Neues Historisches Lese-Buch für die Jugend: Teil 2 Mittlere Geschichte [Reprint 2021 ed.] 9783112412121, 9783112412114


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Neues Historisches Lese-Buch für die Jugend: Teil 2 Mittlere Geschichte [Reprint 2021 ed.]
 9783112412121, 9783112412114

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Neues

für

die Jugend.

Eine Auswahl anziehender Darstellungen aus

den Werken alter und «euer Geschichtschreiber von

A. Hillert und Ä. Riedel.

Zweiter Theil:

Mittlere Geschichte.

Derlin. Verlag der Sander'schen Buchhandlung.

(G. es ostgothlschen Reichs.

stärkung von Tejas eingetroffn und bei dem Dorfe Taginas stehen Diese Nähe

geblieben.

bestimmte den Narses,

des Gegners

einige

seiner Vertrauten an ihn ahusenden und ihn zur Niederlegung der Waffen und zur Anerkennung der Hoheit Justinian's, oder, falls er

den Krieg

vorziehe,

zur Fefsetzung

des

Kampftages

aufzufordern.

Totilas erklärte, er werde noch acht Tagen angreifen; aber Narses ahncte richtig, der Angriff fiele ihm schon auf den folgenden Tag be­ vor, und

von

besetzte noch in de-' Nacht mit einer auserlesenen Schaar

fünfzig Mann einen Hüzel,

der die Gegend umher beherrschte

und ihn vor der Gefahr, umgangen zu werden, sicherte.

Totilas gewahrte am ander« Morgen nicht sobald die Einbuße, die ihm die Nacht gebracht hatte, als er Alles aufbot, um die Anhöhen

in

seine Gewalt zu

bringen und

sie

wiederholt mit immer frischen

Haufen, doch immer fruchtlos und mit großem Verluste, stürmen ließ. Die Vortheile, welche die namrliche Lage des Ortes gewährte, und

die Tapferkeit, mit der ihn stire Vertheidiger schützten, waren so groß,

daß alle Anstrengungen scheitelten, und die Römer sich im Besitze des Gewonnenen erhielten.

Nach diesem Vorspiele des Kampfes, ordneten

sich die beiderseitigen Schaaren zum allgemeinen Kampfe, und ermun­ terten beide Feldherren die Jbrigen.

Aber Totilas, unterrichtet, daß

ein Haufe von zweitausend Reitern zu seiner Verstärkung im Anzuge

sei, wollte die Schlacht nicht eher anfangen, bis dieselben eingetroffen

wären und ritt, sein Roß kunstreich tummelnd und den Speer schwen­ kend, längs der Linie der Gotben, auf und ab, ohne daß er zum An­

griff, den Narses ruhig abwartete, Befehl ertheilte, oder die Aufmerk­ samkeit des Heeres den ganzen Morgen durch etwas Anderes beschäftigt

wurde, als durch einen Zweikampf, den ein trotziger Gothe anbot und ein muthiger Römer annahm und durch Erlegung seines Gegners zur

glücklichen entschied.

Vorbedeutung

der ©einigen,

wie

man freudig weissagte,

Mittlerweile waren die erwarteten Reiter eingetroffen, und

die Zeit bis zur Stunde des Frühstücks vorgerückt.

Auf diesen Um­

stand gründete Totilas die Hoffnung, den Feind zu täuschen.

Wie

wenn er den Kampf für diesen Tag aufgebe, führte er sein Heer vom Kampfplatze ab, ließ es, jedoch unter den Waffen, frühstücken und

vertauschte seine glänzende Rüstung mit einer gemeinen.

Er dachte,

die Römer würden die Waffen ablegen und sich gütlich thun, und er so die Sorglosen überfallen und verderben können.

setzung irrte er jedoch gänzlich.

In dieser Voraus­

Narses, vorsichtig und des Gegners

124

Ostgothen.

Absicht ahnend, befahl seinen Kriegern, sich, in Reihe und Glied ge-

waffnet stehend, mit Speise zu stärken und die Pferde zum Aufsitzen bereit zu halten, und dehnte zugleich durch viertausend Bogenschützen

seine Linie auf beiden Flügeln mondförmig auS.

Totilas, seinerseits,

als er das Heer von Neuem ins Treffen führte, stellte das Fußvolk hinter die Reiterei, um dieser,

müßte,

einen

wie er meinte, im Fall sie weichen

sichern Zufluchtsort zum Sammeln zu

gewähren und

gebot, weder den Bogen, noch eine andere Waffe, außer dem Speer, zu brauchen.

Diese Anordnung, in der man die Einsicht des erfah­

renen Feldherrn vermißt, und

für das Glück des Tages

die wohlgewählte des Narses wurden

entscheidend.

Die Römer erhielten nicht

nur dadurch ein großes Uebergewicht, daß sie jede Waffenart, Bogen, Spieß und Schwelt zur rechten Zeit und am schicklichen Orte anwen­ den konnten; ihre Bogenschützen rückten zugleich immer näher, engten

die gothischen Reiter ein und überschütteten sie mit einem Pfeilregen, gegen welchen

ihre Speere wenig

ausrichteten.

Widerstand gleichwohl, bis der Abend hereinbrach.

Indeß dauerte der Da aber wandte

sich die gothische Reiterei, überall gedrängt und gefährdet, und stürzte in solcher Hast und Verwirrung auf das rückwärts stehende Fußvolk, stch ebenfalls auflöfte, und

die Flucht allgemein ward.

Sechstausend Gothen deckten das Feld;

die sich den Römern über­

daß dieses

lieferten oder gefangen wurden, fielen größtentheilS als Opfer der Er­ bitterung; wem die Rettung gelang, dankte fie dem glücklichen Ulge-

fähr.

Zu den Letztern gehörte Totilas nicht.

Mit nur fünf Gefäh'ten

aus der Schlacht fliehend und vonr Speere eines Gepiden rückwärts getroffen, mußte der schwer Verwundete seine Flucht noch vierundachtzig

Stadien weit

bis

zu

einem

Landgute,

Caprä

genannt,

fortsejen.

Hier halbtodt anlangend, starb er, als man seine Wunden verbuwen

hatte, ein tapferer Krieger, nicht unedler Mensch und thätiger Köng, im eilften Jahre seiner Herrschaft und wurde von seinen Begleirrn

beerdigt.

Die Nachricht von seinem Tode, die den Römern eilige

Zeit nachher durch ein gothisches Weib zukam, schien diesen so wang glaublich, daß fie das Grab öffneten und ihn, nach erlangter Uder#

zeugung, zum zweiten Mal beerdigten.

Nach dem Siege war Narses vorzüglichste Sorge, fich von sehen übermüthigen Bundesgenossen, den Longobarden, die keinen Frevel m-

versucht ließen, zu befreien.

Er beschenkte sie deshalb reichlich und ge­

leitete sie durch Valerian mit hinlänglicher Mannschaft über die Grenze

125

Untergang des ostgothischen Reichs. des römischen Gebiets.

Seine nächste Aufmerksamkeit galt dem Be­

sitze des wichtigen Verona.

Derselbe Valerian ward angewiesen, nach

Vollführung seines ersten Auftrags, sich in der Nähe der Stadt zu

lagern und sie zur Rückkehr unter den Gehorsam Justinian's aufzu­

In der That fühlte sich auch die Besatzung so wenig zur

fordern.

Vertheidigung geneigt, daß sie vielmehr dem an sie ergangenen Vor­ schläge Gehör gab und über die Bedingungen der Uebergabe verhan­ Kaum aber ahneten dies die Franken, so traten sie mit An­

delte.

sprüchen

auf Verona

und die Umgegend hervor und nöthigten den

Valerian, von seinem Versuche abzustehen.

Zugleich sammelten sich

die versprengten Gothen in Ticinum und jenseits des Po und erwählten den Tejas zu ihrem König, der keinen Augenblick säumte, die von

Totilas in Ticinum niedergelegten Schätze zur Anschaffung von Waffen und

andern Kriegsbedürfnissen

Bündniß anzubieten.

Narseö

verwenden und

zu

selbst

den Franken ein

fing an besorgt zu werden und

beauftragte den Valerian, den Po sorgfältig zu Zusammenziehung der Gothen zu hindern.

So

bewachen,

um

die

bedenklich gestalteten

sich die Verhältnisse in Ober-Italien.

Desto rascher erfolgte die Unterwerfung des übrigen Jtalien's.

Nar-

nka nahm man durch Uebereinkunft; das offene Spoletium erhielt Be­

satzung und ward neu

befestigt;

Perusia fiel durch die Uneinigkeit

seiner Befehlshaber, und gegen Rom konnte sich Narses ungehindert mit dem Hauptheere wenden und baldiger Bezwingung

gewiß

fein.

Der Umfang dieser Stadt war nämlich viel zu groß, und die Zahl der Vertheidiger viel zu klein, als daß ein langer Widerstand möglich

wäre.

gewesen Mauer

schützten,

Während

daher die

erstürmten die

Gothen

den

einen Theil der

Römer den ungeschützten,

drangen

durch die sogleich geöffneten Thore ein und nöthigten die bedrängten Feinde, sich in das Denkmal Hadrian's, welches Totilas mit einer

besondern Mauer umgeben und in eine selbständige Festung verwandelt hatte, zu flüchten.

Aber auch hier vermochten sie nicht, sich zu halten,

sondern überlieferten, unter der Bedingung, daß ihres Lebens geschont

werde, sich und die Feste.

Dergestalt wechselte Rom unter der sechs­

undzwanzigjährigen Herrschaft Justinian's

zum fünften Mal seinen

Herrn, nicht ohne daß jederzeit eine Menge Leiden über Edle und Volk kämm, die häufigsten und bittersten jetzt: denn als die Gothen an der Behauptung Jtalien's verzweifelten, tödteten sie alle Römer,

die

ihnen

begegneten,

so

wie die Ausländer im griechischen Heere

126

Ostgothen.

ebenfalls alle, auf welche sie beim Eindringen in die Stadt stießen.

Eben dies Schicksal traf die Patrizier, die in Campanien lebten und, auf die Nachricht von der Eroberung

der ihnen so

theuren Stadt

durch Narses, unvorsichtig zurückeilten, und jene dreihundert vornehme

junge Römer, die Totilas, wie früher erwähnt worden, als Bürgen für die Treue der Väter ausgehoben Und über den Po gesendet hatte. Die Erster» wurden auf ihren Landgütern von den Gothen überfallen,

und die Letztem sämmtlich auf Tejas Befehl hingerichtet. Während dieses vorfiel, ordnete Narses die Angelegenheiten Rom's,

so weit eS Zeit und Umstände erlaubten, und ließ Centum -cellä und die Feste Cumä einschließen.

Die Erhaltung des letztern Ortes war

für Tejas ungemein wichtig, denn Totilas hatte hier, unter der Ob­ hut Aligern's, Tejas jüngsten Bruders, einen Schatz niedergelegt, der noch bedeutender war, als der in Ticinum, und die Begierde und die

Bedürftigkeit gleich sehr reizte.

Da nun der fränkische König Theode-

bald den Gothen, aller ihrer Versprechungen ungeachtet, seinen Bei­ stand beharrlich weigerte, so entschloß sich Tejas endlich, das Aeußerste

allein und

auf die Gefahr des Unterganges zu

wagen,

schlich sich,

weil die Päpste, die aus Tuscien nach Campanien führten, verlegt waren, längs der adriatischen Küste hinab und schlug fein Lager, seit­

wärts vom Vesuv, am Flusse Sarnuö, der bei Nuceria vorübergeht,

unfern dem Meere, auf. Hier vertheidigten sich die Gothen gegen die Römer, die das rechte Flußufer besetzt hielten zwei Monate lang; denn der Fluß war, wenn

auch nicht breit, doch tief, sein Lauf reißend, die Ränder abschüssig

und steil, hölzerne Thürme und Wurfgeschütz zur Abwehr der Angriffe jenseits bereit, und von der Seeseite die Zufuhr offen. Endlich gelang es dem Narses, die Getreideschiffe der Gothen durch den Verrath des Führers in seine Gewalt zu bekommen, aus Sicilien und andern Gegenden selbst eine Flotte zusammenzuziehen, und von

Thürmen, die er an seinem Ufer errichten ließ, die Feinde dergestalt

durch Wurfgeschoß zu ängstigen, Milchberges flüchteten.

daß

sie

auf die Höhe des nahen

Dahin konnten ihnen nun freilich, wegen der

unangreifbaren Lage, die Griechen nicht folgen, aber desto schonungs­ loser verfolgte und bedrängte die Gothen der Mangel.

Tagen aus das Aeußerste gebracht,

Nach wenigen

beschlossen sie einmüthig, lieber

mit dm Waffen in der Hand zu sterben, als dem Hungertode zu er­

liegen, und so entspann sich ein Kampf, der in der Erzählung Procop'S

12T

Untergang des estgothischen Reichs.

fast an das Märchenhafte gränzt und lebhaft an die Schlachtengemälde

der JliaS und des Niebelungen-Liedes erinnert. „Unerwartet (eö sei vergönnt, mit deS Geschichtschreibers eigenen

Worten zu reden) und bevor es möglich war, sich unter der Fahne jedes Führers in Reihe und Glied zu stellen, sahen die Römer sich

überfallen.

Zuvörderst sprangen die Gothen von ihren Pferden und

ordneten sich in eine tiefe Phalanr, dann thaten die Römer ein Gleiches und ordneten sich auf gleiche Weise.

So begann zwischen ihnen mit

dem stützen Morgen ein höchst denkwürdiger Kampf, in welchem Tejas eine Tapferkeit entfaltete, die ihn den größten Heroen der alten ßcif

an die Seite setzt.

Verzweiflung begeisterte die Gothen zur Kühnheit;

die Römer, Wüthenden gegenüber, widerstanden aus alter Kraft, er-

röthend, daß sie Geringern weicheil sollten.

Beide

warfen sich mit

großem Muthe aus die Nächsten, die Einen, um zu sterben, die An­ dern, um

sich hervorzuthun.

Von Allen aber gesehen, stand Tejas,

mit dem Schilde gedeckt und den Speer vorstreckend, mit Wenigen in der Vorderreihe der Phalanr.

Da die Römer dies sahen und meinten,

wenn er falle, werde sich die Schlacht gar bald auflösen, traten Alle,

die Muth in sich fühlten, und ihrer waren Viele, zusammen, drängten heran mit ihren Speeren und setzten ihm zu mit Wurfpfeilen.

Er

dagegen, hinter seinem Schilde verborgen, fing alle Speere mit diesem auf, stürzte dann plötzlich hervor mrd erlegte Viele, und wenn er sah, daß sein Schild von eingcdrungenen Speeren starrte, gab er eö an einen seiner Schildträger und irahm ein anderes.

Also war der dritte

Theil des Tages verflossen, und in seinem Schilde steckten eingesenkt

zwölf Speere, so, daß er es weder nach Gefallen zu bewegen, noch

die Eindringenden abzuwehren vermochte.

Er rief daher einen seiner

Schildträger wiederholt, ohne jedoch auch nur einen Finger breit aus der Reihe zll weichen, oder sich zurückzuziehen, oder die Feinde vor­

schreiten zu lassen. das Schild

Ja eö fehlte soviel, daß er sich gewendet, oder

auf den

Rücken

geworfen,

oder

sich

seitwärts

gedreht

hätte, daß er vielmehr, wie an dem Boden festgeheftet, mit seinem Schilde da stand, tödtend mit der Rechten, abwehrend mit der Linken,

und den Schildträger beim Namen rufend.

Dieser nun brachte endlich

ein neues Schild und Jener vertauschte eö gegen das von Spießen schwere.

Aber während des Wechsels blieb Tejaö Brust einen Augen­

blick unbedeckt, und so geschah es, daß er zufällig von einem Speere

getroffen wurde und aus der Stelle umsank und starb.

Sein Haupt

128

Ostgothe».

steckten hierauf die Römer auf einen Spießschaft und zeigten es, um­ her wagend, beiden'Heeren, den Römern, um sie zu ermuthigen, den

Gothen, damit sie hoffnungslos den Krieg aufgäben.

sich

Diese entzogen

jedoch die Schlacht keinesweges, sondern kämpften bis

Nacht, wiewohl sie wußten, daß ihr König gefallen sei.

in die

Erst als eS

finster ward,

Nennten sich Beide und brachten die Nacht unter den

Waffen zu."

Also endigte mit diesem Tage der Kampf.

Aber am andern Morgen erneuerte er sich mit derselben Erbitterung und dauerte wieder unter wechselseitiger Anstrengung bis in die Nacht

fort: denn die Gothen fühlten, daß sie die letzte Schlacht schlugen, und

die Römer rechneten

es

sich

zur Schande,

besiegt abzuziehen.

Endlich sandten die Erstem einige der angesehensten Männer aus ihrer

Mitte an NarseS und ließen ihm sagen, „sie wären durch den Erfolg hinlänglich überzeugt worden, daß sie sich vergebens gegen ihn und

seine Macht auflehnten.

Darum wollten sie die Waffen niederlegcn,

doch unter der Bedingung, daß sie sich dem Kaiser nicht unterwerfen, sondern mit einigen andern deutschen Völkern nach leben dürften."

sie

eigenen Gesetzen

Zugleich baten sie, ihren Abzug nicht zu stören, und

die Geldsummen,

die Jeder in den Festen Jtalien's niedergelegt

habe, auf die Reise mitnehmen zu lassen.

Als Narseö dies Gesuch vor seine Mitfeldherren brachte, ricth Jo­ hannes, es zu bewilligen und die, so bisher schon als Verzweifelte

gefochten hatten, nicht von Neuem zu verderblicher Wuth aufzureizen. Dem zufolge erhielten die Gothen, unter der Bedingung, daß sie die Waffen nicht wieder gegen den Kaiser tragen wollten, die Erlaubniß,

mit ihrer Habe sogleich aus

ganz Italien abzuziehen, und brachen,

tausend Mann stark, nach Ticinum und den Gegenden über den Po

auf.

Denselben Vertrag gingen auch die sämmtlichen übrigen Gothen

mit Narses ein und bestätigten eidlich den eingegangenen. Von dem einst so zahlreichen Volke der Ostgothen waren etwa noch siebentausend übrig,

tapfere Männer, die

sich einem Hunnen,

vom

Stamme der Utigoren (Uturguren?), Namens Ragnaris, angeschlossen und sammt vieler köstlicher Habe in ein überaus festes, mit allen Be­ dürfnissen reichlich versehenes, Bergschloß, Campsä genannt, geworfen

hatten.

Auch diesen Rest glaubte Narses nicht dulden zu dürfen und

hielt ihn den ganzen Winter hindurch eingeschlosseu, ohne daß jedoch weder er über die Belagerten, noch die Belagerten-über ihn irgend

«nett Vortheil gewannen.

129

Untergang des ostgothischen Reichs.

AlS hierauf der Frühling (zwanzigstes Kriegsjahr 554 und 555) zurückkehrte, schlug Ragnaris eine mündliche Unterredung vor, die so­

fort in der Mitte zwischen dem Bergschlosse und dem feindlichen Lager Statt fand.

Aber der übermüthige Hunne, der Bedingungen anbieten,

nicht annchmen zu dürfen meinte, vereitelte nicht blos alle Ueberein-

kunft, sondern drückte sogar, in der Nähe der Burgmaner angelangt,

einen, wiewohl fehlenden, Pfeil auf Narses ab.

Diese Treulosigkeit

war cs, die der Vertheidigung des Schlosses und mit ihr endlich dem

ganzen zwanzigjährigen Kriege ein Ziel setzte.

Ein geschickter Bogen­

schütze von Narses Gefolge erwiderte den Schuß und traf so glücklich, daß Ragnaris auf den Händen seiner Gefährten in das Schloß ge­

bracht werden mußte und zwei Tage darauf seinen Geist

aufgab.

Mit ihm erstarb in den Gothen der letzte schwache Funke des Muthes.

Ohne längere Gegenwehr zu versuchen, boten sie, unter der Bedingung, daß ihres Lebens geschont werde, dem Narses Ergebung an, erhielten, was sie verlangten, und wurden, um keinen Stoff zu neuer Empö­

rung bestehen zu lassen, nach Byzanz abgeführt.

Hiftor. Lesebuch. II.

9

III. 1

Westgothen.

Zug de* Westgothen «ach Spanien unter Sktanlf u. WaMa. (410—419.) (F.

W.

Lembke.)

Rom, die ewige Stadt, an welcher Hannibal's Heldensinn scheiterte,

war,

von ihrem

Kaiser schimpflich

verlassen,

der

gerechten

Rache

Alarich's, des Königs der Westgothen, welcher zuerst sein Volk aus den östlichen Provinzen des Reiches in die fruchtbaren Gefilde Jtalien's geführt

hatte,

unterlegen.

Zweimal

hatte

er die

Belagerung

der

Stadt gegen ungeheueres Lösegeld aufgehoben, einen Kaiser, Attalus, hatte

er eingesetzt und

als ein ungeschicktes Werkzeug seiner Plane

wieder vom Throne gestoßen; als aber auch dann der in Ravenna

zitternde Honorius keine Bedingungen eines sichern Friedens gewähr­

leisten wollte, zog er zum dritten Male vor Rom, um durch Plün­ derung und Brand sie zu strafen.

Nach hartnäckiger Gegenwehr unter­

lag die Stadt dem Schwerte der Westgothen; in ihr aber war den

Raubzügen Alarich's ein Ziel gesetzt, denn als sein kühner Sinn ihn von Jtalien's Boden über das Meer in einen anderen Welttheil trei­

ben wollte, ereilte ihn der Tod an den Küsten Calabrien's.

Sein

Volk erwählte den ihm verwandten, eben so tapfern, als verständigen, Ataulf zu seinem Nachfolger.

Constantin hatte unterdessen, vom GerontiuS bedrängt, dem Hono­ rius durch eine Gesandtschaft seine Freundschaft angeboten; nur von

den Soldaten gezwungen,

nicht

aus eigenem Antriebe habe er die

Fahne der Empörung aufgesteckt, und er sei bereit-, Gallien von den

umherschweifenden Barbaren zu befreien.

131

Westgothen. — Zug der Westgothen nach Spanien.

Honorius nahm zwar dieses Anerbieten an, allein als er sah, daß Constantin sich selbst kaum gegen den Gerontius vertheidigen konnte, beschloß er durch Absendung eineö bedeutenden Heeres der angemaßten

Herrschaft Beider ein

Ende

zu

Der tapfere Constamtius

machen.

führte dieses Heer nach Gallien uiib zwang den Constantin in Alrles

die Krone niederzulegen; das Leben, welches ihm bei der Uebergabe eidlich zugesichert war, ließ ihm Honorius, den Tod seiner Verwandten,

Didymus und Verinian zu rächen, dennoch nehmen. zu schwach,

Gerontius aber,

allein dem Constantius zu widerstehen und von seinen

eigenen Leuten auf der Flucht feindlich bedroht, zog es vor, sich selbst den Tod zu geben.

fung des Constantin Empörer

in Mainz

Noch hatte des Honorius Feldherr die Unterwer­

nicht vollendet, zum Kaiser

als

in Jovinus,

auSriefen,

ihm

welchen die

ein neuer Gegner

entstand.

Wahrscheinlich

von Attalus

aufgefordert,

sich

mit Jovin zu ver­

einigen, da die Versprechungen deS Honorius nur schwankend waren und nicht erfüllt wurden, vielleicht auch unter dem Vorgeben, diese

Provinz dem Kaiser wieder seine Gothen nach Gallien.

erobern

zu wollen,

führte

Kaum hier angekommen,

Ataulf nun stieß er

auf

seinen Todfeind, den Gothen Sams, welcher, von HonoriuS beleidigt,

dessen Hof verlassen hatte; mit der größten Uebermacht griff er ihn

an und weidete seine Rachsucht an dem Blute des Gefangenen.

Die

beabsichtigte Vereinigung mit Jovin kam nicht zu Stande; dieser, daS

Bündniß

mit dem

Barbaren verschmähend, rief gegen

Ataulss seinen Bruder, Sebastian,

zum Mitkaiser aus.

den Willen

Im Zorn

wandte sich nun Ataulf an Honorius um Frieden und versprach ihm die Köpfe der Empörer; kaum hatte dieser das Bündniß angenommen, so erhielt er den des Sebastian; Jovin gefangen, fiel von der Hand

des kaiserlichen Feldherrn Dardanus. Mit

das

einem großen Entschlüsse kämpfte damals Ataulfis Gemüth:

römische Reich

und

den Namen Rom selbst zu vertilgen,

ein

Gothien an dessen Stelle zu setzen und sich selbst als Gründer dieses Reiches zu verewigen, schien seiner ruhmdürstigen Seele ein würdiger

Gedanke;

als ihm aber die Erfahrung zeigte, daß seine Gothen sich

der Strenge der Gesetze, ohne welche ein wohlgeordneter Staat nicht

denkbar, zu unterwerfen noch abgeneigt waren, zog er eS vor, bei der Nachwelt als Wiederhersteller des so tief gesunkenen römischen Namens

zu gelten.

Ein mächtiger Grund kam hinzu, diese Gesinnung in ihm

9*

Westgothen.

132 zu nähren.

Er liebte Placidien, des Kaisers Schwester, die seit der

.Einnahme Rom'S als die schönste Beute in der Gothen Gewalt war; mußte er nicht ihren Bitten, dein Bruder Frieden zu schenken, nach­

Und dennoch ward gerade sie die Vcranlaffnng zu fernerem

geben?

Denn auch der tapfere Feldherr Constantins, wiewohl un­

Kampfe.

gestalteten Körpers und abschreckenden Ansehens, hatte Ehrgeiz genug,

in Placidien vielleicht eine Stufe zum Throne erblickend,

sein Auge

bis zu ihr zu erheben; ihre Auslieferung ward also bei den Unter­

handlungen dem Ataulf zur Bedingung

gemacht, um dagegen mit

Getreide, woran eS ihm fehlte, hinreichend versehen zu werden.

Keines­

wegs geneigt, für solchen Preis das, was ihm das Theuerste war, herauszugeben,

griff Ataulf vielmehr zu den Waffen und suchte sich

mit List der Stadt Massilia, hoffte, zu bemächtigen.

wo

er große Kornvorräthe zu finden

Der Wachsamkeit des Statthalters BonifaciuS

gelang es, diesen Angriff zurückzuweisen.

Glücklicher war Ataulf bei

Narbonne: siegreich zog er mit seinen Gothen in diese Stadt und be­

kam auch Toulouse und Bordeaur in seine Gewalt.

Nun säumte er

nicht länger, sich mit Placidien, dem Ziel seiner Wünsche, zu ver­

mählen.

Zu Narbonne, im Hause deö Jngenius, ward mit könig­

licher Pracht das

Beilager

vollzogen, zu dessen Verherrlichung der

römische Schattenkaiser Attalus die Hochzcitsgesängc anstimmte. schien

nun durch

die

hochherzige

römische

So

Kaiserstochter die rauhe

Kricgölust in der Brust des nordischen Barbaren erstickt werden zu müssen und in ihr die beste Vermittlerin deö Friedens ausgetreten zu sein, wenn nicht der zurückgesetzte, eifersüchtige Constantius aufs Neue

die Flamme des Krieges angefacht hätte. kleidete

Um ihn zu schrecken, be­

nun Ataulf den AttaluS abermals mit dem Purpur;

allein

unverzagt rückte Constantius gegen den Hauptsitz der Gothen, Narbonne,

vor und zwang die dortige Besatzung, welche »on ihrer Hauptmacht abgeschnitten zu werden fürchtete, diese Stadt zu räumen.

Nachdem

sie noch die blühendsten Städte Aquitanien's geplündert, zog mm die ganze Macht der Westgothen, Attalus in Ataulf's Gefolge, über die

Pyrenäen, nicht als Verbündete der Römer und in der Absicht, die

in Spanien hausenden Barbaren zu bekriegen, sondern von den Römem gedrängt, sich hier eine neue Heimath suchend.

Attalus, von

den Gothen aufgegeben, fiel in die Hände der Römer und erlitt die Strafe seiner Empörung.

Schicksal.

Als

er

Aber

in Barcelona

auch

den Ataulf ereilte bald sein

sich

mit seinem Diener Dobbios,

133

Zug der Westgothen nach Spanien.

dessen

ein gothischer Häuptling, von Ataulfs Hand

früherer Herr,

gefallen wär, vertraulich unterhielt, nahm dieser die Gelegenheit wahr,

ihm den Mordstahl in die Brust zu stoßen.

Sterbend empfahl Ataulf

seinem Bruder, die Placidia an Honorius zurückzugeben und Frieden

Allein Siegerich, des Sarus Bruder, welcher

mit Rom zu halten.

sich gewaltsam an die Spitze der Gothen stellte, suchte den Tod des

Bruders zu rächen: die Kinder Ataulfs aus erster Ehe entriß er dem Bischöfe Sigegar und tödtete sie; die Kaiserstochter Placidia zwang er, dem Ataulf zur Schmach, zu Fuß vor seinem Rosse einherzuschreiten.

Selbst die Gothen empörte dieses Betragen, schon nach sieben Tagen ermordeten sie ihn.

Sein Nachfolger, Wallia, ward

zwar von den

Gothen in der Hoffnung auf den Thron erhoben, daß er sich als un­ versöhnlicher Feind der Römer zeigen werde; allein da er in Spanien

ein weites Feld für seine Kampflust erblickte, so zog er es vor, sich die Römer zu seinen Freunden zu machen. Vorher wollte er jedoch den

Plan

des

großen

Eroberers,

Alarich,

versuchen,

jenseit

deS

Meeres, in Afrika ein neues Reich zu gründen, ausznführen; allein

so wie Jenem der Tod ein Ziel gesetzt hatte, so ward Wallia's Flotte

durch die Stürine der See zurückgewiesen.

Nun zögerte er nicht länger

den von Honorius angeboteneu Frieden einzugehen: Placidien lieferte er

an den Abgesandten Euplatius

aus

und

erhielt dagegen

einen

großen Vorrath an Getreide, zur Verpflegung seines Volks; zugleich bot er dem Kaiser seinen Arm an, um die übrigen Völker, welche sich

Spanien's

bemächtigt

hatten,

Reiche wieder zu. erobern.

zu

unterwerfen und

das

Land dem

Dagegen versprach ihm HonoriuS den Be­

sitz von Aquitanien und einiger umliegenden Gegenden.

Noch ehe Wallia die in Spanien angesiedelten germanischen Völker mit offenem Kriege überzog,

hatte

er durch List einen Fürsten der

Vandalen, Fredibal, gefangen und dem Honorius zur Verherrlichung

seines Triumphes überschickt.

Dann aber, der Freundschaft deS Kai­

sers gewiß, siel er über die einzelnen Völker her, welche, weit entfernt in

fester Vereinigung

ihr Heil zu suchen,

seinen Waffen unterlagen.

nach und nach vereinzelt

Die Silinger in Bätica wurden förmlich

von ihm ausgerottet, und die Alanen, bisher daö mächtigste Volk der Halbinsel, schlug er so, daß, nachdem ihr König Atar in der Schlacht

geblieben war, sie es vorzogen, mit Aufopferung ihrer Unabhängigkeit,

ja ihres Namens, bei den im Westen wohnenden Vandalen Schutz zu suchen und sich dem Könige derselben, Gunderich, z» unterwerfen.

134

Westgsthen.

Nachdem Wallia so einen große» Theil der Halbinsel dem römischen Scepter wieder unterworfen hatte, kehrte er, ohne sich mit den Van­

dalen und Sueven in einen Kamps einzulassen, über die Pyrenäen zu­ rück, um die ihm von Honorius versprochenen Wohnsitze einzunehmen. Diese lagen in der Aquitania secunda und erstreckten sich von Tou­

louse längs der Garonne bis an das Meer.

Kaum aber hatte Wallia

seinen Sitz in Toulouse aufgeschlagen, als der Tod ihn ereilte.

s. Tolofanifches Reich de* Weftgothen. Theoborich I. Thorismund. (419—531.)

Müde, den Römern länger als Werkzeuge der Vernichtung germa­ nischer Völkerstämme zu dienen, vertauschten nun die Westgothen daS Schwert mit der Pflugschaar und suchten durch wohlgeordnete Ein­ richtungen die Blüthe der ihnen angewiesenen Wohnsitze zu befördern.

Nach

Wallia's

erhoben sie

Tode

den

Theodorich,

als

den durch

Eigenschaften des Körpers und der Seele am meisten ausgezeichneten

Mann, auf den Thron.

Bald erhielt er von den Römern die Auf-

fordening, sie auf einem Kriegszuge in Spanien zu unterstützen. Gunderich, König der Vandalen, hatte die Sueven in den Gebirgen

Galläcien's

angegriffen und

ihren König Hermerich

hart bedrängt.

Die in Spanien angesessenen Römer, diese Uneinigkeit der ihnen feind­ lichen Völker benutzend, zogen unter ihrem ComeS Asturius und dem

Vicarius Mauroceüuö gegen die Vandalen, vertrieben sie mit großem Verluste aus Bracara und zwangen sie, sich nach Bätica zu wenden.

Um ihre Niederlage

zu

vollenden,

kam nun der Magister militum

Castinus mit einem großen Heere, worunter auch gothische Verbündete, den Römern zu Hülfe;

durch kluge Anstalten gelang

es

ihm,

die

Vandalen so in die Enge zu treiben, daß sie, von der Gewalt deS

Hungers getrieben, schon bereit waren, sich zu ergeben, als er unvor­ sichtig

genug war,

den Sieg in offener Schlacht den Künsten der

Unterhandlung vorzuziehen; die Vandalen, welche mit dem Muthe der Verzweiflung fochten, schlugen ihn gänzlich, und nur mit einem Ver­

luste von zwanzigtausend Mann gelang es ihm, nach Tarraco zu entkommen. Die Vandalen wußten ihren Sieg zu benutzen; sie plün­

derten Hispalis und Carthago Spartaria, verheerten die balearischen Inseln und richteten dann ihre Blicke nach Mauritanien.

Theodorlchi

fand

Unterdessen

Theodorich

135

ThoriSmund.

die

Gränzen Aquitanien's

Vaterland zu enge; sein Ehrgeiz strebte weiter.

fiir

sein

Da der junge Valen-

tinian lll. der nach des Honorius Tode im Reiche ausbrechenden Ver­

wirrung nicht Meister werden konnte, ergriff endlich Theodorich die Waffen

gegen eben die Römer, hatte.

für welchen sein Vorfahr Provinzen erobert

Er zog über die Rhone,

Städte und legte sich vor Arles. rückte

AötiuS,

der

kaiserliche

nahm den Römern

mehrere kleine

Diesen wichtigen Platz zu entsetzen,

Befehlshaber

in Gallien,

mit großer

Macht herbei und zwang die Gothen, mit bedeutendem Verluste die Belagerung aufzuheben.

Spanien

ward

hierauf

der

Schauplatz

wichtiger

Begebenheiten.

Der Vandalenkönig Gunderich hatte kaum HispaliS eingenommen und

die dortige Geistlichkeit hart bedrückt, als ihn der Tod ereilte.

Sein

Nachfolger, Geiserich, erhielt von dem beleidigten Statthalter Afrikas, Bonifacius, die Einladung zu ihm über das Meer zu kommen und sich mit ihm in das Land zu theilen.

Willkommen war dieses An­

erbieten dem Geiserich; als er aber eben sein Volk versammelte und

sich zum Einschiffen bereit machte, fielen schon die Sueven unter Hermiar in die von ihm ausgegebenen Provinzen.

Rasch wandte er sich,

ereilte bei Eremita die Macht der Sueven und schlug sie aufs Haupt;

Hermiar selbst ertrank auf der Flucht in dem Flusse Anas.

Darauf

schiffte sich Geiserich mit seinem ganzen Volke, wozu noch eine Menge

Alanen und Gothen stießen, ein, zog über die Meerenge nach Afrika und ward dort bald Stifter eines mächtigen Reiches. Die Weftgothen suchten die

Abwesenheit des

gefiirchteten Aötius,

welcher gegen die Franken an den Rhein gezogen war,

zu benutzen

und machten einen zweiten Versuch gegen ArleS; allein er war nicht

glücklicher,

als der erste.

Atztius eilte herbei, schlug sie und nahm

ihren Anführer, Anauls gefangen. Der Ruf von den Thaten des Aetius war bis zu den Einwohnern Galläcien's gedrungen; müde der unaufhörlichen Bedrückungen der Sueven,

welche ihre Verträge

nur schlossen, um sie wieder zu brechen, schickten sie an ihn eine Ge­ sandtschaft um Hülfe; mit ihr den Bischof Jdatius, welcher die Be­

gebenheiten damaliger Zeit uns ausgezeichnet hat. Bitten Gehör und ließ durch

Ruhe ermahnen.

Aötius gab ihren

den Comes Cäsarius die Sueven zur

Diesem und der Vermittlung einiger Bischöfe gelang

eS, auch den Hermerich zu bewegen, den lange gemißhandelten Galläciern einen dauernden Frieden zu geben.

136

Westgothen.

Schon seit längerer Zeit waren die römischen Kaiser gewohnt, in ihren tapfersten Feldherren ßch die gefährlichsten Gegner entstehen zu sehen; in die Weichlichkeit ihres Hofes versunken, zitterten sie oft mehr

vor den Siegen ihrer Diener, als vor den drohendsten Angriffen feind­

licher Völker.

Selbst Placidien's Seele war nicht

frei von solcher

Furcht, und in der That schienen in dem Aötius Eigenschaften ver­

einigt zu sein, welche dem Reiche gefährlich werden konnten: die Siege, welche er so leicht erfocht, seine Verbindungen mit den Barbaren, das

unbedingte Zutrauen, welches die Truppen ihm schenkten, machten ihn

verdächtig.

Um gegen ihn ein Gleichgewicht aufzustellen, rief Placidia

eben den Bonifacius, welchen Aötius früher seinem Ehrgeize anfgeopfert

hatte, nach Rom zurück und bekleidete ihn mit den höchsten StaatSwürden.

Seinem Gegner zuvorzukommcn, griff AötinS zu den Waffen;

es kam zu einer Schlacht, in welcher er zwar besiegt, Bonifacius aber so verwundet ward, daß er den Sieg mit dem Tode bezahlte.

AötiuS flüchtete zu seinen alten Freunden,

den Hunnen;

sie ge­

währten ihm gastliche Ausnahme und bedrohten unter seiner Leitung

die Gränzen Jtalien's.

Der zaghafte Kaiser, unvermögend Widerstand

zu leisten, rief gerade die Westgothen zu Hülfe, als AötinS seine Ge­ sinnungen änderte, sich mit Valeutinian auSsöhnte und wieder, mit den

höchsten Ehrenstellen bekleidet, das hunnische Heer sogar in römischen

Sold gab.

AIS nun Aötius seine Waffen gegen die im nördlichen

Gallien sich empörenden Landbewohner wandte, suchte Theodorich aber­ mals

erweitern.

diese Gelegenheit zu benutzen, um seine Macht zu

Er zog vor Narboune und setzte dieser Stadt hart zu; als aber die Einwohner nach einem langen, tapfern Widerstande, durch die äußerste

Hungersnoth gepeinigt, an die Uebcrgabe dachten, gelang es dem rö­ mischen Feldherrn Litorius

und dadurch

herbeizueilen und

treiben.

den Platz

den Fall desselben

mit Lebensmitteln

zu verhindern.

Avtius

zu

versehen

hatte Zeit

mit seinem gewohnten Glücke die Gothen zu ver­

LitoriuS, übermüthig durch seinen ersten Sieg und von einem

hunnischen Hnlfsheer unterstützt, glaubte nun der Macht der West­

gothen ein Ende machen zu können; dazu kam seine Begierde, den

Ruhm des Aötius,

unter dessen Befehlen er stand,

zn verdunkeln.

Er legte sich also vor Toulouse, wohin die Gothen sich zurückgezogen hatten; diese, durch die erlittenen Niederlagen entmuthigt, baten um

Frieden; als ihnen dieser verweigert ward, suchten sie durch die Vor-

stellungeit ihrer Bischöfe das Gemüth des Litorius zn erweichen.

Vcr-

137

Theodorich. Thorismund.

gebens; nur Gottes Hülfe schien den Gothen noch übrig, und wäh­

rend Theodorich Tag und Nacht des Höchsten Beistand erflehte, glaubte LitorinS, irr heidnischem Aberglauben befangen, durch die Angaben seiner

Wahrsager, getäuscht, die rechte Stunde des

Sieges sei gekommen.

Er unternahm den Sturm; allein die Gothen durch ihren Glauben

begeistert, stürzten sich mit der größten Wuth ans die Angreifenden, brachten die Hunnen zum Weichen, und Litorius, welcher als Sieger

in Toulouse einzuziehen gehofft hatte, fiel verwundet den Gothen in die Hände und ward von ihnen getödtet.

Die Niederlage der Römer war so bedeutend, daß dem Theodorich' jetzt das Land bis an die Rhone offen stand.

Die Städte, von rö­

mischen Besatzungen entblößt, nahmen ohne Scheu die Westgothcn auf;

die Gefahr

ward immer dringender für Rom,

als

es endlich dem

Präfeetus Prätorio von Gallien Avitns gelang durch seine Vorstellungen und zugestandenen günstigen Bedingungen den Frieden, wieder herzu­ stellen. Auch die pyrcnäische Halbinsel war noch immer der Schauplatz von Kämpfen zwischen Römern und den eingewanderten germanischen Völ­ kern.

Nachdem aber, wie gemeldet, die Vandalen Spanien verlassen,

nahm das Reich der Sueven an Kraft und Umfang z».

Hermcrich,

von den Beschwerden des Alterö niedergedrückt, ernannte seinen Sohn, Rechila, zum König; die erste That der Regierung desselben war ein

glänzender Sieg am Flusse Singilio (senil) in Bätiea über den rö­ mischen Befehlshaber Andevotus; reiche Beute und die Einnahme von

Emerita waren die Früchte dieses Sieges.

Nach Hermerich's Tode

nahm Rechila auch Hispalis ein und vereinigte endlich ganz Bälica

und die karthaginensische Provinz mit seinem Reiche.

noch

verbliebene

Theil

der Halbinsel

Der den Römern

war unterdessen

dem

größten

Elende Preis gegeben; die Einwohner, von den Römern durch die

unerschwinglichsten Lasten ausgesogen, ohne doch gegen die Angriffe der Barbaren vertheidigt zu werden, erhoben sich unter dem Namen der

Baganden

gegen

ihre

angeblicheir Schutzherren mit dem Muthe der

Verzweiflung; doch gelang es dem dux utriusque mijitiac Astunus,

sie in der tarraconensischen Provinz zu unterdrücken, und später mußten auch die in den Gebirgen sich erhebenden Aracellitaner der Uebermacht des Merobaudiö unterliegen.

Ihn die römische Herrschaft wieder in Spanien zu befestige», ward der magister utriusque militiae Vitus mit einem ansehnlichen Heere

138

Westgothen.

und gothischer Hülfsmacht gegen die Sueven

gesandt;

allein

diese

fielen über ihn her, schlugen ihn in die Flucht und verheerten nun daS Land durch neue Plünderungen. der Sueven,

König

Sohn,

Rechiar,

in

zum

Emerita

sich

noch

war,

bekannte

katholischen Glauben und bestieg,

geheime Nebenbuhler zu haben,

wies

Als Rechila, der letzte heidnische

gestorben

sein

Das Christenthum be­

den Thron.

nicht in seiner Kraft,

sich

nicht ohne

die Sitten der Barbaren zu

mildern, gewährte aber dem Rechiar den Vortheil, sich um die Hand

der Tochter des Westgothen Theodorich bewerben zu dürfen;

ihm nicht versagt ward, griff er,

da sie

der gothischen Freundschaft gewiß,

die römischen Provinzen Spanien's an und verheerte zuerst Vasconien; dann zog er, das Band

der Freundschaft

zu

befestigen, zu seinem

Schwiegervater nach Toulouse und plünderte auf seiner Rückkehr, mit Hülfe der Gothen, die Gegenden von Cäsaraugusta, Jlerda und an­

dere Städte der tarraconcnsischen Provinz.

Eine andere Tochter hatte

Theodorich dem Sohne des Vandalenköniges Genserich vermählt; der Barbar aber, im Argwohn, von seiner Schwiegertochter vergiftet jh werden, befangen, sandte sie schmählich verstümmelt dem Vater zurück.

Da er nun fürchtete, daß dieser, seine Tochter zu rächen, sich mit den Römern gegen ihn vereinigen möchte, so suchte er einen Feind gegen

ihn zu erregen, welcher mächtig genug wäre, um ihn in Gallien fest­ zuhalten.

Nichts konnte ihm daher erwünschter sein, als die Nach­

richt, daß der furchtbare Attila, welcher die ganze Macht der Hunnen

und mehrer gothischen und deutschen Völkerstämme unter sich vereinigte,

die Gränzen seiner Herrschaft noch zu erweitern strebte.

Durch Ge­

sandte und reiche Geschenke suchte er den Ehrgeiz Attila's gegen die Westgothen zu lenken; und dieser, welcher seinen Blick schon auf die Abendländer gerichtet hatte, stand nicht

Vandalen Folge zu leisten.

an,

der Aufforderung

deö

Eben so hinterlistig, als tapfer, versuchte

er aber vorher die Westgothen mit den Römern zu entzweien, damit sie nicht ihre Waffen gegen ihn vereinigen möchten.

Dem Valentinian

ließ er melden, er bringe dem Reiche keine Gefahr, sondern Vernich­

tung den Gothen, den Kaiser bäte er um Freundschaft.

Den Theo­

dorich dagegen mahnte er der von den Römern erlittenen Niederlagen eingedenk zu sein und ihrem Bündnisse zu entsagen.

Allein Valentinian,

gewohnt, selbst mit ähnlichen Künsten der List zu fechten, traute den

glatten Worten des Hunnen nicht, sondern forderte den Theodorich zu

kräftigem Beistände

auf.

Dieser erwiderte:

„Dein Feind ist unser

139

Theodorich. Thorismund.

Feind; wohin er sich wendet, werden wir ihm entgegcnziehen; je mehr er durch Siege aufgeblasen ist, je erwünschter ist meinem Volke der Kampf mit ihm."

Seinen Willen durch die That zu unterstützen,

sammelte Theodorich ein zahlreiches Heer und zog in Begleitung feiner beiden ältesten Söhne Thorismund und Theodorich dem AvtiuS, welcher

seinerseits ebenfalls mit starker Macht heranrückte, zu Hülfe.

Attila

war mit fünfhunderttausend Mann bereits in Gallien eingefallen und bis Orleans vorgedrungen, als er/ im Begriff über die Loire zu gehen,

die Nachricht von der Vereinigung der westgothischen und römischen Heere erhielt.

Diese war durch die Bemühungen des Avitus so be­

schleunigt worden, daß sie noch zu rechter Zeit ankamen, um Orleans zu entsetzen.

Attila ging hierauf zurück und rüstete sich in den cata-

launischen Feldern zur Schlacht.

Germanische Völker sehen wir hier

aus beiden Seiten feindlich gegenüber stehen und darum kämpfen, ob hunnische Barbarei siegen oder das römische Reich noch einmal vom

Untergange gerettet werden sollte; in jedem Falle schienen die Ger­ manen selbst die Beute des Siegers werden zu müssen. Nicht mit dem gewohnten Muthe entschloß sich Attila zum Kampfe, sondern durch das erste Mißlingen zaghaft und durch die üblen Vor­

bedeutungen

seiner Wahrsager

so

ängstlich

gemacht,

daß

er

das

Treffen erst um drei Uhr Nachmittags begann, damit,- wenn er nicht

siege, die bald einbrechende Dunkelheit der Schlacht ein Ende machen möge.

Die Lage der Wahlstatt war folgende: in der Mitte einer

großen Ebene eine Anhöhe, deren Besitz für den Gewinn der Schlacht entscheidend,

und deren rechter Abhang

von den Römern und Westgothen

von den Hunnen,

besetzt war.

der linke

Attila hatte seine

Macht so geordnet, daß seine Hülfsvölker, Oftgothen und Gepiden,

auf beiden Flügeln waren, er selbst aber mit dem Kerne seines Heeres das Ganze von der Mitte aus lenkte; bei den Römern stand Aetius

auf dem linken,

Theodorich mit seinen Westgothen auf dem rechten

Flügel, so daß sie den verdächtigen König der Alanen, Sangiban, in ihrer Mitte hatten.

Als

nun beide Heere

gegen

einander rückten,

gelang es dem Thorismund und Aötiuö vor der Ankunft der Hunnen den Gipfel jener Anhöhe zu

Standpunkt zu gewinnen.

besetzen und sich dadurch einen sichern

Attila, der die Seinigen schwanken sieht,

ermuthigt sie durch Anreden, auf die Westgothen und Alanen zuerst

sich zu stürzen; ein Kampf entsteht, wie Jahrhunderte ihn nicht ge­ sehen, Mann gegen Mann wird gefochten, Tapferkeit, nicht Kriegs-

Westgothen.

140

kunst entscheidet, und das Blut-fließt in Strömen.

Theodorich, v>om

Ungestüm seines Muthes hingerissen, fällt einer der Ersten, ungewiß,

ob mit dem Pferde gestürzt und in der Hitze des Gewühls von Len

©einigen zertreten, oder ob vom Pfeile des Ostgothen Andages erlegt;

die Westgothen aber, weit entfernt, hierdurch entmuthigt zu werden,

setzen

mit

verdoppeltem

Feuer

den

Kampf

fort und

zwingen Len

Attila, sich in sein durch eine Wagenburg gedecktes, festes Lager zu­

rückzuziehen.

Rur die Nacht setzte dem Blutvergießen Schranken; d>enn

als Thorismund in der Dunkelheit von der Höhe herab seine eigenen

Schaaren aufsuchte, stieß er unversehens auf das Lager des Feindes und ward, am Haupt verwundet, kaum von den ©einigen gerettet.

Aötius, welcher die Gothen aufsnchcnd, sich ebenfalls unter die Feinde verirrte, beschloß nun bis zum Anbruch deö Tages den Kampf cruszusetzen.

Als aber der folgende Morgen das mit unzähligen Leichen

bedeckte Schlachtfeld beleuchtete,

und

ans

Attila

seiner Wagenburg

nicht hervorzubrechen wagte, schrieb sich Avtiuö den Sieg zu.

Diesen

zu vollenden, beschlossen die Gothen mit den Romern den Attila in

seiner

Verschanzung

auszuhungcrn;

allein

er

hatte schon aus

den

Sätteln seiner Rosse einen Scheiterhaufen errichten lassen, um, falls

er unterliege, lieber sich selbst in die Flammen zu stürzen, als von der Hand seiner Todfeinde z» fallen, oder ihnen den Triumph seiner Ge­

fangenschaft zu gönnen.

Während er so den AuSgang seines Schick­

sals erwartete, erscholl das westgothische Lager von dumpfen Klage­

liedern um den gefallenen König, dessen Leichnam unter dem dicksten Haufen der Erschlagenen gefunden worden war.

Eingedenk der Ver­

dienste des Vaters und der Tapferkeit deS Sohnes riefen die Gothen sogleich den Thorismund zum Könige aus; dieser sorgte nicht nur für eine würdige Todtenfeier seines Vaters, sondern beschloß auch an den Ueberresten der Hunnen den Untergang desselben

zu rächen.

Allein

das Schicksal hatte beschlossen in dem Attila noch eine Geißel für die entarteten Römer zu erhalten.

Aetius, welcher die Macht der Huiinen

nun hinreichend gedemüthigt glaubte, fürchtete in den siegreichen West­

gothen einen Feind entstehen zu sehen, welchem die wankende Macht

Roms nicht mehr gewachsen sein würde.

Als ihn Thorismund zu

erneuertem Angriff gegen die Hunnen anfforderte, wies er ihn in seine Heimath zurück: nach Toulouse möge er eilen, bevor seine Brüder, in deren Händen die väterlichen Schätze, ihm den kaum bestiegenen Thron streitig machen könnten.

Rasch zog Thorismund in seine Hauptstadt,

Theodorich.

und

141

Thorismund.

mit Erstaunen gewahrte Attila den Abzug des Feindes;

dem

Aetius aber gereichte die allzu große Vorsicht zum Verderben, einen neuen schweren Kampf hatte er mit den Hunnen zu bestehen, die blü­

hendsten Städte Jtalien's wurden

eine Beute Attila's, doch

wagte

dieser es nicht, die Mauern der ewigen Stadt zu überschreiten, sondern

zog wieder nach

Gallien und

wandte eben seine Waffen gegen die

Alanen, als Thorismund diesen zu Hülfe eilte.

Durch einen zweiten

glänzenden Sieg nöthigte er den Attila, den Rückzug in seine Länder

anzutreten. Thorismund ward von seinen eignen Brüdern ermordet, von denen der eine Theodorich II. den Thron bestieg, unter dessen Regierung die

Westgothen nicht geringen Einfluß auf die Verhältnisse des römischen Nicht minder glücklich war Theodvrich gegen die

Reichs ausübten.

Sueven, welche in der Schlacht bei Paramo fast gänzlich von ihm aufgeriebcn wurden.

Mit der Abnahme des suevischen Reichs und

dem nahen Untergange des weströmischen Reichs erreichten die West­ gothen unter Eurich, welcher seinen Bruder Theodorich ermordet, zur

höchsten Blüthe.

Obgleich ebenfalls ein Brudermörder, machie er sich

so berühmt, daß aus den entferntesten Gegenden Gesandte ankamen, um ihm die Huldigungen ihrer Könige darzubringen.

Fast der einzige

westgothische König fand er einen friedlichen Tod in der Mitte der Seinen.

Sein Sohn, Alarich, war ein weichlicher und dem Kriege ab­

geneigter Fürst.

Er verwickelte sich sehr bald mit dem Fraakenkönig

Chlodwig, von dessen eigner Hand er in der Schlacht bei Poitiers fiel und Krone und Leben verlor.

Gallien aufgelöst.

Die westgothische Herrschaft ward in

Der fünfjährige Amalrich, der Sohn des Alarich,

war den schwierigen Umständen nicht gewachsen.

Gesalich, ein natür­

licher Sohn Alarich's, betrat den schwankenden Thron.

Er hatte nur

die. Schwächen des Vaters geerbt, kriegerischer Muth und Ehrgefühl man­

gelten ihm völlig.

Auf der einen Seite ward er von Chlodwig, aus der

andern von dem Ostgothenkönig Theodorich bedrängt, welcher Letztere ein zahlreiches Heer unter Anführung deö Jbbas sandte.

Feige ent­

floh Gesalich nach Afrika zum Vandalenkönig Thrasamnnd.

Zurück­

gekehrt, wurde er von JbbaS (511) gänzlich geschlagen und getödtet. Amalrich, der rechtmäßige Erbe war noch immer in den Jahren der Kindheit. Theodorich, sem Großvater, ließ daher die westgothischen

Besitzungen in seinem Namen regieren.

Spanien hatte er unter die

Obhut des Ostgochen Theudes gestellt und ihm die Erziehung seines

142

Wrstgothen.

Enkels Amalrich aufgetragen.

Unterdessen starb Theodorich.- Die bei­

den Enkel Athalrich und Amalrich theilten sich, jener erhielt diesseit der

Rhone, dieser die jenseits gelegenen Besitzungen.

Amalrich vermählte

sich hierauf mit Chlodwig'S Tochter, Clotilde, die, von ihrem Gemahl

in der Ausübung der katholischen Religion behindert und gemißhandelt, nach Frankreich schickte und ihre Brüder um Hülfe aufforderte. Chil-

dibert erscheint, es kommt zur Schlacht und Amalrich wird geschlagen und getödtet. Jetzt war die Macht des westgothischen Reichs in Gal­ lien gebrochen. Sie konnten nicht länger mehr ihren Hauptfitz be­ haupten und suchten nun Schutz und eine bleibende Stadt jenseit der

Pyrenäen.

3. Meftgothifche Monarchie in Spanien. (569—586) Bei der Thronfolge fielen von nun an die Rechte der Erblichkeit

weg.

Die ersten Könige waren Theudes, ein Ausländer, Theudegisel,

Agita und Athanagild, der letzte von diesen Vieren der Einzige, der

eineö natürlichen Todeö starb. Nach fünfmonatlicher Wahl folgte Liuva, welcher sich schon nach einem Jahr zu schwach fühlte und die Herrschaft mit seinem Bruder Leuwigild theilte.

Er selbst behielt sich

das narbonensische Gallien vor und überließ dem Leuwigild die spa­ nischen Provinzen. Dieser vermählte sich mit Athanagild'S Wittwe

Goswinde und suchte die Macht der Gothen, welche von innern Spal­

tungen und äußern Feinden bedroht war, durch kraftvolle Anstrengungen in ihrer Blüthe zu erhalten. Zuerst zog er gegen die Griechen, welche

an den Küsten der Halbinsel noch immer Besitzungen hatten; er ver­ trieb sie aus den Gegenden von Bastania (Baza) und Malaca und

nahm dann die stark befestigte Stadt Assidona durch Verrath des Framidaneus; von hier rückte er vor Corduba, welches sich empört hatte, züchtigte die Einwohner, und unterwarf eine Menge von Städten und Schlössern dem gothischen Scepter.

Als endlich Liuva starb, ver­

einigte er als Alleinherrscher das gothische Gallien mit dem gothischen Spanien und wandte sich dann mit erneuerter Kraft gegen die Feinde, welche noch innerhalb der Gränzen Hispanien's der Ausdehnung seiner Monarchie sich wiedersetzten. Zuerst zog er in den Norden Spanien'S,

unterwarf die stets auftührerischen Gebirgsbewohner Cantabrien's, nahm ihre Veste Amaia und machte sich dadurch zum Herrn des LandeS; dann drang er in die aregensischen Gebirge ein, gegen einen bisher

Westgothische Monarchie in Spanien.

143

unabhängigen Herrn dieser Gegend, Aspidius, nahm ihn nebst Weib und Kindern gefangen und unterwarf die ganze Gegend seinem Scepter.

Dann unternahm er einen Streifzug gegen Galläcien und zwang den

König der Sueven, Miro, welcher seit dem Jahre 571 den Thron bestiegen hatte, ihn um einen Waffenstillstand zu bitten. Mit gleichem Glücke nahm er Orospeda ein und nnterwarf die dortigen Schlösser und Städte dem Gothenreiche. Damit war denn der innere Friede deS Reiches gegen Aufrührer gesichert, alle Schlupfwinkel, aus denen diese stets aufs Neue wieder hervorbrachen, überwältigt, und dem Leuwigild Muße gegeben, seine Thatkraft auf Befördemng der Wohl­

fahrt seiner Länder zu wenden.

So gründete er in der an Städten

noch armen Provinz Celtiberien eine neue mit Mauern und Vorstädten umgebene Stadt, gab ihr nützliche Vorrechte und nannte sie seinem jungem Sohne Reccared zu Ehren Reccopolis. Um die Thronfolge feinen Söhnen zu sichern, hatte Leuwigild ihnen

schon früher Antheil an der Regierung vergönnt, und um die Bande

mit dem schon verwandten fränkischen Hause nicht erschlaffen zu lassen, bewarb er sich für seinen ältesten Sohn Hermenegild um die Hand der Jngunde, der Tochter Siegbert'ö und Bmnehilden'S; sie ward ihm nicht verweigert, sondern mit reicher Aussteuer nach Toletum ent­ sandt. Aus dieser Verbindung, durch welche Leuwigild daS Glück seines Sohnes zu gründen hoffte, entsprang ihm eine Quelle mannig­ facher Widerwärtigkeiten. Die Flamme deö gegenseitigen Hasses zwischen Arianeril und Katholiken war noch nicht erloschen, sie ward vielmehr

durch des Königs Gemahlin, die eifrige Arianerin Goswinde, auf das Heftigste angefacht.

Als die katholische Schwiegertochter am gothischen

Hofe angelangt war, versuchte Goswinde anfangs Schmeicheleien und

Bitten, dann Drohungen und zuletzt die schändlichsten Gewaltthaten, nm sie zur Annahme deö arianischen Glaubens zu bewegen;

allein diese Mittel dienten nur dazu, die Jngunde in der Anhänglichkeit an ihre Ueberzeugung zu bestärken.

Um den häuslichen Frieden wieder

herzustellen und die Schwiegertochter vor Mißhandlungen zu sichern, wied Leuwigild dem Hermenegild einen vom Sitze des Hofes entfernten Aufenthaltsort, Wie eö scheint HispaliS, an. Hier aber machten theils die Ueberredungen der geliebten Gattin, theils die Ermahnungen und

das Beispiel des katholischen Bischofes von Hispalis, Leander, einen solchen Eindruck auf das Gemüth Hermenegild'S, daß er seinen ariani­

schen Glauben abschwor und zur katholischen Kirche übertrat.

Nicht

144

Westgothen.

die Ueberzeugung allein von der Rechtgläubigkeit des neuen Bekennt­

nisses bewog ihn, diesen Schritt zu thun, sondern auch die Aussicht, an der Spitze der so zahlreichen katholischen Partei sich den Weg zum Throne zu bahnen; diese Vermuthung liegt nicht nur in der Natur der Dinge, der Gang der Ereignisse bestätigt sie auch; die katholischen

Unterthanen, deren Leidenschaften der Ketzer Leuwigild gegen sich auf­ reizte, waren seine natürlichen Bundesgenossen.

Da Hermencgild er­

kannte, daß seine eigene Kraft nicht ausrciche, um den Zorn seines

Vaters

zu

widerstehen,

so

verband

er

sich

mit den rechtgläubigen

Griechen, welche noch in Spanien sich erhielten, und steckte dann die Fahne des Aufruhrs auf.

Als die Nachricht dieser Begebenheit nach Toletum kam, entbrannte Leuwigild's den Katholiken ohnehin abgeneigtes Gemüth im gerechten

Zorn über den doppelten Abfall des Sohnes vom Glauben und Ge­ horsam.

Da er in der Bekehrungssucht der katholischen Geistlichkeit

die Quelle alles Uebels zuerst

gegen diese:

getödtet und die Güter

Agde, Fronimius,

erblickte,

so

wandten sich seine Maßregeln

Einige wurden verbannt,

Andere eingesperrt,

der Kirchen eingezogen.

welcher die Jngunde

bei

ja

Den Bischof von

ihrer Durchreise nach

Spanien in ihrem katholischen Glauben bestärkt hatte, suchte er sogar

durch Meuchelmord aus dem Wege zu räumen, doch gelang es dem Prälaten zu entkommen.

Den Bischof von Hispalis, Leander, welchem

die Bekehrung Hermenegild'S vorzüglich beigemessen wurde,

traf das

LooS der Verbannung; um auch in ihr seinen Glaubensgenossen nütz­

lich sein zu können, ging er nach Constantinopel und sprach den.Kaiser

Tiberius um Hülse an.

Auch die Bischöfe Massona

von Emerita,

Fulgentius von Astigi, Lieinian von Neu-Karthago wurden mißhandelt

und aus ihren Sprengeln vertrieben.

Da Leuwigild aber gewahrte,

daß die Strenge, mit welcher er verfuhr, nur dazu diente, den Eifer

der Katholiken, welche nach

dem Märtyrcrthum strebten, noch mehr

anzufeuern, so beschloß er durch sanftere Mittel eine Aussöhnung Heiden

Parteien

herbeizuführen.

Er berief deshalb eine Versammlung

aller!

arianischcn Bischöfe nach Toletum und stellte ihnen vor, daß die Ka-l

tholiken vorzüglich durch die Ceremonie einer abermaligen Taufe vonj dem Uebertritte zum Arianismus abgeschreckt würden; diese ward also!

für die Zukunft abgestellt und durch diese Nachgiebigkeit eine Menge!

Katholiken, welche zeitliche Vortheile der Hoffnung ewiger Wohlfahrti

vorzogcn, zur Abschwörung ihres Glaubens bewogen.

Allein ein reines!

Westgothische Monarchie in Spanien.

145

Verhältniß konnte nie entstehen; der unterliegenden Partei blieben nur die Waffen der List und der heimlichen, aber Kräfte sammelnden Aus­ dauer gegen den Unterdrücker; die Gemüther blieben feindlich; nur die Furcht, nicht Ueberzeugung bewirkte Ünterthänigkeit.

Nachdem Lenwigild noch einen Theil von Vasconien erobert und

dort eine Stadt, Victoriacum

genannt, angelegt hatte, versuchte er

anfangs durch Ueberredung den Sohn zum väterlichen Glauben und

zur Kindespflicht zurückzuführen;

als dieser aber hartnäckig jeden Vor­

schlag zurückwies, sammelte er ein Heer und zog gegen ihn.

Zuerst entriß er ihm die Stadt Emerita und wandte sich dann mit bedeuten­

der Macht gegen Hispalis, um hier den aufrührerischen Sohn mit harter Belagerung zu bedrängen. Als er aber auf dem Wege dahin

war, ereilte ihn die Kunde von dem Einbruch der fränkischen Könige Chilperich und Childebert in das gothische Gallien; denn es fand sich stets Gelegenheit und Vorwand zu Erneuerung des Krieges, sobald der Friede den Franken lästig ward; diesmal geschah eö, um Jiigundens erlittenes Unbill zu rächen. Leuwigild erkannte die ihm drohende Gefahr; sie abzuwenden schickte er an Chilperich Gesandte, um für seinen jüngern Sohn Reccared die Hand Rigunthrns, der Tochter dcS Frankenkönigcs, zu erhalten. Während diese unterhandelten, setzte er aber die Belagerung von Hispalis mit dem größten Eifer fort. Zwei Jahre kämpfte Hermencgild um den kleinen Raum, auf den er be­ schränkt war; keine Hülfe erschien, denn Miro, der König der Sueven, sein Glaubensgenosse, eilte zwar herbei, um ihm beizustehen, ward aber von Leuwigild zur Unterwerfung und zum Rückzüge gezwungen. Um der Belagerung mehr Nachdruck zu geben, schnitt Leuwigild der Stadt das Wasser ab und stellte die Befestigungen der alten Italic« wieder her. Hunger machte endlich jeden Widerstand unmöglich; die Stadt mußte sich ergeben, doch gelang eS dem Sohne nach Corduba

zu entkommen.

Hier dachte er mit Unterstützung der Oströmer sich

aufs Neue gegen seinen Vater setzen zu. können, allein die entarteten Griechen verleugneten ihren Charakter nicht: Geld galt ihnen mehr, als Bundestreue; für dreißigtausend Solidi verriethen sie den Sohn an den Vater.

Von den Menschen verlassen, suchte Hermenegild

Schutz in dem Heiligthume einer benachbarten Kirche; von hier aus sandte er zum Vater, seine Gnade zu erflehen. Dann, als sein Bruder Reccared im Namen des Königs geschworen, es solle ihm kein Leides Histor. Lesebuch. II.



10

146

Westgothen.

widerfahren, verließ er seinen Zufluchtsort und warf sich dem. Bater

zu Füßen. Dieser, den menschlichen Gefühlen der Kindesliebe nach­ gebend, schloß ihn in seine Arme, darauf aber, seiner königlichen Pflichten gegen den Aufrührer eingedenk, ließ er ihn die fürstlichen Gewänder ablegen und wies ihm Valentia als Verbannungsort an. Unterdessen zogen Gesandte hin und her und unterhandelten über die Vermählung Reccared'S und RigunthenS; endlich ward sie

den

gothischen Bevollmächtigten übergeben und mit einer reichen Braut­ gabe ausgestattet; dann trat sie in zahlreicher Begleitung gewaffneter Männer und nach schmerzlichem Abschiede von den Eltern die Reise nach Spanien an. Böse Zeichen bei der Abreise deuteten auf eine trübe Zukunft: schon in der ersten Nacht ward der Zug von Räubern überfallen und ein großer Theil der Schätze hinweggeschleppt; als sie

unter verstärkter Bedeckung glücklich bis Toulouse gekommen war, er­ eilte sie hier die Trauerbotschaft von der Ermordung ihres Vaters. Ihre Begleiter, welche nun ungestraft die schutzlose Jungfrau berauben zu können glaubten, entflohen mit ihren Schätzen; nur nach lange er­ duldeten Beschimpfungen und Mißhandlungen gelang cs ihr, zu ihrer Mutter in die Heimath zurückzukehren. Dem Anscheine nach hatten zwar Leuwigild und Hermenegild sich

versöhnt, allein das Mißtrauen war nicht verschwunden mit der Aus­ söhnung; immer blieb der Sohn dem Vater verdächtig, zumal da er Valentin verließ, vielleicht in der Hoffnung, zu seinen Verwandten und Glaubensgenossen nach Gallien entkommen zu können. In Tar­ ragona ward er von den Leuten seines Vaterö ereilt, gefangen gesetzt

und, als er es verschmähte, aus den Händen eines arianischeu Bischofs die österliche Communion zu nehmen, auf Befehl seines Vaters ent­ hauptet. So büßte er den Aufruhr gegen Vater und König durch die

Standhaftigkeit, welche ihn den Tod durch Henkershand der Verleug­ nung seines für wahr erkannten Glaubens vorziehcn ließ.

Ihn, welchen seine Zeit- und Glaubensgenossen als sträflichen Ausrührer gegen die

väterliche Gewalt verdammen, hat in spätern Zeiten die römische Kirche als heiligen Märtyrer anerkannt. Seine Gemahlin, Jngunde, welche in den Händen der Oströmer war, versuchte nach seinem Tode mit

ihrem unmündigen Sohne Athanagild zu ihren Verwandten nach Gal­

lien zu entkommen; allein an der Gränze des Landes ward sie von

den Griechen eingeholt und nach Constaniinopel eingeschifft.

Auf dem

Westgothische Monarchie iü Spanien.

147

Wege dahin erkrankte sie, ward an das Land gesetzt und starb.

Ihr

Sohn aber ward nach Eonstantinopel geführt und dort von dem Kaiser

Mauritius zurückgehalten.

In dem Reiche der Sueven hatten sich unterdessen wichtige Verän­ derungen zugetragen, welche Leuwigild's ganze Aufmerksamkeit auf sich

ziehen mußten.

welcher ihm Treue angelobt hatte,

Miro,

war im

Jahr 583 gestorben, und sein Sohn Eborich (Eurich) hatte den Thron

bestiegen und dem Leuwigild das Versprechen der Treue und Freund­ schaft erneuert.

Allein schon im folgenden Jahre lehnte'sich Ander«

gegen ihn auf und zwang ihn, das Scepter mit dem Mönchsgewande

zu vertauschen; um seine Herrschaft zu befestigen, nahm der Thron­ räuber Miro's Wittwe, Sisegunde,

der That auf dem Fuße:

zum Weibe.

Die Strafe folgte

die Gelegenheit, dem

Leuwigild erkannte,

Suevenreiche ein Ende zu machen, sei gekommen; er zog nach Gallä-

cien, warf mit leichter Mühe den Andeca von dem kaum bestiegenen Throne,

ließ ihn den geistlichen Stand als Rettungsmittel ergreifen

und vollendete

reiches,

so

die Auflösung

indem er es auf immer

Di« Versuche

des Malarich,

wiederherzustellen,

scheiterten

die

des

bisher unabhängigen Suevcn-

mit dem

westgothische»

vereinigte.

erloschene Herrschaft in Galläcicn

alle an der Wachsamkeit der Feldherrn

Leuwigild's.

HundertundscchSundsiebenzig Jahre (409—585) hatte sich das Reich der

Wechsel des

Sueven unter dem

Gothen

auf der Halbinsel erhalten;

Geschichte verschwunden;

Schicksals

Römer und

gegen

seitdem ist eS spurlos aus der

eigenes Volksthum hatte eö sich im Laufe

seiner beständigen Kämpfe nicht erwerben können. Die Könige der Franken, Childebert und Guntram, über die Miß­

handlungen ihrer Schwester und Nichte Jngunde und über die Hin­ richtung Hermenegild's

aufgebracht und auch

nach dem Besitze des

gothischen Gallien lüstern, beschlossen endlich, den Leuwigild mit Krieg

zu überziehen.

Da aber Childebert durch einen Krieg mit den Longo-

barden in Italien beschäftigt war,

so

eröffnete Guntram

allein den

Feldzug; er beschloß zuerst Septimanien zu erobern, um sich dadurch den Weg in daS Herz der westgothischen Monarchie zu bahnen.

Unter

großen Verheerungen rückte ein Theil vor die Thore der Stadt Nifmes, seinen Feldherrn Terentivlus nahmen die Einwohner von Carcassonne

zwar aus, trieben ihn aber wieder aus der Stadt, tödteten ihn und

schlugen seine Leute

zurück;

auf der Flucht stießen die Franken auf

10*

148

Westgothen.

eine Abtheilung der Toulousaner und wurden von diesen gänzlich aufgerieben. Auch vor Nismes konnten sie Nichts ausrichten, sie hoben die Belagerung auf und begnügten sich, die Gegend ringsum zu ver­

heeren und dann in ihre Staaten zurückzugehen.

Die Nachricht von

der Annäherung eines westgothischen HeereS unter Reccared vollendete die Auslosung der fränkischen Truppen; an den Folgen ihrer eigenen

Verheerungen gingen sie, vom drückendsten Mangel gequält und aller

Lebensmittel ermangelnd, zu Grunde. Siegreich drang Reccared vor, befreite die 'gothische Provinz vom Feinde und fiel in dessen eigenes Gebiet ein;

die festen Schlösser nahm er theils mit Gewalt, theils

durch vertragsmäßige Uebergabe.

Am rühmlichsten war die Einnahme

des am RhodanuS gelegenen sehr festen Platzes Ugernum; die Ein­ wohner wurden geplündert und gefangen hinweggeführt; Reccared ging

dann unter die Mauern von Nismes zurück.

Eine Flotte, welche Guntram in See geschickt hatte, um eine Lan­ dung in Galläcien zu bewerkstelligen, erlitt gleiches Unglück; durch

Leuwigild's Anstalten ward sie gänzlich geschlagen, und nur Wenigen

gelang es mit der traurigen Nachricht in die Heimath zu entkommen. Lcuwigild glaubte den Trotz der Franken genug gebeugt zu haben und sandte Boten an sie um Frieden; allein sie wurden zurückgewiesen; Reccared fiel also aufs Neue verheerend in das fränkische Gebiet ein. Zwei fränkische Feldherren, Desiderius und Austrowald, nickten zwar

gegen Carcassonne vor und schlugen die ihnen aus der Stadt entgegen­ kommenden Gothen; aber während Austrowald sie verfolgte, kam De­ siderius bei einem gegen die Stadt unternommenen Sturme mit allen seinen Leuten um; hierauf ging Austrowald in Guntram's Staaten zurück, und auch Reccared ward durch die Botschaft von dem Tode seines Vaters in die Heimath gerufen.

Denn nachdem Leuwigild sein

Reich auf die höchste Stufe des Glanzes erhoben hatte, verschied er in seinem Pallaste zu Toletum.

Er zuerst war wahrhafter Herr der Halbinsel, deren Einwohner bisher die Gothen als Feinde und Bar­

baren zu betrachten gewohnt waren; dort, wo noch ein Schatten des kaiserlichen Namens die Erinnerung an Rom rege erhalten, und wo noch der w,ehrlose Landbewohner vor suevischen Raubzügen erbebt war, beugte sich jetzt der Ruhe suchende und findende Sinn deS Volkes vor dem gothischen Scepter. Vom Meere zum Meere gehorchte das Land Leuwigild's Befehlen, und nur einige Gegenden der Küste bekannten sich noch dem oströmische» Kaiser unterthänig.

Und mit kräftigem

Westgothische Monarchie in Spanien.

149

Scepter herrschte Leuwigild über die Länder, welche sich ihm unter­

worfen hatten.

Den trotzigen Uebermuth der Großen, welche mit un­

ruhiger Sinnesart stets nach Veränderungen trachteten, wußte er durch

Kraft und, wo es nöthig war, selbst dnrch Härte zu beugen; was er

in den bestehenden Gesetzen Ueberflüssiges oder seinen Absichten nicht Entsprechendes fand, änderte er ab und fügte Neues hinzu.

Auch er­

kannte er, daß die Kraft des Staates vorzüglich durch ein wohlgeord­ netes Finanzsystem erhalten werde; deshalb legte er einen Staatsschatz

an und sorgte für die Quellen ihn zu bereichern.

Leuwigild zuerst bekleidete sich mit dem kostbaren Schmucke königlicher

Pracht und ragte auf hohem Throne über die Menge der versammel­ ten Großen hervor; auch blieb der Eindruck nicht aus, auf welchen

er gerechnet hatte.

Er war seinem Volke ein gewaltiger Herrscher.

Unter seinem Nachfolger Reccared, welcher die katholische Religion annahm, traten auch sehr bald die meisten Unterthanen über.

fünfzehnjährige Regierung war segenreich.

Seine

Ihm folgte Liuva, sein Sohn,

den nach zwei Jahren Witerich mordete.

Dieser, ein Schwelger und

schlechter Regent, wurde sehr bald von Verschworncn getödtet. Sein Nachfolger, Gundemar, hatte nach zweijähriger Regierung daS Glück,

eines natürlichen Todes zu sterben.

Ihm folgte Sisebut, der die Ruc-

conen bekriegte und dem Kaiser HeracliuS FriedenSbedingungeir vor­ Sisebut's Tod erregte allgemeine

schrieb, die derselbe gern einging.

Trauer.

Sein Nachfolger, Reccared II., starb nach wenig Monaten.

Suintila folgte, ein in Krieg und Frieden guter Regent.

Er hieß

Da er seinen Sohn, Ric-

wegen seiner Freigebigkeit Vater der Armen.

cimer, gegen das Staatsgrundgesetz zum Mitregent sich gewählt hatte,

erhoben die Großen den Sisenand, und mit Hülfe der Franken und der Pfaffen erklärten sie den Suintila für des Thrones verlustig.

Sise­

nand regierte fünf Jahre und erhielt den Namen des Geduldigen und

Rechtgläubigen.

Sein

Nachfolger

hieß

Ehintila,

dem

nach

zwei

Jahren Tulga succedirte, welcher sehr bald von Chiudaswinth besei­ tigt wurde, der die Unruhigsten unter den vornehmsten Gothen durch

Hinrichtung unschädlich machte, wodurch endlich dem Lande die lang entbehrte Ruhe zu Theil ward.

Rrceswinth, sein Sohn und Nach­

folger, folgte auf den Wunsch des noch lebenden Vaters. zwanzig Jahre regierte Receswinth.

Dreiund­

Unter den folgenden Königen

Wamba, Erwich, Egika ward daS Reich zerrüttet.

der Westgothen waren Witiza und Roderich.

Die letzten Könige

Witiza soll ein vortrcff-

150

Westgothen.

lichek Regent gewesen sein, obgleich einige Chronikenschreiber gewaltig

über ihn herziehen, daß er am Verfall der Kirchenzucht Schuld habe.

Doch die Ursache des Unterganges der Gothen war Mangel an Ge­ meinsinn und unbändige Herrschsucht der Großen. Wir geben hier nun noch Einiges über die inneren Verhältnisse der

Westgothen.

4. Kirchenzucht und Gottesdienst. Bei Anbruch des Tages und nach Untergang der Sonne begrüßte

man den Herrn durch Gesang und Gebet im Chore; diesen Dienst verrichteten an Wochentagen die Geistlichen abwechselnd, an Sonnund Festtagen aber sämmtlich. Häufiger noch waren in den Klöstern die Zusammenkünfte zum Gebete und Psalmensingcn. Zu Ehren deS Heilandes feierte man einige Feste; das der Auferstehung, als das größte, dauerte drei Tage hindurch, indem man mit dem ersten Sonn­

tage nach dem Vollmonde des Märzeö anfing. Da man aber in der astronomischen Berechnungsart dieses Sonntages von einander abwich, so setzten die Metropolitane jährlich im October den Ostersonntag für das künftige Jahr fest. Vor Ostern beobachtete man ein vierzigtägiges Fasten, und auch an andern bestimmten Tagen enthielt man sich der Fleischspeisen; dann hielt man auch feierliche Umgänge in der Metro­ politankirche, denen alle Priester und Geistliche, welche nicht verhindert waren, beiwohnen mußten; man betete an den Grübern der Märtyrer zu Gott für das Wohl der Kirche, des Königes und des Reiches; die Ausstellung der Gebeine der Heiligen erhöhte die Feierlichkeit und die Andacht der Gläubigen.

Der Hauptbestandtheil des Gottesdienstes war die Feier der Messe. Man betrachtete sie als eine heilige Handlung, in welcher man durch

bestimmte Gebete das Gott darzubringende Opfer weihte, und schrieb ihre Einführung dem heiligen Apostel Petrus zu. Sie bestand auS zwei Theilen, und die Katechumenen mußten nach Beendigung des

ersten die Kirche verlassen, denn nur die wahren Gläubigen durften den Geheimnissen des SacramenteS beiwohnen. In den Kathedral-

und Pfarrkirchen ward täglich Messe gehalten und dabei für daS Wohl des Königes und das Glück seiner Waffen gebetet. So hatte sich die Kirche bei den Westgothen, wie kaum bet einem andern gleichzeitigen Volke, als ein vollkommenes Ganze gestaltet; sie

stand fast unabhängig von dem Einflüsse des Staates da, welcher

151

Staatsverfassung. vielmehr selbst ihrer Lenkung unterworfen war.

Allein die Wirkungen

ihrer Lehre bestehen nur in äußeren Verrichtungen des Gottesdienstes oder Handlungen der Buße;

der Geist des Christenthums,

wahre

Sittlichkeit und frommer Sinn, war in den Herzen der Geistlichkeit

selten, noch weniger in denen der Menge zu finden.

ä.

Staatsverfassung.

Der freie Sinn des Westgothen konnte sich wohl vor einem Könige, dessen Nothwendigkeit sich in den siegreichen Kämpfen mit den römischen

Kaisern erprobt hatte, beugen, allein die höchste Herrschaft als das

Erbtheil eines einzelnen Geschlechtes zu betrachten, schien seiner stolzen Seele eben so unerträglich, als dem Wohl des Ganzen nachtheilig zu

sein.

Zwar bedarf ein jugendliches Volk, welches im Drange feiner

Kraft auf Eroberungen auszieht,

eines gemeinsamen Anführers, um

im Kampfe, wie in der Berathung das Ganze zu leiten und durch

seine Gewalt die vereinzelten Stämme als Ein Volk zusammenzuhaltcn; allein das Recht, König zu sein, sollte nicht von dem Zusalle der Ge­

burt abhängen, sondern dem tapfersten, dem erfahrensten und erprob­

testen Manne zufallen. Also wählte man den König, und dieselbe Hand, welche ihn auf den Thron erhoben hatte, zauderte nicht, wenn er sich dessen unwürdig bewies, ihn zu erschlagen und einen Andern

zu. erheben. Als im Laufe der Zeit das Volk der Westgothen in Gallien blei­ bende Wohnsitze gewonnen hatte und seine Sitten sich milderten, streb­

ten die Könige

nach größerer Unabhängigkeit, und es ereignete sich

wohl, daß man auf den Sohn die Krone des Vaters übergehen ließ,

zumal wenn er, wie Thorismund, auf dem Schlachtfelde seine Würdig­ keit erprobt hatte.

Brudermord und Gewaltthaten schienen sogar den

Besitz an sein Haus knüpfen zu wollen, als dieses selbst im Kampfe

mit den Franken erlosch.

Das kaum gegründete tolosanische Reich war

schon der Auflösung nahe, und nur ein kräftiger Arm, wie der deS Theudcs, vermochte jenseit der Pyrenäen die Macht der Weftgothen

gegen die Angriffe der Franken zu schützen; die Krone aber verdankte er eben so sehr seiner eigenen Kühnheit, als dem freien Willen deS

Volkes. — Da weder bestimmte Gesetze über das Recht zum Throne entschieden, noch der Besitz desselben einem einzelnen Geschlechte als Erbtheil zu-

152

Westgothen.

gesprochen war, so ward er stets die Beute des mächtigsten Großen, dessen Ehrgeiz nach ihm strebte.

Als aber Reccared sein Volk bewog,

sich in den Schoos der katholischen Kirche aufnehmcn zu lassen, .und dadurch die Geistlichkeit sogleich einen bisher gänzlich entbehrten heil­ samen Einfluß auf die Angelegenheiten des Staates gewannen, so be­

strebte sie

sich auch durch

bestimmte Wahlgesetze dem Reiche

innere

Ruhe und eine festere Grundlage zu geben. Zuerst, als Sisenand den durch Aufruhr errungenen Thron unter

sich wanken fühlte, suchte er durch eine Versammlung aller Bischöfe

deS Reiches seinem Besitze die Weihe der Rechtmäßigkeit zu geben; er nahm keinen Anstand durch das demüthigste Betragen der Macht der

Bischöfe zu huldigen, und diese ergriffen die Gelegenheit, durch Fest­

setzung einer genauen Wahlordnung die Ruhe des Reiches bei erledig­ tem Throne zu sichern. Uebermüthigen und

brechen;

Mit dem Zorne des Herrn drohen sie den

Ehrsüchtigen,

welche den

Frieden des

Königs

Keiner unterfange sich mit Gewalt den Thron besteigen zu

wollen, sondern, wenn der König gestorben, sollen die Großen des Reiches in gemeinsamer Versammlung mit der hohen Geistlichkeit den Nachfolger erwählen, damit durch Zwiespalt daS Vaterland nicht leide;

Fluch und Bann treffe jeden Uebertreter dieser Satzung.

So verord­

neten die Bischöfe, und daS versammelte Volk gab laut seine Zustim­ mung.

Und damit nie die dieses Gesetz in Vergessenheit gerathe, ward

bald darauf beschlossen, auf jeder künftigen allgemeinen Zusammenkunft

-

eS laut vorzulesen.

Schon Sisenand'S Nachfolger, Chintila, ward auf die vorgcschrie-

bene Weise gewählt, zugleich aber festgesetzt, daß Leute, welche weder

Adel des Geschlechtes, noch der Seele zierte, für immer vom Throne ausgeschlossen, und nur die, welche die Wahl Aller und edle gothische

Abkunft erhöbe, König sein sollten.

Entweder zu Tolctum, als der

Hauptstadt des Reiches, oder an dem Orte, wo der König gestorben

war, sollte in öffentlicher Versammlung der Große» und Bischöfe der Nachfolger gewählt werden.

Fast jede Versammlung wiederholte diese

Vorschriften über die Eigenschaften des zu Wählenden und die Formen

der Wahl; allein der Gang der Geschichte hat gezeigt, daß die Herrsch­

sucht einzelner Großen mehr vermochte, als der Buchstabe der Gesetze, und daß selbst die Geistlichkeit leicht zu gewinnen war, wenn cs dar­ auf ankam, dem listigen oder kühnen Thronräuber durch ihren Aus­

spruch die Weihe zu geben.

Der Mangel einet festgesetzten Erbfolge

Staatsverfaffung.

153

legte den Gmnd zur Auflösung des Reiches: denn in itjrn lag die

Quelle der Parteiungen und des Abfalles vom Vaterlande. Die späteren westgothischen Könige erhielten bei der Krönung aus

den Händen der Bischöfe die Salbung mit dem heiligen Oele, wodurch

ihr Haupt

ein geweihtes,

also

Dann

unverletzliches werden sollte.

leisteten sie einen feierlichen Eid, die Bedingungen, unter welchen sie

den Thron bestiegen, treu zu erfüllen, die katholische Religion in dem Umfange

des Reichs aufrecht zu erhalten,

keine Ketzerei zu dulden

und vor Allem die Juden streng zu verfolgen; außerdem mußten sie versprechen, das Wohl der Unterthanen zu befördern und sie vor jeder

Willkühr und Ungerechtigkeit der Beamten zu schützen.

Dagegen schwor

auch das Volk und die Geistlichkeit dem Könige treu zu sein und seine Macht gegen die Angriffe der Feinde zu vertheidige».

Hielt aber der

Köing seinen Eid nicht, so glaubten die Bischöfe sich berechtigt, auch das Volk von seiner Treue zu entbinden; ein Recht, zu welchem sie,

wenn sie deS erwählten Königs überdrüssig waren, leicht ihre Zuflucht nahmen ; und die strengen, von ihnen selbst gegebenen Gesetze gegen Aufruhr,

Verrath

Thronräuber

und

vermochten

nichts

gegen

ihre

Willkühr. Vor Leuwigild saßen die Könige weder auf einem erhöhten Throne,

noch zierte

eine Krone ihr Haupt

oder durch Pracht ausgezeichnete

Gewänder ihren Leib; er zuerst führte diesen Schmuck ein und ließ

auf Münzen sein Bildniß mit einer Krone darstellen; unter Chindaswinth nahm die Pracht zu, die Gewänder waren von Purpur,, der

Thron von Silber, Krone und Scepter von Gold, mit Edelsteinen ge­ schmückt;

Schmeichelei

und Nachahmung

römischer Sitte legte dem

Könige die gewöhnlich nichtssagenden Titel des Ruhmwürdigen, deS Siegers, und seit Rcccared den Namen FlaviuS bei.

Da die Krone nicht erblich war, sondern gewöhnlich von einem Ge­ schlecht an ein anderes kam, so gab man dem Könige zwei von ein­

ander sehr verschiedene Arten der Einkünfte.

Diejenigen Güter, welche

er von seineil Verwandten geerbt oder vor seiner Thronbesteignng er­

worben hatte,

waren in

seinem unbeschränkten Eigenthnme,

und er

konnte frei zum Besten seiner Nachkommen oder auf jede beliebige Art über sie verfügen.

Die Güter des Staates aber waren nur seiner

Verwaltung unterworfen, um auö ihnen die Bedürfnisse des Staates zu bestreiten; sie hafteten stets an dem Besitze der Krone.

Da aber

die Habsucht und Willkühr der Könige auch diese Güter häufig als

154

WestgoLhen.

ein willkommenes Mittel die Ihrigen zn bereichern betrachtete und da­ durch die Last der Abgaben vergrößert wurde- so suchte man durch Reichögesetze diesem Mißbrauche zu steuern und der Wahlversassung eine neue Stütze zu geben. «

Reichsverfammlungen.

Eifersüchtig auf den Besitz der in ihren heimathlichen Wäldern ge­ nossenen und gegen alle Angriffe feindlicher Bulker siegreich behaupteten Freiheit, unterwarfen sich die Westgothen zwar einem Könige als Oberhaupt der Nation, nie aber seinem unbedingten Willen. Diesem setzten sie vielmehr den ihrigen oft trotzig entgegen. Schon das Wahl­ recht, welches die Großen ausübte», mußte ihnen Gelegenheit geben, in mehr oder minder zahlreichen Versammlungen über das Wohl des Vaterlandes oder das Interesse der Parteien zu berathschlagen ; allein bis auf die Bekehrung der Westgothen zum Katholicismus finden wir von eigentlichen, geregelten Versammlungen des Volks, wie die Ge­ schichte anderer germanischer Stämme sie uns darbictet, keine Nach­ richten ausgezeichnet; und eben so wenig war cs der arianischcn Geist­ lichkeit vergönnt, sich thätigen Antheil an der Regierung zU erwerben. Der katholischen Geistlichkeit war eS vorbehalten, nicht mir selbst auf geregelte Weise den entschiedensten Einfluß auf die Verwaltung des Staates zu gewinnen, sondern auch den der weltlichen Größe in einer bestimmteren Form herbeizuführen. Als nämlich Reccared die Nothwendigkeit erkannt, sein ganzes Volk unter Einem religiösen Glauben zu vereinigen und deshalb alle höheren Geistlichen des Reichs zu einer allgemeinen Versammlung h die Hauptstadt berufen hatte, lud er zugleich den Adel und die Hof­ bedienten ein, derselben beizuwohnen und das neue Glaubensbekeintniß abzulegen. So ward die Annahme der katholischen Religion di: erste Veranlassung der Gegenwart deS Königs und der Großen atf den bisher nur von den Geistlichen gehaltenen Versammlungen, urd der König sowohl, als der Adel, gab seine Zustimmung zu der GlaibensAenderung durch schriftliche Unterzeichnung des neuen Bekenntnisses ausdrücklich zn erkennen. Die versammelten Bischöfe aber beiutzten diese Gelegenheit, um eine Menge von Satzungen, welche die Ein­ richtung der ganzen westgothischen Kirche betrafen, anzuordnen, und in sofern sich auch in weltliche Angelegenheiten zu mischen, als se den

ReichSvttsamMtlngen.

155

Ortsrichtem und Schahbeamten befahlen, von nun an auf den jähr­ lich zn haltenden Synoden zu erscheinen, um über ihre Pflichten be­ lehrt zu werden und von ihrer Verwaltung Rechenschaft abzulegen. Der König aber bestätigte durch eine förmliche Urkunde die gefaßten

Beschlüsse der Versammlung.

Das Recht, diese Versammlung zu be­

rufen, verblieb von nun an den Königen, welche nie versäumten, so oft ihr eigener Vortheil oder das Wohl des Staates

dasselbe auSzuüben, denn

stets

eS erheischte,

gewährten die versammelten Bischöfe

dem Rath oder Schutz Suchenden und vor ihnen oft demüthig erschei­

nenden Könige Hülfe und Beistand.

Und so wie sie mit geistlichen

Waffen das Ansehen der Krone zu schützen suchten, so bedurften sie

selbst der Androhung weltlicher Strafen und der vollziehenden Gewalt des Königs, um

ihren

Beschlüssen

Gesetzeskraft zu

geben.

Daher

überließen sie dem Könige gern das Recht, durch eine förmliche Ur­ kunde die auf ihren Versammlungen beschlossenen Satzungen zn bestäti­

gen.

Diese Zusammenkünfte sämmtlicher Bischöfe des Reiches waren

also an keinen bestimmten Zeitpunkt gebunden, sondern fanden Statt, wann eö der Wille des Königs erheischte; über die Art und Weise aber und die Feierlichkeiten, welche bei Haltung dieser Versammlungen

beobachtet werden sollten, ward Folgendes festgesetzt. Mit Anbruch des Tageö öffneten die Pförtner der Kathedrale nur

Eine Thüre und hüteten dieselbe, um das Eindringen derer zu ver­ hindern, welche keinen Sitz in der Versammlung hatten; dann gingen alle Bischöfe

hinein und

nahmen ihre Plätze nach dem Alter ihrer

Weihung; hinter sie setzten sich die berufenen Presbytern, vor ihnen standen die zngelassenen Diakonen.

Endlich kamen die Laien hinein,

welchen die Versammlang den Eintritt gestatten wollte, so wie die zur Abfassung der Schriften erforderlichen Notarien.

Hierauf wurden die

Pforten geschlossen, der Archidiakon der Kathedrale Ermahnte laut zum

Gebet, und zur Erde gebeugt harrten Alle in stiller Betrachtung, bis

einer der

ältern Bischöfe in

lantem Gebete die Gefühle Aller zum

Herrn richtete, und diese laut ihr Amen riefen.

Dann forderte sie der

Archidkakon auf, sich auszurichten, und nach der angewiesenen Ordnung

nahm Jeder seinen Platz ein.

Ein Diakon, mit dem Chorhemde an­

gethan, laS aus dem Buche der Kirchensatzungen die auf die Versammlung Bezug habenden Stücke vor, und durch eine Anrede des ältesten Metropolitanen

wurden

endlich die Verhandlungen

eröffnet.

Niemand durfte, bevor die Stunde der Trennung erschien, die Ver-

Westgothen.

156

sammlung verlassen, und die gefaßten Beschlüsse wurden zuerst von den

Metropolitanen, dann von den Suffragan-Bischöfen, von Beiden in der Reihenfolge, welche das Alter der Weihe ihnen vorschrieb, unter­

zeichnet und dem Könige zur Genehmigung vorgelcgt.

Wenn nun die Bischöfe in diesen allgemeinen Versammlungen an­

fangs nur eine Erweiterung der schon bestehenden Synodal-Verfassung erblicken mochten, so gab doch ihr eigenes Bestreben und die Verhält­

nisse des Staates ihnen bald eine andere, weit unifassendere Richtung.

Da der König in Person ans den Versammlungen erschien, so war es natürlich, daß in seinem Gefolge auch verschiedene Große des Palastes

sich befanden, und diese, welche anfangs nur stumme Zeugen der Ver­ handlungen abgaben, mußten bald, um so mehr, da nicht blos An­ gelegenheiten

der

sondern

Kirche,

auch

Staatösachen

zur

Sprache

kamen, ebenfalls um ihre Meinung befragt und ihre Zustimmung zu

geben anfgesordert werden.

Sobald dieses Verhältniß sich

entwickelt

hatte, war die Umbildung des bisherigen ans die Geistlichkeit beschränk­ ten Concilien in förmliche Reichstage entschieden.

Den Bischöfen selbst

mußte die Anwesenheit der Großen und hohen Beamten, so wie die

deS Königs erwünscht sein, da sie nun Gelegenheit hatten, Vorstellun­ gen und Ermahnungen an sie zu richten, und da die gefaßtm Be­ schlüsse um so größere Kraft haben mußten, wenn durch die zustim­

mende Unterschrift der Großen sie auch für diese verbindend wurden. Don diesem Zeitpunkte an unterzeichneten auch mehrere Siebte, deren Zuziehung

vielleicht das

Gegengewicht gegen die

weltlichen Großen

verstärken sollte. So wie auch die sämmtlichen Bischöfe des Reiches nicht nur berech­ tigt, sondern verpflichtet waren, auf den allgemeinen Reichstagen zn

erscheinen, so war dagegen das Recht der weltlichen Großen eit rein

persönliches, welches voit der Berufung

deö Königs abhing.

