 f. Bub, Streitgegenstand, S. 164, Fn. 97. Die Begründung divergiert im Einzelnen. Unten § 30 IV 2 b. BGHZ 117, 1 ff. Habscheid, Streitgegenstand, S. 289.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
Die materielle Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils schließt den Kläger mit der Geltendmachung aller zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung objektiv vorhandenen Tatsachen aus, die dem jeweiligen prozessualen Anspruch zuzurechnen sind.87 Die zweigliedrige Streitgegenstandslehre steuert den Präklusionsumfang dabei durch das Merkmal des selbständigen Klagegrunds.88 Für die Bemessung der Rechtskraftgrenzen ist hiernach entscheidend89, wie einzelne Tatsachenkomplexe trennscharf voneinander abzugrenzen sind.90 Zum relevanten Lebenssachverhalt rechnen nach der Judikatur des BGH alle Tatsachen, „die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören.“91 Keine Rolle spielt, ob einzelne Tatsachen dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht bzw. ob die Parteien die nicht vorgetragenen Tatsachen damals bereits kannten und vortragen hätten können.92 Bei der Bemessung des historischen Vorgangs sind insbesondere der zeitliche Zusammenhang93 und die Verkehrsauffassung von Bedeutung. Im Kaufvertrags-Wechselbeispiel94 könnte u.U. auch die zufällige zeitliche und örtliche Nähe der beiden Tatsachenkomplexe über die Einheit oder Mehrheit der Streitgegenstände entscheiden.95 Im Wesentlichen beruht diese Deutung des Lebenssachverhalts auf den Überlegungen Habscheids.96 Bisweilen modifiziert der BGH sein zweiglied87
Otto, Präklusion, S. 88. Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 25 f., versteht die Lehre Habscheids zu Recht als Nachwirkung der ab 1933 vertretenen lebensnahen Betrachtungsweise; Bub, Streitgegenstand, S. 165, bedient sich dabei der Überlegung, „welche Tatsachen zwingend Gegenstand eines Verfahrens sein müssten und welche auch in mehreren Prozessen selbständig zur Entscheidung gestellt werden dürften“. 89 Eines der Hauptprobleme der überkommenen Streitgegenstandslehren ist die Frage nach der Vollständigkeit des Sachverhalts, wie sich auch aus § 264 Nr. 1 ZPO ergibt. Vgl. Jauernig/Hess, ZPR, § 37 II 4. 90 Obwohl dieser zweigliedrige Begriff einheitlich für sämtliche Prozesssituationen gelten soll, hat der BGH ihn vornehmlich im Zusammenhang mit Fragen der Rechtskraft „erprobt“, Schwab, in: FS Lüke, S. 793. 91 BGHZ 157, 47; 117, 1, 6; BGH NJW-RR 2006, 712, 714; NJW 2004, 1805, 1806; NJWRR 1996, 1276; BGHZ 123, 137, 141; BGHZ 123, 137, 141. 92 BGHZ 157, 47, 51; BGH NJW 2004, 1805, 1806; Heinrich, LMK 2004, 172. Mehrdeutig BGH NJW-RR 2004, 275, 276 („alle vorgetragenen Tatsachen“). 93 BGH NJW 1995, 967, 968; Musielak, NJW 2000, 3593, 3595; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11, 38. 94 Oben § 9 I 1. 95 Pohle, JR 1954, 437 f. 96 Eine verdeckt relative Streitgegenstandslehre vertritt Habscheid, Streitgegenstand, S. 191 f., 289, indem er für das laufende Verfahren den objektiv zu ermittelnden Lebenssachverhalt für maßgeblich erklärt, im Rahmen der Rechtskraft hingegen den mit Tatsachen ausgefüllten Klagegrund, über den entschieden werde. Habscheid, S. 288, erklärt, ähnlich wie Schwab, die Begrenzung des Rechtskraftumfangs mit dem „Wesen der Entscheidung“: Entschieden werde nur über den mit Tatsachen ausgefüllten Klagegrund („insoweit“, § 322 I 88
§ 29 Die Begrenzung des Urteilsgegenstandes
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riges Verständnis jedoch in einzelnen Sachgebieten. So wird der Klagegrund der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage durch die jeweilige gesetzliche Verbotsnorm charakterisiert.97 Diametral entgegengesetzt dazu soll hingegen der Klagegrund der aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (§§ 243 f. AktG) nach Auffassung des BGH sämtliche Beschlussmängel umfassen.98 Einwände gegen diese Lehre speisen sich vor allem aus der Unbestimmtheit der verwendeten Abgrenzungskriterien, welche die Ermittlung des zusammengehörigen Tatsachenkomplexes mehr oder weniger willkürlich erscheinen lassen.99 Dies gilt insbesondere für die Überlegung, ob eine Tatsachengruppierung bei natürlicher Betrachtungsweise oder nach der Verkehrsauffassung eine Einheit bildet.100 Zum Teil wird deswegen versucht, die Abgrenzung des Lebenssachverhalts anhand derjenigen Tatbestände des materiellen Rechts vorzunehmen, aus denen sich die beantragte Rechtsfolge ergibt.101 So bildeten den Sachverhalt diejenigen Tatsachen eines natürlichen Lebensvorgangs, die ganz oder teilweise den gesetzlichen Tatbestand solcher Anspruchsnormen ausfüllen, aus denen das im Antrag behauptete materielle Recht abgeleitet werden könne.102 Dem ist z.T. auch die Judikatur gefolgt.103 Gerade aber die Annahme einer Streitgegenstandsdivergenz allein für den Fall, dass die „materiellrechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestaltet“104, kann nicht überzeugen. Die Bedenken gegen diese Leerformel
ZPO); kritisch Otto, Präklusion, S. 95 f. Habscheid nimmt deswegen an, dass die Rechtskraft einer neuen Klage, gestützt auf den Verbrauch der Ware, nicht entgegenstehe, wenn zuvor nur der Kaufpreisanspruch mit Tatsachen begründet wurde. Anders fällt sein Ergebnis hingegen im laufenden Verfahren aus (§ 261 III Nr. 1 ZPO). Deswegen will er zur Ergebniskorrektur mit der allgemeinen Präklusion helfen, um die Einheitlichkeit des Streitgegenstands zu wahren, vgl. S. 295 f. 97 Insbesondere BGH NJW-RR 2006, 1118, 1120; diese Entscheidung ablehnend Ahrens, JZ 2006, 1184; ähnlich BGH NJW-RR 2006, 1046 (Verletzungsunterlassungsanspruch wegen Wiederholungsgefahr und vorbeugender Unterlassungsanspruch wegen Erstbegehungsgefahr); Teplitzky, GRUR 1998, 322; ders., GRUR 2003, 280. 98 Zustimmend H. Roth, Anmerkung zu BGH LM H. 12/2002, § 241 AktG 1965 Nr. 9, der darin in der Sache eine Annäherung des BGH an die eingliedrige Streitgegenstandslehre erkennt; ebenso Prütting, in: FS Beys II, S. 1282 f. 99 Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 212; Musielak, in: FS Nakamura, S. 433 f. 100 BGH NJW 1990, 195. 101 Vgl. bereits oben § 10 IV 1; insbesondere: Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 212; Musielak, ZPO, Einl. Rn. 76, § 322 Rn. 76, 32; ders., in: FS Nakamura, S. 433 (440); ders., NJW 2000, 3593: Orientierung des Sachverhalts an einer Schlüssigkeitsprüfung; Böhm, in: FS für Kralik, S. 109 f.; bereits Lent, ZZP 65 (1952), 339 f., kritisch zu diesen Tendenzen, Stein/ Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 35 ff. 102 Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 1 Rn. 41; hierzu Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 225. 103 BGH NJW 1993, 2173; NJW 1996, 3151, 3152, zustimmend Musielak/Musielak, Einl. Rn. 76; vgl. auch BGH NJW- RR 2002, 1596, 1597; NJW 1993, 1716, 1717; kritisch Rimmelspacher, JuS 2004, 561; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 12. Vgl. § 12. 104 So BGH NJW 1993, 2173.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
wurden bereits formuliert105, wenngleich bei der Bemessung der Rechtskraftgrenzen rechtliche Aspekte (vgl. auch § 197 I Nr. 3 BGB) selbstverständlich stärkere Beachtung finden können als im Rahmen des Verhandlungsgegenstandes.106 Schließlich sorgt gerade diese wieder für die Eingliederung des Entschiedenen in die materielle Rechtsordnung. Dennoch ist Zurückhaltung geboten, wenn versucht wird, den rechtlich relevanten Ausschnitt aus dem Lebensverhältnis mittels der Strukturen des materiellrechtlichen Anspruchssystems zu ermitteln.107 Im Ergebnis harrt das Mysterium des „einheitlichen Lebenssachverhalts“ weiterhin seiner Klärung.
II. Die Begrenzung durch den entschiedenen Sachverhalt nach der eingliedrigen Streitgegenstandslehre Die Übernahme des eingliedrigen, allein am Antrag orientierten Streitgegenstandsbegriffs in der Rolle des Urteilsgegenstandes hätte einen für den Kläger kaum zumutbaren Präklusionsumfang zur Folge.108 So erscheint es im Falle zweier Darlehen aus dem Jahre 2000 und 2001 jeweils in Höhe von 10000 Euro nicht richtig, nach Abweisung der ersten Darlehensklage einer zweiten Klage die Rechtskraft der früheren Entscheidung entgegen zu setzen. Schwab wollte diesem Ergebnis nicht mit einer Begrenzung des Urteilsgegenstandes begegnen, sondern mit einer Argumentation, welche die Besonderheiten der richterlichen Entscheidung in den Vordergrund stellte.109 Werde etwa die auf den Kaufvertrag gestützte Zahlungsklage des Verkäufers abgewiesen, so stehe die Rechtskraft der Entscheidung einer zweiten Klage aus einem Anerkenntnis des Käufers nicht entgegen. Seiner Ansicht nach werde der Sachverhalt auch hier nicht Bestandteil des Streitgegenstands, wie Schwab von seinen Kritikern entgegengehalten wurde.110 Die engeren Rechtskraftgrenzen ergäben sich vielmehr daraus, dass hierfür der Inhalt der Entscheidung und damit der dort festgestellte 105
Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 12. Dennoch kann sich, begrenzt auf wenige Ausnahmefälle, ergeben, dass das materielle Recht den Kläger privilegieren will, was auch im Prozess zu berücksichtigen wäre. Im Ergebnis kommt darin die dienende Funktion des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht zum Ausdruck. 107 Kritisch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38. 108 Hinsichtlich der Rechtskraft wird die eingliedrige Lehre beinahe einhellig abgelehnt, Lent, ZZP 67 (1954), 395; Bötticher, MDR 1954, 767; Lüke, JZ 1960, 203 ff. 109 Schwab, Streitgegenstand, S. 172, 180, konnte damit vordergründig an seinem eingliedrigen Streitgegenstandskonzept festhalten: „Entschieden wird über den prozessualen Anspruch, die Entscheidung wirkt aber nur insoweit Rechtskraft, als der Prozessstoff des ersten Prozesses reicht“; ders. in: FS Lüke, S. 797. 110 Nikisch, AcP 154 (1954), 271 ff.; Bötticher, MDR 1954, 767; Habscheid, Streitgegenstand, S. 201 („entscheidender Bruch in der Schwab’schen Lehre); Mühl, NJW 1954, 1670. 106
§ 29 Die Begrenzung des Urteilsgegenstandes
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Sachverhalt maßgeblich sei.111 Nicht der Streitgegenstand, sondern die Entscheidung über ihn erwachse in Rechtskraft.112 Entscheidungsgegenstand und Streitgegenstand deckten sich somit.113 Abweichungen seien nur im Verhältnis von Entscheidungsgegenstand und dem Umfang der materiellen Rechtskraft denkbar.114 Die Rechtskraft der Entscheidung solle gerade eine Bindung der Parteien an Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils herbeiführen.115 Den Ausschluss nicht vorgetragener Tatsachen hält Schwab116 hingegen nicht durch § 322 I ZPO gerechtfertigt.117 Zwar ergehe die Entscheidung über den prozessualen Anspruch als Ganzem, jedoch sei sie auf den jeweiligen Prozessstoff begrenzt. Über den Streitgegenstand könne nur insoweit entschieden werden, als dieser Prozessstoff reiche: „Der Ausschluss nicht vorgetragener Tatsachen hat seinen Grund nicht darin, dass über sie etwa schon entschieden wäre; er kann, wenn er überhaupt begründet ist, nur auf eine besondere Ausschlusswirkung, die von der ‚Entscheidungswirkung‘ scharf zu trennen ist, zurückgeführt werden.“118
Diese allgemeine mit der Rechtskraft in mittelbarem Zusammenhang stehende Präklusionswirkung wird auf §§ 767 III ZPO (analog) zurückgeführt119 und im Ergebnis auf den durch den vorgetragenen Tatsachenkomplex eingeschränkten Streitgegenstand begrenzt.120 Mit der bindenden Wirkung der Rechtskraft korrespondiert somit eine Ausschlusswirkung für den nicht vorgebrachten Pro111 Schwab, Streitgegenstand, S. 146: Die Entscheidung besage, „dass der geltend gemachte prozessuale Anspruch aufgrund des im Tatbestand des Urteils enthaltenen Prozessstoffes kraft der Feststellung des erheblichen Sachverhalts und der Anwendung des materiellen Rechts auf diesen Sachverhalt begründet oder nicht begründet sei.“ Nur dieser Subsumtionsschluss erwachse in Rechtskraft; ders., in: FS Lüke, S. 797: Die Entscheidung ergehe aufgrund des festgestellten Prozessstoffs und der Rechtsanwendung auf ihn. Was nicht vorgetragen sei, könne auch nicht Inhalt der Entscheidung werden; ders., in: FS Bötticher, S. 320 ff.: bindende Wirkung der Elemente der Entscheidung (in einem relativen Sinne) und der Feststellung des Prozessstoffs. 112 Der Streitgegenstand bilde nur die äußerste Grenze der Rechtskraft. 113 Verteidigend Hesselberger, Streitgegenstand, S. 195. 114 Der Subsumtionsschluss wirke nur soweit, wie die Maßgeblichkeit des Entscheidungsinhalts reiche. 115 Diese verbiete eine andere Feststellung und eine andere rechtliche Beurteilung des Sachverhalts, sofern die gleiche gerichtliche Entscheidung begehrt werde, Schwab, Streitgegenstand, S. 146 ff.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 64. 116 Schwab, Streitgegenstand, S. 159 ff. 117 Im Anschluss an Rosenberg, SJZ 1950, S. 314 f.; hierzu Otto, Präklusion, S. 91 f. 118 Schwab, Streitgegenstand, S. 159 ff. Dabei sei unerheblich, dass die einschränkende Formulierung in § 322 I ZPO historisch anders motiviert war. Ähnlich Habscheid, Streitgegenstand, S. 289; der Unterschied im Präklusionsumfang zwischen den Ansichten von Habscheid und Schwab ist dennoch erheblich, weil ersterer auf den Lebenssachverhalt als Ganzen abhebt und Schwab sich wiederum nur am vorgetragenen Prozessstoff orientiert. 119 Hesselberger, Streitgegenstand, S. 187; ähnlich Habscheid, Streitgegenstand, S. 291 f. 120 Denn auch diese Präklusionswirkung soll nach Schwab nur den bindend „festgestellten Sachverhalt“ ergreifen. Nach Habscheid bleibt sie auf den Lebenssachverhalt beschränkt.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
zessstoff. Ein ne bis in idem wäre demnach nur bei identischem Sachverhalt denkbar, obgleich, wie Otto121 zutreffend bemerkt hat, der Sachverhalt nach Schwabs dogmatischen Ausgangspunkt keine (gleichwertige) streitgegenstandsbestimmende Bedeutung haben sollte. Darin liegt aber eine Abkehr von der These, wonach sich die ne bis in idem-Wirkung der Rechtskraft stets auf den gesamten prozessualen Anspruch zu beziehen habe.122 Die eingliedrige, auf den Antrag begrenzte Streitgegenstandslehre hat ihre Schwachstelle im Rahmen der Rechtskraft. Denn es ist nicht ersichtlich, wie die Beschränkung auf den entschiedenen Lebenssachverhalt ohne dogmatische Brüche gelingen soll. Indem Schwab auf das „Wesen der Entscheidung“ rekurriert, zieht er die „Notbremse“ hinsichtlich der unerwünschten Auswirkungen seiner Streitgegenstandslehre. Fast scheint es so, dass Schwab einen – von ihm abgelehnten – relativen Streitgegenstandsbegriff praktiziert.123 Die Fortschritte des erweiterten Streitgegenstandsbegriffs werden so zweifellos preisgegeben.124 Eine Entsprechung findet dieser Rechtskraftumfang im Rahmen der Verjährung. K.-H. Schwab setzt hier den an sich weit verstandenen Rechtshängigkeitsumfang (§ 262 ZPO) im Rahmen der Verjährungsunterbrechung/ -hemmung nicht um, sondern begrenzt deren Umfang wiederum durch den vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt.125
III. Relative Streitgegenstandslehre: Begrenzung auf den vorgetragenen Sachverhalt Vertreter einer relativen Streitgegenstandslehre haben diesen gegen Schwab gemünzten Vorwurf der Inkonsequenz zum Anlass für eine ausdrückliche Beschränkung des Urteilsgegenstandes genommen.126 Der eingliedrig ermittelte 121
Otto, Präklusion, S. 92. Vgl. Bötticher, Kritische Beiträge, S. 138 ff.; Schwabs Lehre verteidigend Hesselberger, Streitgegenstand, S. 186. 123 Habscheid, Streitgegenstand, S. 64: „Darüber können auch seine wiederholten Hinweise auf die notwendige Identität zwischen Streitgegenstand und Entscheidungsgegenstand nicht hinwegtäuschen…“. 124 Unten § 30 V. Schwab, Streitgegenstand, S. 140 f., hat aber mit Recht deutlich gemacht, dass die Rechtskraft in manchem Punkt unmittelbar mit dem materiellen Anspruch in Beziehung steht (vgl. § 218 BGB a.F.). Zwar sei es nicht das materielle Recht, das den Gegenstand des Rechtsstreits bilde, jedoch bestünden Wechselwirkungen zwischen beiden: Diese „Zusammenschau rechtfertige es, die Möglichkeit einer rechtskräftigen Feststellung materiellrechtlicher Ansprüche im Sinne des § 218 BGB a.F. anzunehmen“; kritisch Habscheid, Streitgegenstand, S. 65. 125 Schwab, Streitgegenstand, S. 136 f.; kritisch zu Recht Bub, Streitgegenstand, S. 183 f. 126 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 46, 50 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 92 f.; auf den Unterschied in der Begründung, nicht aber im Ergebnis, weist Schwab, in: FS Lüke, S. 799, selbst hin. 122
§ 29 Die Begrenzung des Urteilsgegenstandes
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Verfahrensgegenstand wird somit auf den vorgetragenen Lebenssachverhalt begrenzt.127 Während es für Rechtshängigkeit und Klageänderung aus Konzentrationsgründen erforderlich sei, auf die Parteien Druck auszuüben, alle das Klagebegehren rechtfertigenden Tatsachen vorzutragen, könne dies bei der Bemessung der Rechtskraftgrenzen nicht gelten.128 Denn eine umfassende Rechtskraftpräklusion würde auch selbständige Tatsachenkomplexe ergreifen, welche den Parteien noch unbekannt oder unerkennbar waren. So sei es nicht hinnehmbar, dass nach Abweisung einer auf einen bestimmten Pflichtverletzungstatbestand gestützten Schadensersatzklage (§ 280 I BGB) diese nicht mehr unter Hinweis auf eine weitere Pflichtverletung, die zwar im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits objektiv vorlag, aber dem Kläger nicht bekannt war, erneuert werden könne. Diese Beschränkung auf den vorgetragenen selbständigen Tatsachenkomplex (nicht: einzelne unselbständige Tatsachen) sei sowohl bei Leistungsklagen, Gestaltungsklagen und Feststellungsklagen erforderlich.129 Der Umstand, dass bei Feststellungsklagen der Sachverhalt häufig nicht zur Individualisierung des Rechtsverhältnisses (etwa Feststellung des Eigentums) nötig sei, rechtfertige es nicht, hier alle Rechtserwerbsgründe unabhängig vom Tatsachenvortrag als von der Rechtskraft erfasst anzusehen.130 So könnte eine einmal abgewiesene Eigentumsfeststellungsklage gestützt auf einen anderen Erwerbsgrund wiederholt werden. Soweit es die Abgrenzung des Urteilsgegenstandes durch den Lebenssachverhalt betrifft, müssen aber dieselben Bedenken wie gegen die herrschende zweigliedrige Streitgegenstandslehre erhoben werden. Von deren Warte aus will P. Gottwald einen vom Streitgegenstand verschiedenen Urteilsgegenstand, der durch den Parteivortrag begrenzt werde, nicht anerkennen.131 Eine Beschränkung der rechtlichen Schlussfolgerungen aus dem vorgetragenen Tatsachenkomplex sei nicht geboten, soweit hierdurch ein neuer Prozess über denselben Lebenssachverhalt ermöglicht werden soll. Denn dies führe je nach Dauer des Verfahrens und Gestaltung des Klägervortrags zu erheblichen Unwägbarkeiten, was für die Parteien die Folgenabschätzung erschwere. Nicht der vorgetragene Tatsachenstoff begrenze den Urteilsgegenstand, sondern die prozessuale Wertung, ob bestimmte Ansprüche oder Tatsachenkomplexe zwingend Gegenstand eines Verfahrens sein sollten oder auch selbständig zur Entscheidung gestellt 127 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 91 f.; angedeutet auch von BGH NJW 1995, 954; ablehnend Wieczorek/Schütze/Büscher, ZPO, § 322 Rn. 115. 128 So Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 92 f. 129 Dafür: Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 95. Vgl. auch OLG Karlsruhe GRUR 1993, 509 für die Unterlassungsklage. 130 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 95. 131 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 114 f.; ebenso Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 39; für einheitliche Bestimmung von Streit- und Urteilsgegenstand auch Wieczorek/ Schütze/Büscher, ZPO, § 322 Rn. 115.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
werden könnten.132 Die relative, tatsachenbezogene Begrenzung laufe hingegen darauf hinaus, die Rechtskraft auf die dem Gericht bekannten Tatsachen und die aus ihnen fließenden Ansprüche zu beschränken.133 Erhalte somit eine Schadensersatzklage durch die jeweilige Pflichtverletzung des Beklagten ein selbständiges Gepräge, sei dies nicht nur im Rahmen der Rechtskraft, sondern für den Streitgegenstand als solchen zu berücksichtigen. In der Tat beinhaltet eine bereits bei Klageerhebung vorgenommene zweigliedrige Begriffsbestimmung weniger Zufälligkeiten im Prozessverlauf. Eine speziell für den Umfang der Rechtskraft praktizierte Beschränkung des Urteilsgegenstandes auf den vorgetragenen Tatsachenstoff ist deswegen, obgleich sie der dynamischen Entwicklung des Prozessgeschehens Rechnung trägt134, abzulehnen. Der entscheidende Gesichtspunkt ist m.E., dass es ansonsten den Parteien möglich wäre, den Streitgegenstand durch entsprechende Beschränkungen des Sachvortrags zu gestalten.135 Gerade diese Differenzierung zwischen vorgetragenem und nicht vorgetragenem Tatsachenkomplex gestaltet sich schwierig136 , wenn andererseits angenommen wird, dass auch nicht vorgetragene Tatsachen durch die Rechtskraft präkludiert sind, die nur eine Ergänzung des zur Entscheidung gestellten Tatsachenstoffs darstellen.137 So soll etwa im Arzthaftungsprozess nach rechtskräftiger Abweisung einer auf einen bestimmten Behandlungsfehler gestützten Klage ein späteres Verfahren unzulässig sein, wenn seine Einleitung mit einem weiteren Behandlungsfehler begründet werde, der zum im Erstverfahren vorgetragenen Behandlungsgeschehen gehört hätte.138 132 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 115 f.: Die Regeln der Klageänderung, Rechtshängigkeit und Rechtskraft wollten einheitlich zur Konzentration des Prozessstoffes beitragen. Deswegen sei der Streitgegenstand generell durch den vorgetragenen Tatsachenkomplex begrenzt; A. Blomeyer, ZPR, § 89 III 3. 133 Jauernig/Hess, ZPR § 37 VI 3 Rn. 37: Diese faktische Verengung auf einen rechtskraftspezifischen punktuellen Streitgegenstand diene nicht dem Ziel umfassender Streiterledigung. 134 So etwa Leipold, ZPO, § 322 Rn. 94 f., Rn. 229: Die „Rechtskraftwirkung kann aber nicht darauf beschränkt werden, nur Angriffe gegen die Feststellung der vorgetragenen Tatsachen auszuschließen … Auch nicht vorgetragene klagebegründende Tatsachen sind durch die Rechtskraft präkludiert, wenn sie nur eine Ergänzung des vorgetragenen Tatsachenstoffs darstellen. Dies gilt auch bei der Abweisung einer Klage als unschlüssig … Ausgeschlossen sind also Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehört hätten.“ Der Tatsachenvortrag stellt bereits deswegen kein geeignetes Kriterium zur Begrenzung des Urteilsgegenstandes dar, weil § 322 I ZPO den gesamten Streitgegenstand unabhängig davon erfasst, wie weit er dem Gericht aufgrund von Tatsachen zur Entscheidung unterbreitet wurde. 135 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 115 f., 117. 136 Allerdings wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass eine willkürliche Begrenzung des Tatsachenstoffs durch den Kläger selbstverständlich zu verhindern sei, so Bub, Streitgegenstand, S. 164. 137 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 220. 138 OLG Hamm NJW-RR 1999, 1589; OLG Saarbrücken MDR 2000, 1317.
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Hingegen wird angenommen, dass Behandlungsfehler und Aufklärungspflichtverletzung dem Streitgegenstand selbst dann ein jeweils selbständiges Gepräge geben139, wenn sie zeitgleich stattfinden. Zwar sei die Gefahr, dass bei einer Rechtskraftbegrenzung auch solche Kläger begünstigt werden, die dem Gericht bewusst eine bekannte Tatsachengruppe vorenthielten, nach einigen Stimmen zu vernachlässigen.140 Das Risiko bewusst herbeigeführter mehrfacher Prozessführung sei vielmehr gering und könne als Nebenfolge zu Gunsten des Schutzes des unbewusst unvollständig vortragenden Klägers in Kauf genommen werden. Denn in der Regel sei auch diesem daran gelegen, ein zusätzliches Verfahren zu vermeiden und das kostspielige Risiko des Unterliegens zu verringern. Dies ist aber zu idealistisch gedacht. Zudem sei an Gestaltungen erinnert, bei denen der Kläger zwar nicht mutwillig, aber doch in einem vorwerfbaren Sinne mit dem Tatsachenvortrag zurückhält. Mit einer Begrenzung des Urteilsgegenstandes auf den vorgetragenen selbständigen Tatsachenkomplex wird der – verschuldensunabhängig bestimmte – objektive Präklusionsumfang wieder eingeschränkt.141 Damit wird weder der Rechtssicherheit noch dem staatlichen Interesse an Verfahrenkonzentration ein Dienst erwiesen. Der Hinweis, dass insbesondere der Beklagte zu seinem Schutz auf die negative Feststellungsklage zurückgreifen könne, wenn der Kläger sich außerprozessual weiterer Rechtsansprüche berühme, verfängt im Fall der relativen Streitgegenstandslehre nur zum Teil, weil hier ein selbständiges Verfahren gerade an der (umfassenden) Rechtshängigkeitssperre scheitern würde.142 Damit ist aber noch nicht abschließend gegen eine Beschränkung des Urteilsgegenstandes – etwa aus zwingenden materiellrechtlichen Gründen – geurteilt.143 Weiter beinhaltet eine relative Begrenzung des Streitgegenstands durch den vorgetragenen Tatsachenkomplex Inkonsequenzen. Denn wird im Vortrag eines neuen selbständigen Tatsachenkomplexes im laufenden Verfahren keine Klageänderung erkannt, müsste dieser an sich auch dem Anwendungsbereich der innerprozessualen Verspätungsvorschriften (§§ 296 f., 521 II, 530, 531 ZPO) unterstehen. Trotz innerprozessualer Präklusion wäre nach Verfahrensab139
Unten § 30 IV 2 b. Bub, Streitgegenstand, S. 169; Greger, ZZP 89 (1976), 335. 141 Ein Beispiel bildet BGH NJW-RR 2008, 762, wenn der BGH die ne bis in idem-Wirkung des Vorprozesses begrenzt, weil nach dem Vortrag des Klägers ausschließlich die fehlende Ausführungshandlung und nicht etwa ein Planungsfehler Gegenstand des Schadensersatzprozesses gegen den Architekten war: „Es ist dem Anspruchssteller unbenommen, einzelne abgrenzbare Mängel des Architektenwerks gesondert gerichtlich geltend zu machen.“ Dies erscheint bedenklich, wenn Ziel des Verfahrens jeweils der Ersatz derselben Schadenssumme war. 142 Als Ausweg bliebe folglich nur, den Beklagten auf die negative Leistungswiderklage zu verweisen und hierbei die Rechtshängigkeitssperre einschränkend zu interpretieren. 143 Hierzu § 30 VIII. 140
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
schluss aufgrund des begrenzten Urteilsgegenstandes aber wieder ein Zweitverfahren möglich. Damit würde der anerkannte Gleichlauf von Verspätungspräklusion und Rechtskraftumfang durchbrochen und der Sinn ersterer in Frage gestellt.144 Denn selbständige und nicht vorgetragene Tatsachenkomplexe werden vom Urteilsgegenstand gerade nicht erfasst.145 Auf diese Weise würde gerade ein einheitliches Streitverfahren nachträglich in zwei Prozesse aufgespalten.146 Insoweit erscheint es aber als Gegenmaßnahme zweifelhaft, jeden selbständigen Tatsachenkomplex nicht als Angriffsmittel im Sinne von § 296 ZPO begreifen zu wollen, sondern als nicht präkludierten eigenständigen Angriff zu werten.147 Stattdessen sollte umgekehrt der Umfang der Verspätungspräklusion nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss nicht auf den vorgetragenen selbständigen Tatsachenkomplex begrenzt, sondern der Urteilsgegenstand globaler gefasst werden. Vor dieser Konsequenz wird jedoch bisher zurückgeschreckt.148
IV. Die Bedeutung der Verhandlungsmaxime Während Habscheid 149 und unter anderen rechtspolitischen Vorzeichen vor allem de Boor 150 den ungeteilten Lebenssachverhalt ins Blickfeld der Betrachtung rücken wollten, hat Jauernig zusätzlich die Verhandlungsmaxime in die Diskussion eingebracht.151 Die Parteiherrschaft über den Prozessstoff determiniere zugleich den richterlichen Entscheidungsumfang, so dass in Verfahren unter der Herrschaft der Verhandlungsmaxime der Streitgegenstand auf den vorgetragenen Sachverhalt beschränkt bleiben müsse. Der umfassendere Begriff des Lebenssachverhaltes biete somit kein taugliches Abgrenzungskriterium.152 Hingegen sei der Richter im Verfahren mit Inquisitionsmaxime auch berechtigt und verpflichtet, „die für seine Entscheidung in Betracht kommenden Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln.“ Jauernig beseitigt mit dieser auf der Verhandlungsmaxime basierenden Begrenzung die in der Lehre Schwabs und Habscheids erkennbare Diskrepanz 144 Bub, Streitgegenstand, S. 191 ff.; zu diesem Gleichlauf Otto, Präklusion, S. 40: Die innerprozessuale Präklusion stimmt von ihrem Umfang her mit der Rechtskraftpräklusion überein. Vgl. auch BGH NJW 1986, 2258. 145 So etwa Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 92 f. 146 Insoweit treffend Bub, Streitgegenstand, S. 192; der Sache nach ebenso Olzen, JR 1982, 418. 147 Bub, Streitgegenstand, S. 192. 148 Infolge der ZPO-Reform 2002 ist im Übrigen nach § 533 ZPO der Rahmen für eine zulässige Klageänderung geringer geworden. 149 Habscheid, Streitgegenstand, 205 ff. 150 de Boor, Gerichtschutz, S. 41. 151 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 23 ff. Durch sie werde der Richter auch an die Sachvorträge der Parteien gebunden. Vgl. insoweit Rimmels pacher, S. 210 ff. 152 Zur Lehre Jauernigs bereits oben § 11 II; Yoshimura, ZZP 83 (1970), 246.
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zwischen dem Umfang des Streitgegenstands und den objektiven Grenzen der Rechtskraft. Denn beide Autoren sind trotz ihres globalen Streitgegenstandsverständnisses der Ansicht, dass die materielle Rechtskraft den prozessualen Anspruch nur insoweit ergreife, „wie der vorgetragene und verhandelte Prozessstoff reiche.“153 Durch die Verhandlungsmaxime wird somit im „Kaufvertrag-Wechsel-Fall“154 erst erklärbar, warum im Sinne Schwabs die Rechtskraft auf den allein vorgetragenen Aspekt „Kaufvertragsschluss“ begrenzt bleibt und nicht den Anspruch aus dem Wechsel mitumfasst. Yoshimura hat jedoch auf die Schwachstellen der Hypothese Jauernigs hingewiesen.155 In dem von der Verhandlungsmaxime bestimmten Verfahren ist der Richter zwar an die Vorträge der Parteien gebunden.156 Jedoch ergebe sich damit noch nicht notwendig, dass auch der Streitgegenstand auf den vorgetragenen Sachverhalt eingeengt werden müsse.157 Der Streitgegenstand müsse vielmehr vom Beginn der Rechtshängigkeit an unabhängig davon feststehen, über was während des Prozesses tatsächlich verhandelt werde. Denn ansonsten würde erst am Schluss der letzten Tatsachenverhandlung deutlich, in welchem Umfang der Streitgegenstand erweitert wurde. Dadurch würde der Streitgegenstand seine Funktion nicht erfüllen, Klagenhäufung, Klageänderung oder Rechtshängigkeit abzugrenzen.158 Im Übrigen wäre der „vorgetragene Sachverhalt“ regelmäßig gleichbedeutend mit dem von den Parteien vorgetragenen Prozessstoff, womit Jauernigs Lehre wieder bei der längst überwunden geglaubten Substantiierungstheorie anlange.159 Insoweit ließe sich bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung nicht feststellen, wie weit der Umfang des Streitgegenstands reiche.160 Im Ergebnis hält Jauernig161 seinen Standpunkt selbst nicht in aller Schärfe durch, wenn er darauf hinweist, dass der für den Urteilsgegenstand maßgebliche Klagegrund nicht durch die von den Parteien vorgetragenen Tatsachen, 153
Schwab, Streitgegenstand, S. 162; ähnlich Habscheid, Streitgegenstand, S. 289 f. Oben § 9 I 1. 155 Oben § 10 IV 1b, § 11 II. Yoshimura, ZZP 83 (1970), 248: „Es ist zu vermuten, dass er seine auf den ersten Blick einleuchtend erscheinenden und dem Rechtsgefühl durchweg entsprechenden Ergebnisse im Wesentlichen mit Verwischung der klaren Abgrenzung zwischen Dispositionsmaxime einerseits und Verhandlungs- bzw. Inquisitionsmaxime andererseits erkauft hat…“ 156 Vgl. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 45. Im Übrigen bestimmt auch in Verfahren mit Untersuchungsmaxime der Dispositionsgrundsatz über den Umfang des Streitgegenstands entscheidend mit. Nicht die Art der richterlichen Tätigkeit bei der Ermittlung des Tatsachenstoffes begrenzt den Streitgegenstand, sondern dieser setzt der richterlichen Tätigkeit Grenzen; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 209 f. 157 Yoshimura, ZZP 83 (1970), 247; gegen eine Abgrenzung des Urteilsgegenstandes nach der jeweiligen Verfahrensmaxime Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 212. 158 Das von Yoshimura hier beschworene Einheitsdogma hat sich dagegen als unzutreffend erwiesen, oben § 17 III. 159 Yoshimura, ZZP 83 (1970), 248; Bötticher, FamRZ 1957, 409 f. 160 Für eine Begrenzung auf den vorgetragenen Sachverhalt hingegen Brox, JuS 1962, 127. 161 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 45 f. 154
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sondern durch den für den Prozess maßgebenden Sachverhalt gebildet werde, dessen Grenzen objektiv zu ziehen seien. Ansonsten könnte der Kläger eine unschlüssige und abgewiesene Klage jederzeit mit den zur Schlüssigkeit notwendigen Sachbehauptungen wiederholen.162 Die Schwierigkeit, die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte zu benennen, bestätigt die generelle Kritik an der Ungeeignetheit des Lebenssachverhalts als Abgrenzungskriterium.
V. Begrenzung auf den entschiedenen Klagegrund bzw. die geprüften Rechtsnormen Schließlich muss auch der Versuch von Nikisch, einem ausufernden Rechtskraftumfang unter Rekurs auf den Wortlaut von § 322 I ZPO Grenzen zu setzen, als untauglich bezeichnet werden.163 Seiner Ansicht nach folge aus den Worten des Gesetzgebers („nur insoweit“), dass der Kläger nicht gehindert sei, in einer späteren Klage die gleiche Rechtsbehauptung auf einen tatsächlichen Vorgang zu stützen, den das Gericht bis jetzt nicht geprüft habe und über den folglich nicht entschieden sei. Dabei sei unerheblich, ob der Vorgang bereits im ersten Prozess vorgetragen wurde, sofern nur das Gericht „insoweit“ nicht über den Anspruch entschieden habe.164 Sei die Klage abgewiesen worden, weil das vom Kläger behauptete Darlehen nicht erweisbar war, so könne dieser die gleiche Summe aus einem über die Darlehensvaluta ausgestellten Wechsel auch dann einklagen, wenn er die Ausstellung des Wechsels im Vorprozess schon erwähnt hatte.165 Damit beschränkt Nikisch den Umfang der Rechtskraft zu Lasten des Anwendungsbereichs des Fehlurteils.166 Denn wird ein alternativ vorgetragener Sachverhalt vom Gericht nicht geprüft, ist das Urteil unrichtig, sein Urteilsgegenstand jedoch nicht begrenzt. Der unterlegene Kläger ist auf entsprechende 162 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 45: „Der vom Kläger vorgetragene und der für den Prozess maßgebende Sachverhalt sind jedoch nicht notwendig identisch. Der maßgebende, vom Kläger behauptete Sachverhalt muss nämlich nicht durch die wirklich von ihm aufgestellten Tatsachenbehauptungen vollständig ausgefüllt sein.“ 163 Nikisch, Streitgegenstand, S. 152. 164 Nikisch, Streitgegenstand, S. 152. 165 Bezeichnend ist eine weitere Aussage von Nikisch im Falle des klagestattgebenden Urteils: „Die Rechtskraft hindert den Kläger nicht, die gleiche Leistung ein zweites Mal einzuklagen und sich dabei auf einen anderen Klagegrund zu berufen. Aber da er nicht zweimalige Verurteilung wegen derselben Leistung verlangen kann, wird ihm für eine Leistungsklage das Rechtsschutzinteresse fehlen.“ Das Rechtsschutzinteresse übernimmt hier wieder Aufgaben, die eigentlich der Rechtskraft obliegen. 166 Der Hinweis von Lent, ZZP 72 (1959), 97 f., dass es nicht geboten sei, die Parteien mit einer umfassenden Rechtskraftsperre dafür büßen zu lassen, dass das Gericht seiner Entscheidungsbefugnis nicht gerecht wurde, geht an der Sache vorbei; hiergegen insbesondere Henckel, Gerechtigkeitswert, S. 21 ff.
§ 29 Die Begrenzung des Urteilsgegenstandes
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Rechtsmittel (Berufung, Revision) verwiesen, kann aber keine neue Klage erheben. Im Übrigen tut Nikisch der aus historischen Gründen gewählten Formulierung des Gesetzes Gewalt an. Die Begrenzung der Rechtskraftwirkung auf die Entscheidung über das petitum versteht sich in Anlehnung an Unger und Wetzell lediglich als Absage an die Elementelehre Savignys.167 Ein strukturell vergleichbarer Weg zu engeren Rechtskraftgrenzen besteht nach Ansicht von Lent darin, den Entscheidungsgegenstand auf die konkret beurteilte Rechtsbehauptung zu begrenzen.168 Habe der Richter also die Klage auf Schadensersatzleistung mit der Begründung abgewiesen, der Kläger verfüge über keinen vertraglichen Anspruch, ohne auf Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB einzugehen, so könne das Gericht in einem zweiten Rechtsstreit die Klage im Hinblick auf deliktische Ansprüche prüfen, ohne dass dem die Rechtskraft entgegenstünde. Damit erführe der Streitgegenstand des Verfahrens zum Prozessende hin eine Veränderung. Im Rahmen von § 322 I ZPO maßgeblich wäre das durch den Richter aus der Rechtsfolgenbehauptung des Klägers herauskristallisierte konkrete materielle Recht.169 Damit wäre der Gegenstand der Entscheidung wiederum der jeweilige materielle Anspruch.170 Die Überlegungen von Lent zur Begrenzung der Rechtskraftwirkung beruhen auf einem heute überkommenen streng materiellrechtlichen Streitgegenstandsverständnis. Eine davon zu unterscheidende, gleichwohl damit im Zusammenhang stehende Frage ist, ob die materiellrechtliche Einordnung des Streitgegenstands an der Rechtskraft teilnimmt. Diese Sichtweise ließ bereits das RG in früheren Entscheidungen erkennen, wenn es feststellte, dass durch das Urteil eine bestimmte materielle Rechtsfolge rechtskräftig bejaht oder verneint werde und die Rechtskraft sich eben auf diese Rechtsfolge beziehe.171 Ein Vorteil bestünde darin, dass einige bürgerlichrechtliche Wirkungen der Rechtskraft zwanglos erklärt werden könnten (vgl. §§ 218 BGB a.F., 197 I Nr. 3 BGB, 393 BGB, 850 f II ZPO).172 Gleiches gilt im Zusammenhang mit der Restschuldbefreiung für § 302 Nr. 1 InsO im Hinblick auf eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung.
167
Hahn, Materialien II/1, S. 291. Näher Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 203 f. 168 Lent, ZZP 72 (1959), 73 ff. 169 Lent, ZZP 72 (1959), 73 ff. Jedoch hat Lent nie offen auf diese relative Seite seiner Streitgegenstandslehre hingewiesen. 170 Nikisch, Lehrbuch, S. 65. 171 Das RG nimmt zum Teil auch an, dass die Rechtskraft den typischen Rechtsgrund des Anspruchs (wie Kauf oder Gesellschaft) umfasse, RGZ 126, 234, 237; vgl. auch BGHZ 42, 340, 349. A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 52, spricht davon, dass Gegenstand der Rechtskraft die Rechtsbehauptung des Klägers und damit das Bestehen oder Nichtbestehen des behaupteten materiellen Rechts sei. 172 Habscheid, Streitgegenstand, S. 74 f.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
Richtigerweise ergeht die Entscheidung jedoch nur über den durch die Klage erhobenen prozessualen Anspruch173, das Interesse, so dass nicht einzelne materiellrechtliche Ansprüche in Rechtskraft erwachsen.174 Anderes kann lediglich gelten, wenn die rechtliche Einordnung der Rechtsfolge zwingend notwendig ist, um den Sinngehalt der Entscheidung zu wahren.175 Jedoch hat jüngst auch der BGH ausdrücklich festgehalten, dass die materiellrechtliche Qualität eines Anspruchs, beispielsweise dessen Einordnung als unerlaubte Handlung iSv § 823 I BGB, grundsätzlich nicht von der materiellen Rechtskraft der Entscheidung erfasst wird.176 Denn die Gründe, welche das enge deutsche Rechtskraftkonzept nach § 322 I ZPO stützen, verhindern auch eine Ausdehnung der Bindungswirkung auf die materiellrechtliche Qualität des prozessualen Anspruchs. In jedem Fall verfügen die Parteien aber über die Möglichkeit der Zwischenfeststellungsklage (§ 256 II ZPO), um die rechtliche Qualifikation verbindlich zu klären.177 Die Teilnahme der materiellrechtlichen Einordnung an der Rechtskraft kann im Einzelfall sinnvoll sein, um präjudizielle Rechtskraftbindungen eindeutig erklären zu können.178
173
Schwab, Streitgegenstand, S. 146 f. Deutlich auch MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 95: Bindung nur im Rahmen des Subsumtionsschlusses; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 114 f. A.A. insbesondere Lent, ZZP 72 (1959), 67 f., unter Hinweis auf die Feststellungsklage: Diese richte sich ausschließlich auf die Feststellung eines materiellen Rechts oder Rechtsverhältnisses. Wenn diese aber das Ziel der Klage sei, dann müsse auch der Gegenstand der Entscheidung und der Inhalt der Rechtskraft diesem Ziel entsprechen. Durch das Feststellungsurteil werde rechtskräftig das Bestehen oder Nichtbestehen eines materiellen Rechts festgestellt. Da es aber auch bei Leistungsklagen zu einem Feststellungsurteil käme, wenn die Klage durch Sachurteil abgewiesen werde, müsse hier dasselbe gelten. 175 So überzeugend Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 113 f.; großzügiger Bader, S. 59 ff.; Peetz, S. 159 ff. 176 BGH NJW 2010, 2210 f.; a.A.: H. Roth, ZZP 124 (2011), 3 ff. 177 BGHZ 109, 375; Peetz, S. 12 ff.; vgl. auch E. Schumann, in FS Georgiades, S. 543 ff. 178 Dafür Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 119; ablehnend MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 96. 174
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§ 30 Eigene Ansicht: Das Interesse als Ausgangspunkt I. Aufgaben der Rechtskraft Überwiegend wird zur Rechtfertigung der Rechtskraft sowohl auf öffentliche Interessen (Wiederherstellung des Rechtsfriedens in der Rechtsgemeinschaft)179 als auch auf das private Interesse der siegreichen Partei, nicht erneut vor Gericht gezogen zu werden, rekurriert.180 Die Gesichtspunkte werden jedoch unterschiedlich gewichtet.181 In Einklang zu bringen gilt es Richtigkeitsgewähr, Effektivität des Rechtsschutzes und angemessene Kostenbegrenzung. In diesem Spannungsfeld zwischen Richtigkeitsgewähr und Prozessökonomie stellt die Rechtskraft mitunter das Opfer dar, das die unterliegende Partei der Rechtsgemeinschaft erbringen muss.182 Die Rechtskraft dient dabei den Interessen von Kläger und Beklagtem an der Erhaltung des Rechtsfriedens dadurch, dass sie widersprechende Entscheidungen anderer Gerichte über denselben Streitgegenstand von vorneherein verhindert, was im Rahmen des Litispendenzeinwands nur einer der maßgeblichen Aspekte wäre.183 Zum einen wollen die Parteien die durch das rechtskräftige Urteil getroffene Regelung ihrer Rechtsbeziehungen alsbald als endgültig ansehen können. Zum anderen wären widerstreitende Entscheidungen verschiedener Gerichte dem Ansehen der Rechtspflegeorgane ab179 Etwa Goldschmidt, Prozeß, S. 211; kritisch Pawlowski, ZZP 80 (1967), 361; Schumann, in: FS Bötticher, S. 289 ff.; Mittenzwei, Aussetzung, S. 59. 180 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 228, spricht von einem „Dreifachen“: Bewahrung des Rechtsfriedens unter den Parteien, Rücksicht auf die Geschäftslast der Gerichte und die Erhaltung ihres Ansehens. 181 Spellenberg, in: FS Henckel, S. 842; Berger, Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft, S. 13 f., beschränkt sich auf die Sichtweise des Beklagten. 182 So Mittenzwei, Aussetzung, S. 73 ff.; Bub, Streitgegenstand, S. 164: zum Konfl ikt des öffentlichen Interesses an rascher Streiterledigung und dem Recht auf effektiven Rechtsschutz des Einzelnen; Herrmann, Grundstruktur, S. 55 f. spricht im Hinblick auf die Rechtskraft mit Recht vom sekundären Prozessziel, der Herstellung des äußeren Rechtsfriedens, wenn der innere Rechtsfriede in Form der Verwirklichung des materiellen Rechts nicht erreicht werden kann. 183 Die Vorschriften zur Rechtshängigkeit haben sich in erster Linie am primären Prozessziel, der Verwirklichung des materiellen Rechts, zu orientieren, Herrmann, Grundstruktur, S. 55.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
träglich und könnten das Vertrauen in die Einheitlichkeit der Rechtspflege erschüttern.184 In engem Zusammenhang mit der Gefahr von Urteilskollisionen steht auch die Vermeidung einer Gefährdung des primären Zwecks der Zivilrechtspflege, die Klärung privater Interessenlagen.185 Bei einem Geltungskonflikt von Urteilen würde die Effektivität der Rechtsschutzgewährung beeinträchtigt. Wie bereits gezeigt186 , sind an Rechtshängigkeit und Rechtskraft verschiedene Gerechtigkeitsmaßstäbe anzulegen.187 Denn im Rahmen der res iudicata werden die Rechtsbeziehungen der Parteien endgültig bewertet, so dass der dem materiellen Recht vorschwebenden Gerechtigkeitsidee verstärkte Bedeutung zukommt. Das Erkenntnisverfahren hingegen will – von der materiellen Rechtslage zunächst unabhängig – Verfahrensnormen für beide Seiten in gleichem Maße zur Anwendung bringen.188 An das in Entscheidung Befindliche und das rechtskräftig Entschiedene sind deswegen unterschiedliche Anforderungen zu stellen, so dass auch der Streitgegenstand eine Entwicklung erfährt. Dadurch rechtfertigt sich m.E. – noch stärker als im Rahmen der Rechtshängigkeit – eine materiellrechtsfreundliche Auslegung der Rechtskraftgrenzen.189 Aus der Annäherung an die Vorstellungen eines fein zisilierten materiellen Rechtssystems resultiert die Forderung nach einer engeren Fassung des Urteilsgegenstands und einer Eindämmung der objektiven Grenzen der Rechtskraft.190
II. Materielle Einzelfallgerechtigkeit Dem öffentlichen Interesse an Verfahrenskonzentration und zügiger Streiterledigung kann im laufenden Verfahren Rechnung getragen werden, ohne dass die Parteien in ihrer Rechtsverfolgung besonders eingeschränkt werden.191 Der Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz würde jedoch beeinträch184 Hellwig, System, Bd. I, § 229 III; Bötticher, Kritische Beiträge, S. 54 f. Vgl. bereits Hahn, Materialien II/1, S. 291: „weil widersprechende Urtheile im Volke als ein schwerer Übelstand empfunden werden müssen.“ 185 Mittenzwei, Aussetzung, S. 65. Für eine teleologische Einordnung der Rechtskraft ist die sozialpsychologische Komponente aber nicht ausschlaggebend. 186 Vgl. § 17 VI; § 18 I 6. 187 Herrmann, Grundstruktur, S. 55 f. 188 Herrmann, Grundstruktur, S. 55 f. Dies ist selbstverständlich ein Gebot prozessualer Chancengleichheit. 189 Unten § 30 VIII. 190 Mit Präklusionen sollte sparsam umgegangen werden. Anders als im angloamerikanischen Recht, oben § 13 II 1, erfordert das Gebot der Konflikteindämmung in Deutschland keine Ausdehnung der Präklusionsgrenzen. 191 Bub, Streitgegenstand, S. 164 f., S. 136.
§ 30 Eigene Ansicht: Das Interesse als Ausgangspunkt
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tigt, wenn durch die Konzentration auf ein Verfahren die Geltendmachung weiterer materieller Rechte in erheblichem Umfang ausgeschlossen würde. Für die Bemessung der Rechtskraftgrenzen muss deswegen im deutschen Zivilprozess stärker seine Rechtsschutzfunktion und der enge Bezug zur konkreten Ausgestaltung des subjektiven Rechts an Bedeutung gewinnen.192 Insoweit ist der intendierte Individualrechtsschutz im Verhältnis zum Wunsch nach umfassender Streitbereinigung stärker zu gewichten. In die Entscheidung ist andererseits aber auch das Interesse des Beklagten, nicht mit einem weiteren Prozess überzogen zu werden, einzustellen, so dass eine billige Bewertung der Parteiinteressen erforderlich ist.193 Meist wird bei Verfahrensabschluss – anders als etwa im angloamerikanischen Recht194 – das öffentliche Interesse an Verfahrenskonzentration geringer bewertet, weil dem Kläger nicht auferlegt werden könne, alle für das Klageziel relevanten Tatsachenelemente in einem Verfahren vorzubringen.195 Vielmehr sei eine materiellrechtliche Bewertung von Tatsachen erforderlich.196 An die Bestimmung des Rechtskraftumfangs könnten deswegen – über die Begrenzung auf das konkrete Rechtsschutzziel hinaus (vgl. § 308 I ZPO) – andere Maßstäbe anzulegen sein als an die Bemessung des Verfahrensgegenstandes.197 Die Konsequenzen einer Einbeziehung aller dasselbe Interesse rechtfertigenden Tatsachen würde bei der Bemessung des Rechtskraftgegenstandes zu härteren Konsequenzen als im laufenden Verfahren führen.198 Denn dann könnte eine einmal rechtskräftig abgewiesene Klage aus § 985 BGB auch nicht mehr erneuert werden, wenn ein weiterer selbständiger Erwerbsgrund vorgebracht würde. Das materielle Recht zeigt aber deutlich, dass es den rechtsgeschäftlichen Erwerb (§§ 929 f. BGB) von der Ersitzung (§ 937 BGB) und vom Erwerb kraft Erbgangs (§ 1937 BGB) trennt. Im Übrigen brächte eine erweiterte Präklusionswirkung eine Aufblähung und Ausdehnung des laufenden Rechtsstreits durch die Parteien mit sich, weil diese 192
Vgl. auch Otto, Präklusion, S. 154. MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 117, 118, 121; Bub, Streitgegenstand, S. 164; Olzen, JR 1982, 70 f. 194 Überblick bereits bei Zeuner, in: FS Zweigert, S. 603 ff. 195 Anders noch unter Geltung der Eventualmaxime des gemeinen Rechts, hierzu Schulte, Die Entwicklung der Eventualmaxime, S. 5 ff. 196 Eine Begrenzung der Rechtskraftpräklusion sei nach Bub, Streitgegenstand, S. 164, vor allem geboten im Hinblick auf Tatsachen, die nach materiellem Recht eine selbstständige Bedeutung aufweisen, so dass der Zwang, sie in einem Prozess zu kumulieren, die Rechte des Klägers überspannen und der Ausschluss ihm deshalb in unangenehmer Weise Rechte abschneiden würde (sog. additive Tatbestandskomplexe). So gestehe das materielle Recht etwa jedem Anfechtungsgrund (§ 119 I, II oder § 123 I, II BGB) im Rahmen einer Klage aus Bereicherungsrecht selbständige Bedeutung zu, so dass darauf auch sukzessive Verfahren gestützt werden könnten. 197 So auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 61. 198 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 92 f.; Bub, Streitgegenstand, S. 167 f. 193
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
ansonsten befürchten müssten, mit einem Vortrag in einem späteren Verfahren ausgeschlossen zu sein. Auch wäre die Aberkennung von Rechten, welcher sich der Kläger im Verfahren nicht berühmen wollte, kaum besonders rechtschutzfreundlich. Die Lage verschärft sich zudem dadurch, dass nach überwiegender Ansicht einzelne Tatsachen und Beweismittel unabhängig davon ausgeschlossen bleiben, ob die jeweilige Partei in subjektiver Hinsicht imstande war, diese im Verfahren vorzubringen.199 Lediglich in seltenen Fällen kann mit der Restitutionsklage (§ 580 ZPO) geholfen werden, was die h.L. dazu veranlasst hat, den Streit- bzw. den Urteilsgegenstand durch den vorgetragenen Tatsachenkomplex einzuengen. 200 Insoweit könnte der Kläger auch über die Möglichkeit verfügen, die richterliche Entscheidung über sein Interesse, auf einen bestimmten Tatsachenausschnitt zu verengen. 201 Andererseits ist zu bedenken, dass der Kläger innerhalb der Grenzen der Verjährungsfrist selbst über den Zeitpunkt entscheiden kann, in dem er glaubt, die ausreichende Tatsachenbasis für sein Begehren gelegt zu haben 202, so dass die Unkenntnis einzelner anspruchsbegründender Tatsachen in seine Risikoverantwortung fällt. Dies gilt insbesondere auch für die Ausübung von Gestaltungsrechten. 203 Eine globale Streitgegenstandsabgrenzung sähe sich jedoch für den Fall der Klageabweisung möglicherweise im Konflikt mit der aus Art. 19 IV GG resultierenden Rechtsschutzgarantie. Nach § 322 I ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden wird. Dem Wortlaut der Vorschrift könnte, wie erwähnt 204, eine Begrenzung der Bindung im Folgeprozess entnommen werden. 205 Die begriffliche Diskrepanz von „erhoben“ und „entschieden“ deutet möglicherweise darauf hin, dass die objektiven Grenzen der Rechtskraft enger als der Streitgegenstand interpretiert werden dürfen, soweit es rechtliche Fragen betrifft. 206 Die Intention
199
RGZ 144, 220; RG ZZP 59 (1934), 424; BGH NJW 1973, 1328. So ausdrücklich Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 94 f., 217 f. 201 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 230: Nur auf den vom Kläger vorgetragenen Prozessstoff komme es an, nicht auf den vom Beklagten beigesteuerten Tatsachenkomplex. 202 Speziell für die Ausübung von Gestaltungsrechten im Hinblick auf § 767 II ZPO Althammer/Löhnig, AcP (205) 2005, 527; Bub, Streitgegenstand, S. 331. 203 Nach Abweisung der auf einen Sachmangel gestützten Kaufpreisrückzahlungsklage steht die Rechtskraft auch einer Bereicherungsklage entgegen, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat, BGHZ 157, 47 f. 204 Nikisch, Streitgegenstand, S. 152 und oben § 29 V. 205 Brox, JuS 1962, 122 f.; zu solchen Versuchen kritisch Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 15. 206 Diese Aussage stellt keinen Widerspruch dazu dar, dass zuvor den Begrenzungsversuchen von Nikisch eine Absage erteilt wurde. Denn diese betrafen eine Begrenzung auf Tatsachenebene. 200
§ 30 Eigene Ansicht: Das Interesse als Ausgangspunkt
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dieser Formulierung war nach den Motiven jedoch eine andere. 207 Abgelehnt wurde damit Savignys208 Elementelehre, wonach die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Präjudizialpunkte in Rechtskraft erwachsen sollten.209 Der Gesetzgeber schloss sich damit der Lehre Ungers 210 an, wonach nur der Ausspruch über den konkreten Klageanspruch in Rechtskraft erwachse. Die Mehrheit der Abgeordneten befürwortete die Begründung des Entwurfes211, wonach „das Urteil nicht weiter gehen darf, als die Absicht der Parteien gegangen ist, und nicht Folgen erzeugen darf, deren sich die Parteien im Laufe des Prozesses gar nicht bewusst geworden sind.“ Brox folgert daraus für die Rangordnung der Rechtskraftzwecke, dass primär auf die Interessen der Prozessparteien und erst in zweiter Linie auf den Schutz der Gerichte abgestellt werden dürfe. 212 Zwar würden nach der Begründung213 des Entwurfs widersprechende Urteile als ein schwerer Übelstand empfunden, jedoch führe die Lehre Savignys „weit über die Aufgabe des einzelnen Prozesses und die Absicht der Parteien hinaus, welche den Gegenstand ihres Streits im petitum ausgedrückt und begrenzt haben und in diesem Prozess nur über diesen Streitpunkt eine richterliche Entscheidung erwarten.“214 Eine rechtskräftige Entscheidung über Präjudizialpunkte solle nur erfolgen, soweit die Prozessparteien dies wollten. 215 Im Folgenden wird diese gesetzgeberische Grundentscheidung des deutschen Rechts nicht angetastet. Indes bezieht sich diese von vorneherein nur auf die Urteilselemente, so dass sie einer Ausweitung des Präklusionsumfangs orientiert am Begriff des petitum nicht Einhalt gebieten kann. Schwierig bleibt indes die Umsetzung im Detail.
207 Hierzu Hahn, Materialien II/1, S. 290 f. (Amtl. Begründung) und S. 608 f. (Komm.Protokolle, 1. Lesung). 208 v. Savigny, System VI, S. 350 ff., 429 ff., 451 f.; Gaul, ÖJZ 2003, 872; ders. bereits, in: FS Flume, 472. 209 Gleichzeitig wurde auch der Lehre Windscheids, der die Bindung auf die Entscheidung über die Tatsachen ausdehnen wollte, eine Absage erteilt, Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, S. 396. 210 Unger, System, Bd. II, S. 615 ff. 211 Oben § 5 II 2; Hahn, Materialien II/1, S. 291. Ansonsten würde es zu einer großen Härte führen, in welcher der Partei unversehens res judicata ins Haus wachse, so der Abgeordnete Bähr, in: Hahn, Materialien II/1, S. 608. Damit ist in erster Linie der Wille der Parteien entscheidend, was auch im Wortlaut von § 322 ZPO angelegt ist und sich in der Möglichkeit der Zwischenfeststellungsklage zeigt. 212 Brox, JuS 1962, 122. 213 Vgl. Hahn, Materialien II/1, S. 291. 214 Vgl. aber auch die Aussage des Abgeordneten Struckmann, in: Hahn, Materialien II/1, S. 608, der für Savignys Lehre den Gesichtspunkt der Vermeidung widersprechender Entscheidungen ins Feld führt. 215 Brox, JuS 1962, S. 122 f. Nur insoweit werde dem Gedanken der Prozessökonomie unter Wahrung des Ansehens der Gerichte Rechnung getragen.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
III. Das geltend gemachte Interesse als Grenze des Rechtskraftumfangs Der Lebenssachverhalt als Kriterium zur Begrenzung des Urteilsgegenstandes bedeutet einen ständigen Hort der Rechtsunsicherheit. 216 Die beschriebenen Schwierigkeiten der h.L. 217 im Zusammenhang mit der Konturierung des Klagegrundes lassen sich m.E. nur vermeiden, wenn das Tatsachenelement generell aus der Definition des Streitgegenstands eliminiert wird. 218 Ein trennscharfes Abgrenzungskriterium zur Bestimmung des Urteilsgegenstandes bildet hingegen – im Rahmen des konkreten Klageantrags – das vom Kläger beanspruchte Interesse und damit das Element „Erfüllungskonnexität“. 219 Dies gilt zunächst für die Frage, welche Ansprüche des Klägers nicht von der Rechtskraftwirkung eines früheren Urteils erfasst sind. 220 Insoweit wird die Obergrenze des ne bis in idem-Umfangs bestimmt. 221 Neuer Tatsachenvortrag wird nicht von der Rechtskraftpräklusion ergriffen, wenn das im Erstverfahren geltend gemachte Interesse verlassen wird. 222 Ist etwa eine Klage auf Rückzahlung eines Darlehens aus dem Jahre 2003 in Höhe von 1000 Euro abgewiesen worden, hindert die Rechtskraft des früheren Urteils den Kläger nicht, dieselbe Summe nochmals aus einem im Jahre 2004 gegebenen Darlehen in entsprechender Höhe zu verlangen. 223 In gleicher Weise kann der mit seiner Schmerzensgeldklage in Höhe von 2000 Euro abgewiesene Geschädigte dieselbe Summe nunmehr als Ersatz für Sachschäden verlangen. 224
216 Bereits Donau, JR 1960, 205 ff.; Bülow, DNotZ, 1957, 107; Bötticher, FamRZ 1957, 409; zur Rolle des Sachverhalts in der Rechtsprechung des BGH Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 223. 217 Vgl. oben § 29 II, III. 218 Auch im Reformentwurf für eine Zivilprozessordnung von 1931 stand allein die abgeurteilte Rechtsfolge im Vordergrund, während Lebenssachverhalt und Klagegrund in der vorgeschlagenen Änderung zu § 322 I ZPO keine Erwähnung fanden, S. 76: „Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über die durch Klage oder Widerklage geltend gemachte Rechtsfolge oder über eine Rechtsfolge des Verfahrensrechts entschieden ist.“ 219 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 207, bezeichnet von seiner Warte aus die Rechtsposition als Konstante. 220 Vgl. MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 118: „Die prozessuale Selbstständigkeit konkurrierender Ansprüche (und Sachverhalte) ist danach die zu begründende Ausnahme. Sie muss freilich der Verkehrsanschauung und praktischen Bedürfnissen folgen.“ 221 Ähnlich bereits Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 184, 202, 205, mit Blick auf die einheitliche Rechtsposition: „Ausgangspunkt der Rechtskraftbemessung ist die im Prozess zur Entscheidung gestellte Rechtsposition, und zwar in dem Umfang, in dem sie auf die Klage hin gesichert oder verwirklicht werden soll.“ 222 Ähnlich MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 118 f.: Die Präklusion zeigt sich nur innerhalb des Streitgegenstands. 223 Zu weiteren praktischen Fallgruppen unten § 30 IV. 224 Näher zu dieser Fallgruppe unten § 30 IV 2 b.
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Mit dieser Begrenzung des Präklusionsumfangs wird auch dem in den Motiven beschriebenen Anliegen 225 Rechnung getragen, die Parteien vor unvorhersehbaren und überraschenden Entscheidungswirkungen zu schützen. Die Reichweite der vom Urteil ausgehenden Rechtskraftwirkung (§ 322 I ZPO) überschreitet somit in keinem Fall den Rahmen des streitgegenständlichen Interesses. 226 Diese Sichtweise verfügt über den Vorzug, dass die Obergrenze nicht willkürlich durch Tatsachenüberschneidungen, sondern, wie es den Aufgaben der materiellen Rechtskraft entspricht, durch funktionale materielle Ordnungsgehalte in Gestalt der Erfüllungskonnexität erschlossen wird. 227 Verschiedene Interessen stehen etwa auch auf dem Spiel, wenn der Gläubiger seine Zahlungsklage in Höhe von 5000 Euro zunächst auf eine vom Beklagten für die Forderung X abgegebene Bürgschaft gestützt hatte und nach Klageabweisung sein Begehren mit einer Bürgschaft in gleicher Höhe für die Forderung Y begründet. 228 Umgekehrt fällt die Beantwortung der Frage, ob trotz Interessenidentität ein zweites Verfahren nach Rechtskraft zu gestatten ist, schwerer. 229 So soll nach h.A. die Abweisung einer auf eine außerordentliche Kündigung gestützten mietrechtlichen Räumungsklage eine auf eine neue Kündigung gestützte Klage nicht verhindern können, selbst wenn der neue Vortrag bereits im früheren Verfahren möglich gewesen wäre. 230 Richtigerweise ist die zweite Klage dem Vermieter auch in diesem Fall nicht mehr zu gestatten. Hebt man auf die Identität des „Räumungsinteresses“ ab, so wäre eine Zweitklage nur zulässig, wenn die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft eine neue Entscheidung erlauben, etwa weil die zweite Kündigung erst nach Verfahrensabschluss ausgesprochen wurde. 231 Unterschiede in der tatsächlichen Begründung würden damit außen vor bleiben. 225
Hahn, Materialien II/1, S. 291. Dies gilt nicht nur für die ne bis in idem-Grenze, sondern auch für Präjudizialtität und kontradiktorisches Gegenteil. Ähnlich Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 203 f., für die Rechtsposition. Dieser vergleicht die Wirkungen der klageabweisen Entscheidung mit denen einer rechtsaufhebenden Verfügung. Er glaubt damit zugleich die von Zeuner ermittelten rechtlichen Sinnzusammenhänge mit einem klareren Maßstab erfassen zu können, vgl. S. 207. 227 Zur Erfüllungskonnexität oben § 22 II. 228 Nach der h.L. zweigliedrigen Streitgegenstandslehre wären unterschiedliche Sachverhalte jedenfalls dann anzunehmen, wenn zwischen beiden Bürgschaftsverträgen auch ein zeitlicher Abstand läge. 229 Vgl. zu wichtigen praktischen Fällen unten IV: Dort zeigen sich deutlich die Vorteile und Unterschiede im Vergleich zur Lösung der h.L. 230 Vgl. hierzu auch unten § 30 IV 2 g; BGH LM § 553 BGB Nr. 16 m. Anm. GottwaldPfaller; MünchKomm/Gottwald, § 322 Rn. 147; H. Roth, LMK 2003, 117; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, § 155 I Rn. 2. 231 Da die Räumung nur einmal verlangt werden kann, liegt ein einheitlicher Streitgegenstand vor. Am Umfang der Rechtskraft gemessen, besteht dann kein Unterschied zu einem Versäumnisurteil gegen den Kläger (§ 330 ZPO): BGH NJW 2003, 1044 nimmt hier Präklu226
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
Das Kriterium der Erfüllungskonnexität erweist sich gerade im Hinblick auf die Bestimmung der objektiven Grenzen der Rechtskraft dem Merkmal des identischen Tatsachenvortrags überlegen 232, ohne dass es weiterer Einschränkungen bedürfte. Denn für die Parteien kennzeichnet der Erfüllungszusammenhang zwischen Rechtsfolgen auch den maßgeblichen Interessenwiderstreit, so dass die Kritik, es handele sich nur um eine mittelbare Verbindung verschiedener Rechtsbehauptungen, nicht zutrifft.233 Im geschilderten Räumungsstreit wird der mit seiner Klage abgewiesene Kläger auch nicht von den Rechtskraftwirkungen unzumutbar überrascht, wenn ihm ein zweites Verfahren, gestützt auf einen anderen Kündigungstatbestand, verwehrt wird, der bereits im früheren Verfahren zur Sprache gebracht hätte werden können. Schließlich ist es der Kläger, der über den Zeitpunkt bestimmt, in dem zur Durchsetzung des Räumungsverlangens gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen wird. Die Unkenntnis von einzelnen, seinen Räumungsanspruch begründenden Tatsachenkomplexen fällt somit in seine Risikosphäre. Die Vorteile einer Orientierung des Rechtskraftgegenstandes am Interesse des Klägers liegen hierbei aus Sicht der Parteien auch in der Berechenbarkeit der Ergebnisse. Allgemein ist vor einer Geringschätzung234 des materiellen Erfüllungszusammenhangs zu warnen, stellt dieser doch ein klares Entscheidungskriterium dar, das nicht nur der Richter einfach handhaben kann, sondern auch dem Laien zu vermitteln ist. 235 Der im Vergleich zur herrschenden Doktrin damit globale Urteilsgegenstand beinhaltet deswegen alle dasselbe Rechtsschutzziel stützenden Tatsachenelemente. 236 Der Gefahr widersprüchlision in einem umfassenden Sinne an; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 148, schränkt die Wirkungen des vom BGH angenommenen Anspruchsverzichts auf die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft hin ein. 232 OLG Saarbrücken WM 1998, 835; Schaaff, NJW 1986, 1030 (für Verjährung); Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399, 417 f. Auf die (teilweise) Übereinstimmung der Tatbestände kommt es nicht an. Kritisch Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 232 (allerdings sind seine Aussagen vor allem auf den Kaufvertrag-Wechsel-Fall gemünzt). 233 So Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 233. 234 Etwa Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. R. 75: Stütze der Kläger seine Klage hinsichtlich derselben Summe sowohl auf den Kaufvertrag als auch das Wechselakzept, dann liege kein einheitlicher Streitgegenstand vor, „sondern sowohl materiellrechtlich als auch prozessual eine Mehrheit von (nur erfüllungsmäßig funktionell miteinander verknüpften) Ansprüchen“. Wenn Vollkommer die Annahme von getrennten Streitgegenständen auf das Merkmal Henckels („verschiedene Verfügungsgegenstände“ im Fall der Abtretung) stützt, so erscheint diese Lösung keineswegs vorzugswürdig. Denn die Frage der Streitgegenstandsidentität bleibt zentriert auf ein Zweipersonenverhältnis; richtig deswegen OLG Düsseldorf, MDR 1990, 819. 235 Gerade auch grenzüberschreitend ist damit über die Grenzen einzelner subjektiver Rechte hinweg ein klares Kriterium gewonnen; befürwortend Rüßmann, ZZP 111 (1998), 418. Zu unbestimmt hingegen erscheint das Abstellen allein auf teleologische Sinnzusammenhänge, vgl. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 184, 202 f. 236 Die Vorzüge dieser Ausrichtung am Interesse werden in den in § 30 IV geschilderten Beispielen deutlich.
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cher Judikate wird in weitem Umfang vorgebeugt. 237 Überraschungsentscheidungen, wie sie die Motive zur CPO238 im Blick haben, sind damit nicht verbunden, weil das von den Parteien erstrebte petitum nicht verlassen wird. Eine Beschränkung des Interesses auf einen Ausschnitt aus der Gesamtheit sämtlicher Tatsachen lässt sich nicht auf das Gesetz stützen 239 und ist der Formulierung von § 322 I ZPO („insoweit“) nicht zu entnehmen. Zwar herrscht Einigkeit darüber240, dass der Kläger den Streitgegenstand nicht durch das Weglassen bestimmter Tatsachen künstlich begrenzen kann. Für möglich erachtet wird jedoch, dass bestimmte vom Kläger zunächst nicht vorgetragene, aber zur Rechtfertigung desselben Interesses geeignete (selbständige) Tatbestandskomplexe vom normativ zu bestimmenden Streitgegenstand ausgenommen werden. Ebenso wie eine (willkürliche) rechtliche Begrenzungsbefugnis des Klägers überwiegend auf Ablehnung stößt 241, erscheint es aber auch nicht gerechtfertigt, ein einheitliches Interesse im Rahmen des Urteilsgegenstandes aufzuspalten. Die Rechtskraftpräklusion bezieht sich vielmehr auf den gesamten Tatsachenstoff, der zu seiner Begründung angeführt werden könnte. Die These, dass der Richter über den Streitgegenstand nur insoweit entscheiden kann, „als der Prozessstoff reicht“, trifft somit nicht zu. 242 Denn der Rechtskraft zugänglich ist nur die Feststellung, ob dem Kläger die von ihm beanspruchte Rechtsfolge zusteht. Entschieden wird über diese und nicht über Tatsachen. 243 Bestandteil des Urteilsgegenstandes sind somit alle Tatsachen, die bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vorhanden waren und für die Begründung des behaupteten Interesses hätten verwertet werden können, unabhängig davon, ob diese Tatsachen dem Gericht vorgetragen wurden oder ob das Gericht die vorgebrachten Tatsachen entsprechend gewürdigt hat. 244
IV. Folgerungen für den Einzelfall Zu welchen Ergebnissen die Ausrichtung des Urteilsgegenstandes am Interesse245 führen würde und in welchen Fällen u.U. Korrekturen angebracht sind, wird im Folgenden anhand ausgewählter Fallgruppen näher untersucht. 237
Dies gibt auch Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 232 f. zu. Hahn, Materialien II/1, S. 291. 239 Auch der Gesetzgeber misst dem Klagegrund in § 146 ZPO und § 264 ZPO unterschiedliche Bedeutung zu. 240 Bub, Streitgegenstand, S. 160. 241 BGH NJW 1995, 1757; Henckel, Parteilehre, S. 273. 242 So aber Schwab, Streitgegenstand, S. 150 ff., S. 289 f. 243 Ähnlich Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 268: Die Rechtskraft umfasse alle Tatsachen, die sich auf den abgeurteilten Anspruch beziehen. 244 Vgl. auch Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 267. 245 In den Grenzen des konkreten Klageantrags. 238
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
Ein Zweitverfahren über dasselbe Interesse ist zweifellos unzulässig, wenn zur Rechtfertigung auf eine Anspruchsgrundlage rekurriert wird, die bereits in den Entscheidungsgründen des früheren Urteils abschlägig beschieden wurde. Probleme bereiten lediglich Klagen, die auf eine im früheren Judikat nicht erwähnte Rechtsgrundlage gestützt werden. Zur Begrenzung des Urteilsgegenstandes wird hier auf die subjektive Erwartungshaltung der Parteien, vor Überraschungswirkungen des Urteils möglichst geschützt zu sein, hingewiesen. 246 Diese in den Gesetzesmotiven zu § 293 CPO (§ 322 ZPO) anklingende Überlegung versteht sich in ihrem historischem Kontext, wie gesehen, jedoch als Ablehnung einer Bindung an die Präjudizialpunkte einer Entscheidung. Bei einer strengen Orientierung an der Entscheidung über das geltend gemachte Interesse werden die Parteien von den Rechtskraftwirkungen nicht überrascht, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen sollen.
1. Anspruchskonkurrenz In Anspruchs(grundlagen)konkurrenz stehende materiellrechtliche Rechtsfolgenanordnungen dienen typischerweise der Verfolgung desselben materiellen Interesses und bilden demnach unproblematisch einen Urteilsgegenstand. 247 Das Gericht muss somit von sich aus sämtliche Rechtsvorschriften in Erwägung ziehen, die dem Antrag zur Begründetheit verhelfen 248, unabhängig davon, ob sämtliche Nuancen des Tatsachenhergangs dem Gericht unterbreitet wurden. Auf das Übersehen einer Anspruchsgrundlage bei der richterlichen Prüfung lässt sich somit keine Einschränkung des Urteilsgegenstandes und der objektiven Rechtskraftgrenzen stützen. Treffen wie im „Fahrgastfall“249 Ansprüche aus Vertrag, Gefährdungshaftung und Delikt aufeinander, steht die Rechtskraft des klageabweisenden Urteils in jedem Fall der Erneuerung der Klage aus einem der drei Gesichtspunkte entgegen. 250 Gleiches gilt für die Frage, ob nach 246 So bereits Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 184, 202; ähnlich Bub, Streitgegenstand, 164 f.; Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VI 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 91 ff. 247 Vgl. auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 98; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 164 ff., will weiter zwischen Anspruchsnormenkonkurrenz und Anspruchskonkurrenz (Streitgegenstandsdivergenz) unterscheiden und im ersten Fall von einem zivilrechtlichen Einheitsanspruch mit mehrfacher Begründung ausgehen. 248 BGH NJW 1982, 2257. 249 Oben § 10 I. 250 BGH NJW 1995, 1757; BGH LM Nr. 54; BGH VersR 1978, 59; BGH NJW 1985, 2411, 2412; Schwab, JuS 1965, 85; a.A.: Lent, ZZP 65 (1952), 338 f.; A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 70 ff.: keine Rechtskraftwirkung, wenn konkurrierende materielle Ansprüche aus prozessualen Gründen einen selbstständigen Urteilsgegenstand bilden. Entgegen Leipold, Anm. zu BGH LM § 209 BGB Nr. 84, bleibt die Identität des Urteilsgegenstandes auch im Verhältnis von Pflichtteilsanspruch und Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) gewahrt, sofern nicht die Identität des Antrags verneint wird. In jedem Fall liegt aber ein einheitlicher Verfahrens-
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abgewiesener Wandelungsklage das Rückzahlungsbegehren des Käufers im Hinblick auf § 812 I BGB erneuert werden kann, weil der Verkäufer denselben Sachmangel auch arglistig verschwiegen hat. 251 Die betrügerische Handlung des Verkäufers allein rechtfertigt kein erneutes Aufrollen des Sachverhalts vor Gericht. 252 Denn der Kläger konnte frei entscheiden 253, mit welchem Tatsachenstoff er die Rückzahlungsklage erhebt. Auch über den Zeitpunkt der Ausübung seines Anfechtungsrechts vermochte der Kläger im Rahmen der einjährigen Anfechtungsfrist frei zu disponieren. 254 Die Unkenntnis von einzelnen anspruchsbegründenden Umständen fällt dabei grundsätzlich in seine Risikosphäre. Normative Beschränkungen der hier postulierten umfassenden Rechtskraftwirkung konnten sich früher aus einer eingeschränkten Kognitionsbefugnis des Spruchkörpers ergeben. Erwies sich etwa die Wandelungs-/Rücktrittsklage des Käufers im Rahmen von § 29 ZPO als unbegründet, war die Prüfungskompetenz und somit auch die Rechtskraft der ergehenden Entscheidung hierauf begrenzt. Dies hatte zur Folge, dass ein nachträglich am allgemeinen Gerichtsstand erhobenes und auf § 812 I 1 BGB gestütztes konkurrierendes Rückzahlungsbegehren, das der Prüfungsgewalt des Erstgerichts entzogen war, nicht von der Rechtskraft des Urteils erfasst wurde. Der BGH hat jedoch für die Konkurrenz von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen (§ 32 ZPO) eine richterliche Kognitionsbefugnis kraft Sachzusammenhangs bejaht. 255 Diese Rechtsprechung wird mit Recht verallgemeinert. 256 Einschränkungen des Rechtskraftumfangs sind allenfalls denkbar, wenn ein Gericht fälschlicherweise eine entsprechende Kognitionsbeschränkung annimmt. 257
gegenstand vor. Entgegen BGH NJW 1990, 1795, betrifft die dort geschilderte Konkurrenz von vertraglicher und kondiktionsrechtlicher Grundlage einen Fall von Interessenidentität, der keine weitere Aufspaltung duldet; Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 219 f. 251 Zu Recht BGHZ 157, 47; Althammer/Löhnig, AcP (2005), 520 ff. 252 Ebenso Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 38 f.; a.A. etwa Medicus, WuB IV A. § 477 BGB 1.04; Schulze-Schröder, NJW 2004, 1364 f. 253 Vgl. Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 527. Das Argument, dass der arglistig täuschende Verkäufer nicht den Schutz der Rechtskraft verdiene, etwa Schulze-Schröder, NJW 2004, 1364 (Der Anwalt könne es nicht mehr wagen, „vertragliche Ansprüche für den Mandanten zu erheben, wenn er damit das unter Umständen mit Regressfolgen behaftete Risiko eingeht, jenen um ein eventuell später zu Tage tretendes Anfechtungsrecht zu bringen“), trifft nicht: Hier gibt es keinen berechtigten Regress gegen den Anwalt, Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 525. 254 Insoweit ist die Situation bei der Anfechtung im Aktivprozess eine andere, als wenn der Beklagte diese zur Verteidigung einsetzt. Dort kann die Gestaltungserklärung als „neue Tatsache“ im Sinne von § 767 II ZPO angesehen werden. 255 BGH NJW 2003, 828; noch offen gelassen von BGH NJW 2002, 1425. 256 Ausführlich Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 545. 257 BGH GRUR 2002, 787. Näher unten § 30 VIII 4.
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2. Additive Tatbestandskomplexe Die Frage nach einer Begrenzung des Urteilsgegenstandes stellt sich insbesondere, wenn derselbe Anspruchstatbestand durch eine neue Sachverhaltsvariante ein zweites Mal erfüllt wird (sog. additiver Tatbestandskomplex). 258 Zum Teil wird hier die Beschränkung der Rechtskraftgrenzen auf den vorgetragenen Sachverhalt mit der Begründung gerechtfertigt, dass ein Urteil nicht Folgen erzeugen dürfe, deren sich die Parteien im Laufe des Prozesses nicht bewusst geworden seien 259, was bereits bei der Konturierung des Streitgegenstands selbst berücksichtigt werden müsse. Hierbei gelte es wie folgt zu unterscheiden: Tatsachen, denen im Verhältnis zum bereits Vorgebrachten nur kumulative und ergänzende Bedeutung zukomme, würden von der Rechtskraftpräklusion auch dann erfasst, wenn der Kläger eine von ihnen im rechtskräftig entschiedenen Prozess nicht vorgebracht habe. Denn zur Verhinderung einer Vervielfältigung von Prozessen sei es notwendig, Tatsachen dann keine streitgegenstandsrelevante Selbständigkeit zuzuerkennen, wenn sich diese in rechtlicher Hinsicht nur ergänzten und um ein Kerngeschehen gruppierten. Werde etwa eine wegen schuldhafter Eigentumsverletzung erhobene Schadensersatzklage später auf ein vorvertragliches Schuldverhältnis gestützt, erlange die Behauptung vorvertraglicher Beziehungen im Vergleich zum bisher Vorgetragenen kein eigenständiges Gepräge. Von der Präklusionswirkung seien jedoch solche Tatsachen auszunehmen, die im Verhältnis zum vorgetragenen Tatsachenkomplex eine derartige rechtliche und tatsächliche Selbständigkeit aufwiesen, dass ein gewissenhafter Kläger typischerweise keinen Anlass habe, diese vorzutragen. 260 Diese Überlegung gelte für Tatsachengruppen, die den gesetzlichen Tatbestand völlig gleichwertig und unabhängig voneinander ausfüllten 261, insbesondere, wenn sie den wesentlichen Gehalt der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen betreffen (sog. additive Tatbestandskomplexe). 262 Zur Begründung der prozessualen Selbständigkeit wird weiter darauf hingewiesen, dass sich typischerweise der Streit der Par258 Bsp.: Eine auf § 812 I BGB gestützte Klage wird mit verschiedenen Anfechtungstatbeständen begründet. Eine Räumungsklage wird auf unterschiedliche Kündigungsgründe gestützt. Eine Minderungsklage wird mit unterschiedlichen Sachmängeln begründet. Für Streitgegenstandsdivergenz bereits: RG JW 1897, 545; Bub, Streitgegenstand, S. 18 f., S. 122, S. 170. So bilden nach der Rechtsprechung verschiedene, voneinander unabhängige rechtswidrige Handlungen, die zum selben Schaden führen, auch verschiedene Streitgegenstände, BGH NJW 1992, S. 3243; BGH NJW-RR 2008, 762; BGH NJW 1999, 2119 f. 259 Bub, Streitgegenstand, S. 168, unter Berufung auf BGHZ 117, 1; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 203. 260 Bub, Streitgegenstand, S. 168, unter Berufung auf BGHZ 117, 1. 261 Bub, Streitgegenstand, S. 170; auch A. Blomeyer, JuS 1970, 127, der verschiedene Sachverhalte annimmt, wenn weitere Tatsachen einen anderen Anwendungsfall derselben Norm ergäben. 262 Bub, Streitgegenstand, S. 171, unter Hinweis auf selbständige Angriffsmittel im Sinne des § 146 ZPO und § 289 I ZPO.
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teien nur auf diese nebeneinander stehenden Tatsachengruppen und nicht das gemeinsame Fundament konzentrierte. 263 Auch die Parteien erwarteten deswegen Rechtsgewissheit durch das Urteil nur im Hinblick auf den vorgetragenen Komplex.264 Insoweit sei die Erneuerung einer mietrechtlichen Räumungsklage möglich, wenn die Kündigung zu einem bestimmten Termin nun mit einem anderen Kündigungsgrund begründet werde. In vergleichbarer Weise stünden verschiedene Streitgegenstände zur Verhandlung an, wenn die Haftung des Beklagten für eine fremde Schuld einmal aus einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung und das andere Mal aus Vermögensübernahme (§ 419 BGB a.F.) hergeleitet wird. 265 In gleicher Weise könnte dasselbe Gestaltungsbegehren im Falle von § 140 I HGB mit verschiedenen Gestaltungsgründen erneuert werden. Gegen eine Vervielfältigung prozessualer Ansprüche im Falle additiv vorgetragener Tatbestandskomplexe266 sprechen bereits die „Entstehungsgründe“ bei Herausbildung des prozessualen Anspruchsverständnisses: Entscheidend war hier, dass der materiellrechtliche Streitgegenstandsbegriff für Anspruchskonkurrenzen seinen Aufgaben nicht gerecht werden konnte. Seine prozessuale Fortentwicklung sollte somit vor allem einer Erweiterung der Rechtskraftgrenzen dienen, nicht jedoch seiner Einengung. 267 Dies bedeutet aber, dass bei Interessenidentität nicht jede mehrfache Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes die Durchführung eines selbständigen Verfahrens rechtfertigen kann. Dies würde dem Sinn und Zweck der objektiven Rechtskraft widersprechen. Als bloße Unterstellung muss es im Übrigen bezeichnet werden, dass die Beschränkung der Rechtskraft auf die konkret vorgetragenen Tatsachenkomplexe deswegen gerechtfertigt sei, weil das Hauptgewicht des Streites zwischen den Parteien meist auf dem jeweiligen selbständigen Sachverhaltselement liege. 268 Der gesetzlichen Anerkennung selbständiger Angriffsmittel in § 146 ZPO und § 289 ZPO, die einen Tatbestand völlig unabhängig von einem anderen erfüllen 269, kann für die Bemessung der Rechtskraftgrenzen keine Aussage entnommen werden. Die Formulierung von § 146 ZPO („bei mehreren auf denselben 263 Da für jeden Anfechtungsgrund nach § 124 I BGB eine selbständige Frist gelte, müssten nach Bub unterschiedliche arglistige Täuschungen auch prozessual selbständig bewertet werden. 264 Ein Gestaltungsurteil, das einer Klage aufgrund eines bestimmten Gestaltungsgrundes stattgebe, stehe nach Bub, Streitgegenstand, S. 173, in keinem Geltungskonflikt zu einem früheren Urteil, das das Begehren im Hinblick auf einen anderen Gestaltungsgrund abgewiesen hat; auch Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 229, S. 170, für eine Klage auf Rückgewähr der zur Erfüllung eines Vertrages erbrachten Leistungen, wenn die Anfechtung des Vertrages nach § 123 I BGB auf verschiedene arglistige Täuschungen des Vertragspartners gestützt werde. 265 BGH NJW 1981, 2306 f.; hierzu Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 219. 266 Der Begriff stammt von Bub, Streitgegenstand, S. 170. 267 Treffend Grunsky, Anm. zu BGH LM § 322 ZPO Nr. 134. 268 Bub, Streitgegenstand, S. 172. 269 MünchKomm/Wagner, ZPO, § 146 Rn. 3.
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Anspruch sich beziehenden selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln“) legt eher nahe, dass sie Teil desselben Streit- und Urteilsgegenstands (§ 322 I ZPO) sind. Aus Sicht der Parteien konzentriert sich der Streit weniger auf Sachverhaltsnuancen als auf den Zuspruch des beantragten Interesses, das hiervon unbeeinträchtigt bleibt. Auch darf das öffentliche Interesse an Verfahrenskonzentration bei der Bemessung der Rechtskraftgrenzen nicht außer acht bleiben. Im Übrigen wird selbst von der h.L. 270 nicht verkannt, dass eine trennscharfe Abgrenzung von Sachverhaltskomplexen aufgrund der sich überlagernden Strukturen des materiellen Rechts nicht möglich ist. Denn selbst additiv-selbständige Tatsachengruppen führen zu Überschneidungen im entscheidungserheblichen Sachverhalt. So bleibt etwa im Fall der mietrechtlichen Räumungsklage der Besitz des beklagten Mieters stets entscheidungserheblich (§ 985 I BGB), auch wenn zur Begründung vom Kläger jeweils verschiedene Kündigungstatbestände vorgetragen werden. Ähnliches gilt für die Identität des Schadens, der vom Kläger auf verschiedene Pflichtverletzungen gestützt werden kann, so dass er bei seiner Klagebegründung durchaus von Anfang an Anlass hat, sämtliche Pflichtverletzungen in seine Überlegungen mit einzubeziehen. 271 Letztlich lässt sich die Unterscheidung zwischen additiven und kumulativen Tatsachenelementen, wie sie vorgeschlagen wird, somit praktisch nur schwer umsetzen. 272 Diese Einschränkung des Umfangs der Rechtskraft auf den konkret vorgetragenen selbständigen Komplex würde zudem dazu führen, dass eine Klage auch dann wiederholt werden könnte, wenn diese wegen Verneinung einer in beiden Fällen erheblichen Tatsache abgewiesen worden ist. Blieb etwa eine Räumungsklage mangels nachweisbaren Besitzes des Beklagten erfolglos, so wäre eine erneute Klage unter Vortrag eines anderen Kündigungsgrunds auch dann zulässig, wenn sich an den Besitzverhältnissen des Beklagten nichts geändert haben sollte.273 Im Folgenden werden einige praktisch relevante Fallgruppen näher untersucht.
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Bub, Streitgegenstand, S. 170 f. Im Ergebnis richtig deswegen KG NJW-RR 1999, 789: Bei einer Klage auf Unterlassung wettbewerbswidrigen Handelns stelle nicht jede einzelne frühere wettbewerbswidrige Handlung einen eigenständigen Komplex dar, sondern diese seien einem Gesamtstreitgegenstand zuzuordnen, so dass die Rechtskraft einer Klageabweisung einer neuen Unterlassungsklage entgegenstehe, welche auf eine während des Vorprozesses erfolgte, aber nicht vorgetragene wettbewerbswidrige Handlung gestützt werde. 272 Bub, Streitgegenstand, S. 172. Beim Merkmal wichtiger Grund im Sinne von § 140 I HGB ist aber u.U. eine Gesamtbetrachtung anzustellen. 273 So Bub, Streitgegenstand, S. 173: Der möglichen Gefahr widersprechender Entscheidungen könnte der Beklagte durch Erhebung einer Zwischenfeststellungsklage entgehen. Richtigerweise kann diese aber kaum die Aufgabe haben, Urteilskollisionen zwischen identischen Streitgegenständen vorzubeugen. 271
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a) Einzelne Erwerbs- oder Gestaltungsgründe Die Tatsache, dass bei Feststellungsklagen über ein absolutes Recht (etwa das Eigentum an einer bestimmten Sache oder eine sonstige dingliche Berechtigung) der Sachverhalt nicht zur Individualisierung des Rechtsverhältnisses erforderlich sei, sondern dieses sich bereits zweifelsfrei aus dem Klageantrag ergebe, soll nach h.L. nicht die Annahme rechtfertigen, dass sämtliche Rechtserwerbsgründe unabhängig von ihrem Vortrag von der Rechtskraft erfasst sind.274 Diese Aussage ist vor allem gegen Lent und Nikisch gerichtet275, die darauf hingewiesen hatten, dass absolute Rechte zu ihrer Individualisierung nicht der Angabe des Entstehungsgrundes bedürften.276 Der Streitgegenstand sei deswegen auch ohne Angabe des Erwerbsgrundes bestimmt. 277 Bereits Wach hat sich deswegen die Frage erlaubt: „Woher sollte der Kläger den Grund nehmen, mit dem einen oder andern Erwerbsgrund zurückzuhalten – um ihn nachträglich in erneutem Prozess zum Angriff gegen denselben Beklagten ins Feld zu führen?“278
Nikisch hat diesen Gedanken auf das laufende Verfahren übertragen. Der Beklagte dürfe es dem Kläger aus Gründen der Verfahrenskonzentration nicht verwehren, für das schon in der Klage bestimmt bezeichnete Recht alle Entstehungs- oder Erwerbstatsachen anzuführen. 279 Eine Klageänderung sei hier nicht erkennbar.
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So statt vieler: Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 95; Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 59 ff.; K. Schmidt, JZ 1977, 771 f. 275 Lent, ZZP 65 (1952), 327 f.; Nikisch, Streitgegenstand, S. 77 f.: Die Verfasser des Reformentwurfs von 1931 hätten sich im Rahmen von § 206-E, der sich unzweideutig auf den Boden der Substantiierungstheorie gestellt habe, über die Struktur der Feststellung absoluter Rechte zu wenig Gedanken gemacht (vgl. Entwurfsbegründung, S. 308 f.); Zeuner, in: FS Zweigert, S. 614 ff.; Henckel, Parteilehre, S. 284; Baumgärtel, JuS 1974, 75; Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 59 ff.; kritisch Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 235 ff.; Lüke, JZ 1960, 203. 276 „Auch bei … den Leistungsklagen denkt man nicht daran, einen Wechsel in der Begründung, der die Individualisierung des Streitgegenstands nicht berührt, als eine Veränderung des Streitgegenstands aufzufassen“, Lent, ZZP 65 (1952), 327. 277 „Zum Klageinhalt mag darüber hinaus eine Begründung erforderlich sein, aber sie berührt den Streitgegenstand nicht. Wenn der vom Erwerbsgrund unabhängig ist, so kann man in der hinzugefügten Anführung eines Erwerbsgrundes nicht eine Beschränkung des Streitgegenstands erblicken“, Lent, ZZP 65 (1952), 328. 278 Wach, Vorträge, S. 29; Nikisch, Streitgegenstand, S. 77. 279 Die Angabe des Anspruchsgrundes als notwendiger Bestandteil der Klage dürfe nur dort verlangt werden, wo sie zur eindeutigen Individualisierung des prozessualen Anspruchs erforderlich sei: „Welches Gemeinschaftsinteresse könnte den Gesetzgeber zu einer Regelung veranlassen, die der raschen und erschöpfenden Erledigung einer Rechtsstreitigkeit nicht förderlich, sondern hinderlich ist und eine Vermehrung der Prozesse begünstigt?“ Nikisch, Streitgegenstand, S. 77. Zu beachten gilt es auch, dass das Verteidigungsinteresse des Beklagten nicht bei jeder Änderung der tatsächlichen Grundlagen beeinträchtigt wird.
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Die h.L. sieht aber mit Recht einen Widerspruch darin, dass einerseits die rechtskräftige Abweisung einer Eigentumsfeststellungsklage alle nicht vorgetragenen Erwerbsgründe ausschließen soll, während eine abschlägig beschiedene Herausgabeklage (§ 985 BGB) weiterhin auf andere Gründe gestützt werden könnte280: „Man müsste dann konsequenterweise stets auf die Begrenzung durch den Tatsachenstoff verzichten, soweit diese nicht zur Individualisierung der Rechtsfolge erforderlich sei.“281
Allerdings wird diese Konsequenz nur sehr selten gezogen. 282 Auf die unterschiedliche Rechtsschutzform allein lässt sich die Ungleichbehandlung jedoch kaum stützen. Richtigerweise ist somit die Begrenzung des Urteilsgegenstandes auf den vorgetragenen Tatsachenkomplex in ihrer Allgemeinheit abzulehnen. Dies gilt nicht nur für Feststellungsklagen, bei denen alle Rechtserwerbsgründe unabhängig vom Tatsachenvortrag von der Rechtskraft erfasst sind283, sondern auch für die Leistungsklage. Die Funktion des Tatsachenelements für den Streitgegenstand ist stets nur eine individualisierende, deren es bei absoluten Rechten bzw. bei durch ihre Singularität bestimmten Gegenständen von vorneherein nicht bedarf. Wird etwa eine Klage auf Feststellung des Eigentums an einem Gemälde abgewiesen, weil der Übertragungsvorgang durch den früheren Eigentümer nicht nachgewiesen werden konnte, kann der Kläger sich in einem neuen Verfahren auch nicht mehr auf den Vorgang der Ersitzung oder auf einen entsprechenden Erbgang (§ 1937 BGB) berufen. Gleiches hat aber auch im Falle des Herausgabeprozesses (§ 985 BGB) gegen den jeweiligen Besitzer zu gelten. Der Kläger kann sein Interesse nicht gestützt auf verschiedene Erwerbsvorgänge prozessual segmentieren. 280 Etwa Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 238. Überblick auch bei S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 65. Im Übrigen würde es für die Leistungsklage Folgen zeigen, wenn die abgewiesene Eigentumsfeststellungsklage nicht mit einem anderen Erwerbsgrund erneuert werden könnte: Aufgrund der Präjudizialwirkung des Feststellungsurteils könnte die Leistungsklage (§ 985 BGB) nicht mit einem anderen Erwerbsgrund (etwa Ersitzung) gerechtfertigt werden. 281 So Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 95, der diesen Schritt jedoch nicht wagt. Nach Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 1 Rn. 40, folgt die Begrenzung auf den vorgetragenen Sachverhalt bei der Klage auf Herausgabe (§ 985 BGB) aus der Verhandlungsmaxime. Unerklärlich bleibt deswegen, warum bei der Eigentumsfeststellungsklage der Streitgegenstand nicht durch den Sachverhalt begrenzt wird, vgl. Jauernig, ZPR, § 37 VII 3. Auch für die Feststellungsklage kann doch die Verhandlungsmaxime uneingeschränkte Geltung beanspruchen. 282 Zutreffend hingegen Zeuner, in: FS Bötticher, S. 615 Fn. 45 f.: „Für die Eigentumsherausgabeklage kann dabei nichts anderes gelten als für die Klage auf Feststellung des Eigentums.“ 283 Eine Individualisierung durch den Sachverhalt ist hier ohnehin nicht gefordert, Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 1, 3 Rn. 46. Allerdings folgert Jauernig, auch wenn dies zur Individualisierung nicht geboten ist, bei der Klage auf Herausgabe die Begrenzungsfunktion des Sachverhalts aus der Verhandlungsmaxime. Dann ist aber nicht ersichtlich, warum der Streitgegenstand bei der Eigentumsfeststellungsklage nicht ebenfalls durch den Sachverhalt beschränkt wird, gilt doch auch hier die Verhandlungsmaxime, vgl. oben § 10 IV 1 b.
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Zum Teil wird von der h.L. weiter danach unterschieden, ob der neue Tatsachenvortrag nur eine neue rechtliche Variante innerhalb des bereits vorgetragenen Geschehens darstelle oder aber ein rechtlich verschiedener Hergang geschildert werde. So soll bei der Eigentumsfeststellungsklage der Prätendent nach Klageabweisung den zunächst als rechtsgeschäftlichen Eigentumsübergang im Sinne von § 929 S. 1 BGB geschilderten Vorgang nun zwar nicht auf Tatsachen stützen können, welche einen gutgläubigen Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932 BGB nahe legen. 284 Hingegen ändere sich die Lage, sobald der Kläger sein Eigentumsrecht auf Tatsachen gründe, welche auf einen Erbgang zur Zeit des Vorprozesses hinwiesen. Diese Differenzierung ist abzulehnen. Auch die jüngere Judikatur des BGH lässt die Folgerung zu, dass der einzelne Erwerbsgrund oder -vorgang nicht die Grenzen des (durch den Klagegrund bestimmten) Streitgegenstands verändert. 285 So unterstehen bei einer Grundstücksübertragung selbstverständlich sämtliche die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts betreffenden Vorgänge (rechtsgeschäftlicher Überlassungsvertrag, Erbvertrag) der Rechtskraftpräklusion, unabhängig davon, ob diese vorgetragen worden sind oder nicht.286 Mit Recht hat Zeuner 287 – unter Rekurs auf das französische Recht288 – auf die ungerechtfertigende Ungleichbehandlung der Prozessparteien hingewiesen, wenn einerseits der Beklagte durch die Rechtskraft mit allen gegen den Anspruch nicht vorgebrachten Einwendungen ausgeschlossen bleibe (vgl. § 767 II ZPO)289, aber gleichwohl dem mit seiner Klage abgewiesenen Anspruchssteller 284
Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 237; Musielak/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 60. BGH NJW 1995, 1757 f. (im Hinblick auf die Wirksamkeit eines Ankaufsrechts, die mit verschiedenen Formverstößen vom Beklagten in Zweifel gezogen wurde); BGH NJW 1995, 967 f. 286 So BGH NJW 1995, 967 f., im Hinblick auf eine Konstellation des kontradiktorischen Gegenteils; zustimmend Grunsky, Anm. zu BGH LM § 322 Nr. 139 Bl. 3, der allerdings mit Recht die Rolle des Lebenssachverhalts kritisiert: „Der Lebenssachverhalt spielt dann eine Rolle, wenn es um die Individualisierung des eingeklagten Rechts geht … Soweit das geltend gemachte Recht dagegen in dem Sinne feststeht, dass es nur ein einziges Recht dieser Art geben kann (z.B. Eigentum an einer bestimmten Sache oder Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an eben der Sache), spielt der Lebenssachverhalt … keine Rolle.“ Ähnlich bereits Grunsky, Anm. zu BGH LM § 322 ZPO Nr. 137 Bl. 4: „Demgegenüber ist festzuhalten, dass die Identität des Streitgegenstands allein von dem geltend gemachten Recht her bestimmt werden muss und nicht dadurch entfällt, dass in dem zweiten Verfahren teilweise andere Tatsachen vorgetragen werden.“ 287 Zeuner, in: FS Zweigert, S. 614 f. 288 Das französische Recht sieht immerhin einen Gleichlauf zwischen anspruchsbegründenden Umständen und Einwendungen des Beklagten dergestalt vor, dass die Rechtskraft nur die konkret vorgetragenen Umstände erfasse, Kössinger, S. 98 ff. Wenn aber das deutsche Recht alle Einwendungen des Beklagten, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen werden konnten (§ 767 II ZPO), präkludiert, dann bedarf es m.E. aus Gründen prozessualer Chancengleichheit auch einer entsprechenden Präklusion nicht vorgetragener, aber vorhandener Angriffsmittel. 289 Zutreffend BGH NJW 1995, 1757: „Bei einer aus Sachgründen abgewiesenen negati285
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weiterhin das Recht zukommen soll, sein bisheriges Begehren auf noch nicht vorgebrachte Erwerbs- oder Begründungstatbestände zu stützen. Dies gelte gleichermaßen für die Feststellungs- und Leistungsklage. 290 Für die Präklusion im Verfahren nicht vorgebrachter Beklagteneinwendungen bietet sich als „rechtliche Bezugseinheit“ nur der geltend gemachte Anspruch an. 291 Umgekehrt gilt dies ebenso für die vom Kläger beanspruchte Rechtsfolge (z.B. § 985 BGB).292 Die eigentliche Abgrenzung kann nur der prozessuale Anspruch selbst leisten (§§ 322 I, 767 II ZPO), in richtiger Übersetzung: das klägerische Interesse. Die Ausrichtung am Klägerinteresse führt zu einer einheitlichen Präklusion bei Leistungs- und Feststellungsklagen, ohne dass es des Tatsachenkomplexes als Bestimmungsmerkmal bedarf. Die Individualisierungsfunktion des Sachverhalts setzt vielmehr einen Schritt zuvor bei der Frage an, ob eine Leistung mehrmals gefordert werden kann oder nicht. 293 Für selbständige Erwerbsund Gestaltungsgründe (etwa bei Anfechtung und Kündigung) zeigt bereits ein Blick auf § 767 II ZPO, dass dem Kläger nicht mehr erlaubt sein kann als dem Beklagten. 294 Im Vergleich etwa zum US-amerikanischen Recht295 ist der hierdurch erreichte Konzentrationsumfang aber begrenzt und unmittelbar am petitum (§ 322 I ZPO) orientiert. Denn entscheidend ist nicht der Sachverhalt als solcher, sondern das konkret beurteilte Interesse. Einer weiteren rechtskraftindizierten Beschränkung auf Tatsachenebene bedarf es deswegen nicht. Bei dieser globalen Sichtweise erübrigt sich eine subjektive Erweiterung der Rechtskraftwirkungen für den Fall, dass der Partei nicht vorgetragene Tatsachen bereits während des Erstverfahrens bekannt waren. 296 Eine Übertragung des Rechtsgedankens von ven Feststellungsklage ist Folge der Rechtskraftwirkung die Präklusion aller Einwendungen gegen den bekämpften Anspruch, unabhängig davon, ob sie der Kläger seinerzeit vorgetragen hat oder nicht und ob das Gericht sich damit auseinandergesetzt hat, sofern die Einwendungen denselben Streitgegenstand betreffen.“ 290 Nur für die Feststellungsklage: Henckel, Parteilehre, S. 282 f. 291 Zeuner, in: FS Zweigert, S. 614 f.; ebenso bereits Bötticher, FamRZ 1957, 410 f. 292 Ähnlich Grunsky aus der Warte eines materiellrechtlichen Streitgegenstandsverständnisses, Anm. zu BGH LM § 322 ZPO Rn. 134 Bl. 4: „Dies ändert aber nichts daran, dass im zweiten Verfahren derselbe materielle Anspruch wie im Vorprozess geltend gemacht wurde. Schon vom materiellrechtlichen Anspruchsbegriff her konnte die zweite Klage keinen Erfolg haben. 293 Einheitlich ist richtigerweise der Streitgegenstand der Unterlassungsklage aus §§ 1, 8 UklaG, gleichgültig auf welche Verbotsgründe er gestüzt wird, BGH ZIP 1993, 92; vgl. auch BGH NJW-RR 1996, 891. 294 Für § 767 ZPO selbst wird hier ein globaler Streitgegenstand vertreten, „der sämtliche bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz entstandenen Einwendungen umfasst“, etwa Otto, in: FS Henckel, S. 619; ders., Präklusion, S. 82 f. Die Streitfrage, ob es für Gestaltungsrechte allein auf den Gestaltungsgrund oder auch die Gestaltungserklärung ankommt, kann hier unentschieden bleiben. 295 Ausführlich oben § 13 II 1 a. 296 Hierzu Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 96, 231: „Dieser Ausschluss könnte alle
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§ 767 III ZPO, § 145 PatG ist somit nicht erforderlich.297 Aus der Existenz von § 767 III ZPO allein kann auch kein Umkehrschluss gegen die hier vertretene Ansicht abgeleitet werden. 298 Unterstellt man für die Vollstreckungsgegenklage richtigerweise einen globalen, alle Einwendungen einbeziehenden Streitgegenstand, dann ist § 767 III ZPO vielmehr als eine die Grundregel des § 322 ZPO einschränkende Vorschrift zu bewerten. 299 Was bei der Singularität des Geforderten für die Leistungs- und die Feststellungsklage richtig ist, kann für die Gestaltungsklage nicht falsch sein.300 So wird seit der Einführung des Zerrüttungsprinzips für die Scheidungsklage überwiegend ein einheitlicher, von Einzeltatsachen unabhängiger Streitgegenstand angenommen. Der zweigliedrige Streitgegenstand setze sich hiernach zusammen aus dem Antrag auf Scheidung und der Angabe des Gescheitertseins der Ehe (§ 1565 I BGB) als einzigem Scheidungsgrund.301 Diese Erkenntnis findet eine Parallele im Bereich gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsklagen. So soll nach Ansicht des BGH der Streitgegenstand der aktienrechtlichen Nichtigkeitsund Anfechtungsklage alle die Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses auslösenden Beschlussmängel umfassen.302 Dieser besteht somit in dem prozessualen Begehren, die Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses an Hand der dem Beschluss anhaftenden Mängel richterlich klären zu lassen. Der BGH rechtfertigt dieses zutreffende Ergebnis – m.E. jedoch zu Unrecht – mit Hinweis auf den Unterschied zwischen der Leistungsklage einerseits und der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage andererseits. Sicherlich tritt im zweiten Fall Tatsachen umfassen, die zum Streitgegenstand gehörten, also vor allem alle Erwerbsgründe für dingliche Rechte und alle Gestaltungsgründe bei Gestaltungsklagen.“ 297 Vertreten wird eine Analogie vor allem bei Gestaltungsklagen, A. Blomeyer, ZPR, § 89 VII (etwa für § 140 I HGB); Becker, AcP 188 (1988), 52 f., der hieraus einen allgemeinen Rechtsgedanken für Gestaltungsklagen ableiten will. Zu dieser subjektiven Präklusion Otto, Präklusion, S. 73 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 70. Die h.L. versteht § 767 III ZPO als rechtskraftübergreifende Präklusionsanordnung MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 169 f.: „Ein durch eine objektive Präklusion bewehrtes allgemeines Konzentrationsgebot besteht vielmehr nur innerhalb der Streitgegenstandsgrenzen.“ Vgl. auch Burgard, ZZP 106 (1993), 23 ff. 298 So aber Bub, Streitgegenstand, S. 175 f. 299 Otto, Präklusion, S. 77 f.; a.A. etwa MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 170, der darauf hinweist, dass eine Pflicht, alle bekannten Tatsachenkomplexe gleichzeitig vorzubringen, nicht bestehe; ebenso Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 225 f.: Ein solches Gebot existiere vielmehr nur innerhalb der Streitgegenstandsgrenzen. Wird der Streitgegenstand indes mit dem jeweiligen Interesse identifiziert, so ist diese Grenze eingehalten. 300 Näher zur Feststellungs- und Gestaltungsklage § 33. 301 BGH FamRZ 1980, 125; H. Roth, in: FS D. Schwab, S. 704; Linke, in: FS Beitzke, S. 281 f. Die Überschrift in § 1565 I BGB „Scheidungsgründe“ spricht nicht dagegen. 302 BGH NJW 2002, 3465; H. Roth, Anm. zu BGH LM § 241 AktG 1965, Nr. 9 sub 2 c. Die Gleichung, so viele Anfechtungsgründe – so viele Streitgegenstände, stimmt auch hier nicht; Zöllner in: Kölner Komm. z. AktG, § 246 Rn. 47; engere Fassung: K. Schmidt, GroßKomm AktG, § 246 Rn. 59 f.; Bork, ZIP 1995, 612 f.; Hüffer, AktG, § 246 Rn. 11 f.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
noch stärker der Rechtssicherheitsaspekt zu Tage, der eine weite Rechtskraftumgrenzung nahe legt.303 Entscheidend ist jedoch vor allem die Singularität des Klageziels. Diese Interessenidentität zeigt sich unabhängig von der konkreten Rechtsschutzform.
b) Verschiedene Pflichtverletzungen im Schadensersatzprozess Aus dem Gesagten ergibt sich auch eindeutig eine Antwort auf die Frage, ob das sukzessive Vorbringen verschiedener additiver Tatbestandskomplexe304, die unabhängig voneinander denselben Haftungstatbestand ausfüllen, nach Rechtskraft eine neue Klage auf dasselbe Interesse rechtfertigt. Sie lautet „nein“.305 Nach h.A. bedingt der Vortrag unterschiedlicher Pflichtverletzungen im Schadensersatzprozess (z.B. im Fall der Anwaltshaftung) jedoch verschiedene prozessuale Ansprüche selbst dann, wenn mit der Klage Ausgleich für dieselbe Schadensposition verwirklicht werden soll.306 Richtigerweise sollte über die Frage der Streitgegenstandsidentität allein die Identität des Interesses entscheiden.307 Dies gilt nicht nur für die Ermittlung des Verfahrensgegenstandes, sondern auch bei der Bemessung des Urteilsgegenstandes.308 Der Hinweis der h.L., der Kläger dürfe nicht mit Rechtskraftwirkungen überrascht werden, mit denen er nicht zu rechnen brauchte, überzeugt nicht. Denn bei der Verhinderung von Überraschungsentscheidungen stehen typischerweise unerwartete Präklusionswirkungen und der Verlust nicht im Streit befindlicher Rechte im Vordergrund. Bleibt hingegen die Identität des Interesses durch den Vortrag verschiedener tatsächlicher Hergänge unangetastet, dürfte der ohnehin nicht in rechtlichen Segmentierungen denkende Kläger kaum vom endgültigen Rechtsverlust überrascht sein. Auch für die Bemessung der Rechtskraftgrenzen ist somit beim Vortrag verschiedener Pflichtverletzungen entscheidend, ob die hierdurch bedingte Schadenseinbuße im Wesentlichen identisch bleibt oder nicht.309 Hingegen sollte bereits aus Gründen der 303
H. Roth, Anm. zu BGH LM § 241 AktG 1965, Nr. 9 sub 2 c. Zur Erklärung oben § 30 IV 1 a. 305 Anders RG JW 1897, 545 (für Streitgegenstandsverschiedenheit). 306 BGH NJW 2000, 2678 f.; BGH NJW 1988, 965 f.; BGH MDR 1993, 81. Wechselt mit der Begründung des Antrags auch das Interesse – wie in der Entscheidung BGH NJW 1999, 3564 –, dann handelt es sich um eine unzulässige alternative Klagenhäufung, wenn nicht ein Eventualverhältnis angegeben wird. Vgl. auch BGH NJW 1992, 3243; BGH NJW 1993, 3204; BGH NJW 1999, 2119 f. 307 A.A.: AnwKomm/Mansel/Budzikiewicz, BGB, § 213 Rn. 7. 308 Etwas enger OLG Koblenz, 14.9.2004, 3 U 782/03: Soweit der Vertragsverstoß derselbe bleibe und lediglich der Sachvortrag zur haftungsausfüllenden Kausalität eine Veränderung erfahre, ohne dass die gleiche Schadensart verlassen wird, werde der Streitgegenstand nicht verändert. 309 Vergleichbar BGH LM § 322 ZPO Nr. 136 mit Anm. Grunsky: „Hier ging und geht es in beiden Prozessen um die Rechtsfolgen der Errichtung und mangelhaften Instandhaltung 304
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Verfahrenskonzentration der Aspekt, dass jede Pflichtverletzung für sich bereits den haftungsbegründenden Tatbestand von § 280 I BGB erfüllt, nicht den Ausschlag geben. Durch das Kriterium der Interessenidentität erübrigt sich zugleich die Frage nach der richtigen Abgrenzung des Lebenssachverhaltes. Nicht selten etwa kann im Arzthaftungsprozess die Schädigung des Patienten sowohl auf einen Behandlungs- als auch auf einen Aufklärungsfehler des Arztes zurückgeführt werden. Der BGH310 hat zumindest angedeutet, dass die alternative Haftung wegen eines Behandlungs- und eines Aufklärungsfehlers zu zwei verschiedenen Streitgegenständen führen wird.311 Trotz der nicht zu leugnenden Verknüpfung der Ansprüche lägen räumlich und zeitlich verschieden gelagerte Sachverhalte vor, an welchen auch unterschiedliche Personen beteiligt sein könnten. Auch nach einem Teil der Literatur sei deswegen die Annahme unterschiedlicher prozessualer Ansprüche gerechtfertigt.312 Andererseits verträgt sich diese Aussage kaum mit der Definition des Lebenssachverhalts. Hiernach müssten vielmehr alle in gewissem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang stehenden Fehler während des Behandlungsverlaufs zum selben Lebensvorgang rechnen. Deutlich im Vordergrund des Geschehens steht der Eingriff in die körperliche Integrität. Zu diesem Zeitpunkt muss auch die Einwilligung vorliegen.313 Von der hier vertretenen dogmatischen Warte aus betrachtet erscheint die Annahme eines einheitlichen Streit- und Urteilsgegenstandes gerechtfertigt, wenn durch den Vortrag verschiedener Pflichtverletzungen die Identität des Schadens unangetastet bleibt. Der prozessuale Anspruch erfasst deswegen sämtliche Behandlungs- und Aufklärungsfehler, die zu dieser konkreten Vermögenseinbuße geführt haben sollen.314 Einem beliebigen prozessualen Wechsel zwischen dem Vortrag eines Behandlungsfehlers und der Aufklärungsrüge setzen ohnehin die innerprozessualen Präklusionsnormen (§§ 296, 529 f. ZPO) Grenzen.315 Allerdings spielt der Wechsel zwischen einzelnen Behandlungsfehlern oder zur Aufklärungsrüge nur dann keine Rolle, wenn weiter dieselbe desselben Bauzaunes durch die Bekl. Daß derselbe Sachverhalt sich bei genauerer Kenntnis in einem Punkt anders darstellt, als im Vorprozess angenommen, begrenzt die Rechtskraftwirkung nicht.“ 310 BGH NJW-RR 2007, 414. 311 Vgl. zu dieser Entscheidung Spickhoff, NJW 2007, 1634; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn 11. 312 MünchKomm/Wagner, BGB, § 823 Rn. 749 (bei unterschiedlichen Behandlungsfehlern, die zu ein und demselben Schaden führen, will er aber Streitgegenstandseinheit annehmen); Tempel, NJW 1980, 617. Zustimmend MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 146. 313 Zum Verfahrensgegenstand oben § 25 V 5 f.; Spickhoff, NJW 2007, 1634; ders. NJW 2005, 1701: Der relevante Lebenssachverhalt, den es zu beurteilen gelte, sei in beiden Fällen der durch wirksame oder unwirksame Einwilligung unterlegte, behandlungsfehlerhafte oder behandlungsfehlerfreie Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten; Soergel/Spickhoff, BGB, § 823 Anh I Rn. 102; Staudinger/Hager, BGB, § 823 Rn. 179. 314 Davon ging zu Recht aus: OLG Saarbrücken VersR 2002, 195. 315 Mit Recht Soergel/Spickhoff, BGB, § 823 Anh I Rn. 102.