Ihre

Anwesenheit ward desto erforderlicher, je mehr die Versammlungen ihr Augenmerk auf weltliche, das allgemeine Wohl deö Staats betreffende

Angelegenheiten richteten, welche die Könige vor ihrer Bekehruig zum Katholicismus nur mit ihren nächsten Umgebungen weltlichen Standes

überlegt hatten.

Ja, diese Einmischung

Thätigkeit der Versammlungen so

von

in Staatssachen hatte die

sehr in Anspruch genommm

dem ursprünglichen Wirkungskreise der Bischöfe

das

und

Hil der

Kirche zu ordnen, so weit entfernt, daß man endlich' darauf zurück­ kam,

weltliche und geistliche Angelegenheiten von einander -'trennt,

157

Gerichtsverfassung.

diese an den ersten drei Tagen ohne Beisein irgend eines Laien, jene Da aber das westgothische Reich bald

später verhandeln zu wollen.

darauf seinen Untergang fand, und die Beschlüsse der unter Witiza

gehaltenen Versammlungen nicht mehr vorhanden sind, so können wir die Folgen dieser neuen Anordnung,

welche den weltlichen Großen

jede Einwirkung auf die Angelegenheiten der Kirche entriß, ohne dieser ihren wichtigen Einfluß auf Staatssachen zu entziehen, nur vermuthen.

Aus der Entwickeluug dieser Verhältnisse ergeben sich von selbst die Kennzeichen, unterscheiden.

welche die eigentlichen

Der Vorsitz,

Reichstage

von den

das Recht der Berufung

Synoden

und daö der

Bestätigung von Seiten des Königs, die Anwesenheit vornehmer Laien

neben der hohen Geistlichkeit, und endlich die Beschäftigung mit welt­ lichen Angelegenheiten neben denen der Kirche, bezeichnen die Reichs­ tage deutlich genug.

Die große Anzahl, in welcher die Geistlichkeit

erschien, ihre höhere Bildung und Erfahrung in Geschäften und vor­

züglich daö vereinigte Interesse ihres abgeschlossenen Standes gab ihr

freilich

auf diese Verhandlungen ein sehr bedeutendes Uebergewicht;

doch war es dem Könige vorbehalten, in eigenen an die Versammlung

gehaltenen Anreden

oder in förmlichen ihr übergebenen Schriften die

Thätigkeit derselben vorzüglich auf diejenigen Gegenstände

zu richten,

welche er erledigt zu sehen wünschte, und stets war man bereit, die

Vorschläge deö Königs willig aufzunehmen.

Der Antheil des Adels

war nur gering; denn die Einzelnen, welche der König berief, ver­

traten nicht ihre Genossen

ihr Recht

als

als abgeschlossenen Stand, sondern übten

ein rein persönliches ans.

An die Vertretung eines

dritten Standes aber, nach den Begriffen unserer Zeit, war vollends

gar nicht zu denken, da sich ein solcher noch nicht in den ersten Keimen entfaltet hatte.

Gerichtsverfassung. Bei allen Völkerschaften germanischer Abkunft ging daS Recht ur­ sprünglich von der Gesammtheit der freien Männer aus; allein von diesem Verhältnisse finden wir bei den Westgothen keine Spnr mehr. Der König, als Oberhaupt der Nation, vereinigte in sich auch die

höchste Gerichtsbarkeit und übertrug dieselbe untergeordneten Richtern,

welche als

Herzöge,

Centenarii,

Decani zugleich

Grafen,

Tiufaden,

Millenarii,

Quingentarii,

die Kriegsmacht verwalteten,

oder

als

158

Westgothen.

Defensoren

und

Numeralien bürgerliche

Aemter bekleideten.

Neben

diesen ordentlichen Richtern konnte der König für besondere Fälle außer­

ordentliche ernennen, welche dm Namen pacis assertores führten, und den Parteien stand es frei, durch Uebereinkunst sich selbst Richter zu

In Fällen der Abwesenheit oder Verhinderung konnte jeder

erwählen.

Richter seine Gewalt einem Stellvertreter, Vicarius, übertragen.

Die

alte germanische Einrichtung, welche die Entscheidung von Rcchtsstrcitig-

keiten in die Hände aller Freien des Gaues legte, so daß diese das

Recht fanden und wiesen, war längst verschwunden; nannten

oder

erkornen Richter stand

denn dem er­

in jeder Sache nicht nur der

Vorsitz, sondern auch die Entscheidung zu.

Das gerichtliche Verfahren war im Ganzen einfach genug, und man hatte das künstlich ausgearbeitete System der römischen Actionen nicht

ausgenommen.

Sobald der Kläger seine Klage cingereicht hatte, be­

gann der Richter daö Verfahren mit der Vorladung des Beklagten.

Diese mußte schriftlich

geschehen und

vor Zeugen überreicht werden.

Erschien der Vorgeladene nicht oder zu spät, so büßte er seine» Un­

gehorsam mit fünf goldenen Solidis vielen dem Richter.

dem Kläger und

mit

eben so

Da den Hörigen die vollständige Rechtsfähigkeit

mangelte, so konnten sie auch vur in bestimmten Fällen vor Gericht

erscheinen.

Der König aber und die Bischöfe waren von der Pflicht,

sich persönlich vor Gericht zu stellen, als ihrem Range nicht angemessen, entbunden; sie mußten sich vielmehr durch einen Bevollmächtigten ver­ treten lassen.

Ueberhaupt stand

es Jedem frei, durch einen solchen

auf gehörige Weise Bevollmächtigten seine Sache vor Gericht führen zu lassen, nur war die weise Vorschrift gemacht, daß man seine Sache nicht einer mächtigeren Person

übertragen

durfte,

um

durch

ihren

Schutz seinen Gegner zu unterdrücken; vielmehr verlor man dadurch

sogleich, selbst wenn man das Recht auf seiner Seite hatte, und der

Richter mußte den

mächtigen

Vertreter

aus

dem

Gerichte

weisen;

widersetzte sich dieser, so konnte ihn der Richter zu einer Buße von

zwei Pfunden Goldes verurtheilen und mit Gewalt aus dem Gerichts­ höfe werfen lassen. Um nun bei den gegenseitigen Behauptungen der streitenden Par­ teien daö Recht zu finden, waren dem Richter dreierlei Beweismittel

angewiesen.

Zuerst

soll

er

auö Zeugen,

welche

stets beeidigt

sein

müssen, die Wahrheit zu erforschen suchen; deshalb darf Keiner, welcher

vom Richter aufgefordert wird, Zeugniß abzulegen, dasselbe verweigern.

159

Gerichtsverfassung.

Zunächst soll der Richter nachforschen, ob Urkunden vorhanden sind, aus denen die Sache entschieden werden kartn, und in

den Fällen,

wo Zeugen und Urkunden einander widersprechen, wird den letztem in der Regel größere Kraft beigelegt, nur müssen sie, um Gültigkeit zu

die

haben,

durch

das Gesetz

vorgeschriebenen Eigenschaften

an sich

Nur dann, wenn diese beiden Beweismittel fehlen und keine

tragen.

bestimmten Kennzeichen der Wahrheit vorhanden sind, darf der Richter zu dem Eide des Beklagten seine Zuflucht nehmen, damit die Heilig­ keit des Eides vor zu häufiger Verletzung gesichert sei.

Endlich fällt

der Richter das Urtheil, welches er so sehr wie möglich beschleunigen Diejenige Partei, welche sich durch ein Urtheil beschwert glaubte,

muß.

konnte zweierlei Wege einschlagen, um ihr Recht weiter zu verfolgen.

Sie konnte

entweder

nach

der

Stufenfolge der Aemter,

von

dem

Unterrichter ait den Grafen, von diesem an den Herzog der Provinz

und endlich an den König selbst gehen; oder, wenn sie der Richter

für verdächtig hielt, konnte sie sich an den Bischof der Stadt wenden, damit dieser, von einigen Priestern oder erfahrenen Männern unter­ stützt, neben dem ordentlichen Richter die Sache untersuche, und Beide

ihr Urtheil schriftlich abgäben.

Wollte der Richter auf Ermahnen des

Bischofs sein ungerechtes Urtheil nicht abändern, eignes,

so fällte dieser ein

jenes für ungerecht erklärend; mit diesem Urtheil mußte der

Beschwerte an den König gehen, um von ihm die endliche Bestätigung

zu erlangen.

Ergab sich, daß der Richter wissentlich ein ungerechtes

Urtheil gefällt hatte, so mußte er dem Klagenden den Schaden doppelt

ersetzen.

Wenn nun gleich hierdurch der Gang der Gerechtigkeit ziem­

lich gesichert zu sein schien, so boten doch die Gesetze selbst dem Richter mancherlei Ausflüchte dar.

Denn wenn gleich das Urtheil als unge­

recht umgestoßen wurde, der Richter aber beschwor, daß er nicht aus

Bosheit, sondern aus Mangel besserer Einsicht gefehlt habe, so . war er frei von den Strafen des Gesetzes; und wenn der an den König

Gehende vollends die Ungerechtigkeit des Urtheils nicht erweisen konnte, so mußte er dem Richter, über welchen er sich beklagte, eben so viel

bezahlen, als diesem zur Last gefallen wäre, wenn er ungerecht geur-

theilt Hätte, oder, wenn er nicht zahlungsfähig war, öffentlich und in Gegenwart des Richters hundert Geißelhiebe aushalten. Also war die Berufung ans den König nur in ganz sichern Fällen rathsam. Absicht­

liche

Ungerechtigkeit

Konnte

des

Richters

unterlag

jedoch

harten

Strafen.

er dem Verletzten den doppelten Werth deö Schadens nicht

Westgothen.

14)0

ersehen, so wurde er dessen Höriger oder erhielt öffentlich fünfzig Geißel­ hiebe.

Derjenige aber, welcher sich unbefugter Weise zum Richter auf­

warf oder in einen fremden Sprenget eingriff, büßte mit einem Pfunde GoldeS und mußte den zugefügten Schaden doppelt ersetzen. Das Gericht wurde nicht, wie bei aiidern germanischen Völkern, öffentlich vor der Gemeinde gehalten, sondern es hing von dem Gut­

dünken des Richters ab, wen er zulassen wollte.

Jedes Urtheil, welches

er erließ, auch wenn eS nicht die Hauptsache betraf, mußte er schrift­ lich beiden Parteien mittheilen und auch für sich ein Ereinplar davon zurückbehalten.

AlS vollziehende beamter, der Sajo, beigegcben, nommen und in Fällen, wo er mit Geißelhieben bestraft wurde. Anfangs machten die Richter

Behörde war dem Richter ein Unter­

welcher ans dem gemeinen Volke ge­ die Gränzen seines Amtes überschritt,

sich für ihre Mühe ans dem Gegen­

stände deS Streites selbst bezahlt; als sie aber die Willkühr ihrer

Habsucht so weit trieben, daß sie oft ein Drittel der Sache sich zneigneten, so erneuerte Chindaswinth das Gesetz, welches ihnen verbot, mehr alS den zwanzigsten Theil zu nehmen; der Sajo aber sollte ein Zehntel erhalten.

Außerdem wurde allen Richtern von dem Könige

ein bestimmter Gehalt angewiesen. Zur Schließung der Ehe war die Einwilligung der Eltern der Braut durchaus erforderlich; doch ward die ohne sie geschlossene Ehe

nicht ungültig, sondern die Frau ward zur Strafe von der Erbschaft

ihrer Eltern ausgeschlossen, wenn diese ihr nicht verzeihen wollten. Nach dem Tode deö Vaters gebührte das Recht der Einwilligung der

Mutter; lebte auch sie nicht mehr, den Brüdern, und wenn diese un­ mündig waren, dem väterlichen Oheim mit Zuziehung der übrigen nächsten Verwandten. Der Ehemann mußte desselben Standes sein, dessen die Braut sich erfreute, so daß, wenn sie sich mit einem Manne

niedrigerer Abkunft vermählte, sie ihr väterliches Erbe einbüßte, ohne jedoch von der Beerbung ihrer Geschwister und andern Venvandten ausgeschlossen zu sein. ' Fand aber dir Tochter einen ihr ebenbürtigen Mann, und verweigerten die Brüder, durch Gründe des Eigernutzes getrieben, ihre Einwilligung zur Ehe, so konnte sie ohne dieselb- dazu

schreiten, und erhielt auch ihren Antheil an der väterlichen Erbschaft.

Die westgothischen Gesetze fanden es dem Zwecke der Ehe angeneffen, vorzuschreiben, daß die Braut jünger sein solle, als der Ehcmam. — Der Vollziehung der Ehe mußte die Verlobung vorhcrgehen; zu ihr

161

Gerichtsverfassung.

reichte die Erklärung vor Zeugen und die Uebergabe deö Ringes hin. Die Westgothen ehrten die Frauen

und hatten die alte germanische

Sitte bewahrt, sich den Besitz der Braut durch einen für sie entrich­

teten Kaufpreis zu erwerben.

Auch ein Dritter konnte für den Braut­

werber diese Summe hergeben; und der Kaufpreis ward bei der Ver­ lobung nicht nur versprochen, sondern auch sogleich in die Hände des

Vaters

oder der

Verwandten der Braut übergeben.

nächste»

Die

Größe dieser von dem Manne zu stellenden Aussteuer ward durch eine Verordnung Chindaswinth's festgesetzt; bei Palatinen und angesehenen Herren durfte sie den zehnten Theil ihrer Güter nicht überschreiten;

die Eltern aber, welche für ihren Sohn eine Aussteuer hergeben woll­ ten, durften nur von dem Antheile, welchen dieser nach ihrem Tode

erhalten wurde, ein Zehntel dazu bestimmen, und außerdem zehn Kna­

ben, zehn Mädchen, zwanzig Rosse, oder an Geschmeide soviel, als tausend

Solidi

War jedoch

an Werth.

der Ehe Beischlaf vorher­

gegangen, so konnten die Eltern der Braut oder sie selbst sich eine so als sie für gut befanden.

große Aussteuer bedingen, Ehemann

keine Kinder,

so

Hinterließ der

behielt die Frau die Aussteuer als ihr

Eigenthum; starb aber sie kinderlos, so fiel sie an den Ehemann und

Ein Mehreres, als dieses Gesetz vorschrieb,

dessen nächste Erben zurück.

als. deren

zur Aussteuer zu

bedingen,

Eltern untersagt.

Auch den Leuten niedern Standes war eS vörge-

war sowohl der Verlobten,

fchrieben, nicht mehr als ein Zehntel ihres Vermögens für die Braut

zu geben.

Was übrigens im Laufe der Ehe gewonnen

ward oder

verloren ging, trugen beide Ehegatten zu gleichen Theilen. AuS der Verlobung erwarb der LZräutigam gewisse Rechte auf die

Braut, so daß, wenn er persönlich sie bei der Begehung einer Un­ treue überraschte, er sie ungestraft tobten konnte; ja, selbst wenn er

nur die Ueberzeugung, nicht den Augenschein von ihrer Untreue hatte, ward die Braut, wie ihr Mitschuldiger, mit allen ihren Gütern seiner

Gewalt übergeben.

Auch

geboten

die Gesetze beiden Theilen, unter

schweren Strafen, das Band der Verlobung nicht wieder aufzulösen. Eben so strenge war das Band der geschlossenen Ehe, und nur in vier Fällen war die Scheidung

erlaubt:

bei offenbarer Untreue der

Frau; wenn sie, mit der Einwilligung des Mannes, sich in einem

Kloster Gott weihte;

wenn der Ehemann unnatürliche Laster trieb,

oder wenn er selbst sein Weib zum Ehebruch zwingen wollte. Histcr. Lesebuch.

II.

11

Als-

162

Westgoihen.

dann mußte die Scheidung vor Zeugen oder vermittelst einer darüber aufgenommenen Urkunde geschehen.

über

die Auflösbarkeit der Ehe

Im Ganzen waren die Begriffe

noch unbestimmt,

da es dem nicht

schuldigen Theile gestattet ward, eine neue zu schließen;

aber desto

größer war der Abscheu der Westgothen vor der Verletzung ehelicher Treue.

Nicht nur waren die schwersten Strafen auf das Verbrechen des

Ehebruchs gesetzt, sondern man wandte auch die wirksamsten Mittel

an, es zu entdecken, und die Früchte des Lasters, die unächten Kinder, waren von allen Rechten an der Familie ausgeschlossen. Der Familienvater war König in seinem Hause; unbedingt waren

die Glieder seiner Familie ihm zu Treue und Gehorsam unterworfen; ihre Vergehungen mochte er strafen,

seiner Gewalt mißbrauchen und

doch

durfte er nicht das Maß

auf keinen Fall sie tödtcn.

Selbst

auf das Abtreiben der Frucht setzte Chindaswinth die Strafe des Todes

oder der Blendung. eltern stand

kaufen

Nicht nur den Eltern, sondern auch den Groß­

es frei, die Kinder körperlich zu züchtigen;

oder zu verschenken war ihnen aber untersagt.

sie zu ver­ Die Gewalt

des Ehemannes über seine Frau war dagegen beschränkter; sie konnte

selbst ihre Sache vor Gericht führen, und nur wenn sie den Mann damit beauftragte, durfte er sich für sie stellen.

Dagegen aber war

eS dem Vater zur Pflicht gemacht, seine Kinder zu erziehen und zu

ernähren; übergab er sie einem Fremden zur Pflege, so mußte er, bis daß sie das zehnte Lebensjahr erreicht hatten, diesem ihren Unterhalt

ersetzen;

später verdienten sie ihre Nahrung

durch Dienstleistungen.

Kindern, welchen die Hartherzigkeit ihrer Eltern ausgesetzt hatte, kam

die Menschlichkeit der Gesetze zu Hülfe.

Wenn der überlebende Ehegatte zur zweiten Ehe schritt, so behielt er von den Gütern deS verstorbenen zwar die Nutznießung, allein er mußte ein Verzeichniß derselben aufnehmen und sie gewissenhaft als

ein Eigenthum der Kinder bewahren; sobald sie das zwanzigste Lelens-

jahr angetreten hatten, mußte der Vater ihnen die Hälfte ihres An­ theils an den mütterlichen Gütern herausgeben,

und

auf den Fall,

daß sie sich verheiratheten, verblieb dem Vater nur von einem Drittel

dieses Antheils die Nutznießung.

bei Lebzeiten feines Vaters

Die Güter aber, welche der Sohn

anderweitig erwarb,

erlitten

verschieden­

artige Verhältnisse; waS ihm durch Gunst deS Königs oder als Ge­

schenk eines Schutzherrn zufiel, blieb freies Eigenthum des Sohnes;

163

Gerichtsverfassung.

von dem aber, was er als Dienstmann im Kriege als Erfolg seiner

Thaten erworben hatte, gebührte, wenn er mit seinem Vater zusammen lebte, diesem ein Drittheil.

Der Schutz, dessen die Minderjährigkeit bedarf, ward bei den West­ gothen so sehr geachtet,

daß, wenn der Vater, welcher zur zweiten

Ehe schritt, nicht selbst die Pflichten eines Vormunds seiner Kinder erfüllen wollte, der Richter ihnen, kraft seines Amtes, einen Vormund

aus den nächsten Verwandten der Mutter setzte.

War der Vater ge­

storben, so ernannte man diejenigen Personen zu Vormündern, welchen

die Gesetze der Natur die meiste Liebe zu den verwaisten Kindern vor­

geschrieben zu haben schien; also zuerst die Mutter, wenn sie nicht zur zweiten Ehe schritt;

dann den Bruder, welcher über zwanzig Jahre

alt war, den Oheim, dessen Sohn, und in deren Ermangelung wählte

endlich der Richter unter den übrigen Verwandten.

Für die Güter

des Mündels, für die treue Verwaltung und Nechnungöablage des

Vormunds war meist nach römischem Rechte gesorgt. Minderjährigkeit endigte

sich -bereits

mit Antretung

Die eigentliche

des fünfzehnten

Lebensjahres, wenn gleich die Ausübung gewisser Rechte erst vor der

Erreichung eines reiferen Alters abhängig gemacht sein mochte. Die Grundsätze

über Verträge bieten bei den

Westgothen

wenig

Eigenthümliches dar, sondern entsprechen mehr oder weniger den Be­

stimmungen des römischen Rechtes, desselben angenommen zu haben.

ohne jedoch alle Spitzfindigkeiten

Um gültig zu sein, mußten sie ent­

weder schriftlich oder vor Zeugen abgeschlossen sein; Ersteres war ge­

wöhnlicher. Auch die Erwerbung des Eigenthums durch Verjährung war ihnen

bekannt; dreißig Jahre reichten hin, selbst gegen den Fiscus, mit der Beschränkung jedoch, daß Hörige desselben auch nach

ihn zurückfielen.

dieser Zeit an

Ebenso mußten alle Streitsachen binnen dreißig Jahren

beendigt sein, so daß der Besitzer der streitigen Sache sie dann als

Eigenthümer behielt.

Doch gab es einige Gegenstände, wie entlaufene

Hörige und bei der Theilung der Ländereien erworbene Grundstücke, deren Eigenthum in gewissen Fällen erst nach fünfzig Jahren erworben

wurde.

Bedinglmgen jeder Verjährung waren, daß sie nicht unter­

brochen sei, und daß der, gegen welchen sie Statt finden sollte, keine gesetzlichen Gründe der Verhinderung, wie Verbannung oder Gefangen-

schast, für sich gehabt hatte..

164

Westgothen.

8. Bervrechert und Strafen. Die Sinnesart eines Volkes, welches kaum aus dem Zustande steifen

unterbrochener Kriege getreten ist, äußert sich mehr in heftigen Aluöbrüchen der Leidenschaft und rohen Gewaltthaten, als in deu Kümsten Jenen also 'vor-

der Hinterlist und kaltblütig überlegten Betrügereien.

zubeugen, mußte die vorzüglichste Sorge der Gesetze sein, und in

der

That sind die Bestimmungen der Strafe für zugefügte Verletzumgen und auögeübte Gewaltthaten fast der ausschließliche Gegenstand toller

Gesetzbücher germanischer Völkerschaften.

westgothische,

neben

manchen aus

das

So enthält denn auch

dem römischen Rechte

entlchmten

Theilen, mehrere größere Abschnitte, welche einzig der Festsetzung von Strafen und Bußen gewidmet sind.

Aber der rauhe Sinn des Vollkes,

welcher sich in der Beschaffenheit der am häufigsten begangenen Wer­

brechen zeigte,

äußerte

sich

auch

in dem Geiste dieser Gesetzgebmng.

DaS Bedürfniß persönlicher Rechte für erlittene Uubilde, welches

bei

andern germanischen Stämmen sogar zur Pflicht geworden war, vvich erst allmälig dem Gehorsam für das Ansehen des Gesetzes.

suchte

durch

das Recht der Wiedervergeltung

jenem

Dieses

Bedürfnisse

zu

Hülfe zu kommen, ohne jedoch das Uebel von Grund aus zu heilen,

da eS bald die Vollziehung dieses Rechtes durch den Richter, aber auch durch

den Verletzten selbst auöüben

ließ.

Als

aber

bald die

Sitten sich milderten, und die Künste des Friedens eine Menge neuer Bedürfnisse schufen, da ward auch der Durst nach Stillung der Rache

durch den Wunsch nach Gewinn verdrängt, der Beleidiger kaufte durch

Geld die zugefügte Verletzung ab, und aus körperlichen Strafen wur­ den nun Geldbußen.

Das Recht, jene zu erkennen, gerieth nun in

den meisten Fällen in die Hände des Richters, diese hingegen fielen

dem Verletzten oder dessen Angehörigen zu. Seite durch die Erlegung

Allein wenn auf der einen

von Geldbußen der Willkühr ungezügelter

Rachgierde gesteuert zu sein schien, so ließen die Gesetzgeber, zu sehr

in dem alten Geiste ihres Volkes befangen, doch

immer noch viele

Fälle übrig, in denen sie den Verbrecher in die Gewalt des Verletzten lieferten, um an ihm Rache zu nehmen, und als unbedingter Herr über ihn zu schalten.

In einigen Fällen ward der Schuldige freilich

nur dann Knecht des Verletzten, wenn er die gesetzliche Geldbuße nicht erlegen konnte, in anderen unbedingt, und cs ward dem Herrn dann sreigesteUt, mit ihm vorzunehmen, was seine Willkühr ihm eingab; ja,

165

Verbrechen und Strafen.

dies« Gewalt konnte sich, jedoch nur in einigen von dem Gesetze bei­

stimmten Fällen so weit erstrecken, daß der Verletzte den seinen Hän-

den übergebenen Schuldigen todten durfte.

Ueberhaupt war durch die

Verwandlung der Blutrache in Geldstrafen dem Uebel nur halb ge­

holfen, da

der Reiche nun freilich durchkam,

der Arme aber seinen

Mangel an Geld mit dem Verluste des theuersten Gutes, der persön­

lichen Freiheit, büßte, und eö ohnehin meistens in der Wahl des Be­

leidigten blieb, ob er den Ersatz annehmen oder auf das Recht der Wiedervergeltung

bestehen

wollte.

Wurden

doch

selbst

Schuldner,

welche nicht bezahlen konnten, den Verbrechern gleichgestellt, so

daß

auch sie die Freiheit verloren. Die Westgothen waren verständig genug, nur solche Verbrechen zu

bestrafen, welche absichtlich begangen waren.

Strafe unterworfen,

Der Zufall war keiner

wohl aber die Absicht, selbst wenn sie bei der

Ausführung nicht gelang.

Nichtkenntniß der Gesetze aber durste nicht

vorgeschützt werden und befreite nicht von der Strafe.

Eben so unter­

schieden sie die Gehülfen bei einem Verbrechen von dem Hauptschul­

digen;

solche Vergehungen aber,

welche du Freier auf das Geheiß

seines Schutzherrn oder ein Höriger auf den Befehl seines Herrn aus­

übte, wurden nicht an Jenem, sondern an dem Schutzherrn oder Eigen­ thümer bestraft.

In Hinsicht der Strafen war es im Allgemeinen Grundsatz, daß das gegen einen Freigebornen auSgeübte Verbrechen doppelt so hart

gestraft wurde, als das gegen einen Hörigen ober. Freisassen begangene; daß der Freie in der Regel mit Geld büßte, wenn der Hörige körper­

liche Züchtigung erlitt; daß in den Fällen, wo auch der Freie einer körperlichen Züchtigung unterworfen blieb, diese geringer war, dafür

aber Geldstrafe hinzukam, und daß das Maß der zu erlegenden Buße nach der Größe der erlittenen Verletzung, nach dem Stande deS Ver­

letzten und nach dem des Verletzenden sich richtete. Unter den in den Gesetzen zahlreich vorkommenden Strafen ist die der Geisselung die gewöhnlichste; sie geschah zwar öffentlich, war aber

nicht immer mit Infamie, welche den Verlust gerichtlicher Glaubwürdig­ keit herbeiführte, verbunden.

Beschimpfend dagegen und

gewöhnlich

mit Geisselung verknüpft war die Strafe der Decalvation, welche darin bestand, daß dem Verbrecher das Haupthaar mit der Haut selbst ab­

gezogen wurde, und ihn also des bei allen germanischen Völkern so

hoch geachteten körperlichen Schmuckes beraubte.

Andere Leibesstrafen

166

Westgothen. daS Abhauen der Hände, das Abschneiden der Nase, Ent­

waren:

mannung,

Blendung der Augen,

endlich die Todesstrafe selbst;

sie

fand ungleich häufiger Statt, als bei den übrigen germanischen Völ­ kern, namentlich bei Hochverrath, Ehebruch und Mord, oft war sie noch

mit besonderer Grausamkeit verknüpft, und manche Verbrechen

zogen sogar die Strafe des Verbrennens nach sich.

Auch konnte der

Verlust der Freiheit eine allgemeine Folge begangener Uebelthaten sein. Die Beschaffenheit der Strafen war also grausam genug, aber noch

mehr war cS die Anwendung derselben und

ihr Verhältniß

zu

der

Wie verschieden sind nicht die Stufen deS

Größe der Vergehungen.

Verbrechens, welchen dieselbe Strafe, der Verlust der Freiheit gedroht war.

Die Freigeborne, welche nur darin das Gesetz übertrat, daß sie,

der Stimme der Natur folgend, einen Hörigen oder Freigelassenen hei-

rathete, erlitt ja dieselbe Todesstrafe, wie der Vatermörder oder Hoch-

verräther!

nicht

erstreckten die Gesetze

Dagegen

auf die Erben

des Verbrechers,

und

die

Folgen der Strafen

nur

in dem Falle des

Hochverraths ward ihr Vermögen eingezogen.

Absichtlicher, an

einem Freigebornen

dem Verluste des Lebens bestraft.

begangener Mord

ward mit

Da die Westgothen aber gewohnt

waren, Die Rechte der Hörigen nur in sofern anzuerkennen,

alö sie

einen Gegenstand des Eigenthumes ihres Herrn ausmachten: so ward

auch der an einem Hörigen verübte Mord nur als ein dem Vermögen

seines Herrn zugefügter Schaden betrachtet, welcher also allein zu entschävigcn war; eS mußten ihm zwei Hörige desselben Werthes, wie

der Getödtete, gestellt werden.

Derjenige aber, welcher seinen eigenen

Knecht tödtete, verfiel in Strafen, wenn gleich in geringere, als die gewöhnliche des Mordes war.

Tödtete ein Freigeborner einen Hörigen

nicht absichtlich, sondern durch Zufall, so entrichtete er an dessen Herrn die Hälfte des Geldes, das für die zufällige Tödtung eines Freige­ bornen festgesetzt war. gesetzt,

Denn Absicht ward bei jedem Morde voraus­

wenn der Thäter das Leben verwirkt haben sollte;

Tödtung

ward

entweder

gelinde

oder

gar nicht gerichtlich

zufällige bestraft.

Eben so wenig der, welcher in gerechter Selbstvertheidigung den An­

greifenden tödtete, sollte dieser gleich in dem nächsten VerwandtschaftsVerhältnisse zu ihm stehen.

Die Gehülfen bei einem Morde erlitten,

wenn sie nicht selbst zugeschlagen hatten, zweihundert Hiebe und De« calvation und mußten den Verwandten des Ermordeten mit fünfhundert

SolidiS büßen.

Für den Schaden aber, welchen ein bösartiges Thier

Verbrechen und Strafen.

167

anrichtete, mußte der Herr desselben einstehen, so daß, wenn es einen Menschen tödtete, er eine Buße zu entrichten hatte, welche sich nach

dem Stande, dem Alter und Geschlechte deS Getödteten richtete.

Für

einen Freigeborenen, dessen Lebensalter zwischen zwanzig imb fünfzig Jahren stand,

bezahlte man dreihundert Solidis; für ältere Leute

feint dieser Preis bis auf hundert Solidis, für jüngere bis auf sechszig;

bei Weibem wechselte er zwischen zweihundertfünfzig und fünfzig Sol.

Für einen Freigelassenen ward die Halste entrichtet, und für einen Hörigen wurden zwei desselben Werthes ersetzt. Der Raub eines freien Menschen ward in manchen Fällen dem Morde gleichgestellt.

Körperliche Verletzungen wurden mit Geld gebüßt, und die Gesetze bestimmen für jeden einzelnen Fall den genauen Preis, damit Jeder wisse, wieviel er verlangen könne,

und so jeder Willkühr der Weg

gesperrt sei. Ein Freigeborener, welcher einem andern Freigebornen einen Schlag auf das Haupt versetzt, bezahlt ihm fünf Sol., ist die Haut zerrissen zehn Sol., für eine Wunde bis auf den Knochen zwanzig Sol., für einen gebrochenen Knochen hundert Sol. Für die einem

fremden Hörigen zugefügten Verletzungen dieser Art bezahlt der Freigeborne die Halste. Die Hörigen büßen unter einander nur mit einem Drittel, erhalten aber fünfzig Geisselhiebe. Verletzt ein Höriger einen Freigebornen, so bezahlt er dieselbe Summe, welche dieser entrichten muß, wenn er Jenen verwundet, und erhält noch siebzig Hiebe. End­ lich verordnete Chindaswinth, daß jeder Freigeborne, welcher einen andern Freigebornen gewaltsam decalviren, mit der Geissel oder Keule

schlagen, ein Glied seines Körpers verletzen, ihn binden oder einsperren würde, durch den Richter die Strafe der Wiedervergeltung erleiden solle. Wenn aber der Verletzte sich mit dem Thäter vergleichen wollte, so konnte er selbst die Größe der zu erhaltenden Buße bestimmen; einige

körperliche Verletzungen waren jedoch von der Strafe der Talion aus­

genommen, weil das Maß leicht überschritten werden konnte. Wenn die Verletzung nicht mit vorbedachter Ueberlegung, sondern bei zufällig

entstandenen Raufereien zugefügt war, so fand wieder für jedes ver­

letzte Glied ein genauer Preis Statt; der Verlust eines Angeö, der Nase oder einer Hand galt hundert Sol., weniger der eines Fingers oder Zahneö. Fügte ein Höriger einem Freigebornen dergleichen Ver­ letzungen zu, so ward er gänzlich in dessen Willkühr gegeben.

Ver­

stümmelte aber ein Freigeborner den Hörigen eines Dritten, so erhielt

168

Westgothrir.

er zweihundert Geisselhiebe und mußte dem Herrn einen Knecht 'von gleicher Brauchbarkeit stellen.

bei Männern,

Alle diese Bestimmungen sollten sowohl

als bei Weibern,

ihre Anwendung finden, und

die

Richter genau nach dieser Preisangabe jeden Schaden ersetzen lassen.. Die Westgothen unterschieden gewaltsamen Raub von dem Diebstahl,

Der Räuber

straften aber beide Verbrechen geringer, als die Römer.

mußte den Werth der geraubten Sache eilffach ersetzen; konnte er nicht

so viel erschwingen, so ward er Höriger des Beraubten; gleiche Strafen

erlitten die Gehülfen beim Einbrüche, oder sie erhielten hundertfünfzig Geiffelhicbe.

Derjenige, bei welchem der Gegenstand des Raubes oder

ein Theil desselben gefunden ward, wurde gezwungen, die Mitschuldigen

anzugcben; wollte er sie nicht nennen, so mußte er büßen, und zwar

wenn er von vornehmem Stande war, mit eilffachem Ersatz und Erkeidung von hundert Hieben; ein Höriger erhielt deren zweihundert. Der Dieb erlitt gelindere Strafen: in der Regel mußte er, wenn

er ein Freigeborener war, den Werth der gestohlenen Sachm neunfach ersetzen,

ei» Höriger sechsfach;

Hiebe.

War der Frcigeborne unvermögend, diesen Ersatz

Beide erhielten

aber dazu hundert zu

leisten,

so verfiel er in die Gewalt des Beraubten, und gleiches Schicksal erlitt der Hörige, wenn dessen Herr die Buße für ihn nicht übernehmen

wollte. In einigen Fällen ward jedoch nur siebenfacher, in andern gar nur vierfacher Ersatz der gestohlenen Sachen gegeben. Den auf

der That ertappten Dieb durfte man bei Nachtzeit unbedingt tobte», bei Tage nur dann, wenn er sich zur Wehre setzte. stahl,

aber gestohlene

Sachen

wissentlich

aufnahm,

Wer nicht selbst galt selbst für

ein Dieb. Bei den Wcstgothen mußte nicht nur der von Menschen, sondern auch der durch Thiere und leblose Sachen zugesügte Schaden durch

die Eigenthümer ersetzt werden, und eben so mußte man büßen für jeden Schaden, welchen man fremden Thieren, Ländereien oder Früch­ ten absichtlich oder zufällig verursachte; da dieses Gegenstände waren,

die den Unterhalt von Menschen bildeten, welche Gewerbe und Handel wenig kannten,

so

enthielten die Gesetze ausführliche und zahlreiche

Bestimmungen über diese Fälle. Auch gewisse Handlungen, welche auS dem Aberglauben des Zeit­

allers entsprangen, galten bei den Westgothem für Verbrechen; mit

größerem Rechte gehörte dazu die Verletzung der Gräber.

169

Verbrechen und Strafen.

Die verschiedenen Arten der Fälschungen sind genau in den Gesetzen

angegeben und lassen aus eine Verschlimmerung des einfachen Sinnes der.Gothen durch die Bekanntschaft mit den Künsten der Arglist nm

zu sicher schließen.

In der Regel stand es nicht nur dem Betroffenen, sondern Jedem aus dem Volke frei, alö Ankläger eines begangenen Verbrechens vor Gericht aufzutreten; bei dem Morde war cs sogar Verpflichtung, den nächsten Verwandten des Ermordeten die That anzugeben, und

Angeberei ward überhaupt begünstigt.

die

Es wurden den Angebern Be­

lohnungen verbeißen; waren sie Mitschuldige, so wurden sie frei von

der Strafe, nur durste kein Höriger als Ankläger austreten.

Erwies

sich aber eine vorsätzlich falsche Anklage, so ward der Kläger dem Be­

klagten übergeben, um diejenige Strafe zu erleiden, welche er diesem zu vennsachen beabsichtigt hatte.

Allein eS war Pflicht des Richters,

sobald das begangene Verbrechen zu seiner Kenntniß kam, auch wenn

kein Ankläger auftrat, die Sache kraft seines Amtes zu untersuchen; er ließ den Schuldigen oder Verdächtigen vorladen, und dieser mußte sich sofort stellen oder ward, wenn ein schweres Verbrechen begangen

war, von dem Richter gefänglich eingezogeii; der Herr mußte seinen

Hörigen dem Gerichte ausliefern.

Der Angeklagte konnte sich durch

beigebrachte Zeugen oder in manchen Fällen durch seinen Eid von der

Anschuldigung reinigen.

In Fällen des HochverratheS, des Mordes

und deS Ehebruches, in welchen jeder Edle oder Palatin gegen einen

seiner Standesgenossen als Angeber auftreten konnte, mußte der Kläger

entweder den Beweis sogleich liefern oder dem Könige und dessen Rich­ tern eine schriftliche, von drei Zeugen unterzeichnete Klage einreichen; dann wandte man gegen den Angeklagten, wenn er nicht freiwillig

bekannte, den Zwang der Folter an; ward er aber für unschuldig be­

funden, so fiel der Kläger als Höriger in seine Gewalt, doch sonnte er sich auch ans andere Weise mit ihm abfinden.

fand bei Freigebornen Statt.

Dasselbe Verfahren

Kein Edler aber durfte wegen anderer

Verbrechen gefoltert werden, sondern, wenn kein Beweis gegen ihn

hergestellt war, so konnte er sich durch seinen Eid reinigen. borene geringeren Standes durften jedoch, wenn sie

Freige­

des Diebstahls

einer Summe von mehr als fünfhundert Sol. beschuldigt waren, ge­ foltert werden; klagte ein Niederer einen Höheren an, so reinigte sich

dieser, wenn kein Beweismittel gegen ihn war, nicht nur durch den

Eid, sondern der Kläger litt obenein die Strafe des Gesetzes.

Gran-

170

Westgothvl.

sam war es, daß man die Hörigen folterte, um durch sie die Ver­ brechen ihrer Herren zu erfahren, da man doch diesen gestattete, selbst

wenn der Hörige Etwas gegen sie aussagte, sich noch durch den Eid Um daS Maß der Folter nicht zu überschreiten, durfte

zu reinigen.

der Richter sie nur in Gegenwart rechtlicher Leute vollziehen lassen, und

zwar so,

Gefolterten

daß sie keine Verstümmelung oder gar den Tod des

herbelführte.

Das

entlockte Bekenntniß

aber diente als

entscheidender Beweis.

Ein anderes Beweismittel endlich sahen die Westgothen dem Geiste

Als solches wird in

ihres Zeitalters gemäß, in dem Gottesnrtheile. dem Gesetzbuche die

Kesselprobe erwähnt;

und

auf eine

glänzende

Weise reinigte sich der Bischof MontanuS von Toletum von dem Ver­ dachte der Unkeuschheit, indem er glühende Kohlen in sein Meßgewand

legte, und als er die Messe beendigt hatte, die Kohlen noch glühend hervorzog, ohne daß sein Gewand verletzt war.

Nach den vorliegenden Beweisen fällte der Richter endlich daS Ur­ theil, wobei ihm zur Pflicht gemacht war, die Strenge der Gesetze zu mildern.

Der Weg zu dem Throne deS Königs war keinem Angeschuldigten versperrt, und auch der Vernrtheilte durfte die Gnade deS Herrschers

anflehen.

Des Rechtes aber, diese zu gewähren, hatte sich der König

in Fällen des Hochverrates selbst begeben. Nach Ablauf von dreißig Jahren und

straflos.

Die Vollziehung

des

war

jedes Verbrechen verjährt

Urtheils

mußte

stets

öffentlich

geschehen.

Wissenschaftliche Bestrebungen 6er Westgothen. Die Sprache und Wissenschaft, welche von Rom auS auf die pyrenäische Halbinsel verpflanzt worden war, fand unter den Eingeborenen deS Landes empfängliche Gemüther.

Die dort ausgestreuten Keime

römischer Bildlmg gediehen bald zu einer solchen Reise, daß, als nach

dem Untergange deS Freistaates auch die großen Geister Rom'S seltener wurden, von

Spanien aus

neue Meister dorthin versetzt wurden.

LuciuS Annäus Seneca auS Corduba trat als Lehrer ernster Weis­ heit auf und wußte seine Lehre durch einen standhaften Tod zr be­ siegeln.

Fabius QuintilianuS auS CalagurriS bildete zu Rom eine

Schule der Beredsamkeit und ächten Kunstsinnes, welcher der jmgere PliniuS

feine

Bildung

verdankte.

Dem

CajuS

Julius HygnuS,

Wissenschaftliche Bestrebungen der Westgothen.

171

welchem kein Fach der Gelehrsamkeit fremd war, ward die Auszeich­ nung zu Theil, von Augustus zum Vorsteher der großen Büchersamm­

lung deS Palatium ernannt zu werden; und wenn es dem LucanuS

auS

Corduba gleich

nicht gelang,

Entscheidungsschlacht bei Pharsalus

seinem Gedichte über die große

die

letzte Vollendung

zu

geben,

so trat doch Martialis aus Bilbilis als unübertroffener Meister des Sinngedichtes auf, und der Gaditaner Columella schrieb belehrende

Werke über Laftdwirthschaft und besang die Reize der Gärten. Als seit den Zeiten Constantin'S daS bis dahin unterdrückte Christen­

thum öffentlich und siegreich hewortrat, versuchten sich zuerst spanische

Dichter in Gesängen zur Verherrlichung deS Gottessohnes und der in seinem Bekenntnisse gestorbenen Blutzeugen.

Den Presbyter JuvencuS

übertraf schon bei weitem der in den Stürmen der Welt vielfach er­ fahrene Aurelius PrndentiuS; seine Gesänge zum Preise der Gottheit

athmen fromme Salbung, und die Duldungen so mancher Märtyrer sind in seinen feurigen Hymnen verewigt worden. Durch den Drang der Zeiten waren alle öffentlichen Schulanstalten

der römischen Kaiser untergegangen;

da aber den Geistlichen einige

Bildung und wenigstens die Kenntniß der heiligen Schrift, soweit sie sich auf den Gottesdienst bezog,

nothwendig war, so legte man bei

den Hauptkirchcn Schulen an, in denen die dem

meinschaftlichen

Wohnung

geistlichen Stande

Sie sollten in einer ge­

bestimmten Knaben erzogen werden sollten.

zusammen leben,

um

den Wissenschaften

unter der Leitung deS durch Gelehrsamkeit und Zucht am nieistcn er­ probten Oberen obzuliegen, die heilige Schrift und die Satzungen ihrer Kirche sollten der Gegenstand ihrer Forschungen sein.

Und dennoch

war im sechsten Jahrhundert die Unwissenheit der spanischen Geist­

lichen

so hoch gestiegen und so

allgemein

geworden, daß,

als der

Papst Gregor der Große dem Bischöfe von Neu-Carthago Licinian eingeschärft hatte, keinen ungelehrten Geistlichen zum Priester zu weihen, dieser ihm antworten mußte, daß, wenn es nicht Hinreiche zu wissen,

Christus sei am Kreuze für die Welt gestorben, Niemand in seiner Provinz

den Namen

eines

Gelehrten verdiene und die Kirche

Priestern verwaist sein würde.

an

Später ward verordnet, daß Keiner

irgend einen Grad der Weihe erhalten solle, der nicht wenigstens den Psalter und die gewöhnlichen Gesänge kenne.

Auf diese Weise ward

der Betrieb der Wissenschaften, soweit sie sich in dem Dunkel deS Zeit­

alters erhalten konnten, ein ausschließliches Eigenthum deS geistliche»

172

WH-»chrn.

StündeS;

in das Dunkel der Klöster wanderten die Handschmsten,

um einiges Licht in den empfänglichen Seelen der Mönche zur ver­

breiten, unb nur dem geistlichen Stande verdankt man es , daß! noch

in, einzelnen hervorragenden Geistern der Sinn für Forschung

nicht

ganz erstarb, wenn sich gleich diese auf Gegenstände warf, welche zu

einer wahren, dienen konnten.

rein menschlichen und

gemeinnützigen

Bildung

nicht

Unfruchtbare Grübeleien über spitzfindige Streitfragen

der Kirchenlrhre erschienen den damaligen Gelehrten als die höchste Auf­ gabe des menschlichen Geistes; und wenn sie ja noch andere Zweige

des menschlichen Wissens zu betreiben suchten, so betrafen diese nur

die sogenannten sieben freien Künste, in denen die alerandrinische Schule den ganzen Umfang menschlichen Wissens zu umfassen geglaubt hatte.

Des Marcianus Capella und deS Cassiodorus oberflächliche Anleitungen wurden dabei zum Grunde gelegt.

Freilich gab

es erfreuliche Aus­

nahmen, welche auch weltliche Wissenschaften zu erforschen suchten und

selbst in den Schriften der Alten zu lesen wagten; und doch verbot sogar Isidor von Hispalis,

welcher so

reichliche Früchte aus

ihnen

gezogen hatte, den Mönchen das Lesen der Werke heidnischer Schrift­

steller.

Aber dieses

Menschenkenntniß:

Verbot war zweckmäßig

und

beweist

Jsidor'S

denn wie mochten diejenigen den Sinn für die

Welt aufopsern, welche ihn an dem erhabenen, dem natürlichen und gemcinmenschlichen der Römer genährt hatten?

Während das weströmische Reich dem wiederholten Andringen bar­

barischer Völkerschaften unterlag, fand sich kein hervorragender Geist

mehr, dem es gelungen wäre, ein so großes Schauspiel unbefangen, mit reinem historischen Sinne niederzuschreiben; keiner glänzenden Farben hätte

nur der

es bedurft, um ein

Wahrheit,

für alle Zeiten

sprechendes Gemälde trostloser, durch Entartung des menschlichen Ge­ schlechtes

herbeigeführter Auflösung zu

entwerfen;

aber so

wie der

Sinn für alles Edle, war auch der für ächte Geschichtschreibung, in welcher die Alten uns ewige Lehrer ftin werden, längst verloren ge­

gangen.

Gerade zll der Zeit, als der hispanische Boden zum ersten

Male von dem Fuße germanischer Horden betteten ward, unternahm

es ein spanischer Priester, Orosius, ein Schüler des heiligen Augustin und deS Hieronymus, den er auS Durst nach christlicher Belehrung

selbst an dem Geburtsorte des Heilandes aufgesucht hatte, eine Welt­ geschichte zu schreiben, in welcher Darstellung und Richtung gleich sehr

verfehlt sind; denn sein Zweck war die Vertheidigung deS Christen-

173

Wissenschaftliche Bestrebungen der Westgothen.

thums gegen die Angriffe derjenigen, welche behaupteten, daß die Aus­ breitung desselben die Schuld trage an dem Untergauge Rom's und

den Drangsalen der Zeit.

Hatte Orosius eine, wenn gleich falsche,

doch durchdachte Idee bei seiner Arbeit zum Grunde gelegt, so begnügte man sich 'dagegen nach ihm nur mit trockner, geistloser und schlecht­ gewählter Auszeichnung Meist selbst erlebter Thatsachen.

Solche Chro­

EusebiuS von Cäsarea und

niken schrieben zuerst Julius Africanus,

der heil. Hieronymus; an sie knüpfte der Bischof von Aquä Fkaviä,

JdatiüS ans Galläcien, die trockene Erzählung der traurigen Begeben­ heiten seiner Zeit, wie er sie aus schriftlichen Nachrichten sowohl, als

aus

mündlichen

hatte.

Ueberlieferungen

und

eigener

Anschauung

erfahren

In ähnlicher Art verzeichnete Johannes, Bischof von Gerundum,

von Geburt ein Westgothe, die von ihm selbst erlebten Ereignisse in schlechter Sprache, welcher man es nicht ansieht, daß er während eines

siebzehnjährigen Aufenthaltes in Constantinopcl hinreichende Muße und

Gelegenheit hatte, Griechisch und Lateinisch zu erlernen.

Zu der Zeit,

als Leuvigild's Eifer die Rechtgläubigen so hart verfolgte, kehrte er

in die Halbinsel Aus

zurück und

ward

den vorhandenen Jahrbüchern

Erbauer des

Klosters

Bickaro.

setzte Isidor von HispaliS

eine

kurze und trockene Chronik zusammen, welche sich von Erschaffung der Welt bis auf die Zeiten Sisebut'S erstreckt, in einem andern, mehr den Mustern deS Alterthums, wenn gleich nur sehr entfernt sich nähernden Geiste schrieb

er die Geschichte der westgothischen, vandalischen und

suevischcn Könige, nicht immer frei von Schmeicheleien gegen die Herr­ scher und von Ungerechtigkeiten gegen die Irrgläubigen.

Auch hinter­

ließ er schätzbare Nachrichten über das Leben berühmter christlicher Ge­ lehrten.

Die Geschichte Spanien's unter den Westgothen, welche der

Bischof von Cäsaraugusta, MarimuS, ein Zeitgenosse Jsidor'S, schrieb,

ist leider der Nachwelt verloren gegangen.

Endlich beschrieb Julian,

Bischof von Toletum, nicht ohne sichtliches Streben nach höherer ge­ schichtlicher Kunst, befangen, den

aber in dem schwülstigen Style seines Zeitalters

glorreichen Feldzug seines Königs Wamba gegen den

Empörer Paulus.

Obwohl kein Gothe von Geburt, Sohn

sondem römischer Abkunft,

ein

der in der karthaginensischen Provinz ansässigen SeverianuS,

war doch Leander der Mann, welcher nicht nur am meisten dazu bei­ trug, die Gothen in den Schoos der rechtgläubigen Kirche zu führen,

sondern von dem auch eine neue Schule der Gelehrsamkeit ausging.

174

Westgotht«.

Anfangs Mönch, dann Bischof von Hispalis, und von Leuvigild zur Auswanderung gezwungen, zog er nach Constantinopel, wo er einige

Verbindung mit Gregor dem Großen anknüpfte, und die Zeit seiner Verbannung dazu benutzte, eine Streitschrift gegen die Arianer abzu-

fassm.

Gregor wußte seinen Eifer für die römische Kirche so hoch zu

schätzen, daß er ihm später seine über das Buch Hiob niedcrgeschrie-

benen Betrachtungen zueigncte und übersandte.

Leander selbst richtete

an seine Schwester Florentina, welche sich Gott geweiht hatte, eine

Schrift über das geistliche Leben der Jungfrauen; überhaupt suchte er durch Briefe für das Wohl der Kirche zu wirken, und auch für die Verbesserung der Liturgie war er thätig. Aber das größte Verdienst erwarb er sich dadurch, daß er seinen

jüngeren Bruder Isidor, welcher auf dem bischöflichen Stuhle von Hi­ spalis sein würdiger Nachfolger ward, schon früh zu dem eifrigen Be­

triebe

der Wissenschaften

anhielt.

Isidor war dazu bestimmt,

nicht

nur der gelehrteste Mann seines Zeitalters zu werden, sondern auch durch seine zahlreichen Schriften noch lange späteren Geschlechtern als Lehrer aller Wissenschaften zu dienen.

Einen Inbegriff derselben legte

er in zwanzig Büchern nieder, welchen er den bescheidenen Titel der

Etymologieen gab, obgleich sie nicht blos Ableitungen von Wörtern, sondern den ganzen Umfang deö damaligen menschlichen Wissens, wie

nur Isidor eö umfaßte, enthielten.

Die darin niedergclcgte Gelehrsam­

keit beweist eben sowohl Jsidor's Kenntniß der lateinischen, griechischen und hebräischen Sprache, als seine ungemeine und fruchtbare Belesen­

heit in allen Schriften des Alterthums. oft falsch, ja abgeschmackt;

Zwar sind seine Ableiningen

zwar ist seine Schreibart

weder beredt,

noch immer rein; zwar vermag sich Isidor zu keinen eigenthümlichen Gedanken oder Ansichten zu erheben; zwar geht auch er von dem be­

schränkten Umfange der sieben freien Künste aus: aber schon m der Darstellung derselben übertrifft er seine Vorgänger Marciauus Eapella und Cassiodor bei weitem, und ein anderer Maßstab des VerdensteS

muß an sein Werk gelegt werden, welches in der düstern Nacht der Barbarei einzeln hervorleuchtet, als die glänzende Frucht mülsamen

Fleißes und beharrlicher Forschung; ein anderer an GeisteSerzergnisse

strahlender Jahrhunderte, in denen Bildung allgemein verbreitet und

die Erwerbung von Kenntnissen durch unzählige Hülfsmittel erleichtert ist.

WaS für jene Zeit außerordentlich und bewundernswerth war,

weil eS einzig dastand, erscheint der unsrigen als gemein und rnnütz.

175

Wissenschaftliche Bestrebungen der Westgothen.

Und allerdings ist es jit bedauern, daß nicht nur Jsidor's Zeitgenossen, sondern auch daö spätere Mittelalter noch lange seine Schriften als

den einzigen Inbegriff aller Gelehrsamkeit ansah und deshalb verschmähte zu der wahren Quelle, aus welcher Isidor geschöpft hatte, den Alten

selbst, zurückzugehen.

Schätzbar für die Nachwelt ist auch seine Schrift

über die Natur der Dinge, da in ihr so manche Bruchstücke auö Nigidius, Varro, Sueton u. A. aufbewahrt sind.

Seine theologischen

Abhandlungen sind nicht frei von dem Geschmacke deS Zeitalters, aber

sie athmen einen frommen Sinn und predigen eine reine Sittenlehre. Vielfach wirkte er durch Briefwechsel auf andere empfängliche Gemüther, unter denen der Bischof von Cäsaraugusta, Braulio, hervorragt.

Ihm

eigentlich verdanken wir Jsidor's großes Werk der Etymologien,, denn auf sein wiederholtes Bitten schrieb er es und ihm ist es zugecignet,

und wohl verdiente er diese Auszeichnung.

Auch er fand Geschmack

an den Dichtern der Romer, und selbst die griechische Sprache war

ihm nicht unbekannt, seine Kenntnisse wußte Receswinth zu benutzen, um fehlerhafte Handschriften durch ihn verbessern zu lassen; dem Priester

Fructuosus erklärte er in einem gelehrten Schreiben dunkle Stellen aus des heil. Hieronymus Schriften.

Seinem Lehrer Isidor schrieb er eine

wohlverdiente Lobschrift.

Dem gelehrten Eugenius, welcher des Dracontins Gedicht von den sechs Tagen der Schöpfung genießbar machte, folgte auf dem bischöf­

lichen Stuhle von Toletum der Gvlhe Ildefons.

Da die Freuden der

Welt keinen Reiz für ihn hatten, so warf er sich ganz in die Tiefen der damaligen Kirchenlehre; der Eifer, mit welchem er für die unbe­

fleckte Reinheit der Jungfrau Maria predigte und schrieb, schien seinen

Zeitgenossen so verdienstlich, daß sie wähnten, die Gottesmutter selbst habe ihn dafür persönlich belohnt.

Neben mehreren theologischen Ab­

handlungen schrieb er auch das Leben berühmter Gottesgelchrten nach dem Beispiele Jsidor's.

Nicht weniger zeichnete sich auf demselben Bischofssitze Julian aus,

eben

der,

dessen

bereits

Geschichtschreibers

als

gedacht worden

ist.

Eine Schrift über die Auferstehung und das zukünftige Leben beweist,

daß auch die griechische Sprache ihm nicht fremd wär, und die große

Anzahl seiner Abhandlungen

theologischen Inhaltes zeugt von seiner

Gelehrsamkeit in diesem Fache.

Selbst in der Dichtkunst versuchte er

sich und trat in Schutzschriften als siegreicher Vertheidiger der west-

176

Westgothen.

gothischen Kirche gegen den Tadel deS römischen Bischofes ans.

Sein

Leben beschrieb uns einer seiner Nachfolger im Amte, Felix.

Die Bildung des Geistes durch Forschung in ben Wissenschaften, von anderen germanischen Völkern, als zur Weichlichkeit und Vernachlässignng körperlicher Uebungen führend, verachtet, war von mehreren westgothischen Königen hochgeschätzt und befördert. Sisebut selbst schrieb

Lin Leben des heiligen Bischofes Desiderius und führte einen ausge­

dehnten Briefwechsel.

Isidor rühmt seines Eifer für die Wissenschaften

und widmet ihm, als einem Kenner, sein Werk über die Natur der Dinge. Chindaswinth veranlaßte den Eugenius das Gedicht des DracontinS umzuarbeiten, und auf sein Geheiß zog Braulioö Nach­ folger im Bisthume von Eäsaraugusta, Tajo, nach Rom, um von dem Papste Martin I. eine Abschrift der in Spanien fehlenden Bücher der Moralien Gregors des Großen zu erbitten; es gelang ihm, diese auszufinden und eine Abschrift nach Spanien zu bringen, welche er dem Braulio mittheilte. Auch er selbst versuchte sich als Schriftsteller, indem er aus Gregor's des Großen und des heiligen Augustinus

Werken eine Menge Sprüche zusammensetzte und dieselben mit wenigen eigenen Bemerkungen begleitete.

Wie Receswinth Braulio's Kennt­

nisse zu benutzet» wußte, ist^ereitS^erzählt worden. An Bücherfammlnngen konnte Spanien nicht arm sein,

da aus­

drücklich gemeldet wird, daß DonatuS aus Aftika eine Menge von

Handschriften nach der Halbinsel hinüberbrachte, und Jsidor's ganze

Gelehrsamkeit kann ja nur aus zahlreichen, ihm zu Gebote gestandenen Büchern geschöpft sein, auch redet er selbst in seinem großen Werke

ausführlich

von Büchersammlungen

und

deren

Einrichtungen.

In

jenem Kloster wurden Handschriften aufbewahrt und benutzt, und auch die Könige legten Büchersammlungen an. So suchte auf Braulio's Bitten der Priester Aemilian die Abhandlung des Aprinciuö über die Apokalypse in der Bibliothek des Königs; allein das Werk mußte sehr selten fein, da es selbst hier zu Aemilian's Verwunderung nicht zu Nur Schade, daß dieser Reichthum an Hülfsmitteln durch

finden war.

das Verbot des Lesens heidnischer Schriftsteller ein todter Schatz ge­ worden war und zu einer höheren Blüthe der Wissenschaften Nichts

beitragen konnte.

Alle Schriftsteller, welche während dieses Zeitraumes in der Halb­ insel lebten, mochten sie römischer oder gothischer Abkunft sein, bedienten

177

Wissenschaftliche Bestrebungen der Westgothen.

sich in ihren Schriften der lateinischen Sprache, und eS ist keine Spur

vorhanden, daß man jemals in Spanien gothisch geschrieben habe, ob­

gleich diese Sprache der Ausbildung so sehr empfänglich war, wie die Bibelübersetzung des Ulfilas beweist.

Allein das Latein der Westgothen

war nicht das der alten Römer; es trägt die Spuren des Zeitalters an sich und verleugnet nicht seine gothische Verwandtschaft.

Die beste

lateinische Schreibart findet sich noch in des heiligen Martin von Du-

mium gedankenreichen Werken, wenig

wie Leander,

aber fteilich war es kein Gothe, so

dessen Vortrag rein und gedrungen ist;

Isidor

schrieb wenigstens fließend und deutlich, aber schwülstig und gedanken­ arm ist die Schreibart der Gothen Jldefon'S und Tajo.

Auch Braukio

und Julian vermochten nicht sich über den Geschmack ihrer Zeitgenossen

zu erheben. Die Ausübung der Heilkunde scheint bei den Westgothen mehr ein

den

Leuten niederen

Standes

überlassenes Gewerbe

Wichtigkeit gemäß geschätzte Kunst gewesen zu sein.

als

eine ihrer

Aus der gesetz­

lichen Vorschrift, daß kein Arzt einen Freigeborenen ohne Beisein von Zeugen zur Ader lassen solle, kann man auf den schlechten Ruf der Aerzte schließen; und die Bestimmung, daß der Arzt, wenn er sich für

die Heilung einen bestimmten Lohn bedungen hatte, der Kranke aber

starb, Nichts fordern dürfe, zeugt von der Geringschätzung seiner Kunst. Litt ein Freigeborener durch den Aderlaß Schaden an seinem Körper,

so mußte der Arzt ihm hundertfünfzig Sol. bezahlen, und wenn Jener gar in Folge desselben sein Leben verlor, so verfiel dieser in die Gewalt

der Verwandten des Verstorbenen; einen getödteten Hörigen mußte er an dessen Herrn ersetzen.

Dagegen erhielt er für die Heilung einer

Augenkrankheit nur fünf Sol.,

und

ein Lehrling

bezahlte ihm für

seinen Unterricht die geringe Summe von zwölf Sol. Aus

allen Zeugnissen

erhellt

endlich

dem

unbefangenen

Forscher,

daß zwar der durch die ausschließliche Beschäftigung mit den Grübe­

leien der Kirchenlehre getrübte Sinn der Westgothen für den erhabenen Geist des Alterthums nicht empfänglich war, daß aber wissenschaftliche Bestrebungen zur Ehre gereichten und bei

ihnen zahlreicher gefunden

werden, als bei irgend einem andern Volke germanischer Abkunst der

damaligen Zeit. Freilich kann die in besserer Schule gebildete Gegenwart keine Früchte ziehen aus ihren Schriften, aber sie darf ihnen das Lob nicht verHistor. Lesebuch. H.

12

178

Westgothen. — Wissenschaftliche Bestrebungen der Westgoten,

sagen, in einem Zeitalter, welches nirgendwo eine Spur ächter Bil­

dung entdecken läßt, den Sinn Mr bessere Gesetzgebung, Mr Forschung in der Schrift und selbst Mr die Aufbewahrung gleichzeitiger Begeben-

heitm nicht ganz verschlossen zu haben.

War der Erfolg gleich nicht

sichtbar, so achte man doch die Bestrebung!

IV. Hunnen.

Der Bölkerzug des Wttila. (K. A. Menzel.)

Zwanzig Jahre nach Afrika's Eroberung entstand auf Veranlassung der Vandalen

zu

werden,

für ganz

und

Europa

Gefahr,

eine Beute der Hunnen

für die Römer Gelegenheit,

noch kurz vor ihrem

Untergange das viele Böse, welches sie der Welt gethan, durch einen großen Rettungskampf zu versöhnen. König Giserich nämlich, der je älter je grausamer ward, warf Ver­ dacht auf seine Schwiegertochter,

daß fie ihn vergiften wolle,

um

eher Königin zu werden, ließ ihr Nase und Ohren abschneiden, und schickte

sie so ihrem Vater, dem westgothischen Könige Theodorich,

Wallia's Nachfolger, nach Toulouse

zurück.

Seitdem fluchtete

der

Tyrann, der tödtlich beleidigte Vater möchte sich mit den Römern zum Rachekriege gegen ihn verbinden.

Daher schickte er Boten mit Ge­

schenken an Attila, König der Hunnen,

und ließ ihn einladen,

die

beutereiche Westwelt zu überziehen. Das Volk der Hunnen,

welches

den ersten Anstoß

des

großen

Völkersturms gegeben, der über Europa dahin gerauscht war, hatte

seitdem mit seinen Heerden rühmlos an den Usern der Donau geweidet. Aber in der Trennung der Stämme war das Schrecken, welches fie

vor fich her gesendet, verschwunden; ihre Häupter dienten den Römern

um Sold, bis Attila, der Sohn Mundzuck's, durch den Tod seines Oheims Roas oder Rugilas zur Herrschaft gelangte.

180

Hunnm.

Dieser große Eroberer, GotteS

den noch spätere Geschlechter eine Geissel

entledigte sich

genannt haben,

durch Mord

seines BmderS

Bleda, der mit ihm gemeinschaftlich herrschen sollte, und unterwarf sich in wenig Jahren alle Stämme der Hunnen, dann die germanischen,

slavischen und tartarischen Völkerschaften, die im Verfall der hunnischen

Macht allmählig ihre Unabhängigkeit wird

ein

König

kaspischen Meere

Germanien's an

bis

und

wieder gewonnen hatten.

Scythen's

genannt,

Er

denn vom

den Rhein zogen nach und nach zahllose

Völker zu seinen Fahnen; aber es würde vergebliche Mühe sein, die

Gränzen dieses Reichs,

die dem Herrscher selbst nicht bekannt sein

konnten,

wollen.

sondern

bestimmen zu

ein großer Waffenverein

ES war eigentlich nicht ein Reich,

kriegerischer Völker,

deren

eben so

viele seinen Ruhm und sein Glück angelockt, als sein Schwert unter­ jocht haben mochte.

Dieses Schwert,

welches

ein Hirt auf einer

Steppe Scythien's gefunden, und dem König gebracht hatte, ward für das Schwert des Kriegsgottes und für unüberwindlich gehalten: nach der rühmlosen Bezwingung unbekannter Länder im Osten und Norden bewährte Attila diesen Glauben durch eine Reihe von Siegen, die er

gegen die Römer vor Constantinopel Welt.

erfocht,

auch

für die südliche

Er überschritt die Donau und verheerte die ganze Breite veS

ungeheuren Landstrichs, der sich vom schwarzen bis zum adriatischen Meere hindehnt.

Die meisten der alten Städte dieser

einst

herrlich

angebauten Erdgegend, unter ihnen Sirmium, Singidunum, Sardica,

NaissuS ic., sind damals wüste geworden, Hunderttausende von Ge­ fangenen in hunnische Knechtschaft geschleppt worden.

Kaiser Thecdo-

sius II. zitterte hinter den durch ein Erdbeben zertrümmerten Mauern

von Constantinopel, und erkaufte durch Abtretung der südlichen Donauländer bis

an die Gränzen Thrazien's und einen jährlichen Tribut

von zweitausend Pfund GoldeS einen schimpflichen Frieden.

In einer Ebene des heutigen Oberungarn's, zwischen der Domu, der Theiß und

den karpatischen Gebirgen, mitten in einem groien

Dorfe, zu welchem allmählig sein Lager sich gestaltet hatte, stand der Palast des Völkerbeherrschers, von Holz,

wie die übrigen Gcbärde,

aber ausgezeichnet durch seinen weiten Raum, seine Höfe und Halen,

und

von einen mit Thürmen besetzten Pfahlwerk

umgeben.

Hier

empfing Attila die Gesandten des Hofes von Constantinopel, urter denen PriökuS diese Geschichten beschrieben.

Abend- und Morgmlmd,

deutsches und hunnisches Wesen erschienen an diesem Hofe in nunter-

181

Der Völkerzug des Attila. barer Mischung.

Neben der hunnischen herrschte die gothische Sprache;

Walamir, der Ostgothe, und Ardarich, der Gepide, saßen im Rathe

des Königs.

Seiner Gemahlinnen waren

mehrere,

nach

asiatischer

Weise, aber diese Frauen waren nicht von argwöhnischer Eifersucht zu immerwährendem Gefängniß verdammt, sondern empfingen und bewir­

theten die Fremden in ihren mit römischen Kostbarkeiten verzierten Ge­ mächern.

Attila selbst gab den Gesandten ein prunkvolles Gastmahl.

Die Krieger, die ihn umgaben, hatten schmuckreiche Kleider und Waffen, und speisten, wie die Gesandten, auf goldenen und silbernen Schüsseln

künstlich bereitete Gerichte; aber der Gebieter, vor dessen furchtbarem Blick sie zitterten, trug schlechte Kleidung, ward mit hölzernen Gefäßen

bedient, aß nichts als Fleisch, nnd verschmähte nach Weise des Volks

sogar die Leckerei des Brotes. Hunnen,

Seine Gesichtsbildung war die eines

aber sein Geist durchschaute und verspottete die Schwäche,

wie die Arglist des byzantinischen Rom's.

Als der Abend kam, traten

Sänger herein und sangen von den Thaten der Helden, daß Greise

bei der Erinnerung Thränen vergossen, und Jünglinge von Begier zu kämpfen

entbrannten.

an den Höfen des spätern Mittelalters

Wie

ergötzte nach Beendigung des Gesangs imb Saitenspiels ein Narr die

Versammlung; aber Attila entfaltete seinen majestätischen Ernst nicht

eher zu einem freundlichen Lächeln, als bis sein jüngster Sohn, Jrnac, hereingesührt ward, von dem er, wie einer der Anwesenden dem Pris-

cus vertraute, einem Seherspruche zufolge, die Fortdauer seines Stam­ mes erwartete. Attila's Lager war der Zufluchtsort von Helden und Abenteurern. Aetius, der nachmals Europa vor den Hunnen gerettet, war in frü­

hern Jahren zweimal unter ihnen als Flüchtling, und vielleicht Attila's

Waffengefährte; Orestes, dessen Sohn nachmals zu Rom Kaiser ge­ worden,

und Eddekon,

Vater des

Italien, waren Attila's Diener.

ersten

barbarischen Königs von

Wenn er eine« der Seinigen belohnen

wollte, schickte er ihn nach Constantinopel als Botschafter mit Anwei­

sung auf große Geschenke, die ihm dort gemacht werden mußten.

großer Theil freien

des Frevels,

Völkern und

Ein

den die Gesandten des alten Rom's an

Königen

verübt haben,

ist damals

gegen den

Schwächling Theodosius II. vergolten worden: als endlich dessen Mi­ nister, der Verschnittene Chrysaphius, einen Versuch machte, sich des

Uebermüthigen durch bestellten Meuchelmord zu entledigen, der Anschlag

aber mißlang, ließ Attfla dem Kaiser das Verbrechen, worein er ge-

182

Hunnen.

willigt, durch eigene Gesandte verweisen, und sich die Begnadigung

deö Ministers durch reiche Geschenke abkaufen. Dieser Unwiderstehliche war es, welcher von Giserich angeregt ward,

das Abendland zu überziehen.

Zu derselben Zeit ward ihm noch an­

ders woher ein unerwarteter Anreiz.

Honoria, Placidien's Tochter,

die zur Strafe verbotener Liebeshändel von ihrem Bruder, Kaiser Va-

lentinian HL nach Konstantinopel

geschickt

worden

war,

wo

sie in

Gesellschaft der frommen Schwester des Kaisers Theodosius II. Pulcheria,

widerwillige Keuschheit üben mußte, gerieth auf den außerordentlichen

Gedanken, sich durch eine Vermählung mit dem Könige der Hunnen aus ihrem verdrießlichen Kerker zu befteien.

In dieser Absicht schickte

sie ihm durch einen treuen Verschnittenen einen Ring, und ließ ihn

rinladen, um ihre- Hand, und mit derselben um die Herrschaft des Abendlandes zu werben.

Attila nahm diesen Antrag an und setzte

den abendländischen Hof durch die Forderung in Erstaunen, ihm die

Prinzessin zur Gemahlin und zugleich die Hälfte des Reichs, als das

ihr entzogene väterliche Erbe, zur Mitgift zu geben.

Er erhielt aber

zur Antwort, daß Honoria keine solche Ansprüche habe, weil das rö­ mische Reich nur Männern, nicht Weibern gehöre;

ihre Hand nicht gegeben werde,

gegeben sei.

auch könne ihm

weil dieselbe schon an einen Andern

Die unglückliche Fürstentochtcr scheint nämlich nach Ent­

deckung ihres Plans von Constantinopel mit Abscheu angesehen und

nach Rom

geschickt

worden zu sein,

wo man sie,

vermuthlich dem

Namen nach, mit einem unbekannten Manne vermählt in engem Ge­ wahrsam hielt: denn Attila ließ durch wiederholte Gesandschaften er­

klären, daß sie nichts unwürdiges begangen habe, sich dem zu ver­ loben, der vom Kaiser Tribut zu fordern berechtigt sei. Aber auch die Fortzahlung dieses Tributs ward ihm damals von

Marzian, der auf Theodosius II. gefolgt war, nach altrömischer Weise verweigert.

Gold

habe der Kaiser,

sprach sein Gesandter,

seine Freunde, dagegen Eisen für seine Feinde.

nur für

Nach dieser Beleidi­

gung hätte man erwarten sollen, daß Attila seine Waffen gegen die

so oft verhöhnten griechischen Römer wenden würde; aber sei es, daß

die Festigkeit ihrer Hauptstadt ihn bedenklich machte, oder daß daS Bündniß mit den Wandalen und die Ansprüche, die er durch Honoria's

Besitz zu erwerben hoffte, ihn bestimmten, er verschob die an Constan­ tinopel zu nehmende Rache und führte das Aufgebot seiner zahlreichen Völker gegen Westen.

Seiner Krieger sollen über eine halbe Million

183

Der Völkerzug des Attila.

Dies ist der größte Heereszug,

gewesen sein.

den Rücken

des

nicht geringere,

alten Europa's

gegangen;

der aus Osten über

eine

an Zahl vielleicht

an Waffen und Kriegskunst weit überlegene Macht,

die dreizehnhundertundeinundsechszig Jahre nachher in entgegengesetzter Richtung

gegen Osten gezogen,

hat Scythien

so

wenig

als Attila

Gallien bezwungen, ist aber schmachvoller untergegangen.

Als

Attila mit den Königen

der Ostgothen,

Gepiden,

Heruler,

Rugier, Scyrren, Neuren, Bastarnen und anderer Völker des OstenS vie Donau hinaus gegen Gallien zog (451), fand er die Germanen,

die seit Marbod'S Zeiten den römischen Gränzen gefährlich

gewesen

waren, zu gleichem Vorrücken bereit: die Markmannen, Quaden und Sweven

traten unter seine Fahnen.

Darauf ward

wo der Rhein mit dem Neckar zusammenfließt,

in der Gegend,

das hunnische Heer

Es herrschten nämlich über das

durch fränkische Schaaren verstärkt.

Volk der Franken am Niederrhein zwei uneinige Brüder, die Söhne

Chlodios, welcher das Gebiet der Franken bis an die Somme aus­

gedehnt und Cambrai erobert hatte, von Aetius aber geschlagen wor­ Dieser und sein Vater Pharämund, der ums Jahr 420

den wgr.

aus dem innern Germanien zu den rheinischen Franken eingewandert

zu sein scheint, sind die ersten der langhaarigen Könige der Kranken, deren Namen von der Geschichte genannt werden.

Von den.Brüdern

aber, welche zur Hunnenzeit um die Herrschaft stritten, ward der jün­ gere endlich vertrieben und floh nach Rom zum Kaiser, wo der Ge­ schichtschreiber Priökus ihn gesehen, und sein langes, über die Schul­

tern fallendes Haar bemerkt hat.

Dagegen wandte sich der ältere an

Attila um Hülfe, und der König der Hunnen ergriff mit Begier ein

Bündniß,

welches feinen Absichten auf daö Abendland so förderlich

und nützlich schien. Mit diesem aber war eS damals

also beschaffen.

Placidia lebte

nicht mehr; für ihren Sohn, Kaiser Palentinian III., verwaltete der

tapfere Patrizier Aetius das Reich und machte den Flecken seiner frü­ hern

Jahre

vergessen.

durch

ruhmvolle Thaten und

staatskluge Einrichtungen

Den Burgundern erweiterte er das Gebiet am Fuße der

Alpen, welches ihnen schon Constantins eingeräumt hatte, damit die

Eingänge Gallien's und Jtalien's von ihnen, wie einst von den alten Helvetiern, bewacht würden; die hochmüthigen Franken demüthigte er

durch eine Niederlage, die ihnen einen Theil des belgischen Niederlandö entriß; den Alanen gab er einen Landstrich an der Loire, mit Ver-

184

Hunnen.

Pflichtung zum Kriegsdienst, und die Gothen in Toulouse, welche auf

das ganze südliche Gallien Erobemngsplane machten, ließ er gewähren, daß wenigstens unter seiner Anfiihrung die Römer noch zu kämpfen verstanden. Aber durch Attila's Ankunft gewann dieses Alles eine andere Ge­

stalt: die Römer und die in ihren Provinzen angesiedelten Deutschen

mußten nun ihre Streitigkeiten enden, wenn sie nicht beide untergehen wollten.

Diese natürliche Vereinigung suchte der listige Hunne durch

Künste zu hindern, für welche glücklicher Weise Aetius zu viel, Westgothen

zu

wenig

Staatöklugheit

besaßen.

Ehe

er nämlich

die

in

Gallien einbrach, schickte er Botschaft gen Rom und unterstützte sein früheres Gesuch um Honoria'ö Hand durch das Anerbiete», die Län­

der, die er als deren Erbtheil begehrt hatte, ihren jetzigen unrechtmäßi­ gen Besitzern zu entreißen.

Er komme, schrieb er, als Freund des

Reichs, um dasselbe von Denen zu befreien, die seinen Boden wider­ rechtlich eingenommen hätten.

Von jeher wären Hunnen und Gothen

Feinde gewesen, wie Römer und Gothen; daher hoffe er in Bekämpfung

des

gemeinsamen Feindes freundlich unterstützt

zu werden.

Zn der­

selben Zeit schrieb er an den König Theodorich nach Toulouse: „Hunnen

und Gothen könnten nur einen Zweck haben, den nämlich, die Welt

von Roip zu befreien; darum möge er sich, wenn er es wohl meine, mit ihm gegen die Römer vereinigen."

hunderten Klügsten

größerer Weisheit Solche

Aber eine List, die in Jahr­

getäuscht

hat,

die sich für die

achteten, scheiterte an dem gesunden Menschenverstände des

gothischen Königs.

Darum,

als

der Kaiser ihm schrieb,

„Römer

und Gothen müßten jetzt zusammenhalten gegen den Feind des mensch­

lichen Geschlechts, der die ganze Welt in Knechtschaft zu stürzen bereit

sei, der für recht halte, was ihm gut dünke, und sich nicht einmal die Mühe gebe, Scheingründe seines Verfahrens aufzusuchen; die Gothen sollten sich der alten Beleidigungen erinnern, und wie noth ihnen ein

Bündniß mit den Römern sei, aus der Mühe abnehmen, die Attila sich gebe, dasselbe zu hintertreiben" — antwortete Theodorich: „Wie sehr der Hunne seiner Siege sich rühmt, verstehen es doch die Gocheu auch, Ucbermüthige zu strafen.

Nie hat uns ein anderer Krieg schwer

geschienen, als ein ungerechter; unser Volk aber denket wie wir." Darauf schickte der Kaiser zu beit Burgundern im Lande der alten

Helvetier, zu den Alanen an der Loire, zu den romanischen Franken

in Belgien, zu den germanischen Franken am Rhein, zu einem Stamme

185

Der Völkerzug des Attila.

der Sachsen, der an der Mündung der Loire, in der heutigen Vendee,

zum Ackerbau angesiedelt war, und zu den freien Bewohnem von

Allen diesen ließ er die gemeinsame. Gefahr vorstellen, und alle diese versprachen ihm Hülfsvolk. Also vereinigten sich Römer,

Armorika.

Gothen, Burgunder, Gallier, Franken und Sachsen mit einander gegen die Hunnen und ihre Bundesgenossen.

Diese aber gingen unweit der

Neckarmündung auf einer Schiffbrücke über den Rhein.

Gunthakar,

König der Burgunder, der an einem der Pässe, die das Land Gallien

verwahren, wider sie streiten wollte, ward erschlagen, was von den Städten am Rhein und in den belgischen Provinzen aus den vorigen

Verwüstungen noch übrig war, namentlich Metz, Trier und Tongern, glaubten, der Städte entbehren zu

sank in Trümmer: die Hunnen

können. Da erschrak Sangipan, der König der Alanen, die an der Loire in und bei Orleans wohnten, und sandte heimlich zu Attila und ließ ihm

sagen, er wolle ihm Orleans übergeben, wenn ihm Schonung bewilligt

würde.

Aber Aetius, der den Anschlag erfuhr, entbot noch zu rechter

Zeit den Verräther zu seinem Heer, und stellte ihn so, daß er wider Willen gegen Attila streiten mußte. Orleans ward mit neuen Werken und tapfern Vertheidigern versorgt. Den Letztem sprach Bischof Anianus Muth und Ausdauer ekn. Als nun die Mauern schon erschüttert, und

die Vorstädte erobert waren, Alles aber, was die Waffen nicht tragen konnte, auf den Knieen lag, schickte Anianus, welcher ängstlich Tag

und Stunde zählte, einen Vertrauten auf den Wall, um in die Ferne

Zweimal kam er ohne Trost zurück, aber beim drittenmal meldete er, daß er am äußersten Gesichtskreise eine kleine Wolke ent­ deckt habe. Es ist Gottes Wille, rief der Bischof, und das ganze zu blicken.

Volk wiederholte mit andächtigem Vertrauen den Ausruf.

Wirklich

waren eS die Fahnen der Römer, Westgothen und der mit ihnen ver­

einigten Völker, die unter des Aetius und Theodorich's Anführung zum Entsatz von, Orleans anrückten. Attila aber wartete deren Ankunft nicht ab, sondern zog sich über

die Seine nach Gegenden, hoffte.

wo

er seine Reiterei besser zu brauchen

Die Gepiden mußten mit großem Verluste seinen Rückzug gegen

die verfolgenden Franken decken. Als er nun die catalaunischen Ge­ filde, da wo heut Chalons an der Marne ist, erreicht hatte, machte er Halt, daö verbündete Heer zu erwarten.

Die weite von der Marne durchflossene Ebene wird durch mehrere

186

Hunnen.

Hügel unterbrochen.

der Abendwelt

An dem bedeutendsten derselben trafen die Heere

auf die hunnische Macht.

Den linken Flügel führte

Aetius, den rechten Theodorich, in der Mitte zwischen Römern und

Gothen war Sangipan, der verdächtige Alane,

gestellt.

Unermeßlich

schien andererseits das Hunnmvolk, einen Flügel führte Ardarich, der

Gepide, den andern Theodemir, Theoderich, Walamir, die Fürsten der

Attila stellte

Ostgothen.

diese

den Westgothen

meinte, Brüder stritten besser gegen Brüder.

weil

gegenüber,

er

Also befleckten die Amaler

die Ehre ihres Stammes durch Dienstbarkeit unter dem Hunnen; nur Walamir genoß, wie Ardarich, einige Gunst.

Könige achtete gemeinen Kn'egem gleich, zitternd und ohne Worte,

gehorchte,

Der übrige Haufe der

auf des Attila Wink, und

seinem Befehl;

allein,

er

der

König der Könige, war um das Ganze bekümmert.

Diesmal

aber

bestürmten

schwarze

seine

Ahnungen

Seele.

Die

Hunnen hatte der Rückzug entmuthet, und die Wahrsager verkündeten

Unglück;

doch

Leben bezahlen.

werde

der Anführer der Feinde

den Sieg

mit dem

Da gedachte Attila, daß dem Aetius der Untergang

bestimmt sei und wollte um diesen Preis einen Unfall ertragen; denn

er erkannte, daß das Reich auf dem Einen beruhe.

Der Kampf begann an dem Hügel, dessen beide Heere sich zu be­ mächtigen strebten und ward bald zur wüthenven Schlacht.

(nach Andern noch

undzweiundsechszigtausend

mehr)

Hundert-

sollen

gefallen

sein; ein Bächlein, welches durch die Ebene rann, schwoll vom Blut

zum reißenden Strom.

Wohl muß das menschliche Geschlecht für seine

Könige geboren sein, sagt JornandeS, da die Laune eines Einzigen in einem Augenblick Böller hinwegrafft, zu deren Erzeugung die Natur

der Jahrhunderte bedurfte! Sache der Menschheit.

Aber Römer und Gothen fochten für die

Was wäre Europa unter dem Stecken des

Kalmücken geworden.

In dieser Schlacht ward König Theoderich, ermunterte,

als er die ©einigen

durch eine ostgothische Lanze vom Pferde geworfen und

unter den Hufen der Rosse zertreten.

Thorismund unwissend, daß er

gefallen, rächte den Vater durch Sieg.

Nach unermeßlichem Verluste

zog sich der Bezwinger Scythien'S und Germaniens mit einbrechender

Rächt in seine Wagenburg und ließ unzählige Sättel aufhäufen, um, wenn er verfolgt würde, sie anzuzünden und im Feuer zu sterben; zu­ gleich und

schreckte

ein furchtbares Getöse von Waffen,

Menschenstimmen die

zum

Sturm

anrückenden

Schlachthörneru

Sieger.

Diese

187

Der Völkerzug des Attila.

rathschlagten

anfänglich,

Hunnen

die

dmch

Hunger

zwingen;

zu

bald aber zogen die Gothen heim, wie eS scheint, durch eignen Mangel genöthigt.

Vorher hatten sie ihres Königs Leiche feierlich, vor Attila's

Augen, mit Siegesgesang bestattet, und den tapfern Thorismund auf einem glänzenden Schild zu seinem Nachfolger erhoben.

Aetius selbst,

erzählt Jornandes, riech dem jungen Fürsten, sich zu Hause der Herr­

schaft zu versichern; der römische Feldherr habe den gänzlichen Unter­ gang der Hunnen verhüten wollen, um sich ihrer int Nothfall gegen

die Gothen, vielleicht wie vormals gegen den Kaiser selbst, ju bedienen.

Attila aber, als er die Stille im Lager seiner Feinde gewahr ward,

brach auf und zog mit der Geberde des Siegers über den Rhein. Die verderbliche Staatskunst, die aus Mißtrauen gegen den Freund des ärgsten Feindes schonte, ward früh genug gestraft.

Im folgenden

Jahre erneuerte er seine Anforderungen und wandte sich, als dieselben

wiederum

abgewiesen

wurden,

Gothen vertheidigt ward.

gegen

Italien,

Drei Monate

welches

von

keinen

widerstand ihm das reiche

und bevölkerte Aquileja; als es im vierten durch Sturm fiel, ward

es von Grund aus zerstört; hundert Jahre nachher suchte man die Trümmer.

Hierauf plünderte und beschädigte Attila, ohne sie ganz zu zerstören,

viele uralte Städte, unter thneu Verona, Bergamo, Brescia, Mailand, Pavia; in Mailand ließ er auf einem Gemälde, wo der Kaiser von

ihm Tribut empfangend dargestellt war, seinen und des Kaisers Platz

vertauschen; nach Ravenna zog er durch eine Oeffnung der Mauer,

welche die Einwohner ihm

zum Zeichen

der Unterwürfigkeit

hatten

machen müssen. Damals, wo vor der Grausamkeit der Hunnen viele Bewohner des festen Landes auf die Inseln im adriatischen Meer entflohen, ist der

Grund des mächtigen Venedig's gelegt worden.

Als nun Attila gegen Rom hinabzog, kam ihm, wo der Mincio sich in den See Benacus ergießt, der römische Bischof Leo, ein sehr

alter Ehrfurcht gebietender Mann, von vielen Großen begleitet, ent­

gegen.

Seine Beredsamkeit und ansehnliches Löscgeld, das Heiraths-

gut der Honoria,

welches

geboten ward,

befreieten

Rom,

und be­

wogen den Hunnenkönig zur Rückkehr.

Krankheiten, von Italiens üppigen Genüssen erzeugt, hatten Attila'S Schaaren verdünnt, und die Sage, daß der Apostel die heilige Stadt

beschütze,

verbunden mit der Erinnerung an Alarich,

der kurze Zeit

188

Hunnen.

nach ihrer Erstürmung gestorben, mochte auf das abergläubige Gemüth

des Hunnen ihre Wirkung nicht verfehlen.

Eine durch Raphael'S Pinsel verherrlichte Legende, läßt des frommen Bischofs Beredsamkeit durch eine himmlische Erscheinung verstärkt wer­

den.

Die Apostel Petrus und Paulus schweben ihrem Nachfolger zur

Seite und bedrohten den Attila,

wenn er seinen Bitten Gehör ver­

sagen will.

Attila

verließ Italien,

Schätzen belastet.

vom Raube

der Städte und des Kaisers

Doch redete er fortwährend von seinen Ansprüchen Als er im folgenden Jahr zu seinen vielen

auf Honoria's Hand.

Weibern sich npch eine, die schöne Hildegund, zugelegt hatte, starb er

in der Hochzeitnacht,

durch den Aufspmng

einer Blutader

getödtet.

Im Traume dieser Nacht sahe Kaiser Marzian den Bogen Attila's

zerbrochen.

Die Hunnen setzten Attila's Leichnam mitten in einer weiten Ebene

unter ein seidenes Zelt, um welches, seine Thaten singend, die Reiterei umherzog.

nen,

Das Volk beweinte seinen großen Führer nicht mit Thrä­

sondern

mit Blut.

Alle Leidtragenden schoren ihr Haupthaar

und zerfetzten ihr Angesicht mit schmerzlichen Wunden. den sie vvn Ellak, Attila's Sohne,

bewirthet.

Darauf wur­

In derselben Nacht

ward die Heldenleiche tu drei Särge, erst fit einen goldenen, darauf

in einen silbernen, und zuletzt in einen eisernen gelegt und mit großen Schätzen begraben, alle Arbeiter aber umgebracht, damit keiner Attila's Stätte verrathe.

Mit ihm

verging

sein

Reich.

Als

seine zahlreichen Söhne

die

Macht theilten, deren Einheit er durch Brudermord erkauft hatte, rissen sich die Könige los, die ihr unterworfen waren.

Gothen, Gepiden,

Sweven, nach und nach alle Andern wurden frei.

Zuerst fiel Ellak,

der älteste und tapferste von Attila's Söhnen, nachmals die übrigen, auch Jrnak, von dem er die Fortdauer seines Stammes gehofft. Welch Schauspiel für Constantinopel, als der Kopf eines der Söhne

Attila's in der Rennbahn aitfgesteckt ward!

Attila's Palast und das

Land Dazien ward der Sitz eines Reichs, welches Ardarich, König der Gepiden, errichtete; die Ostgothen aber herrschten in Pannonien

von Wien bis Sirmium; die Hunnen verschwanden.

V. Vandalen. (Papencordt.) In jener Bewegung der Nationen, welche man mit dem Namen der Völkerwanderung zu bezeichnen gewohnt ist, treten uns die Gothen als der

entgegen.

einflußreichste Stamm der Germanen

Dieser

Stamm

war aber mächtig und bedeutend nicht blos durch die Schaaren, welche seinen Namen auch fernerhin trugen^ sondern nicht minder durch seine

Abzweigungen, die, obgleich aus derselben Wurzel entsprossen, dennoch bald unter besondere Namen wieder zu eigenen Völkern sich ausbildeten

und selbständige Reiche bildeten.

Solcher Art sind die Vandalen.

Prokop sagt von ihnen: „Es gab ftüher und giebt noch jetzt viele gothische Völkerschaften, die größten und merkwürdigsten sind aber die Gothen (Ostgothen) Vandalen, Westgothen und Gepiden.

Ehemals

wurden sie Sauromatett und Melanchlanen (Schwarzhaare) genannt. Manche nennen diese Völker auch Geten.

Alle zusammen unterscheiden

sich zwar durch ihre Namen, sonst aber weichen sie in keinem Stücke

von einander ab.

Denn Alle haben weiße Körper und blonde Haare,

sind lang gewachsen und Gesetzen und

haben

eine

von

gutem Aussehen,

einzige Sprache,

leben nach einerlei

welche

die

gothische ge­

nannt wird." Die Vandalen gehören also ihrer Abstammung nach zu dem großen

Gothenvolke und ihre Geschichte entwickelt sich auch immer den Schick­

salen der Stämme, welche den gothischen Namen behielten, zur Seite. Als mit dem markomannischen Kriege die großen Bewegungen der Germanen gegen das römische Reich begannen, da hatten auch die

190

Vandalen.

wir sehen sie

Vandalen ihre Sitze verlassen, und

gränzen auftreten.

an dm Donau­

Sie erscheinen aber nicht gleich als ein ganzes, in

sich einiges Volk, sondern wie bei den Gothen folgten auch ihre ein­

zelnen Stämme verschiedenen Richtungen. markomannischen Krieges,

gefährliche

Zuerst, im Anfänge deS

Feinde

der Romer

und

von

Mark-Aurel zurückgetrieben, stehen noch im Lause desselben Krieges

die Asdingen, ein vandasischer Stamm, aus der Seite der Römer.

Nachdem nämlich

diese Vandalen unter Anführung des Raus

und

Rantus durch Raubzüge gegen andere germanische Stämme vielfach

geschwächt waren, erhielten sie von den Römern Wohnsitze in Dacien,

wofür sie versprechen mußten, in dem ganzen gegenwärtigen Kriege Hülfe zu leisten, was auch geschah.

Wegen dieser Dienste wurden sie

dann ausdrücklich in die Friedensunterhandlungen einbegriffen, und die Markomannen mußten versprechen,

die Vandalen nicht zu bekriegen.

Trotz dieses freundschaftlichen Verhältnisses mit den Römern fielen sie jedoch von Zeit zu Zeit raubend und plündernd in deren Gebiet ein,

bis der Kaiser Aurelian sie angriff und zum Frieden nöthigte.

geriethen sie in Kampf mit den Gothen.

Später

Schon deren Sagen reden

von uralten Siegen über die Vandalen, jetzt unterlagen sie an den

Usern der Marosch in einer blutigen Schlacht, und der schwache Rest suchte Wohnsitze im römischen Reiche, welche er auch von Constantin dem Großen, aus dem rechten User der Donau in Panonien erhielt.

Giberich war damals König der Gothen und Wisumar herrschte über die Vandalen.

Die nächsten sechszig Jahre lebten sie nun ungestört

in Panonien, den Befehlen der Kaiser gehorsam und als Hülssttuppen

dienend.

So finden wir später einen Mann aus ihrem Volke, den

Stilicho an der Spitze des westlichen Reichs.

VoN ihm, wie es heißt,

aufgereizt, zogen sie in Verbindung mit den Alanen und Sueven aus

ihren bisherigen Sitzen durch das südliche Deutschland gegen den Rhein. Der erste Angriff traf die auf dem rechten Rheinufer wohnenden Frenken.

Eine blutige Schlacht entspann sich, der König der Vandalen Todi-

giskl fiel mit zwanzigtausend Mann seines Volkes, und dieses wäre vernichtet worden, wenn nicht eine Abtheilung der Alanen, unter Anführung deS Respendial ihnen zu Hülfe gekommen wäre.

Beide Völker

vereint warfen jetzt die Franken nieder und drangen am letzten Tage des Jahres 406 über den Rhein, der wahrscheinlich zugefroren war,

und so den Uebergang erleichterte.

Ungestört ergossen fich die Van­

dalen und Alanen über Gallien, erst an den Pyrenäen brach fich der

191

Vandalen.

Strom, aber nur desto schrecklicher wurde die umliegende Gegend ver­ wüstet.

Nach drei Jahren zogen sie, von den deutschen Garden, den

Honorariern, welche die pyrenäischen Pässe bewachten und in Auftuhr

geriethen, gerufen, nach Spanien, und dieses blühende Land wurde

nun der Tummelplatz der Barbaren.

Das flache Land wurde überall

mißhandelt.

die Gnwohner

verheert und

Dann theilten sie sich in

das Land: die Sueven und eine Abtheilung der Vandalen, die As­ dinger, unter dem König Gunderich, erhielten Gallien, die Alanen Lusitanien und

die Provinzen von Karthagena,

endlich

der zweite

Stamm der Vandalen, die Selinger, nahmen Bätika in Besitz. Aber nicht lange konnten die Vandalen und ihre Bundesgenossen in diesen Sitzen ungestört bleiben.

Athaulph,

der dem Alarich in der

den großartigen

Herrschaft über die Westgothen gefolgt war, hatte Plan gefaßt, aber

Westgothen und

Römer zu vereinigen, der sinkenden,

gebildeten Herrschaft der Römer durch

die Kraft seiner rohen

Gothen aufzuhelfen, und als er nun mit einer Römerin, der Kaiser­

tochter Placidia sich vermählte, da scheint selbst die Kirche Heil und Rettung von ihm erwartet zu haben, indem sie die Prophezeihung des

Daniel, daß eine Fürstin des Ostens sich mit einem Könige des Nor­ dens verbinden werde, auf daö Ehepaar anwendete. Athaulph selbst konnte jedoch nichts Bedeutenderes Spanien ansässigen Barbaren unternehmen,

Alanen

in

Lusitanien

von

gegen die in Sohn Wallia

Im Jahre 418 wurde der Stamm der

führte den Krieg mit Glück.

silingischen Vandalen

erst sein

den Gothen völlig

erlitten

ausgerottet,

große Niederlagen.

brachen unter den Sueven und Vandalen

Im

und

die

Jahre 419

selbst Streitigkeiten

aus,

die Vandalen unter Gunderich griffen die Sueven unter Hermerich an und hielten sie in den nervasischen Gebirgen zwischen Leon und Oviedo eingeschlossen.

Im Jahre 420 gaben sie jedoch die Einschließung auf, da sie von

dem Comes

des römischen Spanien's

bedrängt wurden und zogen

nach Bätika in das Land ihrer vernichteten Stammgenossen.

Bald

darauf hatten sie jedoch wieder das Glück, eine große Schlacht gegen

die

Römer

zu

gewinnen.

Zwanzi'gtausend Mann

sollen

diese

im

Kampfe verloren haben, der besiegte Feldherr Castinus floh nach Tar­ ragona. Nach diesem Siege waren die Vandalen das mächtigste Volk

in Spanien.

So konnten sie sich mit leichter Mühe von ihren Wohn­

sitzen in Andalusien weiter nach der See hin ausbreiten.

192

Vandalen.

Im Jahre 425

griffen sie die balkarischen Inseln

an,- zerstiörten

Karthagena und Sevilla und machten schon einen glücklichen Streeifzug an die aftikanische Küste nach Mauritanien. Statthalter Afrika's, Bonifacius,

Da wurden sie von dem

welcher sie der Kaiserin Plmcidia

verdächtig und von dieser für einen Reichsfeind erklärt worden war, zu Hülfe gerufen.

Der König Gunderich war gestorben (427) und Geiserich an seine

Stelle zetteten.

Obgleich nur ein natürlicher Bmder des verstorbenen

Königs und von GodeSgiskl mit einer Magd erzeugt, folgte er ihm

nichts desto weniger auf den Thron mit Zurücksetzung der ehelichen

Söhne Gunderich's, wahrscheinlich, weil diese unmündig waren. serich

war von

mittlerer Größe und,

Sturzes mit dem Pferde hinkend.

wie Timur,

Gei­

in Folge eines

Sein tief sinnender Geist äußerte

sich nur in seltenen und wenigen Worten^ er war ein Verächter der

Schwelgerei, dagegen dem Zorn und der Habsucht ergeben.

Mit per­

sönlicher Tapferkeit im Kriege verband er eine eben so große Gewandt­ heit in der Anwendung strategischer Ueberlistungen, und eine ausge­

zeichnete Entschlossenheit und Thatkraft, so daß er, wie ein griechischer Schriftsteller bemerkt, schneller etwas vollbrachte, ehe die Andern mit

ihren Berathschlagungen fertig waren. Auch soll er früher Katholik gewesen und beim Antritt der Regierung zum Arianismus überge-

tteten sein. Als ihn BonifaciuS rief, und er im Begriff stand, sich einzufchiffen,

wurde berichtet, daß Hermigar mit einer großen Schaar Sueven die ehemaligen vandalischen Provinzen verheere.

Schnell entschlossen, wen­

dete sich Geiserich mit einem Theil seines Heeres, ereilte die Sueven

bet Emerita in Lnsitanien, und richtete unter ihnen ein großes Blut­ bad an. * diana.

Dtt feindliche Anführer ertrank auf der Flucht in der Gua-

Geiserich selbst kehrte zu -den Seinigen zurück und

setzte im

Monat Mai 429 mit seinem ganzen Volke nach Mauritania Tingin-

tana über.

Am aftikanischen Ufer musterte Geiserich sein Heer.

wurden achtzig Bataillone

gebildet,

deren Befehlshaber

Es

er Anführer

von Tausend (xiXtapxoi) nannte, um so den Glauben zu erregen, als

habe er achtzigtausrnd (Streiter bei sich.

Aber der gleichzeitige Victor

von Vita sagt, die Vandalen seien damals, Greise, Jünglinge, Kinder und Sklaven eingerechnet, nur achtzigtausend Mann stark gewesen und

hiermit ziemlich übereinstimmend sagt Prokop, es seien ihrer damals

nur fünfzigtausend Mann Waffenfähige gewesen.

Auch bestand die in

193

Vandalen.

Afrika lebende vandalische Heeresmacht nicht blos aus Vandalen, son­ dern außer den ihnen schon längst einverleibten Alanen sollen sich noch

andere Barbaren, besonders Gothen, dem Zuge angeschlossen; selbst Römer, welche am Hofe deS Königs angestellt waren, folgten ihm

nach Afrika. Kaum waren dir Vandalen mit einer solchen Macht gelandet, als ihr Bundesgenosse Bonifacius sich wieder mit der Kaiserin Mutter, Placidia versöhnte. Durch Bitten und Versprechungen aller Art suchte

er Geiserich dahin zu bringen, Aftika zu verlassen. Aber vergebens. Vielmehr nahmen die Vandalen diese Sinnesäußerung des BonifaciuS für eine Treubrüchigkeit und begannen sofort einen blutigen Krieg gegen

alle Römer. Die Verwüstungen der Vandalen in Afrika werden uns als furcht­ bar geschildert.

Dem Kriegssysteme der Römer gemäß fanden sie die

Städte ohne Befestigung, mithin weit und breit kein Hinderniß, welches

sich ihnen in den Weg gestellt hätte.

Mauritanien mußte zuerst den

Angriff des Feindes erdulden. Städte, Dörfer und Landhäuser gingen in Flammen aus, vle Einwohner, aller Habe beraubt, sanken theils unter dem Schwerte, theils wurden sie an der Sklavenkette fortgeführt. Auch die, welche in der Flucht ihr Heil suchten, ereilte in ihren

Schlupfwinkeln häufig ein qualvoller Tod, welchen Entbehrungeil aller Art und verzehrender Hunger herbeiriefen. Besonders war es die Geistlichkeit, welche die Grausamkeit der ketzerischen Barbaren traf, alle Kirchen und kirchliche Gebäude wurden zerstört, die Priester und

frommen Jungfrauen getödtet oder unter schrecklichen Mißhandlungen zu Sklaven gemacht.

Dieses Schicksal traf die kirchlichen Vorsteher

da ihnen nach der Entscheidung deS heiligen Augustinus erst dann erlaubt war, ihre Kirchen zu verlassen und sich zu flüchten, wenn ihre Dienste nicht' mehr verlangt würden, der Gemeinden um so härter,

d. h.

wenn sich

auch die

Gemeinde schon gerettet hätte.

Keines

Alters, keines Geschlechts wurde geschont, und zahlreiche Leichen ver­ pesteten die Luft. In den wenigen einigermaßen befestigten Orten

brachte die Zusammendrängung so vieler Menschen gefährliche Seuchen hervor, welche die Eingeschlosscuen zuletzt zur Oeffnung ihrer Thore zwangen. Solcher Noth ein Ende zu machen, rückte Bonifacius endlich mit Heeresmacht gegen die Vandalen heran. An den Gränzen von Numidicn und Mauritanien kam es zu einer großen Schlacht, aber sie Histor. Lesebuch. II.

13

194

Vandalen.

entschied gegen die Römer, und Bonifacius mußte sich nach Hippo Regius,

einer Stadt in Numidien, dem Bischofssitze des heiiligen

Augustinus zurückziehen.

Eben dahin waren viele Einwohner

der

Umgegend geflüchtet, besonders hatten die Bischöfe der andern Städte bei dem, welchen sie alle als den Ersten an Tugend und Weiisheit

verehrten, Zuflucht gesucht. Die Vandalen ließen sich nicht lange erwarten, im Juni 43*0 er­ schienen sie vor den Mauern. Aber die Stadt wurde tapfer verthei­

digt.

Bonifacius, dessen Mannschaft aus föderirten Gothen bestand,

that Alles, was einem klugen und tapfern Feldherrn oblag, und gewiß

trug die Anwesenheit des heil. Augustinus und der frommen Männer, die um ihn versammelt waren, nicht wenig dazu bei, Soldaten und

Bürger zur Ertragung der Leiden auszumuntern.

Leider starb

der

Kirchenvater schon im dritten Monate der Belagerung. Zu gleicher Zeit hatten sich die Vandalen in Streifzügen auch durch

die übrigen Provinzen ergossen und so viele der offenen Städte und Orte verheert, daß von der Menge der bischöflichen Sitze in Afrika schon bei Lebzeiten des heil. Augustin nur noa) tret unversehrt waren, nämlich Hippo selbst, Certa in Numidien und Karthago.

Die Tapferkeit der Vertheidiger Hippo'ö blieb nicht unbelohnt; nach­ dem die Vandalen vierzehn Monate vor der Stadt ausgehalten, den Belagerten erfolglos

auch die See abgeschnitten hatten, gaben sie selbst, durch Mangel gezwungen, das Unternehmen auf.

Bonifacius erhielt von Rom und Byzanz ansehnliche Verstärkung, welche von Aspar, dem ersten Feldherrn des byzantinischen Reichs, befehligt wurde.

Man wagte einen neuen Kampf, der aber von kei­

nem glücklichern Erfolg,

als der erste begleitet war.

Viele der an­

gesehensten Römer, unter ihnen der nachmalige Kaiser Marcian wurde

gefangen. So blieb Afrika dem Genserich hülflos überlassen; auch Hippo siel nach der letzten Niederlage und wurde niedergebrannt. Im folgenden Jahre wurde sodann ein Friede geschlossen, wonach den Vandalen alles eroberte Land zu Wohnsitzen angewiesen, auch die Provinz Kar­ thago mit Ausnahme der Stadt selbst.

Dafiir mußten die Vandalen

versprechen, das römische Reich fernerhin nicht auzugreifen.

Auf diese Weise folgte den wilden Kämpfen jetzt eine Zeit der Ruhe in Afrika, und die Römer wandten alle Kräfte des Reichs gegen

Gothen, Burgunder und Franken.

Das Einzige, was die Völker in

195

Vandalen.

Spannung erhielt, waren die Religionsstreitigkeiten.

Die katholischen

Bischöfe waren bemüht, ihre Gemeinden vor ketzerischer Ansteckung des

Arianismus zu schützen, die Vandalen dagegen fingen an, die Katho­ liken gewaltsam zu verfolgen, und besonders an seinem Hofe wollte

Geiserich nur Arianer dulden; selbst vier Römer aus Spanien, welche er biö dahin mit Auszeichnung behandelt hatte, mußten den Märtyrer­

tod erleiden.

Die Sorglosigkeit der Feinde konnte ihm nicht entgehen,

er rückte daher mitten im Frieden vor Karthago und nahm die Stadt

durch einen Handstreich im October 439.

behandelt.

Die Stadt wurde grausam

Was Jeder an Geld und Kostbarkeiten besaß, mußte er

abliefern, viele Einwohner würden ermordet oder zu Sklaven gemacht, Andere suchten Rettung in der Flucht. Wie bei dem Beginn der Er­ oberung traf auch hier die Verfolgung vorzüglich den Adel und die Geistlichkeit, theils weil diese Klassen die meisten Reichthümer besaßen,

theils

für die Stützen der

weil fie mit Recht

römischen Herrschaft

Tod, Sklaverei oder Verbannung war ihr Loos, und wir

galten.

finden daher eine Menge Verbannter und Karthager in bett übrigen Provittzen des Reichs. Die katholischen Kikchen wurden ihrer kost­ baren Gefäße beraubt, einige zerstört, andere den Arianern eingeräumt. Auch an mehreren Prachtgebäuden übten die Vandalen ihre Zerstörungs­

wuth.

Unter andern wurden das Theater und die Straße der Göttin

Cölestis in Trümmerhaufen verwandelt. Wenige Jahre

Sicilien.

darauf unternahm Geiserich

eine Expedition nach

Er verwüstete die Insel, eroberte die wichtige Stadt Lily-

bäum und belagerte zuletzt Panormus, dabei verfolgte er allenthalben

auf Anrqthen des arianischen Bischofs Marimus die Katholiken.

So

groß war die Meinung, welche Geiserich von seiner Macht hegte, daß

er sich damals König des Landes und des Meeres nannte. Der Kaiser Valentinian sandte abermals ein Heer auf einer Flotte

von tausendeinhundert Transportschiffen gegen ihn, die Anführer ver­ brachten aber ihre Zeit nutzlos, und der Kaiser sah sich genöthigt, mit

Geiserich Frieden zu

schließen.

bestimmten Gränzen getheilt.

Zwischen Beiden wurde Afrika nach

In den Händen der Römer blieben nur

die beiden Mauritanien mit dem westlichen Theil von Numidien, worin Cirta die Hauptstadt ist.

Die Vandalen erhielten den andern Theil

von Numidien mit der Hauptstadt Hippo, die Proconsularprovinz und Byzacena.

-

196

Vandalen.

So viele und glückliche Erfolge verleiteten Geiserich zu einem ge­ wissen Uebermuth und zu tyrannischer Herrschaft, wie denn auch die Theilung der eroberten Provinzen durchaus zum Vortheile des Königs

war und die Vandalen nur einen verhältnißmäßig kleinen Theil davon

erhielten.

Die Rückwirkung gegen solche Schritte und Maßregeln blieb

nicht aus; unter dem Adel der Vandalen regte sich ein Geist der Un­

zufriedenheit, welche eine Verschwörung gegen den König hervorrief. Diese wurde indessen entdeckt, und Geiserich ließ, um Keinen unbestrast zu lassen und für die Zukunft ein schreckendes Beispiel zu geben, eine so große Anzahl angesehener Vandalen hinrichten, daß er hierdurch mehr Leute verlor, als ihm ein unglücklicher Krieg gekostet haben würde. Auch die hinterlassene Frau und Kinder Gunderich'S ließ er hinrichten.

Als der Kaiser Valentinian gestorben war, glaubte Geiserich aller Verpflichtungen, welche ihm der Friede auferlegt hatte, ledig zu sein

und schickte sich an, einen Zug gegen Italien zu unternehmen. Die Wittwe des Kaisers, welche dessen Mörder Marimuö sich vermählt hatte, soll ihn dazu anfgcfordcct haben. ©Hfm'rfj landete mit einer großen Flotte an der römischen Küste und zog gegen die Stadt. Hier war Alles in der größten Verwirrung. Viele von den Vomehmeu und aus dem Volke suchten in der Flucht ihr Heil. Der schwache

Kaiser wagte keinen Widerstand, sondern wollte selbst, wie er cs Allen erlaubte, Rom verlassen, die Hauptstadt und das Reich aufgeben. Da brach innerhalb der Mauern ein Aufstand los, an dem das Volk und die Soldaten Theil nahmen. Marimus wurde getödtet, wie eS heißt

von den Dienern seiner Gemahlin, der Leichnam in Stücke zerrissen

und dann in die Tiber geworfen. Ein Theil der germanischen Truppen scheint sich dann mit den Vandalen vereint zu haben, wenigstens soll Geiserich unter Leitung eines Burgunders gegen die Stadt gerückt sein. Vor den Thoren kam ihm der Papst Leo, welcher schon einmal den

Attila besänftigt hatte, entgegen, und auch jetzt gelang es ihm, Rom wenigstens vor völliger Vernichtung oder den Gräueln einer gewalt­ samen Erobenmg zu schützen. Am dritten Tage nach der Ermordung deS Kaisers, in der zweiten Hälfte des Mai rückten die Vandalen in

die Stadt ein und plünderten dieselbe vierzehn Tage hindurch mit aller Muße. Der Schmuck und die Schätze der Kaiser, überhaupt Alles, was die Plünderung der Tyrannen und die Gothen von den unge­ heuren Kostbarkeiten

jetzt weggenommen.

auf dem Kapitol übrig gelassen hatten, wurde

Auch die heiligen Gefäße des Tempels von Jeru-

197

Vandalen.

salem wurden nach Afrika geschleppt, selbst das bronzene, stark ver­ goldete Dach,

womit Domitian de» katholischen Tempel geschmückt

hatte, wurde zur Hälfte abgedeckt.

Außer der Plünderung scheint die

Stadt weiter von keinen Plagen heimgesucht worden verbrannten

einige Gebäude.

zu sein, doch

Mehrere tausend Gefangene, die sich

durch Schönheit des Leibes oder durch Kunstgeschicklichkeit auSzeich-

neten, wurden fortgeschleppt, außerdem noch die Kaiserin Wittwe mit

ihren beiden Töchtern, der Sohn des Aetiuö, Gaudentius mit Namen,

und mehrere

Senatoren.

Beute

Alle

an Menschen und

Schätze»

wurde in die Schiffe gebracht und kam glücklich in Afrika an; nur ein Fahrzeug, welches mit Bildsäulen beladen war, ging unter.



Rom tröstete man sich nach dem Abzüge mit der Last an den Spielen

deS Circus, und gleich wie man nach der Belagerung AlarichS noch auf dem Capitol den alten Göttern opfern wollte, so schrieb man auch

jetzt die Befreiung

von

Götter und Gestirne zu.

den Barbaren

dem günstigen Einflüsse der

Das Fest des heiligen Petrus und Paulus

wurde damals gefeiert, und NI der Oetav desselben suchte der Papst Leo seine Gemeinde durch eine eindringende Predigt vor solchen Frevel»

zu warnen. DaS Alter scheint Geiserich zur Ruhe geneigter gemacht zu haben,

er schloß allmählig mit allen Feinden, selbst mit dem Abendlande, daS er fortwährend

bekriegt hatte,

Frieden.

Am

festesten hielt er das

Bi'mdniß mit den Westgothen, und selbst die Ostgothc» machten es, als sie sich mit dem byzantinischen Kaiser versöhnten, zu einer Bedin­

gung des Vertrages, nicht gegen die Vandalen kämpfen zu müssen. Geiserich starb hochbejahrt den 25. Januar 477, nachdem er fünfzig

Jahre überhaupt und siebenunddreißig Jahre, drei Monate und sechs

Tage nach der Einnahme von Karthago geherrscht hatte. barischer König hat

fei» ganzes

Leben

hindurch

Kein bar­

mit einer

solchen

Kraft regiert, ein so großes Reich gegründet und allen Feinden sieg­

reich widerstanden; denn die letzte» Lebensjahre Attila'ö, mit dem man

ihn allein vergleichen könnte, entsprechen dc,n glücklichen Anfänge nicht. Treulosigkeit ist der Hauptfehler, den ihm Alle vorwerfen, aber sehen

wir davon ab, daß wir ihn nur aus den Berichten seiner Feinde kennen, so war er kaum wortbrüchiger, als die übrigen Barbaren, welche damals das römische Reich überschwemmten. Außerdem muß

bei der Beurtheilung von Geiserich's Verfahren und Charakter auch die schwierige Stellung in Betracht gezogen werden, welche er den

198

Vandalen.

Römern und den übrigen Germanen

gegenüber zu behaupten hatte.

Sein Volk war nicht stark genug, um den vereinten Kräften beider zu

widerstehen, er mußte daher Alles anwenden, um sie aus einander zu halten.

Dies hat er verstanden, wie Niemand zu seiner Zeit, während

namentlich bei den Römern die Treulosigkeit durch die fehlende Macht und die niedrige oder selbstsüchtigen Zwecke, welche durch solche Mittel

erreicht werden sollten, noch verächtlicher wird. Vandalen Grausamkeit ist steilich

Geiserich's und seiner

sprichwörtlich

geworden,

aber eS

wäre Unrecht, ihm hier Alles zur Last legen zu wollen, waS durch seine Schaaren in den verschiedenen Theilen des Reichs geschah.

Vieles

der Art war eine Folge der politischen Verwickelungen, z. B. die Ver­

folgung der Katholiken, wozu die harte Behandlung der Arianer im römischen Reich und die politische Hinneigung der Katholiken zu ihren

allein rechtgläubigen Herrn nicht weniger beitrug, als die Gemüths­ art des Königs.

Daß er hierin auch Maß zu halten wußte, zeigen

die von Zeit zu Zeit eintretenden Begünstigungen der Katholiken.

Bei

seinem Tode finden wir noch eine außerordentliche Zahl non Bischöfen und eine große Blüthe der katholischen Kirche in Afrika außerhalb der Proconsularprovinz.

Edlen und würdigen Gefühlen war er nicht un­

zugänglich, wie die Behandlung des Severus zeigt, welchen er wegen seiner ausgezeichneten Eigenschaften nicht allein besonders gut aufnahm,

sondern dem zu Liebe er auch, als der Gesandte statt eines Geschenkes die Befreiung seiner Landsleute forderte, alle gefangene Römer die in

feinem und seines Hauses Besitze waren, ohne Lösegeld frei ließ. Ueber Geiserich's

häusliches

Leben

wissen

nennt ihn einen Verächter der Schwelgerei.

wir

wenig.

Jornand

Seinen Freunden war

Geiserich mit beständiger Gesinnung zugethan und empfahl sie noch auf dem Todesbette der Fürsorge , seines Nachfolgers.

Bei den Römern galten Geiserich und Theodorich der Große für

die beiden ausgezeichnetsten Könige der Germanen.

VI. Franken. Die Berfaffung des fränkischen Strichs. ( Luden.) Wir haben bereits die Franken im Conflict mit den Ost- und West­

gothen kennen gekernt.

Wir wenden uns daher sogleich zur Verfassung

des fränkischen Reichs.

Die Kenntniß dieser Verfassung — des Lehns-

wesens — welche in ihren Hauptzügen ohne allen Zweifel in dieser

Zeit entstand, in ihrer Natur und Art, ist für das Verständniß der Geschichte deö Mittelalters von der höchsten Wichtigkeit.

nur der wesentlichste Theil deö Neuen,

Leben der Völker zeigt;

sie

ist

welches sich

Sie ist nicht

im bürgerlichen

nicht nur der Uebergang von dem

RepublicaniömuS des Alterthumes zur republicanischen (konstitutionellen) Monarchie, oder vielmehr der Anfang dieser Monarchie, und die VolksFreiheit, die nothwendig aus derselben hervorgeht, sondern auch alle

Erscheinungen im Leben der gebildetsten Völker Europa's hängen näher

oder entfernter mit ihr zusammen.

Um aber diese Verfassung wirklich

zu erkennen; um wegen der Außenwerke, die nach und nach hinzu­

gekommen

sind

und

im Fortgänge

der Zeit gewechselt haben,

und

wegen Ausdrücke, welche zu verschiedenen Zeiten, anders in den Ge­

setzen,

anders bei Schriftstellern vorkommen, und von welchen man

nicht weiß, wann sie und wo sie entstanden sind, das Wesen nicht zu verfehlen, scheint es unumgänglich nothwendig, sie aus der Lage der fränkischen Eroberer in Gallien abzuleiten und zu erklären.

Sie

200

Franken.

war nicht das Werk grübelnder Menschen, sondem sie war ein

Er-

zeugniß der Zeit und ging hervor aus der Nothwendigkeit der Werhältnisse und aus dem natürlichen Streben der Menschen, sich in diesen

Verhältnissen zu erhalten und sie zu beherrschen.

Eben darum isst sie

auch nur in Beziehung auf ihre Entstehung in dieser Nothwendiigkeit richtig zu beurtheilen und gehörig zu würdigen.

Es leidet keinen Zweifel: Chlodwig machte seine Eroberungen in

Gallien mit einem Geleite fränkischer Jünglinge und Männer.

Nun

ist es allerdings nicht auszumachen, in welchem Verhältniß um diese

Zeit die Geleite zum gemeinen Wesen gestanden haben.

Das jedoch

ist schwer zu glauben, daß sie nach einem fünfhundertjährigen Kampf

in gleicher Stellung zu diesem gemeinen Wesen geblieben sein sollten. Vielmehr ist es höchst wahrscheinlich, daß sie, seitdem der Kampf nicht

mehr auf dem vaterländischen Boden,

sondern

im

feindlichen Lande

geführt ward, und doch immer ein Krieg für Erhaltung und Freiheit,

mithin ein Vertheidigungskrieg blieb, nickst bloß jegliche Unterstützung von Seiten des Staates, sondern daß fu auch össcntlichc Anerkennung gewonnen; ja, daß sie das Heer des Staates geworden seien, und

daß der König der Wehr-Mannei sich selbst an ihre Spitze gestellt

habe.

Ihre innere Einrichtung hingegen, das Verhältniß der Mann­

schaft zum Anführer, scheint durchaus das alte geblieben zu sein; daS Geleit mußte sich selbst erhalten, und durch den Ertrag des Kampfes

die Fortsetzung desselben möglich machen.

Dieses seltsame Verhältniß

aber mußte, scheint es, auf die ganze Denkart des Volkes einen großen

Einfluß gewinnen; und wenn von der einen Seite durch den glück­

lichen Krieg die Lust nach Raub und Beute genährt wurde, so mußten von der andern Seite die Begriffe von Leutschaft, von Dienst und Lohn eine Veränderung erleiden, in welcher, so wie

in der ganzen

Veränderung mit dem Geleitswesen, der alten Freiheit eine ungeahnte

Gefahr erwuchs.

Ein solches Heer nun, als Geleit vielleicht groß, für den Zweck eines Angriffskrieges unbedeutend, gewann unter Chlodwig (wie unter einigen früheren Führern) nicht blos bewegliche Güter, die leicht zu »ertheilen waren nach altem Brauche, sondern es eroberte nach und

nach ein ganzes, großes Land von Millionen Menschen bewohnt, die

in der Bildung viel höher standen, nur nicht in der Kunst der Waffen. Dieses Land von den Mitgliedern des' Heeres als ihren gemeinsamen Erwerb angesehen, und eben deswegen immer als Eiir Reich, selbst

Die Verfassung des fränkischen Reichs.

201

wenn es mehrere Könige hatte, sollte behauptet, die Herrschaft sollte über die Einwohner bewahrt werden, nicht weniger gegen Fremde, als gxgen sie selbst; ja sie sollte behauptet werden durch sie selbst, durch ihr eigenes Mitwirken; und es mußte, auch abgesehen"»»«: verzeihlichen

menschlichen Leidenschaften, behauptet werden, dieses Land, wenn man nicht'den seit Jahrhunderten erstrebten Zweck freiwillig aufgeben wollte, nachdem man denselben endlich erreicht hatte.

ES war mithin wohl

nothwendig, daß diejenigen, welchen daS große Werk gelungen war, sich verbanden, bei einander zu bleiben und ein stehendes Geleit zu bilden, um Dasjenige, was sie mit gemeiner Kraft gewonnen hatten, auch mit gemeiner Kraft zu schützen.

Eine solche Verbindung aber

war nur möglich, wenn die Glieder derselben für den Dienst, welchen sie zur Erreichung des bestimmten Zweckes übernahmen, auf eine solche

Weise belohnt wurden, daß ihnen, als den Siegern, vor welchen sich Millionen beugten, nach ihren Begriffen, ein ehrenwerthcs Leben ge­

sichert ward. Nun kannten sie keinen andern Lohn eines freien Mannes würdig, als Grund und Boden, von dessen Besitze nach ihrer Ansicht die Freiheit bedingt war. ES war also wohl nothwendig, daß einem. Jeden der Sieger ein Grundbesitz unter den Bedingungen ange­

wiesen wurde, fortan treu und kräftig zu der Verbindung zu halten, und für den Besitz alle die Dienste zu leisten, welche die Lage der Dinge erfordern möchte. Wahrscheinlich aber ist eS nicht, daß die klugen Franken diesen Gedanken durch Maßregeln ausgeführt haben,

deren Gewaltsamkeit die Unterworfenen zu

erbittern vermocht hätte,

und cs möchte nicht zu beweisen sein, daß den alten Einwohnern Gallien'S, einzelne Fälle ausgenommen, ihr unbewegliches Eigenthum von den Franken in diesen ersten Zeiten, geraubt worden wäre. Aber

sie bedurften auch zu der Ausführung dieses Gedankens solcher Gewalt­ thätigkeit keineswegs. Die Römer hatten in Gallien viele Ländereien

besessen, von welchen nun das Eigenthum auf Diejenigeil überging, In der stürmischen, durch Uebel

die ihnen in der Herrschaft folgten.

aller Art schwer leidenden, Zeit mochte auch mancher Besitz herrenlos geworden sein, so daß die Eroberer ohne Anstoß und Bedenken dar­ über verfügen konnten.

Und als nach

und nach Allemannicn ge­

nommen, die Wcstgothcn vertrieben, die Fürsten anderer fränkischer

Stämme von den» Könige der salischcn Franken vernichtet, Burgund erworben und Thüringen gewonnen worden; da mußte diese Masse

202

Franken.

v'on. Ländereien immer vergrößert werden, so wie sie durch Zufälligkeit

mancher Art vermehrt sein mag. Alle diese Ländereien waren nach den Gesetzen des Geleites, wie das ganze Reich eine Gemeinherrschaft, so ein Gemeingut desselben, auf welches Alle nach ihren Verhältnissen im Geleit Anspruch hatten. Der König war nur in sofern Herr dieses Gutes, als er Haupt der Verbindung war; in demselben Sinn, in welchem er auch Herr von

Gallien war, nämlich nur als Haupt und Vertreter des Geleites.

Indem nun die Eroberer den Römern ihre Gesetze und Rechte ließen, theils weil ihre eigenen Gesetze für das Leben und den Verkehr der

Römer in keiner Hinsicht geeignet waren,

theils

weil sie Bedenken

tragen mochten, ihnen diese Gesetze zu nehmen oder zu ändern, ließen sie ihnen auch ihr Eigenthum und halfen sich durch die Masse von

Ländereien,

deren so eben gedacht ist,

aus der Verlegenheit.

Gemeingut selbst behielten sie nämlich als solches, und

Das

nannten eS,

Von demselben

nach einem vorgefundenen Sprachgebrauche, Fiscus.

aber erhielt, scheint es, ein jedes Mitglied des Geleites einen Theil zum Entgelt für die Dienste, welche zu leisten er sich verpflichiete und

auf so lange, als er diese Dienste in vorkommendcn Fällen wirklich

leistete.

Sie bildeten mithin ein stehendes Geleit,

zusammengehalten

durch theilweise Benutzung eines großen Gesammtgutes.

Das, was

der König von diesem Gut empfing, mag Regale und, im Fcrtgange der Zeit, Domaine genannt sein.

Das Grundstück, welches ein Führer

oder Beamter erhielt, scheint, in sofern eö als Entgelt für ein aus­

zeichnendes Amt betrachtet ward, Ehrensold (Honor) geheißen zu haben; und in derselben Beziehung bekam das Gut eines gemeinen Kriegers den Namen eines Lohnes (Beneficium).

sehen wurde, daß

In sofern aber damuf ge­

ein solches Gut nicht Eigenthum

des Emzenen,

sondern ein Theil des Fiscus war, dessen Ertrag nur der Einzelne

bedingungsweise genießen sollte, hieß dasselbe ein fiscalisches Gut (in späterer Zeit ein Fe-Od, im Gegensatz eines wirklichen Eigerthrmes

Al-Od.) Die Männer hingegen, welche dieses Verhältniß eingingen, blieben

dadurch

auch

im Frieden,

waren, Leute des Königs.

was

sie

während

des Krieges genesen

Als Inhaber eines Gutes in dec onge-

gebenen Weise mag ein Jeder ein Bester (Vassus, Vassallus) genannt

sein, weil er sich durch Annahme

desselben

zu bestimmten Dürsten

203

Die Verfassung des fränkischen Reichs.

verbindlich gemacht hatte; denn er brauchte nun nicht mehr zur Ver-

cheidigung des Landes aufgefordert zu werden, sondern er mußte Be­ fehle erwarten oder dem Herdanne Folge leisten.

Weil man indessen

lieber von der Tugend des Mannes hören und sprechen mochte, als

von der Pflicht, lieber von seinen Leistungen, als von seinem Lohne, so erhielt er gern den Namen eines (Setreuen (fidelis).

In Rücksicht

auf die andern freien Männer endlich, die keine solche Guter im Be­

sitz hatten, sondern auf ihrem Eigenthum als Wehrmänner fortlebten, mag er Baron — Krieger — genannt sein.

Andere Benennung der

Menschen und Güter bedürfen keiner besonderen Erklärung. Sollte

aber das eroberte Land durch die angegebene Einrichtung

behauptet werden, so

war gleichfals nöthig,

dasselbe

zu

verwalten.

Zum Behufe dieser Verwaltung bedurfte der König, als Haupt der

Eroberer, eines Rathes, der ihm stets zur Seite stand und die Ge­ schäfte führte

oder erleichterte;

das Land mußte eingetheilt werden,

damit es die nöthigen Pfleger erhalten konnte, und es ward einge­

theilt,

nach vaterländischer Weise,

in Gaue;

auch mochte eine Art

von Hofhaltung als nothwendig erscheinen, weil der König den Unter­ worfenen als Herrscher gegenüberstaild auftreten wollte, sollte und mußte.

und den Verhältnissen gemäß

Alle die Beamten, welche wegen

dieser Zwecke und Verhältnisse angestellt wurden, scheinen von der Ge­

sammtheit der Eroberer, wenn auch auf den Vorschlag des Königs,

gewählt zu sein.

Bei den Gesetzeit des Geleites und bei der Stellung

der Leute zum Könige möchte man dieser Annahme kaum ausweichen

können.

Von dem wichtigsten Beamteten, dem Hauömeier, dem die

Verwaltung des Fiseus, des großen Gemeingutes, oblag, ist sie, in

späterer Zeit wenigstens, zu beweisen.

König

zu seiner persönlichen

wurden von

ihm

auch

und

persönlich

Nur Diejenigen, welche der

häuslichen Bedienung

gebrauchte,

und willkürlich angenommen und

waren eben deswegen häufig sogenannte Römer, die dann, wenn sie das Vertrauen des Königs gewonnen hatten,

auf seinen Vorschlag

nicht selten zu Staatsdiensten befördert sein mögen.

Die Beamteten,

die wirklich dem Reiche dienten und an einer solchen Stelle standen, daß sie unmittelbar mit dem König in Berührung kamen, scheinen den Namen Vertraute (Antrustiones) geführt zu haben, und erbeuten sich

als solche eines Ansehens,

das

ihrer Stellung würdig war.

Die­

jenigen, welche um den König blieben, erhielten ihre Benennung nach

ihren verschiedenen Geschäften; Diejenigen hingegen, welche den Gauen

204

Franken.

Vorständen,

wurden Graven genannt.

Durch diese Graven

hingen

aber nicht blos die Vasallen der Gaue mit dem Ganzen zusammen,

unter ihrer Aufsicht und Leitung wurde nicht blos das Recht gepflegt, sondern in ihrer Hand lag auch alle Gewalt, welche der herrschende

Verein gegen die Unterworfenen für die Verhältnisse des Krieges, wie An der Spitze des Heeres erschienen

deS Friedens, ausüben wollte.

sie als Herzoge, die dienstpflichtigen Vasallen nicht weniger führend, als die aufgebotenen Unterthanen.

Damit aber diese Gewalt, welche

den Beamteten, den König, in dessen Namen sie handelten, einge­ schlossen, anvertraut war, nicht mißbraucht und dem herrschenden Vereine

selbst gefährlich werden möchte, war es nothwendig, daß die sämmt­

lichen Vasallen sich zu bestimmten Zeiten versammelten, um den Zu­ stand des Reiches zu berathen, um wegen des Geschehenen Lob oder

Tadel zu erheben und Lohn oder Strafe zu veranlassen und nm für

die Zukunft die nöthigen Wahlen, Einrichtungen, Gesetze und Bestim­ mungen zu treffen.

Und natürlich war es wohl, daß diese Zusammen­

künfte zugleich zur Heerschau benutzt wurden, daß mithin der Reichs­

tag zugleich ein Lager ward (das Märzseld). Wenn man nun diese Einrichtung überdenkt und sie in Beziehltng

auf die Lage der Franken und auf die Verhältnisse derselben zu wür­

digen sucht, so wird man gewiß gestehen müssen, daß sie den gegebenen

Umständen angemessen und für den erstrebten Zweck verständig war. Aber Keiner kann auch verkennen: die Umstände, in welchen und für welche dieselbe getroffen wurde, waren gewaltsame Umstände, und der

Zweck, der durch sie erreicht werden sollte, war ein unglückseliger Zweck. Eben deswegen konnte sich diese Einrichtung im Fortgänge der Zeit

nur zu gewaltsamen Verhältnissen entwickeln und mußte, nach Jahr­

hunderten, unglückselige Folgen haben. Sehen wir also zuvörderst auf die Eroberer selbst und auf ihr Ver­

hältniß zu einander: so fällt in die Augen, daß die neue Ordnung den Keim zu mannigfacher Unordnung enthielt, und daß das Geleit gerade durch daS Mittel uneinS

Einheit erhalten werden sollte.

gutes

werden

mußte,

durch

welches

gelangt war, der mußte nach Mcnschenweise dahin

daß dieser Genuß

die

Wer einmal zum Genuß eines Land­

arbeiten,

auch seinen Nachkommen gelassen werden möchte.

Und da Dieses von Allen nach derselben Weise erstrebt werden mußte, da die Könige selbst dieses Streben theilten, in sofern sie ihren Söhnen,

wie den Thron, so die fiskalischen Güter zu überliefern wünschen; da

Die Verfassung des fränkischen Reichs.

205

endlich auch Alle? erreicht zu sein schien, wenn nur die Bedingungen erfüllt wurden,

welche der Inhaber eines

solchen Gutes zu leisten

hatte, so mußte dieses Ziel bald erreicht werden.

Man braucht in der

That nach den Ursachen nicht zu fragen, durch welche die Lehen end­

lich geworden sind; sie waren dem Wesen nach erblich vom AugenMck ihrer Stiftung an, wenn gleich das Wort erst sehr spät ausgesprochen ward.

Als aber dieses Ziel erreicht war, als Diejenigen dahin waren,

welche mit gemeinsamer Gefahr gemeinsame Thaten vollbracht hatten,

als nach drei, vier, zehn Geschlechtern die Erinnerung, wie man das

Gut ursprünglich gewonnen, nicht mehr so lebendig in der Erinnerung des Besitzers sein konnte, ist zu erwarten, daß derselbe immer eben so geneigt gewesen sei, die Leistungen zu erfüllen, als er den Besitz zu

behaupten gewiß entschlossen war?

Widerspänstigen zwingen?

Womit sollte der König nun best

Und wenn Mehrere den königlichen Namen

führten und, von Leidenschaft fortgeriffen, gegen einander strebten und

sich die Vasallen gegenseitig zu entziehen suchten, warm nicht Händel

unvermeidlich? und mußten nicht diese Händel lähmen und zerstören, wie für die Verwaltung und Vertheidigung des Reiches, so in Rück­ sicht aller menschlichen Bestrebungen? Betrachten wir das Lehenwesen ferner in Rücksicht auf die Unter­

worfenen, so leidet es keinen Zweifel, daß es Diesen anfangs mild

und behaglich vorgekommen

sein mag.

waren sie durch die Römer entwöhnt.

Von der Ehre der Waffen

Die Schmach, sogar im Ge­

setze der Eroberer und vor deren Gerichte nur halb so hoch geschützt

zu sein, als ein Franke, haben sie vielleicht, so wie andere Demüthi­ gungen, erträglich gefunden

gegen die

grausamen Bedrückungen der

Römer, von denen sie sich nunmehr frei fühlten.

fuhren, daß ihre Unglücksgenossen,

Wenn sie nun er­

welche in die Hand der Gothen

oder der Burgundionen gefallen waren, ihr Eigenthum bis zu zwxi

Drittheilen abzutreten gezwungen worden, so mögen sie ihren Zustand für glücklich nicht sein.

gehalten habcir.

Aber von Dauer konnte dieses Glück

Indem sich die Franken in Gallien einlebten und des erb­

lichen Besitzes ihrer Lehen gewisser wurden, mußten sie, wie nach Ver­ größerung dieses Besitzes im Einzelnen, so nach Vermehrung des Fiscus im Ganzen streben.

Denn so wie der König seinen Thron und seine

fiskalischen Güter unter seine Söhne theilte, so mußte auch ein Jeder

seiner Leute streben, allen seinen Söhnen ein fiskalisches Gut zu hintier-

lassen.

Ueberdieß mußte der Zudrang zu der Leutschaft groß werden,

206 «nd

Franke«.

viele menschliche

Leidenschaften

mußten in Bewegung

kommen.

Diese Bestrebungen und Verhälmisse mußten dann nothwendig zu Erweiterung des Lehenwesens führen.

einer

Und auf wessen Kosten Sonnte

eine solche Erweiterung anders geschehen, als aus Kosten der Milliionen, zu deren Herren sich die kleine Schaar der Eroberer durch Thait und

Glück gemacht hatte?

Wirklich wurde nach und nach ganz Glallien

und Alles, was unter die Gewalt der Franken kam, in den Kreis

der Lchen hineingezogen, die Städte nicht minder,

als Fleckem und

Die großen Gutsbesitzer und andere reiche Menschen wußten

Dörfer.

sich zu helfen, sie schlossen sich den Eroberern an, traten in die Leut­ schaft des Königs und übernahmen für den ferneren Besitz ihres alten Eigenthums die Pflichten, die auf den fiscalischen Gütern lagen.

große Menge der Menschen Hörigkeit hinabgewürdigt. der Menschen immer

aber wurde

Die

im Verlaufe der Zent zur

Und als Alles genommen und die Begierde

größer

geworden

war,

da

mußte

man

wohl

Aemter und Würden zu Lehen machen, oder sich unter einander abzu­

trotzen, abzulisten und abzustreiten suchen, was man von dem großen Raub an sich gebracht hatte.

Die mächtigen Lehnleute, und besonders

die hohen Beamten, verschlangen alsdann die schwachen, machten sie zu ihren Mannen und kamen an der Spitze ihrer Ehrmannei ^Arimania) zu einem Trotze, den sie nicht minder gegen den König und

das Reich

geltend

machten,

als gegen Einzelne. —

diesem Gräuel lag im Lehenwesen selbst; die Zeit

Der Keim zu

brachte die Ent­

wickelung. Auch

in

Rücksicht auf die

kirchlichen und

religiösen Verhältnisse

mußte das Lehenwesen, seiner Natur nach, unglückselige Folgen haben.

Die Franken, schon als Heiden gewohnt, dem Priester zu gehorchen,

konnten als Christen den Priester des neuen Gottes unmöglich tiefer stellen, als der heidnische Priester gestanden hatte.

Sie mußten ihn

auf ihren öffentlichen Tagen zu sehen wünschen, damit sie bei Bera­

thung

der irdischen

Eintrag zu thun.

Interessen abgehalten würden,

den himmlischen

Durch die Geistlichen konnten sie auch am Meisten

auf das Volk wirken, welches sie im Gehorsam zu erhalten strebten, und sie bedurften in mannigfacher Weise zur Verwaltung des Reiches der Kenntnisse, welche den Geistlichen zu Gebote standen und ihnen

selbst abgingen.

Sie mußten daher wünschen, die Geistlichen auf ihre

Seite zu ziehen und auf ihrer Seite zu erhalten. trugen sie Geistlichen gern Aemter im

Deswegen über­

königlichen Rathe,

die ohne

207

Die Verfassung des fränkischen Reichs.

einige gelehrte Bildung nicht wohl verwaltet werden konnten.

Dafiir

erhielten die Geistlichen Lehen; sie erhielten Lehen, um auf den öffent­ lichen Tagen zu erscheinen; sie erhielten Lehen von dem frommen Sinn der Neubekehrten, die keine andere Belehnmg kannten.

siscalische Güter an die Geistlichen kamen,

Indem aber

wurde Himmlisches und

Irdisches vermischt und der Grund gelegt zu einem langen und bittern Streite zwischen Thron und Altar.

Ferner wurde, nach Menschenweise, durch die Übertragung solcher Güter an Geistliche in diesen die Habsucht aufgeregt und manche un­

geistliche Begierde gereizt; und welche Mittel standen den Geistlichen nicht

zu Gebote, um

fromme

oder

schwache Seelen zu steter Ver­

größerung ihrer Besitzungen hinzulocken! — Bom Dienste des Altars wurden

sie

hinweg

gezogen

und

Schwert und dem Waffenrocke;

erschienen im

dem

mit

Feldlager

aber der Bischof dem Kriege

wenn

nachging, wie sollte im Pfarrer der Geist des Evangeliums bleiben! —

Auch wurden viele Menschen, in denen kein geistlicher Sinn wohnte, durch den Genuß, welchen die großen Besitzungen der Kirche gewährten,

geui$t, kirchllcye Aemter zu suchen, und solche Menschen beschmutzten alsdann nicht selten die heiligsten Verhältnisse. — Zugleich wurde dem armen und unterdrückten Volke die Unterstützung entzogen, welche ihm

die Geistlichen

Denn indem

gegen

seine

Dränger

die Geistlichen

mit

zu

gewähren vermocht

dem Eroberer

den

Raub

hätten. theilten,

mußten sie, um denselben zu sichern, auch in die Mittel zur Nieder­ haltung der Beraubten eingehen.

Also konnte es geschehen, daß bei

der Religion der Liebe und Erbarmung, die man bekannte, die Härte

and Grausamkeit des Heidenthums gegen den schwachen oder entwür­ digten Menschen

fortbestand.

Es konnte geschehen,

daß

der

Herr,

wenn er mit seinem Hörigen das Mahl des Herrn genossen und sich

für den Bruder desselben bekannt hatte,

den Altar verließ, um

auf

seinen Rücken die blutige Geißel zu schwingen. Endlich mußte dieses Lehnwesen auch, seiner Natur nach, die alte deutsche Freiheit zerstören,

deren Bild bei Tarttus

so schön erschien.

Freie Grundbesitzer hatten in alten Zeiten die bürgerliche Gesellschaft

gebildet.

Leute, als solche, waren in dieser Gesellschaft Nichts gewesen.

Nun aber hatten Leute ein großes Land erobert und trugen ihre Er­ oberung

wenigstens

in sofern nach Deutschland

zurück,

als

sie die

Wehrmanneien veranlaßten oder zwangen, das Haupt der Leute als ihren Fürsten anzuerkennen.

Von diesem Augenblick an trat der freien

208

Franken.

Gemeinschaft ein Herrenthum gegenüber, von welchem dieselbe umterdrückt oder verdorben sein mußte.

lungen

mit

anfänglich

den

durch

Wie waren die alten Gauverstumm-

neuen Märzfeldern

Und

vereinbar?

«etwa

wenn

gemeinschaftlich gewillkührte Tage dem auffallemdm

Verhältniß abzuhelfen gestrebt worden ist, so konnte auch diese Bestre­

bung nicht gelingen.

Vor jenen stolzen Herren, die ein gemeinschaft­

liches Band umschlang, konnte der freie deutsche Mann, der eimfach und schlicht auf freiem Gute lebte und sich nur zur Landwehr für sein

eigenes Wohl Pflichtig glaubte, nicht bestehen.

Deswegen miedem die

Kleineren jene öffentliche Tage, auf welchen ihre Stimme nicht mehr geachtet ward, ingrimmig vielleicht, aber um so lieber, je beschwerlicher

und kostspieliger sie werden

mochten,

wurden

und

dann vergriffen;

Andere verloren den Sinn für die alte Freiheit und strebten,

durch

das Herrenthum gelockt, in die Leutschaft zu kommen, theils um ein fiscalisches Gut zu gewinnen,

neue Herrlichkeit zu erhalten.

theils um zu dem angestammtem die

Und so geschah cs, daß sich das Lechen­

wesen auch in den alten Sitzen der deutschen Volker ausbrcitcte,

mit

der Erweiterung deS fränkischen Reiches; es geschah, daß auch

hier

zuerst die kleinen Freien, und alsdanir die kleinen Lehnleute selbst von

den großen in die Hörigkeit hinabgedrnckt wurden: es geschah, daß,

wenn auch hin und wieder ein entlegener Gau oder ein reicher Guts­ besitzer diesem Greuel entkam, doch int Allgemeinen die Absichten und

Gesinnungen verdarben, und daß auch hier, bei den Deutschen,

bald

der Dienst höher geachtet ward, als die Freiheit.

Eines jedoch, was bei der Beobachtung dieses Ganges der Dinge einigen Trost

gewähren

oder

Nacht der Zeit eröffnen mag,

wenigstens

einige

Aussicht

ist folgende Betrachtung.

in

dieser

Im Alter­

thume hatte ein doppelter Jammer die Zeiten geduckt, die Sklaverei und die Getrenntheit von Staat und

noch fort.

Volk.

Dieser Jammer dauerte

Sollte er aber aufhören, sollten die Menschen zum Genuß

ihrer ersten und

heiligsten Rechte kommen,

sollten

die Herren

von

ihrer Sünde und Schande, und die Knechte von ihrem Unglück und

ihrer Qual befreiet, und sollte endlich durch Gründung volksthümlicher Staaten die höchste Ausbildung der menschlichen Verhältnisse möglich gemacht werden, so war es wohl nothwendig, daß die herrschenden

Menschen in eine solche Verbindung kamen, welche ihre Auflösung in sich selbst trug und die Genossen derselben feindselig

gegen einander

stellte, und daß zugleich die Städte in die Gewalt einzelner Herren

209

Die Verfassung des fränkischen Reichs.

geriethen, und dadurch mit Knechten und Hörigen ein gleiches Inter­ esse erhielten.

drückend,

Durch dieses Verhältniß mußte die Gewaltsamkeit so

schmeichelnd und empörend werden, daß sie unmöglich be­

stehen konnte, sobald nur in den Städten der Geist erwachte und zu

That und Widerstand trieb.

Nun aber waren die Herren aus allen

Völkerstämmen, aus welchen das fränkische Reich bestand.

Durch die

Leutschaft wurden sie einander gleich und zerrissen nach und nach die Gränzen, welche die einzelnen Stämme noch

rechtlich aus

einander

hielten, alö sie schon längst vermischt wohnten, vermischt kämpften und

Einem Reiche angehörten. Einen Reiches

Zugleich verlangten sie als Glieder dieses

die Angelegenheiten desselben fortwährend wenigstens

zu berathen, obgleich sie nur selten für dasselbe zu handeln Lust hatten.

Daher mußte das Streben der

Unterworfenen gegen ihre Dränger

eine größere Bedeutung erhalten, als eS früher gehabt hatte; der Ge­ sichtskreis mußte sich erweitern, und

den Begriff eines Volkes und

einer dritten freien Menschenklasse, eines Volke,

dritten Standes in diesem

der Ein Interesse und Ein Ziel habe, konnte sich

entwickeln.

allmählig

Im Uebngen rechnet die Weltgeschichte nicht nach Tagen,

sondern nach Jahrhunderten, und je

langsamer

der Baum wächset,

desto tiefer treibt er seine Wurzel. Werfen wir zum Schluffe dieser Betrachtungen noch einen Blick auf

das Rechts- und Gerichtswesen im fränkischen Reiche: so zeigt eine Vergleichung desselben mit dem Rechts- oder Gerichtswesen

anderer

von deutschen Völkern gegründeten Staaten, daß in dieser Rücksicht im Wesentlichen überall Ein Geist herrschend war.

Die sogenannten

Römer im fränkischen Reiche wurden in ihren gegenseitigen Verhält­ nissen bei ihrem Rechte gelassen, und dieses Recht wurde nach her­

gebrachter Sitte gepflegt.

Dieses geschah von Seiten der Eroberer

aus Gleichgültigkeit, aus Nothwendigkeit, aus Unbchülflichkeit.

Kam

jedoch römisches Recht und Gericht mit fränkischem Recht und Gericht

in Widerstreit, so mußte jenes unstreitig weichen.

Und als das Lehen­

wesen sich im Fortgänge der Zeit immer weiter ausbreitete, da mußte nach der Natur der Dinge römisches Löscht und Gericht sich

immer

mehr zurückziehen, und vermochte- sich nur in dem gesellschaftlichen Ver­ kehr der Städte so lange schwach zu erhalten, bis es in späterer Zeit

mit dem Verfalle des LehnwesenS sich wieder erhalten konnte.

ES ist

daher begreiflich, daß es im nördlichen Gallien fast ganz zu Grunde

ging, während es im südlichen Theile dieses Landes fortbestand. Histor. Lesetuch. II.

14

Die

210

Franken.

Franken selbst hingegen blieben, wie die übrigen deutschen Völker, ihrem alten Volksrechte, so lange es möglich, getreu, und an ein sogenanntes

Landrecht wurde nicht gedacht.

Unter den deutschen Rechtsbüchern aber ist das sogenannte salische Gesetz

bei Weitem

deutschen Rechtes.

am wichtigsten

in

Rücksicht des

ursprünglichen

Fast alle andern Rcchtsbücher verrathen entweder

den Einfluß römischer Rechtssätze, oder sie sind erst zusammengetragen, nachdem die Völker,

deren Recht sie enthalten, mit dein fränkischen

Reiche vereint waren

und

Grundsätzen erlitten,

welche aus

Bestimmungen,

deswegen Veränderungen

dieser,

meistens

in

den

vertragsmäßigen

Das salische Gesetz aber ist rein deutsch.

Vereinigung heroorgingen.

Einzelne

haben

durch

die

Eroberung Gallien's,

durch

die

neue Religion und durch das Lehenwesen nothwendig geworden, sind

allerdings nicht vaterländischen Ursprunges, aber sie haben das Vater­ ländische nicht verdorben.

Das Gesetz ist daher höchst lehrreich, so­

wohl in Rücksicht der früherm Zeiten, als der gegenwärtigen, sowohl

in Rücksicht der Ansicht von dem Werthe der Dinge dieser Welt, als in Rücksicht der Sitten und des Verkehrs; nicht minder wegen des häuslichen Zustandes, als wegen der öffentlichen Verhältnisse.

In allen Bestimmungen, sie mögen das Recht selbst betreffen oder die Pflege desselben, das Gerichtswesen, offenbart sich ein starker Sinn für die Freiheit des Menschen, und das Ziel aller Bestimmungen ist:

bei dieser Freiheit den Frieden der Gesellschaft zu sichern.

Eben des­

wegen ist der richterlichen Willkühr Nichts überlassen; vielmehr war,

bei der Genauigkeit des Gesetzes, durch ein öffentliches Verfahren-von seines Gleichen, wegen des Thatbestandes jede Kränkung und Ver­

letzung abgeschnitten, sie müßte denn etwa in einer Art der Beweis­

führung, in den Ordalien oder vielmehr in deren Mißbrauche geftnden werden können.

In civilrechtlicher Beziehung sind nur,

in wenigen

Bestimmungen, die einfachsten Verhältnisse der Gesellschaft, der Ewerb

und der Besitz sicher gestellt.

Alles Andere bezieht sich auf Vergehrngen

und auf die Herstellung des durch Vergehungen gestörten Friedens der

Gesellschaft, und spricht den angedeuteten Sinn überall klar und lebendig aus, wenn uns auch zuweilen die Schätzung der Vergehungen oder die Größe der Buße, mit welcher die Vergehungen gut gemacht wer­

den sollten, in Verwunderung setzt. Das Wichtigste im salische» Gesetze für die gesammte Geschickte ist unstreitig die Bestimmung des Wehrgeldes.

Aus derselben aber geht

die Gleichheit aller Franken, die nicht in besonderen Verhältnissen standen, unleugbar hervor; und auch ein paar andere Stellen, ans welchen man eine Ungleichheit in rechtlicher Hinsicht, und namentlich das Dasein eines Erbadels bei den Franken zu beweisen gesucht hat, müssen sich eine gewünschte und willkührliche Dentnng gefallen lassen, ehe man aus ihnen hcrans erklären kann, was man so gern in ihnen finden möchte, und was sie nach der Nothwendigkeit der Verhältnisse gar nicht enthalten können.

VII. Die Moslim. (Luden.)

Alle Bewegungen des Alterthumes, die Erschütterungen der Staaten und Reiche, das Steigen und Fallen der Völker, unter welchen die

Bildung des Geistes der Menschheit fortgeschritten war, hatten das

große Land, das wir Arabien nennen, gar nicht getroffen oder doch

nur leicht berührt.

So wenig, als die furchtbaren Eroberer Afien's

mit ihrer Allgewalt, hatte der macedonische Alexander mit seinem Geist und seinem Glück, oder Rom mit ihrer Beharrlichkeit, ihrer Kraft, ihrer Klugheit und ihrer Arglist etwas Entscheidendes gegen ein Land

auszurichten vermocht, das durch seine Beschaffenheit alle menschlichen

Anschläge zll vereiteln schien.

Die Menschenmenge, welche in diesem

Lande Leben und Unterhalt fand, hatte

sich daher im Ablaufe der

Jahrhunderte in Sitte und Weise zu solcher Eigenthümlichkeit auszu­ bilden vermocht, wie kaum auf irgend einem Theile der Erde.

Diese

Eigenthümlichkeit war, obwohl von Alters her mannigfacher Verkehr

mit der übrigen Welt Statt gefunden hatte, aus der wunderbaren

Natur dieses Landes hervorgegangen. demselben nahe bei einander;

Leben und Tod stehen aber in

die Ohnmacht des Menschen und die

Allgewalt der Natur zeigen sich neben einander in der stärksten Weise und in der erhabensten Gestalt.

Diejenigen, welche in den Städten

des Süden's und Westen's lebten, kannten Genüsse, von welchen der rauhe Barbar nichts wußte, und die Ackerbauer lebten verschieden von

denen, die ihren Heerden folgten und sich von ihren Heerden nährten.

Alle Araber fühlten sich unter demselben Himmel, von derselben Sonne durchglüht und von demselben Thau erfrischet;

Alle hatten die selt­

samsten Wunder der Natur, geeignet jede menschliche Empfindung auf-

213

Die Moslim.

zuregen, vor ihren Augen; Alle sahen an sich oder Andern, wie die Fülle der Kraft und der Gesundheit den Menschen nicht gegen plötz­

lichen Untergang schützet, und wie dem Verschmachtenden Erquickung

werden mag und Rettung im Augenblicke der höchsten Gefahr- auch waren sie Alle von gleichem Sinne für väterliche Art und den alten Brauch durchdrungen.

Solche Menschen in solchen Verhältnissen mußten Eigenschaften in sich entwickeln und sich zu Tugenden erheben, durch welche sie fähig

Wurden zu jeglicher That und Anstrengung.

Zur Mäßigkeit zwang

sie ihre Armuth; zur Ausdauer die stete Gewohnheit.

Ihre Einbil­

dungskraft mußte glühend werden, wie die Lust, die sie athmeten, und reich, wie das Gaukelspiel, welches ihnen die Truggestalten im bren-

nerlden Sande ihrer Wüste gaben.

Ueber Allem aber mußte bei ihnen

jene Ergebenheit in den Gang deö Lebens stehen, oder vielmehr jene Unterwürfigkeit unter die Macht der Ereignisse, in welcher daö Leben

darum leicht eingesetzt wird, weil man sich desselben keinen Augenblick sicher weiß

3n der That • wenn man mit der Kenntniß von der

Lage, der Größe und der Beschaffenheit Arabien'S den Begebenheiten

der Geschichte von allen Zeiten her folgt, und diese Begebenheiten fast

alle an Arabien vorbeigehen sieht: so kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß die Söhne dieser Wüste nur ihre Zeit erwarteten, um sich geltend zu machen unter den Völkern der Erde.

Dabei kann

man vorarlssagen, daß, wenn sie einmal hervorbrcchen aus ihrer alten Verborgenheit, die Wirkting von ganz anderer Art werden und viel weiter greifen müsse, als Alles, was aus den Steppen und Wüsten des

innern Asien's gekommen war oder kommen kann.

Schon daö mußte

sie furchtbar machen, daß sie in ihrem Lande, zwar nicht unangreifbar, doch gewiß unbesiegbar waren.

Noch weiter mußte ihre Eigenthüm­

lichkeit treiben, die desto entscheidender ward, je länger sie sich unge­ stört auöbildete: überdies war ihre Lage, zwischen Asien und Astika,

in der Nähe des mittelländischen Meereö, »on höchster Wichtigkeit. Alles hing nur davon ab, daß die verschiedenen Stämme Arabien's,

zerstreut und mannigfaltig, bis zu Feindschaft und Krieg, gesondert,

von Einem Gedanken bestimmt, für Eine Sache vereint wurden, um als Ein Volk zu handeln!

Dieses aber gelang, nachdem eine Reihe

von Jahrhunderten, von welchen die armseligen Sagen späterer Zeit nichts Gewisses, wenigstens nichts Bedeutendes enthalten, endlich dem Mohammed (Abul Kasem), Abdallah's Sohne.

2L4

Die Moslnn.

Die Umwälzung, welche durch Mohammed bewirkt wurde, so un-

geeheuer sic auch war, hat nur etwas Auffallendes, wenn sie elmzeln

umd außer dem Zusammenhänge der Verhältnisse betrachtet wird.

Mo-

haimined war ohne Widerrede ein Mann, so vollkommen, wie ihm die

Eiinbildungökraft des Morgenlandes nur denken konnte.

Die Schön-

heiit seiner Gestalt und die Größe seines Geistes hat selbst die grim-

miigste Leivenschast zugestehen müssen.

Die

Erhabenheit seiner

Ge-

simnnng aber und die Herrlichkeit seiner Tugenden glänzen hell dmrch dein Schmutz hervor, mit welchem man ihn beworfen hat. — Große Leiidenschastcn jedoch muß man auch ihm verzeihen, wie jedem Stterb-

lickhen, besonders in Augenblicken eines gerechten Zornes.

Dieser Mann

nullt — geboren wahrscheinlich im Jahre 571 — in seiner Kindheit veirwaiset und dadurch vielleicht in seinem jugendlichen Leben vielfältig

ersichüttert, entsprossen aus dem Stamme der Koröischiten, welcher die

Auifsicht über die Kaaba, das einzige uralte gemeinsame Heiligthum

derr arabischen Stämme, zu Mecca, hatte, und dadurch im Besitz bedemtender Rechte war, mit Handel, Dichtkunst und Ncligionöbräuchen unngeben von Jugend auf — dieser Mann sah, wie er heranwuchs,

feint Volk und sein Vaterland in argem und gefahrvollem Verfalle. Fünfzig Jahre vor seiner Geburt waren die christlichen Abyssinier,

weigen der Verfolgungen, welche die Christen in Arabien, besonders auff Anstiften der Juden, zu erdulden hatten, ihren Glaubensgenossen zu Hülfe gezogen, hatten sich der Herrschaft bemächtigt und mit der

nemen Lehre das alte Leben verwirrt. eS

Mecca war nicht erobert, aber

hatte vielfältig gelitten durch die Störung des früheren Verkehrs.

Nmchher waren die Perser erschienen, besorgt, in ihren Verhältnissen zu

dem oströmischen Reiche, wegen Ausbreitung

in Arabien.

des Christenthumes

Eine Schlacht unter den Mauern von Mecca hatte die

Ab'yssinicr zum Weichen gezwungen.

Nun hatten die Perser, wegen

ihrier Stellung zu den Römern, Arabien allerdings bald wieder ver-

laffsen, aber die Zerrüttung war geblieben und die Auslösung lag vor

Auigeu.

Je tiefer die Eigenthümlichkeit der Araber sich ungestört ent-

wicckelt hatte, desto schrecklicher mochte die Erscheinung der Fremden die

Seeclen erschüttert haben.

Der Glaube an die Sicherheit der Wüste

Warr dahin. Jüdische Staaten bestanden im Innern Arabien's und vorr ihm im Besondern schien der alte Geist des Morgenlandes zurückzunveichen,

so wie die morgenländische Kraft durch die Waffen der

Erriechen und Römer, außerhalb Arabien, längst gebrochen war.

Wo

215

Die Moslim.

An eine Besiegung des Christenthums,

sollte die Verirrung endigen?

zumal dem jüdischen Wesen gegenüber, durch jenen alten Geist, war

Und wäre der Sieg des Christenthums zu hoffen

nicht zu denken.

gewesen, war er zu wünschen?

War das Christenthuin überhaupt

in seiner Geistigkeit, Freiheit und Tiefe eine Religion für Araber, nm diesen das alte Glück und die Sicherheit wieder zu verschaffen, die

zerstört war? und konnte es in der Gewalt, die es in sechshundert

Jahren von der Eitelkeit und der Weisheit dieser Welt erhalten hatte, mit

dieser Klerisei

Orientes Reisen,

einem

und

Manne

die Mohammed

später für Chadidschah,

schmutzigen Mönchsthume des

diesem

mit

genügen,

zuerst

wie

Mohammed?

Auf

stinen

mit seinem Oheim Abu-Taleb, und

nachmals

seine Gattin,

häufig

durch jene

Wüste machte, in welcher einst Jehovah dem Moses erschienen war,

und nach jenem Lande, in welchem Jesus Christus gewandelt hatte,

mag er im frommen Andenken an solche Männer den Geist mir den größten Gedanken an sein Volk und sein Vaterland mehr und mehr

angefüllt haben. Von diesen Gedanken

in die Einsamkeit der Natur voll Wender

und Größe getrieben und im Besonderen von dem Ausspruche Christi ergriffen, daß noch Einer, der Paraklet, kommen werde um Wahrheit

zu verkündigen, die eine gereiftere Zeit erforderten: ist es unbegreiflich, daß dem begeisterten Mann in seinem vierzigsten Jahre (611) in der

Grotte Hera der Engel Gabriel erschien, um ihm die Nacht der Rath­ schlüsse deS Herrn zu erhellen? daß eö ihm klar wurde, er sei dazu

berufen, seines Volkes Netter zu werden, dem Verderben Einhalt zu

thun und die Reinheit der alten Lehre nach den neuen Bedürfnissen

seines Volkes und der Welt, die er kannte, zu begründen. Bewunderungswürdiger scheint, und mächtiger zeugt für den Geist

des Mannes, das Wesen und die Gestalt des Islam, zu dessen Ver­ kündigung er sich berufen glaubte! Die Pflichten, die Mohammed den Gläubigen auslegte, waren so

sinnvoll an sich und auf uralte aus der Natur deS Menschenlebens und aus climatischen Verhältnissen hervorgegangene Bräuche so ver­

ständig gestützt; die Glaubenslehren, die er »ertrug, so bekannt, so ergreifend

und

so

durchaus

berechnet

für die

Eigenthümlichkeit der

Araber, das Bekenntniß, das er forderte, so einfach und so unbedenk­ lich; dabei die Tugenden, zu welchen er ermahnte, so menschlich und

so schön, die uralte Weisheit, die er in kühnen Sprüchen, gewaltigen

216

Die Moslim.

Bildem und tiefen Erzählungen aussprach, so erhaben und so groß;

endlich wurden den Gläubigen so einladende Verheißungen

gegeben,

und Alles in einer so lieblichen und lockenden Sprache dargestellt,, daß der wenige Erfolg, welchen der Prophet Jahre lang fand, lamm zu

erklären ist.

Nur die Verhältnisse

der Stämme

und Familiem, in

welchen die Araber lebten, machen die Sache begreiflich; und beson­

ders der Umstand, daß Mohammed seine neue Stiftung nicht

von

Mecca, dem alten Sitze des Handels und Verkehrs, so wie des> ein­ zigen National-Heiligtumes, der Kaaba, losreißen zu dürfen glambte. Dadurch gerieth er mit Denen in feindliche Berührung, die ihm ge­

kannt hatten von Jugend auf, und die sich nun, wie in ihren h-eilig­ sten Vorstellungen, so in ihren gemeinsten Interessen durch einen Mann

bedrohet sahen, der, nach ihrer Forderung in jeglicher Hinsicht mit

ihnen sein sollte.

Während er jedoch als Prophet unter den Seimigen

Widerstand fand, und Verfolgungen und Gefahren, ging sein Name,

als hochbegabter Dichter, schon durch die Stämme Arabien's,

und

seine Lehre fing an sich durch den ganzen Reiz der Sprache und Lurch

nie gehörten Wohllaut in die Seelen der Menschen hinein zu schmeicheln. Aber es waren auch vielleicht gerade diese Verfolgungen und Gefahren,

durch welche er zur Flucht (den 15. Juli 622) nach Jatreb (Medina) genöthigt, bewogen wurde,

seiner Lehre die .kriegerische Richtung zu

geben, die sie ursprünglich wohl nicht hatte und nicht haben sollte. Indem aber der Prophet Feldherr wurde, war cs zuerst nothwendig,

die Zahl durch den Geist zu ersetzen.

Und Mohammed brachte die

höchste Begeisterung dadurch unter die Gläubigen, daß er den Men­ schen überhaupt einem unausweichbaren Geschick, ruhend in der Hand des Einen allbarmherzigen GotteS, kühn unterwarf, und Denen, welche

im Kampfe bluteten oder fielen, das höchste Glück, ein lockendes Ge­ misch von geistigen und wollüstigen Freuden, im Paradiese versprach

auf ewige Zeiten.

Der Werth dieser Freuden wurde durch die Qualen

der Hölle erhöhet, welche den Feigen, wie den Ungläubigen oder den Lasterhaften erwarten.

Aber durch die Vereinigung des Befehles mit

der Lehre wurde zweitens zugleich nothwendig, daß die religiöse Grün­ dung Mohammed's eine politische Umwälzung ward; und als Prophet

und Imperator zugleich konnte er in dieser Beziehung nichts Anderes

erstreben, als einen vollendeten Despotismus.

Dieser mußte darum

viel furchtbarer sein, als Alles, was die frühere Zeit gesehen hatte, weil er eine so feste, religiöse Grundlage erhielt; daher konnte er wohl

Die Moslim.

217

von einer Hand in die andere gehen, aber er konnte nie aufhören, so lange der Boden hielt, auf welchem er ruhete.

Diese beiden Verhältnisse haben wunderbar gegen einander gewirkt. Durch das Erste — durch jene verwegene Lehre, die auö Mohamed's gefährlicher Lage hervorging — war, scheint es, die Eroberung der

Welt gesichert,

sobald

nur einiges

Glück

den Anfang

des

großen

Unternehmens begünstigte. Mit Mecca (629) wurde Arabien gewonnen, und in der Vereini­ gung Arabicn's schien die Erde unterworfen.

Durch das Andere hin­

gegen — durch die Vereinigung des Schwertes mit der Lehre — wurden von der einen Seite die Anhänger des Islam vor einer ab­

gesonderten Klerisei bewahrt, aber es wurde auch in die Lehre die

Starrheit des Todes gebracht, und dem Leben wurde die Reibung der Stände entzogen, durch welche die germanisch-christliche Welt sich ent­

wickelt hat; und von der andern Seite wurde der Herrschaft des Is­

lam durch den weltlichen Despotismus da die Gränze gesetzt, wo der Geist der Freiheit erwacht war, und wo die Natur der Länder den Despotismus nicht zum Bedürfniß macht.

Dadurch wurde Europa

dem Christenthume gesichert, und diesem zugleich ein Gegensatz gegeben,

gegen dessen starre Beschränktheit eS seine entwickeln aufgefordert ward.

unendliche Herrlichkeit zu

Asien und Afrika aber, wo das Christen­

thum seine ganze Heiligkeit verloren haben würde, wie es seine Rein­

heit schon verloren hatte, konnten der Unterwerfung um so weniger

entgehen, da zu ihrer climatischen und physischen Verwandtschaft mit den Arabern, noch eine sittliche Veraltung, eine bürgerliche Auflösung und eine kirchliche Verwirrung hinzu kam, die einen Widerstand gegen

das frische, kraftvolle Volk der Araber, das mit dem kühnsten Verttauen dem Siege seines Propheten entgegen sah, völlig unmöglich

machte.

Persien liegt außer unserm Gesichtskreise.

Aber dieses Reich war

schon ursprünglich aus alten, morschen Stoffen aufgebauet; die Zer­ störung, welche der Despotismus in seinem eigenen Wesen trägt, hatte

weit um sich gegriffen im Verlaufe der Zeit; ein langer, kostbarer und zuletzt unglücklicher Krieg mit dem oströmischen Reiche hatte die Kräfte

gänzlich erschöpft; innere Unruhen und häufige und gräuelhafte ThronRevolutionen hatten die Verwirrung

vermehrt, und

bei dem Allen

hatte auch die alte Lehre Zoroasters, wenn nicht ihr Ansehen, doch ihre Kraft verloren.

Also mußte das persische Reich wohl leicht die

218

Die Mosllm.

Beute der schwärmerischen Moslim werben I

Das oströmische Reich

hingegen stand da in seiner früheren Art. Aus Justin II. war (578) Tiberius, ein Thrazier, gefolgt, dessen Schönheit die ränkevolle Kaiserin Sophia gereizt hatte, der aber Wege»

seiner Tugenden von Justin zum Nachfolger bestimmt war.

Vier

Jahre hatte er die Krone mit seltenem und wohlverdientem Ruhme getragen, und sie alsdann (582) seinem Feldherrn Mauritius hiuter-

lassen.

Dieser Mann, für dessen Geist und Tugend es zeugt,

daß

Tiberius ihn gewählt und ihm seine Tochter zur Gemahlin gegeben, hatte durch einen falschen Schritt über sein Haus

ein ungeheueres

Unglück, und über das jammervolle Reich neue Leiden gekracht.

Rach­

er, von Türken unterstützt, die Ehre gehabt hatte, einen König von

Persien, den ein stolzer Satrap zur Flucht gezwungen,

großmüthig

(591) auf den Thron zu setzen, und dadurch freundliche Verhältnisse

mit allen Feinden herbei zu führen, hatte er, scheint es, gehofft, in

einem verderblichen Kriege mit den Avaren, deren schrecklicher Fürst sich eine Freude daraus machte, das schwache Reich zu höhnen und bis in die Hauptstadt hinein Furcht zu verbreiten, den Uebermnth seiner Truppen zu brechen, und die frechsten Schaaren los zu werden.

Dadurch aber hatte er, während die alte Parteiung Constantinopcl verwirrte, das Heer erbittert. Ein gräßlicher Mensch, Phokaö, war zum Kaiser erhoben, und Mauritius hatte mit seiner ehrwürdigen Ge­ mahlin und seinen frommen Kindern, sechs Söhnen und drei Töchtern, unter dem Henkerbeil (602 u. 605) den Tod gefunden. Von diesem

gräßlichen Menschen war zwar das Reich befreiet durch eine glückliche Empörung des Statthalters von Afrika, dessen Sohn, Herakliuö, als­

dann den Purpur erhalten hatte; aber erst nach acht Jahren einer wilden und grausamen Herrschaft (610). Und in dieser Zeit waren

die gesellschaftlichen Bande gelöset; die Avaren hatten die europäischen Länder verwüstet; die Perser, alte politische und religiöse Feindschaft

unter dem Vorwande einer edlen Rache verbergend, hatten angefaNgen,

die Provinzen Asien's einzunehmen, die Städte zu brechen, die Länder

zu veröden; das Heer war aufgerieben, und Hunger und Seuchen hatten das Unglück der Menschen vergrößert. Zwölf Jahre lang war dieses Unheil unter Heraklius fortgegangen; alle seine Bemühungen hatten dasselbe nicht aufgehalten und kaum ge­ mildert. Die Perser hatten Syrien, Phönizien, Palästina und Aegypten eingenommen. Heraklius sah von den Mauern Constantinopel's Ihre

219

Die Moslim.

Fahnen und die Schwerter der Avaren, und, wie es schien, mit so

feiger Vergessenheit, daß er die völligste Verachtung der Feinde auf sich zog, und sie dadurch zu den übermüthigsten Forderungen reizte.

Dahin, scheint es, hatte er gestrebt; und darum hatte er den Tadel

der Welt ertragen.

Auf einmal, in demselben Jahre,

in welchem

Mohammed das Schwert nahm (622), erhob er sich wie ein gewal­ tiger Riese und entwickelte, indem er die räuberischen Avaren klug zur

Ruhe lockte, einen Geist und eine Kraft, die Alles überraschte, ver­ wirrte und niederwarf.

In sechs Feldzügen, kühn bis zum Märchen­

haften, brach er, in Verbindung mit Türken, die persische Gewalt und bewilligte einen Frieden, der großmüthig schien, weil er nur dem Reiche

die alten Gränzen sicherte (628).

Aber die Kräfte dieses Reiches

waren nicht minder erschöpft, als die Kräfte Persien's; die Nachwchen blieben, und die Gemüther der Menschen fanden Nichts, woran sie sich hätten halten ober aufrichten können.

Der Glaube der Christen

hatte durch daS Glück der fcueranbetenden Perser einen großen Stoß

bekommen.

das

Die heilige Stadt war nicht verschont geblieben;

selbst

Lehre

aber

heilige Kreuz

hinwcggenommen!

war

Ueber

die

herrschten längst überall, in Asien, wie in Aegypten oder im karthagi­ schen Gebiete, die bittersten Streitigkeiten, von grübelnden Mönchen

genährt.

Diese Streitigkeiten

grimmigem Hasse verfolgten.

hatten

Seiten

gebildet,

Und Kaiser Hcraklius,

die sich als

mit

hätte er

sich im Perserkriege gänzlich ausgelebt, schien nur noch Sinn zu haben

für solche Meinungen und Kämpfe. — So das oströmische Reich. Mohammed hatte schon während des Krieges zwischen den Byzan­

tinern und Persern Briefe an den Kaiser und den König geschrieben

und, im Namen des allmächtigen und allgenugsamen Gottes drohend, züm Glauben ausgefordert.

Diese Briefe, durch die Verhältnisse Ara-

bien'S zu beiden Reichen und besonders zu Persteu veranlaßt, können

schwerlich einen andern Zweck gehabt haben, alö des Propheten Ver­ trauen zu

zeigen,

und

dieses Vertrauen den Moslim

mitzutheilen.

Denn Mecca war noch nicht gewonnen, und Mohammed hatte den

Triumph seiner Lehre noch nicht' gesehen.

Aber er sah ihn!

Bei

seinem Tode (632) hatte sich ganz Arabien zum Islam bekannt, über­

zeugt von der Wahrheit desselben durch fünfzig, oft gefährliche und

immer siegreiche Schlachten.

Die Streitigkeiten, die nun sogleich über

das Chalifat entstanden, waren, obgleich schrecklich und gräuelvoll in sich selbst, für den Islam ein Glück.

Sie schärften die Geister und

220

Die Moslirn.

reizten die Seelen und erhielten ein Lehen unter den Bekennern, das in der Lehre selbst — bald im Koran sestgestellt — durchaus keine

Nahrung fand. Diese Streitigkeiten führten dann auch zu den Kriegen gegen die Ungläubigen außer Arabien; zu Kriegen, die schon Mo­

hammed beabsichtigt hatte, die durch frühere Verhältnisse auch politisch gerechtfertigt wurden, und die nothwendig waren, um die, beim Tode des Propheten wankenden, Gemüther zu stärken und zu befestigen, um

die falschen Propheten zu vernichten, uud um den, unter Zwist und Widerspruch gewählten, Chalifen ihre Würde zu sichern. Mit dem kühnsten Vertrauen in der Seele, glühend vom Eifer für die Ausbrei­ tung deö Glaubms und gekachelt von der eingebornen Raublust bei dem Anblick unermeßlicher Reichthümer, strömte die Jugend Arabien'ö

aus der freien Wüste unaufhaltsam über die alternden und gewalt­ samen Reiche dahin^ Schrecken ging vor ihr her, und Verderben be­

zeichnet« ihre Schritte; aber in der Unterwerfung war Rettung, und gleiches Glück und gleiches Recht mit den Siegern sicherte der Glaube

an den Propheten. Inzwischen zeigten die ersten Chalifen in Arabien selbst eine solche Größe der Seele, einen so starken Geist und eine so erhabene Einfach­ heit der Sitten, daß Wenig in der Geschichte gefunden wird, was tiefer eingriffe in die Brust deS Menschen, als die Tugenden dieser

Söhne der Wüste.

Aber die Auflösung aller alten Bunde; der kühne

Aufschwung, in welchem der entfesselte Geist seine Kraft versuchte; das Gähren der Jdee'n, die aufgeregt waren durch die neue Lehre und ihre wundervolle Einführung in die Welt; das Glück der Sieger endlich und die reiche Beute, welche der Sieg gab : dieses Alles trieb die Menschen zu Entschlüssen und Thaten, die gegen einander stießen,

regte furchtbare Leidenschaften auf und erzeugte schauderhafte Zerrüt­ tungen und Gräuel oder bereitete sie vor.

Abu-Bekrs kluge Besonnen­

heit und Omar'S hohe Tugend, Mäßigkeit, Demuth, Mildthätigkeit

erhielten noch die Einigkeit unter den Moslim. Aber schon Othmann's Politik, Verwandten -Bcgünstiguug, Sparsamkeit und Gereizt­ heit führten zu Spaltungen rind bösen Unruhen, welche der edle, be­ geisterte und schwärmerische Ali, Mohammrd's Schwiegersohn, der heiligen Fatimah Gemahl, als er endlich, vierundzwanzig Jahre nach

deö Propheten Tode (456) zu der Würde gelangte, die ihm, nach Vieler Meinung, längst zu gebühren schien, um so weniger zu stillen vermochte, da zwischen ihm uud vielen Arabern des dreiundachtzig-

221

Die Moslinr.

jährigen Othmann's blutige Leiche stand, und da es ihm überhaupt

nicht gegeben war, die Verhältnisse der Menschen verständig aufzu­ fassen und besonnen zu berechnen. Vielmehr führte der schauderhafte

Kampf, durch Verräthereien und jegliche Grausamkeit ausgezeichnet, welchen er zuerst mit der nunmehr so schrecklichen als einst schönen

Ayescha und dann mit dem verwegenen Moraviyah, auö dem Ge­

schlechte der Ommajaden, zu bestehen hatte, ihn selbst zu einem gewalt­ samen Tode (660), und brachte über sein Haus und besonders über

seine beiden Söhne Hassan und Hosain, die ihm gleich waren an Heldenmuth und edeler Gesinnung,

ein unerhörtes Unglück.

Unter

solchen Gräßlichkeiten jedoch, mit solcher Besonnenheit benutzt, konnte es wohl dem Moraviyah gelingen, seinem Hause ein erbliches Chalifat zu verschaffen; aber die Ströme von Blut, die diese Gründung

gekostet hatte, konnten nicht vergessen werden, und der Märtyrertod der Alidcn mußte die Treue Aller sichem, die ihre Seele Fatimah's

Geschlecht zugewandt hatten. Also war eine Spaltung, politisch und religiös, begründet; und diese Spaltung mußte um so mehr, bleiben, und zu manntgfalttgm Kämpfen sichren, da das Chalisat der Ommajadcn, in dem alten, üppigen Damascus verwaltet, bald große Ent­

artung zeigte. Die Zerrüttung Arabien's hat unstreitig aus die Unternehmungen

der Moslim gegen die Ungläubigen wurden sie nicht.

eingewirkt;

aber unterbrochen

Ehe zwei Menschenalter verlaufen waren, wurde

des Propheten Name von den Usern des JnduS bis an die Gestade

des atlantischen Meeres verehrt, und von den Küsten des südlichen Oceans bis an die Küsten des kaspischen See's.

Bei dieser sirrcht-

baren Umwälzung zeigte sich auffallend die Gewalt deö Volksthumes

und die Macht der Natur in den Ländern der Erde.

Das persische

Reich zu besiegen, war, obgleich eS gänzlich zertrümmert ward, am schwersten. ES kostete viele blutige Kämpfe, ehe das heilige Feuer vor der Fahne der Bekenner wich. Die Provinzen des oströmischen Reichs in Asien hingegen, von Heraklius kaum wiedergewonnen, sah dieser Kaiser nach zwei Schlachten schnell verloren gehen.

Nur die

wichtigsten Städte, DamascuS, Jerusalem, Antiochien und CSsarea,

leisteten Widerstand.

Sechs Jahre nach des Propheten Tode wat­

alles Land, Kleinasien kaum ausgenommen, unterworfen;

und als

zwei oder drei Menschenalter verlaufen waren, da zeugten von der siebenhundertjährigen Herrschaft der Römer fast nur noch die Trümmer

222

Die Moölim.

von Städten und Tempeln; die Verhältnisse des Menschenlebens aber schieneir ganz in arabischer Weise und Sitte. Und doch hatten die

Moölim keineswegs solche gewaltsamen Mittel gebraucht, wie von den Römern verübt waren; sondern die einheimische, verwandte Natur hatte gesiegt über die Schöpfungen fremder Willkühr. Selbst die Göttlichkeit des Christenthumes hatte, in seiner damaligen Art, viele Menschen nicht zu bewahren vermocht vor des Jslam'ö sinnlicher Ge­

walt!

In Aegypten kam den Moölim die Uneinigkeit der Christen

zu Hülse, die ihnen auch Syrien'ö Eroberung erleichtert hatte.

Die

verfolgte Seite streckte ihnen, aus Haß gegen die Verfolger, die Hände entgegen und wollten sich lieber dem fremden Eroberer unterwerfen,

als, im innersten Wesen gekränkt, von den einheimischen Mitchristen eine ungewisse Duldung hoffen.

Also wurde Aegypten gewonnen, so­

bald es- angegriffen war (637), und vermehrte, wie Alles, die Kriegs­ macht der Araber. Nur Alerandria, durch ihre Lage, durch den Glauben

und die Verhältnisse ihrer Bewohner zum Widerstand aufgefordert, hielt sich noch drei Jahre. Uebrigens konnte nur in religiöser Rück­ sicht die Eroberung Aegypten'S als ein Unglück angesehen werden: in jeder andern gewann das unglückliche Land, das seit länger als

tausend Jahren die Beute der Eroberer gewesen war.

Hieraus erfolgte sogleich die Ausbreitung, der Lehre Mohammed's in das Innere Afrika's.

Mochten die Brebern immerhin in Sprache

und Abstammung ganz verschieden sein von den Arabern: sie, die in keinen Städten wohnten, keine Märkte hatten und keine Wegweiser, fühlten sich durch Leben und Sitten den Siegern verwandt und traten gern auf die Seite der Glücklichen. Nun blieb zwar die nördliche Küste Afrika's noch einige Jahrzehend bei dem Namen der Griechen; aber nur, weil die Zerrüttungen in Arabien manche Veränderungen in den Unternehmungen veranlaßten; nur weil die Kämpfe im Innern Asien's furchtbar fortdauerten und keineswegs, weil die Griechen jene

Küste zu vertheidigen vermocht hätten. Vielmehr wußte das blutige Haus des Heraklius, das nach seinem Tode (641) noch siebenzig Jahre (711) auf dem immer mehr befleckten Thron in Constantinopel

saß, durch Familiengezänk entwürdigt und durch unverstandene theolo­

gische Sätze in arge kirchliche Parteiungen verwickelt, weder in Europa, noch in Asien oder in Afrika Kraft zu entwickeln und Widerstand zu

leisten, obwohl für die Rettung des letzten Landes große Anstrengungen gemacht wurden. Die Araber, seit sie Phönicien und die Küste Syricn's

Die Moolun.

223

inne hatten, nicht weniger kühn zur See, als zu Lande, jedoch weniger geschickt, wollten, scheint es, den Baum an der Wurzel fassen; aber ihr Angriff auf Constantinopel, sieben Sommer hindurch (668—675)

mißlang,

weil sie dem schrecklichen griechischen

Feuer Nichts einzusetzen hatten.

In dem letzten Viertheile des siebenten

furchtbar wiederholt,

Jahrhunderts unternahmen sie dann die Unterwerfung Afrika's.

Der

Kampf wurde furchtbar, nicht sowohl wegen des Widerstandes der

Griechen, als weil sie, nun schon von den Reizen eines gebildeten

Lebens fortgezogen, die Halbbrüder in der Wüste verließen, und die­ selben, durch Begünstigung der Städte, gegen sich aufbrachtcn.

Selbst

als schon Karthago gefallen und zum zweiten Male gänzlich durch

Feuer und Schwert zerstört war (693), dauerte der Kampf noch durch eine Reihe von Jahren mit wechselndem Glücke so schrecklich fort, daß

die Thaten der kühnen Mauern, nach ihren Ursachen und in ihrem Gange, fast ein märchenhaftes Ansehen haben.

Endlich jedoch gelang

es dem Musa, des Chalifen Walid's Feldherrn, Mauren und Brebern

zu bewältigen, und sie zur Annahme des Jslam's zu arabischer Sitte und Sprache zu bewegen oder zu Sklaven zu machen.

Kaum aber

war der Kamps geendigt (709), und die arabische Macht neu gestärkt,

und vermehrt: so

erhielt eben dieser Musa eine gute Veranlassung,

auch das Reich der Westgothen in Spanien zu stürzen.

Schon der erste Moslem, welcher den westlichen Ocean erblickte, Akbah, hatte es bejammert, daß ihm das Meer in der Verbreitung

des Islam

hindcrud

entgegen stand.

Um so

mehr war ihr Sinn

auf jene Küste gerichtet, die sich ihnen zur Seite zeigte, und die sie längst mit ihren Schiffen berührt hatten.

Unter Witiza hatte

(708) eine spanische Flotte die arabische geschlagen. hatte die Moslim von Ceuta zurückgewiesen.

Zeit zu verlieren, noch Vieles zu wagen.

noch

Graf Julianuö

Jetzt aber war weder

Also schickte Walid's Ober-

Befehlshaber in Afrika, Mllsa, seinen Feldherrn Tarik mit wenigen tausend Mann über die Meerenge,

mehr,

wie eS scheint,

um die

Natur des Einverständnisses zu erprüfen, als um etwas Entscheidendes

zu versuchen.

Roderich indeß eilte den Feinden entgegen und wagte,

vielleicht weil ihre Zahl so gering war, ohne gehörige Rüstung, den

Kampf in den Gefilden von Leres de la Frontera; und dieser Kampf, der sieben Tage hindurch erneuert sein soll (19. bis 26. Juli 711),

wurde, was man weder hier, noch dort vorauszusehen vermocht hatte, entscheidend!

Die Verräther gingen zu den Feinden über.

Roderich

224

Die Mostim.

verlor als Flüchtling sein Leben.

Musa eilte mit neuen Tausenden

herbei, durch das neue Glück neu begeistert.

Spanien, alle Bande

der Ordnung gelöset, alles Ansehen verschwunden, nirgends Sicherheit,

und nirgends Vertrauen,

wurde überschwemmt.

Selbst die Städte

wurden, mit wenigen Ausnahmen, in Verblendung und durch Verrätherei

geöffnet, oder

durch

Feigheit

übergeben.

Die

Masse

des

Volkes, die in ihrer Religion keinen Schutz fand, und den Druck der

gothischen Herrschaft schwer

empfunden hatte,

zeigte sich auch bald

einem Feinde geneigt, der Alles gleich machte, der sich billig bewies

gegen Ueberwundene,

großmüthig

gegen Ergebene,

brüderlich

gegen

Gläubige, und der bei diesem Allen das Glück auf seiner Sette hatte.

Und Schaaren vertriebener Juden, die aus Afrika zurückkehrten und an ihren

zum Christenthum

gezwungenen Brüdern überall Genossen

fanden, traten ein als Vermittler.

Also geschah, daß auch in Europa

Mohamed's Fahne, ehe ein Jahr, verlief, von dem Ausflüsse des Tajo

bis zu den Pyrenäen und bald bis zur Mündung der Rhone wehete,

und daß auf der pyrenäifchen Halbinsel das freie Christenthum nur in

den Gebirgen Asturien's, Gallicien's und BiSraya's eine» Halt be­

hielt, von welchem aus es in späterer Zeit seine Kraft kämpfend und siegreich entwickeln konnte.

VIII. «Langobarden. (K. A. Menzel.)

Von den vielen Stämmen der Gothen, die einst alles Land längst

der Dpnau vom heutigem Oesterreich bis an das schwarze Meer im Besitz gehabt hatten, waren nur noch die Gepiden im alten Dazien übrig. -In - frühern- Jahrhunderten hakten sie längst der Weichsel ge­ wohnt, nachmals gegen die Burgunder und gegen die Gothen gestritten,

waren Attila's Fahnen gefolgt, nach dem Tode dieses Eroberers frei

geworden und bis an die Donau, in die Gegend Pannonien's gezogen, wo die Save sich mit dem Hauptstrom vermischt.

Am Ende deS

fünften Jahrhunderts, einige Zeit nachher, als die Gothen Italien

eingenommen hatten, näherten sich den Gepiden von zwei Seiten ge­ fährliche Feinde; aus den nördlichen Gegenden Dazicn's zogen die

Avaren, ein aus hunnischen Stämmen gebildetes Volk, welches selbst in seinem Rücken von tartarischen Völkerwanderungen gedrängt ward; im westlichen Pannonien aber,

irn heutigen Oesterreich und Ober-

Ungarn, breiteten sich die Longobarden immer gewaltiger aus, bis sie

endlich feindselig den Gepiden begegneten. Longobarden (also von ihren Waffen genannt) ein swevisches Volk,

saßen in den alten germanischen Zeiten an den Ufern der Elbe in der Altmark und dem Fürstenthum Lüneburg, wo sie wider dm Tiberius stritten, gehorchten eine Zeit lang dem Marbod, fielen aber von ihm ab und traten zu dem Bunde der Cherusker, mit denen sie gemeinschaft­ lich die Markmannen besiegten. Nachher, als-die Cherusker durch innere Uneinigkeit litten, erhoben sich die Longobarden auf ihren Trüm­

mern und wurden im zweiten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung Histor. Lesebuch.

II.

15

226

Longobarden.

ein gewaltiges

Volk, dessen Herrschaft oder Bundeshauptmannschaft

sich, wie aus PtolemäuS ersichtlich ist, bis an den Rhein erstreckt haben mag.

Wie diese Herrlichkeit zerfiel und durch welche Begeben­

heiten das Volk aus seinen alten Wohnsitzen aufgcricbcn ward, wissen

wir nicht.

Niemand gedenkt ihres Namens, bis am Ende des fünften

Jahrhunderts Longobarden ans einmal an der Nordscite der Donau erscheinen, mit den Rugiern, Seyrren nnd Herulern kämpfen und, nach­

dem die Ostgothen nach Italien gezogen, wie cS scheint, in friedlicher Uebcreinkunft mit Theodorich daS von ihm verlassene Pannonien ein­ nehmen.

Desto feindseliger ward bald ihre Steilung gegen die Ge-

pidcn, und die Nachbarschaft Veranlassung heftiger Kriege.

AuS diesen

Kriegen besitzen wir ein treues Gemälde germanischer Sitten.

AlS

Turisend über die Gepidcn, Audoin, der Lithinge, über die Longobarden herrschte, kam cs zwischen den Heeren beider Völker zn einer heftigen

Schlacht,

in welcher Alboin,

der Longobarde, und Turismod,

der

Gepide, die Söhne der Könige, zum Kampf gegen einander ritten.

Der Gepide fiel von der Lanze Alboin'S durchbohrt, und die Longobarden kehrten als Sieger nach Hause. Da verlangten sie von dem Könige, daß der sieghafte Jüngling der Ehre des väterlichen Tisches

gewürdigt werde.

Audoin aber antwortete, daß er dies nicht thun

könne, ohne die alten Sitten des Volks zu verletzen; „denn Ihr wisset wohl, sprach er, daß bei uns kein KönigSsohn mit seinem Vater essen

darf, wenn er nicht vorher von einem fremden Könige seine Waffen

empfangen hat."

Auf dieses wählte Alboin vierzig Gefährten und zog

mit ihnen zu Turisend, dem Könige der Gepiden, gegen welchen er

Dieser nahm den Mörder seines Sohnes, den

vorher gekriegt hatte.

Gesetzen der Gastfreundschaft gemäß, auf und bewirthete ihn mit einem

köstlichen Mahle.

Alö nun Alboin auf dem Platze saß, wo sonst

TuriSmod gesessen hatte, gedachte der unglückliche Vater deö erschla­ genen SohneS und

vermochte in seinem Schmerze die Worte nicht

zurückzuhalten: „Wie werth ist mir jene Stelle, wie betrübend aber

Der, welcher darauf sitzt!"

Dadurch wurde sein anderer Sohn, Kuni-

mund, ermuntert, die Longobarden weiter zu beleidigen.

„Mi: den

weißen Binden, die Ihr um Eure Waden tragt," sprach er, „gleicht Ihr den weißsüßigen Stuten unserer Tristen.

lichkcit hinzu,"

Füge noch eine andere Achn-

erwiderte ein Longobarde; Du hast gefühlt, wie stark

sie hinten ausschlagen!

Geh auf die Ebene von Asfeld und suche

die Gebeine Deines Bruders, die dort unter den Gebeinen der Rosse

227

Longobarden.

zerstreut liegen!"

Da sprangen die Gepiden von ihren Sitzen,

Beleidigung zu rächen,

die

und die Lvngobarden legten ihre Hände an

die Schwerter; der König aber trat in die Mitte und bedrohte die Seinen, wenn sie die Fremden in seinem Hanse tödteten; denn ein

solcher Sieg gefalle der Gottheit übel.

So wurde der Lärm gestillt

lind daö Mahl mit fröhlichem Sinne gehalten.

Darauf nahm der

König die Waffen seines Sohnes, gab sie dem Alboin und schickte ihn in Frieden in sein Land zurück.

Als nun nach deni Tode ihrer Väter Alboin und Kunimund Könige

wurde», wollte der Letztere die alte Schmach rächen und brach den zwischen beiden Völkern bestehenden Frieden. mit den

Alboin

wohnten.

Avaren,

Darüber verband sich

welche nordostwärts hinter bett

Gepiden

Da nun Kunimund gegen die Lvngobarden ausgerückt war,

erhielt er Botschaft, die Avaren wären ihm von hinten ins Land ge­ fallen.