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Schadensart (z.B. Vermögens- oder Nichtvermögensschaden) im Streit steht.316 „Sachverhaltsorientiert“ ausgedrückt, wird im Hinblick auf denselben Gesundheitsschaden der gesamte Behandlungsvorgang zum Streitgegenstand317, so dass bei rechtskräftiger Abweisung der Schadensersatzklage ein erneutes Verfahren unzulässig ist. Nach dem Gesagten erweist sich auch eine neuere Entscheidung des BGH zur Haftung eines Architekten als unrichtig.318 Hiernach soll der Ersatz desselben Schadens wegen Fehlern bei der Entwurfsplanung und Objektüberwachung erneut geltend gemacht werden können, wenn eine rechtskräftige, abweisende Entscheidung über die Schadensersatzforderung bereits ergangen ist und diese auf eine fehlerhafte Ausführungsplanung begrenzt blieb.319 Ein solches Begrenzungsrecht ist richtigerweise nicht anzuerkennen, weil es lediglich zu unnötigen Prozessverdoppelungen führt. Alle in dem eingeholten Sachverständigengutachten beschriebenen Pflichtverletzungen des Architekten hätten ohne Weiteres im bereits anhängigen Verfahren vorgetragen werden können. Dies war dem Kläger auch ohne Weiteres zumutbar. Die Tatsache, dass die jeweiligen Fehler des Architekten voneinander abgrenzbar waren, kann daran nichts ändern, weil gemeinsamer Bezugspunkt der jeweilige Schaden ist.320
c) Klage aus eigenem und abgetretenem Recht Zu einer Veränderung des Streit- und Urteilsgegenstandes soll es nach der Judikatur führen, wenn der Kläger zunächst aus eigenem und dann aus abgetretenem Recht klagt.321 Hingegen verändere im Falle einer „Sicherungszes316
Soergel/Spickhoff, BGB, § 823 Anh I Rn. 102. MünchKomm/Wagner, BGB, § 823 Rn. 749 weist zu Recht auf den Unterschied zu der an verschiedenen Stellen mangelhaften Bauleistung hin; diese Mängel verkörpern jeweils selbständige Werteinbußen. 318 BGH NJW-RR 2008, 762. 319 Zwar werde nach Ansicht des BGH regelmäßig ein Kläger, der sich wegen eines mangelhaften Architektenwerks auf ein vorprozessual eingeholtes Gutachten beruft, alle im Gutachten genannten Mängel zum Gegenstand des Rechtsstreits erheben. Er könne sich jedoch auch auf einen bestimmten Fehler beschränken. 320 Richtig entschieden hatte dagegen BGH BauR 1998, 333: Verschiedene Mängel des Bauwerks führen zu selbständigen prozessualen Ansprüchen, weil die rechtliche Entwicklung bei jedem von ihnen anders verlaufen kann (Nacherfüllung, Kostenvorschuss). Jedem Sachmangel entspricht richtigerweise ein selbständiger Vermögenswert und damit ein eigenes Interesse. A.A.: BGH NJW-RR 2008, 762; zu Recht kritisch deswegen Zepp, juris-PrivBauR 5/2008 Anm. 1: „Diese Rechtsprechung führt der BGH fort, wo dies wegen des in der Regel allein in Betracht kommenden Schadensersatzanspruchs nicht ohne Weiteres naheliegend ist.“ 321 RGZ 103, 111, 120; 120, 189, 192; BGH NJW 1990, 53, 54; BGH NJW 1999, 1407; BGH NJW 2005, 2005; BGH NJW 2007, 2561; hierzu Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 263 Rn. 9, 10; auch § 264 Rn. 15; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 263 Rn. 15 f. Nach Ansicht von BGH, Urteil v. 7.12.2007 – V ZR 210/06 soll die Ausschlussfrist des § 524 II 2 ZPO auch für eine den Streitgegenstand verändernde Anschlussberufung gelten. 317
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sion“322 die Umstellung des Klageantrags auf Leistung an den Zessionar nach ihrer Offenlegung den Lebenssachverhalt nicht.323 Auch die Rechtskraft einer Entscheidung, welche eine Zahlungsklage abweist, weil die Abtretungserklärung unwirksam war, stehe der Erneuerung dieser Klage, die nun auf eine weitere Abtretungserklärung des Zedenten gestützt wird, entgegen.324 Das vom BGH bemühte Kriterium der Einheit des Sachverhalts ist jedoch für eine trennscharfe Abgrenzung nicht geeignet. Für die Verfahrensidentität in den Konstellationen „Sicherungszession“ und „Überweisungsbeschluss“ spricht, dass die Identität der Forderung und damit das Interesse gewahrt bleibt. Gleiches muss richtigerweise aber gelten, wenn die abgewiesene Zahlungsklage zunächst auf eigenes Recht gestützt und dann unter Hinweis auf eine Abtretung erneuert wird. Die Rechtskraft des klageabweisenden Urteils steht einem erneuten Verfahren lediglich dann nicht entgegen, wenn die Abtretung einer im Vergleich zum früheren Prozess verschiedenen Forderung in Rede steht.325 Ansonsten bleibt die für den Urteilsgegenstand maßgebliche Identität des Interesses gewahrt. Die Begrenzung des Urteilsgegenstandes ist hier zur Verhinderung überraschender Rechtskraftwirkungen nicht notwendig.326 Denn wenn die Frage der Aktivlegitimation des Klägers zweifelhaft erscheint, wird das Gericht hierauf hinweisen (§ 139 ZPO), so dass sich der Vortrag einer Abtretung geradezu aufdrängt.
Sie sei deswegen auch zu beachten, „wenn der Berufungsbeklagte mit der Anschlussberufung eine zu Unrecht zu seinen Gunsten ergangene erstinstanzliche Entscheidung aufrechterhalten wissen will, indem er die Klage nach einem nach Fristablauf erteilten Hinweis des Berufungsgerichts auf einen anderen Klagegrund stützt.“ Dies sei etwa für den Wechsel zwischen einer Anspruchsbegründung aus eigenem und abgetretenen Recht anzunehmen. Unabhängig davon, wie dieser Streit im Hinblick auf den Grundsatz der Waffengleichheit zu entscheiden ist, kann die Frist jedenfalls nicht gelten, wenn das interessenidentische Prozessziel unverändert bleibt. 322 BGH NJW 1999, 2110 (weil von Anfang an derselbe Anspruch Gegenstand des Prozesses sei). 323 Gleiches gelte nach Ansicht des BGH, wenn der Kläger seine Aktivlegitimation zunächst aus einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nach §§ 829 f. ZPO und später aus einer Abtretung der Klageforderung herleite, BGH NJW 2007, 2561. 324 So BGH ZZP 89 (1976), 330, mit zu Unrecht ablehnender Anmerkung von Greger, der die objektiven Grenzen der Rechtskraft auf den vom Gericht festgestellten Sachverhalt begrenzt wissen will. Ganz im Sinne Schwabs, in: FS Bötticher, S. 328 f., sei entscheidend, dass durch den Vortrag neuer Tatsachen der bisherige Subsumtionsschluss unbeschadet bleibe; hierzu auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 225. 325 So Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 223. 326 Mit Recht Bub, Streitgegenstand, S. 178.
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d) Sachmängelgewährleistung Ähnliche Kriterien wie im Schadensrecht gelten im Bereich der Sachmängelgewährleistung. Nach der zweigliedrigen, vom BGH geteilten Streitgegenstandslehre würde jeder neu vom Käufer im Prozess vorgetragene Sachmangel (§ 434 f. BGB) den Klagegrund und damit Streit- und Urteilsgegenstand verändern.327 Zum gleichen Ergebnis, begrenzt auf den Rechtskraftumfang, käme hier auch die relative Streitgegenstandslehre.328 Verschiedene Mängel bedingen unterschiedliche Streitgegenstände, wenn sie innerhalb der jeweiligen Klage unterschiedliche Vermögenspositionen verkörpern329, was – insbesondere für die Rechtskraft – die Annahme unterschiedlicher Urteilsgegenstände nahelegt. Dies gilt für Ausgleichsansprüche330 (z.B. Rückzahlung des Kaufpreises nach Minderung oder Nacherfüllung), mit denen verschiedene mangelbedingte Vermögenseinbußen verwirklicht werden. Jeder einzelne Sachmangel steht für ein selbständiges quantifizierbares Interesse.331 Das materielle Recht bringt dies deutlich zum Ausdruck, wenn § 438 BGB den Lauf der Verjährungsfrist und § 439 BGB den Nacherfüllungsanspruch in Relation zum einzelnen Sachmangel setzt. Anders als die h.A. meint, beruht diese Streitgegenstandsdivergenz nicht darauf, dass der klagebegründende Sachverhalt eine Veränderung erfahren hat. Das Merkmal des (natürlichen) Lebenssachverhalts erweist sich gerade in dieser Konstellation als zu indifferent. Dies gilt auch für den Versuch, den Streitsachverhalt mit Hilfe der Tatbestandsvoraussetzungen materieller Normen abzugrenzen.332 Entscheidend ist vielmehr, dass durch verschiedene mangelbedingte Ausgleichsansprüche jeweils ein unterschiedliches Interesse verwirklicht wird.333 Soweit ein einheitliches Rückzahlungsverlangen des Käufers (§§ 346 I, 437 Nr. 2 BGB) auf unterschiedliche Sachmängel gestützt wird, erfährt das einheitliche Rückabwicklungsinteresse und damit der Verfahrensgegenstand zwar 327 Wenn Entscheidungen dazu fehlen, ob die Einführung eines neuen Mangels in den Prozess ein bloßes Nachschieben oder eine Klageänderung darstellt, hängt dies mit dem Ausschluss der Anfechtungsmöglichkeit nach § 268 ZPO zusammen. 328 Hierzu Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 52 ff. 329 Im Ergebnis auch MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 5 für die Anwendung von § 213 BGB; Bub, Streitgegenstand, S. 353. Deutlich auch BGH BauR 1998, 333: Die Selbständigkeit verschiedener Baumängel sei ähnlich evident wie im Falle verschiedener Schadensarten: „Was schon für die aus demselben Ereignis erwachsenden verschiedenen Schadensarten zutrifft, gilt erst recht für die aus unterschiedlichen Mängeln desselben Bauwerks hergeleiteten Ansprüche, seien sie auf Beseitigung, Kostenerstattung oder Schadensersatz gerichtet.“ Die Streitgegenstandsdivergenz wird hier jedoch wiederum mit der Unterschiedlichkeit des Tatsachenvortrags begründet. 330 Vgl. bereits oben § 25 V 4. Zutreffend Bub, Streitgegenstand, S. 225. 331 Bub, Streitgegenstand, S. 270. 332 Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 46 f. und 50; Henckel, Parteilehre, S. 265, 287. 333 MünchKomm/Grothe, BGB, § 213 Rn. 3: Nicht dasselbe wirtschaftliche Interesse.
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keine Veränderung.334 Fraglich bleibt jedoch, ob dies auch für den Urteilsgegenstand gilt. Wie bereits dargestellt335, hat sich der Umfang der Verjährungshemmung nach § 204 I Nr. 1 BGB am (hypothetischen) Rechtskraftgegenstand zu orientieren, weil nur insoweit die für den Beklagten notwendige Rechtssicherheit erreicht wird. Über den Umfang der Rechtskraft entscheidet aber – anders als im Rahmen des laufenden Verfahrens – die einzelne mangelbedingte Einbuße mit, wenngleich das Rückzahlungsbegehren der Höhe nach unverändert bleibt. Auch eine einmal abgewiesene Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises (§§ 437 Nr. 2, 323, 346 BGB) kann somit durch den Vortrag weiterer Sachmängel erneuert werden.336 Für die stärkere Berücksichtigung des im Mangelunwert verkörperten materiellen Interesses spricht hier, dass mit dem rechtskräftigen Urteil der Prozess wieder in die materielle Rechtsordnung einmündet. Das materielle Recht aber hebt, wie § 437 BGB zeigt, entscheidend auf den konkreten Sachmangel ab. Die Verjährung wird somit ebenfalls nur für die jeweils ins Verfahren eingeführten Sachmängel gehemmt (§ 204 I Nr. 1 BGB). Die Rechtslage ist hier anders als beim Vortrag verschiedener (anwaltlicher) Pflichtverletzungen, die denselben Schaden verursacht haben, weil das Gesetz deutlich zeigt (§§ 438, 439 BGB), dass jeder Sachmangel nicht nur eine selbständige Vertragsverletzung, sondern auch eine eigenständige, rechtlich erhebliche Vermögenseinbuße darstellt. Diese materielle Wertung ist bei der Bestimmung des Urteilsgegenstandes zu berücksichtigen. Hingegen kann nicht jeder anwaltlichen Pflichtverletzung automatisch ein abgrenzbarer Schadensposten zugeordnet werden. Divergieren indes bereits die Klageanträge, greift die Rechtskraftsperre auch dann nicht ein, wenn jeweils der identische Sachmangel gerügt wird. Klagt etwa der Käufer auf Nacherfüllung und wird die Klage abgewiesen, weil er den Mangel im Prozess nicht beweisen kann, dann wäre eine zweite Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises, gestützt auf denselben Sachmangel, dessen Existenz ein Gutachten inzwischen erwiesen hat, nicht unzulässig (§ 322 I ZPO). Die Klage wäre indes im Beispiel unbegründet, weil die rechtskräftige Ablehnung eines Nacherfüllungsanspruchs für das mangelbedingte Rückzahlungsverlangen vorgreiflich ist.337 Anderes gilt für sachmängelbedingte Rückzahlungsklagen, die gestützt auf denselben Sachmangel bereits im Antrag übereinstimmen. Wird etwa eine auf einen Rücktritt gestützte Rückzahlungsklage des Käufers abgewiesen, dann scheitert eine weitere Rückzahlungsklage wegen Minderung 334 Oben § 25 V 4; a.A.: Bub, Streitgegenstand, S. 268 f., der zwar betont, dass bei der Rückzahlung des Kaufpreises trotz verschiedener Sachmängel das Interesse identisch bleibe. Jedoch werde der Streitgegenstand auf den jeweils vorgetragenen Sachmangel begrenzt. 335 Vgl. § 23 II 6. 336 Allgemein zu diesem Themenkreis Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 520 ff.; Bub, Streitgegenstand, S. 117 ff. 337 Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 528 ff.
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an der Rechtskraftsperre, soweit sich die Anträge decken.338 Dies wäre nur anders, wenn das Gericht den Rücktritt aufgrund der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung (§ 323 V 2 BGB) als ausgeschlossen betrachtete und sich die Klageabweisung auf diesen Aspekt beschränkte. Denn auf das Recht zur Minderung hat dies keinen Einfluss, § 441 I 2 BGB.
e) Ansprüche im Alternativverhältnis Die Identität des Interesses bleibt auch gewahrt, wenn Anspruchsgrundlagen sich bereits tatbestandlich gegenseitig ausschließen.339 Dies zeigt etwa deutlich die Konstellation, dass der Verkäufer die Zahlungsklage für den an den Käufer gelieferten Wein zunächst auf den Kaufvertrag und alsbald auf den Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung stützt. Damit steht im „Weinfall“340 der auf § 812 I, § 818 I, II BGB gestützten Klage des Verkäufers die rechtskräftig abgewiesene Kaufpreisklage (§ 433 II BGB) stets entgegen.341 Die an diesem Ergebnis aus unterschiedlichsten Motiven geübte Kritik 342 ist unberechtigt. Der Kläger wird auch nicht dafür bestraft, dass er im Vorprozess die Tatsache des Weinverbrauchs nicht vorgetragen hat, wenn diese Tatsache aus der Sphäre des Beklagten ihm unbekannt geblieben ist. Denn dem Kläger ist es, nachdem die Unwirksamkeit des Kaufvertrags offenbar geworden ist, zumindest zumutbar, seinen Klageantrag auf Rückgabe des Weins (§ 812 I BGB, § 818 I BGB) umzustellen. Diese Klageänderung wäre sachdienlich im Sinne von § 263 ZPO, so dass die noch unbekannte Tatsache des Verbrauchs auf Vortrag des Beklagten hin Erwähnung finden würde343, womit ein Übergang auf den Zahlungsantrag wieder möglich wäre (§ 264 Nr. 3 ZPO). Diese Sichtweise fördert zweifellos die Verfahrenskonzentration und trägt zur raschen Klärung des Streites bei. Vom hier vertretenen Standpunkt aus ergibt sich die Streitgegenstandsidentät im Beispiel unzweifelhaft aus der Vorstellung eines einheitlichen Interesses.344 338
Ebenso Bub, Streitgegenstand, S. 290 ff. So auch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 32 ff., 73 ff. 340 Vgl. oben § 10 IV 1b. 341 Richtig: Habscheid, Streitgegenstand, S. 295 f.; ders., in: FS Schwab, S. 187. Ähnlich BGH NJW 1981, 2307; vergleichbar BGH NJW 1990, 1795. 342 Etwa Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 8 f.; Brox, JuS 1962, 125. 343 Zumindest nach Hinweis (§ 139 ZPO) hätte er seinen Antrag ohne Weiteres wiederum im erstgenannten Sinne, also Zahlung von Geld, konkretisieren können. 344 Anders aber Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 338, 75 f.; Henckel, Parteilehre, S. 290 f. Folgt man dem nicht, erscheint die globale Lehre Habscheids insoweit gegenüber den „begrenzten“ zweigliedrigen Lehren noch vorzugswürdiger, wenngleich sie einen erheblichen Unsicherheitsfaktor enthält. So nimmt Habscheid, Streitgegenstand, S. 154, 215, zwar im „Weinfall“ einen einheitlichen Streitgegenstand an, nicht aber im „KaufpreisWechsel-Fall“, S. 215, obgleich dieser Unterschied mit der Einheit oder Verschiedenheit des Sachverhalts kaum erklärbar ist; mit Recht Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 218. Streitgegenstandseinheit liegt deswegen m.E. auch in der von BGH NJW 1990, 1795, entschiedenen Konstellation vor (Vertragsanspruch und Kondiktionsanspruch). 339
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f) Abgrenzbarkeit des Interesses, insbesondere: Schadensarten Vereinzelt findet – unter dem Schleier des Lebenssachverhalts – der Gedanke eines abgrenzbaren Streitinteresses in der Rechtsprechung des BGH bereits Verwendung. So führen nach Ansicht der Judikatur345 verschiedene Schadensposten auch zu unterschiedlichen prozessualen Ansprüchen. Hingegen soll die Streitgegenstandsidentität beim Vortrag unselbständiger Rechnungsposten bzw. bei unterschiedlichen Berechnungsmöglichkeiten im Rahmen einer Schadensart gewahrt bleiben.346 Im Ergebnis differenziert die Judikatur zwischen fünf verschiedenen Schadensarten, die jeweils verschiedene prozessuale Ansprüche bedingen:347 Der Ersatz des immateriellen Schadens wird zunächst vom reinen Vermögensschaden unterschieden.348 So hat denn bereits das RG349 die Selbständigkeit des auf Ersatz des immateriellen Interesses gerichteten Anspruchs nach § 847 BGB a.F. bestätigt.350 Innerhalb der Vermögensschäden wird weiter zwischen Sach- und Personenschäden differenziert, wobei es bei Personenschäden noch zu weiteren Aufspaltungen kommt. Selbständige pro345 RGZ 149, 157, 167; RGZ 157, 321, 330; 170, 37, 39; BGHZ 30, 7, 18; BGH NJW 1958, 343; BGH NJW 1984, 2346, 2347; BGH NJW-RR 1991, 1279; BGH NJW 1996, 891, 892; BGH NJW 1992, 2753, 2754 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 73; MünchKomm/G. Wagner, BGB, § 843 Rn. 69. 346 Nicht § 263 ZPO unterfällt deswegen eine Veränderung des Schadensberechnungsansatzes, wie die Umstellung von einer abstrakten auf eine konkrete Berechnungsmethode, BGH NJW 1985, 1840 f.; BGH NJW 1984, 2347 (unterschiedliche prozessuale Ansprüche: Gaststätteninventar – private Gegenstände – Verdienstausfallschaden): „Für das Verhältnis Gaststätteninventar – privater Hausrat folgt dies schon daraus, dass … im Hinblick auf die Hausratsversicherung zumindest teilweise eine unterschiedliche Forderungszuständigkeit in Betracht kommt. Solche unterschiedlichen Entwicklungen in der Anspruchsinhaberschaft sprechen regelmäßig für einen prozessual selbständigen Ersatzanspruch und gegen einen unselbständigen Schadensrechnungsposten.“ Entscheidend ist, ob eine selbständige Gruppierung wertungsmäßig sinnvoll ist. 347 Vgl. Bamberger/Roth/Spickhoff, BGB, Art. 40 EGBGB Rn. 2: Heilungskosten, vermehrte Bedürfnisse, Erwerbsausfall, Schmerzensgeld und Sachschaden (dort auch zur Rechtsnatur des Optionsrechts nach Art. 40 S. 2 EGBGB). 348 „Denn der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens besteht gegebenenfalls selbstständig neben demjenigen auf Ersatz des Vermögensschadens und muss auch selbständig und ausdrücklich neben den Ansprüchen auf Ersatz des Vermögensschadens geltend gemacht werden, wobei allerdings eine Klage auf Feststellung der gesamten Schadenspflicht ihn umfassen würde“, BGH NJW 1959, 1269 (Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts). Es darf wohl angenommen werden, dass sich für § 253 II BGB n.F. hieran nichts geändert hat, BGH NJW 1958, 343. Vgl. auch BGH NJW 1993, 2173; BGH NJW 1998, 1786: Schmerzensgeld wegen Schleudertraumas der Halswirbelsäule und wegen Psychose infolge des Unfalls; BGH LM BGB § 847 Nr. 3. Zu verjährungsrechtlichen Schwierigkeiten BGH NJW 1984, 2346 f. Zur Selbständigkeit vermögensrechtlicher und immaterieller Ausgleichsforderungen im Übrigen bereits RGZ 37, 39. 349 RGZ 149, 157, 167. 350 „Er bildet mit den wirtschaftlichen Ansprüchen aus §§ 842, 843 keine rechtliche Einheit“, RGZ, 149, 157 f.
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zessuale Ansprüche bilden demnach auch die Forderung nach Ausgleich für die Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit (§§ 842, 843 BGB: vermehrte Bedürfnisse), der Ersatz für die entstandenen Heilungskosten (§ 249 BGB)351 und der Verdienstausfall. Eine weitere Differenzierung wird vereinzelt im Verhältnis von Erwerbsschaden und Mehrbedarfsrente vertreten.352 Ein ergänzender Vortrag zur haftungsausfüllenden Kausalität ändert den Sachverhalt nicht, wenn er lediglich einzelne Posten des gleichen Schadens betrifft 353, selbst „wenn die sachlichen Voraussetzungen teilweise unterschiedlich sind…“.354 Das in der Judikatur bemühte Merkmal der Selbständigkeit weist auf den für die Interessendivergenz maßgeblichen Aspekt hin. Entscheidend ist hierbei, ob eine selbständige Gruppierung wertungsmäßig sinnvoll durchgeführt werden kann. Diese Grundsätze gelten richtigerweise nicht nur für die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes355, sondern auch für die Bestimmung der Grenzen des Urteilsgegenstandes. Die Selbständigkeit des Interesses356 wird nach einfachen, rechtlich intendierten Kriterien bestimmt (Vermögensschaden, immaterieller Schaden etc.). Der Hinweis auf den im Rahmen der Schadensausfüllung veränderten Tatsachenvortrag kann nicht verbergen, dass bei einem einheitlichen Unfallgeschehen an sich die Annahme eines einheitlichen Lebenssachverhalts nahe läge. Tragfähig erscheint deswegen allein der Hinweis auf die unterschiedlichen materiellen und immateriellen Einbußen, die der Geschädigte hinnehmen muss und die ihrer Art nach eindeutig und auf sinnvolle Weise gegeneinander abgegrenzt werden können. Dass hierbei ein Bewertungsspielraum besteht, ist hinzunehmen und jeder Streitgegenstandsbestimmung immanent.
g) Einheit des Leistungsobjekts: Beispiel Räumungsklage Nach h.A. kann der Vermieter einer Wohnung eine rechtskräftig abgewiesene Räumungsklage erneuern, wenn diese auf einen weiteren, aber während des früheren Räumungsprozesses bereits gegebenen Kündigungstatbestand gestützt 351
BGH NJW 1958, 343. So MünchKomm/G. Wagner, BGB, § 843 Rn. 69, unter anderem mit Hinweis darauf, dass nur die Erwerbsschadensrente der Einkommenssteuer unterliege (vgl. § 843 I 1. und 2. Alt. BGB); anders BGH NJW 1974, 41 (ein Streitgegenstand), Erwerbsschaden und Mehrbedarf bilden nur Teilglieder eines einheitlichen Schadensersatzanspruches. 353 BGH NJW-RR 2006, 253; ebenso BGH NJW-RR 1991, 1279. 354 BGH NJW-RR 2006, 253. Bezeichnend sind hier die Ausführungen zur Bedeutung des Lebenssachverhalts: „Eine i.S. von § 263 ZPO relevante Veränderung des Lebenssachverhalts … liegt im vorliegenden Fall nicht darin, dass der Kl. in Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens die sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nicht nur auf die Vorgänge des Jahres 1997, sondern nunmehr auch auf weitere Vorgänge gestützt hat, die bereits im Jahre 1996 stattgefunden haben sollen. Denn ersichtlich handelt es sich dabei insgesamt um einen einheitlichen Lebenssachverhalt einer die mitgliedschaftlichen Interessen des Kl. verletzenden, systematischen Aushöhlung des Geschäftsbetriebs der R-GmbH …“. 355 Oben § 25 V 5. 356 BGH NJW-RR 1991, 1280. 352
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wird.357 Richtigerweise umfasst der Räumungsstreit sämtliche Kündigungen, die bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ausgesprochen wurden. Das einheitliche Interesse des Vermieters an der Räumung der Wohnung lässt sich somit in den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft nicht auf verschiedene Prozesse aufspalten. Anders als im Bereich der Sachmängelhaftung kommt dem einzelnen Kündigungsgrund auch kein selbständiger Eigenwert zu, der eine rechtskraftindizierte Segmentierung des Räumungsinteresses rechtfertigen könnte. Somit umfasst der Räumungsstreit sämtliche Kündigungen, die bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ausgesprochen wurden. Das einheitliche Interesse des Vermieters an der Räumung der Wohnung erlaubt es – in den Grenzen von § 296 ZPO – jederzeit, neue Kündigungsgründe in das Verfahren einzubeziehen. Nach Rechtskraft der klageabweisenden Entscheidung muss der Mieter somit nicht befürchten, dass der Vermieter sein Räumungsverlangen mit Kündigungsgründen erfolgreich erneuert, die bereits beim Schluss der mündlichen Verhandlung vorlagen.358 Anders als im Rahmen von § 767 II ZPO kann es hier auch keine Rolle spielen, dass der volle Kündigungstatbestand erst mit der Erklärung eintritt. Denn im Rahmen der Räumungsklage entscheidet der Kläger selbst aktiv darüber, wann und mit welchem Tatsachenstoff er sein Begehren begründen will.359 Entscheidend ist also der Zeitpunkt, in dem das Gestaltungsrecht erstmals ausgeübt werden konnte und nicht, in welchem es erstmals ausgeübt wurde. Die Situation ist eine andere, wenn das für eine Kündigung zunächst nicht ausreichende Verhalten nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung fortgesetzt wird. Liegt hierin eine neue Tatsache, welche die Klage nachträglich begründet erscheinen lässt, dann erlauben bereits die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft eine neue Entscheidung.360 Die vom BGH361 in einer Entscheidung 357 OLG Zweibrücken OLGZ 1981, 350; LG Hamburg, NZM 1999, 464. Oberhammer, JBl 2000, 221, versucht hingegen mit der Rechtskraftpräklusion gegen die Zweitklage anzukämpfen: „Geht man dabei mit der h.M. davon aus, dass bei zwei Kündigungen zu verschiedenen Terminen keine Identität der Begehren vorliegt, so muss m.E. jedenfalls die Präklusionswirkung der Abweisung der ersten Kündigung verhindern, dass der Bestandgeber denselben abgeschlossenen Sachverhalt erfolgreich zum Gegenstand weiterer Kündigungen macht, mit welchen er die vom Beklagten rechtskräftig ersiegte Abweisung der ersten Klage konterkariert.“ 358 A.A.: Gottwald/Pfaller zu BGH LM BGB § 553 Nr. 16, mit der Argumentation, der Vermieter muss den Sachverhalt während des Räumungsprozesses nicht umfassend erforschen, weil es ihm nur schwer möglich sein wird, das Verhalten des Mieters umfassend zu eruieren. 359 Vgl. Bub, Streitgegenstand, S. 329 ff.; Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 527. 360 Zum Streit, ob sich auch der Streitgegenstand ändert: Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 244; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 152 (bejahend); a.A.: Leipold, in: FS Mitsopoulos, S. 798, 707. 361 Vgl. BGH NZM 1998, 34 (Umwandlung einer Erotik-Nachtbar in einen bordellähnlichen Betrieb).
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angeführte Argumentation, dass der neue Tatsachenvortrag („Förderung der Prostitution“) mit dem des Vorprozesses („Beschäftigen der Damen zum Animieren und mehr“) nicht identisch sei, und damit ein anderer Klagegrund vorläge, ist deswegen unnötig.
V. Tatsachenpräklusion, allgemeine Präklusion und „rechtskraftfremde Präklusion“ Zu untersuchen bleibt, ob im Hinblick auf den am geltend gemachten Interesse orientierten Urteilsgegenstand sinnvollerweise zwischen einer engeren Rechtskraftpräklusion und einer allgemeinen Präklusion differenziert werden sollte. Damit ist die Frage angesprochen, ob die richterliche Entscheidung und deren Rechtskraftwirkung sich innerhalb des Streitgegenstands nur auf die tatsächlich vorgetragenen Tatsachen beziehen kann oder auch nicht vorgebrachte Tatsachen erfassen muss.362 Mit der sog. rechtskraftfremden Präklusion, welche die Grenzen des Streitgegenstands überschreitet (vgl. etwa § 145 PatG), hat diese Fragestellung aber nichts gemein.363 Die von Rosenberg 364 eingeleitete Trennung von Rechtskraftpräklusion und allgemeiner Präklusion bei Identität des Streitgegenstands hat Habscheid vollendet: „Mögen auch die objektiven Grenzen des Lebenssachverhalts für die Fragen um Klagehäufung, Klageänderung und Rechtshängigkeit von entscheidender Bedeutung sein, so kann doch nicht übersehen werden, dass die Entscheidung nur den mit Tatsachen ausgefüllten Lebenssachverhalt zu ihrer Grundlage machen kann. Nur soweit kann in tatsächlicher Hinsicht entschieden werden, als Tatsachen vorgebracht sind. Nur insoweit erwächst das Urteil in materielle Rechtskraft.“365
Wäre etwa der Kläger mit seiner auf die Entziehung des Eigentums gestützten Schadensersatzklage (§ 823 I BGB) abgewiesen worden, stünde die Rechtskraft der Erhebung einer neuen Klage nicht entgegen, die nun auf die Veräußerung der entzogenen Sache (§§ 687 II, 816 I BGB) gestützt würde.366 Jedoch verhindere eine allgemeine Präklusion eine neue Klage, weil das neue Vorbringen zum Sachverhalt des früheren Prozesses als solchem rechnen würde.367 Damit wäre indes die objektive Rechtskraftwirkung als prozessuales Institut massiv entwertet.368 Deren Grenzen würden, wie es Bötticher treffend for362
Auch oben § 9 II, III. Näher hierzu MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 168. 364 Rosenberg, SJZ 1950, 314. 365 Habscheid, Streitgegenstand, S. 289 f. 366 Habscheid, Streitgegenstand, S. 290. 367 Habscheid, Streitgegenstand, S. 295. 368 Bötticher, FamRZ 1957, 410 f.; ablehnend auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 218 f. 363
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muliert hat, nicht mehr am Streitgegenstand, sondern danach ausgerichtet, was tatsächlich „Entscheidungsgrundlage“ des Urteils war.369 So könnte der Kläger, ohne durch die Rechtskraft gebunden zu sein, sich im Rahmen der Eigentumsfeststellungsklage noch auf den Erwerbsgrund Ersitzung berufen, wenn im vorherigen Prozess nur der Erwerbsgrund der Übereignung verneint worden wäre.370 Die These Habscheids verkennt den eigentlichen Gedanken der Rechtskraft. Die von ihm hilfsweise ins Leben gerufene allgemeine Präklusion für nicht vorgebrachten Prozessstoff bildet hierfür keinen natürlichen Ersatz.371 Denn diese als besondere Urteilswirkung gedeutete Erscheinung begründet Habscheid gerade mit Überlegungen, etwa der Wiederherstellung des Rechtsfriedens, die typischerweise der Rechtskraft zugeschrieben werden. Ebenso wie sich der Beklagte darauf einstellen muss, nach seiner Verurteilung mit allen nicht vorgetragenen Einwendungen abgeschnitten zu sein372, so bleibt durch die rechtskräftige Abweisung auch der Kläger mit allen klagebegründenden Tatsachen ausgeschlossen. An dem so ermittelten Präklusionsumfang kann auch die Verhandlungsmaxime nichts ändern.373 Das Rechtskraftopfer orientiert sich nicht an dem Tatsachenstoff, den der Richter in seiner Entscheidung tatsächlich gewürdigt hat, sondern an dem, was die Parteien im Prozess verspielen: den Streitgegenstand. Alle zum Streitgegenstand gehörenden Tatsachen werden von der Rechtskraft erfasst, sofern diese im Augenblick der letzten Tatsachenverhandlung objektiv bereits vorlagen.374 Insoweit geht die Behauptung Habscheids, wonach die Abschneidung des nicht vorgebrachten Stoffes durch die materielle Rechtskraft dem Inhalt des Urteils „Gewalt antue“375, an der Sache vorbei. Auch mit den Besonderheiten der richterlichen Entscheidung lässt sich eine derart verengte Sichtweise nicht begründen. Der Richter entscheidet nicht 369 Bötticher, FamRZ 1957, 410 f. Die Gleichung von Streitgegenstand und Umfang der Rechtskraft wäre aufgehoben. In diesem Sinne auch Grunsky, Grundlagen, § 47 IV 1, S. 442. 370 Ablehnend MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 146, 149. 371 Bötticher, FamRZ 1957, 412. 372 Im deutschen Recht fehlt dazu eine ausdrückliche Regelung; anders etwa im hellenischen Recht (Art. 330 hlZPGB): „Die Rechtskraft umfaßt auch die geltend gemachten Einwände, und auch diejenigen, welche hätten geltend gemacht werden können, aber nicht geltend gemacht worden sind.“ Ausgenommen sind die nicht geltend gemachten Einwände, die auf einem selbständigen Recht beruhen. 373 Habscheid, Streitgegenstand, S. 290. Hiergegen Bötticher, FamRZ 1957, 412: „Dass der Richter über nicht vorgetragene Entstehungsgründe des vom Kläger behaupteten Rechts nicht entscheiden könne, weil die Verhandlungsmaxime ihn daran hindere, bei seiner Entscheidung auf andere Facta als die von den Parteien vorgebrachten zurückzugreifen, kann die Schmälerung der Rechtskraft keinesfalls rechtfertigen: Der Richter entscheidet in jedem Falle über die vom Kläger aufgestellte Rechtsbehauptung. Die Parteien, für die diese Rechtsbehauptung auf dem Spiele steht, sind infolge der Verhandlungsmaxime gehalten, alle für oder gegen die Behauptung sprechenden Tatsachen vorzutragen, und haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn eine ihnen günstige Tatsache nicht zur Kenntnis des Richters gelangt.“ 374 BGH NJW 1995, 967. 375 Habscheid, Streitgegenstand, S. 284 f.
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über Tatsachen, sondern über den Streitgegenstand. 376 Die Differenzierung zwischen einer Rechtskraftpräklusion und einer subsidiären allgemeinen Präklusion des bisher nicht vorgebrachten, aber zum Streitgegenstand rechnenden Tatsachenmaterials ist weder dogmatisch haltbar noch praktisch erforderlich.377 Sowohl der Ausschluss von Alttatsachen als auch die Präklusionswirkung nicht vorgetragenen Tatsachenmaterials ist Ausdruck der Maßgeblichkeit der Entscheidung über den Streitgegenstand. Das Gericht entscheidet über das Interesse des Klägers als solches (vgl. § 286 ZPO: „unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen“378). Die Tatsachenpräklusion erfasst somit auch alle Tatsachen, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung objektiv vorhanden waren und die dieses Interesse stützten.
VI. Globaler Streitgegenstand und richterliche Aufklärungspflicht Zwischen dem Umfang der Rechtskraftpräklusion und der richterlichen Instruktionspflicht (§ 139 ZPO) wird eine logische Verbindung dergestalt behauptet, dass der Richter in den Grenzen des Streitgegenstands zur sorgfältigen und gewissenhaften Aufklärung angehalten sei und nur insoweit der Präklusionsumfang reiche. Der Rechtskrafteinwand setze die richterliche Aufklärungspflicht und die Ergänzungsbefugnis des Klägers gerade voraus.379 Die Formulierung eines globalen Streitgegenstands, wie sie im Rahmen dieser Studie vertreten wird, könnte somit auch eine Erweiterung der richterlichen Instruktionstätigkeit bedingen.380 Insoweit wurde aber bereits festgestellt, dass der Richter auch zu Antragsänderungen anzuregen verpflichtet ist (§ 139 ZPO), die dasselbe Interesse nur in anderer Form verwirklichen helfen.381 376 Auch § 767 II ZPO kann hierbei kein Argument gegen die exceptio rei iudicata und für eine allgemeine Präklusion entnommen werden. 377 Überzeugend MünchKomm/Gottwald, BGB, § 322 Rn. 146. 378 MünchKomm/Gottwald, BGB, § 322 Rn. 146, weist mit Recht darauf hin, dass es nicht nur auf Vorgetragenes ankomme, da der Richter etwa auch sein allgemeines Erfahrungswissen und offenkundige Einzeltatsachen mit einbringe. 379 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 235. 380 Yoshimura, ZZP 83 (1970), 245: „An dieser Stelle wird nicht verkannt, dass bei Geltung des Verhandlungsgrundsatzes die Gefahr besteht, dass sich infolge einer zu weiten Fassung des Umfangs des Streitgegenstands die Präklusionswirkung der Rechtskraft auch auf wesentliche, in den Prozess nicht eingeführte Teile des Streitstoffs erstreckt und damit für die unterliegende Partei zu unbilligen Härten führt.“ Andererseits entscheidet der Kläger in den Grenzen der Verjährungsfrist selbst, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Tatsachenvortrag er Klage erhebt, so dass ihm dieses Risiko zumutbar erscheint. 381 Oben (zum Verfahrensgegenstand) § 25 VI 3.
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Auf der Tatsachenebene gilt diese richterliche Instruktionsbefugnis nur in beschränktem Maße. Denn der Verhandlungsgrundsatz setzt der richterlichen Aufklärungstätigkeit natürliche Grenzen.382 So ist das Gericht durch das Verbot unzulässiger Parteihilfe selbst im Rahmen desselben Interesses gehindert, darauf hinzuwirken, dass der Kläger neue Tatsachenkomplexe einführt, die im bisherigen Vortrag noch nicht einmal andeutungsweise angeklungen sind, weil es andernfalls die Ablehnung wegen Befangenheit riskiert.383 Dies gilt insbesondere, wenn es die Distanz zu den Parteien aufgibt und faktisch zum Berater einer Seite wird.384 Ist etwa eine Räumungsklage vom Vermieter auf einen bestimmten Kündigungsgrund gestützt worden, dann besteht für den Richter noch kein Anlass, den Kläger auf einen (möglichen) weiteren selbständigen Kündigungstatbestand hinzuweisen, ohne dass sich hierfür im Vortrag einer Partei bisher Anhaltspunkte fanden. Mit Hinweisen zu völlig neuem tatsächlichem Vorbringen wird die Grenze zur Neutralität überschritten. Nach der amtlichen Begründung des ZPO-RG ist es nicht Aufgabe des Richters, neue Anspruchsgrundlagen oder Einreden in den Prozess einzuführen. Ein Hinweis des Gerichts muss sich deswegen „zumindest andeutungsweise“ auf den bisherigen Parteivortrag gründen lassen.385 Der Hinweis auf eine neue, die Klage stützende Rechtsgrundlage wird aber zulässig sein, wenn hierzu kein völlig neuer Tatsachenvortrag erforderlich wird (§ 139 II ZPO). Fraglich bleibt somit, ob die Grenzen der richterlichen Aufklärungspflicht, die sich ihrerseits an dem von den Parteien vorgebrachten Tatsachenstoff zu orientieren haben, zu einer Einschränkung des Urteilsgegenstandes führen müssen. Rimmels pacher 386 will hier wie folgt unterscheiden: Seiner Ansicht nach wird der Umfang der negativen Rechtskraftwirkung vor allem durch den Umfang der richterlichen Entscheidungsbefugnis im Erstprozess begrenzt. Diese wiederum hänge davon ab, ob der vom Kläger eingeführte Prozessstoff nur Anhaltspunkte für eine oder mehrere „Schutznormen“ (Anspruchsgrundlagen) biete. Denn wenn das Tatsachenmaterial nur Hinweise auf eine Schutznorm biete, könne das Gericht auch nur über diese entscheiden und die Rechtskraft bleibe hierauf begrenzt.387 Eine Erweiterung der Rechtskraftwirkung auf an382
Musielak/Stadler, ZPO, § 139 Rn. 1: „Richtig verstandene Richteraktivität durchbricht nicht die Verhandlungsmaxime durch ein inquisitorisches Element oder verändert sie zur Kooperationsmaxime, sondern modifiziert den Beibringungsgrundsatz nur durch das Gebot richterlicher Hilfestellung.“ 383 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 Rn. 52. 384 BGH MDR 2004, 167. 385 BT-Drs. 14/4722, S. 77. 386 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 229 f.; vgl. auch Yoshimura, ZZP 83 (1970), 245. 387 Dies gelte auch für Tatbestandsmerkmale, die den gesetzlichen Tatbestand unabhängig voneinander gleichwertig verwirklichen (etwa mehrere Kündigungstatbestände bei einer Räumungsklage).
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dere Schutznormen wäre nur vertretbar, „wenn das Gericht den Kläger zur Ergänzung aufzufordern gehalten und der Kläger prozessual zur Einführung des anderen Klagegrundes imstande wäre“, was nicht anzunehmen sei. Die richterliche Aufklärungspflicht gebiete aber nicht, „den Kläger zur Aufstellung ihm günstiger neuer Behauptungen zu veranlassen, die einen anderen Klagegrund bilden.“388 Der Richter müsse die Parteien nur zum vollständigen Tatsachenvortrag anhalten. Die Rechtslage sei hingegen anders, wenn der Klägervortrag von Anfang an unter mehrere Schutznormen subsumiert werden könnte. Dies sei anzunehmen, wenn die Anspruchsgrundlagen sich in ihren Tatbestandsvoraussetzungen teilweise überschneiden oder vollständig unterscheiden. Die Kognitionsbefugnis sei dann nicht im Hinblick auf den konkret eingeführten Prozessstoff begrenzt, vielmehr könnte an dieser Stelle das richterliche Ergänzungsrecht ansetzen (§§ 139, 264 Nr. 1 ZPO). Gegen das Eingreifen der Rechtskraftsperre sei hier nichts einzuwenden. In gleicher Weise will Bub389 zwischen aufeinander aufbauenden und selbständigen Tatsachenkomplexen differenzieren. Nur im ersten Fall bestünde Anlass für richterliche Aufklärung, so dass umgekehrt die Rechtskraftsperre im Zweitprozess gerechtfertigt sei. Zur ersten Gruppe zähle etwa der Fall, dass der Kläger vom Beklagten Schadensersatz für eine erlittene Verletzung aufgrund eines Unfalls bei einer gemeinsamen Autofahrt verlange. Hier liege es aus Sicht des Richters nahe, neben einer deliktischen Handlung des Beklagten auch einen Anspruch aus § 280 I BGB (wegen vertraglicher Beziehungen) in Erwägung zu ziehen. Der Grundsatz, dass Tatsachen, für deren Vortrag von Seiten des Klägers kein Anlass bestand, vom Rechtskraftumfang auszunehmen seien, gelte somit nicht für Tatsachen, hinsichtlich derer es dem Gericht objektiv möglich war und durch die richterliche Hinweispflicht nach § 139 ZPO, § 264 Nr. 1 ZPO geboten, den Kläger zum Vortrag anzuregen. Hier drohten keine unerwarteten Rechtskraftwirkungen. Die auf den ersten Blick gefällige Ausrichtung der Rechtskraftwirkung eines klageabweisenden Urteils an den Grenzen der richterlichen Tatsachenaufklärung überzeugt aber letztlich nicht.390 Denn damit wäre der Umfang des Urteilsgegenstandes an eine weitere unsichere Komponente gebunden. Die Abgrenzung zwischen zulässiger richterlicher Hilfe und Verletzung der Neutralitätspflicht ist im Einzelfall mit erheblichen Unsicherheiten belastet, die bereits häufig auch das BVerfG beschäftigt haben. Deswegen erscheint es auch für die Bemessung der Rechtskraftgrenzen richtig, am Kriterium des beanspruchten Interesses festzuhalten. Der Kläger wird hier im Falle eines klageabweisenden Urteils typischerweise nicht vom Verlust anderer, dasselbe Interesse stützen388
Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 229 f. Bub, Streitgegenstand, S. 177 f. 390 A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 68, meint hingegen, dass die Reichweite der richterlichen Fragepflicht zur Bestimmung des Rechtskraftumfangs nichts positiv beitragen könne. 389
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der Klagegründe überrascht werden, steht im Zentrum des Streits doch nicht der Klagegrund, sondern die jeweilige zu verwirklichende Position. Aus diesem Grunde bedeutet dieser Ausschluss eines Zweitverfahrens bei gleichbleibendem Interesse für den Kläger auch dann keine unzumutbare Belastung, wenn die Pflicht zur richterlichen Neutralität es verbot, den Kläger auf einen bestimmten Klagegrund hinzuweisen. Eine erneute Räumungsklage bleibt nach rechtskräftiger Abweisung im Vorprozess also auch dann ausgeschlossen, wenn neben dem vorgebrachten (§ 543 II Nr. 2 BGB) ein weiterer Kündigungsgrund beim Schluss der mündlichen Verhandlung bereits objektiv angelegt war (§ 543 II Nr. 3 BGB), der Richter aber aufgrund der Verhandlungsmaxime an einem Hinweis gehindert war.
VII. Gleichlauf bei stattgebender und abweisender Entscheidung Die Ausrichtung des Urteilsgegenstandes am Interesse hilft darüber hinaus, eine weitere Unstimmigkeit zu vermeiden: Nach h.L. hindert die materielle Rechtskraft den Kläger trotz Interessenidentität nicht, eine bereits zugesprochene Leistung ein zweites Mal einzuklagen und sich hierzu auf einen anderen Klagegrund zu berufen. War die Zahlungsklage im Hinblick auf das vom Kläger behauptete Darlehen bereits erfolgreich, so stünde einer Klage aus dem über die Darlehensvaluta ausgestellten Wechsel die Rechtskraft selbst dann nicht entgegen, wenn die Ausstellung des Wechsels im Vorprozess schon Erwähnung fand. Stattdessen wird die Gefahr einer doppelten Verurteilung und Vollstreckung unter Hinweis auf das fehlende Rechtschutzbedürfnis der Zweitklage gebannt.391 Diese Lösung des Konkurrenzproblems überzeugt in dogmatischer Hinsicht nicht.392 Die prozessuale Allzweckwaffe „fehlendes Rechtsschutzbe391 „Aber da er nicht die zweimalige Verurteilung wegen derselben Leistung verlangen kann, wird ihm für eine Leistungsklage das Rechtsschutzinteresse fehlen. Und ist die Leistung aufgrund des ersten Urteils erbracht, so ist auch der konkurrierende Anspruch erloschen“, Nikisch, Streitgegenstand, S. 153. Nach Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 259, gelte Gleiches auch für die obligatorische Rückgabeverpflichtung aus § 546 BGB im Verhältnis zum dinglichen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB. Die Rechtskraft spreche hier weder gegen noch für die Verneinung des anderen Rechts. Der Umstand, dass beide Ansprüche auf dasselbe wirtschaftliche Ziel gerichtet seien, führe nur dazu, dass der zweiten Klage das Rechtsschutzinteresse zu versagen sei. Allgemein soll das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn bereits ein Urteil vorliegt, aus dem der Kläger die Zwangsvollstreckung betreiben kann, BGH MDR 1958, 125; BGH NJW 1957, 1111; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 152. 392 Die angeblichen Vorzüge einer Begrenzung des Urteilsgegenstandes im Fall der Klageabweisung führen im Fall des zusprechenden Urteils unweigerlich zu korrekturbedürftigen Nachteilen.
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dürfnis“ kann nicht die ureigensten Aufgaben der Rechtskraft übernehmen393 und damit Ungereimtheiten überwinden helfen, die auf einem unrichtig bestimmten Urteilsgegenstand beruhen, der die Einheit des Leistungsobjekts leugnet.394 Besonders augenfällig erscheint dies, wenn der Urteilsgegenstand von vorneherein enger als der Streitgegenstand gefasst wird. Um dem Kläger im Falle der Klageabweisung eine erneute Entscheidung zu ermöglichen, muss dann bei zusprechendem Urteil – aus Verlegenheit – auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis rekurriert werden. An dieser Stelle zeigen sich die Vorzüge der Ausrichtung am Interesse. Die Identität des Urteilsgegenstandes bleibt sowohl im Fall der Klageabweisung als auch bei zusprechendem Urteil gewahrt. Die abweisende Entscheidung befindet über das beantragte Interesse in vollem Umfang.395 Ebenso ist bei stattgebender Entscheidung eine zweite Klage aus demselben Interesse wegen entgegenstehender Rechtskraft und nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ausgeschlossen.
VIII. Materiellrechtsfreundliche Auslegung und Rechtskraftumfang Das Gericht befindet – in den durch § 308 I ZPO gesteckten Grenzen – über den Streitgegenstand. Gegenstand der Rechtskraft ist somit nicht der Streitgegenstand selbst, sondern die Entscheidung über ihn. Weil das Gericht aber im Urteil eine rechtliche Qualifikation von Begehren und Sachverhalt vornimmt, könnte sich hieraus auch eine materiellrechtlich intendierte Begrenzung der Rechtskraftwirkungen ergeben396, ohne den Streitgegenstand selbst zu beschneiden. Hat also das Gericht etwa bei einem Arbeitsunfall nur deliktische Anspruchsgrundlagen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Urteil berücksichtigt, könnte ein erneuter Prozess eventuell auf den Aspekt der vertraglichen Haftung (§ 280 I BGB) gestützt werden. Ausschlaggebend für den Umfang der Rechts-
393 Vgl. bereits Gaul, in: FS Flume, S. 514, im Hinblick auf die Kritik an der allein vom Widerspruchsverbot ausgehenden Rechtskraftlehre von Stein und Hellwig: Es handle sich um eine reine Verlegenheitslösung; dem folgend Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 198: Der Rückgriff auf das Rechtsschutzbedürfnis als rechtskraftfremder Gesichtspunkt überspanne dessen Aufgaben. 394 Gerade diametral entgegengesetzt Bub, Streitgegenstand, S. 188, Fn. 172, der die Rechtshängigkeitssperre zu Unrecht als starres Instrument bezeichnet. 395 Sofern der Kläger nicht ausnahmsweise von einer anerkannten Beschränkungsbefugnis Gebrauch macht, § 30 VIII. 396 Ähnlich im deutschen Recht Lent, ZZP 72 (1959), 63 ff.; Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 174 f.; ablehnend Jauernig, ZPR, § 37 VII 3.
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kraft wären dann die konkreten Entscheidungsgründe und nicht, was in tatsächlicher Hinsicht Inhalt der Entscheidung wurde.397 Indes verbietet sich seine generelle Begrenzung nach einzelnen rechtlichen Aspekten, weil das Gericht sämtliche Rechtsvorschriften zu prüfen hat, die das geltend gemachte Interesse stützen, so dass im Ausgangspunkt unerheblich ist, auf welche Rechtsnormen sich die Parteien berufen haben und welche von ihnen das Gericht herangezogen hat.398 Dies gilt auch für den genannten Beispielsfall. In einigen Sonderfällen erscheint aber trotz bestehender Interessenidentität eine Beschränkung des Rechtskraftumfangs aus materiellrechtlichen Gründen geboten. Dies ist der Fall, wenn nach Lage der Entscheidungsgründe die richterliche Bewertung nur eine materiellrechtliche Anspruchsgrundlage erfassen konnte, weil der Kläger von einer gesetzlich verliehenen Beschränkungsbefugnis Gebrauch gemacht hat.399 Entscheidend hierfür ist jedoch nicht der im Urteilstatbestand aufgeführte und vom Kläger vorgetragene (selbständige) Sachverhaltskomplex, da ansonsten dem Kläger zu viel Spielraum verliehen wäre, mit entscheidungserheblichen Tatsachen bewusst zurückzuhalten. Maßgeblich wäre vielmehr, ob das Gesetz einen bestimmten Anspruchstatbestand erkennbar in der Absicht selbständig ausgestaltet hat, um damit den Inhaber und zukünftigen Kläger zu privilegieren und dieser von der Beschränkungsbefugnis Gebrauch gemacht hat. Die im Folgenden diskutierten Beispielsfälle werden dies verdeutlichen.400 Von der durch Georgiades vorgeschlagenen Ausrichtung des Streitgegenstands an zivilrechtlichen Anspruchskonkurrenzen unterscheidet sich die im Folgenden dargestellte Sichtweise dadurch, dass die materielle „Stellschraube“ nicht am Streitgegenstandsbegriff selbst ansetzt, sondern erst bei der Bemessung des Rechtskraftumfangs (Urteilsgegenstand). Verfahrensgegenstand ist zwar im „Kaufpreis-Wechsel-Fall“401 nicht allein der Wechsel- oder Kausalanspruch, jedoch könnte im Rahmen der Rechtskraft eine andere Bewertung angezeigt sein.402 Da mit ihr der Prozess wieder in die materielle Rechtsordnung einmündet, erscheint eine über den Umfang der Erfüllungskonnexität hinausgehende Verengung der Rechtskraftgrenzen in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Maßgeblich ist dann eine materiellrechtsfreundliche Auslegung des Urteils-
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Vgl. Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 256. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 101 f. Eine allgemeine Begrenzungsbefugnis des Klägers im Hinblick auf einzelne rechtliche Aspekte wird von der h.L. zu Recht abgelehnt, Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 64 f.; Häsemeyer, ZZP 85 (1972), 207 ff. 399 Hierzu MünchKomm/Musielak, ZPO, § 308 Rn. 15; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 102; unter Rekurs auf den veränderten Lebenssachverhalt auch noch Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, § 153 Rn. 10, 21 f. 400 Vgl. unten § 30 VIII 1, 2, 3, 4. 401 Oben § 9 I 1. 402 Unten § 30 VIII 2. 398
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gegenstandes403, die für den Verfahrensgegenstand selbst keine Geltung beanspruchen kann.
1. Konkurrenz possessorischer und petitorischer Ansprüche Die possessorischen Ansprüche aus §§ 861 f. BGB und die petitorischen Ansprüche nach §§ 985, 1007 BGB zielen sämtlich auf Wiedereinräumung des Besitzes ab, so dass der Inhalt der begehrten Leistung identisch erscheint, was die Annahme eines einheitlichen prozessualen Anspruches nahe legen würde.404 Jedoch gestattet das materielle Recht hier eine Differenzierung, die sich der Kläger im Prozess zu Nutze machen kann. Denn durch § 861 BGB wird der tatsächliche Besitz ohne Bezug zum materiellen Recht geschützt405, während § 1007 BGB nicht den Besitzstand als solchen, sondern den besser gerechtfertigten Besitz wahrt.406 § 861 BGB bezweckt nur eine vorübergehende Klärung der Besitzverhältnisse, während § 1007 BGB eine endgültige Regelung anstrebt. Bei § 985 BGB ist wiederum entscheidend, dass der Eigentumsherausgabeanspruch sich auf ein Recht zum Besitz bzw. auf ein Recht an der Sache gründet. Der Anspruch aus § 861 BGB gestattet dagegen die Berufung des Gegners auf ein etwaiges Recht zum Besitz nicht (§ 863 BGB).407 In §§ 861 f. BGB klingt mit der Verwirklichung isolierten Besitzschutzes römisches (aktionenrechtliches) Gedankengut an.408 Beschränkt der Kläger sein Begehren auf diesen Aspekt, so werden nach wohl h.L. §§ 985 und 1007 I, II BGB nicht vom Streitgegenstand erfasst. Richtigerweise verbietet die bestehende Interessenidentität eine Aufspaltung possessorischer und petitorischer Ansprüche durch den Kläger auf parallele Verfahren. Dem stünde die konzentrationsfördernde Wirkung der Rechtshängigkeitssperre (§ 261 III Nr. 1 ZPO) entgegen. Denn damit bringt der Kläger zum Ausdruck, dass er aus beiden Gesichtspunkten vorgehen will. Jedoch müssen 403 Stein/Jonas/Brehm, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 93: „Die im materiellen Recht ermöglichte Beschränkung eines Begehrens auf einen Grund, §§ 861 f. BGB, oder die Klage aus dem Wechsel, Schuldanerkenntnis, Schuldversprechen, wird durch die prozessuale Interpretation nicht durch einen umfassenden Streitgegenstand durchkreuzt, der auch in solchen Fällen im Widerspruch zum BGB sämtliche Gründe der gerichtlichen Prüfung unterstellt.“ Auch nach Brehm/Berger, Sachenrecht, § 4 Rn. 19, ist der Besitzschutzanspruch ein eigener Streitgegenstand. 404 So etwa Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, §§ 861 Rn. 5 f. (auch im Verhältnis zu §§ 823 I, 812 BGB). 405 So auch Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 235. 406 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 235. Auf den petitorischen Besitzanspruch aus § 1007 I BGB, der eine endgültige Herausgabe anstrebt, finden §§ 986 f. BGB entsprechende Anwendung, vgl. § 1007 III BGB. 407 Vgl. Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 65; Schumann, in: FS Larenz (1983), S. 582 f. 408 Oben § 3 I.
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die rechtlichen Besonderheiten bei der Bemessung des Urteilsgegenstandes Beachtung finden, sofern sich der Kläger darauf beruft.409 Hier zeigt sich deutlich die dienende Funktion des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht.410 Nach rechtskräftiger Abweisung der Besitzschutzklage steht einer weiteren Herausgabeklage, gestützt auf Vertrag oder Eigentum, die Rechtskraft nicht entgegen. Gleiches gilt, wenn der Kläger im Hinblick auf § 861 BGB obsiegte und der Beklagte zur Wiederherstellung des früheren Besitzes verurteilt wurde. Hier kann dem Beklagten nicht die Möglichkeit genommen werden, eine Entscheidung anzustreben, welche die Besitzverhältnisse endgültig klärt.411 Zwar bleibt der Streitgegenstand identisch, so dass bei gemeinsamer Geltendmachung kein Fall alternativer oder eventueller Anspruchshäufung vorläge.412 Jedoch ist der Umfang der Rechtskraft (des Urteilsgegenstandes) begrenzt, weil das materielle Recht die Selbstständigkeit des possessorischen Rechtsbehelfs ausdrücklich (§§ 863, 864 BGB) hervorhebt (§ 322 I ZPO: „insoweit … entschieden“). Die Beschränkung durch den Kläger muss indes deutlich im Prozess hervortreten: Stützt der Kläger sein Begehren ausweislich der Entscheidung einheitlich auf Besitz und Eigentum, steht einer neuen Klage auf Herausgabe der Sache die Rechtskraft des Vorprozesses entgegen.413 Dies bedeutet aber nicht, dass, wenn vom Gericht einer der beiden rechtlichen Aspekte übersehen wurde, über den prozessualen Anspruch nicht entschieden wäre.414 Es obliegt dem unterlegenen Kläger, nachzuweisen, dass die Entscheidungsfindung im abgeschlossenen Prozess auf den possessorischen Aspekt begrenzt war. Diese Selbständigkeit von § 861 BGB zeigt sich auch im Verhältnis zu § 1361a BGB.415 § 1361 a BGB stellt keine lex specialis zu § 861 BGB dar, so dass nach der eigenmächtigen Wegnahme von Haushaltsgegenständen gegenüber dem Anspruch aus § 861 BGB nicht eingewendet werden kann, dass die jeweiligen Gegenstände zur Deckung eines Notbedarfs benötigt werden.416 § 861 BGB will gerade raschen Besitzschutz ermöglichen. Diesem Anliegen muss auch das Pro-
409 Der Kläger, der von verbotener Eigenmacht betroffen ist, muss sich somit keine Gedanken über die Legitimation seines Besitzes machen; zum begrenzten Urteilsgegenstand aus der Warte verschiedener materieller Verfügungsobjekte, Henckel, Prozeßrecht, S. 164. 410 Auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 65. 411 So Georgiades, Anspruchsskonkurrenz, S. 259 f., 261. 412 A.A. Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 261. 413 Nicht ganz deutlich Zöller/Vollkommer, Einl. Rn. 70, der scheinbar stets von verschiedenen Streitgegenständen auszugehen scheint, ohne danach zu differenzieren, ob der Kläger von seiner Beschränkungsbefugnis tatsächlich Gebrauch gemacht hat; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 233 f., 249, 259. 414 Das Urteil ist dann lediglich unrichtig; a.A. Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 259 f. Das Urteil erwachse nur „insoweit“ in Rechtskraft. 415 Strittig: So OLG Koblenz, 26. 4. 2007, 9 UF 82/07, n.v.; OLG Frankfurt FamRZ 2003, 47. 416 A.A. wohl die h.L.: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 1361 a Rn. 29 f.
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zessrecht durch eine entsprechende Begrenzung des Urteilsgegenstandes Rechnung tragen.
2. Ansprüche aus Wechsel und Scheck Nach h.L. steht die Abweisung der Wechselklage einem sukzessiven Verfahren über das Grundgeschäft nicht entgegen. Lediglich umgekehrt wirkt die Abweisung der Klage aus dem Grundgeschäft (präjudiziell) Rechtskraft für den Wechselprozess (§ 821 BGB).417 Rüßmann hat jedoch deutlich gemacht, dass man die Potenzierung der schwierigen Beweislastunterschiede hinsichtlich der Auskehr des Darlehens, die bei verschiedenen Gerichten entstehen könnten, durch die Annahme eines einheitlichen Streitgegenstands über die Rechtshängigkeit hinaus auch für die Rechtskraft verhindern könnte.418 Diese Art von Verfahrenskonzentration würde der Gefahr vorbeugen, dass das Gericht der Wechselforderung die Klage abweist, weil es die Forderung aus dem Grundgeschäft nicht für gegeben erachtet, während ein anderes Gericht den Schuldner wegen des Bestehens der Forderung aus dem Grundgeschäft zur Zahlung verurteilt.419 Das fehlende Rechtsschutzbedürfnis erscheint nicht als der richtige Weg420, um Parallelverfahren zu verhindern. In materieller Hinsicht sprechen für eine gemeinsame Entscheidung zudem die Einrede der Wechselhingabe und der „Wechselrückgabe“. Zutreffend rechtfertigt Rüßmann diese Sichtweise mit Blick auf die zwischen den Ansprüchen bestehende Erfüllungskonnexität.421
417
Differenzierend Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 230 f., 272. Rüßmann, ZZP 111 (1998), 417: „Ich möchte darüber hinaus die Ausschlusswirkungen einer rechtskräftigen Klageabweisung auf die Forderung aus dem Grundgeschäft und die Wechselforderung erstreckt wissen, auch wenn eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit einer dieser Forderungen nicht stattgefunden hat.“ Rüßmann weist hierfür auf die ungünstige Beweislage für den Schuldner im nachfolgenden Wechselprozess hin, wenn der Darlehensgläubiger mit seiner Rückzahlungsklage abgewiesen wurde, weil sich nicht beweisen ließ, ob die Darlehensvaluta ausbezahlt wurden. Jedoch müsse sich, so Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 234, der Beklagte des Risikos nochmaliger Inanspruchnahme bewusst sein, wenn er den Wechsel ausstellt. Die prozessuale Sicherung der ungewissen Lage sei seine Sache (negative Feststellungsklage) und nicht die Aufgabe des Prozessrechts durch Zuerkennung eines einheitlichen Streitgegenstands. 419 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 417. 420 So aber Habscheid, Streitgegenstand, S. 280; J. Blomeyer, JuS 1970, 127 Fn. 44; Bub, Streitgegenstand, S. 187. 421 Insoweit ablehnend Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn.75: Stütze der Kläger seine Klage hinsichtlich derselben Summe sowohl auf den Kaufvertrag als auch das Wechselakzept, dann liege kein einheitlicher Streitgegenstand vor, „sondern sowohl materiellrechtlich als auch prozessual eine Mehrheit von (nur erfüllungsmäßig funktionell miteinander verknüpften) Ansprüchen.“ Ähnlich OLG Saarbrücken, WM 1998, 835; Schaaff, NJW 1986, 1030. Richtig deswegen OLG Düsseldorf, MDR 1990, 819: Beide Ansprüche bildeten einen Streitgegenstand, so dass wechselseitige Verjährungsunterbrechung anzunehmen sei. 418
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Überdies wird verhindert, dass die Grenzen der Präjudizialität unter Rückgriff auf die Urteilsgründe unzulässig erweitert werden. Der unbestreitbar bestehende Erfüllungszusammenhang wird jedoch überlagert von der gesetzlich intendierten Privilegierung des Wechselgläubigers.422 Zum gleichen Ergebnis kommt mit Recht Georgiades aus rein materiellrechtlicher Warte: Die Ansprüche aus dem Wechsel bzw. dem Grundgeschäft stünden in echter Anspruchskonkurrenz.423 Der Wechsel führt zu einer selbständigen Forderung, da das Wechselrecht gerade auf den Schutz der Verkehrssicherheit und die Umlauffähigkeit des verbrieften Rechts abzielt. Aus dem Wechsel ergibt sich überdies nur, dass eine bestimmte Geldsumme geschuldet ist, nicht aber aus welchem Grund. Bei Wegfall des Grundgeschäfts lässt sich der Inanspruchnahme aus dem Wechsel die Bereicherungseinrede entgegenhalten (§ 812 II BGB). Bei Weitergabe des Wechsels an Dritte steht dem Schuldner diese Möglichkeit jedoch nicht zu (§ 17 WG). Richtigerweise kann es dem Kläger somit nicht erlaubt sein, parallel vor verschiedenen Gerichten aus dem Wechsel und dem Grundgeschäft zu klagen. Aufgrund der Interessenidentität stünde dem die Rechtshängigkeitssperre entgegen.424 Das materielle Recht verleiht dem Kläger jedoch die Möglichkeit, seine Klage auf den Wechsel oder das Grundgeschäft zu beschränken. Nach Ansicht des Gesetzgebers soll im Falle des abstrakten Wechsels, Schecks oder Anerkenntnisses die Berechtigung des Klägers nicht an schwer beweisbare und leicht bestreitbare Tatsachen geknüpft werden. Dieser bewussten Reduzierung der Anspruchsvoraussetzungen muss auch das Prozessrecht Rechnung tragen, will es seiner dienenden Aufgabe gerecht werden.425 Diese Beschränkungsbefugnis verdient aber – ähnlich wie bei § 861 BGB – wiederum erst bei der Bemessung der Rechtskraftgrenzen (Urteilsgegenstand) Beachtung.426 Die Rechtskraft steht damit einer Klage aus dem Grundgeschäft nicht entgegen, wenn zuvor der Wechsel wegen Formmangels abgewiesen wurde.427 Trotz Interessenidentität beschränkt sich der Urteilsgegenstand auf den rechtlichen Aspekt „Wechsel“.428 422
Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 232. Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 238. „Diese Anspruchsmehrheit ist indes nicht mit der Verschiedenheit der Entstehungsgründe zu begründen, wie die herrschende Lehre von der Anspruchskonkurrenz es tut… Die Anspruchsmehrheit ergibt sich vielmehr hier eindeutig aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, aus der besonderen Funktion und der Eigenart der Wechselverbindlichkeit.“ 424 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 64 f. 425 Bub, Streitgegenstand, S. 167. Vgl. Zur Beschränkungsbefugnis auch BGH NJW 1982, 2823. 426 Ähnlich Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 65 f. 427 Vgl. RGZ 148, 199 (202 f.); 160, 338 (347); BGHZ 9, 22 (27 f.); 17, 31 (34 f.). Nach Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 234, vermittelten beide keinen gleichwertigen materiellen Rechtsschutz. 428 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 65. Anderes gilt lediglich im Falle der Einleitung eines selbständigen Wechselverfahrens. 423
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3. Ablehnung einer allgemeinen Beschränkungsbefugnis a) Vertragliche und dingliche Ansprüche Eine allgemeine Befugnis des Klägers, die richterliche Überprüfung des Streitgegenstands auf einzelne materielle Gesichtspunkte zu begrenzen, existiert nicht.429 Jedoch könnte zumindest die im deutschen Recht erkennbar unterschiedliche Ausgestaltung obligatorischer und dinglicher Ansprüche bei der Begrenzung des Urteilsgegenstandes Beachtung finden. Insoweit bliebe dann trotz rechtskräftiger Abweisung der Eigentumsherausgabeklage (§ 985 BGB) eine auf § 546 BGB gestützte Räumungsklage weiter zulässig.430 Zumindest den Vertretern einer (reformierten) materiellen Streitgegenstandslehre fällt die Begründung hierfür nicht schwer.431 So hält Georgiades zwar die Annahme von Anspruchsnormenkonkurrenz und Streitgegenstandsidentität gerechtfertigt, wenn ein Herausgabeverlangen einerseits auf Rückforderung nach §§ 546, 604, 695 BGB und andererseits auf Bereicherung (§ 812 BGB) oder Delikt (§§ 823, 249 BGB) gestützt werde. Abweichendes gelte jedoch für den dinglichen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB, weil der Entstehungsgrund – einmal aus einem relativen, im anderen Fall aus einem absoluten Recht – jeweils verschieden sei.432 Die dinglichen Ansprüche seien sachenrechtliche Verwirklichungsansprüche, weil sie die Sicherung des Eigentums und die Herstellung des entsprechenden Zustandes anstrebten. Sie müssten insoweit als Hilfsmittel zur Verwirklichung der Rechtsordnung begriffen werden. Der dingliche Herausgabeanspruch lasse sich zudem nicht ohne Übertragung des Eigentums abtreten. Insoweit wird der Annahme eines „globalen Herausgabeanspruchs“ als Streitgegenstand eine Absage erteilt:433 Mittlerweile wird diese Sichtweise mehrheitlich in Zweifel gezogen, weil der Rechtsgrund des Anspruchs kein Individualisierungsmerkmal sei. Vielmehr wird für die Streitgegenstandsidentität die Einheit des Lebenssachverhalts in Ansatz gebracht.434 Die Äußerungen des BGH zu dieser Frage sind uneinheit-
429 Bei der Anspruchsnormenkonkurrenz verneint Georgiades eine entsprechende Befugnis, während er diese bei der Anspruchskonkurrenz bejaht. Dies gelte auch, wenn der Kläger sämtliche Tatsachen vortrage, Anspruchskonkurrenz, S. 269. 430 Jahr, in: FS Lüke, S. 304: Bei vertraglichem und dinglichem Herausgaberverlangen (§ 985 BGB) scheidet eine Klagenhäufung aus. 431 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 259; vgl. bereits Bettermann MDR 1954, 199. 432 Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 223. 433 „Es bedeutet einen Unterschied, ob ich Herausgabe aus Eigentum (§ 985 BGB) oder Besitzverletzung verlange (§ 861 BGB), weil ich eine Sache gekauft (§ 433 I 1) oder gemietet habe (§ 535) … Wird der Kläger mit der Eigentumsklage abgewiesen und verlangt er nun Herausgabe, weil er die Sache nun vom Beklagten gekauft habe, so ist der Streitgegenstand nicht identisch“, Wieling, JZ 1986, 9. 434 Rosenberg, JZ 1953, 115 f.
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lich: So wird einerseits435 eine Rechtskrafterstreckung im Verhältnis von dinglichem Herausgabeprozesses (§ 985 BGB) wegen Ungültigkeit des Mietvertrages und einer auf Mietaufhebungsgründe nach MSchuG gestützten Herausgabeklage mit der Begründung verneint, dass der vorgetragene Sachverhalt hier ein anderer sei. Andererseits soll bei einer Verbindung beider Streitgegenstände in einem Prozess keine Klagenhäufung vorliegen. Nicht zutreffend erscheint insoweit der Hinweis von Lauterbach und Bettermann, dass die Streitgegenstände im Falle von § 985 BGB und § 556 BGB a.F. (§ 546 BGB) bereits aufgrund ihres unterschiedlichen Inhalts verschieden seien.436 Einzelne rechtliche Nuancen des Begehrens bleiben bei der notwendigen Feststellung der Interessenidentität außen vor. Jede andere Sichtweise würde versuchen, längst überwunden geglaubte aktionenrechtliche Vorstellungen wieder dem modernen Zivilprozess aufzuzwingen. Inswoweit existiert auch keine für den Urteilsgegenstand relevante Begrenzungsbefugnis des Klägers.
b) Erkennbare unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung Von der Rechtsprechung wird eine Mehrheit von Streitgegenständen auch bei identischem Antrag angenommen, sofern die materielle Regelung die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar rechtlich unterschiedlich ausgestalte.437 So sollen Ansprüche aus öffentlichrechtlicher Aufopferung und Schadensersatzansprüche aus Gefährdungshaftung bzw. Amtspflichtverletzung unterschiedliche prozessuale Ansprüche bilden.438 Auch wird der Anspruch auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in prozessualer Hinsicht vom nachbarschaftlichen Ausgleich analog § 906 II 2 BGB unterschieden: Denn über den Schadensersatzanspruch sei der Grundstückseigentümer so zu stellen, wie er ohne die Beeinträchtigung stünde, während der Ausgleichsanspruch nur die normalerweise gegebene Abwehrbefugnis kompensieren wolle und nicht auf vollen Schadensersatz gerichtetet sei, sondern lediglich eine angemessene Entschädigung gewähre. Der deliktische Schadensersatzanspruch und der Ausgleichsanspruch unterlägen unterschiedlichen Voraussetzungen und konkurrierten deswegen nicht um dasselbe prozessuale Ziel.439 Gegen diese etwas vage, beinahe aktionenrechtlich motivierte Formel des BGH spricht jedoch, dass das 435 BGHZ 9, 22, 28; BGHZ 8, 47. Hierzu Rosenberg, JZ 1953, 115; Lauterbach, NJW 1953, 170; Bettermann, MDR 1954, 198. 436 Es spiele keine Rolle, dass der Kläger beide Klagen mit denselben Worten formuliere und nur einen einheitlichen Antrag stelle, so Bettermann, MDR 1954, 198. 437 BGH NJW 1993, 2173; ebenso bereits Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 70. 438 BGH NJW 1993, 2173. 439 BGH NJW 1990, 1910; BGH NJW 1990, 978 (Ansprüche aus Enteignung/enteignungsgleicher Eingriff und Amtshaftung sind unterschiedliche Streitgegenstände); anders BGH NJW 1984, 615: Streitgegenstandsidentität im Falle von Schadensersatz nach § 2 HaftpflG und § 839 BGB.
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Gesetz Ansprüche generell im Hinblick auf Verjährung und Beweislastverteilung unterschiedlich ausformt. Dies gilt gerade auch im Verhältnis von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen.440 Daraus kann folglich nichts für eine Divergenz der Urteilsgegenstände bzw. eine zulässige Beschränkungsbefugnis des Klägers abgeleitet werden.441 Die Beschränkung des Urteilsgegenstandes kann sich jedoch im Einzelfall aus zwingenden gesetzlichen Anforderungen ergeben. Wird etwa im Vorprozess die Feststellung einer besonderen deliktischen Haftungspflicht vergessen, so ermöglicht § 850 f II ZPO einen Zweitprozess.442 Die Rechtskraftsperre greift nicht ein, weil wie Bader es formuliert hat, der Streit um die artbezogenen Eigenschaften des Anspruchs zu einem eigenen Streitgegenstand führe.443
c) Sonderfall: Wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage Von der Rechtsprechung anerkannt ist im Übrigen eine entsprechende Beschränkungsbefugnis des Klägers im Bereich der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage. Ob diese Judikatur zutrifft, wird noch an anderer Stelle eingehend zu untersuchen sein.444
d) Ermittlung der Beschränkung In den genannten Fällen445 bedarf es zur Ermittlung eines zulässigerweise begrenzten Urteilsgegenstandes objektiv greifbarer Hinweise. Diese können sich aus den Entscheidungsgründen, aber auch dem Tatbestand des Urteils ergeben. Entscheidend ist somit, dass eine Anspruchsgrundlage nicht vom Gericht geprüft werden konnte, weil der Kläger von einer gesetzlich verliehenen Begrenzungsbefugnis Gebrauch gemacht hat, die auch im Prozess anzuerkennen ist. Denkbar ist aber auch, dass das Gericht (erkennbar) zu Unrecht von einer begrenzten Kognitionsbefugnis ausging. Dieses judikative Versagen darf sich nicht zu Lasten des Klägers auswirken.446 Eine wiederholte Klage aus demselben Interesse bliebe dann zulässig. Sieht das Gesetz eine Fixierung der Entscheidungsgründe als fakultativ an, etwa wie im Falle des Versäumnisurteils 440
Dennoch besteht hier überwiegend Einigkeit (etwa im Fahrgastfall), dass ein Streitgegenstand vorliegt. 441 Eine solche folgt sicherlich nicht aus der Dispositionsmaxime, Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 243. 442 Ebenso Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 241. 443 Bader, Tragweite der Entscheidung, S. 70 f.; abweichend, aber mit gleichem Ergebnis Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 241; zur Rechtskraftwirkung in diesem Kontext H. Roth, ZZP 124 (2011), 3 f. 444 Näher unten § 34 II. 445 § 30 VIII 1, 2, 3. 446 Mit Recht aber Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 101, wenn das Gericht irrtümlicherweise von einer beschränkten Kognitionsmacht ausgeht.
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(§ 313 b ZPO) oder des Anerkenntnisses bzw. des Verzichts, erscheinen derartige Überlegungen nicht möglich. M.E. sollte deswegen im Falle eines Versäumnisurteils gegen den Kläger der Rechtskraftumfang global gezogen werden.447 Dies bedeutet, dass eine auf einen Kaufvertrag gestützte und abgewiesene Zahlungsklage auch nicht mehr mit einem dafür gegebenen Wechsel erneuert werden könnte. Denn das Interesse ist dasselbe und Hinweise für eine vom Kläger ausgeübte Beschränkungsbefugnis fehlen. Dadurch erleidet dieser jedoch keine unzumutbaren Nachteile, weil er es selbst in der Hand hat, durch einen Einspruch eine Sachentscheidung in erster Instanz herbeizuführen, und so den Eintritt der Rechtskraftwirkung hinauszuschieben (§§ 338, 341 ZPO).448
4. Normative Beschränkungen durch Zuständigkeitsvorschriften Eine weitere „Zerschneidung“ des Urteilsgegenstandes aus normativen Gründen ist abzulehnen.449 Insbesondere können hierzu nicht die Zuständigkeitsvorschriften der ZPO dienen. Zum Teil wurde und wird jedoch vertreten, dass Streit- und Entscheidungsgegenstand normativ auf die Kognitionsschranken des Gerichts zu begrenzen seien. Würde also eine Klage auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung im Gerichtsstand des § 32 ZPO rechtskräftig abgewiesen, so bliebe die erneute Klage auf Grund eines Vertrags möglich, auch wenn es sich um denselben Tatsachenkomplex und denselben Antrag handelte. Der für die Spaltungstheorie wegweisenden Entscheidung der vereinigten Zivilsenate aus dem Jahre 1891 war dabei noch der enge materiellrechtliche Streitgegenstandsbegriff zu Eigen.450 Der ungeteilte „moderne“ Streitgegenstandsbegriff spricht hingegen gegen eine Spaltung der Zuständigkeit451, wenngleich versucht wird, dieses Argument von vorneherein auszuhebeln: „Das, worüber nicht gestritten werden darf und nicht entschieden wird, zum Streitgegenstand zu deklarieren, wäre wenig sinnvoll.“452 Andere Vertreter der Spaltungslehre halten zwar an dem üblichen pro-
447
Mit Recht BGH NJW 2003, 1044; differenzierend Just, NJW 2003, 2289; ablehnend Musielak/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 55. 448 Nach berechtigtem Hinweis von H. Roth, LMK 2003, 116, bleibt der Sachverhalt durch den nachträglichen Eintritt der Fälligkeit der Forderung selbst unverändert. 449 Generell ablehnend Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 1 Rn. 10: Die Spaltungstheorie sei unökonomisch und führe zu einer erhöhten Kostenbelastung; H. Roth, in: FS Schumann, S. 360; Hoffmann, ZZP 107 (1994), 8; ders., Der allgemeine Gerichtsstand, S. 41 ff.; vgl. zum Ganzen auch Rohner, S. 1 ff. 450 RGZ 27, 385 ff. 451 H. Roth, in: FS Schumann, S. 355 f. 452 So noch Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl., Einl. Rn. 295; aufgegeben durch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, Einl. vor § 1 Rn. 10.
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zessualen Streitgegenstandsverständnis fest, bedienen sich aber des Kunstgriffes des richterlichen Subsumtionsverbotes.453 Lange Zeit vertrat die herrschende „Spaltungstheorie“ deswegen trotz aller Bedenken454 den Standpunkt, dass „aus der Einzelzuständigkeit im Rahmen eines Sachzusammenhangs … sich … nicht eine Globalzuständigkeit für alle zusammenhängenden Fragen ableiten“ lässt.455 Folge dieser Ansicht war die Abweisung der Klage als unbegründet456 , falls sich der originäre Anspruch als haltlos herausstellte; dies selbst dann, wenn ein konkurrierender Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg versprach.457 Insoweit kam es aufgrund der beschränkten richterlichen Kognitionsmöglichkeit lediglich zur Abweisung als unzulässig.458 Der häufige Hinweis ihrer Vertreter auf die Gefahr der Zuständigkeitserschleichung kann jedoch als Scheinargument ohne praktischen Hintergrund angesehen werden.459 Zuständigkeitsmissbrauch wird durch die richtige Prüfungsreihenfolge und die Grundsätze der doppelt relevanten Tatsachen in ausreichendem Maße verhindert.460 Trotz der Regelung in § 17 II 1 GVG461 haben Rechtsprechung und Literatur überwiegend an der Spaltungstheorie festgehalten462 und weiter die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung für das Abrücken vom klaren Zuständigkeitssystem der ZPO betont. Die er-
453
So Henckel, Parteilehre, S. 278 f.; hiergegen trefflich H. Roth, in: FS Schumann, S. 361. Baur, in: FS v. Hippel, S. 1 ff.; Gravenhorst, Die Aufspaltung der Gerichtszuständigkeit nach Anspruchsgrundlagen (1972), S. 100; Spellenberg, ZZP 95 (1982), 17, 27 f.; M. Vollkommer, in: FS Deutsch, S. 385 ff. 455 Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 1 Rn. 20. Für die Spaltung: OLG Köln MDR 2000, 170; OLG Karlsruhe TranspR 1997, 166; vgl. auch Ritter, S. 1 ff., 37 f. 456 Urteilsgegenstand und Rechtskraft sind dementsprechend begrenzt. 457 Vgl. bereits die wegweisende Entscheidung der Vereinigten Zivilsenate des Reichsgerichts aus dem Jahr 1891, RGZ 27, 385 ff.; BGH NJW 1974, 410 f.; BGH NJW 1971, 564, lehnt es ausdrücklich ab, den von der Kommission zur Reform des Zivilprozessrechts vorgeschlagenen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs vorwegzunehmen. 458 Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 1 Rn. 10 f. Die Einzelheiten sind allerdings strittig: So will die Rechtsprechung (BGHZ 13, 154) und teilweise auch die Literatur (Henckel, Parteilehre, S. 278) in den Entscheidungsgründen die Unzuständigkeit des Gerichts hinsichtlich der nicht prüfbaren Ansprüche klargestellt wissen. 459 Richtig Spickhoff, ZZP 109 (1996), 504. 460 M. Vollkommer, in: FS Deutsch, S. 400. 461 „Das Gericht des zulässigen Rechtsweges entscheidet den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.“ Teilweise wurde dieser gesetzliche Ausdruck der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhang auch auf die örtliche Zuständigkeit übertragen, Hoffmann, ZZP 107 (1994), 3, 11 f.; Windel, ZZP 111 (1998), 13 f.; Schwab, in: FS Zeuner, S. 504 f.; Schilken, ZPR, Rn. 319; a.A. vehement Hager, in: FS Kissel, S. 337 ff.; Spickhoff, ZZP 109 (1996), 495 ff., 497 ff. Zur damaligen Reform des GVG Kissel, NJW 1991, 945 ff. 462 Dies gilt vor allem im grenzüberschreitenden Kontext: BGH NJW 1996, 1411 f., 1413 (Anspruchskonkurrenz bei Auflösung eines Verlöbnisses, §§ 530, 812 f.; 531 II, 1301, 823 II BGB iVm § 263 StGB). Hierzu auch M. Vollkommer, in: FS Deutsch, S. 393. 454
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sehnte Kehrtwende463 trat erst mit der Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2003 ein.464 Von besonderem Interesse sind aber weiter Konstellationen einer ausschließlichen (sachlichen) gerichtlichen Zuständigkeit. So hatte sich etwa das LG Koblenz in der Situation, dass eine Schadensersatzklage auf die Verletzung mietrechtlicher Pflichten und die Verletzung der deliktischen Verkehrssicherungspflicht gestützt wurde, hinsichtlich des ersten Aspekts für unzuständig erklärt. Das OLG Koblenz hat die Entscheidung mit der Begründung aufgehoben, dass das LG trotz der ausschließlichen sachlichen Zuständigkeit des AG nach § 23 Nr. 2a GVG auch über den konkurrierenden vertraglichen Anspruch entscheiden hätte müssen.465 Dies erscheint nicht unbedenklich, ist aber die konsequente Fortsetzung des Sachzusammenhangs. Die beschriebenen Grundsätze gelten auch im Rahmen der internen (gesetzlichen) gerichtlichen Geschäftsverteilung, wenn eine Streitsache auf verschiedene Abteilungen eines Gerichts aufgeteilt werden könnte. Exemplarisch sei der Fall genannt, dass der Rückzahlungsantrag des als Unterhaltsschuldner in Anspruch Genommenen sowohl auf den Gesichtspunkt der Aufhebung eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Titels über gesetzlichen Unterhalt (§ 812 BGB) als auch auf § 717 II ZPO gestützt wird (nunmehr iVm §§ 120 I, 112 Nr. 1 FamFG). Richtigerweise kann die Familienabteilung des AG über den gesamten Streitgegenstand befinden, wenn zumindest einer der vorgetragenen rechtlichen Gründe § 23 b I GVG iVm § 111 FamFG untersteht.466 Da das AG sich mit einem einheitlichen Streitgegenstand nur einmal beschäftigen darf, muss sich eine Abteilung mit allen rechtlichen Aspekten befassen. Der Verfahrensgegenstand sollte nicht in familiengerichtliche und allgemein zivilrechtliche Aspekte aufgespalten werden, auch wenn einer der recht463
Vgl. etwa H. Roth, in: FS Schumann, S. 355 f. BGH JR 2003, 374 f. (Anm. Humberg). Zuvor aber bereits schon BayOblGZ 1995, 301 f.: Hiernach könnten die mit der unerlaubten Handlung zusammentreffenden Ansprüche aus culpa in contrahendo, für welche kein gemeinsamer Leistungs- und Erfüllungsort begründet (§ 29 ZPO) sei, im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung mitverfolgt werden. Hierbei wird auf § 17 II GVG (per argumentum a maiore ad minus) rekurriert. Zudem wird die Entscheidung auf die Aufrechterhaltung des Streitgegenstands gestützt. Ähnlich OLG Hamburg MDR 1997, 884: Im Rahmen von § 32 ZPO könnten vertragliche Ansprüche dann erhoben werden, wenn ein einheitlicher Lebenssachverhalt zu Grunde liege (im Rahmen der nach § 36 Nr. 3 ZPO abgelehnten Gerichtsstandsbestimmung). OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 1341: Die Gründe für § 17 II GVG – die Vermeidung von Mehrfachentscheidungen über denselben Streitgegenstand durch Verfahrenskonzentration bei einem Gericht – gelten auch für die örtliche Zuständigkeit. Von anderer Seite wird aus § 17 II GVG gerade ein Umkehrschluss gezogen, Spickhoff, ZZP 109 (1996), 498, 499. Der allgemeine Gerichtsstand genüge zur Verfahrenskonzentration. Ansonsten würde dem Kläger ein Mittel zur Zuständigkeitserschleichung an die Hand gegeben, S. Würthwein, ZZP 106 (1993), 76 f.; Hager, in: FS Kissel, S. 331. 465 Vgl. etwa OLG Koblenz ZMR 1997, 77. 466 Zutreffend Flieger, MDR 1980, 189, gegen OLG Hamm FamRZ 1979, 607. 464
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
lichen Gründe der Zuständigkeit der allgemeinen Zivilabteilung unterstehen sollte.467 Nach Einführung des Großen Familiengerichts durch das FamFG im Jahr 2009 sollte das FamG auch für den vollstreckungsrechtlichen Aspekt originär zuständig sein.468 Ähnliches gilt im Übrigen für das Verhältnis der Kammer für Handelssachen zur allgemeinen Zivilabteilung.469 Für das europäische Prozessrecht wird die Bündelung von deliktischen und vertraglichen Ansprüchen jedoch weiter mit Vehemenz verneint470, so dass im Rahmen von Art. 5 Nr. 1, 3 EuGVVO die Entscheidungskompetenz des Gerichts beschränkt bleibt.471 Auf die Kernpunkttheorie hatte dies bisher keine Auswirkungen. Eine Zusammenhangszuständigkeit in Fällen der Anspruchskonkurrenz erscheint jedoch sowohl im nationalen als auch internationalen Kontext gleichermaßen sinnvoll.472 Die jeweilige Streitgegenstandsfassung hat selbstverständlich Auswirkungen auf die Zuständigkeitsordnung.473 Nicht vereinbar wäre deswegen die Annahme eines eingliedrigen Verständnisses zur Bestimmung der Grenzen der Klagenhäufung (§ 260 ZPO) und eines zweigliedrigen Begriffes für die gerichtliche Zuständigkeit.474 Denn § 260 ZPO steht mit den (sachlichen) Zuständigkeitsvorschriften in unmittelbarem Zusammenhang475, so dass eine abweichende Beurteilung deren funktionale Zusammenhänge zerschneiden würde. Lässt sich eine prozessuale Anspruchsmehrheit nicht ermitteln, kann auch im Rahmen der richterlichen Kognitionsbefugnis der einheitliche Streitgegenstand nicht künstlich durch unterschiedliche Klagegründe gespalten werden.476 Die Denkfigur eines normativ gefassten prozessualen Anspruchs vermag dies nicht zu erklären. Ist somit ein besonderer Gerichtsstand erst einmal begründet, so muss es dem zuständigen Gericht auch gestattet sein, alle konkurrierenden Ansprüche auf materiellrechtlicher Ebene zu prüfen. Sinn und Zweck des Zivilprozesses ist es, den Parteien möglichst schnell und effektiv Rechtsschutz zu gewähren. Die Zuständigkeitsordnung der CPO von 1877 ist insoweit überholt.477 Art. 101 I 2
467 Anders ist die Entscheidung BGH NJW 1979, 427, gelagert, bei der es sich um Hauptund Hilfsantrag handelte. 468 Vgl. auch Johannsen/Henrich/Althammer, FamFG, § 111 Rn. 22. 469 Weitere Beispiele bei Flieger, MDR 1980, 190. 470 EuGH NJW 1988, 3088 (Anm. Geimer) = IPRax 1989, 288 (Anm. P. Gottwald, ebd. S. 272); weiter konservativ: BGH MDR 2005, 587. 471 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 120. 472 Vgl. auch Geimer, NJW 1974, 1045 u IPRax 1986, 80 ff.; Mansel, IPRax 1989, 84 f.; Gottwald, JZ 1997, 93. 473 So überzeugend Bork, Vergleich, S. 438 f. 474 Baumgärtel, JuS 1974, 73 f.; zu den funktionellen Zusammenhängen ausführlich Stein/ Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 52 f. 475 Vgl. auch Bork, Vergleich, S. 428 f. 476 Rimmels pacher, AcP 174 (1974), 509. 477 So Bork, Vergleich, S. 430.
§ 30 Eigene Ansicht: Das Interesse als Ausgangspunkt
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GG steht einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhang nicht entgegen.478 Aus der Warte eines einheitlichen Klägerinteresses erscheint diese Annahme ohnehin ohne Alternative.479
478 Der gesetzliche Richter wird gerade durch Auslegung der Zuständigkeitsnorm ermittelt. 479 Befürworter: Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., 1 Rn. 11; a.A.: BGH ZZPInt 2 (1997), 117 (Anm. U. Wolf ), JZ 1997, 88 (abl. Anm. Gottwald); vgl. auch Spickhoff, VersR 2003, 663.
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§ 31 Präjudizialität und erweiterte Rechtskraftbindung I. Logisch konstruktive Sinnzusammenhänge Bei der Präjudizialität480 sowie der Frage einer erweiterten Bindungswirkung der Rechtskraft handelt es sich nicht um originäre Probleme des Streitgegenstands.481 Aus diesem Grund beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen allein auf den möglichen Nutzen des Interessekriteriums482, wenn es gilt, die Grenzen der positiven Rechtskraftbindung jenseits logisch konstruktiver Zusammenhänge zu bestimmen.483 So soll etwa eine rechtskräftige Entscheidung, welche eine auf Naturalersatz (§ 249 I BGB) gerichtetete Schadensersatzklage abweist, auch in einem nachfolgenden Prozess Bindungswirkung entfalten, in dem derselbe Kläger Geldersatz fordert (§ 249 II, § 251 BGB). Gleiches gelte auch in umgekehrter zeitlicher Richtung.484 Hier stellt sich die Frage, „inwieweit nach geltendem Recht eine Rechtskraftwirkung bei aufeinanderfolgenden Prozessen über verschiedene Streitgegenstände auch ohne … tatbestandsmäßige Präjudizialwirkung zwischen den jeweils zur Entscheidung ge480 Rechtsdogmatisch ist diese Ausdruck des Widerspruchsverbots bei einem Folgeprozess über einen abweichenden Streitgegenstand, Gaul, in: FS Flume, S. 459 ff.; Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 198. 481 Treffend Oberhammer, JBl 2000, 209: „… hat die Frage, ob Vorfragenentscheidungen Bindungswirkung entfalten können, prima vista nichts mit dem Streitgegenstandsbegriff zu tun: Was (bindende) Hauptfrage und was nicht (bindende) Vorfragenentscheidung ist, kann nicht anhand der jeweils präferierten ein- oder zweigliedrigen, auf den rechtserzeugenden oder den Lebenssachverhalt abstellenden Streitgegenstandstheorie beantwortet werden.“ 482 Zu einzelnen Fallgruppen unten § 31 IV 2, 3, 4. 483 Ähnlicher Ansatz bei Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 259 ff., mit Blick auf die einheitliche Rechtsposition. Rimmels pacher will in den nachfolgend unter § 31 IV behandelten Fallgruppen für die Rechtskraftbindung einen anderen Begriff als den rechtlichen Sinnzusammenhang gewinnen. Die Rechtsposition bestimme über den objektiven Umfang der Rechtskraft mit, um die Nachteile der üblichen Kategorien der Rechtskraftabgrenzung (Identität, kontradiktorisches Gegenteil, Präjudizialität) überwinden zu helfen. Diese bestünden darin, dass die Rechtskraft von materiellrechtlichen Verbindungen zwischen den einzelnen Rechtsfolgen abhängig gemacht werde, die nicht im Hinblick auf eine sinnvolle Begrenzung der Rechtskraft gewählt seien und diese willkürlich ausdehnten oder beschränkten. Kritisch hierzu Peetz, S. 52 ff. 484 Näher unten § 31 IV 1.
§ 31 Präjudizialität und erweiterte Rechtskraftbindung
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stellten Rechtsfolgen in Betracht kommen kann.“485 Nicht zu verkennen gilt es dabei, dass die Tatbestandsvoraussetzungen materiellrechtlicher Ansprüche ohne Ansehung der Rechtskraftfrage getroffen wurden, so dass mit dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Präjudizialverhältnisses nicht abschließend über eine Rechtskraftbindung geurteilt sein muss.486 So bildet etwa die Verletzung eines negatorischen Unterlassungsanspruchs keine tatbestandliche Voraussetzung einer deliktischen Schadensersatzpflicht, so dass die Rechtskraft einer Entscheidung über die Unterlassungsklage nach h.L. keine Wirkungen im späteren Schadensersatzanspruch äußern würde.487 Hingegen setzt der vertragliche Schadensersatzanspruch das Bestehen einer (vertraglichen) Unterlassungspflicht bereits im präjudiziellen Sinne voraus.488 Die unterschiedliche Behandlung beider Fallgruppen auf Rechtskraftebene erscheint jedoch sachlich nicht gerechtfertigt. Die Beispiele zeigen vielmehr, dass der inhaltliche Zusammenhang zwischen verschiedenen materiellen Rechtsfolgen auch bei der Bemessung der Rechtskraftgrenzen stärkere Berücksichtigung erfahren könnte. Zur Erklärung einer nach Ausgleichs- und Sinnzusammenhängen erweiterten Rechtskraftwirkung fragte Zeuner deswegen mit Recht, ob die inhaltlich verschiedenen Rechte ein einheitliches Ziel auf unterschiedlichen Wegen verfolgen. Verneine in diesem Fall das Urteil die gemeinsame Existenzgrundlage beider Rechte für eines von ihnen, so sei auch der Weg für das andere Recht versperrt. Anderes gelte, wenn nur die Besonderheiten des jeweiligen Weges verneint würden.489 Allgemein gesprochen, stellt sich hier die Frage, ob die Rechtskraft einer Entscheidung sich zur Wahrung dieser materiellen Zusammenhänge in gewissen Fällen auch auf bestimmte präjudizielle Rechtsverhältnisse in den Entscheidungsgründen beziehen muss. Eine Rückkehr zu Savigny lag Zeuner jedoch fern.490 K.H. Schwab hat in seiner kritischen Besprechung der Arbeit Zeuners einigen der als Ausgleichs- oder Sinnzusammenhänge bezeichneten Fallgruppen seine Zustimmung erteilt.491 Dabei hat er die zur Erweiterung der 485
Vgl. Zeuner, in: FG BGH III, S. 351 f. In diesem Sinne Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 21 f.; 25 f.; ders., FG BGH III, S. 351 f., vor allem für das Verhältnis von Unterlassungsanspruch (§ 1004 BGB) zum Schadensersatzanspruch, die beide im Eigentum wurzeln. Aus diesem Grunde komme es für die Bindungswirkung nicht darauf an, dass die Unterlassungspfl icht nicht im Tatbestand des Schadensersatzanspruches ausdrücklich genannt sei. 487 Zu dieser Fallgruppe unten § 31 IV 2; RG JW 1937, 1895 f. 488 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 21. 489 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 170; ähnlich infolge A. Blomeyer, ZPR, § 89 V 4; Grunsky, Grundlagen, § 47 IV 2b; Henckel, Prozeßrecht, S. 174 ff.; Foerste, ZZP 108 (1995), 167 ff.; kritisch: E. Peters ZZP 76 (1963), 229 f. 490 Zeuner, Die objektiven Sinnzusammenhänge, S. 8 f.; zu v. Savigny oben § 5 II. 491 Schwab, JZ 1959, 787. So gelangt Schwab zu einer weiteren Fassung der Präjudizialität und des kontradiktorischen Gegenteils. Präjudizialität will Schwab etwa bei sog. Ausgleichszusammenhängen annehmen, wenn die Entscheidung des Vorprozesses und des Nachfolgeprozesses so eng miteinander verbunden sind, „dass eine gegensätzliche Entscheidung des 486
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
Rechtskraftgrenzen maßgebliche Begründung angesprochen, die nicht in einer Erweiterung der Rechtskraft auf die Entscheidungsglieder bestehen kann, sondern bei der Auslegung des mit der Entscheidung angestrebten (gemeinsamen) Ziels oder Interesses der Klagen ansetzen muss.492 Der BGH hat in einer jüngeren Entscheidung493 in einem obiter dictum die von Zeuner bemühten Kriterien der Rechtskraftabgrenzung verworfen. Wenngleich die Entscheidung zum Teil berechtigte Bedenken gegen die Lehre Zeuners trägt, war dieses Verdikt für die Fallentscheidung unnötig. Denn im Ergebnis betraf der Sachverhalt des BGH die Frage der Erstreckung der Rechtskraft einer Teilklage (in Gestalt einer Feststellungsklage) auf die nachfolgende Restforderung. Hier nehmen aber selbst die Anhänger der Lehre Zeuners nicht an, dass sich die Rechtskraft auf den Anspruchsgrund als solchen erstrecke.494 In der Tat hat Zeuner es aber versäumt, über das Aufdecken einzelner Fallgruppen hinaus für einen gemeinsamen gedanklichen Überbau zu sorgen, der Rechtssicherheit gewährleistet.495 Eine Rechtskrafterweiterung auf Sinnzusammenhänge kann nicht allein begrifflich indifferent mit der intendierten Rechtsordnung begründet werden.496 Im Übrigen wird die Konsistenz richterlicher Entscheidungen bereits in der Praxis vielfach dadurch gewahrt, dass Gerichte regelmäßig in einem Folgeprozess die Akten des früheren Verfahrens (§ 273 II Nr. 2 ZPO) anfordern und nicht ohne Grund von der Beurteilung von Vorfragen abweichen.497 Die Bindung der richterlichen Gewalt (Art. 20 III GG) an Recht und Gesetz trägt somit in nicht unerheblichem Ausmaß zur Wahrung von Sinnzusammenhängen und damit auch zur Förderung der Autorität staatlicher Gerichte bei.498 Eine Erweiterung der Rechtskraft über die bereits anerkannten Kategorien (Präjudizialität, kontradiktorisches Gegenteil499) hinaus ist aus diesem Grund Folgeprozesses auch die Entscheidung des Vorprozesses in ihrer Existenz beeinträchtigen müsste“, etwa im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Ebenso will er entgegen der h.M. zu der Annahme des kontradiktorischen Gegenteils gelangen, „wenn die erbetene Entscheidung die Wirkungen des rechtskräftig gewordenen Urteils in irgendeiner Weise zu beschneiden geeignet ist.“ 492 Schwab, JZ 1959, 787. 493 BGH NJW 2003, 3058 f.; Grunsky, LMK 2003, 197; vgl. BGH LM § 325 ZPO Nr. 19. 494 Näher unten § 31 IV 5; Grunsky, LMK 2003, 198; allgemein Pohle, ZZP 77 (1964), 98 ff. 495 Dies gesteht Zeuner mittlerweile selbst ein, in: FG BGH III, S. 357 Fn 64: Aus dem Erfordernis bestimmter inhaltlicher Sinnzusammenhänge lasse sich selbstverständlich nicht die gesuchte Lösung einfach ableiten. 496 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 205; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 54 meint, dass Zeuners Verständnis nicht mit dem Gesetz übereinstimme und im Ergebnis auch nicht erforderlich sei, da Sinnzusammenhänge meist automatisch mitbeachtet werden. 497 Ebenso MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 54. 498 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 54. Für die Autorität der Gerichte förderlicher sei eine Beschränkung der Rechtskraftwirkung als eine unbestimmte Ausdehnung auf Sinnzusammenhänge. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Gefahr von Fehlurteilen. 499 Oben § 27, 28. Vgl. zur Präjudizialität auch BGH NJW 2006, 63.
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nur in engen und klar strukturierten Grenzen möglich, die sich nicht an vagen Gesichtspunkten wie der intendierten Rechtsordnung orientieren können.500 Auszuscheiden sind deswegen zunächst Fälle, bei denen de lege lata (§ 322 I, II ZPO) eine Rechtskraftwirkung nicht zu rechtfertigen wäre. Dies gilt etwa für eine Rechtskrafterstreckung auf das vertragliche Synallagma, das zu einer vom Gesetzgeber ausdrücklich abgelehnten Vorfragenbindung führen würde.501 So kann Zeuner 502 nicht in der Ansicht gefolgt werden, dass eine Partei, die bereits rechtskräftig aus einem gegenseitigen Vertrag (§ 320 BGB) zur Leistung verurteilt sei, nicht im Verfahren über ihren Gegenanspruch mit der Begründung abgewiesen werde könne, der Vertrag sei niemals zustande gekommen. Da die Rechsschutziele in beiden Verfahren völlig verschieden sind, darf die Rechtskraft auch nicht ausnahmsweise auf die Vorfrage der Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses erstreckt werden. Für einen Teil der Fälle503 lässt sich aber eine begrifflich genaue Definition des inhaltlichen Zusammenhangs zwischen zwei Verfahren leisten, der eine Rechtskrafterstreckung erlaubt. Die in dieser Arbeit aufgezeigte Bedeutung der Erfüllungskonnexität504 verschiedener Rechtsfolgen rechtfertigt auch ihre Berücksichtigung im Rahmen der Rechtskraft.505 Eine verfahrensübergreifende Bindungswirkung wäre somit jenseits der gesicherten Fälle der Präjudizialität anzuerkennen, wenn sie sich weiter innerhalb desselben Interesses bewegt. Im Einzelfall bleibt lediglich die Entscheidung schwierig, ob ein zweites Verfahren nicht bereits als unzulässig abzuweisen ist (etwa durch eine Erweiterung des kontradiktorischen Gegenteils506) oder lediglich von der Bindungswirkung des früheren Urteils betroffen wird. Damit werden zum Teil auch Gesichtspunkte berührt, die bereits aus der angloamerikanischen Lehre des collateral estoppel bekannt sind und dort zur Erweiterung des Bindungszuammenhangs beitra500 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 205 f.: „Allerdings sollte man die Unterscheidung zwischen Schlussfrage und Vorfrage nicht formal treffen, so dass diejenigen Streitpunkte, die in der entschiedenen Schlussfrage deutlichen Ausdruck fi nden, auch dann als rechtskräftig entschieden angesehen werden können, wenn man sie rein konstruktiv als Vorfragen einordnen könnte.“ 501 So Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 205 f.; ebenso im Ergebnis MünchKomm/ Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 55 f., der auf die Option der Zwischenfeststellungsklage als Ersatz hinweist. 502 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 74 f. 503 Eingehend unten § 31 IV. 504 Oben § 22 II. 505 Ähnlich K. Otte, Umfassende Sachentscheidung, S. 49: „Eine Unterscheidung zum ‚Normalfall‘ der Vorfragenidentität wäre dann einzusehen, wenn bei wertender Betrachtung eine teleologische Sinnbeziehung der involvierten Rechtsschutzinteressen erkannt würde und nur diese Sinnbeziehung eine Rechtskraftwirkung der Urteilselemente rechtfertigt. Eine solche Sinnbeziehung wäre gegeben, wenn die Verwirklichung des einen Rechtsschutzinteresses das andere Rechtsschutzinteresse – ohne mit ihm deckungsgleich zu sein – in anderer Form oder Ausprägung verwirklicht.“ 506 Zeuner, in: FG BGH III, S. 355 f.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
gen sollten.507 Im deutschen Recht wurden desweiteren von Henckel 508 durch das rechtskraftrelevante Merkmal „desselben wirtschaftlichen Wertes“, der im Zweitprozess auf dem Spiel stehe und durch die von Rimmelspacher 509 in die Diskussion eingeführte Identität der „Rechtsposition“ Kriterien benannt, die eine Erweiterung der Bindungswirkung über die logisch-konstruktiven Fälle der Präjudizialität erklären könnten.510
II. Wirtschaftlicher Wert und identische Rechtsposition Henckel gebührt das Verdienst, die Rolle des Anspruchsinhalts bei der Ermittlung der Rechtskraftbindung relativiert zu haben.511 Dies betrifft etwa den Fall, dass der Beklagte zur Unterlassung einer Handlung oder Herausgabe einer Sache verurteilt wurde und nachfolgend der Kläger für die Verletzung dieser Pflichten Schadensersatz fordert.512 Eine Rechtskraftwirkung der früheren Entscheidung auf das nachfolgende Verfahren wäre hier nach Henckel nur denkbar, wenn auf die Identität des Anspruchsinhalts als Kriterium verzichtet würde. Bei dieser Betrachtungsweise löst sich Henckel von den üblichen Begrenzungen durch den Subsumtionsschluss des Urteils und überlegt, welche weiteren Kriterien neben den von Zeuner entdeckten Sinnzusammenhängen zur Ermittlung der objektiven Rechtskraftgrenzen im Wege der Auslegung von § 322 I ZPO bemüht werden könnten. Werde auf den übereinstimmenden Anspruchsinhalt verzichtet, müsse an seine Stelle ein ausgleichendes Kriterium treten, das dessen Abgrenzungsfunktionen übernehme: der wirtschaftliche Wert. Wolle man also einem Urteil bindende Wirkung beimessen für einen neuen Prozess, der zwischen denselben Parteien bei gleichem Anspruchsgrund über einen anderen Anspruchsinhalt geführt werde, dürfe dies nur geschehen, wenn der wirtschaftliche Wert, der im ersten und zweiten Prozess auf dem Spiele stünde, identisch sei.513 Eine Partei könne durch ein Urteil nicht in höherem Maße belastet werden, als sie nach dem Inhalt des eingeklagten Anspruchs erwarten konnte. Sei 507
MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 54. Unten § 31 II. 509 Eine Bindung sei seiner Ansicht nach zudem nicht gerechtfertigt, wenn die Beweislast zwischen beiden Rechtsfolgenbehauptungen eine andere sei. Dies gelte insbesondere, wenn das Risiko eines non liquet unterschiedlich verteilt war. Die Bindungswirkung dürfe sich somit nicht zu Lasten der im Zweitprozess nicht beweisbelasteten Partei zeigen, Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 264. Indes erscheint diese Ausnahme unangebracht, weil die materielle Rechtskraft nicht vor materiellen Beweisfragen zurückzutreten hat. 510 Kritisch MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 54. 511 Henckel, Prozeßrecht, S. 172 f. 512 Näher unten § 31 IV 4. 513 Henckel, Prozeßrecht, S. 172. So soll der Prozess um den Schadensersatzanspruch für die Verurteilung des Beklagten zur Unterlassung oder zur Herausgabe keine Rechtskraft wirken. 508
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etwa eine Klage abgewiesen worden, mit der der Kläger rückständige Darlehenszinsen eingeklagt habe, weil nach Ansicht der Richter der Darlehensvertrag nichtig war, binde diese Feststellung aufgrund der Unterschiedlichkeit der wirtschaftlichen Werte nicht im Prozess um die Rückzahlung des Kapitals.514 Diese von Henckel befürwortete Bindungswirkung zeigt sich in einer Art wirtschaftlichen Vorgreiflichkeit. Das als Substitut gedachte Kriterium des einheitlichen wirtschaftlichen Werts hat jedoch nicht zu Unrecht Kritik erfahren. Von einer solchen wirtschaftlichen Bewertung der Streitgegenstände des ersten und des nachfolgenden Prozesses könne nicht das Durchgreifen der Rechtskraftbindung abhängig gemacht werden, weil sie als solche schon die Unberechenbarkeit auf der Stirn trage. Die Ungewissheit der Rechtskraftbindung, die man in Kauf nehme, wenn man die Engherzigkeit des § 322 I ZPO überwinden trachte, werde dadurch nur vergrößert.515 Zwar versucht Henckel mit seiner Argumentation an die Motive zu § 322 ZPO insoweit anzuknüpfen, als auch dort die Berechenbarkeit der Folgen als Begrenzungskriterium für die Rechtskraft angesprochen wird.516 Doch sieht Bötticher mit Recht keinen Grund dafür, das Merkmal des Anspruchsinhalts durch das Kriterium des wirtschaftlichen Wertes abzulösen. Denn wenn man § 322 ZPO über seinen Wortlaut auf materielle Sinnzusammenhänge ausdehnt, muss man auch den Mut haben, diese Linie bei unterschiedlichen Streitwerten durchzuhalten. Das Kriterium des wirtschaftlichen Wertes erweist sich als unbestimmt und wenig praxistauglich.517 Für die Rechtspraxis bringt diese Lehre auch deswegen weitere Schwierigkeiten mit sich, weil es nach Henckel der Ermittlung bedarf, um welche Verurteilungs- oder Abweisungsgründe die Parteien tatsächlich gestritten haben.518 Sowohl Henckel als auch Rimmelspacher räumen damit der Frage, was die Parteien tatsächlich als Anlass hatten, im Prozess vorzubringen, zuviel Raum ein. Durch diese Anknüpfung der Rechtskraftwirkung an die im Vorprozess beschiedenen Elemente entsteht die Gefahr einer Kette von Teilprozessen über Vorfragen. Auch für Rimmelspacher markiert bei der Ermittlung der Grenzen der Bindungswirkung die Rechtsposition nur den Anfangspunkt seiner Überlegungen. Daneben benennt er eine Reihe von Korrektiven, die dazu 514
Henckel, Prozeßrecht, S. 175; Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 54. So die Deutung durch Bötticher, ZZP 85 (1972), 16. 516 Henckel, Prozeßrecht, S. 173. 517 Arens, AcP 173 (1973), 259 f.; Bötticher, ZZP 85 (1972), 17; Konzen, in: FS Zeuner, S. 415. 518 Dabei handelt es sich um das zweite retardierende Kriterium für die Bemessung des Rechtskraftumfangs, das Henckel in die Diskussion einführt, S. 172. Hiernach könnten sich die Parteien auch der Rechtskraftwirkung dadurch erwehren, dass sie nicht neue Tatsachen vortragen, die sich auf den maßgeblichen Abweisungs- und Verurteilungsgrund beziehen: Vielmehr sei eine großzügigere Bewertung auch dann angezeigt, wenn sich aus der Tatsachenverhandlung ergebe, dass der Kläger oder der Beklagte im Vorprozess nicht gezwungen war, gerade um diesen Abweisungsgrund zu streiten. Hiernach sei maßgeblich, inwieweit Kläger und Beklagte Anlass hatten, an der richtigen Darlegung des Sachverhalts mitzuwirken. 515
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führen, „dass die Rechtskraftwirkung in einem Folgeprozess von einer Fülle verschiedenartiger Umstände – etwa von der Streitigkeit des Parteivorbringens im Erstprozess, von der Identität der in den Bestandsvoraussetzungen geprüften Elemente, von einer Verschiebung der Beweislast – abhängen kann.“519 Diese Unberechenbarkeit würde m.E. vermieden, wenn lediglich der Aspekt der Interessenidentität verschiedener Rechtsfolgenbehauptungen in den Vordergrund gerückt wird.520 Zumindest für die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung in einem Folgeverfahren spielen dann betragsmäßige Unterschiede keine Rolle. Für die These, dass Parteien gemessen an dem auf dem Spiel stehenden wirtschaftlichen Wert jeweils mit unterschiedlicher Intensität streiten, ist ohnehin von Henckel oder Rimmelspacher niemals empirischer Beweis angetreten worden.
III. Rechtskraft und Verwirkung Ein weiterer Kritikpunkt gegen Henckels Ansatz besteht darin, dass dieser versucht, die Rechtskraft mit dem Aspekt der Verwirkung der Rechtsausübung in Zusammenhang zu bringen.521 Die Ausschlusswirkung der Rechtskraft beruhe seines Erachtens darauf, dass die Parteien alles aus ihrer Sicht Erhebliche im Verfahren vorbringen könnten und diese Möglichkeit im Interesse des Gegners auch nutzen müssen. Wer diese Chancen nicht wahrnehme, verwirke die weitere Ausübung seiner Rechte.522 Dieser Gedankengang wird von ihm untermauert523 mit dem Prinzip des Vertrauensschutzes. Da der Prozess den Parteien die Möglichkeit zu umfänglichem Sachvortrag biete, müsse jede Partei von dieser Option zum Schutze des Prozessgegners auch Gebrauch machen.524 Gaul hat dem aber mit Recht entgegengehalten, dass jede Partei in ihrem eigenen Interesse streite und deswegen auch den Streitaufwand möglichst gering halten wolle: „Das ganze Prozessverhalten der jeweiligen Partei ist geradezu vom Gebot des eigenen Interesses bestimmt, vom Interessenwiderstreit und demgemäß vom Verhalten zum eigenen Vorteil. Verhält sich die Partei nicht so, bedeutet dies nur die Vernachlässigung des eigenen Interesses, dessen Wahrnehmung zu gebieten der Gesetzgeber keinen Anlass hat.“525
Aufgrund fehlenden Ver trauens der Parteien kann der Gedanke der Verwirkung kaum den dogmatischen Unterbau der Rechtskraft im deutschen Recht
519 520 521 522 523 524 525
Peetz, S. 53. Näher unten § 31 IV. Henckel, Prozeßrecht, S. 92 ff., 163 f.; hierzu Gaul, in: FS Henckel, S. 235 (269). Henckel, Prozeßrecht, S. 96. Henckel, Prozeßrecht, S. 95. Vgl. hierzu auch Gaul, in: FS Henckel, S. 256. Gaul, in: FS Henckel, S. 256. Insoweit kritisch Bötticher, ZZP 85 (1972), 27.
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festigen.526 Indem Henckel die Rechtskraft auf die Verantwortung der Parteien zurückführt, schlägt er aber eine Brücke zum US-amerikanischen estoppelPrinzip527, das ebenfalls der Vorstellung zuneigt, dass die materielle Rechtskraft nicht nur dem Parteiinteresse, sondern auch dem öffentlichen Interesse dient.528 Ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Konzeption besteht darin, dass unverschuldet nicht vorgetragener Prozessstoff in der Regel nicht von der estoppel-Wirkung erfasst wird.529 Diese verschuldensabhängige Betrachtungsweise rechtfertigt den weiteren amerikanischen Präklusionsumfang. Bei der folgenden Diskussion um eine Ausdehnung objektiver Präklusionswirkungen im deutschen Recht ist dieser strukturelle Unterschied zu bedenken. Vor allem bei der Präjudizialwirkung der Rechtskraft (sog. collateral estoppel) wäre dann entscheidend, ob die Parteien im Vorprozess tatsächlich über Einzelpunkte gestritten haben und ihnen die Bedeutung des Streitpunkts für künftige Prozesse bei zumutbarer Sorgfalt nicht verborgen bleiben konnte. 530 Mit dieser Berechenbarkeit des Rechtskraftumfangs klingen zwar ähnliche Überlegungen an, wie sie in der Gesetzesbegründung zur CPO Erwähnung finden, die strukturellen Unterschiede zu Henckel und vor allem zum angloamerikanischen System sind jedoch nicht zu verkennen. Im deutschen Recht wird deswegen die Ausrichtung der Rechtskraft am geltenden Prozesszweck weiter den Vorrang vor rein öffentlichen Interessen behalten.531
IV. Einzelne Fallgruppen 1. Facultas alternativa nach § 249 BGB Seit einer Entscheidung des RG ist vielfach diskutiert worden, inwieweit im Rahmen der für § 249 I, II BGB bestehenden facultas alternativa wechselseitige Bindungswirkungen in Betracht kommen.532 Im Vorprozess hatte dort die Klägerin von dem Beklagten Naturalersatz als Schadensersatz für die unrechtmäßige Versteigerung einer entsprechenden Menge im Wald lagernden Holzes verlangt. Die Klage war jedoch mangels Eigentums der Klägerin abgewiesen worden. Das RG nahm an, dass die rechtskräftige Abweisung der ersten Klage 526 Im Ergebnis ebenso Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, S. 256; Hopfgarten, Die materielle Rechtskraft im Zivilprozess, S. 115; Gaul, in: FS Henckel, S. 256. 527 Gaul, in: FS Henckel, S. 269; hierzu auch Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung (1934), 49 f. 528 Cohn, in: FS Nipperdey I, S. 885 f.; Engelmann-Pilger, S. 37 f. 529 Vgl. etwa Dsane v. Hagan, 1961, 3 W.L.R. 776; Habscheid, in: FS Fragistas, Bd. I, S. 547 f.; Cohn, in: FS Nipperdey I, S. 887 f.; Gaul, in: FS Henckel, S. 270 und oben § 13 II 1. 530 Engelmann-Pilger, S. 73, 93; Gaul, in: FS Henckel, S. 270. 531 So Gaul, in: FS Henckel, S. 271. 532 RG 126, 401, 404; BGHZ 5, 105, 109 f. (für Präjudizialität).
562
Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
auf Naturalerfüllung auch einer weiteren Klage auf Schadensausgleich in Geld entgegenstünde, die mit einem dem Tatbestand des früheren Urteils entsprechenden Sachverhalt dem Gericht zur Entscheidung unterbreitet werde. Die unerlaubte Handlung erzeuge einen Schadensersatzanspruch auf Herstellung desjenigen wirtschaftlichen Zustandes, in dem sich der Ersatzberechtigte ohne das schädigende Ereignis befunden hätte. Der Gläubiger könne nach seiner Wahl die Herstellung des früheren Zustandes durch den Schädiger selbst oder die dazu erforderlichen Geldmittel von ihm verlangen. Werde die Klage auf Naturalrestitution rechtskräftig abgewiesen, weil etwa ein Verschulden des Beklagten nicht nachweisbar sei, so dürfe der Kläger dem Gericht nicht nochmals die gleiche Schadensersatzpflicht nunmehr in Gestalt der Geldreparation (§ 249 II BGB) unterbreiten (ne bis in idem). Der Kläger fordere hier aufgrund desselben Tatsachenmaterials und aus demselben Rechtsgrund dasselbe wie im Vorprozess, wenngleich auch in anderer Form.533 Rosenberg hat der Entscheidung mit Recht entgegengehalten, dass der Inhalt des Geldersatzanspruchs und der Naturalrestitution verschieden sei und die Urteilsgrundlagen nicht in Rechtskraft erwachsen.534 Zweifellos divergieren in beiden Prozessen die Anträge, wenngleich derselbe materielle Anspruchstatbestand im Streit steht.535 Die Identität des Anspruchs genügt jedoch nicht, um ein Zweitverfahren am Einwand entgegenstehender Rechtskraft scheitern zu lassen.536 Für Rosenberg537 ergibt sich bereits aus § 264 Nr. 3 ZPO, dass der Anspruch auf Naturalleistung im Sinne der ZPO ein anderer sei als der des BGB. Diese Vorschrift zeige, dass das Verlangen eines anderen Gegenstandes und die damit verbundene Änderung des Klageantrags zu einer Änderung des Streitgegenstands führe.538 Rosenberg ist jedoch insofern zu widersprechen, als er den Urteilsgegenstand mit Blick auf das laufende Verfahren bestimmen will. Der Rekurs auf § 264 Nr. 3 ZPO ist insoweit nicht nur überflüssig, sondern unzutreffend, kommt dieser Vorschrift doch nur Bedeutung für die Konturierung des Verfahrensgegenstands zu.539 Die bisherige Untersuchung zu § 264 ZPO hat gerade umgekehrt ergeben, dass die materielle Verwandtschaft einer Aufspaltung der Begehren in parallele Verfahren entgegensteht. Denn beide dienen der Verwirklichung desselben Interesses.
533
Hierzu Rosenberg, in: FG Schmidt, S. 257; Kion, Eventualverhältnisse, S. 140 f. Rosenberg, in: FG Schmidt, S. 258; A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 83 f. 535 Rosenberg, in: FG Schmidt, S. 269. 536 RGZ 118, 262. 537 Rosenberg, in: FG Schmidt, S. 269. 538 Dagegen wäre nach Rosenberg diese Vorschrift regelmäßig überflüssig, wenn die Einheit des materiellrechtlichen Anspruchs über die Frage der Klageänderung entscheiden würde. 539 Oben § 22 III 2 c; § 23 I 10. 534
§ 31 Präjudizialität und erweiterte Rechtskraftbindung
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Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Bedürfnis nach Bindung an die rechtskraftfähigen Ergebnisse des Erstverfahrens besteht, um den Geltungsanspruch des Judikats nicht unberücksichtigt zu lassen. Insbesondere folgt dieser Schutz aus dem Beklagteninteresse. A. Blomeyer hält aus diesem Grunde den Inhaltsunterschied beider Formen für nebensächlich. Unterschiedlich falle zwar die freiwillige Befriedigung der Ansprüche aus, identisch aber die erzwungene. Die Vollstreckung des Naturalersatzanspruchs führe zum Anspruch auf die Reparaturkosten.540 Damit wird letzten Endes doch wieder der Ersatz in Geld erreicht, auf den sich § 249 II BGB unmittelbar beziehe: „Soll nun die unleugbare Verschiedenheit des Wegs zum einheitlichen prozessualen Endziel, der Geldvollstreckung gegen den Schädiger, die Rechtskraftwirkung der Abweisung bestimmen. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Voraussetzungen der Ansprüche nach jeder Hinsicht dieselben sind…“.541
Nach A. Blomeyer gelte diese Bindung jedoch nicht für § 251 BGB, weil dann zusätzlich Voraussetzung sei, dass die Herstellung nicht möglich sei oder nicht ausreiche. Für Zeuner hingegen stellt sich das Verhältnis von § 249 I zu II BGB als ein typisches Beispiel der Rechtskraftwirkung kraft Sinnzusammenhangs dar, bei dem die üblichen Kriterien versagen.542 Beide Rechtsfolgen führen in unterschiedlicher Form zu demselben Ziel. Für § 251 BGB sei aber kein Unterschied erkennbar, da auch hier die Schadenskompensation im Vordergrund stehe.543 Entgegen A. Blomeyer bestehe die notwendige Zielidentität auch dann, wenn sich die Gemeinsamkeit der Rechtsfolgen, die jeweils einen vollen wirtschaftlichen Schadensausgleich gewähren wollen, nicht auch in der Zwangsvollstreckung zeige. Sei deswegen der Kläger mit seinem Anspruch auf Geldersatz nach § 251 BGB aus Sachgründen abgewiesen worden, so könne auch der Klage auf Naturalrestitution nicht stattgegeben werden, wenn sich nunmehr ein gleichwertiges Ersatzstück für die zerstörte Sache finden ließe. Allerdings müsse die Abweisung der ersten Klage auf einem Tatbestandsmerkmal beruhen, das auch für das Durchgreifen der zweiten Klage konstitutiv wäre, da nur dann das gemeinsame Ziel betroffen sei und nicht nur die jeweiligen Besonderheiten. Rimmelspacher hingegen glaubte, dass sich die vom RG entschiedene Konstellation nicht als seltener Ausnahmefall darstelle, sondern sich in die von ihm gewählte Rechtskraftabgrenzung – nach der Identität der zu ver-
540 A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 85 f. Das Urteil wird vollstreckt, indem der Gläubiger sich vom Prozessgericht ermächtigen lässt, die Reparatur auf Kosten des Schuldners vorzunehmen, § 887 I ZPO. Hierbei ist auch die Verurteilung des Schuldners zur Vorauszahlung der Kosten zu erreichen, § 887 II ZPO. 541 RG JW 1937, 3228. 542 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 169; ders., in: FG BGH III, S. 357. 543 Henckel, Prozeßrecht, S. 198.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
wirklichenden Rechtsposition – einfüge.544 Die beiden Ansprüche unterschieden sich nur in ihrem mittelbaren Anspruchsinhalt und somit in der konkreten Form des Rechtsbehelfs. Die übrigen Elemente seien auf ähnliche Weise festgelegt. Habe der Kläger somit im Prozess um die Wiederherstellung in Natur obsiegt, so könne der Beklagte nicht mehr bestreiten, dass die geltend gemachte Rechtsposition jedenfalls aus dem vom Beklagten vertretenen Vermögens- oder Nichtvermögensbereich in bestimmter Weise zu befriedigen sei. Der Beklagte könne sich deswegen auch nicht mehr einer Forderung des Klägers verweigern, die auf Entschädigung in Geld gerichtet sei. Ähnliches gelte für das Verhältnis von § 249 BGB zu § 251 BGB.545 Die Problematik basiert auf dem Umstand, dass das Gericht wegen § 308 I ZPO im Zuspruch von Natural- oder Geldersatz nicht frei ist, obwohl dasselbe Interesse im Streit steht.546 Auch die Rechtskraft verhindert die Durchführung eines neuen Verfahrens über einen anderen Anspruchsinhalt nicht. Das rechtskräftige Urteil über die Naturalforderung bindet jedoch im Rahmen eines Zweitverfahrens über die Schadenskompensation in Geld. Dies gilt sowohl im Fall der Klageabweisung als auch bei zusprechendem Urteil, will man das zivilprozessuale Gleichbehandlungsgebot nicht außer Kraft setzen.547 Der Zweck von § 308 I ZPO steht einer solchen Bindung nicht entgegen. In dieser Richtung liegt ohnehin ein klassischer Fall von Präjudizialität vor, weil das Bestehen des Anspruchs auf Naturalrestitution bereits nach dem Gesetz Voraussetzung eines Anspruchs auf Geldersatz (§ 249 II 1 BGB) ist.548 Im umgekehrten Verhältnis der Geldforderung zur Naturalforderung gilt dies hingegen nicht.549 Die Bindungswirkung beruht hier vielmehr auf dem besonderen inhaltlichen Zusammenhang der Rechtsfolgen.550 Die Einheit des Leistungsinteresses streitet m.E. für eine allseitige Bindung jenseits logisch-konstruktiver Verknüpfungen.551 544
Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 270; auch Bub, Streitgegenstand,
S. 56 f. 545 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 271; Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 168. 546 Ähnlich Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 270 f. Seiner Ansicht nach bestehe der Sinn von § 308 I ZPO darin, den Kläger nicht nur auf eine bestimmte Rechtsposition, sondern auch auf eine bestimmte Schutznorm festzulegen. 547 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 271 f. 548 BGH NJW 1991, 2014; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 196; A. Blomeyer, in: FS Lent, S. 83; Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 164 ff.; Henckel, Prozeßrecht, S. 198; a.A.: Habscheid, Streitgegenstand, S. 43; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn.40: Das nicht unbillige Ergebnis sei dogmatisch nicht begründbar. 549 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 30, weist darauf hin, dass über den Anspruchsgrund als Vorfrage nicht rechtskräftig entschieden sei. 550 So auch Zeuner, in: FG BGH III, S. 353. 551 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 49: Dasselbe Rechtsschutzinteresse werde in unterschiedlicher Form verwirklicht; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 270 f.
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Insoweit gilt es, den nicht nur von Zeuner erkannten Sinnzusammenhang begrifflich mit Leben zu erfüllen. Im Übrigen zeigt sich die rechtliche Einheit des Schadensersatzanspruchs hier auch in Gestalt eines Abtretungs- und Verfügungsgegenstandes. Damit ergäbe sich – allerdings zunächst begrenzt auf die vorgestellte Konstellation – eine mögliche dritte Bedeutung des Interessekriteriums. Neben der Bestimmung des Rechtshängigkeitsumfangs und der Konkretisierung des Urteilsgegenstandes dient es der Bemessung der Bindungsweite der materiellen Rechtskraft in einem Folgeprozess.552
2. Erfüllungsanspruch und Schadensersatz Ähnliche Rechtskraftwirkungen bestehen im Verhältnis zwischen vertraglichem Erfüllungsanspruch und dem Schadensersatzanspruch statt der Leistung (früher: wegen Nichterfüllung)553, da beide auf die Verwirklichung desselben Interesses abzielen.554 Zweifellos wirkt die Entscheidung über den Primäranspruch Rechtskraft im Streit um den Ersatzanspruch. Das von der h.L. bemühte Präjudizialitätsprinzip kann aber eine Bindungswirkung in umgekehrter Richtung nicht erklären. Wird etwa der Käufer einer seltenen Vase mit seiner Klage auf Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 I, III, 283 BGB) rechtskräftig abgewiesen, weil ihm der Nachweis des Kaufvertragsschlusses nicht gelang, so bleibt fraglich, ob er nun in einem zweiten Verfahren noch seine Primärforderung mit der Behauptung durchsetzen kann, der Schuldner könne die zunächst für unmöglich (§ 275 I BGB) gehaltene Leistung noch erbringen. Logisch-konstruktive Zusammenhänge bestehen hier nicht. Deswegen könnte zur Rechtfertigung einer Bindungswirkung nur auf den von Zeuner 555 beschriebenen teleologischen Zusammenhang rekurriert werden. Insoweit wirke auch der auf das Erfüllungsinteresse gerichtete Schadensersatzanspruch Rechtskraft für den Primäranspruch.556 Dieser wolle den Gläubiger wirtschaftlich so stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung stünde. Der Schadensersatzanspruch zeige sich hier als ein anderer Weg, der zum selben Ziel führe. Als Alternative böte sich an, den inneren materiellen Zusammenhang beider Begehren in Gestalt einer einheitlichen Rechtsposition im Sinne Rimmelspachers zu betonen.557 Von der 552
Angedeutet von Bub, Streitgegenstand, S. 138. Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 171 f.; ders., JuS 1966, 148; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 271. 554 Der Zusammenhang zwischen der Einheit der Obligation und der res judicata tritt noch deutlicher im gemeinrechtlichen Schrifttum hervor, Wetzell, System, § 47, S. 580; oben § 22 II. 555 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 172; eine spezielle Fallgestaltung betraf BGHZ 38, 149; insoweit zustimmend Pohle, JZ 1963, 323; Brox, NJW 1963, 693. 556 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 172; strenger Pohle, JZ 1963, 323. 557 Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 271. 553
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hier vertretenen Warte aus lässt sich die Rechtskraftbindung im Zweitprozess mit der Vorstellung eines einheitlichen Interesses rechtfertigen. Dies bedeutet, dass der Richter an die frühere Entscheidung nur soweit nicht gebunden ist, als die speziellen Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage, aber nicht das gemeinsame Fundament, das beide Ansprüche trägt, verneint wurde. Im genannten Beispielsfall ist die Klage auf die Primärleistung zwar nicht unzulässig, aufgrund der Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft jedoch unbegründet, weil das Bestehen des Kaufvertrages sowohl für Primär- als auch Sekundärforderung konstitutiv ist. Hier trifft sich der im Rahmen dieser Studie eingeschlagene Weg wieder mit der Lehre Zeuners. Aus dieser Orientierung am Gläubigerinteresse ergibt sich zugleich, dass die Abweisung einer auf Ersatz des Verzugsschadens gerichteten Klage (§§ 280 I, II BGB) des Gläubigers keine Rechtskraft im nachfolgenden Streit über die Primärforderung wirkt. Dies gilt selbst dann, wenn im früheren Verfahren die Nichtigkeit der gemeinsamen vertraglichen Grundlage festgestellt wurde. Denn der Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens will ein anderes Interesse neben der Hauptleistung verwirklichen (Schadensersatz neben der Leistung).
3. Schadensersatz statt der Leistung und Rücktritt Dem Gläubiger einer vertraglichen Leistung steht es im Rahmen seines ius variandi frei, auf die Pflichtverletzung des Schuldners hin vom Vertrag zurückzutreten (§ 323 I BGB) oder an ihm festzuhalten und Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen (§§ 280, 281 BGB).558 Der gemeinsame Ursprung dieses Wahlrechts (elektive Konkurrenz), die Pflichtverletzung des Schuldners, könnte auch Auswirkungen für die Bemessung der Rechtskraftwirkungen haben. Ist es somit dem Gläubiger, der mit seiner Klage auf Schadensersatz statt der Leistung rechtskräftig abgewiesen wurde, weil der vom Schuldner bestrittene Abschluss des Vertrages von ihm nicht bewiesen werden konnte, weiter gestattet, in einem zweiten Prozess seine aus dem Rücktritt vom Vertrag folgenden Rechte geltend zu machen? Das RG hat dies für § 325 f. BGB a.F. (Wahlrecht zwischen Schadensersatz wegen Nichterfüllung und Rücktritt vom Vertrag) bejaht.559 Denn die in der früheren Entscheidung enthaltene Feststellung über das Fehlen eines Vertragsschlusses erwachse als Urteilselement nicht selbständig in Rechtskraft. Bereits Zeuner hat hier mit Recht widersprochen.560 Zwar handle es sich äußerlich betrachtet um verschiedene Rechte (Schadensersatzanspruch und Gestaltungsrecht). Dennoch wollen beide einen Ausgleich für die Vertragsverletzung 558
Durch § 325 BGB ermöglicht der Gesetzgeber sogar die Kombination beider Möglich-
keiten. 559 560
RG JW 1926, 791. Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 170.
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des Schuldners schaffen.561 Werde somit der eine Rechtsbehelf aus Gründen abgewiesen, die das gemeinsame Ziel beträfen, könne auch der andere Behelf nicht mehr durchgreifen. Das vom Gesetzgeber verliehene Wahlrecht auf materieller Ebene562 soll m.E. dem Gläubiger nicht die Möglichkeit mehrerer sukzessiver Prozesse verschaffen, so dass das Risiko eines Unterliegens im ersten Verfahren für ihn keine weiteren Folgen hätte. Auch aus einer Zusammenschau von § 218 BGB und § 213 BGB wird die enge Verbindung deutlich: Der Rücktritt ist hiernach ausgeschlossen, wenn der Anspruch auf die Leistung verjährt ist, § 218. Die Verbindung des Leistungs- und des Schadensersatzanspruchs ergibt sich wiederum aus § 213 BGB. Für eine Rechtskraftwirkung spricht somit die bestehende Interessenidentität. Tritt etwa im Falle eines Kaufvertrages der Käufer vom Vertrag zurück, wären im Übrigen sowohl der Rückabwicklungsanspruch nach §§ 346 I, 323 BGB (Rückzahlung des Kaufpreises) als auch der Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, III, 281 BGB auf eine Geldleistung gerichtet. Stimmen aber beide Klagen bereits im Anspruchsinhalt überein, dürfte auch die h.L. keine Bedenken gegen eine Rechtskraftwirkung tragen. Soweit sich die Klageanträge dem Betrage nach decken, wäre in diesem Fall die zweite Klage bereits unzulässig (ne bis in idem).
4. Wandelung/Rücktritt und Minderung Ein ähnlicher Zusammenhang könnte im Verhältnis von Rücktritt, Wandelung und Minderung bestehen. Jedoch sollte bereits nach Ansicht des RG ein mit seinem Wandelungsbegehren wegen Mangelfreiheit der Ware rechtskräftig abgewiesener Käufer die Möglichkeit haben563, den behaupteten Mangel im Rahmen eines Minderungsverlanges erneut zur gerichtlichen Prüfung zu stellen. Denn einmal werde die Rückgängigmachung des Vertrages, das andere Mal seine Aufrechterhaltung und Herabsetzung des Kaufpreises begehrt. Nach Henckel beruhten diese Rechte zwar auf demselben Anspruchsgrund (Mangelhaftigkeit der Kaufsache).564 Eine Rechtskrafterstreckung wird von ihm aber bereits wegen des verschiedenen wirtschaftlichen Wertes, der bei der Durchsetzung der jeweiligen Rechte auf dem Spiel stehe, abgelehnt.565 Jedoch bleibt Henckel eine tragfähige Erklärung dafür schuldig, warum dies bei den verschiedenen Formen der Schadenskompensation (§ 249 I, II, 251 BGB) anders sein soll, werden doch auch hier häufig unterschiedliche wirtschaftliche Werte ver561
Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 170. Hierzu allgemein Althammer, ZGS 2005, 377 f. 563 RG JW 1907, 708 f.; RG JW 1911, 592 Nr. 41; RG JW 1920, 648. 564 Henckel, Prozeßrecht, S. 198. 565 Insoweit erweise sich, je nach Fallgestaltung, der Rücktritt oder der Schadensersatzanspruch (noch zu § 325 BGB a.F.) als günstiger; ebenso RG JW 1926, 791. Kritisch zu Henckel etwa Peetz, S. 46 f. 562
568
Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
wirklicht.566 Zeuner hingegen trägt mit Recht keine Bedenken gegen eine erweiterte Rechtskraftwirkung.567 Denn alle diese Rechtsbehelfe verfolgten das Ziel, „einen Ausgleich für eine mangelhafte Schuldnerleistung zu schaffen.“ Deswegen schließe die rechtskräftige Verneinung des einen Wegs auch die anderen aus, wenn dies auf dem Fehlen einer gemeinsamen Tatbestandsvoraussetzung (Sachmangel) und damit auf der Verneinung des gemeinsamen Ziels basiere.568 A. Blomeyer zweifelt jedoch an der Gemeinsamkeit des verfolgten Ziels, weil der Schadensersatzanspruch wegen Sachmangels auf volle, der Minderungsanspruch hingegen auf teilweise Vertragsdurchsetzung gerichtet sei, während Rücktritt und Wandelung gerade dessen Rückabwicklung bezweckten.569 Richtigerweise sollte hier mit Zeuner der Blick auf das materielle „Endziel“, der Kompensation des Mangelunwerts, gerichtet sein. Dann wäre gegen eine Bindungswirkung im Folgeverfahren nichts einzuwenden. Die Interessenidentität findet in § 218 BGB (Nacherfüllung und Rücktritt/Minderung) deutlichen gesetzlichen Ausdruck. Soweit die Klage des Käufers auf (teilweise) Rückzahlung des Kaufpreises wegen eines Sachmangels sowohl auf einen Rücktritt als auch eine Minderung gestützt werden könnte, bleibt die Identität des Streitund Urteilsgegenstandes ohnehin in dem Umfang gewahrt, in welchem sich die Klageanträge dem Betrage nach decken.570 Durch die gesetzliche Angleichung sachmängelbedingter Gestaltungsrechte (Rücktritt und Minderung, vgl. § 441 I BGB) sind die Unterschiede auf prozessualer Ebene weiter eingeebnet worden. Die frühere reichsgerichtliche Rechtsprechung ist noch stark von aktionenrechtlichem Denken durchsetzt, wenn sie in der unterschiedlichen materiellen Ausgestaltung von Wandelung und Minderung auch den entscheidenden prozessualen Anknüpfungspunkt erkennen will.
5. Vertraglicher Unterlassungsanspruch und Schadensersatzanspruch Auch im Verhältnis von Schadensersatz- und Unterlassungsklage könnte die Präjudizialwirkung der Rechtskraft zum Zuge kommen.571 Denn die Schadensersatzpflicht stellt zweifellos die Sanktion für die Verletzung einer Unter566
Bub, Streitgegenstand, S. 58. Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 170 ff. „Für alle diese Rechte ließe sich wegen des gemeinsamen Ziels die Rechtskraft des Urteils, das den Grundtatbestand des einen Anspruchs verneint, im Prozess um den anderen wirken lassen.“ 568 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 170 f. 569 A. Blomeyer, ZPR, § 89 V 4. 570 Näher Althammer/Löhnig, AcP 205 (2005), 30 f.; Bub, Streitgegenstand, S. 50 f., 59. 571 Oben § 31 I; K. Otte, Umfassende Sachentscheidung, S. 29; Zeuner, JuS 1966, 149 f. Auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 205 f., ordnet die befürwortete Rechtskraftwirkung der Unterlassungsklage im Verhältnis zum Schadensersatzanspruch den Präjudiziali567
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lassungspflicht dar und setzt eine solche logisch voraus, wenngleich dies nicht unmittelbar im Gesetz zum Ausdruck kommt (§ 823 I BGB). Wird etwa eine Unterlassungsklage aus § 1004 I BGB rechtskräftig abgewiesen, weil der Kläger sein Eigentum nicht nachweisen konnte, so muss diese Feststellung auch im nachfolgenden Schadensersatzprozess wegen Eigentumsverletzung nach § 823 I BGB Bindungswirkung entfalten, obgleich der deliktische Tatbestand die Verletzung einer negatorischen Unterlassungspflicht nicht ausdrücklich voraussetzt.572 Der nachfolgende Schadensersatzprozess baut vielmehr ebenfalls auf den zuvor im Unterlassungsprozess getroffenen Feststellungen zum Eigentumsrecht des Klägers auf, ohne dass zwischen beiden Ansprüchen ein gesetzliches Präjudizialitätsverhältnis bestehen müsste.573 Denn die Ausgestaltung der materiellrechtlichen Anspruchstatbestände ist nicht vornehmlich im Hinblick auf die Behandlung der Rechtskraftfrage erfolgt.574 Hingegen sollte die rechtskräftige Abweisung einer entsprechenden Schadensersatzklage aus § 823 I BGB keine Rechtskraftwirkung für den nachfolgenden Unterlassungsanspruch entfalten, der in die Zukunft gerichtet ist, während ersterer ein bereits abgeschlossenes Verhalten sanktioniert. Die mit Schadensersatz- und Unterlassungsklage verwirklichten Interessen stimmen bereits aufgrund ihrer unterschiedlichen zeitlichen Stoßrichtung nicht (voll) überein, so dass in dieser Richtung keine Bindung angenommen werden kann.
6. Teilurteile „Der Umstand, dass der Richter in dem ersten Verfahren, um über den Theil urtheilen zu können, das Recht auf das Ganze hat untersuchen müssen, übt auf das nachfolgende Verfahren keinen anderen Einfluss, als dass das dort gesammelte Beweismaterial hier wieder benutzt werden kann.“575 An dieser Aussage Wetzells sollte sich auch heute nichts geändert haben. Auf die umfangreiche Diskussion um die Rechtskraftwirkung der Teilklage muss an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden576, weil es sich dabei um kein originäres Streittätsverhältnissen zu; ebenso Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 59; ders., JuS 1966, 149; a.A. etwa MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 51; Schwab, JZ 1959, 787; BGHZ 42, 340, für die vertragliche Unterlassungspflicht; Henckel, Prozeßrecht, S. 174 f., 191, für den Zeitpunkt nach Schluss der mündlichen Verhandlung über den Unterlassungsanspruch (identischer wirtschaftlicher Wert); instruktiv Ahrens/Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, § 36 Rn. 127 ff. 572 Zeuner, in: FG BGH III, S. 352. 573 Kocher, ZZP 117 (2004), 487; a.A. BGH JZ 2003, 423. 574 Zeuner, in: FG BGH III, S. 352; vgl. auch Rüßmann, in: FS Lüke, S. 675 ff. 575 Wetzell, System, § 47, S. 580 N. 44. 576 Exemplarisch zum Streitstand Oberhammer, in: FS Kollhosser, S. 519 ff.; ausführlich Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 139 f.; ders. in: FS Zeuner, 431 ff. (für Rechtskraftwirkung der abgewiesenen Teilklage); gegen Rechtskraftwirkung über den eingeklagten Betrag hinaus die h.L.: Zeuner, in: FG BGH III, S. 350; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 124 f.
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gegenstandsproblem handelt. Zwar verlangt § 264 Nr. 2 ZPO Beachtung bei der Konturierung der Rechtshängigkeitssperre, so dass parallele Teilklagen vornehmlich aus prozessökonomischen Gründen ausgeschlossen sind.577 Für den Urteilsgegenstand gewinnt hingegen § 308 I ZPO an Bedeutung, so dass die auch kostenmäßig relevante Begrenzung auf einen bestimmten Teil bei der Bemessung des Rechtskraftumfangs (ne bis in idem) zu berücksichtigen ist.578 Das gleiche gilt m.E. aber auch im Falle der Klageabweisung. Eine zweite Klage ist weder unzulässig noch unbegründet. Der Kläger hat sein Interesse dem Betrage nach bewusst begrenzt, ohne dass weiter zwischen offenen oder verdeckten Teilklagen zu differenzieren wäre. Damit bleibt auch die Rechtskraftbindung in der einen und in der anderen Richtung auf diesen Wert begrenzt. Im deutschen Recht existiert im Übrigen kein splitting-Verbot wie im US-amerikanischen Recht, so dass auch eine dem vergleichbare merger-Wirkung unangebracht wäre.579 Selbst Zeuner wollte in diesem Fall keine Zerschneidung von Sinnzusammenhängen erkennen.580
V. Rechtsvergleichung: Bindung und Präjudizialität in der Rechtsprechung des OGH Auch die österreichische Judikatur hält rein äußerlich an der Begriffstrias „Identität, kontradiktorisches Gegenteil und Präjudizialität“ bei der Ermittlung der Rechtskraftwirkungen (§ 411 öZPO) fest, wobei sie einen engen zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff favorisiert. Entscheidungen über Vorfragen (bedingende Rechtsverhältnisse) erlangen hiernach nur Rechtskraft, wenn eine förmliche Entscheidung auf einen Zwischenfeststellungsantrag hin ergeht (§§ 236, 252 II öZPO), so dass auch ein Teilurteil keine Rechtskraftwirkung hinsichtlich der Restforderung auslösen würde. Jedoch wurde zunehmends in judikativen Einzelfällen des OGH der konkrete Rechtskraftumfang unter Verwendung der Schlagwörter „Rechtssicherheit“ und „Entscheidungsharmonie“ ausgedehnt.581 Diese Rechtsprechung akzeptiert eine inhaltliche Bindungswirkung des Vorprozesses für den Folgeprozess, wenn zwar keine Identität der Begehren vorliegt und der rechtskräftig entschiedene Anspruch auch nicht Vorfrage im engeren Sinne für den neuen 577
Oben § 23 I 6. Vgl. zum materiellen Recht auch Pawlowski, AcP 195 (1995), 548 ff. Zeuner, in: FG BGH III, S. 350, weist hier zutreffend auf die Parallele in § 322 II ZPO hin. Dort wird das Verlustrisiko des Beklagten hinsichtlich seiner Aufrechnungsforderung auf den vom Kläger geltend gemachten Betrag beschränkt. 579 Treffend MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 129. 580 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 115 f. 581 Dazu etwa Oberhammer, IPRax 2002, 428. 578
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Anspruch ist, jedoch im Ergebnis ein im Gesetz begründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren besteht und dieser inhaltliche Zusammenhang so eng ist, dass die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben Rechtsfrage nicht erlauben.582 Dies gilt insbesondere, wenn ein „einheitlicher Lebenssachverhalt“ betroffen sei. Dabei sei von entscheidender Bedeutung, ob ein bestimmtes Rechtsverhältnis als Ganzes Gegenstand der Entscheidung im ersten Prozess war. Insoweit wird zur Begründung auch auf die Kernpunktrechtsprechung des EuGH, die zu einer weiten Bindung an Vorfrageentscheidungen nötige, rekurriert.583 Diese eher unbestimmte Formel hat dem OGH in jüngster Zeit jedoch massive Kritik eingebracht.584 Denn die Bindung an Vorfragen ist normalerweise auch dem österreichischen Zivilprozessrecht fremd. Mit dem Erlass eines Leistungsurteils wird nicht mit Rechtskraft über das dem Leistungsurteil zu Grunde liegende Vertragsverhältnis geurteilt, was etwa bei nachfolgenden Teilklagen relevant wird.585 Das Abheben auf „den Gegenstand als Ganzes“ ist mit dem dogmatischen Ausgangspunkt – der engen zweigliedrigen Streitgegenstandslehre – nicht vereinbar.586 Diese Bindung an die Urteilselemente lässt sich auch kaum, wie der OGH annimmt587, als Sonderfall der Präjudizialität begreifen.588
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Etwa OGH JBl 1994, 482: Im Erstverfahren wurde ein einen „Sockelbetrag“ übersteigender Teil zuerkannt, so dass im Zweitverfahren der Anspruch auf den „Sockelbetrag“ aus Gründen der Logik kaum verneint werden könnte; in der Tat unterscheidet sich dieser Fall aber von der üblichen „Teilklagenkonstellation“, so zu Recht Oberhammer, JBl 1995, 459 ff. (inzidentes Feststellungsurteil hinsichtlich des „Sockelbetrages“); vgl. auch OGH JBl 1995, 458; OGH JBl 1997, 368 f. 583 In der Entscheidung 1 Ob 60/97y = SZ 70/261 hat der OGH in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zum Verhältnis der actio confessoria (das Klagebegehren war auf die Einverleihung einer Dienstbarkeit gerichtet) und der actio negatoria (Eigentumsfreiheitsklage) ausgesprochen, dass beide Klagen, mit welchen dieselben Parteien dasselbe Rechtsschutzziel mit umgekehrten Vorzeichen anstreben, zueinander im Verhältnis der Streitanhängigkeit stehen. Wiederum wird in der Entscheidung darauf verwiesen, dass durch Art. 21 I und Art. 22 III EuGVÜ die Grundsätze der Entscheidungsharmonie und der Rechtssicherheit neue und überragende Bedeutung erlangt hätten. Oberhammer, IPRax 2002, 428, spricht von einer offensichtlichen Europafreundlichkeit der österreichischen Judikatur. 584 Oberhammer, JBl 2000, 205; ders., JBl 1995, 459 f.; ders., IPRax 2002, 428; Rechberger, in: FS Nakamura, S. 477 f., 489; K. Otte, Umfassende Sachentscheidung, S. 99; Frauenberger, JBl 1994, 483 f. Eher positiv gestimmt: Böhm in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 155 f. 585 Zu Teilklagen insbesondere Oberhammer, in: FS Kollhosser, S. 519 ff. 586 Mit Recht Oberhammer, JBl 1995, 458 ff.; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 99. 587 OGH JBl 1995, 458. 588 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 99.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
VI. Zwischenergebnis Bei der Bestimmung der Grenzen des Urteilsgegenstandes ist, anders als im Rahmen des Verfahrensgegenstandes, stets die konkret beschiedene Rechtsfolge zu berücksichtigen (§§ 308 ZPO, 332 ZPO), so dass die ne bis in idem-Wirkung der Rechtskraft einer früheren Entscheidung einem zweiten Verfahren nur bei Identität der beantragten Rechtsfolgen entgegensteht.589 Der zwischen zwei verschiedenen Rechtsfolgen bestehenden Interessenidentität muss jedoch bei der Bemessung der positiven Rechtskraftwirkungen einer früheren Entscheidung (auch grenzüberschreitend) auf das Folgeverfahren stärker als bisher Rechnung getragen werden. Die Bindungswirkung der Rechtskraft darf somit nicht, wie die h.L. noch annimmt, auf die begrifflich-konstruktiven Fälle der Präjudizialität beschränkt bleiben.590 Vielmehr gilt es, bei der Konkretisierung materieller Sinnzusammenhänge der Bedeutung des gemeinsamen Interesses Rechnung zu tragen. Dienen verschiedene Rechtsfolgen der Verwirklichung desselben Interesses, wirkt die Entscheidung über eine von ihnen auch Rechtskraft im Folgeprozess über die andere, wenn für beide Rechtsfolgen gemeinsame konstitutive Tatbestandselemente betroffen sind.591 So wirkt die Rechtskraft einer Entscheidung über den Schadensersatzanspruch der Leistung auch im nachfolgenden Prozess über die (weiter bestehende) Primärforderung, wenn im Vorprozess die Unwirksamkeit des Vertragsverhältnisses festgestellt wurde.592 Hingegen würde die h.L. nur in umgekehrter zeitlicher Richtung der Entscheidung über den vertraglichen Primäranspruch präjudizielle Rechtskraftwirkung für den Schadensersatzanspruch zugestehen. Rechtsprechung und Literatur denken im Übrigen vornehmlich in begrifflich-konstruktiven Zusammenhängen, indem sie streng zwischen den Kategorien der Identität, des kontradiktorischen Gegenteils sowie der Präjudizialität unterscheiden. Gerade hier treten aber häufig Abgrenzungsprobleme auf, denen mit einem flexibleren materiellrechtlich orientierten Kriterium wie der Interessenidentität besser begegnet werden kann.
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Oben § 28. Mit Recht Zeuner, in: FG BGH III, S. 352. 591 Ähnlich, aber mit weiterer Unterscheidung Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 304: „Die Bindung an die Vorentscheidung tritt im Hinblick auf dieselbe Rechtsposition bezüglich aller beschiedenen Elemente ein, die sowohl im ersten wie im folgenden Verfahren erheblich und tatbestandsmäßig in gleicher Weise verkörpert sind, wenn der im Zweitverfahren nicht beweisbelasteten Partei aus der unterschiedlichen Beweislastverteilung kein Nachteil erwächst …“. 592 Oben § 31 IV 2. 590
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§ 32 Rechtskraftpräklusion – insbesondere: Die Präklusion von Gegenrechten I. Einführung Die materielle Rechtskraft (§ 322 I ZPO) reicht nur soweit, als über einen durch Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch entschieden wird. In Rechtskraft erwächst der Subsumtionsschluss als solcher.593 Daran ändert nichts, dass zur Auslegung des Urteilstenors anerkanntermaßen interpretativ auf die Entscheidungsgründe und den Urteilstatbestand zurückgegriffen werden darf.594 Durch das rechtskräftige Leistungsurteil wird nur über das Interesse des Klägers verbindlich befunden, nicht jedoch über die (fehlende oder bestehende) Verpflichtung des Klägers zur Gegenleistung gegenüber dem Beklagten.595 Diese Sichtweise ergibt sich bereits aus den Motiven596, weil es ansonsten der ausdrücklichen Anordnung der Rechtskraftwirkung im Falle der Prozessaufrechnung im Anschluss an den norddeutschen Entwurf kaum bedurft hätte (§ 322 II ZPO).597 Dennoch existieren zahlreiche schwierig einzuordnende Grenzfälle, die sich zwischen dem kontradiktorischen Gegenteil als Zulässigkeitshindernis, der Einordnung als Präjudizialitätsverhältnis und der Rechtskraftpräklusion bewegen.598 Bei dieser Rechtskraftpräklusion handelt es sich um ein originäres Streitgegenstandsproblem.599 Denn wie die Rechtskraft an die Entscheidung über den Streitgegenstand anknüpft, vermag sich die Präklusionswirkung nur innerhalb der Streitgegenstandsgrenzen
593 Beinahe unbestritten: BGHZ 2, 170; BGHZ 13, 278; BGHZ 43, 144 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 31. 594 Grunsky, Grundlagen, Rn. 238 ff. 595 Vgl. etwa BGH NJW 1992, 1172 („Zug-um-Zug-Antrag“). 596 Hahn, Materialien II/1, S. 292. 597 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 110. 598 Vgl. auch Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 210 („zwischen der Identität und der Präjudizialität“). 599 „Es ist zu fragen, welches Vorbringen im Vorprozess als zum Streitgegenstand gehörend als Angriffs- oder Verteidigungsmittel hätte verwendet werden müssen, und dieses Vorbringen ist im Folgeprozess, der das Ergebnis des Vorprozesses zu konterkarieren sucht, präkludiert.“ Eingehend Oberhammer, JBl 2000, 209, 219; zu einem Teilaspekt auch ders. JAP 1996/97, 105.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
auszuwirken.600 Dies wird an der noch näher darzustellenden „Factoring“Entscheidung des BGH deutlich werden.601 Die Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft wird durch die Präklusion über das bloße ne bis in idem hinaus abgesichert. Damit wird eine inhaltliche Aushöhlung des rechtskräftig Ausgesprochenen verhindert.602 Im Unterschied zur Bindung durch Präjudizialität ist für den Umfang der Rechtskraftpräklusion nicht entscheidend, ob der Richter im Vorprozess überhaupt eine Entscheidung zur relevanten Frage aussprach.603
II. Abgrenzung: Kontradiktorisches Gegenteil und Interesse 1. Kontradiktorisches Gegenteil Soweit die vom Kläger geltend gemachte Rechtsfolge in ihrem Gehalt nicht über die Verneinung des in einer früheren Entscheidung zwischen denselben Parteien festgestellten prozessualen Anspruchs hinausreicht, greift ebenfalls die ne bis in idem-Wirkung der Rechtskraft ein. Wurde etwa im Vorprozess das Alleineigentum des Klägers an einem bestimmten Hausgrundstück rechtskräftig festgestellt, betrifft der spätere negative Feststellungsantrag des damaligen Beklagten, dass dem früheren Kläger dieses Recht nicht zustehe, denselben prozessualen Anspruch. Die negative Feststellungsklage scheitert an der Rechtskraftsperre und ist als unzulässig abzuweisen.604 Die materielle Rechtskraft zeigt sich somit nicht nur in der verbindlichen Festlegung einer bestimmten Rechtsfolge, sondern schließt auch das hiermit unvereinbare kontradiktorische Gegenteil aus.605 Die Feststellung des logisch exakten kontradiktorischen Gegenteils kann zweifelsfrei nur im Verhältnis von positiver und negativer Feststellungsklage gelingen.606 Allerdings existieren über die bloße „Verneinung“ der primären Rechtsfolge hinaus auch weitere Konstellationen, in denen die Durchführung eines zweiten Verfahrens nicht mehr gestattet werden sollte.607 600
MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 145 f.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 322 Rn. 228. 601 BGH NJW 1993, 2684; unten § 32 III 2. 602 Deutlich Oberhammer, JBl 2000, 219; allgemein zur Rechtskraftpräklusion MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 145 f. 603 Oberhammer, JBl 2000, 209, 219. 604 BGH NJW 1993, 2684 f.; NJW 1995, 1757; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 185 f.; monographisch Behrendt, Materielle Rechtskraft, S. 7 ff. 605 Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 204. 606 Zutreffend MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 39; Wieczorek/Schütze/Büscher, ZPO, § 322 Rn. 54 607 Vgl. Reischl, Die objektiven Grenzen, S. 214; Wernecke, Einheitlichkeit, S. 29 Fn. 82,
§ 32 Rechtskraftpräklusion – insbesondere: Die Präklusion von Gegenrechten
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Im Ergebnis ist nicht begrifflich, sondern im Rahmen einer wertenden Betrachtung vorzugehen (sog. unechtes kontradiktorisches Gegenteil). Erlangt der Kläger die rechtskräftige Feststellung seines Alleineigentums, wird hierdurch nicht nur eine spätere streng kontradiktorische negative Feststellungsklage des Beklagten ausgeschlossen, sondern auch die Feststellung seines Alleineigentums.608 Dies ergibt sich denknotwendig aus der materiellen Exklusivität der alleinigen Rechtsinhaberschaft. Freilich ist hier zur Bestimmung prozessualer Wirkungen auf materielle Wertungen zurückzugreifen.609 Wird dem Kläger ein Recht zugesprochen, das nur einer Person zustehen kann, soll damit nach h.L. festgestellt sein, dass der Beklagte nicht Inhaber des Rechts ist.610
2. Erweiterungen: Kontradiktorisches Interesse Schwierigkeiten bereitet die Feststellung des kontradiktorischen Gegenteils insbesondere bei der Leistungsklage, wo ein logisch exaktes Gegenteil kaum zu ermitteln ist.611 Klagt eine Person gegen eine andere auf Herausgabe einer wertvollen Uhr, obgleich erstere bereits selbst rechtskräftig zur Herausgabe nach § 985 BGB verurteilt worden war, sind die Streitgegenstände bei formaler Betrachtung weder identisch noch entfaltet das bereits ergangene Urteil präjudizielle Wirkung im Folgeprozess.612 Gleichwohl muss hier die Rechtskraft des früheren Verfahrens wirken. Will man den Begriff des kontradiktorischen Gegenteils nicht praktisch auflösen, bedarf es bei der Bestimmung spiegelbildlicher Begehren somit einer wertenden Betrachtung.613 Dabei erscheint im Rahmen der Rechtskraft eine strengere Ausrichtung an den Klageanträgen geboten, als dies für die Grenzen der Rechtshängigkeitssperre erforderlich ist, steht dort doch in erster Linie die Verfahrenskonzentration im Vordergrund, ohne dass die Parteien mit dem endgültigen Verlust von Rechten rechnen müssten führt den Begriff der konträren Rechtsfolgen in die Diskussion ein: „Von ‚konträren‘ Rechtsfolgen ist zu sprechen, wenn beide Parteien gegeneinander Begehren geltend machen, bei denen nach dem Maßstab des sachlichen Rechts aus der Berechtigung des einen unmittelbar auf die mangelnde Berechtigung des anderen zu schließen ist …“. 608 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 186; Henckel, Prozeßrecht, S. 176; a.M. Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 11. 609 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 11 f. 610 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 186. 611 Zutreffend MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 41 f., 43; Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 180 ff. 612 Henckel, Prozeßrecht, S. 177. 613 Vgl. auch BGH NJW 1995, 967, für gegenläufige Auflassungsansprüche. Ähnlich bei gegenläufigen Herausgabeverlangen (§ 985 BGB), Henckel, Prozeßrecht, S. 177: Der zweiten Klage steht die Rechtskraft der ersten Entscheidung entgegen. Gleiches gilt für die wechselseitige Verpflichtung zur Einwilligung in die Grundbuchberichtigung (§ 894 ZPO), BGHZ 35, 165, 171. MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322, Rn. 41 ff., 43, spricht von einem besonders offenkundigen Fall miteinander sachlich unvereinbarer Begehren.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
(sog. suspendierende Widerklagelast).614 Für die Annahme kontradiktorischer Begehren könnte im Rahmen der Rechtskraft die Überlegung sprechen, dass beide Behauptungen (Begehren) nicht zugleich wahr und nicht zugleich falsch sein können. Insoweit muss zur Beantwortung der Identitätsfrage aber die rein prozessuale Ebene verlassen werden. Soll im Beispiel die zweite Klage als unzulässig abgewiesen werden, kann dieses Ergebnis nur auf die materiellrechtliche Unvereinbarkeit der beiden dinglichen Herausgabeansprüche (§ 985 BGB) gestützt werden. In beiden Prozessen gehe es, so Henckel 615, um den Wert des „Habens“ der Sache, selbst wenn die Qualifikation des dinglichen Anspruchs als solche nicht in Rechtskraft erwächst. Für die Unzulässigkeit der zweiten Klage spricht der Umstand, dass die zweite Klage dasselbe Interesse verwirklichen will wie die erste, über welche bereits rechtskräftig entschieden ist. Besonders schwierig gestaltet sich die Abgrenzung des kontradiktorischen Gegenteils von den Fällen unechter Präjudizialität. Die Unterschiede sind im Ergebnis erheblich: Denn einmal wird die Klage als unzulässig abgewiesen, im anderen Fall besteht lediglich eine Bindung im Rahmen der Begründetheit. Umstritten ist etwa, ob der zur Leistung verurteilte Beklagte des Erstverfahrens diese gestützt auf den Vortrag der ungerechtfertigten Bereicherung nachträglich mit der Leistungsklage einfordern kann.616 Überwiegend wird hier ein Fall der Präjudizialität angenommen617, weil sich die Bejahung des vertraglichen Leistungsanspruches lediglich bei der Frage des bestehenden rechtlichen Grundes der Leistung auswirke. Richtigerweise muss die Bereicherungsklage bereits als unzulässig abgewiesen werden.618 Denn im Ergebnis wird die durch das Erstverfahren entschiedene Rechtsfolge mit der Durchführung der Bereicherungsklage konterkariert. Dies gilt jedenfalls, wenn mit der konträren Klage vor allem der Rechtsgrund für die im Erstverfahren erstrittene Leistung in Frage gestellt wird.619 Deswegen könnte hier die ne bis in idem-Wirkung auch mit der Figur eines kontradiktorischen Interesses gerechtfertigt werden.620 Denn mag streng logisch die Bejahung einer Rechtsfolge nicht unmittelbar als die Verneinung 614
Oben § 26 I, II. Henckel, Prozeßrecht, S. 177; Zeuner, in: FG BGH III, S. 353. 616 Relevant wird dies, wenn die Rückforderungsklage auf eine Einwendung oder eine Gestaltungserklärung (z.B. eine Anfechtung) des Beklagten gestützt wird. Zusammenfassend Wieczorek/Schütze/Büscher, ZPO, § 322 Rn. 56. 617 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 14, 55; Musielak/Musielak, ZPO, § 322 Rn. 22; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 45 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 25. 618 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 154 II 1 Rn. 6; Koussoulis, S. 229 ff.; Wieczorek/ Schütze/Büscher, ZPO, § 322 Rn. 55 f.; Doderer, NJW 1991, 878 f. 619 Ähnlich Wieczorek/Schütze/Büscher, ZPO, § 322 Rn. 55 f. „Die Reichweite der materiellen Rechtskraft folgt hier nicht aus der Identität der Streitgegenstände. Eine solche Identität ist häufig nicht gegeben, wenn im Erstprozess über die Einwendung gar nicht entschieden worden ist. Sie ergibt sich aber aufgrund des Ausschlusses des kontradiktorischen Gegenteils im Umfang der Präklusionswirkung des § 767 II ZPO.“ 620 Ebenso Kössinger, S. 41 f. 615
§ 32 Rechtskraftpräklusion – insbesondere: Die Präklusion von Gegenrechten
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der anderen zu begreifen sein, so ist in jedem Fall materiellrechtlich undenkbar, dass beide zugleich zur Verwirklichung gelangen. Nicht hilfreich erscheint dagegen bei der Unterscheidung zwischen Präjudizialität und kontradiktorischem Gegenteil die von Musielak angeführte Einheit oder Verschiedenheit der Klagesachverhalte.621 Da nach h.L. selbständige Gegenrechte nicht in Rechtskraft erwachsen622, könnte an sich der rechtskräftig zur Zahlung verurteilte Käufer oder Werkbesteller die Rückzahlung des Kaufpreises/Werklohns weiter auf Rücktritt (bzw. nach früherer Rechtslage: Wandelung) oder Minderung wegen eines Sachmangels stützen, selbst wenn er dem Verkäufer/Unternehmer die Einrede erforderlicher Gewährleistung (§ 320 BGB) bereits im Vorprozess entgegengehalten haben sollte.623 Andererseits hatte das RG bereits in einer strukturell vergleichbaren Entscheidung für eine Klage, mit der ein Wechselschuldner rechtskräftig zur Zahlung verurteilt wurde, angenommen, dass die Rückforderung der erfolgten Zahlung nicht auf die Begründung gestützt werden könnte, diese sei ohne Rechtsgrund erfolgt (§ 812 I BGB)624, wenn die Bereicherungseinrede (§ 821 BGB) im Vorprozess ausdrücklich zurückgewiesen worden war. Vor allem im Anschluss an die Überlegungen Zeuners625 wird die Frage, ob der unterlegene Beklagte eine der früheren Verurteilung entgegengesetzte Klage erheben kann, im Schrifttum kontrovers diskutiert.626 Wenn der Beklagte sich im Prozess mit einem Wandelungsrecht oder der Bereicherungseinrede verteidigt, führt er damit nach den Worten Zeuners den zentralen Gehalt des Gegenrechts in den Prozess ein. Dann sei mit der Chance, „das Recht auf diese Weise durchzusetzen, im gleichen Umfange auch das Risiko der endgültigen Aberkennung verbunden.“627 Teilweise wird hier aber nur eine präjudizielle Bindungs621 Musielak, in: FS Nakamura, S. 430. „Die Identität des Lebenssachverhalts beim kontradiktorischen Gegenteil ist das Unterscheidungskriterium von Fällen der Präjudizialität.“ Hiernach liege ein Fall der Präjudizialität vor, wenn der im Rechtsstreit zur Leistung Verurteilte in einem zweiten Prozess auf Rückzahlung des aufgrund des ersten Urteils Geleisteten mit der Begründung klage, der Gegner sei ungerechtfertigt bereichert, da aufgrund des durch die Leistung veränderten Sachverhalts kein Fall des kontradiktorischen Gegenteils angenommen werden könne. 622 RGZ 69, 385. 623 Ausdrücklich Schwab, Streitgegenstand, S. 163, noch zum Anspruch auf Wandelung. 624 RGZ 39, 142, 145; hierzu Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 9. 625 Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 97 f. Dieser spricht im Hinblick auf die Wandelung von gegeneinandergestellten Rechtsfolgen: „Man kann vielleicht sogar sagen, dass die für die Rechtskraftausdehnung entscheidende Sinnbeziehung zwischen den gegeneinandergestellten Rechtsfolgen bei der Wandelung noch enger ist als bei der Aufrechnung“, S. 101. 626 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 110; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rn. 96; Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 100, der zudem einen Vergleich zur Prozessaufrechnung anstellt; Henckel, Prozeßrecht, S. 215. 627 Zeuner, in: FS Bötticher, S. 423; anders sei dies jedoch – wie beim Zurückbehaltungsrecht –, wenn das Gegenrecht nur in einer Randfunktion betroffen sei; ders., Die objektiven Grenzen, S. 8, 102 f.
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wirkung der Entscheidung über den vertraglichen Anspruch im Folgeprozess befürwortet, sofern dort dieselben Gesichtspunkte bereits verteidigungsweise vorgebracht wurden.628 Mit der rechtskräftigen Verurteilung des Käufers zur Kaufpreiszahlung ist aber die Durchführung eines selbständigen Verfahrens unvereinbar, mit dem der Käufer Rückzahlung des Kaufpreises, gestützt auf Rücktritt oder Minderung, verlangt. Denn mit der Rückforderungsklage wird das kontradiktorische Interesse im Vergleich zum Vorprozess verwirklicht.629 In ähnlicher Weise nimmt Schwab die Unzulässigkeit des Zweitprozesses an, „wenn die erbetene Entscheidung die Wirkungen des rechtskräftig gewordenen Urteils in irgendeiner Weise zu beschneiden geeignet ist.“630 Im Ergebnis wird sowohl mit dem auf den Rücktritt gestützten Rückabwicklungsanspruch als auch mit dem Bereicherungsanspruch die Umkehrung des im Vorprozess erzielten Ergebnisses erreicht.631 Fraglich bleibt, ob dies nur gelten kann, wenn das Gegenrecht tatsächlich bereits verteidigungsweise im Vorprozess zum Einsatz kam.632 Dies erscheint indes nicht erforderlich, da der Beklagte sich nach der lex fugitiva in § 767 II ZPO auch auf solche Einwendungen nicht mehr berufen kann, die bereits im Vorprozess zur Sprache gebracht hätten werden können, aber dies nicht sind.633 Die Rechtskraftpräklusion innerhalb des kontradiktorischen Gegenteils ist eine objektive.634 628 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 44; ebenso Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 25; Henckel, Prozeßrecht, S. 215 f., unter Berufung auf den Vollzug der Wandelung, der das Rechtsverhältnis umgestalte; Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 108. 629 Mit diesem Ergebnis ist nicht automatisch die Vorstellung verbunden, dass der Streitgegenstand auch durch die Einwendungen des Beklagten geformt wird. Dieser Ansatz wurde vielmehr ausdrücklich abgelehnt, oben § 20. 630 Schwab, JZ 1959, 787. Deswegen müsse eine auf Rücktritt oder Wandelung gestützte Klage ausscheiden, sofern diese Gesichtspunkte im Vorprozess bereits verteidigungsweise vorgebracht wurden, aber unberücksichtigt blieben. Für Bruns, ZPR, Rn. 139 c, der das gesamte Rechtsverhältnis mit den Einwendungen des Beklagten zum Streitgegenstand erhebt, lässt sich dieses Ergebnis unproblematisch begründen. 631 Treffend Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 99; Lent, DR 1942, 868. Einschränkend Henckel, Prozeßrecht, S. 217, im Hinblick auf den Umstand, dass die Anfechtung vor Schluss der mündlichen Verhandlung bereits erklärt war. 632 So Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 107; vgl. bereits Reichel, in: FS Wach, S. 18 f., 59 f., bezüglich der Bereicherungseinrede; Kössinger, S. 41 f. 633 Ähnlich Wieczorek/Schütze/Büscher, ZPO, § 322 Rn. 55 f.: Die Reichweite der materiellen Rechtskraft ergibt sich auf Grund des Ausschlusses des kontradiktorischen Gegenteils im Umfang der Präklusionswirkung des § 767 II ZPO. Bei der Anfechtung ist es aber die Erklärung, die den gesetzlichen Einwendungstatbestand zur Vollendung bringt; ähnlich Doderer, NJW 1991, 878, 881. 634 Im französischen Recht erwächst die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens der Einwendung oder Einrede unmittelbar in Rechtskraft, wenn über diese tatsächlich verhandelt wurde, Kössinger, S. 91. Dieser strukturelle Unterschied führt dazu, dass der Präklusionsumfang ausnahmsweise im deutschen Recht weiter wäre. Hinweise dafür, dass Beklagtenrechte zum Streitgegenstand rechnen und somit an der Rechtskraft teilnehmen, bietet Principle 28 der Principles of Transnational Civil Procedure, oben § 15 II 4 b; § 20.
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Auch für den Fall, dass der zur Herausgabe einer Sache Verurteilte Klage auf Übereignung des herauszugebenen Gegenstandes erhebt, gelten an sich dieselben Überlegungen.635 Henckel hat hingegen eingewandt636 , dass der verklagte Besitzer, der sich darauf beruft, ein Recht zum Besitz der verkauften und übergebenen Sache zu haben, lediglich sein Besitzrecht als Nichteigentümer aufs Spiel setze. Dieses habe aber einen geringeren wirtschaftlichen Wert als das Eigentum, auf dessen Verschaffung der neue Prozess gerichtet sei. Die Bedenken gegen das Kriterium des wirtschaftlichen Wertes wurden bereits formuliert.637 Aus diesem Grunde wäre an sich Zeuners Ansicht zu folgen, welcher der zweiten Klage die Rechtskraft der ersten Entscheidung entgegenhalten will.638 Dagegen spricht aber in der Tat der strukturelle Unterschied zwischen der Verschaffung des Besitzes und des Eigentums, die beide verschiedene Interessen verkörpern. Ebenso umstritten ist das Verhältnis von erfolgreicher Grundbuchberichtigungsklage und der nachfolgenden Feststellungsklage hinsichtlich des Eigentums des ursprünglich Beklagten. Hier dürfte nur ein Fall von Präjudizialität anzunehmen sein639, weil die Feststellungsklage zur endgültigen Klärung der Rechtslage beiträgt.
3. Fazit Im Ergebnis stellt die Ermittlung des kontradiktorischen Interesses eine Wertungsfrage dar, die sich in der Regel eindeutig beantworten lässt. Orientiert man den Urteilsgegenstand am Klageantrag, bedarf es auch für die Ermittlung des Gegenteils der Begrenzung durch diesen. Soll deswegen ein zweites Verfahren an der Rechtskraftsperre scheitern, so muss die vom früheren Beklagten nun selbst in Anspruch genommene Rechtsfolge der im Erstverfahren rechtskräftig festgestellten unmittelbar widersprechen. Im Übrigen wird die Annahme des kontradiktorischen Interesses nicht dadurch gehindert, dass von Kläger und Beklagtem unterschiedliche Klagegründe, insbesondere Rechtserwerbsgründe, angeführt werden, welche die Identität des Interesses unbeschadet lassen. Dies gilt etwa, wenn nacheinander gegenläufige Auflassungsansprüche hinsichtlich desselben Grundstücks erhoben werden.
635 636 637 638 639
Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 113. Henckel, Prozeßrecht, S. 219. Oben § 31 II. Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 109. MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 43, 50 f.; Grunsky, Grundlagen, S. 520.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
III. Rechtskraftpräklusion bei selbständigen Gegenrechten 1. Grundsatz Der Beklagte bleibt durch die materielle Rechtskraft mit Einwendungen und Einreden ausgeschlossen, die sich auf Tatsachen stützen, die bereits im Zeitpunkt des früheren Verfahrens vorlagen.640 Der Beklagte kann somit – anders als im französischen Recht641 – auch keine Einwendungen (§ 767 II ZPO) mehr vorbringen, die im früheren Verfahren noch nicht zur Sprache kamen. Wurde im Vorprozess dem Anspruch des Verkäufers auf Kaufpreiszahlung entsprochen, obgleich der Käufer sich auf die Formunwirksamkeit des Vertrages (§ 311 b I BGB) berufen hatte, wird dieser später nicht mehr mit dem Vorbringen gehört, er sei nach § 105 II BGB nicht zum Vertragsschluss imstande gewesen. Dies bedeutet, dass die bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Gegenansprüche erwachsen hingegen nicht selbständig in Rechtskraft, sofern der Beklagte diese nicht im Prozess zur Aufrechnung gestellt hat (§ 322 II ZPO).642 Unterlässt der Beklagte dies, bleibt es ihm unbenommen, seine Gegenforderung eigenständig einzuklagen. Will der Kläger hinsichtlich etwaiger Gegenansprüche für Gewissheit sorgen, muss er zusätzlich zur negativen Feststellungsklage greifen. Das deutsche Recht kennt insoweit keine auf den Lebenssachverhalt als Ganzes bezogene Rechtskraftpräklusion643, wenngleich Erweiterungen des bisherigen Verständnisses de lege ferenda mitunter als effektiver Beitrag zur Verfahrenskonzentration verstanden werden könnten.644 Auch bei einer Verurteilung Zug um Zug (§ 320 BGB) wird der Kläger nicht zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet.645 Deshalb erwächst nur die Feststellung der Leistungspflicht des Beklagten in Rechtskraft, nicht hingegen die Pflicht des Klägers zur Gegenleistung. Die noch ausstehende Gegenleistung gibt dem Beklagten lediglich eine aufschiebende Einrede.646 640 BGHZ 98, 354; BGH NJW 1993, 3204 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 218. Der Ausschluss nicht vorgetragenen Tatsachenmaterials lässt sich auf § 767 II ZPO (lex fugitiva) gründen. 641 Oben § 14 II. 642 Etwa Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 86. 643 Hau, ZZP 117 (2004), 51. 644 Bedenken bei Hau, ZZP 117 (2004), 51; R. Stürner, in: FS Schütze, S. 932 f. 645 BGH NJW 1992, 1172 f.; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 110; Dieckmann, in: GS Arens, S. 43 ff. 646 Beschränkt sich das Urteil im Vorprozess auf die „Zug-um-Zug-Verurteilung“, weil der Kläger keinen weitergehenden Antrag gestellt hatte, ist somit eine neue Leistungsklage des Klägers unter Verzicht auf eine Zwangsvollstreckung aus dem ersten Urteil und eine Verurteilung zur Leistung im Ganzen (ohne Einschränkung) oder eine Klage auf Zulassung der Zwangsvollstreckung ohne Gegenleistung zulässig.
§ 32 Rechtskraftpräklusion – insbesondere: Die Präklusion von Gegenrechten
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Zum Streitgegenstand rechnet nur die (aus dem Bestehen der Gegenforderung sich ergebende) Beschränkung des Klageanspruchs.647
2. Saldierungsfälle Gegenansprüche werden nach § 322 II ZPO nur dann und soweit von der Rechtskraft der Entscheidung erfasst, als sie zur Aufrechnung gestellt werden. Nach h.A. gilt es, hiervon Fälle zu unterscheiden, in denen im Rahmen der Begründetheit der Klage ein einheitlicher Abrechnungssaldo ermittelt werden muss. Diese Anrechnung stellt dann, anders als die Aufrechnung, kein Erfüllungssurrogat dar, „sondern einen von Amts wegen beachtlichen Modus zur Ermittlung eines einheitlichen Anspruchs, sprich: des Saldos.“648 In der maßgeblichen Leitentscheidung des BGH649 zu dieser Frage stand die Präklusion von Tatsachen in einem Rechtsstreit über die Abrechnung eines gekündigten Factoringvertrages im Vordergrund. Nachdem der Unternehmer im Vorprozess verurteilt worden war, dem Factor einen entsprechenden Abschlusssaldo zu ersetzen, klagte der Unternehmer auf Kaufpreiszahlung für Forderungen, die er aufgrund des Factoringvertrages an die Beklagte abgetreten hatte. Diese hätten jedoch bereits in dem früheren, das gleiche Abrechnungsverhältnis betreffenden Verfahren umgekehrten Rubrums erhoben werden können. Das Berufungsgericht wies deswegen die Klage des Unternehmers mit der Begründung als unzulässig ab, dass über das Begehren des Klägers – im Sinne des kontradiktorischen Gegenteils650 – bereits anderweitig rechtskräftig entschieden worden sei (§ 322 I ZPO). Zwar enthält die rechtskräftige Feststellung einer Rechtsfolge auch die Feststellung des Nichtvorliegens von deren kontradiktorischem Gegenteil.651 Ein Fall des kontradiktorischen Gegenteils (im engeren Sinne) ist hier jedoch nicht erkennbar.652 Die zu beantwortende Rechtskraftfrage gehört vielmehr zum Themenkreis der Tatsachenpräklusion. Die Rechtskraft einer Entscheidung darf nicht mit dem Vorbringen ausgehöhlt werden, das Urteil gründe sich auf unrichtige tatsächliche Feststellungen.653 So ist die Rechtslage nach Ansicht 647 Hierzu Grunsky, Anm. zu BGH LM § 322 ZPO Nr. 133; weitergehend Doderer, NJW 1991, 878 f. 648 Hau, ZZP 117 (2004), 51. 649 BGH NJW 1993, 2684; zustimmend etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 155 II 1 Rn. 8; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 146; ähnlich gelagert BGH WM 2000, 2107, für den Zuspruch eines Bereicherungssaldos. Zumindest strukturell vergleichbar dem vom BGH entschiedenen Fall ist ein vielbesprochenes Judikat des OGH JBl 1994, 482 (m. abl. Anm. Frauenberger); Rechberger, in: FS Nakamura, S. 485 f.; Oberhammer, JBl 1995, 459 f.; zustimmend Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 159 ff. 650 BGH NJW 1983, 2032. 651 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 186. 652 Für Unbegründetheit der Zweitklage auch Hau, ZZP 117 (2004), 51. 653 So BGH NJW 1993, 2685. Zu den Rechtskraftwirkungen gehört nach Ansicht des BGH deswegen die Präklusion nicht nur der im ersten Prozess vorgetragenen Tatsachen, die
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
des BGH auch für den Fall der Abrechnung eines Factoringverhältnisses zu beurteilen: Denn aus Gründen der Wahrung des Rechtsfriedens wäre es undenkbar, dass eine Vertragspartei nach rechtskräftiger Feststellung eines Abrechnungsergebnisses jenes sogleich mit der Behauptung, eine angekaufte Forderung sei nicht in die Abrechnung eingestellt worden, anzweifeln könnte.654 Die Klägerin hätte bereits im Erstverfahren sämtliche Forderungen in die Abrechnung einbeziehen müssen. Die erneute Klage sei zwar nicht unzulässig, jedoch unbegründet, weil der Kläger mit der der Klage zu Grunde liegenden Sachverhaltsgestaltung nicht mehr gehört werden dürfe.655 Im Gegensatz zum US-amerikanischen Institut der issue preclusion wird die Präklusion von Tatsachen im deutschen Recht nicht isoliert auf einzelne Tatsachen bezogen, sondern stets im Zusammenhang mit der entschiedenen Rechtsfolge praktiziert. Stehen somit andere Rechtsbehauptungen im Streit, greift nach h.A. die Präklusion nicht ein.656 Insoweit sei die „Formel“, tatsächliches Vorbringen sei ausgeschlossen, wenn es im Widerspruch zu Feststellungen des ersten Urteils stehe, einerseits zu eng, da nicht die realen Feststellungen im Urteil maßgeblich wären, andererseits zu weit, da die jeweiligen Feststellungen nur relative Bindung innerhalb des Streitgegenstands entfalteten.657 Die Besonderheit in dem vom BGH entschiedenen Fall lag darin, dass Beträge geltend gemacht wurden, die bereits als unselbständige Rechnungspositionen in die Abrechnung im früheren Verfahren eingestellt waren. Insoweit wurde bereits von der Rechtsfolge (vom Streitgegenstand) her über sie entschieden.658 Grunsky659 hat sich im Ergebnis dieser Differenzierung in selbständige und un-
zu einer Abweichung von der rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge führen sollen, sondern auch der nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern sie nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Prozess entstanden sind. 654 BGH NJW 1993, 2685: Zum Sachverhalt rechneten alle den Saldo beeinflussenden Vorgänge, wie Einkäufe, Vergütungen, Rückbelastungen und Provisionen, unabhängig von ihrem Vortrag. 655 BGH NJW 1993, 2685; RGZ 144, 220 (präkludierter Einwand des Mitverschuldens). Zum Factoring-Fall im Hinblick auf den Aspekt der Verfahrenskonzentration P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99. Musielak stimmt der Entscheidung zu und betrachtet sie als Beleg für die schwierige Abgrenzung zwischen Präjudizialität und kontradiktorischem Gegenteil, in: FS Nakamura, S. 430 f. 656 So deutlich MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 148: „Ausgeschlossen in einem zweiten Prozess sind alle Alttatsachen, die zu einem abweichenden Urteil über einen Tatsachenkomplex des früheren Streitgegenstands führen würden. Außerhalb der Grenzen des Streitgegenstands besteht dagegen keinerlei Präklusion, auch wenn mit der neuen Klage ein wirtschaftlich identisches Ziel verfolgt wird und sich die Tatsachen im Einzelnen partiell überschneiden. Insoweit sind widersprüchliche Feststellungen rechtlich durchaus zulässig.“ 657 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 148; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 155 Rn. 8. 658 So Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 ZPO Rn. 228. 659 Grunsky, Anm. zu BGH LM § 322 ZPO Nr. 135.
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selbständige Posten angeschlossen.660 Anders sei die Rechtslage, wenn einzelne Positionen, aus denen sich der Saldo ergebe, ihrerseits selbständige Forderungen bildeten, die durch Aufrechnung verrechnet würden. Unterlasse es der Beklagte hier, seine Gegenforderung geltend zu machen, so sei über diese keine Entscheidung ergangen. Die Einheit des Lebenssachverhalts ändere daran nichts. Bei unselbständigen Rechnungsposten würde hingegen der Kläger des Zweitverfahrens das Risiko einer unsorgfältigen Prozessführung im Erstverfahren tragen.661 Wird dem Kläger ein Betrag zugesprochen, sind sämtliche Positionen des Beklagten für das Folgeverfahren verspielt.662 Daneben existieren Fallgruppen, in denen das Gesetz selbst anstelle der Aufrechung eine Saldierung unterschiedlicher Forderungen vorsieht, wie etwa für den Zugewinnausgleichsanspruch nach § 1378 I BGB.663 Die Zuerkennung eines Ausgleichsanspruchs an den einen Ehepartner führt zu einer entsprechenden Tatsachenpräklusion im Verfahren des anderen Ehegatten auf Zugewinnausgleich.664 Zu nennen wäre weiter der Ausgleichsanspruch gemäß § 426 I BGB unter verschiedenen Gesamtschuldnern. Da der Erstbeklagte ständig im Hinblick auf die Gefahr der Präklusion agieren muss, wird er zur Widerklage angehalten.665 Der Verteidiger muss seine zukünftige Angreiferrolle in seine Verteidigungsstrategie mit einbeziehen. Zu klären bleibt, ob dieser Mechanismus Erweiterungen zugänglich ist. Die schwierige Abgrenzung zwischen selbständigen und unselbständigen Posten ließe sich dann (partiell) vermeiden. Eine vergleichbare, vom OLG Koblenz entschiedene Konstellation verdeutlicht die Schwierigkeiten:666 Der Beklagte war Kommanditist einer Publikums-KG. Er 660 Grunsky, Anm. zu BGH LM § 322 ZPO Nr. 135; vergleichbar wäre seiner Ansicht nach in einem Auftragsverhältnis über einen gewährten Kostenvorschuss an den Beauftragten abzurechnen. Werde der Beauftragte rechtskräftig zur Rückzahlung eines bestimmten Teils des Vorschusses verurteilt, weil seine Aufwendungen insgesamt niedriger liegen, so könne der Beauftragte nicht später seinerseits mit der Begründung auf Erstattung weiterer Aufwendungen klagen, diese seien höher als der Vorschuss gewesen. Dem stehe die Rechtskraft des Urteils entgegen. 661 Er darf sich nicht damit begnügen, die frühere Klageforderung abzuwenden, sondern muss sämtliche für ihn sprechenden Positionen vorbringen. 662 In einer Aufrechnungskonstellation ist der Erstkläger rechtskraftgefährdet, weil er sich auch in einem weiteren Verfahren gegen Forderungen des Erstbeklagten verteidigen muss. Für den Fall, dass eine Abgrenzung zwischen beiden Situationen unsicher sei, empfiehlt Grunsky, aaO, dass jede Partei jeweils von der für sie ungünstigeren Variante ausgehen soll. Für die Wirkungen der Rechtskraft ist entscheidend die rechtliche Einordnung durch das Gericht in den Entscheidungsgründen, unabhängig davon, ob dieses zu Recht oder Unrecht ein Abrechnungsverhältnis oder eine Aufrechnung angenommen hat. 663 So auch Hau, ZZP 117 (2004), 53. Ähnliches gilt auch für gegenläufige Abänderungsklagen nach § 323 ZPO. 664 OLG Düsseldorf, FamRZ 1998, 916 mit Anm. Ludwig, FamRZ 1999, 385 f.; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 146. 665 Rechtskraftsanktionierte Widerklagelast, Hau, ZZP 117 (2004), 52. 666 OLG Koblenz, WM 1992, 244.
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hatte bereits gegen die Initiatoren und persönlich haftenden Gesellschafter dieser Publikums-KG einen Prozess geführt, der zum Zuspruch eines Schadensersatzanspruchs aus c.i.c. führte. Aufgrund seines Obsiegens betrieb er nun die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen. Die früheren Beklagten wehrten sich im Wege der Vollstreckungsgegenklage mit der Begründung, der jetzige Beklagte sei im Hinblick auf etwaige Gewinnausschüttungen ungerechtfertigt bereichert. Mit diesem Anspruch werde aufgerechnet. Der jetzige Beklagte verteidigte sich mit dem Hinweis auf die materielle Rechtskraft des Vorprozesses. Das OLG Koblenz war der Ansicht, dass die rechtskräftige Zuerkennung eines Schadensersatzes die Entscheidung mit einschließe, dass anrechnungspflichtige Posten des Beklagten als nicht bestehend beachtet wurden. Anders als bei einer echten Aufrechnungsforderung, deren Bescheidung durch das Gericht, nur unter den Voraussetzungen des § 322 II ZPO in Rechtskraft erwachse, stellten die Ausschüttungen lediglich unselbständige Elemente der Bestimmung der Höhe eines rechtlich einheitlichen Schadens dar.667 Auch diese Entscheidung verdient im Hinblick auf das wenig transparente Abgrenzungskriterium „unselbständiger Rechnungsposten“ Kritik.
3. Abgrenzung: Selbständige Rechnungsposten – Restvergütung und Schadensersatz Die Tatsachenpräklusion bezieht sich im Grundsatz auf die konkret beschiedene Rechtsfolge, während sie im Verhältnis unterschiedlicher Rechtsfolgenbehauptungen aus demselben Tatsachenkomplex nicht zur Anwendung kommen kann.668 Die Rechtskraftpräklusion in den beschriebenen Saldierungskonstellationen bedarf deswegen im Hinblick auf die Bindung an den Streitgegenstand nach Rechtsprechung und Literatur besonderer Begründung. Kritisiert wurde in diesem Kontext auch eine Entscheidung des OLG München.669 Im relevanten Sachverhalt hatte ein Werkunternehmer gegen einen Besteller einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid über eine Restwerklohnforderung erstritten, § 631 BGB. Später brachte der Besteller im Rahmen einer selbständigen Klage einen Schadenersatzanspruch wegen angeblicher Mängel nach § 635 BGB a.F. in Ansatz. Das OLG München war der Ansicht, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen für den Schadensersatzanspruch aufgrund des früheren Verfahrens präkludiert seien. Denn der spätere Kläger hätte bereits im früheren Verfahren Gelegenheit gehabt, seine Schadensersatzansprüche der Restwerklohnforderung entgegenzuhalten. Zwar komme eine entgegenstehende 667 Die Ausschüttungen wären bei der Festlegung der Schadenshöhe zu berücksichtigen gewesen. 668 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 228. 669 OLG München BauR 1996, 428.
§ 32 Rechtskraftpräklusion – insbesondere: Die Präklusion von Gegenrechten
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Rechtskraft im engeren Sinne nicht in Betracht, da der Vollstreckungsbescheid nur die Feststellung der Leistungspflicht in rechtskräftiger Form enthalte und nicht die Pflicht zur Gegenleistung. Auch ein Fall des kontradiktorischen Gegenteils liege nicht vor.670 Jedoch stelle der Vollstreckungsbescheid den Umfang des Klageanspruchs der jetzigen Beklagten fest, so dass diesem präjudizielle Wirkung zukomme. Den Parteien sei es deswegen versagt, sich in einem zweiten Prozess zu dieser Feststellung in Widerspruch zu setzen671, da die Rechtskraft der Entscheidung über den erhobenen Anspruch nicht ausgehöhlt werden dürfe. Bei rechtzeitigem Einspruch hätte die jetzige Klägerin ihre Schadensersatzansprüche wegen der Risse und Löcher des Werks der Restwerklohnforderung bereits im Wege der Verrechnung entgegensetzen können. Schadensersatzansprüche aus § 635 BGB a.F., die einem geltendgemachten Werklohnanspruch entgegengehalten werden, seien nämlich nicht aufzurechnen, sondern zu verrechnen, weil die Rechtsfolge der Befreiung des Bestellers von der Vergütungspflicht aus dem Inhalt des Schadensersatzrechts folge und nicht von einer Aufrechnung abhängig sei. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin sei in erster Linie darauf gerichtet, wegen der Mangelhaftigkeit des Werks keine weitere Vergütung zahlen zu müssen, also von Verbindlichkeiten aus dem für sie nutzlos gewordenen Vertrag befreit zu werden. Die Klägerin sei deswegen mit dem Vortrag solcher Tatsachen ausgeschlossen, die bereits in dem früheren, das gleiche Abrechnungsverhältnis betreffenden Verfahren umgekehrten Rubrums hätten vorgebracht werden können. Mit dem Rechtsfrieden stiftenden Zweck der Rechtskraft wäre es unvereinbar, wenn die Klägerin nach rechtskräftiger Feststellung ihrer Restwerklohnschuld diese sofort wieder mit der Behauptung infrage stellen könnte, das Werk der Beklagten sei mangelhaft und eine Nachbesserung bisher nicht erfolgt. A. Vogel/T. Vogel sehen in diesem Judikat einen Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH.672 Zwar könnten die Parteien auch im Rahmen der Rechtskraftpräklusion mit ihrem tatsächlichen Vorbringen ausgeschlossen sein, das im Widerspruch zu Feststellungen der ersten gerichtlichen Entscheidung stehe.673 Der Prozessstoff selbst bilde dabei aber nur die Grundlage der Entscheidung.674 Die Überlegung des OLG München, dass zwischen Schadensersatzanspruch und Werklohn kein Aufrechnungszusammenhang, sondern ein Verrechnungsverhältnis bestünde, träfe jedoch nicht zu. Deswegen hätten auch die entsprechenden Baumängel nicht zum Tatsachenkomplex des Vorprozesses gehört. Der Vergleich zur „Factoring“-Entscheidung des BGH hinke somit, habe diese doch einen Abschlusssaldo über die gesamte Vertragslaufzeit betroffen, bei dem die einzelnen Forderungen bloße Abrechnungsposten im Rahmen eines Kontokor670 671 672 673 674
Anders scheinbar Doderer, NJW 1991, 881. Unter Berufung auf BGH NJW 1993, 2685 („Factoring-Entscheidung“). A. Vogel/T. Vogel, BauR 1996, 430. Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 70. BGH NJW 1993, 2684; RGZ 72, 143; 78, 389; BGHZ 98, 358 f.; 101, 382.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
rentverhältnisses (§ 355 HGB) darstellten. Über einen solchen Abschlusssaldo werde nur einmal entschieden. Beim Bauvertrag fehle es jedoch an einer entsprechenden Kontokorrentabrede. Vergütung und Schadensersatzforderungen blieben grundsätzlich selbständig und würden nicht automatisch miteinander verrechnet. Der BGH habe lediglich angenommen, dass die Werklohnforderung des Unternehmers in einen bloßen Rechnungsposten des Schadensersatzanspruches einmünde, aber nicht umgekehrt.675 In keiner Entscheidung habe der BGH aber eine Abrechnung vorgenommen, in der nicht bereits die anzurechnende Forderung von der entsprechenden Partei als Schadensposten geltend gemacht worden war. Der Gläubiger müsse sein Wahlrecht tatsächlich ausüben. Erst dann und nur dann könne es zu einer Verrechnung der Restvergütung kommen. Hätte hingegen der Unternehmer die Restvergütung verlangt, nachdem der Bauherr einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid über den Schadensersatzanspruch (§ 635 BGB a.F.) erwirkt hatte, wäre eine Bindung eingetreten.676
4. Bedenken und eigene Stellungnahme Hau hat im Hinblick auf das Fehlen einer § 322 II BGB entsprechenden Kappungsgrenze mit Recht Bedenken gegen eine Ausweitung der Präklusion beklagtengünstiger Tatsachen im Folgeprozess getragen:677 „Der im Erstprozess nicht gut beratene Beklagte kann Rechnungsposten einbüßen, die bei weitem den Betrag übersteigen, den das Ersturteil der Gegenseite zugesprochen hat.“678
Dies wäre in der Tat eine mit Blick auf die gesetzgeberischen Motive befremdliche Wendung, da die Parteien gerade vor einer unerwartet weiten Rechtskraftwirkung bewahrt werden sollten, wenn ein Prozess mit vermindertem Einsatz geführt wird.679 Deswegen schlägt Hau eine Begrenzung der Präklusion auf wenige, eindeutig aus dem Gesetz erkennbare Saldierungsfälle vor.680 Für vertraglich vereinbarte Abrechnungsverhältnisse mahnt er hingegen zur Zurückhaltung.681 Im Zweifel soll der Kläger deswegen den Weg der negativen Feststellungsklage beschreiten müssen, um vor späterer Inanspruchnahme durch den Beklagten sicher zu sein. Dies sei im Übrigen im Sinne der Waffengleichheit das Korrelat für die mögliche klägerische Nachforderung trotz verdeckter Teilklage, gegen die sich umgekehrt der Beklagte mittels negativer Feststellungsklage schüt675
Dies wird durch die Differenztheorie gerechtfertigt: BGHZ 27, 215; BGH NJW 1972,
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Vogel/Vogel, BauR 1996, 431. Hau, ZZP 117 (2004), 54. 678 Hau, ZZP 117 (2004), 54. 679 Vgl. ähnlich Marburger, in: GS Knobbe-Keuk, S. 196: verminderter Verteidigungsaufwand bei Teilklagen. 680 Hau, ZZP 117 (2004), 55. 681 Dies gilt etwa für § 355 HGB. 677
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zen müsse.682 Besondere Bedenken trägt Hau deswegen auch im Falle richterrechtlich entwickelter Saldierungslösungen, etwa im Falle des Aufeinandertreffens von Werklohnanspruch und mangelbedingtem Schadensersatzanspruch.683 Im Regelfall sieht sich der Beklagte durch die Rechtskraft nicht gehindert, eine Gegenforderung auf einen Lebenssachverhalt zu stützen, der dem Kläger bereits für die (erfolgreiche) Begründung der Hauptforderung diente. Denn die Tatsachenpräklusion wird von der h.L. streng rechtsfolgenorientiert gedacht.684 Der an Rechtssicherheit interessierte Kläger muss im deutschen Zivilprozessrecht deswegen hinsichtlich zu erwartender Gegenforderungen zusätzlich eine negative Feststellungsklage erheben. Wird jedoch durch den Vortrag neuer Tatsachen die bereits früher rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge infrage gestellt, wäre bei fehlender Identität der Begehren ein neuer Prozess zulässig, die neue Klage jedoch aufgrund der Tatsachenpräklusion als unbegründet abzuweisen. Dieses in Saldierungsfällen mittlerweile anerkannte Ergebnis erscheint in gewissen Grenzen einer Erweiterung zugänglich. Zumindest bei gegenseitigen Geldansprüchen, wie etwa im geschilderten „Werkunternehmer“-Fall685, muss innerhalb der Grenzen des geltend gemachten Interesses eine durch die Tatsachenpräklusion vermittelte Bindung bejaht werden. Die Abgrenzung zwischen unselbständigen Rechnungsposten im Rahmen einer Saldierung und selbständigen Gegenrechten, welche nur einer Aufrechnung zugänglich sind, erscheint hingegen nicht als trennscharfes Entscheidungskriterium geeignet. Allerdings wird damit nicht einer sachverhaltsbezogenen Präklusion nach US-amerikanischer Vorstellung das Wort geredet.686 Auch eine Annäherung an die Grundsätze der issue preclusion ist nicht intendiert.687 Bei der Ausrichtung der Tatsachenpräklusion am Parteiinteresse wäre ausnahmsweise das wirtschaftliche Risiko zu bedenken, das der Beklagte mit seiner Verteidigung eingeht. Für Abhilfe könnte deswegen eine analoge Anwen682 Assmann, in: Erlanger FS Schwab, S. 1 f.; Zeuner, in: FS BGH III, S. 347 f. Jedoch kann diesem Gleichlauf auch mit einer entsprechenden Kappungsgrenze für die Gegenforderung Rechnung getragen werden. 683 Hau, ZZP 117 (2004), 55; Putzier, BauR 2002, 1633. Gegen eine solche Präklusion scheint auch BGH NJW-RR 1997, 1158 eingestellt zu sein: Habe der beklagte Bauherr einen mangelbedingten Schadensersatzanspruch nur anklingen lassen, so sei eine rechtskraftfähige Entscheidung nach § 322 II ZPO nicht erforderlich. 684 Hau, ZZP 117 (2004), 51; a.A. scheinbar Costede, in: FS Deutsch, S. 914 f. Dieser nimmt im Hinblick auf den Schutz des Beklagten an, dessen Gegenrechte seien im Streit befangen und das stattgebende Urteil umfasse somit auch die Feststellung, dass diese nicht existierten. 685 Oben § 32 III 3. 686 „Eine weiterreichende, unmittelbar sachverhaltsbezogene Präklusion könnte allerdings einen Beitrag zur Verfahrenskonzentration leisten; es würde sich aber um eine Weiterentwicklung der bisherigen Rechtskraftregeln handeln, die als solche zu kennzeichnen wäre und mit der man die Parteien auch nicht überraschen dürfte“, Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rn. 232 f. 687 Oben § 13 II 1a; P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 99 f.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
dung der in § 322 II ZPO enthaltenen Kappungsgrenze sorgen. Einen die Klageforderung übersteigenden Betrag kann der Beklagte nicht verlieren. Diese Grenze gilt zwar nicht für gesetzliche oder vertraglich statuierte Saldierungsfälle, da hier das Risiko der Rechtskraftpräklusion für den Beklagten eindeutig kalkulierbar ist. Die wirtschaftliche Grenze könnte jedoch in Fällen richterlich angeordneter Saldierung oder im Falle gegenläufiger Interessen zum Zuge kommen. Im Gegensatz zum Kontokorrent, bei dem die Verrechnung ganz verschiedener Posten möglich ist, steht hier spiegelbildlich dieselbe Position im Mittelpunkt des Streits. Eine solche Konstellation läge auch beim Aufeinandertreffen von Werklohnanspruch und dem gegenläufigen Schadensersatzanspruch statt der Leistung vor (Mangelschaden).688 Mit der Anwendung der Kappungsgrenze (§ 322 II ZPO entsprechend) wäre der gesetzgeberischen Intention Rechnung getragen, die Prozessparteien vor überraschenden Rechtskraftwirkungen zu schützen. Nicht präkludiert wäre hingegen der nach § 280 I BGB, § 634 Nr. 1 BGB zu ersetzende Mangelfolgeschaden, da dieser außerhalb des im Erstverfahren geltend gemachten Erfüllungsinteresses liegt. Der Grundsatz der Waffengleichheit stünde dem nicht entgegen: Ähnlich wie der Kläger im Falle einer (verdeckten) Teilklage nach h.L. weiter zur Nachforderungsklage schreiten könnte689, wäre es dem Beklagten bei erfolgreicher Klage unbenommen, den die Kappungsgrenze überschreitenden Mehrbetrag selbständig einzuklagen. Die Rechtskraftpräklusion erfasst somit innerhalb gegenläufiger Interessen bei Beachtung der Kappungsgrenze sämtliche, auch nicht vorgetragene, Tatsachen. Die zweite Klage wäre nicht unzulässig, aber unbegründet.690
IV. Rechtskraftfremde Präklusion: Abänderung von Unterhaltstiteln nach § 323 ZPO/§ 238 FamFG Für die Bemessung des Präklusionsumfangs im Fall der unterhaltsrechtlichen Abänderungsklage (§ 323 ZPO) bzw., seit Inkrafttreten des FamFG, des Abänderungsantrags nach § 238 FamFG fühlt sich der Rechtsanwender bereits heute 688
Eine Situation des „echten“ kontradiktorischen Gegenteils liegt sicherlich nicht vor. Auch ist der Zusammenhang zwischen den Begehren nicht so eng, als wenn das Gegenrecht des Beklagten (Rücktritt, Bereicherungseinwand) unmittelbar zur Rückforderung des vom Kläger ursprünglich erstrittenen Leistungsgegenstandes führen würde. Dennoch besteht zwischen dem Werklohnanspruch und dem mangelbedingten Schadensersatzverlangen eine „gegenläufige Verbindung“ in einem weiteren Sinne. 689 Zur Rechtskraft bei Teilklagen oben § 31 IV 6. 690 Bei Interessenidentität würde im Übrigen die Rechtshängigkeitssperre eine getrennte Verhandlung von Kläger und Beklagtenrechten verhindern (§ 261 III Nr. 1 ZPO), oben § 26 II 1d. Dies gilt auch für die Werklohnklage des Unternehmers und die gegengerichtete mängelbedingte Schadensersatzklage des Bestellers. Die Kappungsgrenze spielt hier aus Konzentrationsgründen keine Rolle.
§ 32 Rechtskraftpräklusion – insbesondere: Die Präklusion von Gegenrechten
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an europäische bzw. US-amerikanische Maßstäbe erinnert.691 Ein der Kernpunkttheorie des EuGH im Umfang entsprechender Präklusionsumfang wird bei gegenläufigen Abänderungsklagen bzw. -anträgen durch eine erweiternde Auslegung von § 323 II ZPO/§ 238 II FamFG erreicht, so dass für den Beklagten die Notwendigkeit besteht, eine Abänderungswiderklage/einen Abänderunsgwiderantrag zu erheben692, um einer späteren Präklusion zu entgehen.693 Strukturell ähneln dem die bereits erwähnten „Saldierungsfälle“. Nach Ansicht des BGH zu § 323 ZPO soll eine erneute Abänderungsklage (bzw. Abänderungsantrag) nur zulässig sein, soweit sie auf Gründe gestützt wird, welche nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind, in welcher eine Erweiterung des Klageantrags möglich gewesen wäre oder Einwendungen geltend gemacht hätten werden können.694 Diese Sichtweise soll sicherstellen, dass keine gesonderten Abänderungsverfahren zur Erhöhung oder Herabsetzung eines Betrages zur Verfügung stehen, sondern der Einfluss veränderter Umstände auf den titulierten Unterhaltsanspruch in einem einheitlichen Verfahren geklärt wird. Die einheitliche Handhabung der Zeitschranke des § 323 II ZPO/§ 238 II FamFG bei gegenläufigen Anträgen verhindert eine unzweckmäßige Verfahrensverdoppelung „über den gleichen Lebenssachverhalt“ mit der damit verbundenen Gefahr widersprechender Entscheidungen. Will etwa die Antragstellerin mit ihrem Abänderungbegehren eine Erhöhung der titulierten Unterhaltsforderung erreichen, weil ihre Bedürftigkeit gestiegen ist, so muss der Antragsgegner bereits in diesem Verfahren Umstände geltend machen, die seine Leistungsfähigkeit gesenkt haben sollen. Ansonsten bleibt er auch mit einem späteren Abänderungsbegehren ausgeschlossen. § 323 II ZPO/§ 238 FamFG stellt auf diese Weise sicher, dass Gegenstand eines Abänderungsbegehrens der volle Unterhalt ist und nicht nur die Frage, ob veränderte Umstände eine Er691 BGH FamRZ 1997, 488; BGH NJW 1998, 161 (162); BGH LM § 323 ZPO Nr. 74, mit Anm. Leipold; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 52 ff., 64. Vgl. zur Rechtshängigkeitssperre bereits oben § 16 II 6. 692 Zu einem anderen Problemkreis H. Roth, NJW 1988, 1233 f. 693 BGH NJW 1998, 161 (162); hierzu auch Friederici NJ 1998, 202; Klein, FuR 1998, 7 f.; bestätigt durch BGH NJW 2000, 3789; BGH NJW 2007, 1961 ff. 694 BGH NJW 1998, 161. Insoweit stellt diese Entscheidung eine Fortführung von BGH NJW 1986, 383, dar, wonach ein Unterhaltsgläubiger dazu angehalten sei, in einem vom Unterhaltsverpflichteten mit dem Ziel der Herabsetzung des erstinstanzlich ausgeurteilten Unterhalts angestrengten Berufungsverfahren auch etwaige diesen erhöhende Umstände im Wege der Anschließung an die Berufung des Gegners geltend zu machen (anstelle der Berufung ist im FamFG die Beschwerde getreten). Vgl. auch BGH NJW 1987, 1201: Auf eine derartige abweichende Feststellung des Prozessstoffes zur Erreichung des kontradiktorischen Gegenteils der Vorentscheidung ziele es auch, wenn der im Vorprozess verurteilte Beklagte oder der teilweise unterlegene Kläger damals bereits eingetretene, aber nicht vorgetragene rechtserhebliche Umstände nach Eintritt der Voraussetzungen des § 323 ZPO im Rahmen seines Abänderungsbegehrens geltend macht; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 48 ff., 52 ff., 64; MünchKomm/ Gottwald, ZPO, § 323 Rn. 20 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 323 Rn. 35 u. § 238 FamFG Rn. 18, 19; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 323 Rn. 25 f. u. § 238 FamFG Rn. 25 f.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
höhung oder Herabsetzung nahe legen. Wie der BGH klarstellt, handelt es sich hierbei ihrem Sinn und Zweck nach um eine erweiternde Auslegung von § 323 II ZPO/§ 238 II FamFG, da der Wortlaut der Vorschrift nur das Abänderungsbegehren gegen die erstmalige Titulierung im Blick hat.695 Der Begriff der „Einwendungen“ ist im Hinblick auf mehrere aufeinanderfolgende Abänderungsverfahren somit entsprechend konzentrationsfreundlich zu interpretieren.696 Der BGH statuiert über § 323 II ZPO eine präklusionsbewehrte, rechtskraftergänzende697 Widerklagelast698, der grundsätzlich zuzustimmen ist. Der Hinweis auf § 767 III ZPO (nunmehr i.V.m. § 120 I FamFG) hilft zur Erklärung der Widerklagelast aber kaum weiter, da diese Vorschrift allein an die Initiative des Klägers anknüpft.699 Rechtfertigung könnte diese Rechtsprechung des BGH indes durch das verfahrensrechtliche Gleichbehandlungsgebot erfahren.700 Im Übrigen ließe sich die Konzentrationslast bereits entsprechend § 767 I ZPO mit einem Hinweis auf die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges für das Abänderungsverfahren erklären.701 Zum Teil wird die Rechtsprechung des BGH jedoch auch als Wiederannäherung an die längst überwunden geglaubte Eventualmaxime kritisiert.702 In jedem Fall darf diese Judikatur nicht als Fingerzeig für eine umfassende präklusionsbewehrte Konzentrationslast gedeutet werden, zumal der BGH den erweiterten Rechtskraftumfang im Rahmen von § 323 ZPO/§ 238 FamFG selbst als Sonderfall bewertet. Mit der Überlegung, ob die Abänderungswiderklage (bzw. der Abänderungswiderantrag) nicht nur möglich, sondern auch zumutbar war, führt der BGH – in der Sprache Leipolds – „weiche Faktoren“ in die Rechtskraftdiskussion ein.703 Derartige Gesichtspunkte fanden bisher nur in anderen Rechtskreisen Beachtung, wie etwa im Gebot der Widerspruchsfreiheit im US-amerikanischen Recht.704 695
Hierzu auch Leipold, Anm. zu BGH LM § 323 ZPO Nr. 74 Bl. 4. Vgl. hierzu Hau, ZZP 117 (2004), 49 f., 50; Thalmann, in: FS Henrich (2000), S. 621 f. 697 Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 104 f. 698 Allerdings ist nach Ansicht des BGH die Rechtskraftwirkung im erweiterten Anwendungsbereich von § 323 II ZPO begrenzt. Soweit sich die wirtschaftlichen Verhältnisse geändert haben, existiert keine Bindung mehr an etwaige Alttatsachen. Zur Präklusionswirkung von § 323 II ZPO auch OLG Koblenz NJW-RR 1999, 1680; Hau, ZZP 117 (2004), 48. 699 Hau, ZZP 117 (2004), 49. 700 So MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 323 Rn. 82. 701 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 117; a.A.: Zöller/Vollkommer, ZPO, § 323 Rn. 42. 702 Nelle, Anspruch, S. 470. Jedoch trifft der Vergleich zur Eventualmaxime nicht, hatte diese doch die Einführung sämtlicher das Klagebegehren rechtfertigenden Tatsachen im Blick; zur Eventualmaxime Schubert, ZRG Germ. Abt. 85 (1968), 127 f. 703 Leipold, Anm. zu BGH LM § 323 Nr. 74; vgl. auch Leipold, in: FS Frank, S. 179 ff. 704 P. Gottwald, in: FS Schwab, S. 163. Dieser stellt darauf ab, dass die Bindung an im Vorprozess festgestellte Tatsachen im Rahmen von § 323 ZPO über die US-amerikansche issue preclusion-Doktrin (collateral estoppel) hinausreiche, komme diese doch nur zum Zuge, wenn tatsächlich über eine Frage gestritten wurde. Ob ein Begehren oder Einwendungen in zumut696
§ 32 Rechtskraftpräklusion – insbesondere: Die Präklusion von Gegenrechten
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Im Ergebnis zieht der BGH für diese Form der Tatsachenpräklusion705 auch eine Parallele zum kontradiktorischen Gegenteil: „Früher schon vorhandene, im Vorprozess aber nicht vorgetragene Tatsachen, die mit dem Prozessstoff des Vorprozesses in Zusammenhang stehen und den dortigen Tatsachenfeststellungen widersprechen, können grundsätzlich nicht mit dem Ziel vorgetragen werden, dass das kontradiktorische Gegenteil der früher festgestellten Rechtsfolge ausgesprochen wird.“706
Auf eine derartige abweichende Feststellung des Verfahrensstoffes zur Erreichung des kontradiktorischen Gegenteils der Vorentscheidung ziele es ab, „wenn der im Vorprozess verurteilte Beklagte oder der teilweise unterlegene Kläger damals bereits eingetretene, aber nicht vorgetragene rechtserhebliche Umstände nach Eintritt der Voraussetzungen des § 323 ZPO [§ 238 FamFG]707 im Rahmen seines Abänderungsbegehrens geltend macht.“708
Im Ergebnis vermischt der BGH zwar die dogmatisch zu unterscheidenden Rechtskraftaspekte der Tatsachenpräklusion und des kontradiktorischen Gegenteils. Die Abweisung des gegenläufigen Zweitverfahrens als unzulässig und der dadurch bewirkte Zwang zum Abänderungswiderantrag sind jedoch zu begrüßen.
V. Zusammenfassung und Ausblick Die Identität des von Kläger und Beklagtem beanspruchten Interesses erscheint geeignet, an Stelle der von Zeuner ermittelten Ausgleichs- und Sinnzusammenhänge ein verlässliches und eindeutiges Kriterium für die Bemessung von Rechtskraftwirkungen zu bieten. Bei Rechtsfolgen, die offensichtlich nicht nebarer Weise in den früheren Prozess hätten eingeführt werden können, spielt dabei hingegen eine geringere Rolle, wenn die Streitfrage tatsächlich nicht vorgebracht wurde, EngelmannPilger, S. 73. Mit der issue preclusion soll vor allem der Wahrheitssicherung gerichtlicher Feststellungen entsprochen werden. Der Sanktionsgedanke für unvollständiges Vorbringen sei dagegen geringer ausgeprägt. Allerdings ist gerade beim Zwang zur Widerklage (counterclaim) im US-amerikanischen Recht auf Gesichtspunkte der Zumutbarkeit zu achten, Nelle, Anspruch, S. 127 (Restatement (Second) of Judgments, § 22 (1) und Rule 13 (a) der FRCP). 705 So BGH NJW 1987, 1202 f. (im Verhältnis Erstverfahren und Abänderungsverfahren). 706 BGH NJW 1987, 1202 f. 707 Bei der Abänderungsklage (dem Abänderungsantrag) ist Streitgegenstand richtigerweise der titulierte Anspruch selbst. Es werden somit auch die hinsichtlich des Anspruchs getroffenen Feststellungen von der Rechtskraftwirkung umfasst. Bei der Vollstreckungsabwehrklage soll hingegen nach h.M. nur die Vollstreckbarkeit Streitgegenstand sein. Präjudizielle Fragen zum titulierten Anspruch sollen nicht in Rechtskraft erwachsen, insoweit zu Recht weitergehend, Nelle, Anspruch, S. 417 f. 708 BGH NJW 1987, 1202 f.
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Sechster Teil: Objektive Begrenzung des Rechtskraftumfangs
beneinander durchsetzbar sind, werden die Parteien entsprechend dem Anliegen der Motive zur CPO nicht durch etwaige Rechtskraftwirkungen in einem Zweitprozess überrascht. Für die Parteien sind – im Rahmen von rechtskraftrelevanten „Sinnzusammenhängen“ – zwar nicht die formellen Klageanträge von Bedeutung, jedoch die Identität oder Verschiedenheit der materiellen Rechtspositionen. Die Einheit von Kläger- und Beklagteninteresse stellt insoweit ein wichtiges rechtskraftrelevantes Kriterium dar. Eine Rechtskrafterstreckung über die herkömmlichen engen nationalen Grenzen hinaus ist de lege lata nur in vorsichtigen Bahnen möglich. Die Tatsache, dass es prozessökonomisch in manchem Fall sinnvoll erscheint, einen Gegenanspruch des Beklagten unmittelbar in die Verhandlung einzubeziehen, kann für die Annahme einer umfassenden Tatsachenpräklusion nicht genügen.709 Denn dann würde die als Option zu verstehende Widerklage für den Beklagten zu einer allgemeinen Last. Nur der Gesetzgeber vermag letztlich wie im US-amerikanischen Recht diesen Schritt zu vollziehen.710 Andernfalls käme man auch zu einer Beschränkung der zivilprozessualen Dispositionsmaxime, die aber ihrerseits Ausfluss der grundgesetzlich abgesicherten Handlungsfreiheit ist.711 Die Konnexität von Ansprüchen allein genügt somit in keinem Fall zur Statuierung einer allgemeinen, u.U. sogar präklusionsbewehrten Widerklagelast für den Beklagten. Ausnahmen zur Sicherung der res judicata können sich im Einzelfall nur aus der Übereinstimmung im Interesse ergeben, so dass mit gegenläufigen Entscheidungen – bildlich gesprochen – die eine Hand gibt, was die andere sogleich wieder nimmt. Die Konkretisierung muss im Einzelfall stattfinden. Gleiches kann nicht im Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage gelten, wenn damit unterschiedliche Teile desselben Anspruchs zum Teil geleugnet bzw. gefordert werden. Die Rechtskraftwirkung kann hier nicht im Sinne einer präkludierenden Widerklagelast zur Konzentration des Verfahrens beitragen, da es an einer positiven Anordnung fehlt. Es bleibt bei der zeitlichen Suspendierung (§ 261 III Nr. 1 ZPO) der später erhobenen Klage (Gedanke des § 264 Nr. 2 ZPO).