Er aber gedachte, erst den unversöhnlichen Feind seines Volkes Allein das

zu schlagen und sich bann der Avaren leicht zu erwehren.

Glück war wider ihn, und in einer Vertilgungsschlacht erlag die Macht der Gepiden.

Kunimund selbst fiel von Alboin'S Hand; aus seinem

Hirnschädel ward eine Trinkschale gefertigt, des Siegers Haß zu sät­ tigen und bei festlichen Mahlen den KriegSmuth der Gäste zu ent­

flammen.

Unermeßlich war die gewonnene Beute, denn lange Zeit

hatten die Gepiden römische Provinzen

geplündert.

Sie ward mit

den Avaren getheilt, den Letztem auch alles eroberte Land überlassen.

Also verging das Land der Gepiden; die den Avaren zufielen, wurden Knechte,

die

Uebrigen

schmolzen

mit

den

Longobarden

zusammen.

Unter den Gefangenen befand sich Rosamunde, Kunimund's Tochter;

diese

vermählte sich König Alboin,

ihres HauseS

Untergang

rächen

nicht ahnend,

werde.

daß sie an ihm

Sein Ruhm

erscholl weit

über alle Völker; noch Jahrhunderte ttachher ward in den Helden­

liedern der Bojarier, Sachsen und anderer Deutschen, seine Tapfer­ keit. sein KriegSglück und seine Freigebigkeit gepriesen. Die Römer aber, ihrer alten Staatökunst getreu, freuten sich, daß ein Barbaren­ volk das andere vernichtet habe, fanden aber bald Ursache, deit Unter­

gang der Gepiden zu bedauern. Von den Gestaden der Donau wandte der Bezwinger der Gepiden seine Augen auf die reichern Ufer des Po uud der Tiber.

Fünfzehn

Jahre vorher hatten Longobarden, als Bundesgenossen des RarseS,

Italien der griechischen Herrschaft unterwerfen helfen, und die Gebirge, 15 *

228

Longobarden.

Flüsse und Heerstraßen des schönen Landes kennen gelernt; jetzt wur­

den sie durch denselben NarseS eingeladen, die von ihnen aufgertchtete Herrschaft des Kaisers umzustürzen.

wohner Jtalien'S, die das

Dies verhielt sich also.

gothische Joch so

Die Be­

unerträglich gefunden

hatten, fanden bald Ursache, ihre Thorheit zu bereuen.

Die Landes­

verwaltung der kaiserlichen Exarchen war überall willkührlich und drückend; Narses, der Erarch von Italien, befleckte den Ruhm seiner kriegerischen Tugenden durch das persönliche Laster deS Geizes. Da sandten die Römer an den Kaiser Justin und dessen Gemahlin Sophie,

(Kaiser Justinian lebte nicht mehr) und ließen ihm sagen: „ES war uus besser den Gothen, als den Griechen , zu dienen; denn Narses, der Eunuch, hält uns wie Sklaven, und der Kaiser hört uns nicht.

Darum befreie uns von seiner Hand, oder wir übergeben uns und die Stadt Rom an die Barbaren." Bald ward ein neuer Erarch, Longinus, ernannt, und der Eroberer Jtalien'ö abgerufen. Die Kai­ serin Sophie, die für ihren schwachen Gemahl regierte, soll sich der beleidigenden Ausdrücke bedient haben: „Der Beschnittene möge nur nach Hause kommen, um im Frauenhause, wie sonst, den Wetbem ihre Gespinste zu vertheilen."

Darauf habe Narses geantwortet: „Er

wolle ihr ein Gewerbe aufschlagen, welches sie ihre Lebtage nicht, ab­ nehmen werde." Anstatt als Sklave und Schlächtopfer am Thore des Palastes zu harren, zog er sich nach Neapel zurück und lud nun

die Longobarden ein, die Undankbarkeit deS Fürsten und deS Volks zu strafen. „Sie möchten nur," ließ er ihnen sagen, „die armseligen Fluren Pannonien's verlassen und das gesegnete Italien einzunehmen kommen." Zugleich sandte-er vielerlei Arten von Obst und anderen Erzeugnissen, die das Land hervorbringt, um die Gemüther des Volks

zur Unternehmung zu locken. Auf dieses versammelte sich alles Volk der Longobarden nebst vielen Gepiden, Bojariern und Sarmatcn unter Alboins Fahnen; von den

Sachsen, der Longobarden alten Bundesgenossen, nahmen zwanzig­ tausend Krieger, mit Weib und Kind, die Einladung an, mit nach

Italien zu ziehen.

Ihr Land, heut Ungarn und Oesterreich bis an

die Ens, überließen die Longobarden ihren Bundesgenossen, den Avaren, unter der Bedingung, dasselbe wieder zu erhalten, wenn ihnen Jtalien'S

Eroberung sehlschlüge. So zogen sie mit Weib und Kind und aller beweglichen Habe aus, nachdem sie zweiundvierzig Jahre in Pannonien gewohnt hatten.

Von der Höhe eines Alpengipfels, der nachmals

229

Longobarden.

der Königsberg hieß, erblickte Alboin zuerst voll Verwunderung Jtalien'S

fruchtbare Gefilde, die noch nach einem Jahrtausend von seinem Volke genannt werden sollten. Auf seinem fernern Zuge fand er nirgends Widerstand; nachdem er zu Forum Julium, im heutigen Friaul, seinen Neffen Gisulph zurückgclassen hätte, die Alpenpässe zu bewachen, kam

ihm Felir, der Bischof von Trevigis an der Piave, entgegen und er­ langte von ihm die Zusicherung, daß aller Besitzthnm der Kirche un­

angetastet bleiben sollte.

Allmählich öffneten Vicenza, Verona und

Mailand ihre Thore; Honolulus, der Erzbischof floh mit seinen Prie­

stern vor dem Arianer nach Genua.

Der Erarch Longinus verschloß

sich in Ravenna; Narses, der nach Rom zurückgekehrt war, starb, ehe er den Fehler seiner Uebereilung gut machen konnte.

Die einzige Stadt, die sich Alboin's Fortschritten widersetzte, war

das von den Gothen besetzte Pavia.

Drei Jahre stand das Lager

der Longobarden vor diesen Mauern, während außer Rom und Ra­ venna ganz Jtallen bis nach Toscana schon die longobardische Herr­ schaft erkannte. Pest und HungerSnoth hatten unter deS NarseS un­ glücklicher Verwaltung die Einwohner Ligurien'S und VenezienS vertilgt,

und Gepiden, Bulgaren, Sarmaten, Pannonier, Schwaben und Noriker,

die mit und nach den Longobarden gekommen waren, fanden hinläng­

lichen Raum, sich anzusiedeln.

Endlich nach drei Jahren und einigen

Monden, als Alboin im Zorn gelobt hatte, alles Volk in Pavia mit dem Schwerte zu todten, mußte sich die Stadt, durch Hunger be­

zwungen, seiner Ungnade übergeben.

Indem er zum Thore St. Jo­

hannis einritt, fiel sein Pferd, und weder Sporn noch Peitsche-konnte

es zum Aufstehen bringen.

Da trat einer von den Longobarden heran

und sprach : „Gedenke, o König, an Dein hartes Gelübde!

Nimm

es zurück, bevor Du in die Stadt reitest, denn das Volk in derselben ist christlich!" Alboin aber ging in sich und verhieß allen Einwohnern Gnade, und das Pferd stand auf und trug ihn ohne Weigerung in Daselbst kam das Volk zusammen, um nach langem Elend frohe Zusicherung zu empfangen. Seitdem ward Pavia

Theodorich'S Palast.

des lombardischen Königreichs Hauptstadt. Als Alboin drei Jahre und sechs Monate in Italien geherrscht hatte,

fiel er durch den Trug seines Weibes.

In einem Palast ohnweit

Verona bewirthete er seine Sicgcsgefährten.

Nachdem er nun viele

Becher Weins ausgetrunken halte, forderte er Kunimund's Schädel,

die kostbarste Zier seines Tisches.

Diese Siegesschale ward von ihm,

230

Longo-arden.

dann im Kreise von seinen Genossen

geleert,

endlich,

im Rausche,

befahl er, sie der Königin zu bringen, damit sie an ihrem Vater sich letze.

Rosamunde gehorchte; aber indem ihre Lippen die Schale be­

rührten, that ihr Herz den Schwur, sich und ihr HauS zu rächen.

Wider ihren Willen mit dem Mörder ihres VaterS und dem Vertilger

ihres Volkes vermählt,

hatte sie

sich nie durch

eheliche Treupflicht

gebunden geachtet; jetzt rathschlagte sie mit ihrem Buhler, Hclmichis, Alboin's Schildträger, wie sie den verhaßten Gatten erwürgen möchte.

Helmichis aber scheute Alboin's gewaltigen Arm und rieth ihr, einen kühnen und starken Krieger, NamenS Peredcus, zur Ausführung deS

Als sich dieser weigerte, die Hand an seinen

MordplanS zu dingen.

König zu legen, bediente sich Rosamunde folgendes Mittels, ihn zum Gehorsam zu zwingen.

Sie legte sich in das Bett ihrer Kammerfrau,

mit welcher, wie sie wußte, Peredcuö die Nacht zuznbringcn gewohnt

war, und ließ ihm, nachdem er unwissend mit der Gemahlin seines Königes der Liebe gepflegt, die Wahl, ob er den Alboin tövtcn, oder

selbst von seinem Schwerte umkommen wolle.

In dieser Gefahr ent­

schloß sich PeredeuS, das Verbrechen zu begehen.

EineS Nachmittags,

als Alboin schlummerte, befestigte die Königin daS Schwert, welches über seinem Lager hing, daß cs weder herunter genommen noch aus­

gezogen werden konnte, und führte dann den Mörder in daS Gemach. Bei seinem Eintritt erwachte der König und griff, wie er seine Absicht

augenblicklich

errieth,

nach

dem

aber dieS

Schwerte;

versagte

den

Dienst, und mit einem kleinen Stuhl mußte der Ueberwinder der Ge-

piden und der Bezwinger Jtalien's in seinem letzten und entscheidensteu Kampf sein Leben

Leichnam

ward

vertheidigen.

unter

Er fiel,

wie ein Wehrloser;

der Treppe des Palastes

begraben,

sein

wo die

dankbare Nachkommenschaft der Longobarden lange Zeit daS Andenken ihres Staatsbegründers verehrte.

Rosamunde versuchte

es,

für ihren Liebhaber den Thron zu be­

haupten; aber die Longobarden ertrugen die verbrecherische Herrschaft

nach wenigen Tagen mußte das

nicht,

und

einem

griechischen

Schiffe

nach

Ravenna

blutbefleckte Paar auf

entweichen.

Albswinthcn,

Alboin's Tochter, und den longobardischen Schatz nahmen sie mit sich.

Als nun der Erarch Longinus die Schätze sahe, und wie Rosamunde

schönen Angesichts war, machte er ihr den Antrag, ihn zum Gemahl zu nehmen, und den Helmichis, der sich jetzt also nenne, aus dem

Wege zu schaffen.

Jene, zu Schandthaten alsbald bereitwillig, freute

231

Longobarden.

sich, daß sie über die Ravennaten herrschen sollte, und reichte ihrem

Gemahl, als derselbe aus dem Bade kam, statt eines Labetrunkes einen Giftbecher.

Helmichis aber hatte denselben noch nicht geleert,

alS er fühlte, daß er seinen Tod getrunken habe; da setzte er ihr daS

Sckwcrt auf die Brust, zwang sie, den Ueberrest zu verschlingen, und erblaßte in wenig Minuten, mit dem Troste, daß die Sünderin den

Lohn ihrer Bosheit nicht genießen werde.

Alboin's und Rosamunden's

Tochter wurde sammt den Schätzen nach Konstantinopel geschickt, Al­

boin's Mörder, der starke Peredeus, der sie begleitete, als Ueberwinder eines Löwen vom Hofe und Volke bewundert und, damit er diese

Stärke nicht zum Schaden der Kaiser anwende, beider Augen beraubt. Nach Alboin's Tode zogen die sächsischen Krieger in ihr Land zurück,

die Longobarden aber besetzten den erledigten Thron mit Einem aus ihrer Mitte, Namens Kleph, den nach achtzehn Monaten einer seiner HauSbedienten erschlug.

In der Minderjährigkeit seines Sohns Autha-

rich führten sechsunddreißig Herzoge zehn Jahre hindurch die Regie­ rung; drei derselben^ der zurFpiauh zu Spoleto und zu Benevent, behaupteten nachmals fast unabhängige Macht.

Immer größer ward

Jtalien's Elend; der Erarch zu Ravenna suchte sich gegen die wach­ sende Macht der Longobarden durch Hülfe der Franken, die von An­

Longobarden

fang der

Feinde waren,

zu retten.

Diese kamen

zu

dreienmalen mit Heeresmacht über die Alpen; aber Autharich, den die Großen

in dieser Gefahr

aus

der

langen Vormundschaft entließen,

schlug die Franken in einer großen Schlacht und behauptete Italien'-

Herrschaft.

Am äußersten Ende

von Calabrien

stand

am Seeufer

von Rhegium eine Säule, diese berührte er mit seinem Speer und rief dieses alle Markzeichen als Gränze seines Königreichs aus.

Indeß war die fränkische Einmischung Ursache, daß die Herrschaft der Longobarden, trotz ihrer Ausdehnung, doch nicht alle Theile von

Italien umfaßte: neben ihr erhielt sich das Erarchat von Ravenna

beinahe zweihundert Jahre; die großen Landstriche der heutigen Ro­

magna, die Sümpfe und Thäler von Ferrara und Eomacchio, fünf Seestädte von Rimini bis Ancona, und fünf andere Städte zwischen

der adriatischen Küste und dem Appennin gehorchten den griechischen Statthaltern,

die Justinian'S Nachfolger mit unumschränkter Gewalt

nach Italien sandten.

Drei untergeordnete Provinzen, Rom, Venedig

und Neapel, hatten Herzoge, die von dem Erarchen gesetzt wurden;

auch die Inseln, Sardinien, Eorsica, und Sicilien, hingen dem Reiche

232

Longobarden.

noch an, und Kalabrien selbst ward ohngeachtet Autharich'S kuihner Gränzbezeichnung von Neuem den Griechen gehorsam. Alles Uelbrige, daS Venezianische, Tyrol, Mailand, Piemont, die Küste von Genua,

Mantua, Parma und Modena, Toscana und ein Theil deS Kirchen­ staats, war lombardisch. Gegen Morgen, Mitternacht und Abend gränzte daS Reich mit den Avaren, den Bojoariern und den cmstrasischen und burgundischen Franken; gegen Süden lag durch das Ge­

biet von Rom, von dem Hauptstaat getrennt, daö longobardische Fürstenthum Benevent, welches meist das heutige Königreich Neapel

umfaßte. Also war der größte Theil Jtalien's zum zweitenmal einem deutschen

Volke unterworfen.

Wiewohl die Gunst des Schicksals für immer

verscherzt war, und das zerrissene Italien nie mehr wurde, was cS unter den mächtigern Gothen gewesen war, so verschwanden doch nach

einigen GeschlechkSfolgen auch unter den Longobarden die Spuren der

Verheerung. Das Volk liebte die Viehzucht, baute aber auch mit Fleiß den Acker. Selbst der König nährte sich vom Ertrage der Güter, zog auf den Meiereien umher und lebte in der Einfalt eines Haus­ vaters mit der Würde eines Heerführers. DaS Land war in Gaue vertheilt, welche Arimannien genannt wurden; denn alle freien Männer hießen Arrimannen oder (nach verschiedener Aussprache und Schreib­

art) Herimannen, Haremannen, Germanen. Da dieser Name blos den Longobarden zukam, hieß das freie Eigenthum eines Mannes ebenfalls eine Arimannie im Gegensatz gegen römisches Besitzthum, und in der Folge, als eine stehende Heerbannssteuer aufkam, wurde

auch diese mit dem Namen Arrimannie belegt. Ueber die Arrimannien waren Zehnter (Decani), über diese Sculvais oder Sculdascii; die höhere Obrigkeit wird in den Gesetzen im Allgemeinen Richter, bald Dur, bald ComeS genannt.

Zwei Herzoge, die von Benevent und Spoleto, die nur in loser Verbindung mit dem Königreiche standen, gehörten nicht wie die übrigen in die Verfassung. Ueber Alle war der König. Dieser ward von der Nation oder von den Großen ge­

wählt.

Mehrmals gelangten kühne und listige Männer durch Zusagen

Mahlzeiten, Geschenke, andere, weil Helvenmuth und gerechtes Gericht sie auszeichnete, zur höchsten Gewalt.

Die Gesetze trug, nach dem Rathe der Großen, der König der Gemeine aller freien Longobarden vor.. Etwa achtzig Jahre nach Jta-

lien'ö Eroberung ließ König Roiharis (643) das Gewohnheitsrecht seines

233

Longobarden.

Volks in lateinischer Sprache niederschreiben, und zu einem Gesetzbuch«

sammeln.

Wie in den andern liegen die alten Einrichtungen, Währ­

geld, Lösung der Verbrechen durch Geld, Schätzung der Glieder, ge­

richtlicher Zweikampf k. zum Grunde.

Der Glaube der Longobarden war, wie der aller ftühzeitig bekehrten germanischen Völker, seine

der

arianische;

Gemahlin Theodelinde,

katholisch zu glauben

Könige,

beredet;

des nach

König

Autharich

BaiernkönigS

ward

Garibald

ihm von Andern auch

durch

Tochter, andere

bis gegen Ende des siebenten Jahrhunderts allgemach alle

Longobarden zur allgemeinen Kirche sich wandten.

Doch ward durch

diesen Uebertritt der Haß der Römer gegen die Eroberer Jtalien's wenig gemindert.

Das tief gesunkene Rom verabscheute die Longobarden alö die Ur­ heber seines Elends, dessen es weit gerechter den Kaiser, den Crarchen

oder die eigene Bethörung angeklagt hätte.

IX

Karl der Große. (Luden.)

Das Haus der Karolinger, in Pipin zu dem Throne des Reichs der Franken gelangt, befand sich in einer ganz andern Stellung zu diesem Reich, als in welcher die Merovinger gewesen waren. Diese Stellung mußte nothwendig auf alte Verhältnisse des Reiches zurück­ wirken.

Die Merovinger mochten allerdings die königliche Würde ursprüng­ lich auch ihrer Kraft, ihrer Kühnheit und Tüchtigkeit verdankt haben;

aber sie waren zu dieser Würde in einer Zeit gelangt, die dem Ge­ dächtnisse der Menschen entschwunden, und die schon vor dem Lichte des Christenthums in unerforschliches Dunkel zurückgetreten war. Mit

der Macht der Franken war das merovingische Haus emporgewachsen, und mit dieser Macht stand es da, ein Erzeugniß unbekannter Um# stände, eine Erscheinung unbezweckter Erfolge, in demselben Boden wurzelnd,

aus

Nahrung sog.

welchem der Stamm der Franken selbst Kraft und Die Große der Karolinger hingegen war ein mensch­

liches Werk, auf That und Tugend gegründet, verständig ausgebildet und geschützt von Gottes Gnade in der Segnung des Priesters!

Vor dieser Größe konnte Nichts

bestehen,

eS konnte wenigstens

Nichts gelten, als Tugend und That, in Treue geübt; und Alles, was die Zeit geboren hatte, und was etwa in alter, aber untüchtiger Herrlichkeit dastand, schwand nothwendig dahin vor dem neuen Grund# satze, welcher, auf den Thron gehoben, das Leben bewegen und be­

stimmen mußte. Wie die Karolinger über das Höchste willkührlich verfügt hatten,

so schien nichts Anderes, das sie mit gleicher Kraft und Umsicht wie

235

Karl der Große.

Jenes zu ergreifen wußten, sich ihrer Willkühr entziehen zu können. Da null überdies der HauSmaier verschwunden, und daS Amt desselben in ihrer Hand

war;

da sie mithin über das Mittel, welches die

Menschen am sichersten zu verbinden pflegt, nach Gefallen verfügen

konnten: so schienen sie in der Mitte ihrer Leute, Getreuen oder Vasalleu, eine Herrschaft üben zu können, gegen welche auch daS An­ sehen der früheren Merovinger Nichts bedeutet hatte.

Aber Zweierlei

war nothwendig, wenn diese Herrschaft bestehen und gedeihen sollte. Zuerst mußten im Hause der Karolinger Geist, Tugend und That sich vererben, und zweitens mußte daS fiskalische Gut (die Lehen) mit Verstand und Klugheit verwaltet werdend

.Mangelte, früher oder

später, daö Erste, so konnte die Segnung deS Priesters nicht retten,

weil der Boden fehlte, auf welchem die Größe des Hauses gegründet war. Mangelte daö Andere; so mußte die Leidenschaft erwachen, und die Treue fand keinen Halt.

Mangelte aber Beides zugleich: so

mußte der Sturz des karolingischen Hauses nm so schneller erfolgen, weil in dem Grundsätze, von welchem die Größe desselben abhing, in

diesem Falle seine Vernichtung lag, und Jeder durch denselben an sich

selbst, verwiesen war. Die Gnade Gottes aber, welche auS der priester­ lichen Segnung hervorging, konnte alsdann hiri)t schützen: der Eine

mochte glauben, sie gewinnen, der Andere, sie entbehren zu können. Endlich mußte in dieser Voraussetzung der Umstand von Bedeutung

werden, daß die Karolinger durch die Künste, durch welche sie den Thron gewonnen, und durch welche sie denselben sichern mußten, die Regungen der Volksthümlichkeit, die längst erwacht waren,, verachtet und ihr Vasallenthum über sie hinweggerissen, aber diese Regungen keineswegs vernichtet hatten.

Die Theilung des Reiches zwischen Karl und Karlmann, Pipin's Söhnen, ist in keiner Hinsicht auffallend. der Merovinger;

aber cö

Wohl warnte die Geschichte

warnte auch die eigene

Erfahrung, die

Pipin mit einem seiner Brüder gemacht hatte; und da die Salbung durch den Papst an beiden Söhnen, auS guten Gründen, vollzogen War., so konnte, ohne Gefahr für die Ruhe des Reiches und für die

Sicherheit des neuen Geschlechtes, Keiner von demselben zurückgcsetzt werden. Dennoch waren die Brüder sogleich uneinig. Diese Uneinig­ keit möchte nach dem Kampf, in welchem Karl allein den Herzog Hnnvld von Aquitanien besiegte, WaifarS Vater, der noch einmal

auS dem Kloster zum Schwerte zurückgekehrt war, um den Zwist dek

236

Karl der Große.

königlichen Brüder zu benutzen und seines Volkes und seines Hauses Unglück zu rächen; diese

Uneinigkeit

möchte zu einem verderblichen

Kriege geführt haben, wäre nicht die Mutter beider Fürsten vermittelnd zwischen sie getreten.

Aber die Mittel, die sie anwandte, führten zu

anderen Verwirrungen und schlichteten den Bruderzwist nur auf kurze

Zeit.

Der Tod Karlmann's jedoch, der schon nach drei Jahren dem

Vater folgte

(771),

gab Karl'n die Gelegenheit, einiger König im

ganzen Reiche der Franken zu werden, und als solcher vor Welt und Nachwelt zu zeigen, was in ihm war.

mächtiger Geist,

wie

selten

ES war aber in ihm ein so

unter dm Menschen erschienen ist,

ein

tiefer Sinn für jedes rühmliche Werk im Kriege, wie im Frieden, und eine Thätigkeit, die überall selbst ergriff und nicht zu ermüden war. Durch dieses Alles und durch ein seltenes Glück, das entweder seine Unternehmungen im Beginn verherrlichte, oder das durch seine Beharr­

lichkeit gewonnen wurde, hat Karl eine solche Masse von Licht und

Ruhm um sich verbreitet, daß er durch das ganze Mittelalter hindurch glänzet,

wie

ein glühender

einsamer Stern durch daS Dunkel der

Nacht, und daß er wie ein riesenhafter Träger von Allem dasteht, waS man Großes, Gewaltiges, Außerordentliches und Seltsames zu

denken und auszusinnen gewußt hat.

Und in der That:

wer gerecht

zu sein vermag und billig, wer eS ertragen kann, daß ein außerordent­

licher Mann ein Mensch bleibt, der sich irrt und verzählt und ver­ rechnet und in Leidenschaften geräth, desto furchtbarer, je ungeheuerer

seine Kraft ist; wer bei einem Könige zu sondern vermag, was ihm zu Last fällt und waS seinen Dienern; wer endlich zu unterscheiden

weiß, was aus der Seele deS Mannes hervorgegangen ist, und wozu seine Zett ihn fortgestoßen, und wozu die Schmeichelei ihn verlockt und

fremde Leidenschaft ihn betrügerisch verreizt hat: der wahrhaftig wird sich nicht geneigt fühlen, an dem Gewölbe deS Ruhmes zu rütteln,

das sich nun seit tausend Jahren wohlgegründet über Karl's Leben hinbreitet!

Bei williger Anerkennung mancher Fehler und Verirrungen

wird er ihm den Beinamen deS Großen mit einer Freudigkeit geben, wie wenig Anderen in der Geschichte.

Wenn wir überhaupt über Karl's häusliche Verhältnisse, die so manches Erfreuliche und so viel Widerwärtiges darbieten, hinwegsehen

und

unS

hier

zuerst

auf seine kriegerischen Thaten beschränken :

so

scheint der Vorwurf, den man Karl'n dem Großen zu machen Pflegt,

daß er ein muthwilliger Eroberer gewesen, nur in großer Einschrän-

237

Karl der Große.

fund gerechtfertigt werden zu können.

Die Grundsätze der Politih

die gegenwärtig, nachdem seit Jahrhunderten eigenthümliche Völker un­ abhängig neben einander bestanden, sich jedem denkenden Menschen

aufvrängen, sind allerdings in allen Zeiten an die Handlungen der Fürsten und Staaten zu legen, aber nicht an die Absichten der Men­

schen, welche die Handlungen vollbrachten oder zu ihnen trieben. Eroberung ist bedenklich; selten ist eine zu loben.

Jede

Muthwillig aber

ist eine Eroberung nur dann, wenn die Uelbermacht mißbraucht wird zur Unterdrückung der Eigenthümlichkeit, in welcher ein Volk lebt und besteht.

Zur Zeit Karl s des Großen aber gab eS keine unabhängigen

Völker; er konnte kaum einen Begriff haben von der Bedeutung der

Volksthümlichkeit.

Ueberdies war sein Reich auf Eroberung gegründet;

er fand es stehen auf diesem Boden. hältnisse verflochten,

die

Es war in mannigfache Ver­

er nicht eingeleitet hatte, und die er nicht

ändern konnte, in welchen er fortzugehen genöthigt war.

Sein HauS

war kaum zum Throne gelangt und bedurfte glänzender Thaten als

Stütze und Befestigung.

Die Religion, die feine Seele durchdrang,

hatte an beiden Seiten feines Reiches gefährliche und grimmige Feinde. Endlich konnte das Gottesurtheil eines glücklichen Ausganges

wohl

unstreitig von einer Unternehmung in gutem Glauben zu einer andern

treiben, so wie gewöhnlich ein Erfolg einen andern nöthig zu machen pflegt. —

Was aber auch für oder gegen Karl'» gesagt werden mag: unter seinen Kriegen, die sich nur in der letzten Zeit seiner mehr als vierzig­

jährigen Regierung, verminderten, sind unstreitig die Kämpfe gegen die Sachsen und der Zug gegen das lombardische Reich die wichtigsten

Ereignisse.

Jene bilden gewissermaßen die stehende Ordnung seine-

Feldherrnlebens, die nur durch die übrigen unterbrochen und mannig­

faltig gemacht wurde; dieser war an sich unbedeutend, aber er hatte Folgen, die Keiner übersehen konnte, und die fortgewirkt haben von

Geschlecht zu Geschlecht. Was die Kriege mit den Sachsen betrifft, so waren dieselben in

ihrem Ursprünge nur eine Fortsetzung alter Händel.

Man kann den

Anfang der sächsischen Streitigkeiten in Zeiten setzen, die lange vor der fränkischen Herrschaft fallen, als noch

überall bestand.

die alte deutsche Freiheit

Auch hatte sich der Sachsenbund wahrscheinlich auf

Kosten des Frankenbundes erweitert.

Seit aber Thüringen, nicht ohne

thörichte Theilnahme der Sachsen, von den Franken erobert war, mit-

238 hin seit

Karl der Große.

drittehalbhnndert Jahren

hatten beständig Kriege

zwiischen

Franken und Sachsen Statt gefunden-, und die Feindschaft war un­ unterbrochen gewachsen. Die Sachsen hatten diese Kriege gewöhnlich aiigefangen, sei cs, daß ste die Gefährlichkeit ihrer Lage erkanntem, sei

es, daß sie sich in ihrer Feindschaft durch die Geleite fortreißen ließen, die nach alter Art noch bei ihnen bestanden; fast immer wurden die Franken von ihnen bei ihren Unternehmungen geneckt oder gehindert.

Und wenn sie sich dann zu einem Zuge gegen die Sachsen entschlossen, und diese durch Verheerungen ihres Landes oder durch Auflegung eines

Tributes züchtigten, so nährten sie nur dadurch die Feindschaft und reizten zu neuer Rache.

In solcher Lage hatte Karl der Große die Verhältnisse gesunden, nur in solchen Verhältnissen unternahm er seine erste Heerfahrt gegen

die Sachsen. Offenbar geschah diese Heerfahrt in alter Weise und be­ zweckte, waS Karl'ö Vater, Großvater und Urgroßvater gegen die Sachsen bezweckt hatten: Abwehr, Züchtigung, Schrecken. Erst nach und nach, als die Sachsen sich immer wieder erhoben und das frän­ kische Reich anficlcn und Karl'n lästig wurden bei andern Unterneh­ mungen, entstand in ihm, scheint cs, der Gedanke an Unterwerfung, und setzte sich um so fester, je mehr ihn ihr Widerstand bei seinem andern Glück in Leidenschaft bringen mochte, und je weniger er nun­

mehr mit Ehre und Sicherheit zurücktreten konnte.

Und in der That wird kein Verständiger leugnen, daß die Unterwerfung der Sachsen sowohl auS politischen, als auS religiösen und aus vblksthümlichen Gründen nothwendig gewesen sei, wenn gleich Karl der Große viel­

leicht nur die religiösen, kaum die politischen und gewiß nicht die volksthümlichen Gründe eingesehen hat. Nachdem nämlich alles Land am linken Ufer des Rheines und daS

südliche Deutschland nebst ganz Thüringen zum Reiche der Franken gehörte, forderte eS die Natur der Dinge, daß die Sachsen in dem Winkel, den dieses Gebiet und das Meer einschloß, ihre Unabhängig­

keit nicht dauernd behalten konnten. Sie mußten das Frankcnreich zerstören oder demselben unterliegen. Die Franken konnten nicht um­

hin, zu dem Lande daS Meer, zu den Bergen die Flüsse und zu den

Quellen die Mündungen zu erstreben.

Sie konnten die Sachsen um

so weniger neben sich bestehen lassen, da diese, alte nationale Einrich­

tungen pflegend, die. mit den Einrichtungen des fränkischen Reiches im vollkommensten Widerspruche standen, den zugewandtcn deutschen Volks-

Karl der Große.

239

Stämmen, Thüringen, Baiern, Allemannen, immer Reize zur Empö­ rung

gaben

und Hülfe

im Aufstande.

Dasselbe fand in religiöser

Hinsicht Statt.

Das Christenthum wurde im südlichen und mittlern Deutschland«

versündigt,

aber

es

fand

noch

nicht überall Glauben.

Bisthümer

waren gegründet; aber die Einrichtung des Zehnten an die Geistlichen

scl)ien Vielen eine lästige Zugabe.

Wodans-Eichen waren noch

Kirchen wurden erbauet, aber die

nicht lange

gefallen

und

an

heiligen

Hainen hingen verführerische Erinnerungen aus dem Leben der Väter.

Kloster, welche dem Christenthum im Morgenlande zum Verderben ge­ reicht, welche in den Ländern, die zum römischen Reich gehört hatten, vielleicht ein überflüssiger Anhang waren, wurden in dem rauhen, un­ geselligen, städteleeren Deutschland ein wahrer Segen und fingen an,

Kenntnisse jeglicher Art zu verbreiten und die Menschen zu verbinden und zu vereinen, während sie Apostel zu weiterer Verbreitung der Re­

ligion erzogen,

bildeten und begeisterten:

aber alte Gewohnheit und

angestammte Rohheit setzte sich dem Einfluss« derselben entgegen. Konnte man nnn, auch abgesehen von dem gerechten, frommen und

heiligen Eifer begeisterter Männer für die Wahrheiten und Segnungen

deö Christenthumes, dulden, daß ein dcutschredendcs Volk, welches durch seine Waffeir ohnehin vielen Einfluß hatte, im alten Heidenthume fortlebte und von den Höhen deS Harzes herab, wie an die

alte Freiheit, so an die alten Götter mahnte?

Endlich drängt sich auch die Frage hervor: was würde aus dem deutschen Volke geworden sein, wenn die Glieder des großen LeibeS länger aus einander gehalten und hier, schwach durch die Trennung, der Gewalt fremder, überlegener Bildung und verführerischer Reizungen

ausgesetzt, dort aber, zwar in großer Unschuld und Einfachheit, aber auch

in

wären?

großer

Beschränktheit,

Armseligkeit

und Rohheit geblieben

Wohl möchte sich späterhin auch das Volksthümliche geregt

und das Verwandte znsammengefunden haben: wenn aber die Glieder

verkrüppelt sind, wie kann der Leib gesund fein ? Bei diesen Verhältnissen kann man sich allerdings wohl über den

Widerstand freuen, welchen die Sachsen zweiunddreißig Jahre lang

leisteten, ehe sie sich von der Uebermacht den geforderten Gehorsam abzwingen ließen.

Sie zeigten, daß sie von dem Sinne der Väter

nicht entartet waren, drückten den alten Geschichten der Deutschen das Siegel der Bestätigung ans, ehrten ihr Volk und hinterließen demselben

240

Karl der Große.

eine große Erinnerung!

Eben so ist eS menschlich und gut, die un­

geheure Verwüstung zu bejammern, welche der lange Kampf zur Folge

So wie man aber von der einen Seite, bei Erwägung beiderseitiger Verhält­

hatte, und die Grausamkeiten, welche denselben begleiteten.

nisse, den AuSgang des Krieges als durchaus nothwendig erkennt, so

kann man auch einen andern AuSgang, als die Vereinigung der

Sachsen mit dem Reiche der Franken, gar nicht wünschen. Und die Frage, die einige Schwierigkeit haben zu können scheint: wie es mög­ lich gewesen, daß ein so armes Volk, wie die Sachsen, dem gewal­ tigen König eines mächtigen Reiches so lange widerstanden habe, ohne von ihm, wenn nicht besiegt, doch zertreten zu werden? ist nicht schwer

zu beantworten.

Karl der Große konnte nie die ganze Macht des

fränkischen Reiches gegen die Sachsen aufbieten; auch konnte er sich

nie ausschließlich mit ihnen beschäftigen.

Er führte gegen sie einen

regelmäßigen Krieg mit seinen Dienstpflichtigen und verfolgte in diesem

Kriege Zwecke, die nicht eben einem Jeden in seinem Heer am Herzen lagen. Die Sachsen hingegen, mit den Friesen verbunden, waren in ihrem Heiligsten angegriffen, in ihrem Glauben, in der väterlichen Sitte, -in ihrer Freiheit; sie führten den Krieg volkömäßig, und ein

Jeder nahm Theil, wenn die Gefahr sich ihm nahte. Wittekind war keineswegs Führer eines Geleites, wiewohl durch Geleite das Feuer des Kampfes unterhalten und die Reihe der Auf­ stände verknüpft sein mag, sondern er war lange daö Haupt deS

Volkes, weil er die Seelen zu vereinigen verstand.

Dabei kam end­

lich den Sachsen shr durch Wald, Morast und Wüstenei unwegsames

Land zu Hülfe, durch welches ein geordnetes Heer nur mit äußerster

Anstrengung einherzog.

Von dieser Verschiedenheit in Art und Lage

war denn die Folge, daß Karl immer siegte, wo er die Sachsen fand, daß sie sich aber stets wieder erhoben, wo er nicht war, da sie hin­

gegen ihm in kleinen Kämpfen immer entwanden, was er ihnen durch große Schläge entrissen hatte, und nicht selten zerstörende Einfälle mit ihren Geleiten in sein Reich unternahmen.

Wittekind, wie Andere,

die ihm glichen, suchte zugleich gegen die christliche Franken, überall, int Osten und Norden, die heidnischen Völker aufzuregen. Er ver­

schwand vor der drohenden Macht und erschien wieder, wenn diese entfernt war, bis er endlich das Schicksal seines Volkes erkannt hatte. Wenn nun die Betrachtung aller dieser Kämpfe, Siege und Erobe­ rungen die Seele mit Erstaunen über den Geist deS Mannes erfüllt,

241

Karl der Große.

der mit solchen Mitteln, als ihm zu Gebote standen, so Großes ge­

wagt und erreicht hat, so muß das Erstaunen in Bewunderung über­ gehen, wenn man auf Das sieht, waS durch Karl den Großen im Innern des Reiches für Ordnung, Gesetz und jede menschliche Bildung

geschehen ist.

Um aber diesen Theil der Wirksamkeit Karl's des Großen

gehörig zu würdigen, um das Große, daS aus ihm selbst hervorging, nicht

gering

zu

achten, und

um

das Zufällige oder Abgenöthigte

nicht zu überschätzen, darf man zwei Dinge nicht vergessen und ein drittes muß man verzeihen.

Vergessen darf man zuvörderst nicht, wie

das Reich der Franken entstanden und auf welche Grundlage es gebauet war.

Es war kein Erzeugniß eines Lebens, das sich eigen­

thümlich und selbständig entwickelte, sondern eS war das Werk der

Eroberung und Unterjochung; es war kein gemeines Wesen der Frei­ heit, sondern ein gemeines Wesen des Dienstes und der Herrschaft. Aus dem Kreise des Vasallenthumes

konnte Niemand

hinaus;

die

edelste Wirksamkeit konnte nur darauf gerichtet sein, mit diesem gewalt­

samen Verhältnisse die ewigen Ansprüche des menschlichen Geistes nach Möglichkeit ist Einklang zu bringen.

Nur eine Revolution, die Nie­

mand und am wenigsten der König wünschen konnte, vermochte hier zu ändem, oder ein allmähliges Ausleben, welches allein durch die Zeit möglich ward.

Eben so wenig darf man zweitens vergessen, daß

durch den Sturz des merovingischen Hauses ein ganz neues Verhältniß zwischen dem König und seinen Vasallen eingetreten, und daß jener viel mächtiger geworden war; aber nur in sofern, als er durch Ueber-

legenheit des Geistes uud der That dieses neue Verhältniß geltend zu

machen verstand.

Endlich scheint eS in der Natur der Dinge zu liegen,

daß ein Fürst, der als Feldherr groß ist und sein ganzes Leben hin­

durch Kriege fithrt oder führen muß, und in diesen Kriegen fast immer

seinen Zweck erreicht, Alles, was er schafft und ordnet mit dem Geist und Blick des Feldherrn schafft und

ordnet, daß er es bezieht auf

Abwehr und Angriff und

auf eine

überhaupt

kriegerische Stellung.

Dieses muß man um so mehr verzeihen, je größer daS Reich ist, das

durch Eroberung zusammengebracht und mit dem Schwerte zusammen­ gehalten wird.

Hat man diese Verhältnisse lebendig vor Augen, so

wird man gewiß Bedenken tragen, irgend einen Tadel gegen Karl's des Großen Wallung im Innern seines Reiches auszusprechen.

Es ist allerdings wahr: Karl der Große zerstörte die alle deutsche Freiheit gänzlich; aber das, was sich noch von dieser Freiheit vorfand, Histor. r-srbuch. II.

16

242

Karl der Große.

war des Erhaltens nicht Werth, und konnte am wenigsten seine Er­ haltung von Karl'n, einem Sohne des Lehenwesens, fordern; auch

konnte eine neue Freiheit nur im Drucke des Lehenwesens, durch die

Erhebung deS Geistes gegen die Gewalt der Umstände, entstehen und gedeihen.

Es ist ferner wahr, Karl der Große hat nicht selten ge-

bauet, ohne den Boden zu untersuchen, auf welchem er sein Werk

errichtete; er hat das Gebäude nicht selten über die Grundlage binauö erweitert; er hat der Zeit vorgegriffen und durch künstliche Treibung

zur Reife bringen wollen, was nur im Ablaufe der Jahre, in Rei­ bungen,

Stürmen und Ruhe

seine Kraft und Fülle erhält.

Wenn

sich aber ritt Volk allmählig bildet, so ist einem KriegSfiirsten nicht zu verargen, daß er die Vollendung selbst zu sehen wünscht, und wenn

die Weisheit

am meisten gepriesen zu werden verdient, die sich den

Umständen am vorsichtigsten

anschließt,

so soll doch das Verfahren

eines Königs nicht verworfen werden, das sich auf den schönen Glau­ ben stützt, einst werde der Helnr dem Knaben nicht zu schwer sein; auch ist wahrhaftig einem Könige der Franken wohl zu verzeihen, daß

er die Herrlichkeit im Süden seines Reichs dem Norden aufzupfropfen versucht hat.

Es ist eben so wahr: Karl der Große hat durch seine

Unternehmungen ffeine eigenen Anordnungen selbst zerstört oder doch durch sie den Samen der Zerstörung gelegü

eines Königs mag

Aber nur die Anordnung

für seinen Willen zeugen;

selten aus dem Zwange der Verhältnisse hervor.

die That geht nicht

Es ist auch wahr,

Karl der Große ist oft wenig schonend zu Werke gegangen; er hat

gebieterisch, strenge und hart erzwungen, was nur aus freier Ueber­ einstimmung der Menschen hervorgehen kann, wenn es gedeihen soll.

Aber ein gewaltiger Geist wird oft durch das stete Knieebeugen der

Schwachen leicht verwöhnt; ein Feldherr kennt nur Befehlen und Ge­ horchen; in einem Reiche, das so ganz verschiedene Stoffe vereinigte,

und in einer Zeit arger Barbarei möchte Härte auch vielleicht eher zu entschuldigen sein.

Eben dadurch, daß Karl Alles an seine That und

Tugend knüpfte, wurde die Veränderung,

die durch den Sturz der

Merovinger erfolgt war, vollendet, und je weiter er dieses trieb, desto leichter wurde die volksthümliche Entwickelung in späterer Zeit.

Da­

bei kann man übrigens nicht leugnen, den Schein des Rechtes hat Karl meistens zn erhalten gewußt.

Endlich ist wahr: von den Ein­

richtungen und Gründungen Karl's des Großen haben ihn nur we­

nige überlebt; die meisten sind nach seinem Tode zu Grunde gegangen.

243

Karl der Große.

Wenn aber Das, was er pflanzte, deS Unterganges werth war: wie kann man es beklagen?

Und war es der Erhaltung werth: so fällt

ja die Schuld nicht auf ihn, sondern auf Diejenigen, die nach ihm für die Erhaltung hätten sorgen sollen!

Zur Bestätigung dieser allgemeinen Ansichten weisen wir nur auf Einzelnes hin, das einer Vergleichung mit dem frühern Zustande zur

Erkennung der Entwickelung des Lebend am meisten werth sein möchte. Die Verfassung des Reichs blieb, dem Anscheine nach, wie sie unter

den Merovingern gewesen war; aber der Geist war wesentlich ver­ ändert oder vielmehr daö Wesen dieser Verfassung weiter ausgebildet,

zeigte das Verderben, das in ihr lag.

Die große Ausdehnung des

Reiches über so viele Länder und Völker förderte diese Ausbildung. Die entschiedene Erblichkeit der königlichen Würde hatte keinen großen Einfluß auf die Verhältnisse der Menschen im Reiche; aber von größer

Bedeutung war die Stellung des Königs zu dem Reiche.

Karl der

Große versäumte nicht, die öffentlichen Tage zu halten; theils vielleicht

um den Schein zu beobachten, als handele er nur mit Beirath und Zustimmung seiner Völker, theils, und gewiß, weil er in diesen Tagen das beste Mittel hatte, sich von dem Zustande seines Reiches zu unter­ richten und seine Anordnungen und Befehle in den einzelnen Theilen

desselben zur Ausführung zu bringen. feldern vielleicht

Wenn aber auch zu den Mai­

Vasallen kommen

alle

oder

durften

selbst kommen

mußten, und wenn auch die freien deutschen Männer, die noch in

keinem Lehnsverbande standen, nicht ausgeschlossen waren, so waren fie doch nur dann willkommen, wenn sie ins Feld rücken sollten; so hatten sie doch nur die Beschlüsse (Cäpitularien) zu vernehmen, welche Karl in

beamteten

abgesonderter und

den

von ihm

hohen

beliebter Sitzung

Geistlichen

berathen

mit den Reichs­

hatte.

Mit

diesen

pflegte er auch im Herbste, nach willkührlicher Auswahl, die Lage und Verhältnisse des Reichs in Berathung zu nehmen.

diese Männer alle, waren von ihm abhängig.

-Sie aber,

Die Reichsbeamteten,

ohnehin als Vasallen von einem solchen Könige für ihre Lehen besorgt,

wurden willkührlich von ihm angestellt; und seit ihm gelungen, die

erblichen Herzoge zu vernichten, ließ er daö Reich durch Grafen ver­

walten, die nur zum Behufe des Kriegs unter einen Herzog gestellt wurden.

Und wenn auch die Geistlichen in Kirchen- und.Glaubens-

Sachen die Entscheidung aussprachen, und wenn

auch die Wahlen

derselben von den Gemeinen und Sprengeln ungehindert unternommen 16*

244

Karl der Große.

werden -sollten: so waren doch auch sie in vielfacher Rücksicht in der Hand des Königs.

Ihr Anspruch war noch nicht anerkannt;

die

Wahlen der Gemeinen unterlagen der Bestätigung des Königs; durch ihre Güter standen sie im Lehnöverbande mit dem Thron; auch muß­ ten sie noch immer am meisten durch Nachgiebigkeit zu gewinnen hoffen.

Auf den Reichstagen entschied daher deS Königs Wille, und zugleich wurde durch sie eine Absonderung Derer, die auf ihnen stimmten, und Derer, die nicht gefragt wurden, erwirkt, so wie, theils wegen der Bequemlichkeit der Berathung, theils wegen der kirchlichen Sachen, die

Geistlichen wohl getrennt von den Weltlichen zu berathschlagen pflegten.

Durch Beides wurde der Grund zum ständischen Wesen gelegt, das

sich in der Folge so merkwürdig, so heilsam und so verderblich aus­ Bon einem eigentlichen Adel jedoch kann in dieser Zeit

gebildet hat.

noch eben so wenig die Rede sein, als in der früheren. Das

Gerichtswesen

derm letzter

Ring

ward

eine

in

der König

war.

gegliederte Ordnung Die

gebracht,

alten Rechte der Völker

blieben noch in Kraft und wurden nur durch Zusätze aus den Capitularien vermehrt oder

Rechtspflege

fand

Königs Bann.

mit

nach besonderen Bedürstnssen abgeändert.

alter Oeffentlichkeit Statt,

jedoch

Auch hat der König in Leidenschaft

Die

unter deS

sich wohl Ein­

griffe in daS Recht erlaubt und selbst gefährliche Strafen verhängt.

In Rücksicht der Einkünfte des Königs wurden Einrichtungen ge­ troffen, welche die Keime großer Folgen zu enthalten schienen. Die Hauptquelle waren allerdings

die Domaincn;

aber früher freiwillig

dargebrachte Geschenke wurden als eine pflichtmäßige Abgabe von den

Vasallen gefordert.

Sogar diejenigen Franken, welche keine fiskalischen

Güter hatten, scheinen ein Kopfgeld entrichtet zu haben; und für den

Krieg und im Kriege wurden Leistungen angesonnen und Lieferungen gefordert, die besonders in unterworfenen Ländern äußerst willkührlich

gewesen sein mögen. Das Kriegswesen endlich ward auf eine Weise geordnet, die man

den Ursprung und die Natur des Reiches vor Augen, nicht anders als furchtbar nennen kann.

Nicht blos Vasallen und Astervasallen

waren dienstpflichtig, sondern Alle, die Etwas besaßen, gleichviel, ob als Lehen oder Afterlehen, oder als Eigeüthum, wurden ohne Unter­

schied dem Heerbann unterworfen.

Zur Landwehr

mußte auch der

Aermste stehen; zu fernen Heerfahrten und Angriffskriegen mußte man

freilich so viele Unvermögende vereinigen, bis einer von ihnen aus-

245

Karl der Große.

gerüstet werden konnte.

Heerfolge frei.

Nur die Geistlichen waren persönlich von der

Der Vasall stellte sich zum Grasen; der Astewasall

kam mit seinem Herm; der freie Eigenthümer folgte der Fahne deS

So weit hatte

Grafen, die Aftervasallen der Kirche führte der Vogt.

es jenes stehende Geleit gebracht, das sich durch die fiskalischen Güter zusammenhielt!

Von der Zeit an verschwindet der Name Leute; der Dienst ist in Ehren und die Freiheit hat keinen Werth.

Das Lehenwesen hat ob­

gesiegt und mußte Alles verschlingen, waS irgend von der fränkischen Herrschaft erreicht werden konnte.

Durch alle diese Einrichtungen schien allerdings der Grund zu einer despotischen Gewalt im Reiche der Franken gelegt; und doch hatte Karl der Große noch eine Anordnung getroffen, durch welche diese

Nicht genug,

Einrichtungen erst recht wirksam zu werden schienen.

daß die Bischöfe und Grasen in eine solche Stellung zu einander ge­

bracht waren, in welcher sie über einander die Aufsicht führen mußten, ließ

Karl

besondere Gesandte (Missi),

einen Geistlichen und

einen

Weltlichen, in bestimmten Kreisen Alles untersuchen, um sicher zu sein, daß die Gesetze gehandhabt würden,

und um

aus ihren Berichten

immer mit dem Zustande des Reichs bekannt zu bleiben.

Diese Ge­

sandte, die öffentliche Tage hielten, hatten eine große Gewalt sowohl in

Angelegenheiten des Heerbannes

als

Rechtspflege.

Sie

waren

wechselsweise die Furcht und die Zuflucht des Armen und Bedrängten, und schwerlich waren sie den Großen jemals willkommen.

streng

geordnet

auch Alles sein mochte,

das

Aber so

ganze stolze Gebäude

ruhete doch zuletzt nur auf der Persönlichkeit des Königs und konnte sich unmöglich halten,

sobald ihm diese Grundlage entzogen wurde.

Diejenigen, die auf den Reichstagen vor Karl's überlegenem Geiste verstummten, mußten die Sprache wieder erhalten, sobald sie sich der Schwäche gegenüber sahen.

Durch eine Menge Befreiungen, Bewilli­

gungen und Ausnahmen, theils aus der Achtung der Kirche hervor-

gegangen, theils sogar durch die strenge Allgemeinheit nothwendig ge­ worden, welche in den Einrichtungen erstrebt ward, hatte Karl selbst

gefährliche Risse in sein System gemacht, sowohl in Rücksicht der könig­

lichen Einkünfte,

als in Rücksicht der Dienstpflicht,

Mühe auszufüllen vermochte.

die er nur mit

Und alle Untersuchungen und alle Auf­

sicht konnten sie etwas helfen, sobald Derjenige fehlte, welcher das Ergebniß zu benutzen verstand-?

246

Karl der Große.

Selbst die königlichen Gesandten konnten leicht ihre Gewalt miß­

brauchen,

wenn die Furcht vor einem strengen Herrn verschwunden

war; und sie mochten sich am so eher mit Denen verständigen, über

welche sie wachen sollten, da man ihnen die Gemeinschaft mit ge­

meinem Volke verboten hatte.

Daher kann man wohl behaupten, daß

in Karl's des Großen Einrichtungen das Lehenwesen mit allen seinen unglückseligen Folgen, einen äußerst fruchtbaren Boden gewonnen habe; daß aber aus demselben eine despotische Herrschaft so wenig habe her­

vorgehen können, als die Vernichtung des volksthümlichen Strebens und die Erhaltung des

unnatürlichen Reiches

möglich

gewesen

sek.

Vereinigung, desto schneller mußte die Auflösung

Je gewaltsamer erfolgen.

Was endlich Karl's des Großen Bestrebungen für Ackerbau, Ge­

werbe, Verkehr, Kunst, Wissenschaft, Religion und jegliche menschliche Bildung

betrifft,

so

kann man dieselben unmöglich

betrachten

ohne

eine reine und fromme Empfindung und ohne eine große Verehrung

für den gewaltigen König. lichkeit.

Alles zeugt für Karl's Sinn und Empfäng­

Ueber der Freude am Glänzenden ist das Nützliche nicht ver­

gessen; über dem Erhabenen nicht das Gemeine. hochgebildeten Zeit anzugehören.

Einiges scheint einer

Wären seine Zwecke erreicht, wäre

der Samen aufgegangeu und gepflegt, den er ausstreuete: die Sitten der Menschen

hätten

gemildert

Leben verschwinden müssen. dem Gründer.

werden

und

die Rohheit

aus

dem

Aber der Verderber ging einher neben

Das Lehenwcsen war vermählt mit der Sklaverei und

schwanger lyit dem Faustrechte; und die gewaltige Vereinigung ver­ schiedenartiger Länder und Völker machte Erschütterungen nothwendig.

Durch dieses Alles konnte wohl der Geist gereizt und gestärkt werden: das jedoch konnte nicht gedeihen, was Karl der Große gegründet hatte.

Unter Allem aber, was Karl in dieser Hinsicht gewollt und unter­

nommen hat, spricht Nichts die menschliche Seele so an, als sein Ver­ hältniß zu Alruin; als die Art, wie er diesen ausgezeichneten Mann

gewann, achtete, ehrte und von ihm gerade Wahrheit vernahm!

X. Neueuropäische Staaten. 1

Spanien unter Jtatl dem Große«. (Lembke.)

Der «Strom der arabischen Eroberung, welcher die Halbinsel über­

schwemmte, scheint sich, wie an Asturien'S, so auch an den Gebirgen Catalonien's gebrochen zu haben; die hochliegenden Gegenden blieben verschont, und nur durch die breiteren Thäler fanden einzelne Streif­ züge Auswege über die fränkische Gränze.

Wenn aber gleich nicht

anzunehmen ist, daß die hier verweilenden gothischen Christen sich unter

einem gemeinsamen Oberhaupte vereinigt hätten, so liegt es doch in der Natur der Sache, daß einzelne Anführer durch Adel des Geschlechts,

Glanz der Tapferkeit oder Reichthum an Gütern über Andere hervor­ ragten.

Eine unabhängige, den Arabern gefährliche Macht vermochte

sich jedoch aus den Trümmern der Westgothen hier nickt zu bilden,

und eine festere Gestaltung erhielten jene Gegenden erst durch die wieder­

hergestellten unmittelbaren Beziehungen zu dem Reiche der Franken. Bereits Karl sicherte den Besitz von Aquitanien durch die Anstellung

fränkischer

Grafen

und

Bassen,

denen

er zugleich

den

Schutz

der

Gränzen anvcrtraute; denn so wie sein Alles übersehender Blick die Ruhe im Innern aufrecht hielt, so schützte er das Reich gegen Angriffe

von außen durch die Errichtung von Marken im Norden und Osten des Reiches; der Schutz der südlichen Gränze aber ward den in Aqui­ tanien befehlenden Grafen anvertraut,

und

die Städte dieser gegen

Spanien gerichteten Mark wurden durch verstärkte Besatzungen gehmet.

248

Neueuropäische Staaten.

MS nun Ludwig von seinem Vater schon bei der Geburt zum Könige von Aquitanien erklärt und in der Wiege nach Toulouse in sein neues Reich getragen war, welches außer dem eigentlichen Aquitanien auch Toulouse, Novempopulanien,

Septimanien und Karl'S Eroberungen

jenseit der Pyrenäen begriff, so mußten der Jugend des Königs ge­ reifte, erfahrene Männer zur Seite gestellt werden;

die Verwaltung

in den Städten ward ftänkischen Grafen, Aebten und Vassen anver­

traut, die der Hauptstadt Toulouse aber einem nach ihr benannten Herzoge, und damit die Angriffe der moslemischen Feinde zurückgewiesen würden, legte Karl in die Aquitanien's Süden bezeichnende spanische

Mark eigene Markgrafen mit zahlreicher Heereömacht als Gränzwächter. Als aber unter Ludwig die fränkischen Eroberungen sich weiter aus­ dehnten und an Haltung gewannen, wurde die Eintheilung des ver­

größerten Gebietes in einzelne Grafschaften nothwendig, und die Mark­ grafen wurden nach den Städten oder Gegenden, in welchen sie be­

fehligten,

benannt.

Schon

früher

erschienen

Grafen von

Gerona,

von Ampurias, von Urgel und Cerdagne, von Pallars und Ribagorza, und als der vornehmste der von Barcelona.

Aber nicht blos

die Vertheidigung der Gränzen, auch den Anbau des Landes, die Wiederherstellung der zerstörten Städte und Burgen empfahl Ludwig den Grafen, und allmählig erhoben sie sich wieder aus ihren Trüm­

mern.

Auf sein Geheiß ward Ausona, den Römern als Ausa wohl

bekannt, und unter den Westgothen Sitz eines Bischofes, auf einem

Hügel neu befestigt, aus der Burg stieg nach und nach die Besatzung hinab und baute Häuser am Fuße desselben, so daß eine neue Stadt sich bildete.

Die politische Verbindung, in welche Ausona durch die

Waffen der Christen versetzt war, ward durch ein kirchliches Verhältniß

befestiget.

Denn da Tarragona, die Metropole der Stadt, von den

Moslimen gänzlich zerstört war, und daher die Einwohner Ausona'S

vom Joche der Araber zwar befreit, aber nicht nur chreö Bischofes,

sondern auch ihres Metropoliten beraubt

waren und eine verwaiste

Heerde bildeten, so unterwarfen sie sich, den Kirchengesetzen gemäß, dem Metropolitanen der ihnen zunächst liegenden kirchlichen Provinz,

also dem von Narbonne.

Dieser nahm ihre Kirche unmittelbar unter

sich, da die Gemeinde zu klein und an Hülfsmitteln zu beschränkt war, um einen eigenen Bischof unterhalten zu können.

Ein gleiches Schicksal,

wie Ausa hatte die am linken Ufer des

Segre mitten unter den schneebedeckten Pyrenäen gelegenen Stadt Urgel

249

Spanien unter Karl dem Großen.

bitroffen,

Auch ihre Bewohner warm dem Schwerte des Mosleimen

unterlegen, auch sie war von den feindlichen Flammen so sehr zerstört

wotden, daß, als sie zu Ludwig's Zeiten unter den Händen der zurück-

kehrenden Gothen sich wieder aus ihren Trümmern erhob, sie doch geraume Zeit nur einen Flecken bildete, ohne das Ansehen einer Stadt gewinnen zu können.

Glücklicher aber als Ausona hatte Urgel, fett

dem fünften Jahrhunderte Sitz eines Bischofes,

auch

im heftigste»

Drange der Zeit, Glauben und Kirchenzucht gepflegt und den bischöf­

lichen Stuhl nicht unbesetzt gelassen.

in jenen Gegenden vordrangen,

In der Zeit, als die Franken

behauptete ihn Felir, nicht weniger

bekannt durch den Umfang seiner theologischen Kenntnisse, als verfolgt wegen der von ihm vorbereiteten kirchlichen Irrlehren.

dem Bischöfe von Toledo,

befragt,

Von Elipandus,

ob der Erlöser der Welt seiner

menschlichen Natur nach wahrer oder nur angenommener Sohn Gottes

sei, behauptete er das Letztere.

Diese neue Lehre verbreitete Elipandus

unter den Christen Asturien's und Galicien's, Felir in den Pyrenäen;

sie zu wiederlegen bemühten sich der Abt Beatus

zu Liebana und

Etherius, Bischof von Osma, beide nach Asturien geflüchtet.

Eine

Kirchenversammlung zu Narbonne mochte wohl die Lehre förmlich als

Ketzerei verdammt haben, als aber König Karl von der Hartnäckig­ keit deS Bischofes von Urgel unterrichtet ward, berief er ihn vor eine

Versammlung nach Regensburg, von dort ward er, als Ketzer ver-

urtheilt, nach Rom geführt, um zu den Füßen deö Papstes Hadrian I.

seine Irrlehre abzuschwören, und nachdem er sich unterworfen, ward ihm die Rückkehr zu

seiner

Kirche gestattet.

Aber wie wohl deS

Menschen Gemüth nur desto fester an einer Meinung hängt, je uner­ gründlicher der Gegenstand derselben ist — auch Felir, kaum in seine

Heimath gelangt, behauptete wieder seine Irrlehre, und so sehr war Elipandus von ihrer Richtigkeit überzeuigt, daß er an Karl ein Schrei­

ben erließ mit der Bitte, den Felir zu rechtfertigen und das ihn ver­ dammende Urtheil aufzuheben.

Ein nemes, sehr zahlreiches Concilium,

welches der König nach Frankfurt berief, hielt die alte Kirchenlehre aufrecht und verdammte den Bischof abermals.

Doch vermochte weder

daS Ansehen dieser versammelten Väter, noch der Scharfsinn und die

Gelehrsamkeit Alcuin's auf Felir Eindruck zu machen; mit Bitterkeit

und heftiger Streitsucht antwortete er ihnen, bis endlich der König

ihn aus einer Versammlung zu Aachen seiner Würde entsetzen und mach Lyom verbannen ließ.

250

ReuemwpAfche Staaten.

Den erledigten Stuhl zu Urgel nahm eine Reihe uns nur dem Namen nach bekannter Bischöfe ein, unter denen endlich Sisebut als der eigent­

liche Widerhersteller dieser Kirche auftrat.

Zwar war sie schon früher

erbaut und der heiligen Jungfrau geweiht, aber es fehlte ihr an einer hinreichenden Aussteuer und an sicherem Besitze liegender Gründe.

Für

Beides sorgte Bischof Sisebut durch Aussetzung einer feierlichen Urkunde in Gegenwart des König Ludwig vertretenden Grafen Suniefted, der höheren Geistlichkeit seines Sprengels und vieler Einwohner von Urgel,

der Cerdagne, Berga und Pallars. Alle diese Gegenden waren nicht blos von Gothen bewohnt, die das eigentliche Septimanien verließen und ihre Sitten und Gebräuche

jenseit

der Pyrenäen auftecht

hieltm;

sondern

auch

viele

spanische

Christen flüchteten, um sich dem moslemischen Joche zu entziehen, aus

dem Innern der Halbinsel in jene der Waffen der Franken unterwor­ fenen Gegenden.

Jhrö Ankunft war willkommen: denn da durch die

Kriege an der Gränze- jener Strich Landes wüst gelegt und zur Ein­ öde geworden war, so bedurfte man rüstiger Hände zum Wiederaufbau.

Kaiser Karl wies also den spanischen Einwanderern jene verödeten Gegenden alö Besitzungen an; und bald gelangten sie zu einem- so blühenden Zustande, daß sie den Neid und die Habsucht der Grafen

erregten. Kaisers:

Bittere Klagen

dieser

nicht nur vertreibe

Spanier

erreichten

das Ohr des

man sie aus dm ihnm angewiesenen

Ländereien, sondern man nehme ihnen auch die durch ihre Hände an­

gelegten Dörfer.

Alsbald

sandte

er den Erzbischof von

Arles

zu

seinem Sohne, dem Könige Ludwig, und ließ den Grafen der Mark befehlen,

den

Spaniern ihr Eigenthum

zurückzugeben, ihnen keinen

Grundzins aufzulrgen und ihnen, wie ihren Nachkommen, so lange sie treu wären, was sie dreißig Jahre hindurch besessen hätten, als Eigenthum zu lassen.

Genauer aber wurden ihre Verhältnisse geordnet durch Kaiser Lrdwig den Frommen: da sie .sich freiwillig den Franken unterworfen hatten,

so betrachtete er sie auch als freie Leute und nahm sie in feinen be­ sondern Schutz.

Wie die anderen Freien, sollten sie nur unter dem

Grafen zu Felde ziehen und nach dessen billigen Vorschriften an der

Gränze Wachdienste leisten, den kaiserlichen Sendboten und den aus Spanien kommenden Gesandten Herberge gewähren und die zu ihrer

Reise erforderlichen Wagen und Pferde stellen.

Dagegen soll keine

andere Last von den Grasen oder Unterbeamten ihnen aufgelegt mrden,

251

Spanien unter Carl dem Großen.

st« aber nicht anstchen, in allen wichtigeren Fällen oder von ihnen

Landsleuten vor Gericht gefordert gleichviel,

ob in bürgerlichen

sich

vor dem Grafen zu stellten,

Streitigkeiten oder wegen Verbrechen;

geringere Sachen können sie unter sich abmachen, und auch denen,

welchen sie gegen Dienstleistungen Land von dem ihrigen einräumen-

können ne Recht sprechen; nur bleiben auch dieser abhängigen Leute Verbrechen dem Gerichte des Grafen vorbehalten.

Eigcnthumsrechte

erwarben diese Letzteren an dem Grundstücke nicht, sondern wenn sie eS verließen,

fiel

es wieder an den früheren Herrn zurück.

Was

diese Spanier ihren Grafen etwa freiwillig schenkten, sollte nie als

Abgabe und Pstichtmäßige Leistung betrachtet werden, sondern sie sollten als freie Leute unter dem Schutz des Königs wohnen; doch wurde ihnen, fteigestellt, sich nach fränkischer Sitte den Grafen als Vasallen

zti übergeben, und für ein Lehen, welches sie auf diesen Fall von dem Schutzherrn erhielten, mußten sie diesem dieselben Dienste leisten, wie

die übrigen ftänkischen Vasallen.

Die Urkunde, welche diese Bestim­

mungen enthielt, wurde in das Archiv deS kaiserlichen Palastes nieder­

gelegt; in jeder von den Spaniern bewohnten Stadt aber wurden drei Abschriften »ertheilt,

eine an den Bischof, die andere an den

Grafen und die dritte endlich an die spanischen Einwohner selbst. Wenn nun gleich der Willkühr der Grafen gesteuert zu sein schien,

so erhoben sich doch bald Klagen, daß die Mächtigeren jener spanischen Ankömmlinge die Schwächeren zu bedrücken und ihnen ihr kaum an­

gebautes Besitzthum

zu

entreißen

oder

zu schmälern suchten.

Der

Kaiser Ludwig erneuerte also den Schutzbrief und bestimmte, daß Die­ jenigen, welche sich Anderen

als

Vasallen unterworfen und

dafür

Ländereien zum Anbau erhalten hätten, diese unter den von beiden Theilen verabredeten Bedingungen besitzen sollten; auch auf alle künftig noch ankommende Spanier sollten sich diese Vorschriften des Kaisers

erstrecken, und sieben Abschriften der Urkunden zu Narbonne, Carcas­ sonne, Roussillon, AmpuriaS, Barcelona, Gerona niedergelegt werden. Diese Städte bezeichnen also die Gegenden, welche hauptsächlich von

den Spaniem angebaut wurden.

Auf diese Weise bildete sich in der spanischen Mark aus gothischen Flüchtlingen eine Menge freier Grundeigenthümer, welche unter sich

durch Sitten ünd Gesetze verbunden, doch 'ald Unterthanen des fränki­ schen Reiches

dem Heerbanne und

der Gerichtsbarkeit der über d>ie

gesetzten Grafen, die selbst meistens gothischer Abkunft waren, gehorchen

252

Spanien unter Karl -em Großen.

mußten, denen es aber steistand, sich durch gegenseitigen Vertrag zu Va­ sallen des Königs oder der Grafen oder ihrer eigenen Genossen zu machen. Bis auf Karl's deö Großen Tod hat sein Sohn Ludwig als König

von Aquitanien auch der spanischen Mark seine unmittelbare Fürsorge widmen können;

als aber der große -Kaiser in das Grab gestiegen

war, bestieg Ludwig den Kaiserthron und setzte seinen zweiten Sohn

Doch erst nach drei Jahren, als Ludwig

Pipin über Aquitanien.

das ganze Reich unter seine drei Söhne vertheilte, ward Pipin feier­ lich zum Könige von Aquitanien gekrönt.

Als solcher erhielt er das

eigentliche Aquitanien, Vasconien, die Mark von Toulouse, die Graf­

schaft Carcassonne in Septimanien, und in Burgund die von Autun, Avalon und Nevers.

Septimanien,

also

auch

die spanische Mark,

ward von diesem neuen Reiche getrennt und zu einem eigenen Herzog-

thume erhoben, dessen Hauptstadt Barcelona ward; den Einrichtungen der fränkischen Verfassung gemäß ward uun der über diese Stadt ge­

setzte Graf zugleich Herzog von Septimanien und erkannte nur den

Kaiser und dessen ältesten Sohn Lothar, der schon an der kaiserlichen Würde Theil nahm, als seinen Herrn an.

s. Franken u. Weftfranken nach dem Labe Karl'« de» Großen. (Alexander Schmidt.)

Während der vierundsiebenzig Jahre, welche von dem Tode Karl's

des Großen bis zur völligen Auflösung deS ftänkischen Reiches ver­

flossen waren, hatte sich eine wesentliche Umgestaltung deS politischen

Zustandes desselben ereignet, eine Umwandlung, welche indeß nur der Fortgang der bereits in der merovingischen Zeit begonnenen und durch

die Kraft jenes Herrschers nur auf einige Zeit gehemmten Entwicke­ lung war.

Eine Aristokratie weltlicher und geistlicher Großen war

an die Stelle der von Karl begründeten Monarchie getreten, und das Lehnswesen war die Form des politischen Lebens geworden.

Schon

die Schwäche Ludwig's deS Frommen hatte den Trotz und die An­ sprüche der Mächtigeren,

welche

durch seine kräftigen Vorfahren in

engere Schranken zurückgewiesen worden waren, wieder hervorgerufen,

und während der Empörungen seiner Söhne gegen ihn, und während deö Krieges dieser unter einander hatten jene Ansprüche zum Theil

Anerkennung gestmden, indem die Kriegführenden durch Zugeständnisse und Gewährungen sich den Beistand der Großen des Reiches zu er-

253

Franken und Westfronten nach dem Tode Karl's des Großen.

kaufen suchten.

Eine aufrichtige engere Vereinigung unter den Königen

der getrennten fränkischen Reiche und ein entscheidendes Zusammen­ wirken derselben hätte allein das Königthum wieder zu heben vermocht;

allein ländersüchtiger Eigennutz und häufige Beschäftigung gegen auswär-

sige Feinde hielten ste von einem gemeinsamen und kräftigen Verfahren gegen die immer mehr überhandnehmende Lehns - Aristokratie zurück, und sie mußten schon 847, bei ihrer Zusammenkunft in Mersen, ihren

Vasallen die Gerechtsame förmlich zusichern, welche dieselben zur Zeit der früheren Könige gehabt hatten,

stimmter Weise

Gerechtsame, welche nie in be­

waren, sondern nur auf Gewohnheit

ausgesprochen

und Herkommen beruhten, und deren Deutung von demjenigen abhing,

welcher die größere Macht besaß. durch

die Untüchtigkeit Karl's

Vornehmlich wurde in Westftanken,

deS Kahlen für die Regierung und

Vertheidigung des Reiches, das rasche Umsichgreifen des Lehnswesens, zum Nachtheile

der Gemeinfteien

wie

des Königthums,

begünstigt.

Wenn selbst Karl der Große nicht im Stande gewesen war, den Be­

drückungen .und Gewaltthätigkeiten gänzlich zu wehren, durch welche die Grafen und andere mächtige Männer die Gemeinfteien und LehnSabhängigkeit zu zwingen suchten,

so vermochten eS seine schwachen

Nachfolger noch viel weniger, und bei der zu ihrer Zeit herrschenden Verwirrung

und

Gesetzlostgkeit

nöthigte

schon

das

Bedürfniß

deS

Schutzes, welchen der König nicht gewähren konnte, eine große An­ zahl Freier die Vasallen eines Mächtigern zu werden.

Auch wurde

in einer Zeit, in welcher daö Reich unablässig von äußern Feinden, von den Normannen, angegriffen wurde, die Last des Kriegsdienstes für die Freien durch die Bestimmung nicht vermindert, daß ste nur

zur Vertheidigung des Landes aufgeboten werden sollten, und indem nur die Angeseheneren unter ihnen,

nicht aber die Geringeren von

der Grund- und Kopfsteuer

waren, so

befreit

Werth ihres Standes sehr herabgesetzt.

wurde dadurch

der

Karl der Kahle beförderte

selbst die rasche Verringerung der Gemeinfteien, wahrscheinlich weil er ste durch ein, wenn auch nur mittelbares, Lehnsverhältniß zu ihm in

eine größere Abhängigkeit bringen wollte, als seine Persönlichkeit zu bewirken vermochte.

Er erließ 847 bereits eine Verordnung, welche

vielleicht nicht sowohl ein Befehl,

sondern

vielmehr eine Gestaltung

' war, daß jeder freie Mann in seinem Reiche sich ihn oder einen seiner Vasallen,

welchen er wolle,

zum Lehnsherrn nehme, und

mehrere

Male befahl er in der folgenden Zeit, selbst bei Strafe der ConfiS-

254

Neuemopmsche Staaten,

eation der Alodien, daß solche Freie, welche sich gegen ihn aufgelehnt

hatten, sich einen Lehnsherrn wählen sollten. Zeit die meisten Alodien im

Gewiß ist, daß in dieser

nördlichen Westfranken Lehen wurden,

während im südlichen, in welchem die geringere Zahl der eingewan­ derten Deutschen die ftühere Weise deö Besitzes nicht so

umzugestalten vermochte, dieselben

sich

in

größerer Zahl

allgemein

erhielten.

Während auf solche Weise die begüterten Freien in Lehnsabhängigkeit

kamen, wurden die geringern, welche nur ein unbedeutendes oder gar kein Grundeigenthum besaßen, durch Gewalt, Druck und Noth der

Zeit in den Stand der Hörigkeit hinabgestoßen und gleich den Leib­ eigenen der Willkühr eines Herrn preisgegeben, und Manchen zwang

der Hunger, sich oder seine Kinder als Knechte zu verkaufen.

Nur

selten gedenken überhaupt Gesetze und Chroniken dieser Zeit der gerin­ gern Bevölkerung des Landes; wenn es geschieht, so zeigen sie nur

die tiefe Herabwürigung derselben und die Absicht des Lehnswesens,

sie völlig wehrlos zu machen. Als

sich

859

die

geringern Bewohner des Landes

zwischen der

Seine und Loire, durch die unablässigen Verheerungen der Normannen zur Verzweiflung gebracht, endlich vereinigten um sich selbst zu helfen

und

den Normannen,

welche

sich

an

der

Seine festgesetzt

hatten,

tapfern Widerstand leisteten, so wurden sie selbst von den Mächtigern

deö

Landes

angegriffen und niedergehauen, und

König

Karlmann

verbot 882 den Bewohnern des flachen Landes sich zu sogenannten

Gilden zu

vereinigen,

um sich selbst gegen Räubereien

zu schützen.

So wie der Einfluß deö Lehnswesens die Gemeinfreiheit untergrub

und vernichtete, so trat auch die Lehns-Aristokratie dem Kömgthume

gegenüber und beschränkte dasselbe dermaßen, daß es nicht mehr, wie zm Zeit Karl's des Großen, als die allein befehlende und über die Gesetzgebung bestimmende Gewalt erscheint, sondern als eine Gewalt, weicht mit andern Gewalten unterhandelt und welche mit diesen die Gesetzgebung auf eine solche Art theilt, daß sie nicht mchr die Gesetze vorschreibt, sondem fast nur räth, bittet und ermahnt. Indem schon in den ersten Jahren der Regierung Karl's des Kahlen

die Mächtigen des Landes einen großen Theil der königlichen Güter als Lehen oder Alodien durch Betrug oder Gewalt sich zueigneten,

und auch in der folgenden Zeit Viele derselben auf ähnliche Weise

oder durch nothgedrungene Gewährung der Könige erlangten, so wurde dadurch das Königthum meistens seiner äußern Mittel beraubt, und

Franken und Westfranken nach dem Tode Karl's des Großen.

253

zugleich sank seine innere Geltung und Bedeutung durch die Untüchtig­

keit und Schwäche seiner Besitzer, namentlich Karl'S des Kahlen. Er bewilligte schon 844 den

Großen seines

Reiches

förmlich

das

Recht ihn zu ermahnen und zu warnen, wenn ihm, als Menschm,

etwas abgelockt worden sei, und er gestand denselben sogar das Recht zu, sich ihm vereinigt und mit gewaffneter Hand zu widersetzen, indem

856 den von ihm abgcfallenen Aquitanien und Franciern durch seine

Abgeordneten

erklären ließ:

sie

seien,

Bischöfe und Aebte

mit den

Laien und die Laien mit den Geistlichen so eng unter einander ver­ bunden, daß Keiner den Andern verlassen möge, wenn er, der König, Einen von ihnen etwas gegen Gesetz, Billigkeit und Recht chun wolle.

Zwar befahl er wiederholt, daß alle Bewohner seines Reiches chm den Eid der Treue schwören sollten, und insbesondere trug

er 873

den Grafen ans, dafür zu sorgen, daß kein Freier im Reiche sich auf­

halte und Eigenthum besitze, wessen Lehnsmann er auch sei, wofern er nicht dem Könige Treue gelobet habe; allein ein solcher Eid ver­ mochte weder den Gehorsam Desjenigen zu sichern, welcher die Macht besaß, dem Könige zu trotzen, noch den Aftervasallen in eine engere

Verbindung mit diesem, als mit seinem nnmittelbaren Lehnsherrn zu

Ueberdieö wurde in dieser Zeit die Erblichkeit der Grafschaften

bringen.

und anderer Lehen allgemeine Sitte, weil es deu Königen an der Macht fehlte, dem Sohne zu entziehen, was dem Vater verliehen ge­ wesen war; immer zahlreichere Burgen und Schlösser, von welchen

aus die Umwohner beraubt und gemißhandelt wurden, erhoben sich in allen Theilen des Reiches, ungeachtet des von Karl dem Kahlen 864

gegebenen waren,

Befehls,

daß

Alle,

welche

niedergerissen werden sollten;

ohne

und

seine Erlaubniß

erbaut

sogar das Wahlrecht des

Volkes, d. h. der geistlichen und weltlichen Großen, wurde, obwohl

die karolingische Familie

ihre Reiche

als Erdreiche betrachtete,

von

Karl's Sohne, Ludwig H, anerkannt, und bei der Krönung mußte der König feierlich die unverletzliche Bewahrung der bestehenden Rechte und Gesetze geloben.

Die zahlreichen Verordnungen, welche theils der Kirche ihre Be­ sitzungen zu rauben verbieten, theils den Kirchen und Geistlichen die

ihnen gebührende Ehre zu erweisen befahlen, zeigen es am deutlichsten, wie sehr auch die Kirche durch die Verwirrungen der Zeit litt, und

die Bemühungen der Geistlichkeit, ihre fortdauernde Abhängigkeit von

der weltlichen Gewalt zu lösen, blieb erfolglos.

Vergeblich suchte sie

256

Neueuropäische Staaten.

die Freiheit der Bischofswahlen zu erlangen und den Einfluß, welcher

dem Könige das ihm noch nicht bestrittene Recht der Bestätigung) des Gewählten auch auf die Wahl selbst gab, zu beschränken.

Site be­

mühte sich wenigstens die Satzung geltend zu machen, daß der Wischof

aus den Geistlichen der bischöflichen Kirche selbst gewählt werden solle, und sie gestand dem Metropolitan das Recht zu, auch die vom Könige

Ernannten in Beziehung auf Lebensweise und Kenntnisse flremg zu

prüfen und

Unwürdige

zurückzuweisen;

allein jene

Satzung

wurde

vom Hofe nicht beachtet, der Metropolitan würbe, wenn er die Wei­ hung eines vom Könige Ernannten verweigerte, durch die wetltliche

Macht zum Nachgeben gezwungen, und das Gesuch, dem CleruS und

der Gemeinde der Kirche freie Wahl zu gestatten, wurde cft durch Ernennung eines vom Hofe begünstigten Geistlichen beantwortck.

Auch

die Synoden durften während des neunten Jahrhunderts nicht

ohne

Erlaubniß des Königs gesammelt werden, und erst seit dem zehnten

verschwindet dies Recht deö Königs, aber meist nur dadurch,

daß

diese Versammlungen damals seltener wurden, und man sich nachmals bei Erneuerung derselben jenes Rechtes absichtlich nicht erinnerte.

In

Rücksicht auf die Gerichtsbarkeit über die Geistlichen mußten di« frü­

hern Satzungen, welche allen Geistlichen, die sich

an weltliche Ge­

richte wenden würden, Absetzung, und den weltlichen Richtern, welche

über Geistliche richten würden, den Bann drohten, sehr oft wiederholt werden, und deö Königs vberrichterliche Gewalt über die Bischöfe wurde

noch nicht bestritten. Die Freiheit der Kirchengüter von Staatslasten blieb auf anen als

Stammgut der Kirche betrachteten Theil derselben, den sogenannten kirchlichen Mansus, beschränkt; häufig wurden Kirchengüter vom Könige als Lehen vergeben, über viele Klöster wurden Laien als Aebte gesetzt,

um diesen aus solche Weise den Genuß der Klostergüter zuzuwenden, und die Advoeaten der Kirchen, deren Bestimmung rechtliche und ge-

waffnete Beschützung derselben gegen Gewalt und Unrecht war, und deren allgemeine Einführung Karl der Große befohlen hatte, begannen

schon jetzt sich einen Theil der kirchlichen Einkünfte anzueignen. größer endlich,

Noch

als früher, wurde die Abhängigkeit der Küche. vom

Staate dadurch, daß sie gegen das Ende deö neunten Jahrhunderts

zu demselben in ein Lehnsverhältniß trat, indem das Verhältniß der

vom Könige ernannten oder doch bestätigten Bischöfe nach dem Geiste

der Zeit als ein solches aufgefaßt wurde, und die Bischöfe, um sich

257

Franken und Westfranken nach dem Tode -Rarst? des Großen.

des

königlichen

günstigten.

Schutzes

zu

versichern,

eine

solche

Auffassung

be­

Die im Laufe des zehnten Jahrhunderts allgemein üblich

werdende Investitur der Bischöfe war die nothwendige Folge davon.

Ungeachtet einer so vielfachen Unterordnung der Kirche unter die

weltliche Gewalt machten indeß die Bischöfe verschiedene nicht erfolg­

lose Versuche jene sogar über diese zu erheben.

Als reiche Grund­

eigenthümer hatten die Bischöfe und Aebte bereits früher, namentlich

auf den Reichstagen, einen nicht geringen Einfluß auf die Reichs­

regierung ausgeübt, und der Vorrang vor den angesehensten weltlichen

Großen, den Herzogen und Grafen, war ihnen zugestanden worden; jetzt machten sie auch Ansprüche, wenigstens in Einer Beziehung, auf eine vom Staate völlig unabhängige Stellung.

Während sie nämlich

als Besitzer von Lehen sich dem Könige als Lehnsherrn bereitwillig unterordneten, behaupteten sie dagegen, als Bischöfe, als Repräsen­

tanten der Kirche, nicht vom Könige abhängig zu sein.

Die Synode

von St. Macra (nachmals FimeS bei Rheims), im Jahre 881, stellte

ferner sogar schon den Grundsatz auf, daß Gott die Regierung der Welt zwischen den Bischöfen und den Königen

getheilt habe,

daß

jenen das Geistliche und Ewige, diesen das Zeitliche und Irdische

die Würde der Bischöfe aber höher sei, als die der

bestimmt sei, daß

Könige, in sofern

diese znm Königthume von jenen gesalbt

die Bischöfe aber

nicht von den Königen

und daß die Bedeutung der

würden,

consecrirt werden könnten,

Bischöfe umso gewichtiger sei,

alS die

der Könige, weil sie einst auch für diese vor Gott Rechenschaft ab­ Die Aufstellung solcher Grundsätze erscheint um so er­

legen müßten.

klärlicher, als die Bischöfe im Laufe des neunten Jahrhunderts mehr­ mals als Richter der Könige

anerkannt

worden

waren;

durch sie

hatten die beiden jüngern Söhne Ludwig's des Frommen 842 ihren

ältern Bruder Lothar seines Reiches entsetzen lassen, und Karl der

Kahle hatte das Richteramt über sich öffentlich den Bischöfen zuge­ standen, indem er in seiner Anklage gegen den Erzbischof Wenilo von

Sens, welcher 858 von ihm abgefallen war und sich an Ludwig den

Deutschen angeschloffen hatte, vor dem Concil von Tüll 859 erklärte: Wenilo

habe

ihn

durch seine und der

andern Bischöfe Wahl und

mit dem Willen, der Beistimmung und dem Zurufe der übrigen Ge-

treuen des Reiches und Bischöfen,

Könige

geweiht

Histor. Lesebuch. II.

und

Gemeinschaft mit den andern Erzbischöfen

zu Orleans nach

der kirchlichen Ueberlieferung zum

und zur Regierung deö Reiches

mit dem Helligen 17

258

Neuerrropaische Staaten.

Oele gesalbt und mit dem Diadem und dem Scepter auf den Stuhl deS Reiches erhöht; dieser Weihung und der Hoheit der Herrschaft

hätte er von Niemanden beraubt werden dürfen, wenigstens nicht ohne

von den Bischöfen gehört und gerichtet zu werden, durch deren Hand er zum Könige geweiht worden sei, und welche die Throne Gottes

genannt würden, und durch welche Gott seine Urtheile spreche

und

deren väterlichen Zurechtweisungen und strafenden Aussprüchen sich zu unterwerfen

er bereit

gewesen sei

und gegenwärtig bereit sei.

Die

Absicht der Bischöfe, sich, indem sie auf ihren geistlichen Charakter hinwiesen, wenn auch nicht der LehnSabhängigkeit, doch der Leistung des Lehnseides zu entziehen, mißlang zwar; dagegen suchten sie aber durch eine geschickte Benutzung des kirchlichen Strafrechtes

bei allen

von Laien begangenen Sünden und dadurch, daß sie vor ihrem ein­

zigen Zwangsmittel, dem Bann oder der Ausschließung von der kirch­ lichen Gemeinschaft, größere Furcht einzuflößen suchten, sich alö Geist­ liche auch in den Augen der Mächtigern größeres Ansehen und größere Bedeutung zu geben.

Die Kirche begann nämlich seit der Mitte des

neunten Jahrhunderts die Ercommunication von dem Banne zu unter­ scheiden, und wenn jene sich auf die Ausschließung von der kirchlichen

Gemeinschaft beschränkte, so sprach dieser den Fluch der Kirche auf

eine schreckende Weise und in Folge desselben nicht allein zeitliche, son­ dern auch ewige Strafen aus, und diesem wie jener legte die Kirche

die Wirkung bei, von jedem bürgerlichen Amte auszuschließen; Mächtigere aber, welche dieser Kirchenstrafen

nicht

achteten,

gegen

wurde

noch ein anderes Zwangsmittel erfunden, nämlich das Interdikt oder die Verfügung, daß in einem Orte oder einem Bezirke, in welchem ein Verbrechen gegen die Kirche begannen und nicht gebüßt war, alle

gottesdienstliche Handlungen eingestellt werden sollten, bis der Kirche die verlangte Genugthuung geworden sei.

Dieses Mittel, dessen An­

wendung zuerst, aber auf eine ungeschickte und deshalb erfolglose Weise,

in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts in Westfranken ver­ sucht wurde, bewährte sich in den folgenden Jahrhunderten wegen des

Eindrucks,

den es

auf das Gemüth des Volkes machte,

als eine

furchtbare Waffe der Kirche. Die Absicht der Bischöfe, sich, so wie von der welllichen Macht,

so auch von der Abhängigkeit von dm Metropolitanen zu befreien und den Vorrang derselben nur auf äußere Ehrmerweisungen zu beschränken,

begünstigte sogleich das Stteben des Papstes nach der Obergewalt

Franken und Westfranken nach dem Tode Karl's des Großen.

Aber die gestimmte Kirche.

239

Befördert wurde jene Absicht und dieses

Streben durch einen groben, nur in einer durchaus der Kritik erman­

gelnden

Zeit

Kirchenrechts

möglichen Betrug

durch

die

Aufstellung

eines

neuen

oder vielmehr durch das Aussprechen und Zusammen­

stellen desjenigen Kirchenrechts, nach welchem der Geist und der Zu­

stand der Zeit hinstrebte, in den sogenannten pseudo-isidorischcn Decre-

talen.

ächter, aber auch zum Theil

Sie waren einer Versammlung

abgekürzter oder vermehrter Eanonen und Decretalen einverleibt, welcher,

wie schon früher einer ältern Sammlung, der Bischof Isidor von Se­ villa seinen Namen leihen mußte, welche höchst wahrscheinlich zwischen

den Jahren 829 u. 845 in der Diöcese von Mainz angefertigt wurde, und eben so sehr die Erhebung der bischöflichen Würde nnd die Beschränkung der Metropolitanengewalt, als die Erhöhung des päpst­ lichen Ansehns bezweckte.

Der Papst erscheint in den pseudo-isidorischen

Decretalen als Bischof der allgemeinen Kirche, begabt mit der aus­ schließlichen richterlichen Gewalt über bie übrigen Bischöfe, welche nur

als seine Stellvertreter betrachtet werden; seiner Entscheidung werden

die wichtigern kirchlichen Sachen vorbehalten, in allen aber kann an

ihn appellirt werden;

er allein kann neue Bisthümer errichten und

Concilien versammeln und nur in seinem Namen geschieht die Cvnsecration der Bischöfe.

Diese Behauptungen hoben die bisherige Ab­

hängigkeit der Bischöfe von den Metropolitanen fast gänzlich auf und stellten jene unter einen entfernten und deshalb weniger lästigen Ober­ herrn, und zugleich suchten die falschen Decretalen die Bischöfe von

der weltlichen Macht unabhängiger zu-machen, indem sie eS mehrmals

wiederholen, daß dieselben von keinem weltlichen Gericht, sondern von

Gott allein gerichtet werden könnten. Zeit, bevor dieses

Allerdings bedurfte es einiger

verfälschte kirchliche Gesetzbuch allgemein verbreitet

und allgemein als ächt anerkannt war; allein schon 863 vertheidigte Papst Nicolaus I. die Aechtheit der pseudo-isidorischen Decretalen in einem

Schreiben an die Bischöfe Gallien's.

Ueberdies wurden die Ansprüche

des Papstthums durch die Auflösung des ftänkischen Reiches begünstigt,

in sofern Italien dadurch

einen minder

mächtigen Herrscher erhielt,

und wenn die Päpste auch die kaiserliche Herrschaft über sich aner­ kannten, so leiteten doch die Kaiser selbst ihre Würde von der Salbung

durch die Hand des Papstes ab. namentlich

Die Gunst der Zeitumstände und

den Zwiespalt unter den karolingischen Königen benutzte

besonders Nicolaus I. mit Erfolg, und er zwang den König Lothar n. 17*

260

Neururopälsche Staaten.

sich wieder mit seiner Gemahlin Dietberge, von welcher er sich aus

Liebe zu seiner Buhlerin Waldrade durch eine aachner Synode 862 hatte scheiden lassen, zu vereinigen; er setzte die Erzbischöfe von Cöln

und Trier, welche des Königs Scheidung besonders befördert hatten,

ab, und Lothar's Schwäche begünstigte die Vollziehung dieses Aus­ Nicolaus bewirkte es auch, daß der Bischof Rothad von Soissons, welchen der Erzbischof Hinkmar von RheimS 861 suspendirt

spruchs.

und zwei Jahre darauf, ungeachtet er an den Papst apellirte, durch

eine Synode zu Soissons mit Beistimmung Karl deö Kahlen hatte absetzen lassen, wieder eingesetzt wurde, und er machte dabei, auf pseudo-isidorische Decretalen sich stützend, die Grundsätze geltend, daß überhaupt keine Synode ohne Wissen deS Papstes berufen werden

dürfe, und die Absetzung eines Bischofs unter die wichtigern kirchlichen,

dem römischen Stuhle vorbehaltenen Sachen gehöre. Allerdings ge­ lang es seinem Nachfolger Hadrian II., welcher nicht auf gleich« Weise durch die politischen Verhältnisse begünstigt wurde, nicht, ähnliche An­

sprüche durchzusetzen, allein jene Ereignisse hatten doch für die Zrikunst zu einem andern Verhältnisse des Papstes gegen die Könige und die Bischöfe als früher, zu seiner richterlichen Gewalt über jene und seiner Oberherrschaft über diese den Grund gelegt. WaS endlich den Zustand der wissenschaftlichen Bildung in West­

franken während deS neunteir Jahrhunderts betrifft, so mußten zwar durch die innern Zerrüttungen und durch die furchtbaren Verheerungen

der Normannen manche von den Schulen zu Grunde gehen, welche auf Karl's des Großen Geheiß errichtet waren; allein in denselben waren bereits nicht wenige Männer gebildet worden, welche Gelehrsanikeit und wissenschaftlichen Sinn zu erhalten vermochten, und Karl der Kahle besaß, darin seinem Großvater ähnlich, so ungleich er ihm auch übrigens war, selbst eine solche Empfänglichkeit für Geistesbildung, daß er nicht allein der Hochschule fast die Blüthe wiedergab, in welcher sie unter Karl dem Großen gestanden, und gelehrte Männer begünstigte und an seinen Hof zog, sondern daß er diesen auch oft zu seiner Be­

lehrung Fragen vorlegte, sie zu wissenschaftlichen Arbeiten veranlaßte und sich selbst gern mit den heiligen Schriften beschäftigte.

Lateinisch­

theologisch blieb der hervorragende Charakter der Bildung der Zeit,

und die theologischen Streitigkeiten, welche der Mönch Gottschalk von Orbais durch seine Lehre von einer zwiefachen Prädestination verur­ sachte, fanden lebhafte und vielfache Theilnahme und veranlaßten ins-

261

Italien.

besondere den Erzbischof Remigius von Lyon und den Bischof Pru-

dentiuS von Troyes zu Streitschriften, welche durch die in ihmen ent­ haltende theologische Gelehrsamkeit und durch ihre ganze Form zu den

ausgezeichnetsten literarischen Erzeugnissen der Zeit gehören.

An diesen Streitigkeiten nahm auch der Erzbischof Hincmar von Rheims Theil; wenn man ihn als den Repräsentanten des theologischen Geistes der Zeit betrachtet, so steht dagegen über seiner Zeit, welche

ihn nicht zu begreifen vermochte, ein Denker, welcher am Hofe Karl's deS Kahlen in der Gunst und Achtung dieses Fürsten lebte, Johann

Scotus Erigena, welcher es zuerst unternahm mit freiem Geiste in das Wesen der Religion einzudringen, dessen System, zu welchem er den Grundgedanken, daß Gott Alles, und Alles Gott sei, aus der neuplatonischen Lehre entlehnte, der erste Versuch des Mittelalters ist

den Mysticismus wissenschaftlich zu begründen, und welcher zugleich der Begründer der scholastischen Theologie dieses Zeitalters wurde.

Italien. Erneuerung des abendländischen Kaiserlhums. (Heinrich Leo.)

Leo DI. war im December 796 auf Adrian gefolgt, und bald nach­ dem er den päpstlichen Stuhl bestiegen hatte, waren die unter dem vorigen Papst einflußreichsten Männer, die sich jetzt nicht mehr an der

Spitze aller Angelegenheiten sahen, in eine Partei zusammengetreten,

um Leo zu stürzen und an seiner Stelle einen Papst zu erheben, der ihnen ähnliche Gewalt gestattete, als sie früher gehabt hatten.

Ein

Neffe Adrian'ö, Campnlus, und der Primicerius Paschal standen an

der Spitze dieser Partei. Im Frühling 799, während einer Procession, ward Leo plötzlich

überfallen, vom Pferde gerissen und schmählich mißhandelt.

So schleppte

man ihn, nachdem man sich seiner Person bemächtigt hatte, in ein

Kloster; aber schon in der folgenden Nacht ward er von seinen An­ hängern, die sich

von ihrem Schrecken erholt hatten,

befteit.

Der

Herzog von Spoleto nahm sich weiter des Papstes an, und so fand dieser Gelegenheit, nach Deutschland zu Karl dem Großen, der da­

mals eben in Paderborn war, zu kommen und Schutz und Rache von ihm zu verlangen.

Unter einer hinreichenden Bedeckung von Bischöfen und Grafen und

26A

Neueuropaischss Staaten.

deren Leute» kehrte Ley nach Renn zurück, wo- unterdessen die Gegen­

partei sich manchen Excessen überlassen und, um ihr Betragen einiger­ maßen zu rechtfertigen, eine Reihe von Beschuldigungen ersonnen hatte,

welche alle dienen sollten zu zeigen, daß Leo des päpstlichen Amtes

vollkommen unwürdig sei.