709 Nelle, Anspruch, S. 471 (ablehnend für die Verpfl ichtung, bekannte Vollstreckungsgegeneinwände durch Widerklage gegenüber der Vollstreckungsklage des Gläubigers geltend zu machen). 710 Vgl. auch RGZ 11, 434 f. (Bei der Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel besteht keine Pflicht zur Widerklage hinsichtlich etwaiger Einwendungen gegen den Rechtsvorgänger); RGZ 148, 275. 711 Ob mit einer solchen Widerklagelast eine Rückkehr zur Eventualmaxime befördert würde, darf jedoch bezweifelt werden, so aber Nelle, Anspruch, S. 471. Zur Eventualmaxime heute: Jauernig/Hess, ZPR, § 28 II 1 Rn. 5.
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Siebter Teil:
Besonderheiten für bestimmte Klagearten § 33 Gestaltungsklagen und Feststellungsklagen Bruno Rimmelspacher wollte die Anwendung seiner materiellrechtlich geprägten Begriffsschöpfung „Rechtsposition“1 ausdrücklich auf die Leistungsklage begrenzt wissen. 2 Diese selbst auferlegte Beschränkung ist insofern verständlich, als es schwierig erscheint, ein vornehmlich an der Leistungsklage orientiertes Kriterium für Feststellungs- und Gestaltungsklagen nutzbar zu machen.3 Auch die Erkenntnisse dieser Studie bezogen sich bisher weitgehend auf die Leistungsklage. Die Frage nach dem Streitgegenstand sollte jedoch rechtsschutzformübergreifende Beantwortung erfahren, ohne dass die Lösung notwendig einheitlich ausfallen müsste.4 Auch für Gestaltungs- und Feststellungsklagen könnte somit prima facie die Vorstellung eines einheitlichen Klägerinteresses tragen. Zwar hebt auch der in § 264 Nr. 3 ZPO verwendete Begriff des Interesses aus historischen Gründen auf die Leistungsklage ab.5 § 264 Nr. 3 ZPO ist jedoch unter teleologischen Gesichtspunkten keine auf den Leistungsprozess bezogene zwingende Restriktion zu entnehmen. So gestatten denn auch Rechtsprechung6 und Schrifttum7 nach Beendigung der Zwangsvollstreckung unabhängig von der Rechtsschutzform nach § 264 Nr. 3 ZPO den Übergang von
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Vgl. § 10 III. Rimmels pacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S. 3. Für das materielle Interesse auch S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 314: „Die Formel passt allerdings nur bei Leistungs- und Feststellungsklagen wegen Ansprüchen und ist nur eine Faustformel.“ 3 Rimmels pacher, aaO.: „Freilich wirft diese Unterscheidung die Frage auf, ob damit das letzte Wort gesprochen, ob es nicht doch möglich und angemessen ist, einen neuen einheitlichen Anknüpfungspunkt für die dem Streitgegenstand zugedachten Aufgaben bei Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklagen zu ermitteln. Die Frage bleibt hier unbeantwortet. Die folgenden Untersuchungen beschränken sich auf den Bereich der Leistungsklage als dem praktisch bedeutungsvollsten Klagetyp.“ 4 Die Sonderbehandlung der Feststellungsklage, mit der ein bestimmtes absolutes Recht behauptet wird, durch Teile der Literatur fand bereits Erwähnung, oben § 30 IV 2a; Grunsky, Grundlagen, § 5 II 2, S. 32: Der einzelne Erwerbsgrund wird hier ausgeblendet; Jauernig, Verhandlungsmaxime, S. 73. 5 Bub, Streitgegenstand, S. 140. 6 OLG Schleswig NJW-RR 1992, 192; OLG Frankfurt a.M. FamRZ 1981, 978. 7 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 264 Rn. 20. 2
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Siebter Teil: Besonderheiten für bestimmte Klagearten
der Vollstreckungsgegenklage auf die auf Geldausgleich gerichtete Leistungsklage.
I. Streitgegenstand der Gestaltungsklage Die Bestimmung des Streitgegenstands der Gestaltungsklage ähnelt zunächst einer Gleichung mit mehreren Unbekannten.
1. Existenz eines materiellen Gestaltungsklagerechts Die Entscheidung für eine prozessuale oder materielle Deutung des Streitgegenstands hängt zunächst von der Frage ab, ob Gestaltungsklagen überhaupt eine materielle Rechtsstellung zugrunde liegt. Angesprochen ist damit die klassische Streitfrage nach der Existenz eines Gestaltungsanspruchs8 bzw. eines materiellen Gestaltungsklagerechts. Häufig wird diese mit dem Argument bestritten, dass der Beklagte nicht fähig sei, das zugrunde liegende materielle Recht durch Erfüllung zum Erlöschen zu bringen. Selbst im Falle des Einverständnisses des Gestaltungsgegners könne in vielen Fällen diese Wirkung nur durch das Urteil bewirkt werden.9 Deswegen verweigern sich auch materiellrechtlich orientierte Ansätze der Annahme eines privaten Gestaltungsklagerechts.10 Das Recht auf Scheidung etwa sei keine Befugnis gegenüber dem Beklagten, sondern ein Recht gegenüber dem Gericht.11 Existiere aber kein Gestaltungsrecht, könne es auch nicht zum Streitgegenstand erhoben werden. Stattdessen wird der „Anspruch auf Rechtsgestaltung“ als bloße Erscheinungsform des gegen den Staat gerichteten Justitzgewährungsanspruches interpretiert.12 Rechtsschutz 8 Kleinfeller, Lehrbuch, S. 265 ff.: Hiernach werde durch die Klage auf Rechtsgestaltung ein Anspruch auf Begründung eines neuen Rechtsverhältnisses erhoben. Dieser sei auf Duldung der Neugestaltung gerichtet; näher Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 104 f. 9 Henckel, Parteilehre, S. 35; kritisch aber mit Recht: Lakkis, Gestaltungsakte, S. 13: „Ein Recht, das nicht auf Erfüllung zielt, kann naturgemäß nicht erfüllt werden. Der Einwand, dass der Gegner das Gestaltungsbegehren nicht erfüllen könne, ist ohnehin eher auf die Abgrenzung zum Leistungsanspruch i.S.d. § 241 BGB zugeschnitten als auf die Abgrenzung zum rechtsgeschäftlich ausgeübten materiellen Gestaltungsrecht.“ 10 Henckel, Parteilehre, S. 287 ff.; hierzu ausführlich Hesselberger, Streitgegenstand, S. 225 ff.; Grunsky, Grundlagen, § 5 III, S. 32. 11 Damit lässt sich Henckel faktisch auf die Lehre vom Rechtsschutzanspruch ein: „Anspruch auf positive Entscheidung, wenn die prozessualen und materiellen Rechtsschutzvoraussetzungen vorliegen“, Parteilehre, S. 34. Zur Bestimmung des Streitgegenstands muss er auf die jeweiligen Gestaltungsgründe zurückgreifen. Streitgegenstand sei der Antrag auf Gestaltung und der behauptete Gestaltungsgrund, was zwangsläufig zur Prozessvermehrung führen muss. 12 So früher Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., vor § 253 Rn. 41 ff.; aufgegeben durch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 104.
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werde erst durch eine rechtsgestaltende richterliche Entscheidung gewährt.13 So wird die Gestaltungsklage im Ergebnis im Sinne eines öffentlichen gegen den Staat gerichteten Rechts interpretiert.14 Die materiellrechtliche Betrachtungsweise wird aufgegeben, weil behördliche Mitwirkung von Nöten ist.15 Der öffentlichrechtliche Anspruch auf Gestaltung habe mit einem privaten Recht zur Gestaltung nichts gemein.16 Bedenklich stimmt hieran, dass originär zivilrechtlichen Bereichen öffentlich-rechtliche Ansprüche einverleibt werden, welche die Zuständigkeit der Zivilgerichte in Frage stellen könnten.17 Die gedankliche Unterfütterung materieller Gestaltungsgründe mit privaten Gestaltungsklagerechten als Sonderform subjektiver Privatrechte erscheint demgegenüber vorzugswürdig.18 Insofern beruhen Gestaltungsklagen auf der materiellen Befugnis auf Rechtsänderung.19 Das materielle Gestaltungsrecht ist hiernach lediglich aus Gründen der Rechtssicherheit auf die gerichtliche Ausübung festgelegt. Die Gestaltungsklage bezweckt nur die Feststellung des umstrittenen materiellen Rechtsverhältnisses, ohne dass eine besondere prozessuale Rechtsausübung erkennbar wird.20 Gestaltungsklagen dienen ebenfalls der Verbesserung der subjektiven Rechtsposition des Berechtigten.21 Der Einwand, Gestaltungsklagerechte könnten nicht erfüllt werden, taugt von daher nur als Abgrenzungsmerkmal zum Leistungsanspruch (§ 194 BGB). Zur Ablehnung eines materiellen Gestaltungsklagerechts kann er von vorneherein nicht dienen, weil diese nicht auf Erfüllung, sondern auf einseitige Rechtsänderung ausgerichtet sind. 22 Auch rechtsgeschäftliche Gestaltungsrechte wie Anfechtung oder Widerruf können nicht „erfüllt“ werden. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die 13 Dölle, in: FS Bötticher, S. 97 ff.; ähnlich Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 374 ff., der den Gestaltungsanspruch als Vollstreckungsanspruch interpretiert; Grunsky, Grundlagen, § 5 III, S. 32; ablehnend Arens, Streitgegenstand, S. 31. 14 Ebenso Dölle, in: FS Bötticher, S. 97; im Ergebnis auch Henckel, Parteilehre, 31 ff. 15 Bötticher, in: FS Dölle, Bd, I, S. 55. 16 Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 381 (der Leistungsurteile als den Sonderfall eines Gestaltungsurteils ansieht; weiter gehend Rödig, Theorie, S. 95, auch für Feststellungsklagen). 17 So Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 104; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 91 Rn. 3; Häsemeyer, AcP 188 (1988), 154; K.H. Schwab, ZZP 81 (1968), 423. 18 So Stein/Jonas/H. Roth, aaO., unter Hinweis auf den Erklärungsvorteil bei der Anwendung ausländischen Rechts; Becker, ZZP 97 (1984), 315. 19 BGHZ 30, 149; BGH NJW 1986, 2047 (Ehescheidung); Bötticher, in: FS Dölle, Bd. I, S. 55; ders., in: FG Rosenberg, S. 82; H. Roth, in: FS Großfeld, S. 915; ders., in: Die Einrede, S. 249 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, Vor § 253 Rn. 5; ausführlich Lakkis, Gestaltungsakte, S. 14 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 91 Rn. 3. 20 So Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 103; H. Roth, in: FS Henckel, S. 707 ff. 21 Der Unterschied zum materiellrechtlichen Anspruch zeigt sich etwa deutlich im Falle der Herabsetzung einer Privatstrafe nach § 343 BGB. Hier ist ein privatrechtlicher Anspruch nur Gegenstand der Gestaltungsklage, nicht jedoch ihre Grundlage. Von einem Anspruch, der erfüllt werden könnte, lässt sich gleichfalls nicht im Falle von § 574a BGB sprechen. 22 Lakkis, Gestaltungsakte, S. 14. Im Familien- und Gesellschaftsrecht steht die Kooperation der Beteiligten im Vordergrund.
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Gestaltungsklage nicht zu einem rein prozessualen Institut herabgestuft werden sollte. Denn der Zivilprozess dient – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in erster Linie dem Schutz subjektiver Rechte.23 Eine über eine materiellrechtliche Befugnis hinausreichende prozessuale Berechtigung existiert somit nicht. 24 Dies gilt insbesondere, wenn man sich vergegenwärtigt, welcher Aufwand im Bereich der Verbandsklage getrieben wurde, um einen materiellrechtlichen Anspruch des Verbands zu begründen. 25 Die Ablehnung einer subjektiven Berechtigung des Verbands ist dort indes zivilprozessual noch mit dem Aspekt des Institutionenschutzes begründbar. Gestaltungsklagen dienen jedoch überwiegend der Umsetzung privater Interessen. Zur Begründung eines eigenständigen materiellrechtlichen Gestaltungsrechts erscheint es dann nur ein kleiner Schritt zu sein. Im Übrigen blieb die historische Nähe der Gestaltungs- zur Leistungsklage bisher noch völlig unerwähnt. Hiernach war die Gestaltungsklage zunächst als eine Form der Leistungsklage interpretiert worden, die keiner Vollstreckung bedürfe. 26 Zwischen beiden Rechtsschutzformen bestehen deswegen keine unüberwindbaren dogmatischen Barrieren. 27 Ob der Unterschied zwischen Leistungsklage einerseits und Feststellungs- und Gestaltungsklage andererseits auch damit begründet werden kann, dass die erstere auf der Anspruchskonzeption Windscheids beruht, während die beiden anderen Rechtsschutzformen beim „Rechtsverhältnis“ im Sinne der Lehre Savignys Anleihen nehmen und demnach auf unterschiedlichen materiellrechtlichen Vorstellungen beruhen, kann dahingestellt bleiben. 28 Vielleicht könnte hier die Einführung des Interessekriteriums in die Diskussion auch zu einer Annäherung der Rechtsschutzformen beitragen.29
2. Folgerungen für den Streitgegenstand Indes wird auch von den Anhängern eines materiellen Gestaltungsklagerechts in der Regel eine prozessuale Fassung des Streitgegenstands bevorzugt und die Bedeutung des Klagebegehrens30 (und des Klagegrundes) in den Mittelpunkt 23
Ausführlich Lakkis, Gestaltungsakte, S. 18 f. Picker, Drittwiderspruchsklage, S. 5. 25 Zusammenfassend Halfmeier, Popularklagen, S. 100 ff. 26 Mugdan, Materialien I, S. 553 ff.; Kleinfeller, Lehrbuch, S. 259 f.: Nach ihm ist die Gestaltungsklage eine Art der Leistungsklage, welche von dieser insoweit abweiche, als sie „noch auf etwas anderes als auf Leistung des Gegners gerichtet“ sei. 27 Vergleichbar Lakkis, Gestaltungsakte, S. 203. 28 So Lakkis, Gestaltungsakte, S. 203, unter Hinweis auf Bork, AT, Rn. 297: Gestaltungsrechte seien „nicht personenbezogen (von dem anderen Teil wird gerade keine Mitwirkung verlangt), sondern objekt-, nämlich auf ein Rechtsverhältnis bezogen.“ 29 Lakkis, Gestaltungsakte, aaO., weist darauf hin, dass die Rückbesinnung auf das Rechtsverhältnis im Sinne der Kernpunkttheorie des EuGH gerade zu einer Wiederannäherung von Leistungs- und Gestaltungsklage führe. 30 So die eingliedrige und auch die relative Streitgegenstandslehre (Verfahrensgegenstand), Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 64; Baumgärtel, JuS 1974, 75. 24
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gerückt. Selbst Vertreter einer eher materiellrechtlich geprägten Sichtweise neigen, wie erwähnt, hier zu einer „Prozessualisierung“ des Streitgegenstands.31 Hemmnisse bei der Bestimmung des Streitgegenstands der Gestaltungsklage könnten sich aus der bisherigen Grundlegung des Interessebegriffs ergeben, der maßgeblich auf der Lehre von der Erfüllungskonnexität basiert.32 Erfüllung durch den Klagegegner ist an sich – ohne Zwischenschaltung eines Klageverfahrens – nur bei materiellrechtlichen Ansprüchen denkbar. Selbst bei Annahme eines privaten Gestaltungsklagerechts könnte der Beklagte jenes aber nicht durch freiwillige Erfüllung zum Erlöschen bringen. Dies gilt ohne Zweifel, wenn das Gesetz die Gestaltung aus Gründen der Rechtssicherheit zwingend an die Durchführung eines Verfahrens koppelt. G. Lüke hat jedoch darauf hingewiesen, dass der Sache nach der Beklagte das Klagebegehren erfüllen kann, obgleich es bei Gestaltungsklagen eine „echte Erfüllung“ nicht geben könne, weil das Gericht unabhängig vom Verhalten des Beklagten gestalte.33 Hiermit im Zusammenhang steht die Differenzierung in echte und unechte Gestaltungsklagen.34 Bei der ersten Gruppe sei die begehrte Entscheidung nur durch den Richterspruch zu erreichen, wie im Falle der Ehescheidung oder der Ehenichtigkeitserklärung. Die Konstellationen der unechten Gestaltungsklage zeichneten sich hingegen gerade dadurch aus, dass der Gestaltungserfolg mit der Folge der Hauptsacheerledigung auch durch die Parteien selbst bewirkt werden könnte.35 Vor allem im Bereich des Handelsrechts sind durch rechtsgeschäftlichen Akt herbeigeführte erledigende Ereignisse denkbar, wie z.B. eine Vereinbarung über die Niederlegung der Geschäftsführungsbefugnis (§ 117 HGB), eine Beschlussfassung hinsichtlich der Gesellschaftsauflösung (§ 131 I Nr. 2 HGB)36 oder ein einvernehmliches Ausscheiden aus der Gesellschaft (§§ 140 f. HGB). Das Ergebnis der richterlichen Gestaltung kann also durch Rechtsgeschäfte substituiert werden.37 Diese Unterscheidung wird kritisiert, weil selbst dort, wo eine rechtsgeschäftliche Rechtsänderung zur Wahl steht, die Gestaltungsklage nur gegenstandslos werde, aber jedenfalls nicht die Unangreifbarkeit eintrete wie im Falle der Gestaltung durch richterlichen Akt.38 Dennoch kann das Interessekriterium bei entsprechender Modifikation auch bei der Bestimmung des Streitgegenstands der Gestaltungsklage Verwendung finden. Insoweit fungiert das Gericht als „staatlicher Erfüllungsgehilfe“ des 31
Vgl. etwa Henckel, Parteilehre, S. 27 f., 34. Oben § 22 II. 33 Lüke, in: FS Sturm, S. 1047; ähnlich ders., JuS 1998, 594; 1969, 305 ff. 34 So vor allem Becker, ZZP 97 (1984), 322 f. 35 Staab, Gestaltungsklage und Gestaltungsklagerecht, S. 124 ff.; Lüke, JuS 1969, 305 f. 36 Zur erledigenden Wirkung auch RG Gruchot 53 (1909), 697 f. 37 Denkbar erscheint auch eine Ersetzung der Einwilligung in die Rechtsänderung nach § 894 ZPO. 38 So noch Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., vor § 253 Rn. 41; anders, aber ebenfalls diese Unterscheidung ablehnend Stein/Jonas/H. Roth, vor § 253 Rn. 105. 32
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privatrechtlichen Gestaltungsrechts. Blendet man den konkreten Gestaltungsgrund aus, so bliebe der Streitgegenstand identisch, wenn mit der Klage trotz veränderten Tatsachenvortrags weiter dasselbe Gestaltungsinteresse verwirklicht werden soll, sprich: derselbe Gestaltungserfolg.39 Im Ergebnis würde damit einer – im Bereich der Gestaltungsklage nicht ungewöhnlichen – Annäherung an die eingliedrige Streitgegenstandslehre Schwabs das Wort geredet. Dieses „Gestaltungsinteresse“ bleibt etwa gewahrt, wenn der Aktionär seine gegen die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses gerichtete Anfechtungsklage (§§ 241 ff. AktG) mit verschiedenen Anfechtungsgründen rechtfertigt.40 Denn mit der Aufhebung des angegriffenen Beschlusses werden alle übrigen Aufhebungsgründe gegenstandslos.41 Bei einem Wechsel des Gestaltungsantrags erfährt hingegen auch das Gestaltungsinteresse eine Veränderung. Aber auch im Rahmen echter Gestaltungsklagen, wie der Klage (bzw. unter der Geltung des FamFG: dem Antrag) auf Ehescheidung, kann der Gedanke eines einheitlichen Interesses insofern Berücksichtigung finden, wenn damit begrifflich der (identische) Gestaltungserfolg als solcher verbunden wird.42
3. Insbesondere: Häufung von Gestaltungsgründen Die Vorstellung eines einheitlichen „Gestaltungsinteresses“ führt zu einer Kumulierung sämtlicher Gestaltungsgründe in einem Verfahren. Dies soll anhand einiger Fallgruppen, die keineswegs Vollständigkeit beanspruchen wollen, verdeutlicht werden.
a) Eherechtliche Gestaltungsklagen (-anträge) Infolge des 1. EheRG existiert nur mehr ein Scheidungsgrund, das Scheitern der Ehe.43 Insofern wird auch der prozessuale Anspruch allein durch das Scheitern der Ehe charakterisiert44, was Auswirkungen auf Rechtshängigkeit, Klageänderung und Klagenhäufung hat. Mehrere Scheidungsverfahren bei verschiede39 Zwei Gestaltungsklagen hätten demnach unabhängig vom Klagegrund denselben Streitgegenstand, wenn mit ihnen jeweils derselbe Gestaltungserfolg verwirklicht werden soll. 40 Hierzu Bub, Streitgegenstand, S. 140; vgl. die Konstellation in BGH LM H. 12/2002, § 241 AktG 1965 Nr. 9 mit Anm. H. Roth. 41 Bub, Streitgegenstand, S. 140, will hier von einem rechtlichen Interesse des Klägers sprechen (im Gegensatz zum wirtschaftlichen Interesse bei Leistungsklagen), das einen Leistungsanspruch wirtschaftlich vorbereite. 42 Vgl. im Übrigen unten § 33 I 3a. 43 Köhler, Streitgegenstand, S. 175 f. § 1565 II BGB und ähnliche Tatbestände haben lediglich den Charakter von Hilfsnormen; a.A.: Jauernig/Hess, ZPR § 91 II 11 Rn. 31; vgl. zur früheren Rechtslage noch Arens, ZZP 76 (1963), 423 ff. 44 H. Roth, in: FS D. Schwab, S. 704; Diederichsen, ZZP 91 (1978), 441 f.; Linke, in: FS Beitzke, S. 281 f.; BT-Drs. 7/4361, 10; BGH FamRZ 1980, 125.
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nen Foren sind bereits im Hinblick auf etwaige Folgesachen, § 621 I ZPO a.F. (nunmehr: §§ 137 f. FamFG), und eine etwaige Verdoppelung ausschließlicher Zuständigkeiten zu vermeiden.45 Die Kategorisierung in einverständliche und streitige Scheidung ändert daran nichts. Der Antragsgegner kann somit nicht einen zweiten Antrag in einem selbständigen Verfahren stellen, sondern nur im gleichen Verfahren. Nach § 1564 I 1 BGB liegt nur ein prozessualer Anspruch vor (Anschlussantrag des Gegners). Demnach rechnen alle Tatsachen zum Verfahrensgegenstand, die geeignet sind, den Antrag des Klägers zu rechtfertigen. Da sowohl die eingliedrige als auch zweigliedrige Streitgegenstandslehre zu diesem Ergebnis gelangen, wird hierdurch auch die Interessenidentität paralleler und gegenläufiger Scheidungsanträge bestätigt.
b) Aktienrechtliche Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage Diese Erkenntnis bleibt nicht auf das Spezifikum Scheidungsrecht beschränkt, sondern findet auch für Gestaltungsklagen im Gesellschaftsrecht, vor allem aber für den aktienrechtlichen Anfechtungsprozess, Bestätigung.
aa) Rechtsschutzform Von der überwiegenden Lehre wird bereits das materielle Rechtsschutzziel von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (§§ 241 f. AktG) für identisch befunden, womit auch deren Streitgegenstände übereinstimmten. Rechnet man aber die Rechtsschutzformen zu den Komponenten des Klageantrages, dann erschiene es als Notwendigkeit, entweder auch die Nichtigkeitsklage als Gestaltungsklage zu begreifen46 oder eben verschiedene Streitgegenstände anzunehmen.47 Deren Streitgegenstände stimmen überein, weil die Rechtsschutzform nicht zu den zwingenden Bestandteilen des Streitgegenstands rechnet.48 Dies gilt zunächst 45
Köhler, Streitgegenstand, S. 35 f. So deutlich M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 274: „Beide Anträge richten sich einheitlich auf dasselbe Ziel, das Gericht möge die Nichtigkeit feststellen (§ 249 AktG), hilfsweise, soweit erforderlich, herbeiführen (§§ 243 I, 241 Nr. 5 AktG); etwa K. Schmidt, JZ 1988, 729 ff.: einheitliche „kassatorische Klage gegen Gesellschafterbeschlüsse“; auch Nichtigkeitsklagen entfalteten Wirkung für und gegen jedermann (Wirkungsangleichung im Verhältnis zur Anfechtungsklage); Ebbing, NZG 1998, 285; kritisch insoweit M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 272, 273 f.: Um den Gleichklang der Urteilswirkungen herzustellen, erscheint es indes nicht erforderlich, die Nichtigkeitsklage in den Rang einer Gestaltungsklage zu erheben. Vielmehr sei der Ausgangspunkt, dass das Anfechtungsurteil als Gestaltungsurteil gegenüber jedermann wirke, unrichtig. Der Gleichklang der Rechtskraftwirkungen ergibt sich im Übrigen bereits aus § 249 I 1 AktG iVm § 248 I 1 AktG. 47 So Sosnitza, NZG 1998, 335 f. 48 Oben § 25 II 4. 46
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ohne Einschränkungen für den Verfahrensgegenstand. Aber auch im Rahmen der Rechtskraft ist diese Folgerung für bestimmte Fallgruppen zutreffend. So haben das Urteil, das eine Leistungsklage rechtskräftig abweist, und ein Urteil, das einer negativen Feststellungsklage stattgibt, denselben Rechtskraftumfang.49 Im Übrigen könnte – bei Festhalten am Erfordernis der Rechtsschutzformen – konstatiert werden, dass der Antrag der Anfechtungsklage auch das Rechtsschutzbegehren der Nichtigkeitsklage umfasst. M. Schwab50 folgert daraus, dass sowohl der Nichtigkeits- als auch der Anfechtungsantrag mit dem doppelten Inhalt vorgetragen würden, das Gericht möge entweder die Nichtigkeit (§ 249 AktG) feststellen oder erforderlicherweise herbeiführen (§§ 243 I, 241 I Nr. 5 AktG).51 Beide verfolgten als materielles Ziel die richterliche Klärung der Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses für und gegen jedermann.52 Beide Anträge sind damit einheitlich auf dasselbe Ziel gerichtet. Ein Teilurteil, das sich beispielsweise auf den Anfechtungs- oder Nichtigkeitsantrag beschränkt, ist deswegen unzulässig.53
bb) Klagegrund Der Streitgegenstand der „Beschlussmängelklage“ wirft auch im Hinblick auf den Gesichtspunkt des klagebegründenden Sachverhalts Fragen auf. So erscheint zweifelhaft, ob eine Anfechtungsklage eine nachfolgende, gegen denselben Beschluss gerichtete Klage sperrt, die auf andere Mängel gestützt wird.54 Eine engere, an der herrschenden zweigliedrigen Lehre orientierte Auffassung55 will den Prozessvortrag zu einem Beschlussgegenstand in mehrere Sachverhalte und damit unterschiedliche Streitgegenstände unterteilen. Der BGH hat demgegenüber entschieden, dass der klagebegründende Sachverhalt sämtliche Vorgänge der Hauptversammlung umfasse, die zur Anfechtung des Beschlusses be-
49 M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 273: „Wenn aber die Rechtskraft beider Urteile den exakt gleichen Umfang hat, kann nicht der Streitgegenstand in beiden Fällen deswegen unterschiedlich sein, weil einmal eine Leistung, das andere Mal eine Feststellung begehrt wurde. Wenn aber Leistungs- und Feststellungsklage unter dem Gesichtspunkt des Streitgegenstands gegeneinander ausgetauscht werden können, leuchtet kaum ein, weswegen für die Gestaltungsklage etwas anderes gelten soll“; vergleichbar E. Habscheid, ZZP 112 (1999), 37, 43. 50 M. Schwab, Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 274. 51 In diesem Sinne bereits OLG Stutgart ZIP 1998, 1482 f. 52 BGHZ 134, 364; BGH DStR 1999, 643 mit Anm. Goette; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 50. 53 Zutreffend M. Schwab, aaO., S. 275. 54 Nach der eingliedrigen Streitgegenstandslehre wäre von Streitgegenstandsidentität auszugehen. 55 K. Schmidt, GroßKomm § 246 AktG Rn. 59 f.; Bork, ZIP 1995, 612 f.; Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 2 Rn. 44, 45.
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rechtigen.56 Als Klagegrund wird die Gesetzes- oder Satzungswidrigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses als Ganzes gesehen.57 Dem kann aus der hier vertretenen Warte ohne Weiteres zugestimmt werden58 , bleibt doch das Gestaltungsinteresse jeweils identisch. Zwar hat M. Schwab59 dem widersprochen, weil – konsequent weitergedacht – dann die rechtskräftige Abweisung einer Anfechtungsklage 60 auch einer Nichtigkeitsklage entgegenstehen würde, mit der andere Beschlussmängel vorgetragen würden.61 Dieses Ergebnis ist aber keineswegs unannehmbar62, sondern entspricht dem Gebot der Rechtssicherheit, das eine schnelle Klärung der Verhältnisse erfordert, wie die kurz bemessene Anfechtungsfrist für die Anfechtungsklage zeigt.63 Dies gilt gleichermaßen für Verfahrensgegegenstand und Urteilsgegenstand. Denn eine weitergehende Unterteilung von Streit- und Urteilsgegenstand nach einzelnen, den Beschlussgegenstand sowie das Beschlussverfahren betreffende Umständen und Fehlern könnte die einheitliche Überprüfung des Beschlusses je nach Umfang und Einzelheiten des Klägervortrags verhindern. Ansonsten wäre es denkbar, dass der Aktionär mittels nicht fristgebundener Nichtigkeitsklage trotz erfolgter Abweisung der auf einen bestimmten Nichtigkeitsgrund gestützten Klage weitere Segmente sukzessive zur Überprüfung stellt, was die Gültigkeit des Beschlusses für längere Zeit fraglich erscheinen ließe. Bedenkt man zudem die Häufigkeit des „Klagemissbrauchs“ durch aktienrechtliche Berufskläger und Berufsnebenintervenienten64, so ist dem BGH vollends zuzustimmen.
c) Streitgegenstand bei „rein“ prozessualen Klagen Bei „rein prozessualen“ Klagen wie der Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel (§ 731 ZPO), der Klauselgegenklage (§ 768 ZPO), der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) oder der Klage auf vorzugsweise Befriedigung (§ 805
56 BGH NJW 2002, 3465 f.; LG Frankfurt NZG 2004, 672 f.; ebenso Arens, Streitgegenstand, S. 50; a.A.: M. Schwab, aaO., S. 302 f.; Bauschatz, NZG 2002, 317 f.; K. Schmidt, JZ 1977, 769 f. 57 Damit führt die Geltendmachung zusätzlicher Mängel durch ergänzenden Sachvortrag nicht zu einer Klageänderung. 58 Arens, Streitgegenstand, S. 47. 59 M. Schwab, aaO., S. 304 f. 60 Für diese selbst wird das Problem wegen der kurzen Frist in § 246 I AktG kaum virulent. 61 Hierfür konsequent Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 47 Rn. 83. 62 BGH NJW 1999, 1638: Mangelhaftigkeit an sich ist Streitgegenstand; a.A.: Jeder Beschlussmangel bildet einen eigenen Streitgegenstand, Jauernig/Hess, ZPR, § 37 VII 2 Rn. 44, 45. 63 So auch H. Roth, Anm. zu BGH LM § 241 AktG 1965 Nr. 9. 64 Hierzu Althammer, JZ 2008, 255 f.
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ZPO) und der Vollstreckungsklage nach § 722 ZPO existiert prima facie kein zugrunde liegendes materielles Recht.65 Habscheid glaubte deswegen, „dass sie Institute sind, die nur aus dem Prozessrecht heraus verstanden werden können, die notwendig sind, um eine Durchsetzung des im Urteil festgestellten Anspruches zu gewährleisten (§ 731 ZPO) oder aber einen Missbrauch des Urteils zu verhindern (§§ 767, 768, 771, 808 ZPO) … Mit materiellrechtlichen Begriffen lassen sich aber die vorerwähnten Klagen nicht erfassen.“ 66
Allerdings dienen auch diese prozessualen Instrumente dem übergreifenden Prozesszweck des Individualrechtsschutzes und somit der Durchsetzung des materiellen Rechts im weiteren Sinne. Sie sind der materiellen Rechtsdurchsetzung unmittelbar vorgelagert. Auch aus diesem Grunde ist für die Identitätsfunktion des Streitgegenstands die „Denkfigur“ des Interesses, das im Klageantrag Ausdruck findet, von Nutzen. So könnte m.E. abweichend von der h.L. einer selbständigen Leistungsklage eine bereits anhängige Klage auf Vollstreckbarerklärung (§ 722 ZPO) wegen Identität des Interesses entgegenstehen, ohne dass für die Lösung der Konkurrenzsituation das (fehlende) Rechtsschutzbedürfnis bemüht werden müsste.67 Der unterschiedlichen Rechtsschutzform kommt dabei im Rahmen der Rechtshängigkeitssperre (§ 261 III Nr.1 ZPO) ohnehin keine selbständige Bedeutung zu.68
II. Feststellungsklage Auch wenn eine Feststellungsklage69 der Ermittlung einer materiellrechtlichen Anspruchsberechtigung dient, kann die Feststellung der Interessenidentität der beschriebenen Ausrichtung an der Erfüllungskonnexität folgen.70 Mit der Feststellungsklage kann ausnahmsweise auch eine bestimmte rechtliche Qualifikation des Anspruchs (z.B. als deliktische Forderung) zur richterlichen Kogni-
65 Habscheid, Streitgegenstand, S. 145, der Rosenberg vorwirft, hier von seiner allgemeinen Streitgegenstandsdefinition abzuweichen, die sich grundsätzlich am Begehren ausrichte. Für § 771 ZPO spreche Rosenberg vom „Recht zum Widerspruch gegen die Zwangsvollstreckung“, bei § 805 ZPO vom „Recht auf abgesonderte Befriedigung“. 66 Habscheid, Streitgegenstand, S. 145. 67 Mit Recht Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 32 f. 68 A.A.: etwa Habscheid, Streitgegenstand, S. 145, der neben der Rechtsbehauptung, die die Rechtsschutzform beinhaltende Verfahrensbehauptung als Teil des Streitgegenstands begreift. 69 Näher E. Habscheid, ZZP 112 (1999), 44 f., der das Rechtsverhältnis selbst als Streitgegenstand der Feststellungsklage begreift. 70 Oben § 22 II. Wird neben der Feststellungsklage auch eine Leistungsklage erhoben, greift § 261 III Nr. 1 ZPO ein, ohne dass die unterschiedliche Rechtsschutzform daran etwas ändern könnte, oben § 25 II 4.
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tion gestellt werden71, so dass die Rechtsbehauptung hier nicht wie bei der Leistungsklage nur inhaltlich umrissen ist, sondern an ein bestimmtes materielles Recht gebunden wird. Diese Konkretisierung des Streitgegenstands ist zulässig (§ 256 ZPO).72 Allerdings ist auch die globale Feststellung möglich, dass der Beklagte dem Kläger 10 000 Euro schulde.73 Hier wird der Streitgegenstand verändert, wenn zwischen möglichen Forderungsgründen Interessenunterschiede bestehen. Die festzustellende Erfüllungskonnexität erfordert zur Individualisierung den Rückgriff auf den Sachverhalt. Ohne Schwierigkeiten kann auch der Gegenstand einer Feststellungsklage bestimmt werden, mit welcher die Existenz eines absoluten Rechts, etwa in der Gestalt einer Eigentümerstellung des Klägers, ermittelt werden soll.74 Im Hinblick auf die Interessenidentität unerheblich bleibt dabei die Frage, ob vom Kläger ein oder mehrere Erwerbsgründe vorgebracht werden.75 Verfahrensgegenstand und Urteilsgegenstand umfassen nach richtiger, aber sehr bestrittener Auffassung alle Erwerbsgründe76 , welche die begehrte Feststellung rechtfertigen.77 Die Formel, zwei „Klagen sind identisch, wenn sie auf die Befriedigung desselben Interesses abzielen“, muss deswegen nicht auf die Verwirklichung mittels Leistungsklage bzw. auf die Feststellung von Anspruchsverhältnissen begrenzt bleiben.78
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Oben § 30 VIII 3 d, 4. Habscheid, Streitgegenstand, S. 151 ff., 167 ff. 73 E. Habscheid, ZZP 112 (1999), 45 f., begrenzt auf einen bestimmten Sachverhalt. 74 E. Habscheid, ZZP 112 (1999), 37 f. 75 Oben § 30 IV 2 a; Bub, Streitgegenstand, S. 137 ff., spricht im Hinblick auf den Streitgegenstand der Feststellungsklage von einem rechtlichen Interesse. 76 Henckel, Parteilehre, S. 282 f.; Nikisch, Streitgegenstand, S. 77; Bub, Streitgegenstand, S. 137 ff.; nur für den Verfahrensgegenstand Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 63. 77 Gleiches gilt etwa für ein ideelles Interesse. Das Interesse bleibt dasselbe, wenn der Widerrufsanspruch auf die Verletzung verschiedener Rechtsgüter gestützt wird. Ein anderes Interesse wird jedoch geltend gemacht, wenn es um die Unterlassung zukünftiger Äußerungen geht. Insoweit geht auch BGH NJW-RR 1994, 1404, von zwei verschiedenen Streitgegenständen aus. 78 So aber S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 314. 72
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§ 34 Besonderheiten im Bereich der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage I. Klageantrag und Kerntheorie Im Bereich der deutschen Unterlassungsklage und -vollstreckung (§ 890 ZPO) kennt die vom EuGH entwickelte Kernpunkttheorie eine „Schwester auf der Ebene des Tatsächlichen“, welche die Bedeutung des Klageantrags relativiert.79 Diese Kerntheorie bezweckt, die Umgehung rechtskräftiger Unterlassungsurteile durch ganz ähnliche, nur in Nuancen veränderte (kerngleiche) Verletzungshandlungen zu vermeiden.80 Denn bei der Vielgestaltigkeit der Lebensvorgänge erscheint die Wiederholung einer sich unter denselben Umständen ereignenden neuen Verletzungshandlung nicht wahrscheinlich.81 So war etwa in einem vom BGH82 früh entschiedenen Fall dem Beklagten zunächst verboten worden, die Firmenbezeichnung „Rohrbogenwerk GmbH“ zu führen. Alsbald 79 Bei der Kerntheorie handelt es sich um eine Frage des Klageantrags, nicht des Klagegrundes, BGH JZ 2006, 1182: „Die Annahme, dass das Unterlassungsbegehren grundsätzlich auch auf das Verbot kerngleicher Abweichungen von der konkreten Verletzungsform gerichtet ist, bezieht sich jedoch nur auf die mit dem Klageantrag begehrte Rechtsfolge und hat mit der Abgrenzung des Klagegrundes, aus dem diese Rechtsfolge hergeleitet wird, nichts zu tun.“ 80 RGZ 147, 27 (31); BGHZ 5, 193; BVerfG NJW-RR 2007, 861; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 890 Rn. 33; Schubert, ZZP 85 (1972), 29 (30); Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 253 Rn. 34; Rüßmann, in: FS Lüke, S. 675 ff.; Ahrens/Schulte, Wettbewerbsprozeß, § 10 Rn. 11 f.; Sutschet, ZZP 119 (2006), 285 ff.; Kocher, ZZP 117 (2004), 493: „der (abstrakte) Kern der Verletzung bildet so den eigentlichen Gegenstand des Unterlassungsantrags“; Oppermann, Unterlassungsanspruch, S. 37 ff.; auch Zieglmeier, S. 135 ff. 81 Teplitzky, GRUR 1998, 322 (auch zu den möglichen Konsequenzen für den Streitwert, der am jeweiligen Interesse und nicht am formalen petitum zu orientieren sei); zur Kernlehre und den Erfordernissen des Klageantrags ders., WRP 1999, 75; kritisch zur Kernlehre Schubert, ZZP 85 (1972), 29, 30. Die Praxis wirtschaftlich denkender Anwälte führte dazu, einen möglichst eng formulierten Klageantrag zu wählen, um statt eines weniger gebührenträchtigen Vollstreckungsverfahrens eine erneute einstweilige Verfügung beantragen zu können. Mittlerweile hat die Rechtsprechung den aus einer Verletzungshandlung resultierenden Anschein einer Wiederholungsgefahr auch auf kerngleiche Varianten jenseits der konkreten Verletzungsform erstreckt (vgl. BGH GRUR 1997, 380), Teplitzky, WRP 1999, 76. Damit steht dem Gläubiger von Anfang an ein einheitlicher Unterlassungsanspruch zu, bei dem er nicht befürchten muss, dass seine Klage als unbegründet abgewiesen wird. 82 BGH GRUR 1954, 70 ff.
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firmierte dieser unter der Bezeichung „Rohrbogen-Gesellschaft mbH“. Der BGH war der Ansicht, dass von der Rechtskraftwirkung des Unterlassungsurteils auch diese Bezeichnung erfasst werde, weil sie den Kern der Verletzungsform unberührt ließe. Im Ergebnis entscheidet über die Zulässigkeit einer neuen Firmierungsvariante dann das Vollstreckungsgericht.83 Dem Verurteilten wird somit die Möglichkeit abgeschnitten bleiben, durch geringfügige Modifikationen der Verletzungsform dem im Verbotsurteil getroffenen Ausspruch zu entfliehen. Nach der Kerntheorie bleiben deswegen Abweichungen von der ursprünglichen Verletzungsform unbeachtlich, die ihren Kern nicht verlassen84 und vom Sinn des Unterlassungsgebots erfasst sind.85 Dadurch soll auch der Streitgegenstand der Unterlassungsklage mitgeformt werden: „Was vom Titel nicht erfasst ist, kann auch keine Grundlage der Zwangsvollstreckung sein. Das heißt: Der vom Tenor des Unterlassungsurteils erfasste Streitgegenstand muss richtigerweise identisch sein mit dem, was Grundlage der Zwangsvollstreckung sein kann. Folgt man der ‚Kerntheorie‘, indiziert dies zugleich die Kriterien zur Bestimmung des Streitgegenstands bei Unterlassungsurteilen.“86
Insoweit erstreckt sich die Rechtskraft nicht nur auf den Urteilsausspruch über die konkrete Verletzungsform, sondern auch auf gewisse abweichende Erweiterungsformen.87 Verbotsumfang des Urteils und Umfang der Rechtskraft decken sich.88 Bei Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot steht einer neuen Unterlassungsklage die res iudicata entgegen.89 Im Hinblick auf die Übereinstimmung von Vollstreckungs- und Erkenntnisverfahren ist es somit geboten, in einer von der Darstellung der Verletzungshandlung im Klageantrag sich entfernenden Verurteilung nicht automatisch einen Verstoß gegen § 308 I ZPO zu erkennen.90 Die Praxis hat hierauf mit abstrakten Wendungen im Klageantrag reagiert, sofern damit die notwendige Individualisierung im Sinne von § 253 II Nr. 2 ZPO geleistet wird.91 Dieser soll etwa ein Unterlassungsantrag nicht ge-
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Schubert, ZZP 85 (1972), 32. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 890 Rn. 32 f.; MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 134; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11, § 253 Rn. 34; ebenso: Zieglmeier, Bindungsprobleme, S. 135 ff. 85 MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 176. 86 Rüßmann, in: FS Lüke, S. 684. 87 Rüßmann, in: FS Lüke, S. 685 f. 88 Kamlah/Ulmar, WRP 2006, 970. 89 Teplitzky, GRUR 1998, 322. 90 Teplitzky, WRP 1999, 77. Das Gericht darf jedoch nicht die im Klageantrag beschriebene, zu verbietende Handlung allgemeiner beschreiben, als dies der Kläger tut, OLG Karlsruhe GRUR 1982, 171. Kritisch zur Kerntheorie aber MünchKomm/Musielak, ZPO, § 308 Rn. 13 f. 91 Exemplarisch: BGH GRUR 1991, 257; BGH NJW 1998, 604; BGH GRUR 2003, 446 f. 84
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nügen, der auf das Verbot gerichtet ist, Zeitungsanzeigen „ähnlich wie“ bei einer bereits veröffentlichten Anzeige zu veröffentlichen.92 Die Kerntheorie findet mit Recht auch Anwendung im Rahmen der Rechtshängigkeitssperre (§ 261 III Nr. 1 ZPO)93, denn ansonsten würde diese hinter der Rechtskraftsperre zurückbleiben. So sperrt ein Unterlassungsantrag eine zeitlich später erhobene Klage, die zwar nicht eine identische, aber doch eine kerngleiche Handlung verbieten will. Die gegen die Kerntheorie teilweise geübte Kritik94 sollte zwar zur ständigen Überprüfung ihrer Reichweite anregen95, im Ergebnis vernachlässigt sie jedoch die Erfordernisse der Praxis. Die Kernlehre entspricht überdies den berechtigten Interessen beider Parteien.96 Ihr praktisches Hauptanwendungsfeld liegt aber sicherlich mehr im Vollstreckungs- als im Erkenntnisverfahren. Entsprechend der zutreffenden h.A. liegt jeder Unterlassungsklage auch ein materiellrechtlicher Unterlassungsanspruch zu Grunde.97 Die Deutung als ausschließlich prozessuales Instrumentarium ist verfehlt.98 Dagegen streitet auch die jüngste Gesetzgebungsgeschichte.99 Dies bedeutet, dass das bereits an der Leistungsklage dargestellte Modell zur Streitgegenstandsbestimmung auch hier Verwendung finden kann.100 Der am subjektiven Rechtsschutz orientierte Prozesszweck verlangt, den Gegenstand des laufenden Verfahrens am klägerischen 92 BGH GRUR 1991, 254. Das ausgesprochene Verbot entspreche nicht den Anforderungen, die an eine Urteilsformel im Sinne des § 313 I Nr. 4 ZPO zu stellen seien; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 34. 93 Gleiches gilt für den Umfang der Verjährungshemmung, Teplitzky, GRUR 1998, 322. 94 Schubert, ZZP 85 (1972), 41 ff. (insbesondere aus der Warte der eingliedrigen Streitgegenstandslehre unter Außerachtlassung des Sachverhalts); Melissinos, Bindung des Gerichts, S. 154 f. Die strafrechtlichen Elemente von § 890 ZPO sollen wegen Art. 103 II GG zu einer engen Auslegung der Urteilsformel zwingen; hiergegen Ahrens/Schulte, Wettbewerbsprozeß, § 10 Rn. 11 f. (für vorgerichtliche Unterwerfungserklärung gelten die Grundsätze der Kernlehre entsprechend); Teplitzky, GRUR 1990, 28. Die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage ist jedoch vom Gesetzgeber eindeutig dem Zivilrecht zugeordnet worden. 95 OLG Koblenz GRUR 1988, 143. 96 MünchKomm/Becker-Eberhard, ZPO, § 253 Rn. 134. 97 BGHZ 2, 394; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 77 (auch zur aktionenrechtlichen Formulierung von §§ 12, 1004 I BGB; Häsemeyer, AcP 188 (1988), 153; Zeuner, in: FS Dölle I, S. 307; ausführlich Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 534 f., 572 ff. 98 Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 59 ff. 99 BT-Drs. 15/1487, S. 22. Auch der Wortlaut von § 3 I UKlaG spricht für die Existenz eines materiellen Anspruchs: „Die … Ansprüche auf Unterlassung … stehen zu.“ BGHZ 152, 129 f.; Schilken, ZPR, Rn. 274 ff.; Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 115 ff. 100 Aber mit einer Einschränkung für den Bereich deliktischer Handlungen Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 77: „Die jeden treffende allgemeine Rechtspflicht zur Unterlassung von unerlaubten Handlungen ist dagegen keine Verpfl ichtung, deren Erfüllung eine Leistung darstellt, weil man ansonsten zu einem sinnlosen Anspruch gegen beliebig viele nicht feststehende Störer käme, was nicht zu den Eigenschaften des Anspruches als Sonderverbindung passt.“ Der Annahme interessenidentischer Streitgegenstände steht dies jedoch nicht entgegen.
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Interesse auszurichten, das durch das Unterlassen der jeweiligen Verletzungshandlung oder kerngleicher Verhaltensweisen befriedigt wird. So erlischt der Unterlassungsanspruch durch Erfüllung, wenn der Verletzer die beanstandete oder eine kerngleiche Verletzungshandlung unterlässt101 oder auch eine geforderte Handlung vornimmt.102 Funktionell vergleichbar betonen auch § 264 Nr. 3 ZPO und § 213 BGB den gemeinsamen Rechtsschutzkern, wenngleich beim Unterlassungsanspruch naturgemäß die Überlegung im Vordergrund steht, den tatsächlichen Kern der Verletzungshandlung zu bestimmen, den Klageantrag bzw. Tenor des Unterlassungsurteils noch hergeben. Da die angegebene Verletzungsform aber nach h.L. sowohl Antrag als auch Klagegrund mitbestimmt, erscheint eine engere Umgrenzung des Verfahrensgegenstandes geboten. Dies setzt zunächst die Konturierung des Klagegrundes selbst voraus.
II. Klagegrund und gespaltener Streitgegenstandsbegriff Rechtsprechung und Schrifttum zum wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch neigen im Hinblick auf den Klagegrund seit längerem der Ausformung eines eigenen Gesetzlichkeiten gehorchenden Streitgegenstandsbegriffs zu.103 Diese Entwicklung vollzog sich indes nicht konstant. Wenngleich nach außen hin an der herrschenden zweigliedrigen Doktrin festgehalten wird, besteht eine Besonderheit zunächst darin104, dass der Kläger durch die Art und den Umfang seines Sachvortrages den Lebenssachverhalt/Anspruchsgrund105 konkretisieren kann und muss. Der Antrag, der auf mehrere Klagegründe passt, ist ohne weitere Erklärung des Klägers allein nicht aussagekräftig.106 Den of101
BGH GRUR 1990, 522 f. Die Wiederholungsgefahr fällt weg, wenn eine strafbewehrte Unterlassungserklärung erfolgt, Beckedorf, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 8 Rn. 47. 103 Vgl. etwa BGH GRUR 1992, 554 – „Stundung ohne Aufpreis“; BGH GRUR 1997, 140 f. – „Kompetenter Fachhändler“; BGH GRUR 1999, 274 – „Die Luxusklasse zum Nulltarif“ erklärt für die Bestimmung des Streitgegenstands eines Verfahrens aber „in erster Linie“ den vom Kläger formulierten Antrag für maßgebend, „wobei zur Auslegung des Begehrens die Klagebegründung heranzuziehen ist.“ Dies erinnert an die eingliedrige Streitgegenstandslehre: Anders wiederum BGH GRUR 2006, 961: Der Streitgegenstand wird durch den Klageantrag bestimmt, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert und dem Lebenssachverhalt (Klagegrund); die Linie ist nicht immer zweifelsfrei. Vgl. zur Unterlassungsklage auch Büttner, in: FS Doeppner, S. 118 f. 104 Sehr zurückhaltend noch Teplitzky, GRUR 1998, 321, in der Betonung etwaiger Unterschiede zur Rechtsprechung anderer Senate; deutlicher bereits ders., GRUR 2003, 279, im Hinblick auf die inzwischen ergangene Rechtsprechung des I. Zivilsenats. 105 BGH NJW 2001, 327 – „Mehrfruchtsaft-Test“. 106 BGH GRUR 2001, 182 – „dentalästhetica“: Eingrenzung des Streitgegenstands der Irreführung gem. § 3 UWG durch die beanstandete Werbemaßnahme und Behauptung einer bestimmten Fehlvorstellung; BGH GRUR 2001, 757 – „Telefonkarte“: Beschränkung des Streitgegenstands auf dasjenige Schutzrecht, für das der jeweilige Sachverhalt vorgetragen ist. 102
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fenen Bruch mit den übrigen Senaten wollte der I. Zivilsenat zunächst vermeiden, wie die Entscheidung „Stundung ohne Aufpreis“107 zeigt. Im konkreten Fall hatte der Kläger seinen Unterlassungsantrag im Hinblick auf die Ankündigung einer Kreditierung durch den Beklagten ohne Aufpreis einerseits auf einen Verstoß gegen § 1 II RabattG gestützt und sich andererseits auf eine Irreführung nach § 3 UWG a.F. (nun: § 5 UWG) berufen. Der BGH hielt hier noch an der Annahme eines einheitlichen Streitgegenstands fest. Den Kläger träfe lediglich eine „Präzisierungslast“, was nicht bedeuten sollte, dass er den prozessualen Anspruch durch seinen Tatsachenvortrag willkürlich formen könnte.108 Üblicherweise wird nach h.L. nicht als entscheidend angesehen, ob der Kläger alle Tatsachen oder Vorgänge vorgetragen hat, sondern, ob der neue Vortrag zu einer wesentlichen Änderung führt109, was nicht immer unzweifelhaft ist. Die Tatsache, dass die einem einheitlichen Lebensvorgang entstammende Verletzungshandlung sowohl § 1 RabattG zugeordnet werden kann, aber auch im Hinblick auf UWG-Tatbestände von Bedeutung ist, dürfte somit an sich bei entsprechend begrenztem Vortrag nicht zur Begrenzung des Streitgegenstands Anlass geben.110 Der BGH spricht ja üblicherweise von Tatsachen, die bei natürlicher Betrachtungsweise zu dem angesprochenen Lebenssachverhalt rechnen.111 Aus diesem Grunde müsste der BGH an sich auch einen Verstoß gegen § 308 ZPO verneinen, wenn der Kläger seine Klage mit einem Verstoß gegen das RabattG untermauert, die Vorinstanzen der Unterlassungsklage aber wegen Verstoß gegen das UWG stattgegeben haben. Mittlerweile wird die Diskrepanz zur überkommenen zweigliedrigen prozessualen Streitgegenstandslehre aber immer deutlicher112: Ermittelt diese den Ähnlich auch BGH GRUR 2002, 287 – „Widerruf der Erledigungserklärung“; umfassende Darstellung bei Ahrens/Ahrens, Wettbewerbsprozeß, § 36 Rn. 55. 107 BGH GRUR 1992, 554 – „Stundung ohne Aufpreis“; BGH GRUR 1997, 142 – „Kompetenter Fachhändler“; hierzu Teplitzky, GRUR 1998, 322. 108 Zutreffende Kritik an der Rechtsprechung bei Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 576: „Deshalb ist es zumindest wenig klug, bei einer Klage, die auf einen Rabattverstoß gestützt wird, anzunehmen, eine Irreführung sei nicht hinreichend in den Prozess eingeführt und daher nicht Gegenstand des Rechtsstreits, wenn der Kläger – zwar nur beiläufig, aber immerhin – seine Klage als auch durch § 3 UWG gerechtfertigt ansieht. Wenn sich der Kläger aber auf § 3 UWG berufen hat und sein Sachvortrag für die Irreführung nicht ausreicht, hätte man ihn wohl nach § 139 ZPO auf die Notwendigkeit einer Ergänzung nach § 264 Nr.1 ZPO hinweisen müssen.“ Dies entspricht der hier vorgetragenen Tendenz, die Reichweite des richterlichen Aufklärungsgebots, § 139 ZPO, mit den Grenzen des Streitgegenstands zu verschleifen; aktuell Teplitzky, GRUR 2008, 34 ff. 109 BGH NJW 1995, 1796; BGH GRUR 1997, 11 – „Kompetenter Fachhändler“ (Streitgegenstandsänderung); Rüßmann, in: FS Lüke, 1997, S. 678. 110 Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 576. Einer zweiten Klage, gestützt auf das RabattG, müsste somit nach Rechtskraft die ne bis in idem-Wirkung entgegenstehen. 111 BGHZ 117, 1, 6; Teplitzky, GRUR 1998, 322. 112 BGH NJW 2003, 2317, 2318; BGH NJW-RR 1992, 1069; hierzu anschaulich Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 Rn. 10, 11: „In Wettbewerbssachen meint der BGH wegen
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Klagegrund im Wesentlichen in natürlicher Betrachtungsweise bzw. in moderater rechtlicher Tatsachenauslese113, finden für die wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage in erster Linie materiellrechtliche Kategorien (etwa verschiedene Schutzrechte) Anklang. So wird in der Entscheidung des BGH – „Telefonkarte“114 der Streitgegenstand auf dasjenige Schutzrecht (§ 1 UWG a.F.) beschränkt, auf das der vorgetragene Lebenssachverhalt passt. Dem ist, wie bereits angedeutet, zu widersprechen. Vom Standpunkt der herrschenden zweigliedrigen Lehre115 fehlt es zunächst an einer Wesensverschiedenheit der Sachverhalte. Zum anderen bindet m.E. § 308 ZPO ohnehin nur an den konkreten Antrag.116 Mit dem Austausch des Lebenssachverhaltes würde also allenfalls die Verhandlungsmaxime, aber nicht die Dispositionsmaxime, wie der BGH glaubt, verletzt. Sieht man im Klägerinteresse den maßgeblichen Orientierungspunkt, so scheidet eine Verletzung der Dispositionsmaxime ohnehin aus, bleibt doch die Verletzungshandlung im Wesentlichen identisch. der Komplexität der entsprechenden Lebenssachverhalte müsse der Kläger, der seinen Unterlassungsanspruch auf mehrere Anspruchsnormen stütze, klarstellen, ob er nur eine zusätzliche Begründung oder einen weiteren Sachverhalt in den Prozess einführen wolle.“ Vgl. auch v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 901, 1009; Götz, GRUR 2008, 401 f. 113 Die Zahl der Anspruchsgrundlagen ist hiernach grundsätzlich irrelevant (jura novit curia), Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 575. 114 BGH GRUR 2001, 755 f. – „Telefonkarte“: „Geht der Kl. aus einem eingetragenen Schutzrecht vor, bestimmt sich der Gegenstand dieser Klage durch den Antrag und durch das im Einzelnen bezeichnete Schutzrecht… Nicht anders verhält es sich aber auch bei einem auf andere Weise entstandenen Schutzrecht wie dem Urheberrecht, der Benutzungsmarke oder dem Unternehmenskennzeichen. Auch hier bestimmt der Kl. durch seinen Vortrag über die Entstehung des Schutzrechtes als Teil des relevanten Lebenssachverhaltes den Streitgegenstand. Stehen ihm mehrere Schutzrechte zu, kann das Gericht die Verurteilung zum Schadensersatz nur auf das Schutzrecht stützen, auf das sich der Kl. zur Begründung seiner Klage berufen hat. Kommen nebeneinander Ansprüche aus einem Schutzrecht (hier dem Urheberrecht oder einem Leistungsschutzrecht) sowie aus § 1 oder § 3 UWG in Betracht, muss ebenfalls danach unterschieden werden, ob der Kl. sich zur Begründung seiner Klage allein auf den das Schutzrecht betreffenden Lebenssachverhalt gestützt hat oder ob er – kumulativ oder alternativ – einen Lebenssachverhalt vorgetragen hat, der geeignet ist, etwa den Tatbestand einer wettbewerbswidrigen Nachahmung nach § 1 UWG oder einer Irreführung nach § 3 UWG zu begründen. Dementsprechend hängt auch die Wirkung der Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils davon ab, auf welchen Lebenssachverhalt die Klage gestützt war. Ist der Kl. (nur) mit dem auf Urheberrecht gestützten Anspruch abgewiesen worden, steht die Rechtskraft dieses Urteils einer auf § 1 oder § 3 UWG gestützten Klage wegen wettbewerbswidriger Nachahmung oder Irreführung nicht entgegen …“. Der Grundsatz, wonach es Sache des Gerichts ist (iura novit curia), auf der Grundlage des vorgetragenen Lebenssachverhalts die anzuwendenden rechtlichen Bestimmungen zu finden, wird somit völlig außer Kraft gesetzt. 115 Oben §§ 9 II, 12. 116 Richtig war deswegen BGH GRUR 2001, 181 – „dentalästhetika“, weil es hier um die Irreführung durch verschiedene Werbeanzeigen ging. Wenn der Kläger aber eine andere als die im Urteil erwähnte Anzeige angegriffen hat, hat das Gericht gegen § 308 I ZPO verstoßen. Dahinter steht ein anderes Interesse.
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In vergleichbarer Weise lässt die Entscheidung BGH – „Widerruf der Erledigungserklärung“117 die Spaltung des Tatsachengeschehens in einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot, gegen die Preisangabenverordnung und § 1 UWG a.F. zu, der jeweils zu einem selbständigen Streitgegenstand führen soll. Der Beklagte hatte im entscheidungserheblichen Sachverhalt für ein Mobiltelefon geworben, dessen Niedrigpreis nur bei Abschluss eines Netzkartenvertrages gelten sollte. Der Kläger kann demnach den natürlichen Lebenszusammenhang durch seinen Vortrag „künstlich zerschneiden“.118 Hierdurch entsteht ein durch „wettbewerbsrechtliche“ Besonderheiten geprägter Streitgegenstand119, der sich dadurch auszeichnet, dass der Globallebenssachverhalt „Verletzungshandlung“ durch die Zuordnung der an sich identischen Begleitumstände zu unterschiedlichen gesetzlichen Normenkomplexen weiter zerlegt wird, was eine Vermehrung von Prozessen fördert und für die ansonsten erstrebte Verfahrenskonzentration kontraproduktiv ist.120 Der Klagegrund im Sinne der Rechtsprechung des I. Senats verdient die Bezeichnung Lebenssachverhalt deswegen kaum mehr.121 Die Entscheidung des I. Zivilsenats – „Reinigungsarbeiten“122 verdeutlicht ebenfalls die hieraus im Umgang mit § 308 I ZPO resultierenden Gefahren: Lege ein Gericht seinem Urteilsausspruch einen anderen Klagegrund zu Grunde als denjenigen, mit dem der Kläger seinen Unterlassungsantrag begründet habe, entscheide es ne ultra petita.123 Blendet man aus dem historischen Vorgang bestimmte Tatsachen durch die Angabe einer rechtlichen Charakteristik aus, gelangt man trotz eines wortgleichen Unterlassungsantrags zu teil117
BGH GRUR 2002, 287 ff. Nach Auffassung der h.L. kann der Kläger außerhalb der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage durch seinen Vortrag den Streitgegenstand nicht willkürlich begrenzen, oben § 30 VIII. 119 An der Notwendigkeit mit Recht zweifelnd, Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 576 f.; die Variabilität begrüßend hingegen Ahrens/Ahrens, Wettbewerbsprozeß, § 36 Rn. 59 f.: Sie entspreche den billigen Parteiinteressen. 120 Kritisch bereits MünchKomm/Lüke, 2. Aufl., § 263 Rn. 15; Teplitzky, GRUR 2003, 279. Üblicherweise soll der Lebenssachvehalt nicht nur umfassen, was der Kläger vorgetragen hat, sondern auch, was er erwähnen hätte können: BGHZ 98, 358 f.; BGH NJW 1990, 1796; BGH NJW 1993, 3204. 121 Gegen die Gleichsetzung der Begriffe Klagegrund und Lebenssachverhalt aber gerade Teplitzky, WRP 2007, 3. Diese Rechtsprechung des I. Senats des BGH verteidigend v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 901 ff.; ders., GRUR 2009, 1009, 1015 ff.; ders., GRUR 2011, 375 ff., 377 Fn. 22; ders., GRUR 2011, 486 ff., der u.a. darauf hinweist, dass die rechtliche Verschiedenartigkeit der geltend gemachten Ansprüche es zweckmäßig erscheinen lassen kann, sie in verschiedenen Verfahren geltend zu machen. 122 BGH NJW 2003, 2317; das OLG hatte hingegen einen Verstoß gegen § 308 I ZPO verneint, weil im Verhältnis zum weit formulierten Klageziel nur über ein „minus“entschieden werde; vgl. hierzu Preuß, JR 2004, 205 f., mit der zutreffenden Feststellung, dass vom Standpunkt der h.A. keine Abweichung vom Klageziel, sondern vom Klagegrund vorliege. 123 BGH NJW 2003, 318 (der zwischen rechtlich mehrfach begründeten Streitgegenständen und der Annahme verschiedener prozessualer Ansprüche unterscheidet); ungenau Meyer, NJW 2003, 2887. 118
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weise unterschiedlichen Streitgegenständen. Eine solche Aufspaltung in mehrere Ansprüche bringt die Gefahr der Teilabweisung mit sich124 bzw. eine Erhöhung des Streitwertes. Die Annahme eines engen, am materiellen Komplex orientierten Streitgegenstands ist aus Sicht des Klägers in der Berufungsinstanz (§ 533 ZPO) und im Hinblick auf den Umfang der Verjährungshemmung von Nachteil. Für den Kläger günstig wirkt sich hingegen der begrenzte Rechtskraftumfang aus.125 Überraschenderweise wird in diesem speziellen Kontext die Möglichkeit einer relativen Streitgegenstandsfassung, etwa mit einem nach rechtlichen Kriterien begrenzten Urteilsgegenstand, nicht diskutiert. Genau betrachtet führt der Streitgegenstand in der Rechtsprechung des I. Zivilsenats „eine Art Doppelexistenz“: Nach Ahrens’ Beschreibung des Phänomens126 gehe der BGH im Grundsatz von einem offenen Streitgegenstand mit alternativen rechtlichen Begründungen aus („Normalstreitgegenstand“).127 Erst seine Dispositionsbefugnis (§§ 253 II Nr. 2, 308 ZPO) ermögliche es dem Kläger, eine Eingrenzung des Streitgegenstands nach rechtlichen Kriterien zu erreichen.128 Das Erstgericht müsse somit bei mehrfacher rechtlicher Begründung auf die Klarstellung hinwirken (§ 139 ZPO), ob der Kläger eine mehrfache (al124
Auch Teplitzky, Wettbewerbsrechliche Ansprüche, Kap. 46 Rn. 5. Zur Begrenzungsbefugnis des Klägers bereits § 30 VIII 3 c. 126 In der Grundstimmung positiv, Ahrens/Ahrens, Wettbewerbsprozeß, § 36 Rn. 59 f. 127 Vgl. BGH GRUR 1992, 552 – „Stundung ohne Aufpreis“; BGH NJW 2003, 2317 – „Reinigungsarbeiten“ m. Bespr. Meyer, NJW 2003, 2887. Deutlich im Hinblick auf das RegelAusnahmeverhältnis auch Zöller/Vollkommer, ZPO, Einl. Rn. 76: „Bei mehrfach (mit dem Verstoß gegen verschiedene Verbotsgesetze) begründeter Unterlassungsklage mit einheitlichem Antrag ist es wegen der Komplexität der Lebensverhältnisse oft schwierig, zwischen einheitlichem (umfassenden) Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen … und einer Mehrheit von alternativ gehäuften Klagegründen (Streitgegenständen) zu unterscheiden. Die Rechtsprechung tendiert zu einem engen (materiellrechtlich orientierten) Streitgegenstandsbegriff und verlangt für eine Mehrheit von Streitgegenständen eine entsprechende Klarstellung des Klägers.“ Vgl. auch Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, § 46 Rn. 5. Zum Problem der alternativen Klagebegründung im Wettbewerbsrecht und einer möglichen Rechtsprechungsänderung Schwippert, GRUR-Prax 2011, 234 zu BGH GRUR-Prax 2011, 228 – „TÜV“. 128 OLG Koblenz WRP 1995, 503 f.; OLG Stuttgart NJWE-WettR 1998, 223. Dies verkennt Meyer, NJW 2003, 2887, wenn er dem BGH von vorneherein einen engen materiellrechtlichen, teilweise sogar am einzelnen Schutzrecht orientierten Streitgegenstand unterstellt; Ahrens/Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, § 36 Rn. 60. Gegen beliebige (willkürliche) Dispositionsbefugnisse Teplitzky GRUR 1998, 320. Zu dieser Beschränkungsbefugnis plastisch Brüning, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, Vor § 12 Rn . 25 f.: „Maßgebend ist vielmehr, ob er seinen Unterlassungsantrag auf einen Sachverhalt stützt, der geeignet ist, den Tatbestand einer bestimmten Norm oder mehrerer Normen zu begründen. Beruft sich der Kläger auf eine bestimmte Norm, so wird der Streitgegenstand darauf beschränkt, wenn er sich auf einen darauf begrenzten Sachverhalt bezogen oder zu anderen Normen keinen ausreichenden Sachverhalt vorgetragen hat. Folgerichtig kann der Kläger denselben Unterlassungsantrag in einer weiteren Klage mit erweitertem Sachverhalt geltend machen und sich dazu auf eine andere Norm stützen, ohne dass dem die Rechtskraft des ersten, klageabweisenden Urteils entgegensteht… “. 125
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ternative) Begründung eines weiten Streitgegenstands mit alternativen Subsumtionsmöglichkeiten des Gerichts oder eine eingeengte Streitgegenstandsbildung beabsichtige.129 Tue er dies nicht, dann bleibe es im Zweifel beim weiten Gegenstand.130 Darin komme eine gewisse Variabilität zum Ausdruck, die den billigen Parteiinteressen entspreche.131 Aus diesem Grunde sei es einem Kläger möglich, das Kartenmotiv auf einer Telefonkarte isoliert wegen Verletzung eines Urheberrechts anzugreifen oder auch kumulativ wegen eines Verstoßes gegen § 4 Nr. 9 UWG (wettbewerbsrechtliche Nachahmung) und wegen einer Irreführung.132 Missachte das Gericht die klägerische Begrenzungsvorstellung, verstoße es gegen § 308 ZPO.133 Derartige Verstöße gegen § 308 I ZPO zeigen sich in erster Linie in der Berufungsinstanz.134 In der Entscheidung „Schlank-Kapseln“ hat der BGH135 entsprechend der bisher schon h.L.136 den Klagegrund weiter nach Wiederholungs- und Erstbegehungsgefahr aufgespalten. Stütze der Kläger sein Unterlassungsbegehren sowohl auf eine Wiederholungsgefahr wegen einer behaupteten Verletzungshandlung als auch auf eine Erstbegehungsgefahr im Hinblick auf Erklärungen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren, stünden zwei verschiedene prozessuale Ansprüche in Rede.137 Die einheitliche Rechtsfolge werde aus unterschiedlichen Lebenssachverhalten hergeleitet. Ahrens138, der auch bisher bereits der Gegenauffassung zuneigte, hat zutreffend auf die für die Erstbegehungs- und Wiederholungsgefahr typische Prognoseentscheidung hingewiesen, die jeweils einen Blick in die Zukunft voraussetze. Die Tatsache, dass im zweiten Fall ein bereits vergangenes Verletzungsgeschehen die Argumentation stütze, falle dabei nicht entscheidend ins Gewicht. Die unterschiedliche Herkunft der Prognosegrundlagen rechtfertige nicht die Aufspaltung in zwei prozessuale Ansprüche.139 Ah129
BGH GRUR 2002, 287 f. So auch BGH NJW 2003, 2318 – „Reinigungsarbeiten“; BGH GRUR 2001, 755 f. – „Telefonkarte“. 131 Vgl. dagegen allgemein MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 112. 132 BGH GRUR 2001, 755 ff. 133 BGH GRUR 2003, 717; BGH WRP 2001, 47. 134 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11 f. 135 BGH JZ 2006, 1178 f. 136 Im Ansatz schon BGH GRUR 1987, 125 f. – „Berühmung“; BGH GRUR 1990, 687 f. – „Anzeigenpreis II“; Piper/Ohly, UWG, § 12 Rn. 57 f.; Fritzsche, Unterlassungsanspruch, S. 181; S. 576: Danach soll es zu einer Häufung von prozessualen Ansprüchen führen, wenn der Kläger seine Unterlassungsklage nicht nur auf den Verletzungsunterlassungsanspruch, sondern auch auf einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch stützt, insbesondere, wenn ungewiss ist, ob er die Verletzung beweisen kann; MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 107; kritischer nunmehr Teplitzky, WRP 2007, 2. 137 Für jeden von ihnen ist somit den Anforderungen von § 520 III 2 ZPO zu genügen. 138 Ahrens, JZ 2006, 1184. 139 Mit umgekehrter Stoßrichtung aber gerade Teplitzky, WRP 2007, 2 (und die h.L.): „In den hier in Rede stehenden Fallgestaltungen sind aber nicht nur die Klagevoraussetzungen – einerseits bloße Drohung, andererseits begangene Verletzungshandlung, beides mit meist 130
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rens hebt dabei in beifallswerter Weise auf die prozessuale Aufgabenerfüllung durch die jeweilige Begriffsbildung ab, wobei er den Normzweck und die Besonderheiten der jeweiligen materiellrechtlichen Rechtsgebiete betont.140 Die aus Wiederholungs- und Erstbegehungsgefahr resultierende Verdoppelung der Rechtsschutzmöglichkeiten bedeutet eine gravierende Belastung für den Beklagten. Die Mehrfachverfolgung bringt desweiteren die Gefahr divergierender gerichtlicher Handlungsanweisungen und weitere praktische Schwierigkeiten mit sich.141 Dem lässt sich m.E. nicht mit anderen Instrumentarien (Rechtschutzbedürfnis, Rechtsmissbrauchsgedanke, Verfahrensaussetzung) ausreichend entgegensteuern142, weil das Mittel erster Wahl zur Verhinderung einer Verfahrensvervielfältigung immer noch die Rechtshängigkeitssperre sein sollte. Das fehlende Rechtsschutzbedürfnis tritt dahinter als subsidiär zurück.143 Die Entscheidung des I. Senats in der Sache „Markenparfümverkäufe“144 legt gewissermaßen als Speerspitze der Entwicklung de facto eine Rückkehr zu einer streng materiellrechtlich orientierten Streitgegenstandslehre nahe.145 Im Sachverhalt war einmal aus der Türkei und einmal aus den USA Markenparfüm nach Deutschland eingeführt worden, was der Kläger mit parallelen Unterlassungsanträgen verhindern wollte. Insoweit stellt sich die Frage der Streitgegenstandsidentität, welche der BGH trotz identischer Verletzungsform verneinte. Zunächst bestätigt der BGH, dass zur Bestimmung des Streitgegenstands das Klageziel allein in keinem Fall genüge. Zur Konturierung bedürfe es vielmehr des Klagegrundes. Der Neuheitswert dieser Entscheidung besteht darin, dass der Rechtskraftumfang des Verbotsausspruches und damit der Streitgegenstand auf die vom Gericht festgestellte Verletzungshandlung146 als solche und nicht gravierend unterschiedlichen Tatumständen –, sondern auch deren Auswirkungen auf Charakter und Beständigkeit der ausgelösten Ansprüche verschieden, was dadurch verdeutlicht wird, dass eine Erstbegehungsgefahr nach allgemeiner Meinung auf andere (und leichtere) Weise entfallen kann als eine Wiederholungsgefahr.“ Diese Argumentation ist zu sehr der materiellen Begründung der Unterlassungsklage verhaftet und für die prozessuale Identität zu wenig aussagekräftig. 140 Ahrens, JZ 2006, 1184; gegen diesen relativen Blickwinkel zu Unrecht Teplitzky, WRP 2007, 2. 141 Ahrens, JZ 2006, 1185. 142 So aber Teplitzky, WRP 2007, 2. Allgemein kritisch bereits Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, § 261 Rn. 24. 143 Bereits E. Schumann, in: FS Fasching, S. 441 f.; für das Verhältnis Rechtskraftsperre und Rechtsschutzbedürfnis deutlich Kamlah/Ulmar, WRP 2006, 970. 144 BGH JZ 2006, 1182; Teplitzky, WRP 2007, 997 f. 145 Ähnlich Ahrens, JZ 2006, 1186; Teplitzky, WRP 2007, 3; ders. GRUR 2007, 182; Stein/ Jonas/H. Roth, vor § 253 Rn. 11 f.; a.A.: v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 1009, 1018, der die Rechtsprechung des I. Zivilsenats verteidigt; auch Teplitzky, WRP 2010, 181 ff. 146 Verletzungshandlung meint den konkreten Handlungsakt innerhalb einer konkreten Verletzungsform (etwa Irreführung nach UWG oder Verstoß gegen das RabattG). Verschie-
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wie bisher nur durch die konkrete Verletzungsform begrenzt wird.147 Dieser Bruch mit der bisherigen eigenen Judikatur wird dem Leser in der Entscheidung nicht ausreichend mitgeteilt. In concreto wurde in dem markenrechtlichen Fall (§ 14 V, VI MarkenG) die örtliche unterschiedliche Warenherkunft (Import aus Türkei und der USA) als ausschlaggebend für die Veränderung des Lebenssachverhalts gewertet.148 Der BGH weist zudem darauf hin, dass dem Klagegrund nicht in Anwendung der Kerntheorie weitere gleichartige Verletzungshandlungen zugerechnet werden dürften, da diese Lehre nur für die Abgrenzung des Klageantrags gelte. In Extremfällen könne das fehlende Rechtsschutzbedürfnis eine ungerechtfertigte zusätzliche Inanspruchnahme des Beklagten verhindern. Im Ergebnis wird damit das fehlende Rechtsschutzbedürfnis zu einem die ne bis in idem-Wirkung der Rechtskraft ergänzenden Wiederholungsverbot aufgewertet, was der bisherigen Dogmatik klar widerspricht.149 Insbesondere die jüngste Entwicklung der Rechtsprechung des I. Zivilsenats widerspricht der hier befürworteten Ausrichtung des Streitgegenstands am Interesse des Klägers auf das Schärfste.
III. Stellungnahme Mit Recht hat Meyer 150 darauf hingewiesen, dass bei der gesamten Diskussion die umfassende und schnelle Erledigung des Rechtsstreits nicht vergessen werden darf.151 M.E. stimmt bedenklich, dass der durch den Vortrag des Klägers beschränkte Streitgegenstandsbegriff dazu führt, dass Parallelverfahren (eventuell vor verschiedenen Foren) in weitem Umfang zulässig bleiben (§ 261 III Nr. 1 ZPO). Probleme bereitet der materiell extrem untergliederte Streitgegenstandsbegriff zudem im Hinblick auf den Umfang der richterlichen Bindung, was die häufigen Verstöße gegen § 308 ZPO in der Berufungsinstanz beweisen.152 Für den Kläger ist unbefriedigend, nach mehrjährigem Prozessieren zu dene verletzende Handlungen können sich somit innerhalb derselben Verletzungsform abspielen. 147 Teplitzky, WRP 2007, 2; Kamlah/Ulmar, WRP 2006, 970: „‚Lebenssachverhalt‘ im Sinne der zweigliedrigen Streitgegenstandslehre ist also nicht mehr eine vom Kläger mehr oder weniger abstrahierte Verhaltensweise, die sich aus dem konkreten Verletzungsfall ableitet, sondern der konkrete Verletzungsfall selbst.“ Im Ergebnis fallen damit Verbotswirkung bei einem weit formulierten Unterlassungsantrag und Streitgegenstand eines Urteils auseinander. 148 Kritisch insoweit Ahrens, JZ 2006, 1185 f. 149 Deutlich Kamlah/Ulmar, WRP 2006, 970. 150 Meyer, NJW 2003, 2887. 151 Deswegen sei seiner Ansicht nach der am Unterlassungsantrag orientierte eingliedrige Streitgegenstandsbegriff vorzugswürdig. 152 BGH GRUR 2003, 153 – „Kinderhörspiele“; Meyer, NJW 2003, 2887; Teplitzky, GRUR 2003, 280; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, vor § 253 Rn. 11 f.; Ahrens/Ahrens, Wettbe-
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erfahren, nur deswegen verloren zu haben, weil das Begehren auf einen wenig aussichtsreichen Sachverhalt gestützt wurde.153 Der richterliche Hinweis (§ 139 ZPO), dass mit einem neuen Vortrag die Erfolgswahrscheinlichkeiten steigen, erscheint nicht zufriedenstellend, insbesondere weil dies nach h.M. eine Anregung zur Klageänderung wäre. Bezogen auf die Rechtskraft ist die Interessenlage im Hinblick auf die für den Kläger erfreuliche Begrenzung des Präklusionsumfangs eine andere. Bereits aus diesem Grund empfiehlt sich aber eine variable Sichtweise. Die im Hinblick auf den Urteilsgegenstand sinnvolle Beschränkungsbefugnis erweist sich im laufenden Verfahren als Hemmschuh, wenn dem Kläger eine Änderung des Verbotsgrundes oder eine Rückkehr zum „Normalstreitgegenstand“ jenseits von § 263 ZPO verwehrt bleibt.154 Vom vorgetragenen Verstoß gegen § 6 UWG könnte dann nicht zu einer Verletzung von § 5 UWG gewechselt werden.155 Aus diesem Grunde sollte der Kläger über die Möglichkeit verfügen, seine einmal getroffene Begrenzung während des bereits laufenden Verfahrens durch entsprechenden Vortrag wieder zu beseitigen. Darüber hinaus bleibt wegen des überwiegenden öffentlichen Interesses an Verfahrenskonzentration seine Begrenzung im Hinblick auf § 261 III Nr. 1 ZPO unbeachtlich. Das Klägerinteresse erfährt bei gleichbleibendem Unterlassungsantrag trotz divergierender Normenkomplexe keine Veränderung. An diesem einheitlichen Interesse sollte sich deswegen auch der Umfang der Verfahrenskonzentration orientieren. Um Verletzungen von § 308 ZPO zu vermeiden, muss die vom Kläger zuvor durch Vortrag getroffene Bindung relativiert werden, um dem Gericht die Möglichkeit zu erleichtern, entsprechend dem „Normalstreitgegenstand“ zu verurteilen. Auch der Unterlassungsklage liegt ein materiellrechtlicher Anspruch zugrunde, der durch Leistung befriedigt werden kann. Insoweit passt in jeder Hinsicht auch das Interessekriterium.
werbsprozeß, § 36 Rn. 59 ff. Zu weiteren praktischen Fragen auch Scholz, GRUR-Prax 2010, 141 f. 153 Walker, LMK 2003, 158. Der Hinweis, dass dies die Konsequenz der Parteiherrschaft sei, wobei zumindest die Rechtskraftsperre für eine erneute Klage nicht eingreife, befriedigt nicht. 154 Zu den Konsequenzen auch Kamlah/Ulmar, WRP 2006, 970. 155 Gleiches würde bei einer Auswechslung des gewerblichen Schutzrechts gelten.
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Achter Teil:
Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH – Kernpunkttheorie und Rechtsschutzinteresse Bereits im Dritten Teil dieser Arbeit hat die Kernpunkttheorie des EuGH eine erste Darstellung im Hinblick auf die Fragestellung erfahren, ob sich ihre Rezeption für das deutsche Recht empfiehlt.1 Nachdem festgestellt wurde, dass ihre Übernahme nicht nur die deutsche Streitgegenstandsdogmatik, sondern insgesamt nationale Verfahrensstrukturen beeinträchtigen würde2, soll abschließend die Berechtigung der Kernpunktlehre auf europäischer Ebene untersucht werden. Denkbar wäre hier, dass das für das deutsche Recht gewonnene Kriterium der Interessenidentität die Kernpunktlehre konkretisieren oder als gemeineuropäisches Prinzip sogar ablösen könnte.
§ 35 Die Methodenfrage: Autonome Auslegung von Art. 27 I EuGVVO Die Bestimmungen des Europäischen Prozessrechts sind jeweils im Einzelfall darauf hin zu untersuchen, ob eine autonome oder eine rechtsvergleichende Auslegung der jeweiligen Vorschrift am besten gerecht wird.3 Der EuGH bedient sich dabei in zunehmendem Maße der autonomen Auslegung4 und definiert diese in ständiger Rechtsprechung als Methode, welche „die Zielsetzungen und die Systematik des Übereinkommens sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Regelungen ergeben, berücksichtigt.“5 Diese verwirklicht den Zweck, die internationale Zuständigkeit zu vereinheitlichen sowie die Freizügigkeit gerichtlicher Entscheidun-
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Oben § 15 II. Oben § 16. 3 Dohm, S. 53; allgemein Martiny, RabelsZ 45 (1981), 427 ff. 4 Hess, IPRax 2006, 351; Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, S. 73 f. 5 EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. C-12/76 – Tessili, Slg. 1976, 1473 f.; ausführlich Hess, IPRax 2006, 351 ff.; ders., Europäisches Zivilprozessrecht, S. 85. 2
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
gen sicherzustellen, in der Regel am besten.6 Durch die autonome Auslegung werden bereits die Anreize für forum shopping an bekanntermaßen günstigen Justizplätzen verringert. Da es für das EuGVÜ zunächst an einer festen Begriffs- und Wertebildung fehlte, wurden vom EuGH in der Anfangsphase nationalstaatliche und autonome Auslegung für methodenäquivalent befunden.7 Inzwischen genießt die autonome Auslegung uneingeschränkten Vorrang. Ein Rückgriff auf nationale Bestimmungen kommt jedoch in Betracht, wenn es gilt, eine materielle oder prozessuale Rechtslage zu konkretisieren, die die Grundlage einer Bestimmung der EuGVVO/des EuGVÜ bildet.8
I. Die Auffassung des EuGH Der autonomen Interpretation bedient sich der Gerichtshof auch bei der Auslegung des Begriffs „derselbe Anspruch“ 9 in Art. 27 I EuGVVO10 und erntete hierfür überwiegend Zustimmung.11 Seiner Ansicht nach könnte ein unmittelbarer Rückgriff auf die nationalen Rechtsordnungen die praktische Wirksamkeit von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO empfindlich schmälern, müsste doch jedes angerufene Gericht nach einer fremden Prozessrechtsordnung die Identitätsbestimmung vornehmen, was mit großem Zeitaufwand und Unsicherheiten verbunden wäre.12 Die Frage einer anderweitigen Rechtshängigkeit derselben Streitsache bedarf möglichst rascher und eindeutiger Klärung, was 6
Lüpfert, Konnexität, S. 41 f. EuGH, Urt. v. 6.10.1976, Rs. C-12/76 – Tessili, Slg. 1976, 1473 f. Rz. 13. 8 Autonome Auslegung und nationales Recht stehen somit in keinem antithetischen Verhältnis zueinander, vgl. Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, S. 71 f., 81 f.; Cieslik, S. 131; Althammer, IPRax 2008, 228 ff.: Ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht scheidet aus, wenn nationale Vorschriften autonomes Zuständigkeitsrecht nicht überlagern, sondern die Regelungen im Einzelfall lediglich konkretisieren. 9 Zur Kernpunkttheorie ausführlich oben § 15 II. Die deutsche Sprachfassung, welche auf die Identität des Anspruchs abstellt, ähnelt der ebenfalls eingliedrigen englischen Formulierung „… proceedings involving the same cause of action …“, wenngleich die englische Streitgegenstandslehre mehr am tatsächlichen Geschehen orientiert denkt. Die sachverhaltsgeprägte Deutung der Kernpunktheorie kann damit am einfachsten der englischen Doktrin einverleibt werden; Schlosser, Art. 27 EuGVVO Rn. 2. Anders dagegen die französische Fassung, welche mehrere Glieder aufweist: „demandes ayant le même objet et la même cause“ und die italienische Fassung: „il medesimo oggetto e il medesimo titolo.“ Vgl. auch Germelmann, S. 367. 10 Etwa EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry/The Maciej Rataj, Slg 1994, I- 5439 f.; Weller, in: Report on the Application of Regulation Brussels I in the Member States, presented by B. Hess, Th. Pfeiffer and P. Schlosser (Final Version Sept. 2007), pg. 173 ff.; hierzu bereits K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 384 ff. 11 Etwa H. Roth, IPRax 1992, 67; Cieslik, S. 103; Schack, IPRax 1989, 140; Überblick über Befürworter und Kritiker bei Sepperer, S. 135. 12 Zustimmend Huber, JZ 1995, 604. 7
§ 35 Die Methodenfrage: Autonome Auslegung von Art. 27 I EuGVVO
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sich bereits daraus ergibt, dass Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO ein striktes Prioritätsprinzip vorsieht und keinen Spielraum für eine Interessenabwägung im Einzelfall – etwa nach angloamerikanischem Vorbild – gewährt.13 Aus diesem Grunde erscheint die autonome Auslegung als der richtige Weg, um eine schnelle und handhabbare Lösung zu gewährleisten14, wenngleich darauf hingewiesen wird, diese könnte gerade Fairnesszusammenhänge, denen das Merkmal desselben Anspruchs diene, zerstören.15
II. Nationale Vorbilder für die Kernpunkttheorie Da jedoch nach der eigenen Definition des EuGH auch die autonome Auslegung Rücksicht auf die (Gesamtheit der) innerstaatlichen Regelungen zu nehmen hat, sollte die Kernpunktlehre16 zumindest andeutungsweise Rückhalt in den nationalen Rechten erfahren.17 Isenburg-Epple18 hat in ihrer umfassenden rechtsvergleichenden Studie aufgezeigt, dass in den meisten europäischen Rechtsordnungen ein enger Streitgegenstandsbegriff zur Anwendung kommt, welcher die Übereinstimmung von Parteien, Antrag und Klagegrund voraussetzt. Dies gelte auch für das französische Recht19, welches die Begriffe cause und objet in einem viel engeren Sinne verwende. Der Umstand, dass in verschiedenen Verfahren dieselbe rechtliche Kernfrage berührt werde, sei jedoch in keinem der verglichenen Länder von Bedeutung. Somit hätte ihrer Ansicht nach die Übernahme dieser engen nationalen Kriterien näher gelegen als die ausschließlich auf das Übereinkommen fixierten Auslegungsbemühungen des EuGH. Tiefenthaler ist ihr mit seiner Kritik am methodischen Vorgehen des EuGH an die Seite getreten: Die autonome Auslegung des Übereinkommens bzw. der Verordnung erfolge zwar ohne unmittelbaren Rückgriff auf die beteiligten nationalen Prozessordnungen. Jedoch rechtfertige diese keine Rechtsfindung im freien Raum, so dass Rücksicht auf die übereinstimmenden Vorstellungen in den nationalen Rechtsordnungen zu nehmen sei. 20 Der EuGH habe jedoch bisher in allen Entscheidungen einen Be-
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Mit Recht Huber, JZ 1995, aaO. H.M.: Kropholler/v. Hein, Art. 27 EuGVO Rn. 3; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 83 ff.; Gaedke, ÖJZ 1997, 228; a.A.: Dohm S. 64; Isenburg-Epple, S. 212 f. 15 Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, S. 74. 16 Oben § 15 II. 17 Lüpfert, Konnexität, S. 92: die autonome Auslegung schließt einen ergänzenden Rückgriff auf das nationale Recht nicht aus. 18 Isenburg-Epple, S. 193 f.; 212 ff. 19 Isenburg-Epple, S. 201 f.; Otte, in: FS Schütze, S. 622 ff. 20 Tiefenthaler, ZfRV 1997, 71; ebenso Wolf, in: FS Schwab, S. 564; Leipold, in: GS Arens, S. 227; Linke, RIW 1988, 823. 14
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
zug auf nationale Vorstellungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vermieden. P. Huber 21 hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass bei abstrakter Betrachtung die vom EuGH verwendeten Begriffe der Identität von Parteien, Gegenstand und Grundlage des Anspruchs sich nicht so sehr von der rechtsvergleichend ermittelbaren Merkmalskette – Parteien, Antrag und Klagegrund – entfernten, zumal der EuGH unter dem Gegenstand der Klage deren Ziel verstehe. Zumindest aus dieser Perspektive sei eine gewisse Übereinstimmung mit dem französischen Streitgegenstandsmodell nicht zu übersehen. 22 Außer acht bleibt dabei die Frage, „ob auch die konkrete Ausfüllung dieser Begriffe und ihre Anwendung im Einzelfall noch den gemeinsamen Grundlinien der nationalen Rechtsordnungen entspricht.“23 Allerdings bestehen auch in den einzelnen Mitgliedstaaten erhebliche Meinungsverschiedenheiten, soweit es das Erfordernis der formalen Identität des Klageantrags betrifft24 oder die Auslegung des Klagegrunds. Aus methodologischer Sicht sind die Entscheidungen des EuGH somit keinen allzu großen Bedenken ausgesetzt. Tiefenthaler hat diese Deutung Hubers, die nachträglich einen Bezug zur französischen Streitgegenstandslehre konstruiere, deswegen zu Unrecht als schmeichlerisch bezeichnet. 25 Zweifellos hat sich der EuGH vom Grundsatz der Antragsidentität und damit auch vom Prinzip der Parteidisposition entfernt. 26 Den Grundsätzen autonomer Auslegung, die stets um einen Ausgleich zwischen den Zielsetzungen des Übereinkommens/der Verordnung und den nationalen Grundlagen bemüht sein muss, ist er dennoch gerecht geworden. Die Annäherung der Kernpunktlehre an die Vorstellungen des französischen Rechts, das neben der litispendance wie das europäische Recht auch eine Konnexitätseinrede vorsieht (Art. 101 CPC), ist dabei nicht zu leugnen. 27 Auch das italienische Recht kennt mit der continenza (Art. 39 II CPC)28 ein Institut, das einer erweiterten Form des Rechtshängigkeitseinwands entspricht. 29 Aus der 21
Huber, JZ 1995, aaO.; dazu auch Sepperer, S. 136. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 441, 480 weist im Übrigen auf die „continenza“ nach italienischem Recht als Vergleichsbasis hin. 23 Huber, JZ 1995, 605. 24 Näher Isenburg-Epple, S. 180 f. 25 Tiefenthaler, ZfRV 1997, 70 f. 26 R. Stürner, in: FS Heldrich, S. 1064 f. 27 Isenburg-Epple, S. 180 f. 28 Die italienische Regierung hat jedoch in ihrer Stellungnahme zum Fall Gubisch, vgl. EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Slg. 1987, 4865, einen Fall der Konnexität angenommen, obgleich diese Konstellation der logischen Präjudizialität über die continenza zu lösen wäre, Cass. 1980, Nr. 5483; Cass. 1983, Nr. 5119; Cass. 1983, Nr. 7083; Heiss, Verfahrensverbindung, S. 75. Damit wird der Anwendungsbereich der continenza implizit Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVVO zugeschlagen, was sich daraus erklärt, dass beide eine Aussetzung und Verbindung vorsehen und sich damit von der Rechtsfolge gleichen. 29 Isenburg-Epple, S. 182; Lüpfert, Konnexität, S. 103 ff. 22
§ 35 Die Methodenfrage: Autonome Auslegung von Art. 27 I EuGVVO
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Warte dieser Länder erscheint die Vorgehensweise des EuGH somit nicht so befremdlich wie für den deutschen Betrachter. Zweifellos ergeben sich auch für das französische Recht Abgrenzungsfragen zwischen dem Institut der Rechtshängigkeit und der Konnexität. Deswegen sollte nicht allzu sehr ins Gewicht fallen, dass Präjudizialitätszusammenhänge wie in der Entscheidung Gubisch/ Palumbo dort nicht der Litispendenz, sondern der Konnexität zugerechnet werden. Bei der Interpretion von Art. 27 I EuGVVO hat sich der EuGH zweifellos der französischen und englischen30 Textfassung als Ausgangsbasis bedient.31 Die Tatsache, dass es der EuGH bisher vermieden hat, einen ausdrücklichen Bezug zu diesen Rechtsordnungen herzustellen, erscheint vernachlässigbar. Auch widerspricht es nicht den Grundsätzen autonomer Auslegung, dass sich das Auslegungsergebnis selbst unmittelbar in keiner nationalen Rechtsordnung wiederfindet. Angreifbar erscheint die Rechtsprechung des EuGH jedoch, weil sie das erstrebte Ziel der Sicherung der Urteilsfreizügigkeit auf Kosten einer weitgehenden Beschneidung von Rechtsschutzinteressen in Kauf nimmt. Deswegen muss die Frage nach einer schonenderen, aber ähnlich wirksamen Lösung gestellt werden. Dies gilt insbesondere, wenn im Zuge der Neufassung der EuGVVO durch den Vorschlag der Europäischen Kommission das Anerkennungshindernis der unvereinbaren Entscheidungen zu einem bloßen Vollstreckungshindernis herabgestuft werden sollte.32 Hingewiesen sei an dieser Stelle auch darauf, dass der EuGH ausdrücklich die Übertragung seiner Kernpunktlehre auf das Prozessrecht der Gemeinschaftsgerichte abgelehnt hat, so dass sie insoweit nicht zur Konturierung des Rechtskraftprinzips herangezogen werden kann.33
30 Das autonome englische Recht verwendet gerade den Begriff der cause of action, der sich in der englischen Sprachfassung von Art. 27 I EuGVVO wiederfindet, zur Beschreibung der Streitgegenstandsidentität. Wenngleich es im nationalen englischen Recht keine Art. 27 I EuGVVO entsprechende Rechtshängigkeitskriterien gibt, sondern vielmehr ermessensabhängig nach forum non conveniens – Kriterien entschieden wird (Ausspruch eines stay), orientiert sich die res judicata an der Wendung „the same cause of action“; vgl. Huber, S. 25 ff.; ders., IPRax 1995, 332 f. 31 R. Stürner, in: FS Lüke (1997), S. 835; Oberhammer, JBl 2000, 217. 32 Vgl. dazu Althammer, in: FS Kaissis (im Erscheinen) und § 36 V. 33 Vorgeschlagen aber vom Generalanwalt Tizzano, Schlussanträge v. 9.2.2006, Rs. C-442 und C-471/03 P – P&O European Ferries, Slg. 2006, I-4845 Rn. 71 f.; nicht übernommen von EuGH, Urt. v. 1.6.2006, Rs. C-442 und C-471/03 P – P&O European Ferries, Slg. 2006, I-4845 Rn. 40 f.; hierzu Germelmann, S. 371.
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
III. Der (fehlende) systematische Zusammenhang mit den objektiven Grenzen der Rechtskraft Die EuGVVO legt fest, unter welchen Voraussetzungen die jeweilige Entscheidung anzuerkennen ist, ohne dass eine Aussage über den konkreten Anerkennungsumfang getroffen wird. Strittig ist insbesondere, ob die Wirkungen, die der Entscheidungsstaat seinen Entscheidungen beimisst, in voller Breite auf den Anerkennungsstaat erstreckt werden können oder aber diese entsprechend der Kumulationstheorie den inländischen Wirkungen angeglichen werden müssen.34 Die Anerkennung von Entscheidungen hat nach der für die EuGVVO herrschenden und beifallswerten Wirkungserstreckungslehre35 zur Folge, dass ihnen „die Wirkungen beigelegt werden, die ihnen in dem Staat zukommen, in dessen Hoheitsgebiet sie ergangen sind.“36 Die wichtigste dieser Wirkungen ist die aus der materiellen Rechtskraft folgende Feststellungswirkung. Der für die Rechtskraftwirkung maßgebliche Streitgegenstand des Anerkennungsrechts steht aber nach bisheriger Doktrin außerhalb des Regelungsbereichs von EuGVÜ/bzw. EuGVVO.37 Ohne die Existenz von Artt. 27 f. EuGVVO würden zwei Prozesse ihren Fortgang nehmen, bis einer seinen Abschluss gefunden hätte. Dann könnte aber die zweite Klage aufgrund der Rechtskraft der ersten Entscheidung als unzulässig abgewiesen werden. Diese wenig prozessökonomische Prozedur wird durch Art. 27 I EuGVVO verhindert.38 Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit wird deswegen zum Teil als Vorstufe dieser negativen Wirkung der materiellen Rechtskraft gedeutet 39: Die Berücksichtigung der ausländischen Rechtshängigkeit bilde die Vorstufe zur Urteilsanerkennung40 und damit zur 34 Dohm, S. 78; anders von Bar/Mankowski, IPR I, § 5 Rn. 113 f.: „Es gibt allerdings gute Gründe, den Umfang der materiellen Rechtskraft so festzulegen, dass er über denjenigen, welchen das deutsche Prozessrecht für Inlandsurteile in vergleichbarer Art festlegt, nicht hinausgeht. Insoweit trifft die Kumulationstheorie das Richtige, indem sie der Wirkungserstreckung eine Obergrenze zieht. Sie vermeidet unwillkommen große Anreize, auf dem Umweg über das Ausland das zu erreichen, was in einem deutschen Verfahren nicht erlangt werden könnte (auch wenn ein solcher Anreiz natürlich gegen die Mühen und Lasten eines Auslandsprozesses abzuwägen wäre)“; gegen die Kumulationslehre mit Recht Fischer, in: FS Henckel, S. 208. 35 Bereits Art. V Abs. 2 S. 1 des Zusatzprotokolls zum EuGVÜ (Protokoll vom 27.9.1968, BGBl. 1972 II, S. 808) gibt deutliche Hinweise für die Wirkungserstreckungslehre; ebenso Bungert, IPRax 1992, 225 f.; Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 154. 36 Bericht von Jenard, ABlEG 1979 Nr. C 59, S. 1, 43; für volle Wirkungserstreckung zu Recht auch K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 185 f.; Gottwald, ZZP 103 (1990), 259 ff. 37 Dohm, S. 78; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 55. 38 Dohm, S. 78. 39 Dohm, S. 78. 40 Schack, IZVR Rn. 834.
§ 35 Die Methodenfrage: Autonome Auslegung von Art. 27 I EuGVVO
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ne bis in idem-Wirkung der materiellen Rechtskraft.41 Aus dem von ihm dargestellten Zusammenhang hat u.a. Dohm 42 folgende Folgerung gezogen: Weil der Anspruchsbegriff des Anerkennungsrechts außerhalb des Regelungsbereichs des EuGVÜ liege, habe Gleiches auch für die Anspruchsdefinition der Rechtshängigkeit (Art. 21 EuGVÜ/nunmehr Art. 27 I EuGVVO) zu gelten. Denn bei einer autonomen Bestimmung sei es nicht zu vermeiden, „dass die Streitgegenstände beider Prozesse nach dem vertragsautonomen Streitgegenstandsbegriff als identisch anzusehen sind und deshalb der inländische Prozess letztlich nach Art. 21 EuGVÜ durch Prozessurteil beendet werden muss, obwohl die lege fori zu bestimmende materielle Rechtskraft des in dem ausländischen Prozess zu erwartenden Urteils nicht oder nicht vollständig den Streitgegenstand des inländischen Prozesses erfasst.“
Das bedeute, dass der res iudicata-Einwand der Zulässigkeit einer späteren Erhebung derselben Klage vor deutschen Gerichten nicht entgegenstünde. Der res iudicata-Einwand und der Einwand ausländischer Rechtshängigkeit verfolgten aber denselben Zweck, so dass nicht beiden unterschiedliche Streitgegenstandsbegriffe zugrunde gelegt werden könnten.43 Da im Übrigen das Prozessrecht der Verwirklichung des materiellen Rechts diene, das sich nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung bestimme, müsse auch der Streitgegenstand nach der jeweiligen lex fori ermittelt werden. Diese Deduktionen Dohms erscheinen aus mehreren Gründen zweifelhaft. Zum einen verlief die historische und funktionale Entwicklung von Rechtshängigkeit und Rechtskraft keineswegs in dem Sinne, dass von einer Vorwirkung gesprochen werden könnte.44 Beide Institute weisen zwar in ihrer Rolle als Prozesshindernis zweifellos Übereinstimmungen auf. Dennoch ist eine vollständige Synchronität weder verwirklicht noch gefordert. Der dilatorische Einwand der Rechtshängigkeit findet mit Abschluss des Verfahrens zwar eine Entsprechung in Gestalt der res iudicata.45 Deren Grenzen können jedoch ganz unterschiedlich verlaufen. Zudem ist denkbar, dass die Rechtshängigkeit ohne Entscheidung endet. Einem erneuten Verfahren über denselben Streitgegenstand stünde der Einwand der Rechtskraft dann nicht entgegen.46 Die Rechtshängigkeit äußert sich nicht ausschließlich in einer bloßen Vorwirkung der res iudi41
Dohm, S. 32. Dohm, S. 79. 43 Dohm, S. 311. Auch mit einer variablen Streitgegenstandsdefi nition lasse sich aber die autonome Auslegung des EuGH seiner Ansicht nach nicht rechtfertigen. 44 Herrmann, Grundstruktur, S. 71; ausführlich oben § 18 I 3 b aa. 45 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 54; Habscheid, in: FS Lange, S. 429. 46 Im Europäischen Kontext hat die Entscheidung in der Rechtssache „Solo Kleinmotoren/Boch“ (EuGH, Urt. v. 2.6.1994, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, 2268 f. Rn. 17 f.) gezeigt, dass ein Verfahren auch ohne Rechtskrafteintritt enden kann. Nach Ansicht des EuGH stellt ein Prozessvergleich keine anerkennungsfähige Entscheidung im Sinne von Art. 32 EuGVO dar. 42
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
cata.47 Umgekehrt sind auf nationaler Ebene Rechtskraftwirkungen möglich, ohne dass die Rechtshängigkeitssperre hier als Äquivalent in Betracht käme.48 Bei Nichtbeachtung der früheren anderweitigen Verfahrenseinleitung würde im Übrigen das spätere Verfahren zuerst zu einem Urteil führen, ohne dass dessen Rechtskraftwirkungen eine Entsprechung auf der Ebene der Rechtshängigkeit fänden, was mit der Deutung der Rechtshängigkeitssperre als bloßer Vorwirkung der Rechtskraft nicht in Einklang stehen dürfte.49 Der Litispendenzeinwand muss zwar in allen Fällen greifen, in denen dem später eingeleiteten Verfahren nach Verfahrensabschluss der Rechtskrafteinwand (im Sinne von ne bis in idem) entgegenstünde. Jedoch gilt dies nicht umgekehrt, weil der Zweck der Rechtshängigkeitssperre sich nicht darauf beschränkt, den späteren Eintritt der Rechtskraft abzusichern.50 Der Sachzusammenhang zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft ist somit auch im Europäischen Prozessrecht gelockert.51 Das Auseinandergehen der Schere wird überdeutlich im Anwendungsbereich von Art. 11 EuEheVO I und Art. 19 EuEheVO II und ist dort bereits im Gesetz angelegt.52 Art. 19 I EuEheVO II verzichtet im Gegensatz zu Art. 11 EuEheVO I für das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre sogar auf die „Anspruchsidentität“, so dass auch ein Verfahren auf Trennung ohne Auflösung des Ehebandes ein späteres ausländisches Scheidungsverfahren blockiert.53 Mit diesem Rechtshängigkeitsumfang korrespondierende, nach nationalem Recht zu bestimmende Rechtskraftwirkungen existieren nicht. Der Einwand Dohms54 – und diese Aussage steht hier im Zentrum der Kritik –, die autonome Auslegung des EuGH zerstöre den Zusammenhang von Rechtskraft und Rechtshängigkeit, weil für beide Institute derselbe Streitgegenstandsbegriff maßgeblich sein müsse, geht somit fehl.55 Auch die noch näher zu erläuternde Besonderheit, dass es trotz des weiten Streitgegenstandsbegriffs 47 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 55; Schwander, in: FS Vogel, S. 395. Auch § 738 a I HGB zeigt, dass die Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit völlig unabhängig von der nachfolgenden Anerkennungsfähigkeit angeordnet wird. 48 Für den Fall der Aufrechnung vgl. EuGH, Urt. v. 8.5.2003, Rs. C-111/01 – Gantner Electronic GmbH/Basch Exploitatie Maatschappij BV, Slg. 2003, 42. 49 Habscheid, RabelsZ 31 (1967), 254 f.; Hoyer, ZfRV 1969, 242 f. Damit ist auch in Deutschland ein race to judgement entsprechend der amerikanischen parallel proceeding rule theoretisch nicht ausgeschlossen. 50 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 55 f.; oben § 18 I 4. 51 Zeuner, in: FS Lüke, S. 1003. 52 Ausführlich oben §§ 15 f.; Gruber, FamRZ 2000, 1129 ff.; Hausmann, EuLF 2000/01, 345, 347. 53 Näher Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 19 EuEheVO Rn. 3; lediglich für Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung für ein Kind spielt die Anspruchsidentität nach Art. 19 II EuEheVO II noch eine Rolle. 54 Dohm, S. 32, S. 150 f. 55 Zu Recht Haas, in: FS Ishikawa, S. 173; Lenenbach, EWS 1995, 365; Prütting, in: GS Lüderitz, S. 623 f.
§ 35 Die Methodenfrage: Autonome Auslegung von Art. 27 I EuGVVO
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denkbar ist56 , dass ein Verfahren zunächst an Art. 27 I EuGVVO scheitert, dieses aber nach Abschluss des früher eingeleiteten Parallelverfahrens gewissermaßen wieder auflebt, weil die national zu bestimmenden Rechtskraftwirkungen dem nicht Einhalt gebieten können57, spricht nicht gegen ein autonomes Verständnis. Selbst wenn ein autonomes Rechtskraftverständnis noch in weiter Ferne liegen sollte, muss Gleiches nicht für die Bestimmung des Rechtshängigkeitsumfangs gelten. Gerade die Unterschiedlichkeit der nationalen Vorstellungen spricht für eine (verordnungs)autonome Auslegung.58 Trotz des Ziels, das Entstehen unvereinbarer Urteile möglichst frühzeitig zu verhindern, sollte dabei aber einer Auslegung der Vorzug gewährt werden, welche die Rechtsschutzinteressen des Beklagten möglichst wenig beeinträchtigt. Dies ist jedoch im Falle der Rechtsprechung des EuGH nicht stets gewährleistet, weil dem ausgeschlossenen Zweitkläger nicht immer eine dem inländischen Verfahren gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit im Ausland zusteht.59 Im Übrigen verfolgt Art. 27 I EuGVVO – was sich bereits anhand der Rechtsfolgen der Vorschrift erkennen lässt – nicht die Vermeidung von Rechtskraftkollisionen im eigentlichen Sinne, sondern von Anerkennungshindernissen nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO. Dem dient die autonome Auslegung60 von Art. 27 I EuGVVO besser, wenngleich der Nutzen von Art. 28 I EuGVVO bei der Verwirklichung dieses Anliegens nicht zu gering eingeschätzt werden sollte.
56
Unten § 36 I. Auch wenn die These Dohms, S. 32, S. 150 f., der Streitgegenstand der Rechtshängigkeit müsse mit demjenigen der Rechtskraft übereinstimmen, widerlegt erscheint, wird dieses Gebot im Einzelfall nach der Rechtsprechung des EuGH sogar erfüllt. Denn wird z.B. in einem englischen Leistungsurteil rechtskräftig über das Bestehen des Vertrages mitentschieden, würde dies den Gegenstand einer späteren deutschen (negativen) Feststellungsklage hinsichtlich der Wirksamkeit des Vertrages mit einschließen. Insoweit korrespondiert der Urteilsgegenstand mit dem Umfang der Rechtshängigkeitssperre. Über das Merkmal des Vertrages wird in England durch eine gedachte Zwischenfeststellungsklage entschieden (§ 256 II ZPO). 58 Auch im englischen Recht ist die Verknüpfung von ausländischer Rechtshängigkeit und Rechtskraft unbekannt, Habscheid, in: FS Lange, S. 429, 436. Die Frage der Berücksichtigung der ausländischen Rechtshängigkeit ist systematisch nicht mit der Anerkennung des zu erwartenden Urteils verknüpft. Entscheidend ist vielmehr, ob die zweite Klage vor einem inländischen Gericht vexatious oder oppressive wäre. 59 Vgl. auch unten § 40 I 4. 60 Bei Ablehnung einer verordnungsautonomen Interpretation müsste sich ansonsten das zweitbefasste Gericht mit den Streitgegenstandsvorstellungen des Rechts des zuerst angerufenen Gerichts beschäftigen, Huber, JZ 1995, 604; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 81, 82. 57
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§ 36 Der teleologische Zusammenhang zwischen Art. 27 EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO in der Rechtsprechung des EuGH Mögliche Bedenken gegen die Kernpunkttheorie61 speisen sich weniger aus dem rechtsvergleichenden Befund als vielmehr aus dem systematisch-teleologischen Zusammenhang mit Art. 34 Nr. 3 EuGVVO.
I. Vorüberlegung Bei der Auslegung von Art. 27 I EuGVVO orientiert sich der EuGH in teleologischer und systematischer Hinsicht62 allein an der in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO beschriebenen und zu vermeidenden Situation der Anerkennungsverweigerung. Von dieser Warte aus dient Art. 27 I EuGVVO ausschließlich der Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen63, wenngleich der EuGH selbst (einschränkend) davon spricht, dass Art. 27 EuGVVO soweit wie möglich eine Situation verhin-
61 Zu den Bedenken hinsichtlich einer Übernahme der Kernpunkttheorie in das deutsche Recht oben § 16 II. 62 Zur systematischen Auslegung als Bestandteil der autonomen Auslegung Hess, IPRax 2006, 355 f. Zur systematischen Auslegung des EuGH Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 152. 63 Ständige Rechtsprechung seit den Entscheidungen des EuGH in der Rechtssache Gubisch/Palumbo und Tatry, vgl. oben § 15 II 1, 2. Die Vorschrift dient zumindest mittelbar auch der Verfahrenskonzentration, weil eine Parallelklage nur noch in dem Mitgliedstaat möglich ist, dessen Gerichte bereits mit der Streitsache befasst sind, K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 343 f. Art. 34 Nr. 4 EuGVVO regelt im Gegensatz zu Art. 27 Nr. 5 EuGVÜ auch den Fall kollidierender Entscheidungen zweier Mitgliedstaaten außerhalb des Anerkennungsstaates. In diesem Zusammenhang soll ein Hinweis auf die zukünftige Entwicklung nicht fehlen: Bereits nach dem Maßnahmenkatalog des Ministerrates in Tampere sollte als Fernziel auf die Erhebung bestimmter Anerkennungsvoraussetzungen verzichtet werden. Dieses Anliegen scheint nun im Rahmen des Kommissionsvorschlags für eine Neufassung der Brüssel I-VO erfüllt zu werden (siehe unten V.). Dann aber wäre eine vollständig neue Ausrichtung von Art. 27 EuGVVO geboten.
§ 36 Der teleologische Zusammenhang
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dern soll64, wie sie in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO beschrieben ist.65 Dieser Funktionszusammenhang wird selbst von den Kritikern einer autonomen Auslegung nicht in Zweifel gezogen und ergibt sich im Übrigen zwanglos aus den Materialien, wenngleich nicht in dieser apodiktischen Weise.66 Obwohl aus Art. 27 EuGVVO nicht unmittelbar auf den Anwendungsbereich von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO geschlossen werden kann, wäre in umgekehrter Richtung das gesamte Unvereinbarkeitspotential von der Rechtshängigkeitssperre erfasst.67 Insofern müssten bei diesem Verständnis alle (prognostizierbaren) Fälle einer Unvereinbarkeit von der Rechtshängigkeitssperre erfasst sein. Der telos von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO erfordert es aber nicht in jedem Fall, die Vorschrift so weit wie der EuGH auszulegen.68 Deshalb bedarf Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO zunächst einer seiner ratio entsprechenden Interpretation. Hiernach wäre zu überlegen, „wie sich das zu Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ gefundene Ergebnis auf Art. 21 EuGVÜ auswirkt.“69 Art. 27 EuGVVO bezweckt auch die Vermeidung unvereinbarer Entscheidungen.70 Fraglich bleibt aber, ob Art. 27 EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO sich tatsächlich in vollem Umfang decken.71 So wird einerseits vorgeschlagen, Art. 27 EuGVVO einen weitergehenden Umfang zuzuweisen, so dass der Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitssperre den der (eng zu bestimmenden) Anerkennungssperre im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO übersteigen könnte.72 Denn auch im nationalen Recht werden mit der Rechtshängigkeitssperre neben öffentlichen und privaten Interessen auch prozessökonomische Belange verfolgt.73 Würde Art. 27 EuGVVO somit – unter Beachtung des Justizgewäh64 Vgl. S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 174 f., der es deswegen für denkbar hält, dass trotz möglicher Unvereinbarkeit der Entscheidungen parallele Verfahren zulässig sind. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO enthalte eben nur ein teleologisches Argument für Art. 27 I EuGVVO, so dass es nicht nötig sei, den Umfang der Unvereinbarkeit vollständig zu ergründen. Ebenso Generalanwalt Léger, Schlussanträge v. 13.7.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie, Rn. 45. 65 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch/Palumbo, Slg. 1987, 4861. Dieser teleologischen Ausrichtung ausdrücklich zustimmend etwa Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 153; Kropholler/v. Hein, vor Art. 27 EuGVO Rn. 1; vgl. auch Rauscher/Gutknecht, IPRax 1993, 21 ff. 66 Bericht von Jenard, ABlEG 1979 Nr. C 59, S. 50 f.; Bedenken an dem teleologischen Zusammenhang hat auch Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S 322. 67 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 159, 405; M. Wolf, in: FS Schwab, S. 569 f. 68 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 134. 69 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 134; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 86. 70 M. Wolf, in: FS Schwab, S. 569. 71 Bezweifelnd S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 177: Die drohende Unvereinbarkeit sei nicht das einzige Argument für das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre, und die drohende Unvereinbarkeit führe umgekehrt nicht zwingend zur Rechtshängigkeitssperre. Zur Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 27 EuGVÜ sei eine vorherige umfassende Klärung des tatsächlichen Umfangs von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO folglich nicht notwendig. 72 M. Wolf, in: FS Schwab, S. 569 f.; Schack, IPRax 1989, 140 f. 73 Schack, IPRax 1989, 140 f.
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
rungsanspruches – über Artikel 34 Nr. 3 EuGVVO hinausgreifen, wäre dies aus der Warte eines relativen Streitgegenstandsverständnisses durchaus verständlich. Nach den Worten Schacks könnte damit Art. 27 EuGVVO weit und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Sinne der Urteilsfreizügigkeit eng auszulegen sein.74 So wäre auch vorstellbar, dass sich verschiedene Leistungsklagen, die auf dasselbe Vertragsverhältnis gestützt werden, der zeitlichen Einreichung entsprechend blockieren, obwohl die Entscheidung über die Vorfrage der Vertragswirksamkeit nach keiner der beiteiligten Rechtsordnungen Rechtskraft erlangt, so dass unvereinbare Entscheidungen (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO) bei restriktiver Interpretation ausscheiden. Der Einwand der Rechtshängigkeit würde dann neben der Vermeidung von Urteilskollisionen die Verhinderung von Widersprüchen in einem weiteren Sinne bezwecken, soweit diese dem Ansehen der Gerichte in der Europäischen Gemeinschaft schaden könnten.75 Im Sinne prozessökonomischer Verfahrenkonzentration, die im öffentlichen Interesse liegen muss, würde damit auch eine Mehrfachbelastung von Gerichten und Parteien in derselben Angelegenheit vermieden. Entscheidend hierfür wäre, ob das Rechtsschutzanliegen der Parteien bereits im Erstverfahren erledigt wird oder (nach Klageerweiterung oder Widerklage) werden könnte. Bei dieser Sichtweise wäre der Anwendungsbereich von Art. 28 EuGVVO von vorneherein stark reduziert. Zumindest denkbar erscheint auch die Vorstellung, wonach Art. 27 EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO sich in ihrem Anwendungsbereich nur überschneiden, aber nicht decken, so dass nicht sämtliche potentiellen Fälle von Unvereinbarkeit automatisch durch Art. 27 I EuGVVO erfasst wären. Rechtfertigung erführe diese Sichtweise durch die Ausführungen zu Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ im Bericht von Jenard 76: „Es dürfte im Übrigen zu erwarten sein, dass die Anwendung der Bestimmungen des Titels II über die Rechtshängigkeit und den Sachzusammenhang die Fälle gegensätzlicher Gerichtsurteile weitgehend einschränken wird.“
Dies könnte dafür sprechen, dass Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO nicht allein der Verhinderung widersprechender Entscheidungen dienen will, der teleologische Zusammenhang zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO somit gelockert wäre. Artt. 21/27 I EuGVVO und 22 EuGVÜ/28 EuGVVO würden lediglich im Zusammenwirken dem Ergehen unvereinbarer Entscheidungen „weitgehend“ vorbeugen. Diese Deutung hat auch Generalanwalt Léger in jüngerer Zeit in seinen Stellungnahmen in der Rechtssache Gantner und Maersk befürwortet.77 74 75
Schack, IPRax 1989, 140 f.; Kropholler/v. Hein, Art. 34 EuGVO Rn. 47 f. Im Hinblick auf Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ (ordre public) ebenfalls M. Wolf, in: FS Schwab,
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Bericht von Jenard, AblEG 1979 Nr. C 59, S. 27 f. zu Art. 21 EuGVÜ. Schlussanträge v. 5.12.2002, Rs. C-111/01 – Gantner/Basch, Slg. 2003, I-4207, Rn. 51; Schlussanträge v. 13.7.2004, Rs. C-39/02 – Maersk/Olie, Rn. 41 f. Näher auch S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 167 ff. 77
§ 36 Der teleologische Zusammenhang
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Im Folgenden gilt es zunächst zu klären, welche Fallkonstellationen zwingend zur Unvereinbarkeit und damit zur Anerkennungsverweigerung führen.78 Der Jenard-Bericht lässt dabei mehrere Deutungen zu. Zunächst klingt dort an, dass das Anerkennungshindernis nach Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO) nicht auf Verfahren mit identischem Streitgegenstand beschränkt bleiben solle.79 Das im Bericht hierfür gewählte Beispiel80 einer Kollision eines französischen Leistungsurteils und eines belgischen Feststellungsurteils, das die Unwirksamkeit des vorgreiflichen Vertrages bestätigt, entspricht aber der später in der Entscheidung Gubisch/Palumbo behandelten Konstellation, welche der EuGH gerade als „kernpunktidentisch“ einstufte.81 Andererseits könnte die Passage im Jenard-Bericht auch ein Fingerzeig für einen über Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO hinausreichenden Anwendungsbereich von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO sein. Dann wäre es denkbar, dass auch nur Widersprüche auf Vorfragenebene den Tatbestand der Unvereinbarkeit erfüllen.82 Dafür spricht, dass Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Gegensatz zu Art. 27 I EuGVVO das Merkmal der Anspruchsidentität nicht kennt. Insoweit könnte es für Art. 34 Nr. 3 EuGVVO genügen, dass in zwei Entscheidungen nur die Wirksamkeit desselben Vertragsverhältnisses unterschiedlich beurteilt wird, ohne dass diese Feststellung in Rechtskraft erwachsen würde. Andererseits mag gerade der im Jenard-Bericht geschilderte Konflikt eines belgischen und eines französischen Urteils auf das Erfordernis eines Rechtskraftkonflikts hinweisen, erwachsen doch in beiden Länderrechtsordnungen auch tragende Entscheidungsgründe in Rechtskraft83. Das Unvereinbarkeitspotential hinge dann aber von den jeweiligen nationalen Vorstellungen ab, wenngleich eine einheitliche Linie die Anwendung der Vorschrift in der Praxis erleichtern würde. Ob ein einheitlicher europäischer Rechtskraftbegriff im Blickfeld des Übereinkommens lag, muss wiederum deswegen ernsthaft bezweifelt werden, weil die Kommission im Bericht zur Neufassung des EuGVÜ 1978 festgestellt hat, dass es nicht ihre Aufgabe sei, „die durch die Verschiedenartigkeit der nationalen Rechtsordnungen auftretenden Probleme in Bezug auf die Rechtskraftwirkungen in allgemeiner Weise zu lösen“.84 Nach alledem eröffnen sowohl die Gesetzesfassung als auch der Jenard-Bericht85 ausreichend Raum für Spekula78
Unten § 37. So Bericht von Jenard, AblEG 1979 Nr. C 59, S. 45 zu Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ. 80 Vgl. Bericht von Jenard, AblEG 1979 Nr. C 59, S. 45. 81 EuGH, Urt. v. 8. 12. 1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861 f. Denkbar wäre deswegen die Deutung, dass der Jenard-Bericht noch von einem viel engeren (national geprägten) Streitgegenstandsverständnis ausging, welcher der Auslegung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ keine Grenzen setzen könne. 82 Hierzu Oberhammer, IPRax 2002, 428. 83 Oben § 14 II. 84 BT-Drs. 10/61, Nr. 191; Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 247 f. 85 Bericht von Jenard, AblEG 1979 Nr. C 59, S. 45. 79
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tionen über die richtige Auslegung im Einzelfall. Unvereinbare Entscheidungen liegen hingegen zweifellos vor, wenn bei völliger Identität der Streitgegenstände (übereinstimmende Anträge) die Verfahren einen unterschiedlichen Ausgang nehmen bzw. das sog. kontradiktorische Gegenteil betroffen ist.86 Vor Herausbildung der Kernpunktlehre wurde im Schrifttum bisweilen angenommen, das Unvereinbarkeitspotential beschränke sich auf diese Fälle der Streitgegenstandsidentität von in- und ausländischer Entscheidung.87 Diese Auffassung hat sich aber nach beinahe allgemeiner Ansicht als zu eng erwiesen.88
II. Die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO durch den EuGH Gelegenheit, sich näher mit der Auslegung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ zu beschäftigen, bekam der EuGH in der Rechtssache Hoffmann/Krieg.89 Auf Vorlage des Hoge Raad der Nederlanden entschied der Gerichtshof, dass der den Trennungsunterhalt betreffende Beschluss eines deutschen Gerichts mit dem niederländischen Scheidungsurteil unvereinbar sei, weil ersterer denknotwendig das Bestehen der Ehe voraussetze. Die Kommission hatte bereits im Vorfeld der Entscheidung darauf hingewiesen, dass zwischen denselben Parteien ergangene Entscheidungen miteinander unvereinbar sein könnten, ohne dass deren Streitgegenstände90 identisch sein müssten.91 Nach Ansicht der Kommission ergänzten das deutsche Unterhalts- und das niederländische Scheidungsurteil einander vielmehr, als dass sie miteinander unvereinbar wären. Die Unterhaltsverpflichtung könnte rein logisch bis zur Auflösung der Ehe fortbestehen. Die deutsche Regierung verlangte für die Unvereinbarkeit hingegen restriktiv Streitgegenstandsidentität und lehnte folglich das Vorliegen einer Urteilskollision ebenfalls ab. Im Gegensatz hierzu bezog die britische Regierung den Standpunkt, beide Entscheidungen seien miteinander unvereinbar. Generalanwalt Marco Darmon wies darauf hin, dass der Begriff der Unvereinbarkeit unabstreitbar weiter als der der Rechtskraft sein müsse. Zur Begründung rekurrierte er auf den unterschiedlichen Wortlaut von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ und Art. 27 Nr. 5 EuGVÜ,
86 87 88 89 90 91
M. Wolf, in: FS Schwab, S. 569. Grunsky, JZ 1973, 646. McGuire, Verfahrenskoordination, S. 81; Huber, JZ 1995, 604; Schack, IPRax 1996, 82. EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff. So Bericht von Jenard, AblEG 1979 Nr. C 59, S. 45. Zur Prozessgeschichte siehe Slg. 1988, 645 ff.
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„wonach die Anerkennung einer Entscheidung versagt wird, wenn sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem Nichtvertragsstaat zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs ergangen ist – also die herkömmlichen Kriterien der Rechtskraft aufweist.“92
Jedenfalls dürfe sich die Auslegung nicht allein schon am (materiellen) Inhalt der Entscheidungen orientieren. Zwei Entscheidungen könnten ohne Weiteres auf einer gegensätzlichen Begründung beruhen, ohne deswegen in ihren Wirkungen miteinander unvereinbar zu sein.93 Die Unvereinbarkeit sei vielmehr auf dem Gebiet der rechtlichen Auswirkungen zu suchen, welche die Anerkennung der Entscheidung im Vollstreckungsstaat erzeuge, also ob das Zusammentreffen der Wirkungen der beiden Entscheidungen konkret zu einem mit der Kohärenz der Rechtsordnung des ersuchten Staates unvereinbaren Widerspruch führe.94 So sei eine Entscheidung, durch die eine Person zur Erfüllung eines Vertrages verurteilt wird, offensichtlich unvereinbar mit einer Entscheidung, durch die der Vertrag für nichtig erklärt worden ist.95 In der Rechtssache Hoffmann/Krieg seien die deutsche Unterhaltsentscheidung und das niederländische Scheidungsurteil in zeitlicher Hinsicht aber ohne Weiteres miteinander vereinbar. Denn es gebe einen der Scheidung vorausgehenden Zeitpunkt, in dem der Unterhaltsanspruch (beruhend auf dem Getrenntleben) vollstreckbar sei. Unvereinbarkeit sei nur anzunehmen, wenn sich die Rechtswirkungen der beiden Entscheidungen ausschließen würden.96 Der EuGH97 zeigte in der Entscheidung Hoffmann/Krieg ein von den konkreten Rechtskraftwirkungen gelöstes Verständnis98: Unvereinbarkeit nach Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/34 Nr. 3 EuGVVO sei anzunehmen, wenn die Entscheidungen Rechtsfolgen hätten, die sich gegenseitig ausschließen. So eng diese 92 Stellungnahme des Generalanwalts Darmon, Slg. 1988, 655 Rn. 11. Dafür spricht, dass Art. 34 Nr. 3 EuGVVO einen Spezialtatbestand zu Art. 34 Nr. 1 EuGVVO darstellt. 93 Stellungnahme des Generalanwalts Darmon, Slg. 1988, 655 Rn. 11. 94 Stellungnahme des Generalanwalts Darmon, Slg. 1988, 655 Rn. 11. 95 Ähnlich bereits Bericht von Jenard, ABlEG Nr. C 59, S. 45. Nach Ansicht von Darmon seien ein Urteil, mit dem der Käufer zur Zahlung des Kaufpreises verurteilt werde, und ein Urteil, durch das der Verkäufer seinem Vertragspartner gegenüber zum Schadensersatz wegen verborgener Mängel verpflichtet wird, miteinander vereinbar. Denn beide Forderungen könnten gegeneinander aufgerechnet werden, womit sich kein untragbares Ergebnis ergäbe; vgl. auch Cour de cassation, Urt. v. 3.11.1977 – Sofraco/Pluimvee, Nachschlagewerk der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht, Serie D, I-27.3 – B 1. Damit wird der konkrete Konflikt im Anerkennungsstaat in den Vordergrund gerückt. Jedoch ist die Aufrechnungsmöglichkeit häufig mit Unwägbarkeiten belastet und divergiert stark von den nationalen Gegebenheiten. 96 Auch bei gleichlautenden Urteilen kann wegen der Gefahr der mehrfachen Vollstreckung ein solcher Widerspruch entstehen, Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 28 f.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 179. 97 EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 687 f.; kritisch Schack, IPRax 1989, 141. 98 Für autonome Auslegung auch Oberhammer, JBl 2000, 210 f.
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
Formulierung zunächst klingt, so weit wird der Unvereinbarkeitsbegriff jedoch in concreto angewandt. Vor allem in zeitlicher Hinsicht bestünde Konfliktpotential, da die deutsche Unterhaltsentscheidung, welche einen Zeitraum nach der Scheidung betreffe, erst mit der Vollstreckungsklausel versehen worden sei, als das niederländische Scheidungsurteil bereits rechtskräftig war. Die Entscheidung des deutschen Gerichts, die zur Zahlung von Trennungsunterhalt verpflichte, sei unter diesen Umständen mit dem niederländischen Scheidungsurteil nicht vereinbar.99 Nach autonomer deutscher Vorstellung wäre die Vollstreckung eines (deutschen) Unterhaltsurteils in den Niederlanden trotz eines niederländischen Scheidungsurteils zweifellos möglich, bis dieser Umstand im Wege der Vollstreckungsklage vorgebracht würde. Durch diese weite Auslegung der Unvereinbarkeit von Urteilen koppelt der EuGH Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ von der realen Rechtskraftwirkung ab.100 In der Rechtssache Italian Leather betonte der EuGH101 im Zusammenhang mit der Kollision zweier Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes, dass es bei der Beurteilung des Unvereinbarkeitspotentials nicht auf die jeweiligen nationalen – und möglicherweise unterschiedlichen – Zulässigkeits- und Verfahrensvoraussetzungen für deren Erlass ankäme. Die Unvereinbarkeit müsse sich vielmehr bei den Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen zeigen. Demnach seien eine ausländische Entscheidung des vorläufigen Rechtsschutzes, mit welcher ein Schuldner verpflichtet werde, eine bestimmte Handlung zu unterlassen, unvereinbar mit einer ebenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Entscheidung, mit der die Verhängung einer solchen Maßnahme abgelehnt werde.102 Die Äußerung in Hoffmann/Krieg wird damit etwas konkretisiert. Offensichtlich soll es nur auf materiellrechtlich intendierte Unvereinbarkeiten ankommen. Klargestellt wird zudem, dass der Vollstreckungsstaat über kein Ermessen verfügt, die Anerkennung zu verweigern. Generalanwalt Léger hatte hingegen in seiner Stellungnahme weiter ausgeholt, um den für Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ relevanten Unvereinbarkeitsmaßstab zu präzisieren. Dabei differenzierte er auch zwischen Entscheidungsfolgen und Entscheidungsbegründung: „Es lässt sich zum Beispiel daher kaum behaupten, dass Entscheidungen, deren 99
EuGH Slg. 1988, S. 645, 687, 688. Das niederländische Scheidungsurteil fand in Deutschland nicht automatisch Anerkennung, da es außerhalb des Anwendungsbereichs des EuGVÜ erging. Vielmehr war Art. 7 § 1 FamRÄndG einschlägig, Schack, IPRax 1989, 139. Im niederländischen Vollstreckungsverfahren machte dann der Ehemann die Scheidung der Ehe in den Niederlanden geltend. 100 Leipold, in: GS Arens, S. 235; dem EuGH zustimmend S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 171. Diese konkrete Konfliktkonstellation hat noch keine judikative Entsprechung im Rahmen der Rechtshängigkeit erfahren, aaO., S. 176. Ob Art. 27 EuGVVO in der Situation von Hoffmann/Krieg zur Anwendung käme, erscheint doch zweifelhaft. 101 EuGH, Urt. v. 06.06.2002, Rs. C-80/00 – Italian Leather SpA, Slg. 2002, I-4995 = NJW 2002, 2087 = IPRax 2005, 33 mit Anm. B. Hess, 24 f. 102 EuGH NJW 2002, 2087; dazu Hess, IPRax 2005, 23 f.
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Begründungen, nicht aber deren Rechtsfolgen voneinander abweichen, in dem Sinne unvereinbar wären, dass sie das Rechtsleben des Anerkennungsstaates stören könnten. Auch wenn sie unterschiedlich sind, können die Begründungen, auf denen die Gerichtsentscheidungen beruhen, nebeneinander bestehen, sofern die rechtlichen Regelungen, die sich daraus ergeben, nicht miteinander unvereinbar sind.“103 Nach den Worten von Generalanwalt Léger bleibt aber unklar, ob für Unvereinbarkeit zumindest kollidierende rechtskräftige Feststellungen zu derselben Vorfrage in beiden Urteilen genügen würden. Denn hier besteht ein unmittelbarer Konflikt zwischen den Urteilswirkungen.104 In einem ständig wachsenden europäischen Rechtsraum erscheint jedoch zweifelhaft, ob stark divergierende Rechtskraftwirkungen den alleinigen Maßstab für die Unvereinbarkeit bilden können.105 Insoweit wird im Folgenden zu untersuchen sein, ob eine Kollision rechtskraftfähiger Urteilsfeststellungen die condicio sine qua non der Anerkennungsverweigerung bildet. Nach Auffassung von Generalanwalt Darmon106 und des EuGH scheint dies nicht der Fall zu sein. Vielmehr wird eher ein materiellrechtlich geprägter Beurteilungsmaßstab angelegt.107 Dazu passt, dass der EuGH bereits in der Rechtssache Gubisch/Palumbo108 ein Urteil, das die Unwirksamkeit eines Vertrages festgestellt hatte, mit einer Entscheidung als unvereinbar ansah, welche zur Erfüllung des Vertrages verpflichtete.109 Auch in der Entscheidung Italian Leather wird lediglich allgemein auf den Konflikt sich gegenseitig ausschließender Urteilswirkungen abgehoben. Ob hierfür widersprechende Rechtskraftwirkungen erforderlich sind bzw. diese genügen, wird hingegen nicht geklärt. Jedoch lassen beide Entscheidungen des EuGH ausreichend Raum für unterschiedliche Auslegungen. Die praktischen Schwierigkeiten, die bei der Beurteilung einer rein materiellrechtlichen Verträglichkeit von Urteilen auftreten, dürften ob der sprachlichen Barrieren im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr jedoch kaum geringer sein als im Falle eines rechtskraftorientierten Vorgehens.
103
Schlussanträge des Generalanwalts Léger, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995 f. Vgl. auch Oberhammer, IPRax 2002, 428. 105 So R. Stürner, in: FS Schütze, S. 917 f., gegen ein allgemein weites Rechtskraftkonzept. 106 Siehe Generalanwalt Darmon, Slg. 1988, S. 655 Rn. 11. 107 So die Deutung der Rechtsprechung des EuGH durch Saenger/Dörner, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 22; Nieroba, S. 203 ff.; S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 174 f. 108 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861, 4876 109 A.A. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 18, 19: „Unvereinbarkeit liegt vor, wenn sich die rechtskraftfähigen Feststellungen widersprechen, sich die jeweils festgelegten Rechtsfolgen also wechselseitig ausschließen“. Hüßtege rekurriert hierzu gerade auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Italian Leather. Die Entscheidungen müssten mit gleicher Wirkung zu gleichen Fragen ergangen sein. Die Reichweite des Unvereinbarkeitspotentials erscheint somit keineswegs geklärt. 104
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
III. Grenzen des teleologischen Zusammenhangs Für den vom EuGH postulierten Zusammenhang zwischen Art. 27 I EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO verdient die Situation nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens besonderes Augenmerk. Dieser teleologische nexus unterliegt im Hinblick auf die temporäre Reichweite der Rechtshängigkeitssperre zeitlichen Grenzen.110 So wäre es in einer der Entscheidung Gubisch/ Palumbo111 vergleichbaren Konstellation dem italienischen Beklagten, der in Deutschland zur Zahlung verurteilt wurde, nicht verwehrt, im Anschluss in Italien auf Feststellung zu klagen, dass ein Kaufvertrag nicht zustande gekommen sei. Art. 21 EuGVÜ/27 EuGVVO kann dem nicht Einhalt gebieten, weil die Vorschrift parallele Verfahren in verschiedenen Vertragsstaaten/Mitgliedstaaten voraussetzt.112 Die Rechtskraft des deutschen Leistungsurteils, dessen Wirkung automatisch in Italien anzuerkennen wäre, verhindert einen zweiten Prozess hinsichtlich der Wirksamkeit des Kaufvertrages nicht. Denn nach gefestigter deutscher Doktrin enthält die Leistungsklage keinen rechtskräftigen Ausspruch über ein Begründungselement. Nach der Wirkungserstreckungslehre113 entfaltet das deutsche Leistungsurteil insoweit weder eine Sperrwirkung noch bindet es im Sinne von Präjudizialität. Das italienische Gericht könnte somit nachträglich die Wirksamkeit des Vertrages anders beurteilen als das deutsche Gericht.114 Jedoch würde Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nach der weiten Deutung des EuGH der Anerkennung der deutschen Entscheidung in Italien dann entgegenstehen, was durch Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO gerade verhindert werden sollte. Die Urteilsfreizügigkeit erscheint somit nach rechtskräftigem Abschluss des Primärverfahrens gefährdet.115 Der vom EuGH mit der Kernpunkttheorie verfolgte Zweck würde nicht erreicht. Insoweit erweist sich der weite Unvereinbarkeitsbegriff
110
Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425; Nieroba, S. 210; Oberhammer, IPRax 2002, 428 f. Oben § 15 II 1. 112 Gleiches würde im Übrigen bei einer Zuweisung des Kompetenzkonfl ikts an Art. 28 EuGVVO gelten. 113 MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 33 EuGVVO Rn. 1; anders Schack, IPRax 1989, 138 (142). 114 Hier zeigt sich der von B. Hess beschriebene Wettbewerbsnachteil deutscher Judikate, die im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen mit weniger Rechtskraftwirkungen ausgestattet seien, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455 ff. 115 Die Situation in der Entscheidung Tatry, oben § 15 II 2, stellt sich etwas anders dar. Hier dürfte die Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteils, das eine Schadensersatzpflicht des Beklagten negiert, einen nachfolgenden Schadensersatzprozess in einem anderen Mitgliedstaat zwar nicht verhindern, jedoch ist das Gericht an die Feststellung präjudziell gebunden, so dass es zu keiner Unvereinbarkeit käme; vgl. im Übrigen auch Oberhammer, IPRax 2002, 428 f.; Nieroba, S. 211: Der teleologische Zusammenhang bricht mit Abschluss des ersten Verfahrens ab. 111
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im Sinne von Hoffmann/Krieg116, der nahezu zeitgleich zur Kernpunkttheorie entwickelt wurde, als Hemmschuh der Urteilsfreizügigkeit. Deutlich nachteilig wirkt sich nun aus, dass die europäische Rechtshängigkeit keine Entsprechung auf der Ebene der Rechtskraft findet.117 Insbesondere wenn parallele Verfahren völlig verschiedene Rechtsschutzinteressen betreffen und lediglich in einer Vorfrage übereinstimmen, wird es häufig nach Abschluss des Primärverfahrens noch zu einem – in Vorfragen abweichenden – zweiten Prozess kommen.118 Würde etwa die Klage des Aufraggebers gegen den Auftragnehmer auf Herausgabe der aus der Geschäftsführung erlangten Waren eine Klage umgekehrten Rubrums in einem anderen Mitgliedstaat, mit der der Beauftrage Aufwendungsersatz verlangt, blockieren, wäre mit der Durchführung des ersten Verfahrens das Rechtsschutzinteresse des Zweitklägers nicht befriedigt. In diesem Fall würden einseitig die Zuständigkeitsinteressen einer Partei berücksichtigt, ohne dass mit diesem Eingriff in den Justizgewährungsanspruch des Zweitklägers irgendwelche Vorteile für diesen korrespondieren würden.119 Nach rechtskräftigem Abschluss des Primärverfahrens könnte der Zweitkläger seinen Anspruch auf Aufwendungsersatz weiterverfolgen, so dass auch die gemeinsame Vorfrage der Wirksamkeit des Auftragsverhältnisses unterschiedlich beurteilt werden könnte.120 Dann wird möglicherweise die frühere Entscheidung in ihrem Anerkennungsanspruch gefährdet (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO), was Art. 27 I EuGVVO an sich verhindern sollte. Überdeutlich wird dieses Auseinanderfallen von Rechtshängigkeitsumfang und national bemessenen Rechtskraftgrenzen auch am Beispiel von Art. 11 EuEheVO I und Art. 19 EuEheVO II.121 Der Scheidungswillige kann sein Begehren nicht verfolgen, wenn parallel dazu bereits ein weniger weitreichender Antrag (z.B. auf Trennung von Tisch und Bett) bei einem anderen mitgliedstaatlichen Gericht anhängig ist.122 Jedoch vermag er nach Abschluss des Primärverfahrens sein Scheidungsbegehren weiterzuverfolgen, ohne dass der Rechtskraft-
116
Oben § 36 II. Musger, ÖRiZ 1993, 200 f.; Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 155; Nieroba, S. 210; die Wirkungen bestimmen sich vielmehr nach der Wirkungserstreckungslehre nach den nationalen Vorstellungen und damit in keinem Fall einheitlich nach dem Ergebnis der Rechtshängigkeitssperre. Der nexus zwischen Art. 27 und 34 Nr. 3 EuGVVO ist also nur von begrenzter Dauer. Vgl. K. Otte, in: FS Schütze, S. 632, speziell für das Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage. 118 Zutreffend Nieroba, S. 236. 119 Wohl auch Nieroba, S. 170 f., 189, 235 f.; Lüpfert, Konnexität, S. 272: Das Rechtsschutzinteresse des Zweitklägers müsste zumindest im ersten Verfahren mitverwirklicht sein, um Art. 27 I EuGVVO zur Anwendung bringen zu können. 120 Etwas anderes gilt nur, wenn über diese Vorfrage bereits im früheren Urteil rechtskräftig entschieden worden wäre. 121 Oben § 35 III. 122 Freitag, JbJZRWiss 2004, 410 f. 117
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einwand dem entgegenstünde. Diese Konsequenz folgt aus der Eigenschaft des Europäischen Prozessrechts als bloßer Teilrechtsordnung.123 Der tiefere Grund für den unerfreulichen Befund, dass ein zeitlich früher ergangenes Judikat in seinem Anerkennungsanspruch nach Verfahrensende wieder gefährdet wird, liegt aber in der rechtspolitisch verfehlten Übergewichtung des Nationalitätsprinzips in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO124, die jedoch zunächst als Faktum zu akzeptieren ist.125 Erlaubt ist jedoch die Frage, wie diese Unzuträglichkeiten abgemildert werden können. Rüßmann hat hierzu drei Lösungsvarianten vorgestellt126: Die Nachteile des bisherigen Rechtszustandes könnten zum einen dadurch verringert werden, dass der Begriff der Unvereinbarkeit sehr eng gefasst werde. Damit würde die Gefahr der Anerkennungsverweigerung (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO) von vorneherein gering gehalten. Zwar sei dann nach Ansicht von Rüßmann fraglich, welche Rechtfertigung der weite Anspruchsbegriff im Sinne von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO noch genieße.127 Automatisch fällt der Bedarf für einen weiter angelegten Verfahrensgegenstand nach Art. 21 EuGVÜ/ Art. 27 EuGVVO m.E. aber nicht weg.128 Denn bei einem eng formulierten Unvereinbarkeitsbegriff könnte Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO, wie etwa von Schack vorgeschlagen, mit prozessökonomischen Motiven unterlegt werden.129 Das Ergebnis wäre eine Sichtweise, bei der Art. 27 EuGVVO präventiv weit und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Sinne der Urteilsfreizügigkeit möglichst eng ausgelegt würde. Hierbei darf jedoch der Rechtsschutzgewährungsanspruch des Zweitklägers nicht über Gebühr beeinträchtigt werden. Überlegenswert ist nach Rüßmann zudem, die nationalen engen Rechtskraftgrenzen zugunsten einer weiten (wenigstens) die tragenden Begründungselemente erfassenden Rechtskraft- und Bindungswirkung aufzugeben.130 Diese Lösung wäre seines Erachtens mit dem größten Aufwand verbunden und ein jahrzehntelanges Unterfangen.131 Ob ein einheitliches weites Streitgegenstands-
123
Freitag, JbJZRWiss 2004, 410 f. Dazu auch Kropholler/v. Hein, vor Art. 27 EuGVO Rn. 1. 125 Kritisch Leible/Freitag, Forderungsbeitreibung, § 5 Rn. 140. 126 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425. 127 Gerade Schack tritt aber für einen präventiv weiten Rechtshängigkeitsumfang und einen engen Unvereinbarkeitsbegriff ein, IPRax 1989, 141. 128 So scheinbar Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425 f. 129 Schack, IPRax 1989, 139 f.; M. Wolf, in: FS Schwab, S. 619; näher unten § 39 I. 130 Zumindest einige europäische Staaten kennen eine Bindung an die Entscheidungsgründe, vgl. K. Otte, in: FS Schütze, S. 622; B. Hess hat mit Recht die Frage aufgeworfen, ob Deutschland nicht wegen seiner engen Rechtskraftbindung Wettbewerbsnachteile befürchten müsse, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 460; ähnlich Mittenzwei, Verhinderung, S. 195. Dagegen hat Rüßmann geltend gemacht, der Kläger könne in Deutschland zur Zwischenfeststellungsklage greifen, ZZP 111 (1998), 425 Rn. 94. 131 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425 f.; Oberhammer, JBl 2000, 219. 124
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konzept überhaupt sinnvoll und erstrebenswert ist, erscheint in der Tat äußerst zweifelhaft. Engere nationale Rechtskraftkonzepte tragen weniger Präklusionsgefahr in sich und verhindern eine zwingende Streitaufblähung des Verfahrens.132 Darauf wird noch zurückzukommen sein.133 Als dritter von Rüßmann vorgeschlagener Weg könnte aus dem Zweck des Übereinkommens heraus für alle Vertragsstaaten/Mitgliedstaaten ein prozessuales Verbot zum Erlass solcher Entscheidungen geschaffen werden, die die Anerkennung einer rechtskräftigen Entscheidung des Vertragsstaates/Mitgliedstaates hindern.134 Dieser der Rechtshängigkeit des Primärverfahrens nachgelagerte Schutz der Anerkennungsfähigkeit des erzielten Judikats stößt jedoch auf Schwierigkeiten. EuGVÜ und EuGVVO enthalten keine Anhaltspunkte für eine derartig weitgreifende, dem rechtskräftigen Urteil zu entnehmende prozessuale Sperrwirkung, die Art. 27 EuGVVO teleologisch ergänzen würde.135 Der EuGH136 hat sich bisher in der Entscheidung de Cox/Wolf lediglich mit einem kaum vergleichbaren Sonderfall beschäftigt137: Er hat die Frage, ob ein Kläger, der bereits über einen Leistungstitel verfügt, in einem anderen Vertragsstaat zur Vollstreckung nicht den (kostenlastigen) Weg des Art. 31 EuGVÜ beschreiten muss, sondern dort ein weiteres Verfahren über denselben Anspruch einleiten kann, verneint. Mit Artt. 26 bis 29 EuGVÜ sei es unvereinbar, nach rechtskräftigem Abschluss des einen Verfahrens einen zweiten Prozess über denselben Streitgegenstand anzustreben, wobei der EuGH zur Begründung auch auf den Gedanken des Art. 21 EuGVÜ (allerdings nicht im Sinne der damals noch nicht entwickelten Kernpunkttheorie) rekurriert. Die Entscheidung des EuGH betraf eine Situation, in der die Streitgegenstände beider Verfahren bereits nach den engen nationalen Vorstellungen identisch waren. Die Tatsache, dass der EuGH sich ganz allgemein auf Art. 21 EuGVÜ und den Begriff desselben Anspruchs beruft, kann nicht bedeuten, dass der weite Rechtshängigkeitsumfang ohne Weiteres auch im Rahmen der Rechtskraft seine Entsprechung fände. Zum einen ist in de Wolf/Cox der Rechtskraftkonflikt bei vollkommener Identität der Begehren offenkundig. Zum anderen lässt sich die Unzulässigkeit des Zweitverfahrens über denselben Anspruch wohl auch allein mit einem Hinweis auf die vorrangige Regelung des Art. 31 EuGVÜ rechtfertigen. Von besonderem Interesse ist die Fragestellung aber, wenn – wie etwa in Gubisch/Palumbo138 – ein solcher unmittelbarer oder mittelbarer Rechtskraft132
Stürner, in: FS Schütze, S. 920 f., 928 f. Näher unten § 39 II 1. 134 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425 f.; begrüßend Nieroba, S. 239 f. 135 Da es sich um keine Rechtskraftsperre handelt, kommt es selbstverständlich auch nicht zu einer derart weitgehenden Anerkennung von Entscheidungswirkungen. 136 EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 – De Wolf/Cox, Slg. 1976, 1759. 137 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425 f.; vgl. auch Sepperer, S. 85 und § 36 IV 1. 138 Oben § 15 II 1. 133
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
konflikt nicht besteht.139 Rüßmann hält es hier mit guten Gründen vertretbar, den in der Präambel des EuGVÜ/der Verordnung zum Ausdruck kommenden Zweck, Anerkennungshindernisse möglichst zu vermeiden, für eine Rechtsfortbildung zu nutzen.140 Ein zweites Verfahren wäre damit unzulässig, wenn es der bereits ergangenen, an sich anerkennungsfähigen Erstentscheidung mittels Zulassung eines Zweitverfahrens die Anerkennung nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nehmen könnte.141 Zuzugeben ist dieser Lösung, dass damit der teleologische Zusammenhang zwischen Art. 27 EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO über den rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens hinaus gewahrt bliebe. Im Übrigen wären die Kritiker besänftigt, welche in der Kernpunkttheorie einen Verstoß gegen das Dogma des Gleichlaufs von Rechtshängigkeits- und Rechtskraftsperre erkennen wollen.142 Die Verfahrenskoordination vor und nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens verliefe ansatzweise synchron, wenngleich zu konstatieren bleibt, dass die eigentlichen, anzuerkennenden Rechtskraftwirkungen sich weiter nach den nationalen Vorstellungen richten würden.143 Für diese autonome europäische Rechtskraftsperre würde der Rekurs auf die Entscheidung De Wolf/Cox folglich bedeuten, dass die dort gekorene Sperrwirkung der Art. 26 f. EuGVÜ/Art. 33 EuGVVO von der Situation vollständiger Übereinstimmung auf den Umfang der Anspruchsidentität im Sinne der Kernpunkttheorie erweitert wird, ein methodologisch sicherlich nicht einwandfreies Unternehmen.144 Auf diese Weise würde, wie Oberhammer es ausdrückt, „auch nach Prozessende im Erststaat der Schaffung des Anerkennungshindernisses nach Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ im Zweitstaat vorgebeugt, ohne dass wir uns auf rein innerstaatlicher Ebene den Fährnissen und Nachteilen objektiv erweiterter Rechtskraftgrenzen aussetzen müssen.“145 Fraglich ist nur, ob dem EuGVÜ bzw. der EuGVVO soviel durch Auslegung zu entnehmen ist.146
139 Also wenn das ausländische Urteil „so viel an Rechtskraft“ nicht hergibt, Oberhammer, IPRax 2002, 429 f. 140 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 425 f. 141 Zulässig wäre das zweite Verfahren allenfalls, wenn legitime Gründe dafür sprechen und die Rechtskraftwirkungen der Zweitentscheidung dahingehend beschränkt würden, dass sie die erste Entscheidung unangetastet lassen. 142 Etwa Dohm, S. 32 f., 89 f.; hierzu Walker, ZZP 111 (1998), 454. 143 Kritisch deswegen Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 129 ff.: Doppelwirkung des Streitgegenstands und der Rechtskraft. 144 Oberhammer, IPRax 2002, 429 f.; keine Bedenken in methodischer Hinsicht trägt insoweit Sepperer, S. 132; vgl. aber auch S. 140 f. 145 Oberhammer, IPRax 2002, 429 f. 146 Bejahend Nieroba, S. 243 f.: Es müsse ein Gleichlauf zwischen dem in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO anzuwendenden und dem in Art. 33 EuGVVO enthaltenen Entscheidungsbegriff dergestalt hergestellt werden, „dass auch die potentiell eine Unvereinbarkeit verursachenden Entscheidungselemente ungeachtet einer national bestimmten Rechtskraftbindung im Parallelverfahren anzuerkennen sind“.
§ 36 Der teleologische Zusammenhang
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IV. Eigene Stellungnahme 1. Nachgelagerter autonomer Schutz der Urteilsanerkennung Zur abschließenden Beantwortung der Frage, ob die Kernpunktlehre des EuGH zur Herausbildung eines gemeineuropäischen Rechtskraftprinzips Anlass bietet, empfiehlt sich nochmals ein Rekurs auf die Entscheidung De Wolf/Cox.147 Diese beschäftigte sich mit der Frage, ob der in einem Vertragsstaat (Belgien) bereits erfolgreiche Kläger seine Zahlungsklage in einem anderen Vertragsstaat (Niederlande) wiederholen könnte oder auf die Möglichkeit der Vollstreckung des erstrittenen Titels nach Maßgabe des Übereinkommens angewiesen sei. Der Kläger hatte erneut vor einem niederländischen Gericht geklagt, da nach niederländischem Recht die Kosten des Verfahrens zur Erteilung einer Vollstreckungsklausel höher gewesen wären.148 Der EuGH nahm jedoch an, dass eine bereits rechtskräftige ausländische Entscheidung, die anzuerkennen sei (Art. 25 f. EuGVÜ), der Zulässigkeit eines zweiten Verfahrens entgegensteht.149 Seinen Anspruch müsse der Gläubiger im Vollstreckungsverfahren (Art. 31 f. EuGVÜ) durchsetzen. Ansonsten könnte sich ein Gericht zu einem früheren ausländischen Urteil in Widerspruch setzen und so gegen die Verpflichtung zur Anerkennung dieses Urteils verstoßen.150 Eine erneute Entscheidung zur Sache würde Rechtskraftkonflikte und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen begünstigen. Ein Urteil, das die Entscheidung des Erstgerichts inhaltlich bloß wiederhole, könnte dem Gläubiger wegen derselben Forderung im Ergebnis einen zweiten vollstreckbaren Titel verleihen.151 Zusätzlich rekurriert der EuGH auf Art. 21 EuGVÜ, welcher das Bestreben zum Ausdruck bringe, zu verhindern, dass Gerichte zweier Vertragsstaaten über dieselbe Rechtsstreitigkeit entschieden.152 Der EuGH erkannte damit in der Sache die Notwendigkeit eines europäischen ne bis in idem-Einwands bei Klagen hinsichtlich desselben Anspruchs in verschiedenen Vertragsstaaten an. Zwar passt der Verweis des Gerichtshofs auf die in Art. 21 I EuGVÜ normierte Rechtshängigkeitssperre nicht unmittelbar, weil nicht zwei parallele Verfahren anhängig waren153, jedoch war sich der EuGH dieses Unterschieds zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft sicherlich bewusst.154 Kritikwürdig erscheint jedoch, dass die tragenden Argu147
EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 – De Wolf/Cox, Slg. 1976, S. 1759 ff.; oben § 36 III. EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 – De Wolf/Cox, Slg. 1976, 1759, 1760 f. 149 EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 – De Wolf/Cox, Slg. 1976, 1759; Pocar, RabelsZ 42 (1978), 426; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1994, 1286. 150 EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 – De Wolf/Cox-, Slg. 1976, 1759, 1767; vgl. zum Urteil ausführlich Sepperer, S. 85 f. 151 EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 – De Wolf/Cox-, Slg. 1976, 1759, 1767. 152 EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 – De Wolf/Cox-, Slg. 1976, 1759, 1767. 153 So die Kritik von Geimer, NJW 1977, 2023; vgl zur Entscheidung auch Sepperer, S. 85. 154 Bungert IPRax 1992, 225, 232; denkbar ist auch, dass der Verweis auf Art. 21 EuGVÜ 148
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mente in der Entscheidung nur vage Andeutung finden. Von einer dogmatisch fundierten Stellungnahme kann vor allem unter dem Blickwinkel des ne bis in idem-Einwands keine Rede sein. Im Übrigen ist das Argument zweifelhaft, dass der Richter bei der Zulässigkeit eines Zweitverfahrens ohne jegliche Berücksichtigung der Erstentscheidung neu zur Sache entscheiden würde. Denn er bleibt weiter zur Anerkennung von dessen Rechtskraftwirkungen verpflichtet. Überlegenswert erscheint deswegen, ob es anstelle des Vorgehens nach Art. 38 EuGVVO dem Gläubiger auch erlaubt ist, im Zweitstaat eine neue Leistungsklage zu erheben, deren Streitgegenstand an sich identisch ist mit dem des Erstprozesses.155 Gegen ein solches Vorgehen spricht aber im Ergebnis der abschließende Charakter der Verordnung. Aus einem weiteren Grunde ist der Rekurs des EuGH auf Art. 21 EuGVÜ von Bedeutung. Art. 21 EuGVÜ setzt voraus, dass Klagen „wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien“ anhängig sind. Die Aussage des Gerichtshofs, über den Umfang des ne bis in idem-Einwands sei der für die Rechtshängigkeit geltende Anspruchsbegriff maßgeblich, könnte ein Votum zugunsten eines einheitlichen europäischen Streitgegenstandsverständnisses für Rechtshängigkeit und Rechtskraft beinhalten. Dessen konkreter Inhalt bliebe dabei dennoch fraglich. Denn erst seit der Entscheidung Gubisch/Palumbo156 aus dem Jahre 1987 legt der Gerichtshof den Begriff desselben Anspruchs autonom weit aus (Kernpunkttheorie)157. Die Bezugnahme des EuGH in de Wolf/Cox im Jahre 1976 auf Art. 21 EuGVÜ kann dieses erst später entwickelte Verständnis kaum beinhalten. Aus dem gesamten Kontext ergibt sich, dass lediglich Fälle vollständiger Identität (auch des Antrags) erfasst sein sollten.158 Bei Annahme, dass das Verbot eines Zweitverfahrens sämtliche Fälle der Kernpunktlehre erfasst, würde aber der Justizgewährungsanspruch des Einzelnen über alle Gebühr eingeschränkt. Denn dann würde es dem Kläger bei einem abweichenden, aber kernpunktidentischen Rechtsschutzziel nicht mehr möglich sein, den Abschluss des ersten Verfahrens abzuwarten. Er wäre vielmehr zwingend auf den Weg der Widerklage als ein a maiore ad minus-Argument zu verstehen ist. Danach wäre es nicht nachvollziehbar, die schwächere ausländische Rechtshängigkeit zu einem abweisenden Prozessurteil führen zu lassen, dagegen bei der auf einer späteren Stufe eingreifenden, wirkungsmächtigeren ausländischen Rechtskraft ein inhaltsgleiches Sachurteil zu fordern. 155 So im autonomen Recht BGH NJW 1964, 1626; BGH 1986, 2193; hierzu Linke, in: FS Schütze, S. 429; Geimer NJW 1977, 2023; Sepperer, S. 87. 156 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861. 157 Oben § 15 II 1. 158 „Ließe man schließlich eine zweifache Durchführung des Verfahrens in der Hauptsache, wie sie hier stattgefunden hat, zu, so könnte auf diese Weise der Gläubiger wegen derselben Forderung zwei vollstreckbare Titel erhalten“, EuGH, Urt. v. 30.11.1976, Rs. 42/76 – De Wolf/Cox, aaO.; aA: Sepperer, S. 131, 132: der Verweis auf Art. 21 EuGVÜ sei ein beweglicher, so dass er auch die spätere Modifizierung des Streitgegenstands erfasse.
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verwiesen. Der vollständige teleologische Gleichlauf würde die Rechtsschutzinteressen des blockierten Klägers noch stärker als bisher beeinträchtigen. Dies käme einer weitreichenden Präklusion von Klagerechten gleich, die über die konkret anzuerkennenden Wirkungen des Ersturteils hinausreichen würde. An sich ist die Idee, für die Rechtshängigkeitssperre nach Art. 27 I EuGVVO nach Abschluss des Erstverfahrens eine Entsprechung zu finden, aber beifallswert. Wie immer hängt die Frage aber vom richtigen Maß ab.
2. Vorbehalte gegen ein weites Rechtskraftkonzept Zur Aufrechterhaltung des teleologischen Zusammenhangs zwischen Art. 27 I EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nach Abschluss des ersten Verfahrens könnte deswegen ein gemeineuropäisch weites Rechtskraftverständnis zwingend erforderlich sein.159 Beschränkten sich die Rechtskraftvorstellungen des Urteilsstaates auf den Tenor der Entscheidung, wäre der Richter im Folgeprozess nicht an die Feststellungen der Erstentscheidung gebunden. Das Unvereinbarkeitspotential (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO) beider Judikate bestünde dessen ungeachtet weiter.160 Insoweit erweist sich der Umstand, dass nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO die Priorität des Entscheidungserlasses (bzw. der Verfahrenseinleitung) keine Rolle spielt, als erheblicher Nachteil und kontraproduktiv.161 Denn Ziel der Verordnung sollte die Ermöglichung und nicht die Verhinderung der Urteilsanerkennung im gemeinsamen europäischen Rechtsraum sein. Denkbar wäre, diesem Missstand durch autonome, an Art. 27 EuGVVO bzw. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO ausgerichtete Rechtskraftgrenzen abzuhelfen, um der Situation der Anerkennungsverweigerung zu entgehen: „Hier ist die Frage nach dem Zusammenhang von Rechtshängigkeit und Rechtskraft also keine allgemein-theoretische, sondern eine konkret zu lösende.“162
Um den Funktionszusammenhang zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft zu wahren, müsste auch der sachliche Umfang der materiellen Rechtskraft autonom bestimmt werden: Hierzu wird vorgeschlagen, in Teilbereichen aus intrasystematischen Gründen des EuGVÜ/der EuGVVO eine Art Bindungswirkung wegen Sachzusammenhangs anzunehmen, wobei die nationalen Verfah-
159
Böhm in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 155 f.; Musger, ÖRiZ 1993, 200; Schack, IPRax 1989,
141. 160
Oberhammer, JBl 2000, 218; ders. IPRax 2002, 428 ff. Schlosser, Art. 34 EuGVVO Rn. 22; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 180; Schack, IZVR, Rn. 945. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO erweist sich auf diese Weise als Anachronismus, welcher der Gleichwertigkeit aller Gerichtssysteme widerspricht; vgl. auch unten § 38 I. 162 So mit Recht Oberhammer, IPRax 2002, 430 f. Betrifft das zweite Verfahren ein völlig unterschiedliches Rechtsschutzziel, wäre ein rechtskraftindizierter Ausschluss ohnehin nicht mit dem Justizgewährungsanspruch vereinbar. Vgl. allgemein dazu Groh, ZZP 51 (1926), 145 f. 161
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
rensrechte der beteiligten Staaten ausgeblendet bleiben.163 Aus diesem Grund befürwortet etwa Böhm auch ein vertragskonformes Konzept der materiellen Rechtskraft im nationalen Recht, wenngleich ein solches unmittelbar nicht aus dem EuGVÜ ableitbar sei.164 Die Koinzidenz zu Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO könne nur auf diese Weise hergestellt werden, da die Kernpunktrechtsprechung ein für die weitere europäische und nationale Entwicklung unverrückbares Ereignis darstelle.165 Trotz unterschiedlicher Auffassungen in den Mitgliedsstaaten sei die nationale Rechtskraftlehre mit den Vorgaben des EuGVÜ abzustimmen.166 Zur Verhütung grenzüberschreitender Rechtskraftkonflikte könnten die Urteilswirkungen an einem europäischen Streitgegenstand ausgerichtet werden.167 Möglicherweise genügen die in der französischen Doktrin maßgeblichen Elemente objet (Gegenstand) und cause (Grund), die nicht zufällig in die französische Textfassung von Art. 21 eingeflossen sind168, auch für eine gemeineuropäische Begriffsbildung bei der Rechtskraft.169 Aus diesem Grund ist nach Ansicht von Böhm eine Anpassung enger nationaler Rechtssysteme, vor allem des österreichischen und deutschen Modells, geboten.170 Die europäische Rechtsprechung zur Rechtshängigkeit könnte hierfür wertvolle Anhaltspunkte bieten. Gleiches gelte für die Auslegung der in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ angesprochenen sachlichen Unvereinbarkeit von Entscheidungen, die bereits in der österreichischen Judikatur mit der Figur des „logisch unvereinbaren Gegensatzes“ eine Entsprechung 163 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 155; ähnlich bereits Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 1, 34 ff. 79 ff.; Mittenzwei, Verhinderung, S. 196: Erweiterung auf Vorfragen, wenn der zukünftige Anerkennungsstaat diese Reichweite kennt, um die Nichtanerkennung des Judikats zu vermeiden. 164 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 155 f. 165 Einen im Vergleich zu Art. 21 EuGVÜ begrenzten Umfang von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ lehnt Böhm ab: „Da aber der Begriff der Unvereinbarkeit nicht nur das kontradiktorische Gegenteil, sondern zumindest auch den Verstoß gegen die Bindungswirkung umfasst, kann er zweifellos nicht enger verstanden werden als der vom EuGH gerade im Blick auf Art. 27 Nr. 3 bestimmte Begriff desselben Anspruches“. Im Ergebnis kommt dieses Resümee einer Kapitulationserklärung gleich. 166 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 157. 167 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 157, Fn. 40; a.A. Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 138 f., 150, 155 f. 168 Oben § 14 II, § 15 III 1, 2. 169 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 158, mit Verweis auf die Einschätzung Leipolds: „Ein europäischer Begriff des Streitgegenstands, der den Rückgriff auf die nationalen Rechte entbehrlich machen könnte, ist derzeit noch nicht erkennbar. Vielleicht gelingt es, ihn in der Zukunft zu finden – durch eine sich vorsichtig vorantastende Rechtsprechung und durch intensive prozessrechtsvergleichende Bemühungen der Wissenschaft“, in: Kroeschell/Cordes, S. 76. 170 Böhm befürwortet insoweit die erkennbare Tendenz in der österreichischen Judikatur, auch dann Bindungswirkung anzunehmen, wenn die beiden verschiedenen Prozessgegenstände in so engem inhaltlichen Zusammenhang stehen, dass Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie dies erfordern, aaO., S. 158 f.
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finde. Insoweit spräche auch nichts dagegen, Sinnzusammenhänge nach dem Vorbild Zeuners in die Rechtskraftlehre einzubeziehen.171 Die Folgen eines weiten Rechtskraftkonzeptes sind aber ungleich schwerwiegender als jene Konzentrationswirkungen, die durch eine weitgreifende Rechtshängigkeitssperre hervorgerufen werden. Gegen ein die Entscheidungsgründe einbeziehendes Rechtskraftkonzept, wie es heute in England, Frankreich, Belgien und Griechenland in unterschiedlichem Umfang zur Anwendung kommt172, spricht, dass die Beteiligten vor Überraschungsentscheidungen mit entsprechender Bindung geschützt sein sollten.173 Der Gesetzgeber der deutschen ZPO und der Mehrheit der Mitgliedstaaten hat sich somit bewusst für eine Orientierung an der konkreten Rechtsbehauptung (§ 322 I ZPO) entschieden, was die Notwendigkeit der Zwischenfeststellungsklage erklärt. Mit dem Bezug zum petitum wird der Parteiwille und das Prinzip der Parteidisposition zweifellos stärker verwirklicht. Zudem dient die Orientierung an Klageantrag und Urteilstenor der Rechtssicherheit und – klarheit. Durch diese enge Begrenzung auf die Urteilsformel ruht die Rechtskraft von Anfang an auf einem festen Fundament. Auf der Seite der Vorteile einer globalen Sicht stünde zwar das Verdienst, den Konflikt umfassend und endgültig klären zu können. Der Aspekt des Rechtsfriedens spricht aber eher gegen eine ausufernde Rechtskraftbemessung, weil das Verfahren mitunter nur durch vorsorglich vorgebrachte Einwendungen und Behauptungen belastet würde.174 Ein Widerspruch in den Entscheidungsgründen kann im Übrigen für die Rechtsordnung erträglicher sein als eine Perpetuierung des ersten Fehlurteils.175 Auch aus diesem Grund hat der deutsche Gesetzgeber die Gefahr widersprechender Entscheidungsbegründungen bewusst in Kauf genommen. Insofern erscheinen die kontinentaleuropäischen Konzepte überlegen. Im Übrigen bestünde bei einer europaweiten Bindung an die (tragenden) Entscheidungsgründe ein erhebliches praktisches Sprachenproblem. Die Durchforstung eines ausländischen Urteils auf sämtliche Nuancen der Entscheidungsgründe kann dem inländischen Richter aber nicht zwingend aufgegeben werden.176 Ob ein einheitlicher europäischer Rechtskraftbegriff im 171
Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 158 f. Weitergehend (als Zeuner) bereits EngelmannPilger, S. 91 ff., allerdings de lege ferenda. 172 Oben § 13 II, § 14 II. 173 Münch, Ritsumeikan Law Review, Nr. 20 (2003), 230. 174 Auch oben § 18 I 6. Der Streit würde im Übrigen nur zeitlich nach vorne verlagert, weil sich der Zweitrichter dann Gedanken darüber machen müsste, nicht wie eine Frage zu entscheiden ist, sondern ob sie bereits mitentschieden ist. 175 Walker, ZZP 111 (1998), 452, im Anschluss an MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 322 Rn. 54. Anders bewertet hingegen K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 190 f., das Risiko der Streitaufblähung bei einer Rechtskraftwirkung der tragenden Entscheidungsgründe. 176 R. Stürner, in: FS Schütze, S. 920 f.; ders., RabelsZ 69 (2005), 251, aus Sicht der Principles of Transnational Civil Procedure: „As a result, the Principles suggest a rather limited
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Blickfeld des Übereinkommens lag, muss überdies bezweifelt werden, weil die Kommission im Bericht zur Neufassung des EuGVÜ 1978 festgestellt hat, dass es nicht ihre Aufgabe sei, „die durch die Verschiedenartigkeit der nationalen Rechtsordnungen auftretenden Probleme in Bezug auf die Rechtskraftwirkungen in allgemeiner Weise zu lösen“.177 Nach R. Stürner 178 spreche zwar für ein am common law orientiertes europäisches Rechtskraftsystem, dass das englische Modell in den USA einen weiteren mächtigen Vertreter habe und sich auch das ursprünglich allein durch das deutsche Recht beeinflusste japanische Prozessdenken in Einzelpunkten der angloamerikanischen Rechtskraftlehre („issue preclusion“) annähere. Dennoch sei für ein weiträumiges und vielgestaltiges Rechtsgebiet wie die EU die einfachere und zurückhaltendere Rechtskraftlehre des deutschen Rechtskreises letztlich vorzugswürdig.179 Sie stelle nicht nur teilweise den ‚kleinsten gemeinsamen Nenner‘ dar, sondern werde auch dem Umstand gerecht, „dass die genauere Analyse fremdsprachiger – gegebenenfalls übersetzter – Urteile schwierig ist und oft Kenntnisse des fremden Rechts verlangen wird, die der Richter des Zweitstaates nicht haben kann.“180 Leipold hatte zwar angedeutet, dass es denkbar wäre, „den vom EuGH intendierten europäischen Rechtshängigkeitsbegriff durch einen europäischen Rechtskraftbegriff aufzufüllen.“181 Angesichts der tiefgreifenden Verschiedenheiten zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sei dies jedoch ein äußerst schwieriges Unterfangen. Der EuGH hat eine gemeineuropäische Bestimmung der Rechtskraftgrenzen bisher aus Kompetenzgründen unterlassen.182 Ein autonomer Rechtskraftbegriff kommt nicht in Betracht, da es hinsichtlich des Umfangs der Rechtskraftform of claim preclusion and do not, in principle, recognize issue preclusion. This sparing solution takes into account that the judges of a court recognizing a foreign judgment would need to have remarkably good knowledge of foreign law if they had to determine the scope of a claim or issue preclusion according to the common law model. Such knowledge would generally require intensive and expensive expert assessment, which nonetheless may not always be available or reliable. All this speaks well for a more modest solution casting the formal claims for relief as a relatively clear and uncomplicated standard.“ Allerdings spielt das Sprachenproblem auch eine Rolle bei der Auffindung von indirekten Rechtskraftkonflikten im Rahmen der Unvereinbarkeit. 177 Bericht von Schlosser, BT-Drs. 10/61, Nr. 191. 178 R. Stürner, in: FS Schütze, S. 923 f. 179 R. Stürner, in: FS Schütze, S. 923 f. 180 R. Stürner, in: FS Schütze, S. 924; ähnlich ders. in: FS Heldrich, S. 1068 f. 181 Hierzu auch Leipold, in: GS Arens (1993), S. 240. 182 Das EuGVÜ enthält keine Anhaltspunkte dafür, wie ein europäischer Rechtskraftbegriff aussehen könnte. Denkbar wäre ein Rückgriff auf die Begriffe cause und objet, die im französischen Recht zur Kennzeichnung zur Anwendung kommen. Dieser Weg wurde indes ausdrücklich in den Motiven der Ersten Kommission zum BGB abgelehnt, Mugdan, Materialien I, S. 550; oben § 16 II 8. Auch Sepperer, S. 140 f., 145, 151, lehnt für den Umfang des nebis-in-idem-Einwands der Rechtskraft eine Ausrichtung an den Grenzen der Kernpunkttheorie des EuGH ab.
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wirkung völlig an einem Fingerzeig des europäischen Gesetzgebers fehlt.183 Dem EuGH kann zwar der Vorwurf nicht erspart bleiben184, dass er die mittelbaren Auswirkungen seiner Lehre zum Umfang der Rechtshängigkeitssperre auf die Rechtskraft zu wenig bedacht hat.185 Zu einem entsprechend gemeineuropäisch erweiterten Rechtskraftmodell sollte dies jedoch nicht vorschnell verleiten.186 Im Übrigen erscheint es auch deswegen aus europäischer Sicht geboten, Zurückhaltung zu wahren, weil die Rechtskraft als Institut, wie es bereits Puchta im 19. Jahrhundert ausdrückte, in der Sache zwischen zwei Stühlen, dem materiellen Recht und dem Verfahrensrecht, steht. Diese Grenzlage könnte dafür sprechen, die Rechtskraft vollständig den Lehren des jeweiligen nationalen Rechts zu überlassen.187
V. De lege ferenda: der Kommissionsvorschlag vom 14.12.2010 Anlässlich der Konferenz von Tampere im Jahr 1999 hatte sich der Europäische Rat für einen allmählichen Abbau verfahrensrechtlicher Zwischenmaßnahmen ausgesprochen, um die grenzüberschreitende Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern.188 Auch das Maßnahmenprogramm des Rates vom 15.1.2001 bezeichnete die schrittweise Abschaffung des Exequaturverfahrens als ein wichtiges Ziel, das es mittelfristig zu verwirklichen gelte.189 In Folge hat das von der Europäischen Kommission herausgegebene Grünbuch zur Überprüfung der Brüssel I-VO190 im Jahr 2009 einen Reformprozess ausgelöst.191 Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Neufassung der Brüssel I-VO vom 14.12.2010 sieht nun eine Abschaffung des förmlichen Exequaturverfahrens vor192, so dass Entscheidungen in Zivil- und 183 Walker, ZZP 111 (1998), 451; im Ergebnis ebenso Sepperer, S. 151, aus der Perspektive des Anerkennungsrechts: Der mit der Übertragung der Kernpunktlehre auf den Rechtskraftumfang verbundene Souveränitätsverzicht sei von den Mitgliedstaaten der EuGVO nicht gewollt. 184 Musger, ÖRiZ 1993, 192. 185 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 155; ebenso Lenenbach, EWS 1995, S. 365. 186 Zu Bedenken Oberhammer, IPRax 2002, 430; Sepperer, S. 151. 187 Ch. Wolf, EuZW 1995, 365; Sepperer, S. 145, 151. 188 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Tampere), 15./16. 10. 1999, NJW 2000, 1925 Rz. 34; vgl. auch Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286. 189 Vgl. ABlEG 2001 Nr. C 12, S. 1 ff. 190 Grünbuch der Kommission vom 21.04.2009 zur Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001, KOM (2009) 175 endgültig, S. 1 f. 191 Vgl. zur Diskussion Oberhammer, IPRax 2010, 197, 202; Schlosser, IPRax 2010, 101 ff.; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105 ff.; vgl. auch McGuire, Reformbedarf, S. 134 f. 192 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Voll-
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Handelssachen künftig automatisch in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar wären (vgl. Art. 38 II Kommissionsvorschlag).193 Nach dem Kommissionsvorschlag wird darüber hinaus eine ausländische Entscheidung, wie bereits bisher, automatisch in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt (vgl. Art. 38 I). Die Anerkennungshindernisse nach Art. 34 EuGVVO, die nicht nur bei der Vollstreckung (Art. 45 EuGVVO), sondern auch bei der Inzidentanerkennung einer ausländischen Entscheidung eine Rolle spielen, sollen jedoch teilweise abgeschafft bzw. modifiziert werden. Möglicherweise wird dies auch Auswirkungen auf die Auslegung von Art. 27 I EuGVVO haben. Art. 34 Nr. 1 EuGVVO findet zwar eine verfahrensrechtliche Entsprechung in der Option, im Vollstreckungsmitgliedstaat einen gerichtlichen Antrag auf Verweigerung der Anerkennung oder Vollstreckung zu stellen, wenn ihr jeweils wesentliche Grundsätze entgegenstehen sollten, die dem Recht auf ein faires Verfahren zugrunde liegen (vgl. Art. 46 Kommissionsvorschlag). Jedoch bleiben Verstöße gegen den materiellrechtlichen ordre public des jeweiligen Anerkennungsstaates ausgeblendet. Das bisherige Anerkennungshindernis nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO kann nach dem Kommissionsvorschlag (vgl. dort Art. 45) nur zu einer Nachprüfung der ausländischen Entscheidung im Erststaat führen. Schließlich werden auch die im Rahmen dieser Arbeit vor allem relevanten Tatbestände nach Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVVO weiter vom Reformvorschlag berücksichtigt. Insoweit soll die Vollstreckungsbehörde des Zweitstaates die Vollstreckung verweigern können, wenn die ausländische Entscheidung mit einer inländischen Entscheidung unvereinbar ist (Art. 43 lit a Kommissionsvorschlag), wobei das kritikwürdige Nationalitätsprinzip beibehalten wird.194 Sinnvoll wäre es dagegen gewesen, entsprechend dem Prioritätsprinzip, nur der früher ergangenen inländischen Entscheidung den Vorzug zu geben. Zudem sei erwähnt, dass die zuständigen Vollstreckungsorgane, etwa der deutsche Gerichtsollzieher, zum einen mit der Konkretisierung und Anpassung unbestimmter ausländischer Titel überfordert sein könnten und zum anderen die Unvereinbarkeit von Entscheidungen i.S.d. der Rechtsprechung des EuGH nicht immer sicher feststellen
streckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.12.2010, KOM (2010) 748 endgültig, S. 7 f. Nach einer Stellungnahme des Rechtsausschusses des Europ. Parlaments v. 28.6.2011 soll die Reform freilich maßvoller als zunächst geplant verlaufen. 193 Begrüßend Hess, IPRax 2011, 128. Das bisherige Exequaturverfahren soll nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission jedoch mit leichten Modifikationen weiter Anwendung finden für Entscheidungen, die eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten zum Gegenstand haben (vgl. Art. 37 III a Kommissionsvorschlag). Gleiches soll gelten für Entscheidungen in Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 37 III b Kommissionsvorschlag), da in beiden Fällen die bestehenden nationalen Unterschiede noch zu groß seien. 194 B. Hess, IPRax 2011, 128; ders., Europäisches Zivilprozessrecht, S. 351; lediglich Art. 43 lit. b trägt dem Prioritätsprinzip Rechnung; vgl. dazu auch Althammer, in: FS Kaissis (im Erscheinen).
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werden können.195 Für die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ohne richterlichen Implementierungsakt sind diese bisher nicht ausreichend ausgebildet. Die Überprüfung dieses Vollstreckungshindernisses sollte deswegen zukünftig weiter einem gerichtlichen Rechtsbehelf überanwortet werden.196 Darüber hinaus existiert im Kommissionsentwurf ein Art. 34 Nr. 3, 4 EuGVVO vergleichbares Anerkennungshindernis nicht (vgl. auch Art. 39 III Kommissionsvorschlag). Dies mag, am Rande bemerkt, auch als Fingerzeig für eine bereits gegenwärtig gebotene enge Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO dienen, um die Urteilsfreizügigkeit zu fördern. Zunächst sollen jedoch die bisher kaum bedachten Folgen vergegenwärtigt werden, welche ein Verzicht auf ein Art. 34 Nr. 3 EuGVVO entsprechendes Anerkennungshindernis nach sich ziehen könnte. Hierbei gilt es zwischen Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsurteilen zu differenzieren. Erstere werden ihrer Bestimmung gemäß zur Vollstreckung gebracht, so dass Art. 43 (Kommissionsvorschlag) als Vollstreckungshindernis erforderlichenfalls eingreifen kann.197 Für Feststellungsurteile und Gestaltungsentscheidungen fehlt es freilich an einer verordnungsautonomen Möglichkeit, um zu verhindern, dass eine trotz Art. 27 I EuGVVO eingetretene Urteilskollision sich im Anerkennungsstaat manifestiert. Die innerstaatliche Rechtsordnung könnte beeinträchtigt werden, ohne dass ein europäischer Abwehrmechanismus bestünde. Insoweit können sich nach Anerkennung widersprechende Feststellungs- und Gestaltungsurteile, aber auch Leistungsund Feststellungsurteile gegenüberstehen. Wird die Anerkennung eines Feststellungsurteils verlangt, durch das die Nichtigkeit eines Vertragsverhältnisses rechtskräftig festgestellt wird, dessen Wirksamkeit aber ein im Anerkennungsstaat ergangenes Leistungsurteil gerade voraussetzt, kann dieser nicht mit einer analogen Anwendung von Art. 43 (Kommissionsvorschlag) begegnet werden. In diesem Fall kann allenfalls auf eine nationale Restitutionsklage zurückgegriffen werden. Widersprüchlich erscheint zudem, dass die Rechtskraftwirkungen eines Leistungsurteils eventuell anzuerkennen sind, aber dessen Vollstreckung wegen Art. 43 (Kommissionsvorschlag) ausgeschlossen bleiben kann. Eine Restitution i.S.v. § 580 I Nr. 7a ZPO verlangt das Auffinden eines in derselben Sache ergangenen Urteils, welches vor dem angefochtenen Urteil rechtskräftig geworden ist.198 Dies erfasst nach h.L. nicht nur die vollkommene Streitgegenstandsidentität (nach nationalem Recht), sondern auch die Situation, dass
195 BR-Drs. 833/10, S. 2; R. Wagner/M. Beckmann, Beibehaltung oder Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens in der EuGVVO?, RIW 2011, 52. 196 R. Wagner/M. Beckmann, RIW 2011, 51; Althammer, in: FS Kaissis (im Erscheinen). 197 Denkbar ist zudem, dass die ausländische Entscheidung, obwohl sie wegen Unvereinbarkeit nicht vollstreckt werden kann, in ihrer Rechtskraftwirkung anzuerkennen ist. 198 Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 580 Rn. 24; Musielak/Musielak, ZPO, § 580 Rn. 13; Zöller/Greger, ZPO, § 580 Rn. 14.
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der zweite Streitgegenstand vom ersten präjudiziell abhängig ist.199 Auch ausländische, insbesondere mitgliedstaatliche Entscheidungen werden nach ihrer Anerkennung von § 580 Nr. 7a ZPO in Blick genommen. 200 Angefochten und aufgehoben werden kann aus Kompetenzgründen jedoch nur die deutsche Entscheidung. 201 Ist die anzuerkennende ausländische Entscheidung also zeitlich nach der deutschen ergangen, stehen beide grundsätzlich in ihren Wirkungen nebeneinander, da § 580 Nr. 7a ZPO nicht anwendbar ist. 202 In Situationen, in denen eine Restitutionsklage aus anderen Gründen nicht in Betracht kam, hat die Judikatur den Konflikt bereits zugunsten der älteren Entscheidung entschieden, weil die Zweitentscheidung wegen Verstoßes gegen die materielle Rechtskraft des Ersturteils unbeachtlich bleibe müsse. 203 Nach § 322 I ZPO erlangen die Entscheidungsgründe des deutschen Leistungsurteils im obigen Beispiel aber keine Rechtskraftwirkung. Freilich wird dem Leistungsanspruch mit dem anzuerkennenden ausländischen Feststellurteil, das die Nichtigkeit des relevanten Vertrages festhält, die materiellrechtliche Grundlage entzogen. 204 Der Verzicht auf ein autonomes Anerkennungshindernis rückt die divergierenden nationalen Rechtskraftvorstellungen und Rechtsbehelfe in den Vordergrund. Unterschiede bei der Restitution und Kassation lassen diese Entwicklung aber fraglich erscheinen.205 Im Gegensatz zur Abschaffung des Anerkennungshindernisses der Verletzung des materiellen ordre public wirkt der Verzicht auf Art. 34 Nr. 3 EuGVVO vor dem Hintergrund des Vertrauensgrundsatzes206 auch nicht sonderlich integrativ.207 199
MünchKomm/Braun, ZPO, § 580 Rn. 40. Aufgehoben werden freilich kann nur die inländische Entscheidung. 201 Vgl. dazu B. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 351, der Art. 34 Nr. 3 EuGVVO durchaus für verzichtbar hält: „Die Anwendung der Restitutionsvorschriften auf ausländische Urteile setzt freilich die Bereitschaft der Staaten zur Aufhebung inländischer Titel durch ausländische Gerichte voraus – diese Perspektive erscheint vor dem Hintergrund der heterogenen Wiederaufnahmeverfahren in den Europäischen Prozessrechten verfrüht.“ Siehe auch § 38 III 3. 202 Vgl. Hahn, Materialien II/1, S. 291, wonach inhaltlich widersprechende Entscheidungen unter denselben Parteien im Volke als ein schwerer Übelstand empfunden werden müssten. Richtigerweise wird eine relevante Rechtsverwirrung nicht bereits anzunehmen sein, wenn sich Urteile nur auf Begründungsebene widersprechen, ohne dass diese Feststellungen Rechtskraft erlangt haben. 203 Die Frage ist sehr umstritten: § 580 Nr. 7a ZPO kommt nach dieser Ansicht nur deklaratorische Bedeutung zu, BGH NJW 1981, 1517, 1518; BAG NJW 1986, 1831, 1832; a.A.: MünchKomm/Braun, ZPO, § 580 Rn. 40. Dies gilt auch für die präjudizielle Wirkung der Rechtskraft, a.A.: Musielak/Musielak, ZPO, § 580 Rn. 13. 204 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 142. 205 In Frankreich etwa kommt im Rahmen des pourvoi en cassation nach Art. 617 C.proc. civ. ebenfalls das Prioritätsprinzip zum Einsatz, vgl. Schack, IZVR, Rz. 945. 206 KOM (2010) 748 endgültig, S. 6; kritisch dazu bereits Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23 ff. 207 So auch Althammer, in: FS Kaissis (im Erscheinen). 200
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An dieser Stelle der Arbeit ist aber noch ein anderer Befund entscheidend: Durch die beabsichtigte Abschaffung der Anerkennungshindernisse nach Art. 34 Nr. 3, 4 EuGVVO verliert die vom EuGH begründete Kernpunkttheorie eventuell ihren Fixpunkt. Danach dient die Rechtshängigkeitssperre i.S.v. Art. 27 I EuGVVO gerade dazu, unvereinbare Entscheidungen zu verhindern, um eine spätere Nichtanerkennung einer der Entscheidungen zu vermeiden. Spielt das drohende Potential der Anerkennungsverweigerung nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO bei Feststellungs- und Gestaltungsentscheidungen überhaupt keine Rolle mehr bzw. ist dies Kriterium der Unvereinbarkeit bei Leistungsklagen zum bloßen Vollstreckungshindernis degradiert, sollte sich der Gerichtshof bemühen, andere Kriterien zur Konkretisierung von Art. 27 I EuGVVO zu Rate zu ziehen. Insoweit könnte das hier vorgeschlagene Kriterium der Interessenidentität zukünftig als Orientierunspunkt dienen. 208 Die folgenden Überlegungen zur Ausrichtung von Art. 27 I EuGVVO orientieren sich aber an der gegenwärtigen Fassung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO.
208
Vgl. dazu auch § 39 I.
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§ 37 Die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Schrifttum Bevor der vom EuGH bemühte teleologische Zusammenhang zwischen Art. 27 I EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO abschließende Beurteilung erfahren kann, gilt es, den Maßstab der Unvereinbarkeit abzustecken. Angesichts der Unwägbarkeiten der vom EuGH genannten Formel und deren Anwendung in Hoffmann/Krieg 209 kann es nicht verwundern, dass auch im Schrifttum bisher keine Einigkeit darüber erzielt wurde, wann Entscheidungen im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO miteinander unvereinbar sind. 210
I. Orientierung an Rechtskraftzusammenhängen 1. Die Auffassung von Leipold und Lenenbach Der Bericht von Jenard weist darauf hin, dass durch die Bestimmungen über Rechtshängigkeit und Sachzusammenhang im EuGVÜ die meisten Fälle von Unvereinbarkeiten bereits im Vorfeld verhindert werden könnten. 211 Ein Teil der Lehre favorisiert für Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO deswegen eine enge Interpretation, ohne sich auf eine feste Definition festlegen zu wollen: „Gerade wenn man die Nichtanerkennung nach Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ als unerwünschte Rechtsfolge ansieht, liegt es näher, diese Bestimmung eng auszulegen, als eine erst durch weite Auslegung des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ geschaffene Gefahr durch eine weite Auslegung der Rechtshängigkeit auffangen zu wollen.“212
Fasse man Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ eng, so sei es auch nicht mehr erforderlich, die Rechtshängigkeitssperre derart weit auszulegen. 213 Denn hierdurch würden die 209
Oben § 36 II. S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 167 f.; Oberhammer, JBl 2000, 208, bezeichnet den Maßstab als keineswegs geklärt. 211 Bericht von Jenard, ABlEG 1979 Nr. C 59, S. 29 f. 212 So etwa Leipold, in: GS Arens, S. 235; vgl. hierzu K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 201, 202. Für eine enge Auslegung auch Lenenbach, S. 151 ff.; Schack, IPRax 1989, 140; Leible/Freitag, Forderungsbeitreibung, § 5 Rn. 140. 213 Leipold, in: GS Arens, S. 235. 210
§ 37 Die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Schrifttum
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Rechtsschutzinteressen einer Partei gefährdet, insbesondere deren Anspruch auf Justizgewährung. Den Ausgangspunkt für eine restriktivere Interpretation der Unvereinbarkeitsregel sollen die konkreten Rechtskraftwirkungen bilden. Ein Feststellungsurteil aber, das die Unwirksamkeit eines Vertrages feststelle, enthalte keine rechtskräftige Aussage über den Leistungsanspruch aus dem Vertragsverhältnis und umgekehrt. Beide wären deswegen gerade nicht miteinander unvereinbar, da der Konflikt nur zwischen dem rechtskraftfähigen Ausspruch der Feststellungsklage und den nicht rechtskraftfähigen Urteilsgründen des Leistungsurteils bestünde. Der EuGH wäre somit vermutlich in der Entscheidung Gubisch/Palumbo214 zu einem anderen Ergebnis gelangt, hätte er bei Bestimmung des Begriffs der Unvereinbarkeit auf die jeweiligen Rechtskraftwirkungen abgestellt. 215 Deren Umfang bestimme sich aber nach dem Recht des Urteilsstaates. 216 Die Verurteilung zur Leistung in Deutschland enthalte (Ausnahme: § 256 II ZPO) keinen rechtskräftigen Ausspruch hinsichtlich der Wirksamkeit des Vertrages. Insoweit würde nach deutschem Verständnis ein italienisches Feststellungsurteil, das die Unwirksamkeit des Vertrages feststellt, der Vollstreckung eines zuvor ergangenen Leistungsurteils nicht entgegenstehen. 217 Bei nachträglicher Unwirksamkeit des Vertrages im Verhältnis zum Leistungsurteil müsste dem Leistungsurteil hingegen mit der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) entgegengetreten werden 218, um seine weitere Vollstreckung zu verhindern. Im Sinne der deutschen Rechtskraftlehre wäre in der Entscheidung Hoffmann/Krieg 219 die Vollstreckung eines deutschen Unterhaltsurteils in den Niederlanden trotz des niederländischen Scheidungsurteils möglich gewesen, solange dieser Umstand nicht im Wege einer Vollstreckungsklage geltend gemacht worden wäre. Der EuGH hebe somit nicht auf die konkreten Rechtskraftwirkungen ab, sondern frage lediglich, ob die Rechtsfolgen der Entscheidungen sich gegenseitig ausschließen. Auch nach Lenenbach führt das weite Unvereinbarkeitsverständnis zu vermeidbaren Schwierigkeiten bei der Interpretation von Art. 21 EuGVÜ. 220 Zum einen müsste ein nationales Gericht bei der Beurteilung, ob identische Klagen im Sinne von Art. 21 EuGVÜ vorlägen oder ein ausländisches Urteil mit einer nationalen Entscheidung im Sinne von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ unvereinbar sei, bei Annahme eines europäischen Streitgegenstandsbegriffes von erheblich 214
Oben § 15 II 1. Leipold, in: Kroeschell/Cordes, S. 75; Linke, RIW 1988, 823. 216 Leipold, in: Kroeschell/Cordes, S. 75. 217 Leipold, in: Kroeschell/Cordes, S. 75. 218 Leipold, in: GS Arens, S. 235: „Dass der EuGH auf diese Weise die Unvereinbarkeit von Urteilen (und als Konsequenz hieraus auch die Rechtshängigkeitswirkung) weit auslegt und sie von der Rechtskraftwirkung abkoppelt, ist alles andere als selbstverständlich.“ 219 Oben § 36 II. 220 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 131 f.; ders., EWS 1995, 364; zustimmend Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 254; vgl. zu Lenenbach auch Sepperer, S. 137 f. 215
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anderen Urteilswirkungen ausgehen als denen, die nach Art. 26 EuGVÜ anzuerkennen seien. 221 Diese Transformation der Urteilswirkungen auf europäischer Ebene würde ein Urteil in Bruchstücke unterschiedlicher Wirkungen zerreißen, je nachdem in welchem Teilbereich des EuGVÜ das Urteil Bedeutung erlange. 222 Der europäische Streitgegenstands- und Urteilswirkungsbegriff stünde im Spannungsverhältnis zu den tatsächlich anzuerkennenden Urteilswirkungen. 223 Bei der Schaffung eines europäischen Streitgegenstandsbegriffs würden ausländischen Entscheidungen vom Anerkennungsstaat Wirkungen beigemessen, die sie nach ihrer eigenen Rechtsordnung gar nicht kennen und inländischen Urteilen Wirkungen zugesprochen, die die inländische Rechtsordnung nicht enthält. Eine Rechtfertigung für einen solch weitgehenden Souveränitätsverlust der Mitgliedsstaaten halte die EuGVÜ aber nicht bereit. 224 Ein gemeineuropäischer Standard möge erstrebenswert erscheinen, aus dem geltenden Übereinkommen/der Verordnung lasse er sich jedoch nicht ableiten. Das ausländische Gericht sei an Feststellungen in den Entscheidungsgründen, die nicht in materielle Rechtskraft erwachsen, nicht gebunden. Der EuGH lasse aber solche Widersprüche in den Entscheidungsgründen für die Annahme von Unvereinbarkeit genügen 225: Eine Auslegung, welche unvereinbare Entscheidungen auch bei ordnungsgemäßer Prozessführung annehme, eben weil die entsprechende Vorfrage vom anderen Gericht nicht bindend entschieden war, verstoße gegen die Parteiinteressen. In der Entscheidung Hoffmann/Krieg 226 wäre auch ein anderer Weg über die Anerkennung des niederländischen Gestaltungsurteils in Deutschland nach Art. 7 § 1 FamRÄndG (nunmehr: § 107 FamFG) möglich gewesen. Nach § 767 ZPO (nunmehr i.V.m. § 120 I FamFG) hätte dann eine Vollstreckungsgegenklage die Vollstreckung aus dem deutschen Leistungsurteil zum Stillstand gebracht. Das Urteil über die Vollstreckungsgegenklage wäre wiederum in den Niederlanden anerkannt worden, so dass auch dort keine Vollstreckung gedroht hätte. 227 In Wahrheit sei dem EuGH, so Schack, weniger an der Verhinderung sich gegenseitig ausschließender Rechtsfolgen gelegen als vielmehr an der inneren Stimmigkeit des Prozessergebnisses nach niederländi221 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 131 f.; ders., EWS 1995, 364; zustimmend Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 254. 222 In diesem Sinne Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 257. 223 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 122, pfl ichtet der Auffassung von M. Wolf, in: FS Schwab, S. 572 f., bei, eine vertragsautonome Auslegung möglichst mit den nationalen Verfahrensordnungen in Einklang zu bringen. 224 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 138. 225 Im Ergebnis würde der EuGH, so Lenenbach, Unvereinbarkeit bereits annehmen, wenn ein Urteil ein Tatbestandsmerkmal einer Norm, auf die ein anderes Urteil seine Entscheidung gründet, unterschiedlich bewertet. Diese Auslegung trifft indes nicht (mit Sicherheit), da sämtliche (positiven) Fälle des EuGH Präjudizialitätszusammenhänge im Verhältnis von Haupt- und Vorfrage betrafen. 226 Oben § 36 II. 227 Schack, IPRax 1989, 140.
§ 37 Die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Schrifttum
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scher Sicht. Dieses Ordnungsinteresse sei aber nicht stark genug, um eine Ausnahme von der Anerkennungspflicht auszulösen. 228 Lenenbach will in der Argumentationsführung des EuGH in Gubisch/Palumbo eine Diskriminierung der ausländischen Entscheidung erkennen, die dem Gebot der Gleichbehandlung der in den Vertragsstaaten des EuGVÜ ergehenden Entscheidungen zuwiderlaufe. 229 Denn dort werde angenommen, dass ein in Deutschland erwirktes Leistungsurteil unvereinbar sei mit einem italienischen Feststellungsurteil, das den Vertrag für unwirksam erklärt, auf dem der Leistungsanspruch fußt. Ein entsprechendes deutsches Leistungsurteil und Feststellungsurteil könnten nach deutscher Rechtslage ohne Weiteres nebeneinander existieren. 230 Die Beeinträchtigung durch ein ausländisches Urteil als sachlicher Differenzierungsgrund überzeuge hingegen nicht. Die Ungleichbehandlung ließe sich nur rechtfertigen, wenn sich die Störung der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates nicht durch eine anerkennungsfreundlichere Auslegung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ beseitigen ließe. Für ein deutsches Urteil käme eventuell § 580 Nr. 7a ZPO in Betracht. Erinnert man sich der Worte von Generalanwalt Darmon231, wonach es auf die Störung der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates im konkreten Fall ankomme, dann zeigt bereits ein Blick auf die Behandlung einer inländischen Konkurrenzsituation, dass von einer relevanten Störung hier nicht gesprochen werden kann. Für eine Orientierung des Unvereinbarkeitsbegriffes an Rechtskraftzusammenhängen ergreift auch P. Schlosser Partei. Die Rechnung des EuGH, unvereinbare Entscheidungen zu verhindern, gehe nur auf, wenn das vom zuerst angerufenen Gericht Entschiedene auch Rechtskraft entfalte. 232 Eine verordnungsautonome Auslegung des Begriffs der Unvereinbarkeit hält Schlosser für verfehlt, da die Rechtsfolgen eines Urteils sich nur nach nationalem Recht bestimmten. 233 Mehr als diese gegenüber ausländischen Entscheidungen durchsetzen zu wollen, sei nicht legitim. Schlosser lehnt deswegen zumindest in
228 Schack, IPRax 1989, 140. Da der Rückgriff auf Nr. 1 (ordre public) nach dem EuGH ausgeschlossen ist, sei damit zusätzlich ein Argument geliefert, warum Nr. 3 autonom und Nr. 1 nach dem Recht des Anerkennungsstaates zu bestimmen sei. Auf dieses Ordnungsinteresse hebt aber gerade auch Generalanwalt Darmon ab. Die Frage wäre m.E. dahin zu präzisieren, in welchem Umfang dieses Interesse objektiv anzuerkennen ist. 229 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 135 ff. 230 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 109, 110. 231 Oben § 36 II. 232 Schlosser, Art. 34 EuGVVO Rn. 22: „Ein inländisches Kaufpreiszahlungsurteil und eine ausländische Entscheidung, die aus Gewährleistungsgründen den Käufer zu Schadensersatz verurteilt, stehen nicht zwangsläufig in Widerspruch zueinander, sondern nur dann, wenn im inländischen Verfahren Gewährleistungseinwände zurückgewiesen worden sind und das Urteil insoweit materielle Rechtskraft entfaltet, was im Falle deutscher Urteile aber nur bei einer Feststellung nach § 256 II ZPO der Fall ist“. 233 A.A. etwa Oberhammer, JBl 2000, 218.
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der zu Gubisch/Palumbo234 zeitlich entgegengesetzten Konstellation die Annahme von Unvereinbarkeit ab.235 Aus der Warte der Wirkungserstreckungslehre236 entwickelt vor allem Lenenbach infolge ein an den tatsächlichen Rechtskraftwirkungen der Entscheidungen orientiertes Konzept, das den Widerspruch der Urteilswirkungen in den Mittelpunkt rückt.237 Unvereinbarkeit bestehe nur, wenn die anerkennungsfähigen Urteilswirkungen, also Rechtskraft-, Interventions- und Gestaltungswirkung in direktem Geltungswiderspruch stünden. 238 Inhaltliche Widersprüche in den Entscheidungsgründen allein begründeten keine Unvereinbarkeit. Sie könnten mit den im Anerkennungsstaat zur Auflösung von Urteilsdivergenzen vorgesehenen prozessualen Mitteln beseitigt werden. In Deutschland sei hierfür die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7a ZPO das geeignete Mittel. 239 Sei der Widerspruch hingegen nicht behebbar, bleibe er bestehen. Allerdings sei zu bedenken, dass die Beseitigung rein inländischer Unvereinbarkeiten mangels Rechtsharmonisierung keineswegs in allen Mitgliedstaaten in ähnlicher Weise erfolgen könne.240 Deswegen erscheint die Nichtanerkennung des ausländischen Urteils im Vergleich zur Beseitigung der Kollision erst nach Anerkennung zweifellos als einfacherer Weg. 241
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Zum Fall oben § 15 II 1 a. „Ist im Ausland die Unwirksamkeit eines Vertrages rechtskräftig festgestellt worden und ist in Missachtung dieses Urteils im Inland ein Anspruch aus dem Vertrag zuerkannt worden, dann bleibt das ausländische Urteil anerkennungspflichtig und muss als Prämisse allen weiteren inländischen Entscheidungen über Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis zugrundegelegt werden“, Schlosser, Art. 34 EuGVVO Rn. 23. 236 Diese gibt aber nur darüber Auskunft, ob Urteilswirkungen auf die Rechtsordnung des Anerkennungsstaates erstreckt werden können. Die lex fori des Anerkennungsstaates regelt, wie das anerkannte Urteil im Verfahren des Zweitstaates behandelt wird, nämlich nach den Regeln, die für ein inländisches Urteil gelten, vgl. auch Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 159 ff.; abweichend Sepperer, S. 71, 153 f. (für den ne bis in idem-Einwand). Dies betrifft auch die Frage, ob die Rechtskraft ein prozessuales oder ein materiellrechtliches Institut ist; a.A. Geimer, IZPR, Rn. 2808: „Ein Urteil dürfe im Ausland keine stärkere Wirkung als im Erststaat haben, so daß die Rechtskraft wie im Erststaat nur auf Einrede hin zu beachten ist“. 237 Ausführlich Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 159 ff.; tendenziell ebenso Lakkis, Gestaltungsakte, S. 340, welche die Wirkungserstreckungslehre nicht nur bei der Bestimmung der Wirkungen des ausländischen Urteils anwenden will, sondern auch bei der Frage, ob unvereinbare Entscheidungen vorliegen. 238 Lüpfert, Konnexität, S. 52; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 17: „Unvereinbarkeit (autonom auszulegen) liegt vor, wenn sich die rechtskraftfähigen Feststellungen widersprechen, sich die jeweils festgestellten Rechtsfolgen also wechselseitig ausschließen …, wobei die Entscheidungen mit gleicher Wirkung zu gleichen Fragen ergangen sein müssen.“ Eine Identität des Streitgegenstands sei dagegen nicht erforderlich. 239 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 170. 240 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 188. 241 So die Deutung von K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 188. 235
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Von den Befürwortern 242 dieses engen Unvereinbarkeitskonzepts werden die Konsequenzen für den Umfang der Rechtshängigkeitssperre nach Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO nicht immer einheitlich beurteilt: „Dieser Zusammenhang legt es nahe, auch im Rahmen des Art. 21 EuGVÜ den Rechtshängigkeitseinwand nur dann eingreifen zu lassen, wenn der zweite Streitgegenstand von dem der ersten Klage schon mit erfasst ist. Es ist nicht nötig, den Anwendungsbereich von Art 21 EuGVÜ weiter zu ziehen, als die Rechtskraft der ausländischen Entscheidung reichen wird.“243
2. Bedenken und Folgen für die Auslegung von Art. 27 I EuGVVO Böhm hält Lenenbachs Ausrichtung an den Entscheidungswirkungen des Urteilsstaates für zu eng. In der Tat würden dann Verstöße gegen die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft nicht mehr zur Unvereinbarkeit der Entscheidungen führen 244, womit präjudizielle Konstruktionszusammenhänge aus dem Anwendungsbereich von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO ausgeklammert wären.245 Anerkennungsfähig wäre eine Entscheidung, die zu einer vertraglichen Leistung verurteilt, somit auch in einem Staat, dessen Gericht das Vertragsverhältnis als unwirksam beurteilt hat.246 Präjudizialität stellt aber eine Form der Rechtskraftwirkung dar. 247 Andererseits stellt der von Lenenbach geforderte unmittelbare Rechtskraftkonflikt einen sicheren Anhaltspunkt bei der Bestimmung des Unvereinbarkeitspotentials dar.248 Es handelt sich um die stärkste Form eines Wirkungskonflikts zweier Entscheidungen. Hierfür genügt auch eine Kollision auf der Ebene der Entscheidungsgründe, wenn diese nach den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in Rechtskraft erwachsen. 249 Von diesem gesicherten Standpunkt aus können vergleichbare Konstellationen einbezogen werden, die ein ähnlich hohes Konfliktpotential aufweisen. 242 Etwa Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 258 ff.; Hiroyuki Matsumoto, in: Kroeschell/Cordes, S. 77, 93, vertritt, dass die Unvereinbarkeit von Entscheidungen auf die Kollision der Rechtskraftwirkungen zu beschränken sei. Über den Umfang der Rechtskraft hinaus sollte sie nicht angenommen werden. 243 Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 258 ff.; Hiroyuki Matsumoto, in: Kroeschell/Cordes, S. 77, 93. 244 Auch die Kollision einander nur logisch widersprechender Urteile bedingt dann keine unvereinbaren Entscheidungen (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO). 245 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 154 Fn. 34; ähnlich kritisch Hager, ZZP 112 (1999), 119. 246 Zur vergleichbaren Konstellation Gubisch/Palumbo siehe oben § 15 II 1. 247 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 154 248 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 169. 249 Anders K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 202 f., der die Rechtskraftkollision auf der Ebene der Entscheidungsgründe außer Betracht lassen will.
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Die tatsächlichen Schwierigkeiten, welche ein an der Rechtskraft orientiertes Unvereinbarkeitskonzept bedingen würde, dürfen vernachlässigt werden. 250 Im für Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO maßgeblichen Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung kann jedoch noch nicht mit entsprechender Sicherheit vorhergesagt werden, welche Feststellungen in Rechtskraft erwachsen werden. Bei der Beteiligung von Staaten, deren Prozessrecht lediglich eine enge, auf den Tenor bezogene Rechtskraftbegrenzung kennen, potenzieren sich die Unsicherheiten. Bei enger Ausrichtung von Art. 27 I EuGVVO an Art. 34 Nr. 3 EuGVVO wäre zwangsläufig eine Prognose über die bestehende Kollisionsgefahr erforderlich, die sich wiederum an den zu erwartenden Urteilswirkungen orientiert. Im Übrigen würde eine restriktive, auf die tatsächlichen Rechtskraftwirkungen bezogene Interpretation von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nicht zwangsläufig eine enge Auslegung von Art. 27 EuGVVO bedingen. Ist die Rechtskraftkollision lediglich auf der Ebene der Entscheidungsgründe angesiedelt, würde die Rechtshängigkeitssperre zweifellos über die konkreten (nationalen) Streitgegenstände hinausreichen. Zur Lösung böten sich im Vorfeld zwei entgegengesetzte Wege an. Zum einen könnte die Rechtshängigkeitssperre, wie etwa von Schack vorgeschlagen, von vorneherein einheitlich weit ausgelegt werden. Zum anderen erscheint auch denkbar, das unsichere Feld einer Rechtskraftkollision auf Vorfragenebene von vorneherein dem Koordinationsmechanismus von Art. 28 EuGVVO zu überlassen.
II. Meistbegünstigung 1. Die Ansicht von Manfred Wolf M. Wolf plädiert bei der Deutung des teleologischen Zusammenhangs zwar im Ausgangspunkt für eine autonome Ausrichtung des Merkmals der „Unvereinbarkeit“ von Urteilen gemäß Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO und des Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO zugrunde liegenden Streitgegenstandsverständnisses. Anders als der EuGH will M. Wolf aber zur Konkretisierung stärker auf die nationalen Prozessordnungen rekurrieren, um einen nicht gewollten Souveränitätsverzicht der Vertragsstaaten zu verhindern. 251 Bedenklich an der Auffassung des EuGH stimme, dass damit nicht nur Zuständigkeitsfragen in autonomer Auslegung gelöst würden, sondern auch der Beginn für eine autonome europäische Streitgegenstandslehre gelegt werde. 252 Ein ein250 Rechtskraftkonfl ikte sind in Frankreich, Belgien, Griechenland oder auch in England bereits auf Vorfragenebene denkbar, K. Otte, in: FS Schütze, S. 622; oben § 13 II, § 14 II. 251 M. Wolf, in: FS Schwab, S. 564 f., 567, 574. Dieser Vorwurf trifft aber auch M. Wolf selbst, vgl. Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 143. 252 M. Wolf, in: FS Schwab, S. 563 f.; hierzu Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 140; vgl.
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heitliches europäisches Zivilprozessrecht harmoniere aber umso mehr mit den nationalen Prozessordnungen, je mehr es deren Grundlagen verarbeite. Autonome Auslegung bedeute zugleich integrative Auslegung, welche nationale Prozessgrundsätze in das europäische Zivilprozessrecht mit einbeziehen und verarbeiten müsse. Unter diesem Gesichtspunkt bedürfe die Rechtsprechung des EuGH zur Bedeutung der Entscheidungsgründe bei der Vermeidung unvereinbarer Entscheidungen einer kritischen Überprüfung253, welche stärker die nationalen Besonderheiten berücksichtigen würde. 254 Dem eigentlichen Ziel des EuGVÜ, der erleichterten Anerkennung von Urteilen innerhalb der Gemeinschaft, wie es sich im Übrigen bereits aus der Präambel ergibt, würde es zuwiderlaufen, wenn durch ein unnötig weites autonomes Verständnis eine Unvereinbarkeit bejaht würde, die die jeweilige nationale Prozessordnung des Anerkennungsstaates gar nicht kenne. Für die Anerkennung von Urteilen aus den Vertragsstaaten würden im Einzelfall höhere Hürden aufgestellt, als sie für die Anerkennung sonstiger ausländischer Urteile gelten würden. Notwendig sei somit eine vertragsautonome Auslegung, die mit den nationalen Rechten noch am ehesten harmonisiere. Eine ideologisch verbrämte, europafreundliche vertragsautonome Auslegung sei hingegen abzulehnen.255 M. Wolf will die nationalen Besonderheiten im Sinne einer Meistbegünstigungstheorie dergestalt berücksichtigen, dass die (beteiligte) Rechtsordnung mit den großzügigsten Anerkennungsbedingungen den Maßstab der Unvereinbarkeit für alle Mitgliedstaaten bilde.256 Danach bestimme sich die Rechtskraft der widersprechenden Entscheidung nach der Rechtsordnung desjenigen der beiden Urteilsstaaten, der seinen Entscheidungen die geringsten Rechtskraftwirkungen beimesse. 257 Folge der Auffassung Wolfs wäre es, dass bei Beteiligung des deutschen Urteilsstaates die Entscheidungsgründe für die Bestimmung der Unvereinbarkeit stets außer Betracht blieben. 258 Eine solche Auslegung werde sowohl der bezweckten Vereinheitlichung der Voraussetzungen auch B. Hess, IPRax 2006, 352, zur Zurückhaltung des EuGH bei der Begründung prozessualer Gesamtkonzepte bzw. Institutionen. 253 Wolf, in: FS Schwab, S. 564 f.; auch K. Otte, Umfassende Sachentscheidung, S. 208, weist darauf hin, dass eine solche Auslegung in Übereinstimmung mit den Zielen der Konvention stehe. 254 Zustimmung insoweit auch bei Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 122. Aktuell B. Hess IPRax 2006, 352: Die tatsächliche Verarbeitung nationaler Vorgaben stimme allerdings ernüchternd. 255 Hierzu K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 202. 256 Aus den Worten von M. Wolf geht nicht mit Eindeutigkeit hervor, ob die Günstigkeitsüberlegung auf die streitbeteiligten Vertragsstaaten begrenzt wird, oder unter allen Vertragsstaaten derjenige mit der weitestgehenden Rechtskraftbegrenzung ermittelt werden soll, K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 205. 257 M. Wolf, in: FS Schwab, S. 567; a.A. MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 35; ablehnend Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 155. 258 Hierauf weist K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 203, mit Recht hin.
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als auch der erwünschten Erleichterung des Anerkennungsverfahrens gerecht. Ein autonomes Verständnis, das hinter der günstigsten Rechtsordnung zurückbleibe, hätte in diesem Land eine bereits den Zielen des EuGVÜ widersprechende Erschwerung der Anerkennung zur Folge. 259 Im Ergebnis seien Art. 21 EuGVÜ und 27 EuGVÜ nach ihrem eigenen Sinn und Zweck auszulegen. Im Falle Hoffmann/Krieg 260 ergibt sich nach M. Wolf ein Anerkennungsversagungsgrund nicht daraus, dass durch das eine Urteil die Zahlung von ehelichem Unterhalt angeordnet wird, während durch das spätere Urteil die Ehe geschieden wird. Die Anerkennung ermögliche nicht nur die Vollstreckung, sondern führe zu einer Wirkungserstreckung, die dem Urteil alle Wirkungen, die es im Erlassstaat hat, beilege. Insoweit gehöre zur Rechtskraftwirkung auch, dass das Urteil den Rechtsgrund für während der Ehe fällige Zahlungen abgebe und insoweit Bereicherungsansprüche ausschließe bzw. die Vollstreckung noch ausstehender ehelicher Unterhaltsansprüche erlaube. 261 Im Ergebnis führt die Ansicht von M. Wolf dazu, dass sich bei Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ die anerkennungsfreundlichste Prozessordnung durchsetzt 262, während bei Art. 21 EuGVÜ die Prozessordnung derjenigen beteiligten Mitgliedstaaten dominiert, welche die Rechtshängigkeit am weitesten auf die Entscheidungsgründe erstreckt. 263 Insoweit wird im Gewand der vertragsautonomen Auslegung eine vertragsstaatliche Anerkennungsregel verallgemeinert. Deswegen treffen auch die gegen Kochs autonom weites264 Verständnis gerichteten Bedenken hier zu, wie noch zu zeigen sein wird. 265
259
M. Wolf, in: FS Schwab, S. 567: In wenigen Einzelfällen soll es auch gestattet sein, bei Unvereinbarkeit der Entscheidungsgründe die Anerkennung des Urteils zu versagen, wenn diese dem ordre public widersprechen würde (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ). Bsp.: Ein ausländisches Zahlungsurteil soll vollstreckt werden, während ein inländisches Gericht den Vertrag wegen Gesetzes- oder Sittenverstoß für nichtig erklärt hat; a.A.: Bericht von Jenard, ABlEG 1979 Nr. C 59, S. 45. Auch aus der Entscheidung Hoffmann/Krieg, vgl. EuGH Slg. 1988, 655, wird der Vorrang von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ deutlich. 260 Oben § 36 II. 261 M. Wolf, in: FS Schwab, S. 568. Eine generelle Versagung der Anerkennung des deutschen Unterhaltsurteils sei deswegen nicht anzuraten; eine zeitlich beschränkte Anerkennung unter Berücksichtigung der bis zur Ehescheidung entstandenen Unterhaltsansprüche sei im Übereinkommen hingegen nicht vorgesehen. Für den Zeitraum nach Ehescheidung könnte dem Unterhaltsschuldner aber mit der Vollstreckungsgegenklage geholfen werden, die durch die Anerkennung keinesfalls ausgeschlossen werde. 262 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 203, meint, dass mit dieser Methode eine vertragsstaatliche Anerkennungsregel in der Einkleidung „vertragsautonomer“ Auslegung verallgemeinert werde. 263 M. Wolf, in: FS Schwab, S. 574, 570, 571. Insoweit bedarf es einer Prognoseentscheidung. 264 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 163. 265 Vgl. unten § 37 IV.
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2. Bedenken Dieser Günstigkeitsvergleich lässt sich m.E. mit der herrschenden Wirkungserstreckungslehre nicht in Einklang bringen 266, da er dazu führt, dass die Entscheidungswirkungen ausländischer Urteile im Rahmen der Unvereinbarkeitsprüfung auf das anerkennungsfreundlichste Maß beschränkt werden. 267 Die Ansicht von M. Wolf widerspricht somit Art. 26 EuGVÜ. Der ermittelte Unvereinbarkeitsmaßstab wäre ein rein fiktiver, obgleich Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/ Art. 34 Nr. 3 EuGVVO doch gerade den konkreten Konflikt im Anerkennungsstaat in den Mittelpunkt rückt. 268 Einerseits lässt Wolf die Entscheidungsgründe kategorisch außen vor; andererseits fordert er im gleichen Atemzug die Berücksichtigung der Urteilswirkungen des jeweiligen Urteilsstaates. 269 Dann müssten aber zumindest die Rechtskraftwirkungen der Entscheidungsgründe der anzuerkennenden ausländischen Entscheidung berücksichtigt werden. Diese Meistbegünstigungstheorie beinhaltet somit eine Beschränkung der Wirkung der ausländischen Entscheidung. 270 Dies lässt sich etwa verdeutlichen am Beispiel eines französischen Urteils, das zur Zahlung von Mietzins verurteilt und einem deutschen Feststellungsurteil, wonach der betreffende Mietvertrag von Anfang unwirksam ist. Das zusprechende französische Leistungsurteil beinhaltet dabei in der Regel die rechtskräftige Feststellung, dass ein wirksames Mietverhältnis bestand. 271 Nach Wolf müsste auch das deutsche Feststellungsurteil in Frankreich Anerkennung finden, weil der deutschen Rechtsordnung eine Rechtskraftwirkung der Gründe fremd ist. Folglich wäre auch die Rechtskraft des französischen Urteils auf den Leistungsausspruch beschränkt. 272 Bei Anerkennung des deutschen Urteils in einem Staat, in dem die Rechtskraftwirkung der Urteilsgründe bekannt ist, wird diese Rechtskraftwirkung aber für das dortige Urteil nicht beseitigt. Die Meistbegünstigungstheorie würde somit dazu führen, dass die Anerkennung eines nur begrenzt rechtskraftfähigen Urteils im Anerkennungsstaat, der eine erweiterte Rechtskraftwirkung kennt, eine Beschränkung der
266 Für autonome Auslegung dagegen MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 35 f. 267 Zur Kritik K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 205. 268 Weder eine Totalrevision der nationalen Rechtskraftvorstellungen noch ein Rechtskraftschisma könnten gewollt sein, so K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 205 f. 269 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 205; wobei in der Tat nicht ganz eindeutig ist, ob M. Wolf die günstigste Regelung für alle Mitgliedsstaaten oder lediglich die der im konkreten Fall beteiligten Staaten ermitteln will, vgl. M. Wolf, in: Umfassende Streitentscheidung, S. 567. 270 Dies gilt selbst im Verhältnis zu Anerkennungsstaaten, die eine solche Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe kennen, K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 205. 271 Zeuner, in: FS Zweigert, S. 610 f. 272 Vgl. Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 140 f.
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Rechtskraft der dort gefällten nationalen Urteile auslöst.273 Die Modifizierung der Urteilswirkungen eigener Urteile und der dadurch erzeugte Souveränitätsverzicht wäre kaum vom Willen der Mitgliedstaaten gedeckt. Diese Deutung entspricht nicht dem telos von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO, der gerade das Ordnungsinteresse des Anerkennungsstaates im Blick hat. Denn aus französischer Sicht steht durch das französische Zahlungsurteil rechtskräftig fest, dass ein Mietvertrag besteht, während dem das deutsche Zahlungsurteil rechtskräftig widerspricht. In methodischer Hinsicht erscheint bedenklich, dass die Wirkungen von Urteilen allein für die Ermittlung des Unvereinbarkeitspotentials verändert werden, nur um einen möglichst allgemeingültigen Unvereinbarkeitsbegriff zu finden. Ein wesentlich weitergehendes Verständnis legt Wolf hingegen für Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO an den Tag. Hiernach stelle es eine Selbstverständlichlichkeit dar, dass alle Fälle, in denen die Unvereinbarkeit der Entscheidungen sicher feststeht (bei formaler Identität bzw. dem logischen Gegenteil), von Art. 21 EuGVÜ erfasst würden. 274 Jedoch diene die Rechtshängigkeitssperre der Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen auch, wenn eine Unvereinbarkeit im Ergebnis gar nicht festgestellt werden könne. 275 In einer Konstellation wie in Gubisch/Palumbo276 (Konkurrenz Leistungsklage und Feststellungsklage über ein vorgreifliches Verhältnis) erwüchsen die Urteilsgründe jedoch nicht in Rechtskraft und könnten deswegen auch nicht die Rechtshängigkeitssperre auslösen. Wenn aber der Urteilsstaat der Feststellungsklage (im Beispiel der Anerkennungsstaat) eine Rechtskraftwirkung der Urteilsgründe kenne, würde bereits nach seiner eigenen Verfahrensordnung einer dort erhobenen Feststellungsklage über ein präjudizielles Rechtsverhältnis der ausländischen Leistungsklage der Rechtshängigkeitseinwand entgegenstehen. Gleiches müsse dann auch für Gerichte anderer Mitgliedstaaten gelten. Es würde den Zielen des Übereinkommens widersprechen, wenn den ausländischen Gerichten eine Entscheidungszuständigkeit versagt würde, die für die eigenen Gerichte in Anspruch genommen wird. 277 Im Sinne einer Wirkungsangleichung müsse der den inländischen Gerichten eingeräumte Entscheidungsvorrang auch den ausländischen Gerichten zuerkannt werden. Deswegen komme es auch nicht darauf an, in welchem Mitgliedstaat zuerst die Zahlungsklage erhoben worden sei. Nach Wolf ist somit die Reichweite der umfassendsten Rechtskraftwirkung der beteiligten Rechtsordnungen für die Bestimmung der Anspruchsidentität im Sinne
273 Instruktiv K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 205; Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 143. 274 M. Wolf, in: FS Schwab, S. 570. 275 Vgl. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 449. 276 Oben § 15 II 1. 277 Kritisch K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 450.
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von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO maßgeblich. 278 Neben der Wirkungserstreckung tritt Wolf somit für eine Wirkungsangleichung ein. Die Argumente Wolfs erklären kaum, warum Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO und Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO derart ergebniskonträr ausgelegt werden müssen, ist doch der Nexus zwischen den Vorschriften unübersehbar. Im Übrigen fördert die Meistbegünstigungslehre Wolfs die Bildung „Potemkinscher Dörfer“ im Anerkennungsrecht, die sich von den realen Folgen im Sinne der Wirkungserstreckung entfernen.
III. Ausrichtung an Art. 28 III EuGVVO Zumindest theoretisch denkbar erscheint bei der Auslegung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO eine Ausrichtung an der wortlautähnlichen Vorschrift Art. 22 III EuGVÜ/Art. 28 III EuGVVO. Nach Ansicht von Dohm gelte es, Art. 22 III und Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ in ihrem Umfang aufeinander abzustimmen und den Begriff der unvereinbaren bzw. der widersprechenden Entscheidungen deckungsgleich vertragsautonom auszulegen. 279 Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ stelle nicht auf den Streitgegenstand als Kriterium ab, sondern auf die Unvereinbarkeit von Urteilen im Sinne von Art. 22 III EuGVÜ.280 Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ greife somit die Definition in Art. 22 III EuGVÜ im Kern auf.281 In der deutschen Fassung fänden zwar nicht dieselben Termini Verwendung. Dennoch bildeten die Begriffe „widersprechend“ und „unvereinbar“ Synonyme. Dieser Zusammenhang trete deutlicher in der französischen und der niederländischen Sprachfassung zutage. In der Tat findet sich dort sowohl in Art. 22 III EuGVÜ als auch in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ die Wendung inconciliable bzw. onvereinigbaar. 282 Die Ansicht Dohms ist spätestens seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Tatry nicht mehr vertretbar. 283 Während Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/ Art. 34 Nr. 3 EuGVVO die Nichtanerkennung auf Fälle der schwersten Störung der Rechtsordnung durch widersprechende Entscheidungen beschränken will, hat Art. 22 III EuGVÜ/Art. 28 III EuGVVO einen wesentlich weiteren Anwendungsbereich. Art. 22 EuGVÜ dient der besseren Koordinierung der Rechtsprechungstätigkeit in den Vertragsstaaten, bezweckt somit den Widerspruch von Entscheidungen gerade dann zu vermeiden, wenn sie dennoch getrennt 278
M. Wolf, in: FS Schwab, S. 561, 570 f. Dohm, S. 92. 280 Dohm, S. 93. 281 Dohm, S. 73. 282 Dohm, S. 73. 283 EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry/The Maciej Rataj, Slg 1994 I-5439, 5470 f.; oben § 15 II 2. 279
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voneinander vollstreckbar sind. 284 Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ fungiert im Sinne einer ultima-ratio-Regel, indem ausnahmsweise die Ziele des Übereinkommens durchbrochen werden. Art. 22 EuGVÜ will indes der besseren Koordinierung der Rechtsprechungstätigkeit in der Europäischen Gemeinschaft dienen.285 Von dieser Warte aus muss Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ enger ausgelegt werden, um die Urteilsfreizügigkeit nicht über Gebühr zu behindern.