Als der Papst mit seinen Begleitern in

Rom wieder anlangte, zeigte sich bald die Grundlosigkeit der Verläümdung, und die Häupter der ihm feindlichen Partei harrten im Gefängniß der Entscheidung, welche Karl'n, der mit einem Heere nach Italien

zog, vorbehalten blieb. Im November 799 kam Karl noch als Frankenkönig in Rom an;

Leo gestattete ihm über sein Betragen kein richterliches Urtheil, sondern entschied dje Sache durch einen Reinignugseid, den er freiwillig schwor.

Bis zu dieser Zeit war Karl in dem päpstlichen Gebiet immer nur als der vom Papste frei erwählte Vogt der römischen Kirche mit welt­

licher Macht ausgestattet gewesen, und hatte weder über den Papst

selbst, noch über Rom die Herrschaft in Anspruch genommen.

Diese

gehörte im Gegentheil dem Namen nach noch immer den oströmischen Imperatoren, wenn sie auch den letzten Schimmer wirklicher Gewalt

in den päpstlichen Territorien längst verloren hatten.

Mochte nun

Karl diesmal gleich in Paderborn die Annahme des kaiserlichen Titels

und der kaiserlichen Gerechtsame sich ausbcdungen, oder mochte ihn die Weigerung des Papstes, ihn in richterlicher Oberhoheit anzuerkennen,

zu der Forderung gebracht haben; er ward in Rom zum Kaiser er­ wählt und gekrönt, und zwar nicht, wie man gewöhillich annimmt,

durch eine Ueberraschung des Papstes, sondern nach allen von seiner Seite getroffenen Vorbereitungen und in dem Bewußtsein, daß ihm,

der factisch die höchste Gewalt in Rom habe, das höchste Recht nicht verweigert werden könne.

Wenn man die Occupation Jtalien'S Aenderungen der Verfassung

imd die daraus folgenden

abrechnet, so ist keine That in Karl's

des Großen Leben so folgenreich für Italien geworden, qls die Er­

neuerung des abendländischen Kaiserthumes.

Es unterschied sich dies

Kaiserthum von allen übrigen politischen Instituten der damaligen Zeit wesentlich auf zweierlei Weise: nffinlich erstens war cs diq schlechthin

höchste und deshalb eine uncheisbare Würde, was bisher die königliche Würde nicht gewesen tpar, und zweitens

wax die Erlangung dieser

Würde nicht so sehr an ein Recht der Geburt, als an die Krönung

durch den Papst, geknöpft.

26Z

Italien:.

Durch die'kaiserliche Würde erhiellt das Lehenssystem erst seinen

Das ganze Leh«enssystem war nämlich eine Ab­ leitung niederer Gewalt und niederem Besitzes von der Gnade des eigentlichen Schluß.

höheren Besitz- und Gewalthabers,

und zuletzt dachte man sich alle

Gewalt von Gottes, des höchsten Machthabers, Gewalt abgeleitet.

Die Lebendigkeit des occidentalischen Geistes hat zu allen Zeiten die

abstrakte Vollendung dieses Systems,

wie sie in den indischen Gesetz­

büchern gefunden wird, verhindert; aber ein dem indischen sehr analoges

System war das Feudalsystem der karolingischen Zeit.

Ein Zeichen,

daß man nur sehr einfachen Denkens und nur sehr einfacher Schemata Der Berührungspunkt der weltlichen Gewalt mit der göttlichen war in dem Statthalter Christi gegeben, und da zugleich fähig war.

Ausgangspunkt aller weltlichen Gewallt war, war man, dem einfachen wahren Schematisiren der damaligen zufolge, auch der Meinung, eS

müsse alle weltliche Gewalt, da, wo

sie diesen geistlichen Punkt be­

rühre, in eine Person concentrirt, und die Gewalt aller übrigen Ge­

bieter von der Stellung dieses höchsten weltlichen Gewalthabers, des

Kaisers von Rom, abgeleitet werden. Dem Kaiser, so glaubte man damals, werde seine höchste weltliche Gewalt von Gott, vermittelst Petri Nachfolger, nämlich deö Bischofs von Rom, übertragen. Von dem Augenblicke an, wo Karl alö römischer Kaiser ausgerufen worden war, erschien er als oberster weltlicher Herr nicht mehr blos in feinem Frankenreiche, sondern in der ganzen katholischen Christen­

heit, d. h. der Christen, welche den Primat des römischen Stuhles anerkannten. Die Könige von Asturien nannten sich Karl's Lehens­ leute, und die Könige von Irland seme Knechte.

Dadurch, daß dir kaiserliche die höchste Würde war, ward die Er­ langung derselben ein Zielpunkt deö Strebens für jeden abendländischen König, der in seinem Lande sich befestigt sah und im Besitz einer be­ deutenden Streitmacht oder bedeutender Summen war.

Es ward so

die kaiserliche Würde die Veranlassung, daß sich fortwährend französische, burgundische oder deutsche Fürsten in Jtalien's Angelegenheiten ein­ mischten, und wenn die Deutschen feit Otto I. fast ausschlleßlich im Besitz der Kaiserkrone blieben, ja eS dahin brachten, daß es den Päpsten gar nicht mehr einfiel au ihrem Rechte auf dieselbe zu zwei­ feln, danken sie dies nur dem Umstand, daß sie im Mittelalter durch-

aus das mächtigste Volk Europa's waren.

264

NeueuropLische Staaten.

Der andere Umstand, daß die Kaiserwürde durch eine päpstliche Krönung erlangt ward, gab, so lange man die Kaiserwürde zu er­ langen wünschte, dem Papst eine außerordentliche Gewalt in die Hände;

ja es gab sogar der päpstlichen Anmaßung, als habe der Bischof von

Rom ein AufsichtS- und Absetzungsrecht über den Kaiser, einigen Schein von Begründung, unv eS war bald ganz nothwendig, als

die Päpste ihre Gewalt erst kennen lernten und den Königen die Spitze bieten durften, daß gerade die kaiserliche Würde eine nie ver­ siegende Quelle von Unruhen und Kämpfen theils zwischen den welt­

lichen Fürsten selbst, theils zwischen ihnen und dem Papste werden mußte. — ES läßt sich gar nicht sagen und beschreiben, welchen unendlichen Einfluß dies auf die politische Entwickelung von ganz Europa gehabt hat. Alle den fränkischen und deutschen Königen (die nach der Kaiser­

krone strebten und sie erlangt hatten) untergeordnete Fürsten, Edle, Geistliche und Gemeinden fanden immer an dem Papst einen Halt;

durch das ganze Mittelalter nehmen sich die Päpste derer an, welche

die strenge fränkische und nachmals deutsche Beamten- und LehensVerfassung aufzulösen suchen; sie waren der eigentliche Halt aller

politischen Freiheit und dachten dabei nicht daran, daß Menschen, die in Beziehung auf eine Richtung des Lebens wirklich frei werden, geistig überhaupt sich frei machen, und daß das Streben der Kirche gegen die strenge feudal-monarchische Verfassung ein Streben gegen die strenge

hierarchische Verfassung nothwendig erzeugte. Wenn die Päpste den von den deutschen Königen bedrückten und tyrannisirten Männern lehrten, nach einer geistigen Berechtigung zu fragen und sich der bloßen

willkührlichen Gewalt zu widersetzen, so war es ganz natürlich, daß diese Lehre gegen sie selbst benutzt ward, als sie jene unvernünftige Gewalt üben wollten.

Geistige Folgen der fränkischen Herrschaft für Italien.

Die Einheit und Strenge der karolingischen Verfassung schien an­

fangs den Gang der sittlichen Auflösung in Italien hemmen zu müssen; zuletzt zeigte sich, daß nicht alle Auswege verschlossen waren, und bald

ging die Entsittlichung, das Schlaffwerden aller Bande nur um so

rascher vorwärts.

265

Italien.

Das Bewußtsein, daß der Arme nur frei leben könne, wenn er auf beiden Achseln trage, wenn er einen Herrn gegen den andern stellen könne, war in Italien einmal klar gefaßt worden.

Umsonst war es

nun, daß auf längere Zeit die päpstlichen Territorien keine Zuflucht mehr für die Flüchtlinge aus dem fränkischen Italien gewährten, und

umgekehrt; wenn auch in engere Kreise eingeschnürt und zu gesetzmäßi­ gem Leben durch alle der weltlichen Gewalt zu Gebote stehende Mittel gezwungen,

wußte sich

der italienische Volksgeist gerade eines recht­

mäßigen Weges zu bedienen, theils um in der Gegenwart den öffent­

lichen Leistungen zu entfliehen, theils um in Kurzem Alles mit Ver­

wirrung zu erfüllen.

In den Grafensprengeln waren Jmmunitätssprengel entstanden, die zwar dem Grasen nicht ganz verschlossen, deren Insassen aber doch bei

demselben durch den reichen und angesehenen Besitzer der Immunität vertreten wurden, dabei aber das Recht nicht verloren, im Fall sie von diesem Besitzer ungerecht bedrückt wurden, gegen denselben in den Gefangengerichten zu

klagen.

Bald, als man die Vortheile dieses

Verhältnisses ersah, entstand eine allgemeine Flucht in den Jmmunitäts-

sprengeln; die Grafen selbst suchten für ihre Güter die Immunitäts­ rechte zu erwerben; und wenn man früher nur bei den Römern gegen Langobarden, bei den Longobarden gegen Römer Schutz fand, brauchte

man sich nun nm sich eines ähnlichen zweideutigen Verhältnisses zu erfreuen, gar nicht aus seiner Heimath wegzubegeben. schöfe, reiche Adelige,

Alle hatten abgesonderte,

ganz feindliche Interessen, lebte,

durch

die nur so

Grafen, Bi­

zum Theil einander

lange Karl der Große noch

dessen Kraft im Frankenreiche überhaupt zu Boden ge­

drückt wurden, aber bald nach seinem Tode sich in ganz Italien, so­

weit es fränkisch geworden war,

Der Bischof vertrat

entwickelten.

gegen den Grafen, der Graf gegen den Bischof, die Jmmunitätsgerecht-

same gaben den Vorwand, wirkliche Gewalt die Mittel, in Italien schien bald alles Allgemeine, Zusammenbindende verschwunden und ver­ gessen zu sein.

Wenn bis zu dem neumten Jahrhundert noch einige

Sittlichkeit in Italien, noch einige gesetzliche und religiöse Schranken

anerkannt waren, so fiel nun bald Alles weg.

Gutes geschah wohl

auch noch im Einzelnen, aber nicht mehr in der Form deö Sittlich-

Nothwendigen,

sondern

Freiheit geboren;

als

aus persönlichem Entschluß und reiner

die Willkühr regierte,

und wo das der Fall

mußte das Schlechte nothwendig überwiegen.

ist,

Das Verbrechen verlor

266

Neueuropmsche Staaten.

seine Schande und feine Strafe; Weiber ohne Schaam und ohne

Scheu; Päpste, welche handeln, als wäre so Etwas, wie die christ­ liche Religion, nie da gewesen; Fürsten ohne Ehre und Treue, Mämncr,

die feig jedem persönlichen Vortheile höhere Interessen aufopfern: das find die Erscheinungen der nächsten Jahrhunderte, und ganz natürlich;

nicht blos zu entschuldigen, sondern nothwendig war es, daß die Kö­

nige und Kaiser, die über ein solches Volk herrschen wollten, es nur dadurch konnten, daß sie alles Uebrige an Treulosigkeit und List, an grausamer Energie und Willkühr übertrafen. Sie trifft darum kein

Vorwurf als Einzelne, sie handeln nur dein Charakter ihrer Zeit gemäß. Eine Folge der fränkischen Herrschaft war die hohe Stellung der

Geistlichkeit; diese vermochte auch in der allgemeinen Verwirrung und trotz der eminenten Verruchtheit so vieler Bischöfe sich auf ihrer Höhe

zu erhalten, weil die Flucht der ärmeren Landeseinwohner unter JmmunitätSverhältnisse vorzugsweise zu Gunsten der kirchlichen Immuni­ täten Statt gefunden hatte, und der Gewalt der Geistlichen dadurch ein zu festes Fundament im Leben selbst erwachsen war, als daß man weiter daran hätte denken können, diese Gewalt zu stiirzen. Dies,

daß in der Gewalt der Geistlichkeit ein Surrogat erwachsen war für die politische Gewalt der Könige, machte später Otto I. allein möglich, Italien zur Ordnung und zu einem gesetzlichen Zustande zurückzusühren;

zu einem Zustande zugleich, der in sich die Anfänge städtischer Freiheit, und somit alles Schönen, enthielt, was Italien erzeugt hat. Ohne die Auflösung jener militairischen Verfassungen der Langobarden und Franken, ohne die gänzliche Verwischung der schroffen Völkerscheiden, die sich in früherer Zeit des Mittelalters in Italien finden, hätte dieses Land der Menschheit nie sein können, was es geworden ist, und man

muß die Hand des Todes segnen, die thätig ist, nur um neuem Leben Raum und Gelegenheit zum Entstehen zu geben. Uebrigens wurde die ftänkische Herrschaft, indem sie Veranlassung gab, daß in Italien mehr als in irgend einem andern europäischen Lande die Geistlichkeit eine Zett lang herrschte und fortwährend großen Einfluß in weltlichen Angelegenheiten behielt, auch Ursache des Ent­

stehens eines fast heidnischen und durchaus an das Antike erinnernden Sinnes.

Denn indem die Italiener gezwungen wurden, ihre welt­

lichen Interessen gegen die geistlichen Herrscher zu verfechten; indem ost Geistliche das

Volk gegen Geistliche führen mußten, um eine

Stellung zu erkämpfen oder zu behaupten, erwarb sich das Volk selbst

Italien. eine 'gewisse geistige Freiheit; das Geistliche wurde fär seine AnschaungSweise ganz mit dem Charakter drr Weltlichen- bekleidet, und' das Volk

im Ganzen ward genöthigt, sich in seinem Urtheil über die Geistlich­

keit zu stellen. Zu bewundern ist es und eine ehrenvolle Erscheinung für die Ita­

liener, daß sie von Karl dem Großen auch in Italien begünstigten Bestrebungen für die Wissenschaften, selbst in der nächstfolgenden Zeit der heillosesten Verwirrung, nie ganz aufgegeben wurden.

Unter Lothar I.

werden als hohe Schulen im fränkischen Jtalim

Pavia, Jvrea, Turin, Cremona, Florenz, Fermo, Verona, Vicenca und Friuli genannt.

Gewisse Personen scheinen

gezwungen

gewesen

zu sein, diese Schulen zu besuchen, aus denen ohne Zweifel die sieben freien Künste gelehrt wurden.

Daß auch nach Lothar's I. Zeit diese

Schulen fortbestanden, wenn nicht fortblühten, muß man aus der Bil­

dung der italienischen Schriftsteller deö zehnten Jahrhunderts schließen, welche die Deutschen

aus derselben Zeit weit an Gewandtheit des

Ausdrucks und Gefälligkeit der Sprache übertreffen; doch müssen auch

in literarischer Hinsicht die nächstfolgenden Jahrhunderte als die des größten Verfalles

bezeichnet werden.

Von dem

ftänkischen Italien

ging in eben dieser Zeit einer der für die im Mittelalter neu erwachen­ den philosophischen Studien bedeutendsten Männer aus, von welchem weiterhin ausführlicher zu sprechen sein wird.

Daß Benevent schon

im achten und neunten Jahrhundert ein Sitz der mannigfachsten Bil­

dung war, ist bereits erwähnt, und unmöglich konnte Rom, wohin damals aus der

ganzen katholischen Christenheit die

wißbegierigsten

und wohlunterrichtetsten jungen Geistlichen zusammenströmten, sich von dem Norden und Süden Jtalien's übertreffen lassen.

Es mußte we­

nigstens gleichen Schritt halten und hielt ihn auch gewiß, wie man

aus dem, was damals geschrieben ward, aus dem Wortausdmck so­

wohl, als aus der Wendung der Gedanken schließen kann. Schulen fanden sich fast in allen Städten Jtalien's.

diese

Geringere

Doch auch alle

anderweitigen Institute scheinen im neunten und zehnten Jahr­

hundert sehr herabgekommen zu sein.

Was die zeichnenden Künste anbetrifft, so ward damals wohl schwer­ lich eine derselbeir mit Eigenthümlichkeit ausgeübt, als etwa die Bau­

kunst.

Die Malerei diente wohl nur dem Gottesdienst und hatte feste

Vorbilder, welche treu copirt werden mußten. unter den Longobarden vorzugsweise von

Die Baukunst ward

den Unterthanen römischer

268

NeuemopLische Staaten. — Italien.

Abkunft und namentlich von den Einwohnern von Como

betrieben

worden, so daß sogar Magister Comacinus überhaupt einen Baumeister bezeichnete; doch ist von den Werken dieser comaschischen Baumeister­

schule unter den Longobarden wenig mehr übrig und nichts derselben mit Sicherheit

zu vindiciren,

wahrscheinlich

weil

man im spätern

Mittelalter großartiger und prächtiger baute und deshalb die unschein­ baren älteren Werke lieber niederriß, um an ihrer Stelle Schöneres

zu stellen.

Was durch Karl den Großen in der Baukunst wie in

andern Künsten, namentlich der Musik, gefördert ward, hielt sich durch­

aus an frühere römische Muster.

Streben drängte.

aufgegeben

Bald nach Karl mnßte alles höhere

werden, da die Noth des Augenblicks zu sehr

XI

Die Fendalität und das Mittelalter. (Hegel.)

Wenn die erste Periode der germanischen Welt glänzend mit einem

mächtigen Reiche endet, so beginnt mit der zweiten die Reaction der wilden ungebändigtcn Natur.

Diese Reaction ist zuerst die der be­

sonderen Nationen gegen die allgemeine Herrschaft des Frankenreiches, welche sich in der Theilung des großen Reiches offenbart.

Die zweite

Reaction ist die der Individuen gegen die gesetzliche Macht und Staats­

gewalt, gegeil die Subordination, den Heerbann, die Gerichtsverfassung.

Sie hat das Jsoliren der Individuen und daher die Schutzlosigkeit

derselben hervorgebracht.

Das Allgemeine der Staatsgewalt ist durch

die Reaction verschwunden: die Individuen haben bei den Gewaltigen

Schutz gesucht, und diese sind die Unterdrücker geworden.

So trat all-

mählig der Zustand einer allgemeinen Abhängigkeit ein, welches Schutz­ verhältniß

sich dann

zur

Feudalverfassung

systematisirt.

Die dritte

Reaction ist die des weltlichen Princips überhaupt gegen die Geistlich­

keit.

Die weltliche Wildheit wurde durch die Kirche unterdrückt und

gebändigt, aber diese ist dadurch

selbst verweltlicht worden und hat

den ihr gebührenden Standpunkt verlassen, von welchem Augenblicke

an das Jnsichgehen des weltlichen Princips beginnt.

Alle diese Ver­

hältnisse und Reactionen bilden die Geschichte der Feudalität, und der Kulminationspunkt dieser Periode sind die Kreuzzüge, denn mit ihnen

entsteht eine allgemeine Schwankung, wodurch aber erst die Staaten zur inneren und äußeren Selbständigkeit gelangen. Die erste Reaction ist die der besonderen Nationalität gegen die all­

gemeine ftänkische Herrschaft.

ES

scheint zwar zunächst,

daß das

270

Die Feudalität und das Mittelalter.

das Frankenreich durch die Willkühr der Könige getheilt worden ist, populär war uud eben so durch die Völker be­

daß diese Theilung

hauptet worden ist: sie war also nicht bloß ein Familieuact, der un­

klug erscheinen könnte, indem die Fürsten ihre eigene Macht dadurch Ludwig der Fromme, Sohn Karl's des Großen,

geschwächt haben.

theilte das Reich unter seine drei Söhne.

Später aber erhielt er aus

einer zweiten Ehe noch einen Sohn, Karl den Kahlen.

diesem

ein

Erbtheil

wollte,

geben

so

Da er auch

entstanden große Kriege

und

Streitigkeiten mit den andern Söhnen, welche des schon Erhaltenen

Diese Kriege hatten so zunächst «in indivi­

beraubt werden sollten. duelles

Interesse, aber die Nationen nehmen auch aus den ihrigen

heraus daran Antheil. Die westlichen Franken hatten sich bereits mit den Galliern identi-

sicirt, und von ihnen ging eine Reaction gegen die deutschen Franken

aus, so wie später eine von Italien gegen die Deutschen.

Durch den Verduner Vertrag im Jahre 843 wurde zwar eine Thei­ lung unter den Nachkommen Karl's des Großen gemacht, aber dennoch

wurde später das ganze fränkische Reich mit Ausnahme einiger Pro­ vinzen auf einen Augenblick unter Karl dem Dicken wieder vereinigt.

Nur

kurze Zeit

indessen vermochte

dieser schwache Fürst daS große

Reich zusammenzuhalten; es wurde in viele kleinere Reiche zersplittert, die sich selbständig ausbildeten und erhielten: in das Königreich Ita­

lien, die beiden burgundischen Reiche, Hochburgund, wovon die Haupt­ stadt Genf war, und Niederburgund, nördlich bis an den Jura, südlich

bis ans Mittclmeer; ferner das Königreich Lothringen, zwischen dem

Rhein und der Maas, die Normandie u. a. m.

Zwischen diesen Reichen war das eigentliche Frankreich eingeschlossen, im Osten von den Ardennen, im Westen von der Bretagne, im Nor­

den von Brabant begränzt.

eigentliche

Frankreich

vor

als

So beschränkt fand Hugo Capet das er

den Thron

bestieg.

Ostfranken,

Sachsen, Thüringen, Baiern, Schwaben blieb dem deutschen Reiche.

Also zerfiel die Einheit der fränkischen Monarchie.

Auch die inneren fränkischen Einrichtungen verschwanden nach und nach gänzlich,

besonders

die Organisation der Kriegsmacht.

Bald

nach Karl dem Großen sehen wir von vielen Seiten her die Nor­

mannen Einfälle in England, Frankreich und Deutschland machen.

In

England

regierten

ursprünglich

acht Dynastieen

angelsächsischer

Könige, aber im Jahre 827 vereinigte Egbert sämmtliche Herrschaften

Die FeuLalität und bas Mittelalter.

in ein einziges Reich.

271

Unter seinem Nachfolger machten die Dänen

sehr häufige Einfälle und plünderten das Land aus.

Tapferen Wider­

stand fanden sie erst unter Alfted dem Großen, aber der Dänenkönig Knut eroberte später ganz England. der Normannen in Frankreich.

Gleichzeitig waren die Einfälle

Sie fuhren auf leichten Kähnen die

Seine und die Loire hinauf, plünderten die Städte, verheerten die

Klöster und zogen mit ihrer gemachten Beute davon) sie belagerten selbst Paris, und die karolingischen Könige mußten schimpflich den Frieden erkaufen. Eben so verwüsteten sie die an der Elbe liegenden Städte; vom Rhein aus plünderten sie Aachen und Cöln und machten sich Lothringen zinsbar.

Zwar ließ der Reichstag zu Wormö 882

«in allgemeines Aufgebot an alle Unterthanen ergehen, dennoch aber mußte man sich zu einem schimpflichen Vergleiche bequemen. Diese Stürme kamen von Norden und Westen. Magyaren herein.

Im Osten brachen die

Mit Weib und Kindern zogen diese barbarischen

Völker auf Wagen herum und verwüsteten das ganze südliche Deutsch­ land. Durch Baiern, Schwaben, die Schweiz gelangten sie sogar bis nach Italien. Von Süden her drängten die Sarazenen, Sicilien befand sich schon längst in ihren Händen; von da aus faßten sie festen Fuß in Italien, bedrohten Rom, das durch einen Vergleich sie von sich

abwendete, und waren der Schrecken Piemonts und der

Provence. So rückten diese drei Völker in großen Massen von allen Seiten in daö Reich ein und stießen in ihren Verheerungszügen fast zusammen. Frankreich wurde von den Normannen bis an den Jura verwüstet; die Ungarn kamen bis nach der Schweiz, und die Sarazenen bis

nach Wallis.

Denken wir an jene Organisation des Heerbannes,

und betrachten wir dabei diesen traurigen Zustand, so müssen wir uns

über die Wirkungslosigkeit aller dieser Einrichtungen verwundern, in­

dem sie nun gerade am wirksamsten sich hätten zeigen sollen.

Man

könnte geneigt sein, die ganze Organisation des stänkischen Reiches für eine leere Träumerei zu halten; dennoch hatte sie bestanden, aber

diese ganze Staatöeinrichtung war nicht auf den Geist des Volkes begründet, nicht lebendig in denselben eingegangen, sondern nur ein

äußerlich Auferlegtes, eine apriorische Constitution, wir die, welche Napoleon Spanien gab, die sogleich unterging, als sie nicht mehr

durch die Gewalt aufrecht erhalten wurde. Die zweite Reaction, mit der wir es hier zu thun haben, ist die

272

Die Feudalitat und das Mittelalter.

der Individuen gegen die gesetzliche Macht.

Der Sinn für Gesetzlich­

keit und Allgemeinheit ist durchaus nicht vorhanden, ist in den Völkern selbst nicht lebendig.

Die Verpflichtungen jedes freien Bürgers, die

Befugnisse des Richters, Recht zu sprechen, die des Gaugrafen, Ge­

richt zu halten, das Interesse für die Gesetze, als solche, zeigen sich als unkräftig, sobald die starke Hand von Oben nicht mehr die Zügel

straff hält.

Die glänzende Staatsverwaltung Karl's des Großen war

spurlos verschwunden, und die nächste Folge davon war die allgemeine Schutzbedürftigkeit der Individuen.

Eine gewisse Schutzbedürftigkeit ist

sicherlich in jedem -wohlorganisirten Staat:

jeder Bürger kennt feine

Rechte, und weiß auch, daß zur Sicherheit des Besitzes der gesellschaft­

liche Zustand überhaupt nothwendig ist.

Barbaren kennen dieses Be­

dürfniß, einen Schutz am Anderen zu haben, noch nicht; sie sehen eS als eine Beschränkung ihrer Freiheit an, wenn ihre Rechte ihnen

von Anderen zugesichert werden sollen.

So war also der Drang nach

einer festen Organisation nicht vorhanden: die Menschen mußten erst

in den Zustand der Schutzlosigkeit versetzt werden, um das nothwen­ dige Erscheinen des Staates zu empfinden.

wiedep von ganz Vorne

an,

Die Staatsbildung fing

das Allgemeine

hatte durchaus keine

Lebendigkeit und Festigkeit in sich und im Volke, und seine Schwäche offenbarte sich darin, daß eö den Individuen keinen Schutz zu geben vermochte, diese mußten daher selbst ihre Zuflucht zu den Individuen

nehmen und wurden unter die Macht

welche

aus

der Auetorität,

die

einiger Gewalthaber gestellt,

früher dem Allgemeineir

einen Privatbesitz und eine persönliche Herrschaft bildeten.

angehörte,

Die Grafen

haben als Staatsbeamten bei ihren Untergebenen keinen Gehorsam gefunden,

aber eben so wenig verlangt, sondern nur für sich haben

sie denselben gewollt.

Sie haben die Gewalt des Staates für sich

selbst genommen, und die ihnen verliehene Macht zu einem erblichen

Besitze gemacht.

So wie früher der König oder andere hohe Personen

Lehen zur Belohnung an ihre Dienstmannen

gaben,

so

gaben nun

umgekehrt die Schwächeren und Aermeren den Mächtigen ihr Besitz-

thum, um dadurch einen starken Schutz zu gewinnen.

Die Aemter,

die Verbindlichkeiten und Pflichten gegen den Staat hörten auf, da­

gegen trat ein Zustand der Abhängigkeit von wenigen Mächtigen ein, aus welchem eine große Tapferkeit hervorging, welche aber nicht für

das Gemeinsame,

sondern nur für den Einzelnen stritt.

Habsucht trieb zur Tapferkeit.

Auch die

273

Die FeudaUtät und das Mittelalter.

In allen Gegenden entstanden Burgen, wurden Befestigungen auf­ gerichtet und zwar zur Vertheidigung deS Besitzes. Auf die eben angeführte Weife verschwand das Ganze in solchen Punkten der Einzel­

heit, als welche hauptsächlich die Sitze der Bischöfe und Erzbischöfe zu nennen sind.

Die Bisthümer hatten die Immunität an den Ge­

richten und aller Amtswirksamkeit erhalten: die Bischöfe hielten sich

Vögte und ließen denselben vom Kaiser die Gerichtsbarkeit übertragen, welche sonst die Grafen ausgeübt hatten. So gab es abgeschlossene geistliche Territorien, Gemeinden, die einem Heiligen angehörten (Weich­ bilder.)

Eben so bildeten sich späterhin weltliche Herrschaften aus.

Freie Leute blieben wenig übrig: nur Dienstleute, Vasallen und Ober­ herren gab es. Die Gerichte selbst wurden jetzt von den Lehnsherrn gehalten, und die Vasallen waren berechtigt, bei Gericht zu sitzen. Die kaiserliche Gewalt wurde im Ganzen für etwas sehr Großes

und Hohes ausgegeben: der Kaiser galt für das weltliche Oberhaupt

der gesammten Christenheit; je größer aber diese Vorstellung desto weniger galt die Macht der Kaiser in der Wirklichkeit.

war,

Frank­

reich gewann außerordentlich dadurch, daß es diese hohle Anmaßung von sich entfernt hielt, während in Deutschland das Fortschreiten der Bildung durch jene Scheingewalt gehemmt wurde. Die Könige und

Kaiser waren nicht mehr Oberherrscher im Staate, sondern Fürsten,

Indem nun

wie die andern, die ihnen hätten untergeben sein sollen.

Alles auf partikulare Herrschaft gegründet ist, so könnte man glauben, daß eine Fortbildung zum Staate sich nur so hätte machen können, daß jene particularen Herrschaften zu einer amtlichen Verbindung über­

gegangen wären. Dazu wäre aber eine Uebermacht erforderlich gewesen, welche nicht vorhanden war, denn die Dynasten bestimmten selbst, in wiefern sie noch abhängig seien vom Allgemeinen.

Es

gibt keine

Macht des Gesetzes und des Rechts mehr, sondern nur die zufällige

Gewalt, die eigensinnige Rohheit des particularen Rechts, und diese

strebt gegen die Gleichheit der Rechte und der Gesetze. Das Ober­ haupt hat keine Macht vermöge wahrhafter Gesetze : die, Dynasten

haben gegen ihn nur die Verpflichtungen als Vasallen, und diese be­ Eine Ungleich­

ruhen auf einem formellen Rechte, dem Lehnsrechte.

heit der Rechte in der ganzen Zufälligkeit ist vorhanden, und aus dieser kann die Entwickelung der Monarchie nicht so geschehen, haß

das Oberhaupt als solches die besonderen Gewalten unterdrückt hat, sondern es sind diese allmählig in ein Fürstenthum übergegangen, mit

Histor. Lesebuch. II.



274

Die Feudaütät und das Mittelalter.

dem Fürstenthnme des Oberhauptes vereinigt worden, und so hat sich die Macht deS Königs und der Staaten geltend gemacht.

Während

nun das Land der Einheit noch nicht vorhanden war, haben sich die besonderen Länder für sich ausgebildet. In Frankreich ging das Haus Karl's des Großen wie das Chlodwig's durch die Schwäche der Regenten unter.

Der Letzte der Karo­

linger wurde gefangen genommen, und seine Herrschaft war zuletzt nur auf die kleine Herrschaft Laon beschränkt.

Der mächtige Hugo

Capet, Herzog von Francien, wurde zum König ausgerufen.

Der

Titel König gab ihm jedoch keine wirkliche Gewalt, denn seine Macht

war nur auf seinen Besitz gegründet. Später wurden die Könige durch Kauf, Hsirath, Äussterben der Familien, Eigenthünier mehrerer

Herrschaften, und man fing besonders an, sich an sie zu wenden, um

vor den Gewaltthätigkeiten der Fürsten Schutz zu suchen. Die könig­ liche Gewalt wurde in Frankreich früh erblich, weil die Lehnsherr­ schäften erblich waren, doch haben im Anfänge noch die Könige die Vorsicht gebraucht, ihre Söhne bei ihren Lebzeiten krönen zu lassen. Frankreich

war in viele Herrschaften getheilt, in das Herzogthum

Guyenne, Grafschaft Flandern, Herzogthum Gascogne, Grafschaft

Toulouse, Herzogthum Burgund ; Lothringen hatte auch einige Zeit zu Frankreich gehört.

Die Normandie war von den Königen von Frank­

reich den Normannen eingeräumt worden, um auf einige Zeit Ruhe

vor ihnen zu haben. Von der Normandie aus ging Herzog Wilhelm nach England hin­ über und eroberte dasselbe im Jahre 1066.

Er führte hier ein durch­

weg ausgearbeitetes Lehnssystem ein, dessen Netz zum großen Theile heute England noch umgarnt.

Auf diese Weise standen aber die Her­

zoge der Normandie mit einer großen Macht den schwachen Königen von Frankreich gegenüber. Deutschland war aus den großen Herzogthümem Sachsen, Thü­ Jedes •

ringen, Schwaben, Baiern, Kärnthen u. s. w. zusammengesetzt.

dieser Herzogthümer zerfiel wieder eben so in viele mehr oder weniger

unabhängige Herrschaften.

Mehrere Male hatte es den Anschein, als

vereinigte der Kaiser mehrere Herzogthümer unter seiner unmittelbaren

Herrschaft.

Kaiser Heinrich HI. war bei seiner Thronbesteigung Herr

mehrerer großer Herzogthümer, aber er schwächte selbst seine Macht, indem er diese wieder an Andere verlieh. Deutschland bestand auS mehreren selbständigen Ländern und war dennoch von sich selbst ein

275

Die Feudalität und das Mittelalter.

Wahlreich: die Fürsten ließen sich das Recht nicht nehmen, ihr Ober­ haupt selbst zu wählen; bei jeder neuen Wahl machten sie neue ein­

schränkende Bedingungen, so daß die kaiserliche Macht zu einem leeren Schatten herabsank.

aber Deutschland

Indem

ein Wahlreich

war,

hatte es keinen festen Mittelpunkt und zerfiel um so leichter.

In Italien war dasselbe Verhältniß: die deutschen Kaiser hatten Ansprüche darauf, ihre Gewalt ging aber nur so weit, als sie sich

durch unmittelbare Kriegsmacht verschafften, und als die italienischen

Städte und der Adel in der Unterwerfung einen eigenen Nutzen sahen. Italien war wie Deutschland in viele größere und kleinere HerzogGrafschaften,

thümer,

Bisthümer

nnd

Herrschaften

getheilt.

Der

Papst vermochte äußerst wenig, weder im Norden, noch im Süden, welcher lange Zeit im Besitz der Griechen war, die späterhin von den Normannen vertrieben wurden.

Spanien kämpfte während des ganzen Mittelalters, theils sich be­ hauptend, theils siegreich mit den Sarazenen, bis diese endlich der concreteren Macht christlicher Gesittung unterlagen.

Alles Recht verschwand so vor der particularen Macht, denn Gleich­

heit der Rechte, Vernünftigkeit der Gesetze, wo daö Ganze, der Staat, Zweck ist, war nicht vorhanden.

Die dritte Reaction, der wir oben Erwähnung thaten, ist die des

weltlichen Princips gegen die Geistlichkeit, welche zwar im Anfänge bändigt

und

weltlicht.

erzieht,

dann

sich

aber

selbst

veräußerlicht

und

ver­

In der Kirche stellt sich nämlich der Widerspruch dar, daß

der Geist, wenn auch vom Absoluten zeugend, dennoch auch zugleich

endlich und

eristirender Geist als Intelligenz und Wille ist.

Endlichkeit beginnt damit, in diesen Unterschied herauszutreten.

Seine Und

hier fängt sogleich der Widerspruch und das Erscheinen der Entfremdung an.

Diese Aeußerlichkeit des

absoluten Inhalts

bestimmt sich

für das Bewußtsein so, daß sie als sinnliches, äußerliches Ding, als

Äußerliche Eristenz vorkommt, und doch auch hier als Absolutes gelten soll.

Die andere Form des Widerspruchs betrifft das Verhältniß in

der Kirche als solcher.

sein Geist,

Der wahrhafte Geist eristirt im Menschen, ist

und die Gewißheit dieser Identität

mit

dem Absoluten

giebt sich das Individuum im EultuS, während die Kirche nur das Verhältniß einer Lehrerin und Anordnerin dieses Cultus besttzt.

Aber

andererseits blieb hier der geistliche Stand, wie die Brahmanen bet den Indern, im Besitz der Wahrheit, und dieser Besitz wird als auS-

18*

276

Die Feudalität und das Mittelalter.

schließender firirt, so daß die Uebung allein nicht hinreichend ist,

son-

bertt nur eine äußerliche Weise, ein geistloser Besitztitel den Besitz als

völlig und wirklich constituirt.

Diese äußerliche Weise ist die Priester­

weihe, so daß die Consecration wesentlich als sinnlich am Individuum hastet.

eine

Die dritte Art des Widerspruchs ist die Kirche, welche als

äußerliche Eristenz Besitzthümer und

ein ungeheures Vermögen

erhielt, waS, da sie eigentlich den Reichthum verachtet oder verachten

soll, eine Lüge ist. Diese Widersprüche in der Kirche können nur entsprechend den Wider­ sprüchen gesunden werden, die wir im Staate sehen.

Wir haben oben

von einem Kaiserthum gesprochen, das der Kirche zur Seite sttehen und ihr weltlicher Arm sein soll.

Aber diese anerkannte Macht hat

den Widerspruch in sich, daß dieses Kaiserthum eine leere Ehre ist, ohne Ernst für den Kaiser selbst, oder die, welche durch ihn ihre ehr­ süchtigen Zwecke

erfüllen

wollen, denn die Leidenschaft und Gewalt

eristiren für sich, ununterworfen durch Vorstellung.

Zweitens ist

aber das

jene blos allgemein bleibende

Band

an

diesem

vorgestellten

Staat, das wir Treue nennen, der Willkühr des Gemüths anheim­

gestellt, welches keine objectiven Pflichten anerkennt. Treue das Allcrungetreueste.

Dadurch ist diese

Die deutsche Ehrlichkeit dcö Mittelalters

ist sprüchwörtlich geworden : betrachten wir sie aber näher in der Ge­

schichte, so ist sie eine wahre punica fides oder graeca fides zu nennen, denn diese Treue ist nur ihren Leidenschaften getreu, untreu aber dem

Reich, dem Fürsten.

Ein dritter Widerspruch

ist

der der Indivi­

duen in sich, der der Frömmigkeit, der schönsten und innigsten Andacht, und dann der Barbarei der Intelligenz und deS Willens. Es.ist Kenntniß der allgemeinen Wahrheit da, und die ungebildetste, roheste

Vorstellung über

Weltliches

und

Geistliches

vorhanden:

grausames

Wüthen der Leidenschaft und christliche Heiligkeit, welche allem Welt­

lichen entsagt und ganz sich dem Heiligen weiht.

So widersprechend,

so betrugvoll ist dieses Mittelalter, und es ist eine Abgeschmacktheit unserer Zeit, die Vortrefflichkeit desselben zum Schlagwort machen zu

wollen.

Denn es bildet ein empörendes Schauspiel, die Gegensätze

tiefen Aberglaubens und heiliger Frömmigkeit zusammengeschloffen zu

sehen, und es bedarf erst des Begriffes der Sache, um diese Zeit zu

rechtfertigen, denn nur dadurch kann man mit solchem Durchgang,

mit solchem Entftemdetsein sich versöhnen.

Der Geist ist sich hier nur

erst unmittelbar offenbar, und je tiefer die Wahrheit ist, zu der er sich

277

Dle Feudalität und das Mittelalter.

an sich verhält, desto härter wird die Wirklichkeit dieses Verhältmisses, in welchem die Wahrheit nicht für sich,

das

Fürsichsem nicht die

Wahrheit ist. " Wir kommen nunmehr

nach Darlegung dieser Grundzüge in die

weitere Aufweisung ihres Inhalts.

In dem Zustand vollkommener Vereinzelung, wo durchaus nur die Gewalt des Machthabers galt, haben die Menschen zu keiner Ruche kommen können, und gleichsam ein böses Gewissen hat die Christenheit

durchschaudert.

Gegen Ende des zehnten Jahrhunderts verbreitere sich

allgemein durch ganz Europa die Furcht vor dem herannahendcn jüngsten

Gericht und der Glaube daran.

Dieser Schauder treibt die Menschen

Einige haben ihr ganzes Besitz-

zu den widersinnigsten Handlungen.

thum der Kirche geschenkt und ihr Leben in beständiger Buße hinge­

bracht, die Meisten haben sich der Schwelgerei ergeben und ihre Besitzchum verpraßt.

Fast die Kirche allein gewann dabei an Reichthum

durch Schenkungen und Vermächtnisse.

Nicht minder rafften um diese Zeit fürchterliche Hungersnöthe die Menschen dahin;

auf den Märkten wurde öffentlich Menschenfleisch

In diesem Zustande war nichts als Rechtslosigkeit, Gewalt

verkauft.

Trug und List bei den Menschen anzutreffen.

Ain gräulichsten sah es

in Italien, dem Mittelpunkt des Christenthums, aus.

Jede Tugend

war dieser Zeit fremd und so hatte virtus seine eigenthümliche Bedeu­

tung verloren, cö hieß im Gebrauch nichts anderes, als Gewalt und

In gleicher Verdorbenheit befand sich die Geistlichkeit, denn

Zwang.

ihre eigenen Vögte hatten sich zu Herren auf den geistliche» Gütern gemacht und daselbst

Mönchen

ließen.

«ach

ihrem Belieben gehaust,

indem

sie den

und Geistlichen nur einen sparsamen Unterhalt zukommen

Klöster, welche keine Vögte annchmen wollten, wurden dazu

gezwungen, indem die Herren der Herrschaft sich selbst oder ihre Söhne

zu Vögten machen ließen.

Nur Bischöfe uud Aebte erhielte» sich im

Besitz, indem sie sich cheils durch eigene Macht zu schützen wußten, theils durch ihren Anhang, da sie meist aus adeligen Familien waren. Die Bisthümer waren weltliche

Territorien, und somit

Reichs- und Lehnsdicnsten verpflichtet.

auch zu

Die Könige hatten die Bischöfe

einzusetzm, und ihr Interesse erheischte cs, daß diese Geistlichen ihiuen zugethan seien.

Wer ein Bisthum wollte, hatte sich deshalb an bunt

König zu wenden, und so wurde ein förmlicher Handel mit den Bus-

278

Die Feudslität Md d«4 Mittelalter.

thümern und Abteien getrieben.

Wucherer, welche dem Könige Geld

vorgestreckt hatten, ließen sich dadurch entschädigen, und die schlechtesten

Menschen kamen so

in Besitz von geistlichen

Stellen.

Allerdings

sollten die Geistlichen von der Gemeinde gewählt werden, und es gab immer mächtige Wahlberechtigte, aber diese zwang der König, seine Befehle anzuerkennen.

Nicht besser ging es mit dem päpstlichen Strihl,

eine lange Reihe von Jahren hindurch besetzten ihn die Grafen voll Tusculum, bei Rom, mit

solchen,

an welche

entweder mit Mitgliedern ihrer Familie oder

sie

ihn für

theures

Geld

verkauft hatten.

Dieser Zustand wurde am Ende zu arg, daß sich Weltliche, sowohl, wie Geistliche von energischem Charakter demselben widersetzten.

Kaiser Heinrich III. machte dem Streite der Factionen ein Ende, indem er selbst römische Päpste ernannte, die er, wenn sie auch vom

römischen Adel gehaßt wurden,

dennoch durch seine Auctorität hin­

reichend unterstützte. Durch Papst Nicolaus II. wurde bestimmt, daß die Päpste von den Cardinälen gewählt werden sollten, da diese aber zum Theil aus

herrschenden Familien waren,

so

traten

ähnliche Zwistigkeiten der Factionen ein.

bei der Wahl immer noch

Gregor VII. (schon als Car­

dinal Hildebrand berühmt) suchte nun die Unabhängigkeit der Kirche

in diesem grauenvollen Zustande besonders durch zwei Maßregeln zu sichern.

Zuerst setzte er daS Cölibat der Geistlichkeit durch.

Schon

von den frühesten Zeiten an hatte man nämlich dafiir gehallen, daß es gut und angemessen wäre, wenn Geistliche nicht verheirathet feien.

Doch melden die Geschichtsschreiber und Chronisten, daß dieser Auf­ forderung wenig Genüge geleistet wurde. Nicolaus II. hatte schon die verheiratheten Geistlichen für eine neue

Secte erklärt,

Gregor VII. aber vollendete mit seltener Energie diese

Maßregel, indem er alle verheirathete Geistliche und alle Laien, die

bei diesen Messe hören würden, in den Baun that.

Auf diese Weise

wurde die Geistlichkeit aus sich angewiesen und von der Sittlichkeit

des Staates ausgeschlossen. Die zweite Maßregel war gegen die Simonie gerichtet,

gegen den Verkauf oder die

willkührliche Besetzung

oder des päpstlichen Stuhles

selbst.

nämlich

der Bisthümer

Die geistlichen Stellen sollten

fortan nur von den sie verdienenden Geistlichen besetzt werden, eine Bestimmung, welche die Geistlichen in großen Streit mit defl weltlichen Herrschaften bringen mußte.

279

Die Feudalitat und das Mittelalter.

Diese zwei großen Maßregeln sind es, durch welche Gregor die Kirche vom Zustande der Abhängigkeit und Gewaltthätigkeit befreien

wollte.

Gregor machte noch weitere Anforderungen an die weltliche

Macht: es sollten nämlich alle Beneficien nur durch die Ordination

des kirchlichen Oberen dem Neueingesetzten zufallen, und nur der Papst sollte über daS ungeheure Vermögen der Kirche zu disponiren haben.

Die Kirche wollte als göttliche Macht die Herrschaft über die weltliche, von dem stehe,

als

abstracten Principe das Weltliche.

ausgehend,

Der Kaiser

daß

das Göttliche höher

mußte

bei seiner Krönung,

welche nur dem Papste zukam, einen Eid leisten, daß er dem Papste

und der Kirche immer gehorsam sein wolle.

Mele Länder, wie Neapel,

Portugal kamen in einen förmlichen Lehnszustand zum Papste und

zu der Kirche.

Die Kirche erhielt so eine selbständige Stellung: die Bischöfe ver­

sammelten in den verschiedenen Ländern Synoden, und an diesen Zu-

sammeyberusungen

der

hatte

Clerus

einen

fortdauernden

Anhalts­

punkt. Auf diese Weise kam die Kirche zum größten Einfluß in den weltlichen Angelegenheiten: sie maßte sich die Entscheidung über die Krone der Fürsten an, machte die Vermitüerin zwischen den Mächten

in Krieg und Frieden.

Die nähere Veranlassung, welche die Kirche

zu dieser Einmischung in die weltlichen Angelegenheiten hatte, war die

Ehe.

Es kam nämlich oft vor, daß die Fürsten von ihren Gemah­

linnen geschieden sein wollten, und dazu bedurften sie der Erlaubniß der Kirche.

Diese nahm nun die Gelegenheit wahr, auf ihre sonstigen

Forderungen zu

bestehen,

und so ging sie weiter und wußte ihren

Einfluß auf Alles auszudehnen.

Auf ihr Geheiß wurde für gewisse

Tage der Woche ein allgemeiner Waffenstillstand festgesetzt, an denen

alle Fehden aufhörten und Beleidigungen und Beschimpfungen nicht

gerügt werden sollten.

Durch die weltlichen Besitzungen kam aber die

Kirche in ein ihr eigentlich fremdes Verhältniß zu den andern welt­ lichen Fürsten und Herren, sie bildete eine furchtbare weltliche Macht

gegen dieselbe und war zunächst so ein Mittelpunkt dos Widerstandes

gegen Gewaltthätigkeit und Willkühr.

Die Völker und die Herrscher

erkannten sehr wohl, daß die Kirche bei dieser Einmischung weltllche Zwecke im Auge habe; man kam allmählig zu einer Verachtung des

Oberhauptes derselben, und in Italien imponirte die Auctorität des

Papstes am Wenigsten;

der Schrecken des Bannes vermochte

mehr über die italienischen Städte.

nichts

Was so die Päpste an Land und

280

Die Feudaltiät und da« Mittelalter.

Gütern und an directer Herrschaft gewannen, verloren sie an Ansehen und Achtung.

Wir haben nun wesentlich die geistige Seite der Kirche, die Form ihrer Macht zu betrachten.

Das Wesen des christlichen Princips ist

schon früher entwickelt worden, es ist das Princip der Vermittelung. Der Mensch wird erst als geistiges Wesen wirklich, wenn er feine

natürlichen

Begierden

überwindet.

durch die Voraussetzung

Diese

Ueberwindung

wird

möglich, daß die menschliche imb

nur

göttliche

Natur an und für sich eins seien, und daß der Mensch, in sofern er

Geist ist, auch die Wesentlichkeit und Substantialität hat, die dem Be­ griffe Gottes angehört.

Die Vermittelung ist eben durch das Bewußt­

sein dieser Einheit bedingt, und die Anschauung dieser Einheit ist dem Menschen in Christo gegeben worden.

Die Hauptsache ist nun, daß

der Mensch dieses Bewußtseiil ergreife, und daß es beständig in ihm

geweckt werde.

Dies sollte in der Messe geschehen: in der Hostie

wird Christus als gegenwärtig dargestellt, das Stückchen Brot, durch den Priester geweiht, ist der gegenwärtige Gott, der zur Anschauung

kommt und ewig geopfert wird.

Christus wird als ein Gegenwärtiges

dargestellt, und in dieser Lehre liegt die falsche Bestimmung, indem

nämlich die Hostie als ein äußerliches Ding verehrt wird.

Mit Recht

ging die lutherische Reformation besonders gegen diese Lehre.

Luther

stellte den großen Satz auf, daß die Hostie nur ctwaö sei, und daß

Christus nur empfangen werde im Glauben an ihn;

außerdem sei

die Hostie nur ein äußerliches Ding, das keinen größern Werth habe, als jedes Andere.

Der Katholik aber fällt vor der Hostie nieder,

und so ist daS Aeußerliche zu einem Heiligen gemacht.

Das Heilige

als Ding hat den Charakter der Acußerlichkeit, und in sofern ist es

fähig, in Besitz genommen zu werden von einem Anderen gegen mich: es kann sich in fremder Hand befinden, weil der Proceß

nicht im

Geiste vorgeht, sondern durch die Dingheit selbst vermittelt wird. Das

höchste Gut des Menschen ist in anderen Händen.

Hier tritt nun

sogleich eine Trennung ein zwischen solchen, die dieses besitzen, und

solchen, die cs von Anderen zu empfangen haben, zwischen der Geist­ lichkeit und den Laien.

Die Laien sind dem Göttlichen fremd, welches

die absolute Entzweiung ist, in welcher die Kirche im Mittelalter be­ fangen war; sie ist daraus entstanden, daß das Heilige als Aeiißcrliches gewußt wurde.

Die Geistlichkeit stellte gewisse Bedingungen ans,

unter welchen die Laien des Heiligen theilhaftig werden konnten.

Die

281

Die Feudalität und das Mittelalter.

ganze Entwickelung der Lehre, die Einsicht, die Wissenschaft deS Gött­

lichen ist durchaus im Besitze der Kirche: sie hat zu bestimmen, und

die Laien haben nur schlechtweg zu glauben: der Gehorsam ist ihre Pflicht, der Gehorsam hes Glaubens, ohne eigene Einsicht. Wie die Menschen so von der Kirche abgeschnitten sind, so sind

sie es von allem Heiligen.

Denn da der Clerus überhaupt das Ver­

mittelnde zwischen den Menschen und zwischen Christus und Gott ist, so kann sich auch der Laie nicht unmittelbar zn demselben in seinem Gebete wenden, sondern nur durch Mittelspersonen, durch versöhnende

Menschen,

Verstorbene,

Vollendete — die Heiligen.

So

kam

die

Verehrung der Heiligen auf, und zugleich diese Unmasse von Fabeln

und Lügen, die Heiligen und ihre Geschichte betreffend. Im Morgenlande war schon ftüh der Bilderdienst herrschend ge­

wesen, und hatte sich nach langen Streitigkeiten behauptet; denn das Bild, das Gemälde gehört noch mehr der Vorstellung an, aber die rohere abendländische Natur

so

Anschauung^ und

kam

verlangte

etwas Unmittelbares für die

der Reliquiendienst auf.

Eine förmliche

Auferstehung der Todten erfolgte in den Zeiten des Mittelalters; jeder fromme Christ wollte int Besitz solcher heiligen irdischen Ueberreste sein. Der Hauptgegenstand

Mutter Maria.

der

Verehrung

unter

den Heiligen

war die

Sie ist allerdings das schöne Bild der reinen Liebe,

der Mutterliebe, aber der Geist und das Denken ist noch höher, und

über dem Bilde ging die Anbetung GotteS im Geiste verloren, und selbst Christus ist auf die Seite gestellt worden.

Das Vermittelnde

zwischen Gott und dem Menschen ist also als etwas Aeußerliches auf­ gefaßt und gehalten worden: damit wurde durch die Verkehrung deS Princips der Freiheit die absolute Unfreiheit zum Gesetze.

Die wei­

teren Bestimmungen und Verhältnisse sind eine Folge dieses Princips. Das

Wissen, die Erkenntniß der Lehre ist etwas, dessen der Geist

unfähig ist, sie ist allein im Besitze eines Standes, der das Wahre zu bestimmen hat.

Denn der Mensch ist zu niedrig, um in einer

directen Beziehung zu Gott zu stehen, und, wie schon gesagt worden ist, wenn er sich (tri denselben wendet, so bedarf er einer Mittelperson,

eines Heiligen.

In sofern wird die an sich seiende Einheit des G>ött-

lichcri und Menschlichen geleugnet, indem der Mensch als solcher

für

unfähig erklärt wird, das Göttliche zu erkennen und sich dcmselbem zu

nähern.

Bei dieser Trennung, in der der Mensch sich vom Gmten

befindet,

wird

nicht

aus eine Aenderung

des

Herzens

als

soilche

282

Die FeudMtit und das Mittelalter,

gedrungen, welches voraussetzte, daß die Einheit des Göttlichen--md Menschlichen

im Menschen befindlich wäre,

sondern

es

werden die

Schrecken der Hölle mit den furchtbarsten Farben den Menschen gegen­

übergestellt, nicht um ihnen etwa durch Besserung zu entgehens sondern vielmehr durch

ein Aeußerliches — die Gnadenmittel.

Diese jedoch

find den Laien auch unbekannt, ein Anderer — der Beichtvater muß sie ihnen an die Hand geben.

die

Das Individuum hat zu beichten, muß

ganze Particularität seines Thuns vor der Ansicht des Beicht­

vaters ausbreiten und erfährt dann, wie er sich zu verhalten habe. So hat die Kirche die Stelle des Gewissens vertreten:

sie hat die

Individuen wie Kinder geleitet und ihnen gesagt, daß der Mensch

von den verdienten Qualen befreit

werden könne

nicht durch

feine

Verbesserung, sondern durch äußerliche Handlungen, opera operata—

Handlungen nicht des

guten Willens, sondern

die

auf Befehl der

Diener der Kirche verrichtet werden, als: Messe hören: Büßungen anstellen, Gebete verrichten, Pilgern, Handlungen, die geistlos find,

den Geist stumpf machen, unb die nicht allein das an sich tragen,

daß sie äußerlich verrichtet werden, sondern die man noch dazu von

Andern verrichten lassen kann.

Man kann sich sogar von dem Ueber-

fluß der guten Handlungen, welche den Helligen zugeschrieben werden, einige erkaufen, und man erlangt damit das Hell, das diese mit sich

bringen.

So ist eine vollkommene Verrückung alles dessen, waS als

gut und sittlich in der christlichen Kirche anerkannt wird, geschehen,

nur äußerliche Forderungen werden an den Menschen gemacht, und

diesen wird auf äußerliche Weise genügt.

Das Verhältniß der abso­

luten Unfreiheit ist so in das Princip der Freiheit selbst hineingebracht. Mit dieser Verkehrung hängt die absolute Trennung des geistigen und weltlichen Princips überhaupt zusammen.

Das Göttliche in der

Weltlichkeit und Wirklichkeit ist das Sittliche.

Dieses ist aber uun

als ein Nichtiges aufgestellt worden, und zwar in seinen wahrhasten

drei Hauptpunkten. Eine Sittlichkeit ist nämlich die der Liebe, der Empfindung in dem ehelichen Verhältnisse.

Die Ehe wWde nun zwar von der Kirche zu

den Sacramenten gerechnet, trotz dieses Standpunktes aber degradirt,

indem die Ehelosigkeit als das Heiligere güt.

Eine andere Sittlichkeit

liegt in der Thätigkeit, in der Arbeit des Menschen für seine Sub­ sistenz.

Darin liegt seine Ehre, daß er in Rücksicht auf seine Bedürf­

nisse nur von seinem Fleiße, seinem Betragen und seinem Verstände

283

Die Feudalität und das Mlttelalter.

abhänge.

Diesem

gegenüber wurde nun die Armuth, die Trägheit

und Unthätigkeit als höher gestellt, und das Unsittliche so zum HeiEin drittes Moment der Sittlichkeit aber ist, daß der

ligen geweiht.

christliche Gehorsam, der gegen daS Sittliche und Vernünftige sei, der Gehorsam gegen die Gesetze, die ich als die rechten weiß, nicht aber der blinde und unbedingte, der nicht weiß, was er thut und ohne Bewußtsein und Kenntniß

in seinem Handeln herumtappt.

Dieser

letztere Gehorsam aber gerade galt als der Gott wohlgefälligste, wo­

durch also die Obedienz der Unfreiheit, welche die Willkühr der Kirche auferlegt, über den wahren Gehorsam der Freiheit gesetzt ist. Also sind die drei Gelübde der Keuschheit, der Armuth und des

Gehorsams gerade das Umgekehrte dessen, was sie sein sollten, und in ihnen ist alle Sittlichkeit degradirt worden.

Die Kirche war keine

geistige Gewalt mehr, sondern eine geistliche, und die Weltlichkeit hatte

zu ihr ein geistloses, willenloses und einsichtsloses Verhältniß.

Folge davon erblicken

wir überall Lasterhaftigkeit,

Als

Gewissenlosigkeit,

Schamlosigkeit, eine Zerrissenheit, deren weitläufiges Bild die ganze

Geschichte der Zeit giebt. Wir haben nun die Kirche alö Reaction des Geistige« gegen die

vorhandene Weltllchkeit gesehen, aber diese Reaction ist in sich so be­ schaffen, daß sie das, wogegen sie rragirt, sich nur unterthänig macht,

nicht aber dasselbe reformirt. Indem sich das Geistige durch ein Princip der Verrückung seines eigenen Inhalts die Gewalt erwirbt, consolidirt

sich auch eiire weltliche Herrschaft und erhebt sich zu einem Systema­ tischen,

dem

Feudalsysteme.

Da

die Menschen nämlich durch ihre

Jsoliruug auf individuelle Kraft und Macht reducirt sind, so wird

jeder Punkt, auf welchem sie sich in der Weltlichkeit aufrecht erhalten, ein

energischer.

Wenn daS

Individuum

auch

nicht

durch

Gesetze,

sondern nur durch seine eigene Kraftanstrengung geschützt ist, so ist

doch eine allgemeine Lebendigkeit, Betriebsamkeit und Erregung vor­ handen.

Da

die Menschen

durch die Kirche der ewigen Seligkeit

gewiß sind, mrd dazu ihr nur geistig gehorsam zu fein brauchen, so wird andererseits ihre Sucht nach weltlichem Genuß um so größer, je weniger daraus für das geistige Hell irgend ein Schade entsteht, denn für alle Willkühr, allen Frevel, alle Laster ertheilt die Kirche

Ablaß, wenn er verlangt wird. Vom eilsten bis zum dreizehnten Jahrhundert entstand ein Drang, der sich auf vielfache Weise äußerte.

Einerseits fingen die Gemeinden

284

Die Feudalität und das Mittelalter.

ungeheure Gotteshäuser zu erbauen an, Dome, errichtet zur Verherr­

lichung dessen, was geistig .fertig war, andererseits tritt der große Seehandel der italienischen Städte auf, die in diesen Zeiten fast den ausschließlichen Handel besaßen. Die Wissenschaften begannen einiger­

maßen wieder aufzuleben: die Scholastik war im'Schwünge, Rechts­ schulen wurden zu Bologna und an andern Orten gestiftet, eben so medicinische. Allen diesen Schöpfungen liegt als Hauptbedingung die Entstehung und wachsende Bedeutung der Städte zu Gruiwe; ein Thema, das in neueren Zeiten sehr beliebt geworden ist.

Entstehen der Städte war ein großes Bedürfniß vorhanden.

Für dieses Wie die

Kirche stellen sich die Städte nämlich als Reactionen gegen die Ge­ waltthätigkeit des Feudalwesens, gegen dieses Unrecht, das sich als positives Recht setzte, dar. ES ist schon früher des Umstandes Er­

wähnung geschehen, daß die Gewaltigen Andere zwangen, Schutz bet Solche Schutzpunkte waren Burgen, Kirchen und Klöster, um welche herum sich die Schutzbedürftigen, die nunmehr Bürger, Schutzpflichtige der Burgherren und Klöster wurden, ver­ ihnen zu suchen.

sammelten. So bildete sich an vielen Orten ein festes Zusammensein. AuS den alten Römerzeiten hatten sich noch viele Städte und Castelle in Italien im südlichen Frankreich und in Deutschland, am Rhein er­ halten, welche anfänglich Municipalrechte hatten, späterhin aber die­ selben unter der Herrschaft der herrschaftlichen Vögte verloren. . AuS dem Schutzverhältniß erwuchs jedoch nunmehr das Princip

des freien Eigenthums, das heißt, auö der Unfreiheit die Freiheit. Die Dynasten oder adelige Herren hatten eigentlich auch kein freies Eigenthum; sie hatten alle Gewalt über ihre Untergebenen, zugleich aber waren sie auch Vasallen von Höheren und Mächtigerer, sie hatten Verpflichtungen gegen dieselben, die sie freilich nur, wern sie gezwungen wurden, erfüllten.

Die alten Germanen hatten nur von

freiem Eigenthum gewußt, aber dieses Princip hatte sich zur vollkom­ menen Unfreiheit verkehrt, und jetzt erst erblicken wir wenige schwache

Anfänge eines wiedererwachenden Sinnes für Freiheit.

Jidiriduen,

welche durch den Boden, den sie bebauten, einander nahe gchracht waren, bildeten unter sich eine Art von Bund-Conföderation oder

Conjuration. Sie kamen überein, für sich daS zu sein und ;u eiste», waS sie früher allein dem Herrn geleistet hatten. Die erste gnneinsäme Unternehmung war, daß ein Thurm, in dem eine Glocke aufgc-

hängt war, erbaut wurde: auf daS Läute» der Glocke mußtm sich

285

Die Feudalität und das Mittelalter.

Alle einfinden, und die Bestimmung des Vereins war, auf diese Weise

eine Art Miliz zu bilden.

Der weitere Fortgang ist alsdann, daß

sich ritte Obrigkeit von Schöppen- Geschwornen, Consuln, die Ein­ richtung

einer gemeinschaftlichen Kasse, die Erhebung von Abgaben,

Zöllen u. s. w. mit einem Male findet. ' Gräben und Mauern wurden als gemeinsame Schutzmittel gezogen, und dem Einzelnen wird ver­

boten, besondere Befestigungen für sich zu haben. samkeit sind die

einheimisch.

Gewerbe, welche sich

Die Gewerbtreibenden

vom

In solcher Gemein­

Ackerbau unterscheiden,

müssen bald einen nothwendigen

Vorrang vor den Ackerbauern gewinnen, denn diese wurden mit Ge­ walt zur Arbeit getrieben;

jene aber hatten eigene Thätigkeit, Fleiß

und Interesse am Erwerb.

Die Erlaubniß, ihre Arbeit zu verkaufen,

und sich so etwas zu verdienen, mußten aber die Gewerbsleute auch erst von den Herren einholen; sie mußten ihnen für diese Freiheit deS

Marktes eine gewisse Summe entrichten, und außerdem bekamen die Herren noch immer einen Theil des Erworbenen.

Diejenigen, welche

einige Häuser hatten, mußte» einen bettächtlichen Erbzins dafür ent­

richten; von Allem, was ein- und ausging, erhoben die Herren große Zölle, und für die zugestandcne Sicherheit der Wege bekamen sie Ge­

leitsgeld.

Als

späterhin

diese Gemeinheiten erstarkten,

wurden den

Herren alle Rechte abgekauft oder mit Gewalt abgenöthigt; die Städte erkauften sich allmählig die eigene Gerichtsbarkeit und befreiten sich eben so von allen Abgaben, Zöllen, Zinsen.

Am längsten erhielt sich

noch die Einrichtung, daß die Städte den Kaiser und sein ganzes Gefolge während

seines

Aufenthaltes

eben die Weise die kleinen Dynasten.

verpflegen mußten, und

auf

Das Gewerbe theilte sich später

in Zünfte, wovon jede besondere Rechte und Verpflichtungen erhielt. Die Factionen, welche sich bei der Wahl der Bischöfe und anderen

Gelegenheiten bildeten, haben den Städten sehr oft zu diesen Rechten

verholfen.

Wenn es nämlich oft geschah, daß zwei Bischöfe für einen

gewählt wurden, so suchte jeder die Bürger in sein Interesse zu ziehen,

indem

er ihnen Privilegien und Befteiung von Abgaben zugestand.

Späterhin treten auch manche Fehden mit der Geistlichkeit, schöfen und Aebten ein.

den Bi­

In einzelnen Städten erhielten sie sich als

Herren, in anderen blieben die Bürger Meister und machten sich frei. So befreite sich zum Beispiel Cöln von seinem Bischof, Mainz jedoch nicht.

Nach und nach erstarkten die Städte zu freien Republiken: in

286

Die FeudalitLt und das Mittelalter.

Italien, ganz besonders dann in den Niederlanden, in Deutschband,

Frankreich. Adel.

Sie treten bald in ein eigenthümliches Verhältniß

zum

Dieser vereinigte sich mit den Corporationen der Städte Md

machte selbst, wie z. B. in Bern, eine Zunft aus.

Bald maßte er

sich in den Corporationen der Städte eine besondere Gewalt an und gelangte zur Herrschaft: die Bürger lehnten sich aber dagegen aus und

erlangten für sich die Regierung.

schlossen nun den Adel aus.

Die reichen Bürger (populus crassus)

Wie dieser aber in Factionen, besonders

in Ghibellinen und Guelfen, wovon jene sich dem Kaiser, diese dem Papste aüschlossen, getheilt war, so zerfielen nun auch wiederum die

Bürger in sich.

Die siegende Faction schloß die unterliegende von der

Regierung aus.

Der patricische Adel, welcher im Gegensatz des Adels

der Dynasten auftrat, entfernte das gemeine Volk von der Leitung des

Staates, und machte es so nicht besser, als der eigentliche Adel.

Die

Geschichte der Städte ist eine beständige Abwechselung von Verfassungen, je nachdem dieser Theil der Bürgerschaft oder jener, diese oder jene Faction

die Oberhand bekam.

Ein Ausschuß von Bürgern wählte

anfänglich die Magistratspersonen, aber da bei diesen Wahlen immer die siegende Faction stets den größten Einfluß hatte, so blieb, um un­ parteiische Beamte zu bekommen, kein anderes Mittel übrig, als daß

man Fremde zu Richtern und Potestaten wählte.

Häufig geschah es

auch, daß die Städte fremde Fürsten zu Oberhäuptern erwählten und

ihnen die Signoria übergaben.

Aber alle diese Einrichtungen waren

nur von kurzer Dauer; die Fürsten mißbrauchten bald ihre Oberherr­

schaft zu ehrgeizigen Plänen und zur Beftiedigung ihrer Leidenschaften

und wurden nach wenigen Jahren ihrer Herrschaft wiederum beraubt. Die Geschichte der Städte bietet so einerseits in der Einzelheit der

fürchterlichsten und schönsten Charaktere erstaunlich viel Interessantes dar,

andererseits hindert die chronikenartige Abfassung dieser Geschichte bis­ weilen die genaue Einficht in ihre Zustände.

Betrachten wir dieses unruhige und veränderliche Treiben tat Innern

der Städte, die fortwährenden Kämpfe der Factionen, so erstaunen wir, wenn wir auf der andern Seite die Industrie, den Handel zu Land und zu Wasser in der höchsten Müthe sehen.

Es ist dasselbe

Princip der Lebendigkeit, das, gerade von dieser innern Erregung ge­

nährt, diese Erscheinung hervorbringt. Wir haben jetzt die Kirche, die ihre Gewalt über alle Wiche aus-

287

Die Feüdalitüt und das Mittelalter.

dehnte, uiti) die Städte, wo rin rechtlicher Zustand zurrst wieder be­

gann,

als

gesehen-

gegen Re Fürsten und Dynasten regierende Mächte

die

Gegen diese beiden sich feststellenden Gewalten erfolgte nun

eine Reaction der Fürsten ; der Kaiser erscheint jetzt im Kampfe gegen

den Papst und die Städte.

Der Kaiser wird vorgestrllt als die Spitze

der christlichen, das heißt der weltlichen Macht, der Papst dagegen als in der geistlichen Macht, die nun aber eben so eine weltliche ge­

worden war.

Es entstanden langwierige Kämpft in Deutschland und

in Italien unter der glänzenden Periode der Hohenstaufen. duen von Barbarossa,

großem Charakter behaupteten den Thron,

in welchem

sich

Indivi­

wie Friedrich

die kaiserliche Macht in ihrer größten

Herrlichkeit darstellte, und welcher durch seine Persönlichkeit auch die

ihm untergebenen Fürsten an sich zu halten wußte.

lichkeit war nur momentan; der Ehrgeiz

Aber diese Herr­

trieb die deutschen Könige

nach Italien, wo sie die Kaiserkrone und die eiserne Krone Jtalien's erringen wollten, aber wo ihre Macht sich zersplitterte und schwand.

So glänzend die Geschichte der Hohenstaufen erscheint, so ist sie im Ganzen doch nur die große Tragödie deS Mittelalters

und enthält

den Kampf der Kaiser gegen den Papst und die republikanische Frei­

heit der Städte, die sich in einer vollkommenen Unbändigkeit der Im­ moralität äußerte. Die Abgeordneten der italienischen Städte beschworen die Schlüsse des

roncalischen Reichstags, aber sie hielten sie nur so lange, als sie dazu gezwungen waren.

Die Verpflichtung hing nur von dem unmittel­

baren Gefühle der Uebermacht ab. Als Kaiser Friedrich I.,

wie man erzählt, die Abgeordneten der

Städte fragte, ob sie die Friedensschlüsse nicht beschworen hätten, da sagten sie: „Ja, aber nicht, daß wir sie halten wollen-"

In fast

allen Kämpfen sind die Kaiser unterlegen; merkwürdig ist es, daß es

ihnen nie einfiel, die Städte gegen die Dynasten zu unterstützen. Im Costnitzer Frieden (1183) mußte Friedrich I. ihnen die Selbst­

ständigkeit so ziemlich einräumen, wenn er auch die Clausel hinzufügte, unbeschadet der Lehnspflichten gegen das deutsche Reich. Von allgemeinem Interesse war lange Zeit hindurch der Investitur­

streit zwischen den Kaisern und den Päpsten gewesen, er wurde am Ende im Jahre 1122 zwischen Heinrich V. und dem Papste KalirtuS lI.

dahin entschieden, daß der Kaiser mit dem Scepter, der Papst aber

288

Die Feudalität und das Mittelalter.

mit Ring und Stab belehnen sollte. Es sollten die Wahlen des Bi­ sthöfe durch die Kapitel in Gegenwart des Kaisers oder kaiserlicher Commissaricn geschehen; alsdann soflte der Kaiser den Bischof als weltlichen Lehnsträger mit den Temporalien belehnen, die geistliche Belehnung aber blieb dem Papste vorbehalten. So wurde dieser langwierige Streit zwischen, den weltlichen und geistlichen Fürsten beigelegt.

XII. Normannen. (Nach Gausried Malaterra von Lanz.)

An der Küste des nördlichen Frankreich's wohnt ein Volk, Nor­ mannen genannt, weil es aus nördlichen Gegenden dahin cingewan-

dert ist.

Diese Normannen sind ein kräftiges Volk, das an Jagd und

Krieg seine Lust hat und, wo eS Noth thut, Hunger und Durst,

Frost und Hitze, jede Anstrengung leicht verträgt: verschlagen, jeder Verstellung kundig, nur nicht der Schmeichelei, nicht geizig, aber auch

nicht freigebig, xhrbegierig und herrschsüchtig, sind sie nicht an den Boden der Heimat gefesselt) zeigt sich anderswo Aussicht zum Gewinn, so verlassen sie ihn leicht. In diesem Lände lebte ein Ritter von angesehenem Geschlecht, Tankred

von Alteville, der hatte von zwei edlen Frauen zwölf Söhne, aber nur ein kleines Besitzthüm. Die Knaben wurden wohl erzogen, be­ sonders, wie cS dort Sitte ist, in der Beredtsamkeit geübt und als

Jünglinge in allen kriegerischen Tugenden ausgebildet. Da sie nun bedachten) wie dereinst durch Theilung des väterlichen Erbgutes einem Jeden, von ihnen ein geringer Antheil zufallen würde, so beschlossen sie, auf Abenteuer auszuziehen und in fremden Ländern ein Besitzthüm

zu gewinnen.

Eö zogen zuerst die drei älteren Brüder aus, Wilhelm,

Humfried und Drogo, und gelangten nach Apulien.

Daselbst hörten

sie, daß^ zwei Fürsten, Pandnlf von Capua und Waimar von Salerno Fehde mit einander hatten und boten dem Ersteren ihre Dienste an. Derselbe nahm sie auf und sie gewannen durch tapfere Thaten auSHistvr. Lesebuch. II. 19

290

Normannen.

gebreiteten Ruhm, aber nur kärglichen Lohn.

Deshalb traten sie über

zu Waimar, der sie mit Ehren und Geschenken überhäufte, und be­

siegten alle seine Feinde. CS waren aber Longobarden in der Gegend, die waren neidisch auf

sie und flößten dem Waimar Argwohn ein wegen ihrer Tapferkeit und Schlauheit, daß er besorgt ward, sie möchten chm selbst die Herr­

schaft entreißen, und wäre ihrer gern wieder los gewesen.

Da nun

Maniaces, ein Feldherr des griechischen Kaisers, ein Heer sammelte,

um gegen die Sarazenen in Sicilien zu kämpfen, so beredete Waimar die lästigen Fremdlinge, in dessen Dienste zu treten.

In Hoffnung

auf größeren Gewinn folgten sie seinem Rathe und kamen dem ManiaceS sehr erwünscht.

Mit ihrer Hulse eroberte er gleich Messina

und drang siegreich bis vor Syrakus.

Arkadius,

der Fürst

dieser

Stadt, rückte ihnen entgegen; aber Wilhelm, der älteste von Tankred's

Söhnen, erlegte ihn mit starkem Arm — und dafür ward ihm der

Beiname Eisenarm — und schlug mit seinen Normannen ein großes Den­

Heer, bevor die Griechen noch auf dem Wahlplatze ankamen.

noch nahmen diese, während jene den Feind verfolgten, alle Beute für sich und gaben den Normannen gar keinen Antheil, ja sie mißhandelten

ihren Abgesandten, Arduin, welcher den gebührenden Theil verlangte, mit Schlägen.

Darüber erzürnt, wollten diese erst mit den Waffen

sich rächen,

doch besannen sie sich und gebrauchten eine List.-

stellten sich

zufrieden,

Schreiber

einen

Paß,

und Arduin daß

sie

erschlich

Sie

sich bei deS ManiaceS

ungehindert nach

Calabrien

kämen.

Darauf machten sie sich insgeheim bei der Nacht davon, setzten nach Calabrien über und verwüsteten da alle Besitzungen der Griechen. Zu Waimar aber, dem sie nicht mehr trauten, mochten sie nicht wie­

der gehen, sondern sie gedachten sich eigenes Land zu erobern.

Da

aber ihrer nur fünfhundert waren, der Griechen aber eine unzählige

Menge, so befestigten sie sich in der Stadt Melfi.

Bald sammellen

sich die Griechen von allen Seiten, sie abzutreiben, und es zogen bei sechszigtaüsend Bewaffnete gegen sie heran.

gesandter kam und sie aufforderte,

Als nun zuerst ein Ab­

das Land zu räumen,

trat ein

Normanne zu dem schönen Pferd, worauf jener ritt, als wolle er es streicheln, und versetzte ihm mit der bloßen Faust einen Schlag" auf den Nacken,

daß es gleich todt zu Boden stürzte, der Grieche aber

vor Schrecken in Ohnmacht fiel.

Darauf, als er wieder zu sich ge­

kommen war, trösteten sie ihn, gaben ihm ein noch schöneres Pferd

291

Nörmarmen. und lteßen ihn wieder heimkehren.

Die Heerffchrer der Griechen aber,

voll Furcht unv Bewunderung, hielten die Sache vor dem Heere ge­ heim.

Den folgenden Morgen erfolgte eine hartnäckige Schlacht, bis

endlich die Griechen wichen und viel Leut« verloren.

Bald ermannten

sie sich wieder und erschienen mit einem noch viel größeren Heere. Die Normannen trafen bei Montepiloso mit ihnen zusammen und kämpften tapfer, indeß Wilhelm am Fieber darniederlag; als sie aber endlich, von der Ucbermacht bewältigt, zu ermatten und zu wanken anfingen, da raffte sich Wilhelm, seiner Schwäche vergessend, vom Lager auf, stürzte sich, das Schwert in der Hand, mit Löwenmuth

unter die Feinde, und indem er durch Mahnung und Beispiel den Muth der Seinigen wieder hob, gewann er die Schlacht.

Bon nun

an verloren die Griechen das Vertrauen zu ihrer Macht und zu ihrem Glück und wagten nicht mehr iin offenem Felde mit den Normannen zu streiten. Bald waren sie auch hinter ihren Mauern nicht mehr sicher, da die Normannen Belagerungszeug fertigen und Städte zu stürmen lernten. So ward Wilhelm Eisenarm,

täglich mächtiger.

als der erste Gras von Apulien,

Als der Rus von seinem Glück und seinen Thaten in

die Helmath gelangte, kamen seine übrigen Brüder, bis auf zwei, mit zahlreichem Gefolge zu ihm und halfen ihm sein Reich erweitern und befestigen. Nach seinem Tode folgte ihm sein Bruder Drogo in der Herrschaft. Die Longobarde» aber, die in Apulien lebten, zettelten im

Stillen eine Verschwörung an, alle Normannen im ganzen Lande an

Einem Tage zu ermorden.

Drogo fiel durch Meuchelmord, als er

eben in eine Kirche trat, und eben so viele der Seinigen durch ganz Apulien. Da sammelte der dritte Bruder, Humftied, die Reste der Entronnenen,

eroberte die Feste, worin seines Bruders Mörder waren, und nahm blutige Rache.

Jetzt riefen die Bewohner Apulien's den Papst Leo IX.

zu Hülfe und übergaben ihr Land ganz seiner Verfügung. Bon Ehrgeiz verführt, kam derselbe mit einer Schaar deutscher Truppen den Langobarden zu Hülfe. Die Normannen kamen ihnen entschlossen entgegen, kämpften tapfer für Reich und Leben und gewannen einen glänzenden Sieg. Der Papst flüchtete in die Stadt Civitate; die Be­ wohner aber, als sie sich vom Feinde bedrängt sahen, trieben ihn weg, und er fiel den Normannen in die Hände. Ehrfürchtig fielen

diese dem Haupte der römischen Kirche zu Füßen und baten um seinen 19*

292 Segen.

Normannen.

Und der Papst gab ihnen alles Land, daö sie bereits be­

saßen, und das sie noch in Calabrien und Sicilien erobern würden zu Lehen für sich und ihre Erben. Dieses geschah im Jahre 1052. Robert Guiscard, der sechste von Tankred's Söhnen, durch Kühn­ heit und Schlauheit vor seinen Brüdern ausgezeichnet, war von Drogo

nach Calabrien geschickt worden, die unruhigen Bewohner zu bezwingen.

Daselbst baute er sich ein Schloß und nannte es nach dem heiligen Da aber die Bewohner der Umgegend alle ihre Habe in

Marcus.

feste Burgen geschafft hatten, so brach Mangel aus, und es berichtete ihm eines Abendö sein Hausmeister, es fehle an Lebensmitteln für

den folgenden Tag und an Geld, solche zu kaufen, auch sei die ganze

Umgegend davon entblößt. Robert hätte ungefähr sechszig Eingeborne um sich, die ihm sehr verpflichtet und deS Landes kundig waren. Diese sagten, sie wüßten über dem Gebirge eine reiche, fruchtbare Ge­ gend, aber der Weg dahin sei steil, und nicht ohne große Gefahr könne man dahin auf Beute gehen.

„Ei, sprach Robert, „wollt Ihr

etwa Hungers sterben? dadurch hat noch Niemand Ruhm erlangt.

Jetzt ist Alles zu wagen, das Leben zu fristen!

In der nächsten

Nacht, da die Calabresen von der heutigen Festfcier trunken und fahr­

lässig sind, ziehet auS; ich werde mit den Soldaten nachfolgen."

Sie

folgten dem Befehl; er aber mischte sich in geringer Kleidung unter sic, ohne daß sie ihn kannten, und ohne Wissen der Seinigen. So zogen sie aus und machten reichliche Beute und beeilten sich sehr auf dem Heimweg. Aber sie wurden eingcholt und es entspann sich ein Kampf. Da gibt sich Robert zu erkennen, um durch sein Ansehen

ihren Muth zu stärken, dringt an ihrer Spitze in die Schaar der Verfolger ein und schlägt sie zurück. Als er darauf mit Siegesbeute beladen seiner Feste sich nähert, halten die Seinigen die Schaar für Feinde, rüsten sich eilig und suchen ihren Anführer; da sie ihn nicht

finden, eilen sie bestürzt dem vermeintlichen Feinde entgegen.

Jetzt

rief Robert mit seiner starken Stimme wiederholt seinen Namen aus;

da erkannten sie ihn mit doppelter Freude, doch tadelten sie seine allzu große Kühnheit.

Von nun an litten sie keinen Mangel mehr, und

die Calabresen wurden häufig von ihm bedrängt. In der benachbarten Stadt Bisniano stand an der Spitze ein Mann

Namens Peter von Turra, ausgezeichnet vor allen Bürgern durch Reichthum, Einsicht und Tugend. Häufig kamen die Nachbaren, und so auch Robert Guiscard, legten ihm Streitfragen zur Entscheidung

293

Normannen.

vor.

Aber Robert sann vielmehr darauf, wie er von seinem Reichthum

Vortheil ziehen, oder durch ihn die Burg der Stadt gewinnen möchte.

Eines TageS, nachdem er Abrede mit den Seinigen genommen, kam er mit diesen aus ein Feld vor der Stadt, wo sie manchmal sich unter­ redeten, und auch Peter kam mit starker Begleitung dahin.

schlug vor, um Streitigkeiten ihrer beiderseitigen Begleitung

Robert zu

ver­

hüten, wollten sie dieselbe ferner von einander lassen, und nur sie zwei

in der Mitte zusammen kommen. zusammen und beredeten sich

Peter war es zufrieden, sie kamen Plötzlich saßt Robert

über Manches.

den Peter, wiewohl, er an Leibesstärke ihm sehr überlegen war, in der

Mitte, hebt ihn empor und schleppt ihn eilig fort, nicht ohne viele Mühe mit ihm ringend.

aber

aus

Furcht

Von beiden Seiten eilten die Begleiter hinzu,

vor den Normannen

wagten die Bisnianer den

Kamps nicht und ließen ihren Peter im Stiche.

Derselbe mußte mit

großen Summen sich loökaufen, die Burg aber konnte er, da die übrigen Bürger widerstrebten, nicht in Robert's Hände bringen. Durch solche schlaue Gewaltthaten setzte Robert ganz Calabrien in Schrecken;

denn Riemcknd Zahl

glaubte sich sicher vor seiner Macht oder List.

und der Muth seiner Anhänger wuchs, und

zahlten ihm

die Rachbarstädte Tribut.

Als

Die

weit und breit

sein Bruder Humfried

starb, ward er an seiner Stelle Graf von Apulien.

XIII. Wie Kreuzzüge. (Hegel.)

Bel allen Gegensätzen und Entzweiungen der Christenheit schim­ mert dennoch

eine

Gemeinsamkeit

durch,

die

weltliche

und

geistige

Macht vereinen sich zu einem gemeinsamen Zweck, nämlich zur Ver­

breitung deS Christenthums und zur Bekämpfung der Feinde desselben; daS Christenthum soll sich durch den weltlichen Arm au8br'eiten und geltend machen.

verfolgte,

sind

Die große geschichtliche Begebenheit,

die

Kreuzzüge.

Hier tritt die

welche

dieses

Christenheit mit

den

Waffen gegen ihre Feinde auf: diese waren theils.Richtchristen, theils wurden als solche auch die sogenannten Ketzer bezeichnet.

Die Kämpfe

waren hauptsächlich gegen die Sarazenen in Spanien und int gelobten

Lande gerichtet, dann aber auch gegen die slavischen Heiden im Osten und Nordosten von Europa, und gegen die Ketzer im südlichen Frank­ reich. Der Hauptkampf aber war gegen die Sarazenen im gelobten

Lande.

Bei der sinnlichen Richtung der Christenheit auf daS Aeußer-

liche, indem jeder fromme Christ nur in dem Besitz vieler Reliquien

sein Glück suchte, war ihm bis jetzt noch das Höchste in dieser Art abgegangen.

Von

Christus

selbst

konnte

es

nicht,

Heiligen, Reliquien geben, denn er war auferstanden.

wie

von

den

Zwar hatte

man Reliquien von seinem Kreuze, die Hauptreliquie blieb aber das

Land, das ihn geboren, das Zeuge seiner Herrlichkeit gewesen, und daS er selbst betreten hatte, so wie das Grab Christi, welches schon immer daS Ziel von so vielen Tausenden von Pilgrimmen gewesen

war.

Christus sagte zu den Jüngern: „Wo Zwei oder Drei versam­

melt sind in meinem Namen, da bin ich unter Euch," und dies ist

wirkliche Gegenwart Christi in der Gemeinde.

Die Kirche aber in

295

Die Kreuzzüge.

damaliger Zeit, die eine durchaus

äußerliche Richtung Halle,

suchte

die Gegenwart Christi auch nur im Aeußerlichen und zwar im ge­ lobten Lande.

Dieses höchste Gut sollte nun für das ganze Christen­

thum errungen werden.

Eine unendliche Menge von Pilgern wallte

schon seit langen Zeiten nach dem heiligen Grabe, um zur Gegenwart dieser heiligen,

begnadigten Orte

zu kommen.

Aber diese Pilgrim-

schaften waren immer noch etwas Vereinzeltes, das Land selbst sollte

zum Eigenthum der Christen werden, und alle wunderthäligen Bilder

von Reliquien verschwanden in den Augen der Christen vor

dieser

Die Klagen der Pilger über Unterdrückung, welche

höchsten Reliquie.

ihnen vmr Seiten

der

Sarazenen widerfuhren, waren zunächst die

äußerliche Veranlassung der großen Vereinigung der Christenheit gegen die Sarazenen: das Abendland zog gegen das Morgenland.

Die­

selbe Erscheinung bietet sich, wie zu seiner Zeit gesagt wurde, zweimal

in der griechischen Geschichte dar. Einmal zogen die vereinigten Griechen gegen Troja, ein anderes Mal unter Alerandcr zur Eroberung des persischen Reiches.

Wie in dem Zuge der Griechen nach Troja, so waren es auch jetzt lauter selbständige Dynasten und Ritter, die gegen Morgen zogen, ohne nach einem gemeinsamen Plane geleitet zu sein.

Die Kreuzzüge

singen sogleich unmittelbar im Abendlande selbst an, viele Tausende

von Juden wurden getödtet und geplündert, und nach diesem fürchter­

lichen Anfänge zog das Christenvolk

aus.

Der Mönch, Peter der

Einsiedler aus AmienS, schritt mit einem ungeheuren Haufen Gesindel

Der Zug

voran.

ging

in

der größten Unordnung durch Ungarn,

überall würde geraubt und geplündert, der Haufen selbst aber schmolz sehr

zusammen,

und

nur Wenige

erreichten Konstantinopel.

Den«

von Vernunftgründen sonnte nicht die Rede sein; die Menge glaubte,

Gott würde sie unmittelbar fiihren und bewahren.

Daß die Begei­

sterung die Völker fast zum Wahnwitz gebracht hatte, zeigt sich am

meisten darin, daß späterhin Schaaren von Kindern ihren Eltern ent­ liefen und

Lande

nach Marseille zogen,

einschiffen

zu

lassen.

um

Wenige

sich dort nach dem gelobten

kamen an,

und die Anderen

würben von den Kaufleuten den Sarazmen als Sklaven verkauft. Endlich haben mit vieler Mühe und ungeheurem Verluste geordnetere

Heere ihren Zweck erreicht: sie sehen sich im Besitz aller berühmten heiligen Otte, Bethlehem's, Gethsemane'S, Golgatha's, ja des hciilige»

GrabeS.

In der ganzen Begebenheit in allen Hanblungeit der Chiristen

296

Die Kreuzzüge.

erschien dieser ungeheure Gon traft, der überhaupt vorhanden war, daß von den größten Ausschweifungen und Gewalthätigkeiten daö Christren-

herr wieder zur höchsten Zerknirschung und Niederwerfung übergimg.

Noch triefend vom Blute der gemordeten Einwohnerschaft Jerusaleim's fielen die Christen am Grabe des Erlösers auf ihr Angesicht und riichteten inbrünstige Gebete an ihn. So kam die Christenheit in den Besitz des höchsten Gutes.

Es

wurde ein Königreich Jerusalem gestiftet und daselbst das ganze Lehms­ system eingcführt, welche Verfassung den Sarazenen gegenüber sicherlich

die schlechteste war, die man finden konnte.

Eiir anderes Kreuzheer

hat im Jahre 1204 Constantinopel erobert und daselbst ein lateinisches Königreich gestiftet. Die Christenheit hatte nun ihr religiöses Bedürfniß befriedigt,

sie

konnte jetzt in der That ungehindert in die Fußtapfen des Heilandes treten. Ganze Schiffsladungen von Erde wurden aus dem gelobten Das Schweißtuch Christi, das Kreuz endlich das Grab Christi wurden die höchsten Reliquien. Aber im Grabe liegt wahrhaftig der eigentliche Punkt der Umkehruilg, im Grabe ist cs, wo alle Eitelkeit deS Sinnlichen untergeht. ES ist am Grabe Christi den Christe» dasselbe geantwortet worden, wie den Jüngern, welche daselbst den Leib desselben suchten: „WaS suchet Ihr den Lebendigen bei den Todten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden."

Lande nach Europa gebracht.

Christi,

Daö Princip Eurer Religion habt Ihr nicht im Sinnlichen, im Grabe

bei den Todten zu suchen, sondern im lebendigen Geist bei Euch selbst. Die ungeheure Idee der Verknüpfung deS Endlichen und Unendlichen haben wir zum Geistlosen machen sehen, daß das Unendliche als dieses in einem ganz vereinzelten äußerlichen Dinge gesucht worden ist. Die

Christenheit hat das leere Grab, nicht aber die Verknüpfung des Weltlichen und Ewigen gefiinden, und daS heilige Land deshalb ver­

loren. Sie ist praktisch enttäuscht worden, und das Resultat, daS sie mitbrachte, war von negativer Art: cs war, daß nämlich für daS Dieses, welches gesucht wurde, nur das subjectwe Bewußtsein und

kein äußerliches Ding daS natürliche Dasein ist, daß daS Dieses, als däS Verknüpfende des Weltlichen und Ewigen, das geistige Fürsich-

scin der Person ist.

So gewinnt die Welt das Bewußtsein, daß der

Mensch daS Dieses, welches göttlicher Art ist, in sich selbst suchen müsse: dadurch wird die Subjektivität absolut berechtigt und hat an

sich selbst die Bestimmung deS Verhältnisses zum Göttlichen.

Dies

297

Die Kreuzzüge.

aber war das absolute Resultat der Kreuzzüge.

Von hier sängt dann

die Zeit des Selbstvertrauens, der Selbstthätigkeit an; das Abendland

hat vom Morgenlande am heiligen Grabe auf ewig Abschied genommen, und sein Princip der subjektiven unendlichen Freiheit erfaßt. Kreuzzüge anderer Art, mehr Eroberungskriege, die aber auch das

Moment religiöser Bestimmung hatten, waren die Kämpfe in Spanien

gegen pie Sarazenen ans der Halbinsel selbst.

Die Christen waren

von den Arabern auf einen Winkel beschränkt worden, wurden aber dadurch mächtig, daß die Sarazenen in Spanien und Afrika in viel­

fachem Kampf begriffen waren und unter sich selbst zerfielen. Spanier,

verbunden mit

fränkischen

Rittern,

Die

unternahmen häufige

Züge gegen die Sarazenen, und bei diesem Zusammentreffeir der Christen

mit dem Ritterthum des Orient's und mit seiner Freiheit und vollkom­

menen Unabhängigkeit der Seele haben auch die Christen diese Frei­

heit angenommen.

Daö schönste Bild von dem Ritterthum des Mittel­

alters giebt Spanien, und der Held desselben ist der Cid.

Im Morgenlande selbst haben die Europäer den Geist freier Ritter­

lichkeit in sich ausgenommen: der Muth, die Tapferkeit, die Großmuth

eines Saladin Mußten ihnen Bewunderung abgewinnen und sie zur edlen Nacheiferung anspornen. Mehrere Kreuzzüge, die nur mit Abscheu erfüllen können, wrirden

auch gegen das südliche Frankreich unternommen.

Es hatte sich da­

selbst eine schöne Bildung entwickelt: durch die Troubadours war eine Freiheit der Sitte, ähnlich der unter den hohenstaufischen Kaisern in

Deutschland, aufgebläht, und nur mit dem Unterschiede, daß jene etwas Affectirtes in sich trug, diese aber innigerer Art war.

Aber wie in Ober-

Jitalien, so hatten im südlichen Frankreich schwärmerische Vorstellungen von Reinigkeit Eingang gefunden; die Päpste ließen daher gegen dieses Land das Kreuz predigen.

Der heilige Dominicuö ging dahin, und

zahlreiche Heere, die auf die fürchterlichste Weise Schuldige und Un­

schuldige beraubten und ermordeten, und das herrliche Land gänzlich

verwüsteten.

,

.

Durch die Kreuzzüge vollendete die Kirche ihre Auctprität: sie hatte die Verrückung des göttlichen Geistes zu Stande' gebracht, das Princip der geistigen Freiheit dazu verkehrend.

In dcn Kreuzzügen stand der

Papst an der ^Spitze der weltlichen Macht: der Kaiser erschien nur,

wie die andern Fürsten,

in untergeordneter Gestalt und mußte dem

Papste, als den« sichtbaren Oberhaupt der llntcrnchniuUg, daö Sprechen

298

Die Kreuzzüge.

und daS Handeln überlassen.

Wir haben schon gesehen, wie die edlen

Hohenstaufen dieser Gewalt entgegengetreten sind, welche, elastisch genug, jeden . Widerstand beseitigte und. von keiner Aussöhnung wissen wollte. Der Untergang der Hohenstaufen ging von innen heraus, vom Geiste

aus; durch diesen Untergang wurde aber der Geist in sich zurückge­ worfen, und hier beginnt zugleich das Abnehmen der päpstlichen Macht. Daß nämlich der hohe Zweck der Befriedigung durch den Genuß der

sinnlichen Gegenwart nicht erreicht wurde, mußte das päpstliche An­ sehen von vorn herein schwächen.

Der Eifer für die heilige Sache

war bei den Fürsten , ermattet; mit unendlichem Schmerz ließen die

Päpste dringende Aufforderungen an sie ergehen, aber sie vermochten Wir sehen nun, daß die Christenheit allmählig von dem fal­

nichts.

schen Wege, ihre Befriedigung zu suchen, zurückkommt und von nun

an eine Richtung auf höhere allgemeine Zwecke, die in sich berechtigt

und die Zwecke des Diesseits, der Gegenwart find, nimmt.

Die Er­

fahrung, daß die Befriedigung nicht am Grabe zu suchen sei, hat den

Geist in sich zurückgetrieben: sie hat ihn dazu angeregt, sich auf das,

was ihm am nächsten liegt, auf seine Thätigkeit, seine Einsicht zu wenden.

Die Bestrebungen, die hierher gehören, sind nunmehr anzu­

geben: sie- sind die Vorbereitungen für den Geist gewesen, den Zweck seiner Freiheit in der höheren Reinheit inib' Berechtigung anszufasscn.