IV. Wirkungsangleichung Koch hat – der Ansicht Wolfs nur methodologisch vergleichbar – einen im Ergebnis sehr weiten Unvereinbarkeitsbegriff entwickelt. 286 Die Anerkennung führe seiner Ansicht nach nicht zu einer Wirkungserstreckung nach dem Recht des Urteilsstaates auf die Rechtsordnung des Anerkennungsstaates, sondern zu einer von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ ausgehenden europäischen Wirkungsangleichung. Im Anwendungsbereich des EuGVÜ sei der Umfang der materiellen Rechtskraft für alle Urteile übereinstimmend zu bestimmen, unabhängig davon, wie die Rechtsordnung des Urteilsstaates die materielle Rechtskraft ausforme, so dass nach Anerkennung die materielle Rechtskraft in jedem Fall auch die Entscheidungsgründe erfasse. Um dem Entstehen unvereinbarer Entscheidungen möglichst vorzubeugen, glaubt Koch auch, die Rechtskraftwirkungen für alle Vertragsstaaten einheitlich weit bestimmen zu müssen. 287 Unvereinbarkeit liege bei Entscheidungen zu identischen oder teilweise identischen Streitgegenständen unabhängig davon vor, ob diese konfl igieren oder übereinstimmen (Gefahr doppelter Vollstreckung).288 Darüber hinaus wird von Koch Unvereinbarkeit angenommen, wenn ein inländisches Urteil ein präjudizielles Rechtsverhältnis abweichend von der anzuerkennenden ausländischen
284
Lenenbach, ZZP 111 (1998), 113. Etwa Bäumer, S. 176: Bäumer meint, den Äußerungen des EuGH in Tatry sei eher zu entnehmen, dass der Begriff der unvereinbaren Entscheidungen mit dem Begriff desselben Anspruchs verwandt sei. 286 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 112 f.; ähnlich Nieroba, S. 238 ff.; Mittenzwei, Verhinderung von Urteilskollisionen, S. 195 f. 287 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 112 f.; ähnlich auch bereits Geimer, IPRax 1986, 208 f. (214): „einheitsrechtliche Bindungswirkung“; Nieroba, S. 238 ff., die darauf hinweist, dass die Bindungswirkung innerhalb der Grenzen der materiellen Rechtskraft zwischen den Parteien ihren Sinn haben mag, jedoch bei der Anerkennung von Entscheidungsinhalten durch Gerichte ein Bedürfnis nach einer begrenzten Bindung nicht bestehe. Dagegen spricht m.E. aber, dass die Anerkennung der Urteilswirkungen wieder unmittelbar zwischen den Parteien Wirkung entfaltet. Diese würden aber zweifellos von einer fingierten umfassenden europäischen Wirkungsangleichung überrascht; mit Recht ablehnend Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 139. 288 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 27 f., 45. 285
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Entscheidung bewertet. 289 Insoweit befürwortet Koch für die Konstellation in Gubisch/Palumbo Unvereinbarkeit zwischen dem deutschen Leistungsurteil und dem italienischen Feststellungsurteil. Denn im Fall der Anerkennung des ausländischen Urteils werde nicht nur die inländische Entscheidung in ihren Wirkungen beeinträchtigt, sondern auch die geordnete Rechtspflege gefährdet.290 Unvereinbar seien weiter Judikate zu unterschiedlichen Streitgegenständen, wenn sie sich hinsichtlich der Feststellungen zu identischen Vorfragen widersprächen. 291 Unvereinbarkeit liege schließlich vor, wenn die ausländische Entscheidung die inländische (wirtschaftlich) entwerte, indem eine bereits zugesprochene Vermögensposition wieder entzogen werde. 292 Koch favorisiert im Ergebnis einen materiell-wirtschaftlich geprägten Unvereinbarkeitsbegriff. 293 Aufgabe der ebenfalls weit gefassten Rechtshängigkeitssperre (Art. 21 EuGVÜ) sei es, diesem Unvereinbarkeitspotential von vorneherein vorzubeugen. Im Streitgegenstandsbegriff Kochs sind Vorfragen ebenso enthalten wie im Begriff der Unvereinbarkeit. 294 Unvereinbare Entscheidungen will Koch bereits mittels Anerkennung der materiellen Rechtskraft im Anerkennungsstaat selbst verhindern. 295 Insoweit sind die bekannten Anerkennungstheorien für ihn aber nutzlos. 296 Da die Mehrzahl europäischer Rechtsordnungen keine Bindung an die in den Entscheidungsgründen festgestellten Rechtsverhältnisse kennt, könnten – so Koch – weiter unvereinbare Entscheidungen auftreten. Auf diese Weise würde ein präjudizielles Rechtsverhältnis im Anerkennungsstaat ohne Verletzung der Rechtskraft eine andere Beurteilung erfahren, wenn der Urteilsstaat selbst nur die Bindung an den streitgegenständlichen Tenor kenne. 297 Ein Vorteil der von Koch entwickelten Lehre der Wirkungsangleichung besteht deswegen darin, dass diffizile nationale Rechtskraftüberlegungen 298, wie sie nach der Theorie der Wirkungserstreckung notwendig sind, keine Rolle spielen. 299 Der mit der fingierten Ausweitung der Rechtskraftwirkungen auf die Entscheidungsgründe verbundene Souveränitätsverzicht für die Vertragsstaaten ist durch das EuGVÜ/die EuGVVO indes nicht gedeckt.300 Im Übrigen wi289
Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 34 ff., 41 f. Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 146. 291 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 44. 292 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 38. 293 So Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 147 f. In diesem Punkt kommt Koch der hier vertretenen Auffassung, die das (wirtschaftliche) Interesse in den Mittelpunkt rückt, sehr nahe. 294 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 200. 295 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 89 ff. 296 Ausführlich Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 147. 297 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 153 f. 298 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 148. 299 Zustimmend deswegen in vielen Fällen: Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 34 EuGVVO Rn. 169 f. 300 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 139; zustimmend Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 255 f.: 290
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derspricht es den Grundsätzen eines fairen Verfahrens, einem Urteil im Anerkennungsstaat weitergehende Wirkungen zu geben, als ihm nach der Rechtsordnung des Urteilsstaates zukommen.301 Kochs Vorgehen ist überdies methodisch angreifbar, weil die allgemeine Norm der Wirkungserstreckung (Art. 26 EuGVÜ) nach dem bei der Ausnahmevorschrift (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ) gefundenen Ergebnis ausgelegt wird. Diese Lehre der Wirkungsangleichung widerstreitet überdies dem Ziel des Übereinkommens, durch eine anerkennungsfreundliche Haltung die Freizügigkeit der Entscheidungen zu fördern. 302 Mit einem solch weiten Unvereinbarkeitsbegriff würde den Beweggründen zur Einführung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ, nämlich den eng auszulegenden ordre public-Einwand nicht aufzuweichen, nicht Rechnung getragen.303 Für die Lehre der Wirkungsangleichung spricht lediglich, dass der teleologische Zusammenhang zwischen Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ und Art. 21 EuGVÜ nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Urteils nicht endet304, wie dies nach der Rechtsprechung des EuGH der Fall wäre. Im Ergebnis kann ihr aber nicht gefolgt werden.
Art. 27 EuGVÜ sei als Ausnahmevorschrift zu Art. 26 EuGVÜ eng an Rechtskraftkonflikten auszulegen. Wenn aber nur Rechtskraftwirkungen anzuerkennen seien, kann sich die Unvereinbarkeit kaum aus weiteren materiellrechtlichen Zusammenhängen ergeben. 301 So Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 140. Eine Parallele zu § 322 I ZPO drängt sich auf: Die Absage an Savignys Elementelehre, oben § 5 II 2, wurde gerade damit begründet, dass die Parteien von den Rechtskraftwirkungen überrascht würden. Vgl. auch Sepperer, S. 142, 145. 302 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 149; ebenso Adolphsen ZZPInt 3 (1998), 255 f. Überdies bleiben innerhalb des europäischen Zivilraumes doch zwei Entscheidungen bestehen. 303 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 149 f.; Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 256; Wolf, in: FS Schwab, S. 569. 304 Dem zustimmend Nieroba, S. 243 f.: Es müsse ein Gleichlauf zwischen dem in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO anzuwendenden und dem in Art. 33 EuGVVO enthaltenen Entscheidungsbegriff dergestalt hergestellt werden, „dass auch potentiell eine Unvereinbarkeit verursachende Entscheidungselemente ungeachtet einer national bestimmten Rechtskraftbindung im Parallelverfahren anzuerkennen sind. Derjenige Entscheidungsgehalt, der wegen Unvereinbarkeit die Urteilsanerkennung verhindern kann, muss konsequenterweise umgekehrt bei (noch möglicher) Vereinbarkeit auch anerkannt werden … Wird die Frage der Nichtanerkennung wegen Unvereinbarkeit unabhängig von den national bestimmten Grenzen der materiellen Rechtskraft aufgrund einer materiellrechtlich ausgerichteten Betrachtung beantwortet, hat auch die Anerkennung ohne diese Begrenzung zu erfolgen.“ M.E. stellt dies einen Zirkelschluss dar: Zunächst werden die Grenzen der Unvereinbarkeit auf materieller Ebene unkontrollierbar erweitert. Dann wird hieraus ein „zwingendes“ Argument für eine einheitlich weite Bemessung der Rechtskraftgrenzen abzuleiten versucht.
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V. Materiellrechtlicher Unvereinbarkeitsbegriff Ein Teil der Lehre305 will die Unvereinbarkeitsformel des EuGH in den Entscheidungen Hoffmann/Krieg 306 und Gubisch/Palumbo307 a priori rechtskraftunabhängig deuten. Der EuGH lege stattdessen selbst ein rein materiellrechtlich geprägtes Verständnis an den Tag. Insoweit gelte es vor allem, eine widersprüchliche Umsetzung materiellen Rechts in beiden Prozessen zu verhindern. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO dürfe deswegen nicht im Sinne eines prozessual zu verstehenden Einwands entgegenstehender Rechtskraft gedeutet werden. 308 Vielfach wird stattdessen darauf abgehoben, dass diese Vorschrift einen Spezialfall des ordre public-Vorbehalts darstelle309, der darauf abziele, eine Störung der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates zu verhindern, was zugleich das Vertrauen in die Europäische Prozessordnung stärke. Daraus wird wiederum abgeleitet, dass eine Beschränkung der Unvereinbarkeit auf Fälle eines Rechtskraftkonflikts diesem Ziel nicht gerecht werde. Gerade in einer Konstellation wie in der Entscheidung Gubisch/Palumbo310 würden nach Anerkennung das deutsche Leistungsurteil und das italienische Feststellungsurteil nebeneinander bestehen, was für die Parteien zu erheblichen Unklarheiten in der Rechtslage führe. Der Vorschlag, die Urteilskollision mit den Mitteln des jeweiligen nationalen Prozessrechts aufzulösen, würde indes national zu Unterschieden führen und könnte das Vertrauen in den gemeinsamen Justizraum weiter beschädigen.311 Eine zu großzügige Anerkennung im Sinne der Urteilsfreizügigkeit könnte sich zu Lasten der Rechtssicherheit auswirken.312
305
Nieroba, S. 192. EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff. 307 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861, 4872 f., 4876. 308 Nieroba, S. 195. Auch Generalanwalt Darmon hat in seinem Schlussantrag in der Rechtssache Hoffmann/Krieg darauf hingewiesen, dass der Begriff der Unvereinbarkeit unabstreitbar weiter als derjenige der Rechtskraft sei, Schlussanträge, Slg. 1988, 654 f., 655 Nr. 9. 309 Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 14; Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 256. 310 Oben § 15 II 1 a; EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861, 4872 f. 311 So Nieroba, S. 196 f. (langwierige und kostspielige Prozesslawine), die hierfür ein anschauliches Fallbeispiel liefert. Eine italienische Restitutionsklage könnte zu einem anderen Ergebnis führen als eine deutsche. Gerade aber der Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO lässt eine derartige Störung des innerstaatlichen Rechtsfriedens erwarten, weil die Unvereinbarkeit von Entscheidungen dort lediglich als Vollstreckungshindernis vorgesehen ist, aber als Anerkennungshindernis (für Feststellungs- und Gestaltungsurteile) nicht mehr existiert, vgl. bereits oben § 36 V. Insofern wird auch auf nationale Restitutionsklagen zurückzugreifen sein. 312 Ebenso Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 11 f. 306
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Das Hauptargument dieser Auffassung liegt darin, dass Art. 34 Nr. 3 EuGVVO vor allem bezwecke, „die Störung der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates durch eine einem inländischen Urteil widersprechende ausländische Entscheidung zu verhindern.“313 Das Anliegen könne mit dem Vorschlag, die Vorschrift im Sinne der Urteilsfreizügigkeit eng auszulegen, nicht in Einklang gebracht werden. Denn eine gewichtige Störung der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates sei durchaus auch bei widersprechenden Urteilsbegründungen denkbar und nicht nur bei einer Divergenz der rechtskräftigen Urteilsinhalte. Das Nebeneinander eines Feststellungsurteils, das die Unwirksamkeit eines Vertrages ausspreche, und der Verurteilung auf Erfüllung dieses Vertrags störe die inländische Rechtsordnung auf das Empfindlichste, obwohl es an einer formellen Rechtskraftkollision fehle.314 Auf der Basis des anerkannten ausländischen Feststellungsurteils bestehe im Übrigen wiederum die Gefahr, dass die Leistung zurückgefordert werde.315 Insbesondere Nieroba hat sich deswegen für eine Ausrichtung an materiellrechtlichen Zusammenhängen ausgesprochen.316 Dieser Weg habe nicht notwendig eine Einschränkung der Urteilsfreizügigkeit zur Folge, da derartigen Kollisionen bereits mit der Rechtshängigkeitssperre bzw. der Möglichkeit einer Inzidentanerkennung ausreichend vorgebeugt werde. Zuzugeben ist Nieroba, dass eine mehr an materiellen Zusammenhängen orientierte Sichtweise317 dem Gedanken des ordre public, der auch in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO Anklang findet, am besten gerecht wird. Eine materiellrechtliche Beurteilung des Konstruktionszusammenhangs beider Urteile würde zweifellos auch der Kohärenz der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates dienen.318 Bedenkt man aber, dass der Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO vom 14.12.2010 de lege ferenda eine Abschaffung des Anerkennungshindernisses einer Verletzung des materiellen ordre public vorsieht, erscheint auch eine materiellrechtlich orientierte Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO äußerst zweifelhaft.
313 Nieroba, S. 198; vgl. auch den Bericht von Jenard zu Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ, ABlEG 1979 Nr. C 59, S. 45. 314 Nieroba, S. 198; a.A. Rüßmann, ZZP 111 (1998), 415 f. 315 Nieroba, S. 198 (allerdings wäre dann das kontradiktorische Gegenteil betroffen, dem die Rechtskraft des inländischen Zahlungsurteils entgegenstehen würde). 316 Nieroba, S. 199, die an die Überlegungen Leipolds auf der Zivilprozessrechtslehrertagung 1998 erinnert, der ein Überdenken der rein prozessualen Theorie anmahnte und sich für eine stärker an das materielle Recht angelehnte Lösung bei der Bewältigung der Probleme der Rechtskraft und der Rechtshängigkeit aussprach; vgl. näher in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455 f. Die bloße Reduzierung auf einen Rechtskraftkonflikt würde diesem Ordnungsinteresse nicht vollauf gerecht. 317 Auch die Rechtsprechung des BGH legt eine solche Sichtweise nahe, vgl. BGH NJW 1995, 1759: „Unvereinbarkeit liegt deshalb immer dann vor, wenn der durch das Leistungsurteil zuerkannte Anspruch nach dem Feststellungsurteil nicht bestehen kann“. 318 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 173.
§ 37 Die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Schrifttum
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Diese an materiellrechtlichen Widersprüchen ausgerichtete Vorgehensweise erscheint überdies unpraktikabel, weil jedes ausländische Urteil auf Abweichungen zu überprüfen wäre, was bei der zunehmenden Zahl an Mitgliedstaaten und der entsprechenden Sprachenvielfalt jeden Richter überfordern dürfte. Die Erwägungsgründe der EuGVVO fordern vielmehr eine klare und einfach handhabbare Konfliktlösung (Nr. 15). Andernfalls wird das Zuständigkeitssystem eher belastet als gestärkt. Der Verweis auf den ständig bemühten Grundsatz gegenseitigen Vertrauens in den gemeinsamen Justizraum ändert hieran nichts319 und macht eine derart weitgreifende Überprüfungspflicht des Anerkennungsrichters nicht erforderlich. Nieroba ist weiter zuzugeben, dass sie die Folgen eines derart weit gefassten materiellen Unvereinbarkeitsbegriffs durchaus erkennt. Der Gefahr der Anerkennungsverweigerung nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO will sie jedoch nicht mit einer weit gefassten Rechtshängigkeitssperre vorbeugen320, sondern mit einer umfassenden Pflicht der mitgliedstaatlichen Gerichte zur Inzidentanerkennung. Da der Unvereinbarkeitsmaßstab im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO auch widersprechende (nicht rechtskräftige) Urteilsbegründungen mit einschließe, müsse auch die Anerkennung ausländischer Urteile über ihren national bestimmten Rechtskraftumfang hinaus erfolgen.321 Insoweit erstrecke sich die Anerkennungspflicht auch auf tragende Urteilsgründe und bedingende Rechtsverhältnisse. Deren Inzidentanerkennung beuge aber widersprechenden Urteilen in Parallelverfahren bereits in einem Maße vor, dass es einer Ausdehnung der Rechtshängigkeitssperre nicht mehr bedürfe. Diese Pflicht zur Inzidentanerkennung („europäisch-weite Anerkennungspflicht“) könnte dadurch sichergestellt werden, dass parallel befasste mitgliedstaatliche Gerichte in Kooperation darüber befinden, „welches Gericht die gemeinsame Frage am zügigsten und sichersten entscheiden kann, während das andere Gericht derweil das Verfahren aussetzt, um nach Ergehen einer Entscheidung mittels einer Inzidentanerkennung … das so gewonnene Ergebnis anzuerkennen und zu verwerten.“322 Würde etwa ein deutsches Gericht im Rahmen einer Mietzinsklage über die Wirksamkeit des Mietvertrages mitbefinden, dessen Bestehen für eine in Österreich anhängige Schadensersatzklage des Mieters vorgreiflich wäre, so müssten nach Nieroba beide Gerichte durch Kooperation ermitteln, welches von ihnen am effektivsten über die Vor319 Nieroba, S. 198. Nur dadurch werde man „dem Bedürfnis nach einer Vertrauen schaffenden, inneren Stimmigkeit der auf der Basis einer europäischen Prozessordnung hervorgebrachten Ergebnisse“ gerecht; ähnlich Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 163 f. Zum Vertrauensgrundsatz unten § 40 I 4. 320 Der Anwendungsbereich von Art. 27 I EUGVVO wird stattdessen von ihr mit Blick auf den Justizgewährungsanspruch begrenzt auf antragsidentische Verfahren, Nieroba, S. 287 f. Der teleologische Zusammenhang zwischen Art. 27 I und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO ist damit beinahe vollständig aufgelöst. 321 Nieroba, S. 287. 322 Nieroba, S. 288.
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
frage der Vertragswirksamkeit entscheiden kann, während das andere Gericht einstweilen sein Verfahren aussetzen würde.323 Gegen diese Lösung spricht zunächst, dass dann auf internationaler Ebene eine materielle Kooperation zwischen Gerichten stattzufinden hätte, die im Inland kein Vorbild findet. Eine so weitgehende Abstimmungspflicht ist angesichts der meist in unterschiedlichen Sprachen abgefassten Judikate (anders als im Beispiel) nicht nur unpraktikabel, sondern für den befassten Richter schlicht eine Zumutung. Zudem basiert die Vorstellung miteinander in ständigem Austausch stehender Justizapparte auf einem Wunschbild, das sich in der Praxis nicht leicht umsetzen lassen wird. Auch S. Otto hat sich jüngst für ein materiellrechtlich geprägtes Unvereinbarkeitsverständnis ausgesprochen.324 Sein Vorschlag ist jedoch zumindest im Ausgangspunkt greifbarer: Danach könnte die Sicht des EuGH auf den Begriff ‚Unvereinbarkeit‘ auch so zu interpretieren sein, dass es dem Anerkennungsstaat erlaubt wird, zu überprüfen, ob ein ausländisches Urteil zum Zeitpunkt des Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsverlangens auch als inländisches Urteil noch erlassen werden könnte. Müsste ein zu diesem Zeitpunkt ergangenes inländisches Urteil in seinen Rechtswirkungen, direkt oder präjudiziell, beachtet werden und habe das ausländische Urteil dies unterlassen, dann könne es nach Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nicht anerkannt werden.325 Ob eine Beachtung überhaupt möglich oder wegen des zeitlich früheren Urteilserlasses im Ausland sogar ausgeschlossen war, spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle. Der Anerkennungsstaat könne damit das materiellrechtliche Gedankengebäude in sich stimmig beurteilen.326 So vielversprechend dieser Vorschlag zunächst klingt, ist doch zu bedenken, dass hiermit Staaten mit umfangreicher Rechtskraftwirkung eine weitere Befugnis zur Verweigerung der Anerkennung eines ausländischen Urteils verliehen wäre als Staaten mit einer an der Urteilsformel orientierten Rechtskraftausrichtung. Dies könnte wiederum eine Verschlechterung der Wettbewerbsstellung von Staaten wie Deutschland bedeuten. So würde etwa eine in Österreich ergangene positive Entscheidung über den Kaufpreisanspruch des Verkäufers in England nicht mehr anerkannt werden, wenn dort ein Gericht im Rahmen einer Entscheidung über den Lieferungsanspruch des Käufers die Vertragswirksamkeit rechtskräftig in den Gründen verneinen würde. Denn ein inländisches Urteil hätte diese Feststellung in den Entscheidungsgründen des englischen Judikats ebenfalls zu respektieren. Hingegen müsste die Entscheidung in Deutschland anerkannt werden, weil hier nach h.L. keine Rechtskraftwirkung bei Ausgleichszusammenhängen in synallagmatischen Vertragsverhältnissen 323
Nieroba, S. 288 f. S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 172 f., mit Anleihen bei Schlosser, Art. 34 EuGVVO Rn. 22, 23. 325 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 172. 326 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 172. 324
§ 37 Die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO im Schrifttum
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existiert.327 Als Alternative böte sich bei S. Ottos Vorschlag lediglich an, vollständig die Rechtskraftwirkung der Gründe außen vor zu lassen, oder aber von vorneherein allein auf die materielle Stimmigkeit der Entscheidungen abzustellen. Im Übrigen widerspricht dieses hypothetische Abheben auf das Schicksal einer inländischen Entscheidung im Anerkennungszeitpunkt der Theorie der Wirkungserstreckung und ist daher abzulehnen.
VI. Materielle Stimmigkeit im weitesten Sinne Das Extrem einer anerkennungsfeindlichen Sichtweise, die allein nationalen Maßstäben Rechnung tragen will, stellt die Ansicht Mauros dar.328 Unvereinbar seien bereits Entscheidungen, die geringe materiellrechtliche Diskrepanzen erkennen ließen, ohne dass ein eigentlicher Widerspruch zwischen ihnen bestünde. Nur eine solche Auslegung berücksichtige den inneren „ordre juridique“.329 Die eigene nationale Gerichtsbarkeit soll bereits den Vorzug genießen, wenn ein Widerspruch in einer unterschiedlichen Tatsachenwürdigung oder in einer abweichenden Beurteilung von Rechtsverhältnissen erkennbar wird. Diese Deutung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ widerspricht den Zielen des EuGVÜ, eine weitgehende Freizügigkeit von Entscheidungen durch eine möglichst uneingeschränkte Anerkennung zu erreichen. 330 Vielmehr bleibt diese dann auf ein geringes Maß beschränkt. Der Auffassung Mauros könnten gewisse nationale Vorbehalte gegen das EuGVÜ unterlegt werden. Denn Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ wurde gerade geschaffen, um der Gefahr vorzubeugen, dass inländische Gerichte die Anerkennung mittels ausufernder Berufung auf den ordre public-Vorbehalt des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ verweigern.331
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Ausführlich oben § 31 I; a.A.: Zeuner, Die objektiven Grenzen, S. 74 f. Mauro, Gaz. Pal. 1980.1., Doctr.,144; hierzu Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 144. 329 Mauro, Gaz. Pal. 1980.1., Doctr. 144. 330 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 145. 331 In diesem Sinne auch Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 145; Bericht von Jenard, ABlEG 1979 Nr. C 59, S. 45. 328
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§ 38 Abschließende Stellungnahme zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO I. Anerkennungsfeindlicher Anachronismus Bereits die grammatikalische Auslegung der Formel „sich gegenseitig ausschließender Rechtsfolgen“ legt – entgegen der weiten Anwendung des EuGH in Hoffmann/Krieg 332 – eine Ausrichtung an verbindlichen richterlichen Anordnungen und damit in der Regel an den rechtskraftfähigen Urteilstenores nahe.333 Diese Sichtweise entspricht dem Prinzip der größtmöglichen Urteilsanerkennung, wie es in den Erwägungsgründen von EuGVÜ und EuGVVO vorgesehen ist.334 Die Beurteilung von Vorfragen beinhaltet in der Regel jedoch keine Rechtsfolgenentscheidung.335 Anderes könnte nur angenommen werden, soweit Rechtsordnungen (jeweils) die Entscheidungen über eine Vorfrage mit Rechtskraftwirkung ausstatten.336 Nur dann wäre der Anwendungsbereich von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO wieder berührt. Dabei zeigt bereits das systematische Verhältnis von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO zu Art. 33 EuGVÜ, dass die offensichtlich als Ausnahmetatbestand zu wertende Regel nicht über den Umfang der Wirkungserstreckungslehre hinausgreifen sollte.337 Anerkannt werden jedoch nur Rechtskraft-338, Interventions332
EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff.; oben § 36 II. Ähnlich Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 17: „Unvereinbarkeit (autonom auszulegen) liegt vor, wenn sich die rechtskraftfähigen Feststellungen widersprechen, sich die jeweils festgestellten Rechtsfolgen also wechselseitig ausschließen …, wobei die Entscheidungen mit gleicher Wirkung zu gleichen Fragen ergangen sein müssen. Identität des Streitgegenstands ist nicht erforderlich“. 334 Für eine Anerkennung in „Zweifelsfällen“ spricht auch, dass es ansonsten europaweit weiter bei der Rechtsungewissheit bliebe, Lenenbach, S. 145; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 208; die Abweichungen in den Entscheidungsgründen bestünden dann fort. 335 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 328 Rn. 119, Walker, ZZP 111 (1998), 453; a.A. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 157 Rn. 35 f. (bei Präjudizialität); MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 328 Rn. 97; OLG Hamm FamRZ 2001, 1015: Anwendung der Kernpunktlehre auch für § 328 Nr. 3 ZPO. 336 In Deutschland ist dies nur auf Zwischenfeststellungsklage hin möglich (§ 256 II ZPO). 337 Mit Recht Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 140 f.; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 140 f., 198 f., 208 ff. 338 Gleiches gilt für die Rechtskraftpräklusion, oben § 32 III, IV, V, so dass auch in diesem Falle Unvereinbarkeit anzunehmen ist. Unerheblich ist, ob dies im Ursprungsstaat als 333
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und Gestaltungswirkungen und nicht materielle Rechtsverhältnisse oder Tatsachenfragen als solche. Bereits dieses systematische Argument spricht somit gegen eine Ermittlung des Unvereinbarkeitspotentials nach rein materielllogischen Gesichtspunkten. Anerkennung können aber auch nicht formell rechtskräftige Urteilswirkungen erfahren, wenn der jeweilige Urteilsstaat dafür den Urteilserlass genügen lässt, wie dies etwa in Frankreich der Fall ist.339 In Art. 25 EuGVÜ/Art. 32 EuGVVO wurde deswegen bewusst für die Anerkennung auf den Eintritt der (formellen) Rechtskraft verzichtet, weil dies eben nicht in allen Vertrags- und Mitgliedstaaten gefordert ist.340 Unhaltbar erscheint deswegen das methodisch entgegengesetzte Vorgehen Kochs 341, der aus einem autonom weit konstruierten Unvereinbarkeitsmaßstab entsprechend erweiterte Rechtskraftgrenzen ableiten will, obgleich nur ein geringer Teil der Vertrags-/Mitgliedstaaten eine Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe kennt. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO hat sich entsprechend dem übergeordneten Prinzip der Urteilsfreizügigkeit an dem in realiter ermittelten Konfliktpotential zu orientieren. De lege ferenda überlegenswert erscheint, dem zumindest in § 328 Nr. 3 ZPO (im Hinblick auf die Rechtshängigkeit) ansatzweise berücksichtigten Prioritätsprinzip auch für Art. 34 Nr. 3 EuGVVO mehr Raum zu gewähren, wie es der ne bis in idem-Wirkung der Rechtskraft entsprechen würde. Das in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO verankerte Nationalitätsprinzip zu opfern, wäre ein notwendiger Schritt, der dem häufig beschworenen gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre Justiz nur entgegenkommen würde. Es ist deswegen Geimer 342 zuzustimmen, der etwa für § 328 Nr. 3 ZPO die Kollision nach den gleichen Grundsätzen gelöst hätte, die für § 580 Nr. 7a ZPO gelten.343 Entscheidend für die Nichtanerkennung wäre dann, ob die Entscheidung in derselben Sache (nach § 580 Nr. 7a ZPO genügt auch Präjudizialität) früher rechtskräftig geworden wäre. Da das inländische Urteil aber nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO stets den Vorrang genießt, kann das ausländische Urteil keine Wirkung im Inland entfalten. Dies gilt selbstverständlich, wenn die inländische Entscheidung früher Geltungskraft erlangt hat. Im Übrigen eliminiert diese die Wirkungen der ausländischen Entscheidung ex nunc auch dann, wenn sie unRechtskraftwirkung oder selbständige Präklusion verstanden wird, Lenenbach, S. 155. Im Übrigen spricht die Tatsache, dass Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nur noch auf Rechtsbehelf hin im Rahmen der Vollstreckung zu prüfen ist, gerade für eine enge Auslegung an Vollstreckungszusammenhängen und nicht für eine Ausweitung. 339 Instruktiv Kössinger, S. 176 f., oben § 14 II. 340 Kössinger, S. 175 f.; Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 32 EuGVVO Rn. 33; Bericht von Jenard/Lemontey, Convention, S. 87. 341 Oben § 37 IV. Ähnlich ist aber auch der Standpunkt, den Nieroba, S. 238 ff., einnimmt; dazu Mittenzwei, Die Verhinderung von Urteilskollisionen, S. 195 f. 342 Zöller/Geimer, ZPO, § 328 Rn. 199; kritisch auch MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 328 Rn. 95. 343 Schack, IZVR, Rz. 945.
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ter Missachtung von Art. 27 EuGVVO später ergangen ist.344 Dies bedeutet, dass die ne bis in idem-Wirkung der ausländischen Entscheidung nachträglich wieder beseitigt wird, wenn die inländische Entscheidung unter Missachtung dieser zustande kommt. Ein ausländisches Urteil wird unbestrittenermaßen nicht anerkannt, wenn es sich zu einem früheren inländischen Judikat in Widerspruch setzen würde. Für das inländische Urteil gilt das Prioritätsprinzip aber nicht, was mit dem Geist und den Zielen des EuGVÜ und noch mehr mit der EuGVVO nicht in Einklang steht.345 Zwar konnte dieser Vorrang des inländischen Urteils in der Anfangsphase des Übereinkommens als Zugeständnis an die nationalstaatliche Souveränität verstanden werden.346 Nunmehr erscheint es aber mehr und mehr unvertretbar, „den in einem solchen Kollisionsfall offenkundig vorliegenden Verstoß des inländischen Gerichts gegen die materielle Rechtskraft der anzuerkennenden ausländischen Entscheidung auch noch durch den Vorrang des inländischen Urteils zu honorieren.“347 Aufgrund dieses absoluten Vorrangs des inländischen Urteils muss Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ mehr als Störfaktor im internationalen Rechtsverkehr denn als integrierender Bestandteil begriffen werden. Insoweit erscheint die in der Literatur geübte rechtsdogmatische Kritik an Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO berechtigt.348 Spätestens aber seit den Beschlüssen von Tampere im Jahre 1999349 und dem anschließenden Maßnahmenprogramm350 des Rats und der Kommission zur Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung in Zivilsachen stellt das Nationalitätsprinzip einen Anachronismus dar, der bereits im Rahmen der Revision des EuGVÜ beseitigt hätte werden müssen. Im Gegensatz zur antiquierten Regelung in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO351 haben etwa Art. 21 EuVTVO und Art. 22 EuMahnVO bzw. Art. 22 EuSCVO das Prioritätsprinzip wieder gestärkt. Die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt hat der Vorschlag der Hess/Pfeiffer/Schlosser-Studie für eine Revision von Art. 34 EuGVVO, der sich an diesen Neuregelungen orientiert352: 344 Zöller/Geimer, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 38; a.A. Schlosser, Art. 34 EuGVVO Rn. 22: ex tunc. 345 Ausführlich auch McGuire, Verfahrenskoordination, S. 180 f. 346 Vgl. hierzu auch Oberhammer, IPRax 2002, 430; Schlosser, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 22. 347 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 158 f.; kritisch auch MünchKomm/Gottwald, ZPO, § 328 Rn. 95; Leible/Freitag, Forderungsbeitreibung, § 5 Rn. 140: rechtspolitisch verfehlt; ausführlich Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 103. 348 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 158 f. 349 Sondertagung des Europäischen Rates zur Justiz- und Innenpolitik von Tampere am 15./16. 10. 1999, vgl. NJW 2000, 1925. 350 AblEG 2001, Nr. C 12, S. 1. 351 Auch der vom EuGH in ständiger Rechtsprechung beschworene Vertrauensgrundsatz (vgl. auch die Erwägungsgründe Nr. 16, 17) zur EuGVVO sprechen gegen das Nationalitätsprinzip. 352 Hess, in: Report on the Application of Regulation Brussels I, presented by Hess/Pfeiffer/ Schlosser, pg. 253.
§ 38 Abschließende Stellungnahme zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO
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„Article 34 (3), (4) JR could be redrafted as follows: ‚A judgment shall not be recognised: (…) 3. if it is irreconcilable with an earlier judgment or an order previously given in any Member State or third country, provided that (a) the earlier judgment or an order involve the same cause of action between the same parties, and (b) the earlier judgment or an order fulfils the conditions necessary for its recognition in the Member State of enforcement, and (c) the pendency of the parallel proceedings, Article 27 and 30 JR, or the irreconcilability could not have been sought in the court proceedings in the Member State of origin.‘“
Ohne diesen Vorschlag an dieser Stelle näher diskutieren zu wollen, ist neben der Orientierung am Prioritätsprinzip (earlier judgment) die inhaltliche Begrenzung des Anerkennungs- und Vollstreckungshindernisses auf the same cause of action auffällig, an der es bei Art. 34 Nr. 3 EuGVVO bisher gerade fehlt. Zumindest spricht dieser Vorschlag, wie auch die als Vorbild dienenden europäischen Regelungen, eher gegen eine weite Ausdehnung auf materiellrechtliche Vorfragen. Zwar bieten EuGVÜ/LGVÜ und EuGVVO selbst keinen Mechanismus zur Auflösung von Rechtskraftkollisionen an. Gegen eine weite Anerkennungspflicht spricht dies unmittelbar aber nicht. Vielmehr kann im Rahmen der vom autonomen Recht des Zweitstaates zur Verfügung gestellten Mechanismen Abhilfe gefunden werden, etwa durch die Aufhebung des zweiten Urteils nach §§ 580 f. ZPO. Aus diesen Gründen erscheint eine enge und rechtskraftorientierte Auslegung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO gerechtfertigt. Etwaige Auslegungsschwierigkeiten in Bezug auf Art. 34 Nr. 3 EuGVVO könnten sich im Übrigen im Rahmen von Art. 27 EuGVVO nur potenzieren. Bereits aus diesem Grund empfiehlt es sich aber, die Rechtshängigkeitssperre nicht sklavisch an die Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO zu knüpfen.353 Nach dem Sinn des EuGVÜ/der EuGVVO, die Freizügigkeit der Urteile zu fördern, liegt es demnach nahe, das Anerkennungshindernis der Unvereinbarkeit nur unter engen Voraussetzungen zu bejahen.354 Zu fordern ist eine schwere Be353 Nach dem EuGH soll durch eine weite Fassung von Art. 27 EuGVVO lediglich eine Situation verhindert werden, die zur Anerkennungsverweigerung nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO führen würde: „Wenn der EuGH dennoch Unvereinbarkeit i.S. v. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ annimmt, lässt er dafür also großzügig ausreichen, dass beide Urteile unabhängig von den Grenzen der Rechtskraftwirkung nach materiellem Recht nicht richtig zusammenpassen; darin sieht er Rechtsfolgen, die sich gegenseitig ausschließen“, Walker, ZZP 111 (1998), 452. 354 Leipold, in: GS Arens, S. 227; Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 134 f.; M. Wolf, in: FS Schwab, S. 561 f. Dann wäre auch diese weite Auslegung von Art. 21 EuGVÜ nicht nötig gewesen, Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 99; Leipold, in: GS Arens, S. 234 f.; EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. C-406/92 – The Tatry/The Maciej Rataj, Slg 1994 I-5439, 5470 f. Rn. 20 hält zumindest theoretisch eine enge Auslegung für geboten; vgl. Musielak/Stadler, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 12: Da Artikel 34 ein Hindernis für die Freizügigkeit der Urteile darstelle, sei diese Bestimmung eng auszulegen. Ein Anerkennungsverweigerungsgrund nach Nr. 3 könne
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einträchtigung der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates, also ähnlich hohe Anforderungen, wie sie sich auch für den ordre public-Vorbehalt finden. Die hierfür notwendige Rechtsverwirrung besteht nur, wenn sich die Urteilswirkungen gegenseitig ausschließen und sich nicht lediglich – ohne Rechtskraft erlangt zu haben – auf Begründungsebene widersprechen.355 Damit wird auch der Anreiz, unter Missachtung der ausländischen Rechtshängigkeit parallele Verfahren in verschiedenen Staaten einzuleiten, verringert. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO stellt im Vergleich zu Art. 34 Nr. 1 EuGVVO die lex specialis dar, so dass der Rückgriff auf die lex generalis unzulässig ist.356 Einer missbräuchlichen Aushöhlung des ordre public-Vorbehalts wird damit vorgebeugt. Daraus ergibt sich m.E. aber zugleich, dass die für Art. 34 Nr. 3 EuGVVO erforderliche Urteilskollision ähnlich schwerwiegende Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung des Anerkennungsstaates haben sollte.357 Die Nähe zum ordre public-Vorbehalt legt somit eine eingeschränkte Anwendung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nahe. Die Forderung nach einer „effektiven Beeinträchtigung“ der Ordnung des Anerkennungsstaates ist damit gerechtfertigt. De lege ferenda wurde bereits bemerkt, dass im Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Neufassung der Brüssel I-VO zwar kein Anerkennungshindernis der „unvereinbaren Entscheidung“ mehr existiert, der zu verhindernde potentielle Entscheidungskonflikt jedoch weiter ein Vollstreckungshindernis darstellt (Art. 43 Kommissionsentwurf), das bei der Vollstreckung von Leistungsurteilen Bedeutung erlangt.358 Erstaunlicherweise folgt diese Neuregelung weiterhin dem antiquierten Nationalitätsprinzip zugunsten der inländischen Entscheidung und durchbricht auf diese Weise das Prioritätsprinzip, was einen Rückschritt gegenüber den Verordnungen der „zweiten Generation“ darstellt. Sinnvoll wäre es dagegen gewesen, nur der früheren inländischen Entnur angenommen werden, sofern „die fremde Entscheidung einer Entscheidung eines Gerichts im Anerkennungsstaat widerspricht, das selbst über einen Streitpunkt entschieden hat“. 355 Auch Walker, ZZP 111 (1998), 452; Dohm, S. 261; Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 203 f. 356 EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff.; oben § 36 II. 357 Diese systematische Ausrichtung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO hält K.Otte indes für wenig weiterführend, Umfassende Streitentscheidung, S. 154: „Rechtssicherheit und materiellrechtliche Ordnung wären eben schon immer dann gefährdet, wenn richterliche Urteilserkenntnisse durchgesetzt werden sollen, die selbst oder deren Fundamente der materiellen Rechtsordnung des Anerkennungsstaates widersprechen.“ Dem ist nicht zuzustimmen: Rein materiellrechtliche Widersprüche gefährden die materiellrechtliche Ordnung des Anerkennungsstaates nicht. Umgekehrt lässt sich nicht aus der systematischen Nähe zu Art. 34 Nr. 1 EuGVVO schließen, dass für Art. 34 Nr. 3 EuGVVO eine rein materiellrechtlich geprägte Auslegung angezeigt ist. 358 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.12.2010, KOM(2010) 748 endgültig, S. 44; vgl. auch oben § 36 V.
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scheidung den Vorrang einzuräumen.359 Die Tatsache, dass die Unvereinbarkeit von Entscheidungen zukünftig kein Anerkennungshindernis mehr darstellen könnte, spricht auch dafür, dass die gegenwärtige Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO sehr maßvoll ausfallen sollte, um die Urteilsfreizügigkeit in Europa nach Möglichkeit zu fördern. Die vom Kommissionsvorschlag aufgeworfenen Folgefragen sind de lege ferenda weitgehend, wenn auch nicht in allen Fällen, lösbar: Rechtskraftkonflikten, die nach Anerkennung der ausländischen Entscheidung im Inland entstehen, kann mit den dafür im nationalen Recht vorgesehenen Instrumentarien begegnet werden, etwa durch die Aufhebung des zeitlich später rechtskräftig gewordenen (inländischen) Urteils nach § 580 Nr. 7a ZPO.360
II. Unterschiede zwischen Art. 34 Nr. 3 und Nr. 4 EuGVVO Die Äußerungen des EuGH in der Entscheidung Tatry361 deuten darauf hin, dass der Begriff der unvereinbaren Entscheidungen mit dem Begriff desselben Anspruchs verwandt ist oder sich mit diesem sogar deckt. Jedoch muss bezweifelt werden, dass Art. 27 I EuGVVO das Ausmaß unvereinbarer Entscheidungen vollständig umreißt. Dennoch wird überwiegend der vollständigen Ausrichtung an Art. 34 Nr. 3, 4 EuGVVO zugestimmt. Da sich diese Norm ihrerseits auf die Rechtskraftwirkungen beziehe, müsse dem bei der Bestimmung des Anspruchs ebenfalls Rechnung getragen werden362, so dass auch Präjudizialzusammenhänge Berücksichtigung fänden. Die vom EuGH gewählte teleologisch-systematische Auslegung der drei miteinander verzahnten Vorschriften komme dem Ziel des Übereinkommens/der Verordnung am nächsten.363 Da Art. 34 Nr. 3 in gleicher Weise wie Art. 34 Nr. 4 EuGVVO zu interpretieren sei, müsste die für Art. 34 Nr. 4 EuGVVO erforderliche Anspruchsidentität auch im Rahmen von Art. 34 Nr. 3 Berücksichtigung finden, womit die gedankliche Verbindung zu Art. 27 EuGVVO ihre systematische Vollendung erfahre.364 In359
Hess, IPRax 2011, 128; ders., Europäisches Zivilprozessrecht, S. 351, unter Hinweis auf die vorbildliche Regelung in Art. 21 EuVTVO. 360 Vgl. zur Kritik aber auch Althammer, in: FS Kaissis (im Erscheinen) und oben § 36 V. 361 Oben § 15 II 2. 362 Bäumer, S. 158 f.: „Orientierungspunkt für den Begriff ‚desselben Anspruchs‘ in Art. 21 EuGVÜ ist im Wege der systematischen Auslegung der Begriff der ‚unvereinbaren Entscheidungen‘ in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ.“ 363 Bäumer, S. 159. 364 Hierzu Nieroba, S. 200 f. Auch Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 255, deutet die EuGHRechtsprechung so, dass die Kernpunktlehre im Rahmen von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO Berücksichtigung finde. Hiergegen zu Recht S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 170: „zumindest gewagt“. – Ausdrücklich findet sich hierzu kein Hinweis in der Rechtsprechung des EuGH.
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
des erscheint zweifelhaft, ob diese gedankliche Brücke wirklich trägt. Denn Art. 27 I EuGVVO soll lediglich der in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO beschriebenen Konfliktsituation im laufenden Verfahren vorbeugen. Somit könnte der Begriff desselben Anspruchs auch weiter als der in Art. 34 Nr. 3 EuGVÜ gefundene Unvereinbarkeitsmaßstab interpretiert werden.365 Aber auch das Gegenteil ist denkbar. Die Diskussion um den Streitgegenstandsbegriff auf europäischer Ebene dreht sich im Kern darum, ob Art. 27 I EuGVVO eng verstanden wird und damit ausreichend Raum für Art. 28 III EuGVÜ als Auffangtatbestand bleibt, oder ob man diese Vorschrift durch eine weite Auslegung von Art. 27 I EuGVVO praktisch entwertet.366 Eine umfangmäßige Beschränkung von Art. 27 I EuGVVO im Vergleich zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO könnte sich gerade aus dem abweichenden Wortlaut von Art. 34 Nr. 4 EuGVVO ergeben.367 Im Gegensatz zu Art. 34 Nr. 4 fordert Nr. 3 EuGVVO eben keine Anspruchsidentität.368 Auch der Jenard-Bericht sieht deswegen – im Gegensatz zu Art. 21 I EuGVÜ – für Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ eine Identität der Streitgegenstände nicht als notwendig an.369 Für den weitergehenden Umfang von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO spricht, dass der unmittelbare Entscheidungskonflikt im Verhältnis von Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten auch dann zur Nichtanerkennung führen soll, wenn der Streitgegenstand (i.S.v. Art. 27 I EuGVVO) nicht identisch ist.370 Art. 34 Nr. 4 EuGVVO dient jedoch der Verhinderung einer Perpetuierung einer bereits aufgetretenen Unvereinbarkeit zwischen zwei (fremden) Entscheidungen in einem weiteren Mitgliedstaat. Aus diesem Grund erscheint hier das zusätzliche Erfordernis identischer Ansprüche sinnvoll. Der Unterschied im Wortlaut von Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVVO ist somit entgegen anderslautender Stimmen371 vom Gesetzge365
K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 159. Bäumer, S. 159, kommt dabei zum Schluss, dass keine der beiden Lösungen der überwiegenden Anzahl der Rechtsordnungen näher kommt. Im romanischen Rechtskreis wird in vielen Fällen, die im Geltungsbereich des Übereinkommens von Art. 21 EuGVÜ erfasst werden, Konnexität angenommen, ein Institut, welches der deutschen Rechtsordnung fremd ist. 367 Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 34 Rn. 20; Lakkis, Gestaltungsakte, S. 333 f. 368 Mit Recht MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 41 f.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 178; Bülow, RabelsZ 29 (1965), 504 Fn. 105. Nach a.A. könne der Wortlaut des Art. 34 Nr. 4 EuGVVO gerade die Brücke zwischen Art. 27 I und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO bilden, hierzu Nieroba, S. 200 f. Für identische Auslegung von Art. 34 Nr. 3 und Nr. 4 EuGVVO: Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 125 f., da beide Vorschriften denselben Sinn, eine Störung durch Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung im Anerkennungsstaat zu verhindern, bezwecken; ebenso K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 159. 369 Bericht von Jenard, AblEG 1979 Nr. C 59, 1, S. 45; ebenso Schack, IPRax 1989, 139. 370 MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 35; Zöller/Geimer, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 41 f., 44; Kössinger, S. 183 f. 371 Etwa K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 159; Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 54; auch Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 49b will aus dem Wortlaut der Vorschriften keinen sachlichen Unterschied kreieren. Diese Stimmen folgern die einheitlich weite Auslegung von Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVVO gerade aus der Tatsache, dass auch Art. 27 366
§ 38 Abschließende Stellungnahme zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO
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ber gewollt. Dies zeigt sich wohl auch darin, dass Art. 43 lit. a und b des Kommissionsvorschlags für eine Neufassung der Brüssel I-VO vom 14.12.2010 diese Differenzierung aufrechterhalten. Im Ergebnis folgt daraus, dass Art. 27 I und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO in ihrem Anwendungsbereich nicht (vollständig) übereinstimmen. Insoweit ist bei der Bestimmung des Unvereinbarkeitspotentials auch ein weiterer Maßstab als im Rahmen von Art. 27 I EuGVVO denkbar.372 Von anderer Seite wird der teleologische Zusammenhang, den der EuGH zwischen diesen Normen aufgebaut hat, als zwingend angesehen. Auf den möglichen Einwand, eine Relativität der Begriffe erscheine nicht sinnvoll, da der Status der Unvereinbarkeit nicht über Art. 28 EuGVVO koordiniert werden könne, ist noch einzugehen.373
III. Konkrete Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO Eine effektive Beeinträchtigung der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates droht, wenn nach Anerkennung inhaltlich divergierende rechtskräftige Feststellungen miteinander konfligieren würden.374 Diese Deutung rechtfertigt sich aus dem systematisch-teleologischen Zusammenhang zwischen Art. 34 Nr. 3 EuGVVO und Art. 33 EuGVVO. Die Wirkungserstreckungslehre sollte deswegen nicht nur bei der Anerkennung der Entscheidungswirkungen des ausländischen Urteils im Anerkennungsstaat zur Anwendung kommen, sondern auch bei der Beantwortung der Frage, ob die beiden Entscheidungen in ihren Ergebnissen miteinander unvereinbar sind, den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden. Klargestellt sei, dass dieses rechtskraftindizierte Vorgehen keine Beschränkung der Unvereinbarkeit auf enge nationale Streitgegenstandsvorstellungen bedeutet, die über den Rechtskraftumfang mitentscheiden. 375 Die vom
I EuGVVO auf Anspruchsidentität abstellt, was den EuGH nicht von einer weiten Auslegung abhalte; Lakkis, Gestaltungsakte, S. 337. 372 Nieroba, S. 200; a.A. Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 124 f.; Lakkis, Gestaltungsakte, S. 335, die aber selbst auf den aus dem Wortlaut von Art. 34 Nr. 3 folgenden streitgegenstandsunabhängigen und damit weiteren Anwendungsbereich der Vorschrift hinweist. 373 Unten § 39 IV 1, 2. 374 Der von Lenenbach vorgeschlagenen Ausrichtung am unmittelbaren Rechtskraftkonflikt ist somit zuzustimmen. Die Tatsache, dass in einigen Staaten, wie etwa Frankreich, der Eintritt der formellen Rechtskraft nicht erforderlich ist, damit die Entscheidung Wirkungen entfaltet, steht dem nicht entgegen. Dieser europaweit uneinheitliche Maßstab könnte auch erklären, warum der EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff., lediglich darauf abstellte, ob die Entscheidungen Rechtsfolgen haben, die sich gegenseitig ausschließen. Rechtskraft ist jedoch gefordert, wenn der jeweilige Staat, wie etwa Deutschland, die Wirkungen des Urteils an den Eintritt formeller Rechtskraft knüpft. 375 So etwa die missverständliche Deutung eines rechtskraftorientierten Vorgehens durch
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EuGH376 und im Bericht von Jenard 377 zu Recht abgelehnte Orientierung an nationalen Streitgegenstands- und Rechtskraftgrenzen hat nichts gemein mit der hier vorgeschlagenen Vorgehensweise, so dass auch mit Rechtskraft ausgestattete Vorfragenentscheidungen im Rahmen von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO Beachtung finden können. Denn Art. 34 Nr. 3 EuGVVO begrenzt das zu beachtende Unvereinbarkeitspotential nicht auf „identische Ansprüche“. Voraussetzung ist lediglich, dass rechtskräftige Feststellungen (eventuell über Vorfragen) miteinander kollidieren.378 Aus diesem Grund genügt es für die Unvereinbarkeit bereits, dass ein englisches und ein französisches Urteil die Wirksamkeit eines Vertragsverhältnisses jeweils rechtskräftig in den Entscheidungsgründen widersprechend beurteilen.
1. Rechtskraftkonflikt bei Streitgegenstandsidentität: Die Bedeutung des Interesses Unvereinbarkeit liegt vor, wenn bereits die Streitgegenstände (teil)identisch sind oder im Verhältnis des kontradiktorischen Gegenteils zueinander stehen.379 Dies gilt insbesondere, wenn bereits die engen Voraussetzungen der Antragsidentität erfüllt sind. Bei der Ermittlung der Streitgegenstandsübereinstimmung sollte auch – insbesondere für die Bestimmung des kontradiktorischen Gegenteils – der im Rahmen dieser Studie befürworteten Ausrichtung am Interesse Rechnung getragen werden, das sich als trennscharfes Abgrenzungskriterium erwiesen hat.380 Dies bedarf im Folgenden indes noch näherer Erläuterung.
2. Rechtskräftig entschiedene Vorfragen Ein Rechtskraftkonklikt besteht auch dann, wenn eine rechtskräftig in den Urteilsgründen beschiedene Vorfrage mit einem Urteil kollidiert381, dessen Gegenstand dieselbe Rechtsfrage bildet, wie dies bei einem negativen oder positiven Feststellungsurteil der Fall wäre. Denkbar erscheint schließlich, dass jeweils rechtskräftige Feststellungen eines ausländischen und inländischen Urteils miteinander kollidieren. Auch dann sind die Voraussetzungen von Art. 34 Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 34 EuGVVO Rn. 168; richtig hingegen M. Wolf, in FS Schwab, S. 650 f. 376 EuGH, Urt. v. 4.2.1988, Rs. 145/86 – Hoffmann/Krieg, Slg. 1988, 645 ff. 377 Bericht von Jenard, ABlEG 1979 Nr. C 59, S. 45. 378 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 151 ff.; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 17; weitergehend etwa: OGH IPRax 2002, 408; ebenso wohl Oberhammer, IPRax 2002, 425 (428). 379 Vgl. auch Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 328 Rn. 95. 380 Oben § 22 II, § 30 I, § 32 II 2, V. 381 Denkbar ist dies etwa nach englischem, französischem oder auch griechischem Recht (vgl. § 322 hZPG), oben § 13 II 2, § 14 II.
§ 38 Abschließende Stellungnahme zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO
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Nr. 3 EuGVVO erfüllt.382 Dies wäre etwa der Fall, wenn ein englisches und ein französisches Leistungsurteil abweichend mit Rechtskraft über die Vorfrage der Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses in den Gründen entschieden. Unvereinbar wären demnach auch eine Entscheidung, die den Beauftragten zur Herausgabe des aus der Geschäftsführung Erlangten verpflichtet, und eine Entscheidung, die den Anspruch des Beauftragten auf Aufwendungsersatz verneint, wenn die Frage der Wirksamkeit des Auftrags jeweils rechtskräftig und widersprechend in den Entscheidungsgründen entschieden wurde. K. Otte383 hält insoweit jedoch eine EuGVÜ-immanente Beschränkung der Anerkennungssperre für geboten. Denn der Widerspruch der rechtskräftigen Entscheidungsgründe sei um der Anerkennung willen in Kauf zu nehmen, wenn jeweils unterschiedliche Rechtsschutzinteressen in Streit stünden. Vorstellbar ist dies dergestalt, dass das französische Gericht der Klage des Vermieters auf Mietzinszahlung stattgibt, während das englische Gericht eine Schadensersatzklage des Vermieters wegen Beschädigung der Mietsache durch den Vermieter wegen Unwirksamkeit des Vertrages abweist. Beide Rechtsordnungen kennen eine Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe.384 Nach Otte habe hier der Anerkennungsanspruch Vorrang vor der Rechtskraftwirkung der Gründe, weil für die Unvereinbarkeit die Urteilserkenntnisse wichtiger seien als die rechtskräftigen Begründungen. Dem ist nicht zu folgen.385 Vielmehr fordert Art. 34 Nr. 3 EuGVVO, der im Gegensatz zu Art. 34 Nr. 4 und Art. 27 I EuGVVO das einschränkende Kriterium der Anspruchsidentität nicht kennt, keine übereinstimmenden Rechtsschutzinteressen im Konfliktfall. Kollidieren somit rechtskraftfähige Feststellungen in den Entscheidungsgründen, so dass einmal die Wirksamkeit eines präjudiziellen Vertragsverhältnisses bejaht, im anderen Falle hingegen verneint wird, so würde durch die Anerkennung des ausländischen Urteils das Ordnungsinteresse des Anerkennungsstaates empfindlich gestört. Denn im Anerkennungsstaat geriete der Richter eines Folgeprozesses, in dem die jeweils unterschiedlich entschiedene Rechtsfrage nochmals entscheidungserheblich wäre, in einen Konflikt, welcher Feststellung Folge zu leisten wäre, was wohl nach dem Prioritätsprinzip zu entscheiden wäre. Der Rechtsverwirrung wäre Vorschub geleistet. Indes setzt dies den Nachweis voraus, dass die jeweiligen Feststellungen tatsächlich in Rechtskraft erwachsen sind, was aufgrund 382 Für die Feststellung der Unvereinbarkeit ist ein Eingehen auf die nationalen Rechtskraftvorstellungen unabdingbar, insbesondere erscheint die Einholung eines Rechtsgutachtens zumutbar. A.A. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 214 ff.: Für die Bestimmung der Unvereinbarkeit spiele eine Rechtskraftwirkung der Gründe keine Rolle. 383 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 214 ff. 384 Vgl. zu diesem Beispiel oben § 38 III. 385 Ebenso Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 169: Hier steht Rechtskraft gegen Rechtskraft. Anderes gilt hingegen für die engere Fassung von Art. 34 Nr. 4 EuGVVO.
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der Sprachbarrieren nicht immer leicht zu beantworten sein wird.386 In Zweifelsfällen sollte deswegen von einer Anerkennungspflicht ausgegangen werden. De lege ferenda erscheint im Übrigen entsprechend dem Vorschlag von Hess erforderlich, dass die in Art. 21 EuVTVO enthaltene Beschränkung der Unvereinbarkeit auf die Situation der Streitgegenstandsidentität auch in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO Verankerung fände, wie dies bereits in Art. 34 Nr. 4 EuGVVO der Fall ist.387 Bis dahin kommt aber aufgrund des eindeutigen Willens des Gesetzgebers eine Reduktion der Vorschrift nicht in Betracht.
3. Präjudizialitätsverhältnisse Unvereinbarkeit im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO liegt nach Auffassung des EuGH vor388, wenn Entscheidungen Rechtsfolgen haben, die sich gegenseitig ausschließen. Hiernach wurden ein deutsches Unterhaltsurteil auf Getrenntlebendenunterhalt und ein niederländisches Scheidungsurteil für miteinander unvereinbar erklärt. Des Weiteren sei ein Urteil, das zur Vertragserfüllung verpflichte, nicht vereinbar mit einer anderen Entscheidung, welche die Unwirksamkeit des Vertrages feststelle.389 Diese Ausrichtung des Unvereinbarkeitsbegriffs orientiert sich offensichtlich nicht an den nationalen Grenzen der materiellen Rechtskraft. In beiden Fällen könnten die Judikate auf Rechtskraftebene nebeneinander Bestand haben. Die Folgerung, der EuGH begnüge sich bei seiner Interpretation mit einem Widerspruch der nicht rechtskraftfähigen Entscheidungsgründe, so dass seine Sichtweise der Unvereinbarkeit eine rein materiellrechtliche sei390, trifft dennoch nicht zu. Denn in allen Judikaten war wenigstens ein Präjudizialitätskonflikt betroffen391, d.h. der Urteilsgegenstand einer Entscheidung (etwa ein Feststellungsurteil über ein Vertragsverhältnis) bildete zugleich eine Vorfrage für den anderen Prozess (etwa Leistungsklage aus dem Vertrag). Auch der BGH hat in einem Nichtannahmebeschluss die Entwicklung auf europäischer Ebene so gedeutet, „dass jedenfalls den bisherigen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Frage ‚desselben Anspruchs‘ im Sinne von Art. 21 EuGVÜ immer Fälle zugrunde lagen, bei denen der zu erwartende rechtskräftige Ausspruch des einen Verfahrens ein für das
386
Allgemein R. Stürner, RabelsZ 69 (2005), 251. Oben § 38 I. 388 Oben § 36 II. 389 Oben § 15 II 1a. 390 So Nieroba, S. 193; dagegen mit Recht Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 135. 391 Kondring, IPRax 2007, 144 f.; auch in der Entscheidung Tatry, oben § 15 II 2, stand keineswegs nur ein Vorfragenkonflikt im Vordergrund. Vorfragenkonflikt bedeutet im Gegensatz zum Präjudizialitätskonflikt, dass in beiden Entscheidungen nur in den Gründen über die gemeinsame Rechtsfrage entschieden wird. 387
§ 38 Abschließende Stellungnahme zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO
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andere Verfahren präjudizielles Rechtsverhältnis betraf“.392 Bereits aus diesem Grund kann dem EuGH eine an materiellen Sinnzusammenhängen orientierte Richtigkeitskontrolle nicht unterstellt werden. Ein vorgreifliches Verhältnis betraf im Übrigen auch die einzige im Bericht von Jenard genannte Konstellation: „So kann z.B. ein französisches Gericht, vor welchem die Anerkennung eines belgischen Urteils geltend gemacht wird, das einen Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Vertrages betraf, diese Anerkennung versagen, wenn ein französisches Gericht bereits durch ein zwischen denselben Parteien ergangenes Urteil diesen Vertrag für nichtig erklärt hat“.393
Hinzu kommt in diesem Beispiel aber, dass die Rechtsordnungen beider Länder eine Rechtskraftwirkung tragender Urteilselemente kennen.394 Fraglich erscheint somit, ob ein bloßes Präjudizialverhältnis wie in Gubisch/ Palumbo395 für die Anwendung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO genügt.396 Lenenbach hat zu Recht darauf hingewiesen, dass hier die Anerkennung der ausländischen Urteilswirkungen unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge nicht gehindert sein könnte. Erachtet man die Kollision rechtskräftiger Feststellungen für maßgeblich, dann waren diese Voraussetzungen in der Entscheidung Gubisch/Palumbo397 nicht erfüllt.398 Zwar entscheidet das negative Feststellungsurteil in Italien mit Rechtskraft über die Frage der Wirksamkeit des Vertrages, die wiederum eine Vorfrage des Leistungsanspruches in Deutschland bildet. Jedoch erwächst im deutschen Leistungsurteil der Aspekt der Wirksamkeit des Vertrages nicht in Rechtskraft. Bei formaler Betrachtung besteht der Konflikt nur zwischen einem rechtskräftigen Feststellungstenor und einer nichtrechtskräftigen Vorfragenentscheidung.399 K. Otte400 empfindet dennoch wie die h.L. 392
BGH, Beschl. v. 4.4.2001, VIII ZR 121/00 (Nichtannahmebeschluss), n.v. Ebenso Oberhammer, IPRax 2002, 425 ff. 393 Bericht von Jenard zu Art. 27 EuGVÜ, ABlEG 1979 Nr. C 59, S. 45. 394 Oben § 14 II. 395 Oben § 15 II 1. 396 So Generalanwalt Darmon in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Hoffmann/ Krieg (Rn. 11 f.): Hiernach sei eine Entscheidung, welche eine Person zur Erfüllung eines Vertrages verurteilt, unvereinbar mit einer Entscheidung, durch welche der Vertrag für unwirksam erklärt wird (auch Bericht von Jenard, AblEG 1979 Nr. C 59, S. 45). Nicht unvereinbar seien dagegen ein Urteil, mit welchem der Käufer zur Zahlung des Kaufpreises verurteilt werde und ein Urteil, nach welchem der Verkäufer seinem Vertragspartner gegenüber Schadensersatz wegen verborgener Mängel zu leisten hat. Denn die jeweiligen Forderungen könnten gegeneinander aufgerechnet werden. Vgl. auch McGuire, Verfahrenskoordination, S. 81: Der logische Widerspruch zwischen einem Feststellungsurteil, das einen Vertrag für unwirksam erkläre, und einem Urteil, das die Erfüllung aus einem solchen Vertrag gestatte, könnte nicht ernsthaft bezweifelt werden. 397 Oben § 15 II 1. 398 Rüßmann, ZZP 111 (1998), 415 f. 399 So Leipold, in: GS Arens, 235; ders. in: Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399 f.; ähnlich Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 133 f. 400 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 202 folgert die Unvereinbarkeit von nega-
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zwischen beiden Judikaten einen evidenten Widerspruch, weil das rechtskräftige Ergebnis der Feststellungsklage (Vertragsnichtigkeit) mit dem rechtskräftigen Ergebnis der Leistungsklage, das die Vollstreckbarkeit des auf einem wirksamen Vertrag beruhenden Anspruchs anordne, nicht in Einklang zu bringen sei. Warum diese Ergebnisse schlechthin unerträglich sein sollen, haben aber weder der EuGH noch die Literatur401 bisher mit Zufriedenheit beantworten können.402 Ist das Feststellungsurteil zeitlich vor dem Leistungsurteil ergangen, könnte das deutsche Verfahren über die Zahlungsverpflichtung nach § 580 Nr. 7a ZPO überdies wiederaufgenommen werden. „Dieselbe Sache“ im Sinne dieser Vorschrift liegt nach h.L. auch dann vor, wenn das frühere Urteil präjudizielle Bindungswirkung auf das zweite Verfahren entfalten würde.403 Im zeitlich umgekehrten Fall bleiben beide Entscheidungen nach der deutschen Rechtsordnung nebeneinander bestehen, was von ihr aber scheinbar auch beim Aufeinandertreffen zweier deutscher Urteile nicht als schwerer Übelstand empfunden wird. Warum sollte dies bei Beteiligung eines ausländischen Urteils anders ein? Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei Nichtanerkennung des italienischen Feststellungsurteils in Deutschland die Frage der Vertragswirksamkeit weiter offen bliebe und u.U. ein zweiter Prozess durchgeführt werden müsste.404 Schlosser tritt deswegen zumindest für den Fall, dass die ausländische Entscheidung früher rechtskräftig wurde, mit Recht für eine Anerkennungspflicht ein, tivem Feststellungsurteil und Leistungsurteil aus der hypothetischen Betrachtung, wie die Rechtskraftbindung des einen Urteils das andere beeinflussen könne. Nicht entscheidend sei, dass tatsächlich Rechtskraftbindung bestehe, so dass auch die zeitliche Reihenfolge der Entscheidungen unerheblich sei. 401 Unvereinbarkeit bejaht für die Entscheidung Gubisch/Palumbo, EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86, Slg. 1987, 4861, oben § 15 II 1; auch Wernecke, Einheitlichkeit, S. 73: „Aus dem Mangel des Rechtsverhältnisses folgt, schlagwortartig ausgedrückt, als prozessuale Unangreifbarkeit die Nichtexistenz aller aus ihm abgeleiteten Ansprüche. Dementsprechend steht ein Urteil, das eine Leistungspflicht auf der Grundlage eben dieses Rechtsverhältnisses bejaht, in unvereinbarem Gegensatz zu dem Feststellungsurteil, das diese Pfl icht verneint … Der Ausspruch über den Feststellungsantrag beinhaltet das konträre Gegenteil des Leistungsurteils“. 402 Zwar ist, worauf Rüßmann, ZZP 111 (1998), 415 f., mit Recht hingewiesen hat, dieser Widerspruch für einen juristischen Laien nicht leicht auflösbar. Zumindest kann aber der Verkäufer auch bei Vertragsunwirksamkeit einen Zahlungsanspruch haben, wenn die gelieferte Ware verbraucht wurde. Offensichtlich kein Widerspruch besteht aber in dem Fall, dass die Kaufpreisklage (etwa wegen Erfüllung) abgewiesen wird, aber der Vertrag selbst für wirksam erklärt wird. 403 Zöller/Greger, ZPO, § 580 Rn. 14 mit weiteren Nachweisen. Auf diese Deutung von § 580 Nr. 7a ZPO („dieselbe Sache“) könnte auch von den deutschen Befürwortern der Kernpunktlehre des EuGH rekurriert werden, oben § 16 I. 404 Nierobas Einwand, das Feststellungsurteil könnte zu einem Rückforderungsprozess führen, dessen Entscheidung dann nach Anerkennung in Deutschland das dortige Leistungsurteil konterkarieren könnte, erscheint beachtlich. M.E. würde dies aber zu viele (hypothetische) Kausalelemente in die Argumentationskette einbeziehen.
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weil das ausländische Feststellungsurteil zukünftigen Leistungsklagen (aus dem Vertrag) präjudiziell zugrunde gelegt werden könnte.405 Etwaige Widersprüche auf Vorfragenebene können, insbesondere soweit sie ein präjudizielles Rechtsverhältnis betreffen, meist mit den im Inland vorgesehenen Mechanismen nach Anerkennung der ausländischen Entscheidung, § 580 Nr. 7 a ZPO, § 767 ZPO, beseitigt werden. Dies ist unproblematisch, wie gezeigt, soweit das inländische Urteil die Rechtskraftwirkung der früheren ausländischen Entscheidung nicht beachtet hat und deswegen anzupassen wäre.406 Der Grundsatz, dass der Konflikt nach dem Recht des Anerkennungsstaates zu entschärfen ist, muss aus Gründen der Gleichbehandlung des inländischen und ausländischen Urteils aber auch dann Anwendung finden, wenn das ausländische Urteil auf Prämissen aufbaut, welche mit der materiellen Rechtskraft oder der Gestaltungswirkung eines inländischen Urteils unvereinbar sind.407 Gerade in diesen Fällen der Präjudizialwirkung der Rechtskraft kann dem ausländischen Urteil nach Anerkennung in Deutschland mit der Vollstreckungsgegenklage entgegengetreten werden oder die Abänderung (§ 323 ZPO) verlangt werden. Völkerrechtliche Bedenken bestehen (wohl) nicht, weil der Anerkennungsstaat auch das Recht besitzt, den ausländischen Gerichtsakt mit allen Konsequenzen als inländischen anzusehen.408 Im Vergleich zur Nichtanerkennung erscheint dieses Vorgehen m.E. auch als das mildere Mittel.409 Gegen ein Wiederaufnahmeverfahren in Deutschland könnte jedoch die zwingende Vorschrift des Art. 35 III EuGVVO sprechen.410 Dies steht aber einer Anerkennung der Entscheidung nicht entgegen, sondern könnte auch nahelegen, dass das Wiederaufnahmeverfahren unter Einhaltung der in der EuGVVO beschriebenen Zuständigkeitsordnung durch405
Schlosser, Art. 34 EuGVVO Rn. 23; vgl. aber auch Rn. 22, Ablehnung der Anerkennung für den Fall, dass das ausländische Urteil „auf Prämissen aufbaut, die mit der materiellen Rechtskraft oder der Gestaltungswirkung eines inländischen Urteils unvereinbar sind.“ 406 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 87, S. 170. 407 Zu Recht Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 157, S. 170; a.A. Schlosser, Art. 34 EuGVVO Rn. 22, der hier die Anerkennung versagen will. 408 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 155 f. 409 Zur Rechtslage de lege ferenda nach einer möglichen Abschaffung des Anerkennungshindernisses der unvereinbaren Entscheidungen siehe oben § 36 V. Auch der Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO sieht in seinem Art. 64 vor, dass eine anzuerkennende Entscheidung in der Sache selbst nicht nachgeprüft werden darf. Würde man dies auch auf ein nationales Wiederaufnahmeverfahren beziehen, müssten Rechtskraftkonflikte, die nach dem Prioritätsprinzip beseitigt werden könnten, sehenden Auges hingenommen werden. 410 Angefochten werden soll auch aus Kompetenzgründen mit Mitteln des deutschen Restitutionsrechts nur die deutsche Entscheidung, vgl. B. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 351, der Art. 34 Nr. 3 EuGVVO aber durchaus für verzichtbar hält: „Die Anwendung der Restitutionsvorschriften auf ausländische Urteile setzt freilich die Bereitschaft der Staaten zur Aufhebung inländischer Titel durch ausländische Gerichte voraus – diese Perspektive erscheint vor dem Hintergrund der heterogenen Wiederaufnahmeverfahren in den Europäischen Prozessrechten verfrüht.“
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
zuführen ist. Sind derartige Mechanismen nicht vorgesehen, kann darin auch ein Hinweis liegen, dass ein entsprechender Widerspruch der Entscheidungen nicht als Störung der Rechtsordung empfunden wird. Damit wäre indes für die Präjudizialkonstellationen in Gubisch/Palumbo411 und Hoffmann/Krieg412 entgegen der h.L. keine Unvereinbarkeit anzunehmen.413 Folglich käme als Koordinierungsmechanismus von vorneherein auch nur Art. 28 EuGVVO zum Einsatz.414 Anderes kann sich auch nicht daraus ergeben, dass nach der Intensität des Präjudizialitätszusammenhangs differenziert wird. Für die Frage, ob ein Anpruch auf Erfüllung der vertraglichen Primärpflichten besteht, könnte zwar die Wirksamkeit des Vertrages elementarer sein als für die Frage, ob Sekundäransprüche aus der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht in Betracht kommen. Allerdings bietet diese Differenzierung für Art. 34 Nr. 3 EuGVVO keinen praktikablen Weg. Abschließend ist noch zu bedenken, dass die Beseitigung rein inländischer Unvereinbarkeiten mangels Rechtsharmonisierung keineswegs in allen Mitgliedstaaten in ähnlicher Weise wie in Deutschland erfolgen kann.415 Deswegen wäre die generelle Nichtanerkennung des ausländischen Urteils bei den beschriebenen Präjudizialitätszusammenhängen im Vergleich zur Beseitigung der Kollision nach Anerkennung zweifellos der einfachere Weg.416 In manchen Fällen kann es deswegen vernünftiger sein, die Entscheidung nicht anzuerkennen, wenn sich ein inländischer Auflösungmechanismus verbietet. In der Regel sollte aber ein ausländisches Feststellungsurteil über eine Vorfrage von allgemeiner Bedeutung Anerkennung finden, um es in zukünftigen Verfahren präjudiziell berücksichtigen zu können. Wie noch gezeigt wird417, hängt das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre bei Präjudizialitätsverhältnissen nicht vom Unvereinbarkeitspotential ab.
4. Vorfragenentscheidung ohne Rechtskraftwirkung Kollidieren lediglich nicht rechtskräftige Feststellungen in den Entscheidungsgründen eines ausländischen und eines inländischen Urteils, sollte Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nach dem bisher Gesagten nicht zur Anwendung kommen. Eine all411
Oben § 15 II 1. Oben § 36 II. 413 Eng auch Lüpfert, Konnexität, S. 25 f. A.A. S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 174 f.; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 213 f. Fraglich ist, ob unter Art. 34 Nr. 3 EuGVVO Konstellationen einzuordnen sind, in denen in einem Verfahren ein präjudizielles Verhältnis mit Rechtskraft entschieden wird. 414 Tendenziell restriktiv auch H. Roth, in: FS Jayme, S. 754 ff. 415 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 188. 416 So die Deutung von K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 188. 417 Unten § 39 III. 412
§ 38 Abschließende Stellungnahme zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO
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gemeine materiellrechtliche Richtigkeitskontrolle gilt es zu vermeiden. Gleiches ist anzunehmen, wenn nur in einem Judikat die Vorfrage mit Rechtskraft entschieden wurde. Insoweit kann auch auf die Ausführungen von Generalanwalt Léger in der Rechtssache Italian Leather SpA rekurriert werden, die an Deutlichkeit kaum zu übertreffen sind: „Es lässt sich zum Beispiel daher kaum behaupten, dass Entscheidungen, deren Begründungen, nicht aber deren Rechtsfolgen voneinander abweichen, in dem Sinne unvereinbar wären, dass sie das Rechtsleben des Anerkennungsstaates stören könnten. Auch wenn sie unterschiedlich sind, können die Begründungen, auf denen Gerichtsentscheidungen beruhen, nebeneinander bestehen, sofern die rechtlichen Regelungen, die sich daraus ergeben, nicht miteinander unvereinbar sind.“418
Von der hier vertretenen Warte aus kann dem erst dann nicht mehr zugestimmt werden, wenn zwei tragende rechtskräftige Entscheidungsbegründungen in unmittelbaren Wirkungswiderpruch geraten würden.419 Auch die bisherige Judikatur des EuGH kennt keinen Fall von Unvereinbarkeit, der lediglich darauf basiert, dass in zwei Urteilen dieselbe Vorfrage unterschiedlich behandelt wird.420
5. Vorzüge und Nachteile der Ausrichtung an Rechtskraftkonflikten Die Ausrichtung des Unvereinbarkeitspotentials an Rechtskraftkonflikten entspricht der Wirkungserstreckungslehre und bietet für den Anerkennungsrichter eine relativ sichere Handhabe, ohne sich zu sehr mit der materiellen Stimmig418
Schlussanträge des Generalanwalts Léger, v. 21.2.2002, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995 Rn. 32. 419 Auch Generalanwalt Darmon hatte in seiner Stellungnahme in der Rechtssache Hoffmann/Krieg auf die Gefahren hingewiesen, die mit einem Abheben auf die Entscheidungsgründe verbunden wären, (Rn. 10): Jede Auslegung, „die auf den eigentlichen Inhalt der Entscheidungen abstellt, läuft Gefahr, zu einem zu engen Ergebnis zu führen. Zum Beispiel können zwei Entscheidungen auf einer gegensätzlichen Begründung beruhen, ohne deswegen in ihren Wirkungen miteinander unvereinbar zu sein. Man braucht nur an den Fall zu denken, dass ein Berufungsgericht ein erstinstanzliches Urteil bestätigt, aber die Gründe durch andere ersetzt, sich also für eine abweichende oder gar entgegengesetzte rechtliche Begründung entscheidet.“ Deswegen sei die Unvereinbarkeit auf dem Gebiet der rechtlichen Auswirkungen zu suchen, welche die Anerkennung im Vollstreckungsstaat hätte. Die rechtlichen Auswirkungen sind massiv, wenn zwei unterschiedliche rechtskräftige Feststellungen im Anerkennungsstaat Beachtung erfordern. 420 Vgl. Oberhammer, IPRax 2002, 428: Das Anerkennungshindernis nach Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ dürfte nicht verwirklicht sein, wenn sich in- und ausländische Entscheidung im Vorfragenbereich widersprechen; ebenso K. Otte, in: FS Schütze, S. 640; unrichtig deswegen die Deutung von Dohm, S. 92, der darauf abstellt, dass Unvereinbarkeit in diesem Sinne (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ) bereits dann vorliege, „wenn die ausländische Entscheidung bezüglich eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses zu dem inländischen Urteil in Widerspruch steht“; richtig Kondring, IPRax 2007, 145.
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keit des ausländischen Urteils mit der inländischen Entscheidung befassen zu müssen. Die Forderung nach einer stärkeren Beachtung des materiellen Gedankengebäudes ist im Sinne der Praktikablität eher skeptisch zu bewerten.421 Deswegen ist der u.a. von Lenenbach vorgeschlagenen Ausrichtung an einem unmittelbaren Geltungswiderspruch von Rechtskraft, Interventions- und Gestaltungswirkung zuzustimmen.422 Außerhalb stehende, inhaltliche Widersprüche in den Entscheidungsgründen und den tatsächlichen Feststellungen begründen keine Unvereinbarkeit.423 Sie können im Übrigen häufig mit den vom Anerkennungsstaat gewährten prozessualen Mitteln beseitigt werden.424 Die Ermittlung der Unvereinbarkeit führt bei dieser Sichtweise zurück zur Frage, welche Urteilswirkungen überhaupt anerkannt werden. Das konkrete Unvereinbarkeitspotenzial hängt damit von den beteiligten Rechtsordnungen ab. Gegen diese Lösung könnte sprechen, dass sie schwieriger zu handhaben ist als ein rein autonomer Maßstab425, der von den nationalen Rechtskraftvorstellungen unabhängig ist.426 Im Ergebnis sind diese Folgen aber in konsequenter Umsetzung der Lehre von der Wirkungserstreckung hinzunehmen.427 Art. 33 und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO stimmen insoweit in ihrer Ausrichtung überein. Im Übrigen hat auch Generalanwalt Marco Darmon in seiner Stellungnahme zur Entscheidung Hoffmann/Krieg bemerkt, dass es bei der Ermittlung der Urteilskollision auf den konkreten Konflikt ankäme und eine abstrakte Betrachtungsweise sich nicht empfehle.428 Dabei wird insgesamt zu wenig betont, dass eine 421 So aber Nieroba, S. 199; andeutungsweise Leipold, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 455. 422 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 151 f. 423 Wichtig ist insbesondere der Hinweis von Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 154 f., wonach es nicht förderlich sei, unvereinbare Entscheidungen auch dann anzunehmen, wenn die Prozessführung als ordnungsgemäß zu bewerten sei. 424 Oben § 38 III 3. 425 MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 35. Im Zweifelsfall könnte auch ein Rechtsgutachten einzuholen sein. 426 MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 40: wegen der autonomen Bestimmung des Unvereinbarkeitspotentials könnten nationale Rechtskraftwirkungen nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden. Andererseits wird aber, um eine Ausuferung zu vermeiden, doch wieder auf die Rechtskraftwirkungen rekurriert: „Die Unvereinbarkeit sollte sich daher jedenfalls im Ansatz an den Rechtskraftgrenzen der beteiligten Länder und einem darauf aufbauenden vertragsautonomen Konzept der materiellen Rechtskraft orientieren“. Unvereinbarkeit bestehe danach beim Widerspruch rechtskraftfähiger Entscheidungssätze und nur im Einzelfall auch bei besonders krassen Widersprüchen in den Entscheidungsgründen; weiter: Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 155. 427 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 164 ff. Für einen Widerspruch der rechtskraftfähigen Feststellungen auch Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 246, 255, 263. 428 „Die von der Kommission vorgeschlagene abstrakte Vorgehensweise, die in der Prüfung der Frage besteht, ob die Entscheidungen ihrer Natur nach miteinander vereinbar sind, ohne dass die Tragweite ihrer gleichzeitigen Wirkungen in einer bestimmten Rechtsordnung untersucht wird, erscheint mir nicht mit Art. 27 Nr. 3 im Einklang zu stehen. Die Unvereinbarkeit im Sinne dieser Vorschrift ist konkret nach dem Maßstab der rechtlichen Kohärenz
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autonome Auslegung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO Spielraum im Einzelfall lassen muss.429 Denn nicht jede Rechtsordnung empfindet eine Urteilskollision als im gleichen Maße störend. Gerade außerhalb rechtskraftfähiger Entscheidungen muss deswegen bei widersprüchlich beurteilten Präjudizialzusammenhängen auch eine Abwägung der Vor- und Nachteile einer Anerkennung stattfinden. Im Zweifel ist die ausländische Entscheidung jedoch anzuerkennen.
6. Die Bedeutung der Interessenidentität bei Abgrenzungsfragen Zu erörtern bleiben Konstellationen, in denen Urteile sich in ihren Wirkungen gegenseitig aushöhlen oder wirtschaftlich kompensieren, ohne dass nach den beteiligten nationalen Streitgegenstandskonzepten zwingend ein Rechtskraftkonflikt entstünde. Sofern bei der Bestimmung des Streitgegenstands auch die jeweiligen (materiellen) Interessen einbezogen werden, wie im Rahmen dieser Studie empfohlen430, könnten einige dieser zweifelhaften Grenzfälle dem Anwendungsbereich von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO unterstellt werden.431 Kollidieren eine ausländische und eine inländische Entscheidung dergestalt, dass ein Interesse einmal zu-, das andere Mal abgesprochen wird, sind beide miteinander unvereinbar und treten in einen für die Rechtsordnung des Anerkennungsstaates nicht hinnehmbaren Geltungskonflikt.432 Wird der Beklagte in Frankreich auf eine Schadensersatzklage des Klägers hin zur Naturalrestitution verurteilt, während eine entsprechende auf Geldausgleich gerichtete Schadensersatzklage in Deutschland abgewiesen wurde, weil demselben Kläger der Verschuldensnachweis nicht gelang, sind beide Urteile miteinander unvereinbar.433 Das französische Urteil kann in Deutschland nicht anerkannt werden. Dies gilt unabhängig von der Tatsache, dass nach französischer Doktrin Naturalerfüllung und Geldersatz bereits die Voraussetzungen der „identité d’objet“ und damit der Streitgegenstandsidentität erfüllen.434 Für den Unvereinbarkeitsvorwurf entscheidend ist vielmehr, dass Naturalerfüllung und Geldersatz in einem untrennbaren Erfüllungszusammenhang stehen, der grenzüberschreitend stets Beachtung finden muss. Widersprechen sich somit bei festgestellter Interdes ersuchten Staates zu beurteilen“, Schlussanträge von Generalanwalt Darmon, Rs. 145/86, Slg. 1988, 655 f. 429 Angedeutet aber bei MünchKomm/Gottwald, ZPO, EuGVO, Art. 34 Rn. 40, 41. 430 Oben § 22 I, II; § 25 IV; § 30 IV; § 31 VI; § 32 II 2. 431 Die Parteien streiten auch auf europäischer Ebene unmittelbar um bestimmte materielle Rechtspositionen. 432 Fraglich bleibt lediglich, ob in diesem Fall auch ein unmittelbarer Rechtskraftkonfl ikt erforderlich ist. 433 Kössinger, S. 91. 434 Vgl. näher Kössinger, S. 91. Am Ergebnis sollte sich deswegen nichts ändern, wenn die parallelen Klagen in Österreich und Deutschland erhoben würden.
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essenidentität die materiellen Urteilswirkungen, so führt dies zur Unvereinbarkeit, ohne dass es auf jeweiligen Rechtskraftwirkungen in concreto ankäme, wenngleich auch diese häufig in einem Geltungswiderspruch zueinander stehen. Diese Interessenidentität erweist sich damit als nützliches Kriterium auf grenzüberschreitender Ebene, das zur Konkretisierung des Unvereinbarkeitsmaßstabes beitragen kann. Daraus folgt aber auch umgekehrt, dass die Vorstellung eines einheitlichen Interesses zu einer moderaten Erweiterung enger nationaler Rechtskraftkonzepte beitragen sollte.435 Mehr Bedeutung erfährt die Identität des Interesses bei grenzüberschreitenden Prozessen mit umgekehrten Parteirollen. Entscheidend ist dann die Abgrenzung zwischen unbeachtlicher Vorfragenidentität und eines Interessenwiderstreits, der mit der Figur eines (erweiterten) kontradiktorischen Gegenteils beschrieben werden könnte.436 Klagt ein Verkäufer (Werkunternehmer) gegen den Käufer (Besteller) auf den Kaufpreis (Werklohn) und erhebt der Käufer (Besteller) umgekehrt Ansprüche bzw. Rechte aus Mängelgewährleistung (Wandlung bzw. Rücktritt, Minderung oder Schadensersatz), sind die Streitgegenstände bei rein formaler Betrachtung wegen divergierender Klageanträge nach h.L. verschieden.437 Denkbar wäre somit, dass der Käufer zur Kaufpreiszahlung verurteilt wird, ein anderes Gericht aber das Wandlungs- bzw. Rücktrittsbegehren für erfolgreich hält.438 Übergreifende Rechtskraftwirkungen kommen nicht in Betracht, weil die Wirksamkeit des Kaufvertrages bzw. die Mangelhaftigkeit der Kaufsache in beiden Verfahren lediglich eine Vorfrage bildet. Für die Situation, dass der Werklohnunternehmer in Italien seinen Restwerklohn fordert, der Besteller hingegen in Österreich die Rückzahlung der geleisteten Anzahlung im Hinblick auf die Vertragsaufhebung wegen Wandlung verlangt (oder Schadensersatz wegen Schlechterfüllung des Werkvertrags geltend macht), wollte der OGH dennoch in einer jüngeren Entscheidung Art. 27 I EuGVVO zur Anwendung bringen.439 Identität im Sinne der Kernpunkttheorie liege vor, weil die Wirksamkeit des Vertrages in beiden Streitigkeiten das entscheidende Element darstelle.440 Ob diese vergleichbaren Konstellationen noch vom Anwendungsbereich der Kernpunkttheorie erfasst sind, erscheint deswegen zweifelhaft, weil die bisher vom EuGH entschiedenen Urteile Fälle betrafen, in welchen zumindest „der zu erwartende rechtskräftige Ausspruch des einen anhängigen Verfahrens ein für das andere anhängige Verfahren präjudi435
Vgl. oben zum deutschen Recht, § 30 III, § 31 VI, § 32 V. Wernecke, Einheitlichkeit, S. 29, spricht insoweit von konträren Interessen. 437 Buschmann, 167; Kössinger, S. 184; Schütze, RIW 1975, 544; Schütze/Kratzsch, RIW 2000, 939; Schütze, European Journal of Law Reform 4 (2002), 57; Kondring, IPRax 2007, 144 f. 438 OLG Hamm IPRax 1986, 234 mit Anm. Geimer. 439 OGH ÖJZ 2005, 838=IPRax 2007, 134; allgemein Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 10. 440 A.A. OLG Hamm IHR 2003, 242, für eine vergleichbare Konstellation. 436
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zielles Rechtsverhältnis betraf und dieses präjudizielle Rechtsverhältnis von der Rechtskraftwirkung dieses zu erwartenden Anspruchs umfasst wurde.“441 Die Berechtigung zur Wandlung/zum Rücktritt erwächst nach herrschender Doktrin jedoch nicht in präjudizielle Rechtskraft, wenn sie nicht im Wege der Zwischenfeststellungswiderklage ausdrücklich zum Gegenstand des Verfahrens erhoben wird.442 Gleiches gilt für die Wirksamkeit des Kaufvertrages als gemeinsamer Vorfrage. Anders wäre die Situation zu beurteilen, wenn nach der jeweiligen lex fori auch präjudizielle Elemente an der Rechtskraft teilnähmen (so etwa in Frankreich und England)443 und auf diese Weise ein unmittelbarer Geltungskonflikt im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO entstünde.444 Hier bietet sich wiederum an, auf die von Kläger und Beklagten verfolgten Interessen zu rekurrieren. Das Verlangen nach (Rest-)Kaufpreiszahlung konkurriert mit dem gegenläufigen Rücktritts- und Schadensersatzbegehren, weil bildlich gesprochen eine materielle Position gegeben würde, die andererseits sofort wieder genommen wird.445 Damit geraten die Urteilswirkungen (im weiteren Sinne) miteinander in Konflikt, womit die Voraussetzungen der Unvereinbarkeit m.E. vorliegen.446 Hinter diesem gemeinsamen „Sachverhaltskern“ steht ein greifbarer Interessengegensatz, wenngleich beide Klageanträge in der Höhe möglicherweise divergieren. Diese Unvereinbarkeit wird nicht, wie Generalanwalt Darmon glaubte, dadurch vermieden, dass die jeweiligen Forderungen im Anerkennungsstaat gegeneinander aufgerechnet werden könnten.447 Auch für 441 So Kondring IPRax 2007, 145; vgl. BGH, Beschluss v. 4.4.2001, Az. VIII ZR 121/00, n.v. Ähnlich für Art. 21 EuGVÜ: C.A. Milano 26.9.1978, NSW I-21–B 4 = Riv.dir.int.priv. proc. 1978, 843 (Kaufpreis- und Minderungsklage). 442 Vgl. zum deutschen Recht vor der Schuldrechtsmodernisierung BGH NJW 1997, 3164 f. Im Übrigen Kondring, IPRax 2007, 145; Sepperer, S. 148. 443 Oben § 13 II, § 14 II. 444 Kondring, IPRax 2007, 145: Für das italienische Recht dürfte dies im konkreten Fall wohl nicht gelten. Auch Linke, RIW 1988, 825 und Rauscher, IPRax 1985, 317 f., nehmen Unvereinbarkeit an, wenn eine Restkaufpreisklage und eine Klage wegen Rückforderung einer Anzahlung (wegen Wandelung oder Minderung) unterschiedlich erledigt werden. Für Unvereinbarkeit in diesem Fall auch Fischer, in: FS Henckel, S. 210 f. Die Tatsache, dass in verschiedenen Verfahren unterschiedliche Werte auf dem Spiel stünden, bedeute kein Hindernis. 445 Bei der Bemessung der Höhe des Schadensersatzes wegen der Mangelhaftigkeit der gelieferten Waren werden bestehende Restkaufpreisansprüche (im französischen Recht) bereits berücksichtigt, Kössinger, S. 184. 446 Ebenso Stafyla, S. 47. Die beiden Rechtsfolgen konterkarieren sich in materieller Hinsicht. 447 Nicht unvereinbar seien nach seinen ausdrücklichen Worten ein Urteil, mit welchem der Käufer zur Zahlung des Kaufpreises veurteilt werde und ein Urteil, durch welches der Verkäufer seinem Vertragspartner gegenüber zum Schadensersatz wegen verborgener Mängel verurteilt werde, weil beide gegeneinander aufgerechnet werden könnten (Rn. 11 f.); ebenso Cour de cassation, Urt. 3. 11. 1977, Sofraco/Pluimvee, Nachschlagewerk der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht, Serie D, I-27.3–B 1. Gegen Unvereinbarkeit auch K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 167, mit einer Differenzierung zwischen offenen und verborgenen Sachmängeln.
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diese Fallgruppe kann auf die Ausführungen zum nationalen Recht rekurriert werden.448 Insoweit deckt sich die Frage nach der Interessenidentität mit der Ermittlung eines wechselseitigen Kompensationseffekts der Urteile, ohne dass deren getrennte Vollstreckung unmöglich sein müsste.449 Verurteilt ein französisches Gericht den deutschen Verkäufer zum Ersatz des Schadens, welcher dem französischen Käufer dadurch entstanden ist, dass er entgegen dem Wortlaut französischer Bestimmungen am Vertrag festgehalten wurde und nach Kaufpreisklage zur Zahlung verurteilt worden ist, sind beide Judikate ebenfalls miteinander unvereinbar.450 Im Ergebnis wird der Käufer durch das französische Gericht zum Schadensersatz für ein Verhalten verurteilt, welches ein deutsches Gericht als rechtmäßig angesehen hat. Die Einleitung eines gesetzlichen Verfahrens in Deutschland begründet aber im Regelfall keinen Anspruch auf Ersatz der hierdurch entstandenen Verfahrenskosten. Somit würde dem Verkäufer mit der Schadensersatzverpflichtung wieder (zum Teil) genommen, was er gerade mit der Kaufpreiszahlung erhalten soll.451 Beide Entscheidungen würden sich nach Anerkennung des ausländischen Judikats in einem Maße aushöhlen, welches das inländische Ordnungsinteresse nicht unerheblich stört.452 Diese konträren Urteilsfolgen führen zur Unvereinbarkeit nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO.453 Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass mit der Ausrichtung an den Interessen der Parteien auf einem Umweg wieder einer an sich abgelehnten materiellen Stimmigkeitsprüfung das Wort geredet würde. Zum einen korrespondieren mit dieser Sichtweise bereits auf europäischer Ebene z.T. Rechtskraftwirkungen in Gestalt eines (erweiterten) kontradiktorischen Gegenteils.454 Zum anderen ruht der Blick bei der Interessenbetrachtung stets auf den unmittelbaren Urteilswirkungen und den ausgesprochenen Rechtsfolgen, sodass die dog448 Oben § 32 II 1, 2. Das nationale Recht kann bei der Konkretisierung des autonomen Verständnisses von Art. 27 EuGVVO ohne Weiteres zu Rate gezogen werden; ähnlich H. Roth, in: FS Jayme I, S. 752, im Verhältnis von § 148 ZPO und Art. 28 EuGVVO. 449 Insoweit zu Recht Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 38, 45 ff.: Der Entzug einer durch ein Urteil eingeräumten Vermögensposition durch das andere Urteil führt zur Unvereinbarkeit i.S.v. Art. 27 Nr. 3 EuGVVO; zweifelnd, aber offen lassend K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 167; a.A.: Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 147, der die Auffassung von Koch als „materiellrechtlich wirtschaftlich“ bezeichnet. 450 Vgl. die Konstellation in LG Rottweil, IPRax 1989, 45 ff.; Tribunal de Grande Instance Strasbourg, IPRax 1989, 47 f. 451 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 168. 452 Mit Recht K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 168: „Der Gegensatz der Subsumtionsschlüsse ist derart groß, dass sie sich inhaltlich aushöhlen. Er ähnelt einem Rechtskraftkonfl ikt, denn das französische Schadensersatzurteil ist gleichsam vollständig kontradiktorisches Gegenteil des deutschen Zahlungsurteils.“ 453 Zu Recht Lüderitz, IPRax 1989, 25 f., 28; a.A. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 168. 454 In diese Richtung auch Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 160. Ein Rechtskraftkonfl ikt droht dabei zumindest, wenn beiden Klagen gleichzeitig stattgegeben werden würde.
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matische Eingliederung in die Unvereinbarkeitsformel des EuGH455 ohne weiteres gelingt. Eine Ermittlung von materiellen Widersprüchen bei der Beurteilung gemeinsamer Vorfragen findet hingegen nicht statt. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO ist nicht auf streitgegenstandsidentische Rechtskraftkollisionen beschränkt, sondern greift darüber hinaus. Der Umfang dieser Regelung übertrifft entgegen der h.L. den Anwendungsbereich von Art. 34 Nr. 4 und auch von Art. 27 I EuGVVO.456
455 456
Oben § 36 II. Ebenso Tiefenthaler, ZfRV 1997, 72.
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§ 39 Folgerungen für Art. 27 EuGVVO und Art. 28 EuGVVO Aus diesem Umfang der Unvereinbarkeit lassen sich Rückschlüsse für das Verhältnis von Art. 27 I und Art. 28 EuGVVO ziehen. In die Überlegungen einzustellen ist dabei auch der Justizgewährungsanspruch des Zweitklägers, der einstweilen mit der Durchführung eines Zweitverfahrens gesperrt wird.457 Bei einem allzu weiten Verständnis von Art. 27 EuGVVO, d.h. bei einer Ausrichtung an sämtlichen potentiellen Unvereinbarkeitskonstellationen im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO, bestünde aber die Gefahr, dass der Kläger des Zweitverfahrens trotz der Durchführung des Primärverfahrens kein Urteil in der Sache erhielte458, was mit seinem Anspruch auf Rechtsschutz kaum vereinbar wäre.459 Der EuGH hat davor bisher die Augen verschlossen.
I. Ausrichtung von Art. 27 I EuGVVO: Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen und Prognoseentscheidung Im Europäischen Recht hat Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO nach wohl h.L. allein die Aufgabe, unvereinbare Entscheidungen zu verhindern. In der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO steht nicht die Behandlung formell identischer Verfahren im Vordergrund, sondern die Gefahr sachlich unvereinbarer Entscheidungen zu Ansprüchen aus gemeinsamer Rechtsgrundlage.460 Die Auslegung dieser Vorschrift lässt sich nach Ansicht von Böhm deswegen nur aus dem intrasystematischen Zusammenhang mit 457
Hierzu jüngst auch Schmehl, Parallelverfahren, S. 127 f. Walker, ZZP 111 (1998), 463; oben § 36 III. 459 Ebenso Nieroba, S. 186, S. 257. 460 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 153; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 153 f., weist zutreffend daraufhin, dass die knappe Fassung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ auch Ausdruck der bei der Beratung der Vorschrift vorherrschenden Auffassung war, wonach die Vorschrift nur eine geringe praktische Bedeutung haben werde. Insoweit werde ihr unnötig starker Leitcharakter für die Inhalte der Verfahrenskoordination zugeschrieben, wie sie Art. 21, 22 EuGVÜ bezwecken. 458
§ 39 Folgerungen für Art. 27 EuGVVO und Art. 28 EuGVVO
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den Anerkennungsregeln heraus verstehen.461 Aufgrund des Nexus der Vorschriften müsse in allen Fällen der Unvereinbarkeit die Rechtshängigkeitssperre durchgreifen.462 Die Kernpunktlehre beinhalte insoweit auch eine Art vorgreifender negativer „Anerkennungsprognose“.463 In der Tat scheint der beschriebene teleologische Zusammenhang die Anlehnung an den konkret drohenden Rechtskraftkonflikt im Anerkennungsstaat zu erfordern.464 Ein möglicher Geltungswiderspruch zwischen rechtskräftigen Feststellungen ist aber im Vorfeld (insbesondere) auf Vorfragenebene kaum prognostizierbar.465 Die Orientierung der Rechtshängigkeitssperre am drohenden Rechtskraftkonflikt wäre deswegen mit zahlreichen Unwägbarkeiten belastet, etwa mit der Frage, ob die Parteien über einen bestimmten vorgreiflichen Punkt, wie der Wirksamkeit eines Vertrages, im Verlauf des Verfahrens in beiden Prozessen tatsächlich streiten. Diese „streitige Verhandlung“ ist in Ländern, welche wie Frankreich, Belgien, England oder Griechenland eine Rechtskraftwirkung (tragender) Urteilselemente kennen466 , jedoch stets erforderlich. Bei Beteiligung eines dieser Länder wäre somit von vorneherein mit einem weiteren Rechtshängigkeitsumfang zu rechnen. Die Folge wäre eine Differenzierung nach Rechtskreisen, was mit einem autonomen Verständnis von Art. 27 I EuGVVO kaum in Einklang zu bringen sein dürfte.467 Häufig könnte sich die durch Art. 27 I EuGVVO angeordnete Sperrwirkung auch ex post als unnötig erweisen, weil die Prognose sich nicht erhärtet hat. Der Zweitkläger bliebe somit von der Verfolgung seines (selbständigen) Rechtsschutzzieles zunächst ausgeschlossen, sofern ihm nicht die Möglichkeit einer Leistungswiderklage im Ausland eröffnet wird und er diesen Weg tatsächlich beschreitet. Art. 27 I EuGVVO steht der Möglichkeit einer Leistungswiderklage nicht entgegen, weil als Rechtsfolge der Vorschrift nicht die generelle Unzulässigkeit einer weiteren
461
Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 153. In diesem Sinne auch Coester-Waltjen, in: FS Nakamura, S. 100 f.; Schlosser, Art. 27 EuGVVO Rn. 4. 463 Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 153. Dieser Zusammenhang setze ein bis jetzt nur ansatzweise erkennbares „europäisches Rechtskraftsystem“ voraus. Böhm erkennt jedoch, dass auch eine restriktivere Auslegung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ eine entsprechende Einengung der Sperrwirkung (Art. 21 EuGVÜ) erlaubt hätte. Ähnlich. Nieroba, S. 195: Der EuGH habe beide miteinander verbunden, indem er prognostisch das Unvereinbarkeitspotenzial ermittelt habe. 464 Von einer Prognoseentscheidung spricht auch Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 125. 465 Wenn der Gerichtshof durch eine extensive Interpretation der Streitgegenstandsidentität die potentiellen Anwendungsfälle des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ zu eliminieren suche, greife er in die Beurteilungskompetenz der nationalen Gerichte ein, welche über die Unvereinbarkeit nach ihren nationalen Vorstellungen zu befinden hätten, H. Linke, in: Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa, S. 164. 466 Oben §§ 13 II 1 b, 14 II. 467 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 80. 462
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Achter Teil: Abschließende Bewertung der Konzeption des EuGH
Klage wegen desselben Anspruchs, sondern nur die Unzuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates angeordnet wird.468 Bereits aufgrund der beschriebenen prognostischen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der drohenden Unvereinbarkeit von Entscheidungen darf Art. 27 EuGVVO somit nicht, wie die Kernpunktrechtsprechung des EuGH intendiert469, allein am Maßstab von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO ausgerichtet werden.470 Beide Vorschriften überschneiden sich nur teilweise in ihrem Anwendungsbereich. Im Übrigen dient auch Art. 28 EuGVVO der Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen.471 De lege ferenda muss mit Spannung abgewartet werden, inwieweit die Abschaffung des Anerkennungshindernisses nach Art. 34 Nr. 3, 4 EuGVVO bzw. die Herabstufung zu einem Vollstreckungshindernis bei Leistungsurteilen im Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO vom 14.12.2010 den teleologischen Zusammenhang mit Art. 27 I EuGVVO in der Rechtsprechung des EuGH beeinflussen wird.472 Der Leitbildcharakter von Art. 34 Nr. 3, 4 EuGVVO für die Auslegung der Rechtshängigkeitssperre würde dadurch zumindest gemindert. An diesem Befund ändert auch die Zielvorstellung von Erwägungsgrund 18 des Kommissionsvorschlags nichts. Dort heißt es zwar, dass im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden müssten, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Das letzte Glied in der Argumentationskette, nämlich die drohende Gefahr der Anerkennungsverweigerung, würde freilich fehlen. Zwar wird behauptet werden, im Ergebnis habe sich bereits durch die Existenz von Art. 43 (Kommissionsvorschlag) an der teleologischen Ausrichtung von Art. 27 I EuGVVO (Art. 29 I Kommissionsvorschlag) nichts geändert, da unvereinbare Entscheidungen weiter das Risiko der Vollstreckungsverweigerung in sich bergen, der es im Interesse der Urteilsfreizügigkeit vorzubeugen gelte. Droht für Feststellungs- und Gestaltungsentscheidungen jedoch keine Anerkennungsverweigerung mehr und wurde das Kriterium der Unvereinbarkeit bei Leistungsurteilen zum bloßen Vollstreckungshindernis „degradiert“, sollte sich der Gerichtshof jedoch zumindest bemühen, andere Kriterien zur Konkretisierung der „Anspruchsidentität“ zu Rate zu ziehen.
468
Zeuner, in: FS Bydlinski, S. 510; Schmehl, Parallelverfahren, S. 351. Oben § 15 II, § 36 I. 470 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 177: „In welchen Fällen unvereinbare Entscheidungen drohen, ist lediglich ein teleologisches Argument für die Beurteilung, ob die Rechtshängigkeitssperre eingreifen soll.“ 471 Unten § 39 IV 1. 472 Vgl. dort Art. 43, KOM (2010) 748 endgültig, S. 44; vgl. bereits oben § 36 V und Althammer, in: FS Kaissis (im Erscheinen). 469
§ 39 Folgerungen für Art. 27 EuGVVO und Art. 28 EuGVVO
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II. Generell erweiterter Umfang der Rechtshängigkeitssperre 1. Ausrichtung an prozessökonomischen Überlegungen Möglicherweise könnten diese Schwierigkeiten einer Orientierung am Umfang von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO von vorneherein durch eine großzügige Interpretation von Art. 27 I EuGVVO überwunden werden, wie sie etwa Schack vorschlägt.473 Zumindest theoretisch denkbar erscheint deswegen, den Umfang der Anspruchsidentität – unabhängig von einer konkreten Rechtskraftprognose – generell weit zu bestimmen.474 Dies hätte den Vorteil, dass der Rechtshängigkeitsumfang unabhängig von der Beteiligung einzelner Mitgliedstaaten und Rechtskreise einheitlich gefasst werden könnte. Würden etwa eine Kaufpreisklage durch den Verkäufer und eine Schadensersatzklage des Käufers wegen der Verletzung von Nebenpflichten in verschiedenen Mitgliedstaaten erhoben, müsste das zeitlich später angerufene Gericht sein Verfahren nach Art. 27 I EuGVVO unabhängig davon aussetzen, ob in einem oder beiden Prozessen mit Rechtskraft über die gemeinsame Vorfrage der Vertragswirksamkeit entschieden würde. Für eine weite Auslegung von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO wird zudem angeführt, dass Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVVO sich in der Praxis als „stumpfes Schwert“ erwiesen habe. Im Übrigen müsste, wenn Art. 34 Nr. 3 EuGVVO restriktiv gehandhabt werde, Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO nicht nur der Vermeidung unvereinbarer Entscheidungen, sondern auch einer unnötigen Doppelbelastung der Parteien und der Gerichte vorbeugen und somit prozessökonomischen Aspekten dienen.475 Diese Auslegung trage auch für das Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage zum Zuständigkeitsgleichgewicht bei. Damit verwandt ist der Ansatz, wonach die Rechtfertigung für eine umfassende Rechtshängigkeitssperre darin bestehe, dass der ausgeschlossene Zweitkläger den von ihm erstrebten Rechtsschutz zumindest im Primärverfahren erreichen könne, sofern er die Möglichkeiten der Widerklage nutze.476 Entscheidend ist dann nicht die tatsächliche Rechtsverwirklichung im Erstprozess, sondern die hypothetischen Rechtsschutzmöglichkeiten dort. Voraussetzung hierfür wäre aber eine eindeutig zu prognostizierende Widerklagemöglichkeit, so dass die Grenzen der Rechtshängigkeitssperre durch die Beschränkungen der 473
Schack, IPRax 1989, 139 f. So wohl Schack, IPRax 1989, 140 f. 475 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 124 f. 476 Angedeutet bei Leipold, in: GS Arens, S. 241 f.; Nieroba, S. 190; allerdings kann eine Leistungswiderklage in einem Staat mit bekannt langen Verfahrenszeiten den Rechtsstreit über die Feststellungsklage weiter verzögern, Grothe, IPRax 2004, 211; Carl, Torpedoklagen, S. 181. 474
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Widerklage konkretisiert würden.477 Die Folge wäre eine allgemeine Widerklagelast, welche die Verordnung nicht kennt.478 Hat der Beklagte des Zweitverfahrens seinen Wohnsitz jedoch nicht in einem Mitgliedstaat, dann existiert keine europäisch-internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die Widerklage.479 Weiter wäre diese Verknüpfung auch nicht mit dem Grundsatz der autonomen Auslegung von Art. 27 I EuGVVO vereinbar. Denn die Zulässigkeit der Widerklage bestimmt sich nach nationalen Vorschriften, und nur die Frage der internationalen Zuständigkeit ist im Rahmen der EuGVVO verbindlich geregelt. Da keine einheitlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen existieren, wäre auch die Auslegung der Rechtshängigkeitssperre mit Unsicherheiten belastet. Die erforderliche Prognoseentscheidung hätte sich an nationalen Besonderheiten zu orientieren. Sämtliche Fortschritte einer autonomen Auslegung der Rechtshängigkeitssperre wären wieder beseitigt.480 Überdies erscheint bei dieser Art der Interpretation der teleologische Zusammenhang zwischen Art. 27 I EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO, sofern man an ihm festhalten will, von vorneherein instabil. Sofern das erste Verfahren seinen Abschluss gefunden hätte, könnte das Zweitgericht fortfahren und müsste die Ergebnisse des Erstprozesses nur soweit berücksichtigen, als diese in Rechtskraft erwachsen. Im Übrigen aber wird die in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO beschriebene, unerwünschte Situation unvereinbarer Entscheidungen nicht vermieden.481 Ein extrem weites Verständnis der Anspruchsidentität beinhaltet vielmehr die Gefahr einer unzumutbaren Rechtsschutzbeeinträchtigung für den Zweitkläger.482 Dies gilt insbesondere, wenn die beiden konkurrierenden Verfahren bei verschiedenen Rechtsschutzzielen lediglich auf Vorfragenebene übereinstimmen.483 Denn die Durchführung des Primärverfahrens brächte dem Zweitkläger keine Vorteile, sondern nur zeitliche Nachteile; nach dessen Abschluss wäre er zur Durchsetzung seines subjektiven Rechts weiter auf die Einleitung eines eigenen Verfahrens angewiesen. In diesem Fall ist zur Verfahrenskoordination Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVVO – strukturell vergleichbar § 148 ZPO im deutschen Recht – der Vorzug zu geben. Gegen eine 477 Leipold, in: GS Arens, S. 241: Wäre eine Widerklage dort nach nationalem Recht nicht zulässig, wären dadurch zugleich die Grenzen des Rechtshängigkeitseinwands erreicht. 478 Frische, Verfahrenswirkungen, S. 226. 479 Parallele Verfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten sind indes denkbar (im Sinne von Art. 27 I EuGVVO), EuGH, Urt. v. 27.6.1991, Rs. C-351/89 – Overseas, Slg. 1991–I, 3317, 3348 f. 480 Ablehnend auch K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 441. Die Gerichtsstandswahl könne durch den Sachzusammenhang nicht eingeschränkt werden. Fraglich wird die Lösung über die Widerklage zudem in der Berufungsinstanz. 481 Vgl. auch oben § 36 II. 482 Treffend Nieroba, S. 258; Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, 71 (85). 483 Vgl. etwa die Vorlageentscheidung OGH, IPRax 2002, 408: Die entsprechende Frage wurde vom EuGH indes nicht beantwortet; hierzu auch Oberhammer, IPRax 2002, 428.
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weite Auslegung von Art. 27 I EuGVVO aus Gründen der Prozessökonomie könnte weiterhin sprechen, dass im europäischen Kontext der Vermeidung der Anerkennungsverweigerung nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO die Hauptbedeutung zukommt.484 Die Vermeidung derartiger Kollisionen ist ein entscheidendes Element geordneter Rechtspflege.485 Allein diese Rechtspflegeinteressen erlauben es mit Blick auf den Justizgewährungsanspruch, die Rechtsschutzinteressen des Zweitklägers zu beschneiden und die Anrufung eines nach der Zuständigkeitsordnung der EuGVVO eröffneten Forums zu verbieten.486 Prozessökonomischen Gesichtspunkten ist deswegen für grenzüberschreitende Streitigkeiten bei der Bemessung des Rechtshängigkeitsumfangs mit mehr Zurückhaltung zu begegnen als bei reinen Inlandssachverhalten.
2. Justizgewährungsanspruch und Präjudizialverhältnisse Bei der Auslegung von Art. 27 I EuGVVO kommt es zwangsläufig zu einem Zielkonflikt zwischen dem Prinzip der prozessualen Chancengleichheit der Parteien und dem Justizgewährungsanspruch des gesperrten Zweitklägers.487 Dabei stellt sich die Frage, ob das Gebot prozessualer Waffengleichheit auch die Ausschaltung eines weitergehenden Rechtsschutzinteresses rechtfertigen kann.488 Der Justizgewährungsanspruch des Zweitklägers ist auch auf internationaler Ebene allgemein anerkannt. Seine Rechtsgrundlagen finden sich u.a. im Völkergewohnheitsrecht489, in Art. 6 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (EMRK) und auch in Art. 47 der EU-Grundrechtecharta. Das Gebot umfassender Justizgewährung stellt damit ein für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen beachtliches Rechtsprinzip490 bei der Auslegung einzelner Vorschriften dar.491 Dieser gemeinschaftliche Grundsatz der Rechtsschutzgewährung492 muss bei der Interpretation des Umfangs der Rechtshängigkeitssperre (Art. 27 I EuGVVO) und der Konnexitätsregel (Art. 28 III EuGVVO) besondere Berücksichtigung erfahren. Hierzu gehört, dass ein durch den Zweitkläger zur Entscheidung gestellter Streitgegenstand in vollem Umfang überprüft wird bzw. dies zumindest in ei-
484
Oben § 36 I, II. McGuire, Verfahrenskoordination, S. 82 f.; Geimer NJW 1984, 527 f. 486 Nieroba, S. 191. 487 Lüpfert, Konnexität, S. 92; Kropholler/v. Hein, Art. 27 EuGVO Rn. 10. 488 K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 486. 489 Näher Geimer, IZPR, Rn. 1909 f., 1919. 490 Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, 78. 491 Zur Verankerung des Justizgewährungsanspruchs auf nationaler Ebene (Art. 19 IV, 20 III, 103 I GG) vgl. Bäumer, S. 20 f. 492 Zöller/Geimer, ZPO, Einl. Rn. 137 f. 485
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nem Parallelverfahren gewährleistet ist.493 Die Blockade des inländischen Verfahrens erscheint deswegen nur gerechtfertigt, wenn der ausländische Prozess eine dem inländischen Prozess gleichwertige Rechtsschutzgarantie gewährt.494 Eine Kaufpreisklage des Verkäufers im Ausland darf selbstverständlich eine Schadensersatzklage des Käufers aus dem gemeinsamen Vertragsverhältnis im Inland nicht blockieren, wenn das ausländische Forum dem Käufer nicht zumindest die Möglichkeit der Widerklage einräumt. Im Übrigen ist bei der Berücksichtigung prozessökonomischer Gesichtspunkte im Rahmen von Art. 27 I EuGVVO mehr Zurückhaltung geboten als bei reinen Inlandssachverhalten, weil mit einer Widerklage im Ausland stärkere Lasten verbunden sind. Kann deswegen die Gefahr unvereinbarer Entscheidungen (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO) bereits im Vorfeld sicher ausgeschlossen werden, verbietet sich ein Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre aus rein prozessökonomischen Gründen.495 Denn bei einer überschießenden Interpretation von Art. 27 I EuGVVO wird anders als bei reinen Inlandssachverhalten die Gefahr, dass der Kläger im Ergebnis kein Urteil über sein Rechtsschutzbegehren erhält, nur vergrößert.496 Bereits der Jenard-Bericht legt aber ein – im Vergleich zu Art. 21 EuGVÜ – weitergehendes Verständnis von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ nahe und nicht umgekehrt.497 Rechtshängigkeitssperre und Umfang der Anerkennungsverweigerung nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO stehen nicht in einem vergleichbaren Zusammenhang, wie er im nationalen Recht für das Verhältnis von Rechtshängigkeit und Rechtskraft beschrieben wird.498 Konnte die Übereinstimmung beider Institute schon für das deutsche Recht nicht bestätigt werden499, gilt dies umso mehr für den hier beschriebenen Nexus, der sich an der Vermeidung von Urteilskollisionen orientiert.500 Sicher bleibt an dieser Stelle zu konstatieren, dass nur Fälle mit „Nichtanerkennungspotential“ dem Anwendungsbereich von Art. 27 EuGVVO unterfallen501, und dies nur, wenn zusätzlich die Voraussetzungen der Anspruchsidentität vorliegen.502 Über den Anwendungsbereich von Art. 27 I EuGVVO hinaus kann zur Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen auf den flexibleren Mechanismus in Art. 28 EuGVVO zurückgegriffen werden, wobei meist das Aussetzungsermessen auf Null re-
493 Die zeitliche Dimension des Rechtsschutzes ist angesprochen in EGMR NJW 1989, 652 f.; zum Ganzen Nieroba, S. 187. 494 Tiefenthaler, ZfRV 1997, 70. Vgl. auch OGH JBl 1991, 802. 495 Nieroba, S. 201. 496 Walker, in: Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 462. 497 Nieroba, S. 200. 498 Oben § 18 I. 499 Oben § 18 I 3, 4, 7. 500 Ausführlich Nieroba, 179 f. 501 Ebenso Nieroba, S. 201. 502 Zu einzelnen Fallgruppen unten § 40.
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duziert sein dürfte.503 In seiner Stellungnahme zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mærsk Olie & Gas/M. de Haan en W. de Boer hat Generalanwalt Léger diese Sichtweise geteilt.504 Im entscheidungserheblichen Sachverhalt hatte ein Schiffseigentümer einen Antrag auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds bei einem Gericht der Niederlanden unter Benennung eines möglichen Geschädigten gestellt. Dem folgte alsbald eine Klage von eben diesem Geschädigten (Mærsk) auf Schadensersatz gegen die Schiffseigentümer bei einem Forum in Dänemark. Generalanwalt Léger hatte hier die Unvereinbarkeit der niederländischen Haftungsbeschränkung mit dem dänischen Urteil auf Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs zwar bejaht, da jene gerade verhindern wolle, dass über einen festgelegten Betrag hinaus eine Schadensersatzverpflichtung eintrete.505 Dennoch sollte das Haftungsbeschränkungsverfahren nicht die Voraussetzungen der Rechtshängigkeitssperre (Art. 27 I EuGVVO) für die Haftungsdurchsetzung auslösen506 , da die Klagen in Grundlage und Gegenstand divergierten.507 Das Bestehen der Haftung sei nicht der zentrale Punkt des Haftungsbeschränkungsverfahrens (Kernpunkt).508 Nach der Ansicht von Generalanwalt Léger reicht somit das Unvereinbarkeitspotential der Klagen über den konkreten Umfang der Rechtshängigkeitssperre hinaus.509 Art. 27 EuGVVO muss demnach aus Sicht des Generalanwalts nicht dem gesamten denkbaren Unvereinbarkeitspotential zwingend vorbeugen.510 Viel-
503
Unten § 39 IV 1. Generalanwalt Léger, Schlussanträge v. 13.7.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas/ Firma M. de Haan en W. de Boer, Rn. 35. Vgl. auch oben § 15 II 5. 505 Generalanwalt Léger, Schlussanträge v. 13.7.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas/ Firma M. de Haan en W. de Boer, Rn. 45. 506 EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer, Slg. 2004, I- 9657 f. Rn. 41. 507 Ausgeblendet bleibt hier die Frage, inwieweit das Haftungsbeschränkungsverfahren ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei Parteien betrifft, hierzu Generalanwalt Léger, aaO., Rn. 34 ff. Als Partei kann der angeblich Geschädigte erst bei der Vorbereitung der auf die einseitige Phase des Haftungsbeschränkungsverfahrens folgenden zweiten kontradiktorischen Phase angesehen werden. Es müssen alle Formalitäten erfüllt sein, um diese vor Gericht zu laden. 508 Generalanwalt Léger, aaO., Rn. 41 f.: Die Tatsache, dass die Forderungen im Rahmen des Haftungsbeschränkungsverfahrens einer Prüfung unterzogen werden müssen und der Schuldner Einwendungen vorbringen könnte, änderten hieran nichts. Diese Prüfung könne nicht mit der im Haftungsprozess gleichgesetzt werden. Einwendungen des Schuldners gegen die Forderungen in der zweiten Phase des Haftungsbeschränkungsverfahrens seien aber nach der Entscheidung Gantner, oben § 15 II 4, bei der Ermittlung der Verfahrenskernpunkte nicht zu berücksichtigen. 509 Vgl. auch S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 177. 510 Ebenso S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 177. Anders aber der EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas/Firma M. de Haan en W. de Boer, Slg. I-2004, 9657 f. Rn. 36, oben § 15 II 5 b: Art. 21 EuGVÜ solle soweit als möglich eine Situation verhindern, wie sie in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO geregelt ist. 504
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mehr kann ergänzend auf Art. 28 EuGVVO als schonenderen Koordinationsmechanismus zurückgegriffen werden. Die Förderung größtmöglicher Urteilsanerkennung durch die Rechtshängigkeitssperre darf zu keinen Rechtsschutzlücken für eine Partei führen, weil die Verordnung gerade eine Stärkung des Rechtsschutzes innerhalb des europäischen Rechtsraums bewirken will.511 Durch den ausufernden Streitgegenstandsbegriff des EuGH512 wird die von Art. 27 I EuGVVO bezweckte Absicherung der Urteilsfreizügigkeit aber gerade konterkariert, weil Judikate bereits in ihrem Entstehungsprozess umfänglich verhindert werden.513 Die Rechtshängigkeitssperre als Ausdruck einer vorverlagerten liberalen Anerkennungshaltung sollte deswegen nur greifen, wenn das Rechtsschutzinteresse des Zweitklägers bereits mit dem Erlass der anderweitigen Entscheidung ausreichend befriedigt wird.514 Fraglich bleibt nur, welche Grenzen hierfür zu setzen sind, und ab wann dem Zweitkläger aufgegeben werden kann, den Weg der konzentrationsfördernden Widerklage im Ausland zu beschreiten. Das Recht des Einzelnen auf Rechtsschutzgewährung darf durch das Ziel größtmöglicher Urteilsanerkennung nicht in Vergessenheit geraten. Denn gerade dieser Rechtsschutz auf gemeineuropäischer Ebene sollte durch EuGVÜ und EuGVVO erleichtert werden, weil auch das europäische Zivilprozessrecht den Zweck verfolgt, subjektiven Privatrechten zu dienen.515 Die Einbeziehung von Präjudizialverhältnissen in die vom EuGH angestellte Kernpunktbetrachtung könnte aber dazu führen, dass Art. 27 I EuGVVO eine Konzentrationspflicht vorsieht, welche die Gerichtsstandswahlfreiheit im europäischen Rechtsraum massiv einschränkt.516 Würde demgemäß eine Feststellungsklage über ein vorgreifliches Rechtsverhältnis eine spätere Leistungsklage blockieren, käme dies einer Rechtsschutzverweigerung für den Zweitkläger gleich.517 Da die Rechtsschutzinteressen nicht deckungsgleich sind, wird das Anliegen des späteren Leistungsklägers, soweit es die Herstellung eines vollstreckbaren Titels betrifft, im Primärverfahren nicht befriedigt.518 Zum Teil wird jedoch davon ausgegangen, dass diese Konzentrationslast die indivi511 Erwägungsgrund Nr. 1 der EuGVVO; vgl. Zeuner, in: FS Bydlinski, S. 509; K. Otte, in: FS Schütze, S. 634. 512 Oben § 15 II. 513 Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, 85; Nieroba, S. 183, weist zu Recht darauf hin, dass durch diese Rechtsprechungspraxis stärkere Nachteile drohen als durch die zeitweilige Nichtanerkennung eines Judikats. 514 Im Ansatz ähnlich Nieroba, S. 183, 187 f.; Lüpfert, Konnexität, S. 125 f.; Frische, Verfahrenswirkungen, S. 225. 515 Pfeiffer, in: JbJZRWiss 1991, S. 77. 516 Frische, Verfahrenswirkungen, S. 225 f. 517 Ein Rückgriff auf die Leistungsrechte aus dem Vertrag wäre bis zum Wegfall der Rechtshängigkeitssperre ausgeschlossen. 518 Krusche MDR 2000, 679; Geimer, IZPR, Rn. 2694 f. Tiefenthaler, ZfRV 1997, 70, meint,
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duelle Rechtsverfolgung lediglich einschränke, aber nicht behindere, weil der Weg zur Leistungswiderklage weiter offenstehe.519 Jedoch kann, wie bereits gezeigt520, der Hinweis auf die Widerklagemöglichkeit nicht überzeugen, weil der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gerade gegenüber dem vom Kläger angerufenen und zuständigen Gericht besteht.521 Der Ausschluss einer nachfolgenden Feststellungsklage, mit welcher die Unwirksamkeit eines Vertragsverhältnisses festgestellt werden soll, auf dem eine zuvor erhobene Zahlungsklage aufbaut, wäre hingegen möglicherweise dadurch zu rechtfertigen, dass weitere Ansprüche aus diesem Rechtsverhältnis (z.B. auf Schadensersatz) nicht ernsthaft in Betracht kommen.522 So könnte in der Entscheidung Gubisch/Palumbo523 die der Leistungsklage nachfolgende Feststellungsklage, mit welcher das präjudizielle Vertragsverhältnis für unwirksam erklärt werden sollte, auch als bloßes Verteidigungsmittel524 gedeutet werden, das nicht über den Gegenstand der Leistungsklage hinausreicht.525 Jedoch lässt sich ex ante nicht mit Sicherheit prognostizieren, ob die Feststellung des Grundlagenverhältnisses nicht für weitere (zukünftige) Einzelansprüche hilfreich und erforderlich sein wird. Aus der Tatsache, dass der mögliche Gläubiger sich (noch) nicht weitergehender Rechte berühmt hat, ist dies m.E. nicht abzuleiten. Die Leistungsklage befriedigt das Rechtsschutzbegehren der Feststellungsklage höchstens zu einem Teil.526 Überdies könnte das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre mit dieser
dass sich die Streitgegenstandsverschiedenheit der negativen Feststellungsklage über ein präjudizielles Element und der Leistungsklage bereits aus dem Jenard-Bericht ergebe. 519 So P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 93. 520 Oben § 36 IV 1, § 39 I 1. 521 Safferling, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, Art. 27 EuGVVO Rn. 11 f. 522 So Wernecke, Einheitlichkeit, S. 19 Fn. 47, 33, 74 f. Auf RGZ 144, 54 lässt sich hierzu m.E. nicht rekurrieren, da dieses Judikat nur die Unzulässigkeit der Inzidentfeststellungsklage (§ 256 II ZPO) betrifft. 523 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861 ff., oben § 15 II 1. 524 Für den Fall, dass in dieser Konstellation die negative Feststellungsklage mit der Behauptung anhängig gemacht werde, die Klägerin der Leistungsklage habe sich außergerichtlich weiterer Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis gerühmt, schlägt Wernecke deswegen folgende Tenorierung vor: „Unbeschadet der Entscheidung in dem Verfahren … über die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung von … an den Beklagten wird festgestellt, dass zwischen dem Kläger und dem Beklagten kein wirksamer Kaufvertrag besteht“, vgl. Einheitlichkeit, S. 19, 75. Für eine solche Aufteilung des Streitgegenstands enthält das Gesetz jedoch keine Handhabe. 525 So auch die Deutung von Wernecke, Einheitlichkeit, S. 29 f.; Leipold, in: GS Arens, S. 244 f.: „Rechtshängigkeit kraft tatsächlicher Interessenbefriedigung“; Lüpfert, Konnexität, S. 127. 526 Dies gilt vor allem, wenn die Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses als Vorfrage der Leistungsklage, wie im deutschen Recht, nicht selbständig in Rechtskraft erwächst.
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Argumentation dann nicht in einer zu Gubisch/Palumbo527 zeitlich umgekehrten Fallgestaltung gerechtfertigt werden. Deswegen muss die Frage, ob das Interesse des Zweitklägers mit der Durchführung des Erstverfahrens bereits in ausreichendem Maße verwirklicht wird, vom Zweitgericht abstrakt beantwortet werden.528 Fragen der Rechtshängigkeit und auch der Rechtskraft bedürfen bereits im Sinne der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit eines klar konturierten Streitgegenstandsbegriffes, der nicht von der (mehr oder weniger zufälligen) tatsächlichen Befriedigung des Rechtsschutzbedürfnisses im Einzelfall abhängen darf.529 Im Hinblick auf die Einbeziehung präjudizieller Verhältnisse (Konkurrenz zwischen Leistungsklage und vorgreiflicher Feststellungsklage) erscheint es deswegen nicht rechtsschutzkonform, den Zweitkläger auf die Möglichkeit der Widerklage vor einem anderen Gericht zu verweisen.530 Noch weniger wird diesen der Hinweis befriedigen, bis zum Abschluss des Primärverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat zuzuwarten.531 Die Unzuständigerklärung des vom Zweitkläger angerufenen Gerichts im Hinblick auf Art. 27 EuGVVO kann somit nicht nur Zuständigkeitsinteressen beschneiden, sondern gefährdet auch den Justizgewährungsanspruch als solchen. Goebel 532 hat in diesem Kontext mit Recht darauf hingewiesen, dass es nicht angehen könne, „dass tatsächlich jede in einem Feststellungsverfahren anhängige Vorfrage vor der rechtskräftigen Entscheidung eines sie inhaltlich umfassenden Rechtsschutzinteresses geschützt werden soll“. Wo endet dann die Identität und beginnt die bloße Konnexität der Verfahren?533 Richtig ist dabei auch der Hinweis, dass die Anwendung dieser Vorfragen einbeziehenden Kern527 Oben § 15 II 1; EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik/Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861. 528 Zutreffend Lüpfert, Konnexität, S. 127; Nieroba, S. 189; ähnlich: MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 9, 10: „Das Fehlen eines Rechtschutzbedürfnisses sollte nicht mit dem Rechtshängigkeits- und Rechtskrafthindernis vermischt werden“. Vgl. auch Frische, Verfahrenswirkungen, S. 225: „Im Falle einer zuerst erhobenen Feststellungsklage über ein Präjudizialelement einer später erhobenen Leistungsklage ist insbesondere das Interesse des Leistungsklägers an einem Titel und der Sicherung der Wirkungen der Klageerhebung (v.a. Verjährungsunterbrechung bzw. -hemmung) zu berücksichtigen“. 529 Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 1.3.2005, Owusu/Jackson, RIW 2005, 295, selbst klargestellt, dass die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsverteilung für einen sicheren und zuverlässigen Rechtsschutz in Europa unverzichtbar ist; hierzu A. Bruns, JZ 2005, 890 f. Diese Vorhersehbarkeit müsste dann aber auch für Art. 27 I EuGVVO als Koordinationsmittel bei der Zuständigkeitsverteilung gelten. Zum Urteil auch Harris, ICLQ 54 (2005), 935. 530 Die zum Teil für einen reinen Inlandsfall befürwortete Konzentrationspfl icht über das fehlende Rechtsschutzbedürfnis, Rüßmann, ZZP 111 (1998), 415 f., erscheint vertretbar, weil die Beeinträchtigung von Zuständigkeitsinteressen hier weitaus geringer wiegt, oben § 26 III 3. Die Konzentration folgt in diesem Fall jedoch nicht aus § 261 III Nr. 1 ZPO, weil die Streitgegenstände verschieden sind. 531 Dieser Hinweis dürfte kaum mit Art. 47 der EU-Grundrechtecharta vereinbar sein. 532 Goebel, JZ 2002, 951. 533 Mit Recht Nieroba, S. 171.
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punkttheorie534 erfordert, dass es sich um einfach gelagerte Sachverhalte handelt, bei der eine gemeinsame rechtliche Schwerpunktbetrachtung von Vorfrage und klärendem Leistungsverfahren unzweifelhaft möglich ist. Im Extrembeispiel mehrerer streitiger Vorfragen, über die zeitgleich in verschiedenen Mitgliedstaaten zu entscheiden ist, wäre dies nicht gewährleistet. Der gemeinsame rechtliche Schwer- und Kernpunkt ließe sich dann erst bei fortgeschrittenem Prozessverlauf feststellen. Eine Anwendung von Art. 27 EuGVVO wäre hier kaum prozessökonomisch, wenn sich schließlich die als maßgeblich angesehene Kernfrage rückblickend als unerheblich herausstellt.535 Die Kernpunkttheorie des EuGH bietet besonders für Zweifelsfälle keine sicher handhabbaren Kriterien an.536 Dies zeigt sich bereits daran, dass auch die jüngeren Entscheidungen des EuGH (Gantner; Mærsk Olie)537 in ihren Ergebnissen vom Schrifttum kaum prognostizierbar waren. An einer festen Judikaturlinie fehlt es bisher noch. Deswegen sollten reine Präjudizialverhältnisse, bei denen in einem der beiden Verfahren über eine für das Zweitverfahren vorgreifliche Frage entschieden wird, nicht zur Anwendung von Art. 27 I EuGVVO führen, sondern lediglich zur Aussetzung nach Art. 28 EUGVVO mit der Möglichkeit der Verfahrensverbindung. Im Übrigen sehen auch Rechtsordnungen, denen eine Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe nicht fremd ist538, für reine Präjudizialzusammenhänge nicht das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre vor, sondern erkennen hierin einen Anwendungsfall entsprechender nationaler Konnexitätsregeln.539 So wird etwa in Frankreich gerade das Verhältnis zwischen einer Kaufpreiszahlungsklage und einer Klage auf Feststellung der Vertragsunwirksamkeit nicht dem Litispendenzeinwand (Art. 100 CPC), sondern der Konnexität (Art. 101 CPC) zugeschlagen, was die Verweisung des zweiten Rechtsstreits auf Antrag einer Partei ermöglicht. Ein Weg zur Verfahrenskonzentration, der auch für die EuGVVO gangbar wäre, bestünde deswegen in der Statuierung einer grenzüberschreitenden Verweisungsmöglichkeit mitgliedstaatlicher Gerichte540. Die Principles of Transnational Civil Procedure (28. 2) sehen im Übrigen zwar eine Rechtskrafterstreckung auf die Entscheidungsgründe vor („In applying the rules of claim preclusion, the scope of the claim or claims decided is determined by reference to the claims and defenses in the parties’ pleadings, including 534
Oben §15 II 1, 2; III, IV. Zutreffend Goebel, JZ 2002, 952. 536 Oben § 15 III. 537 Oben § 15 II 4, 5. 538 Oben § 13 II 1, § 14 II. 539 Huet, Clunet 115 (1988), 543; Gaudemet-Tallon, Rev. Crit. D. i. p. 1988, 374 ff.; Lüpfert, Konnexität, S. 100; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 281 f. 540 McGuire, ZfRV 2005, 83. 535
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amendments, and the court’s decision and reasoned explanation“).541 Jedoch wird die Rechtshängigkeit allem Anschein nach ebenfalls nicht auf vorgreifliche Fragen erstreckt („In applying the rules of lis pedens, the scope of the proceeding is determined by the claims in the parties’ pleadings, including amendments“). Aufgrund des Gesagten ergibt sich, dass die Übereinstimmung zweier Verfahren lediglich auf der Vorfragenebene nicht die Anwendung von Art. 27 I EuGVVO rechtfertigen kann. Soweit die jeweiligen Rechtsschutzinteressen divergieren, ändert daran auch die Möglichkeit nichts, dass die Entscheidungsgründe in einer oder beiden beteiligten Rechtsordnungen Rechtskraftwirkung erlangen.
III. Umfang der Interessenbefriedigung im Erstprozess: Die Parallele zur Rechtssache Drouot Assurances SA Über den Umfang der durch Art. 27 I EuGVVO vermittelten Blockadewirkung bestimmt die autonome Auslegung der Anspruchsidentität. Ähnlich wie im nationalen Recht bietet sich hier an, auf die Identität der im Erst- und Zweitverfahren verfolgten Interessen abzustellen. Denn das drohende Unvereinbarkeitspotential ist dann bereits bei Verfahrenseinleitung absehbar, so dass der Zusammenhang mit Art. 34 Nr. 3 EuGVVO gewahrt bliebe. Die abschließend geschilderten Beispielsfälle werden dies verdeutlichen.542 Die Kernpunktlehre müsste sich deswegen für Art. 27 EuGVVO von den Bemühungen lösen, in zwei Parallelverfahren eine gemeinsame konstituierende Rechtsfrage aufzufinden und stattdessen der Ermittlung übereinstimmender Rechtsschutzinteressen zuwenden. Die bereits im Rahmen dieser Studie einleitend543 beschriebene Interessenidentität zwischen zwei Verfahren könnte somit auch grenzüberschreitend als Kriterium zur Abgrenzung identischer (Art. 27 I EuGVVO) von lediglich konnexen Verfahren (Art. 28 III EuGVVO) Verwendung finden. Durch den Ausschluss eines Parallelverfahrens würde hier der Justizgewährungsanspruch des jeweiligen Klägers nicht über Gebühr eingeschränkt. Der Sachverhalt bzw. das „Rechtsverhältnis in seiner Gesamtheit“ kann als Kriterium eine derartige Konturierung nicht leisten, ohne zugleich Rechtsschutzinteressen zu verkürzen. Bei der Berücksichtigung prozessökonomischer Gesichtspunkte ist hingegen mehr als im nationalen Recht Zurückhaltung geboten, weil trotz des Postulats der Gleichwertigkeit aller mitgliedstaatlichen Gerichte im Rahmen der EuGVVO 541 Vgl. ALI/UNIDROIT, Principles of Transnational Civil Procedure, by the American Law Institute and by UNIDROIT, S. 47. 542 Unten § 40. 543 Oben Einleitung § 1.
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in der Praxis weiterhin erhebliche Unterschiede in der faktischen und temporären Umsetzung eines Rechtsschutzbegehrens bestehen.544 Des Weiteren ist zu bedenken, dass der Zwang zur Widerklage545 – anders als in reinen Inlandsfällen – zu Rechtsschutzverkürzungen führt, weil Parteien – aus gutem Grund – immer noch vor einer Klage im Ausland zurückschrecken.546 Im Übrigen würde eine zurückhaltende Interpretation der Rechtshängigkeitssperre für die praktische Anwendung von Art. 28 EuGVVO weiter genügend Raum lassen. Bevor einzelne Fallgruppen ausführlichere Darstellung547 erfahren, soll zunächst der Frage nachgegangen werden, wie diese Interessenübereinstimmung abstrakt bestimmt werden könnte. Auf der Grundlage enger nationaler Vorstellungen läge diese sicherlich vor, wenn bei vollständiger Übereinstimmung der Klageanträge das Begehren des zweiten Prozesses bereits mit Rechtskraft im ersten Verfahren mit entschieden würde.548 Da ein Vorfragen einbeziehendes autonomes Rechtskraftkonzept auf europäischer Ebene bisher fehlt und nach dem Gesagten549 auch nicht erstrebenswert erscheint550, könnte dieser Ansatz nicht zur Rechtfertigung der Kernpunktlehre im Umfang der Rechtsprechung des EuGH dienen.551 Auch zur Konturierung der Interessenübereinstimmung erscheint der Rekurs auf die (nationalen) Rechtskraftgrenzen nicht weiterführend, da der Umfang der Rechtshängigkeitssperre damit in der Regel ein sehr begrenzter wäre und über einen Umweg wieder nationale Streitgegenstandskonzepte Berücksichtigung fänden, was mit der autonomen Auslegung der Vorschrift nicht vereinbar wäre. Mit den Aspekten der Rechtssicherheit unvereinbar ist es hingegen, allein auf eine tatsächliche Befriedigung des Rechtschutzbedürfnisses durch das zuerst angerufene Gericht abzuheben.552 Das Rechtsschutzbedürfnis als solches hat keinen eigenständigen materiellen Gehalt und kann deswegen kein Krite544
Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23 ff. Oben §§ 36 IV 1, 39 I 1. 546 Ein Ausweg wäre, bei Art. 27 EuGVVO einen Aussetzungszwang mit der Möglichkeit der Wiederaufnahme bei Rechtsschutzverweigerung im Ausland vorzusehen, Walker, in: Heiderhoff, Diskussionsbericht, ZZP 111 (1998), 461 f. Ähnlich K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 459 f., 464 f., der für eine entsprechende gesetzliche Ergänzung bei negativen Feststellungsklagen eintritt: Die Leistungsklage sei bei erhobener negativer Feststellungsklage nur auszusetzen. Damit werde die Waffengleichheit und das Zuständigkeitsgleichgewicht gewahrt und die Verjährung gehemmt; ähnlich Wernecke, S. 92, 145. 547 Unten § 40. 548 Leipold, in: GS Arens, 238 f.; Nieroba, S. 188; Lüpfert, Konnexität, S. 125 f. 549 Oben § 36 IV 2. 550 A.A.: Oberhammer, IPRax 2002, 428; Böhm, in: Bajons/Mayr/Zeiler, S. 154 ff. 551 In der Entscheidung Gubisch/Palumbo, oben § 15 II 1, erging das Leistungsurteil in Deutschland, so dass die Vorfrage der Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses nicht in Rechtskraft erwachsen wäre. 552 Andeutungsweise bei Lüpfert, Konnexität, S. 127 f.; hiergegen S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 190 f. 545
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rium für die Streitgegenstandsübereinstimmung darstellen. Bedenkenswert erscheint hingegen die Überlegung, ob das Rechtsschutzinteresse des Klägers, der gleichzeitig in zwei Mitgliedstaaten ein Verfahren betreibt, bereits ausreichend mit der Durchführung eines Verfahrens befriedigt wird. Bedeutung erlangen würde hierbei wieder der Aspekt der Erfüllungskonnexität, wie dies bereits im nationalen deutschen Recht gezeigt wurde.553 Die Interessenidentität könnte insoweit zu einem gemeineuropäischen Vergleichsmaßstab erhoben werden, ohne dass damit diffizile materiellrechtliche Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden wären.554 Die Frage, ob ein Rechtsgut bzw. eine Rechtsposition von der Rechtsordnung nur einmal verliehen wird, lässt sich auch grenzüberschreitend eindeutig beantworten. Erforderlich hierfür ist somit nur eine relativ einfache rechtliche und wirtschaftliche Analyse der Parallelverfahren. Werden hingegen Parallelverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten mit umgekehrten Parteirollen betrieben, müsste dementsprechend die Überlegung maßgeblich sein, ob sich beide Verfahren in ihren Wirkungen (faktisch) kompensieren würden, was anzunehmen wäre, wenn mit einer Klage die Verwirklichung einer Rechtsposition (eines Interesses) sichergestellt werden soll, die im anderen Verfahren wieder entzogen wird. Auch dann sind die Voraussetzungen von Art. 27 I EuGVVO erfüllt. Eine wichtige Entsprechung findet die hier vertretene Ausrichtung in der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Drouot Assurances SA. Ungeachtet einer formalen Verschiedenheit der Parteien wurde dort zur Konkretisierung der subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeit auf die Interessen der jeweiligen Beteiligten abgestellt, in concreto, ob die Interessen von Versicherer und Versicherungsnehmer hinsichtlich des Gegenstandes beider Streitigkeiten als identisch und voneinander untrennbar angesehen werden können. 555 Die Ermittlung der Interessenidentität anhand konkreter Rechtskraftwirkungen
553
Vgl. oben § 22 II. Wenigstens zum Teil Interessenidentität liegt auch in OLG Celle NJOZ 2008, 4885 vor: Da der vor einem englischen Gericht nach dem Ausspruch der Scheidung erhobene Antrag auf Regelung der Scheidungsfolgen, sog. ancillary relief, auch die Anordnung von Leistungen zur Sicherung des Unterhalts umfasst, erscheint es gerechtfertigt, gegenüber einer in einem weiteren Mitgliedstaat erhobenen Unterhaltsklage Art. 27 I eingreifen zu lassen. 555 EuGH, Urt. v. 19.5.1998, Rs. C 51/96 – Drouot Assurances SA, Slg. 1998, I-3075, 3097 Rn. 25. Vgl. bereits oben § 15 II 3. Zustimmung etwa in Kolden Holdings Limited/Rodette Commerce, High Court, [2007] I.L.Pr. 50, 671: „One way of demonstrating that identity of interest was by asking whether a judgment against one legal entity in respect of the subject matter of the disputes would have the force of res iudicata against the other legals entity. The issue had to be decided as a matter of substance, not form, and fine distinctions made in national law should not apply to the question arising under Art. 27 of EC Regulation 44/2001“. Ähnlich Trib. Torino, Urt. v. 27.3.2007, Riv. dir. int. priv. proc. 2008, 194. Begrifflich unscharf bezeichnet Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 324, dieses Vorgehen. Er votiert für eine Ausrichtung an konkreten Rechtskraftzusammenhängen. 554
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war dabei nach Ansicht des EuGH nur ein möglicher Gesichtspunkt 556 , aber kein zwingender. Hinzu kommt, dass der EuGH sich nicht explizit zur objektiven Identität der Verfahren äußert, was auch nahe legen könnte, dass er seine Antwort auf die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeit auch für die Frage der Streitgegenstandsidentität verstanden wissen wollte. Von hier erscheint es nur ein kleiner Schritt, diesen Weg auch zur Konkretisierung der objektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre zu beschreiten.557 Dadurch erführe auch der vom EuGH zur Feststellung objektiver Verfahrensidentität in der Rechtssache Gubisch/Palumbo558 und Tatry559 eingeführte Begriff des gemeinsamen Zwecks der Klagen eine weitere Präzisierung.560 Das materielle Interesse würde auf diese Weise einer doppelten Aufgabenerfüllung bei den subjektiven und objektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre dienen.561 Im Übrigen wäre im Hinblick auf die Förderung eines gemeinschaftsweit einheitlichen Rechtskraftsystems zu überlegen, dieses zwar nicht auf Vorfragenentscheidungen auszudehnen, aber zumindest maßvoll anhand der zwischen verschiedenen Rechtsfolgen bestehenden Interessenidentität zu erweitern, wie dies im Rahmen dieser Studie vorgeschlagen wurde.562 De lege ferenda sollte dieses Verständnis zu den objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre auch im Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO Erwähnung finden (dort: Art. 29 I).563 Dies gilt umso mehr als die Leitbildfunktion von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO für die Auslegung der Rechtshängigkeitssperre dann zu einem Teil wenigstens wegfallen wird.564
556 Adolphsen, ZZPInt 3 (1998), 255 f. Ein weiterer vom EuGH genannter Aspekt war etwa, ob eine Person gewissermaßen als Vertreter der anderen anzusehen sei. Diese Substitutsfunktion auf subjektiver Ebene lässt sich aber ohne weiteres, wie gesehen, auf die objektive Ebene übertragen (Erfüllungskonnexität). Hingegen will das OLG Karlsruhe ZUM 2008, 518, die Möglichkeit einer Rechtskrafterstreckung als wesentliche Voraussetzung für eine Anwendung von Art. 27 ansehen. 557 So S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 192 ff., 309, 314, unter Rekurs auf Wernecke, Einheitlichkeit, S. 19, 23, 34 ff.; angedeutet auch bei Mittenzwei, Die Verhinderung von Verfahrenskollisionen, S. 44 ff.; berichtend MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 13; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 423, spricht von einer auf das Rechtsschutzbegehren gerichteten Schwerpunktbetrachtung. 558 Oben § 15 II 1. 559 Oben § 15 II 2. 560 Anhaltspunkte für die objektive Verwertbarkeit des Interessebegriffs sieht auch Treichel, GRURInt 2001, 175 f.; Zöller/Geimer, ZPO, Art. 27 EuGVVO Rn. 20: „In Versicherungssachen bejaht [der] EuGH … [objektive] Identität, wenn Interessen identisch und voneinander untrennbar sind“. 561 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 314. Diese Formel passe indes nur bei Leistungsund Feststellungsklagen. 562 Ausführlich oben § 31 IV und § 32 III, IV, V. 563 KOM (2010) 748 endgültig, S. 38. 564 Vgl. bereits oben § 36 V.
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IV. Konnexität nach Art. 28 EuGVVO 1. Verhältnis zu Art. 27 I EuGVVO Entgegen der Ansicht der h.L. legt der Umfang des Unvereinbarkeitspotentials nicht zugleich die Reichweite der europäischen Rechtshängigkeit fest. Der Schluss von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO auf Art. 21 EuGVÜ/ Art. 27 I EuGVVO trifft zwar häufig zu, aber keineswegs immer. Art. 27 I EuGVVO setzt vielmehr neben der Unvereinbarkeit der Entscheidungen auch die Identität der Ansprüche, also der (materiellen) Interessen, voraus. Dabei kann es sich auch gerade um ein konträres Interesse handeln. Die Systematik der Verordnung und die Stellung von Art. 27 EuGVVO legt zwar nahe, dass diese Vorschrift ein effizientes Mittel ist, unvereinbare Entscheidungen im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVÜ zu vermeiden, aber nicht das einzige. Auch der JenardBericht verweist darauf, „dass derartige gegensätzliche Urteile durch die Anwendung der Vorschriften über die Streitanhängigkeit und den Sachzusammenhang, also die Artikel 21 und 22, vermieden werden sollen.“565 Tiefenthaler hat deswegen zu Recht das Verhältnis von Artt. 21 und 22 EuGVÜ mit dem von zwei konzentrischen Kreisen umschrieben566: Im Kernbereich befinde sich die Identität des Streitgegenstands und der Parteien. Erst wenn diese engen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, wird der Anwendungsbereich der Konnexitätsregel eröffnet.567 Art. 28 EuGVVO bildet somit aus dem System der Verordnung heraus die ideale Ergänzung zu Art. 27 EuGVVO, um mit dieser Vorschrift gemeinsam das gesamte Potential von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO auszuschöpfen.568 Der EuGVVO lässt sich kein Hinweis für einen allgemeinen, durch Art. 27 I EuGVVO ausgelösten Konzentrationszwang bei lediglich konnexen Verfahren entnehmen. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien kann nur für einen begrenzten Streitkomplex gelten, soll das Gleichgewicht nicht in ein Ungleichgewicht für die andere Partei ausschlagen. Zu weit geht deswegen die Auffassung, dass Feststellungsklagen über ein vertragliches Grundverhältnis sämtliche Leistungsklagen in anderen Staaten sperren, die einen auf diesem Vertrag beruhenden Anspruch zum Gegenstand haben. Andernfalls bliebe die 565
Bericht von Jenard, AblEG 1979 Nr. C 59, S. 27 f. Tiefenthaler, ZfRV 1997, 72. 567 Der innere Kreis entspräche also gleichsam den Außengrenzen der Identität und den Innengrenzen der Konnexität. Auch Isenburg-Epple, S. 212 f.; Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 138 ff.; Dohm, S. 85 f.; Walker, ZZP 111 (1998), 438 f., treten mit Recht für eine Stärkung des Anwendungsbereichs von Art. 28 EuGVVO ein. Denn die Ermessensvorschrift ermöglicht mit ähnlichem Erfolg, jedoch auf flexiblere Art und Weise die Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen. Nach der hier vertretenen Ansicht sollte es jedoch, anders als von jenen Autoren teilweise vorgeschlagen, im Falle des Aufeinandertreffens von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage bei Art. 27 I EuGVVO bleiben. 568 Zur Auffangfunktion auch Schmehl, Parallelverfahren, S. 177. 566
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(Rest-)Bedeutung von Art. 28 EuGVVO zweifelhaft, wenn bei Verfahren, die denselben Kernpunkt betreffen, der Gesamtprozess zwingend vor dem zuerst angerufenen Forum stattfinden müsste.569 Auf Rechtsfolgenebene könnte für Art. 27 I EuGVVO de lege ferenda überlegt werden, ob nicht die zwingende Pflicht zur Aussetzung für das Zweitgericht der effektivere Koordinationsmechanismus im Vergleich zur Feststellung der Unzuständigkeit nach Art. 27 II EuGVVO wäre.570 Da eine einer analogen Anwendung von § 281 I ZPO571 entsprechende Möglichkeit im europäischen Rechtsraum nicht existiert, ist die Abweisung wegen Unzuständigkeit häufig eine zu harsche Rechtsfolge. Insoweit wäre ein grenzüberschreitender Verweisungsmechanismus zu bedenken.572 Auch aus diesem Grund darf die nach Art. 28 II EuGVVO mögliche Verfahrensverbindung nicht von vorneherein durch eine ausufernde Auslegung von Art. 27 I EuGVVO zunichte gemacht werden.573
2. Nachteile einer Koordination über Art. 28 EuGVVO Das deutsche Recht kennt einen – wie etwa die Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten – Art. 28 EuGVVO vergleichbaren Koordinationsmechanismus bei Verfahrenskonnexität nicht.574 § 148 ZPO gewährleistet lediglich eine gewisse materielle Konzentration, wenn die in einem Verfahren mit Rechtskraftwirkung entschiedene Rechtsfrage im Parallelprozess präjudizielle Berücksichtigung finden würde.575 Art. 28 I EuGVVO wiederum folgt anders als § 148 ZPO streng dem Prioritätsprinzip, so dass auch eine zeitlich später erhobene Feststellungsklage über ein vorgreifliches Rechtsverhältnis ausgesetzt werden müsste, bis über die entsprechend früher erhobene Leistungsklage entschieden wäre. Dieser Hemmschuh zwingender verfahrensrechtlicher Priorität steht einer fruchtbaren Verfahrenskoordination auf europäischer Ebene entgegen.576 Soweit die Voraussetzungen hierfür vorliegen, sollte deswegen der Unzuständigkeitserklärung nach Art. 28 II EuGVVO mit der im Anschluss möglichen Verfahrensverbindung gegenüber der Aussetzung nach Art. 28 I EuGVVO der 569
Zeiler, ecolex 1996, 727. Vgl. zum Verhältnis der Normen auch di Blase, S. 1 ff.; 53 ff. So Tiefenthaler, ZfRV 1997, 74; K. Otte, in: FS Schütze, S. 635; ders., Umfassende Streitentscheidung, S. 470 ff.; Stürner, ZZP 112 (1999), 195; a.A. Zeuner, in: FS Lüke, S. 1011. 571 Zeuner, in: FS Lüke, S. 1010 f. 572 Die Vorteile eines solchen Verweisungsmechanismus eher anzweifelnd McGuire, ZfRV 2005, 292 f. 573 Art. 28 II EuGVVO erfährt ebenfalls im Kommissionsvorschlag, KOM (2010), 748 endgültig, eine Verbesserung: Nach Art. 30 II soll es für eine Verfahrensverbindung nicht mehr darauf ankommen, dass die Verbindung der Klagen nach dem jeweiligen nationalen Recht zulässig ist. 574 Zutreffend Lüpfert, Konnexität, S. 273. 575 So die h.L.; näher zu abweichenden Ansichten oben § 18 IV. 576 Lüpfert, Konnexität im EuGVÜ, S. 273. 570
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Vorzug gewährt werden.577 Bei diesem Verständnis könnte Art. 28 EuGVVO auf sinnvolle Weise zur Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen beitragen, wenn die Voraussetzungen der Anspruchsidentität nicht vorliegen, sondern der Konflikt auf reiner Vorfragenebene bzw. im Verhältnis von Haupt- und Vorfrage (Präjudizialität) angesiedelt ist. Allerdings ist zu konstatieren, dass die Judikatur es bisher nicht vermocht hat, Art. 28 EuGVVO eine entsprechend sichere Kontur zu verleihen. 578 So wird teilweise der nach Art. 28 III EuGVVO erforderliche Konnexitätszusammenhang mit einem „einheitlichen Lebenssachverhalt“ gleichgesetzt.579 Auch unterscheidet sich die in § 148 ZPO vorausgesetzte Ausrichtung an Präjudizialitätsverhältnissen bereits dem Wortlaut nach von Art. 28 I EuGVVO.580 Art. 28 III EuGVVO setzt zudem keine rechtskräftige Entscheidung der jeweils in beiden Verfahren präjudiziellen Vorfrage voraus, so dass die Vorschrift weit über den formalen Rechtshängigkeitseinwand nach § 261 III Nr. 1 ZPO und die auf Vorgreiflichkeit abzielende Regelung des § 148 ZPO hinausgreift.581 Gerade den signifikanten nationalen Unterschieden bei der Aussetzung eines Verfahrens soll die Legaldefinition in Art. 22 III EuGVÜ/Art. 28 III EuGVVO abhelfen. Die Definition orientiert sich eng am belgischen und französischen Recht, deren Sprachfassungen deswegen auch zur Auslegung von Art. 28 III EuGVVO herangezogen werden können.582 Art. 28 EuGVVO erfasst demgemäß auch Sinn- und Austauschzusammenhänge (etwa bei synallagmatischen Verträgen) zwischen Verfahren. Dies gilt sowohl zwischen denselben Parteien als auch im Verhältnis zu Dritten. Hingegen soll bloße rechtliche und tatsächliche Gleichartigkeit der Verfahren nicht genügen. Ohne den Umfang des Konnexitätseinwands in dieser Studie vertiefen zu müssen, zeigt der weite Anwendungsrahmen, dass die Vorschrift bei richtiger Interpretation Art. 27 I EuGVVO auf sinnvolle Weise ergänzt. Keineswegs muss es dabei stets zu einer gemeinsamen Verhandlung kommen (Art. 28 II EuGVVO).583 Auch die Aussetzung des zweiten Verfahrens trägt zur Verfahrenskoordination bei (Art. 28 I EuGVVO), wenn anschließend das Urteilserkenntnis bzw. die Entscheidungs577
Eine bindende Verweisung wäre deswegen sinnvoll, vgl. McGuire, ZfRV 2005, 83. K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 400; hierzu H. Roth, in: FS Jayme I, S. 748. 579 So OLG Hamm NJW 1983, 523; Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 28 EuGVVO Rn. 11. 580 Vgl. aber hierzu H. Roth, FS Jayme, S. 753 f. 581 Überblick bei K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 385 f. 582 Näher K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 385. 583 Für deutsche Gerichte bleibt jedoch nur die Möglichkeit der Aussetzung nach Art. 28 I EuGVVO, da die nach Art. 28 II für die Unzuständigerklärung notwendige Verbindungsmöglichkeit nach § 147 ZPO die Anhängigkeit der Verfahren vor demselben Forum voraussetzen würde, Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 28 EuGVVO Rn. 34. Eine Verbindungsbefugnis besitzen jedoch französische, belgische oder italienische Gerichte, Lüpfert, Konnexität, S. 100 ff. 578
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begründung des ersten Verfahrens im zweiten Verfahren verwertet wird. Da es hier zur Durchführung zweier selbständiger Verfahren kommt, könnte eine gewisse Zurückhaltung bei der Auslegung von Art. 28 III EuGVVO angebracht sein, die auch auf rechtsvergleichende Befunde zu funktionsähnlichen nationalen Vorschriften (§ 148 ZPO) gestützt werden könnte.584
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H. Roth, in: FS Jayme I, S. 755.
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§ 40 Konsequenzen für einzelne Fallgruppen I. Das Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage 1. Grundsatz Kommt ein potentieller Schuldner der Leistungsklage des Gläubigers mit einer negativen Feststellungsklage zuvor, so besteht die für Art. 27 I EuGVVO notwendige Interessenidentität.585 Die unterschiedlichen Rechtsschutzformen ändern an der Anspruchsidentität von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage nichts, wie auch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Tatry586 belegt. Die im Rahmen der Revision des EuGVÜ vorgetragenen Änderungsvorschläge fanden mit Recht kein Gehör.587 So wollte etwa die deutsche Delegation in der Arbeitsgruppe der EU-Kommission Art. 21 EuGVÜ ausdrücklich durch die Wendung ergänzen588, dass der Streitgegenstand einer negativen Feststellungsklage nicht mit dem einer entsprechenden Leistungsklage identisch sei.589 Auch wurde der Vorschlag, den Vorrang der negativen Feststellungsklage zugunsten einer zeitnah erhobenen Leistungsklage des Gläubi585 Oben § 39 IV. Für das Eingreifen von Art. 27 I EuGVVO u.a. Riemer, Forum-Shopping, S. 131: Dieses Ergebnis erscheint auch evident, wenn nicht der Kernpunkttheorie gefolgt wird. 586 EuGH, Urt. v. 6. 12. 1994, Rs. C-406/92 – The Tatry/The Maciej Rataj, Slg 1994, I-5439; Kropholler/v. Hein, Art. 27 EuGVO Rn. 10. Vgl. aktuell auch BGH GRUR 2011, 554 f. 587 Kohler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 25 ff. 588 Vgl. Dok. 14377/98 JUSTCIV 141 (11.1.1999). Eine Klage „die auf Feststellung gerichtet ist, dass eine Verpflichtung oder ein Vertrag nicht besteht, [betrifft] nicht denselben Anspruch wie eine Klage, die auf Leistung gerichtet ist“. Diese Ergänzung konnte keine Zustimmung bei der Mehrheit der Delegierten finden, Jayme/Kohler, IPRax 1999, 410; Makridou, in: FS Beys I, S. 947 ff. Es blieb beim Prioritätsprinzip. Hierzu auch Nieroba, S. 216. 589 Der Vorschlag wurde zurückgewiesen, weil er eine dogmatische Kluft schaffe zwischen Feststellungsklagen, welche vor und solchen, die nach Erhebung einer Leistungsklage anhängig werden; vgl. auch MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 10, 11. Art. 21 VI des (gescheiterten) Entwurfs eines Haager Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sah eine entsprechende Regelung vor. Vgl. dazu auch K. Otte, DAJV-NL 1996, 82 ff.
§ 40 Konsequenzen für einzelne Fallgruppen
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gers zu begrenzen590, nicht aufgegriffen. Mit Recht hat P. Gottwald deswegen die Singularität des Vorschlags gerügt.591 Schließlich hat das Deutsche Bundesministerium der Justiz in seiner Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission vom 21.04.2009 zur Überprüfung der EuGVVO592 den Vorschlag unterbreitet, Art. 27 I EuGVVO bei einem Zusammentreffen von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage nicht eingreifen zu lassen, sondern vom Vorrang der zweiten auszugehen.593 Im Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der EuGVVO vom 14.12.2010 finden sich dagegen keine entsprechenden Überlegungen. Die von der negativen Feststellungsklage ausgehende Sperrwirkung kann aus rechtsstaatlichen Gründen indes nur akzeptiert werden, wenn sowohl in materiellrechtlicher als auch verfahrensrechtlicher Hinsicht die Voraussetzungen für die Rechtsverfolgung durch den gesperrten Zweitkläger im Ausland geschaffen werden.594 Demnach muss das nationale Prozessrecht des Staates, bei welchem die Feststellungsklage rechtshängig ist, auch eine Leistungswiderklage gestatten, wenngleich nicht unbedingt bei demselben Forum.595 Die Leistungswiderklage stellt sicher, dass der gesperrte Gläubiger die Möglichkeit zur Erlangung eines Vollstreckungstitels hat und die Verjährung gehemmt wird596. Im Ergebnis würde Art. 27 EuGVVO damit zuständigkeitsbegründende Wirkung verliehen. Die Vorschrift führte bei dieser Sichtweise zu einer sinnvollen Verfahrenskonzentration bei einem Gericht.597
590 So vor allem Otte/Prütting/Dedek, ERPL 2000, 278; ebenso bereits K. Otte, in: FS Schütze, S. 638; ders., Umfassende Streitentscheidung, S. 468; ders., ZZPInt 8 (2003), 525; vgl. hierzu auch P. Gottwald, in: FS Jayme I, S. 283; kritisch auch Schmehl, Parallelverfahren, S. 352, die freilich insoweit noch gesetzgeberischen Spielraum bei der Ausgestaltung des Justizgewährungsanspruchs sieht. 591 P. Gottwald, Streitgegenstand und Sinnzusammenhänge, S. 98 f.: „Insoweit wäre es aber ein Rückschritt, die faktischen Unterschiede wieder zu dogmatischen Unterschieden zu verfestigen.“ 592 KOM (2009) 175 endgültig. 593 Stellungnahme des Bundesjustizministeriums zum Grünbuch der Kommission vom 21.04.2009, S. 9, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/justice/news/consulting_public/news_ consulting_0002_en.htm. 594 Ch. Wolf, EuZW 1995, 365. 595 Schack, IPRax 1989, 140; ders., IPRax 1996, 82; Rüßmann, IPRax 1995, 79. 596 Freilich hemmt im deutschen Recht auch eine unzulässige Klage die Verjährung, § 204 I Nr. 1 BGB. 597 Scheidet hingegen eine Leistungswiderklage aus, müsste bereits im Hinblick auf die drohende Verjährung des Anspruchs die Verteidigung des Beklagten gegenüber der negativen Feststellungsklage berücksichtigt werden, was für das deutsche Recht der h.L. widersprechen würde.
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2. Chancengleichheit und Feststellungsinteresse Häufig findet sich indes der Einwand, dass durch diese Sichtweise voreilige Feststellungsklagen aus prozesstaktischen Gründen erst heraufbeschworen würden, welche allein der Perpetuierung des Gerichtsstandes dienten, was mit Sinn und Zweck des Übereinkommens bzw. der Verordnung kaum vereinbar sein dürfte.598 Damit würde das Wahlrecht des Feststellungsbeklagten unter mehreren Zuständigkeiten faktisch entwertet. Andererseits soll die Verknüpfung der negativen Feststellungsklage mit dem Recht zur Gerichtswahl nach den Befürwortern gerade zur Verwirklichung der prozessualen Chancengleichheit unter den Parteien beitragen. Denn die Vorstellung, dass der Schuldner typischerweise die Rolle eines „natürlichen Beklagten“ und der Gläubiger die eines „natürlichen Klägers“, der allein vollstreckbaren Rechtsschutz begehre, einnehme, ist nicht haltbar und speist sich aus forum non conveniens-Überlegungen.599 Sie kann den Vorrang der Leistungsklage deswegen nicht rechtfertigen, wenngleich die Rechtsprechung des BGH600 zu Art. 31 II CMR ebenfalls eine solche Bevorzugung des Leistungsklägers aus materiellrechtlichen Gründen erkennen lässt. Die vollkommene Chancengleichheit bei der Wahl des Forums könnte indes den potentiellen Leistungsgläubiger benachteiligen.601 Deswegen wird vorgeschlagen, das zeitliche Verhältnis der beiden Klagen besser aufeinander abzustimmen.602 Die Berechtigung des Schuldners zur negativen Feststellungsklage wäre somit unter die Voraussetzung zu stellen, dass sich der Gläubiger einer gegen ihn gerichteten Forderung berühmt hat. Wäre dies jedoch das ein598 Tiefenthaler, ZfRV 1997, 73. Nicht verkannt werden darf, dass eine negative Feststellungsklage für den Kläger nicht zwangsläufig zu einem prozessualen Vorteil führen muss, wenn man bedenkt, dass die zur Verfügung stehenden Gerichtsstände häufig übersehbar sind. An das Forum des Wohnsitzstaates, Art. 2 I EuGVVO, wird sich der Feststellungskläger aber kaum wenden, da dies für die Leistungswiderklage nur einen Heimvorteil brächte, Kohler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 27 f.; ebenso Leipold, in: GS Arens, S. 243. Faktisch bleiben dann nach Art. 5 EuGVVO häufig nur der Gerichtsstand des Erfüllungsortes und des Deliktsortes. Schließt man Klagen auf Feststellung einer nichtdeliktischen Handlung hingegen vom Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO aus, werden die Anreize weiter gesenkt, so Stauder, in: FS Schricker, S. 928. Das Schweizer Bundesgericht will dem Schädiger im Rahmen einer negativen Feststellungsklage das Wahlrecht zwischen Handlungs- und Erfolgsort nur unter der Voraussetzung gewähren, dass das angerufene Gericht besonders sachnah ist, vgl. IPRax 2008, 544 f. m. Bespr. Domej, 550 ff.; a.A. aktuell BGH GRUR 2011, 554 (Vorlageentscheidung), der Einschränkungen ablehnt; vgl. auch Althammer, in: GS Konuralp, S. 103, 107 ff. Vgl. im Übrigen die Regelung in Art. 93 V der Verordnung (EG) Nr. 40/95 über die Gemeinschaftsmarke und Art. 97 V der Verordnung (EG) 207/2009, die die negative Feststellungsklage vom deliktischen Gerichtsstand ausnimmt; instruktiv Sosnitza, GRUR 2011, 470; a.A. K. Otte, in: FS Schütze, S. 631. 599 Treffend K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 453; ders., in: FS Schütze, S. 635 f. 600 BGH NJW-RR 2004, 397. 601 Für vollständige Waffengleichheit hingegen Geimer, IZPR, Rn. 1112. 602 Riemer, Forum-Shopping, S. 128 f.
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zige Erfordernis für das Feststellungsinteresse, dann könnte der Schuldner dem Gläubiger stets zuvorkommen.603 Zur Vermeidung einer drohenden Forumfixierung durch den potentiellen Schuldner müsste der Gläubiger versuchen, sofort ohne vorherige Aufforderung Klage zu erheben. Die zu erwartende Kostentragungspflicht nach sofortigem Anerkenntnis des Beklagten (in Deutschland: § 93 ZPO) erschiene dann als das kleinere Übel. Die Streitfreudigkeit würde aus präventiven Gründen anwachsen.604 Deswegen ist vertretbar, die Feststellungsklage nicht zu gewähren, wenn auf die Geltendmachung des Anspruchs hin der Gläubiger der entstandenen Rechtsunsicherheit alsbald durch Erhebung der Leistungsklage entgegen tritt.605 Der Schutz durch die negative Feststellungsklage würde erst beginnen, wenn der Gläubiger es innerhalb angemessener Frist versäumt hat, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. So wird nach Ansicht von Riemer den Schutzinteressen des Schuldners in seiner Rolle als Beklagtem bereits durch die Regel actor sequitur forum rei ausreichend Rechnung getragen.606 Ein Bedürfnis für eine vorbeugende negative Feststellungsklage bestehe erst dann, wenn auf eine Forderungsberühmung nicht alsbald eine entsprechende Leistungsklage folge, ohne dass sich der Gläubiger von seiner Forderung endgültig distanziert. Riemer fordert deswegen im Sinne der Rechtsklarheit, dass der Schuldner den Gläubiger zunächst unter Fristsetzung auffordert, die Anspruchsberühmung in Zukunft aufzugeben. Erst nach Ablauf der gesetzten Frist, innerhalb derer der Gläubiger keine Leistungsklage erhoben hat, sei dann die Erhebung einer negativen Feststellungsklage zulässig.607 Das Verhältnis zwischen negativer Feststellungsklage und Leistungsklage wird dann durch das sich nach der jeweiligen lex fori der Mitgliedstaaten bestimmende Feststellungsinteresse geregelt.608 In der Tat erscheint die Beschreitung eines Mittelwegs angebracht, der einen Ausgleich schafft zwischen der wünschenswerten Verfahrenskonzen603 Siehr, ZZP 117 (2004), 487, votiert dafür, ein autonom defi niertes Feststellungsinteresse für Feststellungsklagen auf europäischer Ebene als Voraussetzung zu normieren. 604 So die Befürchtung von Riemer, Forum-Shopping, S. 128. 605 Riemer, Forum-Shopping, S. 129. Hingegen wird darauf hingewiesen, dass eine solche „Säumnis“ dem Leistungskläger nicht vorgeworfen werden könne, da es hierfür unterschiedliche Beweggründe geben könne (etwa fehlende Bezifferbarkeit der Anspruchshöhe), Nieroba, S. 176; K. Otte, in: FS Schütze, S. 628 f. Jedoch ist es hier m.E. zumutbar, den Anspruchsgrund mit der positiven Feststellungsklage zu klären. Auch dies hat der Gläubiger aber unterlassen. Im Ergebnis steht eine billige Bewertung der Parteiinteressen im Vordergrund. Denn auch die Feststellungsklage wird keineswegs immer nur aus Missbrauchsgründen erhoben, sondern häufig aufgrund eines Motivbündels. 606 Riemer, Forum-Shopping, S. 129. 607 Die Beschreitung dieses Weges schlägt Riemer auch für das nationale Prozessrecht vor. 608 Jedoch befürwortet Riemer, Forum-Shopping, S. 130, 168 de lege ferenda eine verordnungsautonome Regelung der Zulässigkeitsfrage. Davon zu unterscheiden ist der Vorschlag von Otte/Prütting/Dedek, ERPL 2000, 278, der den Vorrang der negativen Feststellungsklage gerade umgekehrt zeitlich begrenzen will.
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tration bei einem Forum, die Folge der Sperrwirkung der negativen Feststellungsklage ist, und dem Rechtsschutzinteresse des Leistungsklägers, der sein Recht zur Zuständigkeitswahl weiter nutzen will.609 Eine strenge Prüfung des Feststellungsinteresses durch das Erstgericht könnte dabei missbräuchlichen „Torpedoklagen“ von vorneherein vorbeugen.610 Im Hinblick auf die Konkurrenz von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage könnten Einschränkungen des Zuständigkeitswahlrechts des Feststellungsklägers somit auf das nach nationalem Recht erforderliche Feststellungsinteresse gestützt werden (§ 228 öZPO, § 256 I ZPO).611 Dabei ist zu bedenken, dass der Leistungsberechtigte auf internationaler Ebene durch die Pflicht zur Leistungswiderklage stärker belastet würde als bei reinen Inlandsfällen.612 Deswegen müssen die Voraussetzungen für eine derartige Konzentration höher angesetzt werden. Der Kläger muss ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen gerichtlichen Feststellung eines Rechtsverhältnisses nachweisen. Dies erfordert einen konkreten Anlass für eine vorbeugende Klärung, der erst vorliegt, wenn nach angemessener, vom jeweiligen Richter zu bestimmender Frist, der Rechtsberühmung des Gläubigers keine Leistungsklage unmittelbar folgt. Damit kann ein möglicher Missbrauch der Zuständigkeitswahl mittels negativer Feststellungsklage in schweren Fällen eingedämmt werden. Durch die bisherige Ausprägung der Rechtsprechung des EuGH besteht die Gefahr, dass italienische oder auch belgische Torpedos den europäischen Rechtsraum auf lange Zeit blockieren.613 Der EuGH hat gegenüber dieser Entwicklung in seiner Entscheidung zur Rechtssache Gasser/Misat614 die Augen verschlossen. An der Identität der Streitgegenstände selbst kann dieser Befund nichts ändern. Die sich daraus ergebenden Folgen aber können durch andere Mechanismen in ein für beide Parteien angemessenes Gleichgewicht gebracht werden. 609 Grundsätzlich sperrt die negative Feststellungsklage aber die Leistungsklage, vgl. auch Freitag, in: JbJZRWiss 2004, 414 f.: „Es entspricht zudem der prozessualen Fairness, auch dem Schuldner das Recht einzuräumen, die prozessuale Initiative ergreifen und als Kläger einer negativen Feststellungsklage von etwaigen alternativen Gerichtsständen des EuZVR profitieren zu können“. Vgl. zur Torpedokonstellation auch Thode, BauR 2005, 1535 f. 610 Eine aus missbräuchlichen Erwägungen heraus erhobene negative Feststellungsklage wurde von der Rechtsbank van eerste aanleg Brüssel, GRUR Int. 2001, 170 ff. als (teilweise) unzulässig abgewiesen. Zudem wurde der Kläger wegen Missbrauch des Prozessrechts zu Schadensersatz verurteilt. 611 Tiefenthaler, ZfRV 1997, 70 f. 612 Zeuner, in: FS Bydlinski, S. 514. 613 Vgl. auch Schlosser, in: Report on the Application of Regulation Brussels I in the Member States, presented by B. Hess, Th. Pfeiffer and P. Schlosser (Final Version Sept. 2007), S. 330 ff. 614 EuGH, Urt. v. 9.12.2003, Rs. C-116/02 – Gasser/Misat, Slg. 2003, I-14693 ff. Rn. 72; ausführlich Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 31 und sogleich unter 4; der Entscheidung des EuGH im Hinblick auf die Rechtssicherheit freilich zustimmend Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 328.
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3. Torpedoklagen bei Immaterialgüterrechten Relevant wird die „Torpedoproblematik“ in der Praxis vor allem, wenn in einem Staat mit bekannt langer Verfahrensdauer (etwa Italien, mitunter auch Belgien) eine Klage auf Feststellung der Nichtverletzung eines Immaterialgüterrechts erhoben wird615, um damit eine bevorstehende Verletzungsklage (Schadensersatz- oder Unterlassungsklage) des Rechtsinhabers in einem anderen Mitgliedstaat zu verhindern. Einige deutsche Gerichte haben die Voraussetzungen von Art. 21 I EuGVÜ/27 I EuGVVO hier als erfüllt angesehen.616 Aufgrund der vermuteten Gleichwertigkeit der konkurrierenden vertrags- bzw. mitgliedstaatlichen Gerichtsstände blockiert die negative Feststellungsklage (oder Nichtigkeitsklage617) somit die Leistungs(-unterlassungs)klage im Zweitstaat.618 Lediglich in seltenen Einzelfällen wird der Primat des Erstverfahrens als rechtsmissbräuchlich abgelehnt.619 Die elegante Lösung, die zweifellos europarechtskonform wäre, besteht dann darin, dass das Erstgericht seine Zuständigkeit selbst verweigert.620 Das französische Tribunal de grande instance de Paris hat aber in einer vergleichbaren Konstellation die Streitgegenstandsidentität im Sinne von Art. 21 EuGVÜ (demandes ayant le même objet et la même cause) verneint.621 Die in Italien anhängige negative Feststellungsklage zur Feststellung der Nichtverletzung verschiedener nationaler Teile eines europäischen Patents bezog sich auch auf den französischen Teil, hinsichtlich dessen kurze Zeit später in Frankreich eine Patentverletzungsklage erhoben wurde. Zwar sei in beiden Fällen jeweils derselbe Anspruchsgrund betroffen, jedoch sei die Identität des Objekts jeweils eine andere. Denn die in Italien anhängige Klage sei eine negative Feststellungs615 Freitag, in: JbJZRWiss 2004, 412 f. Vgl. aktuell Weller, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Report on the Application of Regulation Brussels I in the Member States, Study JLS/C4/2005/03, September 2007, S. 174 ff, und Schlosser, S. 331 ff.; Schauwecker, GRUR Int 2007, 1052; zur unzumutbaren Verfahrensdauer in Patentprozessen auch Nieroba, S. 202 f. Zu den Motiven für eine Torpedoklage vgl. Schmehl, Parallelverfahren, S. 214. 616 OLG Düsseldorf GRUR Int 2000, 776 – Impfstoff III; LG Düsseldorf GRUR Int 1998, 804 – Impfstoff. Vgl. zu belgischen Parallelklagen insoweit Rauscher, IPRax 1994, 188 ff. 617 Dazu auch Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 176. 618 Schauwecker, GRUR Int 2007, 175; zum Ganzen auch Adolphsen, Patentsachen, Rn. 571 f., 845 ff.: für enge Auslegung von Art. 27 I EuGVVO wegen der unterschiedlichen territorialen Wirkung der Patente; zur Thematik auch Bukow, Verletzungsklagen, S. 283 ff.; Ebner, Markenschutz, S. 215 ff. 619 OLG Düsseldorf, aaO.; Den Haag, IER 1998, 74; Meier-Beck, GRUR 1999, 379 ff. 620 Rechtsbank van eerste aanleg Brüssel GRUR Int. 2001, 170 ff.; Corte di Cassazione GRUR Int 2005, 264 ff.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 140, hat mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Lösung einer teleologischen Reduktion von Art. 27 EuGVVO bei überlanger Verfahrensdauer vorzuziehen ist; Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 38; auch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes helfen, die Torpedoproblematik zu entschärfen, Hess, JZ 1998, 1021, 1031; ausführlich Freitag, in: JbJZRWiss 2004, 421 f.; unten § 40 I 5. 621 GRUR Int 2001, 173; dazu auch Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 10c.
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klage, die bezwecke, der Antragstellerin die Vermarktung ihres Produkts zu ermöglichen, während die Patentverletzungsklage die in Frankreich erfolgte Rechtsverletzung ahnden wolle.622 Hinsichtlich der Anwendung der Konnexitätsregel (Art. 22 EuGVÜ) wurde ausgeführt, dass zwar ein gewisser Zusammenhang bestehe, jedoch die Vorschrift nicht zu Blockadeeffekten missbräuchlich instrumentalisiert werden dürfe. Das Hauptziel sei vielmehr zu verhindern, dass widersprüchliche Entscheidungen ergehen. Insoweit wandte das Tribunale die Vorschrift gewissermaßen aus „Sanktionsgründen“ nicht an. Treichel hat mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Auslegung mit der Kernpunktlehre des EuGH nicht vereinbar sei.623 Zwar stehe einmal das Rechtsschutzziel „Ausspruch eines Unterlassungsgebots in vollstreckbarer Form und Zahlung eines Schadensersatzes“ im Vordergrund, während das andere Mal „die Feststellung der Nichtverletzung“ betroffen sei. Streitgegenständlich sei aber jeweils auch die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Benutzungshandlung im Hinblick auf den französischen Teil des Patents. Im Rahmen dieser Arbeit ist besonders der Hinweis von Treichel auf die Entscheidung des EuGH Drouot Assurances SA von Bedeutung.624 Dort habe der EuGH betont, dass Art. 21 EuGVÜ/ Art. 27 EuGVVO jedenfalls dann anwendbar sei, wenn „hinsichtlich des Gegenstands der beiden Rechtsstreitigkeiten die Interessen der Prozessparteien identisch und voneinander untrennbar sind.“625 Die Interessen eines Patentinhabers und eines vermeintlichen Patentverletzers stimmten hinsichtlich des Gegenstands der beiden anhängigen Verfahren (negative Feststellungsklage und später anhängige Verletzungsklage) so weit überein, „dass ein Urteil, das gegen den einen ergeht, Rechtskraft gegenüber dem anderen entfalten würde.“ In beiden Fällen sei die (Nicht-)Verletzung des gleichen nationalen Teils eines europäischen Bündelpatents maßgeblich.626 Die Voraussetzungen der für Art. 27 EuGVVO entscheidenden Interessenidentität können mit der von Treichel angeführten Ar622 Gestützt werden könnte die Streitgegenstandsverschiedenheit durch eine Auslegung, die Art. 6 Nr. 1 EuGVVO im Falle eines europäischen Bündelpatents erfahren hat. So hatte der EuGH in der Entscheidung Roche Nederland die Anwendung der Streitgenossenzuständigkeit abgelehnt, wenn sich die Verletzer des Patents in verschiedenen Mitgliedstaaten befinden, da nicht dieselbe Sach- und Rechtslage vorliege, EuGH, Urt. v. 13.7.2006, Rs. C-539/03 – Roche Nederland BV u.a., IPRax 2007, 38, mit zust. Anm. Adolphsen (15); Dietze/Schnichels, EuZW 2007, 688 f. 623 Treichel, GRUR Int 2001, 176; zu missbräuchlichen Taktiken im Patentprozess Pitz, GRUR Int 2001, 32 f.: Durch die beschränkte Schutzdauer des Patents wird der Rechtsschutz für den Patentinhaber hinausgeschoben, bis eine Unterlassungsklage an der inzwischen abgelaufenen Schutzfrist ihre Grenzen findet. Möglich bleibt dann lediglich eine Schadensersatzklage. 624 EuGH, Urt. v. 19.5.1998, Rs. C-51/96 – Drouot Assurances SA, Slg. 1998, I-3075. 625 Treichel, GRUR Int 2001, 176. 626 Insoweit seien im Hinblick auf Art. 69 EPÜ auch die gleichen rechtlichen Regeln betroffen. Divergierende Entscheidungen zum Schutzumfang seien daher ausgeschlossen, Treichel, GRUR Int 2001, 176 f.
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gumentation bejaht werden. Im Übrigen erscheint der Hinweis des Tribunal auf die Nichtanwendung von Art. 22 EuGVÜ/Art. 28 EuGVV äußerst zweifelhaft. Denn der angestrebte Blockadeeffekt kann für sich gesehen noch nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach sich ziehen.627 Anders wäre dies, wenn feststünde, dass eine Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts für die in einem anderen Mitgliedstaat anhängige Verletzungsklage offensichtlich nicht vorliegt. Das Beispiel zeigt jedoch, dass für Ermittlung identischer Verfahren im Sinne von Art. 27 I EuGVVO immer auch eine Wertung vonnöten ist, die bei entsprechender Argumentation durchaus zum entgegengesetzten Ergebnis führen kann. Ein beachtlicher Vorschlag von Stauder628 geht dahin, die negative Feststellungsklage von vornherein nicht am Forum des deliktischen Geschehens (Art. 5 Nr. 3 EuGVVO) zu gewähren, was zweifellos die Torpedoproblematik entschärfen dürfte, ohne mit der (europäischen) Streitgegenstandsdogmatik in Konflikt zu geraten. Anzumerken bleibt, dass Art. 27 I EuGVVO richtigerweise nicht greift, wenn Feststellungs- und Leistungslage verschiedene nationale Patente bzw. Teile eines europäischen Patents beinhalten. Hier ist der Schutzbereich der betroffenen Rechte von vornherein begrenzt, so dass in tatsächlicher (möglicherweise aber in rechtlicher) Hinsicht keine widersprechenden Entscheidungen zu erwarten sind.629 Deswegen ist auf Art. 28 EuGVVO zurückzugreifen.
4. Torpedoklagen und überlange Verfahrensdauer Bei der Beurteilung der Konkurrenzsituation zwischen negativer Feststellungsklage und Leistungsklage spielen vor allem Verfahrensverzögerungen im Ausland eine Rolle, welche ein Parallelverfahren im Inland auf unabsehbare Zeit verhindern können.630 Angemerkt sei aber, dass dieser Blockadeeffekt allen Klageformen zukommt, die mit einem später eingeleiteten Verfahren einen gemeinsamen Kernpunkt aufweisen, und keineswegs allein auf die negativen Feststellungsklagen beschränkt ist.631 Die „Torpedoproblematik“ beruht, wie gesehen632, auf dem erheblichen Effektivitätsgefälle der Justiz in den einzelnen Mit627 628
Treichel, GRUR Int 2001, 177. Stauder, in: FS Schricker, S. 928; vgl. dazu auch Althammer, in: GS Konuralp, S. 103,
107 ff. 629 Grabinski, GRUR Int. 2001, 209 f.; vgl. zu einem ähnlichen Fall LG Düsseldorf GRUR Int. 2008, 756; LG Düsseldorf GRUR-RR 2009, 402; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2009, 401; Haertel, GRUR-RR 2009, 373; ausführlich Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 10a. 630 Vgl. Nieroba, S. 128 f. Bejaht somit das ausländische Forum seine Zuständigkeit, war der Gläubiger, der im Inland an einer Klage wegen Art. 27 I EuGVVO gehindert ist, unter der Geltung von Art. 68 EGV auf die Einlegung von Rechtsmitteln angewiesen. Nach Art. 267 AEUV ist nun jedoch auch eine Vorlage der Zuständigkeitsfrage an den EuGH durch das Untergericht möglich. 631 Schmehl, Parallelverfahren, S. 210; Carl, Torpedoklagen, S. 53, 54. 632 Der Begriff stammt von Franzosi, EIPR 1997, 382 ff.; vgl. im Übrigen bereits oben § 40 I 3 und Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 159. Bei der Torpedoproblematik können aber un-
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gliedstaaten.633 Gerichte in Italien, aber auch in Belgien oder Frankreich sind noch immer für einen besonders langsam agierenden Justizapparat in Europa bekannt.634 Allerdings richtet sich dieser Vorwurf auch an andere europäische Mitgliedstaaten, im Einzelfall selbst an Deutschland.635 Die vom EuGH postulierte Gleichwertigkeit der Gerichte in der Gemeinschaft ist weiterhin Fiktion, indem sie die bestehenden zeitlichen Unterschiede für die Überprüfung eines Rechtsschutzgesuchs schlichtweg ignoriert.636 Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten der EuGVVO in das gegebene Zuständigkeitssystem soll vielmehr nach h.L. dazu führen, dass eine teleologische Reduktion der Rechtshängigkeitssperre (Art. 27 EuGVVO) auch bei Evidenzfällen ausgeschlossen ist. Damit wird der Rechtssicherheit gegenüber der Einzelfallgerechtigkeit der Vorzug gegeben. Leading case war die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gasser/MISAT.637 Der Gerichtshof nahm auf Vorlage des OLG Innsbruck an, dass die Nichtanwendung von Art. 21 EuGVÜ für den Fall, dass das zuerst angerufene Gericht einem Mitgliedstaat angehöre, dessen Gerichtsverfahren allgemein als zu lang beurteilt würden, mit der Systematik und dem Zweck des Brüsseler Einkommens nicht in Einklang stünde. Das Übereinkommen beruhe auf Vertrauen, welches die Vertragsstaaten gegenseitig ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen entgegenbrächten. Dieses Vertrauen habe es erst ermöglicht, ein verbindliches Zuständigkeitssystem zu schaffen und auf die innerstaatlichen Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile zu Gunsten eines einfachen Anerkennungs- und Vollstreckbarkeitsverfahrens zu verzichten. Bei der Anerkennung von Ausnahmen käme es jedoch zu einer unnötigen Vermehrung von Zuständigkeitsstreitigkeiten, was mit dem Aspekt der Rechtssicherheit nicht vereinbar wäre.
terschiedliche Konstellationen betroffen sein: Zum einen können die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten international zuständig sein, wobei das zuerst eingeleitete Verfahren jedoch die Gefahr der Überlänge beinhaltet. Zum anderen ist aber auch denkbar, dass das zuerst angerufene Gericht nur (bzw. zusätzlich) für die Entscheidung als unzuständig anzusehen ist, ohne dass eine überlange Verfahrensdauer sich abzeichnet. Auch im zweiten Fall wird die Blockadewirkung der negativen Feststellungsklage ausgenutzt, vgl. Schmehl, Parallelverfahren, S. 391 f. 633 Vgl. etwa BGH IPRax 1986, 293; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 333. 634 EuGH NJW 2000, 934 f.; Grothe, IPRax 2004, 83; Schilling, IPRax 2004, 294; Weller, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, aaO., p. 188. 635 Vgl. EGMR NJW 2010, 3355; LG Mainz WM 2005, 2319 f.; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 159. 636 Treffend Freitag, JbJZRWiss 2004, 412. 637 EuGH, Urt. v. 9.12.2003, Rs. C-116/02 – Gasser/Misat, Slg. 2003, I-14693, Rn. 72; ausführlich Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 31. Der EuGH entschied zudem, dass bei Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten des prorogierten Zweitgerichts keine Ausnahmen zulässig sind, vgl. auch Kropholler/v.Hein, Art. 27 EuGVO Rn. 19, 20. Vgl. zur Rechtslage de lege ferenda sogleich im Text.
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Ohne die Problematik hier im Einzelnen zu vertiefen, verlangt der Justizgewährungsanspruch des Leistungsklägers zwingend die Berücksichtigung des Zeitmoments, will man den Einwand der Primärrechtswidrigkeit von Art. 27 I EuGVVO vermeiden.638 Darüber hinaus sind gerade Fälle mit überlanger Verfahrensdauer in einzelnen Mitgliedstaaten dazu angetan, das viel beschworene Vertrauen in das gemeinsame Zuständigkeitssystem zu untergraben.639 EuGVÜ und EuGVVO basieren eben auch auf einem erheblichen Vertrauensvorschuss, der sich durch die Nichtahndung bewusst herbeigeführter Verfahrensverzögerungen nachträglich als nicht gerechtfertigt erweist.640 Insoweit könnte eine teleologische Reduktion von Art. 27 I EuGVVO im Einzelfall das Vertrauen gerade stärken. Solche offen angesprochenen Korrekturmöglichkeiten würden auch die Anreize für missbräuchliche nationale Instrumentarien wie antisuit injunctions, die dem Zuständigkeitssystem der EuGVVO widersprechen und nicht anerkennungsfähig sind, verringern.641 Der EuGH sollte die rechtstatsächlichen Schwierigkeiten, welche er selbst mit seinem weiten Streitgegenstandsverständnis hervorgerufen hat, nicht leugnen. Dass andererseits durch wenige gezielte Ausnahmen vom Prioritätsprinzip sofort das gesamte Zuständigkeitssystem der EuGVVO ins Wanken geriete, kann nicht ernsthaft behauptet werden.642 Der EGMR hat ebenfalls bereits in einer Reihe von Entscheidungen deutlich gemacht643, dass durch überlange Verfahrensdauer Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit der Justiz beschädigt werden können. Der BGH konnte in einer jüngeren Entscheidung zwar offen lassen, „ob die Rechtshängigkeitssperre des Art. 21 EuGVÜ nachträglich wegfällt, wenn eine überlange Dauer des zuerst anhängig gewordenen ausländischen Verfahrens eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs des inländischen Klägers … zur Folge hat“.644 Jedoch hat er Möglichkeiten zur Korrektur zumindest angedeutet und nicht kategorisch ausgeschlossen. Mit Recht wird deswegen im Schrifttum weiter für eine Begrenzung der Rechtshängigkeitssperre im Einzelfall votiert. Vertretbar erscheint dies im Hin638 Schmehl, S. 368; Rauscher, IPRax 1986, 274 f.; Geimer, in: FS Nagel, S. 36 ff.; ders., NJW 1984, 527 ff. 639 Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 31; Grothe, IPRax 2004, 86 f.; Otte, ZZPInt 8 (2003), 525; a.A.: McGuire, GPR 2003/2004, 159 ff.; dies., Verfahrenskoordination, S. 138 ff. 640 Otte, ZZPInt 8 (2003), 525. Das Vertrauens- und Rechtssicherheitsargument des EuGH überzeugt somit nicht. 641 Zutreffend Hau, ZZPInt 9 (2004), 195; Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 17; zum Entfallen der Rechtshängigkeitssperre bereits Geimer, NJW 1984, 527 ff. 642 Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 32 f.; a.A. Taschner, EWS 2004, 498; Sander/ Breßler, ZZP 122 (2009), 183 f. 643 Vgl. etwa EGMR, Bottazzi/Italien, appl. No 34884/97, Rep. 1999–V, § 22 m.w.N; EGMR NJW 2010, 3355. 644 BGH JZ 2002, 949; Schlosser, IPRax 1999, 117; ders., EU-ZPR, Art. 27 EuGVVO Rn. 10; Mankowski, EWiR 1998, 977, 978; Tiefenthaler, ZfRV 1997, 67, 69; Grothe, IPRax 2004, 87; ders. IPRax 2004, 210 f.
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blick auf das allgemein anerkannte Missbrauchsverbot und Art. 6 EMRK.645 Nimmt das Erstverfahren ein nicht mehr tolerierbares Zeitmaß an, so muss die Verfahrensblockade für den Zweitprozess fallen, wenn nicht ausnahmsweise unmittelbar mit einer Entscheidung zu rechnen ist.646 Allerdings müsste ein Leistungsgläubiger, der an einer Klage im Inland gehindert ist, den Eintritt der Menschenrechtsverletzung abwarten, bevor er sein Klagebegehren dort weiterverfolgen kann. Deswegen muss – entgegen den Worten des EuGH – bereits der Rekurs auf die sich bereits konkret abzeichnende überlange Verfahrensdauer genügen. Bei ausreichender Verifizierung dieser Umstände erscheint die Außerachtlassung des ausländischen Verfahrens dann gerechtfertigt.647 Insoweit ist auch eine teleologische Reduktion der Rechtshängigkeitsregelung möglich, selbst wenn bei einer autonom auszulegenden Verordnung Zurückhaltung angebracht ist.648 Unter der Geltung von Art. 68 I EGV existierte insoweit keine Vorlagepflicht bzw. Vorlageberechtigung des nichtletztinstanzlichen Gerichts.649 Selbst Art. 267 AEUV führt aber nur zu einer Vorlageberechtigung und keiner Vorlagepflicht des Untergerichts, wenn es Art. 27 I EuGVVO teleologisch reduzieren will. Andere Stimmen in der Literatur stehen dem Aspekt einer etwaigen Prozessverschleppung als Anlass zur Reduktion der Rechtshängigkeitsregel hingegen skeptischer gegenüber.650 So wird vorgeschlagen, einem Missbrauch lediglich mit der Verweigerung der Zuständigkeit durch das Erstgericht vorzubeugen. Denn ansonsten würde bei einer Überprüfung des ausländischen Verfahrens dem integrationsfreundlichen Charakter des EuGVÜ/der EuGVVO wider645 Die Grenze des Zulässigen muss stets im Einzelfall bestimmt werden. Grothe, IPRax 2004, 211 f., setzt diese bei zwei bis drei Jahren an. Zu beachten gilt es, dass das verzögernde Verhalten der Parteien nicht den Gerichten zugerechnet werden darf. 646 Schilling, IPRax 2004, 294 ff.; Grothe, IPRax 2004, 208 ff.; Krusche, MDR 2000, 678 f.; Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 18 f.; a.A. etwa Bernheim, SJZ 90 (1994), 140. 647 Freitag, in: JbJZRWiss 2004, 418 f.; zurückhaltender Schmehl, Parallelverfahren, S. 355 f., 364. 648 Grothe unterscheidet hier zwischen der Konstellation, dass die Zuständigkeitsentscheidung des zuerst angerufenen Gerichts nicht innerhalb angemessener Frist ergangen sei, was das später angerufene Gericht nicht mehr verpflichte, das Verfahren auszusetzen. Bei einer lediglich drohenden Verfahrensverzögerung sei hingegen eine Durchbrechung des Prioritätsprinzips lediglich unter Missbrauchsgesichtspunkten geboten. Dafür müsste der Kläger des Erstverfahrens seine Klage in Blockadeabsicht vor einem unzweifelhaft international unzuständigen Erstgericht erhoben haben, Grothe, IPRax 2004, 212; Nieroba, S. 122. Schilling, IPRax 2004, 295 f., nimmt für den Fall, dass schon die Zuständigkeitsentscheidung des Erstgerichts nicht innerhalb angemessener Frist ergehe, an, dass das Zweitverfahren sogar unmittelbar konventionswidrig sei, weil das Gericht sowohl an einer Sachprüfung als auch an einer Unzuständigerklärung gehindert sei. 649 Näher Schmehl, Parallelverfahren, S. 370. 650 Kropholler/v. Hein, Art. 27 EuGVO Rn. 21; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 27 EuGVVO Rn. 2; Isenburg-Epple, S. 99 f.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 130 f., 140, 142; Thiele, RIW 2004, 287 f.
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sprochen. Dieser bestehe darin, dass grundsätzlich von der Gleichwertigkeit sämtlicher Gerichte der Mitgliedstaaten auszugehen ist, auch wenn Unterschiede in der praktischen Umsetzung und im Verfahrensablauf bestehen.651 Überdies fehle es für einen Wegfall der Rechtshängigkeitssperre an einer dogmatischen Verankerung.652 Eine Art. 9 I des schweizerischen IPRG vergleichbare Regelung enthält das Europäische Verfahrensrecht nicht. Dort heißt es: „Ist eine Klage über denselben Gegenstand zwischen denselben Parteien zuerst im Ausland hängig gemacht worden, so setzt das schweizerische Gericht das Verfahren aus, wenn zu erwarten ist, dass das ausländische Gericht in angemessener Frist eine Entscheidung fällt, die in der Schweiz anerkennbar ist.“
Eine allgemeine Fristprognose erscheint mit der gesetzlichen Vermutung der Gleichwertigkeit der Rechtspflegeorgane der Mitgliedstaaten in der Tat nicht in Einklang zu bringen zu sein.653 Dies bedeutet jedoch nur, dass die durch Art. 27 I EuGVVO ausgelöste Rechtshängigkeitssperre nicht auf dem Prognoseweg im Vorfeld überwunden werden kann, etwa mit der Begründung, dass die Verfahrensdauer vor dem zuerst angerufenen Gericht des jeweiligen Mitgliedstaates bekanntermaßen überlang sei.654 Insoweit ist der Entscheidung Gasser/Misat655 zuzustimmen. Daraus folgt jedoch nicht, dass einer im Einzelfall bereits eingetretenen, nicht mehr zumutbaren Verfahrensverzögerung nicht durch Fortsetzung des zunächst blockierten Parallelverfahrens abgeholfen werden könnte.656 Auch die Principles of Transnational Civil Procedure von UNIDROIT/ALI weisen auf einen solchen Weg hin: Die frühere Rechtshängigkeit ist grundsätzlich verbindlich, sofern nicht nach Auffassung des Zweitgerichts der Verdacht nahe liegt, der Rechtsstreit vor dem Erstgericht werde nicht fair, effektiv oder in angemessener Zeit geführt (Principle 2.6). Damit klingen z.T. forum non conve651 Thiele, RIW 2004, 288; Grabinski, GRUR Int. 2001, 211; G. Walter, in: FS Schumann, S. 563; BGH IPRax 1984, 152; teilweise wird jedoch darauf hingewiesen, dass es auch Teil der Gleichwertigkeit der Europäischen Gerichte sein müsse, dass jedes Forum den Justizgewährungsanspruch und den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz vollständig gewährleiste, Prütting, in: GS Lüderitz, S. 629 f. 652 E. Schumann, IPRax 1986, 15. 653 Grabinski, GRUR Int. 2001, 211; G. Walter, in: FS Schumann, S. 563; Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 18. 654 Schilling, IPRax 2004, 295; Schmehl, Parallelverfahren, S. 362. 655 EuGH, Urt. v. 9.12.2003, Rs. C-116/02 – Gasser/Misat, Slg. 2003, I-14693 ff. 656 Schilling, IPRax 2004, 298. Vgl. hierzu auch Art. 21 III des Entwurfs für ein Haager weltweites Übereinkommen über die Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung: „Upon application of a party, the court second seised may proceed with the case if the plaintiff in the court first seised has failed to take the necessary steps to bring the proceedings to a decision on the merits or if that court has no rendered such a decision within a reasonable time“, in: Stückelberg Brook.Int’l.L. 26 (2000), S. 949 ff.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 131. Das Vorhaben scheiterte jedoch, zustande kam lediglich ein Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen, vgl. Schütze, Deutsches internationales Zivilprozessrecht, S. 30.
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niens-Gesichtspunkte an657, ebenso wie in Principle 2.5658, die im Rahmen der EuGVVO allenfalls begrenzte Berechtigung haben.659 Strukturell würde der forum non conveniens-Einwand dazu führen, dass das angerufene Erstgericht seine nach der EuGVVO verliehene Zuständigkeit nicht wahrnimmt. Im Übrigen könnte jedoch de lege ferenda die Etablierung eines autonom gemeinschaftlichen Einwands des Verfahrensmissbrauchs als Korrektiv erwogen werden.660 Dieser Einwand des Rechtsmissbrauchs würde dem Zweitgericht eine Handhabe verleihen, die ausländische Rechtshängigkeit nicht beachten zu müssen.661 Im Übrigen wäre eine teleologische Reduktion von Art. 27 I EuGVVO entgegen der Ansicht des EuGH in der Rechtssache Gasser/Misat662 angebracht, wenn eine ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt, die vom Kläger übergangen wird. In der Praxis stellt dies eine der häufigsten Konstellationen dar.663 Zwar ist es Konsens, dass die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts keine Anwendungsvoraussetzung für die Rechtshängigkeitssperre ist.664 Das Zweitgericht darf diese folglich nicht überprüfen, wobei dies auch für Fälle offensichtlicher Unzuständigkeit gilt.665 Jedoch sollte m.E. der Bruch einer Gerichtsstandsvereinbarung durch den Feststellungskläger nicht durch die Anerkennung der faktischen Prozessverschleppung honoriert werden.666 Die vom 657 Die Regelung begrüßend Musielak/Stadler, ZPO, Art. 27 EuGVVO Rn. 5; G. Walter, in: FS Schumann, S. 559 f. Auch Art. 15 VO 2201/03/EG (sog. Brüssel IIa-VO) verwirklicht ein flexibles ermessensgeleitetes Zuständigkeitssystem; allgemein bereits Blum, S. 1 ff. 658 Die Vorschrift lautet in der deutschen Übersetzung: „Zuständigkeit kann verneint oder das Verfahren ausgesetzt werden, wenn das Gericht zur Entscheidung des Rechtsstreits offensichtlich ungeeignet ist verglichen mit einem anderen geeigneteren Gericht, dessen Zuständigkeit gegeben ist.“ 659 Freitag, in: JbJZRWiss 2004, 415. Der EuGH hat in seinem Urt v. 1.3.2005, Rs. C-281/02 – Owuso/Jackson u.a., Slg. 2005, 1383, 1459, solchen Überlegungen gerade misstraut. Das europäische Zuständigkeitssystem könnte mit einem unerträglichen Maß an Unsicherheit belastet werden, was seine praktische Effizienz erheblich beeinträchtigt; North, IPRax 1992, 184 f. 660 Freitag, in: JbJZRWiss 2004, 415. Deutlich auch Stauder, in: FS Schricker, S. 928: „Ob auf Dauer ein so fundamentaler Rechtsgrundsatz wie das Verbot von Rechtsmissbrauch vom Brüsseler Recht ferngehalten werden kann, scheint doch bezweifelbar. Der EuGH sollte anerkennen, was die Basis jeder Rechtsanwendung ist, bona fide!“; Althammer, in: GS Konuralp, S. 103 ff. Vgl. bereits auch Briggs, LQR 108 (1991), 531 f. 661 Überlegungen dazu auch bei Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 18a. 662 EuGH, Urt. v. 9.12.2003, Rs. C-116/02 – Gasser/Misat, Slg. 2003, I-14699. 663 Zur großen Bedeutung solcher Vereinbarungen vgl. Commission Staff Working Paper Impact Assessment SEC (2010) 1547 final, S. 30. 664 LG Düsseldorf GRUR Int 2008, 757; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 119 f. 665 Lediglich für den Fall, dass das Zweitgericht seine ausschließliche Zuständigkeit auf Art. 22 EuGVVO stützen kann, nimmt die h.L. eine Durchbrechung der Rechtshängigkeitssperre vor. Dies geschieht meist unter Berufung auf die Entscheidung EuGH, Urt. v. 27.6.1991, Rs. C-351/89 – Overseas, Slg. 1991–I, 3317 f., 3348 f., obwohl der EuGH deren Aussagekraft insoweit später selbst in Frage gestellt hat. 666 Freitag, in: JbJZRWiss 2004, 415 f.; Grothe, IPRax 2004, 205 ff.
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EuGH befürchtete Beeinträchtigung der Rechtssicherheit ist in diesen klar abgrenzbaren Fällen nicht zu vermuten. Diese Ausnahme sollte auch deswegen Anerkennung finden, weil die Parteien mit der Wahl eines Forums meist eine Rechtswahl treffen, die nicht durch eine missbräuchlich erreichte Blockadewirkung zunichte gemacht werden darf.667 Als weitere Abhilfemöglichkeit wird etwa auch die Einführung von Höchstfristen vorgeschlagen, innerhalb derer das Erstgericht über die Zuständigkeitsfrage zu entscheiden habe.668 Andernfalls könne das Parallelverfahren fortgesetzt werden. Auch mit dieser prozessualen Maßnahme könnte der Rechtssicherheit mehr gedient werden als durch die Beurteilung einer Menschenrechtsverletzung im Einzelfall, die noch dazu von den Motiven des Feststellungsklägers unabhängig ist. Diese Fristenlösung würde zudem dem jeweiligen Mitgliedstaat Anreiz geben, die Effektivität und Schnelligkeit seines Justizsystems zu verbessern. Der Eingriff in die erststaatliche Souveränität bleibt dabei auf ein notwendiges Mindestmaß beschränkt. Der Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO versucht insoweit beiden genannten Punkten gerecht zu werden:669 Art. 29 I und Art. 32 II des Kommissionsvorschlags sichern den Vorrang von Gerichtsstandsvereinbarungen ab, so dass insoweit auch das strikte Prioritätsprinzip der Rechtshängigkeitssperre zurücktritt.670 Insoweit kommt es zu einer Hierachisierung der Zuständigkeiten.671 Sind somit nach der Gerichtsstandsvereinbarung ein oder alle Gerichte eines Mitgliedstaates ausschließlich für das Verfahren zuständig, 667
Freitag, in: JbJZRWiss 2004, 415 f. McGuire, Verfahrenskoordination, S. 131 ff.; dies., GPR 2003/2004, 159 f.; befürwortend Freitag, in: JbJZRWiss 2004, S. 419 f.; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 185; kritisch Schmehl, Parallelverfahren, S. 379, weil mit der Pauschalisierung die Möglichkeit entfalle, dem Einzelfall gerecht zu werden. Vgl. auch die Regelung in Art. 29 II des Kommissionsvorschlags für eine Neufassung der Brüssel I-VO (sogleich im Text). Grundsätzlich ist diese Fristenregelung ein erster richtiger Schritt, um Torpedoklagen von vornherein wenig Raum zu lassen. 669 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.12.2010, KOM (2010) 748 endgültig, S. 37 f. 670 Damit geht der Vorschlag auch nicht mehr von einer vollständigen Gleichwertigkeit der angerufenen Gerichte aus, Hess, IPRax 2011, 128 f. Auffällig ist aber, dass im Verhältnis paralleler Verfahren in einem Mitgliedstaat und in einem Drittstaat keine vergleichbare Regelung existiert. Jedoch hat nach Art. 34 des Kommissionsvorschlags für eine Neufassung der EuGVVO hier ohnehin das mitgliedstaatliche Gericht von einer Aussetzung des später eingeleiteten Verfahrens abzusehen, wenn es diese im Sinne einer geordneten Rechtspflege für nicht notwendig ansieht. Müller, EuZW 2011, 477 ff., beanstandet, dass der Kommissionsvorschlag sich insoweit nicht ausdrücklich zu gesetzlich ausschließlichen Zuständigkeiten i.S.v. Art. 25 EuGVVO äußert. 671 Hess, IPRax 2011, 128 f.; eine solche Lösung begrüßend Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 5b. Auch das Grünbuch der Kommission vom 21.04.2009 zur Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001, KOM (2009) 175 endgültig, S. 5 f., sah bereits einen ähnlichen Vorschlag zum Schutze von Gerichtsstandsvereinbarungen vor, bei dem es zur Umkehr der Rechtshängigkeitsregel zugunsten des vereinbarten Gerichts kommen sollte. 668
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so bleiben die Gerichte aller anderen Mitgliedstaaten so lange dafür unzuständig, bis die Unzuständigkeit des oder der prorogierten Gerichte feststeht (ausgenommen sind Vereinbarungen nach Abschnitt 3, 4 und 5 des Kapitels).672 Jedes andere angerufene Gericht muss nach dem Kommissionsvorschlag das Verfahren aussetzen, bis das Gericht am vereinbarten Gerichtsstand sich für zuständig oder gegebenfalls für unzuständig erklärt hat.673 Auf diese Weise würde ein positiver Kompetenzkonflikt wie im Fall Gasser/Misat nicht mehr entstehen. Zweifellos wird die Neuregelung, sollte sie in Kraft treten, die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen verbessern, wodurch die Anreize für eine (rechtsmissbräuchliche) Klage bei einem unzuständigen Gericht geringer werden.674 Die Torpedoproblematik könnte dadurch auf einem wichtigen Teilgebiet entschärft werden, so dass zusätzliche Kosten und Zeitaufwand vermieden würden. Diese Regelung des Kommissionsvorschlags entspricht in etwa Art. 5 des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen.675 Anders als Art. 6 III des Haager Übereinkommens dies vorsieht, soll nach dem Kommissionsvorschlag diese Ausnahme vom Prioritätsprinzip aber keinen Einschränkungen unterliegen.676 Das derogierte Gericht kann davon nicht abweichen, indem es die Nichtigkeit der Prorogationsvereinbarung überprüft.677 Eine Einschränkung von Art. 32 II Kommissionsvorschlag dahingehend, dass das prorogierte Gericht nur dann vom Prioritätsprinzip abgehen darf, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung einem prima facie-Test standhält, empfiehlt sich aufgrund der damit verbundenen Unsicherheiten nicht. Das denkbare Szenario, dass zwei Verfahren durchgeführt werden, wenn das vereinbarte Gericht die Prorogationsvereinbarung für nichtig erklärt, fällt den Vorteilen dieser Lösung gegenüber nicht ins Gewicht. Überlegenswert wäre darüber hinaus als Sanktions- bzw. Präventionsmaßnahme, die Partei, welche eine Gerichtsstandsvereinbarung bewusst verletzt hat, zum Schadensersatz zu verpflichten.678 Auch
672 Kritik an Art. 32 II des Kommissionsvorschlags im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit äußert Heinze, RabelsZ 75 (2011), 590. 673 KOM (2010) 748 endgültig, S. 9. 674 KOM (2010) 748 endgültig, S. 9. 675 Vgl. auch Hartley/Dogauchi, RabelsZ 73 (2009), 151 f.; KOM (2010) 748 endgültig, S. 9, 10; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, S. 204, 205. 676 Heinze, RabelsZ 75 (2011), 592, befürchtet erst das Entstehen von positiven Kompetenzkonflikten durch diese Regelung und infolge auch unvereinbare Entscheidungen. Dabei biete das Haager Übereinkommen mehr Möglichkeiten für eine Nichtanerkennung (Art. 9) als die Brüssel I-VO nach dem Kommissionsvorschlag. 677 Auch rügeloses Einlassen des Beklagten beim Erstgericht würde daran nichts ändern; dazu Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 16a, der die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gasser grundsätzlich verteidigt. 678 Ablehnend insoweit die Stellungnahme des Bundesjustizministeriums zum Grünbuch der Kommission vom 21.04.2009, S. 9, verfügbar unter: http://ec.europa.eu/justice/news/consulting_public/news_consulting_0002_en.htm.
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im Zusammenhang mit Schiedsvereinbarungen enthält der Kommissionsvorschlag eine Hierarchisierung: Nach Art. 29 IV setzen die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats, deren Zuständigkeit auf der Grundlage einer Schiedsvereinbarung angefochten wird, das Verfahren aus, wenn der vereinbarte oder bezeichnete Schiedsort in einem Mitgliedstaat liegt und die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich der Schiedsort befindet, oder das Schiedsgericht angerufen wurden, um in der Haupt- oder Vorfrage festzustellen, ob die Schiedsvereinbarung besteht, ob sie gültig ist und welche Wirkungen sie hat. Durch diese neue Vorschrift soll der Stellenwert von Schiedsgerichtsvereinbarungen in Europa erhöht werden, der Gefahr parallel laufender Gerichts- und Schiedsverfahren vorgebeugt sowie der Anreiz für missbräuchliche Prozesstaktiken beseitigt werden.679 Desweiteren sieht Art. 29 II 1 des Kommissionsvorschlags vor, dass das zuerst angerufene Gericht innerhalb von sechs Monaten seine Zuständigkeit festzustellen hat, es sei denn, dies würde sich aufgrund außergewöhnlicher Umstände als nicht möglich erweisen.680 Art. 29 II 2 enthält zudem Informationspflichten, um dem Zweitgericht eine Einschätzung über den zukünftigen Verlauf des ausländischen Parallelverfahrens zu ermöglichen. Damit wird bei Verabschiedung dieses Gesetzesvorschlags der bisherigen Torpedoproblematik eine weitere Spitze genommen, obwohl sich in Staaten mit bekannt überlanger Verfahrensdauer wohl nur schrittweise Verbesserungen ergeben werden. „Außergewöhnliche Umstände“ – ein noch zu konkretisierender unbestimmter Rechtsbegriff – könnten hier häufiger als erwartet vorliegen oder vorschnell bejaht werden. Einen Schritt in die richtige Richtung bedeuten diese Regelungsvorschläge allemal.681 Freilich sollte das Verstreichenlassen der Frist, auch vor dem Hintergrund von Artt. 13, 41 EMRK, mit Sanktionen bewehrt werden682, was im Kommissionsvorschlag bisher versäumt wurde. Auch der Deutsche Bundesrat hat jüngst eine Regelung für den Fall angemahnt, „dass das zuerst angerufene Gericht ohne sachlichen Grund nicht innerhalb der vorgesehenen Frist oder sonst angemessener Zeit entscheidet.“683 Zur Verhinderung überlanger Verfahrensdauer bildet der Vorschlag der Kommission also ein relativ schwaches Instrument. Das strikte Prioritätsprinzip, das Art. 27 I EuGVVO anordnet, ist im Übrigen im Hinblick auf den Grundsatz eines fairen Verfahrens nur dann akzeptabel (Art. 47 II der Europäischen Grundrechte-Charta), wenn in allen Mitgliedstaaten einheitliche Maßstäbe gelten. Dies ist etwa im Hinblick auf den Zeit679
KOM (2010) 748 endgültig, S. 10. KOM (2010) 748 endgültig, S. 38. 681 Kritisch im Hinblick auf Einzelheiten des Gesetzgebungsvorschlags aber Heinze, RabelsZ 75 (2011), 597 f. 682 Vorschläge fi nden sich bei Heinze, RabelsZ 75 (2011), 599 f. 683 BR-Drs. 833/10, S. 5. 680
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punkt des Eintritts der Rechtshängigkeit mit Art. 30 EuGVVO der Fall.684 Das „Windhundprinzip“ führte zuvor zu einer perfiden Torpedierung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Klägers am zeitlich später angerufenen Forum. Die Widerklage(last) am Erstforum war hierfür kein gleichwertiger Ersatz.685 Ein Rechtsverlust für den Leistungskläger könnte im Übrigen weiter durch Verjährung eintreten. Geimer ist deswegen darin Recht zu geben686 , dass die Rechtsprechung des EuGH nur dann akzeptabel sei, wenn die nationalen Rechtsordnungen „mitzögen“. Diese Rechtsordnungen haben durch Anpassung der nationalen Regeln zur Verjährungshemmung dafür Rechnung zu tragen, dass diese materiellrechtliche Einrede die Rechtsschutzverwirklichung nicht utopisch werden lässt. Ein Blockadeeffekt der negativen Feststellungsklage ist deswegen nur gerechtfertigt, wenn auch diese (genauer: die Verteidigung gegen sie) die Verjährung hemmen kann oder der Beklagte der negativen Feststellungsklage die Möglichkeit zur Leistungswiderklage in concreto besitzt. Eine sinnvolle Vorschrift im Zusammenhang mit der Verjährungshemmung enthält Art. 34 II des Kommissionsvorschlags für eine Neufassung der EuGVVO, wenngleich diese nur das Verhältnis von Paralleverfahren in einem Mitgliedstaat und in einem Drittstaat betrifft: Sollte es hier unter den Voraussetzungen des Art. 34 I bei Anspruchsidentität zu einer Aussetzung des mitgliedstaatlichen Verfahrens kommen687, dann versucht Art. 34 II des Kommissionsvorschlags eine Verjährungsfalle zu vermeiden. Denn während der Aussetzung bleibt das Recht der Partei, die das Gericht des Mitgliedstaats angerufen hat, auf Unterbrechung der im Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehenen Ausschluss- oder Verjährungsfristen bestehen.688 Eine solche Regelung zur Sicherung der Verjährungshemmung (oder Verjährungsunterbrechung) für den gesperrten Kläger einer Leistungsklage wäre jedoch auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander sinnvoll gewesen, was im Kommissionsvorschlag bisher versäumt wurde 689. 684 EuGH, Urt. v. 7.6.1984, Rs. 129/83 – Zelger/Salinitri, Slg. 1984, 2397. Aus der früheren Uneinheitlichkeit resultierten die größten Missbrauchsmöglichkeiten, Linke, in: Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa, S. 159; Homann, IPRax 2002, 502 f. 685 Pfeiffer in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 101. 686 Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVVO Rn. 31, 32. 687 Weber, RabelsZ 75 (2011), 634, sieht jedoch im Hinblick auf das jeweilige nationale Recht eine entsprechend angepasste Konkretisierung desselben Anspruchs für geboten an. Das ist richtig, weil bereits im Hinblick auf die Anerkennungsfähigkeit der drittstaatlichen Entscheidung nationales Recht (beispielsweise § 328 ZPO) zu befragen ist. Die Folge wären freilich europaweit unterschiedliche Sperrwirkungen. 688 KOM (2010) 748 endgültig, S. 41. 689 Nach § 204 II Nr. 1 BGB ist jedoch hilfreich, dass auch eine unzulässige Klage zunächst die Verjährung hemmt. Das bedeutet aber, dass der Gläubiger eines Anspruchs auf eine früher eingeleitete negative Feststellungsklage des Schuldners unter Umständen unter bewusstem Verstoß gegen Art. 27 I EuGVVO mit einer kernpunktidentischen Leistungsklage reagieren muss, um die Verjährung zu hemmen. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen
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Darüber hinaus sollte die Kommission noch eine klarstellende Regelung zum Inhalt der Anspruchsidentität nach Art. 29 des Kommissionsvorschlags aufnehmen. Diese Arbeit hat die massiven Bedenken gegenüber der Kernpunkttheorie in verschiedener Hinsicht deutlich werden lassen.690 Bereits im Hinblick auf den Justizgewährungsanspruch der klagenden Partei, der durch das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre in vielen Fällen beeinträchtigt wird, empfiehlt sich ein engeres autonomes Verständnis, das am durch das jeweilige Parallelverfahren zu verwirklichenden Rechtsschutzinteresse ausgerichtet ist.691 Immerhin dürften die Anreize für forum shopping, wenngleich solches nicht verboten ist, nach der Vergemeinschaftung wichtiger kollisionsrechtlicher Materien (vgl. Rom I692, Rom II693) zumindest auf einigen wichtigen Sachgebieten geringer werden. Denn bisher hatte die durch den Feststellungs(kläger) vorzunehmende Wahl zwischen verschiedenen Gerichtsständen auf internationaler Ebene auch Folgen für das Kollionsrecht und damit für das Sachrecht.694
5. Einstweiliger Rechtsschutz Ein mit dem Zuständigkeitssystem der EuGVVO und dem Vertrauensgrundsatz harmonierendes Korrektiv zur Rechtshängigkeitssperre stellt der einstweilige Rechtsschutz dar. Denn gemäß Art. 31 EuGGVO ist es jeder Partei gestattet, bei einem nach der Zuständigkeitsordnung der EuGVVO auch in der Hauptsache berufenen Forum Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu beantragen695, welche schließlich gemeinschaftsweit anzuerkennen sind. Zwar ist nicht unumstritten, ob die Anhängigkeit der Hauptsache in einem Mitgliedstaat auch verlangt, dass aus Gründen der Verfahrenskonzentration nur dieses Gericht als Hauptsachegericht im Sinne von Art. 31 EuGVVO angesehen werden kann. Denkbar wäre auch, dass ein nach der EuGVVO zuständiges anderes Gericht zumindest nur Maßnahmen erlassen kann, welche im Ge-
eine Klage im Ausland die Verjährung bei Anwendbarkeit deutschen Sachrechts hemmt, näher McGuire, Verfahrenskoordination, S. 225 ff. Die wohl h.L. macht es zur Bedingung, dass das eventuelle Sachurteil theoretisch anerkenungsfähig wäre und somit keine Anerkennungshindernisse nach Art. 34 EuGVVO entgegenstehen. 690 Vgl. § 39 II 2. 691 Vgl. § 39 II 2. 692 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“). 693 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II). 694 Etwa Freitag, in: JbJZRWiss 2004, S. 410 f.; G.H. Roth, IPRax 1984, 184. 695 EuGH, Urt. v. 17.11.1998, Rs. C-391/95 – Van Uden/Deco-Line, Slg. 1998, I-7091 Rn. 19; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 31 EuGVVO Rn. 3; zwischen dem einstweiligen Rechtsschutz und der Hauptsache besteht keine Identität nach der Kernpunkttheorie, OGH ÖJZ 2007, 152.
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biet seines Mitgliedstaates vollstreckt werden dürfen.696 Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Van Uden/Deco-Line hat aber klargestellt, dass die Zuständigkeiten für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes durch eine anderweitige Rechtshängigkeit der Hauptsache nicht beeinträchtigt werden.697 Eine Torpedoklage vor einem unzuständigen Gericht kann also gemeinschaftsweite Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht ausschließen, weil andernfalls der Justizgewährungsanspruch der betroffenen Partei unzumutbar eingeschränkt würde.698 Im Übrigen betreffen nach den Vorstellungen beinahe aller Mitgliedstaaten einstweiliger und endgültiger Rechtsschutz verschiedene Streitgegenstände. Praktische Probleme ergeben sich aber regelmäßig daraus, dass es dem Antragsteller häufig schwer fallen wird, im Einzelfall einen besonderen Verfügungsgrund darzulegen. Nach Art. 31 und Art. 35 des Kommissionsvorschlags für eine Neufassung der EuGVVO sollen einstweilige Maßnahmen künftig ohne Weiteres länderübergreifend anerkannt und vollstreckt werden können, wenn sie von dem in der Hauptsache zuständigen Gericht angeordnet wurden.699 Werden solche Maßnahmen dagegen von einem entsprechend unzuständigen Gericht angeordnet, beschränken sich die Wirkungen auf den jeweiligen Mitgliedstaat. Ist das Verfahren in der Sache bereits bei einem Gericht anhängig und wird bei einem anderen Gericht die Anordnung einer einstweiligen Maßnahme beantragt, so ist sinnvollerweise eine Kooperationspflicht der Gerichte vorgesehen.
6. Sonderfall: Parallelverfahren im Rahmen von Art. 31 CMR Art. 31 II CMR enthält eine Art. 27 EuGVVO bereits dem Wortlaut nach vergleichbare Bestimmung für Streitigkeiten aus grenzüberschreitenden Straßengütertransporten.700 Ist eine entsprechende Streitsache bei dem nach Art. 31 I CMR zuständigen Gericht anhängig, so gestattet Art. 31 II CMR eine neue Klage im Hinblick auf dieselbe Sache zwischen denselben Parteien nur dann, wenn die Entscheidung des zuerst mit der Sache betrauten Forums in dem Staat nicht vollstreckt werden kann, in dem die neue Klage erhoben werden soll. Art. 31 II CMR spricht von derselben Sache, während Art. 27 EuGVVO denselben Anspruch nennt. Fraglich ist deswegen, ob die Auslegung von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO für die autonome Interpretation von Art. 31 II CMR 696
Etwa Schulz, ZEuP 2001, 805, 813 f.; Kropholler/v. Hein, Art. 31 EuGVO Rn. 11. EuGH, Urt. v. 17.11.1998, Rs. C-391/95 – Van Uden/Deco-Line, Slg. 1998, I-7091 f. 698 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 223 f. 699 KOM (2010) 748 endgültig, S. 39, 41. 700 Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, § 261 Rn. 32; freilich haben Art. 27 f. EuGVVO grundsätzlich Vorrang, EuGH, Urt. v. 4.5.2010, Rs. C-533/08 – TNT/AXA, NJW 2010, 1736; Linke/ Hau, Intern. Zivilverfahrensrecht, Rn. 257. 697
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fruchtbar gemacht werden kann. Von einer Meinungsgruppe wird eine Angleichung der Konfliktvermeidungsmodelle mit der Folge favorisiert701, dass zum Schutze der prozessualen Chancengleichheit der Parteien auch die negative Feststellungsklage des Schuldners eine nachrangige Leistungsklage des Gläubigers sperren müsse. Zum einen wird hierfür der Wortlaut von Art. 31 II CMR angeführt: Denn die Vorschrift kenne nur die Parteien als Anknüpfungspunkt, ohne dass die Verfahrensart oder die Rollenverteilung im Prozess besonders hervorgehoben wären. Für eine Anlehnung an Art. 27 EuGVVO spreche zum anderen die aus den Parallelverfahren resultierende Gefahr einander widersprechender Entscheidungen.702 Von anderer Seite wird hingegen darauf hingewiesen, dass der Leistungsklage unabhängig von der Frage der zeitlichen Priorität stets der Vorrang gegenüber der negativen Feststellungsklage zukommen müsse.703 Der Gerichtsstand im Übernahme- und Ablieferungsort gemäß Art. 31 I lit.a CMR belege, dass das Übereinkommen primär auf die Durchsetzung materieller Ansprüche des Absenders oder Empfängers auf Ersatz von Güterschäden gerichtet sei. Die gemäß Art. 41 I CMR zwingende Fixierung der Zuständigkeitsregelung auf die Durchsetzung materieller Ansprüche entziehe ihr den prozessualen Charakter. Der „Kläger“ im Sinne von Art. 31 I CMR sei deswegen mit dem materiellen Gläubiger gleichzusetzen. Das Gerichtsstandswahlrecht des Gläubigers sei zwingend zu beachten. Art. 31 CMR enthalte eine materiellrechtliche Wertung, die gemäß Art. 57 EuGVÜ (= Art. 71 EuGVVO) Vorrang vor dem Regelungsgehalt in Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO genieße. Der BGH704 hat sich dieser zweiten Auffassung angeschlossen, aber eine völlige Gleichsetzung des Begriffs des Klägers i.S.v. Art. 31 I CMR mit dem materiellen Anspruchsinhaber vermieden, weil ansonsten bereits eine isolierte Erhebung der negativen Feststellungsklage unzulässig wäre. Art. 31 II CMR sei als Regelung für ein besonderes Rechtsgebiet i.S.v. Art. 57 I EuGVÜ gegenüber Art. 21 EuGVÜ vorrangig.705 Der BGH griff zur Auslegung von Art. 31 II CMR auf die im nationalen deutschen Recht gängige Praxis zurück, wonach das Feststellungsinteresse entfalle, wenn eine auf Durchsetzung desselben Anspruchs gerichtete Leistungsklage erhoben werde, die nicht mehr einseitig zurückgenommen werden könne. Die Rechtshängigkeit der Feststellungsklage stehe bereits aufgrund der Verschiedenheit der Klageanträge und damit 701 OLG Düsseldorf TranspR 2002, 237; OLG Nürnberg, TranspR 2002, 402; MünchKomm-HGB/Basedow, Art. 31 CMR Rn. 28 und 30; Großkomm-HGB/Helm, Anh. VI § 452 Art. 31 CMR Rn. 14; Koller, Transportrecht, Art. 31 CMR Rn. 8; Barnert ZZP 118 (2005), 81. 702 Barnert, ZZP 118 (2005), 81, 88 f. 703 OLG Köln TranspR 2002, 239; OLG Hamburg TranspR 2003, 25; Herber, TranspR 2003, 19. 704 BGH NJW-RR 2004, 397. 705 BGH NJW-RR 2004, 497; EuGH NJW 1995, 1883.