ES

gehören hierher zunächst die

Ritterorden,

eine

welche

Stiftungen von

Auöfichrung

dessen

sein

und

Mönchs-

sollten,

was

die

Kirche bestimmt ausgesprochen hatte: es sollte Ernst gemacht werden

mit dieser Entsagung des Besitzes, des Reichthums, der Genüsse, deS freien Willens,

worden war.

welche

von

der Kirche

als

das Höchste ausgestellt

Die Klöster oder sonstigen Stiftungen, welchen dieses

Gelübde der Entsagung auferlegt war, waren ganz in daS Verderben

der Weltlichkeit versunken.

Jetzt aber suchte der Geist innerhalb deS

Prinripö der Negativität rein an sich 511 verwirklichen, was die Kirche

aufgestellt hatte ;

die

nähere

Veranlassung

dazn

waren

die

vielen

Ketzereien in Südfrankreich und Italien, die eine schwärmerische Rich­

tung hatten, und der umsichgreisende Unglaube, der aber der Kirche mit Recht nicht so gefährlich, alö die Ketzereien zu sein schien.

Gegen

diese Erscheinungen erheben sich nun neue Mönchsorden, hauptsächlich

die Franciscaner, die Bettelmönche, deren Stifter, Franz von Assisi,

Von der ungehenersten Begeisterung und Ertast beseelt, sein Leben im beständigen Ringen

nach

der

höchsten

Reinheit zubrachte.

Dieselbe

299

Die Kreuzzüge.

Richtung gab

er seinem Orden;

die äußerste Verandächtigung,

die

Entsagung aller Genüsse, im Gegensatze gegen die einreißende Welt­

lichkeit der Kirche,

die beständigen Bußübungen,

die größte Armuth

(die Franciscaner lebten von täglichen Allmosen) waren demselben da­

her besonders eigen.

Neben ihm erhob sich fast gleichzeitig der Do­

minicaner-Orden, vom heiligen DominicuS gestiftet; sein Geschäft war besonders das Predigen.

Diese Bettelmönche verbreiteten sich auf eine

ganz unglaubliche Weise über die ganze Christenheit; sie waren einer­ seits das stehende Apostelheer des Papstes, andererseits sind sie gegen

seine Weltlichkeit stark aufgetreten; die Franciscaner waren ein starker Beistand Ludwig'S

des

Baiern gegen

die päpstlichen Anmaßungen,

auch soll von ihnen die Bestimmung ausgegangen sein, daß das allge­

meine Kirchen-Concilium über dem Papste stehe;

später

aber

sind

auch sie in Stumpfheit und Unwissenheit versunken. Eine ähnliche Richtung des Strebens nach der Reinheit des Geistes

Den Mitgliedem derselben wurde

hatten die geistlichen Ritterorden.

dieselbe mönchische Aufopferung auferlegt, die Entbehrung alles Welt­

lichen.

Zugleich aber unternahmen sie den Schutz

der Pilgrimme:

ihre Pflicht war demnach auch vor Allem ritterliche Tapferkeit; end­

lich waren sie auch zur Versorgung und Verpflegung der Armen und Kranken verpflichtet.

Die Ritterorden theilten sich in diese drei: in

den Johanniterorden, Tempelorden und deutschen Orden.

Die Asso­

ciationen unterscheiden sich wesentlich von dem selbstsüchtigen Princip Mit fast selbstmörderischer Tapferkeit opferten sich

des Feudalwcsenö.

die Ritter für das Gemeinsame auf.

So treten diese Orden aus dem

Kreise der Vorhandenen aus und waren ein Netz der Verbrüderung

über ganz Europa.

Aber auch diese Ritter sind zu den gewöhnlichen

Interessen herabgesunken und wurden in späterer Zeit mehr eine Ver­ sorgungsanstalt für den Adel überhaupt. sogar Schuld, daß er sich

Dem Tcmpelorden gab man

eine eigene Religion gebildet und angeregt

von dem orientalischen Geiste in

seiner Glaubenslehre Christus

ge-

läugnet habe. Eine weitere Richtung ist nun aber die auf die Wissenschaft.

Die

nahm

ihren

Ausbildnng Anfang.

des

Denkens, deö

abstracten

Allgemeinen

Schon jene Verbrüderungen zu einem gemeinsamen Zwecke,

dem die Glieder untergeordnet sind, weisen darauf hin, daß ein Allge­ meines zu gelten anfing, welches allmählig eben zum Gefühle seiner

Kraft gelangte.

ES wendete sich das Denken zuerst an die Theologie,

300

Die Kreuzzüge.

Welche nunmehr Philosophie unter den Namen der scholastischen Theo­ logie wurde.

Denn die Philosophie und Theologie haben das Gött­

liche zum gemeinsamen Gegenstand, und wenn die Theologie der Kirche

ein festgesetztes Dogma ist, so ist nun die Bewegung entstanden, diesen Inhalt für den Gedanken zu rechtfertigen. Der berühmte Scholastiker Anselmuö sagt: „Wenn man zum Glauben

gekommen ist, so ist es eine Nachlässigkeit, sich nicht auch durch das

Denken vom Inhalt deö Glaubens

zu

überzeugen."

DaS Denken

war aber auf diese Weise nicht frei, denn der Inhalt war ein ge­ gebener: diesen Inhalt zu beweisen, war die Richtung der Philosophie.

Aber das Denken führte auf eine Menge Bestimmungen, die nicht un­

mittelbar im Dogma ausgebildet waren,

und

in sofern die Kirche

Nichts darüber festgesetzt hatte, war cS erlaubt, darüber zu streiten. Wie Europa

allgemein daS Schauspiel

von Ritterkämpfen,

Fehden

und Turnieren darbot, so war es jetzt auch der Schauplatz des Tur-

Es ist nänilich unglaublich, wie weit die ab-

nirens der Gedanken.

stracten Formen dcS Denkens anSgesührt worden sind, und wie groß die Fertigkeit der Individuen war, sich darin zu bewege». Die Philosophie hieß eine ancilla fidei, denn sie war dem festen

Inhalt unterworfen; aber auch der Gegensatz deö Denkens uud Glau­ bens mußte sich austhun. Wir sehen in dieser Zeit nach den Kreuzzügen auch schon Anfänge der Kunst, der Malerei; schon während derselben hatte sich, eine eigenchümliche Poesie hervorgebracht.

Der Geist, da er keine Befriedigung

finden konnte, erzeugte sich durch die Phantasie schönere Gebilde und in einer ruhigere» freieren Weise, als sie die Wirklichkeit darbot.

1.

Mete* btt Einsiedler. (1095.) (Nach Wilhelm von Tyrus von Lanz.)

Jahrhunderte

lang

pflegten

christliche Pilger ungestört nach: dem

heiligen Lande zu wallfahrten, um an der geweihten Stätte, wo der Heiland gelehrt und gelitten hatte, innigere Andacht zu üben.

Seit­

dem der Islam in jenen Gegenden herrschte, hatten die Araber solche

Wallfahrten nicht gehindert, mitunter begünstigt.

Als aber die srld-

schuckischcn Türken daselbst die Herrschst gewannen, wurden die . from­

men Leute, welche gerade dazumal häufiger und zahlreicher gen Jeru­

salem zogen, stets ärger bedrückt: cs ward ihnen ein schwerer ZinS

301

Peter der Einsiedler.

abgefordert, die Heiligthümer wurden entweiht und fromme Andacht verhöhnt, die Priester mißhandelt, selbst der Patriarch ward an den

Haaren vom Altar weggeschleift. Wie nun das christliche Volk unter so schmählicher Entwürdigung seufzte, da erbarmte sich Gott des Elends und erweckte die Christen des Abendlandes, daß sie heranzogen, Er­

lösung von dem Joche der Ungläubigen zu bringen. Es geschah aber zu selbiger Zeit, daß unter anderen frommen Pil­ gern ein Priester aus Amiens in Frankreich nach Jerusalem kam, mit Namen Petrus, genannt der Einsiedler. Derselbe war von Gestalt klein Und unansehnlich; aber ein lebhafter Geist sprach aus dem durch­

dringenden Auge und dem beredte» Mund.

Er ging, nachdem er

Zins gezahlt, in die heilige Stadt, hörte von dem Leiden der Christen, und sah ihre Schmach. Da trat er zu dem Patriarchen Simeon, um

zu berathen, wie ein Weg des Heils zu finde» sei. Als er nun mit Thränen des Mitleids zu ihm klagte, erwiderte Jener: Petrus, Du siehest selbst, wie schwach unser Volk ist, daß eö solcher Unbill nicht wehren kann. Bei den Griechen, die Uns die nächsten sind zur Hülfe und zum Trost,'würde unsere Hoffnung zu Schanden werden, obwohl

sie Schätze genug haben; denn sie ermangeln der Kraft und vermögen kaum sich selbst zu schützen, also daß sie schon die Hälfte ihres Reiches

verloren haben. Aber wenn Euer Volk, welches durch Gottes Gnade noch in frischer Kraft ist und unsern Feinden furchtbar, sich brüderlich unser erbarmen wollte, dann hätten wir Schutz und Hülfe genug, und wir könnten hoffen, daß unser Elend- bald endeir würde." Petrus antwortete: „Gewiß, heiliger Vater, werden die Christen des Abend­ landes zu Eurer Hülfe bereit sein, wenn sie von Eurer Lage zuver­ lässige Kunde werden haben.

Darum gieb mir eigenhändige Schreiben,

mit Deinem. Siegel bekräftigt, an den Papst und die römische Kirche, und an die Könige und Fürsten des Abendlandes. Dann will ich

mich aufmachen und in alle Lande ziehen, um mit Gottes Beistand alle Völker aufzuregen, daß sie heranziehen, Eurer Noth abznhelfen." Solches gefiel dem Patriarchen wohl, und er dankte ihm und gab

ihm die Schreiben, so er verlangte.

Bald hernach ging Petrus voll schwerer Gedanken über die Größe des Unternehmens in die Auferstehungskirche, den Beistand Gottes anzuflehen. Als er daselbst die Nacht zubrachte und von Wachen, und Beten ermüdet am Fußboden eingeschlafen wär, siehe, da erschien

ihm im Traume unser Herr Christus und sprach: „Stehe auf, Petrus,

302

DK Kreuzzüge.

eile und vollziehe, was Dir aufgetragen ist, ohne Zagen! Ich werde mit Dir sein; denn es ist Zeit, daß das Heiligthum gereinigt und meinen Dienern geholfen werde." 'Wunderbar gestärkt erwacht« Petrus, bestieg ungesäumt ein Schiff, das nach Apulien fuhr, und zu Bart gelandet, eilte er sofort nach Rom, überreichte dem Papste Urbanüs fein. Schreiben und schilderte mit beweglicher Rede die Lage der Christen

zu Jerusalem.

seinen Beistand.

Der heilige Vater nahm ihn gütig ans und versprach

Petrus aber, fort und fort rastlos, durchwandert

Italien und die Länder jenseits der Alpen zu allen Fürsten, und bittet,

mahnt, treibt voll heiliger Begeisterung, predigt zum Volk aller Orten,

dem heiligen Auftrag getreu.

Und Gott segnete sein Bemühen, also

daß der htilige Vater alle Gemüther vorbereitet und die Herzen geöffnet

fand, als er die Bischöfe und Aebte der abendländischen Christenheit zu einer Versammlung gen Clermont in Auvergne berief. Hier, wo im November des Jahres 1095 viel Geistliche und Fürsten

und eine unzählige Menge Volkes aus den Ländern nordwärts der Alpen sich zusammen fanden, erhob sich Urbanus und sprach: „Ihr

wisset, geliebteste Brüder, wie in dem Lande der Verheißung unser Erlöser erschienen ist, wie er dort gelehrt, gewirkt, das Volk erleuchtet, hat. Dieses äuserwählte Land, das Erbtheil des Herrn, ist durch die Sündhaftigkeit der Bewohner in die Hände der Ungläubigen ge­

fallen, damit es gezüchtigt, nicht aber, daß es gänzlich verworfen werde. Diese Wiege unsers Heils, die Mutter des Glaubens wird von den Heiden in arger Knechtschaft gehalten. Schon seit Jahrhun­ derten lastet daraus das Joch des gottlosen Sarazenenvolkes. Hunde sind - eingebrochen in das Allerheiligste, das Volk Gottes ist ernie­

driget und duldet Unwürdiges, das königliche Priesterthum dienet in Koth, die Fürstin der Landschaften, die Stadt Gottes, zahlet Zins. Der Tempel, aus welchem der Herr die Käufer und Verkäufer aus­

trieb, ist eine Wohnung des Teufels geworden.

Die Kirche der Auf­

erstehung, die Ruhestätte deS Heilands muß den Frevel derer dulden, welche keinen Theil haben an dem ewigen Leben, sondern bestimmt sind dem höllischen Feuer. Die geweihten Stätten sind Viehställe ge­ worden, die Kinder der Frommen werden von ihren Eltern gerissen und müssen entweder Gott lästern oder im Glauben beharrlich dm

Märtyrertod sterben.

Die Gottlosen achten weder Ort noch Stand;

im Heiligthum werden Priester gemordet, Frauen und Jungsrauen ent­

ehrt und gemartert.

Wehe! die Zeiten sind erschienen, davon König

303

Peter der Einsiedler.

David geweissaget hat: „Die Heiden sind in Dein heiliges Erbtheil

eingefallen und haben Deinen Tempel besudelt, Dein Volk geschändet.

Gott! wirst Du denn ewig zürnen? enden nach seiner Barmherzigkeit."

Nein der Herr wird die Leiden Aber wehr uns, daß wir stille

sitzen und ruhig zuschauen den Missethaten und der Schmach der Stadt Gottes!

Darum aus, meine Geliebtesten, waffnet Euch !

Ein Jeg­

licher uniQÜrte seine Lenden mit beitt Schwerte, zu helfen unfern Brü­

dern; denn besser ist sterben im Kampfe für unser Volk, als länger

den Gräuel dulden! schließe sich an uns!

von unS werfen! sein!

Wer den Eifer des Herrn in sich fühlet, der Lasset unS die Ketten brechen und das Joch

Lasset uns ausziehen, und der Herr wird mit uns

Wendet die Waffen, die ihr sündhaft gegen einander gekehrt

haltet, wider die Feinde des Glaubens, und als wahrhaft christliche Ritter sühnet durch solche Thaten den Zorn Gottes, welchen Ihr durch

Raub, Mord und Feindschaft auf Euch geladen habt!

Im Namen

des barmherzigen GotteS und der Apostel Petrus und PauluS ver­

kündigen wir Allen, so die Waffen wider die Ungläubigen ergreifen, vollkommenen Ablaß ihrer Sünden, und denen, so im heiligen Streite

fallen werden, verheißen wir den Lohn des ewigen Lebens^, nehmen auch jeglichen Streiter des Herrn als wahrhaften Sohn der Kirche

unter unfern besondern Schutz, also dass bei Strafe des Bannes Nie­

mand an Leib oder Gnt ihn kränken darf."

Unbeschreiblich war die Wirkung dieser Worte auf die versammelte Menge.

Als hätte der Herr selber geredet, so war Alles von Begei­

sterung und heiligem Eifer erfüllt.

von Puy,

Und zuerst trat Ademar, Bischof

vor den heiligen Vater, kniete nieder und bad um das

Zeichen des Kreuzes, das ihm auf die Schulter geheftet ward; ihm

folgte der Bischof Wilhelm von Orange, dann die Menge der Uebrigen. Als hernach die Anwesenden heimkehrten und des Papstes Worte ver­

breiteten, und die Bischöfe den Gottesfrieden und des Papstes Ver­ heißung

Volke.

verkündeten;

da

entstand

allgemeine Bewegung

in

allem

Es schieden Gatten von Gatten, Eltern von Kindern, und

kein Band der Liebe fesselte stärker, um die Begeisterung zu hemmen;

Mönche verließen die Klöster, Büßer ihre einsamen Zellen; kein Stand, Geschlecht oder Alter wollte ausgeschlossen sein von der Theilnahme

an dem großen Beginnen.

304 «.

Die Kreuzzüge.

Einnahme und Vertheidigung Antiochiens. (1098.) (Nach Wilhelm von TyruS.)

Nachdem die zücht- und wehrlosen Haufen, welche unter Peter von

Amiens und Walther HabenichtS voranzogen, von den Ungarn, Bul­

garen und Scldschucken waren aufgerieben worden, kamen die Kreuz­ fahrer, welche auf verschiedenen Wegen durch Deutschland, Oberitalien und zur See von Apulien auögezogen waren, in Kleinasien zusammen, bei sechshunderttausend Menschen, darunter über einhunderttausend ge­ harnischte Reiter und dreihunderttausend Mann erlesenes Fußvolk. Hier

hatten sie harte Kämpfe mit den Seldschucken zu bestehen; Mangel, Noth und Feindesschwert raffte noch etwa die Hälfte derselben weg, ehe sie im October des JahreS 1097 vor den Mauern von Antiochien anlangtxn.

Diese Stadt, einst die erste Stadt des Morgenlandes,

lag am Vorsprung eines Gebirges, dicht am Orontes, welcher etwa zwei Meilen von da ins mittelländische Meer sich ergießt. Dreißig bis vierzigtausend Schritte lang und vier- bis sechstansend breit, war sie dnrch dreißig Ellen hohe Mauern, die aus Quadern erbaut und mit vierhundertundfünfzig Thürmen besetzt waren, so wie durch eine Burg auf dem südlich anstoßenden Berge geschützt, und verheidigt durch eine Bevölkerung von zweihunderttausend Menschen unter dem türkischen Emir Bagi Sejan. Mit Vorräthen aller Art reichlich versehen, durch

Quellen aus dem Gebirg hinlänglich mit Wasser versorgt, konnte sie auch dem stärksten Feinde Trotz bieten. Das christliche Heer, noch dreihunderttausend Streiter stark, beganir ungesäumt die Belagerung, aber nur von zwei Seiten konnte die Stadt eingeschlossen werden, denn im Süden hinderte das Gebirge, im Westen der Fluß die Annäherung.

So lagerten sie denn im Osten und Nor­

den; die Italiener geführt von Boemund, Fürsten von Tarent, und

seinem Neffen Tankred; die Franzosen, Normänner, Bretagner unter

Hugo, Grafen von Vermandois, des französischen Königs Bruder, dem Grafen Robert von Flandern, dem Herzog Robert von der Nor­

mandie; dann die Gascogner, Provencalen und Burgunder unter dem Grafen Raimund von Toulouse und dem Bischof Ademar von Puy, der des Papstes Stellvertreter war; der Herzog von Lothringen end­ lich, Gottfried von Bouillon, mit seinen Brüdern Balduin und Eustach

lagerte an der Spitze der Lothringer, Friesen, Schwaben, Sachsen, Franken und Baiern.

305

Einnahme und Vertheidigung Antiochien's.

' Reun Monate lagerten die Christen vergeblich vor der Stadt und kämpften in häufigen Gefechten mit dem Feind, welcher durch Aüs-

fälle und Hinterhalte sie stets beunruhigte; herrliche Thaten geschahen, aber auch der drückendste Hunger, Seuchen und jegliche Noth schwächten

Muth und Kräfte.

Als es endlich gelang, auch die übrigen Thore

durch Verschanzungen zu sperren, und sich zunehmender Mangel in der

Stadt einstellte, da nahete der Fürst von Mosul, Korboga, mit einem Heere von drcihunderttausend Streitern zum Entsatz.

richt fiel Bestürzung über das Lager der Christen.

Auf diese Nach­

Die Fürsten kaincn

zusammen und hielten Rath, und es riechen einige, mit gesammter Macht dem anziehenden Heere entgegenzurücken, andere aber, das Heer zu theilen und mit dem einen Theile die Schlacht zu wagen, mit dem

anderen das Lager zu vertheidigen.

Da rief Boemund die Fürsten

bei Seite und sprach: „Liebe Brüder, Ihr seid, wie ich sehe, sehr in

Sorgen wegen des nahen Feindes und rathschlaget hin und her, und dennoch verfehlet Ihr das Richtige.

Denn wenn wir alle mit ein­

ander ausrücken, so überfallen die Antiochier unser Lager und zerstören unsere Werke und

vereinigen

sich

am Ende noch mit den Feinden

Lassen wir aber einen Theil des Heeres im Lager zurück, so

außen.

wird es um Nichts besser kommen.

Haben wir ja bis jetzt alle zu­

sammen unsere Nolh gehabt gegen die Ausfälle aus der Stadt, wie

wird der geschwächte Theil sie zurückzuschlagen vermögen, falls auch

der andere siegen sollte?

Deshalb müssen wir Alles aufbieten, daß

die Stadt vor der Ankunft des Feindes in unsere Gewalt komme;

und dafiir weiß ich

welcher, klug.

Rath.

Ich habe in der Stadt einen Freund,

so viel menschliches Urtheil zu sagen vermag,

treu ist und

Derselbe will mir einen Thurm, den er zu bewachen hat, über­

geben, doch nur unter der doppelten Bedingung, erstlich, daß ihm eine große Belohnung dafür zu Theil werde, und dann, daß die Stadt,

mir und meinen Erben auf ewig zu eigen verbleibe.

Wollet Ihr nun

diese Bedingungen eingehen, so wird bald die Stadt in unseren Hän­

den sein.

Wo nicht, so schaffe Einer Rettung auf anderem Wege,

und ich bin es gern zufrieden, daß ihm die Stadt auf ewig zu Theil werde."

Längst stand nämlich Boemund mit einem Armenier in der

Stadt,, mit Namen Pprrhus, in geheimer Verbindung, und derselbe

hatte ihm versprochen, unter den genannten Bedingungen einen Thurm der Stadtmauer zu verrathen.

Er hatte schon mehrmals geheim bei

den Fürsten darauf angetragen, Demjenigen die Stadt zu übergeben, Histor. Lesebuch. II.

20

306

Die Kreuzzüge.

durch dessen Tapferkeit und Geschicklichkeit sie gewonnen würde;

aber

einige derselben widersprachen hartnäckig, und so war die Ausführung verschoben worden.

Nunmehr, da die Noth drängte,

willigten

mit Freuden ein, den Grafen Raimund ausgenommen.

alle

Doch dessen

Einsprache wurde nicht weiter beachtet. .AlSbald benachrichtigt Boemund den Pyrrhus von dem Erfolg seiner Bemühung, und gleich die nächste Nacht wird zur Ausführung be­

stimmt.

ES wird verabredet, daß um die neunte Stunde des Tages

die Fürsten mit ihren Schaaren das Lager verließen,

mit Einbruch

der Nacht aber sollten sie im Stillen umkehren, und die Vertrauten sich auf der bezeichneten Stelle an dem Thurme einfinden.

Inzwischen

hatte sich in der Stadt ein Gerücht wegen Verraths verbreitet, und

zumeist war Pyrrhus im Verdacht.

Er war vor Bagi Sejan und

die versammelten Häupter der Stadt beschieden und befragt. sich gut zu

der Schlaukopf wußte

verstellen,

und

Allein

zuletzt sprach

ganz keck: „Ihr scheinet nicht ohne Grund so besorgt zu sein.

er

Doch

giebt es ein Mittel, und das ist ziemlich leicht, Euch zu beruhigen.

Ein Verrath könnte werden,

nur von einem derjenigen Männer

ausgeführt

welchen die Obhut der Thürme und die Wache der Thore

anvertrant ist.

Deshalb lasset diese recht oft ihre Posten wechseln,

dann seid Ihr sicher; denn so Etwas spinnet sich nur allmählig an, und dazu hat dann Niemand die Zeit."

Durch diese Worte flößte er

Man beschloß, seinen Rath zu befolgen, aber

Allen Zutrauen ein.

erst in der nachfolgenden Nacht, denn für die nächste war eS bereits

zu spät.

Und für diese war die Abrede schon getroffen.

Derselben

gemäß hielt sich Boemund um Mitternacht, wie Alles in tiefem Schlafe

lag, mit seinen Vertrauten bereit.

Und zuerst schickte er einen treuen

Diener ab, um zu forschen, ob der Zeitpunkt geeignet sei.

Derselbe

sah Fackelschein oben und hörte die leisen Worte: „Halte Dich ganz still, bis die nahende Rundwache vorüber ist! lobte des Pyrrhus hinab,

Sorgfalt,

„die Deinen

zu

ging weiter.

holen!"

Schnell waren

Pyrrhus ließ ein Seil hinab, daran ward gezogen und befestigt.

Die Wache erschien,

„Jetzt eile," rief dieser

Aber Niemand

diese

zur Stelle.

eine Strickleiter hinauf­

wagte

dieselbe zu

weil Jeder fürchtete, der Verrath möge ihnen gelten.

besteigen,

Da trat Boe­

mund hinzu und stieg unverzagt zuerst hinan, aber Niemand folgte. Oben angelangt, faßte ihn Pyrrhus bei der Hand, führte ihn in ein

Gemach und zeigte auf den Bruder, den er, weil er ihm nicht hin-

3Ü7

Einnahme und Vertheidigung Antiochien's.

länglich traute, eigenhändig gemordet hatte.

Vormund lobte seine Zu­

verlässigkeit, ging wieder zur Mauer und rief wiederholt die zögernden Aber immer trauten diese noch nicht, bis Vormund selbst

Genossen.

wieder Hinabstieg und ihnen zeigte, daß keine Gefahr vorhanden sei. 9hm folgten sie um die Wette, besetzten diesen und einige benachbarte Thürme, hieben die Wachen nieder, erbrachen eine kleine Pforte, die

in der Nähe sich befand, und durch diese drangen die Uebrigen ein. Jetzt warfen sie sich vereint auf das Brückthor, dem ganzen Heere

Bei Tages Anbruch zog dasselbe mit Hörner­

hier den Weg zu öffnen.

und Trompetenschall ein;

die

aufgeschreckten Bewohner sahen Boe-

mund's Fahne von einem Thurme herabwehen; Keiner versuchte mehr Widerstand,

Jeder

suchte

sich zu

retten,

zu

Aber

verbergen.

jetzt

griffen auch die syrischen und armenischen Christen in der Stadt zu

den Waffen,

sich

wegen

der

harten Bedrückung,

worin

sie

bisher

schmachteten, zu rächen, führten die Sieger in Verstecke, zeigten ihnen

die Häuser der Reichen und die Stätten, wo die kostbarste Beute zu Die Plünderung ward allgemein: überall Mord, Raub,

hoffen war.

Jammer und Geschrei, keine Schonung, kein Mitleid; über zehntausend Menschen

sollen an dem Einen Tage umgekommen sein.

Der alte

Vagi Sejan, als er Alles verloren sah, floh ohne Begleiter auf ein­ samen Pfaden.

Da begegnete ihm ein Haufen Armenier, welche ihn

erkannten; und da sie das Schicksal der Stadt daraus ahnten, er­

schlugen sie ihn und brachten seinen Kopf den Fürsten in der Stadt.

In derselben sanden die Eroberer gar keine Lebensmittel mehr und kaum noch

fünfhundert ausgehungerte Pferde,

an Kostbarkeiten aber

unermeßliche Beute. Schon am dritten Tage erschien Korboga und lagerte mit seinen zahllosen Schaaren rings um die ganze Stadt.

Die Lage der Christen

war sehr mißlich, denn sie waren von Lebensmitteln entblößt und gegen

die Burg, die noch im Besitz deS Feindes war, nur nothdürftig durch

Verschanzungen geschützt.

Kaum vermochten sie die wiederholten Aus­

fälle von da abzuschlagen und die Besatzung auS einer Burg vor dem östlichen Thore und einer Schanze vor dem Brückthore, welche Robert

von Flandern

retten.

einen Tag lang tapfer vertheidigte, in die Stadt zu

Als nun der Mangel überhand nahm, da verloren Viele den

Muth, und entwichen, indem sie sich an Stricken die Mauer hinab­ ließen und

eilten

nach

Alerandrette in Cilicien.

Und

dies

waren

nicht blos Leute von geringem Stande; selbst Boemund's Schwager, 20*

308

Die Kreuzzüge.

Wilhelm von Granidmenil, und dessen Bruder Alberich und andere an­ gesehene Mämncr gehörten zu diesen Strickläufern, wie man sie spott-

weisie nannte.

Andere gar gingen über zu den Türken und schweren

ihrem Glauben ab.

Mit unablässiger Sorge war Boemund bemüht,

dem Uebel zu, steuern, und es ward ihm auf des Bischofs Abemar

Antrag der unbeschränkte Oberbefehl übertragen.

Jetzt schwuren ihm

Alle unbedingten Gehorsam, bis die Stadt gerettet sei, aber der Mangel

wurde dadurch nicht vermindert.

Alle Versuche, einigen Verkehr

mit

der Küste zu unterhalten, wurden durch die Wachsamkeit der Feinde vereitelt, die Schiffe, welche Lebensmittel dahin führten, verbrannt oder

verscheucht.

Alles Esibare ward aufgczehrt; Kameele, Pferde, Esel,

Ratten und Mäuse galten als Leckerbissen; Grafen und Ritter schäm­ ten sich nicht, vom Tische des Herzogs sich speisen zu lassen,

und

Mancher, der sonst reich und freigebig Andere nährte, wußte kaum

des

Hungertodes

sich zu erwehren,

der Jammer

des

Volkes

aber

überstieg alle Gränzen.

Während man so, von Hunger entkräftet und nur darauf bedacht

das Leben zu fristen, l>ic nöthige Sorge der Vertheidigung versäumte, benutzten die Feinde den Mangel an Wachsamkeit, und schon hatten ihrer Dreißig einen unbewachten Thurm erstiegen, als noch zur rechten

Zeit die nächste Wache Lärm machte.

Entschlossen eilte zuerst Heinrich

von Ascha nebst zwei tapferen Gefährten entgegen und widerstand so

lange, bis Mehrere zn Hülfe kamen und die Feinde zum Theil nieder­ hieben, die anderen hinabftürzten.

Bereits war der griechische Kaiser Aleriuö mit einem großen Heere

zum Entsätze im Anzuge.

Da trat zu ihm Graf Stephan von Blois

nebst einer Anzahl Entwichener, und um ihre Schande zu beschönigen, schilderten sie die Macht des Feindes, wie das Elend des Volkes mit übertriebenen Farben, so daß der Kaiser eiligst umkehrte, in Furcht,

er könne es doch nicht mit Korboga aufnehmen und nicht zeitig genug

zur Rettung der Stadt anlangen.

Als die Kunde davon nach An­

tiochien gelangte, ward die Niedergeschlagenheit und Muthlosigkcit allge­ mein.

Es ging das Gerücht, die Fürsten wollten insgesammt heimlich

entfliehen.

Die Menge ergriff dumpfe Verzweiflung ; in Schlupfwinkel

verkrochen, wollte Niemand mehr den Wachendienst versehen, die Posten

besetzen; keine Mahnung, keine Gewalt half.

Da ließ zuletzt Boe­

mund die Wohnungen der Widerspenstigen in Brand stecken, daß sie

auffgeschreckt nicht mehr dem öffentlichen Dienste sich entzogen.

309

Einnahme und Vertheidigung Antiochien's.

In dieser argen Bedrängriiß trat ein Geistlicher aus der Provence, mit Namen Petrus, zu dem Bischof von Puy und dem Grafen von

Toulouse, und erzählte, der heilige Andreas sek ihm im Traume er­ schienen und habe ihm angezeigt, an welcher Stelle in der Kirche des heiligen Petrus die Lanze vergraben liege, womit unsers Herrn Christus

Seite sei durchstochen worden; und derselbe habe ihn anfgefordert, er

solle zu den Fürsten gehen und ihnen die Stätte zeigen, daß sie selbige Lanze herausgrüben,

sein.

denn sie werde ein sicheres Pfand des Sieges

Die Herren glaubten den Worten deö Manneö, die er vor den

übrigen Fürsten wiederholte.

Man begab sich in stiller Nacht an den

bezeichneten Ort und fand tief im Boden vergraben die Lanze, gerade

so wie Jener eS angesagt hatte.

Als das Volk dieses horte, ward

es, als durch einen Trost vom Himmel, wunderbar aufgerichtet; voll

Vertrauen auf den Beistand deS Höchsten forderten Alle, gegen den Feind geführt zu werden; alle Fürsten traten zusammen rind gelobten

mit feierlichem Eide, nicht eher sich zu trennen, bis sie nicht allein die Stadt vom Feinde befreit, sondern Jerusalem und das heilige Grab

den Händen der Ungläubigen entrissen hätten. Zunächst hierauf sendeten sie Petrus den Einsiedler als Gesandten an Korboga.

Derselbe trat zuversichtlich vor ihn und sprach: „Mich

senden die versammelten Fürsten in Antiochien

und lassen Dir ent­

bieten, daß Du alsbald abläffest, von aller Befeindung der ihnen zu­

gehörigen Stadt, oder daß Du am dritten Tage von heute an mit

ihnen streitest.

Dann lassen sie Dir die Wahl, ob Du im Zweikampf

mit einem der Fürsten entscheiden willst, oder ob eine Anzahl erwählter Krieger oder das ganze Heer gegen einander kämpfe."

Korboga er­

wiederte : „Mir scheint es gar nicht, als ob die Lage der Deinigen von der Art sei, daß sie mir konnten eine Wahl vorlegen; denn mein

Schwert hat sie bereits dahin gebracht, daß sie selber keine Wahl mehr haben.

Darum gehe uüd sage den Unverschämten, welche Dich ge­

sandt haben, daß ich Alle, die noch rüstigen Alters sind, am Leben

verschonen und meinem Herrn als Knechte zusenden, die Anderen alle aber,

als

wie unnütze Bäume,

niederhauen

und vertilgen werde."

Als Petrus dieses dem Volke berichtete, wurden alle nur noch heftiger zu streiten entbrannt, und gleich der folgende Tag zut Schlacht be­ stimmt.

Wetteifernd ward die Nacht durch gerüstet, und noch vod

Sonnenaufgang fand sich ein Jeder bei seiner Fahne ein.

Darauf

ward rin feierliches Hochamt gehalten, Jeder beichtete und empfing daS

310

Die Kreuzzüge.

heilige Abendmahl, und der Bischof ertheilte den Segen.

von

Dann,

heiliger Begeisterung erfüllt und des Sieges gewiß, zogen sie mmthig

aus, die Priester im Festgewande voran, Kreuze in den Händen, zum Tode für die heilige Sache befeuernd.

An dem Brückthore ordmeten

sie sich in Schaaren, deren vordersten waren geführt vom Grafen Hugo von Vermandois und den beiden Grafen Robert, in der Mitte

sah

man den Herzog Gottfried nebst Tancred, den letzten und stärrksten Haufen führte Boemund, um überall in der Noth Hülse und U-nterstützung zu gewähren.

Graf Raimund, der krank war, blieb im der

Stadt zurück an der Spitze derer, welche Ausfälle aus der Burgj ab­ wehren sollten.

Als von da herab der Feind die Schaaren sich ordnen

sah, gab er das verabredete Zeichen, Korboga aber schickte, die Ge­

fahr verachtend, nur zweitausend Reiter nach dem Brückthore, welche

abfaßen, brach

die Brücke

vor demselben besser zu

Schaar hervor, wie

Hugo's

Ein

Gegen

besetzen.

Mann

in

diese

festgeschlosisenen

Gliedern, mit unwiderstehlichem Ungestüm, daß sich die Reihen der Jetzt sprang Anselm von Riburgsberg, der im vorder­

Feinde lösten.

sten Gliede stritt, mitten unter dieselben in den dichtesten Haufen und

hieb nach allen Seiten tim sich; ihm nach Hugo und beide Robert

und die anderen Edeln, und zersprengten die Feinde und verfolgten sie bis in ihr Lager.

in die Feinde

Es geschah aber, als eben die Schaar der Christen

eindrang, da fiel ein erquickender Thau,

der stärkte

wunderbar die Glieder nicht allein der Menschen, sondern auch der

Pferde, also daß das Heer, sicherer des göttlichen Beistandes,

mit

größerer Ausdauer die Hitze des heißen Tages bestand.

Langsam,

in festgeschlossenen Reihen,

rückte

nun

das

gesammte

christliche Heer links nach dem Gebirge zu und dehnte sich auf der

ganzen Fläche zwischen jenem und der Stadt aus, damit es umgangen und abgeschnitten würde.

nicht

Mittlerweile hatte auch Korboga,

der nun die Sache ernstlicher nahm, sein gesammtes Heer geordnet und rückte entgegen, nachdem er einen Haufen erlesener Krieger unter

Soliman

seitwärts geschickt hatte, um im

günstigen Zeitpunkt dem

Feind in den Rücken oder in die Seite zu fallen.

Als sich die beiden

Heere nahe waren, eröffneten die drei ersten Reihen der Christen den Kampf und stritten mit äußerster Tapferkeit; ihnen folgten nach und

nach die übrigen, immer die Kraft und Ausdauer der Vorderen er­ höhend.

Bereits waren sie Alle bis auf Boemund's Schaar im hitzig­

sten Gefecht, schon lösten sich

die Reihen der Feinde,

zumeist als

Einnahme und Vertheidigung Antiochien's.

311

Gottfried in die dichtesten Haufen einbrach; da sprengte Solimau's

Schaar aus dem Hinterhalte auf die Nachhut ein, überdeckte sie erst

mit einem Hagel von Pfeilen, dann brachen sie mit Keulen und Schwertern so ungestüm und gewaltsam ein, daß Boemund ihren An­

drang kaum auszuhalten vermochte. Jetzt im glücklichen Zeitpunkte kamen Gottfried und Tancred von der Verfolgung des Hauptheeres zlirück und

leisteten wackern Beistand,

also daß durch ihre vereinte

Tapferkeit die Kraft der Feinde gebrochen ward.

Das Nachsetzen zu

hindern, steckten diese das dürre Gras am Boden in Brand, und mit

einem Male war das christliche Heer in dichte Rauchwirbel cingehüllt, daß ihm die Augen den Dienst versagten. Die Reiter enteilten schnell genug diesem Ungemach.

Als sie aber das Fußvolk von dem wieder

crmuthigten Feinde bedrängt sahen, kehrten sie rasch wieder um und

zersprengten jene gänzlich.

Das geworfene Hanptheer hatte sich in­

zwischen jenseits eines schmalen Thales auf einer Anhöhe wieder ge­ sammelt und zu neuem Kampfe gestellt. Rastlos aber wendeten sich die Christen, ihre edelsten Führer an der Spitze, gegen sie, drangen unaufhaltsam den Hügel hinan und vollendeten die Flucht der Feinde

nach alleit Seiten. Als Korboga, der von einer benachbarten Höhe herab zugesehen hatte, diesen Ausgang der Schlacht gewahrte, warf

er sich zu Pferde und eilte in vollem Jagen bis an den Euphrat. Seinem Beispiele folgte der Rest des Heeres, das größtentheils aus

Reitern bestand. Die Christen, denen eS an Pferden gebrach, konnten sie nicht weit verfolgen ; nur Tancred mit einer kleinen Schaar jagte ihnen nach und trieb viele Tausende vor sich her, bis die Nacht her­ einbrach. Im Lager wurde unermeßliche Beute gemacht, Kostbarkeiten aller Art, Lebensmittel und alle die lange entbehrten Bedürfnisse im

reichlichen Maße.

Ganz zum Erstaunen aber war das prachtvolle

Zelt Korboga's, das aus Seide und anderen kostbaren Stoffen ge­ fertigt, einer Stadt gleich mit Manern und Thürmen geschmückt, viele

Zimmer und Gänge enthielt, worin für zweitausend Menschen Platz war.

Als das siegreiche Heer in die Stadt zurückkehrte, Übergaben

die Feinde in die Burg dieselbe gegen freien Abzug, Dankfeste wur­ den angestellt und die neu geweiheten Kirchen und Kapelleit ertönten vom. Preise des Höchsten.

312 3.

Die Kreuzzüge.

Eroberung Aerufärem's durch die Kreuzfahrer. (10919.) (Wilhelm von Tyrus, aus Lanz.)

Fast ein volles Jahr nach der Schlacht bei Korboga gelangtem die

Denn lange hatten die Fürsten tlheils mit einander gehadert, theils in Streifzügen Zeit und Kräfte vergemdet,

Kreuzfahrer erst vor Jerusalem.

bis endlich das Bolk mit lautem Ungestüm verlangte, gegen die hei­ lige Stadt geführt zu werden.

Als man endlich am 5. Juni 1099

nach Nikopolis, dem vormaligen Emaus, gelangte, welches nur drei

Meilen von derselben entfernt ist,-kamen um Mitternacht Gesmndte

von den Christen zu Bethlehem und baten um eine Besatzung zum Schutz ihrer schönen Kirche, aus Besorgniß, die von allen Seite« in

die Hauptstadt flüchtenden Ungläubigen möchten sie zuvor zerstören. Also eilte Tancred mit hundert erlesenen Reitmr dahin voraus und pflanzte seine Fahne auf der Kirche auf.

Schlaflos vor Ungeduld und Sehnsucht brachte indessen das Heer

die Nacht zu, und als man gar vernahm, daß bereits eine Schaar nach Bethlehem vorausgezogen sei, da wartete man weder das Tages­ licht, noch den Befehl der Führer ab, sondern eilte in ungeordneten Haufen vorwärts. Eine kleine Schaar streifte bis in die Nähe der

Stadt und trieb erbeutete Heerden mit sich zurück, als plötzlich ein Haufe Türken aus der Stadt hervorbrach und die fliehenden Ritter

auf einen Hügel drängte: da kam glücklicherweise Tancred, der gerade von Bethlehem zurückkehrte, dazu und verjagte die Feinde. Als sie dann freudig mit der Siegesbeute zu dem übrigen Heere kamen, erhob

sich unendlicher Jubel. Mit wetteifernder Eile erstieg man die Höhen, welche die Stadt ihren Blicken entzog. Und als sie nun den Gipfel

erreichtm, und das Ziel ihrer Wünsche und Kämpfe vor sich sahen, da fielen Alle auf die Kniee und dankten Gott mit Freudenthränen

in den Augen. Ein längliches Viereck von mäßigem Umfang erstreckte sich Jeru­ salem über den Rücken und den Abhang zweier nicht sehr hoher Berge, Zion und Moria genannt.

Auf dem ersteren, der südwestlich die Stadt

begränzte, ragte der, Thurm David als ein festes Bollwerk über die

Stadt; am Abhange desselben Berges gewahrte man die Auferstehungs­ kirche; weiter nordöstlich, auf dem Moria, erhob sich an derselben

Stelle, wo vordem der Tempel Salomon's stand, die vom Chalifen Omar erbaute Moschee.

Dieselbe war achtseitig, innen und außen

313

Eroberung Jerusalems.

mit Marmor bekleidet,

mit einer mächtigen Kuppel, die über dem

bleiernen Dach emporragte, und stand auf einer etwas erhöheten Fläche Innerhalb eines von vier Seiten mit Mauern umschlossenen Vorhofs,

der gleich jener Fläche ganz mit weißem Marmor belegt war.

Dop­

pelte Ringmauern, mit starken Thürmen besetzt, umschlossen die Stadt, soweit sie nicht durch ihre Lage unzugänglich war.

Sie war aber auf

drei Seiten durch tiefe Thäler von der gebirgigen Umgegend geschieden.

Ostwärts nämlich zieht sich das Thal Josaphat zwischen dem Moria

und dem Oelberge; südlich und zum Theil westlich bilden die schroffen

Abhänge des Berges Zion das enge Thal Hinnom; nur nordwättS erstreckt sich eine weite Ebene bis unmittelbar zur Stadt.

Auf dieser

und einem Theil der Westseite, soweit die Gegend zugänglich war, schlugen die Christen gleich den folgenden Tag ihr Lager, und zwar zunächst im Nordosten Herzog Gottfried von Bouillon, dann in west­

licher Richtung folgten die Grafen Robert von Flandern und von der

Normandie, hierauf Tancred vor dem nach ihm benannten Thurme, zuletzt Graf Raimund von Toulouse vor dem westlichen DavidSthore,

der später einen Theil seines LagerS südlich unmittelbar vor der Stadt auf dem Zion neben die Marienkirche verlegte.

Das gestimmte Heer

belief sich noch auf vierzigtausend Köpfe, darunter aber nur zwanzig­

tausend streitbares Fußvolk und eintausendfiinfhundert Ritter. waffneten

Die be­

Vertheidiger der Stadt betrugen ebenfalls vierzigtausend:

die einheimischen Christen waren größtentheils

aus der Stadt ver­

trieben worden, die übrige Bevölkerung wetteiferte in der Vertheidigung mit der ägyptischen Besatzung,

welche erst kürzlich die Selbschucken

daraus verjagt hatte.

Bei der ungeduldigen Kampflust der Pilger ward schon am fünften Tage ein allgemeiner Sturm gewagt und nach hartnäckigem Kampfe

die erste Ringmauer erobert; aber der gänzliche Mangel an Belage-

rungsgeräth, welchen keine Begeisterung zu ersetzen vermöchte, zwang sie,

sich wieder zurückzuziehen.

Ein syrischer Christ zeigte ihnen in

ziemlicher Entfernung ein verborgenes Thal, wo sie das nothdürftige Bauholz fanden, und nun begann man mit dem regesten Wetteifer die

Arbeit.

Wer sich nicht auf Fertigung der Maschinen verstand, war

mit Handleistungen und Herbeischaffen der Balken und Faschinen thätig;

die Kosten

wurden

durch Beiträge gedeckt;

Keiner zog sich zurück.

Reiche, wie Arme, Ritter und Knappen, Jeder wußte kaum sich selbst zu genügen, um das große Ziel zu erreichen.

Bald aber hatte ihre

314

Die Kreuzzüge.

Ausdauer eine harte Probe zu bestehen. ärger, als zu Antiochien der Hunger.

Entsetzlicher Durst peinigte

Die ohnedies wasserarme Ge­

gend war von der Glühsonne der heißen Jahreszeit ausgedörrt, der Bach Kibron, welcher durch das Thal Josaphat fließt, versiegte, die

einzige Quelle Silos floß unterbrochen und gab ungenießbares, salziges

Wasser, alle anderen Quellen weit und breit waren voin Feinde ver­

stopft, Brunnen und Cisternen verschüttet. Fünf bis sechs Meilen weit holte man in Schläuchen spärliches Getränk, welches für das Bedürfniß der Menschen bei weitem nicht ausreichte, geschweige der

Thiere, die haufenweise hinstarben und die Luft verpesteten. Und wenn man nun um Wasser und Futter zu holen, auszog, so brachen feindliche Haufen aus Hinterhalten hervor und überfielen die Zer­ streuten. In dieser Noth war die Ankunft einer genuesischen Flotte sehr erfreulich. Dieselbe brachte Lebensmittel und neue Mannschaft,

darunter geschickte Werkleute, welche eben jetzt treffliche Dienste leisteten. Mit verstärklenl Muthe und Eifer wtirdcn nun die Werke um die Stadt vollendet, darauf ein neuer Sturm beschlossen. Zuvor veran­ stalteten die Geistlichen einen feierlichen Umzug auf den Oclberg und zur Marienkirche.

Barfuß, in weißem Priestergewand, Kreuze in den

Händen, zogen die Bischöfe an der Spitze der übrigen Priester voran,

eö folgten die Fürsten und das gesammte Volk, gleichfalls barfuß, in demüthiger Andacht. An den heiligen Stätten traten Peter der Ein­ siedler und Arnulph, des Grafen Robert Capettan, auf, und ermahnten

zu Eintracht und Vertrauen, man rief im Gebet den Beistand des Höchsten an, aller Hader ward abgethan, Tancred und Graf Rai­ mund von Toulouse, welche int heftigen Zwiste lebten, reichte» sich zuerst die Hände. So kehrte man allseitig versöhnt und gestärkt zu-

rück, voll Begeisterung für den nahen Kampf.

Die Feinde höhnten

und verspotteten von den Mauern herab den andächtigen Zug, uild reizten so den heiligen Eifer zu wüthender Erbitterung. In der Nacht vor dem bestimmten Tage wurden mit größter An­

strengung Vorbereitungen zum Sturm getroffen.

Da der Herzog Gott­

fried und die beiden Grafen Robert bemerkten, daß an den Stellen, wo sie ihre Thürme und Werke errichtet hatte», die Mauern der Stadt trefflicher, als sonst irgend, durch Maschinen sowohl, als starke

Besatzung geschützt waren; so.legten sie in aller Stille uyd Eile ihre

Werke auseinander und richteten sie weiter östlich wieder auf, no die Mauer

zugänglicher und

schwächer

vertheidigt

war.

Bereit» vor

315

Eroberung Jerusalem's.

Sonnenaufgang war die ganze Arbeit, die nicht gering war, fertig,

so daß die Feinde stutzten, als sie am Morgen die Veränderung ge­ Zu gleicher Zeit ließ Graf Raimund den Boden vor seinem

wahrten.

Thurme ebenen und diesen vorschieben; auch Tancred that dasselbe. Diese Thürme waren vierseitig, vorn mit doppelter Bretterbekleidnng,

so daß man die vordere ablösen und gleich einer Fallbrücke auf die feindliche Mauer herablassen konnte,

während

die innere noch

stark

genug und mit Häuten bedeckt war, um gegen Brand und Geschosse hinlänglich zu schützen. Mit Anbruch des TageS stürmten die Christen, einmüthig entschlossen zu siegen oder zu sterben; Weiber, Greise, Kinder halfen die Maschinen

vorrücken.

Mit einem Hagel von Geschossen aller Art empfangen sie

die Belagerten.

Jene dringen unerschrocken voran, schleudern Steine,

Pfeile,

Speere

spielen.

Die Mauern aber sind mit Säcken voll Stroh und Spreu,

gegen

Vertheidiger und

die

lassen

daS

Sturmzeug

mit Kissen und anderen weichen Gegenständen behängt, nm die Kraft der Geschosse zu schwächen, und von oben spielen nicht minder heftig

und geschickt die Maschinen, um die Belagerer abzutreiben, ihre Werke zu, beschädigen.

So

entstand ein entsetzlich hartnäckiger Kampf, der

dauerte vom Morgen bis zum Abend und war an allen Stellen gleich wüthend, zumeist aber bei den drei großen Belagerungsthürmen.

selbst

schleuderte

man

gewaltige

Feuerbrände,

Da­

brennende Pfeile mit

Schwefel und Pech, warf Töpfe mit Oel, Fett, Wachs und anderen

Stoffen, wodurch das Feuer genährt wird, herab, imb die Christen

mußten unaufhörlich löschen. die Nacht einbrach.

Noch war der Kampf unentschieden, als

Schlaflos ward diese auf beiden Seiten zuge­

bracht; hier wie dort die ängstlichste Wachsamkeit, beständiges Umher­ streifen der Rundwachen,

keine Erholung von der Anstrengung des

Tages. ' Schon vor Sonnenaufgang ist Jeder wieder an seinem Posten.

Der Kampf erneuert Hitze.

sich

in

aller Mannigfaltigkeit mit verdoppelter

Groß war die Zahl der Leichen, der Verstünunelten, Zerschmet­

terten; aber keine Gestalt des Todes, keinerlei Wunden und Gefahren vermochten den Eifer der Stürmenden abzuschrecken, der Vertheidiger

zu schwächen.

den Widerstand

Eine gewaltige Maschine schleuderte

ungeheure Steine in die Stadt und zerschmetterte Alles, wo sie yur

traf; kein Mittel hilft dagegen; man bringt zwei Zauberinnen herbei, die übermächtige Gewalt zu beschrvören, doch ein Stein zerschmettert

316

Die Kreuzzüge.

die Weiden, nebst drei Begleiterinnen.

Da erschallt lauter Jubel dnirch

das 'Seiger, doch den Belagerten sinkt nicht der Muth.

©neben Stunden bereits dauerte der hitzige Kampf ohne Entschei­ dung, schon ermatteten die Stürmenden von der übermäßigen Anstren­ gung ; manche Maschinen waren zerschmettert, andere vom Feuer zer­ stört; schon dachte man zu rasten, um morgen den Sturm zu erneuen,

und die Belagerten frohlockten, als sie den Angriff lässiger sahen;; — siehe, da zeigt sich auf dem Oelberg ein Ritter mit glänzendem Schilde

und winkt zur Fortsetzung des Kampfes. die Erscheinung

zuerst auf dem

Herzog Gottfried gewschrte

obersten Stockwerk

seines Thurmes

und zeigte sie den übrigen Fürsten und dem Volke mit freudigem Zu­ ruf.

Da, wie von einem Zauber gerührt, sammeln sich Alle Nieder

um ihre Häupter; Weiber eilen mit Erfrischungen herbei; mit neu belebter Kraft, keiner Wunden noch Erschöpfung gedenkend,

sie den Kampf in freudiger Siegeshoffnung.

erneuen

einer Stunde

Binnen

war der Graben vor der Mauer angefüllt, die vordere Mauer

ge­

brochen und des Herzogs Thurm vor die zweite Mauer gerückt.

In

der ersten Bestürzung der Belagerten wurden die Kiffen und Säcke, womit dieselbe behängt war, angezündet, und ein günstiger Nordwind

trieb die dichten Rauchwirbel empor, den Vertheidigern

ins Gesicht,

daß sie geblendet und fast erstickt vom Posten wichen.

Schnell ließ

Gottfried die Fallbrücke, durch starke Balken gestützt, niedersinken, und im Nu stand der Herzog nebst seinem Bruder Eustach und zwei flan­

drischen Edelleuten auf der Mauer; ihnen nach folgten die Uebrigen der ©einigen, so viele nur die Brücke tragen konnten.

Sofort verließ

nun der Feind die Maner, die Stürmenden legten die Leitern an und

drangen in Masse ein, an der Spitze die beiden Robert, Tancred, Hugo und eine Menge der edelsten Ritter.

Das Stephansthor ward

geöffnet und das gesammte Christenheer eingelassen.

Jetzt entstand

auf den Straßen ein furchtbares Blutbad; Alles, was in den Weg kam, ward niebergemacht, Leichen häuften sich auf Leichen.

Noch kämpften am südlichen Ende der Stadt die Bewohner gegen den Grafen von Toulouse, dessen Thurm schon dicht vor der Mauer

stand.

Als sie aber das Geschrei der siegestrunkenen Christen, ver­

mischt mit dem gräßlichen Jammerruf der Sterbenden

hinter dem

Rücken vernahmen, flüchteten sie von der Mauer in den nahen Davids­ thurm.

Nunmehr ließ auch Raimund die Fallbrücke nieder und drang

317

Eroberung Jerusalems.

mit den Seim'gen ein, öffnete das Davidsthor, und das einströmende Heer begann ein gleiches Gemetzel, so daß, wer den Uebrigen ent­

ronnen war, von ihren Händen den Tod fand.

Der größte Theil des Volkes flüchtete in die Moschee Omar's und den mit Mauern umschlossenen Vorhof.

Tancred erstürmte den Ein­

gang und erbeutete darinnen unermeßliche Schätze; denn zum Voraus war bestimmt worden, daß Jeder zu eigen behalten solle, was er er­

beuten würde, und vor welchem Hause Jemand andere Waffe anfpflanzte,

darinnen sei.

das

seinen Schild

oder

solle ihm gehören mit Allem,

was

Nachher fanden sich auch die übrigen Führer in dem

Vorhof ein, und nun begann ein gräßliches Morden; kein Alter noch

Geschlecht rourbe- verschont,

Alle,

die

sich

daselbst

fanden,

wurden

niedcrgehauen, daß das Blut in Strömen die Marmorfläche hinabfloß. Ein Grauen war es, die gräßlich verstümmelten Leichname und die

abgerissenen und zerstreuten Glieder zu sehen und die wüthenden Sieger, von den Füßen bis zum Haupte in Blut gebadet.

Zehntausend Men­

schen sollen an dieser Stelle getödtet worden feilt, und nicht weniger

in den Straßen und Häusern zerstreut.

Die Sieger vertheilten sich

rottenweise durch die Stadt, drangen in die Wohnungen und würgten, wie das Vieh, Alle, die sie aus den Schlupfwinkeln hervorzogen, An­

dere schleuderten sie aus den Fenstern herab, daß sie auf den Straßen Haupt und Glieder zerschmetterten.

Nur die sich in den Thurm Da-

vid's geflüchtet hatten, sicherten sich durch Vertrag mit dem Grafen von Toulouse ihr Leben, indem sie unter der Bedingung die Burg

Übergaben, daß sie gegen Lösegeld nach Askalon abzogen.

Von der

ganzen übrigen Bevölkerung blieben nicht soviel am Leben, als erforder­

lich waren, um die Straßen von den Leichnamen zu säubern. Nachdem endlich dem Rauben und Morden ein Ziel gesetzt war,

reinigten sich die Pilger vom Blute und zogen mit entblößtem Haupte und Füßen demüthig zu den geweihten Stätten, vor allen zur Auf­

erstehungskirche.

Daselbst

empfingen

sie

die

einheimischen

Christen,

welche zur Zeit der Erstürmung dahin geflüchtet waren und angstvoll ihrer Erlösung harreten mit Freudenthränen und Lobgesängen; zumeist

aber zollten sie Dank und Ehre Peter dem Einsiedler, welcher vor fünf Jahren ihnen Rettung verheißen hatte.

Die Sieger warfen sich

auf die Kniee und dankten Gott in brünstigem Gebet: alle zerflossen

in

Thränen,

mit

zerknirschtem

Gemüth

beichteten

sie ihre

Sünden,

übten Mildthätigkeit im reichlichem Maße und wetteiferten in Werken

318

Die Kreuzzüge.

der Andacht.

Hernach wurden die Straßen und Häuser gereinigt,

die Tempel zum Dienste Christi geweiht, und der Tag der Eroberung

zu einem Freudenfeste für ewige Zeiten bestimmt.

4. Eroberung Jerusalem'- durch Saladin. (1187.) (Hugo Plagon, aus. Lanz.)

Nach dem Tode des Königs von Jerusalem, Balduin IV., entstand

arge Zwistigkeit um die Nachfolge.

Seine Schwester Sibylle war

mit Guido von Lusignan vermählt, einem schönen, aber znr Regierung

untüchtigen Ritter. Deshalb sollte sie nur dann als Königin gekrönt werden, wenn sie ihren Gemahl verstieße. Endlich willigte sie ein

unter der Bedingung, daß ihr eine neue Wahl frei gelassen wurde. Dieß geschah, und sie wurde gekrönt.

Darauf sprach der Patriarch:

„Nehmet diese Krone vom Altar und setzet sie Demjenigen auf, welcher

würdig ist, an Eurer Seite zu regieren."

Und sie nahm die Krone

und sprach zu Guido, welcher nahe stand: „Kommet her, mein Ge­ mahl, und empfanget diese Krone, denn ich weiß Keinen, der würdiger wäre, sie zu tragen."

Also ward Guido König von Jerusalem.

Dar­

auf huldigten die meisten Ritter und Großen; nur Balduin von Ramla sprach: „Ich kenne Guido als einen Einfalt und Narren, das Land ist verloren, das bin ich überzeugt, und ich will die Schande nicht theilen." Deshalb überließ er feilt Land seinem unmündigen Sohne, und vertraute diesen seinem Bruder Balian von Jbelim, darauf ging

er nach Antiochien. Der mächtige Graf Raimund von Tripolis aber begab sich nach Tiberias, und wollte sich auch nicht unterwerfen. Guido sammelte ein Heer und zog anS, ihn zu belagern.. Da ver­ band sich dieser mit Saladin, dem Herrn von Damaskus, welcher

der mächtigste Fürst der Ungläubigen war, und derselbe schickte ein Heer in die Nähe, das sollte, sobald Raimund angegriffen würde,

ihm zu Hülfe eilen. Jetzt ward Guido nachdenklich, und Balian trat zu ihm und sprach:

„Euer Vorhaben ist nicht recht, und kein verständiger Mann hat Euch dazu gerathen.

Darum lasset mich hingehen zu dem Grafen von Tri­

polis und versuchen, ihn zu versöhnen, denn Haß ist nicht gut." Der König war eö zufrieden; aber noch war man nicht im Reinen, da

bat der Sohn Saladin's den Grafen Raimund um seine Zustimmung, einen Streifzug in Palästina zu machen. Eö hatte nämlich Rainold

319

Eroberung Jerusalem's durch Saladin.

von Chatillon den Waffenstillstand, der zwischen Saladin und den

Christen bestand, gebrochen: gegen diesen sollte der Zug gehen.

Er

mochte cs nicht abschlagen, um seinen Vater nicht zu beleidigen; des­

halb verstattete er es unter der Bedingung, daß der Zug innerhalb eines Tages geschehe und vor Sonnenuntergang beendigt sei, und

daß Niemand innerhalb der Ortschaften und Häuser gekränkt werde. Zugleich benachrichtigte er durch geheime' Botschaft die Christen, sich in ihren Wohnungen rnhig zu halten, so wurden sie sicher sein. So

geschah es; allein der Großmeister der Templer griff mit neunzig Rittern und vierzig Söldnern die Türken aus dem Rückzug an. Aber diese waren an Zahl weit überlegen — es waren ihrer beinahe sieben­ tausend — sie umringten das Häuflein und hieben sie fast alle nieder

oder führten sie gefangen weg; nur der Großmeister mit zwei Rittern

entkamen.

Als die Sarazenen mit den gefesselten Gefangenen vor

Tiberias vorüberzogen und die Köpfe von Erschlagenen auf Lanzen

«inhcrtrugen,

ward der Graf Raimund

sehr betrübt;

und da nun

Balian als Gesandter ankam, war er gleich zur Versöhnung bereit. Der König kam ihm entgegen, Raimund fiel auf die Kniee und Guido

hob ihn auf und küßte ihn. Darauf beriethen sie mit einander, und den König folgte dem Rathe des Grafen, alle streitbare Mannschaften aufzubieten und an die Quelle Sephorim zu rücken: auch der Fürst

von Antiochien schickte Hülfe, und das Kreuz Christi ward zum Heere gebracht.

Fünf Wochen waren verflossen, als Saladin mit einem Heere heran­ zog: und TiberiaS belagerte, worin sich Raimund's Gemahlin mit vier

.Söhnen befand,

aber ohne Besatzung, denn die Ritter waren alle

beim Heere. Alsbald schickte sie Boten dahin ab und ließ dem König und ihrem Gemahl sagen, daß die Stadt verloren sei, wenn nicht un­

gesäumt Hülfe erscheine. Der König berief einen Kriegsrath, und es trat zuerst der Graf von Tripolis auf und sprach: „Ich wüßte einen guten Rath, aber

man wird mir wohl nicht glauben."

Der König sagte: „Sprechet

nur immer," und er fuhr fort: „Meine Meinung ist, daß wir Tiberias

uicht zu Hülfe kommen.

Keinen zwar trifft der Verlust härter, wenn

die Stadt fällt, als mich; denn es ist meine Stadt, und meine Ge­ mahlin ist drinnen. Aber lieber will ich meine Stadt zerstört und die Meinigen

in Gefangenschaft wissen,

Grunde gehe.

als daß das

ganze Land

zu

Häuser und Mauern lassen sich wieder aufbauen, und

320

Die Kreuzzüge.

Gefangene kann man wieder auslösen; ziehen wir aber der Stadt zu

Hülfe, so ist sicher das Heer verloren und damit das Land.

Denn

es ist zwischen hier und dort nur eine spärliche Quelle und diese wer­

den die Feinde, sobald wir aufbrechen, zuvor besetzen;

dazu werden

sie den ganzen Weg bis Tiberias uns auf dem Nacken sein; unsere Leute müssen dann Durst leiden, und wenn sie die.Feinde angreifen, sprengen diese aus einander ins Gebirge und man kann ihnen nichts

Den zweiten Tag sind sie dann ganz Herr unser; denn sie

anhaben.

haben Wasser und Lebensmittel und sind ganz erfrischt, die Unsrigen dagegen von Hunger, Durst und Hitze erschöpft, und dann leicht ge­

fangen oder gelödtet.

Daß eö so kommen wird, wenn wir ausziehen,

dafür setze ich meinen Kopf zum Pfande."

Darauf fragte der König

die übrigen Barone, und sie sagten, der Graf habe Recht und stimm­ ten alle bei.

Also stimmte auch der König bei und die Johanniter

ebenfalls, nur der Großmeister des Tempels nicht.

Um Mitternacht,

als der König in seinem Zelte speiste, trat der Großmeister zu ihm und sprach: „Herr, wie möget ihr dem Rath des Verrätherö trauen?

damit ist es nur auf Eure Schande abgesehen.

Noch nie hat ein

König in diesem Lande ein 'so großes Heer beisammen gehabt, wie Ihr jetzt; daher würde es große Schmach für Euch sein, fünf Meilen von da die Stadt dem Feinde Preis zu geben. eher ihre weißen Mäntel ablegen,

rächen.

als

Meine Ritter würden

die erlittene Schmach nicht

Lasset also das Heer sich rüsten und unter dem Schutz des

heiligen Kreuzes in den Kampf ziehen!"

Der König wagte ihm nicht

zu widersprechen, denn er verdankte ihm den Thron, und reiche Unter­ stützung

aus

dem Schatze

der Templer:

also

that er nach seinem.

Rathe. —

Wie die Barone des Königs Auftuf vernahmen, verwundertm sie sich sehr und begaben sich alle zum Zelt desselben, um ihn von feinem

Entschluß wieder abzubringen; aber er ließ sie gar nicht vor.

So

gingen sie denn und thaten nach seinem Befehl, aber sie wäre» sehr

niedergeschlagen, weil sie wußten, daß nichts Gutes erfolgen kömte. Sobald als das Heer ausgebrochen war, zeigten sich scholl die Sa­ razenen und neckten, so wie der Graf es vorausgesagt hatte.

So

zogen sie denn in stetem Kampfe weiter und waren am Aden) erst

auf halbem Wege nach Tiberias.

Nun fragte der König den Grafen

um seinen Rath, und er gab ihm einen schlechten, nämlich er rieth

ihm, Halt zu machen und zu lagern.

Und der König folgte jch dem

321

Eroberung Jerusalems durch Saladm.

schlechten Rath, so'wie er vorher dem guten nicht gefolgt war.

Ms

die Feinde sahen, wie sich die Christen lagerten, waren sie sehr ftoh darüber und schloffen sich so eng ein, daß keine Katze aus dem Lager konnte, ohne geiehen zu werden. Diese Nacht über waren die Christen in großer Noth, denn weder Menschen noch Vieh hatten zu trinken,

und sie litten sehr Durst, während das Heer unter den Waffen blieb.

Des Morgens zogen sie schlagfertig weiter, und die Feinde wichen anfangs zurück, denn sie wollten nicht eher kämpfen, als bis es heiß geworden.

Die Gegend war aber voll dürren Grases, das steckten

die Sarazenen in Brand, um ihren Feind noch mehr in Noth zu ver­

setzen. Um Mittag gingen fünf Ritter von des Grafen Abtheilung zum Feinde über und sprachen zu Saladin: „Was zögert Ihr noch? jetzt fallet über sie her, sie sind ganz erschöpft." Das geschah, und das Fußvolk streckte die Waffen und ergab sich ohne einen Schlag zu thun, so niatt waren sie vor lauter Durst. Als dies der König sah, befahl er dem Grafen, zuerst in die Feinde einzuhauen; und er sprengte einen Hügel hinab auf sie los. Sobald diese ihn gegen sich kommen sahen, öffneten sic ihre Glieder und machten ihm Bahn, und er sprengte mitten durch sie; hernach schloffen sie wieder ihre Reihen, griffen den

König an und nahmen ihn gefangen sammt allen seinen Baronen, nur der Nachtrab entkam; auch das heilige Kreuz Christi kam in die

Hände der Feinde. Als Graf Raimund hörte, daß der König gefangen sei, entfloh er nach Tyrus, und der Sohn des Fürsten von Antiochien mit seinen Rittern ebenfalls; auch Balian, der den Nachtrab führte, kam eben­

falls nach TyruS. Als Saladin die Christen geschlagen und gefangen hatte, war er sehr ftoh und dankte Gott für die Ehre und den Sieg. Darauf be­ fahl er, daß ihm der König und die gesammten Edelleute vorgeführt

würden in sein Zelt, und so geschah es.

Da nun Saladin bemerkte,

daß der König von der Hitze erschöpft war, ließ er eine Schale Sorbet

bringen und bot sie demselben.

Als der König gewunken hatte, reichte

er sie dem Rainald von Chatillon; aber da ward Saladin sehr er­ zürnt, denn er haßte diesen bitter, weil er nicht den Vertrag und

Waffenstillstand gehalten hatte.

Und er ließ sich einen Säbel reichen

und hieb ihm selbst das Haupt herunter.

fangenen nach

Darauf schickte er die Ge­ Damaskus und rückte vor Tiberias; und als die

Gräfin von Tripolis hörte, daß das christliche Heer geschlagen und Histor. Lesebuch. II.

21

322

Die Kreuzzüge.

Nicht lange nachher

der König gefangen sei, übergab sie die Stadt.

als Saladin Ascalon belagerte und konnte eS nicht erobern, so gab er

den König mit zehn Rittern frei für die Stadt, und derselbe begab sich mit seiner Gemahlin nach Neopolis, während Saladin Jerusalem

belagerte und einnahm. In Jerusalem, stand damals an der Spitze Balian von Jbelim.

Derselbe hatte von Saladin, während er das Land ringsum eroberte, freies Geleit bekommen, seine Frau und Kinder dort abzuholen, unter der Bedingung, daß er nur eine Nacht dort bleibe und nicht gegen

ihn stritte. .Als er in die Stadt kam, freuten 'sich die Bürger sehr

und baten ihn, an ihre Spitze zu treten zur Bertheidigung der Stadt. Er weigerte sich, wegen seines gegebenen Wortes. Da sprach der Patriarch: „ Ich entbinde Euch des Eides, denn es wäre größere

Sünde, ihn zu halten, als nicht, weil die Stadt in solcher Noth ist." Damals waren nur zwei Ritter- in der

Und Balian ließ sich bereden.

Stadt, welche aus der Schlacht entronnen waren; und dieselbe war so voll Weiber und Kinder, die sich dahin geflüchtet hatten, daß sie

nicht alle in den Häusern Unterkunft fanden.

Balian schlug fünfzig

Bürger zu Rittern, und ließ das Silber von der Decke des heiligen Grabes herabnehmen und Geld daraus schlagen; dann, ließ er^ tag­ täglich so viel Lebensmittel als nur möglich in die Stadt schaffen.

Als nun Saladin das ganze übrige Land außer Tyrus und die Feste Krach erobert hatte, rückte er vor Jerusalem.

Da aber die Stadt eine heilige Stadt war, und er sie gern schonen

mochte, so unterhandelte er mit den Bürgern, sie durch Vertrag zu erhalten. Und er bot ihnen dreißigtausend Byzantiner, um sich zu befestigen, sodann fünf Meilen im Umkreis frei zur Bebauung und

zum Verkehr, und Waffenstillstand bis künftige Pfingsten; wenn aber biö dahin kein Entsatz käme, so sollten sie die Stadt übergeben gegen freien Abzug auf christliches Gebiet sammt aller Habe.

Doch sie wei­

gerten sich hartnäckig, und Saladin that einen Schwur, daß er sie nunmehr nicht anders, als mit Gewalt nehmen wollte.

Den andern

Morgen begann er zu stürmen, die Belagerten machten einen Ausfall

und kämpften; da aber die Sarazenen die Sonne im Gesicht hatten, zogen sie sich zurück und fingen erst den Abend wieder an zu kämpfen.

So ging es acht Tage, die Ungläubigen konnten Nichts ausrichten und wurden oft bis zu ihrem Lager zurückgetrieben; auch konnten sie

von dieser Seite nicht gut ihre Maschinen anbringen.

Daher verän-

Eroberung Jerusalems durch Salad'm.

323

derten sie ihre Stellung und verlegten ihr Lager auf die Ostseite der Stadt, vom Stephansthore bis zum Oelberg, und sahen von bet' in

dieselbe hinein und beobachteten Alles, was drinnen vorging.

Jetzt

hatten die Christen die Sonne den Tag über im Gesicht, dazu warfen

ihnen die Sarazenen in großen Schaufeln Sand und Staub in die

Augen und hatten zwölf Maschinen, die schleuderten Steine und Ge­ schosse, und dahinter waren eine Menge Bogenschützen, die schossen

Pfeile im dichten Hagel.

So vermochten die Belagerten nicht auf den

Mauern auszuhalten, und die Türken drangen bis zu denselben heran und untergruben in zwei Tagen eine Strecke von fünfzehn Klaftern,

dann steckten sie das Holzwerk darunter an, und die ganze Stelle stürzte zusammen. Jetzt kamen die Bürger zu Balian und dem Patriarchen und sagten, sie wollten bei der Nacht einen Ausfall machen auf das feindliche

Heer; denn sie sähen, daß die Stadt nicht mehr zu retten sei und sie wollten lieber ehrenvoll kämpfend sterben, als schmachvoll in der Stadt Darin waren die Bürger und Ritter

gefangen und getödtet werden.

einstimmig, aber der Patriarch sprach dagegen: „Dieser Entschluß ist wohl zu loben, aber dann lassen wir die Seelen zu Grunde gehen,

die wir retten können, und dieß ist nicht gut.

Denn eS kommen auf

jeden Mann in der Stadt bei fünfzig Weiber und Kinder, die werden die Ungläubigen, wenn wir sterben, nicht tobten, sondern zu ihrem Glauben nöthigen.

Wenn nun Einer vermöchte mit Gottes Hülfe zu

erwirken, daß wir auszögen in christliches Land, so wäre das besser, als auf gut Glück kämpfen." Diesem Rathe stimmten Alle bei, und sie baten Baliatt, daß er zu Saladin ginge und versuche, einen Vertrag zu machen. Er ging hin

und sprach mit demselben. Unterdessen stürmten die Türken fort und legten Leitern an: bald hatten sie zehn oder zwölf Fahnen auf die Mauer aufgepflanzt und

zugleich drangen sie ein über die Trümmer des eingestürzten Theiles. Da sprach Saladin zu Balian: „Was redet Ihr mir von Vertrag?

Sehet Ihr nicht, daß die Stadt mein ist?

Nunmehr ist es zu spät!"

Indem aber erhöhete der Herr den Christen den Muth dergestalt, daß

sie den Feind wieder von der Mauer hinabdrängten und aus der Stadt hinauStrieben über die Gräben. Als dies Saladin sah, ärgerte und schämte er sich und beschied Balian auf den folgenden Morgen

wieder. —

324t

Die Kreuzzüge.

Inzwischen hielten die Priester und die Mönche feierliche Umzüge mit

dem Kreuz Christi und der Monstranz und

beteten;

aber

der

Herrr erhörte sic nicht wegen der Sündhaftigkeit und Ueppigkeit, diie in der Stadt herrschte.

Als Balian am anderen Morgen wieder

vor

Saladin kam und sagte, er solle die Stadt haben gegen freien Abzug der Bürger, erwiderte er: „Dafür ist es zu spät, denn nun bindet

mich mein Schwur uud ich kann sie nicht annehmcn anders, als auf

Gnade."

Da aber Balian fortfnhr zu bitten um Gotteö willen, so

sagte er: „Um meinen Eid zn wahren, sollen sie sich mir ergeben, als

sei die Stadt erstürmt, und ich lasse ihnen ihr Hab und Gut, aber ihr Leib sei mir verfallen: wer sich

lösen kann und will, für den

setzen wir ein Lösegeld fest, und er ziehe ab, die Anderen verbleiben als Sklaven!"

„Welches ist das Lösegeld?" fragte Balian, und Saladin forderte

zwanzig Goldstücke für den Mann,

Reiche wie Arme einerlei,

für

Weiber und Kinder die Hälfte.

„Herr," sprach Balian, „cs sind nur Wenige in der Stadt, die sich dafür lösen können, und auf Einen, der es kann, gehen wohl

Hundert, die es nicht können; deshalb setzet einen mäßigen Preis." Und Saladin beschied ihn wieder auf den folgenden Tag.

Als Balian diese Nachricht hereinbrachte, wegen der großen Menge armen Volkes. ander und

baten

die Johanniter,

waren

sie sehr bestürzt

Und sie beriethen mit ein­

daß sie den Schatz des Königs

Heinrich von England, welchen sie bewahrten, herausgäben,

damit

die Armen zu lösen, und sie willigten ein. Darauf, als Balian wieder zu Saladin kam, setzte dieser als Preis

für den Mann zehn Goldstücke, für die Weiber die Hälfte und eins für die Kinder. „Gut," sprach Balian, das sei für die, welche sich lösen können.

Nun aber sind wohl Zwanzigtausend Arme, die zusammen nicht die

Lösung für zwei Mann aufzubringen vermögen; für diese, bei Gott, habet Gnade und sehet einen mäßigen Preis, und ich will versuchen

bei den Reichen und den Johannitern und Templern die Summe aufzubringen."

So sprachen sie hin und her und kamen endlich überein, daß für siebentausend

Arme dreißigtausend

Byzantiner bezahlt würden,

und

dcabei sollten zwei Weiber für einen Mann, und zehn Kinder für einen

gezählt werden.

Darauf wurde der fünfzigste Tag bestimmt, um Hab

Eroberung Jerusalems durch Saladin.

325

und Gut zu verkaufen und sich zu lösen; wer nachher noch in der Stadt sei, der solle Sklave bleiben, die Uebrigen sollten sicheres Ge­

leit haben bis auf christliches Gebiet, und tver Waffen habe, dürfe sie mitnehmen. Als Balian mit dieser Uebereinkunft nach Jerusalem kam, berief der Patriarch die Ordensbrüder und die Bürger, und sie waren sehr zu­ frieden mit dem, was ausgemacht war. Darauf schickten sie die Schlüssel der Stadt an Saladin, und er schloß alle Thore, bis auf

das Thor David, und vieses besetzte er, daß kein Christ herausginge, die Türken aber aus- und eingingen, um denen drinnen ihre Habe

abzukaufen.

Der Patriarch und Balian gingen hierauf zum Hospital,

dem Sitz der Johanniter, und holten die dreißigtausend Byzantiner und

entrichteten sie, dann wählten sie aus jeglicher Straße zwei bewährte Männer, und diese ließen Jedermann schwören, wie viel Besitzthum

er habe, und Alles heransgeben, was Einer mehr hatte, als er brauchte, Hernach zählten sie die Armen und wählten die Sieben­

um abzuziehen.

tausend aus; und als diese vor die Stadt gebracht waren, merkte man es noch gar nicht, so groß war noch der Rest. Nochmals versammelte der Patriarch die Bürger und die Ordens­ brüder, und bat um Gottes willen, daß sie beitrügen, um die Armen zu lösen. Da steuerten sie zwar, aber nicht so viel sie konnten, denn sie hatten keine Furcht mehr. Saladin aber hütete die Stadt vortreff­ lich, daß den Christen kein Unrecht noch Unbill geschah: in jeder Straße hielten zwölf Mann Wache, und die thaten ihre Schuldigkeit wohl, daß nicht die geringste Kränkung vorfiel, und die Gelösten vor der Stadt schützte er auch durch Wachen bei Tag und Nacht. Als Saladin's Bruder von den vielen Armen hörte, die noch nicht

gelöst seien, erbat er sich von ihm tausend derselben als Gnade, und als er sie ihm geschenkt hatte, ließ er sie frei. Hernach baten auch der Patriarch und Balian, und er schenkte jedem fiinfhundert, die wurden auch frei. Hierauf sprach Saladin: „Jetzt will ich auch ein Gnadenwerk thun" — und gab eine zahllose Menge frei. Dennoch waren es noch Eilftausend, die nicht gelöst waren. Da baten der

Patriarch und Balian, daß Saladin sie möchte als Geißeln behalten, bis das Lösegeld für jene herbeigeschafft sei; aber er sagte: „Nein!"

und dabei blieb es. Noch eine große Barmherzigkeit übte Saladin an den Frauen und Töchtern derer, die in der Schlacht jüngst gefallen oder gefangen

326 waren.

Die Kreuzzüge. — Eroberung Jerusalems durch Saladin.

Denn als sie vor ihm niederfielen und weinten und flcheten

um ihre Angehörigen, ward er sehr gerührt und gab alle die, so noch

lebten, frei, denen aber, deren Gatten oder Väter oder Brüder ge­ fallen waren, gab er reichliche Geschenke; und sie dankten Gott und

priesen seine Großmuth vor der Welt. Die nun, welche abziehen durften, ließ Saladin durch feine Ritter

geleiten, und sorgte für Lebensmittel, bis sie auf das Gebiet von Tri­ polis kamen.

Der Graf Raimund aber ließ ihnen die Thore schließen,

und viele der Reichen wurden noch der Habe beraubt, die ihnen Sa­

ladin gelassen hatte.

Die Menge der Armen zerstreute sich nach An­

tiochien und Armenien, Viele gelangten nach Alerandrien, wo ihnen

Saladin's Statthalter Schutz, Obdach und Nahrung verschaffte, bis sie

im folgenden Frühjahr sich nach Europa einschifften.

Und auch dafür

sorgte er noch, daß die Schiffsleute aus Pisa, Genua und Venedig, welche dort ankamen, sie Mitnahmen in ihre Heimath.

XIV.

Der Webergang -er Feudalherrschaft

in die Monarchie. (Hegel.)

Die vorangegangenen Richtringen waren theils theoretischer Art.

subjectiver,

theils

Jetzt aber haben wir die praktischen Bewegungen

im Staate näher zu betrachten. Der Fortschritt ist hier wesentlich negativ und steht im Berechnen

der subjektiven Willkühr der Vereinzelung der Macht.

Das Affirma­

tive ist das Hervorgehen einer Obergewalt, die ein Gemeinsames ist, einer Staatsmacht als solcher, deren Angehörige gleiche Rechte erhalten,

und worin der besondere Wille dem substantiellen Zweck unterworfen

ist.

Das ist der Fortschritt der Feudalherrschaft zur Monarchie.

In der Feudalherrschaft gilt nur das Princip der Dynasten, Und es find nur Verpflichtungen der Persönlichkeit vorhanden: die Unter­

gebenen werden zu ihrer Pflicht entweder ckit Gewalt gezwungen oder

durch Vergünstigungen dazu bewogen.

Der Wille des Herrn ist nur

persönliche Willkühr, das monarchische Princip dagegen ist das Ent­

gegengesetzte: es ist die Obergewalt über solche, die keine selbständige Macht für ihre Willkühr besitzen; die Obergewalt der Monarchie ist

wesentlich eine Staatsgewalt und hat in sich den substantiellen recht­ lichen Zweck.

Die Feudalherrschaft ist eine Polyarchie: es sind lauter

Herren und Knechte,

in der Monarchie

ist einer Herr und keiner

Knecht, denn die Knechtschaft ist durch sie gebrochen, und ihr gilt das Recht und das Gesetz'; aus ihr geht die reell« Freiheit hervor.

In

der Monarchie wird also die Willkühr der Einzelnen unterdrückt und

ein Gesammtwesen der Herrschaft aufgestellt.

Die Dynasten werden

328

Der Uebergang der FeudalitSt in die Monarchie.

Staatsbeamte und bilden ein Staatswesen, das einen ZnsamMenlhang

Die Monarchie geht aus dem Feudalismus hervor und

in sich hat.

trägt zunächst noch den Charakter derselben an sich: die Individuen, welche dem Oberhaupte nahe stehen, gehen aus ihrer Einzelberechtigung

in Stände und Corporatipnen über;

die Vasallen werden StÄnde,

die Städte bilden Mächte im Gemeinwesen, und auf diese Weise sann die Macht des Herrschers keine blos willkührliche mehr sein.

ES be­

darf der Einwilligung der Stände und Korporationen, und will

Fürst diese

haben,

muß

er nothwendig

das

der

Gerechte und Billige

wollen.

Wir sehen jetzt eine Staatenbildung beginnen, während die Feudal­

herrschaft keine Staaten kennt.

Der Uebergang von ihr zur Monarchie

geschieht auf dreifache Weise: 1. indem der Lehnsherr Meister über seine unabhängigen Vasallen

wird, indem er ihre particulare Gewalt unterdrückt, so daß die Ein­ zelnen nicht mehr als selbständig gelten;

2. indem die Fürsten sich

ganz vom Lehnsverhältniß frei machen

und selbst Landesherren über eigene Staaten werden, oder endlich

3. indem der oberste Lehnsherr auf eine wahrhaft friedliche Weise die besonderen Herrschaften mit seiner eigenen vereinigt und so Herr­ scher über das Ganze wird.

Die geschichtlichen Ucbergänge sind zwar nicht immer so rein, wie sie hier vorgestellt worden sind: oft kommen mehrere zugleich vor; aber der eine oder der andere bildet immer das Ueberwiegende.

Die Haupt­

sache ist, daß für solche Staatsbildung eine particulare Nationalität

erfordert wird, indem man eine bestimmte Nation sein muß, um einen eigenthümlichen und unterschiedenen Staat vorzustellen.

Das Erste, was wir hier zu betrachten haben, ist das römische Kaiserreich,

wozu Deutschland überhaupt und Italien gehört.

Der

Zusammenhang von Deutschland und Italien geht ans der Vorstellung

des Kaiserreichs hervor: die weltliche Herrschaft sollte, verbunden mit

der

geistlichen

ein

Ganzes

ausmachen,

aber diese

Formation

immer mehr Kampf, als daß sie wirklich geschehen wäre. land und Italien

geschah

der Uebergang

war

In Deutsch­

von Feudalverhältniß zur

Monarchie, so daß das Feudalverhältniß gänzlich verdrängt wurde :

die Vasallen wurden selbständige Monarchen,

In Deutschland

war schon immer eine große Verschiedenheit der

Stämme gewesen: längs der Elbe hatten sich Wenden festgesetzt, in

«329

Der Uebergang der Feudalität in die Monarchie.

Oesterreich, Slaven, Zechen u. s. w., so daß kein solcher Zusammen­ hang wie in Frankreich sich machen konnte. war in Italien.

Ein ähnliches Verhältniß

Longobarden hatten sich da festgesetzt, während die

Griechen noch das Erarchat inne hatten; in Untcritalien bildeten die Normannen ein eigenes

Zeit lang Sicilien.

Reich und die Sarazenen behaupteten eine

Nach dem Untergange der Hohenstaufen ist in

Deutschland das allgemeine Zerfallen zur völligen Gewalt gekommen: es war Marime der Kurfürsten, nur schwache Fürsten zn Kaisern zu

wählen, ja sie haben die Kaiserwürde an Ausländer verkauft.

verschwand die Einheit des Staates der Sache nach.

So

Es bildeten

sich eine Menge Punkte, deren jeder ein Raubstaat war: das Feudal­ recht ist zur förmlichen Räuberei übergegangen, und

Fürsten haben sich als Landesherren constituirt.

die mächtigen

Nach dem Jutewegnum

wurde der Graf von Habsburg zum Kaiser gewählt, und das habs­

burgische Geschlecht behauptete nun mit wenigen Zwischenräumen den Kaiserthron.

Diese Kaiser waren darauf reducirt, sich eine Hausmacht

anzuschaffcn, da die Fürsten ihnen keine Staatsmacht einräumen wollten. Jene vollkommene Anarchie wurde aber endlich durch Associationen

für alle gemeine Zwecke gebrochen.

Kleinere Associationen waren schon

die Städte selbst; jetzt aber bildeten sich Städtebündnisse im gemein­ schaftlichen Interesse gegen die Räuberei: so der Hansebund im Norden, der rheinische Bund aus den Städten längs dem Rhein, der schwä­ bische Städtebund. — Diese Bündnisse waren sämmtlich

gegen die

Dynasten gerichtet, und selbst Fürsten traten den Städten bei, um dem Fehdezustand entgegenzuarbeiten und den allgemeinen Landftieden her­ zustellen.

hellt

Welcher Zustand aus der Feudalherrschaft hervorging, er­

aus jener berüchtigten Associallon der

Criminaljustiz:

es

war

eine Privatgerichtsbarkeit, welche unter dem Namen des Fehmgerichts geschlossene Sitzungen hielt; besonders im nordwestlichen Deutschland war sie ansässig.

Viele, von den Bauern hatten sich in die Städte

geflüchtet oder sich als Freie in der Nähe der Städte angesiedelt (Pfahl­ bürger); aber in der Schweiz bildete sich eine Bauerverbrüderung: die

Bauern von Uri, Schwyz und Unterwalden sollten unter kaiserlichen Vögten stehen; und diese Vogteien waren nicht Privateigenthum, son­ dern Rrichsämter, aber die Habsburger suchten sie in Hauseigeuthum zu verwandeln.

Die Bauern gingen jedoch siegreich aus dein Kampfe

gegen den Adel und dessen Anmaßung hervor.

Ungeachtet des um#

geheuern Vorzugs, den die Ritter in Ansehung der Bewaffnung v>or

330

Der Uebergang der Feudalität in die Monarchie.

den Bauern hatten, wurden sie besiegt.

Es ist alsdann gegen

jene

Uebermacht der Bewaffnung noch ein anderes technisches Mittel!. ge­

funden worden — das Schießpulver.

Die Menschheit bedurfte sseiner

Es war ein Hauptmittel zur Befrceiung von der physischen Gewalt. Zwar hat man bedauert, daß num der

und alsobald war es da.

Tapferste und Edelste sein Leben, wie jeder Andere, ohne persönllichen Widerstand verliere, aber nur durch dieses Mittel konnte eine »wahre Tapferkeit hervorgehen, eine Tapferkeit ohne Leidenschaft, ohne Mache,

Zorn u. s. w. Mit vollkommener Ruhe geht nun der Krieger dem Tode entgegen und opfert sich für das Allgemeine aus. Das ist aber die Tapferkeit gebildeter Nationen, die nur wesentlich in Gemeimschaft mit anderen wirksam ist.

Auch die Festigkeit der Burgen hat

das

Schießpulver gebrochen. In Italien wiederholt sich, wie oben schon gesagt ist, dasselbe Schau­ spiel, das wir in Deutschland gesehen, daß nämlich die einzelnen Punkte zur Selbständigkeit gelangt sind. Das Kriegführen wurde dort durch die Condottieri zu einem förmlichen Handwerk.

Die Städte

mußten auf ihr Gewerbe sehen und nahmen deshalb Söldner in Dienst, deren Häupter häufig Dynasten wurden; Verwirrung und Krieg war nicht minder wie in Deutschland vorhanden. In Florenz wurden die Medici, eine Familie von Kaufleuten, herrschend: eben so war es auch mit den anderen größeren Städten Jtalien's, aber jene großen Städte unterwarfen sich wiederum eine Menge von kleineren und von

Dynasten.

Eben so bildete sich ein päpstliches Gebiet.

Auch hier

hatten sich eine unzählige Menge von Dynasten unabhängig gemacht;

nach und nach wurden sie sämmtlich der einen Herrschaft deS Papstes unterworfen. Wie zu dieser Unterwerfung im sittlichen Sinne durch­

aus ein Recht vorhanden war, ersieht man aus der berühmten Schrift Macchiavellis „der Fürst."

Oft hat man dieses Buch als mit den

Marimcn der grausamsten Tyrannei erfüllt mit Abscheu verworfen,

aber in dem hohen Sinne der Nothwendigkeit einer Staatsbilduug hat Macchiavelli die Grundsätze aufgestellt, nach welchen in jenen Um­

ständen die Staaten gebildet werden sollten.

Die einzelnen Herren

und Herrschaften sollten durchaus unterdrückt werden, und wenn wir mit unserem Begriffe von Freiheit die Mittel, die er uns als die ein­

zigen und vollkommen berechtigten zu erkennen giebt, nicht vereinigen können, weil zu ihnen die rücksichtsloseste Gewaltchätigkeit, alle Arten von Bettug, Mord u. s. w. gehörte, so müssen wir doch gestehen, daß

331

Der Nebergang der Feudalität in die Monarchie.

die Dynasten-, die niederzuwerfen waren, nur so angegriffen werden

konnten, da ihnen unbeugsame Gewissenlosigkeit und eine vollkommene Verworfenheit durchaus zu eigen waren.

Durch elende Häupter wurde

Italien zerrissen, unterdrückt und mit allen Gräueln angefüllt, bis sich nach und nach ein besserer Zustand bildete.

In Frankreich ist der umgekehrte Fall als in Deutschland und Ita­ lien eingetreten.

Mehrere Jahrhunderte hindurch besaßen die Könige

von Frankreich nur ein sehr kleines Territorium, so daß viele der ihnen untergebenen Vasallen mächtiger, als sie selbst waren.

von Frankreich

auch

deshalb

wurde

vom Auslande

Der König

geringgcschätzt;

aber sehr Vortheilhaft war es für die königliche Würde in Frankreich, daß sie als erblich festgesetzt war.

Auch gewann sie dadurch Ansehen,

daß die (Korporationen und Städte von dem Könige ihre Berechti­

gungen und Privilegien bestätigen ließen, und die Berufungen an den obersten Lehnshof, aus zwölf Pairs bestehend, immer häufiger wurden.

Philipp der Schöne berief im Jahre 1302 zum erstenmale Reprä­ sentanten

der Städte

Reichsversammlungen

zu

und

befestigte durch

eine bessere Einrichtung des Gerichtswesens ganz außerordentlich seine Macht. Auch kam der König in das Ansehen, daß bei ihm vor den

Unterdrückern Schutz zu suchen sei.

WaS aber dem Könige wesentlich

auch bei den mächtigen Vasallen zu Ansehen verhalf, war seine sich vermehrende Hausmacht:

auf

mannigfache

Weise durch

Beerbung,

durch Heirath, durch Gewalt der Waffen u. s. w. waren die Könige in Besitz vieler Grafschaften und

mehrerer Herzogthümer gekommen.

Die Herzöge der Normandie waren jedoch Könige von England ge­ worden,

und es

welcher durch

stand

so

eine

starke Macht Frankreich

die Normandie das Innere

gegenüber,

geöffnet war.

Eben

so

blieben mächtige Herzogthümer übrig; aber der König war trotz dem

ein Landesherr (?) geworden: er hatte eine Menge von Baronen und

Städten unter sich, die seiner unmittelbaren Gerichtsbarkeit unterworfen

waren, ja er hatte daö Recht, seinen Städten Steuern aufzuerlegen. Die Barone und Städte erhoben sich alsdann zu Ständen.

Wenn

nämlich der König Geld brauchte und alle Mittel, wie Steuern und

gezwungene (Kontributionen aller Art erschöpft waren, so wandte er

sich an die Städte.

Wenn sie auch auf diese Weise nicht direct an

der Gesetzgebung Theil nahmen, so bekamen sie dennoch eine BedeuNmg und Macht im Staate, und so auch einen Einfluß auf die Ge­

setzgebung.

Besonders auffallend ist es, daß die Könige von Frank

332

Der Uebexgang bet FeudalitäL in die Monarchie.

reich erklärten, daß die leibeigenen Bauern für ein Geringes in ihrem

Kronlande sich frcikaufen könnten.

Aus diese Weise kamen die Könige

sehr bald zu einer großen Macht, und die Blüthe der Naturpoesie durch die Troubadours, so wie die Ausbildung der scholastischen Theo­ logie, deren eigentlicher Mittelpunkt Paris war, gaben Frankreich eine Bildung,

welche

es vor den übrigen

europäischen Staaten voraus

hatte, und welche demselben im Auslande Achtung verschaffte. England wurde, wie schon bei Gelegenheit erwähnt worden ist,

von Wilhelm dem

Eroberer, Herzog der Normandie,

unterworfen.

Wilhelm führte daselbst die Lehnsherrschaft ein und theilte das König­ reich in Lehnsgüter- die er fast nur seinen. Normannen verlieh.

Er

selbst behielt sich bedeutende Kronbesitzungen vor; die Vasallen waren verpflichtet in Krieg zu ziehen und bei Gericht zu sitzen; der König war Vormund der Minderjährigen unter seinen Vasallen: sie durften

sich nur nach

erhaltener Zustimmung

verheirathen.

Erst

nach und

nach kamen die Barone und die Städte zu einer Bedeutsamkeit.

Be­

sonders bei den Streitigkeiten und Kämpfen um den Thron erlangten

sie ein großes Gewicht.

Als der Druck und die Aufforderungen von

Seiten des Königs zu groß wurden, kam es zu Zwistigkeiten, selbst zum Kriege: die Barone zwangen den König Johann die magna charta,

die Grundlage der englischen Freiheit, das heißt, besonders der Privi­ legien des Adels, zu beschwören.

Unter diesen Freiheiten stand das

Eigenthnmörecht oben ankeinem Engländer sollte es ohne ein gericht­ liches Urthell von seines Gleichen

genommen werde».

Der König

sollte ferner keine Steuern auslegen, ohne Zustimmung der Vasallen,

Grafen und Barone', auch den Städten wurden ihre alten Gewohn­ heiten und Freiheiten bestätigt.

Dennoch war der König immer sehr

mächtig, wenn er Charakterstärke besaß: seine Krongüter verschafften

ihm ein gehöriges Ansehen; später jedoch wurden dieselbigen nach und nach veräußert, verschenkt, so daß der König dazu kam vom Parla­

mente Subsidien zu empfangen.

Das Nähere und Geschichtliche, wie die Fürstenthümer den Staaten

einverleibt worden

sind, und

die Mißverhältnisse und Kämpfe

solchen Einverleibungen berühren wir hier nicht näher. noch zu sagen, daß die Könige,

bei

Nur das ist

als sie durch die Schwächung der

Lehnsverfassung zu einer größeren Macht gelangten, diese, nun gegen

einander im bloßen Interesse ihrer Herrschaft gebrauchten.

So führten

Frankreich und England hundertjährige Kriege gegen einander.

Immer

333

Der Uebergang der FeudalltäL in die Monarchie. vrrsuchten es die Könige nach Außen hin Eroberungen

zu machen;

die Städte, welche meist die Beschwerden und Auflagen zu tragen hatten, lehnten sich dawider auf, und die Könige räumten ihnen, um

sie zu beschwichtigen, wichtige Vorrechte ein.

Bei allen diesen Mißhelligkeiten suchten die Päpste ihre Auctorität einwirken zu lassen, aber das Interesse der Staatsbildung war so fest,

daß die Päpste init ihrem eigenen Interesse einer absoluten Auctorität

wenig dagegen der Bildung

vermochten.

Die

deutschen Kurfürsten, im Geschäft

eines Gemeinwesens

begriffen,

und

im Gefühle

ihres

Rechts und der Gerechtigkeit ihrer Sache, erklärten sich im Jahre 1338 öffentlich gegen die päpstliche Anmaßung und behaupteten, sie hätten

in ihren Angelegenheiten die Zustimmung des Papstes nicht nöthig. Eben so hatte schon im Jahre 1302 bei einem Streite des Papstes

Bonifaciuö mit Philipp dem Schönen die Reichsversammlung, welche

Letzterer zusammenberufen hatte, gegen fccii Papst gestritten. Staaten

und Gemeinwesen

waren

zum Bewußtsein

Denn die

gekommen,

ein

Selbständiges zu sein. Mannigfache Ursache hatte sich vereinigt, die päpstliche Auctorität

zu schwächen: das große Schisma der Kirche, welches die Unfehlbar­

keit des Papstes in Zweifel stellte, traf mit den Schlüssen der Kirchen­

versammlungen zu Costnitz und zu Basel zusammen, die sich über den Papst stellten und deshalb

Päpste

absetzten und ernannten.

Viele

Versuche gegen das System der Kirche haben das Bedürfniß einer

Reformation sanctionirt.

Arnold von Bresica, Wiklef, Huß bestritten

mit Erfolg die päpstliche Statthalterschaft Christi und die groben Miß­

bräuche der Hierarchie. Partielles.

Diese Versuche waren jedoch immer nur etwas

Einerseits war die Zeit noch nicht reif dazu, andererseits

haben jene Männer die Sache nicht in ihrem Mittelpunkte angegriffen, sondern sich, namentlich die beiden Letzteren, mehr auf die Gelehrsam­

keit des Dogmas gewendet, was nicht so das Interesse des Volkes erwecken konnte.

Mehr aber als dies stand dem Principe der Kirche die beginnende Staatenbildung gegenüber:

kommen Berechtigtes

ein allgemeiner Zweck,

ein in sich voll­

ist für die Weltlichkeit in der Staatenbildung

aufgegangen, und diesem Zwecke der Gemeinschaftlichkeit hat sich der

Wille, die Begierde, die Willkühr des Einzelnen unterworfen/

Die

Härte des selbstsüchtigen, auf seiner Einzelheit stehenden Gemüthes ist

so zerbrochen worden.

334

Der Uebergang der Fendalität in die Monarchie.

Schon früher hatte fteilich die Kirche durch die ihr zu Gebote stechende eiserne Ruthe der Zucht, durch die härteste Knechtschaft dieses Geemüth wanken

gemacht,

aber da das

Christenthum wesentlich ein geiistiges

Princip enthält, so konnte es niemals zu indischer Dumpfheit gebracht werden.

ES ist hiermit vielmehr nur der Boden gereinigt werden,

auf welchem das religiöse Princip Platz finden konnte, und den Men­ schen ist das Gefühl der wirklichen Versöhnung geworden.

söhnung wurde in der Wirklichkeit,

Diese: Ver­

im Staate nunmehr vollbracht,

das Natürliche ist gefangen genommen worden, und der Mensch hat sich auS dem Mittelalter zu seiner Freiheit erhoben.

Wir können aber

nicht sowohl sagen, daß der Mensch aus der Knechtschaft befreit wor­ den sei, als vielmehr durch die Knechtschaft.

Denn die Rohheit, die

Begierde, das Unrecht sind das Böse: der Mensch ist als in ihnen

gefangen, der Sittlichkeit und Religiosität unfähig, und dieses gewalt-

thätige Wollen eben ist es, wovon die Zucht ihn befreit hat.

Die

Kirche hat den Kampf mit der rohen Sinnlichkeit durch die Schrecken

der Hölle und die Waffen bestanden, denn nur durch daS Mittel der eisernen Gewalt konnte jene bezähmt werden. Es wird in der Dogmatik ausgesprochen, daß diesen Kampf noth­

wendig jeder Mensch durchgemacht haben müsse, denn er ist von Natur

böse, und erst durch seine innere Zerrissenheit hindurchgehend, er zur Gewißheit der Versöhnung.

kommt

Wenn wir dies einerseits zugeben,

so muß andererseits doch gesagt werden, daß die Form des Kampfes sehr verändert ist, wenn die Grundlage eine andere, und die Versöh­ nung in der Wirklichkeit vollbracht wird.

Der Weg der Qual ist als

solcher hinweggefallen (er erscheint zwar auch noch später,

aber in

einer ganz andern Gestalt), denn wie das Bewußtsein erwacht ist,

befindet sich der Mensch in dem Elemente eines sittlichen Zustandes. Das Moment der Negation ist freilich ein nothwendiges im Men­ schen, aber er hat jetzt die ruhige Form der Erziehung erhalten, und

somit schwindet alle Fürchterlichkeit des innern Kampfes.

Daß dieses

aber geschehen könnte, erfordert und setzt voraus, daß der Zustand der

Religiosität und Rechtlichkeit bereits vorhanden sei.

Wir befinden uns jetzt auf einen höheren Standpunkte: das Höhere und Wahrhafte ist nun im Gefühle der verwirklichten Versöhnung

vorhanden, und der Mensch ergeht sich in Thätigkeiten, die auf diesem Standpunkte nicht mehr fehlen können.

XV.

Eroberung Constantinopel's durch die fränkischen Kreuzfahrer. (1204.) (Nach Villehardouin aus Lanz.)

Der Kaiser Isaak zu Constantinopel hatte einen Bruder mit Namen

Alerius.

Derselbe,

wiewohl er von dem Kaiser war aus der Ge­

fangenschaft der Türken befreit worden, beging die schändliche That, daß er ihn vom Throne stieß, ihn blendete und ins Gefängniß warf

sammt seinem Sohne, der ebenfalls Alerius hieß.

Dieser junge Alerius

entwischte aus dem Kerker und entkam zu Schiffe nach Ankona; von da ging er nach Deutschland zu König Philipp, der hatte seine Schwester zur Gemahlin.

Auf dem Wege dahin zu Verona in der Lombardei

traf er eine Schaar Pilger, die zogen gen Venedig, wo sich dazumal

ein großes Heer sammelte, um nach dem heiligen Lande zu steuern.

Da traten seine Begleiter zu ihm und sprachen:

„Herr, nicht weit

von hier, zu Venedig, sammelt sich ein mächtiges Heer von stattlichen

Rittern, um übers Meer zu steuern: diese rufe an, daß sie Mitleid

haben mit Dir und Deinem Vater, und verhelfen Euch wieder zu dem so schändlich entrissenen Erbe, und wenn sie geneigt sind, Euch zu

Helsen, so versprich ihnen, was sie nur begehren."

Der Rath gefiel

dem Prinzen, und er schickte sogleich Gesandte an den Markgrafen von ^Monfcrrat, welcher an der Spitze der Kreuzfahrer stand, und an die übrigen Häupter.

Dieselben waren sehr erstaunt über den Antrag und

erwiederten, sie wollten Gesandte mit ihnen gehen lassen zum König

336

Eroberung von Constantmopel.

Philipp, und wenn dieser sie unterstützen wolle, das heilige Lamd zu erobern, so wären sie dagegen bereit, ihm zum Besitz des cntrisssenen

Reiches zu verhelfen.

Also gingen die Gesandten mit einander

nach

Deutschland. Es waren aber die Ritter und die übrigen Pilger,

Venedig

zogen,

zumeist aus Frankreich,

welche

nach

auch

aus

etliche derselben

Deutschland, darunter der Graf Berthold von Katzenellenbogem und der Bischof von Halberstadt;

an der Spitze stanven

als

cnwählte

Häupter Graf Balduin von Flandern und Markgraf Bonifaciues von Montserrat.

Und sie hatten mit den Venetianern und ihrem Dogen,

Heinrich Dandolo, Aber die Pilger

einen Vertrag

hatten

sich

geschlossen

zum Theil

wegen der Ucberfahrt.

nach

anderen

Küstem und

Häfen zerstreut, zum Theil hatten sie kein Geld mitgebracht oder hatten es schon durchgebracht.

vor,

Nun streckten zwar die Barone

und

Ritter

so viel sie vermochten, und die Anführer mit ihren Fremnden

verpfändeten ihre ganze

Habe;

nicht, die auöbcdnngene

Summe von 85,000 Mark Silbers zu ent­

richten.

sie

aber das Alles

langte

bei weitem

In dieser Noth machte ihnen der Doge den Vorschlag,, daß

mit ihm wider die abtrünnige Stadt Zara an der dalmcrtischcn

Küste zögen; hätten sie

diese erobert, so würden sie aus

der Beute

die Ucberfahrt bezahlen

können.Dem wurde zwar viel

und

widersprochen.

heftig

Da sie aber kein anderes Mittel hatten, ihren Berttag

zu erfüllen, so mußten sie es am Ende zufrieden sein.

Hierauf nahm der Doge, wiewohl er schon über neunzig Jahre alt war und auf beiden Augen blind, selber das Kreuz und stellte sich

an die Spitze des Zuges.

Und die Venetianer, wie sie die Begeiste­

rung des alten Mannes sahen, drängten

sich um die Wette hinzu,

um Theil zu nehnien an dem rühmlichen Unternehmen.

Sofort schifften

sie sich ein, die Kreuzfahrer zu Fuß und zu Pferd, und alle Arten von Vorräthen und Sturmzeug, und

es-war eine stattliche Flotte,

welche in See stach am 8. October des Jahres 1202.

Die Stadt Zara, wiewohl sie sehr stark befestigt war und durch

himmelhohe Mauern geschützt, konnte doch nicht widerstehen und ergab sich.

Es ward viel kostbare Beute gemacht, und von ihrem Antheil

bezahlten die Franken ihre Schuld an die Venetianer, jedoch

völlig.

nicht

Darauf blieben sie den Winter über in der Stadt; denn sie

fanden daselbst reichliche Vorräthe, und für alle Bedürfnisse war hin­ länglich gesorgt.

Eroberung von Constantinopel durch die fränkischen Kreuzfahrer.

337

Mittlerweile kamen dahin Gesandte vom'deutschen König Philipp

nebst denen des Prinzen Alerius, und machten den Kreuzfahrern die

herrlichsten Versprechungen, wenn sie jenen wieder in sein Reich ein­

setzten.

Fürs Erste, sprachen sie, wird derselbe sein ganzes Reich zum

Gehorsam unter die römische Kirche, von der es längst abgctrennt ist,

zurückführen: sodann verspricht er Euch die Summe von zweihundert­ tausend Mark Silbers und Lebensmittel für das ganze Heer auf ein Jahr;

ferner wird

er selber mit Euch

wider Aegypten ziehen oder

wenn Ihr es begehret, zehntausend Mann Euch zu Diensten stellen

und ein Jahr lang auf seine Kosten unterhalten: endlich wird er, so lange er lebt, fiinfhundert Ritter zum Schutze des heiligen Landes halten.

Als man dies Anerbieten vernahm, unter den Häuptern des Zuges.

entstand ein arger Zwiespalt

Denn die Einen widersprachen heftig

und sagten, es wäre nicht recht und ganz gegen ihr Gelübde, wenn sie gegen Christen zögen und nicht wider die Ungläubigen; diese woll­

ten nicht anders, alö gerades Weges nach Syrien steuern.

Die An­

dern sagten, man könne das heilige Land nicht gewinnen, ohne zuvor Aegypten erobert zu haben, und dies sei nicht Anders möglich, als mit

Hülfe der Griechen.

Diese waren die mächtigere Partei, darunter der

Markgraf von Montserrat und die Grafen von Flandern, von Blois

und von St. Paul.

Daher achteten sie nicht auf den Widerspruch

der Anderen und schlossen nebst dem Dogen den Vertrag mit den Ge­

sandten ab und beschworen ihn.

Von den Andern aber zerstreuten sich

Viele, theils zu Lande, theils zu Schiffe, um für sich ihr Gelübde zu erfüllen.

Diese kamen jedoch meistens jämmerlich um, und nur We­

nige gelangten ans Ziel und ohne etwas auszurichten.

Für das Heer

aber war dieser Verlust nicht gering.

Endlich, zu Ostern 1203, als sie eben absegelten und zum Theil

schon abgefahren waren, kam Prinz AleriuS zu ihnen und ward mit Freuden und Ehren empfangen.

Darauf steuerten sie zusammen nach

Korfu, das zum griechischen Reich gehörte; und die Insel sowohl, als

die Stadt Durazzo an der Küste des Festlandes ergaben sich sogleich und erkannten den Prinzen als ihren Herrn. schönen und reichen Insel verweilten,

Während sie auf der

begab es sieb,

daß

über die

Hälfte des Heeres, die angesehensten Ritter an der Spitze, sich trenn­

ten und wollten mit dem Grafen Walter von Brienne, welcher da­ mals zu Brundusium in Apulien eine Schaar Pilger sammelte, gerades Hist-r. Lesebuch. II.

22

338

Eroberung von Constantinopel durch die fränkischen Kreuzfahrer.

Darüber waren die Anderen und

Weges nach Syrien steuern.

Häupter, welche beit Vertrag abgeschlossen hatten, sehr bestürzt.

die

Und

sie gingen hin alle zusammen nebst den Prinzen und allen Geistlichen

in das Thal, wo Jene bei einander versammelt waren, und stelllten ihnen vor, wie, wenn sie sich trennten, kein Theil würde seinen Zweck erreichen; denn weder die Einen könnten ohne die Hülfe der Andern dem Prinzen sein Reich wieder gewinnen, noch könnten diese Mein

das heilige Land erobern.

Daraus warfen sie sich ihnen zu Füssen

und beschworen sie mit Thränen, sie nicht zu verlassen.

Hierdurch

wurden die Anderen gerührt und versprachen, noch bei ihnen zu blei­

ben bis zu Michaelis und

in

ihrem Unternehmen ihnen bcizustehen,

unter der Bedingung, daß von da an, sobald sie es begehren würden, binnen vierzehn Tagen sie die nöthigen Schiffe zur Fahrt nach Syrien

ohne alle Widerrede bekämen.

Das waren Jene gern zufrieden, und

sie beschwuren den Vertrag feierlich. gerade

auf Pfingsten.

Es

Alsbald sodann fuhren sie ab,

war das schönste Wetter,

der Himmel

heiter, der Wind günstig, das Meer ganz ruhig, und so war cs eine

rechte Lust, die herrliche Flotte zu sehen; so weit die Blicke reichten, war das Meer mit Segeln bedeckt, und man konnte wohl meinen,

daß man damit die ganze Welt erobern könne.

Nach kurzer Fahrt

gelangten sie in den Hellespont und füllten den ganzen Canal mit den Segeln und Fahrzeugen, daß es ein wunderbarer Glanz war zum Anschauen.

Als sie an die Abtei St. Stephan kamen, zeigte sich auf

einmal die Stadt Constantinopel in ihrer ganzen Herrlichkeit, daß sie glaubten, in der ganzen Welt gäbe es keine so reiche und prächtige

Stadt mehr; und sie staunten über die hohen Mauern mit den Thür­ men, womit sie rings beseht war, und über die Pracht der Paläste

und die zahllose Menge der Kirchen, die man gar nicht alle übersehen konnte.

Da ward Manchem, auch wenn er noch so herzhaft war,

bange um den Ausgang des Unternehmens, und das war auch kein

Wunder, denn dafür war ihre Anzahl doch gar gering.

Aber der

Doge sprach ihnen Muth ein und gab ihnen nützlichen Rath, wie man mit Vorsicht verführe. -

Den folgenden Morgen — es war am St. Johannistage — fuhren

sie in aller Pracht mit flatternden Fahnen und Wimpeln, die Verdecke ganz mit Bewaffneten besetzt, dicht vor dm Mauern der Stadt vor­ über, so daß die Geschosse der Feinde bis auf die Schiffe fielen.

Dar­

auf landeten sie gegenüber auf der asiatischen Küste unweit Chalcedon.

Eroberung von Constantinopel durch die fränkischen Kreuzfahrer.

339

Richt lange, so kam hieher ein Gesandter "vom Kaiser Alerius und sprach zu den versammelten Fürsten: „Meine Herren! der Kaiser läß

Euch entbieten, daß er Euch wohl für die trefflichsten Leute hält von Allen, die keine Krone tragen.

Doch wundert er sich, wie Ihr dazu

kommt, sein Reich Heimzusuchen, da Ihr doch Christen seid, wie auch

er.

Er weiß wohl, daß Ihr ausgezogen seid, das heilige Land und

Christi Grab zu befreien.

Habt Ihr etwas von Nöthen, Lebensmittel

oder andere Bedürfnisse, so

will er sie Euch recht gern geben, nur

räumet alsbald wieder sein Land.

Es sollte ihm leid thun, wenn er

Euch müßte UebleS anthun, wie es in seiner Macht steht; denn wären

Eurer auch zwanzigmal soviel Leute, so könntet Ihr ihm doch nicht

entgehen, wenn er wollte Euch tobten oder zusammenhauen." Ihm

erwiederte

Konon

von Bethüne im Namen

der Uebrigen:

„Schöner Herr! Ihr sagt uns da, Euer Herr wundere sich, wie wir

dazu kommen, sein Reich zu betreten; wir haben aber gar nicht das fcinige betreten — denn er besitzt es widerrechtlich und hat gesündigt

gegen Gott und Recht — sondern daS Land

gehört seinem Neffen,

der da unter uns auf dem Stuhle sitzet, dem Sohne seines Bruders, des Kaisers Isaak.

Wenn er diesem Krone, und Reich wiedergiebt

und ihn um Verzeihung bittet, so wollen wir Fürsprache einlegen, daß

auch er ihm verzeihe und gewähre ihm anständigen Lebensunterhalt. Ihr aber hütet Euch, wieder zu kommen mit solcher Botschaft." kehrte der Gesandte wieder heim.

Also

Die Anderen aber rüsteten sämmt­

liche Schiffe, und nachdem sic auf eins derselben den Prinzen Alerius gestellt,

fuhren sie längs der Mauern von Constantinopel,

und so

zeigten sie dem griechischen Volke den Prinzen und riefen: „Sehet hier Euren angestammten Herrn! Derjenige, dem Ihr jetzt gehorchet,

herrschet widerrechtlich und hat gegen Gott und Recht gesündigt.

Wisset,

daß wir nicht gekommen sind, Euch Leids zu thun, sondern um Euch

zu schützen und zu vertheidigen, so Ihr thut, wie Eure Schuldigkeit

ist, und haltet Euch zu Eurem rechtmäßigen Herrn.

Thut Ihr das

nicht, so werden wir Euch soviel Uebels zufügen, als wir nur können!" Also riefen sie, aber es war auch nicht ein Einziger, der auf seine Seite getreten wäre, aus Furcht vor dem Kaiser.

Nunmehr rüsteten

sich

die Kreuzfahrer zum Kampf.

An einem

schönen Sommermorgen, nachdem sie zuvor gebeichtet und Testamente

gemacht hatten, lichteten sie die Anker und fuhren hinüber, wo der Kaiser mit einem großen Heere am Gestade sie erwartete. 22»

Mit dem

340

Eroberung von Constantinopel durch die fränkischen Kreuzfahrer.

größten Eifer bemühten sie sich um die Wette, das Ufer zu gewinmen,

die Ritter sprangen in voller Rüstung, den Degen in der Faust, an den Gürtel ins Meer, die Uebrigen blieben nicht zurück.

bis Die

Griechen machten zwar anfangs Miene, sich zu wehren; als aber Jene ernstlich angriffen, flohen sie insgesammt davon und ließen sie umge-

hindcrt landen. Am folgenden Tage ward der Thurm von Gallata, welcher den Eingang zum Hafen schützte, erstürmt, die Kette, wamit derselbe gesperrt war, gesprengt, und die Flotte lief in den Hasen ein.

Sofort beschloß man den Sturm zu Wasser und zu Land.

Am

fünften Tage landeten die Franken in der Tiefe des Hafens und rück­ ten bis dicht vor die Mauern in der Nähe des befestigten Palaistes

Plachernä und lagerten sich daselbst.

Und da war es wohl zum Er­

staunen, wie die Handvoll Leute, die kaum hinreichten, ein Thor zu sperren, es unternahmen, die Stadt zu belagern, die auf der Land­

seite drei französische Meilen lang war und soviel Bewohner zahlte, daß ihrer zweihundert auf einen Mann von den Belagerern gingen. Im Hafen ordneten die Venetianer ihre Schiffe längs der Mauer in

einer Ausdehnung von drei Schußweiten und stellten ihre Maschinen auf und hielten die Leitern zum Sturme bereit. Die zu Lande nun

hatten einen harten Stand; denn cs war keine Stunde, weder bei Tage noch bei Nacht, da nicht ein Theil des Heeres schlagfertig sein mußte, die Maschinen zu decken und Ausfälle abzuschlagen, deren oft sechs biö sieben an einem Tage bald aus diesem, bald aus jenem Thore erfolgten; und dabei hatten sie nur wenig Lebensmittel und durften es doch nicht wagen, nur vier Schußweiten sich vom Lager

zu entfernen, um solche zu holen.

Sie befestigten zwar das Lager,

aber die Griechen ließen ihnen doch keine Ruhe und griffen es unauf­ hörlich an. Diese Noth und Gefahr dauerte zehn Tage, dann schritt man zum allgemeinen Sturm.

Von sieben Heerhaufen blieben drei

unter dem Markgrafen von Montserrat zur Deckung des Lagers zu­ rück, die übrigen unter dem Grafen Balduin von Flandern und seinem

Bruder Heinrich, den Grafen von Blois und von St. Paul rückten

aus und stürmten an einer Stelle, die durch eine Schaar Dänen und

Engländer wacker vertheidigt ward; aber sie stürmten anhaltend und heftig und endlich erstiegen auf zwei Leitern ihrer Fünfzehn die Mauer,

und da kämpften sie Mann gegen Mann mit dem Schwert und der Streitaxt; die drinnen aber rafften sich zusammen und trieben sie mit

Gewalt wieder zuriick, und dabei fingen sie ihrer zwei.

So blieb der

341

Eroberung von Constantinopel durch die fränkischen Kreuzfahrer.

Sturm zu Lande ohne Erfolg, und es wurden dabei viele der Franken

verwundet.

Zu Wasser war der Kampf nicht minder hartnäckig, und

die Vertheidiger hielten sich eben so brav; die Leitern auf den Schiffen waren so nahe an den Mauern, daß man an einigen Stellen mit Schwert und Lanze stritt, und das Geschrei war so

wenn die Erde borstete und das Meer einsänke.

entsetzlich, als

Zum Erstaunen war

da der Heldenmuth des Dogen, der, so alt er war und blind, daß er keinen Stich sah, sich in voller Rüstung auf das Vvrderthcil seines

Schiffes stellte und, die Fahne

des

heiligen Marcus in der Hand,

drohend und ermunternd seinen Leuten zurief.

Und so kam es, daß

sie da die Landung erzwangen, des Dogen Galeere voran, und um die Wette stürmten.

Indem begab es sich, als ein wahres Wunder,

daß sie die Fahne des heiligen Marcus von einem der Thürme wehen

sahen, und doch wußte kein Mensch, wer sie da aufgepslanzt hatte;

da wichen die drinnen von der Mauer, und die Anderen drangen in Masse hinan und gewannen im Nn fünfundzwanzig Thürme.

Als

der Kaiser sah, daß die Feinde eingedmngen warm, schickte er eine solche Menge seiner Leute ab, sie wieder zu verjagcn, daß jene nicht

zu widerstehen vermochten.

Da warfen sie Feuer in die Häuser, und

der Wind trieb die Flammen den Griechen entgegen, sie aber zogen sich auf die eroberten Thürme zurück.

Jetzt machte der Kaiser einen

Ausfall mit seiner ganzen Macht aus den entfernteren Thoren und rückte gegen das Lager, während aus den drei Thoren zunächst des­ selben ein anderer Haufe hervvrbrach

Seite angriff.

und von der entgegengesetzten

Die Franken eilten von allen Seiten zu den Waffen

und stellten sich vor ihren Verschanzungen auf, so daß man sie nur von vorne angreifen konnte, und erwarteten so ohne vorzurücken, in

geschlossenen Gliedern den Feind.

Dieser

langsam und in guter Ordnung

vorrückend.

ganze Ebene

bedeckte die

Und da

That das kleine Häuflein in nicht geringer Gefahr.

war in der

Als der Doge

dies hörte, verließ er die eroberten Thürme wieder, um mit den An­ dern die Gefahr auf Leben und Tod zu theilen.

Lange standen sich

so die feindlichen Reihen gegenüber: die Einen wagten nicht anzu­ greifen, die Andern ihre feste Stellung nicht zu verlassen.

Endlich

ließ der Kaiser zum Rückzug blasen: die Griechen zogen sich langsam zurück, und die Franken folgten allgemach, bis die Feinde wieder in der Stadt waren, hernach gingen auch sie wieder in ihr Lager.

So wurden sie von der großen Gefahr befreit, und es war Keiner,

342

Eroberung von Constantmopel durch die fränkischen Kreuzfahrer,

auch der Herzhafteste nicht, der nicht herzlich ftoh darüber war. mehr aber waren sie erfreut und erstaunt, als

Noch

sie am andern Tag

vernahmen, daß der Kaiser Alerius in der Nacht entwichen und

der

geblendete Isaak von dem Volk wieder auf den Thron erhoben

sei.

Sie schickten Gesandte in die Stadt, denselben zu begrüßen und zu

bitten, daß er die von seinem Sohne abgeschlossenen Verträge bestätigen möge.

„Worin bestehen diese Verträge?" fragte Isaak, und als ihm

Jene berichteten,

wozu der Prinz

Alerius

sich

verbindlich

gemacht

hatte, sprach er: „Wahrlich, diese Bedingungen sind schwer, und ich

sehe nicht ab, wie es möglich sein wird, sie zu erfüllen; doch

sind

Eure Verdienste um mich und ihn so groß, daß, wenn Ihr das ganze

Reich verlanget,

Jhr's verdient hättet."

So wurden also die Ver­

träge in aller Form bestätigt, hierauf der junge Alerius in die Stadt zu seinem Vater geführt.

Unaussprechlich war die Freude, als Vater

und Sohn nach so schweren Leiden sich wieder umarmten, unendlich

der Jubel des ganzen Volkes, und auch die Franken priesen Gott für

den unverhofften schnellen Sieg.

Den folgenden Tag zogen sich diese

auf des Kaisers Bitte wieder aus der Stadt zurück und lagerten jen­ Von da aus verkehrten sie in Freundschaft und

seits des Hafens.

Einigkeit mit den Griechen, Alerius ward in aller Feierlichkeit gekrönt,

die Zahlungen begannen, und es herrschte das beste Verständniß zwi­ schen dem Kaiser und den Heerführern.

Als nun aber die Zeit näher kam, da die Franken abzichcn wollten, und der Kaiser einsah, daß es ihm nicht möglich sei, bis dahin die

Verträge vollständig zu erfüllen, so bat er sie, daß sie noch bis zum

künftigen Frühjahr verweilen möchten; unterdessen könne er seine Herr­

schaft völlig befestigen und die Mittel aufbringen, seinen Verbindlich­ keiten völlig zu genügen. den Kreuzfahrern. Erfüllung

der

Darüber entstand wieder Zwietracht unter

Die zu Korfu sich abgetrennt hatten, drangen aus

beschworenen Ilebereinkunft;

die Andern

stellten

die

Nothwendigkeit vor, wenn man den Zweck deS Zuges erreichen wolle,

noch so lange zu bleiben, bis die zugesagte Hülfe der Griechen könne aufgebracht

werden.

'Endlich

gelang

es

den

Letztem,

ihre Ansicht

durchzusetzen, die Termine wurden verlängert, und der Kaiser über­

nahm die fernere Verpflegung des Heeres und den weiteren Schiffs­ lohn der Venetianer. Hierauf durchzog Alerius an der Spitze eines Heeres und jn Be­

gleitung

des

Markgrafen Bonifacius und vieler andern fränkischen

Eroberung von Constantinopel durch die fränkischen Kreuzfahrer.

343

Grafen und Ritter die Provinzen seines Reiches, um sich ihres völligm

Gehorsams zu versichern.

Unterdessen ereignete sich zu Constantinopel

ein außerordentliches Unglück.

Bei Gelegenheit eines Zwistes zwischen

Griechen und Lateinern entstand eine entsehliche Feuersbrunst, die gar nicht konnte gelöscht werden; da sanken die henlichsten Paläste und die schönsten Kirchen in Asche, unermeßliche Schätze wurden ein Raub

der Flammen, und viele Menschen kamen dabei ums Leben.

Das

Feuer fing an zunächst dem Hafen und brannte mitten durch die Stadt bis zum andern Ende am Meere, acht Tage lang, ohne daß man seiner Herr werden konnte.

Seitdem war daö gute Vernehmen zwi­

schen beiden Völkern gänzlich gestört.

Als nun der junge Kaiser zurückkam und seine Herrschaft völlig be­ festigt glaubte, so daß er der Franke» entbehren zu können meinte; da

nahm er eine ganz andere Miene an gegen die Herren, welchen er so viel zu verdanken hatte. Die Andern dagegen, ani meisten der Mark­ graf von Montserrat, erinnerten ihn häufig an die Erfüllung seiner

Verbindlichkeiten und machten ihm ernstliche Vorwürfe. Endlich, als sie sich völlig überzeugt hatten, daß er durchaus üblen Willen und gar nicht die Absicht habe, die Verträge je zu erfüllen, so schickten sie eine Gesandtschaft an denselben, die ihn in Gegenwart der Großen seines Reiches feierlich an die Erfüllung seiner Schuldigkeit mahnte, und, wofern er nicht unverzüglich die Verträge vollziehe, den Krieg erklärte. Darüber waren Aleriuö und alle Griechen sehr aufgebracht,

und es begannen alsbald die Feindseligkeiten.

Es zogen aber die Griechen in den Gefechten immer den Kürzern, und ein Versuch, durch

Brander die Flotte der Kreuzfahrer zu vernichten, scheiterte durch die geschickte Thätigkeit der Venetianer. Als nun die Griechen sahen, daß der Kaiser gänzlich mit den Franken gebrochen hatte, sannen sie insgeheim auf Verrath. Es war aber ein Grieche, mit Namen Murzuphlos, der stand in besonderer Gunst beim

Kaiser und hatte ihn vor allen Andern dazu vermocht, mit den Franken zu brechen. Dieser nun, auf Anstiften Anderer und in Verbindung mit der Leibwache, schlich sich eines Abends,- als Alerius schlief, in sein Gemach, und sie fingen ihn im Bette und warfen ihn ins Ge­

fängniß.

Hernach ward Murzuphlos zum Kaiser ausgerusen und in

der Sophieenkirche gekrönt.

Der alte Isaak aber starb vor Schrecken,

und AleriuS, als beigebrachtes Gift nicht wirkte, ward im Kerker er­

drosselt.

Als dies die Franken hörten, versammelten sich die Fürsten

344

Eroberung von Constantinopel durch die fränkischen Kreuzfahrer.

und Herren, sammt dem^Dogen und den Bischöfen und allen Geist­ lichen.

Da traten des Papstes Leute aus und zeigten, wie man es

nicht dulden dürfe, daß der Verräther nach einer solchen Schandthat den Thron inne habe, und sie erklärten es für recht, ihn zu bekriegen,

und für verdienstlich, das Land dem römischen Stuhl zu unterwerfen.

Also beschlossen sie, die Stadt zu stürmen und machten einen Vertrag, daß, wenn sie dieselbe gewönnen, die Beute getheilt würde, und daß

sie wollten einen Kaiser aus ihrer Mitte wählen, dem sollte der vierte Theil des Reiches gehören, das Uebrige sollte zu gleichen Theilen, die eine Hälfte den Franken als Lehen zufallen, die andere den Venetia-

nern.

Hierauf machten sie die ernstlichsten Anstalten zu Wasser und

zu Land, und auch die in der Stadt befestigten sich noch mehr und

setzten hölzerne Stockwerke noch auf die Mauern.

Sodann gingen sie

eines Morgens zu Schiffe und begannen einen hartnäckigen Sturm, aber nach siebenstündigem Kampfe wurden sie mit Verlust zurückge­ schlagen.

rüstet

Nachdem sie zwei Tage

hatten,

wiederholten

sie

gerastet und aufs Neue sich ge­

am dritten Tage den Sturm.

Sie

hatten aber von den Schiffen, worauf die Leitern standen, je zwei mit einander verbunden,

um zusammen

einen Thurm

anzugreifen,

denn

die Besatzung auf demselben war zu stark, um sonst etwas auszurichten. Die Mauern waren ganz dicht mit Vertheidigern besetzt.

Nichtsdesto­

weniger griffen Jene muthig an, und es entstand ein wüthender Kampf,

der dauerte lange ohne Entscheidung.

Endlich erhob sich ein starker

Nordwind, der trieb die Schiffe hart wider die Mauern,

und zwei

Schiffe, die an einander gebunden waren — das eine hieß die Pil­ gerin, das andere das Paradies — kamen dadurch so nahe an anen Thurm, das eine zur Rechten, das andere zur Linken, daß die Leiter

der Pilgerin an demselben anlegte.

Augenblicklich drangen ein sran-

zösischer Ritter und ein Venetianer hinan, Andere folgten nach, und im Nu war der Thurm genommen.

Die Ritter

auf den nächsten

Schiffen, wie sie das sahen, landeten und legten die Leitern an, wäh­

rend die Besatzung oben weggetrieben ward, und so eroberten sie noch vier Thürme.

Jetzt drang Alles mit verdoppeltem Muthe vor, bald

waren drei Thore gesprengt, und die Ritter auf den schnell gelandeten Pferden eilten mit verhängtem Zügel nach dem Platz, wo der Kaiser

mit dem Kern seiner Truppen

ein Lager bezogen und dieselbe! in

Reihe und Glied ausgestellt hatte.

Als diese die Ritter ansprergen

sahen, flohen sie aus einander, der Kaiser selbst in seinen Palast Bu-

Eroberung von Constantmopel durch die fränkischen Kreuzfahrer.

345

Nun begann ein Gemetzel in den Straßen, bis am Abend

kaleon.

die Sieger des Mordens müde waren.

Die Nacht zogen sie sich in

die Nähe der eroberten Thürme zurück und meinten wohl noch einen Monat Arbeit zu haben, bis sie die Stadt würden völlig inne haben.

Murzuphlos versammelte seine Leute, als wollte er die Franken über­

fallen; aber er that es nicht, sondern wandte sich nach dem entgegen­ gesetzten Theile der Stadt und entwich durch das goldene Thor, und es folgte seinem Beispiel,

wer konnte.

Aus Besorgniß

vor einem

Ueberfall wurde von den Franken Feuer angelegt, und es entstand ein Brand, der dauerte die ganze Nacht und bis den andern Abend.

Dies

war der dritte Brand, seitdem die Franken da waren: und es brannten

mehr Häuser nieder, als in drei der größten Städte Frankreichs sind. Den andern Morgen, als die Franken wieder zu den Waffen griffen,

leistete Niemand mehr Widerstand.

So wurde die größte und festeste Stadt der Welt mit mehr als

vierhunderttausend Einwohnern erobert von einem Heere, das in Allem nicht mehr als zwanzigtausend Streiter zählte.

Die Beute war un­

ermeßlich an Gold, Silber, Geräthen, Edelsteinen, köstlichen Stoffen

und dem edelsten Pelzwerk.

Dieselbe wurde in drei Kirchen zusammen­

gebracht und, wie es vorher ausgemacht war, »ertheilt; dabei kamen, nicht gerechnet, was Einzelne verheimlichten, ans den Antheil der Franken

wohl

vierhunderttausend Mark Silbers

Lastthiere.

und zehntausend Reit-

uud

Hernach wurden zwölf Männer gewählt, sechs aus der

Zahl der Franken und sechs Venetianer, um den neuen Kaiser zu er­

nennen.

Die beiden ersten Bewerber, der Markgraf Bonifacius von

Montserrat und Graf Balduin von Flandern schwuren sich gegenseitig, einander anzucrkcnnen, wer erwählt werden würde.

Und als nun die

Wahl aus Balduin fiel, trat der Markgraf zuerst hervor und huldigte,

nnd nachdem Jener feierlich gekrönt war, empfing er als sein erster Vasall das Königreich Thessalonich nebst der Insel Candia, die Ve­

netianer erhielten unter dem Namen Romanien die

meisten übrigen

Inseln, den Peloponnes und die gelegensten Küstenstriche nebst einem

kheile der Hauptstadt.

Die andern Theile des Reiches wurden an

iiibere fränkische Herren als Lehen »ertheilt.

XVI. Die stcilische Vesper. (30. März 1282.)

(Nach Villarn a. Lanz.) Zu der Zeit, als die fränkische Herrschaft zu Constantinopel wieder

vernichtet', und der Kaiser Balduin II. von Michael Paläologuö ver­

trieben ward, war Karl von Anjou, König von Sicilien und Jeru­

salem, der mächtigste König der Christenheit und gefiirchtet, wie kein

anderer zu Wasser und zu Land.

Da er nun so mächtig war, und

der vertriebene Kaiser, sein Eidam, ihn um Hülfe bat, so beschloß er,

einen großen Heereszug zu unternehmen, um fürs Erste seinem Eidam

sein Reich wieder zu gewinnen und hernach Jerusalem und das heilige Land zu erobern.

Und er rüstete (im I. 1278) eine gewaltige Flotte,

denn er hatte einen sehr großen Schatz, und der Papst und der König von Frankreich unterstützten ihn, und lud alle Edelleute in Frankreich

und Italien ein, Theil zu nehmen an dem Zuge, und die Venetianer

standen ihm bei mit ihrer ganzen Macht.

So sollte der Zug vor sich

gehen im folgenden Jahre, der König nebst vierzig Grafen an der

Spitze von zehntausend Reitern und der ansehnlichen Seemacht; und sicherlich wäre die Unternehmung geglückt, denn der Kaiser Paläologus hatte gar kein Heer entgegen zn stellen, weder zu Lande, noch zur

See, und bereits war ein großer Theil seines Reiches im Aufstande. Da geschah es durch Gottes Fügung, daß das ganze Vorhaben ge­

hindert ward, um den Uebermuth der Franzosen zu demüthigen; denn dieser war durch König Karls Siege so übermäßig geworden, daß sie

die Eingebornen in Apulien und Sicilien ärger als Sklaven bchan-

Die sicilische Vesper. beiten.

347

Deshalb waren viele Edelleute insgeheim zusammengetreten

und hatten eine Verschwörung gestiftet durch das ganze Reich, und

einer der Ersten, welche dieses betrieben, war Johann von Proeida,

ein kluger und erfahrener Ritter.

Dieser sann darauf, wie er den

Zug hindern und die Macht deö Königs stürzen möge, und ging im Geheimen zweimal nach Eonstantinopel zum Kaiser Paläologus und

zeigte ihm die Gefahr, welche ihm drohete: doch wenn er ihm ver­

trauen und ihn mit Geld unterstützen wolle, so wolle er die Unter­ nehmung dadurch hintertreiben, daß er Sicilien in Aufstand brächte mit Hülfe der Unzufriedenen, welche die Herrschaft der Franzosen

haßten, und mit dem Beistand des Königs Peter (HI.) von Aragonien,

dessen Gemahlin Constanze, als Tochter Manfried's, Ansprüche auf die Herrschaft in Sicilien hatte. Der Kaiser hielt zwar die Ausfüh­ rung des Planes für unmöglich, da er die große Macht König Karl's

kannte und wußte, wie er gefürchtet war, mehr als alle anderen Herrscher; weil er aber keine andere Rettung wußte, so folgte er dem Rathe Johann's und stellte ihm Schreiben zu, wie er es angab, und

ließ heimlich Gesandte mit ihm nach Sicilien gehen.

Hier eröffnete dieser feinen Plan und die Verhandlung den angesehensten Herren der Insel, welche den König Karl und seine Herrschaft haßten, und be­ kam Briefe von ihnen an den König von Aragonien, worin sie ihn baten, daß er sie dem Joche der Franzosen entziehen und ihr König werden möge.

Darauf begab sich Johann als Mönch verkleidet zum Papst Nico­ laus III. und entdeckte ihm in einer geheimen Unterredung sein Vor­

haben; und da er die Empfehlungen vom Kaiser Paläologus brachte und reichliches Geld aus dessen Schatz, so gelang eö ihm, denselben wider Karl auszubringen, zumal da er längst mit demselben unzufrieden war und ihm bereits heimlich entgegenwirkte. Daher gab auch der

Papst dem Johann Briefe an den König von Aragonien, mit denen begab er sich hin zu diesem und versprach, ihm die Herrschaft über Sicilien zn verschaffen, wenn er käme, es zu erobern, wie des Papstes Schreiben aufforderte; dazu überreichte er ihm die Briese der sicilischen

Barone und die vom Kaiser, worin er seinen Beistand versprach.

Als

der König Peter dieses hörte, nahm er das Anerbieten an und ver­ sprach, das ©einige zu thun.

Darauf gingen Johann und die Ge­

sandten wieder heim, die Sache weiter zu betreiben und das Geld zur

Ausrüstung einer Flotte herbeizuschaffen.

Die sicMsche Vesper.

348

Aber mitten in diesem Bemühen erfolgte der Tod des Papstes Nico­

laus, und dadurch ward die Unternehmung gestört.

Denn der König

Karl, der sehr froh war über diesen Tod, weil Nicolaus ihm in Allem hinderlich gewesen, und bisher den vorgehabten Zug nach Constantinopel gehemmt hatte, eilte sogleich hin und sorgte durch allerlei Mittel

dafür, daß einer seiner Freunde zum Papst gewählt wurde, der sich

Martin IV. nannte.

Dieser war ein eifriger Anhänger der Franzosen

und that sogleich den Kaiser Paläologus und alle Griechen in den Bann.

Um diese Zeit kamen Johann von Procida und des Kaisers

Gesandte zum zweitenmal nach Katalonien, wo damals König Peter

war, und baten ihn> einen Bund mit Paläologus zu schließen und den Krieg wider Karl zu beginnen; und sie überbrachten ihm große Summen, um damit die Rüstungen zu machen, und abermalige Schrei­ ben vom Kaiser und von den Baronen auf Sicilien, die ihm ver­ sprachen, die Insel in Ausstand zu bringen und seiner Herrschaft zu übergeben.

Der König schwankte eine Zeit lang, weil er die große Macht Karl's int Bunde mit dem Papste fürchtete; denn so lange der Papst Nico­ laus lebte, war er deshalb ohne Sorgen, nun aber war er dem Unter­

nehmen ganz abwendig. Da wendete Johann kluge Worte an und alle Mittel der Ueberredung, indem er ihm vorhielt, wie sein Schwager, der König Manfried, und sein Neffe, Konradin, von Karl getödtet worden seien, imb wie die Herrschaft über Sicilien mit Recht und Fug seiner Gemahlin als Erbe gehöre, und wie die Sicilier ihn zum König wünschten und sich wider Karl empören würden: und dabei

zeigte er ihm die großen Summen, welche ihm der Kaiser mitgegeben hatte.

Dadurch gewann er ihn wieder für die Sache, und wie denn

Peter ein feuriger und muthiger Mann war, so schwur er von Neuem in seine Hände, daß er die Unternehntung ausfiihren wolle.

Daraus

kehrten Johann und die Gesandten wieder nach Sicilien zurück, um Alles vorzubereiten, bis Zeit und Gelegenheit günstig und die Flotte

mit dem Heere gerüstet wäre. Als nun der König Peter den Eid geleistet und das Geld empfangen

hatte, ließ er unverzüglich Schiffe rüsten und Truppen werben, und verbreitete das Gerücht, es gelte den Sarazenen.

Wie dieses der König Philipp von Frankreich hörte, schickte er Gesandte an Peter,

dessen Schwester seine Gemahlin war, und er erkundigte sich, in welches Land und gegen welche Sarazenen der Zug ginge, und versprach ihm

Die sicilische Vesper. seinen Beistand an Truppen und Geld.

349

Doch Peter wollte das Ziel

des Zuges nicht offenbaren, sondern versicherte nur, es gehe wider die Sarazenen; den Beistand an Geld nahm er gern an, und Philipp

schickte ihm sogleich die erbetene Summe.

Weil aber dieser wußte,

wie Peter kühn und herzhaft war und dabei schlau, wie alle Katalo­ nier, so schickte er alsbald Gesandte an Karl, der sein Oheim war,

und ließ ihm sagen, daß er möge auf seiner Hut sein. Dieser begab sich zu dem Papst und theilte ihm mit, was ihm der König Philipp hatte sagen lassen, und der Papst schickte einen schlauen Mönch als Gesandten an König Peter, um zu erforschen, wohin der Zug ginge, und um ihn zu warnen, daß er keinen treuen Christen angriffe.

Aber

Peter ließ sich das Geheimniß schlechterdings nicht entlocken und sprach:

„Wenn die eine meiner Hände es der anderen offenbarte, würde ich

sie abhauen." Nun kümmerte sich Karl, weil er so mächtig und herzhaft war, nicht mehr um die Sache, sondern verachtete sie.

So kam es denn,

daß er Nichts merkte, als sich die Verschwörung auf Sicilien entspann.

Im Jahre 1282, am Ostermontage den 30. März, wie Johann von Procida es angeordnet hatte, versammelten sich alle verschworenen

Barone und Häupter in der Stadt Palermo. Und das Volk von Palermo, Männer und Weiber, zu Roß und zu Fuß, strömte hinaus nach Monreale, drei Milien von der Stadt, das Fest zu feiern; und wie das Volk dahin strömte, gingen auch die Franzosen dahin, und

des Königs Statthalter mit ihnen. tiger Franzose

Da geschah es, daß ein hoffär­

eine Jungfrau antastete, ihr Schimpf anzuthun;

sie

fing an zu schreien, ihre Leute eilten zu Hiilfe, und im Augenblick er­

hob sich das ganze Volk wider die Franzosen; die Diener der Barone vertheidigten die Jungfrau und es entstand ein hitziger Kampf, dabei

viele Todte blieben auf beiden Seiten, die von Palermo aber waren

schlimmer daran.

Mit einem Male flohen sie alle nach der Städt,

sich zu waffnen, und mit dem Ruf: „Tod den Franzosen!" eilten sie

durch die Straßen auf einen öffentlichen Platz, wie die Häupter es

angaben, stürmten das Schloß des Statthalters, fingen ihn und tödteten ihn, und alle Franzosen, die sich in der Stadt fanden, in den Häusern und den Kirchen, die wurden ohne Erbarmen niedergemacht. Hierauf gingen die Verschworenen ein jeder in seine Heimath und ließen auf gleiche Weise alle Franzosen auf der ganzen Insel um­ bringen. So kamen ihrer mehr als Viertausend ums Leben, und Nie-

350

Die siciüsche Vesper.

mand konnte Einen retten, so sehr er ihm Freund war, sondern, wenn er nicht selber sein Leben verlieren wollte, so mußte er ihn heraus­

geben oder todten.

Solches Verderben kam über die Franzosen mit

einem Male durch die ganze Insel. Als König Karl die traurige Kunde erhielt, ward er auss Aeußerste

erzürnt und rief voll Schmerz: „Herr Gott, wenn Du mir Unglück beschieden hast, so laß es nicht auf einmal mich ganz vernichten!"

Sogleich begab er sich zu dem Papst und den Cardinälen und bat Diese munterten ihn auf, daß er ungesäumt

um Rath und Hülfe.

Alles ausbiete, um durch Güte oder Gewalt die Insel wieder zu ge­ winnen, und versprachen ihm allen möglichen Beistand. Der Cardinal Gerhard von Parma,

ein einsichtsvoller und wohlgesinnter Mann, ward als Legat mit dem König gesendet, um eine Übereinkunft zn vermitteln. Aus gleiche Weise wendete sich Karl an den König von

Frankreich mit Klagen und Bitten, und dieser schickte ihm den Grafen

von Aleneon nebst vielen andern Grafen und Baronen und einem stattlichen Reiterheere zu Hülfe. Auch Florenz und viele andere Städte in Toscana und der Lombardei sendeten Beistand, eine jede nach ihrem Vermögen.

So rüstete nun der König ungesäumt ein großes Heer,

und seine zahlreiche Flotte war schon zu Brindisi beisammen, denn

von da hatte sie nach Constantinopel steuern sollen. Mit dieser Heeresmacht erschien der König am 6. Julius vor Mes­ sina, die Flotte sperrte in der Meerenge den Hafen, und das Land­ heer, über fünftausend Reiter und unzähliges Fußvolk, lagerte dicht

vor der Stadt. Als die Bewohner sich so bedroht sahen, geriethen sie in große Furcht, und da sie an ihrer Rettung verzweifelten — denn die Aussicht auf Hülfe vom König Peter erschien ihnen unsicher und noch im Weiten — so schickten sie gleich Gesandte an den König Karl, baten um Gnade und boten Unterwerfung an. Aber Karl in seinem Grimm und in seinem Uebermuth wollte sie nicht zn Gnaden

annehmen; denn er war ganz sicher, daß er die Stadt und hernach auch die ganze Insel in Kurzem erobern würde, weil die Sicilianer

ohne Feldherrn und der eignen Vertheidigung entwöhnt waren. Und er drohete ihnen als Verräthern Allen den Tod und reizte sie dadurch zur verzweifelten Wehr.

Darin machte er aber einen großen Fehler

zu seinem eigenen Schaden.

Doch wem Gott zürnet, dem nimmt er

den Verstand. Darauf schickte er einen Theil seines Heeres gegen Milazzo, die nahmen die Stadt ein und schlugen die Messiner, welche

351

Die Mische Vesper. jenen hatten helfen wollen.

Nun schickten diese abermals Gesandte

inS Lager und baten den Legaten um seine Vermittelung.

Derselbe

erschien sogleich in der Stadt und überbrachte ein ernstlich mahnendes

Schreiben vom Papst, worin er sie aufforderte, sich unverzüglich zu

unterwerfen

bei Strafe

deö

dreißig wohlgesinnte Männer,

Bannes. um

Daher

wählten die Bürger

mit dem Legaten zu verhandeln,

und diese boten einen Vergleich an des Inhaltes: „Der König ver­

zeihe die Uebelthat gänzlich: dafür werde ihm das Land übergeben und soviel Steuer gezahlt, als die Altvorderen den früheren Königen entrichteten;

die Beamten seien Italiener und keine Franzosen

oder

Provenzalen, unter dieser Bedingung wollen wir uns unterwerfen und als getreue Unterthanen Gehorsam leisten."

Diesen Vertrag überreichte

der Legat dem König und gab ihm den guten und vernünftigen Rath,

ihn doch ja anzunehmen.

Aber derselbe erzürnte sich sehr darüber und

schrieb ihnen sehr harte Bedingungen vor.

Darin machte er abermals

einen großen Fehler, wie denn ein Jeder im Zorn und Uebermuth keines heilsamen Entschlusses fähig ist.

Als daS Volk in Messina die Bedingungen hörte, schrieen sie laut auf: „Eher wollen wir unsere eigenen Kinder verzehren, als solchen

Vertrag eingehen!"

Der Legat aber that sie in den Bann und ver­

ließ sogleich die Stadt. Nun beschloß der König zu stürmen, zumeist von einer Seite, wo die Stadt keine Mauern hatte, sondern nur mit Verhauen gedeckt war.

Hier war cS leicht, einzudringen, und wirklich hatten, als eS zum Sturm kam, die Florentiner schon die Schanzen erobert und waren

zum Theil schon drinnen, da ließ der König zum Rückzug blasen und sagte, er wolle eine so schöne und reiche Stadt, die ihm gehöre, nicht

zerstört haben, sondern er wolle sie durch Hunger zwingen, sich zu

ergeben.

Die Bürger der Stadt aber bauten in drei Tagen die Mauer

vollständig, und es arbeiteten dabei Vornehme wie Geringe, Weiber, Kinder und Greise mit allem Eifer.

Hernach lag der König noch

zwei Monate vor der Stadt, ohne Etwas auszurichten.

Im Juli desselben Jahres fuhr König Peter mit fünfzig Galeeren

von Katatonien ab, und es waren darauf achthundert Reiter und ein

trefflicher Admiral, Roger di Loria, aus Kalabrien, der von Karl abtrünnig war; und sie landeten an der Küste von Tunis, und war­

teten daselbst vierzehn Tage.

Mittlerweile kamen dahin, wie es ab­

geredet war, Abgesandte aus Messina, nebst Johann von Proeida,

352

Die ficilische Vesper.

und brachten Vollmacht und Auftrag von ganz Stellten, den König

Peter zu bitten, daß er möge die Herrschaft der Insel übernehmen und

der bedrängten Stadt Messina zu Hülfe kommen.

Wie Peter

von dem großen Heere Karl's hörte, war er einigermaßen besorgt; doch Johann beruhigte ihn wieder und stellte ihm vor, daß ganz Si-

cilien seiner Befehle harre, so daß er einwilligte.

Und er lichtete un­

verzüglich die Anker und steuerte nach Trapani.

Von da begab er

sich auf den Rath der Barone sogleich nach Palermo, wo ihn die Bewohner mit großer Ehre und Festlichkeit empfingen und zum Könige

auöriefen.

Hierauf versammelte er alle Großen der Insel, um zu be-

rathm, was zu thun sei.

Als die Barone sein kleines Heer sahen

gegen die große Streitmacht Karls, waren sie sehr betroffen und ver­

hehlten ihm die Besorgniß nicht, so daß Peter ganz wankend ward,

und gedachte schon abzusegeln, wenn Karl gegen Palermo anrückte. Da kam eine Gesandtschaft von Messina mit der Meldung, daß die

Stadt aus Mangel an Lebensmitteln sich nur noch acht Tage halten könne; käme bis dahin keine Hülfe, so müsse sie sich ergeben.

Peter

berief abermals die Barone, um zu berathen, und Johann von Pro-

cida rieth, der König solle Gesandte an Karl schicken und verlangen, daß er das Land räume,

er das nicht,

das ihm durch Erbschaft angehöre; thue

so solle er ihm den "Krieg erklären und alsbald

die

wohlbefrachtete Flotte Messina mit Lebensmitteln versehen; dann werde Karl bald durch Mangel genöthigt sein, die Belagerung aufzuheben.

Dieser Rath

gefiel dem König und

den Uebrigen sehr wohl, und

eö wurden sogleich zwei katalonische Ritter abgesendet mit einem Briefe des Inhaltes:

„Peter, König von Aragonien und Sicilien, an Karl, König von Jerusalem und Grafen von Provence.

Wir zeigen Dir unsere An­

kunft auf Sicilien an, welche Insel uns gehöret nach dem Spruch

des Papstes Nicolaus III., und befehlen Dir an, daß Du alsbald die Insel räumest mit Deinem ganzen Heere.

Wofern Du dieses nicht

thuest, so werden wir Dich als Feind betrachten und Dir allen Scha­ den zusügen."

Ueber diesen Brief waren Karl und

seine Barone sehr entrüstet,

und er antwortete folgendermaßen:

„Karl, durch

Gottes Gnade König von Sicilien und Jerusalem,

Fürst von Capua, Gras von Anjou und der Provence, an Peter,

König von Aragonien und Grasen von Valencia.

Wir wundern uns

353

Die stcilische Vesper.

sehr, wie Du Dich erdreisten konntest, Sicilien zn betreten, das und

angehört nach den: Spruch der heiligen Kirche, und wir befehlen Dir an, daß Du alsbald dieses Land räumest; thuest Du dieses nicht, so werden wir Dich als Verräther an Gott und der Kirche behandeln,

und freuen uns, mit Dir und Deinem Heere zu kämpfen."

Als diese Antwort

aulangte, rüstete unverzüglich Roger di Loria,

der ein sehr kühner und tapferer Ritter war und der glücklichste See­

held seiner Zeit, sechszig schnellsegclnde Galeeren und wohl.

bemannte

sie

DaS meldete ein Spion dem feindlichen Admiral, und dieser

ging sogleich zum König Karl und sprach: „Bei Gott, wir müssen

unverzüglich nach Calabrien übersetzen.

Denn es wird, wie ich höre,

binnen drei Tagen die wohlbemannte Flotte der Feinde erscheinen, und wir haben kein

einziges

Kriegsschiff,

sondern

nur Transportschiffe.

Also wenn wir nicht eilen, fortzukommen, so wird unsere ganze Flotte vernichtet werden, und auch das Landheer wird vor Mangel zu Grunde

gehen."

Ueber diese Meldung war der König äußerst bestürzt und

sprach voll von tiefem Schmerz: „Wäre ich doch gestorben, da mir das Schicksal so zuwider ist bei all meiner Macht!

Hätte ich doch Messina

genommen, als ich es durch Vertrag gewinnen konnte!

Weil eS nun

nicht anders ist, wollen wir hinübersetzen, aber wer schuld ist an dem

Verrath, soll mir fürchterlich büßen!"

So brach er denn auf und

segelte weg mit seinem Heere, zweitausend Mann ausgenommen, die ließ er in einen Hinterhalt sich legen, daß sie, wenn die ans der

Stadt herauskämen, das Lager zu plündern, alsdann hervorbrächen und mit den Flüchtigen in die Stadt eindrängen; und wenn dies ge­ länge, so wollte er gleich wiederkommen mit dem übrigen Heere.

Aber

die Bewohner von Messina merkten die List und verboten bei Todes­

strafe, daß Jemand aus der Stadt herausgehe.

So zogen denn die

Andern, nachdem sie zwei Tage vergeblich gelauert hatten, am dritten Tage ab nach Calabrien zu ihrem König.

Tags darauf kam Roger

di Loria mit seiner Flotte und nahm neunundzwanzig feindliche Schiffe

hernach segelte er an die calabrische Küste und verbrannte deren noch

achtzig, während der König Karl mit seinem Heere zusah und es doch nicht hindern konnte.

Da biß er vor Ingrimm in einen Stab, den

er in der Hand trug, und rief aus: „Großer Gott, Du hast mir viel Unglück beschiedrn, gib mir Geduld, eS zu ertragen!"

Hi stör. Lesebuch. II.

23

XVII. Secten des zwölften Jahrhunderts. 1. Die.Katharer. (Von Friedrich v. Raumer.)

Die Katharer,, welche mit den morgenländischen Secten der Manichäer

und Paulicianer in Verbindung standen, zerfielen in mehre Abtheilungen, von denen die erste nur einen Schöpfer annahm, die andere hingegen zwei Urwesen, ein gutes und ein böses.

Nach der Letzten Ansicht

gab es keine Erlösung vom Bösen, sondern das Gute war und blieb

ewig davon geschieden; nach der Ersten konnten die Abgefallenen ge­

reinigt werden und zum ursprünglichen Guten zurückkehren.

Alle kamen

darin überein: daß die sichtbare Welt von dem bösen Urwesen oder dem abgefallenen Teufel geschaffen sei.

In die geistige Schöpfung

des gute» Gottes kam das Böse, indem sich der Sohn des bösen Gottes in den Himmel einschlich, Engelsgestalt annahm und die Reinen verführte.

Dieser Grundanstcht zufolge lehrten sie: der Gott des alten

Testamentes sei böse,

veränderlich,

grausam',

lügenhaft,

mithin dem Gotte des neuen Testamentes entgegengesetzt.

mörderisch; Sie behaup­

teten, nur bei ihnen finde man die wahren Geistlichen, und hatten nach ihrer Verfassung vier Abstufungen kirchlicher Aemter: den Bischof,

den sogenannten ältern Sohn, den jüngern Sohn und den Helfer.

Jener Erste sollte blos von freiwilligen Gaben leben.

Die Katharer

selbst theilten sich in Vollkommene oder Gläubige und in Lernende;

von jenen gab es vielleicht nur Dreitausend, von diesen eine unzähl­ bare Menge.

Die Letzten trennten sich im Aeußerlichen wenig von der

katholischen Kirche und der allgemeinen Lebensweise und durften ihre

355

Secten des zwölften. Jahrhunderts. — Die Katharer.

Ansichten durch künstliche Antworten den Forschern verbergen;

Jene

dagegen kleideten sich schwarz, entsagten dem Ehestände, enthielten sich des Schwörens, unterwarfen sich vielen andern sehr strengen Vorschriften

Zu diesen

und kannten wahrscheinlich allein gewisse geheime Lehren.

gehörten vielleicht die Sätze: die Materie ist ewig und alles Schaffen nur ein Einwirken auf gegebenen Stoff; der Schöpfer und das Ge­

AuS Ver­

schöpf sind gleichzeitig und keines älter, als das andere.

mischung der Geschöpfe deö bösen und guten Gottes entsprangen die Riesen.

Der Beischlaf hieß ihnen die verbotene Frucht, und jede Ehe

galt für sündlich, und für gleich sündlich zwischen Fremden, wie zwischen Blutverwandten.

Sie safteten so streng, daß es ihnen als eine Tod­

sünde erschien, Fleisch, Eier und Käse in verbotenen Zeiten zu essen.

Ueberhaupt rühre das Fleisch vom bösen Schöpfer her und entstehe

durch sträfliche Vermischung des Männlichen und Weiblichen; werde auch keine Auferstehung des Fleisches Statt finden.

daher

Ketzer oder

Verbrecher am Leben zu strafen sei um so verdammlicher, da es in

der wahren Kirche weder Gute noch Böse gebe; doch sei die Reini­ gung von den Banden deS Fleisches geboten.

Ferner äußerten die Katharer, der Kirchenlehrc widersprechend: David

war ein Ehebrecher und Mörder; den Elias nahm der Teufel auf einem Wagen hinweg; die Wunder Mosis geschahen durch böse Geister; Christus hatte keinen wahren Leib, litt und starb nicht; Maria war kein Weib, sondern ein geschlechtloser Engel; der heilige Geist ist ein erschaffenes Wesen; Papst Sylvester, welcher die Kirche weltlich machte,

ist der Widerchrist, und die Kirchenväter sind verdammliche Menschen. Sie nahmen nur vier Sacramente an: die Auflegung der Hände,

die Segnung deö BroteS, die Beichte und die Weihe.

Die Auflegung

der Hände, so lautet ihre Lehre, ist die geistige Taufe deö heiligen

Geistes, ohne welche keine Todsünde erlassen und keinem der Geist gegeben wird.

Sie geschieht nicht mit Wasser, sondern in einem dun­

kelen Zimmer, wo ringsum Lichter brennen, um die Feuertaufe anzu­

zeigen.

Niemand wird ohne sie selig.

War indessen der zu Taufende

ohne Reue in einer Todsünde befangen, so bleibt daS Sakrament un­

wirksam.

Wenigstens Zwei sollen jedesmal die Hände auflegen, im

Nothfall auch Laien und Weiber.

Das Brot muß täglich mit den

Worten neu gesegnet werden: „Die Gnade unseres Herm Jesu Christi sei mit unS Allen!"

Eine Brotverwandlung findet nicht Statt, denn

wenn Christi Körper auch größer gewesen wäre, als die Alpen, so 23*

356

Veür» des zwölften Jahrhunderts.

müßte «r doch längst' verzehrt sein. Roch weiter gehend, behauptete eine Unterabteilung der Katharer: man könne überhaupt das Brok,

als etwas vom Teufel Erschaffenes, gar nicht einsegncn.

In Hinsicht der Beichte lehrten sie: daß der ewige Ruhm und Glanz Gottes durch

keine Sünde verringert und dem Nichtbeichtenden

Strafe keinesweges erhöht werde.

die

Eben so wenig gebe cS ein Fege­

feuer; sondern Gott erlasse, um des Anflegenö der Hände willen, alle

Strafe und Schuld. Man sagte den Katharern nach: sie erlaubten auch den Beischlaf

mit der eigenen Mutter, wenn der Sohn ihr achtzehn Pfennige gäbe:

sechs nämlich für die Zeugung, sechs für die Geburt und sechs

fürs

Säugen; denn hiedurch wäre das frühere Verhältniß ganz aufgcllöset. Ferner, frügen sie die auf dem Todtcnbette Liegenden: ob sie Märtyrer

oder Bekenner werden wollten? mit einem Tuche;

wen» dieses,

Wenn jenes, so erdrossele mam sie

so lasse man

sie todthungern

und

dürsten.

Mit diesen Beschuldigungen im Widerspruche wird über ihre Sitten

im Allgemeinen berichtet: sie sind bescheiden, ohne äußere Pracht, keusch, fleißig,

besuchen keine Tanzböden und Wirthshäuser,

hüten sich

vor

Zorn und Possen, streben nicht nach Reichthum, suchen aber Verbin­ dungen mit Vornehmen und Großen, in der Hoffnung, dieselben zu bekehren.

Sie meiden den Kaufmannsstand um deS damit verbundene»

Lügenö und Trügens willen nnd üben die Wissenschaft nur um etwa-

nige Gegner zu widerlegen. Die Hauptkirchcn der Katharer waren in Italien (zu Verona, Vi­

cenza, Spoleto, Florenz, Sensano u. s. w.); doch gab eS auch Ge­

meinden in Frankreich und in Constantinopcl.

Noch bestimmter weiset

die Meinung, ihre Stammkirchen lägen in Bulgarien, nach dem Morgen­ lande hin, nnd steht in Verbindung mit Gerüchten, daß in gewissen Zeiten dort ihr allgemeiner Oberer gelebt habe; vielleicht ist diese Aeuße­

rung aber nur sinnbildlich zu verstehen.

S. ®le Waldenser. Petrus WalduS, ein wohlhabender, verständiger, obwohl ungelehrter Mann in Lyon,

wurde dadurch,

daß im Jahre 1173 einer seiner

Freunde plötzlich neben ihm todt niedersank, tief ergriffen und zum Lese»

von Uebersetzungen der heiligen Schrift aufgeregt.

„Welcher Weg,"

357

Die Walsenser.

fragte er einen Geistlichen, „ist der sicherste und beste, um die Selig­ keit zu erwerben?"

„Gehe hin," antwortete dieser, „verkaufe waS

Du hast und gieb eS den Armen, so wirst Dl« einen Schatz im Himmel

haben."

Dieser Weisung folgend, welche mit seiner neu gewonnenen

Ueberzeugung zusammenlraf, änderte Petrus, ohne Rücksicht aus Tadel und Spott, seinen Lebenswandel, vertheilte alle feine Güter zu frommen Zwecken und bat, als er des folgenden Tages aus der Kirche kam,

einen alten Bekannten um ein Almosen.

Sobald seine Frau dies be­

merkte, eilte sie mit Geschrei und heißen Thränen herbei und sprach: „O Mann, wie kannst Du Andere um Hülfe ansprechen?

Ist es

nicht besser, daß ich meine Sünden tilge dnrch Almosen, die ich Dir

gebe, als daß ein Fremder es thue?"

Sie brachte ihre Klage bis

vor den Erzbischof, und alle Gegenwärtige weinten vor Wehmnth über den umgewandelten Mann und daS theilnehmende Weib. Der Erzbischof befahl, Petrus solle nur von seinem Weibe Speise

nehmen und verbot zu gleicher Zeit, daß er, als ein ungelehrter Laie, seine Ueberzeugung dnrch Predigten ausbreite.

Weil sich aber Petrus

hiezu in seinem Gewissen für verpflichtet hielt, so kam die Berufung bis an die Päpste Alerandcr III. und Luciuö II

Beide bestätigten

den Befehl des Erzbischofes und sprachen sogar den Ban» über die Ungehorsamen;

allein dies diente nur zur Zerstreuung und größeren

Verbreitung der Waldenser.

Doch blieb das südliche Frankreich Hanpt-

schanplatz ihrer Wirksamkeit, wo sie später mit Katharern und andern,

hie und da unter sich verschiedenen Secten, am Anfänge des drei­ zehnten Jahrhunderts, gewöhnlich mit unter dem allgemeinen Namen

der Albigenser begriffe» werden.

Der Lebenswandel der eigentlichen Waldenser wird selbst von ihren

Gegnern gerühmt; wie großen Anstand sie aber dennoch in jener Zeit geben mußten, zeigt unS folgende Zusammenstellung deS Wesentlichsten ihrer Lehre: „Die römische Kirche ist nicht die Kirche Ehristi, sondern seit dem

Papste Sylvester angesteckt vom Bösen; der Papst ist nicht der Stellvertreter Christi, sondern Haupt aller Jttthümer; die Prälaten sind nicht die Säulen und Stützen der Kirche, sondern vergleichbar den

Pharisäern und Schriftgelchrten.

Mit Unrecht besitzen sie irdische Güter

und erhebru Zehnten, statt den Aposteln gleich zu arbeiten; mit Un­ recht stellt sich Einer über den Andern, da in der wahren Kirche Alle

gleich sind; mit Umecht zwingt man uns, die GeisteSarmen, unserm

Seelen des zwölften Jahrhunderts.

358

Glauben zu entsagen und verhindert die heilsame Darlegung unserer

Lehre.

Steht nicht geschrieben: Wer das Gute weiß und es nicht

thut, der sündigt doppelt? weissagten?

Freute sich

MoseS nicht, daß Mehre

Wünschte er nicht, daß das ganze Volk es vermöchte?

Christus ließ den, welcher die Teufel weder in seinem Namen auS-

trieb, noch den Aposteln folgte, deshalb nicht verfolgen, sondern sagte:

„Wer nicht wider Euch ist, der-ist für Euch."

Die Apostel gingen,

obgleich die weltliche Obrigkeit und die Priester ihnen das Predigen

untersagten, dem Befehle ihrer Herren gemäß, in alle Welt und lehrten alle Völker; — und so haben nach ihnen viele Laien upd Unwissende den Gedruckten, Bedürftigen- und Schwachen mit Erfolg das Wort verkündet; während Ihr, nicht ohne Nebenabsicht, nur zu den Klugen

dieser Welt sprecht. — Der geistliche Stand hat durch Sittenlosigkeit und Habsucht alle Achtung verloren; und dennoch meint Ihr, an

Aeußerlichkeiten Euch haltend, ein lasterhafter Priester könne gebührend die heiligen Werke seines Amtes verrichten, keinesweges aber ein tugend­

hafter Laie.

Der Wahrheit nach ist aber ein frommer Laie weit eher

ein Priester und kann das Abendmahl und die Lossprechung weit eher

ertheilen, als ein sündiger Geistlicher." „So wie Eure Kirchenverfassuiig, erscheint auch Eure Lehre mangel­

haft und überall mit Irrthümern vermischt.

Die Kindertaufe ist un­

wirksam, die Tenfelsbannung thöricht und die Firmelung mit Unrecht

blos in den Händen des Bischofs.

Nicht durch den Auötheilenden er­

folgt die Brotverwandelung, sondern im Munde dcö würdigen Empfan­ genden.

Die Messe ward um deS Gewinnes willen eingeführt, und

Euer angeblich geistlicher Gesang gleicht einem Höllengeschrei, Eure Glocken und Orgelei erinnern an die Posaunen des Teufels. Harte

und öffentliche Bußübungen, besonders der Weiber, erscheinen unchrist­ lich.

Die Priesterehe ist erlaubt, «richt aber der Beischlaf ohne den

Auf übertriebene Hindernisse der geistlichen und leiblichen Verwandtschaft soll Niemand Rücksicht nehmen. Nach

Zweck des Kinderzeugens.

dem Tode kommen die Seelen in den Himmel oder in die Hölle; wo­ gegen das Fegefeuer nur eine eigennützige, durch die Schrift nirgends bestätigte Erfindung ist. Der wahre Glaube und die wahre Reue genügen zur Seligkeit, und Christus lud den reuigen Verbrecher keines­ wegs ins Fegefeuer, sondern inS Paradies.

Almosen, Fasten, Todten-

meffen und Gebete helfen den Verstorbenen nichts, vielmehr macht die Meinung, daß Andere viel für unsere Seligkeit thun und wirken können,

359

Die Waldenser. nur träge und gleichgültig; und mit Vernachlässigung

aller innern

Heiligung geht ihr zu Grunde in abergläubigen Satzungen. dient die falsche Lehre von der Erbsünde nur dazu,

Eben so

Eure eigenen

Sunden einer unabwendbaren Nothwendigkeit zuzuschieben. — Kein Ort ist heiliger zum Gottesdienst, als der andere, und ein frommes Gebet unter freiem Himmel, in seiner Wohnung oder selbst in Ställen dargebracht, ist Gott so wohlgefällig, als in Kirchen gesprochen: denn

die wahre Kirche besteht nicht in der Menge von zusammengebrachten

Steinen, sondern in der Gemeinschaft der Heiligen.

Eure Fasten,

welche nicht zur Abtödtung deS Fleisches, sondern dazu vorgeschrieben

sind, damit die Reichen einen Vorwand haben, an diesen Tagen etwas

Besseres und Seltneres zu essen, sind unnütz und überflüssig, und eben so Eure neu erfundenen Festtage und Aufzüge.

Verehrung von Bild­ nissen und Gemälden führt zum Götzendienst; Sündenerlaß, Weihungen, Weihwasser und ähnliche Gebräuche haben keine Bedeutung. Euer Baun ist unchristlich und kann allein heilsam werden, sofern er die

mit Unrecht Geängstigten zur wahren Erkenntniß treibt. — Gott ist

das wahre Licht; anderes Licht in den Kirchen nützt blos dazu, daß sich die Geistlichen nicht an die Füße stoßen. Eure Heiligenwunder, Legenden und Reliquien sind mehr lächerlich, als erbaulich. Ihr wollt die Heiligen durch Eure Anrufung ehren, und doch setzt dies voraus: entweder, daß ihr Wille und ihre Ansicht nicht mit dem Willen und der Ansicht Gottes übereinstimmt; oder daß Gott härter und grausamer

ist, als sie.

Ihr bringt ihnen Gaben, baut ihnen Altäre, lobet und

preiset sie, in der Meinung, sie seien dadurch zu bestechen; so wie ihr wohl, um des BeichtgeldeS willen, selbst verstockte Sünder lossprecht."

„Was sich nicht aus der Bibel beweisen läßt, ist fabelhaft, und die Uebersetzuug derselben so würdig, als das lateinische Wort.

Christi

Lehre reicht zur Seligkeit hin ohne Kirchengesetze und Ueberlieferungen,

welche nur Ueberlieferungen der Pharisäer sind. — Daran also erkennet die Werke deö Widerchrists: er giebt nicht blos Gott die Ehre, son­

dern auch den Geschöpfen; führt allen Gottesdienst um der Habsucht willen auf äußere Gebräuche zurück; herrscht nicht durch den heiligen

Geist, sondern ruft die weltliche Macht gegen die Glieder Christi auf,

und verbirgt seine Tücken auf erbärmliche Weise hinter dem, was diese oder jene Jungfrau oder alte Frau Beseligendes oder nicht zu

Bezweifelndes gesagt haben soll! Die göttliche Offenbarung hat nichts zu thun mit solchem Aberglauben; in den Mönchsregcln und Mönchs-

360

Serien des zwölftes Jahrhunderts.

Cutten steckt nicht die wahre Heiligkeit, und die Gemeinschaft der MNnche

ist nicht die Gemeinschaft der Heiligen."

„Daher kommt Euer Götzendienst, daß Ihr von Gnade, Wahrrhcit, Kirche, Anrufung, Fürbitte», s. w. nur irrige Begriffe habt; und wir trennen uns von Euch, damit wir in unserm Glauben daö Wesent­

liche erhalten mögen: nämlich die innere Erkenntniß Gottes, die feste Hoffnung auf Christus, die Wiedergeburt durch

Glaube, Hoffinung

und Liebe, die wahre Gemeinschaft der Erwählten, die wahre Reue, die wahre Ausdauer und das ewige Lebe».

Alle Vergebung der Sun­

den ruht in Gott durch Jesum Christum für diejenigen, welche hiaben

Glauben, Hoffnung und Liebe. — Nachahmen möget ihr die Heilligen,

nicht anrufeu, nicht Christum vernachlässigen, unsern einzigen genüigenden Mittler, unsern Herrn, der sich für uns opferte, den allein Hei­

ligen, Unbefleckten, Reinen, Erstgebornen deS BaterS.

Ihr zerstreut

und schwächt die Liebe, welche nur auf ihn gerichtet ftin soll, zieht abgeleitete, unreine Gewässer jenem reinen Urquelle vor.

und

Sobald

man, nach unserer Weise, im wahren Christcnthume den MittelPunkt

aller Bestrebungen, Ansichten und Hoffnungen gefunden hat, so ergeben sich die Regeln für daS einzelne deS Lebenswandels von selbst : liebet

die Welt nicht, fliehet Müßiggang und böse Gesellschaft, haltet Frie­ den,

rächet Euch nicht, traget in Geduld, seid mitleidig, bekämpfet

böse Begierden und kreuziget Euer Fleisch, höret die Stimme des Ge­ wissens und reinigt Enre» Geist von allem Bösen." DaS bis jetzt Dargelegte kann für die damals verbreitete Ansicht

der abweichend Lehrenden, insbesondere der Waldenser, gelten; zelne gingen aber in verschiedenen Richtungen itoch weiter.

Guyot von Provins,

zur Zeit Jnnoccnz III.,

Ein­

So sagt

Mönch in Clugny:

„WaS der Polarstern für die Seefahrer ist, sollte der Papst für die

Christen sein; alle Augen richten sich auf ihn und er sollte Alle leiten. Man schmückt sein Haupt mit einer Krone von Pfauenfedern, gleich­

sam um ihn zll erinnern, er müsse seine Augen immerdar nach allen Theilen der Welt offen halte«: besser aber wäre es, er hielte sie offen

gen Himmel und bäte Gott, ihn zu erleuchten und zu unterrichten.

Weil der Papst statt dessen nichts sieht und sich keinem Uebel cntgegenstcllt, müssen wir zu Grunde gehen.

erniedrigt und die Kirche ausgesogcn; Gelde, vorther kommen all« Laster.

Rom hat stets die Religion

Niemand widersteht dort dem

Warum vereinigen sich die Fürsten

nicht, diesen Uebeln Einhalt zu thun?

Warum ziehen sie nicht gegen

Ml

Die Waldenser.

Rom, wie sie jetzt gegen Konstantinopel ziehen?

Dies wäre das ein­

zige Mittel, um die Habsucht, den Stolz, den Betrug und die Treu­ losigkeit zu zerstören, welche daselbst ihren Sitz aufgeschiagen haben." Andere kamen, nach der Trennung von der Kirche, zu einer kühnem

So behauptete Amalrich auS ChartreS umö Jahr 1209:

Mystik.

„Alles ist Eins, uud Gott ist Alles; er ist daS Wesen aller Ge­

schöpfe.

Alle Dinge ruhen eigentlich in ihm unveränderlich und bilden

ein UntheilbarcS.

So wie mqn das Licht nicht an sich, sondern an

den Gegenständen sieht, so wird Gott weder von Menschen noch von

Engeln an sich angeschant, sondern nur in der Schöpfung.

Hätten

die Menschen nicht gesündigt, so hätten sie sich ohne GeschlechtStrennung fortgcpflaiizt, wie die Engel.

Auch wird nach der Auferstehung nur

ein Geschlecht vorhanden sein," n. s. w.

„Das Reich des VaterS"

so lauteten vielleicht spätere Zusätze, „habe so lange gedauert, als die mosaische Gesetzgebung; mit der Herrschaft Christi sei diese zu Grunde

gegangen, und nunmehr werde die Gesetzgebung deS Geistes cinbrechcn. Dann sei tveder Taufe,

noch Abendmahl,

Handlung mehr erforderlich;

noch irgend eine äußere

sondern Jeder könne durch die Gnade

des Geistes vermittelst innerer Heiligung selig werden.

Gott sei nur

gut, nicht gerecht; Alles, waS sonst Sünde sei, verliere diese Eigen­ schaft, wenn die That aus der Liebe hervorgche."

Die Albigenser, welche sich im südlichen Frankreich in der Gegend von Albi ausbreitetcn und bereits auf mehren Kirchenversammlungen

in der zweiten Hälfte deS zwölften Jahrhunderts verurtheilt wurden,

sollen ebenfalls, wie wenigstens ihre Gegner behaupten, über die oben dargelegtei« Grundsätze der Katharer und Waldenser hinaus, im Ein­ zelnen, schroffem und thörichtern Ansichten nachgehangen haben.

„Der

in Bethlehem geborne, sichtbar lebende und gekreuzigte Christus war

rin böser, von einer unkeuschen Mutter geborner Christus, und Mag­

dalene seine Beischläferin: der gute Christus hingegen, hat weder ge­ gessen, noch getrunken, noch irdisches Fleisch angenommen; er ist nie

auf Erden Paulus."

gewesen, ausgenommen

geistig,

im Körper des Apostel

Andere sagten (ungewiß, in welchem mißverstandenen oder

vielleicht mystischen Sinne): Gott hab« zwei Weiber und mit beiden Kinder gezeugt. — Den Meisten hieß die römische Kirche eine Räuber­ höhle, die Synagoge deS Teufels, die große Hure der Offenbarung Johannis.

WaS hievon aber mich wahr, was übertriebe» nnd erlogen sein

362

Seelen des zwölften Jahrhunderts.

mag, Immer fehlt eö nicht ganz an erwiesenen Beispielen, daß meben

dem redlichen Bestreben, die Lehre Christi in ihrer ursprünglichen Ein­ fachheit und Reinheit darzustellen, bisweilen übertriebenes Vertrauen auf eigene Weisheit und regellose Willkühr herging. So verwarf Tanchelin in den Niederlanden die Verfassung und mehre Hauptl-ehren in der Kirche.

Wenn Christus Gott sei, weil er den heiligen Geist

besessen, so halte er selbst sich nicht für schlechter.

Gleich einem Könige hatte er Leibwächter und eine Art von Hofstaat. Das Volk theilte sich in sein von ihm geweihtes Badewasser, als sei es heilsam für Leib und Seele. Einst brachte er das Bild der heiligen Jungfrau in

die Versammlung seiner Anhänger, verlobte sich hierauf in feierlichen

Worten mit ihr und fügte hinzu: „Geliebteste, ich habe mich mit der heiligen Jungfrau verlobt, gebet nun die Kosten zur Hochzeit.

Hier sind zwei Gefäße, eins für die Frauen und eins für die Männer;

ich werde sehen, welch Geschlecht mir und meiner Braut am meisten zugethan ist." Hierauf drängten sich Alle zur Gabe; die Weiber warfen Halsbänder und Ohrringe hinein, und er gewann sehr große Summen. In derselben Zeit und Gegend stiftete ein Schmid, Manasse, eine Gilde, wo zwölf Männer die zwölf Apostel vorstellten, ein Mädchen aber die heilige Jungfrau, bei welcher Jene, angeblich zur Erhöhung der Gemeinschaft und Brüderschaft, nach der Reihe schliefen. Abgesehen aber von solchen an sich verwerflichen Auswüchsen, fehlte es der katholischen Kirche nicht an Gründen, welche sie den oben ent­ wickelten gemäßigtem Ansichten gegenüberstellte. „Durch so viele Jahrhunderte hindurch hat sich die rechtgläubige

Kirche selbständig, gleichartig und siegreich erhalten, während alle Ab­

weichenden in sich zerfallen und untergegangen sind.

Wie kann also

eine neu entspringende Partei behaupten: die wahre Kirche entstehe erst mit ihr, und das Christenthum der ganzen Christenheit sei bisher kein Christenthum gewesen? Der Stand der Geistlichen ist in der Schrift begründet, und wer ihn aufzulösen trachtet, wird dadurch nicht dem Laien eine höhere Weihe ertheilen, sondern zu allgemeiner Un­

wissenheit, Gleichgültigkeit und Unglauben führen.

Mit der Armuth

der Kirche (welche man nur preiset, um ihre Güter zu rauben und

den Geistlichen nicht zu geben, was ihnen gebührt) würde keineswegs

deren Heiligkeit, sondern nur ihre Noth wachsen; auch ist nicht abzu­ sehen, warum allein die Laien nach Macht und Reichthum trachten

Die Waldenser. -

363

dürfen, da die Kirche auf Erden ebenfalls der Macht und des An­

sehens bedarf, und ein rechter und preiswürdiger Gebrauch irdischer Güter sich bei ihr noch eher, als bei den Laien voraussetzen läßt. Eben so einseitig und verkehrt scheint eö: bürgerliche Abstufungen und

Unterordnungen für größere weltliche Staaten als heilsam anzunehmen, die Verhältnisse von Kaiser, König, Herzog, Graf u. s. w. natürlich und nothwendig zu finden; und dennoch die kirchlichen, des Papstes,

Erzbischofs, Bischofs u. s. w. als thöricht und entbehrlich anzufeinden.

So wie auf Erden der Geist des Körpers bedarf, um lebendig einzu­ wirken, so die Religion der Kirche; eine gänzliche Trennung beider

ist ein

zum Verderben der Christenheit ausgesonnenes Hirngespinst.

Und welcher Zügel bliebe für die so oft im Argen befangene weltliche Macht übrig, wenn die Kirche niedergestürzt wäre? Wahrlich, statt deö leichten Joches müßte ein eisernes, statt der väterlichen Strafe, eine

Geißelung mit Skorpionen eintreten."

DaS Verlangen, die Geistlichen sollten arbeiten, gleich den Aposteln, ist unpassend. Sind denn die Geschäfte ihres Berufes keine Arbeit? Oder wäre etwa ein stilles, in aller Gottseligkeit und ohne Beeinträchtigung eines Dritten geführtes Leben nicht so viel werth, als die ge­ räuschvolle unselige Kriegsarbeit, welche überall Rechte und Sitten verletzt, und dennoch immer als Krone aller weltlichen Thätigkeit auf­ gestellt wird?" „Die Kirche behauptet nicht: ein lasterhafter Priester sei vor Gott besser, als ein tugendhafter Laie, oder jeder höhere kirchliche Grad gebe nothwendig größere innere Heiligkeit: aber so wenig der Graf

des Kaisers Rechte üben darf, wenn er auch tugendhafter ist, als dieser, so wenig darf sich der niedere Geistliche in das Geschäft des höher» mischen, oder der Laie sich irgend ein kirchliches Recht an­

maßen.

Uebel wäre es, wenn der Werth und die Wirkung der hei­

ligen Sakramente von der Persönlichkeit des Priesters abhinge, und

jeder Mühselige und Beladene, statt sich an Jenen zu erquicken, erst : die Eigenschaften des Austheilenden untersuchen müßte, oder gar durch ! des lasterhaften Geistlichen Theilnahme angesteckt werden könnte. So wie der Edelstein gleich viel werth ist in der Hand des schmutzigen

Leibeigenen unb in der Hand des Königs, so ist auch das heilige ! Sakrament gleich viel werth in der Hand des tugendhaften und des

lasterhaften Priesters." „Ihr behauptet, Jeder sei berufen zum Lehren und zum Predigen;

364

Secten des zwölften Jahrhunderts.

aber Moses freute sich nur über die Gabe der Weissagung, weil sie wirklich vorhanden war und keineswegs wie bei Euch, fehlte.

ChiristuS

erlaubte, daß Einer, dem gewiß nicht aller Glaube mangelte, Wunder verrichte, was Ihr nie vermöget: keineswegs aber verstattete er Jedem

das Lehren, und auch Ihr würdet bei strengerer Prüfung oft gewarhren daß Euch nur der Teufel dazu antreibt. laßt daS Reden.

Deshalb thut daS Gut« und

Allerdings haben einzelne fromme Laien mit großem

Erfolge gepredigt: aber nicht etwa den Gläubigen, sondern den Ketzern und Ungläubigen;

auch versagten sie, zum Zeichen, daß der Geist

GottrS in ihnen war, niemals der Kirche den schuldigen Gehorsam. Wo, wie bei Euch, keine göttliche Sendung zu erweisen ist, kann allein die Kirche ein Ersatzzeugniß deS Berufes ertheilen: Ihr aber zeigt durch das Verschmähen desselben, wie Euer ganzes Thun auf An­

maßung, Ihr, mit mischung, Stelle in

und auf einer um so sträflichem Anmaßung beruht, weil

häuslichen und weltlichen Dingen in ungebührlicher Ver­ ohne Kenntniß aller heiligen Geschäfte lehret, ohne bestimmte

die kirchlichen Kreise hineinpfuschet, Eure unreinen Hände

an fremde Spenden und Saaten anlegt rind, Alles verwirrend, selbst

Weibern daS geistliche Lehramt einräumt, welche doch, nach des Apostels weiser Vorschrift, in der Gemeinde schweigen sollen.

Ihr werft unS

vor, daß wir nur ju den Klugen dieser Welt sprächen: weit eher aber können wir Euch den umgekehrten Vorwurf machen: daß Ihr Schwache, Böswillige, Unwissende und Weiber verführt, Eure Kraft und Weis­

heit aber gegen Gläubige und gegen die Kirche zn Schanden wird." „Die tiefsinnigen Geheimnisse der christlichen Lehre zieht Ihr, in

Eurer Unwissenheit, vor den Richterstuhl deS gemeinsten Verstandes, und glaubt mit wenigen von der Oberfläche abgeschöpften Reden,

welche jedem Muthwilligen und jedem Gleichgültigen willkommen sind,

alle Beweise und Erörterungen überwunden und das zu Glaubende alS Aberglauben dargethan zu haben. Wie weise sagt dagegen Tertnllian: die Ideen der göttlichen Vernunft sind in der Tiefe, nicht

auf der Oberfläche zu suchen, und stehen gewöhnlich mit dem Scheine

jener Oberfläche in Widerspruch. — Billigung der Kirche, Ueberein­

stimmung vieler Geschlechter, geschichtliche Beispiele gelten nichts vor Euren neuen Erfindungen. Ihr verwerft alle Fasten, als wäre dadadnrch vorgcfchriebene Selbstbcherrfchen und Entsagen nicht «ine bessere Vorübung zu größcrn Aufopferungen, als ein blos äußerliches, ohne alle Regel und Gesetz ablaufcndcs Leben.

Ihr verwerft Todtenmeffeii

365

Die Waldenser.

und Gebete, als wenn ein solches Beschränken aller Wirksamkeit auf

diese Erde nnd die Zeit des irdischen Lebens vorzuziehen sei dem Glau­

ben, daß alle Christen Glieder eines LeibeS sind, welche der Tod nicht scheiden kann.

Ihr venverft jede Anrufung von Heiligen, als

wenn deren Fürbitte Gott als grausam oder schwach darstellte, wäh­ rend ihr doch Christi Fürbitte und seinem Mittleramte vertraut rmd

auf eine Erlösung vom Bösen hofft.

Ihr spottet der Erbsünde und

leidet doch, gleich Andern, an der ursprünglichen, durch eigene Kräfte nicht zu

bezwingenden Gebrechlichkeit der menschlichen Natur.

Ihr

verlacht die Wunder der Heiligen und glaubt abergläubisch an Wunder von Ketzern.

Ihr leugnet daS Fegefener, uneingedcnk, daß für die

große Zahl derer, welche von dem Roste der Welt nicht rein, aber

auch von ihm nicht ganz zerfressen sind, keine plötzliche Verdammniß zur Hölle, kein Sprung in den Himmel möglich, sondern ein ver­ mittelnder, vorbereitender, reinigender Zustand so natürlich und noth­

wendig, als in den Gesetzen der Kirche begründet ist."

„Bildwerke,

Gemälde und heilige Musik

scheltet Ihr unerbaulich

und gottlos, nnd doch wollt Ihr allen Dingen auf Erden gleiche Würdigkeit zugestehen zum Gottesdienst nnd zur Heiligung.

Nicht so

Christus: er vertrieb die Kaufleute aus den Tempeln und schied daS Geheiligte vom Weltlichen. — Habt Ihr nicht Häuser in den Städten,

Häuser auf dem Lande, Kammern zum Essen, Schlafen und zu an# derm Gebrauche? — und Ihr beneidet dennoch die Christen, daß sie

ein Gotteshaus Hatzen und lieber in

heiliger Gemeinschaft wirksam

beten und Gott anrufen, als in hülfloser oder anmaßlicher Vereinze-

lnng?

Wir wissen auch, daß Gott überall ist, und überall zu ihm

gebetet werden kann; weshalb wir keine Verehrungsweise ausschließen:

Ihr dagegen steht, unsere Weise verwerfend, nicht auf dem höhern, allgemeineren,

sondern auf dem

schlechtem,

einseitigen Standpunkte.

DaS Gleiche gilt von Eurer Ansicht der Bibel und der heiligen Ueber­

lieferungen : denn wir bleiben nicht hinter Euch zurück in Verehrung der ersten, gehen Ench aber voran in der ächten Würdigung der letzten.

Sonderbar, daß Eure neuen Deutungen mehr gelten sollen, als die

Lehren aller heiligen Kirchenväter, daß Eure Auslegung gültiger sein

soll, als die der ganzen Kirche, daß deren bewährte Einrichtungen

schlechter mit dem Evangelium stimmen sollen, als Eure einseitig ab» speichenden Satzungen."

„Der Herr hat sein Volk nicht ganz verlassen, sondern einen Stell-

366

Secten des zwölften Jahrhunderts. — Die Waldenser.

Vertreter auf Erden eingesetzt, welcher, mit dem Beistände der Kirche und nach den Vorschriften der Bibel, Alles bestimmt und entscheidet,

waS im Ablaufe der Zeit störend oder irrig hervortritt, und anordnet, was das über den Erdkreis verbreitete Christenthum zu seiner Erhal­

tung und Fortbildung bedarf.

Nur durch diese göttliche Einrichtung

steht die rechtgläubige Kirche fest und

stegreich

da;

während Ihr,

kaum entstanden, schon wiederum unter Euch verfallet und — das Schädliche nach keiner genügenden Regel ausscheidend, das Heilsame

durch keine über alle Zweifel erhabene Gesetzgebung begründend — einer unbegränzten Willkühr preisgegeben seid."

„Daran erkennt man das Wesen der Ketzer: daß. sie, nächst Gott,

nicht seinen Heiligen, sondern sich die Ehre geben, unter dem Vor­ wande

innerer Erleuchtung

alle

äußeren Einrichtungen und Hülfs­

mittel der Heiligung verschmähen, nur das gläubig annehmen, waS ihnen gefällt,

verwerfen,

was ihnen nicht behagt,

und

daß Jeder

seine eigene Gesetzgebung für höher achtet, als die der allgemeinen

Kirche." Auf solche Weise standen die Parteien einander gegenüber.

Daß

keine von beiden der Wahrheit ganz ermangelte, möchte sich schon auS

dem Eifer und der Beharrlichkeit beweisen lassen, mit welcher sie ihre

Ansichten vertraten; damit ist indeß auch zugegeben, daß auf beiden Seiten Mängel und Uebertreibungen lagen.

XVIII. Charakteristik Friedrich's II. (Von Friedrich v. Raumer.)

Friedrich war nicht groß, aber fest gebaut, blond, und in allen

körperlichen Uebungen, in allen mechanischen Künsten sehr geschickt.

An die schöne Stirn schloß sich die fast antik gebildete Nase auf feine Weise an; der Mund war wohl gestaltet, daS rundliche Kinn keines­

wegs schwach abfallend, und das Auge drückte in der Regel die freund­ liche Heiterkeit, aus ernste Veranlassung aber auch Ernst und Strenge aus. Merkwürdig ist überhaupt, um sogleich von dem Aeußern auf das Innere überzugehen, die fast beispiellose Verbindung des höchsten

Ernstes, der größten Strenge und Folgerechtheit, mit der natürlichsten Heiterkeit und einem zu Lust und Scherz aller Art fähigen, überall geistreichen Gemüthe. Wenn auch die bittern Erfahrungen eines langen Lebens allmählig im Alter die erste Seite vielleicht mehr hervorgehoben

haben, so verschwand doch nie der Glanz, welcher von der zweiten

ausging; und wenn auch die zweite bis an Gefahren und Abwege führte, so richtete doch die ernste Kraft ihn bald wiederum in die

Höhe, und seine durch ein halbes Jahrhundert ununterbrochen rastlose Regierungsthätigkeit widerlegt am besten die Anschuldigung, als sei der Kaiser oft in Lüsten untergegangen. Selbst seine größten Feinde

können ihm ihr Lob nicht versagen, sondern gestehen: er war ein kühner, tapferer, edelgesinnter Mann, von den größten natürlichen Anlagen, freigebig, aber doch nicht verschwenderisch, voller Kenntnisse; er ver­ stand griechisch, lateinisch, italienisch, deutsch, französisch und arabisch.

Er gab nicht blos die Gesetze, sondern ließ auch genau untersuchen,

ob sie gehalten würben, und strafte die untauglichen Beamten so streng,

368

Charakteristik Friedrich'« ll.

daß sie von Unbilden möglichst abgeschreckt wurden. dursten gegen ihn klagen, und Jeder übernahm

Die Gerimgsten

ohne Furcht

deren

Vertheidigung n. s. w. Von dem Vorwurse der Irreligiosität, welcher dem Kaiser gemacht

wurde, muß in der weiteren Geschichtserzählung mit Mehrem die Rede

sei».