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der Streitgegenstände einer nachträglichen Leistungsklage nicht entgegen. Es handle sich bei der CMR um ein internationales Abkommen, das aus sich selbst heraus auszulegen sei, wobei dem Wortlaut und dem Zusammenhang der Einzelvorschriften besondere Bedeutung beizumessen sei. Eine Art. 31 II CMR entspringende Sperrwirkung sei im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift abzulehnen. Dieser bestehe darin, die materiellrechtliche Rechtsvereinheitlichung, welche das Abkommen bezwecke, noch wirksamer zu machen, indem auch gewisse prozessrechtliche Fragen einheitlich geregelt würden.706 Art. 31 I CMR ermögliche dem Kläger unter mehreren möglichen Gerichtsständen die Wahl des ihm im Einzelfall als zweckmäßig erscheinendsten Staates. Im Gegenzug beschränke das Abkommen aber die Zahl der Staaten, deren Gerichte angerufen werden können, wobei zusätzlich durch die Regelung der Rechtshängigkeit in Art. 31 II CMR die Gefahr verringert werden soll, dass ein Beklagter wegen desselben Anspruchs vor verschiedenen Gerichten in Anspruch genommen wird und in den einzelnen Staaten einander widersprechende Entscheidungen ergehen.707 Der BGH entscheidet sich in diesem Konflikt letztlich mit Recht für den Vorrang der Leistungsklage.708 Denn dieses Wahlrecht zwischen mehreren Gerichtsständen, das gem. Art. 41 I 1 CMR nicht durch Vereinbarung ausgeschlossen werden darf, ist für den Schutz desjenigen bestimmt, der Rechte aus einem der CMR zu unterstellenden Beförderungsvertrag herleiten will. Dieser ist im Prozess in der Regel der Kläger. Besonders deutlich wird dies durch Art. 31 I lit. b CMR, wonach dem Absender oder Empfänger die Möglichkeit gegeben wird, den Frachtführer dort auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, wo er mit ihm Kontakt hatte.709 Dieses Wahlrecht dient ausschließlich dem Schutz des klagenden Gläubigers und nicht dem des Schuldners, der durch eine negative Feststellungsklage eine verfahrensrechtliche Blockade erreichen will. Will man dieser Rechtsprechung zustimmen710, so kann hierfür nicht die Identität der Streitgegenstände angezweifelt werden, die besteht. Vielmehr fordern Sinn und Zweck von Art. 31 CMR, das Zuständigkeitswahlrecht des Gläubigers in jedem Fall anzuerkennen. Gewissermaßen führt eine materiellrechts706
BGH NJW-RR 2004, 498; Hinweis auf BT-Drs. III/1144, S. 44. BT-Drs. III/1144, S. 45. 708 Ebenso Rauscher, LMK 2004, 75. 709 Rauscher, LMK 2004, 75. 710 So auch Rauscher, LMK 2004, 75. A.A. Barnert, ZZP 118 (2005), 88. Die Interpretation des BGH hebe zu einseitig auf Art. 31 I lit. b CMR ab und vernachlässige hierbei den Regelungsgehalt von Art. 31 I lit. a CMR, die beide das Wahlrecht geben. Nach dieser Vorschrift könne der Kläger auch Gerichte eines Staates anrufen, auf dessen Gebiet der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Hauptniederlassung, die Zweigniederlassung oder die Geschäftsstelle hat, durch deren Vermittlung der Beförderungsvertrag geschlossen worden ist. Das Wahlrecht aus Art. 31 I CMR nehme daher auch auf das Beklagtenforum und die prozessualen Belange des (vermeintlichen) Schuldners Rücksicht. 707
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freundliche Auslegung internationalen Verfahrensrechts zu einer Einschränkung der aus Art. 31 II CMR an sich resultierenden Sperrwirkung.
II. Anspruchskonkurrenz und Kernpunkttheorie Der EuGH hat im Rahmen von Art. 5 Nr. 1, 3 EuGVVO allen Entwicklungen hin zu einem europäischen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs durch eine enge autonome Auslegung von Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVVO Einhalt geboten.711 Dies bedeutet für Anspruchskonkurrenzen, dass die Vertragsverletzung getrennt von der unerlaubten Handlung beurteilt wird. Dennoch können in dieser Konstellation grenzüberschreitende Parallelverfahren nicht gestattet werden.712 Im Rahmen der für Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO maßgeblichen Kernpunkttheorie bemisst der EuGH zwar die Identität der Klageansprüche in Anlehnung an die französische Sprachfassung anhand ihres Gegenstandes (le même objet) und ihres Grundes (la même cause)713, wobei zum zweiten Wesensmerkmal neben dem Sachverhalt auch die rechtliche Grundlage gehören soll.714 Jedoch hat der Gerichtshof in den Entscheidungen Tatry und Gubisch mit cause lediglich die Identität des Vertragsverhältnisses bezeichnet715, wenngleich er in der Entscheidung Mærsk Olie716 vom Regulativ der rechtlichen Grundlage erstmals zurückhaltend Gebrauch gemacht hat.717 Aufgrund seiner teleologischen Betrachtungsweise (Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen) dürfte sich der EuGH aber kaum dazu entschließen, beim Zusammentreffen vertraglicher und deliktischer Anspruchsgrundlagen Parallelverfahren zuzulassen.718 Richtigerweise spricht hier bereits die bestehende Interessenidentität gegen eine getrennte Durchführung von Verfahren. Allerdings ist zu bedenken, dass diese Sichtweise nicht in eine Rechtsschutzverweigerung zulasten des Klägers münden darf. Denn das Gericht, das über die vertragliche Anspruchsgrundlage entscheiden soll (Art. 5 Nr. 1), kann aufgrund der Rechtsprechung des EuGH 711 EuGH, Urt. v. 27.9.1988, Rs. 189/86 – Kalfelis/Bankhaus Schröder, Slg. 1988, 5565 f.; hierzu kritisch deswegen P. Gottwald, IPRax 1989, 272. 712 So hat bereits Isenburg-Epple, S. 192, darauf hingewiesen, dass die Rechtshängigkeitssperre greifen muss, wenn wegen derselben schädigenden Handlung der Schadensersatz einmal aus Delikt und einmal aus Vertrag verlangt werde. 713 EuGH, Urt. v. 8.12.1987, Rs: 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik, Slg. 1987, 4861; EuGH, Urt. v. 6.12.1994, Rs. 406/92 – The Tatry, Slg. 1994, 5439. 714 Ausführlich oben § 15 III. 715 Hierzu H. Roth, in: FS Schumann, S. 355 ff. 716 EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Oli & Gas, Slg. 2004, I-9657. Der Antrag auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds steht einer Schadensersatzklage des Geschädigten nicht gemäß Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO entgegen. 717 Vgl. S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 59. 718 Vgl. auch H. Roth, in: FS Schumann, S. 355 f.
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nicht über die deliktische Forderung befinden. Ein paralleles Verfahren über die deliktische Grundlage wäre hingegen nach der Kernpunkttheorie versperrt.719 Der Kläger wäre somit von Anfang an gezwungen, den Beklagten an seinem allgemeinen Gerichtsstand (Art. 2 I) zu verklagen, um in den Genuß einer umfassenden gerichtlichen Kognitionsbefugnis zu gelangen. In der Entscheidung Freeport hat der EuGH720 für Art. 6 Nr. 1 EuGVVO jüngst die Zielidentität vertraglicher und deliktischer Anspruchsgrundlagen anerkannt, die der Annahme eines Konnexitätszusammenhangs nicht entgegenstehe. Diese Sichtweise könnte ihn möglicherweise auch dazu verleiten, seine Rechtsprechung zu Art. 5 Nr. 1, 3 EuGVVO großzügig zu überdenken721, um die Zuständigkeitsprüfung nicht unnötig mit schwierigen materiellrechtlichen Qualifikations- und Abgrenzungsfragen zu belasten.
III. Teilklagen bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Nach der in Deutschland vorherrschenden Rechtsprechung bedingen auf derselben materiellen Anspruchsberechtigung basierende Teilklagen verschiedene prozessuale Streitgegenstände.722 Aus diesem Grund könnte möglicherweise auch Art. 27 I EuGVVO keine Anwendung finden, wenn der Kläger seine Forderung splittet und jeweils Teilbeträge in mehreren Mitgliedstaaten einklagt.723 Ein anderes Ergebnis wäre denkbar, wenn im Sinne der Rechtsprechung des EuGH die Vorfrage der Vertragswirksamkeit oder der gemeinsamen Anspruchsberechtigung zum Kernpunkt beider Verfahren erhoben würde, weil dann unvereinbare Entscheidungen drohen könnten.724 Die Klagen haben ihre 719 Mit Recht als widersprüchlich bezeichnet Tsikrikas, in: FS Leipold, S. 355, diese Rechtsprechung. Hingegen will Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 8, hier die Kernpunkttheorie unter Begrenzung auf den konkreten Anspruchsgrund nicht eingreifen lassen. 720 EuGH, Urt. v. 11.10.2007, Rs. C-98/06 – Freeport plc/Olle Arnoldsson, Slg. 2007, I-8319 ff. 721 Hierfür etwa Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), 1, 22; ders., IPRax 1989, 84 f.; H. Roth, in: FS Schumann, S. 368 f.; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 514 f.; zwischen Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVÜ differenzierend P. Gottwald IPRax 1989, 272 f. (273). Um der Gefahr einer Zuständigkeitserschleichung vorzubeugen, möchte Gottwald die Annexkompetenz an das „ernstliche Bestehen des zuständigkeitsbegründenden Umstands (Vertrag, unerlaubte Handlung)“ knüpfen. Dem ist unter Hinweis auf die Parallele bei Art. 6 Nr. 1 EuGVVO zuzustimmen. Sind dort die Erfolgsaussichten der „Ankerklage“ glaubhaft zu machen, geht es bei Art. 5 Nr. 3 EuVVO um die Glaubhaftmachung des deliktischen „Ankeranspruchs“. 722 Etwa OLG Köln MDR 1983, 848; oben § 23 I 6 a. 723 Angedeutet bei Geimer, in: Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 27 EuGVVO Rn. 41; ebenso Nieroba, S. 181. 724 Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 79; Buschmann, S. 167.
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Grundlage in demselben Rechtsverhältnis, wobei auch der Gegenstand nach Ansicht des EuGH derselbe sein dürfte, wenn auf den Zweck von Art. 27 I EuGVVO, der Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen, abgestellt würde. Einzelne nationale Gerichte haben deswegen bereits entschieden, dass Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO auch bei einer Teilidentität von Ansprüchen Anwendung finden müsse.725 Zu dieser Sichtweise passt, dass im deutschen autonomen Zivilprozessrecht versucht wird, die zweite Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig zu erklären, weil der Kläger die Möglichkeit zur Klageerweiterung nützen müsse (§ 264 Nr. 2 ZPO).726 Richtigerweise sollte diese Aufgabe die Rechtshängigkeitssperre übernehmen, spricht dafür doch die Vorstellung eines einheitlichen, lediglich in Teilbeträge aufgespaltenen Klägerinteresses, das überdies meist auf derselben materiellen Anspruchsberechtigung fußt.727 Eine Vorschrift mit einer § 264 Nr. 2 ZPO vergleichbaren grenzüberschreitenden Aussage existiert zwar auf europäischer Ebene nicht. Zudem sind auch prozessökonomische Gesichtspunkte bei der Auslegung von Art. 27 I EuGVVO geringer zu gewichten. Dennoch erscheint auch innerhalb des europäischen Rechtsraumes die Aufsplitterung einer Forderung durch die parallele Einklagung von Teilbeträgen in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht förderlich.728 Die Gründe für ein sinnvolles forum shopping sind nach Inkrafttreten der Verordnungen Rom I und Rom II ohnehin geringer geworden.
IV. Wechselseitige Schadensersatzklagen bei einheitlicher Sachverhaltsgrundlage Die Frage der Kernpunktidentität kann sich praktisch häufig bei grenzüberschreitenden Schadensersatzklagen im Hinblick auf dasselbe deliktische Geschehen stellen. Eine Entscheidung eines englischen High Court wandte deswegen Art. 21 EuGVÜ im Falle der Kollision zweier Schiffe und entsprechender gegenseitiger Klagen auf Ersatz des entstandenen Schadens an, da beide Prozesse „the same cause of action“ beträfen. Jede Partei machte dabei der anderen fahrlässiges Handeln zum Vorwurf. Die Verpflichtung zur Schadenswiedergutmachung richtete sich gerade nach dem jeweiligen Verschuldensgrad der Schiffsführer. Die Nichtanwendung von Art. 21 EuGVÜ liefe hier nach Ansicht des High Court den Zielen des Übereinkommens zuwider.729 725 726 727 728 729
Kloeckner/Gatoil, [1990] 1 Lloyd’s Law Reports 177. Habscheid, Streitgegenstand, S. 274 f. Oben § 22 II. Ebenso wohl S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 187. The „Linda“, [1988] 1 Lloyd’s Rep. 178.
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Ob die Rechtsschutzinteressen hier in der Weise identisch sind, dass die Schadensersatzpflicht der einen Partei die der anderen ausschließt730, erscheint allerdings zweifelhaft, weil bei der durchaus möglichen Annahme beiderseitigen Verschuldens auch wechselseitige Ersatzansprüche gegeben sein könnten. Damit stehen unterschiedliche Positionen im Raum, die möglicherweise erst im Rahmen der Aufrechnung zu einem Restanspruch einer Partei führen. Deswegen erscheint hier die Annahme verschiedener Streitgegenstände und die Koordination der Verfahren über Art. 28 EuGVVO sinnvoller.731 Das einheitliche tatsächliche Geschehen rechtfertigt für sich nicht das Eingreifen von Art. 27 I EuGVVO. Lässt der Einzelfall aber nur den Schluss zu, dass die Schadensersatzpflicht einer Partei die der anderen ausschließt, liegen trotz umgekehrter Parteirollen identische Rechtsschutzinteressen vor, die die Rechtshängigkeitssperre (Art. 27 I EuGVVO) auslösen.
V. Materiell konträre Klagen vor verschiedenen Gerichten Verklagt ein Verkäufer den Käufer auf Kaufpreiszahlung und beruft sich dieser bei einem Gericht eines anderen Mitgliedstaates auf Rechte aus Mängelgewährleistung (Wandelung/Rücktritt, Minderung oder Schadensersatz), divergieren die Streitgegenstände bei formaler Betrachtung.732 Der österreichische OGH733 hat jedoch die Voraussetzungen von Art. 27 I EuGVO für den Fall bejaht, dass ein Werkunternehmer in Italien seinen Restwerklohn einklagte, während der Besteller vor einem österreichischen Gericht eine Anzahlung, gestützt auf die Vertragsaufhebung wegen Wandelung (bzw. Schadensersatz wegen Schlechterfüllung) zurückforderte.734 Denn die Wirksamkeit des Werkvertrages bilde den Kernpunkt beider Verfahren.735 Diese Aussage fügt sich nur schwer in die bisherige Judikaturlinie des EuGH ein, betrafen doch bisher alle Entscheidungen zumindest Präjudizialzusammenhänge, bei denen eine in einem Verfahren rechtskräftig ausgesprochene Rechtsfolge 730 731 732
A.A.: K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 396. Zu Art. 28 EuGVVO oben § 39 IV. Buschmann, S. 167; Kössinger, S. 184; Schütze, RIW 1975, 544; Kondring, IPRax 2007,
144 f. 733 Siehe zu dieser Entscheidung bereits oben § 37 VI, dort zur Unvereinbarkeit (Art. 34 Nr. 3 EuGVVO). 734 OGH ÖJZ 2005, 838 = IPRax 2007, 134; allgemein dazu Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 10. 735 Abweichend hatte das OLG Hamm für die Konkurrenz einer Kaufpreisklage zu einer gegenläufigen Klage auf Schadensersatz bzw. Nachbesserung wegen mangelhafter Leistung entschieden, OLG Hamm IHR 2003, 242.
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vorgreiflich für das Parallelverfahren war.736 Die Berechtigung zur Wandelung erlangt jedoch für sich, vom Fall der Zwischenfeststellungsklage abgesehen, keine (präjudizielle) Rechtskraftwirkung. Gleiches gilt für die Wirksamkeit des Kaufvertrages als gemeinsamer Vorfrage beider Verfahren. Eine Rechtskrafterstreckung auf das Folgeverfahren scheidet somit aus, wenn in den beteiligten Rechtsordnungen Entscheidungen über Vorfragen nicht selbständig in Rechtskraft erwachsen.737 Bei entsprechender Fortentwicklung der Kernpunktrechtsprechung des EuGH erscheint aber auch nach Ansicht der Literatur nicht ausgeschlossen, einen Anwendungsfall von Artikel 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVO anzunehmen.738 Dabei geraten die Zwecke beider Klagen miteinander in Widerstreit.739 Nach dem bisher Gesagten liegen die Voraussetzungen von Art. 27 I EuGVVO eindeutig vor.740 Denn die Forderung der (Rest-)Kaufpreiszahlung läuft dem Wandelungs- und Schadensersatzbegehren unmittelbar konträr, weil bei wertender Betrachtung beide Klageziele sich auf materiellrechtlicher und wirtschaftlicher Ebene kompensieren.741 Trotz umgekehrter Parteirollen stimmen die Rechtsschutzinteressen (im weiteren Sinne) überein, was auch grenzüberschreitend das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre rechtfertigt.742 Betragsmäßige Divergenzen der Klageanträge bleiben dabei außer Betracht. Der 736 Kondring IPRax 2007, 145; BGH, Beschl. v. 4.4.2001, Az. VIII ZR 121/00, n.v.; a.A. Schack, IPRax 1989, 139 f., der aus der Entscheidung Gubisch/Palumbo, oben § 15 II 1 a, ableiten will, dass der EuGH der Kaufpreisklage auch gegenüber einer späteren hilfsweise erhobenen Vertragsaufhebungsklage bzw. Wandelungsklage den Vorrang eingeräumt habe. 737 Zur Unvereinbarkeit oben § 38 III 6. 738 Mit Recht Buschmann, S. 167; MünchKomm/Gottwald, ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 7; ebenso Schlosser, Art. 27 EuGVVO Rn. 4b; Gaedke, ÖJZ 1997, 293 Fn. 83; Lenenbach EWS 1995, 364; a.A.: Kondring, IPRax 2007, 144; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 423 Fn. 1038. Auf der Grundlage der Kernpunkttheorie hat OLG Dresden, Urt. v. 20.09.2010, Az.: 10 W 0891/10, für eine vergleichbare Konstellation die Voraussetzungen von Art. 27 I EuGVVO mit der wenig konkreten Begründung bejaht, dass Rechtsfolgen aus ein und demselben Sachverhalt betroffen seien. 739 S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 191 f. 740 Deswegen erscheint geeigneter, das vom Kläger verfolgte Interesse, das Verlangen nach Kaufpreiszahlung, in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Dieses bildet „im Kern“ den Mittelpunkt beider Verfahren, wenngleich in unterschiedlicher Höhe und im gegenläufigen Sinne. 741 Bei der Bemessung der Höhe des Schadensersatzes wegen der Mangelhaftigkeit der gelieferten Waren werden bestehende Restkaufpreisansprüche (im französischen Recht) bereits berücksichtigt, Kössinger, S. 184. Ebenso Stafyla, S. 47: Die beiden Rechtsfolgen konterkarieren sich auf der materiellen Ebene. 742 Eine Mehrheit von Prozessen bei weitgehend übereinstimmenden Rechtsschutzinteressen erscheint jedoch kaum prozessökonomisch. Der Justizgewährungsanspruch der Parteien fordert keine Durchführung getrennter Verfahren, sofern eines von beiden Begehren auch verteidigungsweise im Erstprozess oder in Form der Widerklage geltend gemacht werden kann. Vgl. OLG Köln BeckRS 2011, 18443: Unzulässigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens, wenn die entsprechende Widerklage bereits im Ausland zugelassen wurde.
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gesperrte Zweitkläger hat damit zwingend den Weg der Leistungswiderklage zu beschreiten.743 Diese Auslegung von Art. 27 I EUGVVO korrespondiert im Übrigen mit der Annahme, dass nach Urteilserlass beide Entscheidungen miteinander unvereinbar im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO wären.744 Auch eine Klage auf Wandelung bzw. Rückgewähr des Kaufpreises und eine Klage auf Nachbesserung desselben Klägers betreffen, wenn sie auf demselben Kaufvertrag wurzeln, dasselbe materielle (Erfüllungs-)Interesse, so dass Parallelverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht gestattet sind (Art. 27 I EuGVVO).745 Für die Identitätsbestimmung zweier Verfahren (Art. 27 I EuGVVO) kommt es weniger auf die konkreten Rechtsfolgen an, als vielmehr auf das (rechtschutzformunabhängige) Interesse als solches. Zwei Klagen desselben Klägers in verschiedenen Mitgliedstaaten verfolgen dasselbe Interesse, wenn zwischen den Rechtsfolgen Erfüllungskonnexität besteht („Klagen wegen desselben Anspruchs“).746 Bei umgekehrten Parteirollen verlangt die Anwendung von Art. 27 I EuGVVO, dass die jeweiligen Klagen sich im Falle ihres Erfolges gegenseitig kompensieren würden.747 Auch dann wird um „dasselbe Interesse“ gestritten und die Streitgegenstände stimmen überein. Insgesamt erfährt die Kernpunktlehre des EuGH748, wie die Beispiele gezeigt haben, durch die Orientierung am (materiellen) Interesse der Parteien eine sinnvolle Konkretisierung. Die Interessenidentität als Kriterium der Streitgegenstandsabgrenzung könnte darüber hinaus auf europäischer Ebene nicht nur für die Frage der Rechtshängigkeit (Art. 27 I EuGVVO), sondern auch für die Bestimmung der (nationalen) Rechtskraftgrenzen wertvolle Dienste leisten.749 Damit würde auch der oben beschriebene teleologische Zusammenhang zwi743 Für das autonome deutsche Zivilprozessrecht ergibt sich der Zwang zur Verfahrenskonzentration bereits aus einer reziproken Anwendung von § 264 Nr. 2 ZPO. Im Ergebnis ist diese Konstellation dem Fall vergleichbar, dass der Kläger zunächst negative Feststellungsklage hinsichtlich eines bestimmten Forderungsteils erhebt und der Beklagte vor einem anderen Forum seine Forderung erhöht, oben § 26 III 2 b ff. 744 Siehe oben § 38 III. 745 Dies gilt m.E. auch dann, wenn in den konkurrierenden Verfahren der jeweilige Tatsachenvortrag unterschiedliche Mängel nennt. Buschmann, S. 167 weist in diesem Zusammenhang mit Recht auf die verjährungsrechtliche Einheit der beiden Begehren hin. 746 Zur Erfüllungskonnexität oben § 22 II, § 39 III. 747 Eine ähnliche Sichtweise findet sich auch im englischen Schrifttum: „It will be seen that Article 21 is intended to cover situations where there could be a direct confl ict of judgments, while Article 22 is concerned with indirect confl icts. For this reason, a dismissal or stay is mandatory under the former, but discretionary under the latter.“ Vgl. auch Hartley, LQR 1989, 640 f. 748 Damit würde im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vor allem der Gegenstand und Zweck einer Klage konkreter bestimmt werden können, vgl. S. Otto, Die subjektiven Grenzen, S. 191 f.; im Ansatz nun auch Rauscher/Leible, Art. 27 EuGVVO Rn. 8a: „ebenso die rechtlich-wirtschaftlichen Interessen der Kläger“. 749 Zur Bedeutung des Interesses bei Abgrenzungsfragen oben § 31 IV und § 32 II.
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schen Art. 27 I EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO nach rechtskräftigem Abschluss des Primärverfahrens gefestigt, wie dies nach der Kernpunkttheorie bisher nicht der Fall ist.750 Einer Rechtskraft der Entscheidungsgründe erscheint dieses Interessenmodell auch deswegen europaweit vorzugswürdig, weil es für den mit der Anerkennung von Urteilswirkungen befassten Richter eine einfache Handhabung garantiert.
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Oben § 36 I, III.
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Zusammenfassung der Ergebnisse Der Weg, den diese Arbeit beschritten hat, führte nicht, wie vielleicht zu erwarten war, zurück zu Savigny (das Rechtsverhältnis als Zentrum des Streits), sondern zu den Erkenntnissen Rudolf von Iherings (das rechtlich geschützte Interesse). Die prozessuale Bedeutung des Interessebegriffs ließe sich nach dieser Studie zu einem gemeineuropäischen Prinzip ausbauen, das bis auf römische Quellen zurückreicht. Der status quo minimus, auf den sich die beteiligten Mitgliedstaaten damit trotz unterschiedlicher Rechtssysteme verständigen könnten, wäre bereits ein großer Erfolg.
Erster Teil Rechtshistorische Grundlagen I. Im römischen Formularprozess1 gewann mit der Festlegung des Prozessprogramms durch die litis contestatio auch die Bestimmung des Streitgegenstands an Bedeutung. Die Konsumtionswirkung der Litiscontestation verhinderte nicht nur die Wiederholung derselben actio, vielmehr war dem Kläger auch eine konkurrierende actio de eadem re nicht gestattet. Nach Levys Untersuchungen sollten neben der Identität der Personen, die Identität des Ziels und die Identität des Klagegrundes den Ausschlag geben. Für das römische Zivilprozessrecht lässt sich der Leistungsinhalt nicht ohne Weiteres für die Frage der Streitgegenstandseinheit oder -mehrheit fruchtbar machen. Voraussetzung der Begrenzung der Konsumtionswirkung durch die einzelne Leistung (praestatio) war vielmehr, dass diese Ausdruck in der intentio gefunden hatte. Da sich der Vorgang der litis contestatio und der richterlichen Entscheidung auf eine bestimmte actio bezog, erscheint die Annahme zutreffend, dass Streitgegenstand die konkrete actio war. Im Gegensatz hierzu handelte es sich bei der zur Ermittlung der Aktionenkonkurrenz relevanten „eadem res“ um ein materiellrechtlich orientiertes Kriterium für den Konsumtionsumfang. 2
1 2
Oben § 3 I, II. Oben § 3 I.
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Zusammenfassung der Ergebnisse
II. Im Justinianischen Prozess3 wird die Konkurrenzfrage vom Prozessrecht stärker auf das materielle Recht verlagert und an die solutio (Erfüllung) geknüpft. Der Umstand, dass dem Kläger nicht zweimal zugesprochen werden kann, was ihm nur einmal gebührt, wird strukturell anders gelöst als im römischen Formularprozess. III. Für Savigny4 ist die actio das verletzte subjektive Recht „im Zustand der Verteidigung“ gegen den Verletzer. Durch die Verletzung erfährt das subjektive Recht seine Metamorphose zum Klagerecht. Aus dem Zusammenhang von subjektivem Recht und materiellrechtlichem Klagerecht (actio) ergibt sich als Konsequenz, dass Streitgegenstand die jeweilige actio war. Für die Bestimmung des Bindungsumfangs der Rechtskraft hebt Savigny5 indes auf das Rechtsverhältnis in seiner Gesamtheit ab, so dass sich die exceptio rei iudicatae auch auf andere, zielidentische actiones erstreckte (eadem res). Nach Savignys Verständnis kann das Urteil nur in untrennbarer Verbindung mit dem vom Richter bejahten oder verneinten Rechtsverhältnis Rechtskraft erlangen. Die Elemente des streitigen Rechtsverhältnisses und des (den Streit entscheidenden) Urteils nehmen deswegen an der Rechtskraft teil. Zwischen der Rechtskraftlehre Savignys und der auf das Stadium der Rechtshängigkeit gemünzten Kernpunktlehre des EuGH bestehen Parallelen.
Zweiter Teil Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO I. Die wissenschaftliche Neuschöpfung Windscheids 6, der materielle Anspruchsbegriff, fand in der Funktion des Streitgegenstands unmittelbaren Eingang in die CPO. Diese Übernahme des materiellen Anspruchsbegriffs stellt rückblickend einen Akt dogmatischer Unbekümmertheit dar, der sich mittlerweile als undurchführbar erwiesen hat. Auch mit Blick auf dieses historische Beispiel ist vor einer überhasteten nationalen Rezeption der Kernpunktlehre des EuGH zu warnen. Trotz der frühen Fundamentalkritik fand ein am einzelnen materiellrechtlichen Anspruch orientiertes Streitgegenstandsverständnis in Rechtsprechung und Lehre weiter Anhänger. Die Emanzipation hin zu einer prozessualen Konzeption ist entscheidend durch publizistische Klagerechtstheorien und die Lehre vom Rechtsschutzanspruch befördert worden. Im Gegensatz zu Wach 3 4 5 6
Oben § 4 II. Oben § 5 II 1. Oben § 5 II 2. Oben § 6.
Zweiter Teil: Die Entwicklung seit Inkrafttreten der CPO
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erkannte Hellwig aber nicht im Rechtsschutzanspruch selbst den Streitgegenstand, sondern im behaupteten materiellen Recht.7 II. Zu den bedeutendsten Protagonisten einer prozessualen Streitgegenstandslehre rechnet Nikisch.8 Anders als Hellwig oder Lent, die den Streitgegenstand mit dem konkret behaupteten materiellen Recht identifizierten, betont er die Bedeutung des Klageantrags und spricht von einer abstrakten Rechtsfolgebehauptung. Rosenberg hingegen definiert den Streitgegenstand als das auf rechtskraftfähige Feststellung einer Rechtsfolge gerichtete Begehren, das durch den gestellten Antrag und den zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalt gekennzeichnet werde. K. H. Schwab hat diese Prozessualisierung vollendet. Streitgegenstand ist seiner eingliedrigen Ansicht nach nur das Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung.9 Nach W. Habscheid10, dem wohl bekanntesten Vertreter einer zweigliedrig prozessualen Streitgegenstandslehre, dient der Anspruchsgrund nicht nur der Individualisierung des Streitgegenstands, sondern soll das faktische Streitprogramm festlegen helfen. III. Das begrüßenswerte Unternehmen, den Prozessgegenstand wieder stärker an materiellrechtlichen Zusammenhängen auszurichten, stieß in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Befürworter. Hervorzuheben ist das Bemühen Henckels11, den Anspruch in seiner Funktion als Verfügungsobjekt zum Einheit stiftenden Element zu erklären. Mit vergleichbarer Stoßrichtung versuchte Georgiades12 einen neuen materiellrechtlichen Anspruchsbegriff nach dem Vorbilde des prozessualen Anspruchs zu kreieren und auf diese Weise die verloren gegangene Sinneinheit wiederherzustellen. Auch Rimmelspacher fühlte sich einem materiellrechtlichen Streitgegenstandsverständnis verpflichtet.13 Indem er den materiellen Anspruch von der Methode her ähnlich wie Henckel in die Elemente Rechtsposition und Rechtsbehelf aufspaltet, will er zugleich den prozessualen Notwendigkeiten gerecht werden. IV. Konzepte einer „materiellen Einfärbung“ des Lebenssachverhalts verfolgen Jauernig, Musielak, Reischl und Wernecke.14 Insgesamt erscheint die Orientierung an materiellrechtlichen Zusammenhängen einer „natürlichen Betrachtungsweise“ des Sachverhalts überlegen. Ein Rückschritt in überwundene Zeiten aktionenrechtlichen Denkens muss damit nicht verbunden sein.
7 8 9 10 11 12 13 14
Oben § 8 II, III. Oben § 9 I 1. Oben § 9 III. Oben § 9 II. Oben § 10 I. Oben § 10 II. Oben § 10 III. Oben § 10 IV.
744
Zusammenfassung der Ergebnisse
V. Tendenzen zu einem relativen oder variablen Streitgegenstandsbegriff sind in der Lehre seit langem anzutreffen.15 Das Auseinanderdriften der objektiven Grenzen von Rechtshängigkeit und Rechtskraft wurde befördert durch A. Blomeyers Lehre vom „Urteilsgegenstand“. Ein normzweckbasiertes Verständnis des Prozessgegenstandes bevorzugen vor allem H. Roth und E. Schumann.16 VI. Wie bereits das RG hat sich auch der BGH seit langem der prozessualen Streitgegenstandstheorie verschrieben.17 Der prozessuale Anspruch wird gleichwertig durch Klageantrag und Lebenssachverhalt gebildet. Bisweilen nimmt die Judikatur des BGH aber kaum berechenbare Züge an, wenn zur Konturierung auf das „Wesen“ oder den „Kern“ des Klagegrundes abgehoben wird. Im Übrigen stößt es häufig auf Bedenken, wenn versucht wird, den rechtlich relevanten Ausschnitt aus dem Lebensverhältnis anhand der Strukturen des materiellrechtlichen Anspruchssystems zu ermitteln. VII. Als Gegenentwurf zu den antragsdominierten Streitgegenstandsmodellen wurde versucht, die Bedeutung des Lebenssachverhalts in den Vordergrund zu stellen. Das Anliegen de Boors18 war es, den Streitgegenstand möglichst der Befugnis des Klägers zu entziehen und dem Richter eine schrankenlosere Würdigung des Lebenssachverhalts zu ermöglichen. Nach Ansicht von Jonas sollte der Richter den Sachverhalt nicht nur unter der vom Kläger behaupteten Rechtsfolge prüfen, sondern unter allen möglichen, aus dem Sachverhalt ableitbaren Rechtsfolgen. VIII. In rechtsvergleichender Hinsicht bedeutet die primäre Ausrichtung am globalen Lebenssachverhalt, wenngleich rechtspolitisch anders motiviert, kein Novum. So werden etwa dadurch im US-amerikanischen Zivilprozess die Parteien zu einer möglichst vollständigen Erledigung des Streitstoffes angehalten.19 Als Bündel unterschiedlicher Rechte und Pflichten könnte sich für eine konzentrationsfreundlichere Fassung des Streitgegenstands auch das Rechtsverhältnis im weiteren Sinne als nutzbringend erweisen, wie das Beispiel Griechenland zeigt. 20
15 16 17 18 19 20
Oben § 11 I. Oben § 11 I. Oben § 12. Oben § 13 I 1. Oben § 13 II 1. Oben § 13 II 2.
Dritter Teil: Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EU
745
Dritter Teil Der Streitgegenstandsbegriff in den Mitgliedstaaten der EU und die Kernpunktlehre des EuGH I. In den meisten europäischen Rechtsordnungen wird der Streitgegenstand durch die Elemente Parteien, Klageantrag und Klagegrund bestimmt. 21 Streitgegenstandsidentität liegt – außer in Großbritannien und Irland – nicht vor, wenn unterschiedlich lautende Anträge gestellt werden. Auch die jeweilige Rechtsschutzform prägt danach den Streitgegenstand. Die Tatsache, dass zwei Verfahren lediglich in einer gemeinsamen Vorfrage übereinstimmen, begründet in der Regel keine Streitgegenstandsidentität. 22 II. Mit seinen Entscheidungen Gubisch/Palumbo, The Tatry und Drouot Assurances SA hat sich der EuGH23 von den nationalen Streitgegenstandskonzepten entfremdet. Für die autonome Interpretation der von Artt. 21 EuGVÜ/27 EuGVVO vorausgesetzten Anspruchsidentität beruft sich der Gerichtshof auf das Ziel, den Rechtsschutz innerhalb der Gemeinschaft zu stärken. Insoweit gelte es, die Situation zu vermeiden, dass einem Urteil aus einem Vertragsstaat/ Mitgliedstaat die Anerkennung in einem anderen Vertragsstaat/Mitgliedstaat wegen Unvereinbarkeit mit einem dort ergangenen Urteil versagt bleibe (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/34 Nr. 3 EuGVVO). Der Unvereinbarkeitsbegriff wird ebenfalls von den konkreten nationalen Rechtskraftwirkungen getrennt und autonom ausgelegt. Mehr als zweifelhaft erscheint indes, ob der EuGH mit der Auslegung von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ/Art. 34 Nr. 3 EuGVVO tatsächlich einen Beitrag zur Streitgegenstandslehre leisten wollte. Der EuGH hat in der Entscheidung Gubisch/Palumbo24 zur Auslegung des Merkmals „desselben Anspruchs“ auf die französische Sprachfassung von Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO rekurriert. Die Begriffe identité de l’objet und identité de la cause kennt auch das autonome französische Recht. Den Gegenstand der Klagen bestimmt der EuGH aber vor allem durch ihren Zweck. Diesen wiederum ermittelt er nicht anhand der formalen Anträge, sondern anhand ihres Kernpunkts. So soll die auf Vertragserfüllung gerichtete Klage den Zweck verfolgen, diesen Vertrag wirksam werden zu lassen, während die Klage auf Feststellung seiner Unwirksamkeit diese Wirkung gerade nehmen wolle. Für diese Sichtweise existierte eine Parallele im (gescheiterten) Entwurf eines Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommens (Art. 21 I). Insoweit könnte der europäische Streitgegenstandsbegriff u.U. auch Vorfragen integrieren, deren Beantwortung 21 22 23 24
Oben § 14 I. Oben § 14 I, II. Oben § 15 II 1, II 2, II 3. Oben § 15 II 1.
746
Zusammenfassung der Ergebnisse
sich später lediglich in den Entscheidungsgründen der Urteile wiederfindet. Der EuGH hat bisher nicht die Voraussetzungen von Art. 21 I EuGVÜ/Art. 27 I EuGVVO für den Fall bejaht, dass in zwei Verfahren dieselbe Vorfrage (etwa die Wirksamkeit eines Vertrages) von entscheidungserheblicher Bedeutung ist, die Rechtsschutzziele jedoch völlig verschieden sind. Die Kernpunktrechtsprechung des EuGH bezieht sich bisher nur auf Präjudizialitätsverhältnisse, wenn die für das eine Verfahren vorgreifliche Rechtsfrage im anderen Verfahren den unmittelbaren Entscheidungsgegenstand bildet.25 III. Die Anpassung der nationalen Streitgegenstandsdoktrin an die Aussagen der Kernpunkttheorie wird von einigen Stimmen im Schrifttum gefordert, weil der ökonomische Umgang mit Rechtspflegeressourcen auf nationaler Ebene nicht geringer einzuschätzen sei als auf europäischer. So soll etwa eine Feststellungsklage hinsichtlich der Unwirksamkeit eines Vertragsverhältnisses einer parallelen Klage desselben Klägers gegen denselben Beklagten auf Rückgewähr der aufgrund des Vertrages erbrachten Leistungen (etwa Kaufpreiszahlung) auch in rein nationalen Fällen entgegenstehen (§ 261 III Nr. 1 ZPO), obgleich diese Konstellation bisher über § 148 ZPO gelöst wurde. Die zweite Klage sei unzulässig, weil das neue Begehren auch durch Klageerweiterung in das frühere Verfahren eingebracht werden könnte. Diese Erweiterungsmöglichkeit führe zugleich zu einer umfassenden Konzentrationslast. In gleicher Weise treffe den Erstbeklagten innerhalb eines funktionell abgrenzbaren Streitverhältnisses die Pflicht zur Leistungswiderklage. § 261 III Nr. 1 ZPO will jedoch richtigerweise lediglich Doppelprozesse mit übereinstimmendem Streitgegenstand verhindern, aber nicht alle Überschneidungen auf Rechtskraft- oder Vorfragenebene. Eine sachverhaltsorientierte Rezeption der Kernpunktlehre würde zudem vernachlässigen, dass der EuGH bisher den Schulterschluss zur angloamerikanischen Doktrin nicht vollzogen hat. Im Übrigen kann eine aus der Rechtshängigkeit fließende Konzentrationslast durchaus in Kollision mit der Zuständigkeitsordnung geraten. 26 Das Zuständigkeitswahlrecht des Erstbeklagten darf jedoch nicht durch eine umfassende Widerklagelast ohne Notwendigkeit entwertet werden. Etwaige Bedenken gegen einen derart weiten Begriff des Verfahrensgegenstands entstammen auch systematischen Überlegungen. Denn der nationale Rhythmus der Verfahrenskoordination würde mit Blick auf die §§ 147, 148 ZPO empfindlich gestört. 27 Die Koordination von Präjudizialitätszusammenhängen übernimmt traditionsgemäß § 148 ZPO, während die h.L. die bloße Übereinstimmung in Vorfragen mangels Vorgreiflichkeit nicht einmal für die Aussetzung eines Verfahrens
25 26 27
Oben § 15 II 1, 2, III, IV. Oben § 16 II 2, 3. Oben § 16 II 3.
Vierter Teil: Grundlagen des eigenen Verständnisses
747
genügen lässt. 28 Diese Konzentrationslast könnte bei konsequenter Durchführung auch § 256 II ZPO funktionslos machen. Für das deutsche Recht führt deswegen der Vorschlag, die Feststellung präjudizieller Verhältnisse mit in den Rechtshängigkeitsumfang einzubeziehen, zu weit. Bei reinen Inlandssachverhalten fehlt im Übrigen das Hauptargument für die Kernpunktlehre, die Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen nach Art. 34 Nr. 3 EuGVVO. Eine Ausweitung des Rechtshängigkeitsumfangs erscheint im Bereich dogmatisch wenig geklärter Grenzfälle aber möglich. Insbesondere gilt dies für Verfahrenskollisionen, die ansonsten mit der „Allzweckwaffe“ des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses bekämpft werden müssten. Die Befürwortung oder Ablehnung der Kernpunktlehre bedarf einer Abgrenzung nach Fallgruppen und kann nicht en passant erfolgen. 29 Bei einer unreflektierten Rezeption würde hingegen auch an den Grundstrukturen eines am subjektiven Recht orientierten Prozessrechtsverständnisses gerüttelt. Als interessante historische Randnote bleibt darauf hinzuweisen, dass sich der deutsche Gesetzgeber zum BGB an verdeckter Stelle bereits vor über 100 Jahren gegen die Übernahme der für die Kernpunktlehre konstituierenden Merkmalskette „Objekt und Gegenstand der Klage“ aus dem französischen Recht ausgesprochen hat.30
Vierter Teil Grundlagen des eigenen Verständnisses I. Die Problematik des Streitgegenstands resultiert aus einem Identitätsvergleich und dürfte jeder Verfahrensordnung immanent sein. Seine Ermittlung hat sich, soll der prozessuale Anspruch kein begriffsjuristischer Selbstzweck bleiben, am konkreten Gesetzeswerk zu orientieren. Da die ZPO keine eigene Definition des Streitgegenstands kennt, muss auf den Zweck der Einzelbestimmungen zurückgegriffen werden, wobei sich die teleologisch-funktionelle Auslegungsmethode für das Prozessrecht geradezu anbietet.31 II. Im Einheitsdogma der h.L. liegt ein Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten der Begriffsjurisprudenz. Denn die Einheitlichkeit des Streitgegenstands stellt keinen absoluten Wert dar, der einer durch die jeweilige Prozesssituation vorgegebenen Modifikation des Begriffes Einhalt gebieten könnte.32 Erforderlich ist lediglich die Einbeziehung derjenigen Prinzipien, die für den jeweiligen Verfahrensabschnitt maßgeblich sind und diesen prägen. Dieser dynamischen 28 29 30 31 32
Oben § 18 IV. Oben § 16 II 8. Oben § 16 II 8. Oben § 17 I. Oben § 17 III.
748
Zusammenfassung der Ergebnisse
Seite des Zivilprozesses wurde bisher im Rahmen der gesamten Streitgegenstandsdiskussion zu Unrecht wenig Beachtung geschenkt, obgleich die Labilität und Variabilität des Verfahrens bereits deutlichen Ausdruck in § 264 Nr. 3 ZPO findet.33 III. Bei der Konturierung des Streitgegenstands gilt es in erster Linie, überflüssige Parallelverfahren zu verhindern. Verfahrenskonzentration ist aber nicht nur in Fällen materieller Anspruchskonkurrenz erforderlich, sondern auch wenn verschiedene Rechtsfolgen der Verwirklichung desselben materiellen Interesses dienen. Während die Kernpunktlehre des EuGH und die US-amerikanische Doktrin der claim preclusion das staatliche Interesse an Verfahrenskonzentration den Rechtsschutzinteressen des Einzelnen überordnen, markiert die deutsche Streitgegenstandslehre mit ihrer Ausrichtung am Anspruchsmodell gewissermaßen den Gegenstandpunkt. Der im Rahmen dieser Arbeit vorgestellte Ansatz will diese Aspekte der Konfliktbereinigung und des Individualrechtsschutzes miteinander vereinen. Verfahrensübergreifende Konzentration ist kein isoliert zu verwirklichendes Ziel, sondern ein Gesichtspunkt, der in Deutschland in Ausgleich zu setzen ist mit dem Justizgewährungsanspruch des Einzelnen und insofern seine Ausrichtung weiter am subjektiven Recht finden muss.34 Nichts spricht im Übrigen dagegen, dass der Konzentrationsumfang im laufenden Verfahren anders ausfällt als im Rahmen der Rechtskraft. Denn so wie es wünschenswert erscheint, eine wiederholte Prüfung von Tatsachen und Rechtsfragen zu vermeiden, gilt es einer durch Präklusionsgefahren bewirkten Streitaufblähung entgegenzuwirken. IV. In der dogmengeschichtlichen Entwicklung von Rechtshängigkeit und Rechtskraft ist eine völlige Übereinstimmung nicht zu erkennen.35 Die herrschende Ansicht lässt für die Begründung der Zweckgleichheit beider Institute die analytische Tiefe vermissen. Auch will die Rechtshängigkeitssperre nicht primär widersprechende Entscheidungen verhindern, da dies zum originären Aufgabenkreis der res iudicata rechnet.36 Die Vorstellung von der Rechtshängigkeit als einer zeitlich vorverlagerten Wirkung der Rechtskraft hat sich entgegen der h.L. nicht erhärtet. Gleiches gilt für die Ansicht, wonach die Rechtshängigkeitssperre nicht ohne Entsprechung auf der Ebene der Rechtskraft (ne bis in idem) existieren könne, was gerade für die Herausbildung eines relativen Streitgegenstandsbegriffs von Bedeutung ist. In unmittelbarem funktionellen Zusammenhang stehen indes Rechtshängigkeits- und Klageänderungssperre.37
33 34 35 36 37
Oben § 17 IV. Oben § 17 V, VI. Oben § 18 I 3. Oben § 18 I 5 c. Oben § 18 III.
Fünfter Teil: Ergebnisse zum Verfahrensgegenstand
749
V. Das Phänomen des Streitgegenstands weist einen engen Zusammenhang mit dem Zweck des Zivilprozesses auf, der allgemein die Rolle einer übergeordneten Wertkonstante einnimmt.38 Überwiegend wird dieser Zweck für das deutsche Recht weiter im Schutze und der Durchsetzung subjektiver Rechte erkannt. Daran hat sich auch der Umfang der Verfahrenskonzentration zu orientieren, was bei einer Rezeption der Kernpunkttheorie vernachlässigt würde. Die Aussage, dass die Wahrung des Rechtsfriedens kein selbständiges Prozessziel darstellt, lässt sich jedoch spätestens seit der ZPO-Reform 2002 nicht mehr aufrecht erhalten. Denn nach dem ausdrücklichen Wunsch des Gesetzgebers müssen alle Optionen einer einvernehmlichen Konfliktregelung zwischen den Parteien genutzt werden, damit in einem möglichst frühen Prozessstadium Rechtsfrieden eintreten kann. Neben dem Hauptaspekt, der Verwirklichung subjektiver Rechte, tritt somit begleitend die Aufgabe, den Rechtsfrieden möglichst effektiv wiederherzustellen. Dem Anliegen, beide Gesichtspunkte miteinander zu versöhnen, dient gerade die im Rahmen dieser Studie vorgeschlagene Ausrichtung des Streitgegenstands am Interesse. VI. Nach wie vor erschien nicht endgültig geklärt, ob der prozessuale Anspruch primär in Relation zum Gericht zu bestimmen – also im Begehren, die gewünschte Entscheidung zu tenorieren – oder vielmehr in der an den Beklagten gerichteten Rechtsbehauptung zu sehen ist. Entgegen der h.L. sollte je nach Prozesssituation der eine oder andere Aspekt an Bedeutung gewinnen. So gewährleistet das Rechtsschutzbegehren gerade die Einbeziehung der Rechtsschutzformen des Urteils, was im laufenden Verfahren nicht erforderlich ist.39 Dies entspricht dem hier befürworteten dynamischen Streitgegenstandsverständnis.40
Fünfter Teil Ergebnisse zum Verfahrensgegenstand I. Verfahrensgegenstand ist das (behauptete) Interesse, das im Antrag des Klägers seinen Ausdruck findet. Dies meint den allgemeinen rechtlichen Vorteil, der mit der Klage erstrebt wird und der dem Kläger nach der Rechtsordnung nur einmal gebührt.41 II. Für die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes maßgeblich ist die Verwirklichung subjektiver Rechtsstellungen.42 Kants am Freiheitsbegriff orien38 39 40 41 42
Oben § 19 I 1. Oben § 20. Oben § 17 IV. Oben § 22 I, II. Oben § 21 I.
750
Zusammenfassung der Ergebnisse
tiertes Verständnis des subjektiven Rechts betonte die Herrschaft des eigenen Willens, der sich bereits Savigny nicht entziehen konnte. Revolutionär Neues vollbrachte erst Rudolf von Ihering.43 Seine Leistung besteht im vorgenommenen Perspektivenwechsel: Er ersetzte den naturalistisch geprägten Begriff der Willensmacht durch den Begriff des rechtlich geschützten Interesses.44 Dem „substantiellen Element“ des Rechts wurde damit sein berechtigter Platz zugewiesen. Die Auseinandersetzung kam weitgehend zum Stillstand, als Regelsberger der Versuch gelang, das Willenselement mit dem Begriff des Interesses zu versöhnen. Bereits vor Erscheinen von Iherings Werk war aber Windscheid mit seiner Schrift „Die Actio des römischen Rechts“ (1856) tief ins Bewusstsein der Rechtswissenschaft vorgedrungen. Da Windscheid Anhänger der reinen Willenslehre war45, kann es nicht verwundern, dass sich seine Deutung des subjektiven Rechts als Willensmacht des Einzelnen auch im Begriff des Anspruchs widerspiegelt, eben im „Verlangenkönnen“ des einen gegenüber dem anderen. Weil der Anspruch konkret bestimmt, was der Gläubiger erhalten soll, wird der Blickwinkel verengt auf eine bestimmte Leistung und nicht auf den allgemeinen Vorteil. Diese Neuschöpfung Windscheids wurde wie selbstverständlich in die CPO von 1877 übernommen. Insoweit musste aber auch der konkrete Anspruchsinhalt Bestandteil des prozessualen Anspruchs sein, während der für das subjektive Recht entscheidende Aspekt der Interessenbefriedigung außer Acht blieb. Diesen historischen Vorgang konnte die vorliegende Arbeit nachweisen.46 III. Die Arbeit hat gezeigt, dass ein Denken außerhalb von konkreten Rechten und Pflichten im Prozess möglich und notwendig ist. Die maßgebliche prozessuale Bezugseinheit bildet vielmehr das materielle Interesse des Klägers. Die materiellrechtlichen Einzelansprüche dienen dabei nur als Durchsetzungsinstrumente für die subjektive Stammposition. Der einzelne Anspruch konkretisiert das subjektive Recht. Der dynamischen Sichtweise entsprechend kann je nach Verfahrensstadium unterschiedlich die Entwicklung des subjektiven Rechts auch für die Konturierung des Streitgegenstands nutzbar gemacht werden. So kommt für den Urteilsgegenstand einem rechtsfolgenorientierten Denken eine stärkere Bedeutung zu, weil bei der richterlichen Tenorierung die Voraussetzungen eines am konkreten Anspruchsinhalt orientierten Vollstreckungstitels geschaffen werden.47
43 44 45 46 47
Oben § 21 I 1. Oben § 21 I 1. Oben § 21 I 2. Oben § 21 I 2. Oben § 21 I 2.
Fünfter Teil: Ergebnisse zum Verfahrensgegenstand
751
IV. Im Ausgangspunkt bildet das Interesse des Klägers das für den Prozess entscheidende Substrat des subjektiven Rechts. Bei dieser begrifflichen Grundlegung wird nicht übersehen, dass der Terminus „Interesse“ im Verfahrens- und insbesondere im Privatrecht bereits mit unterschiedlichsten Bedeutungsgehalten besetzt ist.48 So ist mit „Interesse“ in §§ 264 Nr. 3, 287 I 1, 3 und 893 ZPO bei Berücksichtigung der historischen Wirkungsgeschichte zunächst nichts anderes gemeint als Schadensersatz. Insofern hatte sich diese Arbeit auch mit einem schillernden Begriff der Rechts- und Sprachwissenschaft zu beschäftigen.49 V. Der Blick sollte damit weniger auf den Anspruch in seiner Funktion als Leistungsträger gerichtet sein. Vielmehr trägt die Ordnungsfunktion des materiellen Rechts selbst zu einer vielfältigen Gruppierung von Interessen bei. Diese Funktion zeigt sich auch bei verschiedenen Leistungsinhalten in wechselseitigen Erfüllungs- und Ausschlusswirkungen (vgl. für das Verhältnis von Primärund Schadensersatzanspruch § 281 IV BGB). Für die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes spielt eine Divergenz der Rechtsfolgen somit keine Rolle. Der an bestimmten Anspruchsinhalten orientierte Klageantrag (§ 253 II Nr. 2 ZPO) schränkt das geltend gemachte Interesse nicht ein, sondern individualisiert es nur. VI. Hingegen will die h.L. den Streitgegenstand durch den konkreten Klageantrag begrenzen, da dieser auch den Entscheidungsbereich des Gerichts festlege (§ 308 I ZPO).50 Bei dieser Prämisse würde das klägerische Interesse nur die gedankliche äußerste Grenze des Streitgegenstands markieren. Insofern stünde die Rechtshängigkeit einer Klage auf Ersatzlieferung (§ 249 I BGB) einer zeitgleich erhobenen Klage auf Geldersatz (§ 249 II BGB) nicht entgegen. Hiergegen ist einzuwenden, dass § 308 ZPO sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach seinem telos nicht auf die Phase der Rechtshängigkeit ausgerichtet ist. Die von der h.L. praktizierte Begrenzung des Streitgegenstands durch den konkreten Klageantrag speist sich vielmehr aus einem unrichtigen Einheitsdogma, unter der die Maxime umfassender Streiterledigung ohne Not leidet, wie § 264 Nr. 3 ZPO zeigt. Der materiellrechtliche Anspruch stellt das Rückgrat jeder zivilistischen Methode dar und der Klageantrag übernimmt diese Aufgabe auf prozessualer Ebene, wenngleich nicht stets in demselben Umfang. Ein völliger Verzicht auf den Antrag, wie von den Befürwortern der Kernpunktlehre vorgeschlagen, würde nicht nur das geltende Streitgegenstandsverständnis revolutionieren, sondern das gesamte deutsche Prozessrechtsverständnis von Grund auf verändern.51 48 49 50 51
Oben § 22 I, II. Oben § 22 I. Oben § 22 III. Oben §§ 16 II 1, 2, 8; 22 III 1.
752
Zusammenfassung der Ergebnisse
VII. Aus dem so verstandenen Verfahrensgegenstand ergeben sich wichtige Folgerungen.52 Innerhalb desselben Interesses unterliegt der Kläger mit Antragsänderungen nicht dem Klageänderungsverbot (§ 263 ZPO). Die Konzentration zusammenhängender Streitkomplexe bei einem Gericht begünstigt einen effizienten und prozessökonomischen Umgang mit der Ressource Justiz. Auch die individuellen Belange der Parteien werden gewahrt: Denn dem Beklagten wird kaum daran gelegen sein, zweimal in derselben Angelegenheit vor verschiedenen Foren belangt zu werden. Der Kläger hingegen kann sein Interesse mit allen zur Verfügung stehenden Fakten begründen oder auf einen anderen Klageantrag wechseln. VIII. Als Interesse im Sinne von § 264 Nr. 3 ZPO werden in der Regel die Ersatzansprüche, welche die Einbuße des Gläubigers durch das Ausbleiben der Primärleistung ausgleichen sollen, bezeichnet. Für diese Regelung wird allgemein die Abkehr vom Prinzip der Geldkondemnation als Entstehungsgrund angegeben.53 Dadurch wird die „Einheit der Obligation“ im Prozess verwirklicht. Die Gleichsetzung von Interesse mit Schaden widerspricht dem hier vorgetragenen Verständnis. Vielmehr ist es so, dass der Ersatz des Schadens nur eine Form der Interesseleistung, ein Äquivalent im weiteren Sinne, darstellt. IX. Zu einer (zulässigen) Klageänderung kommt es von vornherein nicht, wenn das Interesse des Klägers identisch bleibt. § 264 Nr. 3 ZPO hat somit entgegen der h.L. keinen Fiktionscharakter, sondern konkretisiert in Zusammenhang mit §§ 261, 263 ZPO den Streitgegenstandsbegriff.54 Auch § 264 ZPO spricht dafür, die Bedeutung des Antrags für das laufende Verfahren zu relativieren. Dogmatische Entsprechung findet § 264 ZPO auf materieller Ebene in der funktionsähnlichen Vorschrift des § 213 BGB. Zudem verpflichtet der Grundsatz der Prozessökonomie, von der durch § 264 Nr. 2, 3 ZPO gewährten Möglichkeit einheitlicher Streitbereinigung Gebrauch zu machen.55 X. Auch im Anwendungsbereich von § 264 Nr. 3 ZPO beinhaltet der Lebenssachverhalt ein Moment der Unsicherheit.56 § 264 Nr. 2 und 3 ZPO verlangen nach der hier vertretenen Deutung die Identität des Klagegrundes nur, weil bei einer Änderung des Antrags und des Klagegrundes im Sinne einer Auslegungsregel auch das Klägerinteresse eine Veränderung erfährt. Die Rolle des Sachverhalts im Rahmen von § 264 ZPO ließe sich auf diese Weise relativieren. Allein maßgeblich wäre, ob sich mit dem Wechsel des Klagegrundes auch das beanspruchte Interesse ändert. 52 53 54 55 56
Oben § 22 V. Oben § 23 I 2. Oben § 23 I 4. Oben § 23 I 6. Oben § 23 I 7.
Fünfter Teil: Ergebnisse zum Verfahrensgegenstand
753
XI. Mit der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz neu geschaffenen Regelung in § 213 BGB findet sich im materiellen Recht eine Vorschrift, die Ansprüche unterschiedlichen Inhalts in einem prozessualen Sinne bündelt und das hier vorgestellte Streitgegenstandskonzept stützt.57 Die Parallele zu § 264 Nr. 3 ZPO ist offensichtlich, wenngleich § 213 BGB nach der Gesetzesbegründung eine streitgegenstandsfremde Verjährungshemmung normiert. Bereits im Jahre 1982 hatten F. Peters und R. Zimmermann im Rahmen ihres vom Bundesministerium der Justiz eingeholten Gutachtens zur Überarbeitung des Schuldrechts folgenden Vorschlag unterbreitet: „§ 209: Die Hemmung oder der erneute Beginn der Verjährung gilt auch für solche Ansprüche des Berechtigten, mit denen er Bereicherungsausgleich oder ein sonstiges Interesse begehrt.“ Diese ausdrücklich in Anlehnung an § 264 Nr. 3 ZPO getroffene Formulierung zeigt, dass Interesse keineswegs mit Schaden gleichgesetzt werden muss, sondern als Oberbegriff für ein vermögensrechtliches Äquivalent fungieren kann. 58 Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Schuldrechts wurde dieser Gedanke für § 213 BGB wieder aufgegriffen, obgleich dort nur die Rede vom Anspruchsgrund ist. Deutlich tritt die Bedeutung des Interesses aber in der Gesetzesbegründung hervor. Insoweit sollte der Passus aus „demselben Grund“ nur der Beschreibung der Interessenidentität dienen. § 218 BGB verwirklicht denselben Gedanken im Verhältnis von Nacherfüllungsanspruch und Rücktritt. XII. Wenn die Reichweite der Verjährungshemmung von einem antragsorientierten Streitgegenstandsbegriff gelöst wird, muss dies richtigerweise auch zu Rückschlüssen in umgekehrter Richtung führen.59 Kann der Kläger mit seinem Klageantrag die Verjährung aller verwandten Anträge aus demselben Interesse erreichen, muss er sich auch deren Konzentration bei einem Forum gefallen lassen. Der Ausgangspunkt dieser Arbeit ist weiter ein prozessualer, auch wenn der dem materiellen Recht entnommene Hemmungsumfang bei der Konturierung des Verfahrensgegenstandes Berücksichtigung findet.60 Der Begriff des Interesses dient als kleinster gemeinsamer Nenner, der materiellrechtliche Ordnungsgehalte und prozessuale Zweckmäßigkeiten vereint. Darin liegt die neue Erkenntnis dieser Arbeit. XIII. Im Streitwertrecht kommt dem – wirtschaftlichen – Interesse des Klägers bei der Bewertung des Streitgegenstands bereits de lege lata Bedeutung zu (§ 3 ZPO). E. Schumann hat in diesem Zusammenhang mit Recht den Begriff des
57 58 59 60
Oben § 23 II 1, 4. Oben § 23 II 4. Oben § 23 III. Oben § 23 III.
754
Zusammenfassung der Ergebnisse
„Angreiferinteresses“ geprägt.61 Auch § 5 ZPO und § 45 I 1 GKG stützen das hier vorgestellte Modell. XIV. Dem Klageantrag kommt im laufenden Verfahren nur eine das Interesse individualisierende Funktion zu, das den Ausgangspunkt für Abwandlungen und Modifikationen bietet, ohne seine Identität zu ändern.62 XV. Auch für die Beantwortung der Frage, ob die Rechtsschutzform Teil des Streitgegenstands ist, dürfen die Wertungen von § 264 Nr. 2, 3 ZPO und § 213 BGB nicht vernachlässigt werden. Für die Funktionen des Verfahrensgegenstandes maßgeblich ist deswegen entgegen der h.L., die sich wiederum auf ein verfehltes Einheitsdogma stützt, allein das rechtsschutzformunabhängige Interesse des Klägers.63 XVI. Die Einbeziehung des Lebenssachverhalts in den Begriff des Streitgegenstandes würde die zentrale Aussage wieder verdecken64: Entscheidend ist die Einheit oder Mehrheit der Interessen. Die Streitgegenstandsfrage lässt sich damit präzise beantworten. Für ein unscharfes Kriterium wie „die Änderungswesentlichkeit des bisherigen Geschehens“ bleibt kein Raum. Im Prozess sollte nicht die Festschreibung der richterlichen Feststellungen über vergangene Tatsachenelemente im Vordergrund stehen. Der Tatsachenvortrag des Klägers hat für das Interesse eine rein interpretative Aufgabe, begrenzt aber den Verfahrensgegenstand nicht unmittelbar. XVII. Über die Identität des Interesses und des Verfahrensgegenstandes bestimmt allein das Merkmal der Erfüllungskonnexität:65 Gedankliche Ausgangsbasis für den Richter ist der Grundsatz, dass einem Subjekt ein bestimmtes Gut nicht mehrfach zugesprochen werden kann. Die Verifizierungsanforderungen sollten nicht zu hoch angesetzt werden, um materiellrechtliche Zusammenhänge nicht künstlich prozessual zu beschneiden. Gefordert ist eine für den Richter handhabbare Grenzziehung, die eine rasche Klärung der mit dem Phänomen Streitgegenstand verbundenen Identitätsfrage gewährleistet. Das Kriterium der Erfüllungskonnexität erweist sich hier herkömmlichen Abgrenzungsstrategien – insbesondere der Einheit des Lebenssachverhalts – überlegen. XVIII. Bereits § 146 ZPO zeigt, dass ein prozessualer Anspruch auf mehrere Klagegründe im Sinne selbständiger Angriffsmittel gestützt werden kann. Eine Anspruchshäufung liegt somit nicht vor, wenn dasselbe Interesse auf verschie-
61 62 63 64 65
Oben § 24 II 1. Oben § 22 II, § 25 I. Oben § 25 II. Oben § 25 III. Oben § 25 IV.
Fünfter Teil: Ergebnisse zum Verfahrensgegenstand
755
dene Lebenssachverhalte gegründet wird.66 Für diese Sichtweise spricht auch die Auslegung von § 5 ZPO.67 XIX. Als weitere Stütze für das hier vorgestellte Streitgegenstandsverständnis hat sich § 139 ZPO erwiesen. Die richterliche Prozessleitung verfolgt als Zweck, den Rechtsstreit zwischen den Parteien auf das Wesentliche zu konzentrieren und das Verfahren transparent zu halten. Das Bemühen des Gerichts um sachdienliche Anträge muss sich innerhalb des streitigen Interesses halten, ohne dass der gestellte Klageantrag eine Grenze bilden würde. Rückschlüsse für den Begriff des Streitgegenstands selbst wurden erstmals in dieser Arbeit gezogen.68 Dürfen die Parteien auf die helfende Hand des Richters vertrauen (§ 139 ZPO), müssen sie sich im Gegenzug gefallen lassen, Antragsänderungen vor demselben Forum umzusetzen (§ 261 III Nr. 1 ZPO). Die richterliche Pflicht, neue sachdienliche Anträge anzuregen, bewegt sich somit innerhalb des Verfahrensgegenstandes. XX. Wird durch die Rechtsbehauptung des Beklagten das vom Kläger beanspruchte Interesse konterkariert, so verbieten Sinn und Zweck von § 261 III Nr. 1 ZPO die Einleitung eines Parallelverfahrens.69 Die Rechtshängigkeitssperre greift nicht nur in Fällen des (engen) kontradiktorischen Gegenteils, sondern auch, wenn sich Klage- und Widerklageforderung im Ergebnis neutralisieren. Diese Widerklagelast für den Beklagten ist Folge davon, dass trotz umgekehrter Parteirollen weiter um dasselbe Interesse gestritten wird.70 Darin zeigt sich wiederum ein Vorzug gegenüber den in Anlehnung an die Kernpunkttheorie unternommenen Versuchen, aus einem funktionell abgegrenzten, einheitlichen Lebenssachverhalt eine umfassende Konzentrationslast für den Beklagten abzuleiten. Die Konzentrationspflicht darf den Umfang der streitigen Rechtsschutzinteressen nicht übersteigen, wenn der Justizgewährungsanspruch des Einzelnen nicht über Gebühr beeinträchtigt werden soll. Negative Feststellungsklage und Leistungsklage betreffen jedoch dasselbe rechtsschutzformunabhängige Streitinteresse. Der Abweisung der später erhobenen Leistungsklage als unzulässig kann mit einer antragsabhängigen Verweisung analog § 281 I ZPO gegengesteuert werden. § 261 III Nr. 1 ZPO verhindert eine Leistungswiderklage beim Erstforum nicht, bezweckt die Rechtshängigkeitssperre in ihrer Grundaussage doch nur die Verhinderung eines anderweitigen Verfahrens. XXI. Die Rechtshängigkeitssperre verhindert aber bei divergierenden Rechtsschutzinteressen kein Verfahren über eine gemeinsame Vorfrage.71 Die Koor66 67 68 69 70 71
Oben § 25 IV 2. Oben § 26 I 1. Oben § 25 VI. Oben § 26 II 1 d. Oben § 26 II 1 d. Oben § 26 III 2, 3, 4.
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Zusammenfassung der Ergebnisse
dination von Präjudizialitätszusammenhängen übernimmt traditionsgemäß § 148 ZPO. Nur diese strikte Abgrenzung der normativen Anwendungsbereiche dient der Rechtsklarheit.
Sechster Teil Ergebnisse zum Urteilsgegenstand I. Urteilsgegenstand ist das in der Urteilsformel konkretisierte Rechtsschutzinteresse einschließlich der Rechtsschutzform. Im Einzelnen gilt folgendes: § 308 I ZPO beschränkt den Entscheidungsumfang des Gerichts auf den Zuspruch einer vom Kläger konkret beantragten Rechtsfolge aus dem Interesse.72 Damit gewährleistet das hier vorgetragene Streitgegenstandsverständnis wieder die Einmündung in das materielle Anspruchsmodell. Da die richterliche Entscheidung über den prozessualen Anspruch in Rechtskraft erwächst, rechnet auch die konkrete Rechtsschutzform, auf die der Richter festgelegt ist, zu den Bestandteilen des Urteilsgegenstandes.73 Dem öffentlichen Interesse an Verfahrenskonzentration und zügiger Streiterledigung kann im laufenden Verfahren Rechnung getragen werden, ohne dass die Parteien in ihrer Rechtsverfolgung besonders eingeschränkt werden. Für die Bemessung der Rechtskraftgrenzen muss jedoch die konkrete Ausgestaltung des subjektiven Rechts ausschlaggebend sein. II. Der Lebenssachverhalt als Begrenzungskriterium bedeutet jedoch einen ständigen Hort der Unsicherheit, die nur durch seine Fernhaltung aus der Definition des Streitgegenstands beendet werden kann. Ein trennscharfes Abgrenzungskriterium bildet an seiner Stelle das beanspruchte Interesse und damit das Element „Erfüllungskonnexität“. Insoweit wird die Obergrenze des ne bis in idem-Umfangs eindeutig festgelegt. Diese Sichtweise verfügt über den Vorzug, dass die Konturierung des Urteilsgegenstandes, wie es den Aufgaben der materiellen Rechtskraft entspricht, anhand materieller Ordnungsgehalte erfolgt und sich nicht an (zufällig) überschneidenden Tatsachenkomplexen orientiert. Für die Parteien kennzeichnet dieser Erfüllungszusammenhang zwischen Rechtsfolgen auch den maßgeblichen Interessenwiderstreit.74 Der im Vergleich zur herrschenden Doktrin globalere Urteilsgegenstand beinhaltet alle dasselbe Interesse stützenden Tatsachenelemente. Vereinzelt findet der Gedanke eines abgrenzbaren Streitinteresses bereits in der Judikatur des BGH Verwendung,
72 73 74
Oben § 28. Oben § 27 I, § 28. Oben § 22 II, § 30 III.
Sechster Teil: Ergebnisse zum Urteilsgegenstand
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wenn trotz einheitlichen deliktischen Geschehens verschiedene Schadensposten als unterschiedliche prozessuale Ansprüche gedeutet werden.75 III. Nach h.L. hindert die materielle Rechtskraft den Kläger trotz Interessenidentität nicht, eine bereits zugesprochene Leistung ein zweites Mal einzuklagen und sich hierzu auf einen anderen Klagegrund zu berufen. Hatte die auf einen Wechsel gestützte Klage bereits Erfolg, könnte der Kläger sein prozessuales Begehren gestützt auf den zugrundeliegenden Kaufvertrag wiederholen. Die undogmatische Abhilfe über das „fehlende Rechtsschutzbedürfnis“ kann aber nicht die ureigensten Aufgaben der Rechtskraft übernehmen und Ungereimtheiten überwinden helfen, die auf einem unrichtigen Urteilsgegenstand basieren, der die Einheit des Leistungsobjekts leugnet. Auch an dieser Stelle zeigen sich die Vorzüge der hier vertreten Auffassung.76 Die abweisende Entscheidung befindet über das beantragte Interesse in vollem Umfang. Ebenso ist bei stattgebender Entscheidung eine zweite Klage aus demselben Interesse wegen entgegenstehender Rechtskraft und nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ausgeschlossen. IV. Weil das Gericht aber im Urteil eine rechtliche Qualifikation von Begehren und Sachverhalt vornimmt, kann sich hieraus eine materiellrechtlich intendierte Begrenzung der Rechtskraftwirkungen ergeben. Indes verbietet sich eine generelle Differenzierung nach einzelnen rechtlichen Aspekten, weil das Gericht sämtliche Rechtsvorschriften zu prüfen hat, die das geltend gemachte Interesse stützen. In Sonderfällen erscheint aber trotz bestehender Interessenidentität eine Beschränkung des Rechtskraftumfangs entsprechend einer materiellrechtsfreundlichen Auslegung geboten77, wenn der Kläger von einer gesetzlichen Beschränkungsbefugnis Gebrauch gemacht hat. So kann der Kläger etwa im Falle der Konkurrenz petitorischer (§§ 985, 1007 BGB) und possessorischer Ansprüche (§ 861 BGB) den Gegenstand des Urteils auf einen rechtlichen Aspekt begrenzen. V. Die zwischen verschiedenen Rechtsfolgen bestehende Interessenidentität gilt es auch bei der Bemessung der positiven Rechtskraftwirkungen zu berücksichtigen, worin sich ein weiterer Vorzug zeigt. Dienen verschiedene Rechtsfolgenbehauptungen der Verwirklichung desselben materiellen Interesses, wirkt die Entscheidung über eine von ihnen auch Rechtskraft für die übrigen.78 Die Rechtsprechung denkt hingegen weiter in logisch konstruktiven Zusammenhängen, indem sie streng zwischen den Kategorien der Identität, des kontradiktorischen Gegenteils sowie der Präjudizialität unterscheidet. Damit wird sie 75 76 77 78
Oben § 30 IV 2 f. Oben § 30 VII. Oben § 30 VIII. Oben § 31 I, IV.
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materiellen Ordnungsgehalten nicht immer gerecht. Diese Interessenidentität erscheint geeignet, für einige der von Zeuner ermittelten Sinnzusammenhänge ein verlässliches und eindeutiges Kriterium zur Bemessung der Rechtskraftwirkungen anzubieten. Damit ergibt sich eine dritte Bedeutung des Kriteriums: Neben der Bestimmung des Rechtshängigkeitsumfangs und der Konkretisierung des Urteilsgegenstandes dient es der Bemessung der Bindungsweite der materiellen Rechtskraft in einem Folgeprozess. VI. Die allgemein anerkannte Figur des kontradiktorischen Gegenteils lässt sich im Sinne eines kontradiktorischen Interesses weiter denken. Insoweit scheitert ein zweites Verfahren an der Rechtskraftsperre, wenn die vom früheren Beklagten nun selbst in Anspruch genommene Rechtsfolge der im Erstverfahren rechtskräftig festgestellten Anordnung unmittelbar entgegenstünde.79 VII. Im Regelfall sieht sich der ursprüngliche Beklagte durch die Rechtskraft nicht daran gehindert, eine Gegenforderung auf einen Lebenssachverhalt zu stützen, der dem früheren Kläger bereits für die erfolgreiche Begründung der Hauptforderung diente. Denn die Tatsachenpräklusion wird von der h.L. streng rechtsfolgenorientiert gedacht. Der an Rechtssicherheit interessierte Kläger müsste im deutschen Zivilprozessrecht deswegen hinsichtlich zu erwartender Gegenforderungen zusätzlich eine negative Feststellungsklage erheben. Wird jedoch durch den Vortrag von Tatsachen die bereits früher rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge infrage gestellt, wäre bei fehlender Identität der Begehren ein neuer Prozess zwar zulässig, die Klage jedoch aufgrund der eingetretenen Tatsachenpräklusion als unbegründet abzuweisen.80 Dieses in Saldierungsfällen mittlerweile anerkannte Ergebnis erscheint jedoch in Grenzen einer Erweiterung zugänglich, was die Verfahrenskonzentration weiter fördern würde. Damit wird nicht einer sachverhaltsbezogenen Präklusion nach US-amerikanischen Vorstellungen (claim preclusion) oder einer issue preclusion das Wort geredet. Die Notwendigkeit einer Sicherung der res iudicata des früheren Urteils ergibt sich im Einzelfall vielmehr aus einem Interessenwiderstreit, so dass bildlich gesprochen die eine Hand gibt, was die andere sogleich wieder nimmt.81 Bei dieser Ausrichtung der Tatsachenpräklusion ist aber das wirtschaftliche Risiko mit zu bedenken, das der Beklagte mit seiner Verteidigung konkret eingeht. Für Abhilfe sorgt insoweit eine analoge Anwendung der in § 322 II ZPO enthaltenen Kappungsgrenze. Einen die Klageforderung übersteigenden Betrag kann der Beklagte folglich nicht verlieren. Wird etwa gegen den Beklagten eine Werklohnklage (§ 631 I BGB) erhoben, so muss dieser einen Schadensersatzanspruch wegen Werkmängeln (§§ 634 Nr. 4, 280 I, 281 I BGB) bereits in die79 80 81
Oben § 32 II 2. Oben § 32 III 1, 4. Oben § 32 III 4.
Achter Teil: Abschließende Bewertung: Kernpunkttheorie und Interesse
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sem Verfahren durch Aufrechnung oder Widerklage geltend machen. Anderfalls bleibt er – ähnlich wie bei der Prozessaufrechnung – mit dem Anspruch in einem späteren Verfahren in dem durch § 322 II ZPO (analog) begrenzten Umfang ausgeschlossen.
Siebter Teil Besonderheiten für Gestaltungsund Feststellungsklagen Bruno Rimmelspacher wollte die Anwendung seiner materiellrechtlich geprägten Begriffsschöpfung „Rechtsposition“ ausdrücklich auf die Leistungsklage begrenzt wissen. Diese selbst auferlegte Beschränkung ist insofern verständlich, als es schwierig erscheint, ein vornehmlich an der Leistungsklage orientiertes Kriterium für Feststellungs- und Gestaltungsklagen nutzbar zu machen. Auch die Erkenntnisse dieser Studie bezogen sich weitgehend auf die Leistungsklage. Es wurde jedoch gezeigt, dass auch für Gestaltungs- und Feststellungsklagen die Vorstellung eines einheitlichen Klägerinteresses trägt.82 Auch § 264 Nr. 3 ZPO ist unter teleologischen Gesichtspunkten keine auf den Leistungsprozess bezogene zwingende Restriktion zu entnehmen. Das Interessekriterium leistet also auch eine rechtsschutzformübergreifende Bestimmung des Streitgegenstands.
Achter Teil Abschließende Bewertung: Kernpunkttheorie und Interesse I. Die Identität von Interessen sollte für Art. 27 I EuGVVO zu einem gemeineuropäischen Vergleichsmaßstab erhoben werden, ohne dass damit diffizile materiellrechtliche Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden wären. Die Frage, ob ein Rechtsgut von der Rechtsordnung nur einmal verliehen wird (Erfüllungskonnexität)83, lässt sich auch grenzüberschreitend eindeutig beantworten.84 Erforderlich hierfür ist nur eine einfache rechtliche Analyse. Werden hingegen Parallelverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten mit umgekehrten Parteirollen betrieben, wäre dementsprechend die Überlegung maßgeblich, ob beide Verfahren Urteile hervorbringen, die sich in ihren Wirkungen kompensieren, was 82 83 84
Oben § 33. Oben § 22 II. Oben § 39 III.
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Zusammenfassung der Ergebnisse
anzunehmen wäre, wenn mit einer Klage die Verwirklichung eines Interesses sichergestellt werden soll, das im anderen Verfahren wieder entzogen würde. Auch dann betreffen beide Verfahren dasselbe Interesse. II. Mögliche Bedenken gegen die bei der Rechtshängigkeit (Art. 27 I EuGVVO) angesiedelte Kernpunkttheorie des EuGH speisen sich weniger aus dem rechtsvergleichenden Befund als vielmehr aus dem systematisch-teleologischen Zusammenhang mit Art. 34 Nr. 3 EuGVVO.85 Für den vom EuGH postulierten Zusammenhang zwischen Art. 27 I EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO (Verhinderung unvereinbarer Entscheidungen) verdient die Situation nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens besonderes Augenmerk. Der von der Kernpunkttheorie betonte teleologische Nexus zwischen beiden Vorschriften reißt hier ab.86 Unvereinbare Entscheidungen werden möglich, wenn nun ein zweites, kernpunktidentisches Verfahren eingeleitet wird, das nicht durch die (engen) Rechtskraftwirkungen der früheren Entscheidung verhindert wird, aber dieser dennoch widerspricht. Der tiefere Grund für den unerfreulichen Befund, dass ein zeitlich früher ergangenes Judikat in seinem Anerkennungsanspruch nach Verfahrensende wieder gefährdet wird, liegt in der rechtspolitisch verfehlten Übergewichtung des Nationalitätsprinzips in Art. 34 Nr. 3 EuGVVO. Aufgrund des absoluten Vorrangs des inländischen Urteils muss Art. 34 Nr. 3 EuGVVO als Störfaktor im internationalen Rechtsverkehr begriffen werden.87 Auch der Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der EuGVVO vom 14.12.2010 weist insoweit noch Nachbesserungsbedarf auf. III. Zur Aufrechterhaltung des Zusammenhangs zwischen Art. 27 I EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO und als Ergänzung zur Kernpunkttheorie wird deswegen ein gemeineuropäisch weites Rechtskraftverständnis als erforderlich angesehen.88 Die in der französischen Doktrin maßgeblichen Elemente objet und cause genügen aber für eine europäische Begriffsbildung nicht. Denn die Folgen eines weiten Rechtskraftkonzepts sind noch schwerwiegender als jene Konzentrationswirkungen, die durch eine weitgreifende Rechtshängigkeitssperre hervorgerufen werden. Gegen ein die Entscheidungsgründe einbeziehendes Rechtskraftkonzept, wie es heute in England, Frankreich, Belgien und Griechenland in unterschiedlichem Umfang zur Anwendung kommt, spricht, dass die Beteiligten vor Überraschungsentscheidungen mit entsprechender Bindung geschützt sein sollten. Der Gesetzgeber der deutschen ZPO und der Mehrheit der Mitgliedstaaten hat sich somit bewusst für eine Orientierung am Entscheidungstenor (§ 322 I ZPO) entschieden, was die Notwendigkeit der Zwischenfeststellungsklage in Deutschland erklärt. Mit dem Bezug zum petitum wird 85 86 87 88
Oben § 36 I. Oben § 36 III. Oben § 38 I. Oben § 36 IV 2.
Achter Teil: Abschließende Bewertung: Kernpunkttheorie und Interesse
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der Parteiwille und das Prinzip der Parteidisposition zweifellos gestärkt. Durch die Begrenzung auf die Urteilsformel ruht die Rechtskraft von Anfang an auf einem festen Fundament, was gerade bei grenzüberschreitenden Prozessen der Rechtssicherheit dient. Auch der Aspekt des Rechtsfriedens spricht gegen eine ausufernde Rechtskraftbemessung, weil das Verfahren durch vorsorglich vorgebrachte Einwendungen und Behauptungen belastet würde. Insofern erscheinen die engen kontinentaleuropäischen Konzepte überlegen. Im Übrigen bestünde bei einer europaweiten Bindung an die (tragenden) Entscheidungsgründe ein erhebliches praktisches Sprachenproblem für den Richter. Der EuGH hat im Übrigen eine gemeineuropäische Bestimmung der Rechtskraftgrenzen aus Kompetenzgründen mit Recht unterlassen. IV. Art. 34 Nr. 3 EuGVVO sollte im Sinne der Urteilsfreizügigkeit eng ausgelegt werden. Eine materiellrechtliche Stimmigkeitsprüfung der Entscheidungen hat bereits aus Gründen der Rechtssicherheit zu unterbleiben. Im Gegensatz zu Art. 34 Nr. 4 EuGVVO erfordert die Anwendung von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO aber keine Anspruchsidentität, wie der Jenard-Bericht bestätigt. Eine für Art. 34 Nr. 3 EuGVVO erforderliche Beeinträchtigung der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates droht m.E., wenn sich nach Anerkennung inhaltlich divergierende rechtskräftige Feststellungen in ihrem Geltungsanspruch gegenüber stehen würden. Diese Ausrichtung an Rechtskraftzusammenhängen rechtfertigt sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen Art. 34 Nr. 3 EuGVVO und Art. 33 EuGVVO (Wirkungserstreckungslehre).89 Unvereinbarkeit liegt zweifellos vor, wenn bereits die Streitgegenstände (teil) identisch sind oder im Verhältnis des kontradiktorischen Gegenteils zueinander stehen. Bei dieser Prüfung sollte der im Rahmen dieser Studie befürworteten Orientierung am Interesse gefolgt werden, das sich als trennscharfes Abgrenzungskriterium erwiesen hat. Ein unmittelbarer Rechtskraftkonflikt besteht aber auch dann, wenn eine rechtskräftig in den Urteilsgründen beschiedene Vorfrage mit einem Urteil kollidiert, dessen Gegenstand dieselbe Rechtsfrage bildet, wie dies bei einem negativen oder positiven Feststellungsurteil der Fall wäre. Für Art. 34 Nr. 3 EuGVVO genügt zudem, dass rechtskräftige Feststellungen eines ausländischen und eines inländischen Urteils zu bloßen Vorfragen miteinander kollidieren.90 V. Erachtet man die Kollision rechtskräftiger Feststellungen für maßgeblich, dann waren diese Voraussetzungen in der Entscheidung Gubisch/Palumbo91 nicht erfüllt. In der Regel sollte ein Feststellungsurteil, das die Wirksamkeit eines Vertragsverhältnisses oder einer anderen Vorfrage klärt, bereits deswegen 89 90 91
Oben § 38 III 1, 2. Oben § 38 III 2. Oben § 15 II 1.
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Zusammenfassung der Ergebnisse
anerkannt werden, um es weiteren Ansprüchen präjudiziell zu Grunde legen zu können.92 VI. Urteile, die sich in ihren Wirkungen gegenseitig aushöhlen und kompensieren93, sind ebenfalls miteinander unvereinbar. Kollidieren eine ausländische und eine inländische Entscheidung dergestalt, dass ein Interesse einmal zu-, das andere Mal abgesprochen wird, treten sie in einen für die Rechtsordnung des Anerkennungsstaates nicht hinnehmbaren Geltungskonflikt. VII. Bei der Auslegung von Art. 27 EuGVVO kommt es zwangsläufig zu einem Zielkonflikt zwischen dem Prinzip der prozessualen Chancengleichheit der Parteien und dem Justizgewährungsanspruch des gesperrten Zweitklägers.94 Dabei stellt sich die Frage, ob die prozessuale Waffengleichheit auch die Ausschaltung eines weitergehenden Rechtsschutzinteresses rechtfertigen kann. Die Blockade des inländischen Verfahrens erscheint nur gerechtfertigt, wenn der ausländische Prozess eine dem inländischen Prozess gleichwertige Rechtsschutzgarantie gewährt.95 Art. 27 I EuGVVO muss entgegen der h.L. nicht dem gesamten Unvereinbarkeitspotential vorbeugen. Vielmehr kann ergänzend auf Art. 28 EuGVVO als schonenden Koordinationsmechanismus zurückgegriffen werden.96 Eine inhaltliche Beschränkung von Art. 27 I EuGVVO im Vergleich zu Art. 34 Nr. 3 EuGVVO ergibt sich bereits mit Blick auf den Wortlaut von Art. 34 Nr. 4 EuGVVO.97 VIII. Die Einbeziehung von Präjudizialverhältnissen in die vom EuGH angestellte Kernpunktbetrachtung würde dazu führen, dass Art. 27 EuGVVO eine Konzentrationspflicht vorsieht, welche die Gerichtsstandswahlfreiheit im europäischen Rechtsraum massiv einschränkt. Da die Rechtsschutzinteressen nicht deckungsgleich sind, wird das Anliegen des späteren Leistungsklägers, soweit es die Herstellung eines vollstreckbaren Titels betrifft, im Primärverfahren über die Feststellung einer vorgreiflichen Frage nicht befriedigt. Diese grenzüberschreitende Konzentrationslast schränkt die individuelle Rechtsverfolgung massiv ein. Der Hinweis auf die Widerklagemöglichkeit vermag nicht zu überzeugen, weil der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gerade gegenüber dem vom Kläger angerufenen und zuständigen Gericht besteht.98 Der Ausschluss einer nachfolgenden Feststellungsklage, mit welcher die Unwirksamkeit eines Vertragsverhältnisses festgestellt werden soll, auf dem eine zuvor erhobene Zahlungsklage aufbaut, wäre möglicherweise dadurch zu recht92 93 94 95 96 97 98
Oben § 38 III 3. Oben § 38 III 6. Oben § 39 II 2. Oben § 39 II 1, 2, III. Oben § 39 IV 1. Oben § 38 II, § 39 I. Oben § 39 II 2.
Achter Teil: Abschließende Bewertung: Kernpunkttheorie und Interesse
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fertigen, dass weitere Ansprüche aus diesem Rechtsverhältnis nicht ernsthaft in Betracht kommen. So könnte in der Entscheidung Gubisch/Palumbo99 die der Leistungsklage nachfolgende Feststellungsklage auch als bloßes Verteidigungsmittel gedeutet werden, das nicht über den Gegenstand der Leistungsklage hinausreicht. Jedoch lässt sich ex ante nicht mit Sicherheit prognostizieren, ob die Feststellung des Grundlagenverhältnisses nicht für weitere (zukünftige) Einzelansprüche hilfreich und erforderlich sein wird. Die Leistungsklage befriedigt das Rechtsschutzinteresse der Feststellungsklage nur zu einem Teil und umgekehrt. Die Kernpunkttheorie des EuGH gewährleistet keine sicher handhabbaren Kriterien. Dies zeigt sich daran, dass auch die jüngeren Entscheidungen des EuGH (Gantner; Mærsk Olie)100 in ihren Ergebnissen vom Schrifttum nicht prognostizierbar waren. Im Übrigen sehen auch Rechtsordnungen, denen eine Rechtskraftwirkung der Entscheidungsgründe nicht fremd ist, für reine Präjudizialzusammenhänge nicht das Eingreifen der Rechtshängigkeitssperre vor, sondern erkennen hierin einen Anwendungsfall nationaler Konnexitätsregeln. Die Principles of Transnational Civil Procedure (28. 2) befürworten zwar eine maßvolle Rechtskrafterstreckung auf die Entscheidungsgründe. Jedoch wird die Rechtshängigkeitssperre nicht auf Vorfragen ausgedehnt. IX. Aufgrund des Gesagten ergibt sich, dass die Übereinstimmung zweier Verfahren lediglich auf der Vorfragenebene die Anwendung von Art. 27 I EuGVVO nicht rechtfertigen kann. Die Kaufpreisklage des Verkäufers sperrt somit nicht die Klage auf Lieferung und Übereignung der Kaufsache des Käufers in einem anderen Staat, obgleich dasselbe Kaufverhältnis zugrunde liegt.101 Die Interessen sind hier offensichtlich nicht identisch. X. Zur Konkretisierung der Anspruchsidentität im Sinne von Art. 27 I EuGVVO bietet sich ähnlich wie im nationalen Recht an, auf die Übereinstimmung der im Erst- und Zweitverfahren beteiligten Rechtsschutzinteressen zu rekurrieren. Der bereits im Rahmen dieser Studie einleitend102 beschriebene Interessengegensatz zwischen Kläger und Beklagtem könnte auch grenzüberschreitend als eingängiges Kriterium zur Abgrenzung identischer von lediglich konnexen Verfahren (Art. 28 EuGVVO) Verwendung finden.103 Bei der Berücksichtigung prozessökonomischer Gesichtspunkte ist mehr als im nationalen Recht Zurückhaltung geboten, weil trotz des Postulats der Gleichwertigkeit aller mitgliedstaatlichen Gerichte im Rahmen der EuGVVO in der Praxis weiterhin erhebliche Unterschiede in der faktischen und temporären Umsetzung eines Rechtsschutzbegehrens bestehen. Diese Bedeutung der Inte99 100 101 102 103
Oben § 15 II 1; § 38 III. Oben § 15 II 4, 5. Oben § 39 II 2. Oben Einleitung § 1. Oben § 39 III.
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Zusammenfassung der Ergebnisse
ressenidentität sollte bei der anstehenden Revision der EuGVVO im Rahmen der Neufassung der Rechtshängigkeitssperre (Art. 29 I des Kommissionsvorschlags) Berücksichtigung erfahren. Dies gilt auch deswegen, weil im Kommissionsvorschlag eine Herabstufung des Anerkennungshindernisses der unvereinbaren Entscheidungen zu einem bloßen Vollstreckungshindernis stattfindet, das nur für einen Teil der Urteile zur Anwendung kommt. An diesem Befund ändert auch die Zielvorstellung von Erwägungsgrund 18 des Kommissionsvorschlags nichts. Dort heißt es zwar, dass im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden müssten, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Das letzte Glied in der Argumentationskette, nämlich die drohende Gefahr der Anerkennungsverweigerung, würde freilich fehlen. Damit geriete der bisher vom EuGH beschworene Leitbildcharakter von Art. 34 Nr. 3 EuGVVO für die teleologische Auslegung der Rechtshängigkeitsregel ins Wanken. Das im Rahmen dieser Studie beschriebene „Interessekriterium“ kann diese Leitbildfunktion aber übernehmen.104 XI. Eine wichtige Entsprechung findet die hier vertretene Ausrichtung in der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Drouot Assurances SA. Ungeachtet einer formalen Verschiedenheit der Parteien wurde dort zur Konkretisierung der subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre auf die Interessen der jeweiligen Beteiligten abgestellt. Von hier aus erscheint es nur als ein kleiner Schritt, diesen Weg auch zur Konkretisierung der objektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre zu beschreiten. Dadurch erführe auch der vom EuGH zur Feststellung objektiver Verfahrensidentität eingeführte Begriff des gemeinsamen Zwecks der Klagen eine weitere Präzisierung. Im Übrigen ist im Hinblick auf die Förderung eines gemeinschaftsweit einheitlichen Rechtskraftsystems zu überlegen, dieses zwar nicht auf Vorfragenentscheidungen auszudehnen, aber anhand der zwischen verschiedenen Rechtsfolgen bestehenden Interessenidentität zu erweitern.105 Auch dann wäre der teleologische Gleichlauf zwischen Art. 27 I EuGVVO und Art. 34 Nr. 3 EuGVVO wieder gewahrt. XII. Kommt ein potentieller Schuldner der Leistungsklage des Gläubigers mit einer negativen Feststellungsklage zuvor, so stimmen die Interessen überein und die Voraussetzungen von Art. 27 I EuGVVO sind erfüllt.106 Zur Eindämmung einer Flut missbräuchlicher Torpedoklagen existiert bereits eine Reihe von Ausgleichsmechanismen (restriktive Ausübung des Feststellungsinteresses, Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes), die es rechtfertigen, am Prinzip der prozessualen Chancengleichheit zwischen den Parteien grundsätzlich 104 105 106
Oben § 39 I. Oben bereits zum deutschen Recht §§ 31 IV, 32, 40 V. Oben § 40 I.
Achter Teil: Abschließende Bewertung: Kernpunkttheorie und Interesse
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festzuhalten.107 Auch die im Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO vorgesehene Hierarchisierung der Zuständigkeiten für Gerichtsstands- und Schiedsgerichtsvereinbarungen ist eine sinnvolle Möglichkeit, missbräuchliche Torpedoklagen von vornherein zu verhindern. In diesem Kontext ist auch die in Art. 29 II des Kommissionsvorschlags vorgesehene Frist grundsätzlich zu begrüßen, innerhalb derer das als erstes angerufene mitgliedstaatliche Gericht über seine Zuständigkeit befinden soll.108
107 108
Oben § 40 I 2, 4, 5. Vgl. § 40 I 4.
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809
Sachregister Abstimmungskonzentration 229 Abstraktes publizistisches Klagerecht 42 Abstrakte Klagerechtstheorie 44 Actio confessoria 367, 571 Actio negatoria 571 Actio redhibitoria 288 Actio quanti minoris 288 Actor sequitur forum rei 224, 715 Additionsverbot 363, 364, 367 Additive Tatbestandskomplexe 425, 507, 516 Aktionenkonkurrenz 741 Allgemeine Kohärenz 211 Allseitige Konvergenz 230 Alternative Klagehäufung 61, 408 Alternative Normenkonkurrenz 286 Amtspflichtverletzung 547 Anerkennungsfähigkeit 624, 637 Anerkennungsprognose 693 Anerkennungsversagungsrisiko 159 Anerkennungsverweigerung 224, 473, 626, 629, 633, 636, 641, 649, 667, 673, 694 Anspruch als Verfügungsobjekt 68, 82 Anspruchsgrund 83, 97, 105, 120, 182, 189, 203, 228, 234, 279, 328, 334 ff. Anspruchshäufung 9, 44, 53 f., 61, 63, 70 f., 87, 285, 289, 303, 363, 367, 392, 404, 407 f., 441 f., 543 Anspruchsidentität 124, 131, 134, 138, 146 ff., 162, 167 f., 185 f., 211, 358, 624, 629, 638, 660, 675 ff., 694 ff., 704, 710, 728 f., 745, 761, 763 Anspruchskonkurrenz 13 ff., 38, 50 ff., 57, 69 ff., 82 ff., 91, 113, 155, 204, 255 ff., 284, 287 ff., 359, 397, 402, 404, 410, 514, 517, 541, 545 ff., 550, 525, 733, 748 Anspruchsnormenkonkurrenz 69 ff., 82 f., 113, 284, 289, 354, 514, 546
Anspruchsposition 75, 283, 290 Antisuit injunction 721 Artikularverfahren 22 Arzthaftungsprozess 443, 498, 525 Aufrechnungseinwand 137 ff., 210 ff. Aussetzung des Verfahrens 125, 139, 228, 232 f., 466 Baltimore Steamship Company v. Phillips 107 Befriedungsfunktion 105, 270, 444 Begriff der Streitsache 228 Besondere Gerichtsstände 180, 190 Byzantinischer Prozess 18, 20, 343 Cause (frz.) 116 ff., 121 ff., 148 ff., 619 f., 642, 717, 733, 745, 760 Cause of action 7, 105 ff., 121 ff., 179, 225, 247, 275, 423, 451, 618, 621, 673, 735 Cause of action estoppel 106 ff. Centre des litiges 149 Cessio legis 405, 429 Claim preclusion 105 f., 110, 113, 189, 644, 703, 748 Collateral estoppel 110 f., 557, 561, 590 Compulsory counterclaim 249, 449 ff. Continenza 620 f. Counterclaim 140, 248 f., 449 ff., 591 Cross border-Streitigkeiten 224 Danvaern 137, 139 De Wolf/Cox 126, 128, 637 ff. Differenzhypothese 266, 295 Differenzlehre 358 Dispositionsmaxime 32, 104, 112, 141, 240, 267, 271, 272, 274, 362, 372, 401, 431, 439, 480 ff., 501, 548 Drouot Assurances SA 132 ff., 147, 704 ff., 718, 745, 764
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Sachregister
Due process of law 249 Dualismus 43, 73, 260 Dynamische Komponente des Prozesses 395 Effer/Kantner 156 Einheit des Leistungsobjekts 63, 426, 532, 540, 757 Einheit der Rechtsposition 73, 281 Einheitlichkeit des Klägerinteresses 306 Einheitsdogma 85, 89, 199, 272, 391, 501, 747, 751, 754 Elektive Konkurrenz 280, 405 f., 566 Erweiterter Hemmungsumfang 104, 328, 335, 339, 345 ff., 416, 753 Eventualmaxime 231, 247, 292 f., 313, 410, 507, 590, 592 Exceptio litis pendentis 206 ff. Exceptio rei iudicatae 16 ff., 25 ff., 106, 183, 206 Extra petita 485 Factoring-Entscheidung 585 Facultas alternativa 280, 405, 561 Fahrgastfall 514, 548 Fliegender Gerichtsstand 180, 460 Formularprozess 8, 11 ff., 207, 343, 355 ff., 741 f. Forum connexitatis 190, 360 Forum delicti 192 Forum non conveniens 14 f., 405, 572, 661 f. Forum reconventionis 447 f. Forum shopping 130 f., 211, 388, 458 ff., 618, 712 ff., 729, 735, 670 Freeport-Entscheidung 154, 734 Freizügigkeit gerichtlicher Entscheidungen 161, 617 Gasser 132, 716, 720 ff. Gantner/Basch 129, 136, 138, 141, 211, 624, 628, 699, 703, 763 Gebot rechtlichen Gehörs 436 Gebührenstreitwert 285, 365 f. Gefährdungshaftung 66, 81, 97, 514, 547 Gegenstand des Anspruchs 58 Geldexekution 490 Gesetzeskonkurrenz 49, 57, 70, 213 f.
Gestaltungsklage 6, 24, 38, 43, 46, 53 f., 67, 75, 87, 90 f., 156, 265, 364, 375 ff., 408, 416, 441, 458, 497, 523, 593 ff., 759 Große Lösung 387 Grundsatz der Pekunärverurteilung 355 f. Gubisch/Palumbo 2, 126 ff., 147 ff., 179, 232, 236, 369, 470 f., 621 ff., 640 ff., 651 ff., 681 ff., 701 f., 737, 745, 761 Günstigkeitsvergleich 659 Hinweispflicht 238, 243 ff., 430 ff., 538 Hoffmann/Krieg 156 f., 160, 221, 630 ff., 650 ff., 658, 665, 670, 674 ff., 681, 684 ff. Identité d’objet 687 Id quod interest 265, 295 ff. Immutabilité de l’objet 485 Individualisierungstheorie 488 Individualisierungsdogma 401 Individualrechtsschutz 240 ff., 507, 602, 748 Interesseformel 295 Interessenidentität 9, 135, 267, 283, 319, 339 ff., 351 f., 359, 375, 412, 420, 426, 430, 437, 442, 490, 511, 515 ff., 524 f., 539 ff., 545, 560, 567 f., 572, 588, 599 ff., 617, 649, 687 ff., 704 ff., 712, 718, 733, 753, 764 Inquisitionsmaxime 91, 104, 483, 500 f. Inzidentfeststellungsklagen 184 Ipso iure-Anerkennung 124 Isolierte Abtretbarkeit 68 Issue estoppel 110 Issue preclusion 2, 31, 110, 582, 587, 590 f., 644, 758 Italian Leather 632 f., 685 Ius variandi 299, 486, 566 Jenard-Bericht 154, 221, 629, 676, 698, 701, 708, 761 Jüngster Reichsabschied 21 Justizgewährungsanspruch 48, 141, 164, 173, 204 f., 216, 226 f., 311, 363, 436, 635, 640 f., 667, 692, 697, 702, 704, 713, 721, 729 f., 737, 748, 755, 762
Sachregister
Kaufpreis-Wechsel-Fall 52, 78 ff., 364, 479, 530, 541 Kernpunktidentität 169, 735 Kernpunktlehre 2, 6 ff., 33, 104 ff., 115, 125 f., 157 ff., 172 ff., 201, 236, 387, 391, 473, 617 ff., 630, 639 f., 645, 670, 675, 682, 693, 704 f., 718, 735 Klärung der Beschlussnichtigkeit 389 Klageänderungsverbot 75, 230 f., 289, 292 ff., 300, 312 ff., 321, 389, 421, 480, 752 Kombinationslehre 265, 316 Kompensationseffekt 690 Konkretes publizistisches Klagerecht 43 f. Konkurrenzlehre 79 Konnexitätsgerichtsstand 189 f., 441 Konsumtionskonkurrenz 13 Kontradiktorisches Gegenteil 511, 554, 556, 570, 574 f., 690 Kumulationskonkurrenz 13, 15 Kumulationstheorie 622 Legitimatio ad causam 400 Legitimationspunkte 29 Lehre vom Rechtsschutzanspruch 43 ff., 85, 381, 594, 742 Leistungsidentität 70 ff., 82, 411 Leistungsinteresse 71, 265, 358, 402, 420, 429, 741 Lex fugitiva 578 f. Litiscontestation 13, 18 f., 27, 106, 206 ff., 676 Litispendance (frz.) 620 Litispendenzeinwand 624, 703 Liquidationsverfahren 356, 359 Mærsk 144 ff., 154 ff., 627 ff., 699 ff., 733, 763 Markenparfümverkäufe-Entscheidung 613 Materialisierung des Lebenssachverhalts 81 Materielles Aktionenrecht 24, 37, 40, 261 Materielle Ergebniskontrolle 160 Materieller Klagerechtsbegriff 26 Materielle Konkurrenzlehre 286 Materielle Konzentration 229, 709 Materielles Rechtsschutzziel 77 f., 599
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Merger-Wirkung 13, 106, 570 Meritorisches Rechtsschutzziel 77 Merkmal der Gleichwertigkeit 146 Moyens (frz.) 119, 122, 396 Mutatio libelli 293 Nationalitätsprinzip 222 f., 636, 671 ff., 760 Naturalexekution 490 Natürliche Betrachtungsweise 77 f., 81, 98, 743 Ne bis in idem 52, 212 ff., 278, 346 ff., 456, 489, 496, 499, 510 f., 562, 567 ff., 576, 608, 614, 623 f., 639 f., 654, 671 f., 748, 756 Normalstreitgegenstand 611, 615 Objet (frz.) 116 ff., 129, 148 ff., 396, 485 ff., 618 f., 642, 687, 717, 733, 745, 760 Obligatorische Klagenhäufung 113 Ordre juridique 669 Ordre public 124, 628, 646 ff., 664 ff., 674 ff. Parallel Proceedings Rule 221 Parteidisposition 3, 110, 113, 193, 203, 220, 241, 275, 372, 481, 483, 620, 643, 761 Partikularrecht 31, 229, 292 Pendency of another action 225 Perpetuatio fori 215, 228, 301, 309, 283 Petitorische Ansprüche 71, 542 ff. Petitum 32, 116, 127, 149, 252, 306, 311, 354, 374, 478, 489, 503, 509, 513, 522, 604, 643, 760 Pflichtteilsanspruch 330 ff., 514 Pleadings 110, 142, 254, 275, 703 Possessorische Ansprüche 78, 542 ff., 757 Präjudizialfragen 29 f. Präjudizialität 9, 156 ff., 169, 222 f., 234, 279, 347 ff., 369, 390, 462, 471, 545, 554 ff., 561 ff., 582, 620, 634, 652, 655, 670 f., 680, 684, 710, 746, 756 f. Präjudizialitätszusammenhang 157, 684 Präklusionsumfang 9, 62, 87, 111, 121, 189, 225 ff., 440, 492 ff., 509 f., 535 f., 561, 578, 588 f., 615 Primary rights Test 107
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Sachregister
Principles of Transnational Civil Procedure 3, 113, 142, 253, 578, 643, 703 f., 723, 763 Prinzip der „Einheit der Obligation“ 302 Prinzip der Geldersatzpflicht 356 Prinzip der Geldkondemnation 296, 302, 752 Prinzip der Parteiherrschaft 85 Prinzip der Streitkonzentration 106 Prozessaufrechnung 136 ff., 210 f., 573, 577, 759 Prozessökonomie 24, 112 f., 120, 139, 168, 180, 191, 198, 204, 218, 306 ff., 374, 434, 445, 458 f., 505, 509, 697, 752 Prozessuale Chancengleichheit 469 Prozessualer Anspruch 38, 48 ff., 58, 81, 84, 251, 330, 380, 387, 403, 408, 411, 416, 421, 425, 517, 525, 599, 610, 754 Race to judgement 221, 624 Räumungsklage 234, 363, 427, 511, 516 ff., 532 f., 537 ff., 546 Realexekution 359 Rechtsfolgenbehauptung 50, 58, 77, 94, 104, 251, 289, 370, 381, 386, 391, 395, 422, 441, 444, 485, 489, 503, 558, 560, 584, 757 Rechtshängigkeitseinwand 54, 124, 150, 173, 180, 192, 213, 217, 219, 235, 307 f., 417, 427, 442, 455, 460 ff., 472 ff., 620, 655, 660, 696, 710 Rechtshängigkeitssperre 54, 87 ff., 103 f., 110, 123, 130 ff., 145 ff., 160 ff., 175 ff., 193, 203, 210 ff., 250, 272, 278 ff., 286, 304 ff., 325, 344, 347, 352, 369, 379, 390, 411, 414, 420 f., 427, 438 ff., 452 ff., 489, 499, 540 ff., 570, 575, 588 f., 602, 606, 613, 624 f., 634 ff., 641 ff., 650, 655 ff., 673, 684, 693 ff., 720 ff., 748, 755, 760 ff. Rechtskraftabgrenzung 420, 554 f., 563 Rechtskraftlehre 3, 8, 11, 33, 193, 207, 335, 540, 642 ff., 651, 742 Rechtskraftmodell 334, 645 Rechtskraftpräklusion 9, 53, 95, 105 ff., 227, 446, 449 ff., 497, 500, 507, 510, 513, 516, 521, 533 ff., 573 ff., 580 ff. Rechtsschutzanspruch 43 ff., 85, 215, 381, 391, 594, 742 f.
Rechtsschutzbegehren 51, 54, 94, 174, 251 f., 289, 367, 379 ff., 391, 447, 600, 698, 701, 705 ff., 749, 763 Rechtsstaatsprinzip 89, 183, 204, 250 Reinigungsarbeiten-Entscheidung 96, 478, 610 ff. Remedium generale 443 Res iudicata 22, 28, 102, 189, 208 f., 218, 229 ff., 262, 450, 506, 605, 623, 706, 748, 758 Restitutionsklage 223, 508, 647 f., 654, 665 Richterliches Subsumtionsverbot 550 Richtigkeitsgewähr 505 Same cause of action 179, 225, 618, 621, 673, 735 Sanders/van der Putte 156 Schlank-Kapseln-Entscheidung 612 Schlüssigkeit der Klage 79, 102, 394, 483 Selbst- und fremdabgegrenzte Anträge 91 Selbstschutz des Interesses 259 Sicherungszession 428 f., 527 Solutionskonkurrenz 19, 22, 343 Spaltungstheorie 549 f. Specific performance 356, 360 Splitting-Verbot 570 Staatliches Gewaltmonopol 218, 240 Stellvertretendes commodum 371 Steuerberaterfall 423 Stock purchase agreement 413 Straßenbahnfall 80 f., 97 Streitgegenstand – Identität der 62, 80, 215, 220, 236, 278, 307, 326, 380, 387, 448, 456, 464, 468, 475, 576, 630, 676, 716 – Lehre vom variablen 87, 92, 101 – Prozessuale Natur des 60, 72 – Relativität des 85 ff., 201, 213, 365 – Vervielfältigung von 49, 443 Streitgegenstandsverschiedenheit 364, 367, 416, 524, 701, 718 Streitwertaddition 367 Substantiierungstheorie 99, 116, 393 ff., 501, 519 Suspendierende Konzentrationslast 453
Sachregister
Tatry 2, 129 ff., 146 ff., 163 ff., 369, 463, 467, 470, 618, 626, 634, 661 ff., 673 ff., 680, 707, 712, 733, 745 Tatsachenpräklusion 443, 534 ff., 581 ff., 587, 591 f., 758 Teilidentität 131, 233, 236, 278 f., 307, 369, 380, 387, 454 ff., 462 ff., 468, 472, 735 Telefonkarte-Entscheidung 607 f., 612 Theorie der Doppelqualifikation 126 Torpedoklagen 469, 695, 716 ff., 764 f. Überweisungsbeschluss 428 f., 527 Ultra petita-Grundsatz 197, 271 ff., 478, 481, 485, 610 Unechtes kontradiktorisches Gegenteil 575 Unvereinbarkeitsformel 665, 691 Van Uden/Deco-Line 729 Verbandsklage 242 f., 258, 267, 596 Verfahrensbehauptung 58, 78, 251, 381, 383 f., 602 Verfahrenskonzentration 9, 88, 109 ff., 124, 143, 173, 178 ff., 188, 191 ff., 203 ff., 218, 224 ff., 235 f., 262, 268 ff., 284, 294, 299, 309 ff., 356, 374, 388, 416, 420, 423,
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435, 441 ff., 506 f., 518 f., 525, 530, 544, 551, 575, 580, 587, 610, 615, 626, 703, 713, 729, 738, 748 f., 756 ff. Verjährungsloch 166 Verspätungspräklusion 500 Vorfragenidentität 557, 688 Wahlschulden 378 Wechselprozess 82, 326, 379, 389, 411, 544 Wein-Fall 81 Werkunternehmer-Fall 448, 452, 584, 587, 688, 736 Werkvertragsfall 81 Wesensgleichheit 327, 331, 333 Widerspruchsprävention 159 Widerklagelast 187, 446 ff., 467, 472, 576, 583, 590, 696, 746, 755 Wirkungserstreckungslehre 622, 634 f., 654, 659, 670, 677, 685, 761 Zuständigkeitserschleichung 550 f., 734 Zuständigkeitskonzentration 177 Zwischenfeststellungsklage 32, 163, 178, 183, 226, 471, 504, 509, 518, 557, 625, 636, 643, 670, 737, 760