Hier genüge die Benierkuug: daß er allerdings kein Christ war

in dem Sinne, wie es der Papst von ihm verlangte, daß aber ein

Kaiser, der durch Widerstand gereizt, durch Erfahrungen belehrt, durch Untersuchungen aufgeklärt und dadurch, wir möchten sagen, Protestant

geworden war, im höheren Sinne immer noch Christ blieb, und um deS Verwerfens einzelner kirchlichen Formen willen, keineswegs dem

Judenthnm oder dem Muhamedanisinus näher stand oder gar in einen geistlos gleichgültigen Unglauben hineingerieth.

Vielmehr würden ihm

Manche, nach spätern Ansichten, Vorwürfe wegen seines Aberglaubens machen können: weil er Todtenmessen für seine Vorfahren halten ließ,

den Klöstern und Kirchen Schenkungen machte und überhaupt, unter dem Vorbehalt, daß man dem Kaiser gebe, was deS Kaisers ist, die christliche Kirche für höchst wichtig und schlechthin unentbehrlich hielt. Sogar der Glaube an Wunder wird ihm, sonderbar genug, neben seinem Unglauben

zugeschrieben.

Als

er

nämlich

das

ungehorsame

Catania strafen wollte, stand des Morgens Agatha, die Schutzheilige der Stadt, auf seinem Gebetbuche und sagte ihm: „Beleidige meiil

Vaterland nicht, denn ich räche die Unbilden;" worauf Friedrich von

seinem Vorhaben abstand.

Diese Erzählung ist indeß erfunden, und

es liegen andere Gründe zur Hand, warum der Kaiser seine eigene Stadt nicht zerstörte; dagegen hat es keinen Zweifel, daß er nach da­

maliger Sitte Sterndeuter hielt und auch befragte.

Ihren Ausspruch

fürchtend, daß er unter Blumen sterben werde, habe er Florenz nicht betreten, und wie eö wohl zu gehen pflegt, scheint Spott über solch« Weissagungen und eine dunkle, Vorsicht erzeugende Besorgniß zugleich obgewaltet zu haben.

Im Jahre 1227 gab ihm fein Sterndeuter,

wahrscheinlich auf Veranlassting spöttischer Zweifel, in Vicenza einen

versiegelten Zettel, worin stand, zu welchem Thore er hinausgehen

werde.

Friedrich ließ, damit dieser Ausspruch zu Schanden werde,

ein Loch in die Mauer brechen und ging hindurch: aber siehe, im Zettel hieß es: der Kaiser wird durch ein neues Thor hinausgehen.

Ob schon ein anderes Thor das neue hieß, ob der Kaiser Kenntniß, Zufall oder Betrug darin sah, ist schwer zu entscheiden.

Ueberhaupt

Charakterlstik Friedrich'ö II.

369

erhielt an Friedrich's Hofe der Sterndeuter nie die große Bedeutung und verleitete nie zu so finstern Schritten, wie etwa bei Ezelin von Romano. Vielmehr trieb der Kaiser seinen Sterndeuter Michael Skotus zu mehrseitigem ächten Erforschen der Natur und zum Nebersetzen der Thiergeschichte des Aristoteles. Doch nicht Skotus, sondern Friedrich selbst war der Meister in diesem Fache. Wir besitzen von ihm ein Werk über die Kunst, mit Vögeln zu jagen, welches nicht etwa blos dadurch eine oberflächliche Merkwürdigkeit erhält, daß es ein Kaiser schrieb, und eben so wenig ein Jagdbuch ist, wie es viele Ritter da­ mals hätten schreiben können, wenn sie überhaupt der Feder mächtig gewesen wären. Jenes Werk enthält vielmehr neben einer in der That sehr scharfsinnigen Anweisung zum Behandeln der Jagdvögel und zur edelsten aller Jagdarten, zur Falkenjagd, in seinem wichtigern Theile so erstaunlich genaue und gründliche Forschungen über die Natur der Vögel, daß Sachverständige selbst in unser» Tagen behaupten, der Kaiser verdiene deshalb den größten Männern in diesem Fache bei­ gesellt zu werden. Er handelt von der Vögel Lebensweise, Nahrung, Nesterbau, Zeugung, Jungenpflege, von ihren Krankheiten inib den Heilmitteln derselben, von ihren Zügen, wann, weshalb und woher sie kommen, wohin sie gehen, von Angriff und Vertheidigung, von allen äußern und innern Theilen ihres Leibes, Augen, Ohren, Schnabel, Knochen, Magen, Leber u. s. w., von der Zahl und Stellung der Federn, der Art und Weise ihres mannigfachen Fluges u. s. w. Es fehlt nichts, waö irgend zu einer vollkommenen Thierbeschreibnng gehört, und die geistreiche Rücksicht, welche dabei aus die vergleichende Zer­ gliederungskunst genommen wird, ist eine in jener Zeit noch weniger erwartete, des Kaisers ächte Sachkunde beweisende Erscheinung. Gleiche Aufmerksamkeit dürfte ein anderes, aber bisher vernachläs­ sigtes Werk über die Natur und über die Behandlung der Pferde ver­ dienen, welches der Stallmeister des Kaisers Jordanus Rufus nach dessen umständlichen Weisungen znsammensetzte, und in der weitern Anwendung überall trefflich und bewährt fand. Auch war er der Erste, welcher, seine freundschaftlichen Verhältnisse zu Morgenländischen Herrschern benutzend, fremde Thiere behufs natur­ geschichtlicher Zwecke kommen ließ und in eigenen Häusern und Gärten unterhielt. Er besaß Kameele, Leoparden, Tiger, Löwen, Giraffen und dergleichen. Dies mochte, der befriedigten Neugier halber, wohl Allen gefallen, aber über einige andere naturgeschichtliche Versuche Histor. Lcscbuchll. 24

370

Charakteristik Friedrich s II.

Er ließ zwei Hunde tüchtig füttern und

blieben Vorwürfe nicht aus.

dann den einen laufen und den andern schlafen, um zu sehen, welcher

am schnellsten und besten verdauet habe; seine Gegner aber berichten, die Sache verdrehend, der Versuch sei an Menschen gemacht und ihnen der Balich ausgeschnitten worden!

Ferner sagt man dem Kaiser nach,

er habe einige Kinder erziehen, aber nie in ihrer Gegenwart sprechen

lassen, um zu erfahren, ob und welche Sprache sie von selbst reden

Sie mußten sterben, sagt der Erzähler, da man sie nicht

würden.

init Liedern einschläserte, und eine solche unmenschliche Stille unerträg­

lich ist. Nicola,

ein Sicilianer,

darüber zornige Mutter

war so gern im Wasser, daß ihm seine

anwünschte:

er möge nur dort Vergnügen

finden und auf dem Lande nicht mehr ausdauern können.

Auch ge­

schah dies in immer steigendem Maße, er erhielt den Beinamen Fisch,

und Kaiser Friedrich hörte von seinen Erzählungen über die MeereStiefen.

Um die Wahrheit derselben zu prüfen und noch mehr zu er­

fahren, warf Friedrich vom Leuchtthurme in Messina einen silbernen Becher hinab, und Nicola brachte ihn glücklich aus dem Meeresgrunde

zurück.

Aber Felsspitzen, Korallenriffe, Strudel und Meerungeheuer

hatten ihn so erschreckt, daß er keinen zweiten Versuch wagen wollte, bis der Reiz einer doppelten Belohnung die Furcht überwog.

Allein

er wurde nicht wieder gesehen, und der dies erzählende Bettelmönch fugte zornig hinzu:

solcher Neugierigkeiten, Abergläubigkeiten, Wiß-

begierigkeiten, Verkehrtheiten und Mißbräuchlichkeiten habe der Kaiser noch mehr gehabt. Mit seiner Liebe zur Naturgeschichte hing seine Neigung zur Jagd

genau zusammen, ja diese wurde dadurch auf gewisse Weise veredelt.

Er hatte schöne Thiergärten bei Gravina, Melfi, Melazzo und an andern Orten, ausgemauerte Fischteiche in Sirilien, und zog in dem

schönen Lande umher, wie Geschäfte, langten.

Jahreszeit oder Lust eS ver­

Frühjahrs ergötzte der Vogelfang in Foggia; im Sommer

gings höher hinauf in die Berge zu anderer Jagd.

Ueberall beglei­

teten ihn, nicht ohne bedeutende Kosten, seine zahlreichen Jäger und

Falken, und auch gezähmte Leoparden, welche, wie es scheint, hinter dem Reiter auf dem Pferde saßen und nach einem gegebenen Zeichen

zum Fang hinabsprangen.

AuS der Ferne erkundigt sich der Kaiser

mit großer Theilnahme nach

dem Befinden

zurückgelassener Falken,

deren jeder einen Namen hatte, und frägt, ob neue geboren oder ein-

371

II.

Charakteristik Friedrichs

geübt sind; er befiehlt, daß Füchse und Wölfe, welche alle kleinem Thiere in den Thiergärten

fingen,

von Melazzo

getödtet und von

Sachverständigen Wolfspulver gesetzt werden solle u. s. w. Trotz dieser Vorliebe für die Jagd

war sie keineswegeö die einzige

oder auch nur die erste Erholung an seinem Hofe; vielmehr stellt sich dieser in einem viel mannigfachern und geistreicheren Glanze dar.

dessen wurde zuvörderst auch das Leibliche uicht vergessen.

In­

Der Kaiser

bestellt sich z. B. zweihundert gute Schinken, verbietet, seine Weinberge zu verpachten, damit er den besten Wein selbst bekomme, verschreibt bedeutende Vorräthe griechischen WeineS,

verlangt die

besten Fische

Resina, um Gallerte und andere leckere Gerichte davon machen zu

lassen; ja, der Magister der Philosophie, Theodor, mußte für ihn so­ gar Syrup und Veilchenzucker verfertigen.

Doch wird bezeugt, daß

der Kaiser für seine Person mäßig lebte. Zu so gutem Essen und Trinken gehörten schöne Palläste und reich­

geschmückte Wohnungen.

Diese fanden sich nicht allein in den größer»

Städten: Palermo, Neapel, Messina und an andern Orten, sondern der Kaiser legte auch, wie wir schon bemerkten, in den schönsten Ge­

genden seines Reiches mehre neue an; so z. B. in Apricerna, Ga-

ragnone, Monteserico, Aquila, Andria, Castello di Monte, Foggia u. s. w. Hier vergaß er die Sorgeir der Regierung, hier steigerte er die Erho­

lungen zu einer geistreichen Mannigfaltigkeit und verklärte jede Ergötzung

an seinem Hofe, bis sie in ihrer Einzelnheit schön und im Zusammen­ hänge mit dem Ganzen bedeutend

wurde.

Die Söhne der Edel»

freuten sich als Knappen und Pagen in diese Vorschule des reinsten Ritterwesens zu kommen, und dadurch, daß daö Deutsche hier auf eigenthümliche Weise mit dem Morgenländischen in Berührung kam,

erhielt das Ganze eine noch romantischere Haltung.

So schenkte der

Sultan von Aegypten dem Kaiser ein Zelt von wunderbarer Arbeit: denn Sonne und Mond gingen darin, durch künstliche Vorrichtungen bewegt, auf und unter und zeigten in richtigen Zwischenräumen die

Stunden deS Tages und der Nacht.

Man schätzte den Werth dieses

und

bewahrte es sorgfältig

in Venusium bei andern königlichen Schätzen.

Die dasselbe überbrin­

Kunstwerkes auf zwanzigtausend Mark,

genden Gesandten aßen mit viele» Bischöfen und edlen Deutschen an des Kaisers Hofe; und wenn dieser auch nicht, wie von König Roger

berichtet wird, seinen Hofstaat größtentheils nach sarazenischer Weise

einrichtete, so

war doch

mancherlei daselbst,

welches in Neapel zu

24*

372

Charakteristik Frirdrich's II.

finden, sarazenische Abgeordnete in Verwunderung sehen konnte.

Die

Thiere ihres Landes streiften in den Thiergärten umher; einzeln ab-

und zugehende Diener mochten sie für Verschnittene halten; eine Schaar Mohren zog prächtig gekleidet vorüber und blies auf silbernen Trom­

peten,

Posaunen

und

andern

Instrumenten

mit

großer

Fertigkeit;

junge Männer (deren der Kaiser stets mehre in den morgenländischen Sprachen, behufs seines öffentlichen Briefwechsels und zu wissenschaft­

lichen Zwecken unterrichten ließ) konnten fertig mit den Morgenländern in ihrer Muttersprache reden, ja der Kaiser selbst blieb nicht hinter

ihnen zurück.

Sarazenische Tänzer und Tänzerinnen zeigten ihre Ge­

schicklichkeit, und zum Beweise, daß neben dem Scherz hier auch das

Ernsteste Platz finde, konnten die Sohne des weisen Averroes auf­ treten und die an Friedrichs Hofe gefundene günstige Aufnahme rühmen. Freilich mochte deren Wcltweisheit nicht so allgemeinen Beifall erwerben, als daö Spiel, welches Richard von Kornwall in Neapel bewunderte,

und dessen Erlernung so schwer, als die vollendete Ausführung an-

mnthig erschien.

In einem glatt getäfelten Zimmer standen zwei sehr

schöne sarazenische Mädchen ans vier Kugeln; man besorgte, sie möchten bei der leisesten Bewegung hinabgleiten.

Unerwartet aber fingen sie

au sich zu bewegen und bald nach dieser bald nach jener Richtung zu

wenden.

Kühner erhoben sie hierauf die Hände, schlugen zu fröhlichem

Gesänge die Handpauken, flohen sich jetzt, suchten sich dann wieder und verschlangen die Arme in vielfachen Stellungen.

In diesem Augen­

blicke sah man aber zwei Kugeln sortrollen und fürchtete, die Meiste­

rinnen hätten doch zu viel gewagt: aber nein,

es war

täuschender

Vorsatz: denn auf der einen Kugel sich wendend und nachschwebend, erreichten sie leicht die zweite wieder und begannen zu allgemeine Be­

wunderung auss Neue den Tanz.

Taschenspieler, Springer,

Spaßmacher,

Sänger und

lustige Leute

fanden an Friedrich's Hofe eine willkommene Aufnahme, und tr dul­ dete bei seiner heitern Laune ihren nicht immer ganz seinen Scherz ohne Zorn; aber er wußte sehr wohl, daß über diese natürlichm Er­

scheinungen

einer

gesunden,

aber rohen Natur hinaus

etwas ganz

anderes Höheres liege, wohin ihn Einsicht, Gefühl und Gemüth auf

gleiche Weise trieben. — In Palermo versammelten sich nm ihn Ge­

lehrte, Künstler, Dichter, und unter seinem Vorsitze wurden ihre Werke dargestellt, vorgelesen und geprüft, und der Sieger mit Kränzen be­

lohnt.

Hier versammelten sich die herrlichsten Frauen seines weiten

Charakteristik Friedrich's II.

373

Reiches, hier war der höchste Gerichtshof über alles Schöne und der Mittelpunkt alles Geistreichen. Von hier aus entwickelte stch, größtentheils durch Friedrich'ö Einwirkung, die schöne Sprache Italiens; und wenn auch nicht ein einzelner damals durch erstaunliches Uebergewicht seiner Anlagen alle andern überflügelte, so zeigt sich doch, saft noch bewundernswerther, eine allgemeine Durchdringung von dichterischen Anregungen, und ein mit äußerer Thätigkeit höchst eigenthümlich ver­ wachsenes dichterisches Dasein. Der Kaiser, seine Söhne, König Jo­ hann von Jerusalem, ja Alle, die in diesen Zauberkreiö kamen, ließen, von Begeisterung ergriffen, Lieder ertönen. Mehre künstlich verschlungene Weisen und Versmaße, welche von großer Herrschaft über die Sprache zeugen, erfand Friedrich selbst; und sein Großrichter, Peter von Vinea, entwarf nicht nur daS älteste Gesetzbuch der neuern Zeit, sondern dich­ tete auch das älteste Sonett, welches wir in italienischer Sprache kennen, und welches selbst dem Inhalte nach unzählige von spätern überwiegt. Blicken wir jetzt zurück auf die Reihe von Gegenständen, welche vor unsern Augen vorübergegangen sind, eine geachtete, jedoch in aller Wirksamkeit gegen die bürgerliche Ordnung gehemmte Geistlichkeit, ein reicher, hochgesinnter Adel, blühende Städte, in ihren ursprünglichen Rechten geschützte Landleute, wohl geordnete und streng zu ihrer Pflicht ungehaltene Behörden, eine zu inniger allgemeiner Theilnahme erzie­ hende Verfassung, das Kriegswesen hinreichend zum Schutze ohne unmäßige Kosten, Handel und Gewerbe im Fortschreiten, Mißbräuche des Münzwescns beseitigt, Steuern zwar anwachsend, aber doch nach möglichst billiger Vertheilung, eine aufmerksame Verwaltung der Kron­ güter: wir können, trotz einzelner Mängel, den äußern Einrichtungen im Staate eine höchst seltene Vollkommenheit nicht absprechcn, und müssen den Kaiser als den thätigsten Herrscher seiner Zeit, als Gesetz­ geber und Gesetzanwender bewundern. — Noch seltener, als dies Sel­ tene, ist aber die gleichzeitige Beförderung der Kunst und Wissenschaft um ihrer selbst willen. — Daß endlich der Kaiser auch als erster Naturforscher, als gekrönter Dichter und als begeisterter Verehrer der Frauen Allen vorangeht, Alle gleichsam verwandelt und in die höchsten Reigen deö Lebens hineinzieht; daß der volle Ernst und der heiterste Scherz, dessen menschliche Gemüther nur fähig sind, sich hier ungestört in unendlicher Mannigfaltigkeit bewegten — das möchten wir einzig und beispiellos in der Geschichte nennen! Ohne jene ernste Grund-

374

Charakteristik Friedrich'» II.

läge (wir müssen eS wiederholen) hätte sich die heitere Seite in ein leichtsinniges, flaches Treiben aufgelöset, ohne diese geistigere Verklä­ rung wäre jener Ernst in mühselige Knechtsarbeit hinabgesunken; jetzt aber hielt man alle Mängel für vertilgt, alle Aufgaben deS Lebens

für gelöset, nichts war zu tadeln, nichts zu wünschen übrig, und wer hätte nicht gern die Hoffnung getheilt: diese Erscheinung, diese höchste Blüthe und Frucht jener Zeit, müsse, wie alles Vortreffliche, auch die

Bürgschaft ihrer Dauer in sich selbst tragen!

XIX

Gregor und Friedrich. (Von Friedrich von Raumer.)

Von großer Wichtigkeit war die Erscheinung deS neuen kaiserlichen Gesetzbuches, welches Grundsätze aufstellte, die nicht allein mit vielen der wichtigsten Lehren des Kirchenrechtes in schneidendem Widerspruche standen, sondern auch mit den frühern Versprechungen des Kaisers un­ verträglich schienen. Die lauten Klagen Gregor'S beantwortete dieser nicht ohne Heftigkeit, und berief sich auf die Unabhängigkeit seiner gesetzgebenden Gewalt; wogegen der Papst gewiß nachdrücklicher würde aufgetreten sein, wenn er nicht um diese Zeit von den unruhigen Rö­ mern, welche Viterbo gegen seinen Willen bekriegten, aus der Stadt hätte entweichen und seinen Statthalter, den Bischof Milo von Beau­ vais, in einer schweren Fehde gegen Spoleto unterstützen müssen. Gregor konnte nicht hoffen, daß er, im Fall eines Bruches mit dem Kaiser, dies Herzogthum und die Markgrafschaft Ancona gegen so viel Unzufriedene werde behaupten können; und andererseits konnte dieser ohne deö Papstes Hülfe weder in der Lombardei noch in Sy­ rien seine Absichten durchsetzen. Auch ließ es Friedrich diesmal nicht blos bei wörtlichen Versicherungen seiner freundschaftlichen Gesinnung bewenden; sondern schickte dem Papste so bedeutende Hülfsmannschast daß die übermüthigeil Römer gebändigt und zu einem Vergleiche ge­ zwungen wurden. — Nicht minder zuvorkommend bezeigte sich Gregor, er befahl den Großmeistern der Orden und den Einwohnern von Akkon, Friedrich'ö Vorschriften um so mehr zu gehorchen, als es keineswegeS dessen Absicht sei, die Freiheiten der Kirche und die Rechte

376

Gregor und Friedrich,

der Stände zu kränken.

Er schalt laut über die verwerflichen innern

Zwistigkeiten der morgenländischen Christen und schrieb dem Patriarchen

Gerold von Jerusalem: „Der Kaiser beschwert sich mit Recht über

Deinen, auf keine ächten Gründe gestützten Haß, und darüber, daß

Du Dich öffentlich den Aufrührern zugesellst und sie unterstützest.

Dies

ist um so sträflicher, da Du von uns zuin Gegentheil angewiesen bist

und wohl weißt: daß die Kirche des Kaisers Rechte schlechterdings unverletzt erhalten will, damit auch die ihrigen unverletzt bleiben.

Die

Schande, welche Du durch Dein Benehmen Dir zugezogen hast, soll

nicht auf die Kirche übergehen; deßhalb wirst Du hiermit angewiesen, die päpstliche Gesandtschaft (Legation) sogleich an den Patriarchen von Antiochien zu übergeben, und Dich selbst in Rom zur Verantwortung

ju stellen."

Einige dieser Begebenheiten, Schreiben und Befehle fallen vor, die meisten nach dem vereitelten Reichstage von Ravenna, wodurch Fried­ richs Verhältniß zu den Lombarden viel feindseliger ward.

Um dar-

auf mildernd einzuwirkcn, hatten zwei Cardinäle, Johann von Präneste und Otto von Montserrat, den Kaiser erst in Venedig, dann in Ra­

venna, beide Male aber vergeblich ausgesucht; was die Lombarden als eine vorsätzliche Mißachtung derselben darstellten, obgleich

die einzige

Wenig­

Ursache nur in der Eile der Reise Friedrich's liegen mochte.

stens finden wir, daß dieser die Vermittelung des Papstes und der

Cardinäle gleich nachher gern annahm und zu seiner Vertretung den Deutschmeister Hermann von Salza nach Padua schickte.

Auf der

hierher berufenen Versammlung erschienen Bevollmächtigte der Städte Mailand, Brescia,

Bologna,

Piacenza,

Padua,

Ferrara,

Faenza,

Como und Mantua, im Namen des ganzen Bundes der Lombardei, der Mark und Romagnos. Die im Namen des Kaisers ausgesprochenen Klagen lauteten dchin:

„Daß die Lombarden widerrechtlich den Reichstag verhindert, die Rächs-

straßen gesperrt, den deutschen König und die deutschen Fürsten gevalt-

sam zurückgehalten, die früher versprochene Hülfe zum Kreuzzuge nicht gestellt und überall Mangel an Achtung vor der kaiserlichen Bürde

gezeigt hätten."

Die Städte antworteten: „Alles, was geschehet, sei

bloß zu ihrer Vertheidigung geschehen, weil sie befürchten müßten, der Kaiser wolle ihnen neue Lasten und Verpflichtungen auflegen." Ueber den Inhalt dieser wechselseitigen Anklage und über du sich daran reihenden Forderungen ward in diesem Augenblicke nichts ent-

Gregor und Friedrich.

377

schieden; sondern nur am 3. Mai 1232 festgesetzt: „Beide Theile nehmen den Papst und die Cardinäle alö Schiedsrichter an, und unter­

werfen sich einer Strafe von zwanzigtauscnd Mark im Falle spätern Ungehorsams.

Der Papst hat das Recht seinen Spruch zu vollziehen Bis zum 1. Julius können Städte und einzelne

und auszulcgen.

Personen diesem Vertrage noch beitreten, und der Kaiser verspricht die Zustimmung König Heinrich's beizubringen." — Als die kaiserlichen

Bevollmächtigten erst einige Tage nach dem 1. Julius in Lodi er­ obgleich jene ihre Verspätung mit Gründen entschuldigten, deshalb den ganzen Vergleich für ungültig er­

schienen, wollten die Lombarden,

klären ; sie wurden aber von den Cardinälcn daran gehindert und vom Papste angewiesen, mit hinlänglicher Vollmacht versehene Abgeordnete zum 1. November unmittelbar an ihn zu senden. Ungeachtet diese Frist lang genug war, erschienen doch die Lombarden, wahrscheinlich nicht ohne Vorsatz, mit so ungenügender Vollmacht, daß man die Verhand­ lungen nicht weiter führen konnte; wogegen der Bischof von Troja

und Peter von Vinea für den Kaiser mit hinreichenden Anweisungen versehen waren und dessen Geneigtheit zum Frieden so bestimmt er­ klärten, daß Gregor ihm seine Zufriedenheit zu erkennen gab und nach Perugia schrieb: „Keine Stadt des Kirchenstaates solle mit fremden Städten zum Nachtheile der Reichsrechte Bündnisse eingehcn, denn es sei sehr unschicklich und dem Frieden zuwider, wenn die Getreuen des Kaisers durch Unterthanen der Kirche beleidigt würden." Ja, als später die kaiserlich gesinnte Stadt Chiusi ohne Rücksicht aus diese Warnung von den Einwohnern Perugia's beeinträchtigt wurde, drohte der Papst mit einer Strafe von tausend Mark.

so

Beiden Theilen, dem Kaiser und den Lombarden, setzte Gregor jetzt eine neue Frist, aus vierzehn Tage nach Himmelfahrt 1233, und legte

dem Außenbleibenden eine Strafe von tausend Mark auf; denjenigen aber, welche etwas vornähmen, wodurch das Friedensgeschäst gestört

würde, eine Strafe von sechstausend Mark. i In der Zwischenzeit bis zu dieser wichtigen Entscheidungsfrist war

der Kaiser dem Papste aus alle Weise gefällig; und dieser suchte wiederum manche Angelegenheit zu beseitigen, welche unter minder günstigen Verhältnissen vielleicht Schwierigkeiten gesunden hätte.

So

schrieb er an Friedrich: „Die von ihm den Saracenen in Nocera ein­

geräumten Freiheiten würden den benachbarten Christen lästig und gäben ihnen Anstoß; ja, jene hätten, angeblich mit seiner Beistimmung,

378

Gregor und Friedrich.

eine Kirche niedergerissen und die Steine und das Holz zu ihren Ge­

bäuden verwandt."

Der Kaiser gab hierauf, wie eö scheint, befrie­

digende Antwort und verstattete, auf ein späteres Gesuch des Papstes, sehr gern, daß Dominicaner nach Nocera gingen, um die Bekehrung

der Ungläubigen zu versuchen. — Gaeta, welches bisher noch unter päpstlicher Hoheit geblieben, ward dem Bischöfe von Messina und dem Deutschmeister zur einstweiligen Verwaltung für Conrad, den Sohn

des Kaisers, übergeben. Dieser trat alle Anrechte, mit Ausnahme derer auf Lehndienste, seinem Sohne ab, verzieh den Bürgern alle frühere Vergehungen und verstattete ihnen freien Handel in seinen

Staaten. Nicht minder höflich war der gegenseitige Briefwechsel, und Friedrich

schrieb unter Anderem an Gregor: „das Papstthum und das KaiserBeide sind desselben Wesens,

thum sind gleichen, göttlichen Ursprungs.

und fern von uns sei jene, nicht bloß leichtsinnige und thörigte, son­ dern thierisch-dumme Meinung: daß diese beiden Schwerter sich feind­ selig entgegenständen; vielmehr glauben wir fest und bekennen eö öffent­

lich, daß Papst und Kaiser gleich dem Vater und dem Sohne Eines sind.

Die Zeit (fügt er weiter mit Beziehung auf die Lombarden

hinzu) erlaubt nicht, noch leidet eö die Art der Krankheit, daß wir uns mit klügelnden Reden und sophistischen Künsten beschäftigen und ergötzen." Mittlerweile langten die kaiserlichen und die lombardischen Gesandten, behufs der Einleitung des schiedsrichterlichen Urtheils, an. Während aber Jene auf eine bestimmte Strafe des Ungehorsams und der Rechts-

Uebertretungen antrugen und Sicherheit gegen künftige Mißbräuche ver­ langten; forderten die Lombarden, der Kaiser solle alles Vergangene unbedingt vergeben und vergessen und Bürgschaft stellen, daß er künftig

den Verträgen nicht zu nahe treten werde.

Jeder war aufs Aeußerste

gespannt, wie der Papst so Widersprechendes vermitteln könne,

als

am 5. Junius 1233 folgender Spruch von ihm eröffnet ward:

„Der Kaiser und sein Sohn erlassen für sich und das Reich dem lombardischen Bunde, den Gemeinden wie den Einzelnen, alle ©trafen,

widerrufen die ausgesprochene Acht, so wie jede nachtheiligc Verfügung, Das Gleiche thun die Lombarden in

und entschädigen die Verletzten.

Bezug auf den Kaiser und die Kaiserlichen.

Der lombardische Bund

unterhält fünfhundert Ritter zwei Jahre lang zur Unterstützung deS heiligen Landes. Die Kirche bestimmt die Zeit ihres Aufbnlchs."

379

Gregor und Friedrich.

Als der Kaiser, welcher in denselben Tagen über die Behandlung der Geistlichen und Ketzer Verfügungen nach den Wünschen deS Papstes erlassen hatte, jenen schiedsrichterlichen Spruch erhielt, war er sehr er­

staunt und erzürnt, und schrieb dem Papste am

12. Junius

1233

nur ganz kurz: „Er werde sich darüber näher äußern, sobald er mit dem Deutschmeister Hermann von Salza gesprochen habe."

Gegen den Cardinalbischof von Ostia ließ er aber seinen Klagen freien Lauf:

„Wir erhalten keine hinreichende Genugthuung für die vielen Beleidi­ gungen, Verletzungen und Angriffe jener, bis zur höchsten Unverschämt­

heit kühnen Partei.

Bei dem Schiedsurtheile scheint man an unsere

und des Reiches Ehre gar nicht, ja nicht einmal an die Ehre der in

ihrem Vertheidiger mitbeleidigten Kirche gedacht zu haben.

Wahrlich,

wenn der Ausgang dieser Angelegenheit öffentlich bekannt würde, so

möchten Könige und Fürsten, durch ein so ausfallendes Beispiel ge­ warnt,

sich

nie

mehr freiwillig dem schiedsrichterlichen Urtheile der

Kirche unterwerfen!" Gregor, welchem der Cardinalbischof von Ostia Dieses und Aehn-

lichcs mittheilte, mochte aus Beschwerden Friedrich'ö gefaßt sein und

antwortete ihm am 12. August 1233: „Geliebter Sohn, bedenke, wie

günstig sich die Kirche überhaupt und insbesondere während der letzten Jahre gegen Dich gezeigt hat, und welche unüberwindliche Schwierig­

keiten, bei dem beharrlichen Widerstände der Lombarden, in der Sache selbst lagen.

Ist ein mit Früchten beladener Baum um deßwillen un­

fruchtbar zu nennen, weil jene nicht an allen Zweigen gleich reichlich

hangen? oder darf man dem Himmel Mängel vorwerfen, weil die Sterne nicht immer gleich hell leuchten?

So gedenke auch Du nicht

deS Einzelnen, und laß Dich nicht täuschen durch den Schein.

Fern,

fern ist es von uns, dafür nehmen wir den Allwissenden zum Zeugen, aus Rücksicht auf Personen das Recht zu kränken.

Auch wird Das,

worüber Du Dich so laut beschwerst, und waö wir (weil Deine Ge­ sandten Bedenkeir trugen, Etwas wie vor einem Gericht einzuleiten)

nur

in der Gestalt

einer vorläufigen Festsetzung

aussprachen,

minder von den Lombarden hart und drückend gescholten:

nicht

weil sie,

nach ihrer Meinung, in Allem, was sie gegen Dich thaten, so viel

wie gar nicht schuldig sind.

Daß zum Beistände des heiligen Landes

außer den fünfhundert Rittern nicht, wie Du verlangst, noch die stüher einmal bedungenen vierhundert ebenfalls gefordert sind, hat seinen guten

Grund, weil die Letzten nur zu dem von Dir angelobten, aber nicht

380

Gregor und Friedrich.

angetretenen Kreuzzuge versprochen wurden.

Findest Du Dich aber,

nach eigener oder fremder Ueberzeugung, durch unsern Spruch zu hart

verletzt, so eröffne uns darüber Deine bestimmte Willensmeinung: denn wir können die ganze Angelegenheit in den vorigen Stand zurückführen, wo dann jedem Theile seine alten Anrechte ungekürzt verbleiben."

Den letzten Vorschlag konnte der Papst um so unbedenklicher thun,

da die Lombarden von dem in Sicilien beschäftigten Kaiser nichts zu besorgen hatten, und er selbst dessen Beistand, nach der Aussöhnung mit den Römern, nicht mehr

bedurfte;

wogegen Friedrich

fürchten

mußte, er werde noch mehr verlieren, wenn Gregor in diesem Augen­

blicke jeder Einwirkung auf die Lombarden entsage.

Dies Alles hatte zur Folge, daß fast zehn Monate lang in dieser Angelegenheit nichts geschah, die Lombarden und der Papst waren für den Augenblick mit ihrer Stellung zufrieden; und der Kaiser war­ tete ab, ob nicht seine Verbindungen in Oberitalien, besonders mit

Ezelin von Romano, entscheidender einwirken,

von Vicenza

dürften.

oder die von Johann

erzeugten Bewegungen ihm zuletzt voHeilhaft werden

XX.

Mongolen.

(Von Friedrich von Raumer.)

Im Norden der großen Bucharei und der Wüste Kobi, im Süden Sibiriens, zieht sich durch das mittlere Asien eine ungeheure Ebene hin, im Durchschnitte wohl fünfzig bis hundert Meilen breit und über

dreihundert Meilen lang. der Breite,

Sie liegt ungefähr unter denselben Graden

wie die herrlichen lombardischen Ebenen, aber welch ein

Unterschied der Natur und der Menschen! Jenes scheinbare asiatische "Flachland ist der Wahrheit nach ein Gebirge, ein ebenes Hochland, welches überall mehrere tausend Fuß, ja so hoch über der MeereSfläche

erhaben ist, wie die höchsten europäischen Alpenwohnungen.

Nur nach

der Nordwestseite ragen die Riesenberge des großen Altai noch weit

über dieses Hochland hervor; nach den meisten andern Seiten zeigt sich hingegen ein gewaltiger Abfall in tiefere Länder.

Steigt man

von diesen aufwärts, so führt der Weg durch Thäler, in die sich wilde Bäche hinabstürzen, zwischen losgerissene Massen und schroffe Berg­ häupter hindurch.

Hat man aber endlich die Höhe erreicht, so ver­

schwindet alle Mannigfaltigkeit, alle Schönheit.

Nirgends ein Baum,

nirgends ein Strauch, nichts Festes, Beharrliches, sich Auszeichnendes in diesem Landmeere von Kies und Sand; keine Menschenwohnung, die verdiente, mit dem beweglichen Meeresschiffe verglichen zu werden.

Etwa zwei Monate lang brennt die Sonne am Tage mit gewaltiger

Glut, und des Nachts tritt dennoch Eiökälte ein.

Nordwinde herrschen

den größten Theil des Jahres hindurch, und die Trockenheit ist so groß, daß eS nicht einmal schneit, viel weniger regnet.

Auf dem ma­

gern Boden suchen die Thiere ängstlich ihre nothdürftige Nahrung.

382

Mongolen.

So ist das Stammland der Mongolen, und wie das Land, so die Menschen.

Ihre nur mittelmäßige Größe würde man ihnen saunt als

Mangel anrechnen, wenn nur sonst die Verhältnisse ihres Körperbaues angenehm und richtig wären.

Aber an dem überlangen starken Ober­

leibe sitzen schmale Hüften und kurze, krumme, magere Beine.

In

dem blassen Gesichte treten dicke Lippen und eckige Backenknochen her­

vor, während die Nase breit und platt ist, und in den weiten, tiefen Augenhöhlen, kleine, schief gestellte Augen blinzeln.

von Natur fast ganz,

der Kopf wird

Der Bart fehlt

künstlich geschoren,

uild nur

hinter jedem Ohre bleibt ein langer zusammengedrehter Zopf hängen.

Diese Gestalten, sowohl Männer, als Weiber, darf man sich fast nicht anders denken, als auf magern, raschen Pferden und in steter Bewe­ gung; doch hatten sie auch sogenannte Häuser, das heißt Zelte von

Filz, welche, um sie wasserdicht zu machen, mit Schafmilch bestrichen

Wohnung und Hausgeräth

wurden.

stellte mail bei Wanderungen

auf zweirädrige Wagen und fuhr sie von einem Orte zum andern. Die Mongolen aßen Katzen, Hunde, Ratten, Mäuse, Läuse und an­

deres Ekelhafte, am liebsten Pferdefleisch: sie verschmähten als Getränk

selbst

schmutziges Wasser und Pferdeblut nicht,

zum Wohlgeschmack

aber bereiteten sie den berauschenden KamuS aus Stutenmilch.

Brot

war ihnen unbekannt, und auch den Wein lernten sie erst in späterer

Zeit schätzen.

Ihre Waffen bestanden in Spießen, Schwertern und

Keulen; sie waren, selbst die Weiber nicht ausgenommen, treffliche

Bogenschützen.

Beim Angriffe stellten sich die Mongolen gern eng,

um ihre überlegene Zahl zu verbergen; schien es nützlich, so schämten

sie sich keiner Flucht. Kälte.

Pelze, mannigfacher Art, schützten gegen die

Hunger und Durst, Hitze und Kälte ertrug dies Volk mit

großer Gleichgültigkeit; fand sich aber die Gelegenheit, so ward auch desto tlnmäßiger gegessen und getrunken.

Es wechselten beleidigender

Stolz und knechtische Unterwürfigkeit, scheinbare Genügsamkeit und be­ trügerischer Geiz.

Jeder durfte so viel Weiber nehmen oder vielmehr,

kaufen, als er wollte, und diese lebten alle in Frieden oder vielmehr!

in gleicher Knechtschaft.

Man durfte die Unfruchtbare verstoßen unfy

die Ehebrecherin tobten.

Es war Gebrauch, die Frau des verstorbenen

Bruders zu heirathen; ja der Sohn erbte, wie das Vieh, so auch die Frauen seines Vaters und beschlief sie, nur die eigene Mutter ausge­ nommen.

Zwischen ehelichen und unehelichen Kindern gab eS keinen

Unterschied, und der Vater theilte sein Vermögen unter sie nach bloßes

383

Mongolen. Willkühr.

Ausschweifung und unnatürliche Wollust schien den Mon­

golen nicht unnatürlich. Man erzählt, daß sie an einen höchsten Gott glaubten; da sie aber

nicht einmal den äußern Gottesdienst ausgebildet hatten, und in allem

Sittlichen rnd Gemüthlichen so sehr zurückstanden, so kann jener Glaube

unmöglich tief und fruchtbar gewesen sein.

Auch ist weit mehr von

niederen Schutz- und Hausgöttern die Rede, denen sie opferten, und

von einer Verehrung der Sonne, des Mondes und anderer Natur­ gegenstände.

Gegen Bekenner abweichender Religionsineinungen übten

sie keine Gewalt: man hat aber diesen Beweis großer Gleichgültigkeit und Unfähigkeit sehr irrig einer Duldung gleichgesetzt, welche sich auf

gründliche Erkenntniß und ächte Demuth gründet.

In ihren abergläu­

bigen Satzungen findet sich nicht einmal eine Beziehung auf etwas

So galt es z. B. für ein Verbrechen,

Wahrhafteres und Höheres.

wenn Jemand Knochen zerschlug, Fleisch auf die Erde fallen ließ, sich

auf eine Peitsche lehnte, mit dem Schwerte ins Feuer bieb u. dergl. Auch reihten sich hieran Wahrsagercien von mancherlei Art.

Kein Mongole konnte schreiben oder lesen, uud ihre Sprache stand in einem natürlichen Verhältnisse zu diesem gänzlichen Mangel an Bil­

Dem cinsylbigen Sprachstamme sehr nahe verwandt, fehlt eS

dung.

ihr an den zwar schwierigen, aber zuletzt doch hülfreichen Kunstinitteln, welche z. B. in China angewandt werden, um Gelenkigkeit und Mannig­

faltigkeit hervorzubringen.

Die Beugungen sind unvollkommen, der Ge­

brauch der Fürwörter fast unbekannt, und der Mangel fast aller klei­

nern Redetheile führt nothwendig zur ärgsten Steifheit.

Auch darin

bekundet sich diese, daß, einer strengen Wortfolge gemäß, stets daS Vornehmste voransteht und das scheinbar Geringste den Beschluß macht.

So waren der Glaube, die Sitten und die Sprache der mit den alten Hunnen nahe verwandten Mongolen, welche sich für das aus­

erwählte Volk Gottes und für bestimmt hielten, die Welt zu erobern

und

zu

beherrschen.

Und

der furchtbare Dschingischan verwandelte

diesen Glauben in entsetzliche Wahrheit, indem er ein Reich gründete, -größer, als irgend eins auf Erden; aber selbst der Herrscher brachte es nie biS

zu

ächt menschlicher Freiheit,

und

seine Mongolen blieben

Knechte, wie vorher, und daS mit Recht. »

Dschingis, geboren

1154,

zwei Jahre nach der Thronbesteigung

tFriedrich I., war der Sohn Jesoukhans, eines Anführers mongolischer

Stämme, und der Tochter eines mongolischen Khans, Oulon Aikeh.

384

Mongolen.

DaS Kind erhielt den Namen Temudschin, von einem Khane, welchen

Jesoukhan um die Zeit der Niederkunst seiner Frau besiegt hatte.

Später

erfand man, um Temudschin's Schicksal noch merkwürdiger erscheinen zu lassen, einerseits, er sei von ganz geringer Herkunft; andererseits, er

stamme von -der Sonne oder von Göttern oder gottverwandten Men­ schen.

Eher möchte man glauben, daß sich, wie erzählt wird, in der

Hand des Reugebornen ein, die Zukunft andentenöer, Kluinpen Bluts

gefunden habe. Der Anfang von Temudschin's Laufbahn war indeß ungünstig: denn nach dem Tode seines Vaters fielen alle zeither gehorsamen Stämme

ab, und er mußte zu Ungkhan, dem Beherrscher der Keraiten, fliehen, welcher bei den nestorianischcn Christen der Priesterfürst Johannes heißt;

obgleich er wohl nur Christen duldete, keineöwegeö lauter Christen be­

herrschte oder ihrer Lehre zugethan war.

Bei ihm fand Temudschin

nicht nur eine freundliche Aufnahme, sondern stieg auch allmählig so

sehr in dessen Gunst, daß ohne seine Theilnahme kein wichtiger Be­

schluß gefaßt, kein Krieg geführt wurde, und Ouisulougine, die Tochter UngkhanS, ihm ihre Hand reichte, mit Zurücksetzung des Khans Dschc-

muka.

Aus Zorn und Eifersucht erhob nun Dieser Krieg und besiegte

Ungkhan, bald aber stellte Temudschin durch seine Tapferkeit das Glück

wieder her.

Hierauf wandte sich Dschemuka zur List und überzeugte

Sankoun, den Sohn Unglhans, daß Temudschin damit umgehe, ihn

von der Thronfolge ganz auszuschlicßen. dem Ungkhan

wahrscheinlich wurde,

Schwiegersohn verhaften zu lassen.

Und weil dies zuletzt sogar

beschloß er,

seinen gefährlichen

Durch zwei Sklaven, welche einen

Theil der Berathung unbemerkt mit angehört hatten, erhielt Temudschin Nachricht von diesem Plane und ließ nun an dem Abende, wo seine

Feinde ihn ergreifen wollten, sein Lagerzelt hell erleuchten, während er

sich selbst in einen Hinterhalt begab, der zur Flucht, wie zum An­ griffe gleich bequem lag.

Kaum war es dunkel geworden, so stürzten

Jene auf schnellen Rossen zu dem erleuchteten Zelte hin und durch­

bohrten es mit so unzähligen Pfeilen, daß auch nicht ein Einziger darin befindlicher Mensch hätte sein Leben retten können: aber zu ihrem Erstaunen hörten sie keine Stimmen, kein Angstgeschrei der Verwun­

deten und gewahrten, daß ihr Plan war verrathen worden. glaubten

sie der furchtsamen Flucht Temudschin's

und

Doch

damit ihres

Sieges gewiß zu sein und verfolgten ihn, bei dieser Sicherheit, mit

einer solchen Uebereilung und Unordnung, daß Beide, Sankoun und

385

Mongolen.

Dschemuka, in jenen Hinterhalt geriethen und von ihrem Gegner voll­ ständig besiegt wurden.

Mit diesem, im Jahre 1193 erfochtenem Siege

beginnt die größere Laufbahn des jetzt schon vierzigjährigen Temudschin.

Als Wahrzeichen

und der verhängnißvollen

seiner Verfahrungsweise

Zukunft ließ er die angesehensten Gefangenen in siebenzig Kesseln sieden.

Während der nächsten

neun Jahre wurde Temudschin allmählig

Herr vieler weit verbreiteten Horden, und im Jahre 1202, wo die Franken den Kreuzzug gegen Konstantinopel begannen, siegte er über

seinen frühern Wohlthäter Nngkhan.

Dieser floh, in der Hoffnung

großmüthig behandelt zu werden, zu einem alten Feinde Tajan, und

fand auch anfangs eine günstige Aufnahme; dem drohenden Verlangen

Temudschins wagte man aber nicht zu widerstehen, Ungkhan ward hier und sein Sohn Sankoun in Tibet ermordet.

Zu spät überzeugte sich

Tajan, zu dem auch Dschemuka floh, daß die täglich anwachsende Macht

der Mongolen ihm

selbst gefährlich sei; er ward in dem erhobenen

Kriege besiegt und nebst Dschemuka getödtet. Hierauf hielt Temudschin im Jahre 1206 einen großen Reichstag

in seiner Hauptstadt Karakorum an den Quellen deö Onon.

Manche,

denen die räumliche Ausdehnung einrö Reiches alleiniger Maaßstab

aller Größe ist, hätten andere gar gern überredet, daß dieser Sitz des

unermeßlichen mongolischen Weltreichs, Athen und Rom und Florenz an Herrlichkeit und Bedeutsamkeit weit müsse übertroffen haben;

ein

Schluß, der ungefähr ebenso richtig ist, als daß Klima und Natur in

jenen Hochwüsten Astens ebenso zauberisch sein müsse, als in dem Blu-

mcnthale des Arno, weil Karakorum und Florenz etwa unter der glei­

chen nördlichen Breite liegen!

Selbst in den Zeiten der höchsten mon­

golischen Gewalt war jene Hauptstadt der Weltverwüster kaum etwas

mehr, als ein mit Beute überfülltes Heerlager; nie wurde sie der Mittel­

punkt einer, sei es auch nur erkünstelten Bildung. Auf jenem Reichstage von 1206, so wird uns berichtet, sei Dschingis als Gesetzgeber seines Volkes aufgetreten.

Zuletzt aber findet sich, daß

die, angeblich von ihm erlassenen Bestimmungen nur einige alte Gewohn­

heiten bestätigen, auf einige arge Laster Strafen setzen, in der Haupt­ sache aber eine gänzliche Unterwerfung des Volks und strengen Ge­

horsam gegen den

höchsten willkührlichen Herrscher bezwecken.

Und

wiederum war, wie in allen despotischen Staaten, selbst das Oberhaupt der aufrührerischen Willkür hingegeben: denn eö hieß: keiner soll, ohne

zBeistimmung

der Großen allgemeiner Khan werde».

Hist-r. Lesrbuch. II.

Verjagt man 25

S86

MMgolHN.

diesen, weil er nicht den Gesetzen gemäß regiert, so wird auch jeder seiner Verwandten und sein Gefolge eingesperrt.

Die Krone, dies setzte

man ferner in sonderbarem Widerspruche mit dem vorigen fest, ist erb­ lich,

und wenn die Häupter der sieben angesehensten Stämme den

neuen Khan erinnert haben, er solle gerecht regieren, damit er einst im

Himmel noch mehr erhoben werde, als auf Erden; so werfen sich alle vor ihm nieder, küssen ihm die Füße und bringen ihm mancherlei Ge­ schenke.

Das Volk wird getheilt nach zehn, einhundert, eintausend

u. s. w., und ist jedem Anführer solcher Abtheilungen den strengsten Gehorsam schuldig.

Diese hingegen sind frei von Strafen fiir Ver­

brechen, sofern sie dieselben nicht wiederholt begehen.

Wer an den

Kriegen keinen Theil nimmt, dient dem gemeinen Wesen wöchentlich

einen Tag auf andere Weise; sonst dient ein Mongole nie einem zwei­

ten.

Flüchtige Sklaven werden aber ihren Herm bei Todesstrafe wieder

ausgeliefert.

Auf jenem Reichstage in Karakorum erklärte ferner ein, vermuthlich

von Temudschin selbst dazu angeregter Weissager und Wunderthätcr, Namens Tengry: ihm sei ein rother, auf einem weißen Pferde sitzender

übermenschlicher Mann erschienen und habe befohlen, daß Temudschin den Namen Khan aller Khane oder Dschingis annehme.

Hierzu ließ

sich dieser gern willig finden; und seitdem brachen nun die Mongolen

aus ihren wüsten Höhen, den Flußthälern, Senkungen und Engpässen folgend, nach allen Seiten in die tiefern, reichern Länder, zuvörderst in

China ein, wo, nach anfangs wechselndem Kriegsglücke, Peking im Jahre 1215 erobert und das Kaiserhaus der Niutschen gestürzt wurde.

Hosckang, ein Prinz dieses Hauses, mußte sich, nachdem er drei mon­

golische Abtheilungen geschlagen hatte, dennoch flüchten und in der Stadt Tsching-tscheu verbergen.

Als auch

diese

nach tapferm Wider­

stände überging, warf Hoschang seine Verkleidung ab und stellte sich

freiwillig vor Tuli, dem Sohn Dschingischans mit der Bitte: er möge ihn tödten, damit die Mitwelt seine Treue kennen lerne, und di« Nach­

welt ihm Gerechtigkeit widerfahren lasse.

Tuli übergab den Prinzen,

weil er ihn nicht für die Mongolen gewinnen konnte, seinen Soldaten; diese hieben ihm die Beine ab, weil er nicht niederknien wollte und

schlitzten ihm den Mund bis an die Ohren auf, damit er nicht weiter reden könne.

Nachdem er auf solche Weise jämmerlich hingeopfert wor­

den, gossen die Mongolen zu seinen Ehren Pferdemilch auf die Erde und wünschten, er möge, im Fall er auferstehe, unter ihnen leben!

387

Mongolen.

So wie gegen Südosten nach China, drangen die Mongolen nun auch durch die südwestlichen Oeffnungen ihres Hochlandes in die Staa­

ten des Sultans Muhamed von Chowaresm ein.

Schon dem mace-

donischen Alexander sandte ein am OruS lebendes Volk, die Choras-

mier, Gesandte und ihr Land hieß Chorasan oder Chowaresm; hier ist indessen nur von dem neuern Staate die Rede, welchen Muhamed,

der Sohn Anuschtekinö, um die Zeit des ersten Kreuzzuges mit Bei­

stimmung der seldschuckischen Obersultane gegründet hatte.

Trotz vieler

Fehden mit Seldschucken und Kitancn, und trotz manches sehr schädli­

chen Familienzwistes wuchs das Reich während des zwölften Jahr­

hunderts; aber erst Sultan Muhamed, welcher seit dem Anfänge deS dreizehnten regierte, erhob eS durch feine Eroberungen auf einen uner­ warteten Gipfel von Größe und Macht.

Er herrschte vom kaSpischen

Meere bis nach Indien über Länder, wohl so groß als halb Europa,

und alle Fürsten des vorder» Asiens fürchteten seine Uebermacht.

Auch

der Chalif Nasser, welcher den Chowaresmiern die Ausnahme abge­ schlagen hatte, sah sich vom Sultan äußerst bedrängt und wandte sich, ohne Rücksicht auf vielfache Warnungen, um Beistand an die Mongo­

len; denn ein Ungläubiger, welcher Hülfe leiste, sei besser, als ein Gläu­ biger, welcher verfolge.

DschingiS versprach ihm diese Hülfe, wollte

jedoch den eben erst mit Muhamed geschloffenen Frieden nicht ohne alle

Veranlassung brechen, und eine solche Veranlassung fand sich nur zu

bald.

Mongolische Kaufleute und Gesandte kamen nämlich, im Ver­

trauen auf jenen Frieden, nach der chowaresmischen Stadt Otrar, und Gayerkhan, der dasige Befehlshaber, welcher sie für Kundschafter hielt,

empfing vom Sultane den Befehl: er möge sie genau beobachten, und übrigens thun, was seine Klugheit ihm rathe.

Da faßte Gaherkhan

den ungerechten und grausamen Beschluß, sie unter dem Schein eines Festes in seinen Palast zu locken und umzubringen.

Nur ein einziger

entkam und berichtete den Frevel an Dschingis, welcher Genugthuung verlangte und nicht erhielt, und nun im Jahre 1218 mit seinen Mon­

golen in die Ebenen hinabzog. Den Frevel einzelner büßten Hundert­ tausende auf furchtbare Weise.

Die erste Schlacht zwischen Muhamed und Dschingis wurde nur

dadmch gegen den ersten entscheidend, daß er auf verkehrte Weise sein Heer auflösete und als Besatzung in die großen Städte vertheilte: denn dte Mongolen umlagerten und eroberten nun dne nach der andern, und welche Eroberungen waren dies! Gottlob daß die Geschichte saft 25'

388

Mongolen.

keine ihres gleichen zeigt! — In Bochara, einem Haupsitze muhamedanischer Gelehrsamkeit, machte man Ställe auö den Büchersälen und

zerstörte die Bücher, Dinge, welche keiner von den Siegern je gesehen

hatte.

Als die Einwohner ihre Schätze und die versteckten Anhänger

Muhameds nach DschingischanS Meinung nicht schnell genug auslie­

ferten, ließ er die Stadt niederbrennen.

Samarkand hingegen wurde

nur geplündert, nur dreißigtausend Einwohner wurden erschlagen, nur

dreißigtausend wurden als Sklaven verkauft: daS hieß eine milde Be­ handlung!

Freilich die Regel war, alle ältere Personen hinzurichten

und alle jüngeren als Sklaven zu verkaufen; so behandelte man Chowaresm, bei dessen Eroberung hunderttausend Menschen ums Leben ka­

men, so Balk, so Nisabur.

Mauern, Thürme, Häuser, Karavanftreien,

Bäder, Moscheen, alles wurde zerstört; es blieb schlechthin gar nichts

von vielen andern blühenden Städten übrig!

Als Tuli nicht alle Ein­

wohner von Herat hatte umbringen lasten, und später sich daselbst neuer

Widerstand zeigte, sagte ihm sein Vater Dschingiö: „ich verbiete dir,

jemals ohne meinen ausdrücklichen Befehl milde gegen die Bewohner eines Landes zu verfahren.

Mitleid findet sich nur in schwächlichen

Gemüthern, und allein die Strenge erhält die Meirschen bei ihrer Schul­ digkeit.

Ein bloß besiegter Feind ist nie gezähmt und haßt immer sei­

nen neuen Herrn." — Was hilft der Schein einiger Gesetze, waS be­

deutet Die knechtische Ordnung bei so vorsätzlicher Ungebundenheit, bet

so eingewurzeltem Frevelmuthe?

Chatun, die Mutter Sultan Muhameds, ein Weib von vieler Klug­

heit und großartigem Ehrgeize, fiel in die Hände der Mongolen, und Dfchingis ließ ihr (die Könige und Fürsten zu ihren Füßen gesehen hatte), gleich einem Hunde, Stücke» Fleisch von seinem Tische vorwer­

fen.

Muhamed floh, von einem Orte zum andern gedrängt, auf eine

wüste Insel deö kaspischen Meeres, und erlag hier, in dem Jahre, wo

Friedrich U. die Kaiserkrone empfing, dem Schmerze und dem Zorne. Dschelaleddin; sein Sohn und Nachfolger, ward, ungeachtet der größten

Anstrengungeu und bewundernSwerther Geschicklichkeit, Indus zurückgedrängt;

bis über den

und auch hier hätten die mongolischen Züge

noch kein Ende erreicht, wenn nicht Dschingischan am 19ten August 1227 im 73sten Jahre seines Lebens gestorben wäre.

Doch gingen

seine Söhne auf den betretenen Bahnen fort.

Schon bei Lebzeiten seines Vaters hatte Tuschi, dem der Oberbefehl

in den nordwestlichen Gegenden zugefallen war, die Polowzer angegriffen,

389

Mongolen.

welche bet den Russen Hülfe suchten und erinnerten, daß nur ein ge­ meinsamer Widerstand Rettung aus der alle bedrohenden Gefahr hoffen

lasse.

Ihrerseits stellten dagegen die Mongolen vor: sie hätten wider

die Russen durchaus keine feindlichen Absichten, und befehdeten die Polowzer nur als ehemalige abtrünnige Unterthanen.

Warum

wollten

sich die Russen ohne hinreichenden Grund mit alten Feinden verbinden, während sie ungestört in Frieden leben, und die Ueberläufer zu Sol­

daten oder Sklaven machen könnten?

Solche, in früherer und späterer

Zeit nur zu ost wirksame Darstellungen verzögerten auch hier entschei­ dende Beschlüsse; doch zogen endlich die Fürsten des südlichen Rußlands den Polowzem zu Hülfe, und drängten die Mongolen bis an den

Fluß Kalk« zurück, welcher ins asowsche Meer fällt.

Hier aber ent­

zweiten sich der Fürst von Kiew und der Fürst von Halisch, und wäh­ rend jener mit vierzigtausend Mann ein besonderes festes Lager in der

Hoffnung bezog, sich allein vertheidigen oder mit den Mongolen einen vortheilhasten Frieden schließen zu können, wagte dieser aus Ehrgeiz

am löten Junius 1224 eine große Schlacht, welche völlig verloren ging.

Dem Heere des hierauf ebenfalls eingeschlossenen Fürsten von

Kiew versprachen die Mongolen das Leben und für Lösegeld sogar die

Freiheit.

Kaum war indeß die Uebergabe erfolgt, so hieb man die

Gemeinen nieder und legte alle Vornehmen unter die Bretter,

auf

welchen die Sieger bei der Feier eines großen Festes saßen; man quetschte

sie auf diese Weise allmählich zu Tode.

Während der nächsten Jahre

waren die Mongolen in Asien beschäftigt, aber von 1236 bis 1240 eroberte Batu, Tuschis Sohn, nach neuen Siegen Moskau, Riäsan,

Wladimir, Kiew; und nun wälzte sich das durch alle unterjochten Völ­

ker verstärkte Heer in die Ebenen von Polen.

ES bedecke, so hieß es,

zwanzig Tagereisen in der Länge und fünfzehn in der Breite; es werde weder durch Berge noch Wälder, noch Flüsse aufgehalten, und eine An­

zahl wilder Pferde laufe, die Verwüstung zu mehren, dem wilden Heere nach.

Aus der Hölle, dem Tartarus, meinten viele, wären diese Tar-

taren entsprossen; andere nannten sie Abkömmlinge der israelitischen Ver­

ehrer des goldnen Kalbes, und erzählten Folgendes: Alexander der Macedonier wollte sie ihrer viehischen Lebensweise halber ganz von allen Völkern absondern und in die Gebirge jenseit deS kaspischen Meeres

einschließen: aber erst nachdem er den Gott Israels anrief, rückten die Bergspitzen zusammen und versperrten den Ausgang.

Nunmehr ließ

Alexander auf diesen Bergen Trompeten so geschickt befestigen, daß sie

390 von selbst und mit jedem Winde bliesen; weshalb die Mongolen glaub­ ten, sein Heer stehe noch immer in der Nähe.

Als die Vögel iiweß

zu häufig in diesen Trompeten nisteten und die Oeffnungen so verstopf­ ten, daß sie nicht mehr klangen, faßten die Mongolen neuen Muth und

drangen zum Verderben aller Völker wieder hervor."

Noch weniger als Rußland war Polen im Stande ihren schrecklichen

Anfällen zu widerstehen.

Seit dem Jahre 1138, wo Boleslav III.

das Reich unter seine Söhne getheilt und festgesetzt hatte: daß künftig der an Jahren älteste unter seinen Nachkommen Krakau zum Voraus

besitzen und das Ganze leiten solle; seitdem war Wechsel, Unruhe, Auf­ ruhr und immer Krieg fast gesetzlich an der Tagesordnung. BoleSlav V.

oder dem Keuschen stand zwar jetzt, dem Namen nach, die Oberleitung zu: allein wenn auch seine Persönlichkeit tüchtiger gewesen wäre, so

hätten Heinrich der Fromme von Schlesien, Konrad von Masovien und einige zwanzig andere polnische Fürsten, von ihm keinen Rath und am wenigsten Befehle angenommen. — Fast ohne Widerstand zu finden, drangen die Mongolen im Spätjahre 1240 verwüstend bis Lublin, bis

zur Weichsel; erst während ihres freiwilligen Rückzuges brachte ihnen der tapfere Woywode Wladimir von Krakau eine Niederlage bei; welche

aber nur veranlaßte, das sie im Anfänge des Jahres 1241 mit ver­ doppelter Macht und Wuth zurückkehrten.

Am 13ten Februar erreichten

sie Krakau, fanden aber, weil die Bürger aus Furcht entflohen waren, die Stadt leer und steckten sie in Brand.

Anstatt sich an die Spitze

der Polen zu stellen, hatte sich der Oberherzog Boleslav eiligst nach

Ungarn gerettet, und die Wopwoden von Sendomir und Krakau, welche

mit dem in Eile znsammengebrachteu Adel am 18ten Mai eine Schlacht wagten, wurden besiegt. Alle diejenigen, welche sich dennoch nicht geradezu

in mongolische Sklaverei begeben wollten, eilten jetzt zn Heinrich dem Frommen von Niederschlesien, einem Sohne Heinrich des Bärtigen und

der heiligen Hedwig.

Zu ihm kamen ferner seine Vettern Boleslav

von Mähren, und Mieslav von Oberschlesien, ferner Poppo von Osterne, der Landmeister des deutschen Ordens in Preußen, und viele andere

muthvolle Ritter und Edle.

Doch stieg ihr gesammtes Heer nicht über

30,000 Mann, weil viele Polen aus Feigheit, oder mißverstandenem Eigennutze entfernt blieben, und aus dem verwirrten Deutschlande, beim

Mangel einstimmiger Reichsbeschlüffe, nur Freiwillige zu diesem ehrm-

vollen Kampfe erschienen. Anfangs April gingen die Mongolen trotz allem Widerstand» über

391

Mongsl-n.

die Oder, und verbrannten die Stadt BreSlau, nachdem ein Theil der

Bürger entflohen war, und ein Theil sich zu weiterer Vertheidigung

in die Burg zurückgezogen hatte.

Von BreSlau wandten sie sich gen

Liegnitz wider die versammelte Macht Herzog Heinrichs.

Am Morgen

deS 9ten Aprils 1241 zog dieser muthig mit den Seinen aus der Stadt

hervor; als aber ein Ziegel vom Kirchendache herab und ihm vor die

Füße fiel, wollten mehre diesen Zufall deuten, und wie gewöhnlich nur auf ängstliche Weise.

Die Ebene von Wahlstadt war zum Schlacht­

felde ausersehen; vielleicht mit Unrecht, da eine kleine Zahl einer un­ gleich großem widerstehen sollte.

Denn obgleich wir nicht glauben, daß

450,009 Mongolen an der Schlacht Theil nahmen, oder daß ihr Heer

funszehnmal so stark als das christliche gewesen sei; so darf man doch annehmen,

daß jedem christlichen Kämpfer wenigstens drei bis vier

Herzog Heinrich, welcher erfahren hatte, daß

Feinde entgegen standen.

die Mongolen nach scheinbarer Flucht einer weiter vorwärts gestellten Abtheilung, gewöhnlich von beiden Seiten mit frischer Mannschaft ein­

brächen und ihre Feinde ganz umringten; hatte sein Heer in fünf un­ gefähr gleiche, und nicht auf einmal ins Treffen zu führende Schaaren

getheilt.

Die erste bestand auS deutschen Freiwilligen, Kreuzfahrem

und den goldberger Bergleuten; die zweite aus Großpolen; die dritte aus den Unterthanen des Herzogs Mieslav; die vierte auS den deut­ schen Rittern und ihren Knechten; die fünfte aus Polen, Schlesiern und

geworbenen Deutschen unter Heinrichs eigener Anführung. Der mongolische Feldherr Peta theilte sein Heer ebenfalls in fünf

Abtheilungen, deren jede stärker gewesen sein soll, als die christlichen zusammen genommen.

Deßungeachtet begann Boleslav aus Mähren

muthig mit seiner ersten Schaar, und trieb die ihm entgegenstehende

mongolische in die Flucht.

Als er aber, trotz jener ihm nicht unbe­

kannten Gefahr, zu weit verfolgte, gerieth er in den Pfeilrcgen der zwei­ ten und dritten feindlichen Abtheilung, wodurch viele der nicht durch

Panzer gedeckten Christen umkamen, und Boleslav selbst getödtet wurde.

Zwar eilten ihm der zweite und dritte Heerhaufe unter dem Polen Susislav und dem Herzoge Mieslav zu Hülfe, und stellte das Treffen wieder her; jetzt aber soll ein Mongole listig auf polnisch geschrieen

haben: „flieht, flieht," und Mieslav glaubte sehr übereilt, mit den

Seinen diesen feigen Rath befolgen zu müssen.

Desto tapferer fochten

der Meister Poppo und Herzog Heinrich, und erst als jener verwundet und dieser getödtet worden, war die Schlacht rettungslos verloren. Die

392

Mongole».

Mongolen zogen den Herzog nackt aus, hieben ihm den Kopf ab, steckten ihn auf eine Lanze und verlangten nun, die Burg von Liegnitz

solle sich nach dem Tode ihres Fürsten gutwillig ergeben.

Aber die

Herzogin Anna, welche sich mit ihren vier Kindern in der Burg befand, gab zur Antwort: noch wären vier fürstliche Erben am Leben, und die Besatzung sei bereit Gut und Blut fiir diese einzusetzen. Ein solcher Sieg, nach solchem Widerstande und mit so großem Ver­

luste, war den Mongolen nicht willkommen; und anstatt in dieser Rich­ tung ähnlichen Gefahren entgegenzugehen, wandten sie sich durch Ober­ schlesien nach Mähren, dann zu ihrem Hauptanführer Batu nach Un­

garn. Deshalb hat Herzog Heinrich der Fromme in seiner Niederlage eigentlich obgesiegt; er hat durch seinen Opsertod daö Abendland ge­ rettet, und verdient glücklicherern Anführern glorreich an die Seite ge­ stellt zu werden. Binnen mehr als tausend Jahren fanden vielleicht

nur zwei Augenblicke ähnlicher Gefahr statt: Karl Martell schützte Eu­ ropa durch seinen Sieg bei Tours gegen muhamedanische Religion und

sultanische Willkür; und auf derselben heiligen Stelle von Wahlstadt ward am 26ten August 1813 der erste unter den herrlichen Siegen erfochten, welche von der Einverleibung in ein Reich erretteten, wo Ungrbundenheit der Sitten und Tyrannei der Regierung sich auf arge Weise vertrugen. Aber so groß auch diese beiden Gefahren erscheinen, so schrecklich die Erinnerung an die nächst vergangene ist; wer wird

nicht eine mongolische Sklaverei für die entsetzlichste halten?

XXI. Pie Schlacht von Penevent. Am 26sten Februar 1226, als man gegen Mittag den Gipfel eine-

vor ihnen liegenden Bergrückens erreicht hatte, erblickte man aus ein­ mal daö Ziel einer mühsamen Wanderung, die Ebene von Benevent:

gleichzeitig aber auch das wohlgeordnete Heer König Manfreds.

So­

gleich wurde laut und mit großem Eifer verhandelt: ob man dasselbe ohne den geringsten Verzug angreifen, oder die Schlacht bis zum fol­

genden Morgen verschieben solle.

Nicht wenige vertheidigten daS letzte,

weil Mittag schon vorüber und eS thöricht sei, mit hungrigen und er­ müdeten Menschen und Pferden Feinde anzugreifen, welche sich lange

ausgeruht und reichlich gegessen hätten, welche zahlreicher und besser gerüstet erschienen, als man nach den bisherigen Erfahrungen hätte vermuthen können.

Noch mehre aber sprachen: „wir müssen auf der

Stelle angreifen, denn heute baben wir doch noch etwas gegessen, mor­ gen dagegen fehlen die Lebensmittel vielleicht ganz.

Und wer darf

überhaupt geordnete Feinde muthlos aus der Ferne beobachten? Ein

plötzlicher Angriff wird sie überraschen, erschrecken und den Sieg er­

leichtern." —

Als man hiegegen noch einige Zweifel erhob, rief Gi-

leS le Brun (Konnetable von Frankreich und Erzieher deS Grafen von

Flandern): „thut ihr andern was ihr wollt; ich werde, und wäre ich

auch ganz allein, im Namen der heiligen christlichen Kirche gewiß an­ greifen und mit ihrer Hülfe gewiß siegen." Als König Karl diesen mit Beifall aufgenommcnen und von ihm sehr gebilligten Eifer sah, sprach er von einem Hügel zu den um sich Ver­

sammelten: „Der Tag der Schlacht, welchen wir alle herbeiwünschten,

ist endlich gekommen; wir müssen siegen oder sterben! Denn nur weil wir siegten, haben uns die Städte und Völker Italiens äußerlich eh-

394

Dir Schlacht von Benevent.

renvoll ausgenommen; werden wir besiegt, so bricht dagegen unfehlbar

ihr innerer Haß und ihre gewohnte Treulosigket dergestalt hervor, daß keiner von uns den offenen Angriffen und den heimlichen Nachstellun­

gen entgeht, kein einziger die ferne Heimath glücklich wieder erreicht. Besser also, wir sterben alle ehrenvoll und in derselben Stunde, als

daß wir elendiglich und vereinzelt umkommen auf schmachvoller Flucht.

Fürchtet eure Feinde nicht: bei Ceperano, bei S. Germano hätten we­ nige leicht einem ganzen Haufen widerstehen können: da flohen sie feige, woher sollte ihnen nun jetzt der Muth kommen? Ihr seid aus

einem Volke, dessen Name in aller Welt furchtbar geworden ist und jedem fremden Volke als ein zxrmalmender Hammer erscheint; sie da­

gegen sind weder eines Stammes, noch eines Landes.

Wir fechten

als gute Christen, begleitet vom Segen der Kirche, und für eine hei­ lige Sache; sie sind nicht einmal desselben Glaubens, von Sünden zu

Boden gedrückt und der Verdammniß bereits übergeben." Dieser Anrede folgten noch einige nähere Befehle des Königs über

die Art und Weise zu fechten; hierauf gab er mehren den Ritterschlag als Belohnung für vollbrachte, als Ermunterung zu künftigen Thaten;

endlich

ertheilte der Bischof Guido von Aurerre, als päpstlicher Be-

vollmächtigter, feierlich allen die Lossprechung von ihren Sünden, so­

fern sie als Buße den Kampf mit den Feinvew siegreich vollführten.

Ebenmäßig fanden in Manfreds Heere Überlegungen statt, ob man sogleich schlagen müsse oder nicht..

Unvortheilhast erschien jenes, weil

der König aus Apulien, Kalabrien und Sicilien noch Verstärkungen erwartete, und weil die Franzosen ohne Schwerdtstreich vor Hunger umkvmmen müßten, wenn man im Stande sei, sie nur noch ein Paar

Tage in diesen Gegenden festzuhalten. — Für den Angriff sprach an­ derseits der schon erwähnte Umstand: daß der Kampf mit den jetzt Ueberraschten, Hungrigen und Ermüdeten leichter sei, als in irgend

einem andern Augenblick, und daß man die Verwüstung des Vater­ landes ohne Schande nicht einen Tag länger dulden dürfe.

Zu die­

sen, aus der Lage der Dinge hergenommenen Gründen kamen aber

noch manche unreine und geheime; und man rieth zur Schlacht oder zum Aufschübe, nicht bloß aus innerer Ueberzeugung, sondern je nach­ dem Eigennutz, Feigheit, oder schon beschlossener Verrath dabei seinen

Vortheil zu finden schien.

Insbesondere stellten mehre sich an, als er­

laube ihnen ihre Vaterlandsliebe nicht, an den verkehrten Maaßregeln

Manfreds Theil zu nehmen, als sei eö höhere Pflicht, ihre eigenen

395

Die Schlacht von Benevent.

Besitzungen zu decken, als zürnten sie dem Könige, weil er die Schlacht lediglich auf den Rath eines Sterndeuters wünsche! — Manfred war

tief bewegt, als er diese Erscheinungen bemerkte, welche zu vertilgen

»der zu bestrafen über seine Kräfte ging; er mußte eö erleben, daß

einige ihm zur Treue Verpflichtete nicht bloß in Bezug auf den gegen­ wärtigen Augenblick, sondern ganz allgemein hin den Rath

„er möge fliehen und seine Sache aufgeben."

gaben:

Da rief er in zornigem

Schmerze; „lieber will ich heute hier sterben als König, denn fliehend

und bettelnd

als ein Elender in der Fremde umherirren!" Kalte Be­

rechnung und Gemüthlosigkeit hatten indeß nicht ganz die Oberhand

behalten, die Grafen Lancia, der Römer Theobald von Annibalis und

Mehre andere traten begeistert hervor und sprachen: „Herr, dein Leben ist unser Leben, dein Heil unser Heil,

Schande und Elend.

ohne dich wartet unser nur

Für dich wollen wir kämpfen und siegen, oder

sterben, sogleich in dieser Stunde!" Diesen Worten stimmten manche bei, welche den Verdacht, daß sie bei S. Germano übereilt geflohen

wären, von sich abwälzen wollten: Manfred endlich sehnte sich nach

einem schnellen entscheidenden Ausgange.

Er sprach zu den jetzo in

größerer Zahl um ihn Versammelten: „Unsere Feinde sind endlich erschienen, aber nicht an Kraft

Schönheit dem früheren Rufe entsprechend.

und

Wie klein, wie abgema­

gert sind die Pferde; wie leicht muß der Sieg sein, wenn wir ihnen keine Zeit lassen zur Erholung.

Nur der erste Angriff der Franzosen

ist heftig und furchtbar; finden sie unerwartet ausharrenden Widerstand,

so verwandelt sich ihre Tollkhünheit in fast unglaubliche Feigheit.

Und

wir, deren Vorfahren, so oft die Gallier schlugen, sollten uns fürchten

vor denselben Gegnern? Wir, zeither frei und unabhängig, sollten ihrer schnöden Tyrannei den Nacken beugen, oder von der Gnade dieser

Fremden entehrende Lebensfristung erbetteln? Wahrlich dagegen wäre

der Tod ein Gewinn und mannhaft wollen wir, wo nicht den Sieg

erkämpfen, doch im Tode Befreiung finden."

Unmitelbar nach diesen Worten ordnete Manfted sein Heer in drei

Treffen.

Das erste bestand aus

1200 deutschen Reitern, auf deren

Treue und Tapferkeit er sich am meisten verließ; an ihrer Spitze stand

sein Oheim, Graf Galvan Lancia.

Das zweite zählte etwa 1000

Reiter aus Tuscien und der Lombardei, und ward angeführt von sei­ nem zweiten Oheime, dem Grafen Jordanus Lancia.

Das dritte bil­

deten 1400 apulische und saracenische Reiter, an deren Spitze sich der

396

Die Schlacht von Benevent.

König selbst stellte.

Sein weit zahlreicheres Fußvolk und die, ihm vor

allen zugethanen, mit Bogen bewaffneten Saracenen wurden auf ähn­ liche Weise vertheilt oder den Ritterschaaren zugesellt.

Die Franzosen

schätzten die Stärke dieses ganzen Heeres auf 5000 gerüstete Reiter und 10,000 Saracenen. handen war, wird

Ob und wie viel sonst noch Fußvolk vor­

nicht mit Bestimmtheit angegeben.

Im Rücken

Manfreds lag Benevent und der Fluß Kalore, rechts der Bach Tammaro; links streckte sich die Ebene von Roseto bis zu dem Wege, wel­

cher nach S. Germano führt.

Auch Karl von Anjou theilte sein Heer in drei Schaaren: die erste, geführt vom Grafen Philipp von Montfort und dem Marschalle von Mirepoir, zählte 1000 ftanzösische Reiter; die zweite, geführt von ihm

selbst und dem Grafen Guido von Montfort, bestand aus 900 provenzalischen Reitern; die dritte, befehligt von Geleö le Brun und dem

Grafen Robert von Flandern, etwa 700 Reiter stark, war zusammen­

gesetzt aus Flammländern, Brabantern, Pikarden und Savoyern.

Au­

ßer diesen drei Abtheilungen des eigentlichen Heeres, bildeten aber die Guelfen aus Toskana unter dem Grasen Guido G.uerra eine vierte, welche sich auf 400 Reiter belief.

Schon in der Lombardei hatten

sich diese (seit Besiegung der Ghibellinen in Modena und Reggio reich und wohlgerüstet) den Franzosen zugesellt, hoffend durch deren Hülfe einst ihr Vaterland wieder zu beherrschen. Zwischen den Reitern war auf Karls ausdrücklichen Befehl das Fußvolk vertheilt, um jenen, bei

der Ermattung ihrer Pferde, im Fall übermächtigen Angriffs zu Hülfe

zu kommen, und die feindlichen Reiter , oder Pferde zu erschießen oder zu erstechen.

Ueber

die Zahl

deS

gesammten

französischen Heeres

weichen die Nachrichten sehr von einandet ab; auch nach der gering­

sten Angabe war es stärker, als das Heer ManftedS.

Die Schlacht begann damit, daß die leichten französischen Fußgän­ ger sich gegen die Saracenen vorwagten, welche ihnen ihres ungeord­

neten Zuges halber nicht gefährlich, ihreö Unglaubens wegen verächt­

lich und Hoffenswerth erschienen: und wiederum warteten diese, durch spöttische Aufforderung gereizt, höhere Befehle nicht ab, sondern eilten auch ihrerseits vorwärts und erlegten mit geschickt abgeschossencn Pfei­

len so viele ihrer Gegner, daß die Uebrigen in große Unordnung geriethen.

Als aber die erste ftanzösische Reiterschaar unter Philipp von

Montfort und dem Marschall von

Mirepoir zu deren Unterstützung

anrückte, geriethen die Saracenen um so mehr in Noth, als ihre Pfeile

Die Schlacht von Benevenl.

397

den gerüsteten Reitern keinen Schaden thaten.

Dies erblickend, setzte

sich Graf Galvan, ebenfalls ohne weitere Befehle abzuwarten, mit sei­

nen Deutschen in Bewegung; welches alles zeigt, daß von beiden

Seiten kein zusammenhängender Plan entworfen und ausgeführt wurde, ja daß überhaupt keine gleichzeitige allgemeine Schlacht statt fand, son­ dern diese sich in eine Reihe von einzelnen Gefechten auflösete.

Die ftanzösischen Reiter griffen mit gewohnter Lebhaftigkeit an, aber

die Deutschen, besser gerüstet, besser beritten und ausharrend tapferer, schlugen sie mit großem Verluste gänzlich in die Flucht.

Alö Karl

sah, daß dies denen widerfuhr, welchen er am meisten vertraut hatte, wandte er sich (den anfangs beschlossenen Angriff der zweiten Schaar Manfreds aufgebend) zu ihrer Unterstützung; aber auch er war nicht im Stande den Sieg herbeizuführen, weil die Deutschen mit längeren Schwertem und Keulen schon in der Ferne trafen, und alle etwa glücklich angebrachten Streiche auf ihren starken Rüstungen ohne den

geringsten Erfolg blieben.

Da rief Karl, Besonnenheit nie verlierend:

„stecht die Pferde nieder, stecht mit der Degenspitze unter die Achseln und in die Fugen der Rüstungen!" — Mit so großer Gewandheit ward diese Vorsicht befolgt, daß viele Deutsche verwundet zu Boden

stürzten, und sich in ihrer schweren Rüstung nicht schnell wiedemm aufrichten und am Gefechte Theil nehmen konnten. Dem Könige Manfred entging diese ungünstige Wendung der Schlacht

nicht, weshalb er, Karls Beispiel nachahmend, mit seiner Abtheilung

nun auch zur Unterstützung der Deutschen herbeieilte.

In demselben

Augenblicke sah er, daß eine dritte Schaar der Feinde nach derselben Stelle hinzog, und fragte: „wer sind jene, so ausgezeichnet an Pfer­

den und Waffen?" Es sind, antwortete man ihm, die Guelfen aus Toskana. Da rief er laut: „welch löbliche Treue für ihre Parthei!

Wo leisten mir die Ghibellinen solche Hülfe, die ich unterstützte mit aller Anstrengung, mit Gut und Blut!" Auch Ghibellinen fuhren jene fort, sehen wir im feindlichen Heere; und der König erwiederte: „die

treulos Undankbaren, sie denken sich zu sichern, möge ich siegen oder

Karl von Anjou!" Manfreds rascher und kräftiger Angriff ermuthigte indeß die noch

immer heldenmüthig widerstehenden Deutschen, und er erwartete, daß sich, seiner verständigen Anordnung zufolge, auch die übrigen Abthei­ lungen schnell hieher wenden und durch Richtung aller Kräfte auf den

wichtigsten Punkt obsiegen würden.

In diesem entscheidenden Augen-

SS8

DK Schlacht von Benevent»

blicke rief ihm ein Krieger zu: „0 Herr, seht, wie so viele dort verrä-

cherisch fliehen!" Als Manfred erschreckt sich umwandte, stürzte ihm sein mit silbernem Adler geschmückter Helm vom Hcnchte und er sprach: „das ist ein Zeichen Gottes: denn ich hatte den Helm mit meinen

Händen so befestigt, daß er niemals von selbst herabfallen konnte!"

dann,

den hochbejahrten Okkursius anredend, fuhr er fort: „gedenke,

daß du des Kaisers, meines Vaters Mundschenk wärest, daß er mich

dir vor allen empfahl; rathe mir getreulich!" — „Das ist wohl zu spät," antwortete dieser in wehmüthigem Zorne.

„Wo sind nun eure

Geiger und Dichter, die ihr mehr als Ritter und Knechte liebtet, daß

sie versuchen könnten, ob Karl auch nach ihrem süßen Getöne tanzen möchte.

Euer Leben aber will ich euch erhalten mit meinem Tode!"

— Er nahm den Helm und des Königs Abzeichen und stürzte sich

in die Schlacht; der getreue Knecht ward erschlagen, sei» Herr aber nicht gerettet.

Denn als dieser rings um sich nur Flucht und Ver­

rath sah, fühlte er, eS sei die Stunde gekommen, welche nie zu über­ leben er längst beschlossen hatte.

Auch er drang hinein in das wil­

deste Getümmel und ward nicht wieder gesehen!

Getödtet wurden: 3000 Reiter, Fußgänger und Söldner; gefangen wurden: die Grafen JordanuS und Bartolomäus Lancia, Pietro Uberti, Bernardo Kastagna und viele andere Edle aus verschiedenen Theilen

Italiens.

Der Sieg schien vollkommen; als aber Karls Barone ihm

dazu Glück wünschten, zeigte er fast keine Freude, sondern sagte: „dem Tapfern genügt kaum die Welt; waS ist eS weiter einen Mann zu besiegen!" — Daran lag ihm aber doch viel, zu wissen, wo dieser

eine Mann sei, ob er lebe oder ob er umgekommen.

Nach zweien Tagen hatte man

von Manfred noch keine Spur;

endlich sahen die gefangenen Grafen JordanuS und Bartolomäus Lancian, daß ein Pikarde dessen Pferd ritt, und fragten ihn erschreckt: „woher er das Pferd habe und waS er von dessen früheren Besitzer

wisse?" Jener sagte hierauf aus: „während der Schlacht stürzte rin Reiter mit einem Begleiter (es war der edle Römer Theobald von

Annibalis gewesen) unter unsere Schaaren, laut die seinen zum Kampfe aufrufend.

Wären jene treu und tapfer, wie er, gefolgt, wahrlich sie

hätten gesiegt; so aber traf meine Lanze den Kopf seines Pferdes, eS

bäumte sich und stürzte mit dem Reiter zu Boden.

Diesen ergriffen

Knechte auS unserm Heere, plünderten ihn ganz aus tmb erschlugen ihn mit vielen Streichen.

Mir wurde dirS Pferd und dieser Gürtel

Die Schlacht von Benevent.

399

zu Theil." — Die Beschreibung des Getödteten stimmte ebenfalls der­ gestalt, daß die Sorge der Theilnehmenden immer höher stieg; unter den Franzosen aber die Rede, Manfred sei todt, sich schnell verbreitete und bis zum Könige drang.

Viele eilten mit dem Pikarden zur Stelle,

wo jener gefallen war: man fand den nackten Leichnam und neben ihm den edlen Theobald.

Im Siegesübermuthe hingen einige den erschlagenen König über einen

Esel, und einer von ihnen rief laut: „wer kauft Manfred?" —■ aber

ein französischer Baron züchtigte ihn, in richtigem Gefühle, hart wegen dieser Frechheit. — Als der Leichnam, welcher zwei tödtliche Wunden am Haupte und in der Brust zeigte, vor den König Karl gebracht

war, ließ er alle gefangenen Barone herbeirufen und fragte jeden ein­

zeln: „ob dies Manfred sei?" Sie antworteten furchtsam: ja.

Nur

Graf Jordanuö rief, als er ihn erblickte, in ungemeffenem Schmerze:

„o mein Herr, o mein König!" und bedeckte laut weinend sein Gesicht

ptit den Händen.

Die Franzosen achteten und ehrten Jordanus für

solche Treue und Anhänglichkeit; Graf Richard von Kaserta hingegen,

der Verräther, welcher auch herbeigerufen ward, um über seinen getöd­

teten Schwager ein trockenes Ja auSzusprechen, sand für so beschä­ mende, vernichtende Stellung darin wohl keinen hinreichenden Ersatz,

daß ihn König Karl seinen Getreuen nannte. Die französischen Großen baten jetzo, daß für Manfred ein ehrenvolles

Begräbniß bewilligt werde; Karl aber schlug eö streng ab: denn ein Ge­

bannter, ein Ketzer durfte nicht in geweihter Erde liegen. Daher vergrub

man ihn in aller Stille nahe bei der Brücke von Benevent. Allein nicht bloß das Volk, sondern selbst die Franzosen häuften ihm theilnehmend da­

durch ein Ehrendenkmal, daß jeder einen Stein zu seinem Grabe trug, und

der Ort selbst hatte oder erhielt den bedeutenden Namen: Fels der Rosen!

Nachmals fand jedoch der Kardinalgesandte, Erzbischof von Kosenza: diese Stelle sei zu gut, der Boden kirchliches Eigenthum und Manfred verdiene überhaupt keine Ruhestätte in seinem ehemaligen Reiche. Darum ließ er ihn

wieder ausgraben und nach der Gränze von Abruzzo und Picenum bringen.

Hier in einem abgelegenen, von düstern Felsen eingeschlos-

seuen Thale, welches der Fluß Verde kurz vor seiner Vereinigung mit dem Tronto bildet, wurde Manfred, ohne Beobachtung kirchlicher Gebräuche, zum zweiten Male begraben. In der Nähe steht eine einsame Mühle;

unter den benachbarten Landleuten lebt bis auf den hentigen Tag die Sage von dem schönen, geistreichen, unglücklichen Könige Manfted!

XXII. Konradins Hinrichtung. Als Konradin beim Schachspiel die Nachricht von seiner Verurthei-

luitß erhielt, verlor er die Fassung nicht, sondern benutzte, gleich seine» Unglücksgefährten, die wenige ihnen gelassene Zeit, um sein Testament

zu machen und sich mit Gott durch Beichte und Gebet auszusöhnen.

Unterdeß errichtete man in aller Stille das Blutgerüst dicht vor der Stadt, nahe bei dem später sogenannten neuen Markte und der Kirche

der Karmeliter.

Es schien

als sei dieser Ort boshaft ausgewählt

worden, um Konradinen alle Herrlichkeit seines Reichs vor dem Tode

noch einmal zu zeigen.

Die Mögen deS hier so schönen als friedlichen

Meeres dringen nämlich bis dahin, und der diesen herrlichsten aller

Meerbusen einschließende Zauberkreis von Portici, Kastellamare, Sorrento und Massa stellt sich, durch den blendenden Glanz südlich reiner

noch verklärt, dem erstaunten Beobachter dar.

Lüfte

Auf furchtbare

Mächte der Natur deutet jedoch das zur Linken sich erhebende schwarze

Haupt des Vesuv, und rechts begränzen den Gesichtskreis die schroffen

zackigen Felsen der Insel Kapriwo einst Tiberius, ein würdiger Ge­ nosse Karls von Anjou, frevelte.

Am

29ten October 1268,

zwei Monate nach der Schlacht bei

Skurkola, wurden die Verurtheilten zum Richtplatze geführt, wo der Henker mit bloßen Füßen und aufgestreiften Aermeln schon ihrer war­ tete.

Nachdem König Karl in dem Fenster einer benachbarten Burg

einen angeblichen Ehrenplatz eingenommen hatte, sprach Robert von

Bari, jener ungerechte Richter, auf dessen Befehl: „versammelte Männerl Dieser Konradin, Konrads Sohn, kam aus Deutschland, um als ein'

Verführer seines Volkes ftemde Saaten zu ärnten und mit Unrecht

399

KonradinS Hinrichtung.

rechtmäßige Herrscher anzugreifen.

Anfangs siegte er durch Zufall;

dann aber wurde durch des Königs Tüchtigkeit der Sieger zum Be­

siegten, und der, welcher sich durch kein Gesetz für gebunden hielt, wird jetzt gebunden vor das Gericht des Königs geführt, welches er zu ver­

nichten ttachtete. Dafür wird, mit Erlaubniß der Geistlichen und nach dem Rathe der Weisen und Gesetzverständigen, über ihn und seine Mitschul­ digen alS Räuber, Empörer, Aufwiegler, Verräther, das TodeSurtheil gesprochen und, damit keine weitere Gefahr entstehe, auch sogleich vor

Aller Augen vollzogen."

Als die Gegenwärtigen dies sie größtenthcils überraschende Urtheil hörten, entstand ein dumpfes Gemurmel, welches die lebhafte Bewegung der Gemüther verkündete;

alle aber beherrschte die Furcht, und nur

Graf Robert von Flandern, des Königs eigner Schwiegersohn, ein so schöner als edler Mann, sprang, seinem gerechten Zorne freien Lauf

lassend, hervor und sprach zu Robert von Bari: „wie darfst du frecher,

ungerechter Schurke einen so großen und herrlichen Ritter zum Tode

verurtheilen?" — und zu gleicher Zeit traf er ihn mit seinem Schwerte dergestalt, daß er für todt hinweggetragen wurde.

Der König verbiß

seinen Zorn, als er sah, daß die französischen Ritter des Grafen That billigten; — das Urtheil aber blieb ungeändert! Hierauf bat Konradin,

daß man ihm noch einmal das Wort verstatte, und sprach mit großer

Fassung: „vor Gott habe ich als Sünder den Tod verdient, hier aber werde ich ungerecht verdammt. Ich frage alle die Getreuen, für welche meine Vorfahren hier väterlich sorgten, ich frage alle Häupter und

Fürsten dieser Erde: ob der des TodeS schuldig ist, welcher seine und seiner Völker Rechte vertheidigt?

Und wenn auch ich schuldig wäre,

wie darf man die Unschtildigen grausam strafen, welche, keinem anderen

verpflichtet, in löblicher Treue mir anhingen?" — Diese Worte erzeug­

ten Rührung, aber keine That; und der, dessen Rührung allein hätte in Thaten übergehen können, blieb nicht bloß versteinert gegen die Gründe

deS Rechts, sondern auch gegen die Eindrücke, welche Stand, Jugend

und Schönheit der Verurtheilten auf jeden machten. — Da warf Kon­ radin seinen Handschuh vom Blutgerüste hinab, damit er dem Könige

Peter von Aragonien als ein Zeichen gebracht werde, daß er ihm alle Rechte auf Apulien und Sicilien übertrage.

Ritter Heinrich Truchseß

von Waldburg nahm den Handschuh auf und erfüllte den letzten Wunsch

seines Fürsten. Dieser, aller Hoffnung einer Aenderung des ungerechten Spruches Hiftor. Lesebuch.

U.

26

400

Konradili's Hinrichtung.

beraubt, umarmte seine Todesgenossen, besonders Friedrich von Oester­ reich, zog dann sein Oberkleid aus und sagte, Arme und Augen gen

Himmel hebend: „Jesus Christus, Herr aller Creaturen, König der

Ehren!

Wenn dieser Kelch nicht vor mir vorübergehen soll, so befehle

ich meinen Geist in deine Hände!"

Jetzo kniete er nieder, rief aber

dann noch einmal, sich emporrichteud aus: „O Mutter, welches Lei­ den bereite ich Dir!"

Nach diesen Worten empfing er den Todes­

streich. — Als Friedrich von Oesterreich das Haupt seines Freundes

fallen sah, schrie er in unermeßlichem Schmerze so gewaltsam auf, daß Alle anfingen zu weinen.

Aber auch sein Haupt fiel, auch das des

Grafen Gerhard von Pisa. — Vergeblich hatte Graf Galvan Lancia

für sich und seine Sohne hunderttausend Unzen GoldeS als Losungs­ summe geboten: der König rechnete sich aus dem Einziehen aller Gü­

ter der Ermordeten einen größern Gewinn heraus; auch überwog sein

Blutdurst noch seine Habsucht.

Denn er befahl jetzt ausdrücklich, daß

die beiden Söhne des Grafen Galvan in dessen Armeil, und dann er

selbst getödtet werde! — Nach diesen mordete man noch Mehre: wer von den Beobachtern hätte aber ihre Namen erfragen, wer kaltblütig

zählen sollen?

Nur im Allgemeinen findet sich bezeugt, daß über tau­

send allmählig auf solche Weise ihr Leben verloren. — Die Leichen der

Hingerichteten wurden nicht in geweihter Erde begraben, sondern am Strande des Meeres, oder, wie Andere erzählen, auf dem Kirchhofe der Juden verscharrt. Zu all' diesen herzzerreißenden Thatsachen, die man nach genauester

Prüfung als geschichtlich betrachten muß, hat Sage und Dichtung noch Manches hinzugesügt, waö den schönen Sinn Theilnehmender bekundet,

aber mehr oder weniger der vollen Beglaubigung ermangelt.

Ein Adler,

so heißt es z. B., schoß-nach KonradinS Hinrichtung aus den Lüften

herab, zog seinen rechten Flügel durch das Blut und erhob sich dann auf's Neue.

Der Henker tvard, damit er sich nicht rühmen könne

solche Fürsten enthauptet zu haben, von einem Andern niedergestoßen. Die Stelle deS Richtplatzes ist, ein ewiges Andenken der thränenwerthen Ereignisse, seitdem immer feucht geblieben.

KonradinS Mutter

eilte nach Neapel, ihren Sohn zu lösen, kam aber zu spät und erhielt

blos die Erlaubniß, eine Kapelle über seinem Grabe zu erbauen; mit

welcher Erzählung unvereinbar Andere wiederum berichten, daß die Karmeliter aus Mitleid oder für Lohn den Leichnam Konradin's nach

Deutschland gebracht hätten u. s. w.

Konradtn'S Hinrichtung.

401

So viel ist gewiß, daß eine rothe Säule von rothem Porphyr und eine darüber erbaute Kapelle, mögen sie nun später von reuigen Köni­ gen oder theilnehmenden Bürgern oder auf Kosten Elisabeth's aufge­

richtet worden sein, Jahrhunderte lang die Blutstelle bezeichneten, bis

in unfern, gegen Lehren und Warnungen der Vorzeit nur zu gleich­ gültigen Tagen die Säule weggebracht, die Kapelle zerstört und an

ihrer Stelle ein Schenkhauö angelegt wurde!

König Karl, reich geworden durch unzählige Gütereinziehungen, bot jetzt, damit er doch auch einmal dankbar erscheine, seinem Retter Erard

von Valery die Städte Amalfi und Sorrent: aber dieser antwortete:

„Ich mag nichts von Euren Gütern; was ich that, that ich aus Liebe zu meinem Könige, dem frommen Ludwig und zu Ehren meines Vater­

landes."

Dahin kehrte er, einen Lehnsherrn wie Karl verschmähend,

unverzüglich zurück. —

Dieser ließ aus dem Schlachtfelde von Scur-

eula eine Abtei, Maria della Vittoria, erbauen und mit ftanzösischen Mönchen besetzen.

Aber die Gottheit schien seinen Dank zu verwerfen:

denn ein furchtbares Erdbeben stürzte die Gebäude so darnieder, daß kaum einzelne Bruchstücke der Mauern stehen blieben.

Druck von Eduard HLnel in Berlin.